Sie sind auf Seite 1von 214

Sammlung Metzler

Band 270
Horst Heidtmann

Kindermedien

J. B. Metzlersehe Verlagsbuchhandlung
Stuttgart
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Heidtmann, Horst:
Kindermedien / Horst Heidtmann.
-Stuttgart : Metzler, 1992
(Sammlung Metzler ; Bd. 270)
ISBN 978-3-476-10270-6
NE: GT

ISSN 0558 3667


ISBN 978-3-476-10270-6
ISBN 978-3-476-03970-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-03970-5

SM270

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich


geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des
Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages
unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Einspeicherung und Verarbeitung in
elektronischen Systemen.

© 1992 Springer-Verlag GmbH Deutschland


Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersehe Verlagsbuchhandlung
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1992

~
EIN VERLAG D E R . SPEKTRUM FACHVERLAGE GMBH
Inhalt

Vorwort 0 o o o o 0 o o o o o 0 o 0 0 o 0 0 0 0 VIII
Abkürzungsverzeichnis 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 XI

I. K.inderzeitschriften: Vom Artigsein


zum Konsumieren 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1
1. Die ersten Kinderzeitschriften 0 0 • 0 • 0 1
2. Anfänge der modernen Kinderpresse . . 3
3. Kinderzeitschriften in der Nachkriegszeit 4
4. Das aktuelle Kinderzeitschriftenangebot . 5
5. Nutzung und Funktion .. 0 •• 0 • 0 •• 0 9
Literatur 0 • 0 0 • 0 0 • 0 0 • • 0 • • 0 • 0 • • 0 10

II. Kindercomics: Von Bilderpossen zum


Wellenreiten 0 0 • 0 • • • • • 0 • • • • • • 13
1. Vor- und Frühformen der Comics . . . . . . 13
2. Erschwerte Cornic-Entwicklung nach 1945 15
3. Das aktuelle Comic-Angebot . 19
4. Genres und Motive . . . . 21
5. Rezeption und Funktion .. 0 • 22
Literatur . 0 •• 0 •• 0 • • • • • • • 24

III. Kindertheater: Vom Lehrstück zum


Zeitvertreib .. 0 0 • 0 0 • 0 •• 0 • 27
1. Frühes Kindertheater . . 0 0 0 0 0 • 0 • 0 0 27
2. Neue Impulse für das Kindertheater 30
3. Aktuelle Situation des Theaters für Kinder 33
Literatur . . 0 • • • • • 0 • • 0 • • • • 0 • • 0 • • 34

IV. Kinderfilm: Von Grimms Märchen zu


Hollywoods Märchen . . . . 37
1. Frühes Kinderkino . . . . . . . . . 37
2. Kinderkino in der Nachkriegszeit . . . . 40
3. Neuer deutscher Kinderfilm . . . . . . . 43
4. Genres, Themen und Motive des zeitgenössischen
Kinderfilms . . . . . . . . 45
5. Nutzung und Funktionen 48
Literatur 0 • • 0 • • 0 • 0 0 • 50

V
V. Kinderfunk: Vom Schnurrenerzähler zur
Geräuschkulisse . . . . . . . . 53
1. Anfangszeit des Kinderfunks 53
2. Kinderfunk in der Nachkriegszeit 55
3. Neue Tendenzen im Kinderfunk 56
4. Rundfunknutzung . . . . . . . . 59
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 60

VI. Kindertonträger: Vom Rotkäppchen zum


Airw'olf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
1. Erste Kinderschallplatten . . . . . . . . . . . 63
2. Tonkassetten als Massenmedium für Kinder . 64
3. Aktuelle Marktentwicklungen . . . . . . 65
4. Gattungen, Genres, Themen und Motive 68
5. Nutzung und Funktionen . . . . . . . . 72
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

VII. Kinderfernsehen: Von der Nachmittags-


bastelei zur Vorabendaction . . . . . . . . 76
1. Fernsehnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
2. Anfänge des Kinderfernsehens . . . . . . . . . . 77
3. Neue Akzente in den 60er und ?Oer Jahren . . . . 78
4. Programmangebote und Nutzungspräferenzen zu
Beginn der 90er Jahre . 82
5. Aspekte der Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . 91
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

VIII. Kindervideos: Von Menschenfressern zu


sprechenden Tieren . . . . . . . . . 98
1. Videonutzung . . . . . . . . . . . . . . . . 98
2. Videomarktentwicklung und Distribution 100
3. Das aktuelle Kindervideoangebot . . . . . 102
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

IX. Kin~ersp.ielzeug: Vom Holzpüppchen zum


Akttonsfiguren-System . . . . . . . . . . . . 108
1. Geschichte des Spielzeugs . . . . . . . . . 108
2. Marktentwicklungen im 20. Jahrhundert . 110
3. Das aktuelle Spielwarenangebot . . . . . . 113
4. Wirtschaftliche Entwicklungen und
Konzentrationen . . . . . . . . . . . . . . 117
5. Funktionen der Spielwaren und des Spielens 119
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

VI
X. Coml'uter- und Videospiele: VomPingPong
zum Cyberspace . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
1. Erste Videospiele . . . . . . . . 124
2. Marktangebot und Nutzung der
Heimcomputerspiele . . . . 126
3. Neuer Videospiel-Boom .. 128
4. Spielthemen und Motive . . 129
5. Funktionen und Wirkungen 132
6. Neue Spieldimensionen 133
Literatur . . . . . . . . . . . . . 134

XI. Kindermedien in der DDR: Bildung,


Erziehung und Unterhaltung ..... 137
1. Kulturelle und mediale Entwicklungen . . 137
2. Kinderzeitschriften 139
3. Kindercomics 142
4. Kindertheater . 144
5. Kinderfunk . . . 147
6. Kindertonträger 150
7. Kinderfilm . . . 151
8. Kinderfernsehen 156
9. Kinderspielzeug 160
10. Mediennutzung vor und nach derWende 162
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
XII. Kinderkultur heute: Mediatisierung,
Serienbildung und Medienverbund 169
1. Mediatisierung der Kindheit . . . . . . 169
2. Kommerzialisierung der Kinderkultur 171
3. Serienbildung . . . . . . . . . . . . . . 173
4. Medien im Verbund . . . . . . . . . . 176
5. Internationalisierung der Kinderkultur 181
6. Vermischung von Genres, Stoffen und Motiven 182
7. Mediennutzung und -wirkung . 183
Literatur . . . . 186

Namensregister . 191
1. Medienproduzenten 191
2. Medienfiguren .. 195

Angaben zum Autor 199

VII
Vorwort

Medienkritiker beklagen publikumswirksam »das Verschwin-


den der Kindheit«; durch die audiovisuellen Massenmedien
können Kinder heute problemlos an der medialen Kommunika-
tion der Erwachsenen teilhaben. Und sicherlich nutzen Kinder
heute, manchmal sogar vorrangig, Mediendarbietungen, die ei-
gentlich nicht für sie bestimmt sind. Nichtsdestotrotz haben
Kinder aber andere Präferenzen und Bedürfnisse als Erwach-
sene, nutzen Medien anders, gleichwohl zielgerichtet, nutzen
die intentionalen Kindermedien ebenso wie manche für Er-
wachsene bestimmte Produktionen. Allen Unkenrufen von
verschwundener Kindheit zum Trotz: noch nie stand für
Kinder ein derart umfangreiches und weitgefächertes Ange-
bot intentionaler Kindermedienproduktionen zur Verfügung
wie heute. Vor allem private, kommerziell orientierte Medien-
anbieter produzieren zunehmend für die Zielgruppe Kind.
Allein aufgrund medientechnischer und -ökonomischer Ent-
wicklungen hat die Kinderkultur zu Beginn der 1990er Jahre
Weiterungen erfahren, die vor 10 Jahren noch nicht absehbar
waren, sind Facetten hinzugekommen, haben sich Akzente ver-
lagert.
Im Zusammenhang mit der Entdeckung der Trivialliteratur
und der Massenmedien als Arbeitsfelder der Hochschulgerma-
nistik in den 70er Jahren erhält hierzulande auch die Kinderme-
dienforschung einen wichtigen Anschub: so erscheinen um und
vor 1980 erstmals grundl~gende Arbeiten zu einzelnen Kinder-
medien, Einführungen, Ubersichten, Sammelwerke, u.a. von
Karl W. Bauer, Heinz Hengst, Jan-Uwe Rogge. Nach diesem
ersten Schub reduziert sich das wissenschaftliche Interesse an
den Kindermedien zunächst, beschränkt sich auf spezifische
Fragestellungen, auf wenige kontinuierlich arbeitende Kultur-
und Sozialwissenschaftler. In den letzten Jahren ist in der For-
schung zu den einzelnen Kindermedien ein stark gewachsenes
Interesse, aber auch ein höchst unterschiedlicher Erkenntnis-
stand zu konstatieren. So haben Kinderfernsehen und Wirkun-
gen des Fernsehens auf Kinder recht starke wissenschaftliche
Zuwendung erfahren, so erhält seit einiger Zeit die Beschäfti-
gung mit dem Kindertheater vermehrt Impulse.

VIII
Die vorliegende Darstellung soll, allgemein verständlich und
übergreifende Zusammenhänge aufzeigend, in das gesamte Feld
alter wie neuer Kindermedien einführen. Die Einzelkapitel sind
also jeweils direkt aufeinander bezogen, miteinander verbun-
den, der Schlußteil resümiert übergreifend. Damit unterschei-
det sich diese Arbeit von vorliegenden älteren Einführungen
und Sammelbänden, in denen die Einzelkapitel, einzelnen Me-
dien jeweils von unterschiedlichen Autoren bearbeitet und ge-
wichtet sind. Ausgespart bleibt lediglich das Kinderbuch, da
hierzu andernorts aktuelle Einführungen bzw. Gesamtdarstel-
lungen vorliegen. Dieser Band soll die Historie, Entwicklungs-
tendenzen der einzelnen Medien nachvollziehbar machen, vor
allem den aktuellen Entwicklungsstand skizzieren, auf zentrale
Inhalte, Formen, Funktionen von Darbietungen eingehen,
Nutzungspräferenzen, Wirkungen aufnehmen, intentionale
wie tatsächlich genutzte Kindermedienprodukte behandeln.
Dabei sollen vor allem Ergebnisse neuerer und neuester For-
schungsliteratur (bis 1992) Berücksichtigung finden sowie Ar-
beitsergebnisse des Verfassers aus eigener Forschung, aus zahl-
reichen Lehrveranstaltungen über Kindermedien, aus zusam-
men mit Studenten entwickelten Projekten.
Da die Forschungslage zu Einzelaspekten, den einzelnen Me-
dien unterschiedlich ist, muß die Qualität der dar:gestellten Er-
gebnisse unterschiedlich ausfallen. Angaben und Uberlegungen
zur Mediennutzung und -wirkung sind erschwert dadurch, daß
auch neue empirische Untersuchungen zur Mediennutzung
meistenteils erst Nutzer ab 14 Jahren berücksichtigen, daß für
Befragungen von Kindern Interviewtechniken; Fragebögen für
Erwachsene übernommen werden, daß das restringierte Arti-
kulationsvermögen von Kindern nicht ausreichend berücksich-
tigt wird, Untersuchungen unzulässig vereinfachen oder nur
Einz~lfälle behandeln, Medienbiographien zu pauschal verall-
gememern.
In besondererWeise defizitär ist die Forschungslage hinsicht-
lich der DDR-Kindermedien, da selbst zu Einzelaspekten kaum
zusammenfassende Darstellungen vorliegen, da Untersuchun-
gen zu Mediennutzung und -wirkung, Angaben zu Titel- und
Themenpräferenzen, Reichweiten und Auflagen entweder (be-
wußt) nicht erfaßt oder nicht öffentlich zugänglich oder für eine
Veröffentlichung >geschönt< worden sind. Publikationen und
Interpretationen empirischen Materials aus DDR-Zeiten kön-
nen also nur mit Vorbehalten genutzt, müssen durch andere
(vielleicht ebenfalls subjektive) Quellen ergänzt werden, wir-

IX
ken erst im Verlauf der 80er Jahre stimmiger, nachvollziehbar
(insbesondere Arbeiten aus dem Leipziger Jugendforschungs-
institut).
Im Anschluß an die Einzelkapitel wird in Auswahlbibliogra-
phien auf Forschungsergebnisse und weiterführende Literatur
verwiesen; dabei soll vorrangig aktuelle Forschungsliteratur be-
nannt sowie auf ältere Arbeiten hingewiesen werden, die Weg-
marken gesetzt, Impulse gegeben haben, ohne Vollständigkeit
anzustreben, aber unter Berücksichtigung auch abgelegener
Einzelaspekte, origineller Fragestellungen.
Insgesamt soll diese Darstellung differenziert, abwägend in
ihren Gegenstand einführen, vielleicht dabei gängige Vorurteile
widerlegend. Bewertungen des Verfassers fließen zwangsläufig
mit ein, a~~r auf pädagogische Handreichungen, medienpäd-
agogische Uberlegungen und Konsequenzen, auf Moralisieren
und Politisieren soll möglichst verzichtet werden.
Einige Kapitel dieses Buches sind in einer ersten Fassung, un-
ter dem Titel »Kindermedien und Medienverbund«, bereits in
dem von Reiner Wild 1990 herausgegeben Band Geschichte der
Deutschen Kinder- und Jugendliteratur (ebenfalls bei J. B.
Metzler) erschienen, wurden aber hier gründlich überarbeitet,
durch neuere Forschungsergebnisse, zusätzliche Aspekte und
ausführliche bibliographische Angaben ergänzt.

Stuttgart, im Frühsommer 1992 Horst H eidtmann

X
Abkürzungsverzeichnis

Beiträge KJL Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur


(Berlin/DDR)
BuB Buch und Bibliothek
Grünewald/
Kaminski Dietrich Grünewald I Winfred Kaminski (Hg.):
Kinder- undJugendmedien. Ein Handbuch für die
Praxis, Weinheim, Basel1984.
IJM Informationen Jugendliteratur und Medien
(vormals: Jugendschriften-Warte)
Jensenf
Rogge Klaus Jensen I Jan-Uwe Rogge u. a.: Der Medienmarkt
für Kinder in der Bundesrepublik, Tübingen 1980
(Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der
Universität Tübingen 50).
merz Medien + Erziehung

XI
I. Kinderzeitschriften: Vom Artigsein zum
Konsumieren

Mit wachsender ökonomischer und politischer Bedeutung des


Bürgertums als gesellschaftlicher Gruppe konstituiert sich im
Verlaufe des 18. Jahrhunderts die bürgerliche Literatur als Me-
dium der Selbstverständigung. Nach englischem Vorbild ent-
stehen auch in Deutschland »moralische Wochenschriften«, die
sich sittlich-religiösen, pädagogischen, ästhetischen Fragen
widmen, Gedankengut der Aufklärung verbreiten, belehren
wollen, zur Entwicklung eines bürgerlichen Selbstverständnis-
ses entscheidend beitragen. Für die bürgerlichen Familien
trennt sich zunehmend die private Sphäre von der öffentlichen,
die Familie wird zum Rückzugs- und Reproduktionsraum, der
Mann ist als Haushaltsvorstand für die Außenvertretung und
die wirtschaftliche Sicherung, die Frau für den Haushalt und die
Kindererziehung zuständig. Die moralischen Wochenschriften
bieten den Frauen nicht nur Beiträge für ihre Geschmacksbil-
dung, sondern auch Ratschläge für die Erziehung der Kinder.
Die Kinder des Bürgertums unterliegen in geringerem Maße
wirtschaftlichen Zwängen, müssen nicht mitarbeiten, gleichzei-
tig bedarf es mehr Zeit für ihre Bildung und Ausbildung, damit
sie später als Erwachsene Funktionen in einem komplexer ge-
wordenen, arbeitsteilig organisierten, wirtschaftlichem Gefüge
übernehmen können, damit sie sich das im Verlaufe der Aufklä-
rung sprunghaft steigende gesellschaftliche Wissen aneignen
können. Es entwickelt sich also Kindheit als eine Art Schon-
raum, ein vom Erwachsensein abzugrenzender Status, eine
mehr oder minder lange Phase, in der das Kind auf seine spätere,
erwachsene, Rolle in der Gesellschaft vorbereitet wird. Dabei
findet zunächst keine Unterscheidung zwischen Kindheit und
Jugend statt.

1. Die ersten Kinderzeitschriften


Durch diesen Prozeß der Ausgrenzung von Kindheit sind
gleichzeitig die Voraussetzungen geschaffen für die Entstehung
spezifischer, intentionaler Medien für Kinder; um eine wach-

1
sende Zahl von Kindern zu sozialisieren, zu bilden und zu un-
terhalten, benötigt das Bürgertum zusätzliche Medienangebote
zu den vorliegenden Elementarbüchlein oder Heiligengeschich-
ten. So wenden sich einzelne Wochenschriften mit eigenen Bei-
trägen, belehrenden Gesprächen, unterhaltenden Fabeln direkt
an junge Leser. Aus Beilagen für Kinder entstehen dann eigene
Kinderzeitschriften, erstmals erscheint 1757 in Frankreich Le
magasin des enfants, in Deutschland das Leipziger Wochenblatt
für Kinder, 1772-1774 herausgegeben vonJ. C. Adelung, »ein
a
Stück 6 Pfg.«, mit Märchen, Rätseln, Lehrgedichten: »Gehor-
sam istder Vorbote der Glückseligkeit.«
Nach Einstellung des »Wochenblattes« führt der Pädagoge
Christian Felix Weiße dessen Konzept mit einer eigenen Zeit-
schrift weitaus erfolgreicher fort, Der Kinderfreund (1775-
1781), die zum Maßstab für die deutsche Kinderzeitschrift
wird. Weiße tritt als fiktiver Familienvater, der einen Kreis eige-
ner Kinder in didaktisierendem Gespräch beispielhaft belehrt,
den kindlichen Lesern selbst gegenüber. Neben diesen Ge-
sprächskreisen enthalten die einzelnen Hefte Naturkundlich-
Bildendes (»Tarantel und Kreuzspinne«), Gedichte, Lieder,
Kinderschauspiele, Erzählungen und Illustrationen.
Das neue Medium mit seiner Mischung unterschiedlicher
Textsorten hat beim Publikum Erfolg; zudem bleibt es zunächst
fast konkurrenzlos, da kaum Bücher für Kinder erscheinen. Bis
1789 kommen insgesamt 43 Wochenblätter und Almanache für
die Jugend auf den Markt (vgl. Uphaus-Wehmeier), vermutlich
mit regelmäßigen Auflagen um 5.000, darunter 1781 Für deut-
sche Mädchen (der Anfang deutsc~sprachiger Mädchenlitera-
tur), mit der Fortsetzungsserie »Uber das Glück der Ehe«.
Mehr noch als Unterhaltung und naturwissenschaftlich-techni-
sche Belehrung sollen die, in der Regel nicht individuell, son-
dern im Familienverband rezipierten Wochenschriften mora-
lisch-sittliche Normen vermitteln, Fleiß, Sauberkeit, Gehor-
sam, dazu kommen geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen.
Verfügen die frühen Kinderzeitschriften noch über aufkläre-
rischen Elan, behandeln »Kinder zwar als ungebildete, aber bil-
dungsfähige Wesen«, die man »an lehrreiche Gespräche über
ernsthafte ... Gegenstände« (Weiße) gewöhnen kann, so läßt
sich bald darauf eine Tendenz zur Kommerzialiserung des Me-
diums ausmachen, mit aufdringlicher Belehrung, >Zeigefinger-
moral<, mit Neigung zu Idyllik und verniedlichenden Suffixen.
Bis ins 20 Jahrhundert erscheint Herzblättchens Zeitvertreib
(seit 1856, hg. von Thekla von Gumpert). Eine farbig illustrierte

2
Kinder-Gartenlaube bietet seit 1886 jungen Lesern teils ambi-
tionierte, teils biedere Unterhaltung nach erwachsenem Vor-
bild. Auch die Kirchen nutzen zunehmend das Medium für reli-
giöse Erbauung und konfessionelle Propaganda: Christliche
Kinder-Zeitung (ab 1835), Das Heidenkind (ab 1880).

2. Anfänge der modernen Kinderpresse

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verfestigen sich inhaltliche


Merkmale, die bis in die Gegenwart erhalten bleiben: aktuelle
Themen aus Naturwissenschaft und Technik, spannende Ge-
schichten in exotischem oder historischem Milieu, Gedichte,
Sprüche, Spiele, Experimente, Anekdoten und Witze, Rätsel
und Preisausschreiben, die wie die Briefseiten eine enge Leser-
Blatt-Bindung herstellen sollen. Zur populärsten, einflußreich-
sten Kinderzeitschrift des ausgehenden 19., beginnenden 20.
Jahrhunderts wird Der Gute Kamerad (seit 1887 wöchentlich,
ab 1933 monatlich, 1951-70 als Jahrbuch), mit abenteuerlichen
Fortsetzungsgeschichten (»Der schwarze Mustang« von Karl
May). Politisch ist die Kinderpresse durchweg apologetisch,
nach der Reichsgründung zunehmend nationalistischer, nach
Kriegsausbruch 1914 werden selbst Kinder im Volksschulalter
über den »Granatenverbrauch im Kriege« oder den »Krieg in
der Luft« informiert, durch den >>Brief einer Heldenmutter«
agitiert (Meine erste Zeitung, 1915).
Vertreter der Reformpädagogik wie der Jugendschriftenbe-
wegung setzen sich seit der Jahrhundertwende kritisch mit den
politischen wie den religiös-moralischen Tendenzen der Kin-
derpresse auseinander (vgl. Hild, 1905 ), Lehrerverbände geben
im »Kampf gegen Kitsch, Schmutz und Schund« eigene Schrif-
ten heraus,]ugendlust (1875-1983 ), die mehr literarische Quali-
tät vermitteln sollen. Mit dem Erstarken der Arbeiterbewegung
versucht diese durch eigene >Organe< erzieherisch und bildend
auf die proletarische Jugend einzuwirken, erstmals mit Deut-
scher Jugendschatz (1879/80), Die Hütte (1902/03). Nach dem
1. Weltkrieg agitieren unter der Schriftleitung Edwin Hoernles
jung Spartakus und Die Trommel Kinder für die KPD: »Lenin
zeigt uns den Weg!<< oder in Bildergeschichten die Abenteuer
des russischen »Pioniers Mitja in allen Ländern der Welt<<. Die
Sozialdemokraten schaffen als Beilage für ihre Tages- und Wo-
chenzeitungen den Kinderfreund (1924-1932), mit Beiträgen

3
von Max Barthel und Wilhelm Scharrelmann, Berichten über
»Rote-Falken-Gruppen« oder »Bebels Leben«.
Der Kinderfreund erreicht zwar zeitweise die beachtliche
Auflage von 450.000, demgegenüber steht aber in der Weimarer
Republik ein nach Altersgruppen, Themen, Verbänden, Kon-
fessionen weit aufgefächertes Kinderzeitschriftenangebot, 1931
»mit einer Gesamtauflage ... in Höhe von mindestens 18,5 Mil-
lionen Exemplaren« (Gebhardt). Die höchsten Auflagen dürfte
ein Kinderzeitschriftentyp erreichen, der in diesen Jahren neu
entsteht, Werbeblätter, die kostenlos an die Kinder abgegeben
werden, allen voran Die Rama-Post vom lustigen Fips bzw....
vom kleinen Coco, 14tägig im Wechsel, mit etwa 2 Millionen
Auflage. Die Rama-Post orientiert sich an den konventionellen
Kinderblättern, versucht aber durch besonders hohen Anteil
von Bildern, Comics jüngere Kinder anzusprechen, bringt
überwiegend märchenhafte, heitere, bunte Bildergeschichten
mit anthropomorphen Tieren und Pflanzen, stark unterhal-
tungsbetont, teils direkt produktbezogen: »Im Hasenland, die
Zwergelein, I Verwenden nur >Rama butterfein<. «
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten müssen
nicht nur sozialistische und konfessionelle Zeitschriften ihr Er-
scheinen einstellen; der NS-Lehrerbund vertreibt stattdessen in
Millionenauflagen eigene Schülerzeitschriften, Hilf mit! sowie
Deutsche ]ugendburg, die - neben unterhaltenden Beiträgen
über Spiel, Sport, Fahrt, Lager- Autobahnen als »Die Straßen
Adolf Hitlers« feiern, das Volk als »Wehr- und Schicks;!lsge-
meinschaft« bes.chwören.

3. Kinderzeitschriften in der Nachkriegszeit

Nach Kriegsende werden Periodika aus den 30er Jahren wieder-


belebt, wie z. B. ]ugendlust, daneben entstehen mit Unterstüt-
zung der Besatzungsmächte Zeitschriften, die sich an die »junge
Generation« wenden, an 10- bis 14- oder 14- bis 18jährige,
die vornehmlich der Re-Education, Vermittlung demokrati-
scher Tugenden dienen. Von 1946-49 ist Erich Kästner Heraus-
geber des politisch engagierten, pazifistischen Pinguin: »Ich
hasse das Abgelebte und Verstaubte, den Spießbürger und den
Schnüffler.«
In den 50er Jahren gewinnt der Kinderzeitschriftenmarkt an
Vielfalt; Jugendverbände, Lehrervereine und Kirchen geben

4
-nach bewährtem Muster- unterhaltend belehrende Magazine
heraus, mit bewahrpädagogischem Charakter, »der epidemi-
schen Ausbreitung von Schmutz und Schund« entgegenwirken
wollend. Die kommerziellen Kinderzeitschriften wie die Wer-
beblätter von Schuhindustrie oder Apotheken orientieren sich
aber zunehmend am »Schund«: bringen bunte Comics, komi-
sche oder spannende Kurzgeschichten, Rätsel, Witze. Kom-
merziell erfolgreichstes Blatt für ältere Kinder und Jugendliche
ist die Rasselbande (seit 1953) des Heinrich Bauer-Verlages, mit
Auflagen um 300.000, strukturell in der Tradition des Guten
Kameraden, doch aufwendiger, teils reißerisch illustriert, Emo-
tionen ansprechend, mit spannenden Fortsetzungsromanen,
Reportagen aus realer wie utopischer Technik, Leserbeteiligung
durch »Jungreporter«, »Propagandazeitschrift der Wirtschafts-
wundergeneration« (Hussong) mit harmonisierendem Welt-
bild.
Im August 1956 erscheint erstmals Bravo als Film- und Fern-
sehzeitschrift für Erwachsene, erreicht aber sofort vor allem
junge Leser (1960 sind über 50% im Altervon 10 bis 20Jahren);
mit wöchentlichen Auflagen von über einer Million. Bravo ver-
körpert einen neuen Zeitschriftentyp, der - vermittelt durch
Stars der Unterhaltungsmedien-neueLeitbilder bietet: »An-
spruch auf Eigenständigkeit des Jungseins« (Hussong) sowie
die Orientierung auf problemloses Konsumieren.

4. Das aktuelle Kinderzeitschriftenangebot


Im Verlauf der 60er Jahre bilden sich dann die Strukturen des
Kinderzeitschriftenmarktes heraus, wie sie sich bis heute erhal-
ten haben; wobei sich in der Folgezeit Auflagen verändern, Ti-
tel verschwinden oder neu hinzukommen, so im Zuge der Dis-
kussion über Vorschulbildung seit den frühen 70ern entspre-
chende Blätter für die 3- bis 6jährigen:
Auflagenstärkste und damit meistgelesene, einflußreichste Gat-
tung, von Erwachsenen meist übersehen sind die W erbezeit-
schriften für Kinder (auch: Kundenzeitschriften oderThekenli-
teratur): »Haben die Kinder einmal Gefallen an den Heften ge-
funden, besorgen sie sich diese auch ohne Einkauf. Pünktlich
zum Erscheinungstermin stehen sie in Apotheken, Banken,
Einzelhandelsgeschäften, bei Krankenkassen und Versicherun-
gen und verlangen ihre Zeitschrift.« (Reuter-Bulach) Bestands-

5
aufnahmen der Werbeblätter bleiben immer unvollständig, weil
diese oft unregelmäßig, mit schwankenden Auflagen oder re-
gional gebunden erscheinen, manchmal nur für eigene Produkte
werben, keine Fremdanzeigen aufnehmen (somit in Medien-
handbüchern nicht nachgewiesen sind).

Auflagen 1991 (nach Stamm):


Auflage Titel (Branche) Erscheinungsmodus
2.033.000 medi + zini (Apotheken) 12 x (gratis)
1.082.500 junior (Apotheken) 12 x (gratis)
250.000 Hallo (Sparkassen) 10 x (gratis)
197.000 Schlaukopf (Apotheken) 12 x (gratis)
150.000 jojo (AOK) 6x (gratis)
150.000 Salto (Bundespost) 12x(DM2,-)
100.000 Marc&Penny(Genossen-
schaftsbanken) 12 x (gratis)

Formal sind die Kundenzeitschriften weniger aufwendig, aber


dennoch erkennbar an der kommerziellen Kinderpresse orien-
tiert. Einige Titel haben Faltblattcharakter, sind mehrfach, auf
Heftformat gefaltet (was gleichzeitig ein DIN A 1-Poster, da-
mit längerfristige Präsenz im Kinderzimmer ermöglicht); die
meisten Hefte haben 16 Seiten, juniorsogar 32 Seiten Umfang.
Neben Bastelanweisungen, Rätseln, Witzen finden sich Rubri-
ken mit Buchtips, Brieffreundschaftsangeboten. »Auffallend ist
die Konzentration der Themen auf Natur, Tiere und Gesund-
heit.« (Reuter-Bulach) Farbige Illustrationen dominieren die
Texte; fast alle Hefte enthalten Comics, teils mit produktbezo-
genen Figuren, »Wummy«, der rote Elefant der Elefanten-
schuhe, »Lurchi«, Salamander der gleichnamigen Schuhfabri-
ken, teils beliebig austauschbare Bildergeschichten wie im Spar-
kassenmagazin Knax, wo man sich am Asterix-Vorbild orien-
tiert. Durch Signets des W erbetreibenden, durch redaktionelle
Leseransprache, Anzeigen oder die Gewinne von Preisaus-
schreiben werden Kindern die Produkte oder Dienstleistungen
vermittelt, werden sie zum Konsum animiert, sich vom Ta-
schengeld Briefmarken-Sammelbögen wie Pelikan-Schreibwa-
ren zu kaufen, die Eltern als Kunden zum »Allianzmann« zu
bringen.
Nachhaltig verändert haben sich in den letzten Jahrzehnten
kommerzielle Kinderzeitschriften, die sich gegen Konkurrenz-
auch anderer Unterhaltungsmedien-imMarkt behaupten, wö-
chentlich oder monatlich neu gekauft werden müssen, deren
Preise sich im Taschengeldspektrum der Kinder bewegen. Un-

6
terhaltsam-belehrende Titel für ältere Kinder sind, wie die Ras-
selbande, lange eingestellt worden oder werden, wie die Stafette,
als Abonnementszeitschrift mit geschrumpfter Auflage fortge-
führt. In einer »Phase der Vorschul-Euphorie Ende der 60er/
Anfang der 70er« (Gärtner) kommen pädagogisch intendierte
Titel für Vor- und Grundschüler auf den Markt, die kognitive
Fähigkeiten fördern, kreative Aktivitäten anregen wollen. Diese
Kleinkinderzeitschriften werden zunehmend im Medienverbund
vermarktet, Sesamstrasse durch die gleichnamige Vorschulfern-
sehserie, Goldbärehen mit Gummibärehen und Tonträgern,
Dumbo mit Disney-Figuren. Die marktführenden Magazine
sind in kräftigen Farben gedruckt, arbeiten mit großäugig-
knuddeligen Figuren nach dem Kindchen-Schema. »Die Spra-
che ist verniedlichend ... Die Aufgabenstellungen ähneln ...
Kindergartenmaterialien. Allen gemeinsam ist der Befehlston in
den Arbeitsanweisungen und der fehlende Freiraum für Phanta-
sie« (Reuter-Bulach): »Bastei Papi ein Glücksschweinchen!«
Die Hefte werden gekauft, weil sie sich problemlos konsu-
mieren lassen, die Erwartungen nach vertrauten Figuren und
bekannten Formen der Zerstreuung bestätigen. Die pädago-
gisch ambitionierteren Kleinkinderzeitschriften lassen sich nur
noch im Abonnement, über schulische Sammelbestellungen an
die Leser bringen: Mücke, Floh oder das Schülermagazin Treff.
Literarisch ambitionierte Produktionen, wie Der Bunte Hund
(Beltz & Gelberg), bleiben vollends randständig.
Wachsend ist der Bedarf an reinen Beschäftigungszeitschrif-
ten, Rate mal; seit Jahrzehnten ungebrochen ist die Nachfrage
nach der >Teenagerzeitschrift< Bravo, die immer jüngere (zehn-
bis zwölfjährige) Leserinnen erreicht, der spezifische, ebenso
konsumorientierte Folgeproduktionen für jüngere Mädchen
nachgeschickt worden sind: Bravo Girl, Mädchen.
Eher Comic-Heft mit den für Kinderzeitschriften üblichen
Text-Rubriken ist Yps (seit 1975) für ältere Grundschüler, dem
ein >Gimmick<, in Einzelteile zerlegtes Spielzeug, Pappkärtchen
für Zaubertricks, beigegeben wird; ein typisches »Erstleser-
heft«: »wer ... basteln will, kann das Heft eben nicht ausleihen,
sondern muß es kaufen.« (Rogge)
Nicht nur die auflagenstarken Zeitschriften beschränken sich
auf die Darstellung heiler Welt, haben nach wie vor ein harmo-
nisierendes Weltbild, anthropomorphisieren Technik und Na-
tur. Für ältere Kinder werden allerdings nicht nur» Wunder der
Natur« (»Das Panzernashorn«) thematisiert, sondern auch
Umweltzerstörung und Naturschutz.

7
Auflagen 1991 (nach Stamm)
Auflage Titel (Verlag)
1.310.600 Bravo (Bauer)
891.900 Bravo Girl (Bauer)
669.600 Mädchen (Medien Verlagsges.)
322.000 Bussi Bär (Bauer)
250.000 Dumbo (Ehapa)
150.000 Yps mit Gimmick (Gruner +Jahr)
140.000 Goldbärehen (Condor I Bauer)
140.000 Sesamstrasse (Condor I Bauer)
130.000 Glücksbärchis (Condor I Bauer)
130.000 Rätselclub für Kinder (Bavaria Comic Verlag)
130.000 treff(Velber)
100.000 Hallo Spencer (Bastei)
100.000 Kermit (Bastei)
100.000 Stafette (Sebaldus I Gong)

Von den Auflagenzahlen her rückläufig, aber immer noch wich-


tige Gattung sind in ihrer Gesamtheit die Kinderzeitschriften
von Verbänden, Institutionen, Glaubensgemeinschaften, die
über die Arbeit der jeweiligen Einrichtung informieren, die zu-
meist auch eine bestimmte weltanschauliche oder moralische
Tendenz propagieren wollen. Von den zahlreichen, überwie-
gend nicht kommerziell produzierten Titeln der Verbands-
presse erreichen die meisten allenfalls Auflagen von wenigen
1000; Ausnahmen sind Periodika großer Verbände, Bemie.
]RK-Magazin für Kinder (hg. von DRK) sowie Titel, die für In-
stitutionen von Kommerzverlagen produziert werden, wie der
Tierfreund. Hohe Auflagen erreichen immer noch einige der
von den christlichen Konfessionen betreuten Blätter, die viel-
fach in Kirchen kostenlos ausliegen oder in Kindergottesdienst
und Religionsunterricht verteilt werden:

Auflagen 1991 (nach Stamm)


Auflage Titel (Herausgeber)
580.000 Die Sternsinger (Päpstliches Missionswerk .. )
200.000 Tierfreund (Dt. Tierschutzbund)
165.000 Bimbo. Der kleine Tierfreund

Formal orientieren sich auch diese Zeitschriften zunehmend an


der kommerziellen Konkurrenz, bemühen sich um Magazin-
charakter, wiederkehrende Rubriken, hohen Illustrationsan-
teil, wobei kleinere Produktionen sich mit Schwarzweißdruck
und biederem Layout bescheiden.

8
Völlig in die Bedeutungslosigkeit abgedrängt sind >jugend-
eigene< Kinderzeitschriften, die von Kindern oder mit ihrer Be-
teiligung produziert, von Lehrern, Kinderbibliotheken oder
privaten Initiativen gefördert werden (Menschenskinder,
Bonn).
Eine intensiv genutzte, spezifische Form der Kinderpresse
sind die Kinderseiten in Publikumszeitschriften, die sich im
Stern wie in der ADAC Motorwelt, in Brigitte wie Emma fin-
den, meist standardisierte Unterhaltungs- und Beschäftigungs-
angebote, teils mit den spezifischen Thema der jeweiligen Zeit-
schrift (»Woraus bestehen die Knochen?« mit Dr. Pfiffikus in
Unsere Medizin heute).

5. Nutzung und Funktion


Kinderzeitschriften werden vorrangig zur Unterhaltung, zum
Zeitvertreib genutzt, stärker noch als andere Medien aus kindli-
chem »Interesse an Wissensvermittlung und Realitätserfah-
rung« (Rogge). Sie müssen sich gegen die Konkurrenz anderer
Medien behaupten, die, weitaus zeitaufwendiger genutzt, eben
diese Funktionen auch erfüllen; sie müssen sich aber auch gegen
die Konkurrenz der Publikumszeitschriften behaupten: Die
von Mädchen zwischen 6 und 17 Jahren meistgenutzen Zeit-
schriften sind in den 80er Jahren (in dieser Reihenfolge) Bravo,
Gong, TV, Brigitte, bei Jungen Bravo, Gong, ADAC-Motor-
Welt, Hör zu (vgl. B. Meier). Erwachsenenzeitschriften werden
offenkundig als Medium der Information intensiver rezipiert als
die intentionale Kinderpresse. Diese dürfte noch mehr aufUn-
terhaltungsfunktionen, auf Bestätigung von Unterhaltungser-
wartungen, die in audiovisuellen Medien angelegt worden sind,
reduziert werden. Kinderzeitschriftentitel sind bereits seit län-
gerem als »Begleitung« populärer Fernsehserien konzipiert, sie
sind zunehmend am Bild (Illustrationsanteile bis 90% ), ihre
Geschichten »meistens an der Höhepunktdramaturgie des
Fernsehens orientiert.« (Rogge) Waren Kinderzeitschriften in
spezifischen Rezeptionssituationen (Krankenbett, Fahrt im
Auto, in der Bahn) früher konkurrenzlos, so reduziert sich hier
für ältere Kinder, die über Walkman oder miniaturisierte Elek-
tronikspiele verfügen, zunehmend ihre Bedeutung. Auf abseh-
bare Zeit bedeutsam bleiben allerdings die Werbezeitschriften
für Kinder, da diese kostenlos die gleichen Lektürebedürfnisse

9
wie die kommerzielle Konkurrenz befriedigen, von einem Vier-
tel der Kinder sogar ausschließlich gelesen werden (vgl. Rogge,
1984). Kinder sind zudem eher geneigt, diese als Sekundärme-
dium (neben auditiven oder audiovisuellen Darbietungen) zu
konsumieren.

Literatur

zu Geschichte I Entwicklungen
Friesicke, Konrad: Handbuch der Kinder- undJugendpresse, München
1956.
Gebhardt, Hartwig: »Presse für Kinder. Überlegungen zur kulturellen
Funktion der Kinderzeitschriften in Deutschland 1830-1930«, in:
Kinderkultur. 25. Deutscher Volkskundekongreß in Bremen v. 7. bis
12. Oktober 1985, Bremen 1987, S. 289-298.
Göbels, Hubert: Das >Leipziger Wochenblatt für Kinder< (1772-1774).
Eine Studie über die älteste deutschsprachige Kinderzeitschrift, Ra-
tingen 1973.
Göbels, Hubert: Zeitschriften für die deutsche Jugend. Eine Chrono-
graphie 1772-1960, Dortmund 1986 (Die bibliophilen Tb 487).
Hammerschmidt, Fritz: »Entstehung und Entwicklung der ersten Ju-
gendzeitschriften der deutschen Arbeiterjugendbewegung vor dem
ersten Weltkrieg«, in: Jahrbuch f. Erziehungs- u. Schulgeschichte,
Berlin/DDR 1962, S. 133-216.
Hild, Otto: Die Jugendzeitschrift in ihrer geschichtlichen Entwicke-
lung, erziehlichen Schädlichkeit und künstlerischen Unmöglichkeit.
Mit einer Kritik der gangbarsten gegenwärtigen Jugendzeitschriften.
Hg. vom Gothaer Prüfungsausschuß für Jugendschriften, Leipzig
1905.
Hussong, Martin: »Jugendzeitschriften von 1945 bis 1960. Phasen, Ty-
pen, Tendenzen«, in: Klaus Doderer (Hg.): Zwischen Trümmern
und Wohlstand. Literatur der Jugend 1945-1960, Weinheim, Basel
1988, s. 521-585.
Kunze, Horst und Heinz Wegehaupt (Hg.): Spiegel proletarischer Kin-
der- und Jugendliteratur 1870-1936, Berlin/DDR 1985.
Lesanovsky, Werner: »Der >DeutscheJugendschatz<, die erste proleta-
rische Wochenschrift für Kinder und Jugendliche«, in: Beiträge KJL
70/1984, s. 5-16.
Müller, Helmut: Das Elend der Jugendzeitschriften, Weinheim 1967.
Rogge, Jan-Uwe: »Zur Geschichte der Kinderzeitschriften«, in: Jen-
sen/Rogge S. 170-177.
Uphaus-Wehmeier, Annette: Zum Nutzen und Vergnügen- Jugend-
zeitschriften des 18. Jahrhunderts. ein Beitrag zur Kommunikations-
geschichte, München 1984.

10
zum Marktangebot
Arbeitsgruppe >Medien für Kinder<: »Kinderseiten in Zeitschriften und
Tageszeirungen. Produktion und Rezeption«, in: Jensen/Rogge,
s. 209-219.
Gärtner, Hans: »Zu einer Typologie moderner Kinderzeitschriften«,
in: Informationen des Arbeitskreises für Jugendliteratur 3/1985, S. 2-
14.
Hahne, Ilse: »Die Kinderzeitschrift als ein Faktor der religiösen Erzie-
hung«, in: Informationen des Arbeitskreises für Jugendliteratur
3/1985, s. 15-28.
Knoll, Joachim H.: Jugendzeitschriften im Videozeitalter. Ethische,
pädagogische, rechtliche Aspekte, Sachsenheim 1985 (Studien zur
Geistesgesch. 5).
Kühler, Hans-Dieter u. a.: »Kinderpresse in der Bundesrepublik«, in:
merz 3/1979, S. 131-148.
Lindgens, Monika: »Kommerzielle und nichtkommerzielle Jugend-
presse in der Bundesrepublik Deutschland«, in: Media Perspektiven
5/1980,S.289-298.
Overdick, Wilhelm: »Wenn Kinder lesen, was Eltern überblättern. Zu
den Leserfunktionen von Kinderbeilagen«, in: Informationen des
Arbeitskreises für Jugendliteratur 3/1985, S. 40-49.
Reuter-Bulach, Petra: »Das Kinderzeitschriftenangebot in der Bundes-
republik Deutschland«, in: IJM 2/1991, S. 64-79.

zu Werbezeitschriften
Braun, Barbara und Klaus Neumann: »Lurchis gesammelte Abenteuer.
Werbehefte-vergessene Kindermedien«, in: Medium 4/1988, S. 34-
37.
Fischer, Helmut: »Thekenliteratur für Kinder. Eine Übersicht«, in: Ju-
gendbuchmagazin 3/1984, S. 114-119.
Jensen, Klaus: »Werbezeitschriften für Kinder«, in: Jensen/Rogge,
s. 201-208.
zu Wirkung/Nutzung
Alsheimer, Reiner: »Kaufen, Lesen, Sammeln, Tauschen. Zum Um-
gang von Kindern mit Literatur«, in: Kinderkulrur. 25. Deutscher
Volkskundekongreß in Bremen v. 7. bis 12. Oktober 1985, Bremen
1987, s. 327-332.
Meier, Bernhard: »Jugendzeitschriften und ihre Leser«, in: Informatio-
nen des Arbeitskreises für Jugendliteratur 3/1985, S. 29-39.
Niederle, Charlotte: Die Kinderzeitschrift im Urteil ihrer Leser, Wien,
München 1971 (Pädagogik der Gegenwart 902).

zur Vermittlung/ Medienpädagogik


Buck, Siegfried »Kinderzeitschriften für das Grundschulalter. Auswahl
und Einsatz im Unterricht«, in: Grundschule 2/1988, S. 36-41.

11
Meier, Bernhard: »Was machen mitJugendzeitschriften? Plädoyer für
eine handlungsorientierte Mediendidaktik in der Grundschule«, in:
Heinz-Jürgen Ipfling (Hg.): Leseerziehung an Grund- und Haupt-
schulen. Bericht über einen Kongreß des Bayerischen Lehrer- und
Lehrerinnenverbandes, München 1989, S. 66--91.

12
II. Kindercomics: Von Bilderpossen zum
Wellenreiten

Comics gehören weltweit zu den populärsten Formen von Lite-


ratur, in Deutschland werden sie stark diffamiert, von tradierter
Literatur- und Medienpädagogik bis in die Gegenwart hinein
als »jugendgefährdende Analphabetentenliteratur« abgelehnt.
Nachdem die Comics in den 1970er Jahren das >>Ghetto« der
Kinder- und Jugendlektüre verlassen, Genrestereotypen über-
wunden haben, muß man heute davon ausgehen, daß Comics
kein >>Phänomen<< mehr sind, aber auch kein eigenes Medium,
sondern eine spezifische Form von Literatur, nämlich die>> Lite-
raturform der gezeichneten Bilderfolge<<, die durch unter-
schiedliche Trägermedien, nämlich Hefte, Broschüren, Alben,
Bücher, Zeitungsseiten vermittelt wird: >>um von einem Comic
sprechen zu können, müssen mindestens zwei aufeinander be-
zogene Panels (= voneinander getrennte Einzelbilder, H.H.)
vorhanden sein<<, muß >>eine Handlung in Form von Einzelbil-
dern<< präsentiert werden, in denen sich ein verbales und ein vi-
suelles Zeichensystem verbinden (Dolle-W einkauff). Text wird
durch Sprechblasen, Blockkommentare oder lautmalerische
Schriftgraphik in das Bild integriert.

1. Vor- und Frühformen der Comics


Vorformen der Bildergeschichte finden sich in Deutschland seit
dem 15. Jahrhundert als inhaltlich aufeinander bezogene Folgen
von Einzelholzschnitten, später auf einem Blatt gedruckte Bil-
derfolgen, Bilderbögen, auf Jahrmärkten und Messen an ein brei-
tes Publikum verkauft, mit satirischen, politischen Darstellun-
gen oder als sensationsheischende Unterhaltung, mit Bildbe-
richten über Foltern, Rädern, Vierteilen. Neue Drucktechni-
ken wie Kupferstich, im 19. Jahrhunderts Steindruck ermögli-
chen höhere Auflagen. Seit 1775 sind Bilderbögen aus Neurup-
pin >>höchst begehrt<<, seit 1844 erscheinen die Münchener Bil-
derbogen beim Verlag Braun & Schneider, dessen humori-
stisch-satirische Zeitschrift Fliegende Blätter durch die Bilder-
possen Wilhelm Buschs Höchstauflagen erreicht. 1865 drucken

13
die Fliegenden Blätter in Fortsetzungen, damals bereits kontro-
vers diskutiert, Max und Moritz, Buschs Klassiker, in dem er
die lautmalenden Worte (Onomatopöien) späterer Comic-
Künstler vorwegnimmt: >>Rikeracke! Rickeracke! I Geht die
Mühle mit Geknacke.« Zu den bekanntesten Mitarbeitern der
Fliegenden Blätter gehören Graf Pocci, Lothar Meggendorfer,
Emil Reinicke, die durch wiederkehrende Charaktere oder ver-
menschlichte (anthropomorphe) Tiere schon zentrale Elemente
heutiger Kindercomics benutzen.
Neben den heiteren Bilderpossen, >>Buschiaden<<, sind auch
die Bücher für Kinder, in denen eine Geschichte als Abfolge von
Einzelbildern erzählt wird, Vorform heutiger Kindercomics.
Der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann beschreibt in naiven,
volksnahen Zeichnungen und Reimen drastisch, pointiert die
Bestrafung unangepaßter Kinder: Sein Struwwelpeter (1844) er-
scheint 1876 in 100. Auflage.
Die deutschen Bildergeschichten trennen bis ins 20. Jahrhun-
dert hinein Bild und Text oder bleiben textlos. In den USA ent-
stehen hingegen Comics in der heute üblichen Form bereits
nach 1880, als die Massenpresse versucht, Leser durch farbige
Wochenendbeilagen zu binden: als Geburtsstunde der Comics
gilt der Beginn der Serie The Yellow Kid am 16.2.1896. Die
leicht verständlichen Comic-Serien der Sonntagsbeilagen wer-
den in den USA, noch auf Jahrzehnte Einwanderungsland,
schnell landesweit populär; sie arbeiten vor allem mit grober
Komik (daher: Comics), plagiieren europäische Vorbilder (The
Katzenjammer Kids, 1897ff., nach Max und Moritz), sprechen
mit karikaturistischen Tier- (Crazy Cat, seit 1913) oder Fami-
lien-Serien (Bringing Up Father, 1913) die ganze Familie an, er-
reichen durch Zeichner wie Windsor McCay (Little Nemo in
Slumberland, ab 1906) oder Lyonel F eininger ( The Kin-der-
Kids, 1906) künstlerische Qualität.
Aus sonntäglichen, bald täglichen Kurzepisoden entwickeln
sich Sequenzen längerer Fortsetzungsgeschichten, später in ei-
genen Comicbooks neu ediert. Die Bildstreifen bekommen früh
wirtschaftliche Bedeutung; spezielle Agenturen, Syndikate, be-
treuen seit 1914 Zeichner von Erfolgsserien, vertreiben landes-
weit und übernational Druckrechte. Bis in die 20er Jahre entste-
hen vorrangig komische Serien, Funnies, seit 1923 Felix, the
Cat, seit 1929 Popeye, seit 1930 Blondie und- nach erfolgreich
vorangegangenem Start im Trickfilm- Disneys Mickey Mouse.
Seit Ende der 20er Jahre erschließen Zeichner und Autoren neue
Stoffe und Genres, vor allem aus der trivialen Abenteuerlitera-

14
tur, den »pulps«, und aus dem Kino, den Gangsterfilmen der
»Schwarzen Serie«, werden Anregungen, Motive übernom-
men. Seit 1930 zeichnet Hai Foster Tarzan, seit 1931 Chester
Gould Dick Tracy; wenig später beginnen die Serien Flash Gor-
don, Phantom, Prinz Eisenherz; 1938 erscheint mit Superman
der erste Superhelden-Strip. Wirtschaftskrisen und 2. Welt-
krieg erzeugen bei älteren Comic-Lesern ein Bedürfnis nach
omnipotenten Helden; den Lektüreinteressen der Jüngsten sind
Funnies mit Kindfiguren und anthropomorphen Tieren zuge-
dacht. Bis zum Ende des 2. Weltkrieges hat die Literaturform
Comic in den USA eine beeindruckende Vielfalt vorzuweisen,
erreicht über hohe Auflagen und eigene Periodika Massen von
jungen wie älteren Lesern, hat neben überwiegend trivialer Se-
rienunterhaltung bis heute nachgedruckte Klassiker hervorge-
bracht.
In Deutschland bleiben Bildergeschichten im frühen 20. Jahr-
hundert der Karikatur nah, dienen humoristischer, satirischer
Unterhaltung. In den 20er Jahren nutzen Kinderzeitschriften
zunehmend die Attraktivität von Bilderfolgen; Der heitere Fri-
dolin (1921-28 bei Ullstein) läßt von seinen Zeichnern eigene
Serienfiguren entwickeln (»Professor Pechmann« ); die Faszina-
tion der Rama-Post oder von Karstadts Kinder-Magazin Di-
deldum beruht stark auf mitgedruckten Bildergeschichten.
Amerikanische Streifen werden nur vereinzelt übernommen;
erstes deutschsprachiges Disney-Material bleibt auf wenige
Ausgaben einer 1937 in Zürich erscheinenden MickyMaus Zei-
tung beschränkt. Popularität erreichen Zeitschriftenserien, be-
sonders Vater und Sohn von e.o. plauen (Pseud. für ErichOh-
ser, seit 1934), sowie im Auftrag des Propagandaministeriums
produzierte Bücher und Broschüren, die den Soldatenalltag
>heiter< verklären: Da lachen unsere Gebirgsjäger (1941), La-
chendes Feldgrau (illustriert von Manfred Schmidt).

2. Erschwerte Cornic-Entwicklung nach 1945

Das Kriegsende bringt eine Wende, denn mit den amerikani-


schen Soldaten kommen auch Comicbooks in die westlichen
Besatzungszonen, finden begeisterte junge Leser. Neue Verlage
wollen mit der populären Literatur schnell Geld verdienen,
produzieren eigene, aus heutiger Sicht zu belächelnde Serien
(Peterle als Reporter), übernehmen Lizenzen aus den USA oder

15
Italien. Das westdeutsche Comic-Angebot wird Ende der 40er,
Anfang der 50er Jahre weitgehend von klischeehaften amerika-
nischen Abenteuerserien geprägt; zum Marktführer entwickelt
sich der Lehning Verlag in Hannover, mit zahllosen Heftrei-
hen, darunter neu eingeführt kleinformatige Piccolo-Hefte
(DM 0,20), die bei Kindern starken Anklang finden. Dauerhaf-
ten Erfolg bringen ihm Serien des Zeichners Hansrudi Wäscher,
die mit schlichten Mitteln an Erfolgsmuster von Tarzan (Akim,
Tibor) oder Prinz Eisenherz (Sigurd, Falk) anknüpfen.
Das Marktangebot der frühen 50er Jahre ist durch varianten-
arme, abenteuerliche Serienunterhaltung gekennzeichnet, wo-
bei viele Verlage, etliche Serien nach wenigen Heften schnell
aufgeben. Auf dieses scheinbar breite Angbot, in dessen Inhal-
ten sich nicht zuletzt eine amerikanische Weltsicht widerspie-
gelt, reagieren Eltern, Lehrer, Bibliothekare, Jugendpolitiker,
alle, die in der Nazizeit oder davor durch >das gute Buch<, durch
bildungsbürgerliche, konservative oder nationale Vorstellun-
gen sozialisiert worden sind, mit Unverständnis oder Haß:
»Was die Atombombe der Welt antun kann, ... das kann das
Comic book der Welt der Literatur antun - nämlich das Lesen
ausrotten.« GUGENDLITERATUR 7/1956) Eine breite Anti-
schundbewegung, die entscheidende Impulse aus pseudowis-
senschaftlichen amerikanischen Untersuchungen über die» ver-
brechenstiftende Wirkung« von Abenteuer-Comics (Frederic
Wertham: Seduction ofthe Innocent, 1954) bekommt, konstitu-
iert sich, quer durch alle Parteien, unter entscheidender Beteili-
gung von Lehrerverbänden und bibliothekarischen Organisa-
tionen. Comic-Hefte werden auf Schulhöfen verbrannt, in Kin-
derbibliotheken wie Schulen körbeweise gegen »gute Bücher«
umgetauscht. Das 1953 verabschiedete »Gesetz über die Ver-
breitung jugendgefährdender Schriften« und die dadurch initi-
ierte Arbeit der Bundesprüfstelle (BPS) richten sich zunächst
vorrangig gegen Comics (vgl. Dolle-W einkauff).
Die Literaturform Comic ist durch diese Aktivitäten auf
lange Zeit als »Analphabeten-« oder »Kriminellenliteratur« dis-
kreditiert. Andererseits tragen die Verlage selbst durch Varia-
tion gleichbleibender Standardmotive und -charaktere zum
Nachfragerückgang bei. Das Angebot wird bis in die 60er Jahre
ausschließlich auf kindliche Unterhaltungsbedürfnisse abge-
stimmt, Funnies mit anthropomorphen Tieren setzen sich
durch. Der dänische Gutenbergbus Verlag gründet 1951 in
Stuttgart Ehapa als Tochtergesellschaft, um hier eine deutsche
Ausgabe der Micky Maus herauszugeben, die bereits 1954 eine

16
Auflage von 400.000 erreicht und bis in die Gegenwart erfolg-
reichstes Reihenheft bleibt. Der frühe Erfolg liegt an den origi-
nell-geistvollen Geschichten des Zeichners Carl Barks, der an-
haltende Erfolg an der langjährigen Chefredakteurin und Über-
setzerin Erika Fuchs, die »deutschen Kindern den Geist und die
Atmosphäre des amerikanischen Duckburghs . . . ohne Sub-
stanzverlust« vermittelt, den Figuren durch »bestimmte
Sprechweisen und Ausdrücke ... Charakter« (Strzyz/Knigge)
verleiht, deren WOrtschöpfungen und Wendungen später fast
zu >geflügelten Worten< werden: »bibber, ächz, grübel«. RoH
Kauka beginnt 1953 eine deutsche Comic-Produktion und
macht bald mit seiner Fix und Foxi-Serie den Ducks nachhaltig
Konkurrenz.
Ansonsten entstehen die - wenigen - klassischen deutschen
Produktionen dieser Zeit für den Markt der Publikumszeit-
schriften: seit 1951 M ecki, nach einer Igel-Figur aus älteren
Puppentrickfilmen, Redaktionsmaskottchen, auf der Kinder-
seite der Programmzeitschrift Hör zu (mit Begleitfiguren und
Bilderbüchern ein frühes Beispiel für medialen Verbund); ältere
Leser können sich (1950-62) in der Illustrierten Quick an Man-
fred Schmidts parodistischer, zeitgeistkritischer Detektiv-Serie
Nick Knatterton erfreuen.
Neben den Funnies (besonders langlebig Felix, 1958-81 bei
Bastei) erscheinen weitere »moralisch saubere« Reihen: ab 1956
die Illustrierten Klassiker, ab 1958 Fernseh-Abenteuer, denen
etliche Heftreihen mit Adaptionen amerikanischer TV-Serien
oder Kinofilme folgen (Dr. Kildare, Laure/ und Hardy, Ivan-
hoe). Nach Motiven aus Hanna-Barbera-Trickfilmserien des
TV-Vorabendprogramms erreichen H ucky und seine Freunde
(mit Yogi Bär, Familie Feuerstein) seit 1963 zahlreiche Leser. In
den 60er Jahren gehören zudem die relativ gewaltfreien, vom
Bastei Verlag für Kinder konzipierten Western-Serien Bessy
(vom TV-Collie Lassie stimuliert) und Lasso zu den Marktfüh-
rern.
Neue Impulse erhält der bundesdeutsche Comic-Markt um
1965: in verschiedenen Ausgaben erscheinen die Peanuts (von
Charles M. Schulz) mit pointiert-geistvollen, sophisticated
Strips von Charly Brown nebst Freunden, die vor allem ältere
Schüler und Studenten als Leser gewinnen. Kauka druckt, grau-
sam entstellt, die ersten Asterix-Episoden, ab 1968 als differen-
ziert übersetzte Alben bei Ehapa veröffentlicht. Weitere fran-
zösische und belgische, komplexer strukturierte Serien folgen
als Heftbeiträge oder eigene Alben (Lucky Luke von Morris,

17
Die Schlümpfe von Peyo). 1966 geben die amerikanischen-Su-
perbelden dauerhaft Einstand: Ehapa produziert Superman, der
Bildschriften-Verlag die Marvel-Serien (Die Spinne, Die fanta-
stischen Vier) als Hit-Comics. Schon seit den frühen 60er Jahren
hat eine Gruppe von Zeichnern um die Frankfurter Satire-Zeit-
schrift Pardon (Poth, Traxler, Ernsting) begonnen, Comics
künstlerisch und inhaltlich differenziert zu nutzen. Auch das
seit 1967 auf deutsch erscheinende amerikanischehumoristische
Magazin MAD erreicht mit parodistischen Comics neue Leser-
schichten. Gezielt an ältere Kinder und Jugendliche wendet sich
seit 1972 das Comic-Magazin Zack des Springer-Konzerns mit
zeitgenössischen franko-belgiseben Abenteuer- und Humor-
Serien, die neue graphische, vom Film geprägte Erzählweisen
einbringen.
Seit 1970 bietet die Comic-Szene ein verändertes Bild: der
Anteil von Kinder-Comics ist gesunken, fast die Hälfte des An-
gebotes wendet sich an Erwachsene undJugendliche (vgl. Stro-
bel), mehr Titel erscheinen in Buch- oder Albenform. Studen-
tenbewegung, Alternativkultur und Underground bedienen
sich für politische wie künstlerische Zwecke der Comics, die
Werbebranche für merkantile. Aus den Kindern der SOer Jahre
konstituiert sich eine Fan-Kultur, in der Original-Hefte und
Reprints gesammelt werden. Literatur- und Kunstwissen-
schaftler wie Pädagogen wenden sich mit enttabuisierender Of-
fenheit, aber bald wieder nachlassendem Interesse dieser Litera-
turform zu.
Im Verlauf der 70er Jahre machen sich die Comics dann end-
gültig »auf den Weg zu einer graphischen Literatur« (Dolle-
W einkauff), erschließen sich neue Formen des Realismus wie
der künstlerischen Verdichtung und Verfremdung. Neue, zu-
meist jüngere Comic-Künstler aus Frankreich (Bilal, Caza,
Loustal, Tardi), Italien (Manara), der Schweiz (Cosey); den
USA (Spiegelman) haben sich von Genrevorgaben unabhängig
gemacht, verschränken die Comics mit der zeitgenössischen
bildenden Kunst.
Bilderbuchmacher übernehmen Erzählweisen der Comics
(Hilke Raddatz). Verlage wie Carlsen bringen komplexe, kind-
gerechte Bildgeschichten, die nicht nur unterhalten, sondern
die Wahrnehmungsfähigkeit (Geschichten um den Kater Pussy
von Peyo verlangen »kombinierendes, mitdenkendes Lesen«;
Grünewald) oder Sozialverhalten fördern (Abenteuer des In-
dianerjungen Yakari von Derib & Job).

18
3. Das aktuelle Comic-Angebot
Nach Branchenschätzungen gibt es derzeit jährlich etwa 400 bis
600 Novitäten allein in Albenform, etwas weniger im Taschen-
buch. Der Titelanteil der Heftserien ist gesunken, für den Kin-
der-Comic ist das, billigere, Heft aber nach wie vor wichtigstes
Medium. Der Comic-Vertrieb läuft über zwei Schienen: für die
teureren Alben, Bücher für ältere Leser über den allgemeinen
Buchhandel und Comic-Spezialgeschäfte, für die Heft-Serien,
für Alben und Taschenbücher in Massenauflagen, für alle aufla-
genstärkeren Kinder-Comics also, über das Presse-Grosso,
über Kiosk, Supermarkt, Kaufhaus. Etwa 90% des Gesamt-
umsatzes der deutschen Comic-Produktion, und damit weitge-
hend den Kinder-Comic-Sektor, teilen sich derzeit drei Ver-
lagsgruppen, der verbleibende Rest entfällt auf die Vielzahl der
für den Buchhandel produzierenden Verlage. (NEWS &
VIEWS 6/1991)
Größter Comic-Anbieter Deutschlands ist der Stuttgarter
Ehapa Verlag, dessen marktführende MickyMaus durch die
Wiedervereinigung noch spürbar an Auflage zulegt:

Ehapa-Auflagen 1991 (nach Stamm u. Börsenblatt)


Auflage Titel I Erscheinungsmodus
700.000 Walt Disneys MickyMaus, 52 x
322.000 Wendy, 26 x
245.000 Die tollsten Geschichten von Donald Duck, 12 x
238.600 Garfield, 12 x
234.400 Walt Disneys Mickyvision, 26 x
194.600 Walt Disneys Donald Duck, 26 x
175.000 Walt Disneys Dagobert Duck, 26 x
125.000 Mein kleines Pony, 12 x

Zweitgrößter Kindercomic-Anbieter ist der Hamburger Hein-


rich Bauer-Konzern, mit den Töchtern Pabel-Moewig, Con-
dor-Gruppe (mit Tochter Compart) und dem ehemaligen
DDR-VerlagJunge Welt:

Bauer-Auflagen Anfang 1992 (nach Verlagsangaben)


Auflage Titel I Erscheinungmodus
322.600 Fix und Foxi, 52 x
250.000 Teenage Mutant Hero Turtles, 12 x
200.000 Clever & Smart, Erstaufl., 6 x
200.000 Jenny, 12 x
200.000 Mosaik, 12 x

19
185.000 AlfredJ. Kwak, 12x
175.000 Tom&Jerry, 12x
165.000 Clever & Smart, Zweitaufl., 6 x
140.000 Clever & Smart, Drittaufl., 4 x
125.000 Thundercats. 6 x

An dritter Stelle liegt, mittlerweile etwas abgeschlagen, der Ra-


statter Bastei Verlag, der seine Funktion als Medienverbund-
Vorreiter an Condor abgegeben hat:

Bastei-Auflagen Anfang 1992 (nach Verlagsan gaben)


Auflage Titel I Erscheinungsmodus
180.000 Spukgeschichten, 26 x
180.000 Vanessa, 26 x
170.000 Conny, 26 x
140.000 Benjamin Blümchen, 26 x
130.000 Bibi Blocksberg, 26 x

Alle drei Verlage setzten auch Taschenbücher und Alben-Rei-


hen, die nicht regelmäßig erscheinen, über Grosso-Vertrieb ab,
ebenfalls vorrangig für junge Leser. Dauerbestseller Ehapas
sind Asterix, von dem die letzten Bände mit Erstauflagen zwi-
schen 2 und 3 Millionen auf den Markt gebracht werden (mehr
als im Ursprungsland), sowie Lucky Luke.
Von den über den Buchhandel vertreibenden Comic-Verla-
gen ist der 1953 in Harnburg (für die dänische Kinderserie Petzi)
gegründete Carlsen Verlag heute Marktführer, erreicht Aufla-
gen von 100.000 allenfalls längerfristig mit Einzelserien; aktuel-
ler Bestseller sind die Marsupilami-Reihen, Dauerbestseller
Herges Tim und Struppi.
Massenauflagen erreichen noch die kostenlosen Comic-Wer-
bezeitschriften, die sich an Form und Inhalt erfolgreicher kom-
merzieller Comics orientieren. Disney-Auflagen übertrifft
Knax. Das Comic-Magazin für junge Sparkassenkunden, mit
historisierenden Abenteuern nach Asterix-Muster. Seit 1939
wird Lurchi, der schuhtragende Salamander, immer wieder dem
kindlichen Zeitgeschmack angepaßt. (Mit den W erbezeitschrif-
tenwie mit der Kinderpresse überhaupt überschneiden sich Co-
mic-Hefte: Kinderzeitschriften arbeiten seit Jahrzehnten mit
Comics, Comic-Hefte enthalten meist einen Magazinteil mit
Berichten, Leserbriefspalten, Fotos, Postern.)

20
4. Genres und Motive
Populärstes Genre der Kinder-Comics sind nach wie vor die
Funnies, mehr oder minder komische Comics, unter denen
Asterix herausfällt als generationsübergreifende Serie, die paro-
distische Elemente, Zeitgeistanspielungen und Situationskomik
mengt, deren Figuren mittlerweile mythischen Charakter ha-
ben. Ebenfalls Menschenfiguren verwendet der Dauerseller des
Condor Verlages, die komische Agentenserie Clever & Smart
des Spaniers Francisco Ibanez. Typischer für das Genre sind die
Figuren des Disney-Universums: 78% aller 6- bis 15jährigen
kennen »Micky Maus«, 76% >>Donald<<, 70% >>Goofy<< (Bör-
senblatt 92/1991 ). Die Disney-Serien arbeiten mit einem ver-
gleichsweise aufwendigen Arsenal von überwiegend anthropo-
morphen Tierfiguren, deren Eigenschaften stereotyp festgelegt
sind (Donald der >Pechvogel<, Micky der >Pfiffige<, vs. Kater
Carlo oder Panzerknacker als die >Bösen), die als Figuren un-
verwechselbar, aber nicht zu komplex angelegt sind, deren
Charaktereigenschaften in den letztenJahrenzunehmend nivel-
liert, deren Erlebnisse immer weniger episch, immer beliebiger,
austauschbar mit anderen Funnies werden: Schatzsuche, Auf-
klärung oder Verhinderung eines Verbrechens, Erzeugung
einer Katastrophe durch Ungeschick. Die anderen erfolgrei-
chen Funnies mit anthropomorphen Figuren unterscheiden sich
von den Disney-Produktionen durch weniger aufwendig reali-
sierte, einfacher strukturierte Geschichten, wie z.B. Fix und
Foxi, oft sind die Figuren weniger anthropomorphisiert, wie in
Tom &Jerry (mit Nachdrucken älteren Materials).
Bei älteren Kindern beliebtes Genre sind die Semi-Funnies,
also halbkomische Serien, die sich mit den Abenteuercomics
überschneiden, klassisches Beispiel Lucky Luke: Ernst und
Spannung einer abenteuerlichen Geschichte lösen sich durch
komisch-überzeichnete Figuren, durch skurrile Helden wie
Gegenspieler oder durch parodistisch übetriebene Konflikte
und durch Situationskomik.
Vornehmlich auf Jungen zielen die reinen Adventure Strips,
die Abenteuer-Comics, die durchaus komische Elemente ent-
halten können, wie die Teenage Mutant Hero Turtles, die zu
Superhelden mutierten, vernunftbegabten Schildkröten, die
schlagfertig (verbal wie mit Schlagstöcken) außerirdische Mon-
ster vertreiben. Auch für Die echten Ghostbusters gehören ko-
mische Sprüche und Überzeichnungen zur Geisterjagd. In den
Science Fiction-Serien, die stereotyp die Kämpfe der Helden,

21
des Heldengespanns gegen fremdartige Monster und I oder bös-
artige Superroboter beschreiben, steht die Action im Vorder-
grund (Verfolgung, Jagd, Kampf, Zerstörung, Sieg), in He-
Man, MASK wie in Tranformers (alle auf der Grundlage von
Action-Spielfiguren-Ensembles konzipiert).
Im Zuge von Marktdiversifikationen versuchen die großen
Comic-Anbieter zunehmend auch geschlechtsspezifische Lek-
türebedürfnisse zu fördern, das Segment Mädchen-Comics aus-
zuweiten. Bastei ist seit Jahren mit Conny erfolgreich, Ehapa
durch Wendy, Condor dank ]enny: alle bringen Geschichten
(und Fotos, Textteile) von Mädchen, die gern reiten, unglück-
lich in den Reitlehrer verliebt sind. Märchenhafte und Fantasy-
Elemente für die Allerkleinsten vermischen sich in Mein kleines
Pony und Regina Regenbogen (beide nach Spielfiguren-Ensem-
bles). Ehapa läßt mit tradierten Disney-Figuren im bewährten
Disney-Stil Teenager-Erlebnisse mit Klarabella, Minnie und ei-
nem »schönen Siggi« für das 1992 neu eingeführte Minnie-Heft
zeichnen, ergänzt mit einer Foto-Romanze nach Bravo-Vorbild
(>>Wo ist Monika?«).
Nach dem, mittlerweile völlig verschwundenen, Western
Genre hatte Bastei seit den 70er Jahren das Unheimliche für die
Kinder entdeckt. Mit pointierten, sehr kurzen Geschichten, die
Motive nach älteren Pulp-Vorbildern variieren, sind einige Se-
rien von Horror-Comics bis heute hinreichend erfolgreich: Ge-
spenster-Geschichten, Spuk-Geschichten, Vanessa. Die Freun-
din der Geister.
In den Kinderbibliotheken, die bislang kaum Comic-Hefte
auslegen, sind mit Abstand Asterix, Lucky Luke, Tim und
Struppi, die Peanuts und Disneys Hauptcharaktere in großfor-
matigen, gebundenen Ausgaben die >Ausleihrenner<, gefolgt
von weiteren franko-belgiseben Serien in derTraditionder ligne
claire, also ebenfalls, allerdings komplexer, die Verbindung von
Humor und Aktion (vgl. Heidtmann).

5. Rezeption und Funktion


So vielfältig sich die Literaturform Comic insgesamt entwickelt
hat, so trivial, so eingegrenzt ist das Angebot der marktführen-
den Kinder-Comics, deren Spannungsstruktur sich auf das
Prinzip >Gut gegen Böse< reduzieren läßt, deren Humor auf
dem Prinzip >Lachen über den Schaden anderer< basiert. Die

22
Serien arbeiten mit deutlichen, (wieder-)erkennbaren visuellen
Stereotypen, was Vorurteile verfestigen kann: Böse haben
schräge Augen, sind schwarz, weichen körperlich von der
Norm ab. Die Geschichten werden von Verlagszeichnern oder
Agenturen seriell produziert (>>Massenzeichenware«), sind, mit
Ausnahmen (Disney), von eher niedrigem künstlerisch-hand-
werklichem Standard. >>Bei Kindern kommt das dennoch gut
an, wird doch auf der Minimalebene ihres Rezeptionsvermö-
gens gearbeitet, was ... widerstandsfreie Konsumtion ermög-
licht, zusätzlich motiviert durch die Freude an der Erzählweise<<
(Grünewald, 1985). Comics als die Vereinigung von Bild und
Text wirken stärker auf Kinder als beides für sich genommen,
können also Informationen einprägsamer vermitteln, Ge-
schichten emotional packender erzählen (vgl. Grünewald,
1984).
Noch immer lesen etwa 90% aller Kinder Comics, zumin-
dest gelegentlich, Jungen häufiger als Mädchen. Für etwa 20%
der Grundschüler sind sie die bevorzugte Lektüre (EuW NIE-
DERSACHSEN 6/90). Sechs- bis Dreizehnjährige geben für
Comics mehr Geld aus als für andere Printmedien oder Tonträ-
ger. Die Gruppe der Sechs- bis Neunjährigen nutzt Comics so-
gar zeitaufwendiger als Bücher. Mit zunehmendem Alter läßt
bei den Kindern das Interesse an der Comic-Lektüre nach. Viel-
leser von Comics nutzen überdurchschnittlich das Fernsehen
(vgl. Lukesch).
Comics haben eine wesentliche Funktion ihrer Frühzeit, die
- möglichst humoristische, possenhafte - Kinderbelustigung
bis heute beibehalten, sie sind früher als andere Kindheitsme-
dien in mediale Verbundsysteme integriert worden, sind heute
nachhaltiger davon abhängig. Bereits in den 60er Jahren entleh-
nen etliche Kindercomics ihre Stoffe aus TV-Serien und Holly-
woodfilmen. Die Popularität von Trickfilmserien in den Vor-
abendprogrammen führt zu der- prinzipiell unkomplizierten-
Übernahme dieser Serien ins Comic-Heft (Schweinchen Dick),
was Massen von Kindern Wiederholung, Nachvollziehen er-
möglicht. Der 1972 gegründete Condor V erlag prosperiert
durch die von US-Medienkonzernen übernommenen Serien-
rechte. Das Bastei-Comic-Programm verändert sich entschei-
dend, nachdem sich der Verlag die Rechte an den wichtigsten
Trickserien des Kinderfernsehens sichern kann (Biene Maja,
Heidi). Durch den Verbund mit Fernsehserien sind Kinderco-
mics zu einem >>rasch verschleißenden Konsumartikel<< (Dolle-
W einkauff) geworden: wenn die Serie im Ausgangsmedium

23
eingestellt wird, läßt sie sich auch gedruckt nicht mehr vermark-
ten; oder umgekehrt: das Comic-Programm eines Massenheft-
Verlag es ist von den Vorgaben in anderen Massenmedien ab-
hängig. Die Comic-Figur ist nicht mehr, wie bei Mecki oder
Asterix, selbst Basis eines medialen Verbundes
Zu Beginn der 1990er Jahre orientiert sich der Comic-Markt
stark an den Vorgaben der führenden Spielzeugkonzerne, die
für ihre Figurenensembles einen >Geschichtenhintergrund< be-
nötigen. Comic-Projekte haben heute oft nur noch »eine Le-
bensdauer von 36 Monaten ... Dann ist die Welle vorbei, und
man muß auf die nächste drauf ... Es gibt immer wieder neue
Wellen und diese Wellen muß man reiten solange es geht. Wir
alle sind sozusagen Wellenreiter in dieser Branche.« (Wolfgang
M. Biehler, Condor Verleger, 1988)

Literatur

Bibliographien I Lexika I Handbücher


Fuchs, Wolfgang J. und Reinhold Reitberger: Comics-Handbuch,
Reinbek 1978 (rororo 6215).
Hethke, Norbert und Peter Skodzik (Hg.): Allgemeinerdeutscher Co-
mic-Preiskatalog, Schönau 1991.
Knigge, Andreas C.: Comic Lexikon, Frankfurt, Berlin 1988 (Ullstein
Tb 36554).
Neumann, Renate: Bibliographie zur Comic-Sekundärliteratur, Frank-
furt, Bern u.a. 1987.
Skodzik, Peter: Deutsche Comic Bibliographie, Frankfurt, Berlin 1985
(Ullstein Tb 36515).
Wansel, Siegmar und Dietmar Stricker: Illustrierte deutsche Comic-
Geschichte, Bd. 1-10, Köln 1986-1988.

zur Vorgeschichte
Hilscher, Elke: Der Bilderbogen im 19. Jahrhundert, München 1977
(Stud. zur Publizistik 22).
Schnurrer, Achim und Hartmut Becker (Hg.): Die Kinder des fliegen-
den Robert. Beiträge zur Archäologie der deutschen Bildergeschich-
tentradition, Hannover 1979 (Comixene Materialien 2).

zu Geschichte I Entwicklungen
Dolle-Weinkauff, Bernd: Comics. Geschichte einer populären Litera-
turform in Deutschland seit 1945, Weinheim, Basel1990.
Förster, Gerhard (Hg.): Das große Hansrudi Wäscher-Buch, Schönau
1987.

24
Knigge, Andreas C.: Fortsetzung folgt. Comic Kultur in Deutschland,
Frankfurt, Berlin 1986 (Ullstein Tb 36523).
Sackmann, Eckart: >Mecki<. Maskottchen und Mythos, Harnburg 1984.
Stadtbibliothek Schwandorf (Hg.): Comics der 50er und 60er Jahre. Se-
rien, Helden und der Kampf gegen Schmutz und Schund . . . ,
Schwandorf 1983.
Strobel, Ricarda: »Comics in der Bundesrepublik Deutschland- Eman-
zipation einer Literaturform«, in: Media Perspektiven 1/1988, S. 13-
25.

zum Marktangebot
Grünewald, Dietrich: »Kinder brauchen Comics«, in: IJM 3/1985,
s. 34-45.
Knigge, Andreas C.: »>Wir sind alle Wellenreiter<- Ein Porträt des
Condor Verlages«, in: ders. (Hg.): ComicJahrbuch 1988, Frankfurt,
Berlin 1988, S. 103-113.
Knigge, Andreas C.: »Das Jahrzehntdes Durchbruchs. Diewichtigsten
Comic-Veröffentlichungen der 80er Jahre«, in: ders. (Hg.): Comic
Jahrbuch 1991, Harnburg 1991, S. 40-61.
Neumann, Klaus: »Comic-Werbehefte für Kinder - Lurchi und
Sumsi «, in: H.J ürgen Kagelmann (Hg.): Comics Anno. Jahrbuch der
Forschung zu populär-visuellen Medien 1/1991, München 1991,
s. 97-107.
»Von Mäusen und Monstern. Kinder-Comics«, in: test 6/1990, S. 84-
89.

zu Disney-Produktionen
Kunzle, David: Carl Barks. Dagobert und Donald Duck. Welterobe-
rung aus Entenperspektive, Frankfurt 1990 (Fischer Tb 3949).
Schicke!, Richard: WaltDisney, London 1968.
Strzyz, Klaus u. Andreas C. Knigge (Hg.): Disney von innen. Gesprä-
che über das Imperium der Maus, Frankfurt, Berlin 1988 (Ullstein Tb
36551).

zuAsterix
Grasegger, Hans: Sprachspiel und Übersetzung. Eine Studie anhand
der Comic-Serie Asterix, Tübingen 1985.
Kabatek, Adolf (Hg.): Das große Asterix-Lexikon, Filderstadt 1986.
Stoll, Andre: >Asterix< -das Trivialepos Frankreichs. Die Bild- und
Sprachartistik eines Bestseller-Comics, Köln 1974.

zu Abenteuer I Superhelden
Doetinchem, Dagmar v. und Klaus Hartung: Zum Thema Gewalt in
Superhelden-Comics, Berlin 1974 (Basis Theorie 2).
Fuchs, WolfgangJ.: »Superhelden im Wandel«, in: Andreas C. Knigge
(Hg.): ComicJahrbuch 1988, Frankfurt, Berlin 1988, S.38-50.

25
Hausmanninger, Thomas: Superman. Eine Comic-Serie und ihr Ethos,
Frankfurt 1989 (suhrkamp Tb 2100).
Knigge, Andreas C.: »Prinz Eisenherz-EinKlassiker wird 50«, in:
ders. (Hg.): ComicJahrbuch 1987, Frankfurt, Berlin 1987, S. 109-
118.

zu Wirkung I Nutzung
Grünewald, Dietrich: Wie Kinder Comics lesen, Frankfurt 1984 Ou-
gend u. Medien 7).
Heidtmann, Horst: »Comics in Öffentlichen Bibliotheken«, in: IJM
4/1991,S. 163-173.
Kagelmann, H. Jürgen: »Jugendgefährdung durch Comics?«, in: An-
dreas C. Knigge (Hg.): Comic Jahrbuch 1987, Frankfurt, Berlin
1987, s. 15-28.
Lukesch, Helmut: »Zur Comicnutzung bei 12- bis 16jährigen Schü-
lern«, in: H. Jürgen Kagelmann (Hg.): Comics Anno. Jahrbuch der
Forschung zu populär-visuellen Medien 1/1991, München 1991,
s. 1-4.
zur Vermittlung I Medienpädagogik
Forytta, Claus: Donald-Duck-Geschichten. Materialien zur Unter-
richtsplanung, Bremen 1980 (Pädagog. Berufspraxis. Bremer Ar-
beitsmaterialien 10).
Grünewald, Dietrich: Comics- Kitsch oder Kunst? Die Bildgeschichte
in Analyse und Unterricht. Ein Handbuch zur Comic-Didaktik,
Weinheim, Basel1982.
Pforte, Dietger (Hg.): Comics im ästhetischen Unterricht, Frankfurt
1974.
Watzke, Oswald (Hg.): Bildergeschichten und Comics in der Grund-
schule. Unterrichtsvorschläge, Donauwörth 1980.

26
III. Kindertheater: Vom Lehrstück zum
Zeitvertreib

Die Anfänge des Kindertheaters reichen bis in die vorchristliche


Antike zurück, als durch mimische Elemente der Schulunter-
richt veranschaulicht, interessanter gestaltet werden sollte. Für
das spätmittelalterliche wie für das frühbarocke Schulwesen ge-
hört Schultheater zu den gängigen pädagogischen Hilfsmitteln.
Aus den von und für Schülern deklamierten Dramen entwickeln
sich Dramolette, kürzere Kinderschauspiele, in denen natur-
wissenschaftliche oder moralische Belehrung häufig in Dialog-
form abgehandelt wird, deren Titel (z. B. bei Christian Felix
Weiße, einem der wichtigsten Protagonisten) oft die Schlußmo-
ral vorgeben: Wer den andern eine Grube gräbt, fällt oft selbst
hinein.

1. Frühes Kindertheater
Dies rein didaktisch belehrende- daneben gibt es auch noch ein
pantomimisches- Kindertheater wird im professionellen Thea-
ter in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die etwas unterhalt-
samere »Kinderkomödie« ersetzt. Theater dient dem bürgerli-
chen Publikum weniger als Medium der Selbstverständigung,
sondern vorrangig zur Unterhaltung, zum Zeitvertreib. Für die
Kinder, die neben den Erwachsenen an den normalen Dramen-
oder Komödienaufführungen teilnehmen, bietet als erster der
Hamburger Theaterdirektor, Autor und Regisseur Carl August
Görner die Form intentionalen Kindertheaters, die bis heute für
die Gattung prägend bleiben soll: das Weihnachtsmärchen. Im
biedermeierlichen Deutschland wird das Weihnachtsfest ritua-
lisiert, zum Ausdruck intakten Familienlebens; Görner wie an-
deren Theaterprinzipalen gelingt es, in den »kahlen Wochen vor
Weihnachten«, in denen zuvor die Theater leerstanden, mit
Märchenaufführungen die ganze bürgerliche Familie ins Thea-
ter zu holen. In visuell opulent und möglichst effektvoll in
Szene gesetzten Ausstattungsstücken (an deren Ende ein obliga-
torischer Christkind- oder Nikolausauftritt steht) nimmt das
Kindertheater bereits eine Befriedigung kindlicher Schaulust

27
vorweg, wie sie wenige Jahrzehnte später der Märchenfilm mit
seinen Mitteln verfeinert und massenwirksamer leisten wird.
Zu einer besonderen Art von Theater für Kinder entwickelt
sich parallel dazu im 19. Jahrhundert das Puppen- oder Figu-
rentheater. In den vorangegangenen Jahrhunderten als Jahr-
markts- oder Schankstubenattraktion ein Unterhaltungsme-
dium für das breite Publikum, sind die Puppenspieler gezwun-
gen, sich aus wirtschaftlichen Gründen mehr und mehr auf
junge Zuschauer zu beschränken, mit ihren Marionetten Mär-
chen oder Görners Kinderstücke (Die drei Haulermännerchen,
1854) aufzuführen. Mit über 40 teils possenhaften, teils mär-
chenhaft-romantisierenden Stücken (Hanse! und Grethel oder
Der Menschenfresser) entwickelt sich der Münchner Zeichner,
Komponist, Dichter Franz Pocci zum Pionier und Klassiker des
deutschen Puppentheaters für Kinder. Kasperl, für Erwachsene
ehedem ein derber, an Autoritäten rüttelnder Spaßmacher, wird
von Pocci und seinen Nachfolgern am Figurentheater des frü-
hen 20. Jahrhunderts entpolitisiert, entsexualisiert, bleibt bis in
die Gegenwart als domestizierte, gleichwohl für Kinder popu-
lärste Figur auf die Kinderstube beschränkt. Doch die Kinder-
belustigungen mit Handpuppen auf Volksfesten haben im be-
gonnenen 20. Jahrhundert nur wenige Möglichkeiten, sich ge-
gen die neuen Medien zu behaupten.
Den großen, richtigen Theatern en miniature nachempfun-
den sind Papiertheater, die im frühen 19. Jahrhundert im besit-
zenden Bürgertum in Mode kommen, kleine Kästen aus Papier
(mit Holzrahmen), die exakt eine bekannte Bühne abbilden, mit
Dekorationen und Kulissen, vor denen detailliert gestaltete
Flachfiguren aus Papier vor kleinerem Publikum agieren. Aus
dem zunächst zur Vermittlung klassischer Stoffe an die »reifere
Jugend« gedachten Papiertheater entsteht schnell ein reines
Kindertheater, mit dem Kinder für Kinder oder die Verwandten
Märchen oder kindertümelnde Bearbeitungen zeitgenössischer
Stücke nachspielen.
Weniger an Kinder, eher an gebildete Erwachsene wenden
sich Schatten- und Silhouettenspiele, die bei den deutschen Ro-
mantikern zeitweise in Mode kommen, nach der Jahrhundert-
wende im Gefolge des Jugendstils als ornamentale Kunstform
wiederbelebt werden, aber erst durch den Film, in Sonderheit
die Scherenschnitt-Märchen Lotte Reinigers seit den 1920er
Jahren ein breiteres sowie junges Publikum finden.
Die »Kunsterziehungsbewegung« um die Jahrhundert-
wende, die nicht nur das autoritäre Schulsystem reformieren

28
will, sondern gegen »Kindertümelei«, gegen politische und reli-
giöse Tendenzen in der Kinderliteratur wie im -theater antritt,
hat in den folgenden Jahrzehnten auch auf das gesamte Kinder-
theater Auswirkungen. Das »unschuldige« Kind, seine Naivität
und Kreativität sollen gefördert werden, damit es als Erwachse-
ner eine harmonischere Gesellschaft schaffen kann. Reform-
pädagogisch beeinflußte Stücke bieten den Kindern scheinbar
eigene, doch realitätsferne Kinderwelten: In Peterchens Mond-
fahrt (1911/12, von Gerdt von Bassewitz) brechen zwei Kinder
aus dem nächtlichen Kinderzimmer auf, um auf fernen Sternen-
wiesen und Milchstraßen das verlorene Bein des Maikäfers
Sumsemann zu suchen. Mit seiner Darstellung eines heilen Kin-
derreiches (»Die Kindertümelei will selbst den Kosmos noch
heimelig und das Weltall zur Käferwiese hinterm Kleinbürger-
haus umstilisieren.« Vgl. Schedler) wird Peterchens Mondfahrt
bis zum Ende der 1960er Jahre das meistgespielte Kinderthea-
terstück in Deutschland. Eine noch deutlicher verklärte Kin-
derwelt, ein »Land Nirgendwo«, in dem Kinder fernab der Er-
wachsenenwelt leben und das »Großwerden« verweigern, lie-
fert zur gleichen Zeit James Matthew Barries Peter Pan, eben-
falls in der BRD noch Erfolgsstück.
Dem nachwirkenden Einfluß der Reformpädagogik sind
auch erste realistische Kindertheaterstücke in der Weimarer Re-
publik zu danken: 1930 bringt das Theater am Schiffbauer-
damm Erich Kästners kurz zuvor erschienenen Kinderbuch-
bestseller Emil und die Detektive zur Aufführung, 1931 wird
ebenfalls in Berlin Kästners zweiter Kinderroman, Pünktchen
und Anton, für die Bühne eingerichtet. Noch ungewöhnlicher
ist das im gleichen Jahr uraufgeführte Stück von R. A.
Stemmle, Kampf um Kitsch, das für Kinder belustigend die
zeitgenössischen Antischundkampagnen ironisiert, vor allem
aber für eine reformierte, von Zwang und Drill freie Schule plä-
diert.
Die politisch organisierte Arbeiterbewegung, die in der W ei-
marer Republik über ihre Zeitschriften und Buchreihen Kinder
und Jugendliche nur begrenzt (und über die neuen Massenme-
dien noch weniger) erreicht, sieht im »proletarischen Kin-
dertheater« ein »Instrument des Klassenkampfes« (Edwin
Hoernle, 1923 ); Spieltruppen der »RotenJungpioniere«, Kinder-
agitpropgruppen suchen gleichaltrige und jüngere Zuhörer in
Spielszenen und Sprechchören für den Kampf gegen den »Klas-
senfeind« zu motivieren. Im Puppenspiel kämpft der »Rote
Kasper« sowohl für die KPD als auch für die sozialdemokrati-

29
sehe Kinderfreunde-Bewegung gegen Mietwucherer und
Streikbrecher.
Das Kindertheater ist jedoch in der Weimarer Zeit wie im 3.
Reich immer stärker der Konkurrenz von »Lichtspielhäusern«
und Rundfunkempfängern ausgesetzt: ein breites Spektrum ak-
tionsreicher wie komischer Unterhaltung liefern die nachmit-
täglichen Kinderkinoveranstaltungen, Puppentrick- und Ma-
rionettenmärchenfilme lassen kaum Bedarf nach zusätzlichem
Figurentheater aufkommen. Und auch der Kasper tritt allwö-
chentlich in Rundfunkprogrammen auf, propagiert nach 1933
dort oder in den von >>NS-Kulturgemeinden« organisierten
Puppenspielen vorbildhaft nationalsozialistisches Gedanken-
gut.
Nach dem zweiten Weltkrieg entfaltet sich in allen Teilen
Deutschlands das Erwachsenentheater. Im Gegensatz zur DDR
finden ständig spielende Theater für Kinder undJugendliche in
der BRD kaum Förderung, bleiben vorläufig auf den Ausnah-
mefall beschränkt. Das Kindertheater entwickelt sich hier wie-
der als Märchentheater, das um die Weihnachtszeit herum von
allen städtischen Bühnen gepflegt wird. So basieren noch in den
80er Jahren die auf bundesdeutschen Bühnen meistaufgeführten
Kinderstücke auf Vorlagen der Grimms (1985/86 halten die drei
ersten Plätze: Aschenputtel, Schneeweißehen und Rosenrot, Der
gestiefelte Kater).

2. Neue Impulse für das Kindertheater


Ein Wandel der Kindertheaterlandschaft geht in der zweiten
Hälfte der 60er Jahre vonstatten, als mit dem Ausklingen der
Adenauerära nicht nur die vorherrschenden bürgerlichen Nor-
men und Erziehungsziele in Frage gestellt werden, sondern
auch die tradierten Formen der Kulturvermittlung. Studenten-
bewegung und außerparlamentarische Opposition greifen mit
Vorrang auf Medien zurück, die ihnen ohnenhin zur Verfügung
stehen, die sich mit wenig Aufwand für politische Agitation
nutzbar machen lassen. Dazu gehören szenische Vorführun-
gen, gehört das Theater. Zielgruppe für Information und Agita-
tion sollen die Benachteiligten, Unterdrückten sein, mit denen
man die Gesellschaft verändern will. Dazu zählen die Kinder.
So entsteht das emanzipatorische Kindertheater mit der
Gründung des GRIPS-Theaters, durch die das Westberliner

30
Reichskabarett 1966 den Kindern eine eigene Bühne schaffen
will. Verschiedenen Versuchen mit unterschiedlichen Spielfor-
men, Einbeziehung von Kindern, folgt 1969 das erste eigene
Stück neuer Qualität, Stokkerlok und Millipilli: Kinder spielen
Eisenbahn, begegnen auf verschiedenen Stationen einer Phanta-
siereise autoritären, lächerlichen, Verbotsschilder malenden
Erwachsenen, die man durch kabaretthafte Überspitzungen
»entlarvt«. In Balle, Malle, Hupe und Artur (1971) haben sich
Kinder gegen Polizisten durchzusetzen. GRIPS ergreift für die
Kinder Partei, in frühen Stücken »häufig ... mit einem eindeu-
tig klassenkämpferischen Gestus. Konfliktsituationen ... ent-
sprechen dabei oft mehr den Textbuchanalysen sozialer Kon-
flikte in den Universitätsseminaren als den Lebenserfahrungen
junger Zuschauer.« (Fischer)
In späteren Stücken lösen sich die GRIPS-Autoren (Volker
Ludwig, Rainer Hachfeld, Detlef Michel) von der antiautoritä-
ren Grundhaltung, differenzieren (unter Beibehaltung kabaret-
tistischer Verfremdungen) ihre Charaktere, recherchieren- be-
sonders für die Jugendstücke-sehr genau die Lebenserfahrun-
gen und -perspektiven von Hauptschülern und Lehrlingen.
Neuere Mutmachgeschichten für kleinere Zuschauer geben
Hilfe bei der Umwelterfahrung, wollen spielerisch Angst vor
dem Krankenhaus nehmen (Heile heile Segen, 1988).
Ende der 60er, Anfang der 70er gründen sich in der BRD wei-
tere selbständige Kindertheater, das >>Theater für Kinder« und
das >>Klecks« in Hamburg, >>Birne« und >>Hoffmanns Comic
Theater« in Berlin, >>Münchener Märchen-Bühne« und >>Üppo-
deldock«. Die Kindertheatermacher diskutieren und erproben
neue Konzepte; Straßentheater und Clownerien sollen kleine
Zuschauer belustigen und animieren, die >>Guckkastenbühne«
wird zugunsten von >>Mitspieltheater<< aufgegeben. Für längere
Zeit bleiben im neuen deutschen Kindertheater politische Auf-
klärung und Sozialkritik zentrale Anliegen, werden GRIPS-
Stücke an anderen bundesdeutschen Bühnen bis zu 40 Mal in ei-
nem Jahr nachinszeniert.
Vom GRIPS trennen sich 1973 einige Mitspieler, um ihre ei-
genes >>Theater Rote Grütze« zu gründen, das - ohne feste
Spielstätte - einige der meistaufgeführten, -nachgespielten und
-kritisierten Stücke herausbringt: an Kinder ab fünf Jahren
wendet sich ein »Spiel vom Liebhaben, Lusthaben, Kinderkrie-
gen, vom Schämen und was sonst noch alles vorkommt«, Dar-
über spricht man nicht (1973 ), das Sexualaufklärung auch als so-
ziale Erziehung versteht, das der vorherrschenden repressiven

31
Sexualmoral einen lustbetonten Umgang mit Sexualität entge-
gensetzt. Für ältere Kinder und »Leute in und nach der Puber-
tät« folgt 1976 Was heißt hier Liebe, in dem es gleichermaßen
um soziale und sexuelle Aspekte der >ersten Liebe< geht, den
Schwierigkeiten von Paul und Paula, mit dem eigenen Körper,
den eigenen Gefühlen umzugehen. An beiden Stücken nehmen
konservative, vornehmlich katholische Kreise noch in den 80er
Jahren Anstoß, reagieren mit diffamierenden Pressekampag-
nen, mancherorts mit Aufführungsverbot.
Die Arbeit der neuen, engagierter Kindertheatergruppen mo-
tiviert neue Autoren, die für ungewöhnliche Formen und In-
halte offen sind, sich dem Medium zuzuwenden. Gesellschafts-
kritisches Bewußtsein, Nähe zur naiven Gedankenwelt von
Kindern, Sinn für Situationskomik sowie groteske, manchmal
makabere Einfälle verbinden sich beim Zeichner und Autor
Friedrich Karl Waechter zu sehr eigenständigen, kindgemäßen
Stücken. Seine Helden sind Clowns (Schule mit Clowns, 1975),
Narren, skurrile Typen: in seinem Erfolgsstück Kiebich und
Dutz (1979) tritt die Hauptfigur mit Sportschuhen, Motorrad-
fahrerkappe und Fallschirmgurten auf »und stellt sich die Welt
wie in einem Comic vor ... Sein rundlicher, kleiner Freund
DU-tz ... ist ... viel ängstlicher. Sein Erscheinen, eine Geburt
aus einem riesigen Kissenberg, geht langsam und tapsig vonstat-
ten ... bevor ihn die Neugier zu Abenteuern lockt. Doch die
Abenteuerwelt ist vermarktet und durchorganisiert.« (Schnei-
der) In anderen Bühnenwerken interpretiert Waechter mit Witz
und Poesie Märchenstoffe neu- wie in seinen Kinderbüchern-,
gibt ihnen eine zeitgemäße Moral (Der Teufel mit den drei gol-
denen Haaren, 1989).
Clownhaftes findet sich auch in den Stücken von Paul Maar,
der in den 70er Jahren sowohl der bundesdeutschen Kinderlite-
ratur wie dem -theater wichtige Impulse gibt: »Ich will Theater,
in dem die Botschaft nicht verbal, nicht plakativ und nicht mit
erhobenem Zeigefinger von der Bühne verkündet, sondern
in dem sie unmittelbar durch die Handlung vermittelt
wird.« (1974) Und dazu integriert er in seine Stücke »Szenen,
die aufgebaut sind wie ein Clowns-Sketch, Slapstick, Panto-
mime, optische Sensationen«. In Kikerikiste (1972), einer un-
aufdringlichen Parabel »VOn der Verführbarkeit des Men-
schen«, versucht ein »Musikmarschierer« in glitzernder Uni-
form, mit großer Pauke, zwei Freunde mit falschen Verspre-
chungen auseinanderzubringen. In Eine Woche voller Samstage
(nach dem gleichnamigen Kinderbuch von 1973) verhilft ein

32
Phantasiewesen, das Sams, einem verschüchterten Büroange-
st~llten in - situationskomischen- Episoden zu Selbstbewußt-
sem.

3. Aktuelle Situation des Theaters für Kinder


Der Aufbruch des neuen deutschen Kindertheaters in den 70er
Jahren wird jedoch bald gebremst; die meisten Bundesländer-
mit wenigen Ausnahmen, z. B. Baden-Württemberg- streichen
den Kinder- und Jugendbühnen öffentliche Mittel. In Harnburg
muß deshalb 1990 selbst das traditionsreiche, ehemals antiauto-
ritäre Klexs-Theater schließen. Die Presse wie die elektroni-
schen Medien nehmen das Theater für Kinder allenfalls dann
zur Kenntnis, wenn einzelne Stücke moralisch oder politisch
provozieren. Es gibt eine Vielzahl freier Gruppen, die sich mit
Auftritten an alternativen Spielstätten, Jugendhäusern, Schulen
»Über Wasser« hält, auch Staatstheater, die Stücke von GRIPS
oder der» Roten Grütze« nachspielen. In den letzten Spielzeiten
sind Adaptionen bekannterer Kinderbücher (u. a vonJanosch),
sogar anspruchsvolle Literaturbearbeitungen (Geheime
Freunde von Rudolf Herfurtner, nach Myron Levoys Buch Der
gelbe Vogel) an etlichen Bühnen gelaufen, doch am Ende eines
jeden Jahres bestimmen nach wie vor traditionell bearbeitete
Märchenstoffe die Wirklichkeit des Kindertheaters. Für Expe-
rimente bleibt wenig Raum, solange operettenhafte, kindertü-
melnde Weihnachtsmärchen »die zuverlässigsten Dukatenesel
des Theaters« (DER SPIEGEL 49/1990) sind. Eltern wie Groß-
eltern wollen für ihre Kleinen das aufbereitet bekommen, was
sie aus eigenen Kindertagen kennen, wollen eigenen Erinnerun-
gen nachhängen.
Alle Formen des Kindertheaters sind der direkten Konkur-
renz der audiovisuellen Medien ausgesetzt. Wichtiger als das
weihnachtliche Bühnenmärchen sind seit langem die kommer-
ziellen Leinwandspektakel, die aufwendig beworbenen Erst-
aufführungen von Hollywoodgroßproduktionen in der Weih-
nachtszeit, von Disney- und Spielberg-Filmen, die heute die
ganze Familie in die Kinos locken.
Puppen- und Figurentheater wird mittlerweile fast aus-
schließlich durch das Medium Fernsehen vermittelt. Die
»Augsburger Puppenkiste« hat seit den 60er Jahren etliche Er-
folge mit Fernsehfassungen verbuchen können, (Muminfamilie,

33
1959, oder ]im Knopf und die Wilde 13). Kindervorschulserien
wie Rappelkiste und Sesamstraße beziehen ihren spezifischen
Charakter vielfach durch das Mitwirken von Hand- und Klapp-
maulpuppen (Ernie, Bert, Samson). Jim Hensons Puppenserie
Muppets-Show gehört über Jahre zu den bei jungen wie erwach-
senen Zuschauern beliebtesten Fernsehserien (mit Stars wie
Kermit und Miß Piggy), hat ein eigenes Medienverbundsystem
nach sich gezogen.
Die neuen Medien haben zwar Funktionen des Kinderthea-
ters übernommen, tragen aber gleichzeitig zu seiner Vermitt-
lung bei, schaffen ihm einen wesentlich größeren Kreis von Re-
zipienten, auch erwachsenen, wenn Paul Maars Kikerikiste vom
Fernsehen übertragen oder Bruno Knusts Raumschiff Namba
Wann auf Tonkassetten überspielt wird.

Literatur

zu Geschichte und Entwicklungen


Jahnke, Manfred: Von der Komödie für Kinder zum Weihnachtsmär-
chen. Untersuchungen zu den dramaturgischen Modellen der Kin-
dervorstellungen in Deutschland bis 1917, Meisenheim 1977.
Kilian, Heinke: »Aus Büchern Theater machen. Erich Kästners Kinder-
romane in Bühnenbearbeitungen- heute und vor 60 Jahren«, in:
Wolfgang Schneider (Hg.): Grimm & Grips 3. Jahrbuch für Kinder-
undJugendtheater 1989/90, Frankfurt 1989, S. 37-46.
Schedler, Melchior: Kindertheater. Geschichte, Modelle, Projekte,
Frankfurt 1972.

zum proletarischen Kindertheater


Hoffmann, Christel: Theater für junge Zuschauer. Sowjetische Erfah-
rungen - Sozialistische deutsche Traditionen - Geschichte in der
DDR, Berlin/DDR 1976.
Benjamin, Walter: »Programm eines proletarischen Kindertheaters«,
in: ders.: Über Kinder, Jugend und Erziehung, Frankfurt 1969 (edi-
tion suhrkamp 391), S. 79-86.

zum antiautoritären, emanzipatorischen Kindertheater


Bauer, Karl W.: Emanzipatorisches Kindertheater. Entstehungszusam-
menhänge, Zielsetzungen, dramaturgische Modelle, München 1980.
Fischer, Gerhard: »Verarbeitung politischer und geschichtlicher Erfah-
rung im Jugendtheater: Anmerkungen zu einigen Stücken des
GRIPS-Theaters in Berlin«, in: IJM 1/1985, S. 4-9.
Schneider, Wolfgang: Kindertheaternach 1968, Köln 1984.

34
zum zeitgenössischen Kindertheater
Hentschel, Ingrid: Kindertheater - Die Kunst des Spiels zwischen
Phantasie und Realität, Frankfurt 1988.
Kinderliteratur und Kindertheater. Überlingen 1991 (Materialien Ju-
gendliteratur und Medien 24 ).
Maar, Paul: »Theater für Kinder«, in: Gebt uns Bücher- gebt uns Flü-
gel. Oetinger Almanach 1974, Harnburg 1974 S. 122-125.
Richard, Jörg: Theater- und Jugendkultur. Für die darstellende Aus-
drucksvieHalt des Spiels im Medienzeitalter«, in: Wolfgang Schneider
(Hg.): Grimm & Grips 1. Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheater
1987/88, Frankfurt 1987, S. 54-64.
Schneider, Wolfgang: »Kinderliteratur auf der Bühne, Literarische Ex-
perimente im Kinder- und Jugendtheater«, in: ders. (H-g.): Grimm
& Grips 1. Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheater 1987/88, Frank-
furt 1987, s. 65-74.

zum Musiktheater
Regler-Bellinger, Brigitte: Internationales Musiktheater für Kinder und
Jugendliche, Frankfurt 1990.
Reiß, Gunter und Mechtild von Schoenebeck: Musiktheater für Kin-
der und Jugendliche. Ein kommentiertes Stückeverzeichnis, Bonn
1988.

zum Puppen- und Figurentheater


Rarn, Detlef: »Figurentheater«, in: Grünewald/Kaminski S. 267-279.
Richter-De Vroe, Klaus: »Puppen in Film und Fernsehen«, in: Publika-
tionskornmission d. UNIMA (Hg.): Die Welt des Puppenspiels, Ber-
lin/DDR 1989, S. 179-198.
Wegner, Manfred (Hg.): Die Spiele der Puppe. Beiträge zur Kunst- und
Sozialgeschichte des Figurentheaters im 19. und 20. Jahrhundert,
Köln 1989.
Weinkauff, Gina: Der rote Kasper. Das Figurentheater in der pädago-
gisch-kulturellen Praxis der deutschen und Österreichischen Arbei-
terbewegung von 1918-1933, Bochurn 1982 (Puppenspielkundl.
Quellen u. Forschungen 8).

zum Papier- und Schattentheater


Metken, Sigrid: Geschnittenes Papier. Eine Geschichte des Ausschnei-
dens in Europa von 1500 bis heute, München 1978.
Licht und Schatten. Scherenschnitt und Schattenspiel im Zwanzigsten
Jahrhundert. Ausstellung des Münchener Puppentheatermuseums
vorn 15. 10. 1982 bis 9. 1. 1983, München 1982.
Zwiauer, Herbert und Gerhard Trurnler: Papiertheater. Bühnenwelt
en rniniature, Wien 1987.

35
zur Wirkung I Rezeption
Batzill, lrene: Vom Frust zur Selbstbestätigung. Beeinflußt das Jugend-
theater die Persönlichkeitsbildung?, Frankfurt u.a. 1986 (Kinder-,
Schul- u. Jugendtheater. Beiträge 3)

zur Vermittlung I Theaterpädagogik


Hoffmann, Christel: Spielen und Theaterspielen, BerliniDDR 1989.
Lenzen, Klaus-Dieter: Theater macht Schule. Schule macht Theater.
Schultheater in der Primarstufe, Bielefeld 1989 (Impuls 17).
Richard, Jörg (Hg.): Theaterpädagogik und Dramaturgie im Kinder-
und Jugendtheater. Dokumentation zur intemat. Tagung der ASSI-
TEJ in Bremen v. 16. 6.-18. 6. 1989, Frankfurt 1990 (Schriftenreihe
der ASSITEJ 3).
Ruping, Bernd und Wolfgang Schneider (Hg.): Theater mit Kindern,
Weinheim 1991.

36
IV. Kinderfilm: Von Grimms Märchen zu
Hollywoods Märchen

Der Film, in seinen Anfängen an der Wende zum 20. Jahrhun-


dert kaum mehr als eine Jahrmarktsattraktion, fasziniert mit
seinen >>lebenden Fotografien« von Anfang an die Kinder wie
bis dahin kein anderes Medium. Die ersten Filme- Dokumen-
tationen, kurze Grotesken oder bei Melies bereits Wunderbar-
Märchenhaftes - bieten gleichermaßen Erstaunliches wie Belu-
stigendes. In den Schaubuden und Ladenkinos rezipieren Kin-
der und Erwachsene die gleichen, aus heutiger Sicht meist naiv
wirkenden Filme. Die ersten Filmproduktionen in Deutsch-
land, die sich durch ihr märchenhaftes Sujet (wie es auch das
Kindertheater der Zeit dominiert) besonders an Kinder wen-
den, sind gleichzeitig für das erwachsene Publikum produziert,
werden in den Kinopalästen nachmittags den Kindern, abends
den Erwachsenen vorgeführt. In diesem Sinne beginnt der deut-
sche Kinderfilm ab 1910 mit der Inszenierung von traditionellen
Märchen- und Sagenstoffen, u. a. durch Paul Wegener, der
meist gleichzeitig als Produzent und Regisseur, als Tricktechni-
ker und Hauptdarsteller wirkt: 1916 in Rübezahls Hochzeit,
1917 in Dornröschen und Hans Trutz im Schlaraffenland, 1918
Das kalte Herz und Der Rattenfänger von Hameln. Zu diesen
frühen Realfilmen kommen die ersten Silhouetten- und Sche-
renschnittmärchenfilme Lotte Reinigers, die von 1923 bis 1926
den ersten abendfüllenden Trickfilm produziert: Die Abenteuer
des Prinzen Achmed.

1. Frühes Kinderkino
Der Film entwickelt sich noch in der Stummfilmzeit zu einem
wichtigen wirtschaftlichen Faktor, zum Massenmedium. Die
Märchenfilme werden in den Kindervorstellungen zwar ange-
nommen, decken aber nur einen Bruchteil des Angebotes ab.
Kinderkino besteht bald vorrangig aus amerikanischen Unter-
haltungsproduktionen: die von der Keystone Company seit
1912 gedrehten Slapstick-Komödien, Komiker wie Chaplin
(seit 1915), Keaton, Laurel und Hardy liegen in der Gunst jun-

37
gerZuschauerweit vorn. Identifikationsangebote liefert Holly-
wood mit lieb-lockigen Kinderstars wie Mary Pickford (seit
1909), später Jacky Coogan. Standardisierte Serienunterhal-
tung, Cowboyfilme, Serials mit Tom Mix oder dem Hund Rin
Tin Tin locken später die Kinder in Scharen in die Vorstadtki-
nos: »Ein muffiger, enger Raum. Trotzdem draußen die Sonne
scheint, ist er überfüllt. Das Publikum besteht aus ca. 200 Kin-
dern und drei Erwachsenen . . . Gespielt wird ein Film von
Cowboys und entsetzlich wilden Pferden. Und bis zur Selbst-
aufgabe gehen die Kinder mit. Sie schreien nicht nur und toben,
als wären sie selbst die Verfolgten, sondern sie springen von
ihren Sitzen auf; bei besonders packenden Szenen fuchteln
sie mit Händen und allem Erreichbaren in der Luft herum.«
(ARBEITERBÜHNE UND FILM 1931). Vor allem Groß-
stadtkinder suchen im Kino Unterhaltung durch Abenteuer,
Komik, Melodramtik, finden im Film Aufregungen, Ansprache
von Gefühlen, die ihnen ihre gesellschaftliche Realität nur be-
dingt bieten kann, die in der Großstadtumgebung verküm-
mern. Kinder bevorzugen dabei offenkundig (wie als Leser von
Trivialliteratur) Stoffe, die diese affektive Ansprache mit allge-
meinverständlicher Darstellung, Bestätigung von Erwartungen
verbinden. Und dies bieten mit perfekter, materiell aufwendi-
ger, gleichwohl standardisierter Produktion seit der späten
Stummfilmzeit Hollywoods Filmfabriken. Kinder undJugend-
liche als frei entscheidendes Kinopublikum orientieren sich am
jeweiligen Stand des Hollywoodfilms, geben dem amerikani-
schen Massenfilm den Vorzug, seitdem die amerikanische Film-
industrie ihre Vormachtstellung innehat (nicht erst seit den
1980er Jahren).
»Antischundkämpfer«, Lehrer und Politiker mit tradiertem
bildungsbürgerlichen Werte- und Kulturkanon reagieren mit
Angst und Unverständnis auf die vom neuen Medium ausge-
hende Faszination, sehen die bei jungen Menschen »naturge-
mäß vorhandene Abenteuerlust ... durch den Kriminalfilm in
ungesunde Bahnen gelenkt«, durch das Medium Film also »die
innere Bereitschaft zu strafbaren Handlungen« gefördert, »das
sexuelle Begehren geweckt oder gesteigert«, und: »Besonders
verhängnisvoll wirkt sich der erotische Film im Leben der weib-
lichen Jugend aus.« (Funk, 1934) Die »Laufbilder« für Kinder
sollen »charakterbildende Werte« vermitteln. Man fordert den
»moralisch sauberen« deutschen Märchenfilm, versteht darun-
ter die Inszenierung vorindustrieller Idyllen sowie die Vermitt-
lung eines autoritären, konservativen Weltbildes. So beginnt

38
Ende der 20er Jahre in Deutschland in nennenswertem Um-
fange erstmals die Produktion intentionaler Kinderfilme, meist
nach Märchen der Gehrüder Grimm, pädagogisch überarbeitet:
»gute Könige sollen an die Macht kommen, gute Frauen sollen
fleißig, ehrlich, opferbereit sein und auf den schönen, treuen
Prinzen warten, bis sie gerettet werden.« Gack Zipes, in:
Schneider, 1982) Die Produktionsfirmen von Alf Zengerling
(1928-1940), den Gehrüdem Diehl (seit 1928 - bekannt u.a.
durch die Igel-Figur Mecki, später Redaktionsmaskottchen von
HÖR ZU) und Hubert Schonger drehen zahlreiche Märchen-
streifen, meist Scherenschnitt und Puppentrick, die allerdings
kaum ins Kino kommen, sondern als »Unterrichtsfilme« über
staatliche Bildstellen vertrieben werden. Die Nationalsoziali-
sten fördern dieses, ihnen politisch unverdächtige >Märchen-
filmschaffen< wohlwollend. Analog zur Erwachsenenfilmpro-
duktion des 3. Reiches mit scheinbar unpolitischer, alltagsfer-
ner Unterhaltung entsteht eine vergleichsweise umfangreiche
Märchenfilmproduktion, die Kindern bis 1945 eine heile, har-
monische Welt darbietet, in die allenfalls ein (roter) Fuchs ein-
brechen will, den die Tiere dann in einem gemeinsamen Ab-
wehrkampf vertreiben (»Bienen- und Hornissengeschwader«
kommen wie >Sturzkampfflieger< angebraust), so in dem farbi-
gen Zeichentrickfilm Der Störenfried (1940, von Hans Held).
Im Bereich des Zeichentrickfilms erreichen einzelne »Märchen-
phantasien« (Zeichner Hans Fischer-Koesen) den grotesken
Witz und die technische Perfektion von Disney-Produktionen.
In den deutschen Kinos laufen in der Weimarer Zeit nur we-
nige Langfilme für Kinder, maßvoll realistisch inszenierte Kin-
dergruppenabenteuer: Die Räuberbande (1928, nach Leonhard
Frank) und Der Kampf der Tertia (1929, nach Wilhelm Speyer).
Einziger Kassenerfolg, gleichzeitig erster »Klassiker« des
deutschsprachigen Kinderfilms ist Gerhard Lamprechts Verfil-
mung von Emil und die Detektive (1931 ), die sich eng an Käst-
ners Buchvorlage hält, die Widerspiegelung von Großstadtrea-
lität mit kindgemäßem Abenteuer verbindet, sich an Erzählmit-
teln des Hollywoodkinos orientiert, gleichzeitig aber Kinder als
Akteure und Zuschauer ernst nimmt.
Für die Nationalsozialisten ist der Film zwar zentrales Me-
dium zur Massenbeeinflussung, die Kinderfilmproduktion
bleibt aber weitgehend auf Märchen für den Bildungsbereich
beschränkt, ergänzt um einige propagandistische Jugendfilme,
Hitlerjunge Quex (1933) oder Junge Adler (1944, Buch: Herbett
Reinecker und Alfred Weidenmann): »Hier verdichten sich ...

39
die wichtigsten Themen der HJ-Erziehung, nämlich die Anpas-
sung des einzelnen ... an die Gemeinschaft der Hitlerjugend
und Identifikation . . . mit der Volksgemeinschaft und ihrem
Führern.« (MEDIUM 3/1988) Wichtiger als eigene intentionale
Kinderproduktionen ist für das 3. Reich die Organisation von
»Jugendfilmstunden«, um Kinder undJugendliche an den Film
(einschließlich des »jugendfreien« Erwachsenenfilms) heranzu-
führen und dadurch mit für den Kriegseinsatz zu mobilisieren:
in der Spielzeit 1937/38 gibt es 3.500 Veranstaltungen, 1942/43
über 43.000 mit mehr als 11 Millionen jungen Zuschauern.

2. Kinderkino in der Nachkriegszeit

Der deutsche Kinderfilm hat sich somit bis zur Mitte des 20.
Jahrhunderts als eigenständige Gattung konstituiert, wird aber
über Jahrzehnte gleichgesetzt mit dem - und somit einge-
schränkt auf den- Märchenfilm. Diese Tendenz setzt sich nach
Kriegsende, nach Gründung der Bundesrepublik fort. Einer re-
staurativen Gesellschaftspolitik entspricht eine konservativ-
idyllische Filmproduktion. Dem Heimatfilmboom für die Er-
wachsenen entspricht eine boomende Märchenfilmproduktion
für die Kinder, die ab 1950 überwiegend von den Produktions-
und Verleihfirmen vorangetrieben wird, die im 3. Reich markt-
führend waren. Schonger wie Fritz Genschow drehen jetzt mit
Schauspielern Märchenfilme, die bürgerlich-konservative Nor-
men und Leitbilder setzen, der Nachkriegsrealität mit ihren
Zerstörungen verkitscht-idyllische Natur entgegenhalten, die
die Grimmsehen Vorlagen entstellen. »Ein paar Abänderungen
der Originalhandlungen wird man . . . aus dramaturgischen
Gründen noch verzeihen, nicht aber den Wust von eingescho-
benem Füllwerk, bei dem Genschow seinem Hang nach an-
sehnlichen Kindergeburtstagen allzu sehr freien Lauf ließ.«
(EVAN GELlSCHER FILMBEOBACHTER, 1956, über
Dornröschen)
Die westdeutsche Kinoindustrie blüht in den frühen SOer Jah-
ren auf, 1955 entstehen 11 Kinderfilme (fast 10% der damaligen
Spielfilmproduktion), obwohl schon damals den meisten Film-
produzenten das Risiko als zu hoch erscheint: bei einem durch-
schnittlichen Spielfilm rechnet man (damals wie heute) mit einer
Zeit von ein bis zwei Jahren, bis sich die Herstellungskosten
amortisiert haben, bei einem Kinderfilm mit vier bis acht Jah-

40
ren. Realitätsnähere Themen als das Volksmärchen werden nur
im Ausnahmefall inszeniert: Kästners Pünktchen und Anton
(1953) und Das fliegende Klassenzimmer (1954), an denen- zu-
mindest aus heutiger Sicht- eine übermäßige Tendenz zu sozia-
ler Harmonisierung auffällt.
Kinder sind aber insgesamt als Zielgruppe wirtschaftlich in-
teressant, für sie wie für die Erwachsenen ist in der Medienland-
schaft jener Jahre der Film am attraktivsten: »Kino, Märchen-
film und ein großes Kinderpublikum gehörten in der Großstadt
und selbst in den Kleinstädten zusammen. Für viele Kinder war
das Kino ein sozialer und kultureller Ort, in dem sie in Beglei-
tung der Eltern oder Verwandten vorwiegend am Sonntag Mär-
chenfilme in feierlicher und andächtiger Stimmung, aber auch
mit Vergnügen erlebten.« (Kommer, 1985)
Den sich wiederholenden Rotkäppchenvedilmungen (1942
von Genschow, 1948 Schonger, 1953 Genschow, 1954 Schon-
ger) mit Volkslied trällernden Kinderchören entziehen sich äl-
tere Kinder zeitig, nehmen als zeitnäheren Märchenersatz des
Kinos serienhafte Western mitFuzzy oder Zorro. Mitte der 50er
Jahre liegt das Durchschnittsalter der Märchenfilmbesucher un-
ter sechs Jahren. Für den Märchenfilm und damit den intentio-
nalen Kindedilm der BRD bedeutet es daher auf etliche Jahre
das Ende, als 1957 das »Gesetz zum Schutze der Jugend« novel-
liert wird und Kindern unter sechs Jahren den Besuch von Film-
theatern grundsätzlich- auch in Begleitung Erziehungsberech-
tigter- untersagt.
Für die älteren Kinder bieten Kinos weiterhin Kindervorstel-
lungen zu niedrigerem Preis, meist sonntagsvormittags und
nachmittags, zeigen vorrangig amerikanische Unterhaltung, die
in der Erwachsenenvorstellungen vor Jahren oder Jahrzehnten
ihr Geld eingespielt hat: Komisches mit Chaplin, Dick und
Doof, Abenteuer, die kindlichen Wünschen nach Action, nach
der Bestrafung von Bösem, Belohnung von Gutem entgegen-
kommen, Tarzan und Robin Hood, Western und Piratenfilme.
Der Antischundkampf deutscher Schulmeister hat sich wieder
einmal gegen die zu Schützenden gerichtet, da die Produktion
von Kinderfilmen unrentabel geworden ist und selbst Kinder-
filmimporte, schwedische Lindgren-Vedilmungen (Ferien auf
Saltokran, 1964), nur dann gezeigt werden, wenn zu erwarten
steht, daß sie die gesamte Familie ins Kino locken. Der absolute
Niedergang des Kindedilms, doch auch sein späterer-verhalte-
ner- Aufschwung in den 70er Jahren, hängen eng zusammen
mit der Entwicklung des Fernsehens, das seit 1956 ein tägliches,

41
zunächst einstündiges Kinderprogramm sendet. 1958 stehen in
bundesdeutschen Haushalten über zwei Millionen TV-Geräte.
Zuschauerinteressen verlagern sich auf das neue, immer leichter
verfügbare audiovisuelle Medium. Dem seit Ende der 50er Jahre
offenkundigen »Kinosterben« versucht die Filmindustrie Ein-
halt zu gebieten mit aufwendig produzierten Unterhaltungsfil-
men »für die ganze Familie«: Karl May- und Edgar Wallace-,
Lümmel- und Paukerfilme füllen zwar in den 60er Jahren die
Kinos, weil sie schlicht, infantil genug für die Kleinsten erzäh-
len, aber zur Lebenswelt und den tatsächlichen Problemen von
Kindern haben sie kaum einen Bezug. Der »moralisch saubere«,
unterhaltende Familienfilm, zu dessen Protagonisten in den
USA vor allem die Walt Disney Company gehört (Der fliegende
Pauker, Pongo und Perdita, 1961; Das Dschungelbuch, 1967;
Ein toller Käfer, 1969) entwickelt sich zum tatsächlichen Kin-
derfilm dieses Jahrzehnts (und propagiert die moralischen
Wertvorstellungen der amerikanischen Mittelschicht).
Um die Gattung durch staatliche Zuwendung zu fördern,
stiftet das Bundesminsterium für Jugend und Familie einen Kin-
derfilmpreis, doch dieser ist - mangels auszeichnungswürdiger
Produktionen- praktisch nicht zu verleihen, wird deshalb 1970
abgeschafft.
Als Reaktion auf die Kinokrise verabschieden jüngere Filme-
macher 1962 das »Oberhausener Manifest« (»Opas Kino ist tot
-Es lebe der neue deutsche Film!«), begründen mit zeitkriti-
schen und Autorenfilmen den »jungen deutschen Film«, haben
aber aufJahreüberhaupt kein Interesse am Kinder- und Jugend-
film.
Ersatz für den intentionalen Kinderfilm bietet das Fernsehen,
das im Verlauf der 60er Jahre in fast allen bundesdeutschen
Haushalten präsent ist, neben betulichen Eigenproduktionen
jetzt US-amerikanische Serienimporte ausstrahlt, Fury, Lassie,
die kindliche Wünsche nach Action und Humor leidlich befrie-
digen.
Das Fernsehen reagiert zudem auf gesamtgesellschaftliche
Entwicklungen: In der zweiten Hälfte der 60er Jahre werden im
Zusammenhang mit außerparlamentarischer Opposition und
Studentenbewegung tradierte Normen und Erziehungsideale
fragwürdig, werden antiautoritäre und emanzipatorische Erzie-
hungskonzepte diskutiert. Fernsehanstalten beginnen Kinder
als Zuschauer ernst zu nehmen, produzieren seit 1970 realisti-
schere Kinderunterhaltung und engagierte Vorschulpro-
gramme, übernehmen aus osteuropäischen Ländern und Eng-

42
land anspruchsvollere Kinderfilme. Aus dem Material einer
13teiligen Pippi Langstrumpf-Fernsehserie (deutsch-schwedi-
sche Koproduktion 1968/69) entstehen anschließend zwei Kin-
dedilme, die erstmals wieder Kinder »scharenweise« ins Kino
holen.

3. Neuer deutscher Kinderfilm


1972 wendet sich dann mit Hark Bohm- bis dahin als Mitarbei-
ter von Alexander Kluge und Kurzfilmer kaum bekannt- nach
15 Jahren ein erster bundesdeutscher Filmemacher wieder dem
Kindedilm zu, allerdings mit dem Selbstverständnis, eigentlich
keine Kindedilme machen zu wollen: »Für Kinder kann der
Kindedilm schon vom Namen her nicht interessant sein, denn
in unserer Gesellschaft haben sie nur ein Ziel: erwachsen zu
werden. Kinder gelten ja nichts.« (1975) Bohms erster Film,
Tschetan, der Indianerjunge (1972), spielt zwar im amerikani-
schen Westen, zu der Zeit, als die Indianer schon fast ausgerot-
tet sind, und erzählt die Geschichte eines Indianerjungen, der
als vermeintlicher Viehdieb gehängt werden soll, von einem
Schäfer befreit wird und mit ihm in die Berge zieht. Eigentliches
Thema ist aber die sich entwikelnde Beziehung des Jungen zu
dem Erwachsenen, das zähe »Ringen der beiden um persönliche
Freiheit und Selbstverständnis, das in gegenseitiger Anerken-
nung und Freundschaft mündet.« (Lukasz-Aden/Strobel)
Bohm, der selbst zwei Pflegesöhne hat, will damit keinesfalls
eine intentionale Kindergeschichte erzählen: »Ich finde meine
Identität ... voll in dieser Arbeit. Ich setze mich da mit Dingen
auseinander, die ich erleide, die mich beschäftigen. Es sind Ki-
nofilme ... keine Kindedilme«. (1978; vgl. Schneider, 1982)
Dank des Kinoedolges von Tschetan kann Bohm die näch-
sten beiden Filme im Auftrag und mit Mitteln des Fernsehens
produzieren: Ich kann auch >ne Arche bauen (1973), ein alltags-
nahes Kinderabenteuer in einem verlassenen Haus, und Wir
pfeifen auf den Gurkenkönig (1974, nach dem gleichnamigen
Roman von Christine Nöstlinger), über Alltagsprobleme von
Kindern, mit heiter-phantastischen Elementen. Bohms Er-
folge, auch Anerkennung durch die Kritik, liegen darin begrün-
det, daß er Kinder (mit ihren Problemen wie als Zuschauer)
ernst nimmt und mit den daramturgischen Mitteln des Erwach-
senenfilms inszeniert.

43
Die im Verlauf der 70er Jahre in der BRD entstehende Kin-
derfilmproduktion wird durch Koproduktionen mit Fernseh-
anstalten begünstigt: die Teilfinanzierung durch einen Sender,
der nach Fertigstellung zugunsten einer Kinoauswertung zwei
bis drei Jahre auf die Ausstrahlung verzichtet, ermöglicht über-
haupt erst die Produktion. Für die Entwicklung des eigenstän-
digen, realistischen, emanzipatorischen Kinderfilms sind aber
auch die Eigenproduktionen des Fernsehens von Belang, die
erst anschließend in die Kinos gelangen, wie Die Vorstadtkro-
kodile (1977, Regie: Wolfgang Becker, nach Maxvon der Grüns
Kinderbuch), ein politisch ambitioniertes Plädoyer für den Ab-
bau von Vorurteilen gegenüber Behinderten, als Bewährungs-
und Kriminalgeschichte inszeniert. Wirtschaftlichen Erfolg,
hohe Zuschauerzahlen bringen nur einzelne konventionell ab-
gedrehte Filme, mit Slapstick-Komik und bekannten Darstel-
lern Räuber Hotzenplatz (1974, Regie: Gustav Ehmck, nach
Otfried Preußler, mit Gert Fröbe in der Titelrolle) und die Fort-
setzung Neues vom Räuber Hotzenplatz (1979). Der politisch
ambitionierte, teils auch künstlerisch anspruchsvolle Kinder-
film hat es trotz wohlwollender Kritiken und erster Achtungs-
erfolge schwer, sich im Kino zu behaupten, sich gegen die Kon-
kurrenz gängiger Unterhaltungsware durchzusetzen.
Für die normalen Erstaufführungskinos sind allein die aktu-
ellen Erwachsenen-, gegebenenfalls Familienfilme rentabel, so
daß der Kinderfilm in der BRD- bis heute- zusätzlicher Förde-
rungsmaßnahmen bedarf: 1977 wird zu diesem Zweck das
>>Kinder- und Jugendfilmzentrum in der Bundesrepublik
Deutschland« in Remscheid gegründet, das insbesondere für
die nichtkommerzielle Kinderfilmarbeit zentrale Anregungen
bieten soll. So gelangt der neue Kinderfilm in den 70er und 80er
Jahren vielfach erst über nichtkommerzielle Abspielstätten,
Jugendzentren, schulische und kirchliche Einrichtungen, kom-
munale Kinos und Kinderkinoinitiativen an sein Publikum. Die
Distribution von Filmen für ein jugendliches Publikum ist bis
heute dadurch erschwert, daß in der BRD für den Kinderfilm
kein zentraler oder darauf spezialisierter kommerziellerVerleih
existiert.
Bei der staatlichen Förderung, durch das 1979 novellierte
Filmförderungsgesetz wie durch Landesmittel, ist der Kinder-
film in der BRD mehrfach benachteiligt: Förderung ist vor al-
lem für >>programmfüllende<< Filme vorgesehen, darunter ver-
steht der Gesetzgeber bei normalen Kinofilmen, daß er »eine
Vorführdauer von mindestens 79 Minuten, bei Kinder- und

44
Jugendfilmen von 59 Minuten« hat. Kurzfilme, die für die ko-
gnitiven Fähigkeiten und das Durchhaltevermögen von Kin-
dern im Vor- und Grundschulalter angemessen wären, erhalten
in der Praxis danach so gut wie keine Fördermittel, Kinderfilm-
macher produzieren, um wenigstens teilweise Förderung zu er-
halten, deshalb meist zu lange Kinderfilme, versuchen sogar,
den Film als >normalen Erwachsenenfilm< mit 80 Minuten
Länge oder mehr abzudrehen, um höchstmögliche Fördermit-
tel zu bekommen. Die Filmförderung ist zudem überwiegend
als >>Referenzförderung<< angelegt, nur wer bereits einen halb-
wegs erfolgreichen Film produziert hat, erhält Mittel.
Mit geringer staatlicher Unterstützung also, teilweise in Zu-
sammenarbeit mit Fernsehanstalten, gelegentlich als selbstfi-
nanzierte low-budget-Produktion (z. B. Novemberkatzen von
Sigrun Koeppe, 1986, nach Mirjam Pressier) oder als aufwendig
ausgestatteter Kommerzfilm (Die unendliche Geschichte von
Wolfgang Petersen, 1984, nach Michael Ende) entstehen so bis
zum Beginn der 90er in der BRD jährlich etwa drei Spielfilme
für das Kinderkino (wenig im Vergleich zur DDR, wo die staat-
liche DEFA seit den 50er Jahren eine eigene Kinder- und Mär-
chenfilmtradition entwickelt und acht bis zehn Eigenproduk-
tionen finanziert erhält).

4. Genres, Themen und Motive des zeitgenössischen


Kinderfilms
Von den Themen und Darstellungsweisen her ergeben sich für
den neueren bundesdeutschen Kinderfilm übergreifende Ge-
meinsamkeiten. Die zahlenmäßig größte, anfänglich dominie-
rende Gruppe bilden realistisch-sozialkritische Kinderfilme,
die Emanzipation und kritisches Bewußtsein jugendlicher
Zuschauer fördern wollen, in denen sich die Poesie häufiger
pädagogischer Ambition unterordnet: Der rote Strumpf, 1980,
von Wolfgang Turnier (Buch: Elfie Donnelly), eine
Außenseitergeschichte, in der ein kleines Mädchen eine selt-
same alte Frau mit nach Hause bringt; Der Zappler, 1982, von
Wolfgang Deutschmann, die Geschichte eines spastisch ge-
lähmten Zwölfjährigen (nach Motiven von Ernst Klee); Güli-
bik, 1983, die von Jürgen Haase sehr ruhig inszenierten All-
tagerlebnisse eines Jungen mit seinem Hahn in Zentralanato-
lien.

45
Eine zweite Gruppe bilden zeitgeschichtliche Kinderfilme,
die die jüngere deutsche Vergangenheit kindgemäß aufbereiten,
meist mit antifaschistischem Engagement erklären: Stern ohne
Himmel, von Ottokar Runze (1980, nach Leonie Ossowskis
Jugendroman), gestaltet Kriegsende und Judenverfolgung aus
dem Blickwinkel von Halbwüchsigen; in Peppermint Frieden
inszeniert die Filmemacherio Marianne Rosenbaum detailfreu-
dig - autobiographisch - Nachkriegskinderleben mit bayeri-
schen Provinzmuff und amerikanischen Besatzern. Die Kinder
aus Nr. 67, 1979, zeigt die Auswirkungen der faschistischen
Machtübernahme auf die Kinder eines Berliner Hinterhauses
(nach dem gleichnamigen Jugendbuchzyklus von Lisa Tetzner),
gemeinsame Regie von Usch Barthelmeß-Weller und Werner
Meyer: »Wir haben versucht, den Film so aufzubauen, daß sich
immer ein Handlungsstrang ergibt, der die Jüngeren durch den
Film führt und sie mit Spaß und Spannung am Leben von Er-
win, Paul und den Kindern aus No. 67 teilhaben läßt. Es sind
aber ... auch all die Informationen enthalten, die durch genaue
Rekonstruktion der Zeit sichtbar werden, auch wenn sie von
denJüngeren noch nicht erfaßt werden können.« (ZDF Presse-
material, 1988)
Unter Beibehaltung eines emanzipatorischen Ansatzes versu-
chen parabelhaft-phantastische Kinderfilme den »pädagogi-
schen Zeigefinger« zugunsten von mehr Phantasie und Unter-
haltsamkeit zurückzunehmen, so Claudia Schröders kurzwei-
lige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Erziehungs-
und Gesellschaftskonzepten in Konrad aus der Konserven-
büchse, 1982 (nach Christine Nöstlinger), in der sich Science
Fiction-Elemente mit realistisch inszenierten und karrikatur-
haft überzeichneten Sequenzen verbinden.
Eine neue Qualität hat das Kinderkino in den letzten Jahren
durch den realistisch-abenteuerlichen Kinderfilm gewonnen,
besonders durch Arend Aghtes Arbeiten. In seinem ersten Ki-
nofilm Flußfahrt mit Huhn (1983, später zu mehrteiliger Fern-
sehfassung erweitert) erzählt er vom Mädchen Johanna, das
seine Ferien beim Großvater und dem gleichaltrigen Vetter Ro-
bert im Weserbergland verbringt. Um einen >>Unerforschten
Zugang zum Meer« zu finden, machen sich die beiden Kinder
nachts mit zwei Freunden und dem Huhn Gonzo als Talisman
auf den Weg, sie nehmen unerlaubt Großvaters Ruderboot und
fahren weserabwärts. Der Großvater will die Kinder selbst stel-
len und zurückbringen, nimmt im geliehenen Kanu die Verfol-
gung auf. Es beginnt eine abwechslungsreiche, mehrtägige Ver-

46
folgungsjagd auf dem Fluß, bei der die Kinder ihren Opa mehr-
fach überlisten, ihm gar sein Boot abnehmen können, auf der
aber schließlich das gegenseitige Verständnis zwischen den Ge-
nerationen, zwischen Großvater und Kindern wächst. Der Film
enthält Spannungshöhepunkte, gefährliche Situationen auf dem
großen Fluß wie am Ufer, ist aber insgesamt ruhig erzählt, mit
langen Kameraeinstellungen, ruhigen Schwenks, Landschaften
in der Totale. Der Film knüpft an kindliche Wunschvorstellun-
gen an, ohne junge Zuschauer realitätsfremde Traumwelten zu
entführen.
In der neueren Produktion, Der Sommer des Falken (1988),
orientiert sich Aghte stärker an Dramaturgie und Topoi des
Hollywoodkinos: Vor dem Hintergrund der Tiroler Bergwelt
begegnen sich ein Bauernmädchen, ein punkiger Großstadt-
junge, der mit dem Vater Urlaub macht, ein biederer BottroP.er
Brieftaubenzüchter, und ein Gangster, der Falkennester für 01-
scheichs ausräubert. Der Regisseur verbindet organisch ver-
schiedenartige Genres, Erzählweisen: Heimat-, Natur-, Krimi-
nal-, Actionfilm und Komödie, Selbstfindung und erste Liebe,
Slapstick mit temporeichen Verfolgungsjagden. Bei aller Unter-
haltsamkeit ist der Film zudem »ein eindringliches Statement
zum Thema Umweltzerstörung« (FILM & FAKTEN, 1988).
Durch den Bestsellererfolg der phantastischen Kinderromane
Michael Endes animiert, bemühen sich kommerzielle Produ-
zenten in den 80er Jahren um Kinder als kaufkräftige Ziel-
gruppe. Die mit großem Trick- und Technikaufwand für 60
Millionen Mark verfilmte Unendliche Geschichte (1984, Regie:
Wolfgang Petersen) findet zwar in der BRD ein juveniles Publi-
kum, gilt aber bei Kritikern so wie Autor Ende es selbst formu-
liert: als »peinlich, jämmerlich, grauenvoll«. Die kaum minder
aufwendige Verfilmung von Momo (1986, von Johannes Schaaf)
erhält zwar wohlwollendere Kritiken, doch durch den anorga-
nischen Inszenierungsstil weniger Zuschauer, vermag weder in-
haltlich noch formal zu überzeugen: »Mama entwickelt sich
nicht, sondern ist sogleich eine schemenhafte, fiktive Traumfi-
gur, ein hübsches, artiges Wunderkind«. (KINDER- UND
JUGENDFILMKORRESPONDENZ 1986)
Kommerzielle Kinderfilmproduktionen in der BRD orientie-
ren sich ansonsten, um die ganze Familie ins Kino zu locken,
formal am Vorbild Walt Disneys, versuchen auf der Grundlage
eigener deutscher Stoffe unverbindlich zu unterhalten: durch
Kombinationsfilme, die Realfilm und Zeichentrick mischen,
MeisterEder und sein Pumuckl (1982), Hatschipub (1986 ), oder

47
durch abendfüllende Zeichentrickfilme, In der Arche ist der
Wurm drin (1988), Peterchens Mondfahrt (1990). Erfolgspro-
duzent Bernd Eiehinger versucht sich 1992 mit einer kommer-
ziellen Produktion für ältere Kinder, die durch einen jahrelang
bewährten Medienverbund (Kinderbuch-, Tonkassetten- und
TV-Serien) abgesichert ist: Ein Fall für TKKG: Drachenauge,
ein »Sauber fotografierter Kinderkrimi mit Wurfbuden-Schur-
ken« (STUTTGARTER ZEITUNG 80/1992).

5. Nutzung und Funktionen


Kinderfilme, besonders wenn sie als solche angekündigt wer-
den, bringen an den Kinokassen selten Erfolg, obwohl Kinder-
und Jugendliche seit Jahrzehnten die mit Abstand größte Kino-
besuchergruppe stellen. Ein Sonderfall ist Die unendliche Ge-
schichte, die 1984- als Fantasy-Film etikettiert- die meisten Be-
sucher in die bundesdeutschen Kinos locken kann. MeisterEder
und sein Pumuckl bringt es 1982 als erfolgreichster deutscher
Kinderfilm nur auf den 37. Rang, Die Kinder aus Nr. 67 errei-
chen 1980 mit 23.200 Zuschauern nur Rang 135. Die Zuschau-
erstatistikender letzten beiden Jahrzehnte belegen jedoch, daß
die auf den vorderen Rängen überdurchschnittlich erfolgrei-
chen Filme sich in besonderer Weise an Kinder wenden, nicht
nur von der Altersfreigabe, sondern auch von der Schlichtheit,
der Naivität des Inhaltes her: Platz 1 im Jahre 1978: Bernard
und Bianca -Die Mäusepolizei (Disney, Zeichentrick); 1979
Louis' unheimliche Begegnung mit den Außerirdischen (Komö-
die mit Louis de Funes ); 1980 Das Dschungelbuch (Walt Dis-
ney, Zeichentrick); 1983 E. T. - Der Außerirdische (märchen-
hafte SF), 1987 auf dem 1. Rang Otto- der neue Film, 1990 Ke-
vin allein zu Haus.
Die Filme mit den weltweit höchsten Einspielergebnissen
bieten ausnahmslos Stoffe und Charaktere, die sich jungen Zu-
schauern erschließen, von diesen auch oder besonders bevor-
zugt werden: E. T. (bis 1990 etwa 800 Millionen Dollar einge-
spielt), gefolgt von Krieg der Sterne, Rückkehr der ]edi-Ritter,
Das Imperium schlägt zurück, Ghostbusters, Der weiße Hai.
Neuere Umfragen zum Kinobesuch belegen übereinstim-
mend: »Die wichtigsten Eigenschaften von Kinofilmen für Kin-
der sind Spannung und Komik. Daneben spielt auch eine sensa-
tionelle Darstellung mitTricksund Special Effects für viele Kin-

48
der eine Rolle. Das Bedürfnis, in Kinofilmen die eigene alltägli-
che Lebenswelt wiederzufinden oder über die Geschichte eines
Films länger nachzudenken, ist dagegen bedeutend weniger
Kindern besonders wichtig ... das Interesse für bestimmte Ki-
nofilme wird vor allem durch Erzählungen oder Hinweise von
Schulkameraden, Freunden und Geschwistern geweckt.«
(Winklhofer)
Die Wahrnehmung von Filmen durch Kinder ist vom Stand
ihrer kognitiven Entwicklung abhängig: kleinere Kinder neh-
men bei längeren Filmdarbietungen nur ausgewählte Sequen-
zen, Details wahr, die sie »mit eigenen Erfahrungen vermi-
schen«, wobei »ganze Teile des Films ausgeschlossen bleiben«
können. »Erst bei ... acht- bis zehnjährigen Kindern« findet
sich das Vermögen zu gliedern; sie »Suchen Sinnzusammen-
hänge, stellen Kausalkontexte her, fühlen und erleben mit.«
(Vgl. Rogge)
Bei der Filmnutzung gibt es geschlechtsspezifische und sozial
bedingte Unterschiede: Jungen gehen häufiger ins Kino als
Mädchen (die dafür stärker die soziale Komponente »gemeinsa-
mer Kinobesuch« gewichten)- und selbst im neuen deutschen
Kinderfilm sind es ja vorwiegend Jungen und Männer, die
Hauptrollen spielen, in Abenteuer geraten; Kinder aus Unter-
schichtfamilien nutzen das Kino intensiver, interessieren sich
stärker für komische und actionreiche Unterhaltung (als z. B.
Akademikerkinder), finden hier vermutlich eher Möglichkei-
ten, Defizite zu kompensieren.
Den Wunsch, unserer vielfach undurchschaubar, bedrohlich
wirkenden Alltagsrealität etwas Angenehmeres entgegenzuset-
zen, haben Kinder und Erwachsene gemeinsam. Diese genera-
tionsübergreifenden Wünsche nach einer besseren, einer heilen,
irgendwie märchenhaften, aber dennoch modernen, komforta-
blen Welt nehmen derzeit Hollywoods Filmemacher, allen
voran Steven Spielberg und George Lucas, mit populären Fil-
men auf, die gleichermaßen Kinder- und Erwachsenenfilme
sind. Spielberg verzahnt effektvoll, grandios Erwachsenenwelt
mit (nicht nur seinen) Kinderphantasien, nimmt im neuesten
Film J. M. Barries Peter Pan-Mythos auf: »Ich habe immer Pe-
ter Pan sein wollen. Ich bin noch immer Peter Pan, auch wenn
ich älter geworden bin.« (epd FILM 4/1992) Daß er als Regis-
seur und Produzent zum »mit Abstand erfolgreichsten Filme-
macher aller Kinozeiten« geworden ist (E. T., Roger Rabbit,
Gremlins, Zurück in die Zukunft, die Indiana]ones-Trilogie),
liegt sicher mit am Produktionsaufwand, an der Perfektion,

49
aber vor allem am Gespür für die generationsübergreifenden,
kollektiven Bedürfnisse, Hoffnungen. »Für mich ist ein Film
dann gelungen, wenn ich seinen Helden zutiefst beneide. Wenn
ich weiß, daß ich im wirklichen Leben nie das erreichen kann,
was mein Protagonist erlebt.« (Spielberg, in: ZEITMAGAZIN
1990)

Literatur

Handbücher/Filmografien
Institut Jugend Film Fernsehen/Gemeinschaftswerk der Evangel. Pu-
blizistik (Hg.): Spielfilmliste 91/92. Empfehlenswerte Spiel- und Do-
kumentarfilme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, München,
Frankfurt 1991.
Lukasz-Aden, Gudrun und Christel Strobel: Der Kinderfilm von Abis
Z, München 1988 (Heyne Filmbibliothek 32/127).
Wolf, Steffen (Hg.): Es war einmal ... Abenteuer, Märchen, Unterhal-
tung. Prädikatisierte Filme für Kinder und Jugendliche (1951-1991 ),
Wiesbaden 1991.

zur Kinderfilmgeschichte
Erber-Groiß, Margarete: Unterhaltung und Erziehung. Studien zur So-
ziologie und Geschichte des Kinder- undJugendfilms, Frankfurt u. a.
1989 (Europäische Hochschulschriften 30).
Jugendfilm im Nationalsozialismus. Dokumentation und Kommentar.
Komm. von Hartmut Reese, Münster 1984 (Geschichte der Ju-
gend 7).
Koch, Friedrich: Schule im Kino. Autorität und Erziehung. Vom
>Blauen Engel< bis zur >Feuerzangenbowle<, Weinheim, Basel1987.
Silhouettenfilme von Lotte Reiniger bei der Landesmedienstelle Han-
nover, hg. vom Niedersächsischen Landesverwaltungsamt, Hanno-
ver o.J. (ca. 1986).
Wolf, Steffen: Kinderfilm in Europa, München-Pullach, Berlin 1969.

zum Filmmarkt BRD


Kluth, Theda und Ulrike Filgers: Dem Kinderfilm eine Chance. Kin-
derfilmarbeiter trafen sich im KJF., Remscheid 1982.
Sigl, Klaus u.a.: Jede Menge Kohle? Kunst und Kommerz auf dem
deutschen Filmmarkt der Nachkriegszeit, München 1986.
Wolf, Steffen (Hg.): Filmförderung oder Zensur? Von >Der dritte
Mann< bis >Ütto- der Film<. Gedanken zum Film, zur Filmbewer-
tung und zur Filmförderung, Ebersberg 1986.

50
zum Kinderfilm in der BRD
Kahrmann, Klaus-Ove und Ulrich Ehlers (Hg.): Mädchenbilder im
skandinavischen und deutschen Kinder- und Jugendfilm, Sehecrs-
berg 1988.
Schneider, Wolfgang (Hg.): Aufbruch zum neuen bundesdeutschen
Kinderfilm, Hardebek 1982 (Beiheft zum Bulletinjugend +Literatur
18).
Strobel, Hans: Der neue deutsche Kinderfilm. Kinderfilme in der Bun-
desrepublik Deutschland 1970-1989. Eine Bestandsaufnahme, Mün-
chen 1989 (Sonderdruck der Kinder- und Jugendfilmkorrespon-
denz).
Weinmann, Christina: »Arend Agthes Abenteuerfilme für Kinder«, in:
IJM 2/1990, S. 80-86.

zum Märchenfilm
Brandt, Gabi und Elke Ried: Vom Zauberwald zur Traumfabrik. Do-
kumentation einer Fachtagung Märchen und Film, München 1987
(Sonderdruck der Kinder- und Jugendfilmkorrespondenz).
Kommer, Helmut: »Es war einmal ... und gibt sie noch! Brauchen Kin-
der Märchenfilme?«, in: Kinder- und Jugendfilmkorrespondenz
2/1985, s. 41-45.

zum Hollywoodfilm
Goldau, Antje und Hans Helmut Prinzler (Hg.): Spielberg. Filme als
Spielzeug, München 1985.
Hellriegel, Ingrid: »Die Kinder- und Familienfilme der Walt-Disney-
Company«, in: IJM 2/1990, S. 61-76.
Korte, Helmut und Werner Faulstich (Hg.): Action und Erzählkunst.
Die Filme von Steven Spielberg, Frankfurt 1987 (Fischer Tb 4476).
Manthey, Dirk (Hg.): Die Filme von Walt Disney, Harnburg 1988.
Reitberger, Reinhold: Walt Disney, Reinbek 1979 (rororo monogra-
phien226).
Street, Douglas (Ed.): Children's Novels and the Movies, New York
1983.

zu Erich Kästner-Filmen
Tornow, Ingo: Erich Kästner und der Film, München 1989.

zu Astrid Lindgren-Filmen
Lange-Fuchs, Hauke: Einfach zu sehen. Astrid Lindgren und ihre
Filme, hg. von der BAG Film, Frankfurt 1991.

51
zur Wirkung I Rezeption
Funk, Alois: Film und Jugend. Eine Untersuchung über die psychi-
schen Wirkungen des Films im Leben der Jugendlichen, München
1934.
Keilhacker, Martin u. a.: Kinder sehen Filme. Ausdruckspsychologi-
sche Studien zum Filmerleben des Kindes unter Verwendung von
Foto- und Filmaufnahmen, München o.J. (ca. 1957) (Schriftenreihe
des Wiss. Instituts für Jugendfilmfragen).
Nieding, Gerhild und Peter Ohler: »Ein kognitiver Ansatz zur kindli-
chen Filmverarbeitung: Bericht einer experimentellen Studie«, in:
Gerhard Schumm und Hans J. Wulff (Hg.): Film und Psychologie I.
Kognition-Rezeption-Perzeption, Münster 1990, S. 41- 77.
Rogge, Jan-Uwe: »>Das find< ich total spannend, eh.< Stichworte zum
Filmerleben von Kindern«, in: Grundschule 7-8/1991, S. 28-31.
Winklhofer, Ursula: »Kinder als Kinopublikum«, in: merz 6/1986,
s. 342-349.
zur Vermittlung/ Medienpädagogik
Andersen, Elke: »Ökologie und Kinderfilm. Anregungen für die spiele-
rische Nachbereitung von Filmen«, in: IJM 2/1990, S. 77-79.
Franken, Raimund und Dagmar Riekenberg (Hg.): Kino zum Anfas-
sen. Handbuch der nichtgewerblichen Filmarbeit, Frankfurt 1985.
Kommer, Helmut: Früher Film und späte Folgen. Zur Geschichte der
Film- und Fernseherziehung, Berlin 1979.
Kommer, Helmut: Filmkultur für junge Leute. Ein Filmkompendium,
Bildesheim 1989.

52
V. Kinderfunk: Vom Schnurrenerzähler zur
Geräuschkulisse

Von den elektronischen Medien unterliegt der Rundfunk in der


Zeit seines Besteheus dem stärksten Funktions- und Nutzungs-
wandel bei Kindern. 1923 beginnen in Deutschland die ersten
Sendegesellschaften mit der Ausstrahlung regelmäßiger Rund-
funksendungen, deren WOrtprogramme sich anfänglich am Me-
dium Presse orientieren. Neben aktuellen Nachrichten, Wirt-
schaft und Wetter gibt es bei der Berliner Funk-Stunde A. G. ab
Frühjahr 1924 ein feuilletonartiges Magazin, die Ullstein-
Stunde, in dem das gleichnamige Verlagshaus Information und
Unterhaltung für Frau und Familie sowie erstmals eine >>Kin-
derecke« liefert. Mit diesen >>Füllseln« beginnt der intentionale
Kinderfunk, der im gleichen Jahr noch zu einer eigenständigen
Programmsparte erweitert wird.

1. Anfangszeit des Kinderfunks


Die frühen Rundfunkmacher wollen ein >>Programm für alle«,
eine Art >>Volkshochschule« sowie unterschiedliche Formen
der (anspruchsvollen) Unterhaltung. Der Kinderfunk der
Funk-Stunde beginnt mit »niedlichen Schnurren und Ge-
schichtchen« in Reihen wie Der Funkheinzelmann oder Die
Funkprinzessin erzählt, die schnell so beliebt werden, daß sie
auch in Buchform erscheinen können (Funkheinzelmann der
Wanderbursch, 1925). Nach klassischen Märchenvorlagen und
Kasperlestücken entstehen Hörspiele, von denen manche in den
späten 20er Jahren auf den ersten Kinderschallplatten übernom-
men werden. Nach beliebten zeitgenössischen Kinderbüchern,
Doktor Dolittle, und abenteuerlicher Jugendliteratur, Karl
M~ys ~chatz_im Silbersee, läßt der Sender die ersten Hörspiel-
senen mszemeren.
Für die >>reifere Jugend<< außerhalb des Märchenalters werden
klassische Dramenstoffe als eigene Reihe (»Jugendbühne<<) an-
geboten. Schülergruppen spielen selbst >>Jugendspiele<<, so un-
ter der Leitung von Lisa Tetzner (die zudem als Märchenerzäh-
lerin in anderen Sendungen auftritt) einige bemerkenswert reali-

53
tätsnahe Stücke. Die Redakteure erkennen zwar, daß ihre Pro-
gramme unterhaltsam sein müssen, da sie ja freiwillig rezipiert
werden, erheben dennoch stärker als in anderen Rundfunkspar-
ten den Anspruch, »Erzieher der Nation« zu sein, besonders in
Reihen wie Bedeutende Männer sprechen zurJugend, Verkehrs-
wachtstunde oder allgemeinbildenden »Funkvorträgen« über
Fotografieren wie Automobilbau. Kinderkonzerte führen
junge Zuhörer in klassische Musik ein.
Parallel zu belehrenden Kinderfunkbeiträgen entstehen bei
anderen Sendem Bildungsprogramme, beim Deutschlandsen-
der erstmals 1926 als Schulfunk angekündigt, die Schule nicht
ersetzen sollen, sondern sich als »eine den Unterricht belebende
und abwechslungsreiche Beigabe« verstehen, wie sie »Lehrern
und Schülern sonst nicht zur Verfügung steht.« (MEDIEN
PRAKTISCH 4/1986) Dieses Selbstverständnis als Vertiefung,
Illustration von Unterrichtsstoffen, was unterhaltsame Aspekte
nicht ausschließt und unterschiedliche Sendeformen (Hörspiel,
Reportage, Vortrag) ermöglicht, bleibt bis in die späten 60er
Jahre für die meisten Sender gültig.
Für die richtigen Kinderfunkprogramme, die bis 1929 ihre Sen-
dungen nur »live« ausstrahlen, verfestigen sich ebenfalls Kon-
zepte, die für viele Kinderprogramme bis in die 60er Jahre hin-
ein tradiert werden: Redakteure, Erzähler, »Rundfunktanten«
bilden den Rahmen, geben eine Einführung in Geschichten, Mär-
chen, holen Kinder mit ins Studio, zum Singen, zum Basteln, mit
denen sie sich vor dem Mikrophon unterhalten, die in einem
»Lehrgespräch« stellvertretend für die kleinen Hörer Fragen stel-
len und belehrt werden (einem seit den Anfängen der intentiona-
len Kinderliteratur bekannten Strukturmodell entsprechend).
Für die Nationalsozialisten ist der Rundfunk das »allermo-
demste und ... allerwichtigste Massenbeeinflussungselement«
(Goebbels); sie bauen die gleichgeschalteten Sender aus, brin-
gen Propaganda und Unterhaltung durch die in Massen billig
produzierten Radios (»Volksempfänger«) in die deutschen Fa-
milien. Kinderfunkproduktionen orientieren sich am Volks-
märchengut (wie der Kinderfilm): »Wir spüren ... das Uralte,
Femererbte, das aus dem Märchen spricht, das Denken und
Fühlen unseres Volkes aus Jahrtausenden her.« (Max Meurer,
1939) Andere Funkbeiträge sollen kleinere Zuhörer aktivieren,
zum Mitsingen und Basteln anregen. Für ältere Kinder undJu-
gendliche gibt es nach 1933 einen »Hitlerjugend-Funk«, in dem
poltische Information und Indoktrination naturgemäß stark ge-
wichtet sind.

54
2. Kinderfunk in der Nachkriegszeit

Nach Ende des 2. Weltkrieges, als Presse- und Verlagswesen,


Kinos und Theater erst langsam wieder aufgebaut werden müs-
sen, aber Volksempfänger noch vorhanden sind, und man De-
tektorradios mit einfachen Mitteln selbst bauen kann, wird der
Rundfunk auf einige Zeit zum zentralen Medium für Kunst,
Bildung, Unterhaltung, das zudem außer einem einmaligen An-
schaffungspreis (und niedrigen Gebühren) keine Kosten verur-
sacht. So wie Erwachsene in den frühen 50er Jahren häufig am
Abend andächtig einem Rundfunkkonzert oder Hörspiel lau-
schen, so folgen Kinder nachmittags oder am frühen Abend den
für sie bestimmten Darbietungen, die Hälfte der Kinder unter
14 Jahren fast täglich. Die Popularität des Kinderfunks führt
1955/56 zur Erweiterung der Redaktionen, Ausweitung der
Programme. Bis 1960 entsteht in der BRD eine vielschichtige
Hörspielkultur (mit insgesamt 350 jährlichen Neuproduktio-
nen für jung und alt). Nach der Novellierung des Jugendschutz-
gesetzes und dem Niedergang des deutschen Märchenfilms in
der zweiten Hälfte der 50er Jahre, ist der Rundfunk zunächst
das einzige N onprint-Medium, das Kindern unter sechs Jahren
täglich ein für sie intendiertes Angebot macht (meist nachmit-
tags von 14.00 bis 14.30 Uhr).
Inhaltlich und formal knüpft der Nachkriegskinderfunk an
den Programmen der Weimarer Zeit an: statt des »Funkheinzel-
manns« erzählt nun (beim NDR) »Onkel Eduard« den Kindern
Märchen, statt der »Funkprinzessin« lädt »Onkel Tobias vom
Rias« sonntagsvormittags die »Rias-Kinder« ins Studio. Runcl-
funkonkel und -tanten, den Kindern über die Jahre vertraut,
singen und spielen mit ihnen (»Heiter sind wir, immerfroh, wir
und unsere Tante Jo«; beim HR), führen Belehrungsgespräche,
lesen Geschichten vor, geben Empfehlungen für »kleine Lese-
ratten«. Empfohlen, vorgetragen, zu Hörspielen aufbereitet
werden neben Kunst- und Volksmärchen auch Klassiker sowie
die bundesdeutsche Mainstreamkinderliteratur, idyllisierend,
harmonisierend, »innere Werte« betonend. Die zeitgenössische
Realität bleibt wie die jüngere Vergangenheit außen vor, den-
noch fördern einzelne Redakteure auch weniger konventionelle
Stoffe, produzieren Mitte der 50er Jahre skurrile Geschichten
von Josef Guggenmos oder Astrid Lindgren (mit einer >ent-
schärften< Pippi Langstrumpf>, inszenieren Otfried Preussler
und James Krüss, die neue Dimensionen von Phantasie und
Verspieltheit ins Kinderhörspiel einbringen.

55
Außer den Nachmittagsprogrammen bieten in der Nach-
kriegszeit die Rundfunkanstalten ihren jungen Hörern einen
Gute-Nacht-Gruß vor dem Zubettgehen (in der Zeit um 19
Uhr), beim SDR erzählt jahrelang der sehr populäre »Gute-
Nacht-Lied-Onkel« moralisierende Geschichten, bei anderen
Sendern ist es der Sandmann.
Mit wachsender Verbreitung des Fernsehens in den 60er Jah-
ren übernimmt dieses für die Kinder mehr und mehr bisherige
Funktionen des Funks, den Nachtgruß für die Kleinsten brin-
gen TV-Sandmännchen, für ältere Kinder bringen ihn die De-
tektive der Vorabendserien. Das Fernsehen bietet Kindern zu-
nehmend mehr und leicht verständliche, für Auge und Ohr er-
zählte Geschichten, die unaufwendiger zu rezipieren sind. US-
amerikanische Fernsehserien sind zudem aktionsreicher als be-
tuliche Kinderhörspiele. Der Kinderfunk verliert seine Zuhö-
rer, erreicht nur noch die Allerjüngsten, die Redakteure machen
aber vielerorts unbeirrt weiter. Eine »Hörmüdigkeit« erfaßt
Ende der 60er Jahre nicht nur das jugendliche, sondern die
Mehrheit des Gesamtpublikums. Das »Dampfradio« bekommt
das Image eines veralteten, nicht mehr zeitgemäßen Mediums.

3. Neue Tendenzen im Kinderfunk


Die öffentlich geführten Diskussionen über neue Erziehungs-
konzepte, antiautoritäre oder emanzipatorische Pädagogik,
über Vorschulerziehung haben Ende der 60er Jahre zwar Aus-
wirkungen auf das Kinderfernsehen, auf den Schulfunk, aber
kaum auf die Kinderfunkredaktionen. Festangestellte Funkmit-
arbeiter nehmen diese neuen Impulse erst zeitverzögert zu Be-
ginn der 70er Jahre auf, als sich das Desinteresse der Mehrheit
der Kinder an den für sie bestimmten Beiträgen verfestigt hat.
Einzelne Sender bemühen sich seitdem nachhaltig um die Zu-
sammenarbeit mit fortschrittlichen Pädagogen, mit Vorschul-
einrichtungen, um Mitansprache der Eltern, um ein neues
Selbstverständnis: »Mit jeder einzelnen Sendung wird versucht,
sich auf eine bestimmte Entwicklungsphase des Kindes einzu-
stellen und nebenher ein Modell für den Umgang mit Kindern
anzubieten, denn niemandem fällt es so schwer wie den Eltern,
den neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, die nicht die ih-
rer eigenen Kindheit sind.« (Rose Marie Schwerin, NDR, 1973)

56
Als erster Sender strahlt der SDR ab 1973 (bis 1991) mehrmals
wöchentlich ein Vorschulprogramm aus, Der Grüne Punkt, das
sich - auch formal zweigeteilt - einerseits an Eltern und ande-
rerseits an Kinder im Vorschulalter wendet. Mit Kurzhörspie-
len (die bekannte Kinderbuchautoren verfassen) geht es der Re-
daktion darum, daß Kinder lernen, »Verständnis zu entwickeln
für bestimmte Verhaltensweisen von Eltern und Geschwistern,
von anderen Kindern und Erwachsenen ... ihre eigene Mei-
nung zu vertreten und sich aktiv mit Konflikten auseinanderzu-
setzen.« (b:e 1973) Auch andere Sender bemühen sich um Kin-
der und Jugendliche mit neuen, wirklichkeitsnäheren Sendun-
gen, der WDR verbindet in Rotlicht unterschiedliche Pro-
grammformen, Information und Unterhaltung, Musik und
Wort für ältere Kinder; der HR versucht zeitweise sogar, Zehn-
bis Vierzehnjährige mit einer eigenen Reihe über Politik zu in-
formieren, Für junge Hörer: Politik im Gespräch.
Das Kinderhörspiellöst sich in den 70er Jahren von der auf
»innerliches Erleben« ausgerichteten Nachkriegshörspielkul-
tur, orientiert sich mit Verspätung an den Entwicklungen inner-
halb der Kinder- undJugendliteratur, gewichtet phantasievolle
Unterhaltung neu, entdeckt soziale Themen. Bei einigen Sen-
dern dominieren Alltags- und Umweltgeschichten das Kinder-
hörspiel bis heute. Mehr namhafte bundesdeutsche Kinder-
buchautoren schreiben Hörspiele, nutzen das Medium zum
künstlerischen Experimentieren, entwickeln seine Möglichkei-
ten weiter. Allerdings tragen nur wenige Redaktionen über die
Jahre kontinuierlich zur Entwicklung der Kinderhörspielkultur
bei: Radio Bremen, RIAS und SFB (deren Hörspielproduktio-
nen auch das Grundmaterial für die anspruchsvollen Kinder-
tonträgerreihen liefern).
Neue Wege für das bundesdeutsche Kinderhörspiel begeht
als eine der ersten Charlotte Niemann (Regisseurin, Autorio
und Bearbeiterin), meist mit Produktionen für Radio Bremen.
In Der Schuhu und die fliegende Prinzessin, einem Kunstmär-
chen nach Peter Hacks (DDR), erreicht sie 1968 kaum einen
großen Kreis von jungen Hörern: Der weise, von Menschen ge-
borene Schuhu verliebt sich in die fliegende Prinzessin; bis sie
aber heiraten können, werden noch sinnlose Schlachten um
Macht und Besitz zwischen den Herrschern von Gotha und
Mesopotamien ausgetragen. Poetische Bilder, satirische An-
spielungen, Nonsens vermitteln ~~e Sinnlosigkeit von Kriegen,
die Nutzlosigkeit von Besitz, die Uberflüssigkeit von Macht für
das wahre Glück. Ungewöhnlicher Sprechgesang, an Weil/Eis-

57
ler erinnernde musikalische Untermalungen und andere Ver-
fremdungen stellen Hörgewohnheiten von Kindern wie Er-
wachsenen in Frage. In Der Wind in den Weiden (drei Teile,
1976) arbeitet C. Niemanns Inszenierung über Sprecher, Dia-
log, Musik das Nostalgische, Skurrile der literarischen Vorlage
von Kenneth Grahame atmosphärisch dicht heraus: Ratte,
Dachs und Maulwurf erleben Abenteuer mit dem großspreche-
rischen, vom Autofieber befallenen Kröterich. Die gelbe Tasche
(1986, nach Lygia Bojunga-Nunes) wird von ihr als Hörspiel-
Monolog in lebendige Sprache umgesetzt, mit einfach wirken-
der Musik lockernd und akzentuierend unterlegt, von einer Er-
zählerin ausdrucksstark, intensiv vorgetragen: Das Mädchen
Rache! - in Südamerika- verpackt seine Wünsche (Junge zu
sein, erwachsen zu werden) und Schätze in eine große gelbe Ta-
sche und lernt in einigen teils phantastisch-heiteren, teils nach-
denklich stimmenden Episoden, mit seinen Wünschen umzuge-
hen, Mädchen und Kind zu sein. AchimBröger, gleichermaßen
Kinderbuch- und -hörspielautor, schreibt seit 1984 für den SFB
eine Hörspielreihe für das Vorschulalter (Regie: Uli Herzog),
die sowohl Hilfestellung, als auch Anregung und Unterhaltung
bietet: Nickel und Herr Siemon hinter der Wand. Das Mädchen
Nickola, genannt Nickel, verarbeitet seine Alltagserfahrungen
und -probleme, indem es sich mit Herrn Siemon, der hinter der
Wand neben seinem Bett wohnt, in realphantastische Welten
hineinträumt, wo es in oft komisch-grotesken Abenteuern Lö-
sungsmöglichkeiten für seine alltäglichen Probleme findet.
Seit 1980 sinkt insgesamt der Anteil von Kinderfunksendun-
gen; obwohl die Zielgruppe Kind etwa zehn Prozent der po-
tentiellen Zuhörerschaft ausmacht, halten intentionale Produk-
tionen für Kinder heute nur noch einen Anteil von weniger als
einem Prozent am Gesamtprogramm. Nur wenige Sendeanstal-
ten, insbesondere der Saarländische Rundfunk, Radio Bremen
oder Rias Berlin, versuchentrotzaller Schwierigkeiten, ein viel-
fältiges, an den Bedürfnissen unterschiedlicher Altersgruppen
orientiertes Programm zusammenzustellen, mit künstlerisch
anspruchsvollen Hörspielen, mit Features zu aktuellen Sach-
themen, kritischen Liedermachern sowie Mitwirkungs- oder
Mitgestaltungsmöglichkeiten für die jungen Hörer. Von ande-
ren werden weiterhin banale Gute-Nacht-Geschichten oder
kindertümelnde Kunstmärchen serienweise gesendet.
Im Verlaufe der 80er Jahre sind im gesamten Bundesgebiet
kommerzielle Rundfunkgesellschaften entstanden, die den
ARD-Anstalten Teile der Stammhörerschaft abnehmen müs-

58
sen, um möglichst hoheWerbeeinnahmen zu erzielen. In dieser
Konkurrenzsituation stellen auch die Öffentlich-Rechtlichen
ihre Angebote um, reduzieren immer mehr Programme auf
einen durchgängigen Musikteppich, senden den gesamten Tag
»Middle of the Road"-Musik, die ein breites Publikum an-
spricht, zumindest nicht irritiert. WOrtprogramme werden ge-
strichen, reduziert, in sehr kurze, allgemeinverständliche Infor-
mationseinheiten (zweiminütig) zerlegt; »der konsequente Ver-
zicht auf kritisches Gedankengut wird zum Credo erhoben.«
(DER SPIEGEL 45/1991) Die Komplexität der meistgehörten
Rundfunkprogramme entspricht somit den kognitiven Fähig-
keiten von Kindern. Für Minderheiten gedachte Sendungen, zu
denen auch Kinderfunk und Schulfunk zählen, überleben
- wenn überhaupt - an zeitlich ungünstigen Sendeplätzen, in
dritten und vierten Programmen, die manchmal so kulturträch-
tig und elitär wirken, daß Kinder und Jugendliche sie nicht ein-
schalten. Themen und Programme für Kinder, gar von Kindern
mitproduzierte wie bei Radio Dreiecksland, sind bei privaten
Anbietern ansonsten kaum denkbar.

4. Rundfunknutzung

Radioapparate sind in praktisch jedem Haushalt vorhanden, im


Durchschnitt drei Geräte. Fast die Hälfte aller Kinder im Alter
zwischen 5 und 15 Jahren verfügt seit 1979/80 (allein oder zu-
sammen mit Geschwistern) über einen eigenen Rundfunkemp-
fänger (der Anteil erhöht sichtrotz niedriger Hardwarepreise
nicht signifikant), das sind weniger, als einen Fernseher oder ein
Kassettenabspielgerät besitzen. Etwa die Hälfte der Kinder
wird täglich vom Rundfunk erreicht, bei der Gruppe der 12- bis
16jährigen steigt dieser Anteil erheblich an. Doch schon die
Rundfunkhörerforschung (die Kinder bis zu 14 Jahren in der
Regel fast nie berücksichtigt) in den 70er Jahren geht davon aus,
daß von den intentionalen Kinderprogrammen nur etwa ein
Prozent der Zielgruppe (3-13 Jahre) erreicht wird. Die Existenz
der Kinderprogramme ist der Zielgruppe mehrheitlich bekannt,
diese werden nicht einmal negativ beurteilt, aber sie werden
nicht gehört, sondern stattdessen die auch von den Erwachse-
nen mit Vorrang genutzten popmusikorientierten Mainstream-
Sender. Intentionaler Kinderfunk stößt gerade noch bei sehr
jungen Hörern auf nennenswertes Interesse.

59
Kinder erwarten vom Medium heute überwiegend Musik,
erst weit danach Informationen. »63 Prozent aller 9- bis 15jähri-
gen nennen Musikhörenals eine wichtige und bedeutsame Frei-
zeittätigkeit ... Musik wird erlebt ... baut ... auf spezifische
Körpererfahrungen auf, weil der Rhythmus der Musik Körper-
lichkeit spüren läßt. Kinder können sich vor allem in der Rock-
und Popmusik wiedererkennen; so kann diese Musik dazu bei-
tragen, emotionale Defizite zu kompensieren, eigene Bedürf-
nisse zu befriedigen oder kulturelle Umgangsstile auszudrük-
ken.« (Rogge, 1988)
Kinder benutzen den Rundfunk als Sekundärmedium, hören
Musik nachmittags bei den Hausaufgaben, beim Lesen von Co-
mic-Heften oder Zeitschriften, beim Spielen. Das Radio als mu-
sikalischer Hintergrund, Begleitmedium fordert keine Auf-
merksamkeit. Für ältere Kindern und stärker noch für Jugendli-
che wird »Nebenbeihören ... zur Bedingung für psychisches
Wohlbefinden, unterstützt ... emotionale Gelassenheit - die
wiederum Voraussetzung für Konzentrations- und Lernlei-
stungen ist ... Wer nicht nebenbei hört, muß das Gefühl haben,
aus der Welt gefallen zu sein.« (Baacke)
Spezifische Funktionen des Kinderfunks, Langeweile zu
überbrücken, beim Aufbau von Stimmungen oder Tagträumen
zu helfen, sind mittlerweile von anderen Medien übernommen
worden: Kindertonträger, Tonträger überhaupt machen die je-
weils favorisierten Hördarbietungen, Musik wie Hörspiel, je-
derzeit (und an jedem Ort), problemlos und beliebig (oft) ver-
fügbar. Kommerzielle Kabelprogramme mit Fernsehunterhal-
tung rund um die Uhr lassen kaum Langeweile oder Einsam-
keitsgefühle aufkommen.

Literatur

zur Kinderfunkgeschichte
Eifert, Brunhild: Die Entstehung und Entwicklung des Kinder- und Ju-
gendfunks in Deutschland von 1924 bis 1933 am Beispiel der Berliner
Funk-Stunde AG, Frankfurt 1985 (Europ. Hochschulschriften,
Reihe XL, Kommunikationswiss. u. Publizistik 3).
Holzamer, Karl: Kind und Radio, Stuttgart 1954.
Reinhardt, Christel: Der Jugendfunk. Sein Aufbau, seine Aufgaben un-
ter besonderer Berücksichtigung seines publizistischen Wirkungs-
strebens, Würzburg 1938.

60
zum Kinderfunk in der BRD
»Ernstnehmend und ernstzunehmen. Der Kinderfunk heute- ein Ge-
spräch«, in: Fundevogel92/1991, S. 13-16.
Klöckner, Klaus: »Hörfunk«, in: Grünewald/Kaminski S. 201-215.
Kraft, Heike: »Harmonie am Nierentisch. Die Kinder-Medien-Welt in
den 50er Jahren«, in: Fundevogel92/1991, S. 8-12.
Petzold, Andrea: »Heiter sind wir, immer froh. Zur Geschichte des
Kinderfunks nach 1945«, in: Fundevogel92/1991, S.4-7.
Rau, Petra: »Kinder vor dem Radiogerät«, in: Jensen/Rogge S. 120-
134.
Rogge, J an-Uwe: »Wege und Mühen zu einer Hörkultur für Kinder. Zu
den Programmen des Kinderfunks«, in: merz2/1990, S. 97-107.

zum Hörspiel
Döhl, Reinhard: Das neue Hörspiel, Darmstadt 1988 (Geschichte u.
Typologie des Hörspiels 5).
Scheffner, Horst (Hg.): Theorie des Hörspiels. Arbeitstexte für den
Unterricht, Stuttgart 1978 (RUB 9546 ).

zum Schulfunk
Dahlhof, Theo (Hg.): Schulfunk. Zur Didaktik und Methodik, Bo-
chum 1971.
»Elementare Allgemeinbildung« (Gespräch mit Klaus Klöckner), in:
medium 1/1991, S. 58-62.
Weber, Karl: »Musik im Kölner Schulfunk«, in: Peter Fuchs (Hg.):
Musikhören, Stuttgart 1969, S. 79-102.

zur Wirkung/Rezeption
Baacke, Dieter: »Zur Industrialisierung des Hörens durch das Radio«,
in: merz 1/1990, S. 13-17.
Behne, Klaus-Ernst: Hörertypologien. Zur Psychologie des jugendli-
chen Musikgeschmacks, Regensburg 1986.
Rogge, Jan-Uwe: »Zur Bedeutung und Funktion des Radios und des
Kinderfunks im Alltag von Kindern. Ein Forschungsüberblick«, in:
Media Perspektiven 8/1988, S. 522-528.
Sturm, Hertha und Sabine Jörg: Informationsverarbeitung durch Kin-
der. Piagets Entwicklungstheorie auf Hörfunk und Fernsehen ange-
wandt, München u. a. 1980.
Wilmar, Fritz: Wie wirken Rundfunk und Fernsehen auf Kinder?,
Stuttgart 1974.

zur Vermittlung/ Medienpädagogik


Everling, Esther: Ein Hörspiel produzieren. Aneignung sprachlicher
und technischer Gestaltungselemente in der Sekundarstufe I, Frank-
furt 1988.
Klose, Werner: Didaktik des Hörspiels, Stuttgart 2. erg. Aufl. 1977.

61
Schöwer, Christiane Kinderalltag - Medienalltag. Praxisbeispiele für
medienpädagogische Arbeit mit Kindern, Berlin 1990.
Weyer, Reinhold (Hg.): »Exkurs: Musik in den Massenmedien- eine
Herausforderung für die Musikpädagogik«, in: ders. (Hg.): Medien-
handbuch für Medienpädagogen, Regensburg 1989, S. 51-61.

62
VI. Kinderton träger: Vom Rotkäppchen zum
Airwolf

Die große Popularität einzelner Kinderrundfunkprogramme


motiviert Ende der 20er Jahre die ersten deutschen Schallplat-
tenhersteller, Hörspiele und Musikdarbietungen für Kinder auf
Platten zu überspielen. Kindertonträger sind also kein neues
Medium und bereits in ihren Anfängen mit anderen Medien ver-
bunden.

1. Erste Kinderschallplatten
1929 beginnt die »Grammophon« mit der Aufnahme von
»Schallplattenkonzerten für Kinder« und für den Rundfunk be-
arbeiteten Märchenspielen, frei nach den Grimms: Rotkäpp-
chen, Aschenbrödel, Bremer Stadtmusikanten (vom Ensemble
des Kindertheaters der Deutschen Welle). In den frühen 30er
Jahren übernimmt die Grammophon vom Südwestdeutschen
Rundfunkdienst eine Reihe von Stücken, die Liese! Sirnon für
ihr »Kasperltheater« inszeniert hat: Kasperl rettet Hänsel und
Gretel, Kasperl und das Luftschiff, ... als Nachtwächter. Auch
die anderen großen Plattenfirmen (Electrola, Homocord, Ul-
traphon) produzieren seit 1930 Kinderschallplatten, auf denen
entweder die aus dem Funk bekannten Erzähler Volksmärchen
vortragen oder Kinderlieder und -konzerte eingespielt sind.
Diese Platten übernehmen wiederum Rundfunksender zur
Ausstrahlung.
Volksmärchenrezitationen oder traditionell inszenierte Mär-
chenspiele, Volkslieder und ein schmales Programm als »kin-
dergeeignet« geltender klassischer Musikstücke bestimmen
auch im 3. Reich sowie in der Nachkriegszeit das keinesfalls
massenwirksame Angebot an Kinderschallplatten. Bedürfnisse
nach auditiver Unterhaltung befriedigt das Radio, Kinderfunk
und »Sandmännchen« werden von kleinen Kindern bis in die
60er Jahre hinein regelmäßig gehört. Dem Kinderschallplatten-
markt in der Bundesrepublik ist selbst in den 60er und noch in
den frühen 70er Jahren ein eher elitärer Charakter zuzuspre-
chen: Die in der Handhabung nicht unbedingt kindgemäßen

63
Abspielgeräte sind so teuer, daß allenfalls Familien mit sehr ho-
hem Einkommen Kinderzimmer damit ausstatten können. Die
zu >empfohlenen< Hochpreisen vertriebenen Schallplatten wen-
den sich an ein überdurchschnittlich verdiendendes und gebil-
detes Publikum. Das Gesamtangebot ist im Vergleich zum
späteren Kinderkassettenmarkt anspruchsvoller, enthält neben
dem traditionellen Märchen- und Volksliedgut zunehmend Be-
arbeitungen von klassischen Kinderbüchern sowie den arrivier-
teren zeitgenössischen Kinderbucha,utoren (Otfried Preußler,
Astrid Lindgren). Das hohe Preisniveau ermöglicht dem Her-
steller auch bei kleinen Auflagen ausreichende Erlöse.

2. Tonkassetten als Massenmedium für Kinder


Innerhalb von etwas mehr als 10 Jahren hat sich der Anteil von
Audiokassetten zu Lasten der Platten erhöht, sind im Bereich
der intentionalen Kindertonträger LPs fast vollständig durch
Kassetten ersetzt worden, hat sich zudem das Angebot zu über
90% auf den Niedrigpreissektor verlagert. Die (nicht preisge-
bundenen) marktführenden Labels und Serien können vom
Endverbraucher zu Preisen zwischen fünf und zehn Mark er-
worben werden, liegen also im Taschengeldbereich. Die Preise
für Hardware haben sich angenähert: einfache Kassettenab-
spielgeräte (von Kleinstkindern problemlos zu bedienen), sind
in Kaufhäusern für unter 10, Stereoradiorecorder für weniger
als 50 Mark erhältlich; sie dürften mittlerweile in fast jedem
Kinderzimmer vorhanden sein. Ende der 80er Jahre beginnen
erste Großserienhersteller, Lieder und Popmusik für Kinder
sowie einzelne Serien auch auf CompactDisc (CD) anzubieten,
mit ähnlich niedrigen Softwarepreisen. Doch da die Geräte-
preise noch höher und Eigenaufnahmen vorläufig nicht möglich
sind, bleibt die Kinderkassette auf absehbare Zeit vorherr-
schend.
Neben den extrem gesunkenen Geräte- und den niedrigen
Kassettenpreisen ist nicht zuletzt die kontinuierlich gestiegene
Aufnahmequalität (Rauschminderungssysteme gehören zum
Standard billigster Produktionen) Voraussetzung dafür, daß
Kindertonträger für die phonographische Industrie zu einem
wichtigen Marktsegment geworden sind. Anhaltende Stagna-
tionen (nach 1975), Umsatzrückgänge (um 1980) lassen sich
durch die wachsende Orientierung auf die Zielgruppe Kinder

64
und in den letzten Jahren durch das neue Medium CD auffan-
gen. 1970 liegt der Umsatz mit Kindertonträgern (Schallplatten)
bei etwa einer Million Stück, er stagniert 1977 bei 17 Millionen,
erreicht Ende der 80er Jahre über 25 Millionen (geschätzter Ge-
samtumsatz 1988: 175 Millionen Mark) und ist seitdem leicht
rückläufig. Trotz abflauenden Booms (wegen der Konkurrenz
von Niedrigpreis-Videos und vermehrter Fernsehprogramme)
sind Kinder für die phonographische Industrie weiterhin eine
zentrale und dementsprechend umworbene Zielgruppe.

3. Aktuelle Marktentwicklungen
Der Kindertonträgermarkt hat innerhalb des vergangenenJahr-
zehnts einen Konzentrationsprozeß durchlaufen, der über ver-
gleichbare Entwicklungen in anderen bundesdeutschen Me-
dienmärkten hinausweist: 1992 teilen sich drei Unternehmens-
gruppen, Konzerne vermutlich mehr als 90% des Gesamtum-
satzes: deutlicher Marktführer ist die Bertelsmann-Tochter
BMG Ariola-Miller (in Quickborn bei Hamburg) mit 40%
Marktanteil, deren ARIOLA express-Labei in den IetztenJah-
ren mit einigen Erfolgsserien (Der kleine Vampir, Garfield, Die
Schnorchels), Umsatzanteile gewonnen hat, in der der 1989 auf-
gekaufte bisherige Marktführer GeHeTon/Miller International
aufgegangen ist. Miller arbeitet seit Ende der 60er Jahre nur im
Niedrigpreisbereich, produziert auf seinem EUROPA-Label
viele der erfolgreichsten Serien der letzten Jahre (TKKG, Mas-
ters of the Universe, Knight Rider, Regina Regenbogen). Mit
mehr als 1300 Hörspielinszenierungen, 110 Goldenen und 9
Platin-Schallplatten gilt die EUROPA-Produzentin Heikedine
Körting-Beurmann als »erfolgreichste Kinder- und Jugend-
Hörspielregisseurin der Welt« (SPIELZEUG-MARKT 11
1992).
Einen etwas geringeren Marktanteil hält die Polygram-
Gruppe (im Besitz des holländischen Philips-Konzerns), zu der
die traditionsreiche Deutsche Grammophon (DGG), Polydor,
Phonogram und Metronom gehören, die ihren Hauptumsatz
mit dem Niedrigpreislabel KARUSSELL erwirtschaftet (ALP,
Serienproduktionen nach Walt Disney-Filmen, nach Büchern
des Franz Schneider Verlags oder Michael Endes). An dritter
Stelle liegt die Berliner ITP Ton- und Bildträger GmbH, die seit
Ende der 70er Jahre mit ihrem Label KIOSK eine rasante Um-

65
Satzentwicklung durchläuft, die sie in Sonderheit zwei Erfolgs-
serien dankt: Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg. Mit
95% Bekanntheitsgrad bei Kindern und Eltern, 43 goldenen
und 12 Platinplatten ist Benjamin mittlerweile ein Mythos der
Kinderkultur, dessen Erfolge von Bibi noch eingeholt werden
könnten: sie erwirtschaftet im Kindertonträgerboomjahr 1989
mehr Goldene Platten als Benjamin, als Phil Collins oder das
Original Naabtal Duo.
Die verbleibenden 10% des Marktes dominieren der ameri-
kanische (im Besitz der japanische SONY befindliche) Medien-
multi CBS (Mein kleines Pony) sowie die Münchner POLY-
BAND (MASK, Laß Lesen) und EMI Electrola (Pumuckl).
Weit abgeschlagen folgt der Bereich der alternativen, künstle-
risch und/oder pädagogisch ambitionierten Produktionen.
Zum führenden Anbieter innerhalb dieses Segmentes hat sich in
den vergangenen Jahren die Düsseldorfer Verlagsgruppe Pat-
mos-Schwann entwickelt, die vor allem Kinderfunkhörspiele
auf Kassetten produziert, 1990 das Programm des (von Kriti-
kern für emanzipatorische, politische Produktionen viel gelob-
ten) PLÄNE Verlags aufgekauft, zudem weitere kleinere Labels
integriert hat.
1992 dürften um 4. 000 Titel auf Tonträgern lieferbar sein, die
sich ausschließlich oder vorrangig an Kinder wenden; dazu ge-
hören Produktionen kleiner Firmen, die manchmal nur einige
100 Kopien auf Kassette ziehen. Auch die inhaltlich und formal
ambitionierten Titel der kleineren Anbieter erreichen nur selten
die Durchschnittsauflagen von Kinderbüchern (bleiben also un-
ter 5000 Stück). Die marktführenden Tonträgerhersteller kal-
kulieren mit anderen Dimensionen, gehen von einem Erstver-
kauf von 40.000 Stück pro Titel aus. Kassetten, die weniger als
20.000 Mal im Jahr verkauft werden, gelten als schlecht ver-
käuflich; die Niedrigpreisanbieter nehmen Kassetten bei weni-
ger als 5.000 verkauften Titeln im Jahr aus dem Programm.
Die populären Serienfiguren erreichen Auflagen, die im Be-
reich der Printmedien unvorstellbar sind: Die drei populärsten
Figuren, also die drei meistverkauften Serien teilen bereits ein
Drittel des gesamten Kindertonträgerabsatzes unter sich auf.
Zum absoluten »Abräumer« der letzten Jahre hat sich die vor-
wiegend von Elfie Donnelly geschriebene Serie Benjamin
Blümchen entwickelt; innerhalb von etwas mehr als 10 Jahren
haben die Abenteuer des Elefanten mit dem kindlichen Gemüt
bei 70 Folgen einen Gesamtabsatz von über 30 Millionen Kas-
setten gebracht. Nicht wesentlich geringer ist der mit etwa

66
gleichviel Folgen erzielte Umsatz der Kinderdetektivgruppe
TKKG. Und nach ihrem >Senkrechtstart< im Herbst 1988 er-
reicht die durch das Fernsehen popularisierte »außerirdische
Lebensform« Alfin weniger als drei Jahren ein ähnliches Ergeb-
nis. Auf den ersten Plätzen der Kinderkassetten-Charts finden
sich ferner als Dauerbestseller das Hexenmädel Bibi Blocksberg,
ferner die Hörspielfassungen des »Fernsehknüllers< Knight Ri-
der (innerhalb eines Jahres drei Millionen Verkäufe), Hörspiele
mit Disney-Motiven, leicht absteigend der Kobold Pumuckl
oder die Fünf Freunde (nach Enid Blyton, mit insgesamt 10 Mil-
lionen verkauften Exemplaren), aufsteigend Serien mit populä-
ren Actionstoffen aus Kino und Fernsehen: Airwolf, Teenage
Mutant Hero Turtles, Zurück in die Zukunft.

Marktführende Tonträgerserien 1991


(nach SPIELZEUG-MARKT 4/92)
Serientitel Label Marktanteil in Prozent
1. Benjamin Blümchen Kiosk 15,4
2. Bibi Blocksberg Kiosk 9,1
3. TKKG Europa 5,6
4. WaltDisney Karussell 5,3
5. Kinderlieder Karussell 5,2
6. Knight Rider Europa 4,6
7. Ghostbusters Karussell 3,1
8. FünfFreunde Europa 3,1
9. Turtles OHHA/Karussell 3,0

Verkaufszahlen in Millionenhöhe lassen sich nicht ohne ent-


sprechende Werbung und nicht über die traditionellen Ver-
triebswege realisieren. Bei den Niedrigpreistonträgern gehen
60% des Umsatzes über Verbraucher- und SB-Märkte, etwa
20% über Warenhäuser, 15% über den Spiel- und Schreibwa-
renhandel; die verbleibenden 5% teilen sich der Tonträgerfach-
handel, W ochenmarktbeschicker und Buchhandel. Die Indu-
strie wirbt aktionsbezogen, auf neue Serien oder Einzelfolgen
hin, die bei Erscheinen mehrereWochenlang von bundesweiter
Rundfunk- und Fernsehwerbung begleitet werden, vergleich-
bar dem Werbeaufwand für bekannte Markenkonsumartikel,
ergänzt durch Werbung in Kindermedien, Gewinnspielaktio-
nen, attraktive Displays für den Einzelhandel (»lustiges Walk-
man-Osterhasen-Display mit ... Wackelkopf ... Sein Oster-
hasenbauch . . . gefüllt mit brandneuen Hörspielen«). Nur
Großunternehmen können sich einenWerbeaufwand in Millio-
nenhöhe für Aktionen in den elektronischen Massenmedien lei-

67
sten (BMG Ariola-Miller bewirbt eine Osteraktion 1991 für das
»EUROPA-Ohrenkino« mit 330 Rundfunk- und 41 Fernseh-
spots). Um die Kosten einzuspielen, muß die beworbene Serie
in Millionenstückzahlen verkauft werden. Damit reduzieren
die Markführer selbst ihre Angebotsvielfalt. Der Handel über-
nimmt mit Vorrang oder ausschließlich die Figuren, die sich
aufgrund ihres Bekanntheitsgrades leichter verkaufen lassen.
Dem Händler ermöglicht die Beschränkung auf wenige popu-
läre Serien höhere Umsätze mit diesen, womit wiederum hö-
here Rabatte und Gewinne verbunden sind.
Der Handel bevorzugt also die Figuren, die auch die Kinder
kennen, die sie als Serie fortgesetzt kaufen können, und die im
Medienverbund vermarktet werden. Die Mehrheit der erfolg-
reichen Kassettenstoffe ist der Zielgruppe aus Film oder Fernse-
hen bekannt. Liegt der letzte Fernseheinsatz allerdings um
Jahre zurück, sind die Figuren für die nachwachsenden Kinder-
generationen bald unmodern, unbekannt. Im Zusammenhang
mit 1992 neu ausgestrahlten oder zur Wiederholung vorgesehe-
nen TV-Serien erscheinen etwa zeitgleich allein auf dem KA-
RUSSELL-Label: Black, der schwarze Blitz (SAT 1), Peter Pan
und die Piraten (SAT 1), Harry und die Hendersons (RTL), Pe-
ter Pan (RTL), Pinocchio (RTL). Ein Verbund mit bereits pro-
duzierten audiovisuellen Darstellungen hat für Tonträgerfir-
men zudem den Vorteil, daß sich der Soundtrack, die Tonspur
einer Fernsehserie oder eines Filmes übernehmen läßt: so wer-
den von KARUSSELL bei ALP lediglich die Dialoge der deut-
schen Fernsehsynchronisation durch einen knappen Erzähler-
kommentar des ALP-Sprechers ergänzt.

4. Gattungen, Genres, Themen und Motive

Bisherige Grenzen zwischen einzelnen Gattungen und Genres


verschwimmen, Realismus und Phantastik verschmelzen mit-
einander; Motive aus Märchen, Sage, Mythologie, aus Science
Fiction, Western und Krimi, Abenteuer und Liebesgeschichte
werden zu einer Art »Serienbrei« zusammengerührt, so daß in-
haltliche Untergliederungen des Kinderhörspielmarktes nur be-
dingt möglich sind. Die derzeit größte Gruppe läßt sich als Fun-
nies (analog zu entsprechenden Comics) bezeichnen ; hierzu ge-
hören alle Serien, die erheiternd, lustig wirken sollen, die zwar
meist auch mit märchenhaften, phantastischen oder abenteuer-

68
liehen Elementen arbeiten, in denen aber das Humoristische,
mehr oder minder Komische im Vordergrund steht. Solche
Stoffe werden bereits für jüngste Hörer (ab drei Jahren) produ-
ziert, erreichen aber auch ältere. Dazu gehören Kinderstreiche
in Meine Schwester Klara (Schneiderton/KARUSSELL), Ko-
boldaktivitäten (David, der Klabauter, Pumuckl), die meisten
Geschichten mit anthropomorphen Tieren, wie dem kleinen
Elefanten Barbar (EUROPA) oder dem Hund Waldo
(OHHA), ferner die frei nach Otto Waalkes kalauernden Otti-
fanten (KARUSSELL), dazu gehört die Verbindung traditio-
nell angstbesetzter Motive mit angstlösender Komik, so Der
kleine Vampir (nach Büchern von Angela Sommer-Bodenburg)
oder die Hexenfamilie von Bibi Blocksberg. Typischer als ALF
oder die ihm folgenden Simpsons, mit manchmal groteskem
Humor, ist für die Funnies der Dauerbrenner Benjamin Blüm-
chen: Titelfigur ist ein hochgradig vermenschlichter Zooelefant,
der, weil er sprechen kann, auch aus dem Zoo hinaus darf, an
der Menschen- und Erwachsenenwelt teil hat, sich ständig in
anderen Berufen und Funktionen erprobt, bei dem also immer
»etwas los« ist, der Kindern die in der Alltagsrealität vermißte
Abwechslung bietet. Benjamin tritt als Fußballstar, Sheriff und
Zirkusclown auf, wird in kleine Abenteuer, Alltags- und Um-
weltkonflikte verwickelt. Naiv-fröhlich sorgt er für (Situa-
tions-)Komik, hat keine wirklich ernsthaften Probleme, bietet
das Bild eines großen, starken Freundes, wie ihn sich fast alle
Kinder wünschen. Sein Freund- gleichzeitig Identifikationsan-
gebot für junge Hörer- ist Otto, ein >normaler< Junge. Die er-
wachsenen Nebenfiguren hingegen verfügen nicht nur über
sprechende Namen (Zoodirektor »Tierlieb«), sondern oft auch
über kindliche Naivität, wa~ für sehr junge Hörer nicht nur ko-
misch ist, sondern ihnen Uberlegenheitsgefühle, Bestätigung
vermittelt. Alltägliche Konflikte mit nicht immer wirklichkeits-
gerechten Lösungen (als Aushilfslehrer ist >>Herr Blümchen«
durch kindgerechte Infantilität menschlichen Pädagogen über-
legen) werden durch eine Allerwehsweisheit gekrönt: eßt keine
Süßigkeiten, weil man davon Karies bekommen kann, oder:
seid stets hilfsbereit.
Die zweitegroße Gruppe der Kinderhörspiele bilden phanta-
stische Abenteuer. Hier sind humoristische Elemente meist mit
einbezogen, im Vordergrund steht aber das Abenteuer: ein
Held oder eine Gruppe von Hauptfiguren muß sich in nicht all-
täglichen Situationen bewähren, Konflikte mit Gewalt oder List
lösen. Angereichert werden die Abenteuer durch phantastische

69
Komponenten, die für Jüngere dem Märchen, für Ältere der
Science Fiction oder Fantasy entstammen. Regina Regenbogen
muß sich in einem von Kobolden, Drachen, sprechenden Tie-
ren und Zauberern bevölkerten »Regenbogenland« behaupten.
Die Echten Ghostbusters (KARUSSELL, Soundtrack der Zei-
chentrickserie mit ergänzendem Kommentar) müssen, mär-
chenhaft überzeichnet, den »kopflosen Motorradgeist« jagen
oder den »unheimlichen Dachboden« mit ihrer »Geisterfalle«
säubern. Die Teenage Mutant Hero Turtles (OHHA) kämpfen
mit fernöstlichen Kampfsportmethoden gegen den »Schred-
der«. Den zeitweilig marktführenden Masters of the Universe,
einer Gruppe von Superhelden mit He-Man an der Spitze, ste-
hen die »Mächte des Bösen« gegenüber: Inspiriert von klassi-
schen Mythen, durch SF-Technik, Gruselmonster und Ritter-
burgen bereichert. Die Figuren sind starr, die Dialoge auf der
Ebene verknappter Comictexte, unterlegt mit einer wechseln-
den, ständige Action suggerierenden, übertrieben naturalisti-
schen Geräuschkulisse und musikalischen Versatzstücken, die
an ältere amerikanische Monumentalfilme (Ben Hur) erinnern.
An ältere Kinder wendet sich Airwolf(EUROPA) mit Hörspie-
len, die mit den Sprechern der gleichnamigen SAT 1-Vorabend-
serie inszeniert worden sind: Captain Hawke übernimmt mit
dem »einzigen Helikopter der Welt, der so schnell fliegen kann
wie der Schall« jeweils Aufträge, bei denen er gerade noch die
Welt retten kann.
Die dritte wichtige Gruppe stellen Kriminalgeschichten, als
LangseHer gehören dazu Blytons Fünf Freunde, TKKG, Die drei
??? (alle EUROPA), ferner Scotland Yard (KARUSSELL, nach
Motiven des gleichnamigen >Ravensburger< Spieles), alle mit
Kinderdetektiven, die den erwachsenen stets überlegen sind.
Auf Erfolgskurs sind die »Original-Film-Soundtracks« zu den
]ames Bond 007-Filmen und zur Knight Rider-Serie (beide EU-
ROPA). Eine vierte größere Gruppe bilden Mädchengeschich-
ten, Hanni und Nanni, Barbie oder Wendy (nach dem gleichna-
migen Comic-Magazin), deren Vater einen Reit.~rhof betreibt,
was Anlaß zum Reiten, für Freundschaften und Arger mit arro-
ganten Gästen bietet. In den letzten Jahren rückläufig, doch
stets im Markt vertreten bleiben konventionelle Volksmärchen.
Ein wichtiger werdendes Marktsegement (wegen der leicht
sinkenden Nachfrage nach Hörspielserien) sind Musik und Lie-
der für Kinder. Bei den Großanbietern singen- wie vor J ahrzehn-
ten- Kinderchöre jeglicher Provenienz die bewährten, »schön-
sten«, »bekanntesten« Kinderlieder. Für die Hersteller sind mit

70
dem Männlein, das im Walde steht, oder dem Taler, der wan-
dern muß, immer noch »hervorragende Umsätze« zu erzielen.
Ferner werden Erwachsenen-Schlager oder schlagerartige
Neukompositionen zu »Kinder-Hitparaden« zusammenge-
stellt, von »Fred Sonnenschein« (das ist Frank Zander), »Rolf
und seinen kleinen Freunden« kindertümelnd, häufig mit quä-
kender Kehlkopfstimme vorgetragen. »Das musikalische Rüst-
zeug beschränkt sich weitgehend auf E-Orgel, Schlagzeug,
Synthesizer und E-Gitarren. Harmonische Schemata gehen sel-
ten über die Kadenzformel TSDT hinaus ... Die musikalische
Komponente übernimmt ausschließlich affirmative Funktio-
nen, paßt sich damit dem >Heile-Welt-Schema< der Inhalte an.«
(Funk-Hennigs)
Im Zusammenhang mit der in der BRD sich Anfang der 70er
Jahre etablierenden antiautoritären, emanzipatorischen Kinderli-
teratur versuchen gesellschaftskritische Liedermacher, der Ver-
niedlichung, Kindertümelei neue Lieder mit realistischen Texten
entgegenzusetzen, die »Geschlechtsrollenklischees« durchbre-
chen, »Selbständigkeit und Kritikfähigkeit entwickeln« helfen,
»nachsingbar« sind und »Möglichkeiten zum Mitmachen und
Weiterspielen geben«. (Vahle) Einen ersten »Hit« des neuen Kin-
derlieds produziert der Kabarettist Dieter Süverkrüp mit dem
Baggerführer Willibald (pläne); Auflagen, die in den Bereich der
Billiganbieter gehen, erreicht über die Jahre Fredrik Vahle, der mit
seinen Schallplatten und Kassetten nachhaltig Akzente setzt
(Christiane und Fredrik: Die Rübe, pläne). Eine neue Dynamik
belebt das Kinderlied seit Ende der 70er Jahre durch musikalische
Muster und Motive, die der angloamerikanischen Folklore, dem
Folk entstammen. In den neueren Kinderliederprogrammen der
Labels pläne, schwanni, Phanton finden sich einerseits die Orien-
tierung an folkloristischen Versatzstücken, andererseits an der
Mainstreamunterhaltungsmusik vergangeuer Jahrzehnte. Kom-
plexe Instrumentierung, Einflüsse von Jazz und neuer E-Musik-
wie in Erwin Grosches Die kleinen Krebse (Patmos, 1992)- zeich-
nen ansonsten wenige Produktionen aus. Eine inhaltlich und for-
mal facettenreiche übersieht über aktuelle Tendenzen gibt die
Kompilation mit »neuen Umweltliedern für aufgeweckte Men-
schen«: Wieviel Liederweiß der Wind (Patmos, 1991).
Traditionsreich, in den letzten Jahren kontinuierlich erwei-
tert, ist das Angebot an klassischer Musik für Kinder: einerseits
Kompositionen für Kinder (Peter und der Wolf von Prokofieff,
Die betrunkene Sonne von Tilo Medek), andererseits für Kinder
eingerichtete Werke, mit Moderatoren, die Handlung und Mo-

71
tive programmatischer Kompositionen nacherzählen, ins Werk
einführen (z. B. Till Eulenspiegels lustige Streiche von Richard
Strauss, oder die Reihe »Gerd Albrecht erklärt und dirigiert«)
oder als Zwischenform, Komponistenporträts, in denen sich
Kommentar, Hörspielsequenzen und Musikbeispiele mischen
(»Wir entdecken Komponisten«, DGG).

5. Nutzung und Funktionen


Kinder bevorzugen eindeutig die unterhaltungsbetonten Hör-
spielserien. Die Erlebnisse der Serienhelden bieten in mannig-
facher Variation vieles von dem, was das hörende Kind in seiner
Realität nicht findet. Es kann sich deshalb der Faszination
durch diese Figuren kaum entziehen: sie sind stark, manchmal
omnipotent, erwachsenen Gegenspielern überlegen und über-
treten Verbote. Die Eindimensionalität der Charaktere ist beim
ersten Hören verständlich, wird verstärkt durch überzeichnete,
leicht identifizierbare Stimmen. Der Handlungsverlauf ist ge-
radlinig, ohne Rückblenden, mit leicht überschaubaren Span-
nungsbögen und dem erwarteten happy end. Der rasche Wech-
sel kurzer Sequenzen vermittelt den Eindruck ununterbroche-
ner Aktion.
Kindertonträger können über den Zeitvertreib hinaus Funk-
tionen wahrnehmen, die andere Medien nicht in dieserWeise zu
leisten vermögen. So sind die auditiven Medien leichter zu rezi-
pieren als Bücher, wird physiologisch der Wechsel von Geräu-
schen, von laut und leise in Musik wie Sprache als angenehmer
Reiz empfunden. So dienen (auch Hörspielkassetten) als Sekun-
därmedium, als Geräuschkulisse, als Hintergrundfolie für Tag-
träume. Kinder nutzen die Kassettenangebote vielfach intensi-
ver, als Erwachsene dies wahrnehmen. Nach Erhebungen der
phonographischen Industrie ist davon auszugehen, daß jede
Kassette (ob geliehen oder gekauft) vom Kind zwischen 10 und
100 Mal gehört wird. Durch die leichte Wiederholbarkeit im
Medium können sich Kinder einzelne Szenen oder Sequenzen
heraussuchen und gezielt wiederholen. Sie lernen komische
oder spannende Dialogpassagen auswendig, sind den Sprechern
mitsprechend im Dialog voraus. Wiedererkennen und Vorweg-
nehmen von Dialogen bestätigt Kinder in ihren Erwartungen
und Fähigkeiten, kann positiv zu würdigendes Erfolgserlebnis
sein. Kinder orientieren ihre sprachlichen Ausdrucksformen an

72
Wendungen von Serienhelden, an Dialogfetzen. Die jungen
Hörer finden im Kreis der ihnen bekannten Serienfiguren Ge-
borgenheit, synthetische Gesprächspartner (von Pädagogen
früher als »Rillenoma« oder »elektronische Babysitter« abge-
wertet), Kompensation für eine gestörte innerfamiliäre Kom-
munikation.
Die ideologiekritische Auseinandersetzung mit Kinderton-
trägern kann gerechtfertigt sein, sollte aber nicht übergewichtet
werden, da die Massenserien vorwiegend das reproduzieren,
was sich als »gesellschaftlich vorherrschendes Bewußtsein« be-
zeichnen läßt, und dazu gehört mittlerweile auch die kritische
Beschäftigung mit Gefährdungen der natürlichen Umwelt oder
Gefahren der Kernenergie. Allerdings erhalten Kinder von
Abenteuern in realitätsfremden Kunstwelten mit standardisier-
ten Konfliktlösungen wenig Hilfestellung für die Auseinander-
setzung mit ihrer eigenen Umwelt. Großserienproduktionen
dürfen (aus ökonomischen Gründen) die kleinen Hörer nicht
irritieren, verunsichern, überfordern. Folge ist die Tendenz zur
weitergehenden Infantilisierung des Marktangebotes. Das
ästhetische Anspruchsniveau wird auf einer niedrigen Ebene
festgeschrieben. Die spezifischen künstlerischen Leistungs-
möglichkeiten des Mediums sind hochgradig reduziert. Hörge-
wohnheiten werden nicht infrage gestellt, Hörfähigkeiten nicht
weiterentwickelt (allenfalls in den randständigen, aus dem Kin-
derfunk übernommenen Inszenierungen, besonders auf den
Labels Schwanni, pläneoder DG junior).
Kindertonträger haben sich - wohl gerade deshalb - in den
80er Jahren zu einem zentralen und dem auch zu Beginn der
90er Jahre noch am intensivsten genutzten Kindheitsmedium
entwickelt. (ShellJugendstudie, 1992 I SPIELZEUG-MARKT
1/1992) Neben den Printmedien und den audiovisuellen werden
die auditiven für Kinder und Jugendliche weiter wichtig blei-
ben. Das Einstiegsalter für Kinderhörspiele, für die gängigen
Hörspielserien hat sich über die Jahre weiter nach unten verla-
gert, schon Achtjährige lehnen manchmal Benjamin Blümchen
als »Kleinkinderkram« ab. Mit 9, 10, spätestens mit 12, 13 Jah-
ren werden Hörspiele uninteressant, haben Kinder leichter, ge-
sellschaftlich sanktioniert, Zugriff auf die Erwachsenenunter-
haltungsstoffe in Film und Fernsehen. Sie nutzen Tonträger
zwar weiter, genauso intensiv, aber dann nur noch zum Ab-
spielen (und Aufzeichnen) von Musik.

73
Literatur

zu Marktangebot und -entwicklungen


Heidtmann, Horst: »Von den >Bremer Stadtmusikanten< zu >Benjamin
Blümchen<. Der Tonträgermarkt für Kinder: Entwicklungen, The-
men, Tendenzen und dazu einige Überlegungen«, in: Informationen
des Arbeitskreises für Jugendliteratur 1/1989, S. 4-15.
Künnemann, Horst (Hg.): Tonkonserven-Schallplatten für Kinder
undJugendliche, München, Harnburg 1980.
Rogge, Jan-Uwe: »Der Schallplatten- und Kassettenmarkt für Kinder
oder ein Lehrstück über Billigproduktionen und Kommerz«, in: Jen-
sen/Rogge S. 135-169.

zum Kinderhörspiel
Hengst, Heinz: »Schallplatte/Kassette: Hörspiel«, in: Grünewald/Ka-
minski S. 217-223.
German, Heide: »Vom Kinderhörspiel«, in: Fundevogel 64/1989,
s. 6-8.
zum Kinderlied
Flechsig, Hartmut: »Alte und neue Kinderlieder«, in: IJM 4/19-87,
s. 98-107.
Heidtmann, Horst: »Osterhasen-Rap und Spielplatz-Blues: Neue Kin-
derliederkassetten«, in: IJM 2/1982, S. 73-78.
Noll, Günther: »Internationale Aspekte des Kinderliedes«, in: Zeit-
schrift für Kulturaustausch1/1986, S. 78-88.
Vahle, Fredrik: »Schallplatte/Kassette: Kinderlied«, in: Grünewald/
Kaminski S. 245-254.
Vahle, Fredrik: Kinderlied. Erkundungen zu einer frühen Form der
Poesie im Menschenleben, W einheim, Basel1992.

zur Pop-Musik für Kinder


Funk-Hennigs, Erika: »Einflüsse des massenmedialen Musikangebots
von Kinderschallplatte und -cassette auf die heutige Kinderkultur«,
in: Kinderkultur. 28. Deutscher Volkskundekongreß in Bremen vom
7. bis 12. Oktober 1985, Bremen 1987, S. 383-388.
Rogge, Jan-Uwe: »Pop- und Schlagermusik für Kinder«, in: BuB
6/1982,S.490-95.

zur klassischen Musik für Kinder


Abegg, Werner: »Schallplatte/Kassette: Klassische Musik«, in: Grüne-
wald/Kaminski S. 225-233.

74
zur Wirkung/Nutzung
Hengst, Heinz: Auf Kassetten gezogen und in Scheiben gepreßt. Ton-
konserven und ihre Funktionen im Medienalltag von Kindern,
Frankfurt 1979.
Hengst, Heinz: »>Secondary Orality< in der Kinderkultur«, in: Hans
Dieter Erlinger (Hg.): Kinderfernsehen li, Essen 1989, S. 125-141.
Petzold, Gerd: »Medieninduzierte Angst und Angstlusterregung- un-
tersucht am Beispiel der Wirkung einer Hörspiel- und Videokassette
der Serie >Masters-of-the-Universe< auf Kinder im dritten und vierten
Schuljahr«, in: Empirische Pädagogik 4/1989, S. 361-388.

zur Vermittlung/ Medienpiidagogik


Forytta, Klaus: »Grundschule: Kinder lieben Kassetten, wir nicht?«,
in: IJM 2/1988, S. 48-55.
Heidtmann, Horst: »ALF statt Aschenbrödel? Kindertonträger und
Öffentliche Bibliothek«, in: BuB 6-7/1989, S. 540-558.
Heidtmann, Horst (Hg.): TJW und das Geheimnis der Gummibärchen.
Medienpädagogische Beiträge, Weinheim 1991 (IJM 2. Beiheft 1991 ).
Kallbach, Konrad: »Die Kinderkassette und die Schule«, in: Informa-
tionen des Arbeitskreises für Jugendliteratur 1/1989, S. 15-21.
Marquardt, Manfred: Pädagogische Arbeit mit Schallplatten und Ton-
kassetten im Kindergarten, Stuttgart 1979 (Erziehung praktisch gese-
hen 13).

AuswahlverzeichnisseiEmpfehlungslisten
»Barbie, Kwak und Co. Hörspielkassetten (Serien)«, in: test 9/1991,
s.32-36.
Heidtmann, Horst (Hg.): Hörspiel- und Literaturkassetten für Kinder
und Jugendliche, Überlingen 1988 (Materialien Jugendliteratur und
Medien 19).
Kallbach, Konrad (Hg.): Hören-Lesen-Hören. Kassetten für Kinder.
Verzeichnis-Annotationen-Kommentare, Hannover 1990.

75
VII. Kinderfernsehen: Von der
Nachmittagsbastelei zur Vorabendaction

»Einen besseren Lehrer kann sich ein Kind doch kaum vorstel-
len: Er ist zuverlässig, klug, fastimmer verfügbar, weiß interes-
sante, lustige und manchmal gruselige Geschichten zu erzählen
und stellt seinerseits kaum Forderungen. Ist es verwunderlich,
daß manche Kinder bis zu sechs Stunden täglich mit ihm be-
schäftigt sein wollen?« (Winterhoff-Spurk) Das Fernsehen- in
Gestalt des Fernsehapparates -ist in der Bundesrepublik wie in
allen westlichen Industriestaaten zum »Leitmedium« gewor-
den: Es ist das von Kindern wie von Erwachsenen am zeitauf-
wendigsten genutzte, für Unterhaltung und Zeitvertreib attrak-
tivste, für die Meinungsbildung wirksamste Medium.

1. Fernsehnutzung
Als derNordwestdeutsche Rundfunk 1952 als erster Sender mit
der regelmäßigen Ausstrahlung von Fernsehsendungen be-
ginnt, besitzen etwa 1.000 Haushalte ein Empfangsgerät, 1955
sind es 100.000, 1957 bereits mehr als eine Million, 1964 neun
Millionen; seit 1981 steht in etwa 97% der Haushalte minde-
stens ein Fernsehgerät. Zu Beginn der 90er Jahre verfügt etwa
die Hälfte aller Kinder bis 15 Jahre allein oder zusammen mit
Geschwistern über einen eigenen Fernseher. Bereits 1979 nut-
zen 94 % aller Kinder bis 13 Jahre regelmäßig mehrmals wö-
chentlich oder täglich das Fernsehen, ist dies für 94% von ihnen
die liebste Freizeitaktivität (noch vor »Freunde besuchen«).
Das Fernsehen übernimmt im Laufe der 50er und 60er Jahre
ganz oder teilweise für Kinder Funktionen, die zuvor von ande-
ren Medien wahrgenommen worden sind: Kinobesuche und
damit verbunden die Zahl der Kinos gehen drastisch zurück;
das für die Lektüre von Büchern und Zeitschriften aufgewen-
dete Zeitbudget schrumpft. Wenn Kinder und Jugendliche in
Familien aufwachsen, in denen die Erwachsenen den größten
Teil ihrer freien Zeit vor dem Fernsehapparat verbringen, dann
orientieren sich diese Kinder zwangsläufig an diesem Vor-
bild.

76
Aus der neueren Medienwirkungsforschung wissen wir, daß
Kinder bereits im Alter von sechs Monaten vor dem Bildschirm
auf die dort gezeigten Variationen von Bild- und Tonmaterial
reagieren, und daß im Alter von zwei, spätestens drei Jahren
»gerichtetes und absichtsvolles Zuschauen<< (ANNUAL RE-
VIEW OF PSYCHOLOGY, 1981) einsetzt. In den USA ver-
bringen Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren täglich vier
Stunden mit dem Konsum von Fernsehprogrammen, in der
BRD liegt 1986 die tägliche Fernsehnutzungsdauer von Drei-
bis Siebenjährigen bei etwa 45, von Acht- bis Dreizehnjährigen
bei 52 Minuten. Bei der Gruppe der Zwölf- bis Fünfzehnjähri-
gen steigt die durschnittliehe Nutzungsdauer sogarvon 118 Mi-
nuten (1986) auf knapp 140 im Jahre 1989, dürfte damit etwa das
Fünffache der Nutzungsdauer von Printmedien ausmachen. In
den Haushalten, die kommerzielle Fernsehprogramme über
Kabel oder Satellit empfangen, erhöht sich die für das Fernse-
hen aufgewendete Zeit, liegt bei erwachsenen Zuschauern etwa
25% höher; bei den Kindern ist dagegen >>ein drastischer An-
stieg der täglichen Sehdauer festzustellen. Er ist um so größer,
je jünger die Kinder sind.«(Bettina Hurrelmann)

2. Anfänge des Kinderfernsehens

Begonnen hat das westdeutsche Kinderfernsehen noch weitge-


hend unbeachtet: nur wenige 1000 Kinder konnten am
17. 3. 1953 die erste Kindersendung am Bildschirm verfolgen,
Fernseh-Kinderfunk mit Dr. Ilse Obrig. Die bis 1959 verant-
wortliche Redakteurin übrig produziert ein kindertümelndes,
bewahrpädagogisch konzipiertes Programm, in dem dressierte
Kleine nach dem Vorbild der im Hörfunk üblichen >>Funkkin-
der<< artig mitspielen: Mutti turnt mit uns, Wir zeichnen mit On-
kel Fridolin, Wir pflanzen mit Gärtner Ludwig. >>Daß Kinder
untätig sein könnten, einmal nicht hurtig zu Leimtopf, Schere
und Blockflöte greifen könnten ... , muß der stete Angsttraum
der Kinderfernsehmacher jener Jahre gewesen sein.« (Schedler)
Eine statische Kamera filmt die Kleinen, die mit Irene Koss al-
lerlei Lustiges aus Eicheln und Kastanien (1958) basteln; ebenso
uniaspiriert werden Bilderbücher (Der kleine Häwelmann)
komplett abgefilmt, durch Scherenschnitte oder Marionetten
harmonisierende Märchenstücke (Fiete Appelschnut und Hein
Segelohr, von Fritz Frey, 1958) in Szene gesetzt; bemerkens-

77
wert durch freieren Umgang mit Phantasie vielleicht Die Mu-
minfamilie (1959), eine Puppentheaterreihe nach Trollge-
schichten von ToveJansson. Um mit möglichst wenig Geld ein
regelmäßiges Kinderprogramm ausstrahlen zu können, begin-
nen einzelne Sender - im Wilden Westen angesiedelte - US-
amerikanische Abenteuerserien zu kaufen: Corky, Fury, Die
Texas Rangers, Union Pacific.
Obwohl das Kinderfernsehen-trotz der Action-Importe-
weiterhin überwiegend betulich, pädagogisierend bleibt, grei-
fen Jugendmedienschützer und »Antischundkämpfer«, die
schon den Kinobesuch für Kinder einschränken konnten, zu-
nehmend das Heimkino als »modernen Rattenfänger« an, wol-
len die Kinder vor »Reizüberflutung« schützen: »Ich halte es
für Irrsinn, Kinder bis zu 8 oder 10 Jahren, in Grenzfällen auch
bis 12, überhaupt vor den Bildschirm zu lassen!« (Clemens
Münster, 1964) Die das Medium grundsätzlich ablehnenden
Pädagogen verhindern zwar nicht seine Entfaltung, bewirken
aber zeitweise die Reduzierung intentionaler Kinderpro-
gramme. Die Kinder können jedoch auf andere Programmange-
bote ausweichen, die für sie ungleich attraktiver sind als die mo-
ralisierenden Märchen und braven Bastelgruppen.
1959 beginnen die ersten Anstalten mit Fernsehwerbung,
schaffen dafür ein Werberahmenprogramm am Vorabend (zwi-
schen 18 und 20 Uhr), das mit leicht rezipierbaren, trivialen
Abenteuer und Kriminalserien sofort in der Gunst der Kinder
(Grundschulalter wie älter) weit vorn liegt. Neben US-Impor-
ten wie Geheimauftrag für ]ohn Drake oder Sprung aus den
Wolken wird sogar die bayerische Eigenproduktion Funkstreife
lsar 12 bei Kindern außerordentlich populär. Seit den frühen
60er Jahren sind somit die Vorabendprogramme, das unkom-
pliziert und unverbindlich unterhaltende Umfeld der Werbung
(in dem Gutes und Böses deutlich voneinander getrennt sind
und das Gute stets siegt), das eigentliche, wirklich und mit Vor-
rang genutzte Kinderfernsehen der Bundesrepublik.

3. Neue Akzente in den 60er und 70er Jahren


Ein Wandel im Bereich des intentionalen Kinderfernsehens
deutet sich an, als Gert K. Müntefering 1963 die Redaktion Kin-
der beim WDR übernimmt und die »tantenhafte Kindergarten-
welt« auf dem Bildschirm beseitigen will. In programmatischen

78
»10 Thesen zum Kinderprogramm des WDR« fordert er 1967:
»Unterhaltung ist keine für besonderes Liebsein verabreichte
süße Sonderration, sondern essentieller Bestandteil des Lebens
der Kinder und damit auch eines Programms für Kinder.« Kin-
derfilme sollen zudem »der gesellschaftlichen Wirklichkeit ent-
sprechen (und) eine kritische Distanz zum technischen Instru-
ment Fernsehen ermöglichen.« Der WDR beginnt in diesen
Jahren mit Unterhaltungsmagazinen, die- beiläufig- auch Stu-
diorealität und Produktionshintergrund Funkhaus für Kinder
transparent machen: Schlager für Schlappohren (ab 1966), mo-
deriert von der Puppenfigur Hase Cäsar, und der Spatz vom
Wallraffplatz (ab 1969), vor wie hinter den Kameras agierend.
Das Zweite Deutsche Fernsehen strahlt zwar seit 1963 bun-
desweit Sendungen aus, beginnt aber erst 1966 mit einem tägli-
chen Nachmittagsprogramm, das bis 1970 keine Eigenproduk-
tionen für Kinder enthält, sondern überwiegend Kurzfilmim-
porte, die entweder beliebig, magazinartig zusammengestellt
werden (das Murmeltier Kalle Schwobbel präsentiert) oder die
in wöchentlichen Fortsetzungen Kinder und Erwachsene un-
terhalten: Lassie, Tarzan, Dick und Doof. Zur beliebtesten Serie
des ZDF-Vorabendprogramms entwickelt sich Schweinchen
Dick, eine von Warner Bros. für das US-Fernsehen produzierte
Zeichentrickserie, in deren Einzelepisoden neben der Titelfigur
vor allem der Hase Bugs Bunny, die Ente Daffy Duck, der
Laufvogel Roadrunner sowie Tweety und Sylvester (Katze und
Kanarienvogel) agieren. Kinder fasziniert die atemlose Hektik
der Verfolgungsjagden und wie im entscheidenden Moment
stets der Kleinere, Schwächere (mit dem sie sich zwangsläufig
identifizieren) den Größeren, Stärkeren durch List besiegt. Er-
wachsene Medienpädagogen und -politiker erregt um 1970 an
dieser Serie die Brutalität der Deformationen, mit der Figuren
von Dynamit in die Luft gesprengt, von Dampfwalzen plattge-
bügelt werden, um anschließend unbeschädigt weiter hektisch
zu handeln. Eine eigentlich- auch für Kinder- erkennbar mär-
chenhafte Konstellation gilt in den wissenschaftlich unzulässig
verkürzenden Diskussionen um Medienwirkung als »gefähr-
lich, weil unmotivierte Aggressivität nachahmenswert darge-
stellt« wird (Udo Undeutsch).
Die Diskussionen um Fernsehnutzung und -wirkung be-
schränken sich Ende der 60er Jahre aber nicht nur auf Gewalt-
darstellung und Aggressivitätsförderung, die konservative Ju-
gendmedienschützer im Medium allenthalben zu entdecken
vermeinen, sondern sie erhalten auch neue Impulse, die sich aus

79
gesellschaftlichen und bildungspolitischen Reformen (als Folge
von Studentenbewegung und neuer sozialliberaler Regierung)
herleiten. Fernsehredakteure diskutieren, wie weit sie mit ihren
Programmen soziales Lernen fördern, sprachliche Benachteili-
gungen bei Kindern aus sozial schwachen Familien abbauen
könnten. Als Beitrag zur Vorschulerziehung konzipieren
ARD-Anstalten Kleinkinderprogramme in »Magazinform mit
Baukastenteilen«: Spielschule (1969, BR), Lach- und Sachge-
schichten (1970, WDR). Für die NDR-Serie Maxifant und Mi-
nifant formuliert der Redakteur Wolfgang Buresch 1971 fol-
gende Kriterien als Produktionsgrundlage:
»Vermittlung von Erfahrungen über die Umwelt I Erziehung
der Kinder zur Selbständigkeit I Sensibilisierung für das Me-
dium I Ausgleich der verschiedenen Bildungsvoraussetzungen
der Kinder verschiedener sozialer Herkunft I Vorbereitung auf
die Schule.« Vergleichbare Grundsätze gelten für die meisten
Vorschulprogramme, auch für die in den USA seit 1969 ausge-
strahlte Sesamstraße, von der Nordkette Anfang 1973 über-
nommen, bearbeitet, von weiteren dritten Programmen regel-
mäßig bis heute gesendet.
Der Magazincharakter der Vorschulserien ermöglicht es, für
die Einzelbeiträge unterschiedlichste Formen der Präsentation,
des filmischen Erzählens zu erproben, mit Kurz- und Kürzest-
filmen zu experimentieren, Kinderfernsehen künstlerisch und
filmsprachlich weiterzuentfalten. Aufgrund der sich erst ent-
wickelnden kognitiven Fähigkeiten, des Konzentrationsvermö-
gens von kleinen Kindern ist das Magazin mit seinem Wechsel
von kurzen informierenden und unterhaltenden Einheiten sinn-
voll. Die Magazinisierung prägt aber auch im Kindesalter Re-
zeptionsgewohnheiten: Kinder und Jugendliche gewöhnen sich
daran, in kurzen Einheiten, »Bröckchen«, Medieninhalte zu re-
zipieren, was durch den Trend zur Magazinisierung und zu
kürzeren Darbietungsformen im gesamten Fernsehangebot der
70er und 80er Jahre verstärkt wird, so daß es ihnen später
schwer fällt, längere zusammenhängende Einheiten, Filme
(aber auch lange Texte) zu rezipieren.
Das ZDF beginnt 1972 ebenfalls mit emanzipatorisch konzi-
pierten Vorschul- und Kleinkinderprogrammen, zunächst mit
dem >Dauerbrenner< Rappe/kiste, von der jede Folge einem
Schwerpunktthema gewidmet gewesen ist (Bauen und Woh-
nen, Väter und Mütter). Die Rappelkisten-Beiträge, von der
Redaktion später als »Mutmacher-Geschichten« verstanden,
sind wegen ihres politischen Engagements, z. B. für Gastarbei-

80
terkinder, von der konservativen Medienkritik gelegentlich an-
gefeindet worden. Die Redaktion verändert ihr Konzept, er-
gänzt es durch die im ländlich-kleinstädtischen Rahmen ange-
siedelte SerieNeuesaus Uhlenbusch (seit 1977), die sich in Ein-
zelepisoden eher der >>Innenwelt des Kindes<<, seinen »zwi-
schenmenschlichen Beziehungen« widmet, von Kritikern als
»Zärtliches Programm<< hoch gelobt, mit Medienpreisen ausge-
zeichnet. Gleichermaßen bei jung und alt populär wird als älte-
rer, sachkundiger Moderator mit unkonventionellen (manch-
mal dezidiert politischen) Ansichten Peter Lustig mit seinen
monothematisch informierenden Reihen Löwenzahn (seit
1981, zunächst als Pusteblume) und Mittendrin.
Insgesamt sind die frühen 70er Jahre für das bundesdeutsche
Kinderfernsehen eine Zeit des Aufbruches, des Qualitätsge-
winns. Manche Eigenproduktionen leiden zwar unter dem poli-
tischen Aufklärungs- oder Belehrungsdrang der Macher und im
Bereich serieller Unterhaltung werden Qualitätsgrenzen weit
nach unten gesetzt (1971 zeigt der SDR als erster deutscher Sen-
der mit Speed Racer eine typisch japanische Zeichentrickserie),
doch gewinnt insgesamt die Kinderunterhaltung an Originalität
und Komplexität, sowohl in eigenen Unterhaltungsshows (Alle
Kinder dieser Welt, 1971/72 mitJames Krüss und Udo Jürgens)
als auch in koproduzierten Spielfilmserien (Pippi Langstrumpf,
mit Schweden 1971/72). Herausragend sind Koproduktionen
mit der Tschechoslowakei, die poetischen Alltagsmärchen um
Pan Tau mit seiner Zaubermelone, seit 1970 in mehreren Staf-
feln produziert und wiederholt gesendet (>>In 15 Jahren hat es
die ARD ... geschafft, 33 halbe Stunden und einen Spielfilm
mit dieser Figur herzustellen ... Übrigens weist die Schnittliste
einer Folge, in der also alle Kameraeinstellungen festgehalten
sind, weitaus mehr Szenen auf als sogenannte amerikanische
Action-Programme. Die Bilder für Kinder müssen nicht langsa-
mer laufen, sie müssen richtig gebraucht werden«. G. K. Mün-
tefering). Ungewöhnlich sind ferner die Ferienabenteuer von
Luzie, der Schrecken der Straße (1980), sowie die grotesk-ko-
mische Verknüpfung von Märchenklischees und bieder-banaler
Alltagswelt in der Serie Die Märchenbraut (1980). ..
Durch Produktionsaufträge, Kostenbeteiligungen, Uber-
nahmen fördern Fernsehanstalten seit den frühen 70er Jahren
jüngere deutsche Kinderfilmmach er: Hark Bohm mit Wir pfei-
fen auf den Gurkenkönig (1976 ), Gloria Behrens mit Rosi und
die große Stadt (1980) oderArend Aghte mit Küken für Kairo
(1985). Die Eigenproduktionen im Puppen- und Zeichentrick-

81
film haben- in ihren besseren Arbeiten- die Kindertümelei der
Anfangsjahre überwunden, so in dem heiteren, mit Puppen in-
szenierten vierteiligen ScienceFiction-Abenteuer Robbi, Tobbi
und das Fliewatüüt (1972/73 nach Boy Lornsen).
Formales Experimentieren und Suchen gilt um 1970 mehr
noch den Jugend- als den Kinderprogrammen. Die Fernsehver-
antwortlichen verstehen bis zum Ende der 60er Jahre ihr von
Kindern genutztes Programm zumindest teilweise als »Jugend-
programm«, obwohl Jugendliche selbst sich ausschließlich am
Vorabend- und Abendprogramm orientieren. Um Jugendliche für
ein altersspezifisches Programm zu gewinnen, das sie über gesell-
schaftliche Probleme aufklären, ihnen politische Perspektiven und
Alternativen zeigen soll, entstehen Schüler- und Jugendmagazine
mit Ratgeber-, Informations-, Unterhaltungs- und Popmusiktei-
len, die auch von jüngeren Kindern bereitwillig als ihr Programm
angenommen werden. Um 1974 werden mehr als ein Dutzend
solcher Magazine neben- und nacheinander ausgestrahlt (Baff,
Kätschap, Szene 74, Zoom), wegen gesellschaftskritischer In-
tentionen, vorgeblicher »Linkslastigkeit« oder »Einseitigkeit«
nach wenigen Folgen wieder eingestellt oder politisch zensiert.
Wie das gesamte öffentlich-rechtliche Fernsehen unterliegen
auch die Kinder- und Jugendprogramme in den 80er Jahren ei-
nem Trend zur »Ausgewogenheit«, der zu einer Entpolitisie-
rung, zumindest zu Verzicht auf gesellschaftskritische Ambi-
tionen in den Redaktionen, und zu einer Zunahme unverbindli-
cher Unterhaltung, »Kinderbelustigung« führt. Spitzenein-
schaltquoten erreichen auch bei der ARD reine Unterhaltungs-
stoffe, möglichst solche, die in anderen Medien ihre Erfolgs-
trächtigkeit schon unter Beweis gestellt haben, wie der rote Ko-
bold Pumuckl, der 1982 als Kombination von Real- und Trick-
film im bayerischen Werberahmenprogramm beginnt und dann
mit Meister Eder auf einen Kinderserienstammplatz am Sonn-
tag »hüpft«. Die Orientierung an Einschaltquoten, an mög-
lichst hohen Zuschauerzahlen dürfte auch bei den öffentlich-
rechtlichen Kinderprogrammen steigen.

4. Programmangebote und Nutzungspräferenzen zu


Beginn der 90er Jahre
Die bundesdeutsche Medienlandschaft verändert sich am Ende
der 80er Jahre sehr nachhaltig durch die gewachsene und wach-

82
sende Zahl privater, kommerzieller Anbieter von Fernsehpro-
grammen. Die übergroße Mehrheit der Haushalte in der BRD
kann zu Beginn der 90er Jahre weit mehr als drei Fernsehpro-
gramme empfangen, weil sie ohnenhin in Grenzregionen
wohnt, weil in den meisten Ballungsgebieten die privaten Voll-
programme RTL plus und SAT 1, gegebenenfalls auch Tele 5
und Pro 7 terrestrisch (über die Antenne) empfangen werden
können. Etwa die Hälfte aller Haushalte sind an das Kabelnetz
angeschlossen (wovon allerdings nicht alle Gebrauch machen),
die Anzahl der privaten Satellitenempfangsanlagen steigt stetig.
Es ist also davon auszugehen, daß mittlerweile die meisten
bundesdeutschen Kinder neben ARD und ZDF die führenden
vier Privatanbieter regelmäßig nutzen können, daß die Mehr-
heit von ihnen rund um die Uhr aus einem- zumindest quanti-
tativ- breiten Fernsehangebot auswählen kann: Einschließlich
der dritten ARD-Programme und der öffentlich-rechtlichen Sa-
tellitenprogramme (3sat und Eins Plus) sind 1990 insgesamt 13
deutschsprachige Fernsehsender zu empfangen, dazu mehrere
englischsprachige, von denen die ausschließlich Sport oder Vi-
deoclips (MTV) ausstrahlenden auch von Kindern undJugend-
lichen genutzt werden.
In den Programmstatistiken sind um 1990 die Anteile inten-
tionaler Kinder- und Jugendsendungen etwa mit 5% bis 12%
an der Gesamtsendezeit ausgewiesen, an der Spitze liegt der pri-
vate Anbieter Tele 5 mit 12,5%, gefolgt von der ARD mit
10,1 %; beim ZDF sind es 6,5 %, bei RTL plus 5,1 %. Der Un-
terschied zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten
Anbietern besteht zur Zeit noch darin, daß das öffentliche An-
gebot breiter gefächert ist, Jugenddiskussionsrunden, Sach-
und Dokumentarfilme, pädagogisch konzipierte Programme
enthält, während bei den Privaten der Schwerpunkt auf Zei-
chentrick- und Spielfilmserienimporten liegt, mit wenigen Aus-
nahmen, wie BimBam Bino bei Tele 5, Li-La-Launebär bei
RTL, beides im Studio moderierte, durchaus pädagogisch kon-
zipierte Mischformen, in der Spiele und Kinderaktivitäten,
Slapstick und Trick wechseln.
Bei Kindern bis zum Alter von 13 Jahren, die über Kabel oder
terresErisch Private empfangen können, haben diese eindeutig
den Offentlieh-Rechtlichen den Rang abgelaufen: an erster
Stelle liegen nahezu gleichauf in der Gunst des jungen Publi-
kums RTL plus, Tele 5 und SAT 1 (alle 1990 mit einem Anteil
von 18% bis 19% andertäglichenSehdauer). Erst aufRangvier
folgt die ARD (13%) und danach das ZDF (11 %). (Vgl. epd-

83
KIRCHE UND RUNDFUNK 8611990). Verkabelte Haus-
halte können heute wöchentlich insgesamt 130 Stunden inten-
tionales Kinderprogramm empfangen, ~avon allein 50 Stunden
durch Tele 5 und 30 durch RTL (SUDDEUTSCHE ZEI-
TUNG 13. 12. 91).
Nach unterschiedlichen Erhebungen der letzten Jahre (vgl.
u. a. Paus-Haase: Neue Helden . . . I Theunert I BILD +
FUNK) sind die von Kindern zwischen fünf und zwölf Jahren
um 1990 bevorzugten Programmformen Zeichentrickserien,
Actionserien, Unterhaltungsshows (Quiz, Game) und Kinder-
magazine (in dieser Reihenfolge). Die beliebtesten Reihen,
meistgenannten Titel sind derzeit bei:
Zeichentrickserien
Rang Titel Sender
1. DuckTales ARD
2. Die Schlümpfe TeleS
3. ffe-11an RTL plus /Tele 5
4. Fantastic 11ax TeleS
5. Disneys Gummibärenbande ARD
6. Ghostbusters RTL plus/TeleS
7. Tom&Jerry ZDF
8. Familie Feuerstein SATt
9. Bugs Bunny ZDF

Im deutschen Fernsehen (wie auch in dem anderer westeuropä-


ischer Länder) stellen Zeichentrickfilme den Hauptanteil der in-
tentionalen Kinderprogramme. Vor allem die vier größeren pri-
vaten Anbieter präsentieren sie geballt an Samstag- und Sonn-
tagvormittagen, werktäglich morgens und am Nachmittag im
stetigen Wechsel mit anderen Programmmformen. Dabei han-
delt es sich z. T. um ältere US-amerikanische Serien, Familie
Feuerstein, ]etsons, teils um franko-belgische, Die Schlümpfe,
die auch schon in den öffentlich-rechtlichen Programmen ge-
zeigt worden sind, die formal und inhaltlich noch akzeptable
Qualitätsstandards aufweisen. Dominant ist allerdings die
hochgradig standardisierte Massenzeichenware, die in den gro-
ßen japanischen und taiwanesischen Trickfilmfabriken für den
Weltmarkt gefertigt wird.
Japanische Billigproduktionen sind in den 70er und 80er Jah-
ren von ARD und ZDF in der BRD marktfähig gemacht wor-
den, weil sie erheblich billiger produziert und vertrieben wer-
den als z. B. die amerikanischen Hanna Barbera Produktionen
(Yogi Bär, Familie Feuerstein). Die Japaner reduzieren die

84
Anzahl der pro Sekunde gezeigten Einzelbilder von 24, die man
für fließende, oder 18, die man für halbwegs glatte Bewegungs-
abläufe benötigt, auf 12 oder 8 Einzelbilder in der Sekunde, was
zu ruckhaften Figurenbewegungen führt. Sie verzichten zudem
auf die Animation von mehren Teilen der Einzelbilder, bewe-
gen nur einen Körperteil (beim Sprechen Austausch einer Kinn-
ladenschablone), verschieben nur den Hintergrund, um so Fi-
gurenanimation vorzutäuschen. Der Einsatz von Computern
für Zwischenbildphasen oder Bewegungsabläufe trägt weiter
dazu bei, Personalkosten zu reduzieren. (Für einen neuen
abendfüllenden, künstlerisch auch nicht gerade innovatori-
schen Asterix-Film arbeiten allein 200 Animatoren, Szenari-
sten, Koloristen mehr als zwei Jahre in den französischen Gau-
mont-Studios.)
Sparsam ausgeführt, auf Klischees, gute Wiedererkennbar-
keit reduziert sind auch die Charaktere japanischer Trickserien,
wobei die Hauptfiguren meist nach dem >Kindchenschema< ge-
staltet sind, um Sympathie zu binden: relativ kleiner Körper,
Übergroßer Kopf, große Augen (meist rund, damit die Serie in
Asien wie Europa von Kindern angenommen werden kann).
Die Figuren sind zwar oft von Mythen oder bekannten literari-
schen Vorlagen angeregt (Biene Maja, Sindbad, Nils Holgers-
san ), nehmen vom Ausgangsmaterial aber nur den absatzför-
dernden Namen oder die Grundidee, um beliebig austausch-
bare Geschichten zu variieren. Bei Auftragsfertigung werden
manchmal Figurenkonstellationen und Bildhintergründe von
den europäischen oder amerikanischen Auftraggebern vorgege-
ben, so bei der französischen SF-Serie MASK, oder bei den für
die Disney Company gezeichneten Duck Tales sogar das kom-
plette Figurenensemble sowie das Szenario der Einzelepisoden.
Bei der Zeichentrickmassenware lassen sich zwei Typen grob
unterscheiden: vor allem an jüngere Kinder wenden sich Serien,
die mit vermenschlichten Tieren, Kindern oder Phantasiewesen
als Hauptfiguren arbeiten, Versatzstücke aus Märchen und
Fantasy benutzen, bei Farbgebung und Dekor keine Grenze
zum Kitsch kennen: Kimba, der weiße Löwe; Tom & ]erry;
Bugs Bunny; Pinocchio; Die Schlümpfe; Marco. Die Serien die-
ses Segmentes enthalten sowohl spannungsbetonte als auch hu-
moristische (Slapstick-)Komponenten.
Außerordentlich vermehrt hat sich der zweite Serientypus,
der sich (nicht nur, aber vorrangig) an ältere Kinder wendet, in
dem Komponenten aller Abenteuergenres und der Science Fic-
tion beliebig miteinander verschnitten sind: Action-Trick-

85
serien, in denen Supermenschen ( Captain Future, He-Man, Spi-
derman), Supertiere (Superkater, Teenage Turtles) oder Super-
roboter (Transformers) im Zentrum der Handlung stehen, die
mit Superwaffen und wasserweltraum-straßentauglichen Su-
perfahrzeugen Superbösewichte jagen und besiegen. Alle action-
orientierten Trickfilme betonen das (utopisch-)technische Zu-
behör und sprechen damit eher, aber nicht nur, Jungen an. Ge-
walt, gerechtfertigt als Konfliktlösungsmittel auf der Seite der
Guten, wird stets mit einbezogen, aber knapp gehalten, nicht
ausgekostet. >>Kommt es zum Kampf, werden Menschen nie
verletzt«, sondern können, nach Gefangennahme oder Vertrei-
bung, später wieder unversehrt mitmachen, >>wie Kinder beim
Spiek (Paus-Haase: Neue Helden ... ).
Die Zeichentrickserien tragen vermutlich zur Reduzierung
des ästhetischen Anspruchsniveaus von Kindern bei, sind
gleichwohl bei diesen beliebt, weil ihre Dramaturgie nur ge-
ringe Anforderungen stellt: Der Wechsel von Schauplätzen (mit
schnellen, harten Schnitten), optische Effekte (Hell-Dunkel-
Kontraste), grelle Geräusche, treibende Musik suggerieren Ac-
tion und Dynamik, eine dichte Handlung. Dabei werden Hin-
tergründe und Motive durch Handlungen oder Kommentare
nur schrittweise, >>häppchenweise« preisgegeben: >>Fast alle nö-
tigen Informationen werden unmittelbar vor dem Ereignis ge-
liefert, eine Strategie, die jüngeren Zuschauern ... entgegen-
kommt. Sie müssen so keine Informationen über längere Zeit im
Gedächtnis behalten« (Paus-Haase: Neue Helden ... ). Auch
der Länge der Darbietungen, Einzelepisoden um oder weniger
als 10 Minuten, Kompilationen 20 bis 25 Minuten, kommt
kindlichem Rezeptionvermögen entgegen.
Und da die Kabelanbieter selbst mit den billigsten Serien of-
fenkundig Kinder in größerer Zahl an den Bildschirm locken
(somit ein entsprechendes Werbeumfeld bieten), stopfen sie da-
mit vor allem ihre Vormittags- und Frühnachmittagspro-
gramme zu. Die ARD reagiert auf der untersten Qualitätsebene
noch mit dem >>Mut zur Lücke«, versucht mit teureren Trickse-
rienimporten für Vorabend oder Samstagnachmittag gleichzei-
tig Kinder und Erwachsene zu erfreuen; vor allem mit den auf-
wendiger animierten Serien im Disney Club. Erfolg bei deut-
schen wie bei ausländischen Zuschauern hat der WDR mit einer
Eigenproduktion, die die japanischen Serien tricktechnisch
zwar nicht übermäßig, vom Phantasieaufwand her aber sehr
deutlich übertrifft, mit]anosch's Traumstunde (1986-90 insge-
samt 26 Folgen) meist fabelartigen, manchmal pointiert oder

86
ironisch erzählten Geschichten, die sich eng an die literarische
Vorlage anlehnen, den Massenserien ein eigenständiges U niver-
sum, eine eigene Bildkultur entgegensetzen (und die zu den bis-
lang erfolgreichsten Auslandsverkäufen des Deutschen Fernse-
hens gehören, sogar nach Japan und in die USA). Nicht den er-
hofften Erfolg hat das ZDF 1991/92 mit dem teuer eingekauften
US-amerikanischen >Mega-Hit<, den Abenteuern der Simpsons,
die mit zum Teil absurden Humor amerikanischen Kleinbürge-
ralltag verspotten, ein jüngeres Publikum damit überfordern.
Die Hauptfernsehzeit der Kinder ist der Vorabend, von 17.30
bis etwa 20 Uhr, eine Zeit, zu der kaum intentionale Produktio-
nen für Kinder ausgestrahlt werden (allenfalls in den 3. ARD-
Programmen), zu der diese sich aber vorrangig und regelmäßig
vor dem Bildschirm sammeln (ein zusätzlicher Schwerpunkt
der Altersgruppe 8 bis 13 Jahre liegt auf der Zeit bis 21 Uhr).
Auf den Fernsehhitlisten tauchen dementsprechend häufig
(überproportional) Vorabendserien auf, vor allem aus den USA
importierte Action-Titel, die von immer jüngeren Zuschauern
vorrangig genannt werden:

Actionserien
Rang Titel Sender
1. Knight Rider RTLplus
2. A-Team ARD/RTLplus
3. Batman SATt
4. Airwolf RTLplus/SATt
5. Der6-Millionen-Dollar-Mann RTLplus
6. MacGyver SATt
7. Ein Colt für alle Fälle Pro7 /ZDF
8. Stingray SATt

Die mit etwa 50 oder 25 Minuten überschaubar langen Serien-


folgen kofil:!llen Kindern durch die Geradlinigkeit der Hand-
lung, die Uberschaubarkeit des Personenarsenals entgegen.
Spitzenreiter Knight Rider wird 1991 in der BRD zum fünften
Male komplett (90 Folgen) ausgestrahlt (aufgrund des bundes-
deutschen Erfolges wird in den USA vorrangig für den deutsch-
sprachigen Markt die Produktion dieser Serie fortgesetzt). »Es
ist schnell klar, wer das >Gute< bzw. das >Böse< verkörpert.
Hinzu kommt eine eingängige Musik, die die Dramaturgie un-
terstützt. Wie die Maus in Tom & ]erry gebraucht auch Colt
Sievers (der Colt für alle Fälle, H. H.), List und Kraft, er kann
sich in gefährliche Situationen begeben und kommt ohne
Schrammen wieder heraus ... ist eine Art Superman, der durch

87
die Tolpatschigkeit seines Assistenten ... noch verstärkt wird.«
(Rogge, 1988} Die Action-Serie will also nur unterhalten, ohne
pädagogischen Anspruch. »Dies erkennen die Kinder sofort ...
Das Verständnis der Handlung steht dabei nicht im Vorder-
grund, wichtig sind die Präsenz eines vertrauten Helden, ein
leicht erkennbarer Gegner ... ein Happy End« (Paus-Haase:
Neue Helden ... ).
Faszinierend für Kinder wie für Jugendliche ist ferner die von
den Serienhelden gebrauchte Supertechnik: Colt Seavers fährt
einen Landrover, der an physikalische Gesetze nicht mehr ge-
bunden zu sein scheint. Und in den wegen ihrer Gewaltdarstel-
lungen kritisierten Kabelserien Knight Rider und Airwolf iden-
tifizieren sich Jungen mit den Protagonisten vor allem deshalb,
weil diese in Airwolf über einen Superkampfhubschrauber ver-
fügen, der praktisch unbesiegbar ist, oder ein intelligent und
selbständig handelndes Superauto fahren. (»Ich möchte das
Auto sein, jedenfalls lieber als der Knight, das kann ja viel
mehr.« Hauptschüler, 1989.}
Die Gewalt in denneueren Actionserien »Zeigt zahlreiche Pa-
rallelen zur klassischen Cartoon-Gewalt ... : Man prügelt und
schießt wild um sich, Bomben und Granten explodieren . . .
Autos inklusive Insassen überschlagen sich ... -doch niemand
wird verletzt ... Die Kämpfe sind laut und heftig, aber ... un-
realistisch« (Paus-Haase: Neue Helden ... ). Die Gewalt istfür
die Kinder damit weniger wichtig als die komischen Aspekte,
witzige Dialoge oder Redewendungen, mit denen Helden
ihre Aktionen kommentieren, Slapstick oder manchmal sogar
Selbstironisches.
Die vorabendlich ebenfalls ausgestrahlten Familien- und Co-
medy-Serien stammen teils aus den USA, Verliebt in eine Hexe,
Unter der Sonne Kaliforniens, Falcon Crest, sind andernteils zu-
nehmend Eigenproduktionen, Die Schwarzwaldklinik, Praxis
Bülowbogen, Die Lindenstraße. Hier »existiert die Familie mit
ihren Normen und Werten ... nur als idealtypische Konstruk-
tion ... Die Harmonie und das Glück sind jedoch nie vollkom-
men, denn immer wieder müssen die Protagonisten mit ihrem
Schicksal hadern, sind die Kinder nicht so, wie sie sein sollen,
und der Opa nicht einfach nur krank und ruhig . . . Aus der
Sicht der jeweils betroffenen Helden und Heldinnen wird dann
die emotionale Bearbeitung des Konflikts geschildert. Damit
wird jegliches Thema ... auf emotionale Klischees reduziert,
auf allgemeine Gefühlserfahrungen, die den Zuschauern aus ei-
gener Erfahrung bekannt sind. Auf diese Weise kommt es zu

88
emotionaler Nähe zum Geschehen auf dem Bildschirm.« (Mi-
kos, 1988)
Familienserien und soap operas erfreuen sich beim Erwach-
senenpublikum überproportionaler Beliebtheit, werden von
Kindern (gerade am Wochenende die Lindenstraße) eher notge-
drungen mitgesehen. Bei älteren Mädchen besteht manchmal
eine ausgeprägtere Neigung, Jungen bevorzugen eindeutig
mehr Action: » Lindenstraße ist bescheuert. Die quatschen nur
rum. Das ist eine Sendung für die Alten.« (Neunjähriger,1988)
Die Ausnahme unter den Familienserien, Favorit und» Super-
star« für drei Viertel aller Kinder bis 13 Jahren, ist von der Erst-
sendung 1988 bis zum Ende 1990 fast ungebrochen ALF, die
»außerirdische Lebensform«, ein- wohl vom Kino-E. T. ange-
regter- kleiner, drolliger Außerirdischer, dargestellt von einer
teddybärartigen Puppe. Nicht nur Kinder haben die coole,
schlagfertige Figur, die in einer amerikanischen Kleinbürgerfa-
milie für Chaos sorgt, in ihr Herz geschlossen (»Alf ist lustig,
der macht Quatsch und sagt immer >Null Problemo<«; Zehnjäh-
rige, 1988). Mit dem Absetzen der TV-Serie verliert die Figur
schnell viel von ihrer Popularität.
Erzählerisch und dramaturgisch weisen Vorabend- und Zei-
chentrickserien Übereinstimmungen auf: sie arbeiten mit kur-
zen, überschaubaren Spannungsbögen, setzen in regelmäßigen
Abständen Spannungshöhepunkte, um die Zuschauer zu bin-
den, vor dem Bildschirm zu halten (aber auch, weil- im Pro-
duktionsland USA prinzipiell- hinter dem Spannungs-, Gefah-
renhöhepunkt eine Werbeeinblendung erfolgt). Sie erzählen
chronologisch, fortlaufend, in kleine inhaltliche Einheiten zer-
gliedert, deren Reihenfolge letztlich beliebig ist. Der Zuschauer
kann mit jeder beliebigen Folge, an jeder beliebigen Stelle in die
Serie einsteigen, auch kleineren Kindern sind nach dem zweiten
oder dritten Kontakt die Zusammenhänge ausreichend ver-
ständlich. Abgelehnt werden von Kindern allerdings Serien, de-
ren Einzelfolgen mit einem offenen Schluß, einer nicht abge-
schlossenen Teilepisode, einem Spannungshöhepunkt (»Cliff-
hanger«) enden, denen das eindeutige happy end fehlt.
Hohe Einschaltquoten bringen den privaten wie öffentlich-
rechtlichen Sendern Quizsendungen und Game Shows, die sich
außerordentlich billig herstellen lassen, mit wiederverwendba-
ren Standardkulissen arbeiten, die man en bloc, also mehrere
Folgen an einem Tag, produzieren kann. Eigenproduktionen
wie Lizenzübernahmen kennzeichnen vor allem die Pro-
gramme von RTL plus und Sat 1 (Glücksrad ist die Übernahme

89
der erfolgreichsten US-Game Show aller Zeiten, Wheel of For-
tune). Bereits bei kleineren Kindern liegen Show-Sendungen
vorn in der Beliebtheitsskala, weit vorn Moderator Thomas
Gottschalk:
Unterhaltungsshows
Rang Titel Sender
1. Wettendaß... ZDF
2. Glücksrad SAT 1
3. DerPreisistheiß RTLplus
4. VerstehenSieSpaß ARD
5. Hitparade ZDF
Die Mehrheit der neueren Game Shows orientiert allein auf
Konsum, betreibt Werbung, »die auf den ersten Blick gar nicht
als direkte Werbung in Erscheinung tritt«, die manchmal »noch
mehrfach durch Werbespots unterbrochen« und (Hallenber-
ger/Kaps), zum Teil in täglichen Fortsetzungen ausgestrahlt
wird.
Die von der Medienkritk gescholtenen privaten Kinderpro-
gramme bieten seit Beginn der 90er Jahre selbstproduzierte Ma-
gazine, die sich im Einzelfall durchaus mit den Vorschulsen-
dungen von ARD und ZDF messen können, in denen sich- mit
unterschiedlichem Anteil- Information, Serien-Episoden und
Moderatoreneinsatz mischen. Durch Kooperation mit der Dis-
ney Company gehören ARD-Sendungen zu den von Kindern
vorrangig genannten:
Kindermagazine
Rang Titel Sender
1. Disney Club ARD
2. BimBam Bino Tele5
3. Li-La-Launebär RTLplus
4. Sesamstraße 3.ARD
5. Konfetti RTLplus
Im Li-La-Launebär tritt der Moderator zusammen mit dem
netten Bären, einer großen Klappmaulpuppe, auf, um im lusti-
gen Zwiegespräch und in kurzen Filmen Informationen zu ei-
nem Schwerpunktthema zu vermitteln. Konfetti spricht Kinder
durch »eine gekonnte Mischung aus Trick- und Realteilen«
(BILD + FUNK 1991 ), BimBam Bino, Disney Club bieten eher
ein unzusammenhängendes »Potpourri« aus Trickfilmen, Auf-
tritten von Künstlern und Entertainern.
Kinder nutzen die privaten Vollprogramme nicht zuletzt des-
wegen mit Vorrang, weil ihnen hier rund um die Uhr ein um-

90
fangreiches Spielfilmangebot zur Verfügung steht, von dem sie
auch Gebrauch machen. SAT 1 hat mit etwa 1.000 verschiede-
nen Spielfilmen 1989 einen Spitzenplatz erklommen (Wieder-
holungen im gleichen Jahr nicht gerechnet), auch andere Sender
strahlen mehr als 500 Filme jährlich aus, überwiegend natürlich
billige (B- oder C-Pictures) oder ältere, deren Kinoeinsatz sich
kaum lohnen würde (selbst die konservativen, kitschigen bun-
desdeutschen Märchenfilme aus den frühen SOer Jahren finden
auf diesem Wege wieder ein Publikum).

5. Aspekte der Rezeption


Kinder lieben am Fernsehen also »alles, was so witzig und so
spannend ist und wo ein Held drinne ist« (Theunert), erwarten
ein Gegenangebot zum Alltag, Entspannung, Kompensation.
Sie stellen sich aus dem Gesamtangebot selbstbewußt ein ganz
subjektives Programm zusammen, das diesen Erwartungen ge-
recht werden kann. Sie nutzen das Medium »thematisch vorein-
genommen«, mit spezifischen, aus dem jeweiligen Kinderalltag
herausgebildeten Sehinteressen, »abhängig vom Geschlecht,
Alter, sozialem Umfeld und persönlichen Erfahrungen« (vgl.
Theunert).
Von Kindern im Vorschulalter, denen Erwachsenen nicht
»erläuternd, abschwächend oder korrigierend« vor dem Bild-
schirm Unterstützung geben, »glauben noch 50 Prozent ... ,
daß die Darsteller und Figuren mit ihnen in direktem Kontakt
stehen.« (PSYCHOLOGIE HEUTE 11/1990) Andererseits ist
die Mehrheit der Kinder im Grundschulalter imstande, den fik-
tiven Kontext von Zeichentrick- und Actionserien zu erkennen.
Die erkennbare Fiktionalität »und die irreale und folgenlose
Darstellung von Gewaltanwendung führen dazu, daß die ent-
haltene Gewalt den Kindern kaum in den Blick gerät und nicht
ernst genommen wird. Sie tritt gegenüber der Faszination für
die Helden und für die mit Technik und Zauberei inszenierten
Kampfhandlungen in den Hintergrund.« (Theunert) Dadurch
aber, daß die Folgen von Gewalt ausgeblendet oder verharmlost
und durch die Gewaltanwendung auf seiten positiver Figuren
legitimiert werden, besteht die Gefahr, »daß Kinder das mediale
Klischee des >guten und siegreichen Helden, der mit allen
Mitteln für sein Recht kämpfen darf', aufnehmen.« (Theu-
nert)

91
Jungen interessieren sich stärker für gewaltbetonte Serienfol-
gen, weil sie hier auch männliche Rollenbilder vorgeführt be-
kommen (stark, unerschrocken), an denen sie sich orientieren.
Desto mehr die medial inszenierte Gewalt an die Realität ange-
nähert ist (z. B. im Kriminal- stärker als im Action- oder Trick-
film), desto stärker wird sie von den Kindem abgelehnt, weil
diese selbsterfahrene Realität wiedererkennen und dadurch ver-
unsichert werden. Auf realistisch und drastisch inszenierte Fol-
gen von Gewalt reagieren Kinder in der Regel mit »Starker emo-
tionaler Betroffenheit, einige mit Angstgefühlen«; der Gewalt-
begriff von Kindem ist in erster Linie abhängig »von ihren Le-
bensumständen und Orientierungen. Das enge Gewaltver-
ständnis der Jungen ist von ihrer Alltagspraxis, die auch spiele-
risches Gewalthandeln integriert, ebenso beeinflußt wie von
ihren Idealvorstellungen des Mann-Seins ... Die Mädchen hin-
gegen suchen in den Medien vor allem Ablenkung von ... psy-
chischen Belastungen ... und Material, um ihre Wunschträume
zu füllen ... auch sie übergehen jedoch Gewaltelemente, die ih-
nen bei der medialen Befriedigung ihrer Flucht- und Ablen-
kungsbedürfnisse begegnen.« (Theunert)
Gewaltdarstellungen also, die eine bestimmte, von Kind zu
Kind verschiedene Schwelle des Gewaltverständnisses nicht
überschreiten, und dies gilt für gängige Trickfilm- wie Action-
serien, tangieren oder belasten Kinder nicht. Daneben gibt es
durchaus Femseherlebnisse, deren Gewaltqualität Kinder
überfordert, weil sie das inszenierte Leiden nachempfinden
können oder weil ihnen Möglichkeiten der Erklärung, Bewälti-
gung oder Verdrängung fehlen.
Extreme Gewaltdarstellungen, Verstöße gegen moralische
Normen wie gegen die des >guten Geschmacks< bleiben im bun-
desdeutschen Fernsehen die Ausnahme. Die Programme der
privaten Anbieter finanzieren sich über Werbung, diese sind da-
her auf hohe Einschaltquoten angewiesen, produzieren deshalb
Programme, die möglichst breitem Publikumsgeschmack ge-
recht werden, den Durchschnittszuschauer nicht überfordern,
nicht anstrengen, sondern problemlos unterhalten. Informatio-
nen werden in kurze, leicht verständliche Einheiten aufbereitet.
Die Infantilisierung der kommerziellen Fernsehprogramme ist
unübersehbar; die öffentlich-rechtlichen müssen sich graduell
dieser Konkurrenz fügen, reduzieren ihre Minderheitenpro-
gramme, verschieben Schwieriges auf Randzeiten.
Das Gesamtangebot des Mediums Fernsehen kommt zuneh-
mend den kognitiven Fähigkeiten, den Bedürfnisstrukturen

92
von Kindern entgegen. Gleichzeitig nehmen auch Erwachsene
Kinderprogramme, wie Zeichentrickserien, vermehrt wahr. Das
erweiterte Fernsehangebot schafft durch »generationsübergrei-
fende Sehsituationen und Sehinteressen« (Bettina Hurrelmann)
auch Gemeinsamkeit, es ermöglicht andere Formen von Gemein-
samkeit als das Gespräch. Insbesondere für die unteren sozialen
Schichten sind breite, allerdings unterhaltungsorientierte, für die
gesamte Familie gemeinsame Sehinteressen charakteristisch.

Literatur

Bibliografien
Klein, Bettina u. a.: »Bibliographie Kinder und Fernsehen in der Bun-
desrepublik Deutschland«, in: Hans Dieter Erlinger u. a.: Fernsehen
für Kinder. Vom Experiment zum Konzept. Programmstrukturen-
Produkte-Präsentationsformen, Siegen 1990 (Arbeitsheft Bild-
schirmmedien 16), S. 78-125.
Müller, Werner und Manfred Meyer: Kind und Familie vor dem Bild-
schirm. Eine Bibliographie ausgewählter Forschungsergebnisse zur
Fernsehrezeption, München u. a. 1985 (Bibliographischer Dienst des
IZI 5).

zu Geschichte, Theorie und Ökonomie des Fernsehens


Blum, Richard A. and Richard D. Lindheim: Prime Time. Network Te-
levision Programming, Boston, London 1987.
Dahlmüller, Götz u.a.: Kritik des Fernsehens, Darmstadt, Neuwied
1973 (Sammlung Luchterhand 111).
Luyken, Georg-Michael: »Das Medienwirtschaftsgefüge der 90er
Jahre«, in: Media Perspektiven 10/1990, S. 621-641.
Wilde, Graham: »Der Markt für Fernsehprogramme in Westeuropa
1989 bis 1999«, in: Media Perspektiven 10/1990, S. 642-650.
Zielinski, Siegfried: Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischen-
spiele in der Geschichte, Reinbek 1989 (re k+i 489).

zur Geschichte des Kinderfernsehens


Erlinger, Hans Dieter und Dirk Ulf Stötzel (Hg.): Geschichte des Kin-
derfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklungs-
prozesse und Trends, Berlin 1991.
Holzer, Horst: Kinder und Fernsehen. Materialien zu einem öffentlich-
rechtlichen Dressurakt, München 1974 (Reihe Hanser 160).
Schedler, Melchior (Hg.): Kinderfernsehen anders, Köln 1975.
Schmidbauer, Michael: Die Geschichte des Kinderfernsehens in der
Bundesrepublik Deutschland. Eine Dokumentation, München u. a.
1987 (Schriftenreihe des IZI 21).

93
Wetterling, Horst: Das Fernsehen in pädagogischem Aspekt. Bemer-
kungen zur Wirksamkeit, zu den Möglichkeiten und Aufgaben eines
Jugendprogramms im Fernsehen, München 1960.

zu Kinderfernsehprogrammen
Deutsches Fernsehen I ARD-Programmdirektion (Hg.): Kinderfernse-
hen, Frankfurto.J. (1987).
Hunscha, Christa: Struwwelpeter und Krümelmonster. Die Darstel-
lung der Wirklichkeit in Kinderbüchern und Kinderfernsehen,
Frankfurt 1974 (Fischer Tb 1518).
Lorey, Elmar M.: >>Warum wir so erzählen«, in: Hans Dieter Erlinger
(Hg.): Kinderfernsehen II, Essen 1989, S. 9-34.
Paus-Haase, Ingrid (Hg.): Neue Helden für die Kleinen. Das (un)heim-
liche Kinderprogramm des Fernsehens, Münster, Harnburg 1991
(Medien & Kommunikation 16).
Rogge, Jan-Uwe: »Salom zwischen Spannung und Klamauk. Stars und
Genres in derGunstder Kinder«, in: Medien Concret2/1988, S. 12-23.
Schmitt, Christoph: »Rückschritt oder Neubesinnung? Anmerkungen
zum gegenwärtigen Märchenboom unseres Kinderfernsehens«, in:
Kinderkultur. 25. Deutscher Volkskundekongreß in Bremen v.
7.-12. 10. 1985, Bremen 1987, S. 389-400.

zum Vorschulfernsehen
Feinstein, Phylis: Alles über Sesame Street. Geschichte der revolutionä-
ren Fernsehreihe für Kinder, München 1972 (Heyne Tb 974).
Paus-Haase, Ingrid: Soziales Lernen in der Sesamstraße. Versuch einer
Standortbestimmung, München 1986.
Stötzel, Dirk Ulf (Hg.): Kinderfernsehen I, Essen 1988 (Siegener Stu-
dien 43).
Stötzel, Dirk Ulf: Das Magazin >Die Sendung mit der Maus<. Analyse
einer Redaktions- und Sendungskonzeption, Wiesbaden 1990.

zu Fernsehserien
Aufenanger, Stefan: »Pädagogisch wertvoll: für Kinder kein Kriterium.
Die Konkurrenz der Fernsehserien für das Kinderprogramm«, in:
merz 3/1991, S. 202-206.
Castleman, Harry and Walter J. Poddrazik: Harry and Wally's Favorite
TV Shows. A Fact-Filled Opinionated Guide totheBestand Worst
on TV, NewYork u.a. 1989.
Hickethier, Knut: Die Fernsehserie und das Serielle des Fernsehens,
Lüneburg 1991 (Kultur-Medien-Kommunikation. Lüneburger
Beitr. zur Kulturwiss. 2).
Mikos, Lothar: »Fernsehserien. Ihre Geschichte, Erzählweise und The-
men«, in: merz 1/1987, S. 2-16.

94
Reich, Helmut: »Serien und Wertevermittlung. Moralische und reli-
giöse Entwicklung durch >Knight Rider< und >Alf<?<<, in: medien
praktisch4/1991, S. 30-34.

zu Action-Serien
Fellner, Uschi und Peter Leopold: Knight Rider. Das Buch über David
und >K.I.T.T.<, Wien, Harnburg 1987.
Knilli, Friedrich (Hg.): Die Unterhaltung der deutschen Fernsehfami-
lie. Ideologiekritische Untersuchungen, München 1971 (Reihe Han-
ser 64).
Nagel, Bernd: »Anmerkungen über Fernsehserien am Beispiel von >Co-
lumbo<«, in: Dieter Prokop (Hg.): Massenkommunikationsfor-
schung. 3: Produktanalysen, Frankfurt 1977, S. 139-146.

zu Familien-Serien I Soap Operas


Buckman, Peter: All for Love. A Study in Soap Opera, Salem/New
Hampshire 1985.
Frauen und Film 42/1987 (Themenheft: soap opera).
Mikos, Lothar: »Heile Welt und kalter Kaffee. Familienbilder in Fern-
sehserien«, in: Medien Concret 2/1988, S. 40-44.
Rössler, Patrick: Dallas und Schwarzwaldklinik. Eine Programmstudie
über Seifenopern im deutschen Fernsehen, München 1988.

zu Zeichentrick-Serien
Beck, Jerry and Will Friedwald: Looney Tunes and Merrie Melodies.
A Complete Guide to the Warner Bros. Cartoons, New York
1989.
Berger, Jürgen und Rolf Giesen: Mickey Mouse, Asterix & Co. Die
Stars des Zeichentrickfilms, Frankfurt 1986 (Schriftenreihe des deut-
schen Filmmuseums).
Maltin, Leonard: Der klassische amerikanische Zeichentrickfilm, Mün-
chen 1982 (Heyne Filmbibliothek 42).
Rogge, Jan-Uwe: »Am Samstagmorgen ist die Welt noch in Ordnung.
Schlaglichter auf den Animationsfilm im deutschen Fernsehen«, in:
Medien Concret 3/1990, S. 49-56.
Thiele, Jens: Trickfilm-Serien im Fernsehen. Eine Untersuchung zur
Didaktik der Ästhetischen Erziehung, Oldenburg 1981.

zum Puppenfilm
Berger, Jürgen u. a.: Muppets, Monster & Magie. Die Welt von Jim
Henson, Frankfurt 1987 (Schriftenreihe des deutschen Filmmu-
seums).
Schmitt, Christoph: »Die Entwicklung des Puppenfilms im Kinder-
fernsehen der Bundesrepublik von den Anfängen bis zur Gegen-
wart«, in: Hans Dieter Erlinger u. Uwe Mattusch (Hg.): Kinderfern-
sehen III, Essen 1991, S. 11-71.

95
zu Quiz-, Game- und Unterhaltungs-Shows
Aufenanger, Stefan: »>Kann Verkleiden Sünde sein?< Die >Mini Play-
back Show<«, in: medienpraktisch 411991, S. 13-16.
Bliersbach, Gerhard: >Schön, daß Sie hier sind!< Die heimlichen Bot-
schaften der TV-Unterhaltung, Weinheim, Basel1990 (Psychologie
heute 529).
Hallenberger, Gerd undJoachim Kaps (Hg.): Hätten Sie's gewußt? Die
Quizsendungen und Game Shows des deutschen Fernsehens, Mar-
burg 1991.
Jörg, Sabine: Unterhaltung im Fernsehen. Show-Master im Urteil der
Zuschauer, München u. a. 1984 (Schriftenreihe des IZI 18).
Pretzsch, Dietmar »Game shows im privaten Fernsehen. Einordnung
im Marketing Mix und Publikumsanalyse«, in: Media Perspektiven
1111991,S. 727-734.

zur Wirkung I Rezeption


Charlton, Michael und Klaus Neumann: Fernsehen und die verborge-
nen Wünsche des Kindes. Inhaltsanalyse einer Kinderserie und Un-
tersuchung des Rezptionsprozesses, Weinheim, Basel1982.
Hurrelmann, Bettina: Fernsehen in der Familie. Auswirkungen der
Programmerweiterung auf den Mediengebrauch, Weinheim, Mün-
chen 1989.
Meyer, Manfred (Hg.): Wie verstehen Kinder Fernsehprogramme?
Forschungsergebnisse zur Wirkung formaler Gestaltungselemente
des Fernsehens, München u. a. 1984 (Schriftenreihe des IZI 17).
Sturm, Hertha: Fernsehdiktate: Die Veränderungen von Gedanken und
Gefühlen. Ergebnisse und Folgerungen für eine rezipientenorien-
tierte Mediendramaturgie,Gütersloh 1991.
Theunert, Helga u. a.: Zwischen Vergnügen und Angst- Fernsehen im
Alltag von Kindern. EineUntersuchung zurWahrnehmungund Ver-
arbeitung von Fernsehinhalten durch Kinder aus unterschiedlichen
kulturellen Milieus in Hamburg, Berlin 1992 (Schriftenreihe der
HAMS).
Winterhoff-Spurk: Fernsehen. Psychologische Befunde zur Medien-
wirkung, Bern u. a. 1986.

zur Wirkung I Rezeption von Action-Serien


Paus-Haase, Ingrid: ,.zur Faszination von Action-Serien und Action-
Cartoons für Kindergarten- und Grundschulkinder«, in: Media Per-
spektiven 1011991, S. 672~80.
Schorb, Bernd und Günther Anfang: Was machen >Airwolf< und
>Knight Rider< mit ihren jugendlichen Zuschauern. Eine Untersu-
chung zweier Fernsehserien und ihrer Beurteilung durch Jugendli-
che, München 1990 (Schriftenreihe der Landesmedienanstalten 1/90).

96
zur Wirkung I Rezeption von Trickfilm-Serien
Aufenanger, Stefan: »Zur Rezeptionssituation von Zeichentrickfilmen
aus japanischer Produktion für Kinder in der Bundesrepublik
Deutschland«, in: Deutsches Jugendinstitut (Hg.): Kinderfernsehen
und Fernsehforschung in Japan und der Bundesrepublik Deutsch-
land, Weinheim, München 1989.
Kögel, Sabine: »Kämpfer gegen das Böse. Zu den Serien >Turtles< und
>He-Man<«, in: medienpraktisch 411991, S. 25-28.
Kunczik, Michael: »Wirkungen von Gewaltdarstellungen in Zeichen-
trickfilmen«, in: Media Perspektiven 511983, S. 338-342.
Rogge, Jan-Uwe: »Brauchen Kinder Fernsehen? Heidi, Pumuckl und
Biene Maja als Zeichen für Alltagserfahrungen«, in: Hans-Dieter Er-
linger (Hg.): Kinderfernsehen II, Essen 1989, S. 95-123.
Undeutsch, Udo: »Gutachten über >Schweinchen Dick<«, in: Alphons
Silbermann (Hg.): Aggression und Fernsehen. Ein Eltern- Buch, Tü-
bingen 1974, S. 74-87.

zur Vermittlung I Medienpädagogik


Barthelmes, Jürgen u. a.: Kind und Fernsehen. Medienpädagogische
Materialien, München 1983.
Heidtmann, Horst (Hg.): TJW und das Geheimnis der Gummibärchen.
Medienpädagogische Beiträge, Weinheim 1991 (IJM2. Beiheft).
Landesbildstelle Berlin (Hg.): Trickfilm, Berlin 1984.
Kinderfernsehen- Fernsehkinder. Bericht über eine medienpädagogi-
sche Fachtagung mit Programmachern, Pädagogen und Medienfor-
schern, Mainz 1991 (Kommunikationswiss. Bibliothek 12).
Lefold, Peter: Medienerziehung am Beispiel Fernsehen. Medienprojekt
mit Kinder, Hannover u. a. 1980.
Rogge, Jan Uwe: Kinder können Fernsehen. Vom sinnvollen Umgang
mit dem Medium, Reinbek 1990 (rororo sachbuch 8598).

97
VIII. Kindervideos: Von Menschenfressern zu
sprechenden Tieren

Durch die beginnende massenmediale Nutzung des Fernsehens


in den USA nach dem 2. Weltkrieg wird eine Speichertechnolo-
gie für >bewegte Bilder< erforderlich, die handhabbarer und ko-
stengünstiger ist als das tradierte chemo-technische Aufnahme-
verfahren des Kinofilms. Dem Prinzip der Schallaufzeichnung
mit Tonbändern folgend entwickeln amerikanische Konzerne
elektromagnetische Aufzeichnungsverfahren, so daß in den
USA seit 1948 Video von den Fernsehanstalten professionell ge-
nutzt werden kann. Die anfänglich raumfüllenden Video-Anla-
gen werden vor allem in den USA und Japan weiterentwickelt
und so zusehends handlicher.
In den 70er Jahren beginnen japanische Hersteller damit, in
der Bundesrepublik Videoheimsysteme als neues Unterhal-
tungsmedium einzuführen. Die Aufzeichnungs- und Wieder-
gabegeräte für Videokassetten sind zunächst noch sehr teuer,
mehrere technische Systeme wetteifern miteinander, bespielte
Kassetten stehen kaum zur Verfügung. Im Laufe der Jahre setzt
sich das VHS-System als marktführend, später marktbeherr-
schend durch. Die Gerätepreise sinken drastisch, zu Beginn der
90er Jahre sind Videorecorder für weniger als DM 500,- im
Handel. Das Softwareangebot erweitert und verändert sich
kontinuierlich, 1990 sind mehr als 15.000 verschiedene Kasset-
tenprogramme lieferbar.

1. Videonutzung
Die Käufer- und Nutzerschaft von Videorecordern unterliegt
Wandlungen: Die teuren Heimgeräte werden zunächst von
Nutzern gekauft, die diese Geräte auch beruflich einsetzen wol-
len (Manager, Lehrer), dann zunehmend allgemein von Haus-
halten mit überdurchschnittlichem Einkommen. Mittlerweile
sind Recorder kein Statussymbol mehr, sondern Gebrauchsge-
genstand, der 1992 in jedem zweiten bundesdeutschen Haushalt
vorhanden ist (der Sättigungsgrad in den neuen Bundesländern
nähert sich rasch an).

98
Videobesitz und -nutzung weichen, statistisch, vom Bevöl-
kerungsquerschnitt ab: Videogeräte werden überproportional
von jüngeren Männern (20 bis 39 Jahre), Familienvätern mit
überdurchschnittlicher Bildung und höherem Einkommen be-
nutzt. Mit dieser Gruppe ist die Stammnutzerschaft kommer-
zieller Videotheken nicht identisch. Diese ist aber in ihrer
Mehrheit ebenfalls männlich, im Alter von 18 bis 29 Jahren,
kommt aus Haushalten mit Kindern, gehört aber unteren sozia-
len Schichten an, verfügt über ein unterdurchschnittliches Ein-
kommen.
Die übergroße Mehrheit der Kinder kann also hierzulande,
ungeachtet der Schichtzughörigkeit, das Medium Video inner-
halb der eigenen Familie nutzen (wobei nur sehr wenige Kinder
über einen eigenen Videorecorder verfügen), ansonsten besteht
eine Zugriffsmöglichkeit über Freunde, Verwandte.
Softwareangebot, Auflagen und Preise haben sich in den ver-
gangeneo beiden Jahrzehnten ebenfalls stark verändert. In den
70er Jahren werden überwiegend Bildungsprogramme angebo-
ten, Verkäuferschulungen, technische Lehrfilme. Kinderfilme
auf Video bleiben zunächst eine Ausnahme, da die marktfüh-
renden Filmfirmen, die Major Companies, sich dem Medium
gegenüber anfänglich sehr zurückhalten, um die Kinoauswer-
tung ihrer Spielfilme nicht zu gefährden. Da bereits von Anfang
an Nachfrage nach Filmen besteht, kommen bis in die frühen
80er Jahre Berge von bespielten Kassetten auf den Markt, die für
die Kinoauswertung nur mäßig erfolgversprechend oder völlig
ungeeignet sind. Es dominiert die triviale Unterhaltung, mit (ei-
gentlich nur für den Binnenmarkt produzierten, einfachen so-
wie allereinfachsten) B-und C-Filmen aus den USA, aus Südeu-
ropa und Asien, die bis dahin auf dem deutschen Filmmarkt als
unverkäuflich gegolten haben. Bespielte Videokassetten bieten
zeitweise Stoffe, die ansonsten nur in einschlägigen Bahnhofs-
kinos vorgeführt werden, die den Kindern »zeigen, daß das Ge-
heimnis der Erwachsenen keins ist. Die Erwachsenen sind be-
stechlich, sie lügen, sie sind Pornographen, gebrechlich, sterb-
lich, gewalttätig« (Bartels).
Als zu Beginn der 80er Jahre Video den Charakter eines Mas-
senmediums annimmt, wird unübersehbar, daß Gewalt und
Pornographie in der Kultur der Erwachsenen einen wichtigen
Stellenwert haben. Kommerzielle Videotheken, die alleorten
neu eröffnen, machen ihren Hauptumsatz mit der filmischen
Darstellung von Sexualität und Gewalt, mit extremen Medien-
angeboten, die dem Normalbürger bis heute weder von öffent-

99
lieh-rechtlichen noch privaten Fernsehsendern geboten wer-
den. Durch die leichte Verfügbarkeit des Mediums können sich
Kinder, wenn Eltern entsprechende Kassetten ins Haus holen,
Medienangebote aneignen, die weder für sie intendiert noch für
sie geeignet sind. Es fehlen jedoch bis heute - aus guten Grün-
den - umfassende, differenzierte wissenschaftliche Untersu-
chungen darüber, ob, in welchem Umfang, in welcher Weise,
mit welchen Auswirkungen Kinder tatsächlich Kannibalen oder
Porno-Videos rezipiert haben.

2. Videomarktentwicklung und Distribution

Der Videoboom löst in den frühen 80er Jahren eine anhaltende,


emotional geführte öffentliche Jugendmedienschutzdebatte
aus. Schrekensmeldungen vom »Blutrausch im Kinderzimmer«
(SPIEGEL 1984) bringen eine >Große Koalition< von Kinder-
und Jugendschützern auf die Beine: 1985 wird ein verschärftes
Jugendschutzgesetz GÖSchG) verabschiedet, das für Videokas-
setten strikte Vorkontrollen und Altersfreigaben vorschreibt,
die Indizierung von »jugendgefährdenden« Videofilmen er-
leichtert. So stehen 1992 über 2.100 Videokassetten als »jugend-
gefährdend« auf dem Index. Da kommerzielle Videotheken
weiterhin mit »nicht jugendgeeigneten« Kassetten einen nen-
nenswerten Umsatz erwirtschaften, sperren seit der Novellie-
rung des JÖSchG etwa 80% aller Verleihstätten Benutzer unter
18 Jahren vollständig aus. Damit schließt sich ein Teufelskreis,
denn kleinere Videotheken haben Kinder- und Jugendfilme
weitgehend aus dem Bestand genommen, kaufen zumindest
keine neuen an, weil dieN achfrage zurückgegangen ist, seitdem
Eltern nicht mehr von Kindern begleitet kommen. Das kann in
der Praxis dazu führen, daß Kinder auf die im Haushalt vorhan-
denen Erwachsenenprogramme ausweichen (vielleicht sogar
auf die, vor denen sie geschützt werden sollen).
Als Reaktion auf diese Entwicklung fördern die Kommunen
den Aufbau von Videofilmbeständen an Öffentlichen Biblio-
theken (bundesweit bis 1992 allerdings an kaum mehr als 100,
die in besondererWeise kinder- und jugendgeeignet sein sollen,
die von der Zielgruppe auch interessiert angenommen werden,
den Bedarf allerdings nicht ansatzweise decken.
Veränderungen des Videomarktes ergeben sich in den letzten
Jahren aus Konzentrationsprozessen: kleine und nebenberuf-

100
liehe Videotheken geben auf, ihre Zahl hat sich binnen weniger
Jahre auf 4.500 Ende 1991) halbiert. Die größeren Videotheken
erweitern nicht unbedingt ihre Bestände, sondern konzentrie-
ren sich auf die aktuellen, gängigen Spielfilmhits, die mehrfach
angeschafft werden. Die Ausweitung der Fernsehkabelpro-
gramme, die Verfügbarkeit von RTL plus und SAT 1 über An-
tenne, der Zugriff auf über 20 Programme durch Satelliten-
schüsseln bedeutet zugleich die jederzeitige Möglichkeit, Spiel-
filme zu sehen. Dadurch schrumpft weiterhin die Nachfrage
nach einfachen Unterhaltungsvideos. Die Umsätze der Video-
vertreiber und -verleiher sind seit 1990 tendenziell rückläufig.
Das Medium Video ist als Wirtschaftsfaktor dennoch bedeutsa-
mer geworden, da zunehmend direkt an den Konsumenten ver-
kauft wird, da der Anteil von Verkaufskassetten drastisch
steigt. Vor allem billige Massenware aus den USA und Südeu-
ropa überschwemmt den Markt. Auf den Wühltischen der
Kaufhäuser, in den Displays der Supermärkte finden sich Hun-
derte von Titeln zu Preisen zwischen 10 und 20 Mark, darunter
zahlreiche Märchen- und Zeichentrickfilme, Billigproduktio-
nen, die in Videografien nicht aufgelistet sind.
Videokassetten treten preislich direkt in Konkurrenz zu an-
deren Medien, sind billiger als Bücher (Durschnittspreis für ein
Buch in der BRD 1988, laut Börsenverein: DM 29,-), unterbie-
ten gar die kleineren Tonträgerlabels. Der Kinderfilm aufVideo
läßt sich für weniger Geld kaufen als die Buchvorlage (ist nach
Gebrauch notfalls neu überspielbar, anders nutzbar). Holly-
woods Major Companies haben in den USA, in Großbritannien
und seit kurzem auch bei uns den Kaufkassettenmarkt neu ge-
wichtet, bieten aktuelle Filmhits kurz nach dem Kinostart be-
reits auf Video (Kevin allein zu Haus) zu Preisen wie Buchbest-
seller, verkaufen dadurch Auflagen von über 100.000 Stück.
Die großen Filmhersteller erzielen über Videolizenzen bereits
20% ihrer gesamten Umsatzerlöse. So verkauft die Disney-
Tochter Buena Vista innerhalb weniger Monate von Susi und
Strolch 600.000 Videos, von dem neuen Trickfilmmärchen
Arielle von September 1991 bis Frühjahr 1992 etwa 1,5 Millio-
nen Kassetten. Insgesamt wächst der Umsatz mit Kaufkassetten
1991 um 60% (BUCHREPORT 16/92).
1992 sind einschließlich Kurzvideos und kostenlos abgegebe-
ner Werbevideos etwa 20.000 verschiedene Videoprogramme
erhältlich (ohne Indizierungen). Das Video-Programm- Ver-
zeichnis 1992 weist über 16.000 Titel nach, davon gehört mitt-
lerweile nur noch die Hälfte zur Fiktion, zum Spielfilm, die

101
andere Hälfte sind bereits Sach-, Dokumentar-, Special Interest-
Filme (damit überwiegend Verkaufskassetten). Bei den Spielfil-
men stellen Abenteuer I Action und benachbarte Genres mit
etwa 13% den Hauptanteil der Titel, gefolgt von gut 9% Ko-
mödien, an dritter Stelle liegen bereits Kinderprogramme mit
etwa 8% der Titelzahlen. Bei den Umsätzen sehen die Relatio-
nen erheblich anders aus: Kinder- und Jugendvideos bringen
1991 den Hauptumsatzanteil mit etwa 40%, gefolgt von Spiel-
filmen mit 37,8%. Das »absatzstärkste Einzelsegment« ist bei
den Kaufkassetten denn auch die Preisklasse unter 10 Mark (vgl.
Hoffmann, 1991).
Bei den Spielfilmen für Erwachsene befindet sich der bundes-
deutsche Videomarkt fest in der Hand der fünf größten ameri-
kanischen Major Companies (Warner, CBS, CIC, EuroVideo,
RCA), mit einem geschätzten Anteil von über 50% an den ge-
samten Videoumsätzen. Im Kindervideobereich, wo die Ame-
rikaner über EuroVideo (u. a. mit Disney-Filmen) stark präsent
sind, konzentrieren sich deutsche und europäische Anbieter in
den Niedrigpreissegmenten, mit aus dem Tonträgerbereich be-
reits bekannten Labels wie »Karussell« , »Kiosk«, »Europa«.
Vermutlich sind Anfang der 90er Jahre mehr als 1.000 Kasset-
ten mit intentionalen Kinderfilmen im Handel, im Vergleich zu
anderen Kindermedien scheinbar keine imposante Zahl. Da es
sich aber überwiegend um kurze (20 bis 30 Minuten) Zeichen-
trickfilme im Niedrigpreis-also auch Taschengeldbereich han-
delt (vielfach unter DM 10,-, selbst Disney-Filme ab DM
29,95), die in großen Auflagen (100.000 bis mehr als 1 Mio.)
über Kaufhäuser oder Handelsketten zum Verbraucher gelan-
gen, werden Kindervideos jetzt zunehmend an Stelle anderer
Kindermedien (Tonkassetten, Bücher), auch von der Ziel-
gruppe selbst gekauft.

3. Das aktuelle Kindervideoangebot


Den Kindervideomarkt teilen sich die Bertelsmann-Gruppe, zu
der u. a. die UFA und das EUROPA-Label gehören, die Kirch-
Gruppe, mitTaurus-Video, Warner Horne Video, Neuer Con-
stantin, ferner die Münchener POLYBAND, die eine Vielzahl
japanischer Billigserien vermarktet, die Polygram-Gruppe
(Kiosk, Kooperation mit Otto Maier, Ravensburg) sowie AT-
LAS AV, die gleichermaßen den an spruchsvollen Kinderfilm

102
wie Massenzeichenware vertreibt. Ein Großangebot billigster
Trick- und Märchenvideos kommt noch von der Hamburger
>>Ücean-Musik<<. Als eigentlich spezialisierter Hersteller für
Bildstellen und Schulen, bietet das FWU ein Programm an-
spruchsvollerer Kinderfilme (janosch's Traumstunde) allge-
mein zum Kauf.
Den größten Anteil an der Kindervideoproduktion stellen
Zeichentrickfilme mit etwa 80% (1985 erst 60% ). Dabei han-
delt es sich überwiegend um in Japan oder Taiwan gezeichnete
Serien, mit den aus dem Kinderfernsehen bekannten ästheti-
schen Schwächen, die noch bei Fernsehanstalten, meist priva-
ten, laufen oder erst kürzlich gezeigt wurden, oder die aus ande-
ren Medien (Tonträger) bekannt sind, z.T. auch um >Klassiker<
der Gattung, wie Micky Maus oder Bugs Bunny. Wenn die
Fernsehausstrahlung länger zurückliegt (Biene Maja), die Figu-
ren als Spielzeug (oder Hörspiel) bei den Kindern aus der Mode
geraten (Masters of the Universe/He-Man), wenn entspre-
chende Comic-Serien eingestellt worden sind (Marvel-
Gruppe ), dann lassen sich die entsprechenden Kindervideos
kaum noch verkaufen und verschwinden vom Markt.
Thematisch handelt es sich bei den Zeichentrickfilmen an er-
ster Stelle um heitere und/oder abenteuerliche Geschichten mit
anthropomorphen Tieren. Seit 1988 sind als Niedrigpreisvideos
die von Hörspielkassetten bekannten Abenteuer des sprechen-
den Zooelefanten Benjamin Blümchen erhältlich, deren Figuren
und Bildhintergründe in der BRD entworfen, aber in spani-
schen Studios sparsam animiert worden sind. Mit überzeichnet
naturalistischem Hintergrund und freundlich-bunten Farben
wirkt die Trickfilmadaption noch idyllisierender als die Hör-
spielvorlage. Das vermutlich >pädagogisch wertvoll< gemeinte
moralisierende Ende bleibt aber auch den Videobetrachtern
nicht erspart: in der Folge Benjamin Blümchen als Feuerwehr-
mann lehnt der Titelheld am Schluß seine goldene Lebensretter-
medaille ab, will sie stattdessen verkaufen, um von dem Geld
die abgebrannte Schule neu aufbauen zu lassen.
An zweiter Stelle stehen ScienceFiction-Motive (Oskar, die
Supermaus; Captain Harlock; Teenage Turtles), die für immer
jüngere Kinder aufbereitet werden. In Folge 9 von MASK be-
auftragt ein böser Milliardär die Superbösewichter von VE-
NOM einen jungen Dinosaurier zu entführen, um aus dessen
Blut ein Serum zur Lebensverlängerung zu gewinnen. Die
MASK-Agenten, keine Übermenschen, aber mit Superfahrzeu-
gen und -waffen ausgestattet, greifen rettend ein. Die schlicht

103
animierte Handlung besteht überwiegend aus schnell geschnit-
tenen, mit greller Musik unterlegten Luftschlachten zwischen
Kampfflugzeugen und fliegenden Autos, gipfelt in banalen Dia-
logen: »Die Kraft der Liebe ist allmächtig.« »Ja, das ist sie und
das ist gut so.« Um die Kritik von Eltern, Erwachsenen an den
grellen Actionserien zu entschärfen, setzen viele Hersteller eine
aufgesetzte Moral, Zeigefingerpädagogisches ans Ende, bei
MASK folgt der Action eine kurze Belehrungsepisode: in einer
Zukunftsgroßstadt laufen Kinder schräg über eine ..Straße,
Bremsgeräusche, der brave Sohn des Haupthelden: »Uber so
eine große Straße sollte man aber nicht so einfach rüberlaufen.«
Heldenvater: »Dafür gibt es Zebrastreifen und Ampeln. Da-
vorn ist gleich eine. Man sollte, wenn möglich, immer einen
Fußgängerüberweg benutzen.« Dem Abspann folgt dann noch
Werbung für neues MASK-Spielzeug, Wunderautos, die sich
durch Aufklappen zu Kampfflugzeugen verwandeln.
Der dritte Motivbereich sind Märchen und Sagen, wieder-
holte und sich wiederholende Animationen von Dornröschen
oder König Drosselbart für die Allerjüngsten, die im Sonderan-
gebot den Markt überschwemmen. Daneben findet sich eine
wachsende Produktion von Spielzeugbegleitserien, ebenfalls aus
anderen Medien bekannt, Mein kleines Pony; Regina Regenbo-
gen. Erhältlich sind ferner fast alle aufwendigeren, abendfüllen-
den Zeichentrickfilme, die in den letzten Jahren im Kino gelau-
fen sind (Asterix, Das letzte Einhorn, Der König und der Vogel).
Bei den Realfilmen, die keine 15 % am Gesamtangebot aus-
machen, handelt es sich vor allem um Disney-Produktionen mit
Kindern und Tieren in den Hauptrollen, sowie um Astrid
Lindgren-Verfilmungen (sowohl bei Taurus als auch Europa er-
folgreich); zum anderen sind mehrereneuere bundesdeutsche
Kinderfilme auf Video kopiert (Metin, Küken für Kairo, Rosi
und die große Stadt) sowie ambitionierte Märchenfilme aus
Osteuropa und der DDR (König Drosselbart, Die Geschichte
vom kleinen Muck).
Keine 5% Anteil nehmen Puppen-, Marionetten- und Sche-
renschnittfilme ein; noch seltener werden Sachvideos für Kin-
der (Gartenkunde, Verkehrserziehung) produziert.
Videointeressen und-nutzungvon Kindern beschränken sich
bei Kauf und Entleihe nicht auf die intentionalen Programme.
Etwa ein Drittel des gesamten Videoangebotes ist ab 6 Jahren
oder ohne Altersbeschränkung jugendfrei, ein weiteres Drittel
ist von der freiwilligen Selbstkontrolle ab 12 Jahren freigegeben.
So finden sich in den anderen Programmsparten zahlreiche äl-

104
tere Filme, die vorrangig von Kindern im Grundschulalter ge-
nutzt werden, Slapstick mit Chaplin, Komödien mit Dieter
Hallervorden, Abenteuer nach Karl May.
Die Verkaufserfolge von Kindervideos werden bei der Ziel-
gruppe vorläufig noch über den Preis gesteuert (der neueste
Asterix-Film bleibt mit einem Preis von DM 300,- auf den Ver-
leih beschränkt). In öffentlichen Kinder- und Jugendbibliothe-
ken bringen - sofern vorhanden - aufwendigere komische Zei-
chentrickfilme (Asterix) die höchsten Ausleihfrequenzen (bis zu
100 Mal jährlich), gefolgt von aktuellen Komödien (Otto).
Eben diese Filme erreichen auch in den Charts der kommerziel-
len Videotheken die vorderen Ränge, dort allerdings zusammen
mit Werken, die den Bibliotheken noch zu teuer oder zu trivial
sind. Der Videomarkt übernimmt zusehends Tendenzen und
Hits des aktuellen Kinomarktes, die überwiegend von jüngeren
Zuschauern gemacht werden, an denen sich dann wiederum die
ganz jungen, die Kinder orientieren.
Für Kinder ist das Medium Video aber nicht nur attraktiv,
weil es die aus dem Fernsehen oder dem Spielzeugladen vertrau-
ten Figuren zu Taschengeldpreisen bietet, weil sich auf Video
die neuesten, im Gespräch befindlichen Kinohits leicht und
preisgünstig zugänglich machen lassen, weil es gemeinschaftli-
ches Filmbetrachten fördert; über Video kommen sie zudem re-
lativ leicht an Erwachsenenfilme, die für ihre Altersgruppe ei-
gentlich keine FSK-Freigabe haben. (Die Freiwillig.~ Selbstkon-
trolle der Filmwirtschaft, FSK, vergibt- gemäß JOSchG -für
die zur öffentlichen Vorführung bestimmten Spielfilme, auch
auf Videokassetten, einen Altersfreigabevermerk, nach dem der
Film entweder ohne Einschränkung für alle Altersgruppen ge-
zeigt werden kann oder erst ab 6, 12, 16 oder 18 Jahren vorge-
führt bzw. ausgeliehen werden darf.) Vor allem ist Video ande-
ren filmischen Medien durch die jederzeitige Verfügbarkeit ei-
ner bestimmten Darbietung, das wiederholte Betrachten eines
Lieblingsfilmes, einer besonders lustigen oder gruseligen Se-
quenz überlegen.
In anderen europäischen Ländern vollzieht sich derzeit der
»Siegeszug der Videokassette« (BÖRSE NB LAIT 84/1990)
noch eindeutiger, gehen Umsatzsteigerungen bei den Kaufkas-
setten mit einer gewissen »Fernsehmüdigkeit« einher. In
Deutschland schaffen es die Niedrigpreisvideos zumindest, den
Kindertonträgern Umsatzanteile abzunehmen, die Video-Hits
übertreffen mit ihren Auflagen bereits die der marktführenden
Hörspielserien.

105
Literatur

Videografien
Bundesverband Video (Hg.): Video Gesamtkatalog 91/92, Starnberg,
München 1991.
Deutsches Videoinstitut (Hg.): Video Programm Verzeichnis '92, Ber-
lin 1992.
»Videofilme-Index. Stand November 91: 2112 Titel«, in: BPS-Report
6/1991, s. 10-29.

Videomarkt, Geschichte und Entwicklungen


Bartels, Klaus: »Die elektronische Pest. Kultur, Ansteckungsangst und
Video«, in: IJM 5/1984, S. 104-112.
Heidtmann, Horst: »Video und Öffentliche Bibliothek. Funktions-
wandel des Mediums, aktuelle Entwicklungen, Probleme, Perspekti-
ven«, in: BuB 3/1991, S. 247-257.
Hoffmann, Kay: »Videomarkt Bundesrepublik. Strukturelle Probleme
werden immer offensichtlicher«, in: Media Perspektiven 5/1989,
s. 277-287.
Hoffmann, Kay: »Video- ein Übergangsmedium? Der Videomarkt in
Deutschland 1991«, in: Media Perspektiven 12/1991, S. 810-818.
Zielinski, Siegfried: Zur Geschichte des Videorecorders, Berlin 1986.

zu Horror- und Gewaltvideos


Baumann, Hans D.: Horror. Die Lust am Grauen, Weinheim, Basel
1989.
Brosius, Hans-Bernd und Iris Schmitt: »Horrorvideos im Kinderzim-
mer: Wer sieht sie und warum?«, in: Rundfunk und Fernsehen 4/
1990, s. 536-550.
Hartwig, Helmut: Die Grausamkeit der Bilder. Horror und Faszina-
tion in alten und neuen Medien, W einheim, Berlin 1986.
Rogge, Jan-Uwe: »Horror, Zivilisation und der nicht gekonnte
Umgang mit der ganz gewöhnlichen Gewalt«, in: IJM 1/1986,
s. 8-13.
zum Kindervideoangebot
Förderverein deutscher Kinderfilm (Hg.): Von Asterix bis Zauber-
tricks. Empfehlenswerte Kinderfilme auf Video, Starnberg 1986.
Heidtmann, Horst: »Von komischen Kaninchen und Konrad aus der
Konserve. Das Videofilm-Angebot für Kinder und Jugendliche: Z wi-
schen Konfektion und Kunst«, in: IJM 1/1986, S. 2-8.

zur Wirkung I Nutzung


Bartels, Klaus: »Das Verschwinden der pathetischen Liebe. Bemerkun-
gen zu Neil Postmans Buch •Das Verschwinden der Kindheit<«, in:
IJM 4/1984, S. 78-81.

106
Lukesch, Helmut u. a.: Video im Alltag der Jugendlichen. Quantitative
und qualitative Aspekte des Videokonsums, des Videospielens und
der Nutzung anderer Medien bei Kindern, Jugendlichen und jungen
Erwachsenen, Regensburg 1989.
Schulz, Hans-Joachim: »Dem Video-Nutzer auf der Spur«, in: Film &
Fakten 13/1990, S. 6-8.
Wild, Christoph: »Fernsehen und Video. Zwei Medien ergänzen sich«,
in: Media Perspektiven 7/1988, S. 447-458.
Wild, Christoph: »Tendenzen in der Videonutzung. Rückblick auf fünf
Jahre GfK-Metermessungen«, in: Media Perspektiven 12/1991,
s. 819-829.
zur Vermittlung I Medienpädagogik
Baacke, Dieter: »Video in Bibliotheken als Beitrag zur Medienerzie-
hung«, in: BuB 2/1985, S. 120-127.
Heidtmann, Horst: »Mit Zombies leben? Aktive Medienerziehung
contra Video-Markt!«, in: IJM 4/1984, S. 67-76.
Heidtmann, Horst: »Video in der öffentlichen Bibliothek- warum ei-
gentlich nicht?«, in: Fachstellen-Info (Freiburg) 8/1989, S. 4-11.
Kluth, Theda u.a.: Medienpädagogik in Öffentlichen Bibliotheken-
Beispiel Video, Berlin 1990 (dbi materialien 98).
Kühler, Hans-Dieter u.a.: Angst wegspielen. Mitspieltheater in der
Medienerziehung, Opladen 1987.
Mörking, Rudolf und Dietrich von Ribbeck: Videogeräte und aktive
Videoarbeit in der Schule, München 1983 (Schriftenreihe AV-Tech-
nik 3).

107
IX. Kinderspielzeug: Vom Holzpüppchen
zum Aktionsfiguren-System

Das Spielen als zweckfreie, nicht auf die Produktion einer Ware
oder den Erwerb von Wissen (primär) ausgerichtete Tätigkeit,
allein oder mit anderen, gehört auch im Zeitalter der Massenme-
dien zu den Lieblingsbeschäftigungen der Kinder. Wobei mit
beginnender Schulpflicht, zunehmendem Alter andere Freizeit-
beschäftigungen dem Spiel seinen Rang abnehmen.
Für Philosophen ist Spiel Teil der Menschwerdung, kultur-
schaffend (Huizinga: Homo ludens), für die gesellschaftliche
Entwicklung liegt im Kinderspiel die Nachahmung der Er-
wachsenen, Vorbereitung auf Aufgaben in der Erwachsenen-
welt. So haben sich »bestimmte Grundmuster kindlichen Spiel-
verhaltens innerhalb kulturell hochstehender Gesellschaften in
drei Jahrtausenden kaum verändert« (Retter). Spiel ist stets
Spielen »mit etwas«, für das Kind kann jeder beliebige Gegen-
stand zum Mittel seines Spiels werden. Aus Vorzeit und Alter-
tum sind bereits zum Spielzeug bearbeitete Gegenstände aus
Holz, Stein, Ton und Leder überliefert. Zu den ältesten Spiel-
mitteln gehören Kugel, Murmel, Ball, Puppen aus bemaltem
Holz, Löwen aus Kalkstein, ein »Holzkrokodil mit bewegli-
chem Unterkiefer (Ägypten, etwa 1100 v. Chr.)«, gehören
Glücks- und Geschicklichkeits-, Würfel- und Brettspiele, Ras-
seln und andere Lärmmacher. (Vgl. Retter oder Gröber)

1. Geschichte des Spielzeugs

Seit dem Mittelalter mehren sich Hinweise auf das Spiel der
Kinder in Dichtung wie Bildern (Pieter Breugels Das Kinder-
spiel, 1560), sind Handwerke wie das Puppenmachen (in Nürn-
berg erstmals 1400) belegt. Im 16. Jahrhundert beginnt die mas-
senweise Produktion von einfachen Dingen zum Spielen
(»Nürnberger Tand«), die zentral gelegene Stadt Nürnberg
wird Zentrum und Hauptumschlagsplatz der in abgelegenen,
waldreichen Gegenden (Erzgebirge, Sonneberg) gefertigten
Holzspielzeuge. Der »Tand« entsteht vorwiegend in Heimar-
beit; bis zum Ende des 19. Jahrhunderts werden in den Spiel-

108
Zeugmacherfamilien selbst Kleinkinder in den Arbeitsprozeß
eingespannt: Kinderarbeit bei den Armen, damit das Bürger-
kind in der Stadt eine Puppe zum Spielen hat. Auch die seriell,
in Sonneberg seit dem 18. Jahrhundert arbeitsteilig hergestellten
Spielzeuge bleiben Luxus, belegen denWohlstanddes sich öko-
nomisch emanzipierenden Bürgertums. Die Kinder aus bürger-
lichen Familien sind nicht an der wirtschaftlichen Existenzsi-
cherung durch Arbeit beteiligt, Kindheit wird zum Schonraum,
wie die Schule soll auch die »Kinderstube« auf Pflichten und
Tugenden des Erwachsenseins hinleiten; so widerspiegeln sich
in Puppenstube und Kaufmannsladen, Schaukelpferd und
Zinnsoldaten systemstabilisierende Erziehungsziele sowie die
»heile« Welt des Bürgertums.
Beginnende Maschinisierung, Entwicklung neuer Verarbei-
tungstechniken wie Pressen und Stanzen, Ersatz von Holz,
Zinn, Papiermache durch Blech, wachsende Nachfrage nach
Soldaten und Kriegsspielzeug führen zu einem »Siegeszug« des
Blechspielzeugs, die neue Gewerbefreiheit (seit 1849) begün-
stigt die fabrikmäßige, serielle Spielzeugproduktion. Der Raum
Nürnberg bleibt führend, dann für die Herstellung von Blech-
spielzeugen, bald auch für Stofftiere. Ehemals kunsthandwerk-
lieh gefertigte Spielgegenstände werden zur Massenware,
Deutschland entwickelt sich zum wichtigsten Spielwarenpro-
duzenten der Welt (bis zum 2. Weltkrieg), mit zunehmender
Diversifikation des Angebotes erweitern und verändern sich
Funktionen, dienen Lernspielzeuge wie Baukästen, Puzzles,
Brett- und Kartenspiele naturkundlicher oder technischer Be-
lehrung (Wörter-Lottospiel, Der kleine Rechenmeister, Reisen
in fünfWelttheile).
Spielzeug wird, bis in die Gegenwart, bedeutsam als Medium
geschlechtsspezifischer Erziehung. Aufwendig eingerichtete
Puppenhäuser oder billig gedruckte Papierpuppen zum Anklei-
den bereiten im 19. Jahrhundert das Mädchen auf seine spätere
Rolle als Ehefrau und Mutter vor. Es »bekommt ... nicht ein-
fach eine Puppe oder Küchengeschirr, sondern die Eltern ...
vermitteln ihm zugleich die entsprechenden Inhalte (Puppe
gleich wiegen, waschen, füttern usw.)«; bis heute »erhalten
kleine Mädchen neben dem geschlechtsneutralen Teddy ...
hauptsächlich Puppen ins Bett gelegt.« (Scheu).
Jungen erhalten seit dem 18. Jahrhundert durch Spielzeugsol-
daten Eigenschaften wie Mut, Tapferkeit, Disziplin vermittelt;
das 19. Jahrhundert wird gar die »hohe Zeit des Soldatenspie-
lens und damit . . . Spiegelbild der politischen Ereignisse«

109
(Fritsch/Bachmann). Besonders der deutsch-französische
Krieg fördert die weite Verbreitung von Zinnsoldaten, die de-
tailreich, mit allen Dienstgraden, in verschiedensten Kampfpo-
sen erstarrt, realen Armeen nachgestaltet sind, Figurenensem-
bles mit Fahrzeugen und Kulissen - zu denen es - in einer Art
frühem Medienverbund - Schlachtenbilder und -bilderbögen
gibt, nach denen sich Kampfszenen arrangieren lassen (wofür
auch die wilhelminische Jugendliteratur Vorlagen liefert). Ag-
gressionsbezogene Spielmittel, Figuren, mechanische Kano-
nen, Holzsäbel gehören bis zum 1. Weltkrieg »Zur Grundaus-
stattung jedes Jungen aus bürgerlichem Hause« (Retter).
Blei- und Zinnsoldaten sind wie Hampelmänner Flachfigu-
ren, doch dreidimensionale Figuren und Fahrzeuge aus Blech
finden seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend Verbreitung.
Vorformen für das technisierte Spielzeug der Gegenwart gelan-
gen vielfältig in den Handel: kleine Automaten, vermittels eines
mechanischen Uhrwerkes bewegbar; einfache Eisenbahnen
(seit 1820), noch im 19. Jahrhundert als Spielsystem mit Bahn-
höfen, Bauten, Reisenden; bewegliche Puppen mit eingebau-
tem Grammophon; sogar Konstruktionen, die bewegte Bilder
oder optische Effekte hervorbringen, Stroboskop, Kaleidos-
kop.
Nach der Reichsgründung 1871, mit der ökonomischen Sa-
turierung des Kleinbürgertums kommt es zu beinahe kultischer
Verklärung des Weihnachtsfestes, das als »Fest der Familie« bis
heute als Hauptumschlagtag für Spielwaren dient. Zur familiä-
ren Idylle des biedermeierlichen Deutschland gehört das Brett-
spiel, bunte Start-Ziel- sowie Lege-Spiele (u. a. von Lothar
Meggendorfer); 1894 erscheint das erste »Ravensburger Spiel«
des Otto Maier Verlages, Reise um die Erde (nachJules Verne),
dem um die Jahrhundertwende Lernspiele wie Rotkäppchens
Einmaleins oder Naturgeschichtliches Lotto folgen.

2. Marktentwicklungen im 20.jahrhundert

Pädagogisch durchdachtes Spielzeug für Kleinkinder, abstrakt


geformte Holzkörper, Bausteine, wie sie heute noch in vielen
Kindergärten gebräuchlich sind, entwickelt als erster Friedrich
Fröbel Mitte des 19. Jahrhunderts. Reformpädagogen knüpfen
an seine Konzepte um die Jahrhundertwende in der Auseinan-
dersetzung mit dem »Spielzeugkitsch« wieder an. Eine kultur-

110
kritische, bis in die Weimarer Zeit anhaltende Volkskunstbewe-
gung verdammt das.~echnische Massenspielzeug, idealisiert den
Werkstoff Holz: »Uberhaupt unser gutes altes Holzspielzeug
ist ja so viel wertvoller als alle blecherne Schönheit von heute.«
(KINDERHEIM 4/1921) Eine noch radikalere Pädagogik
(W aldorf) lehnt jede Art vorgefertigten Spielzeuges ab, hält Na-
turmaterialien und Selbstgefertigtes für das »Eigentlich-Kind-
gemäße«.
Doch das von pädagogischem Elan und Kunstgewerbe her-
vorgebrachte Spielzeug wird von den Kindern abgelehnt. Die
industrielle Spielwarenfertigung prosperiert im frühen 20. Jahr-
hundert (Jahresumsatz 1909 über 100 Millionen Mark); Kunst-
stoffe ermöglichen neue Fertigungstechniken und weitere Ver-
breitung. Stofftiere (seit 1905 mit »Steiff Knopf im Ohr«), be-
sonders Teddybären (seit 1903 ), entwickeln sich zu den »belieb-
testen Gefährten« der Kinder, als Reflex auf ein Stadtleben ohne
Tiere. Den verbreiteten, oft kostbaren Porzellanpüppchen folgt
1910 die berühmteste deutsche Puppe, produziert von Käthe
Kruse: >>Weich, waschbar und einfach, gekleidet wie normale
Kinder, war sie als Alltagsspielzeug bestens geeignet.« (ZEIT-
MAGAZIN 51/1986)
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ruft das
Propagandaministerium Spielwarenindustrie und -handel dazu
auf, ihre Erzeugnisse »noch mehr in den Dienst der Erziehung
zum wehrhaften und vaterländischen Geist zu stellen«. Die Fir-
men reagieren prompt: »Käthe-Kruse-Puppen ... aktueller als
je: Friedebald als SA-Mann«; »Musikdose, das Horst-Wessel-
Lied spielend«. Die Produktion von gewaltbetontem Spielzeug
boomt. Kinder bereiten sich durch das Spiel mit kleinen Pan-
zern, Kriegsschiffen, -flugzeugen begeistert auf den Krieg vor,
können bald das Kriegsgeschehen auf den Spielplänen von
Brettspielen begleiten:» Panzerschlacht im Westen«, »Propeller
frei- Das fesselnde Luftkampfspiek
Die Produktion von Kriegsspielzeug wird einige Jahre nach
Weltkriegsende mit amerikanischen Panzermodellen und Pla-
stik-Gis wieder aufgenommen; »mit der Ausweitung und Per-
fektionierung der militärischen Ausrüstung sind auch die Spiel-
zeug-Modelle funktionsbetonter geworden« (Retter), die Nach-
frage geht dennoch zurück. In Umtauschaktionen der 50er
Jahre für »Schmutz- und Schundhefte« nehmen die Organisato-
ren teilweise auch Kriegsspielzeug entgegen. Für Kinder ist es
kein Statussymbol mehr und wird bald von anderen, attraktive-
ren, zum Teil ebenfalls gewaltbetonten Spielmitteln ersetzt.

111
In den »Wirtschaftswunderjahren« prosperiert das Spielwa-
rengeschäft; mit Eisenbahnen, Modellautos, Puppenstuben,
Stabilbaukästen wird die »heile Kinderwelt« restauriert. Billige
Plastikfiguren und mechanische Aufziehfahrzeuge asiatischer
Herkunft drängen auf den Markt. Die bewährten Gesellschafts-
spiele (Mensch ärgere Dich nicht) erscheinen in Neuauflagen
und Variationen, nur weniges wendet sich mit an ältere Spieler,
wie Monopoly, das- zeitgeistgerecht-ab 1953 (nach erfolglo-
sem Start 1936) einen bis zur Gegenwart andauernden »Sieges-
zug« antritt.
Die ersten künstlichen Erdsatelliten der UdSSR (1957) und
deren weitere technische Erfolge lösen in der westlichen Welt
einen »Sputnikschock« aus, führen auch in der BRD zu öffentli-
chen Diskussionen über Verbesserung und Ausbau des Bil-
dungswesens, verändern nachhaltig das Spieleangebot: eine
»Lernspielwelle« setzt ein, pädagogisch konzipierte Spielmittel
kommen in Mode, sollen schulisches, naturwissenschaftliches
Lernen oder technische Kreativität fördern: »Fischer-Technik
bringt Erziehung ins Spiel«.
Kinder verweigern sich vordergründig belehrenden, pädago-
gisch funktionalisierten Spielmitteln, finden Zerstreung zuneh-
mend in anderen Medien. Das Fernsehen bietet in der zweiten
Hälfte der 60er Jahre neben heiteren oder abenteuerlichen Vor-
abendprogrammen Zeichentrickserien (Schweinchen Dick), die
auf Spielinteressen der Kinder Einfluß haben, zu denen immer
mehr Plastik- oder Stoffiguren angeboten werden. Der sich ent-
wickelnde Verbund zwischen filmischen Medien und Spielmit-
teln erhält Ende der 60er Jahre weitere Impulse, als Vorschulse-
rien soziales Lernen mit unterhaltsamen Mitteln unterstützen.
Die zentralen Charaktere, (Ernie und Bert aus der Sesamstraße)
vermarkten deutsche wie ausländische Hersteller in vielerlei
Spielfiguren. Die Spiele-Verlage orientieren sich an den pädago-
gischen Konzepten der Vorschulreihen, fördern durch Lege-
oder Brettspiele Umwelterfahrung und Sozialverhalten. Es bil-
den sich im Verlauf der 60er und 70er Jahre die heute aktuellen
Strukturen des Spielzeugmarktes heraus, die allerdings- im Zu-
sammenhang mit technischen und medialen Entwicklungen -
starken Akzentverlagerungen unterliegen.

112
3. Das aktuelle Spielwarenangebot
Zu den nach wie vor beliebtesten Spielmitteln bei kleinen Kin-
dern gehören Plüschtiere zum »Knautschen und Knuddeln«, al-
len voran der Teddy, »König der Stofftiere« (DIE ZEIT 42/
1991 ), in jeglicher Variation, mittlerweile sogar Kult- und Sam-
mdgegenstand Erwachsener. Das Segment der erkennbaren
Vorbildern nachgestalteten Kuscheltiere (marktführend Steiff,
Käthe Kruse, sigikid) wird durch grellfarbige, freier gestaltete
»fröhliche Schmusemoppel«, z. B. die Poppies-Serie von Mat-
te!, bereichert. Gleichermaßen populär, aber geschlechtsspezi-
fisch kleineren Mädchen zugeordnet sind Puppen, vorrangig
Weichpuppen mit gestopftem Textilkörper, beweglichen Ar-
men und Beinen aus Vinyl, kämmbaren Haaren, Schlafaugen,
zum An- und Ausziehen geeignet (führende Marken u. a. Götz,
Lissi, Schildkröt, Zapf); neu im Angebot sind grellfarbige Pla-
stikartikel wie »Miss Magie Hair« im >>quietschrosa Leibchen«,
mit veränderbarer Haarfarbe.
Eine Weiterentwicklung der tradierten Auszieh- und Frisier-
puppe bieten für ältere Mädchen die Anzieh- und Ausstattungs-
puppen vom Typ der 1959 in New York von Mattel als» Teena-
ger-Mannequin« vorgestellten Barbie-Puppe (der in den 50er
Jahren eine deutsche, nach einem BILD-Zeitungs-Cartoon ent-
standene Lilli-Puppe vorausging). Bereits im Erscheinungsjahr
werden allein in den USA 500.000, bis 1992 weltweit 650 Mil-
lionen Stück verkauft. Barbie erhält Unterstützung von zahllo-
sen Freundinnen und Freunden, die im Verlauf der Jahre ausge-
tauscht oder wie sie dem Zeitgeschmack angepaßt werden. Bar-
bie, ihre Nebenfiguren und Nachahmerinnen, verlangen nach
Komplettierung: »Man muß ihr schon etwas bieten, wenn man
sich nicht mit ihr langweilen will ... zum Beispiel ein entzük-
kendes Abendkleid ... ein Pelzmantel aus echtem Nerz ... ein
seidener Schlafrock ... Tennisdreß ... Schianzug ... Reitan-
zug ... eine richtige kleine Handtasche aus Schlangenleder, mit
einem echten kleinen Lippenstift ... Tennisschläger ... Pup-
penfernseher ... Puppenrevolver ... Frühjahrshütchen« (Mi-
chael Ende: Momo, 1973). Mit Zubehör, »Petras Kutsche«,
»Diekies Motorroller«, sind leicht mehrere Tausend Mark aus-
gegeben.
Ebenfalls als Figuren-Ensemble oder Spielfiguren-System
angelegt sind Aktions-Figuren, die sich vornehmlich an Jungen
wenden. Vorläufer sind zunächst die Zinnsoldaten, im 20. Jahr-
hundert hauptsächlich Cowboy-, Indianer-, Ritterfiguren aus

113
Elastolin oder Plastik (als Billigspielzeug bis heute im Handel),
meist in einer bestimmten Kampf- oder Aktionsphase erstarrt,
zu denen Spielarrangements wie Ritterburg oder Western-Fort
gehören. Aus einfachen Einphasen-Aktions-Figuren entwik-
keln sich, beeinflußt vom Konzept der Ausstattungs-Puppen,
ausgefeilte Spielfigurensysteme. Zu den erfolgreichsten Syte-
men gehört das Anfang der 70er Jahre (bei GEOBRA Brand-
stätter, Zirndorf) konzipierte PLAYMOBIL-Sortiment, in
dessen Zentrum eine 7,5 cm große Plastikfigur mit wenigen be-
weglichen Teilen steht, die sich unterschiedlichen Spielsituatio-
nen anpassen, mit Zubehörteilen in einen Cowboy, Ritter oder
Bauarbeiter verwandeln läßt. »Die >neutrale< Gestaltung der Fi-
gur eröffnete den Raum für vielfältige und >systemkonforme<
Verwendungen ... Das PLAYMOBIL-System hat durch spe-
zifische Formen, Farbgestaltung und Maßstäbe eine zusam-
menhangstiftende Klammer zwischen den Szenenarrangements
geschaffen, die ... zu fortgesetzten Zusatzkäufen motiviert und
... >Markentreue< garantiert.« (Fritz, 1989) Durch neue Pro-
duktlinien für Kleinkinder (»1-2-3«) und Ältere (»Spielwelt
1900« mit aufwendigen, nostalgischen Accessoires) werden
weitere Käuferkreise erschlossen und Nachahmungen der Kon-
kurrenz angeregt. Pädagogen schätzen das System als Hilfsmit-
tel kindlicher Umwelterfahrung, bei »Kindern sind PLAYMO-
BIL-Sets vielfach zu Prestigeobjekten geworden« (Fritz, 1989),
dem Hersteller bringt es 5% bis 7% Anteil am deutschen Spiel-
warenmarkt (350 Millionen MarkJahresumsatz für GEOBRA
1991).
Direkt am Vorbild der Ausstattungs-Puppen orientieren sich
Aktionsfiguren-Systeme für Jungen, durchweg mit idealisier-
ten, muskulösen Kunststoff-Körpern (wie Comic-Superhel-
den), größer als Plastik-Cowboys oder PLAYMOBIListen, in
den 70er Jahren beginnend mit dem Action Team oder Matteis
Big ]im-Set, gefolgt vom Lone Ranger, zu denen ebenfalls Be-
kleidungsstücke, Fahrzeuge, aber auch Waffen nachgekauft
werden können, die mittlerweile von phantastischeren Figuren
verdrängt worden sind. Seit Ende der 60er Jahre haben Horror-
Figuren US-amerikanischer und fernöstlicher Herkunft in die
Kinderzimmer Einzug gehalten, Monstren wie »Godzilla«, de-
nen sich vielfältige Ensembles von teilbeweglichen Fantasy-
Helden und -bösewichten anschließen, die Versatzstüke aus
Science Fiction-Trickserien und Horror-Comics verbinden.
Das in der zweiten Hälfte der 80er Jahre meistverkaufte und
meistdiskutierte System sind die von Mattel entwickelten

114
Masters of the Universe, etwa 15 cm groß, teilbeweglich, mit
zahlreichen Zusatzmaterialien: »Jede Figur hat einen Namen
und bestimmte Fähigkeiten, die durch Aussehen, Körperbe-
schaffenheit und Bewaffnung kenntlich gemacht werden«; Ele-
mente von »Comicgestalten, ... aus der Welt der Ritter, der
mythischen Gestalten, der Science-Fiction-Filme vermischen
sich ... zu >Wesen<, die nirgendwo und überall angesiedelt sein
können ... , die den Kindern weder zu bekannt noch fremd
sind.« (Fritz, 1989) He-Man, der Held des Systems, und sein
Gegenspieler, Skeletor, der Böse, wirken noch relativ mensch-
lich, bei anderen Figuren überwiegt das Monströse, nach tradi-
tionellen Schönheitsnormen Unästhetische. Bei Kindern sind
sie dennoch oder gerade deshalb so populär, daß sie mehrfach
das Weihnachtsgeschäft dominieren (bei Preisen für das kom-
plette Set zwischen 3000 und 4000 Mark).
Gruselfiguren liegen im Trend, >>Stielaugengeist« und die
Ghostbusters, ebenso wie Fantasy-Helden, 1991 etwas weniger
aggressionsbeladen die Teenage Ninja MutantTurtlesund ihre
»Pizzawurfmaschine mit 12 Flying-Pizza-Disks« (von Bandai).
Aus den klassischen Spielzeugrobotern entstehen »Protecto-
bots«, Roboter, die zu Einsatzfahrzeugen transformieren kön-
nen, innerhalb des Spielfigurensystems TRANSFORMERS
(von Hasbro). Das MASK-Aktionsspielzeug (»für Jungen ab 4
Jahren«) bietet ebenfalls verwandelbare SF-Fahrzeuge (»Sky-
bolt«). Nachdem besonders brutale Spielfiguren bereits vom
Spielwarenhandel nicht angenommen worden sind (ein sezier-
bares Plastikmonster mit nummerierten Eingeweiden und
nachfüllbarem Blut von Mattel), geht der Trend zu Beginn der
90er Jahre wieder zu weniger aggressiven Aktions- Figuren-Sy-
stemen, den Dino-Riders oder Hook, die Abenteuerwelt nach
Motiven des neuen Steven Spielberg-Films.
Für kleine und kleinste Kinder gelangen ebenfalls zuneh-
mend Figuren-Ensembles auf den Markt, bobonfarbige,
kämmbare Fabelwesen wie Mein kleines Pony (»Hosenmatz-
Pony ... Trinkt, näßt in die Windeln«) oder Keypers. Im Nied-
rigpreisbereich sind die Plastikfiguren selten beweglich, gehö-
ren aber au<;h in einen medialen Verbund, Disney-Figuren oder
die Sesamstraße im Set.
Zu den ersten Spielzeugen von kleinen Kindern zählen Bau-
steine und Bauspielmaterialien. Nach dem 2. Weltkrieg entwik-
keln mehrere Hersteller Kunststoff-Baustein-Systeme, von de-
nen die dänische Firma LEGO seit den 50er Jahren unangefoch-
ten im Markt führt (LEGO-Weltumsatz 1987 ca. 2 Milliarden,

115
BRD ca. 200 Millionen Mark). DieLEGO-Produktpalette um-
faßt unterschiedlich große Stecksteine (DUPLO für Vorschul-
kinder), Figuren, Fahrzeuge, Gebäudeteile, die alle miteinan-
der kompatibel sind, aus denen sich innerhalb verschiedener
Produktlinien lustige Tierszenerien (FABULAND), Aben-
teuer- und Alltagsszenarien (LEGOLAND) oder technische
Modelle konstruieren lassen; insgesamt ein auch von Pädagogen
akzeptiertes System, »das den vielfältigen Spielinteressen von
Kindern gerecht werden kann« (Fritz, 1989). Andere Hersteller
versuchen Komponenten des LEGO-Systems nachzuahmen,
für ältere Kinder behaupten sich neben LEGO kaum eigenstän-
dige Systeme.
Ein nach wie vor wichtiges, wenngleich kein dominantes
Marktsegment bilden die Modellautos, von Traditionsfirmen
wie siku, Wiking, Matchbox mit Novitäten (»Golf GTI«) belie-
fert, von Revell Bausätze, von Carrera Rennbahnen, von Matte!
brandneu »Hot Wheels«, bunte, kleine »Edelflitzer«. Vorran-
gig an ältere Kunden wenden sich Modelleisenbahnen (Fleisch-
mann, Märklin, TRIX).
Auf jung und alt gleichermaßen zielen Gesellschafts- und
Brettspiele, die am gesamten Spielwarenmarkt über 10% Um-
satzanteil halten. Marktführer ist der Ravensburger Otto Maier
Verlag, gefolgt von Firmen wie MB, Parker, Schmidt Spiel+
Freizeit, ASS. Am meisten verkauft sind- generationsübergrei-
fend-die Standardspiele Mühle, Dame, Mensch ärgere Dich
nicht (von 1912-87: 55 Mio. Exemplare), Monopoly, Scrabble,
Memory. Kooperative und Lernspiele sind in den frühen 90er
Jahren rückläufig. Für Kinder am attraktivsten sind derzeit
elektronische und Computerspiele, daneben Wettkampf- und
Geschicklichkeitsspiele, mit den Bestsellern: Monster-Mix,
Disney Kinderkniffel, Avanti Spaghetti, Monopoly Junior
(SPIELE-MARKT 11/1991).
Auch Spieleverlage suchen von der Popularität von Figuren
oder Motiven aus anderen Medien zu profitieren: durch ein
Micky Maus Kinder Mensch ärgere Dich nicht, eine Verfol-
gungsjagd mit Räuber Hotzenplatz oder durch »das überaus
lehrreiche und pädagogisch wertvolle Benjamin Blümchen-
Spiel >Sicher zur Schule<«.

116
4. Wirtschaftliche Entwicklungen und Konzentrationen

Spielwarenhandel und -fabrikation sind in Deutschland ein


wichtiger Wirtschaftszweig, der auch bei schlechterer Kon-
junkturlage Umsatzwachstum (1991: 11%) erzielt; der Han-
delsumsatz zu Endverbraucherpreisen steigt (inkl. neue Bun-
desländer) auf über 6 Milliarden Mark (STUTTGARTER ZEI-
TUNG v. 7. 2. 92), davon entfallen etwa ein Drittel auf Elektro-
nik- und Videospiele (nebst Software, Disketten, Kassetten),
derzeit noch zwei Drittel auf traditionelle Spiele, Figuren, Pup-
pen, Plüsch, Eisenbahnen. Der deutsche Markt wird zuneh-
mend von ausländischen Herstellern, multinational operieren-
den Konzernen geprägt. Allein Honkong exportiert 1991 für
fast 700 Millionen Mark Plastik und Plüsch im Niedrigpreisbe-
reich, doch auch teureres batteriebetriebenes Spielzeug. Seit
Jahren sind die (auch weltweit) größten amerikanischen Spiel-
zeughersteller durch Exporte, Tochtergründungen oder Fir-
menkäufe in der BRD stark engagiert: MattelToys (MATTEL ),
Milton Bradley (MB), Kenner-Parker-Tonka (PARKER). Im
Segment der Aktionsfiguren und Ausstattungspuppen domi-
niert Mattel (Barbie, Hook, Masters of the Universe), bei den
Electronic Games japanische Unternehmen (Nintendo), bei
den Systembausteinen der dänische LEGO-Konzern. Doch
auch multinational operierende deutsche Firmen legen zu: so
erreicht die GEOBRA Brandstätter Gruppe (PLAYMOBIL)
1991 einen Gesamtumsatz von 412,5 Millionen Mark.
Der bislang vorwiegend mittelständisch strukturierte Spiel-
wareneinzelhandel (Vedes, Vereinigung der Spielwaren-Fach-
geschäfte mit 560 Verkaufsstellen) sieht sich gewachsener Kon-
zernkonkurrenz ausgesetzt: Die amerikaaisehe Kette Toys >R<
Us bietet in (1991) 18 Filialen ein standardisiertes Sortimentvon
18.000 verschiedenen Artikeln, die allerdings leichtgängig, gut
beworben, beim Käufer bekannt sein müssen (Ladenhüter wer-
den sofort aus dem Sortiment entfernt). Toys erreicht mit sei-
nen Cash-und-Carry-Hallen 1991 einen Umsatz von etwa 400
Millionen Mark, damit etwa 7% Marktanteil (DER SPIEGEL
49/1991).
Spätestens mit dem Konzentrationsprozeß im Fachhandel
reduzieren sich die Absatzchancen von pädagogisch konzipier-
ten, alternativen, nicht ohne Beratung verkäuflichen Spielmit-
teln, gewinnt die Arbeit neutraler Beratungsstellen für Eltern
wie Pädagogen wachsende Bedeutung: »Arbeitsausschuß gutes
Spielzeug« (Ulm) oder »Verein Spiel des Jahres« (Marburg).

117
Konzentrationsprozesse, somit die Orientierung der Kinder
auf Spielzeugmoden, verstärken sich durch die von den Markt-
führern erbrachten Werbeaufwendungen: der 24seitige PLAY-
MOBIL-Werbeprospekt Frühjahr/Sommer 1992 wird allein
für Deutschland mit einer Erstauflage von 1,5 Millionen aufge-
legt (SPIELZEUG-MARKT 1/1992). Der Gesamtwerbeetat
für Gesellschaftsspiele erreicht 1991 fast 20 Millionen Mark.
Kinder-Comics sind oft mit Werbung durchsetzt, die Fernseh-
werbung für Spielzeug boomt, besonders in den privaten Kanä-
len, die von Kindern bevorzugten Programme, Vorabendaction
wie Vormittagstrickfilm, sind von Werbung für dazu passende
Aktionsfigurensysteme unterbrochen. Allein Mattel gibt jähr-
lich mehr als 10 Millionen Mark für Fernsehwerbung aus (Fritz,
1989). Die Konzerne bemühen sich erfolgreich, bereits bei klei-
nen Kindern Markenbewußtsein zu erzeugen, denn in »der
Spielwarenbranche ist der Erstkauf einer Marke zugleich auch
Weiterkauf ... Die Marke ist so etwas wie Stabilität in dem viel-
seitigen und verwirrenden Angebot und ihre einmal aufgebaute
Persönlichkeit führt zur Akzeptanz sämtlicher Produkte, die
unter ihrem Namen auf dem Markt erscheinen.« (Kazemi-Vei-
sari) Mittlerweile unabdingbar für Massenabsatz ist der mediale
Verbund, die Vermittlung einer Figur, eines Systems, einer
Marke durch verschiedene Medien. Ublich war und ist die An-
knüpfung an Charaktere, die Kindern aus Film und Fernsehen
oder Comics bekannt sind: Tom & ]erry, Original Ghost-
busters, Simpsons, Turtles; allein für Disney-Standardfiguren
und Spielmittel mit entsprechenden Aufklebern im Rahmen
einer spezifischen »Disney Baby- und Vorschulspielzeuglinie«
erwartet Mattel weltweit 160 Millionen Dollar Umsatz (SPIEL-
ZEUG-MARKT 2/1992). Teilweise wird die Popularität der
Fernsehcharaktere zusätzlich für direkte Werbung genutzt: so
können Kinder sowohl das denkende Auto aus der Action-Serie
Knight Rider kaufen als auch ein Rennauto-Set, »Hot Wheels«,
den der Hauptdarsteller der Serie, David Hasselhoff, 1992 in
TV-Werbespots und Auftritten in beliebten Kindersendungen
für Mattel bewirbt. Für Spielzeughersteller kostenlos ist die
Übernahme von Motiven und Themen, die durch die AV-Me-
dien ins Gespräch gebracht worden sind: Statt eine Lizenz für
Disneys »Little Mermaid« zu erwerben, produziert Matteleine
eigene, wasserfeste »LilMiss Meerjungfrau«. Denkbar ist ferner
die Anknüpfung an den Bekanntsheitsgrad von Markenartikeln
in anderen Bereichen des Konsums, bei Ausstattungspuppen in
der Bekleidungsindustrie: »Benetton-Barbie«.

118
Auch Tonträgerhersteller vergeben Lizenzen für Spielfigu-
ren, Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg, die zudem von
ITP selbst unter dem Label >>kidfun« auf Brettspielen und Puzz-
les vermarktet werden.

5. Funktionen der Spielwaren und des SpieZens

In den 80er Jahren versuchen die Hersteller von Spielfigurensy-


stemen zunehmend, ihre Charaktere durch Zeichentrickserien
für Fernsehen und Video sowie durch Hörspielserien weiter zu
popularisieren, gleichzeitig Erweiterungen des Systems, neues
Zubehör den Kindern durch die damit vorliegenden Spielhin-
tergründe, Geschichten zum Nachspielen, besonders schmack-
haft zu machen. Mattel, dessen Barbie in den 70er Jahren in den
USA bereits Titelheidin einer Comic-Serie war, vergibt günstig
die Rechte für das >Teenager-Püppchen< oder die Masters of the
Universe für Hörspiel- und Trickfilmserien.
Spielfigurensysteme und Serien in anderen Medien sind oh-
nehin in vergleichbarer Weise dem Fortsetzungsprinzip ver-
pflichtet: die grundlegende Figurenkonstellation ist dem Kind
vertraut; der Hersteller erweitert ständig seine Produktpalette:
PLAYMOBIL liefert zu den olympischen Winterspielen 1992
Skiläufer und Pistenwalze, im Frühjahr Schlangentänzerin und
Badezimmer, liefert in jeder Saison Neuheiten, die eigentlich
>>Nachspielwaren« (Kazemi-Veisari) sind, weil letztlich nur
Themen, Szenarien, Figuren variiert und die Spielerwartungen
des Kindes bestätigt werden. Da das Kind aber das Figuren-
oder Baukastensystem als angenehm vertraut empfindet, drängt
es auf Komplettierungskäufe. Das Massenspielzeug verspricht
den Kindern >>Spaß, Lustgewinn, Raus-aus-dem-Alltag mit sei-
nen Zumutungen ... durch Hineinschlüpfen in tausend Rollen
und Abenteuer« (Steinlein), erweist sich aber in der Praxis als
weitgehend >>festgelegt in Form und Spielinhalt, ... resistent
gegen >Verwandlung< und phantasievollen Umgang ... Die
Langeweile beim Spiel verlangt nach Ergänzungskäufen ... Der
Mangel an Verwandlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten führt
in gerader Linie in die Abhängigkeit von medialer Beeinflus-
sung und ständiger Ergänzung des Bestandes an Spielfiguren.«
(Fritz, 1989) >>He-Man bleibt He-Man«. Er verweist Kinder im
Spiel, wie die Turtlesund Transformers, auf eine mediale Welt,
eine Fantasy-Welt, in der alles möglich ist, grenzt gleichzeitig

119
die reale Welt aus, gibt wenig Hilfe bei der Durchdringung und
Bewältigung des Alltags.
Spielmittel haben vorrangig Warencharakter, sollen verkauft
werden, Nachfolgekäufe nach sich ziehen, um dem Hersteller
Gewinn zu ermöglichen, dem Besitzer Prestige. »Der Waren-
besitz wird zunehmend wichtiger als der spielerische Gebrauch.
Mit Spielzeug wird ... Warenbesitz eingeübt und simuliert -
auch Holzspielzeug mit Prüfplakette signalisiert den besonde-
ren Status eben dieses >aufgeklärten< Warenbesitzers.« (Fritz,
1989).
Nichtsdestotrotz nimmt das Spielen im Leben der Kinder
nicht nur viel Raum ein (20.000 Stunden lang spielt jedes Kind
während der ersten 10 Lebensjahre; vgl. DER SPIEGEL 49/
1991 ), sondern bleibt auch für die psychische, kognitive, soziale
Entwicklung wichtig. Kinder wiederholen im Spiel alltägliche
Erfahrungen, um sie zu verarbeiten, ungeschehen zu machen.
Die Puppe, das Stofftier, die Action-Figur werden zu Stellver-
tretern, an sie kann das Kind weitergeben, was es selbst von El-
tern und Erziehern erfahren hat. »Diese Rollenumkehr, bei der
die Puppe die Rolle des Kindes übernimmt, ist eine wichtige
Möglichkeit der Verarbeitung und gleichzeitig der Identifizie-
rung mit den Eltern oder Erzieherinnen.« (Finger-Trescher) An
der Puppe, besonders an Tieren und Monstern, lassen sich aber
auch negative Erfahrungen, Ängste, Aggressionen abarbeiten.
Kinder erfahren Gewalt alltäglich, das Rollenspiel mit Figuren,
auch aggressionsbetontem Action-Spielzeug, kann helfen,
Ängste, selbst traumatische Erfahrungen zu bewältigen und
durch die Umsetzung im Spiel zu überwinden (vgl. Sommer-
feld).
Puppen und Figuren sind Hilfsmittel für die Entwicklung
von Selbständigkeit, von.:Unabhängigkeit, sind Ansprechpart-
ner, denen sich Gefühle, Angste, Erlebnisse anvertrauen lassen.
Häßliche, von den Eltern abgelehnte Monsterfiguren werden
bei heranwachsenden Kindem dazu benutzt, eigene Identität zu
entwickeln, bewußt mit diesen Figuren zu spielen, um sich ge-
gen die Erwachsenen abzugrenzen.
Das Spiel mit den beiden, bei Puppen und Figuren dominan-
ten Grundtypen, kann somit durchaus Beiträge zu kognitiver
wie sozialer Entwicklung leisten: Die babyhaften, dem Kind-
chenschema entsprechenden, das kleine Pony, der Plüsch-
panda, lassen sich umsorgen, verhätscheln, ihnen gegenüber ist
das Kind der Größere, Mächtigere, Dominierende. Die Hel-
den, Action-Figuren, Mannquin-Püppchen, He-Man, She-Ra,

120
Petra, sind erfolgreich, stark, unbesiegbar, sind die Größeren,
Mächtigeren, die sich zur Identifikation anbieten (an denen sich
auch Geschlechtsrollenidentität entwickelt).
Allerdings: Beim Spiel mit den zeitgenössichen Massenspiel-
waren werden Kinder zunehmend auf Begleitmaterialien ver-
wiesen, erhalten sie Spielimpulse durch andere Medien vermit-
telt (Comic, Video, Tonkassette, Diskette). Deshalb können
diese anderen Medien schnell bedeutsamer werden, Spielzeug
auf die Rolle eines Sekundärmediums reduzieren, das man zu-
sätzlich beim Hörspielhören oder Fernsehen benutzt. Kinder
können u. U. von dieser Medienumgebung abhängig werden,
brauchen >>fortwährend neue Impulse, um mit ihrem medial be-
stimmten Spiel fortfahren zu können.<< (Fritz, 1989).

Literatur

Bibliographien I Handbücher
Deutsches Jugendinstitut (Hg.): Dokumentation: Bibliographie Spiel
im Kindesalter, München 1971.
Kreuzer, KarlJosef (Hg.): Handbuch der Spielpädagogik, 4 Bde., Düs-
seldorf 1983184.
Meyer, Ernst (Hg.): Spiel und Medien in Familie, Kindergarten und
Schule, Heinsberg 1984.
Retter, Hein: Spielzeug. Handbuch zur Geschichte und Pädagogik der
Spielmittel, W einheim, Basel1979.

zur Spieltheorie
Schäfer, Gerd E.: Spielphantasie und Spielumwelt, Weinheim, Mün-
chen 1989.
Fritz, Jürgen: Theorie und Pädagogik des Spiels. Eine praxisorientierte
Einführung, Weinheim, München 1991.

zu Geschichte I Entwicklungen
Christiansen, Broder-Heinrich: »Militarisierung des Kinderzimmers«,
in: Kinderkultur. 25. Deutscher Volkskundekongreß in Bremen v.
7. bis 12. 10. 1985, Bremen 1987, S. 163-170.
Fritzsch, Karl Ewald u. Manfred Bachmann: Deutsches Spielzeug,
Leipzig 1965 (1977).
Gröber, Karl: Kinderspielzeug aus alter Zeit (Berlin 1927), überarb.
2. Aufl. Harnburg 1965.
Münchener Stadtmuseum (Hg.): Aus Münchner Kinderstuben 1750-
1930, München 1976 (Schriften d. Münchner Stadtmuseums 5).
Noschka, Anette u. Günter Knerr: Bauklötze staunen. 200 Jahre Ge-
schichte der Baukästen, München 1986.

121
Staatliche Kunstsammlungen Kassel (Hg.): Die kleine Figur - Ge-
schichte in Masse und Zinn, Kassel1985.
Stille, Eva: Spielzeug-Tiere. Auch eine Kulturgeschichte, Nürnberg 1989.

zu Puppen
Bachmann, Manfred u. Claus Hansmann: Das große Puppenbuch,
München 1988.
BillyBoy: Barbie. Ihr Leben & ihre Welt, München 1988.

zu Figuren-Systemen
Bauer, Karl. W.: »Spielen. Big Jim und die Computer«, in: ders. u.
Heinz Hengst: Wirklichkeit aus zweiter Hand. Kindheit in der Er-
fahrungswelt von Spielwaren und Medienprodukten, Reinbek 1980,
s. 125-150.
Steinlein, Rüdiger: »Phantasie-Figuren. Zum Spielgegenstand >Plastik-
figuren<«, in: Ästhetik und Kommunikation 27/1977, S. 13-20.
Sommerfeld, Verena: Krieg und Frieden im Kinderzimmer. Über Ag-
gressionen und Actionspielzeug, Reinbek 1991 (rororo 8807).
Trescher, Hans-Georg: »Industriell gefertigte Phantasiewelten. He-
Man, ein Therapeut?«, in: medienpraktisch 2/1988, S. 51-56.

zu Gesellschafts- und Brettspielen


Glonegger, Erwin: Das Spiele-Buch. Brett- und Legespiele aus aller
Welt. Herkunft, Regeln und Geschichte, München, Ravensburg
1988.
Kremsler-Hege, Elisabeth: »Die bundesdeutsche Spielseszene. Trends
und Entwicklungen bei Brett- und Gesellschaftsspielen«, in: IJM
2/1992, s. 62-72.
Meyer, Till: »Keiner wird gewinnen. Kooperative Spiele«, in: Psycho-
logie heute 12/1988, S. 52-57.
Rau, Petra: »Gesellschaftsspiele für Kinder«, in: Jensen/Rogge, S. 220-
228.
Spiel des Jahres. Ratgeber der Jury, München 1988.

zur Wirkung I Nutzung


Beddig, Hermann und Manfred Bönsch: » Gewaltspielzeug im Medien-
verbund. Erziehung zu Unfrieden, Vorurteil, Feindbildern?«, in:
medienpraktisch 1/1988, S. 54--57.
Finger-Trescher, Urte: »Puppen- das andere Ich. Zur entwicklungs-
psychologischen Bedeutung von Puppen«, in: medienpraktisch 2/
s.
1988, 13-14.
Hövel, Martina van den: »Phantasie und Wirklichkeit im Kinderspiel.
Von He-Man und Bruno, dem Stier«, in: medienpraktisch 4/1988,
s. 56--60.
Kazemi-Veisari, Erika: Zur gesellschaftlichen und pädagogischen
Funktion von Spielwaren in der Gegenwart, Frankfurt 1987.

122
Meyer-Bendrat, Klaus-Peter: Die Warenförmigkeit kindlicher Spiel-
arbeit. Die Verformung des Spiels im Lichte industrieller Erkenntnis-
interessen, Frankfurt u. a. 1987.
Rogge,Jan-Uwe: »Vom Umgangmit Aggressionen: He-Man, Skeletor
und die Barbiepuppe. Geschlechtsspezifische Aspekte im medienbe-
zogenen Handeln«, in: merz 3/1991, S. 191-201.
Scheu, Ursula: Wir werden nicht als Mädchen geboren- wir werden
dazu gemacht. Zur frühkindlichen Erziehung in unserer Gesellschaft,
Frankfurt 1977 (Fischer Tb 1857).
Schweitzer, Hartmut: »Barbie-Puppen und Bio-Maschinen. Interna-
tionalisierung von Kinderspielzeug«, in: Zeitschrift für Kulturaus-
tausch 1/1986, S. 31-38.

zur Vermittlung I Spielpädagogik


Baer, Ulrich: Wörterbuch der Spielpädagogik, Basel1981 (LenoZ 12).
Fritz, Jürgen: Spielzeugwelten. Eine Einführung in die Pädagogik der
Spielmittel, Weinheim, München 1989.
Klinke, Winfried: Womit soll mein Kind spielen? Ein Handbuch für El-
tern, Schule und Kindergarten, Frankfurt 1981 (Fischer Tb 3309).
Stöcklin-Meyer, Susanne: Komm wir spielen. Spiel und Spielzeug für
Kinder bis 9 Jahre, Zürich, Schwäbisch-Hall1986.

123
X. Computer- und Videospiele: Vom Ping
Pong zum Cyberspace

Durch die Entwicklung von Computern m1t Integrierten


Schaltkreisen und ihre Koppelung mit Monitoren (Bildausgabe-
systemen) werden Ende der 60er Jahre die Geräte kleiner und
leistungsfähiger, sind somit auch die Grundlagen für die Kon-
struktion von Videospielen gegeben. Die Erfindung der Chips
(winzigen Siliciumplatten, auf die Computerschaltkreise einge-
ätzt werden) und ihre rasche Weiterentwicklung ab 1971 schafft
die Voraussetzungen für die Microcomputertechnik und damit
für den Bau von handlichen, preisgünstigen Videospielcompu-
tern für den Heimvideobereich.

1. Erste Videospiele
Die ersten Videospielgeräte werden allerdings noch für den ge-
werblichen Einsatz (in Spielhallen, Kaufhäusern, Gaststätten)
konstruiert: den ersten Erfolg hat ATARI 1972 mit Pong, einer
Art Videotischtennnis, das anschließend auch im Heimgeräte-
bereich populär wird. Auch bei allen künftigen Weiterentwick-
lungen, neuen und immer komplizierteren Spielegenerationen
sind es vorrangig Arkadenspiele, Spielautomaten, durch die die
Hersteller neue Technologien und Spielideen erproben, weil in
die Entwicklung investiertes Kapital hier am ehesten Gewinn
verspricht. Da bei den frühen Videospielen Konsolen und Kas-
setten noch vergleichsweise teuer sind, produzieren besonders
japanische Unternehmen Minicomputerspiele mit Flüssigkri-
stallbild; diese winzigen, meist batteriebetriebenen LCD-Spiele
gehen schnell so weit im Preis herunter, daß sie zu Beginn der
80er Jahre zu den beliebtesten und verbreitetsten Kinderspiel-
geräten gehören. In ihnen finden ähnliche Spielideen wie in den
Videospielen Verwendung, bedingt durch ihre Größe sind sie
weniger komplex.
Attraktiver und variationsreicher sind also die Videospiele,
bei denen ein Spielecomputer (Steuerpult, Konsole) an ein
Fernsehgerät, einen Monitor angeschlossen und über Steuerta-
sten oder einen Joystick das Spielgeschehen auf dem Bildschirm

124
beeinflußt wird. In diesem Marktsegement ist um 1980 weltweit
die junge amerikanische Firma ATARI führend, hier engagie-
ren sich aber sehr schnell die großen internationalen Unterhal-
tungskonzerne (RCA, CBS, Bertelsmann) und Spielwarenher-
steller. Der Markt expandiert, nach Schätzungen des Deutschen
Videoinstituts sind 1983 auf dem Höhepunkt dieses ersten Spie-
lebooms 457.000 Videospielkonsolen und 3,05 Millionen Spiel-
kassetten an den Handel verkauft worden.
Die Videospiele lassen sich von ihrer Grundidee, der Kom-
plexität und der zugrundeliegenden Geschichte her voneinan-
der unterscheiden. Ihre Entwicklung beginnt mit einfachen
Sportspielen, Variationen von Pong, bei denen ein Ball hin und
her, über oder durch Hindernisse gespielt werden muß, diffe-
renzierteren Zweikämpfen, Tennis, Boxing, oder Mannschafts-
spielen, Soccer (Fußball), Iee Hockey, überwiegend schlichte
Geschicklichkeitsübungen. In der zweiten großen Spielegruppe
geht es um Kämpfe und Schlachten: bei Chopper Command,
Defender und Vangard müssen sich verteidigende Posten gegen
irdische oder außerirdische Angreifer zur Wehr setzen, kleine
Leuchtpunkte über dem Horizont oder differenziert animierte
Hubschrauber oder Raumschiffe abschießen, bevor diese Bom-
ben werfen können. In Outlaw verfolgt ein Sheriff den Gesetz-
losen, liefert ihm einen »Show-Down«, bei dem Kutschen und
Kakteen zerschossen werden. Begleitet sind die Aktionen, die
Schnelligkeit und Geschick fordern, von grellen Piep und
Schußgeräuschen. Differenzierter strukturierte Geschichten
liegen der dritten Spielegruppe, den Abenteuer- und Fantasy-
spielen zugrunde: Pac Man, in mehreren Fassungen produziert,
ein Kopffüßler, der in den Irrgängen eines Labyrinthes von
Geistern verfolgt wird, erstes und erfolgreiches Beispiel, ist
mittlerweile zum Mythos der Trivialkultur stilisiert worden
(mit einem eigenen Medienverbundsystem); in Pitfall ist ein
Männlein durchUrwaldund Wüste unterwegs auf Schatzsuche,
muß Treibsand und Tümpel, Krokodile und Schlangen über-
winden. Durch eine differenzierte Grafik und eine aus Steven
Spielbergs gleichnamigem Indiana fones-Film übernommene
Handlungsidee zeichnet sich Raiders ofthe Lost Ark aus; die ln-
diana-Figur muß auf der Suche nach der biblischen Bundeslade
durch verschiedenartige gefährliche Räume ( »Spinnenzimmer«,
»Saal des blendenden Lichts«), Landschaften (»Tal des Gifts«)
und dort jeweils phantasievoll gestaltete Aufgaben lösen.
Bereits die erzählender angelegten Videospiele benutzen das
Motivarsenal, die Schemata und Klischees aller Genres der

125
Abenteuer- und Spannungsliteratur, Schatzsuche und Urwald-
expedition, Weltraumfahrt und Geisterjagd, bereiten ihre Ge-
schichten ähnlich versatzstückhaftund holzschnittartig auf wie
japanische Zeichentrickbilligproduktionen, unterliegen aber in
den inhaltlichen Variationen und in der zeichnerischen Auflö-
sung Beschränkungen, die durch die geringe Rechnerkapazität
der Spielecomputer zwangsläufig sind.

2. Marktangebot und Nutzung der Heimcomputerspiele

1981 kommen erstmals Microcomputer auf den Markt, die sich


von Privatpersonen für Beruf, Haushalt und Freizeit nutzen las-
sen. Diese Heimcomputer nähern sich in ihrer Leistungsfähig-
keit bald professionellen Personalcomputern an, Produktions-
ausweitungen und heftige Preiskämpfe der Hersteller lassen ab
1985 auch in der BRD die Preise fallen, preiswerte Geräte der
amerikanischen Firmen COMMODORE und ATARI domi-
nieren dies Marktsegment. 1985 verfügen 5% der bundesdeut-
schen Haushalte über einen Homecomputer oder einen privat
genutzten PC, 1990 etwa 20%. Für private Zwecke ausreichend
leistungsfähige Heimcomputer sind für DM 500,- erhältlich
(wobei ein Farbmonitor den Preis verdoppeln kann), doch auch
teurere Geräte benutzen 45% der Käufer ausschließlich, um zu
spielen, der Rest überwiegend zu diesem Zweck (nur 15% der
Zeit vor dem Computer gelten Text- oder Datenverarbeitung).
Allerdings leben fast 30% aller Kinder zwischen sechs und
dreizehn Jahren in Haushalten mit mindestens einem PC oder
Homecomputer, die zum Teil von den Kindern überwiegend
genutzt werden. In der Rangfolge der häufigsten sowie derbe-
vorzugten Freizeittätigkeiten nimmt die ernsthafte oder spiele-
rische Beschäftigung mit dem Computer einen der hinteren
Plätze ein; nur 10% aller Kinder sitzen täglich oder fast täglich
vor dem Rechner. (Media Perspektiven 10/1991)- Pro Compu-
ter und Haushalt stehen durchschnittlich 50 Spielprogramme
zur Verfügung (BPS-REPORT 1/1991).
Die Spiele - Software - für Horne- und Personalcomputer
werden entweder von einzelnen Programmierern entwickelt
und an die kleineren Herstellerfirmen verkauft, größere Her-
steller lassen aufgrund intensiver Marktforschung ihre Spielge-
schichten, Figuren und Szenarien in eigenen Entwicklungsab-
teilungen erstellen.

126
Für die verschiedenen, miteinander oft nicht kompatiblen
Homecomputertypen werden jährlich tausende neuer Spiele
angeboten (allein für das System COMMODORE VC 64 sollen
mehr als 20.000 Spiele ausgeliefert worden sein). Aktuellliefer-
bar sind 8.000 bis 10.000 verschiedene Spiele, die auf dem bun-
desdeutschen Markt zu 90% über drei spezialisierte Vertriebs-
organisationen für die Hersteller verkauft werden. Marktfüh-
rend im Computersoftware-Vertrieb ist die Bertelsmanntochter
ARIOLASOFT; gefolgt von der zur britischen Maxwell
Gruppe gehörenden Rushware Micro Handels-GmbH in
Kaarst, an dritter Stelle US GOLD.
Das Interesse der Käufer, der Benutzer, der Kinder an neuen
Spielen erlischt rasch wieder, wenn sie mehrfach durchgespielt,
bekannt sind. »Die Lebensdauer eines Computerspiels liegt
durchschnittlich bei drei Monaten, fünf sind schon gut.«
(ARIOLASOFT, 1987) Die Vertriebsfirmen müssen mög-
lichst rasch neue Spiele entwikeln und auf den Markt bringen,
bevor »schwarz«, illegal kopierte Software diesen über-
schwemmt. Für Kinder und Jugendliche mit differenzierteren
Kenntnissen in der Datenverarbeitung ist es eher eine Heraus-
forderung als ein Problem, einen von den Herstellern eingear-
beiteten Kopierschutz zu überwinden, ein Programm zu »crak-
ken«. Die gecrackten und dann illegal kopierten Computerpro-
gramme werden- manchmal zu einem Bruchteil des Original-
preises (von DM 30,- bis DM 150,-), manchmal in großen
Stückzahlen- in der Computerszene von Kindern undJugend-
lichen weiterverkauft, wo sie sich noch nach dem »Schneeball-
prinzip« vermehren, von Kindern eifrig gesammelt. »Da gab es
Kids, die 500 Spiele auf ihren Disketten hatten, ohne je ihr Ta-
schengeld dafür herzugeben.« (W&M 1987) Da die Firmen
Raubkopierer wegen ihres jugendlichen Alters häufig kaum
rechtlich belangen können, versucht die Industrie einerseits
vermehrt Software im Taschengeldbereich (um DM 10,- pro
Spiel) anzubieten, andererseits die Komplexität von Spielen so
zu steigern, daß sie ohne eine Anleitung (die 30, im Einzelfall
auch über 300 Seiten umfassen kann) nicht spielbar sind. Neben
den Raubkopien sind noch illegale Importe im Markt, so daß
Branchenkenner schätzen, daß allenfalls ein bis zwei Prozent
der von Kindern und Jugendlichen genutzten Spiele Original-
software sind.

127
3. Neuer Videospiel-Boom
Der Spielemarkt erfährt durch einen 1990 beginnenden zweiten
Videospiel-Boomneue Akzentsetzungen.Japanische Konzerne
führen eine neue Generation von miniaturisierten Spielecompu-
tern (»Handheld Games«) ein, mit LCD-Monitor und einge-
bautem Lautsprecher eher Taschenfernsehern gleichend. Diese
neuen »High-Tech-Minis« werden durch vielfältiges Zubehör
ergänzt, sind z. T. miteinander vernetzbar, so daß mehrere
Spieler gegeneinander antreten können. Mit relativ hoch auflö-
sendem Farbmonitor kosten die Geräte um DM 300,- und die
Spielmodule, auswechselbare (aber nicht schwarz kopierbare)
Einsteckkarten sind zu Preisen zwischen 50 und 100 Mark im
Handel. Das marktführende Gerät, den Game Boy, liefert Nin-
tendo, an zweiter Stelle liegt SEGA mit dem Game Gear. Mit
»der bisher teuersten Werbekampagne für ein einzelnes Spiel-
zeug« (DER SPIEGEL 50/1990), mit 15 Millionen Mark schiebt
Nintendo das Weihnachtsgeschäft 1990 an und verkauft über
400.000 Stück. Mit 30 Millionen Mark »Werbepower« schafft
Nintendo 1991 allein in Deutschland eine Umsatzsteigerung
um 400%, verkauft über zwei Millionen Game Boys (SPIEL-
ZEUG-MARKT 1/1992). Bei den ebenfalls vermehrt beworbe-
nen, teureren Videospiel-Konsolen (mit leistungsfähigerer 8-Bit-
oder 16- Bit-Technologie) verficht SEGA weltweit die führende
Marktposition. Zielgruppe aller Computer- und Videospielher-
steller sind gleichermaßen Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Beim Game Boy sind 7% der Benutzer jünger als 6 Jahre, 46%
sind im Alter zwischen 6 und 17 Jahren, fast die Hälfte sind Er-
wachsene. Bei den Atari- oder Amiga-Computerspielen liegt der
Anteil jugendlicher Benutzer noch weit höher (da Game Boy und
Game Gear als neue, teure Spielgeräte derzeit noch mit als Sta-
tussymbol Erwachsener dienen können). Spielgeschichten, -Sze-
narien berücksichtigen daher sehr stark jugendliche Interessen,
die Spielkomplexität erschließt sich auch Kindern mit entspre-
chender Übung oder Vorkenntnissen. Unter den »Nintendo-
Fans« sind vergleichsweise viele Mädchen und Frauen, Compu-
terspieler sind aber überwiegend Männer und Jungen, da diese
das Medium Computer vorrangig nutzen, in Mädchen hingegen
immer noch durch eine eher technikfeindliche, geschlechtsspe-
zifische Sozialisation besondere Ängste angelegt sind. Von ih-
nen wird der »Rechner ... als Teil der technischen Umgebung,
als Instrument der männlichen Berufswelt, der vornehmlich
männlichen Lebenskultur wahrgenommen«. (Rosemann)

128
4. Spielthemen und -motive

Bei den Spielszenarien dominieren dementsprechend Aben-


teuer, Krieg, Kampf, technische Simulationen und Sport. Die
im Vergleich zu den früheren Videospielen erheblich verfeiner-
ten Computerprogramme ermöglichen nicht nur wesentlich
mehr und länger dauernde Handlungsmöglichkeiten, durch die
feinere Auflösung des Bildes lassen sich Hintergründe, Land-
schaften naturalistisch, die handelnden Figuren sehr realistisch
wiedergeben.
Die Sportspiele, die in den letzten Jahren mit die höchsten
Zuwachsraten erzielen, setzen bekannte Sportarten graphisch
um, fordern vom Spieler Geschick und Konzentration, um
möglichst Spitzenleistungen zu erzielen, z. B. in Wintergames,
einem ARIOLASOFT-Bestseller, oder in einem realistischen
Golfspiel für SE GAs Game Gear. Die technischen Simulations-
spiele stehen naturgemäß hoch in der Gunst (desgleichen in den
Computerspiel-Charts) von Kindern und Jugendlichen, die
selbst noch kein Motorrad, keinen Rennwagen lenken, kein
Flugzeug führen dürfen; für Pilotenspiele wie Flightsimulator
!I ist teilweise die Lektüre umfangreicher Handbücher erfor-
derlich.
Bei den bei jungen Spielern an vorderster Stelle liegenden
Kampf-, Kriegs- und Abschußspielen sind meist mehrere auf-
einander folgende Spielsequenzen, Handlungsebenen mitein-
ander verbunden, sowie jeweils eine Steigerung von Geschick
und Reaktionsschnelligkeit. In Uridium »formieren sich 15
dicke Großraum-Kampfschiffe, die sich auf eine Invasion der
Erde vorbereiten. Nur Sie allein können die Menschheit ret-
ten ... putzen Sie die feindlichen Riesenschiffe aus dem All.«
Raid over Moscow widerspiegelt noch den Geist des >kalten
Krieges<: die Sowjetunion startet einen Nuklearangriff auf die
USA; der Held/Spieler muß sich als Führer einer US-Raumsta-
tion mit seiner Staffel nach Moskau durchkämpfen, inverschie-
denen Sequenzen Verteidigungseinrichtungen der UdSSR zer-
stören.
Fast gleichermaßen populär, weniger kriegerisch, sind Aben-
teuer-, Fantasy- und Rollenspiele, die dem Spieler ein Szena-
rium, eine Geschichte bieten, deren Fortgang er mitgestaltet,
vielleicht als Geisterjäger in Ghostbusters, das an Motiven des
gleichnamigen Kinoerfolgs und der danach gestalteten Zei-
chentrickserie anknüpft. Die Computerprogramme arbeiten
mit einer Vielzahl von literarischen Versatzstücken, anfänglich

129
weitgehend der >Sword and Sorcery<-Phantastik entnommen.
Die Spielfigur, der Spieler kommt in einen vorgegebenen Raum
(in ein Gewölbe, ein Schloß, ein Labyrinth), eine bestimmte Si-
tuation (begegnet einem bösen Zwerg, einer hilfreichen Fee, ei-
nem gefährlichen Monster), hat dort feststehende Aufgaben zu
edüllen (den Gegenspieler töten oder im Gespräch überzeugen,
einen Gegenstand suchen, die linke oder die rechte Tür öffnen);
und je nachdem, wie sich der Akteur entscheidet, wie er die
Aufgabe löst, entwickelt sich die Geschichte weiter, wird vom
Computerprogramm ein neues Handlungsversatzstück ange-
fügt; es entsteht also eine in jedem Spieldurchgang anders ablau-
fende Geschichte. In solchen »interactive novels«, Mitspielge-
schichten, wie dem nach Douglas Adams heiter-grotesken SF-
Epos entstandenem und sehr populärem Spiel The Hitch-Hi-
ker's Guide to the Galaxy, erreicht- bei entsprechend originel-
ler und genauer graphischer Wiedergabe der Spielwelt- das Me-
dium Computerspiel eine eigenständige künstlerische Qualität.
Es kann darüber hinaus durch die Einbeziehung des spielenden
Kindes in eine komplexe Handlung, die von diesem manchmal
auch soziales Mit- und Vorausdenken fordert, zur Entwicklung
von Kreativität, kognitiven wie sozialen Kompetenzen beitra-
gen.
Im Gefolge des aktuellen Videospiel-Boomsund damit ein-
hergehender weltweiter Werbekampagnen suchen die Geräte-
hersteller wie Software-Vertreiber von populären Figuren und
Motiven aus anderen Medien zu profitieren und ihren Absatz
durch den Verbund mit anderen Medien zu steigern. In Aben-
teuerspielen von SEGA durchquert nicht mehr ein Strichmänn-
chen die Wüste, sondern eine aufwendiger animierte Micky
Maus und in Quack Shot begibt sich Donald Duck auf Schatz-
suche, stößt auf ähnliche Hindernisse wie seine ebenfalls su-
chende Verwandtschaft in Duck Tales von Nintendo. Dabei
orientieren sich die im Verbund vermarkteten Spiele auch an
den originellen Aspekten der Vorlage: in Simpsons: Bart vs. the
space mutants muß Bart Simpson, also der Spieler, außerirdi-
sche Mutanten nicht abschießen, sondern durch geschicktes
Suden oder Sprayen aufhalten.
Originalität und künstlerische Qualität bleiben noch Aus-
nahme in der Computerspielszene. Unter Kindern undJugend-
lichen haben sich stattdessen zeitweise kriegsverherrlichende,
faschistische und pornographische Spiele stark verbreitet, was
in den letzten Jahren zu vermehrten Aktivitäten der berufsmä-
ßigen Jugendschützer, der Bundesprüfstelle geführt hat. Ende

130
1991 sind fast 160 Video-, Computer- und Automatenspiele als
>jugendgefährdend< indiziert, knapp 10 verboten und beschlag-
nahmt. Bei dem hohen Anteil von Raubkopien ist davon auszu-
gehen, daß viele dieser Spiele in sehr hohen Stückzahlen den-
noch kursieren, z. T. wohl erst durch die Indizierung, das Ver-
bot für Kinder interessant gemacht. Die Spielideen sind manch-
mal denkbar schlicht, allenfalls als Verstoß gegen moralische
Normen von Belang: >>Bei Stroker handelt es sich um eine
simple Variante einer Masturbationssimulation. Der Spieler
muß mit einem kleinen Hebel ... so im Rhythmus hin- und her-
fahren, daß sich ein riesiger Penis auf dem Monitor vor ihm
langsam aufrichtet.« (W&M 1987) Weniger Befriedigung von
Spiel-Lust, allenfalls von kurzfristiger Neugier, könnte Strip-
Poker bewirken: >>Taste eins ist Isabell, zwei Lorence, drei De-
nise ... Die Karten werden gemischt. Die Mädchen zu schla-
gen, ist nicht allzu schwer. Pro Verführungsopfer enthält das
Programm fünf Bilder, von angezogen bis splitternackt. Dank
der technischen Entwicklung handelt es sich nicht etwa um
Zeichnungen: Digitalisierte Photos heißt der Zauberbegriff ...
Punkt für Punkt in Graphik auf dem Computerbildschirm um-
gesetzt«. (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG 1987)
Für Pädagogen und Eltern weitaus irritierender können
Spiele mit den Versatzstücken brutaler Horror- und Action-
filme wirken, die trotz Indizierung in den Diskettenboxen der
Computerkinder zu finden sind, wie Teacher Buster oder Man-
hattan Dealers letzteres im Umschlagtext folgendermaßen be-
worben: >>Ihre Aufgabe ist die Vernichtung sämtlicher, in Man-
hattau befindlicher Drogen ... -Seien Sie vorsichtig, Ihre Geg-
ner sind grauenerregend ... auf dem Hudsoner Hafendamm
lassen dämonische Vamps ihre Peitschen knallen. An der
Grenze zur Bronx . . . vergießen die mitleidslosen Skinheads
und die manischen Punker mit ihrer Motorsäge Blut ... ein
Kampfspiel in 3 Dimensionen ... mit außergewöhnlicher Le-
bendigkeit ... mitreißende Musik ... «
Gespräche mit Kindern zeigen, daß solche Spiele zwar ge-
sammelt, aber kaum gespielt werden. Sie können jedoch vor-
handene Vorurteile der Kinder verstärken, genau so wie die
neonazistischen Spiele, die faschistische Organisationen zielge-
richtet unter den >>Computer Kids« streuen, oftmals auf Disket-
ten, auf denen vorne Geschicklichkeitsspiele, dahinter aber
Heil Diktator oder Clean Germany sind: der Spieler soll Juden
vergasen oder >>das deutsche Vaterland von Gesindel ... be-
freien«, Homosexuellen wie >>Müslifressern«. Da die Nazi-

131
Spiele durchweg mit schlichter Grafik, einfachen Spielmustern
ausgestattet sind, sich zum Teil auf fast handlungslose Dialoge
mit dem Spieler beschränken (KZ-Manager), ist ihr Spielreiz in
Vergleich zu den kommerziellen, grafisch und animatorisch
ausdifferenzierten Angeboten, außerordentlich gering.

5. Funktionen und Wirkungen

Im Interesse der Kinder an Computer- und Videospielen spie-


geln sich Trends wider, die auch für die anderen Kindermedien
charakteristisch sind: es werden von ihnen actionreiche, span-
nende Spielinhalte bevorzugt. »Die vorherrschenden Spiel-
handlungen verkürzen ... komplexe Situationen auf Eindeutig-
keit und Überschaubarkeit (Freund/Feind; Gut/Böse). Einfa-
che Lösungen (ob nun mit oder ohne Gewalt) herrschen vor«.
(Rogge) Doch mindestens so faszinierend wie die formale Ein-
deutigkeit sind die aufwendig programmierten neueren Spiele
mit immer realitätsnäherer Grafik: »Je vielfältiger die Hand-
lungsmöglichkeiten, je differenzierter die >Reaktion< des Pro-
gramms, desto eher identifiziert der Spieler das Geschehen nach
dem Muster von Spielfilmen und füllt die inhaltlichen und emo-
tionalen >Leerstellen< des Computerprogramms mit seiner eige-
nen Innenwelt« (Fritz, 1989).
Heranwachsende nehmen das Videospiel zwar als Leistungs-
anreiz, der Wunsch nach »Spaß und Spannung« steht aber bei
ihnen eindeutig im Vordergrund, noch vor den Wünschen, die
eigene Reaktionsfähigkeit zu testen und zu steigern oder gegen
andere im Wettkampf zu bestehen.
Durch neue Techniken der Computergraphik nähern sich die
Videospiele den darstellerischen Möglichkeiten des von den
Kindern geliebten Zeichentrickfilms an, der- und hier schließt
sich ein Kreis- ja zunehmend mittels Computeranimation er-
zeugt wird. Neuere Untersuchungen belegen, daß der regelmä-
ßige Umgang mit dem Computer bei Kindern einen »visuellen
Lebensstil« fördert, mit vermehrtem Fernsehkonsum und dem
Rückgang von- vor allem belletristischer- Lektüre.
Kinder sehen (anders als Jugendliche) im Computer einen
Spielpartner, der im Videospiel als aktiver, reagierender Mit-
spieler wirkt. So ist der Erlebnischarakter des Videospiels für
das Kind ausgeprägter, intensiver als das Erleben eines Filmes
oder die Lektüre eines Buches.

132
6. Neue Spieldimensionen
Mit Höherentwicklungen der Computertechnologie stehen
auch neue Dimensionen des Computerspiels vor ihrer Realisie-
rung. In Spielhallen werden 1992 neue Automatenspiele von
American Laser Games eingesetzt, in denen eine Bildplatte die
einschlägigen Filmszenen eines Genrefilmes, z.B. eines We-
stern gespeichert hat; der Spieler kann sich nun, mittels einer
Laserpistole, mit den Filmakteuren Duelle liefern; wenn er eine
Mitspielfigur trifft, bringt der Rechner blitzschnell die entspre-
chende Filmsequenz auf den Bildschirm (vgl. DER SPIEGEL
15/1992).
Noch totaler ist die Einbeziehung des spielenden Menschen
über den Cyberspace, also einen von Rechnern, Computern
konstruierten kybernetischen Raum, durch den eine künstliche
(virtuelle) Realität geschaffen wird. Über den Cyberspace ha-
ben in den letzten Jahren vor allem ScienceFiction-Autoren ge-
schrieben; mittlerweile ist die vom Computer geschaffene drei-
dimensionale Kunstwelt kein Gedankenspiel mehr, sondern
wird bereits in der naturwissenschaftlich-medizinischen wie
militärischen Forschung als Hilfsmittel genutzt. Die merkantile
Nutzung kann beginnen, die dafür erforderliche Hardware und
Software ist bereits entwickelt, die multinationalen Spielekon-
zerne (Mattel, Nintendo, Atari) haben sich bereits Rechte und
Lizenzen gesichert: der Benutzer setzt einen Helm oder eine
Brille auf, mit zwei hochauflösenden LCD-Monitoren. »Ein
Meßgerät auf dem Helm teilt dem Host-Computer mit, wohin
der User der dreidimensionalen virtuellen Umgebung seinen
Kopf wendet ... Informationsangaben über Hebung und Dre-
hung des Kopfes, die mit Positionsangaben in XYZ-Koordina-
ten kombiniert werden . . . Während Sie Ihren Kopf drehen,
werden Ihnen die neuen Bilder so schnell vor Augen projeziert,
daß Sie den Eindruck bekommen, völlig in die virtuelle Umge-
bung eingetaucht zu sein.« (Waffender) Ergänzt wird die mit
dem Rechner verbundene Bildschirmbrille durch Datenhand-
schuhe, die Körperbewegungen übertragen.
Cyberspace-Computerspiele werden das Kind noch stärker,
noch intensiver, in einer fast alle Sinne umfassenden Weise in
eine vorprogrammierte Geschichte hineinziehen. Es wird zum
Akteur, wird selbst Held des Abenteuers, findet mit erwerbba-
rem Geschick noch direkter als in den derzeitigen Adventure-
Games oder als in den passiv rezipierten Trickfilmen seine Om-
nipotenzwünsche befriedigt. Die neue Spieltechnologie setzt

133
den Manipulationsmöglichkeiten der Hersteller genauso wenig
Grenzen wie den Erlebnismöglichkeiten der Rezipienten, enthält
Chancen und Risiken. Pädagogische Befürchtungen über die
Deformation von Kindern durch den Computer, das Computer-
spiel haben sich nicht verifizieren lassen. Die »Computer-Kids«
der frühen und mittleren 80er Jahre sind heute erwachsen; die
Ängste vor dem Computer sind die gleichen wie bei der Einfüh-
rung eines jeden anderen neuen Massenmediums. »Die Kids
von heute werden von Computern nicht manipuliert. Sie leben
ganz einfach mit ihnen« (Butt), wie sie auch mit anderen Geräten
leben und umgehen, Erfolgserlebnisse haben, ihre Freizeit ver-
bringen. Die Beherrschung des Rechners, eines Spielprogrammes
wird vom Kind als Erfolg empfunden, mit dem Lust verbunden
sein kann. Kinder eignen sich die Technik von Rechner und
Spielen vielfach schneller an als Erwachsene, spielen häufiger
und damit routinierter, erwerben Kompetenzen, die denen der
Erwachsenen überlegen sind und von diesen anerkannt werden.

Literatur
zu Geschichte, Entwicklungen
Barmik, Norbert und Frida Bordon: >Game over!< Beziehungskisten
mit Computern, Weinheim, Basel1985.
Computerkultur. Kursbuch 75, Berlin 1984.
Fritz, Jürgen: »Vom Brettspiel zum VideospieL Spielmedien im syste-
matischen Vergleich«, in: medienpraktisch 2/1989, S.15-20.
Herzberg, lrene: Kinder-Computer-Telespiele. Eine Literaturanalyse,
München, Weinheim 1987.
Knoll, Joachim H. u. a.: Das Bildschirmspiel im Alltag Jugendlicher.
Untersuchungen zum Spielverhalten und zur Spielpädagogik, Opla-
den 1986.

zum Spielemarkt
Bing, Jon: »Unsere elektronische Umgebung. Von Videospielen bis zu
>Hypermedien<«, in: Fundevogel64/1989, S. 9-14.
Fritz, Jürgen: Im Sog der Videospiele. Was Eltern wissen sollten, Mün-
chen 1985.
Fritz, Jürgen (Hg.): Programmiert zum Kriegspielen. Weltbilder und
Bilderwelten im Videospiel, Bonn 1988 (Arbeitshilfen für die polit.
Bildung. Schriftenreihe 20).
Fritz, Jürgen: »Videospiele-ein problematisches Freizeitmedium«, in:
ders.: Spielzeugwelten. Eine Einführung in die Pädagogik der Spiel-
mittel, Weinheim, München 1989, S. 165-210.

134
Horstmann, Johannes (Hg.): Videospiele im Wohnzimmer. Spielzeug-
qualität und Programminhalte, Schwerte 1983 (Katholische Akade-
mie Schwerte, Dokumentationen 9).
Schön, Wemer: »Schöne neue Spielewelt. Mutmaßungen über Video-
und Computerspiele«, in: medienpraktisch 2/1989, S. 21-24.
Seeßlen, Georg und Christian Rost: Pac Man & Co. Die Welt der Com-
puterspiele, Reinbek 1984 (rororo COMPUTER 8110).

zu »jugendgefährdenden« Computerspielen
Adams, Gerhard: Türkenhaß und Pornos auf dem Computermonitor.
Probleme des Jugendmedienschutzes«, in: ajs informationen 1/1988,
s. 1-5.
Benz, Wolfgang: »KZ-Manager im Kinderzimmer. Rechtsextreme
Computerspiele, in: ders. (Hg.): Rechtsextremismus in der Bundes-
republik. Voraussetzungen, Zusammenhänge, Wirkungen, Frank-
furt 1990, S. 224-231.
Carlhoff, Hans-Werner und Peter Wittemann (Hg.): Jugendspiel-
schutz. Spiel als Herausforderung für Erziehung und Jugendarbeit,
Stuttgart 1990.
»Computer- und Automatenspiele-Index«, in: BPS-Report 6/1991,
s. 29-30.
Heidrich, Jörg-Johannes »Krieg als Software. Computerspiele - alte
wieneue Tendenzen«, in: medienpraktisch 1/1991, S. 48-49.

zum Cyberspace
Seemann, Hans-Jürgen: Cyberspace: Der künstliche Himmel auf Er-
den, in: Psychologie heute 1/1992, S. 60-69.
Waffender, Manfred (Hg.): Cyberspace. Ausflüge in virtuelle Wirk-
lichkeiten, Reinbek 1991 (rororo COMPUTER 8185).

zu Nutzung I Wirkung
Baerenreiter, Harald u. a.: Jugendliche Computer-Fans: Stubenhocker
oder Pioniere? Biographieverläufe und Interaktionsformen, Opladen
1990 (Sozialverträgliche Technikgestaltung 16).
Butt, Rainer: »Den Kindern sei Dank. Streit um Computer-Kids«, in:
Chip 3/1991, S. 474-476.
Eurich, Claus: Computerkinder. Wie die Computerwelt das Kindsein
zerstört, Reinbek 1985 (rororo aktuell5635).
Hengst, Heinz: »Soziales Lernen in der Konsumzone. Kinder im
Umgang mit Kaufhauscomputern«, in: Medium 7/1985, S. 13-
20.
Lehmann, Jürgen: »Computernutzung, Lesen und Freizeitverhalten«,
in: schulbibliothek aktuell4/1989, S. 257-265.
Lukesch, Helmut u. a.: Jugendmedienstudie. Eine Multi-Medien- Un-
tersuchung über Fernsehen, Video, Kino, Video- und Computer-

135
spiele sowie Printprodukte, Regensburg 2. Aufl. 1990 (Medienfor-
schung 1).
Papert, Seymour: Gedankenblitze. Kinder, Computer und neues Ler-
nen, Reinbek 1987 (rororo COMPUTER 8126).
Rogge, Jan-Uwe: »>Kinder kapier'n das viel schneller .. ,<- Über Faszi-
nation und Gebrauch von Video- und Kleincomputerspielen«, in:
IJM 6/1983, S. 115-122.
Rosemann, Hermann: Computer. Faszination und Ängste bei Kindern
und Jugendlichen, Frankfurt 1986 (Fischer Tb 3369).
Schmidt, Claudia: »Viele Vorurteile. Computerfreaks im Licht der So-
ziologie«, in: c't 1/1991, S. 44-46.
Swoboda, Wolfgang: »Game over. Computerspiele im Alltag von Ju-
gendlichen«, in: medienpraktisch 2/1990, S. 13-18.

zur Vermittlung, pädagogischen Arbeit mit Computern


Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (Hg.): Vom kreativen
Umgang mit Computern. Möglichkeiten und Grenzen in der Jugend-
kulturarbeit, Remscheid 1988 (Schriftenreihe der Bundesvereinigung
Kulturelle Jugendbildung 11 ).
Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Computer in der Schule.
Pädagogische Konzepte und Projekte, Empfehlungen, Dokumente,
Bonn 1986 (Schriftenreihe der Bundeszentrale f. polit. Bildung 246).

Empfehlungslisten
Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Nordrhein-Westfalen (Hg.):
Computerspiele- Spielspaß ohne Risiko. Hinweise und Empfehlun-
gen, Köln 1991.
Computer & Pädagogik e.V. (Hg.): Spielplatz Computer. Empfehlens-
werte Computerspiele, Hannover 1991.
"Tips für Computerspiele. Ein Verzeichnis für Pädagogen und Eltern«,
in: Schulbibliothek aktuell 3/1990, S. 205-215 und 4/1990, S. 322-
333.

Spieleverzeichnisse und -beschreibungen


Babiel, Rainer und Patrick W oytal: Das Amiga Spielebuch, Düsseldorf
1990.
Babiel, Rain er und Patrick Woytal: Das Atari ST/STE Spielebuch, Düs-
seldorf 1990.
Deutsches Video Institut (Hg.): Computerprogrammverzeichnis >87:
Homecomputersoftware und Videospiele, Harnburg 1987.
Huff, Hartmut: Das große Handbuch der Video-Spiele, München 1983
(Heyne Tb 4871).

136
XI. Kindermedien in der DDR:
Bildung, Erziehung und Unterhaltung

Nach dem 2. Weltkrieg wird Deutschland geteilt, aus der So-


wjetischen Besatzungszone (SBZ) entsteht 1949 ein eigener
Staat, die Deutsche Demokratische Republik (DDR), deren po-
litische, wirtschaftliche und soziale Strukturen sich grundle-
gend verändern. Diese Umgestaltung, der »Aufbau des Sozia-
lismus« nach dem Vorbild der Sowjetunion, findet bei der
Mehrheit der Ostdeutschen keinesfalls vorbehaltslose Zustim-
mung. Das politische Bewußtsein der Bevölkerung ist auch
nach 1945 durch eine bürgerliche Sozialisation, ist vielfach so-
gar von Faschismus und Antikommunismus geprägt. Für die
Staatspartei der DDR, deren Mitglieder und Sympathisanten in
allen Bereichen des Staates die führende Rolle übernehmen, ist
somit in großem Umfange politisch-ideologische Erziehungs-
arbeit erforderlich: die Bevölkerung muß dafür gewonnen wer-
den, den Aufbau des Sozialismus zu unterstützen. Dabei
kommt es mittel- und langfristig vor allem darauf an, die Kinder
und Jugendlichen zu gewinnen. Diese Überzeugungsarbeit
wird über die Jahre dadurch erschwert, daß das kapitalistische
Westdeutschland nebenan aufgrund besserer wirtschaftlicher
Ausgangsbedingungen schon bald wesentlich mehr Wohlstand
hervorbringt, und damit bessere Lebensbedingungen und viel-
fähigere Freizeitmöglichkeiten bietet.

1. Kulturelle und mediale Entwicklungen


Aufgrund dieser Entwicklungsbedingungen haben Kultur und
Künste, in Sonderheit auch die Medien für Kinder einen ande-
ren Stellenwert, ist der gesamte Mediensektor anders organi-
siert als im Westen. Printmedien oder Tonträger sind nicht vor-
rangig Waren, Medienproduzenten müssen keine Gewinne er-
zielen, sondern sie sollen auf die Rezipienten, besonders auf
Kinder, erzieherisch und bildend einwirken. Zeitschriften- und
Schallplattenpreise, Theater- und Kinokarten werden staatlich
bezuschußt. Die Rezeption von Mediendarbietungen erfolgt
zumindest teilweise, zeitweise gelenkt: von Schulen, Kinder-

137
gärten, den politischen Kinder- und Jugendorganisationen (Thäl-
mann-Pioniere, Freie Deutsche Jugend) wird der gemeinsame
Besuch von Kinderfilmen oder Theateraufführungen organisiert.
Die Produktion richtet sich in allen Kindermediensektoren
nur begrenzt an der Nachfrage aus: aus Mangel an Rohstoffen
wird die Auflage begehrter Comic-Hefte nicht erhöht, stehen
bespielte Tonträger nur in sehr begrenztem Umfange zur Ver-
fügung, kann der Zugriff auf bestimmte Medien, auf begehrte
Einzelwerke nur über öffentliche Bibliotheken erfolgen.
Da die Kindermedienproduzenten in der DDR nur bedingt
(in den 80er Jahren stärker) eingesetztes Kapital zu amortisieren
haben, also nicht hohe Umsätze und Gewinne erzielen müssen,
sind die Medien weniger auf Unterhaltung, Zerstreuung, Bestä-
tigung von Rezipientenerwartungen hin ausgerichtet. In den
50er Jahren werden Medieninhalte sehr stark pädagogisiert, für
die ideologische Beeinflussung funktionalisiert: die Kinder sol-
len den wirtschaftlichen Aufbau unterstützen, deshalb fleißig
lernen, sollen Westsaboteure (Zeit des kalten Krieges) aufspü-
ren. Vordergründige oder schematisierte Belehrung wirkt auf
Kinder noch unattraktiver, wenn gleichzeitig aus dem Westen
über die offenen Grenzen in Massen bunte, action-betonte Co-
mics und Konsumfreude verbreitende Kinderzeitschriften in
die DDR gelangen, wenn DDR-Kinder ihrerseits im Westen
selbst Hefte kaufen oder sich Tarzan-Filme ansehen können.
Die Anti-Schund-Debatten werden demzufolge im Osten noch
erbitterter als im Westen geführt, die Verbreitung von
»Schmutz-Heften« in öffentlichen Schauprozessen angepran-
gert.
Nach dem Mauerbau 1961 sind die Westgrenzen abgeschot-
tet, Einflüsse westlicher Medien auf Kinder zurückgedrängt. In
den 60er Jahren konsolidiert sich nicht nur die DDR-Gesell-
schaft, sondern auch ihr Kindermedienangebot, das in einzel-
nen Bereichen künstlerische Komplexität erreicht und sich
durch gezielte finanzielle Förderung von Autoren, Dramatur-
gen, Regisseuren, Filmen, Theaterproduktionen innerhalb der
gesetzten Grenzen beachtlich entwickeln kann. Nach dem
Wechsel in der Staatsführung von Ulbricht zu Honecker öffnen
sich für Künste und Medien die formalen, bedingt auch die in-
haltlichen Spielräume, die in den 80er Jahren teilweise wieder
beschnitten werden. Mit weitergehender wirtschaftlicher Kon-
solidierung steigt der Grad der Mediatisierung, nimmt die Nut-
zung von AV-Medien zu, damit steigt gleichzeitig der Einfluß
von Westmedien.

138
Das Verhältnis von Kindern gegenüber den Medienangebo-
ten des Westens bleibt ambivalent, da in den DDR-eigenen Me-
dien ständig die Rede ist von »Bonner Hetz-« oder» Westber-
liner Lügensendern«, was sich Kindern einerseits einprägt.
Andererseits wirkt diese ständige ideologische Konfronta-
tion, Diffamierung nur bedingt, da die Westsender den Heran-
wachsenden unterhaltsamere, aufwendiger und perfekter pro-
duzierte, actionbetontere Programme bieten als die Ostdeut-
schen.
Allerdings unterscheidet sich bis 1990 die Geräteausstattung
hüben und drüben: in der DDR verfügen 95% der Haushalte
über mindestens ein Fernsehgerät (ein Viertel davon schwarz-
weiß), es haben aber nur 50% aller Erwachsenen Zugriff auf
einen Plattenspieler und jeweils nur 20% können über Kasset-
tenrecorder oder Tonbandgerät verfügen (MEDIA PERSPEK-
TIVEN 9/1990). Damit sind auch die Zugriffsmöglichkeiten
von Kindern auf AV-Medien beschränkter. Videorecorder oder
PCs spielen in der Mediennutzung der 80er Jahre praktisch
keine Rolle.

2. Kinderzeitschriften

In der Frühzeit der DDR ein wichtiges, später zumindest noch


massenweise verbreitetes Medium sind die Zeitschriften für
Kinder. Die Sowjetische Militäradministration vergibt die
Lizenzen für Zeitungen und Zeitschriften an politische Par-
teien und Organisationen; so verfügt bald nach Kriegsende auch
die Kindervereinigung der FDJ (später: Pionierorganisation
»Ernst Thälmann<<) über eigene Publikationen, die 1951 im
FDJ -eigenen VerlagJunge Welt zusammengefaßt werden. Kin-
derzeitungen erscheinen zu Niedrigstpreisen, denn sie >>sollen
mithelfen, die Ziele der Pionierorganisation immer wieder be-
kannt zu machen, sozialistische Ideen undWerte zu verbreiten
und Aktivitäten zu entwickeln ... auf das Leben der Kinder be-
stimmend einzuwirken.« (Chowanetz) Als Teil des sozialisti-
schen Erziehungssystems ist das Kinderzeitschriftenangebot
durchstrukturiert, so daß für jede Altersgruppe spezifische An-
gebote, für Kinder eine mit dem Alter wechselnde, gleichwohl
ständige Begleitung durch Kindheit und Jugend zur Verfügung
steht.

139
Auflagen Anfang der 1980er fahre
Titel Auflage Erscheinungs- Zielgruppe
modus
ABC-Zeitung 880.000 12x ca. 6-9 Jahre
Bummi 750.000 24x ca. 3-7Jahre
Frösi 620.000 12x ca. 7-13 Jahre
neuesieben 500.000 12x ca. 12-17Jahre
technikus 125.000 12x ca. 12-16Jahre
DieTrommel 700.000 52x ca. 9-13 Jahre
Das Alter der Zielgruppen verändert sich über die Jahre, die
Auflagen sind von tagespolitischen Akzentsetzungen und Pa-
pierkontingenten abhängig, mit zunehmendem Papiermangel
in der DDR Ende der 80er Jahre sinken die Auflagen fast aller
Druckerzeugnisse.
Abhängig von Zielgruppe und pädagogischer Funktion un-
terscheiden sich Form und Inhalt der Kinderzeitschriften.
Bummi, die Zeitschrift für Vorschulkinder, überwiegend bild-
orientiert, arbeitet mit einfachen, plakativen, starkfarbigen
Zeichnungen, verwendet einen Teddy als Titel- und Identifika-
tionsfigur, im DDR-Alltag eine >>kaum wegzudenkende Erzie-
hungsinstitution für Vorschulkinder« (Rogge). Die Alltagsge-
schichten mit >>Bummi<<, dem Teddy aus dem Spielzeugland,
sind häufig vordergründig didaktisch angelegt, zielen auf An-
passung innerhalb der Familie, auf die Übernahme von Sekun-
därtugenden wie Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit.
Das Heft enthält die auch in westlichen Vorschulzeitschriften
üblichen Rubriken, Bilderrätsel, Bastel- und Spielanregungen,
kurze Geschichten oder Fortsetzungserzählungen, über das ge-
sellschaftliche Leben, Gedenk- und Feiertage sowie auch Fabel-
und Märchenhaftes. Es finden sich die üblichen Berichte über
Pflanzen und Tiere, Gedichte und Lieder: >>Soldaten, Soldaten,
ihr wohnt in der Kaserne I habt Panzer und Raketen I und habt
uns Kinder gerne.<< Bummi ist im Vergleich mit westlichen Kin-
derzeitungen wirklichkeitsnäher, bezieht Arbeitswelt und Poli-
tik mit ein, teils schematisch, simplifizierend. >>Die DDR er-
scheint als liebes und vertrautes Familienunternehmen, dem
man Freude macht wie den Eltern.<< (Riedel) (Ergänzt werden
die Hefte durch eine monatliche pädagogische Beilage, >>Bummi
für Eltern<<, die neben weiteren Basteltips entwicklungspsycho-
logische Themen, sogar kindliche Sexualentwicklung auf-
nimmt.)
Die ABC-Zeitung wendet sich an das Grundschulalter, wie-
derholt in der Art einer »periodischen Fibel mit kleinen Lese-

140
stücken, Liedern, Lese- und Rechenspielen, Denkaufgaben ...
Beschäftigungsanregungen<< (Riede!) letztlich die Inhalte des
Schultunterrichts; bietet daneben allgemein-belehrende The-
men aus Technik und Geschichte, Freizeittips, Bilder von Pop-
stars, Hinweise auf neue Kinderbücher. Zentrale Aspekte sind
durchgängig die Vermittlung gesellschaftlicher Normen und
Leitbilder, von Adolf Reichwein, antifaschistischem Wider-
standskämpfer, bis zu den >>Bauleuten, ... ohne die Berlin nicht
so stark<< wäre.
Bei den Kindern am beliebtesten (am Kiosk immer sofort ver-
griffen), thematisch am vielfältigsten, umfangreicher und teu-
rer, ist das >Pioniermagazin< Frösi (»Fröhlich sein und singen<<),
das mit seiner originellen Beilage (kleiner Comic, Ausschneide-
bogen, Wimpel oder Blumensamen) das Prinzip des >Gim-
micks< westlicher Kinderhefte vorwegnimmt. Frösi bringt Re-
portagen aus den sozialistischen Ländern wie aus 3. Welt, Na-
turwissenschaft oder über die Arbeit der Nationalen Volksar-
mee als »Ineinander von Technik, Moral und Abenteuertum<<
(Rogge). Unterhaltung und Belehrung vermengen sich exem-
plarisch in den Bildergeschichten, in denen »emotionale Ele-
mente, ... das Bestehen von Gefahren, Erretten aus Nöten und
Befreien aus der Gefangenschaft durch . . . Einsatz und Ent-
schlossenheit ... eine entscheidende Rolle<< spielen (Riede!).
Die Vermittlung von Normen, Tugenden erfolgt eher indirekt.
Erkennbar den Charakter einer Verbandszeitschrift hat Die
Trommel, die über Aufgaben, Aktionen, Altstoffsammlungen
und Versammlungen der Thälmann-Pioniere berichtet und di-
rekt Traditionen proletarischer Kinderzeitschriften fortsetzt,
sie porträtiert vorbildliche Jungpioniere und glorifiziert »Hel-
dentum beim sozialistischen Aufbau sowie die deutsch-sowjeti-
sche Freundschaft<<, auch in Bildergeschichten und Erzählun-
gen.
Das naturwissenschaftlich-polytechnische Magazin techni-
kus wendet sich erkennbarer als ähnliche Westblätter auch an
junge Leserinnen, berichtet über Erfindungen in Ost und West,
problematisiert jedoch nicht den technischen Fortschritt, son-
dern bleibt stets zukunftsoptimistisch. Wie die Leserschaft von
technikus überschreitet auch die der Zeitschrift neues leben die
Grenze zum Jugendalter. Neben den DDR-spezifischen Sujets
nimmt dies Magazin die auch im Westen gängigen Themen auf,
berichtet über Sport-, Film- und Pop-Stars, prangert seit den
70er Jahren kaum noch die »Dekadenz westlicher Rockmusik<<
an, sondern informiert vergleichsweise engagiert über die

141
Populär- und Jugendkultur des Westens. Ein Professor als
»Briefkastenonkel« diskutiert über Sexualität und Partner-
schaft. Insgesamt vermitteln die Hefte jedoch ein anderes Leit-
bild des jungen Menschen, eines, »das bestimmt ist von Aktivi-
tät und Entschlossenheit, Einsatz-, Lern- und Arbeitsfreude.«
(Riedel)
Außer den beiden populärwissenschaftlichen Zeitschriften
Jugend und Technik sowie Uranialesen ältere Kinder zudem
bereits (gelegentlich) die Tageszeitung der FDJ, Junge Welt,
vorrangig wegen des ausführlichen Sportteiles, vielleicht wegen
der Leseranfragen zu Sexualität und Partnerschaft oder insge-
samt stärkerer Berichterstattung über jugendspezifische The-
men. Die Erwachsenenzeitschriften und Illustrierten der DDR
dürften bei Kindern (trotz Kinderseiten in der NBI u. a.) auf
eher geringes Interesse stoßen, mit Ausnahme des Filmspiegels
(der, in Ermangelung von BRAVO, die Starfotos zum anpinnen
liefert).
Gemeinsam ist der DDR-Kinderpresse ein relativ hoher
Grad an Pädagogisierung, die vergleichsweise hohe Gewich-
tung gesellschaftsbezogener Themen; ferner die spezifischen
Schablonen, Klischees, T rivialisierungen. Inhalt und Form sind
weniger abhängig von modischen Entwicklungen, von der Not-
wendigkeit warenästhetischer Präsentation, verändern sich
langsamer, wirken konservativer, langweiliger. Die Redaktio-
nen betonen zwarwachsend Unterhaltungskomponenten, nut-
zen die formale Faszination der Bildgeschichte, doch schlech-
tere Druck- und Reproduktionstechniken, billigeres Papier
mindern zusätzlich die Attraktivität. »Der großen Reichweite
der Kinderzeitschriften steht ihre im Vergleich zu anderen Kin-
dermedien geringe subjektive Bedeutsamkeit gegenüber. Fern-
sehsendungen oder die populären Musiksendungen des Hör-
funks haben den Presseprodukten ... den Rang abgelaufen.«
(Rogge)

3. Kindercomics
Zu den bei Kindern - gleichbleibend - beliebtesten Druck-
erzeugnissen der DDR gehören die beiden Comic-Reihen, beson-
ders die Mosaik-Serie, die zeitweise Auflagen von über 900.000
Exemplaren erreicht, deren frühe Nummern heute gesuchte
Sammlerstücke sind. In den 50er Jahren wird in der DDR der

142
»Anti-Schund-Kampf« nicht zuletzt so intensiv geführt, weil
man neben den »kriminalitätsfördernden« auch die ideologi-
schen Auswirkungen der westlichen Massenunterhaltungslite-
ratur fürchtet. Auf besondere Ablehnung stoßen die Comics:
»Sie sind ... das ... heimtückischste Gift für unsere Kinder. Bei
W alt Disney beginnt es, über die crimestories führt es schließ-
lich ... nicht selten zum Verbrechen.« (DER SCHRIFTSTEL-
LER 8/1955) Trotz dezidierter Ablehnung dieser Literaturform
beschließt der Zentralrat der FDJ 1955, ein Gegengewicht zu
den in Massen von Kindern gelesen Westcomics zu schaffen:
»Diese Zeitschrift ... sollte zwar ähnlich aufgebaut ... sein wie
westliche Erzeugnisse, hatte aber . . . andere Zielsetzungen zu
realisieren. Der Redaktion wurde die Aufgabe gestellt, . . .
durch Humor, Abenteuer, Spannung sozialistisches Gedan-
kengut zu verbreiten und die jugendlichen Leser im Sinne des
sozialistischen Humanismus zu erziehen.« (Thiel)
Mosaik, Chefzeichner Bannes Hegen, experimentiert zu-
nächst mit anthropomorphen Tieren, entwickelt dann die »Di-
gedags« zu Helden (bis 1975), drei koboldartig, später realisti-
scher gestaltete Figuren, kindergroß, aber mit Erwachsenenei-
genschaften. Die ersten Abenteuer orientieren sich an klassi-
schen Schablonen, Reise, Schatzsuche, Robinsonade, es folgen
parabelhafte, utopische Weltraumerlebnisse: eine friedliebende
sozialistische Union kämpft gegen ein imperialistisches Reich.
Danach ist die Serie bis in die Gegenwart dem historischen, un-
terhaltsam fabulierten Abenteuer verpflichtet, die Helden agie-
ren im Mittelalter, in Byzanz, in Indien, im Wilden Westen, um
historische Prozesse im Sinne einer marxistischen Geschichts-
wissenschaft zu interpretieren. Nachdem Mitte der 70er Jahre
ein Zeichnerwechsel erfolgt, wird das Heft professioneller
(auch unpersönlicher), arbeitsteilig, mit mehr Detail- und Bild-
witz sowie geänderten Hauptfiguren (Abrafaxe ), aber weiterhin
authentischen Szenarien gezeichnet.
Neben Mosaik erscheint seit 1955 eine zweite Comic-Zeit-
schrift, Atze, die sich an ein jüngeres Publikum wendet (mit
Auflagen um 500. 000), inhaltlich und formal sehr unterschiedli-
che Beiträge enthält, neben moralisierenden Strips mit anthro-
pomorphen Mäusen (»Fix und Fax«) Abenteuer aus der Ge-
schichte des Klassenkampfes. Atze soll seit 1967 »Träger der
politisch relevanten und aktuellen Bildgeschichte« sein, bringt
seitdem ideologiepralle Comics von NVA-Manövern (»Bewäh-
rungsprobe für Holger«) oder vom industriellen Aufbau in der
DDR, auch in den 80er Jahren noch mit einem Grad politischer

143
Schwarzweißmalerei, wie er ansonsten aus den Kindermedien
der DDR geschwunden ist.
Seit den 60er Jahren arbeiten praktisch alle Kinderzeitschrif-
ten der DDR mit Comic-Strips, Frösi bringt zeitweise sogar ei-
gene Beilagen (z. B. »Atomino«, Abenteuer eines anthropo-
morphen Atoms mit Superman-Eigenschaften, in dem sich un-
begrenztes Vertrauen in die Potenzen der Atomenergie wider-
spiegelt). Zudem erscheinen in den 70er und 80er Jahren Co-
mic-Streifen auch in den großen Publikumszeitschriften der
DDR (»Bambi«, nach Felix Saiten in der NBI), kommen ein-
zelne Serien in Sammelbänden, Buchausgaben heraus, Akzep-
tanz bei den Literaturpolitikern stellt sich trotzdem nicht ein.
Der Anteil (begeisterter) erwachsener Leser hat zugenommen,
bei den Kindern bleibt die Nachfrage bis zum Ende der 80er
Jahre größer als das Angebot, und die jungen Leser erwarten
nichts anderes als ihre westlichen Altersgenossen, Unterhal-
tung, Spannung, Komik, und daß die informationsvermitteln-
den, belehrenden Passagen nicht den Ablauf der Geschichte
stören.

4. Kindertheater
Wesentlich mehr kulturpolitische Förderung - auch im Ver-
gleich zur BRD- erfährt das Kindertheater in der DDR. Bereits
1946 wird in Leipzig das »Theater der jungen Welt« gegründet,
die erste deutschsprachige, professionell bespielte Bühne für
Kinder. Insgesamt spielen später fünf Theater, mit jährlich über
600.000 Besuchern (NEUE ZEIT 34/1983) ausschließlich für
junge Zuschauer, sind profilgebend auch für die Kindertheater-
arbeit der Mehrspartenbühnen. Im starken staatlichen Engage-
ment für das Kindertheater widerspiegelt sich einerseits ein bil-
dungsbürgerlich geprägter Kulturbegriff, andererseits das Be-
streben, die in der Weimarer Zeit entwickelten Linien proletari-
scher Theaterarbeit fortzuführen. Die ersten ostdeutschen Kin-
derstücke orientieren sich noch am bürgerlichen Repertoire,
Emil und die Detektive nach Kästner, dann am sowjetischen
Vorbild, Die Schneekönigin vonJewgenij Schwarz.
Durch das »Gesetz zur Förderung der Jugend« wird 1950 die
Grundlage für ein zentrales Kindertheater der DDR geschaffen,
das »Theater der Freundschaft« in Berlin, das »mit allen ihm zur
Verfügung stehenden Mitteln der Stärkung der jungen Repu-

144
blik« dienen, »die Freundschaft und die Liebe zur Sowjet-
union« fördern und sich zum »proletarischen Internationalis-
mus« bekennen soll (Hoffmann). Die politische Funktionalisie-
rung der Kindertheater drückt sich in der Gründungsphase in
der engen Zusammenarbeit mit der FDJ sowie der Pionierorga-
nisation aus, die »gesellschaftlicher Auftraggeber« von Insze-
nierungen sind, für die von der Bühne aus zu Mitarbeit und Bei-
tritt geworben wird, die gleichzeitig Zuschauer organisiert ins
Theater bringen.
Erste Jugendstücke unterstützen den Aufbau der sozialisti-
schen Wirtschaft: In Du bist der Richtige überraschen W aldi
und Heinz, FDJ-Mitglieder und Werftarbeiter, Westberliner
»Rowdies« beim KupferdrahtdiebstahL Im meistgespielten
Stück der frühen 50er Jahre, Timur und sein Trupp (des Russen
Arkadi Gaidar), hilft eine Gruppe Junger Pioniere vorbildhaft
den Familien eines russischen Dorfes, deren Männer im »Gro-
ßen Vaterländischen Krieg« an der Front kämpfen. Ältere
Stücke des proletarischen Kindertheaters werden wiederaufge-
führt: in Tom Sawyers großes Abenteuer (von Stefan Heym) ret-
ten Tom und Huck einen unschuldig verdächtigten Schwarzen
vor dem Ku Klux Klan. Neben klassischen, kindgemäß insze-
nierten Stücken aus dem Erwachsenenrepertoire bringt das
DDR-Kindertheater vorwiegend Adaptionen zeitgenössischer
Kinderbücher, häufig gespielt Die Jagd nach dem Stiefel (1960,
nach Max Zimmering, von Kästners »Emil« beeinflußt): Die
Rotschlipse, Kinder klassenbewußter Arbeitereltern, helfen bei
der Jagd nach dem Mörder eines Genossen, kurz vor der faschi-
stischen Machtübernahme.
Zum bis in die späten 80er Jahre bevorzugten Genre arriviert
das Märchen, mit dem die sozialistische Kinderbühne an das ei-
gentlich als »kitschig, spießig« verpönte bürgerliche Weib-
nachtsstück anknüpft, das nun aber marxistisch interpretiert
oder als Parabel auf die Gegenwart genutzt wird. Durch»Typi-
sierung der Märchenfiguren, . . . soziologische Fixierung auf
Kosten der Poesie« werden Charaktere »bis zur Unkenntlich-
keit« übersteigert: das >tapfere Schneiderlein< als »Held stand
Trotteln und Dummköpfen gegenüber« (Hoffmann). Bis in die
70er Jahre bleibt der Leningrader Jewgenij Schwarz (1896-
1958) meistinszenierter Verfasser von Märchenstücken, sein
Rotkäppchen besiegt durch solidarisches Handeln gemeinsam
mit den Tieren des Waldes den bösartigen Wolf. Mit Märchen-
adaptionen entziehen sich offenkundig in den 60er Jahren Er-
wachsenendichter wie Heinz Kahlau (Der gestiefelte Kater)

145
oder Heinz Czechowski (König Drosselbart) der Notwendig-
keit platter Parteinahme im Gegenwartsstück Die Märchen-
stücke von Peter Hacks gehören in den 70er und 80erJahren zu
den herausragenden Arbeiten für das Kindertheater; in Armer
Ritter erzählt er nicht nur - unter Hinzunahme der tradierten
Kaspar-Figur - eine komisch verfremdete, naive Geschichte
vom Kampf eines guten Ritters gegen einen bösen Drachen,
sondern kritisiert auf einer Metaebene die Schablonenhaftigkeit
des sozialistischen Realismus, denn der »eindimensional tu-
gendhafte« Arme Ritter stimmt mit den gängigen positiven Hel-
den, der Drache Feuerschnief mit den »bösen Kapitalisten«
überein, wie sie auch Kindern als wenig glaubwürdige Figuren
in ihren Medien wiederkehrend begegnen.
Zeitgeschichte und reale Gegenwartsthemen werden seit
Ende der 60er Jahre für ältere Kinder undJugendliche differen-
zierter aufbereitet; die Dramatisierung von Erwin Strittmmat-
ters Kinderbuch Tinko soll1969 den »Ubergang vom Kapitalis-
mus zum Sozialismus in der DDR« lebendig machen; Den Wol-
ken ein Stück näher (nach Günter Görlich) problematisiert das
Verhältnis zwischen Schule und Betrieb, zwischen Kindern und
Erwachsenen. Insgesamt gewinnt das Kindertheater in den 70er
Jahren an Qualität, durch die politische Entspannnung zwi-
schen Ost und West können ideologische Zwänge gelockert,
zurückgenommen werden, können Kindertheatermacher west-
liche Anregungen aufgreifen. Das Interesse junger Zuschauer
am Theater wächst, die Mehrspartentheater- besonders in klei-
neren Orten - bieten regelmäßig Kinderstücke, so daß in den
80er Jahren zeitweise »pro Spielzeit in der DDR ca. 300 Insze-
nierungen für das junge Publikum gespielt werden, ... unge-
fähr 150 verschiedene Titel.« (Hoffmann, in: Schneider) Stärker
als früher dominieren unterhaltende Aspekte, bis hin zu auf-
wendig ausgestatteten Revuen, es wächst das Interesse an Mär-
cheninszenierungen (ca. 60% Anteil), vordergründige Agita-
tion weicht der Beschäftigung mit Themen, die reale gesell-
schaftliche Problembereiche widerspiegeln: dem Verhältnis von
Individuum zum Kollektiv, zur Gesellschaft sowie das Verhält-
nis von Kindern zu den mit fragwürdigem Machtanspruch auf-
tretenden Erwachsenen (Peter Hacks: Die Kinder, 1984).
Auch das Puppen- und Figurentheater, seit 1950 als »gleich-
berechtigte Gattung der darstellenden Kunst« staatlich geför-
dert, entfaltet sich in den 60er und 70er Jahren inhaltlich und
formal; zeitweise wird an fast 20 festen Spielstätten vorwiegend
oder ausschließlich für Kinder gespielt. Seit 1976 treffen sich die

146
Puppentheater der DDR (mit ausländischen Gästen) zu eigenen
Festivals in Magdeburg. Für das Puppentheater werden über-
wiegend Kinderbuchtexte dramatisiert (Vom Igel, der keiner
mehr sein sollte, nach Isolde Stark), zeitgenössische Kinder-
theaterstücke übernommen (Hacks< Armer Ritter) oder klassi-
sche Stoffe in Szene gesetzt (Dr. Faustus). Durch staatliche För-
derung, Wettbewerbe, Preise wird .?uppenspielern in den 80er
Jahren das Experimentieren, die Uberwindung traditioneller
Formen und Arbeitsweisen ermöglicht, die Verschränkung von
Traditionsfiguren und Gegenwartssujets, von menschlichen
Darstellern, Puppen und Publikum (herausragend die politisch-
kritische Gruppe >Zinnober<, Berlin, u. a. mit Die Jäger des ver-
lorenen Verstandes, 1982).
Staatliche Förderung, nicht nur unter ideologischen, auch
unter ästhetischen Gesichtspunkten, erfährt der gesamte Kin-
dertheatersektor: seit 1974 arbeitet ein nationales Zentrum für
Kinder- und Jugendtheater, organisiert und initiiert »Theater-
tage« für verschiedene Zielgruppen, Fortbildungen und
»Werkstattwochen«. Doch kulturpolitischer Förderung, ideo-
logischer und ästhetischer Differenzierung zum Trotz: bei den
Kindern in der DDR geht das Interesse am Theater über die
Jahre zurück, die Zuschauerfrequenzen sinken langsam, gleich-
wohl stetig. (Vgl. Statistisches Jahrbuch der DDR, 1978 ff.) Der
von Schulen oder Pionier-Gruppen organisierte, gemeinsame
Theaterbesuch wird auch von Heranwachsenden als Reglemen-
tierung empfunden. Andere Medien lassen sich unaufwendiger
nutzen, bieten- subjektiv- attraktivere Zertreuung. Die Thea-
ter reagieren wie im Westen mit unverbindlicher Unterhaltung:
opulent ausgestattete, klischeehafte Märchenstücke erleben in
den letzten Jahren der DDR in den Großstädten »um die Weih-
nachtszeit einen Aufführungsboom wie seinerzeit das Weih-
nachtsmärchen« (Hoffmann, in: Schneider).

5. Kinderfunk
Der Hörfunk hat für Kinder in der DDR bis in die 80er Jahre
einen anderen Stellenwert als im Westen: Transistorradios und
Radiorecorder sind teurer, gelangen erst später und nicht immer
mit Selbstverständlichkeit in die Kinderzimmer (bleiben fast bis
zur Wende noch Satussymbol); zum anderen ist der Rundfunk
von Anfang an das Medium, durch das die ideologischen Bot-

147
schaften, die Unterhaltungsangebote, die populäre Musik des
Westens auch von Kindern problemlos verfügbar zu machen
sind. Rundfunk und Radiogerät bleiben damit innerhalb der
DDR-Kinderkultur attraktiver als in der BRD.
Für die SBZ entsteht nach 1945 zunächst nur ein zentral ge-
lenkter Sender (Berliner Rundfunk); erst im Verlauf der 50er
Jahre findet eine Aufgliederung in mehrere Programme (später
mit zusätzlichen Regionalsendern) statt. Der Hörfunk ist in der
DDR als »wichtiges Instrument der Agitation und Propaganda«
in den Staatsapparat integriert, seine Leitungsorgane unterste-
hen direkt dem Ministerrat, die politische Lenkung erfolgt
durch das Zentralkomitee der SED. In den 50 er Jahren wird der
Funk für die ideologischen Auseinandersetzungen des kalten
Krieges funktionalisiert (Deutscher Freiheitssender 904), bis in
die späten 60er Jahre gilt das Hören von Westsendern als »ge-
sellschaftsfeindlich«, doch nur der Gemeinschaftsempfang so-
wie die Verbreitung von Westinformationen stehen unter Straf-
androhung (zuletzt durch die Verordnung zum Schutz der Kin-
der und Jugendlichen vom 26. 3. 69). Doch staatliche Regle-
mentierungen helfen wenig.
In den ersten Sendereihen für Kinder, Pionierfunk, dominie-
ren noch stark erzieherische, agitatorische, naturwissenschaft-
lich-belehrende Themen. Sendereihen für Vorschulkinder, Der
Sandmann ist da (seit 1956), Aus dem Butzemannhaus (seit
1957), wollen mit täglichen Beiträgen kleine Hörer durch die
Woche begleiten, durch wiederkehrende feste, teils menschli-
che, teils anthropomorphe Figuren (»Käpt'n Briese«, »Frau
Elster«) Identifikationsangebote machen. Neben kurzen Mär-
chen, Kinderliedern, Geburtstagsgrüßen werden Alltagsge-
schichten über Schulanfang, Tag der Volkspolizei oder die
Kartoffelernte gesendet, wird zum Malen und Basteln aufgeru-
fen.
Schulfunksendungen verarbeiten und ergänzen Lehrplan-
stoffe; allgemeine und ideologische Belehrung, Anregungen für
Freizeitaktivitäten, Interviews mit vorbildlichen Jugendlichen,
Arbeitern, Bauern bieten für jüngere Schüler das Magazin Der
klingende Bilderbogen, für ältere WIR- das Pioniermagazin.
Seit dem Ende der 50er Jahre wird das Kinderhörspiel als eige-
nes, mit der Kinderliteratur verflochtenes, »literarisches«
Genre gefördert, das sowohl Raum für traditionelle Stoffe (Rü-
bezahl) als auch für ideologische bietet: »Von Lenin lernen,
heißt die Welt verändern« (Motto der 12. Wochen des Kinder-
hörspiels).

148
Reine Musiksendungen für Kinder nehmen fast so viel Raum
wie das Hörspiel ein, umfassen Einführungen in klassische und
zeitgenössische Kompositionen, tradierte Volks- und Kinder-
lieder, auch aus »befreundeten Ländern«, besonders der
UdSSR, ferner Musikrätsel, Interviews mit jungen Musikern.
Das Schwergewicht liegt auf Kinderchorgesang, Kinderrund-
funk- wie Pionierchören, die die DDR und deren Werktätige
(»Traktorist«), die Nationale Volksarmee und die Leipziger
Messe besingen, mit tradierten musikalischen Mitteln und
manchmal überzogenem Pathos den Kleinsten erwünschte Se-
kundärtugenden vermitteln wollen (»Unsere Händchen sind
noch klein,lkönnen aber fleißig sein.«)
Seit dem Ende der 60er, mit den 70er Jahren entfaltet sich in
der DDR die Hörspielkultur parallel mit der sich inhaltlich und
formal auffächernden Kinderliteratur. Jährlich entstehen über
100 neue Kinderhörspiele, mehr als die Hälfte Originalproduk-
tionen, etwa ein Drittel Adaptionen von Kinderbüchern und
-erzählungen. Die Inszenierungen werden z. T. in Reihen zu-
sammengefaßt, »Abenteuer aus aller Welt« und wenden sich ge-
zielt an spezifische Altersgruppen. Für Vorschulkinder werden
Märchenhaftes und Heiteres, Tier- und Phantasiegeschichten
(Die Nähmaschine im Wald) ausgestrahlt. Für jüngere Schüler
finden sich märchenhafte oder abenteuerliche Stoffe aus der 3.
Welt, Science Fiction oder Biographien berühmter Personen
(Ernst Thälmann), Schul- und Familiengeschichten, bis hin zu
ironisch gebrochener Alltagserfahrup.g (Wie ich Vatis Auto ver-
borgte, 1988, von Jochen Hauser). Alteren Schülern bieten die
Redaktionen jugendgemäße Bearbeitungen von klassischer und
allgmeiner Literatur (Brechts Kalendergeschichten), Adaptio-
nen zeitgenössischer Jugendliteratur (Holtz-Baumerts Tram-
pen nach Norden), komplex bearbeitete gesellschaftliche Pro-
bleme. In Vineta (1979) thematisiert Angela Stachowa das Ster-
ben von Dörfern durch den Braunkohletagebau anhand der Ge-
schichte zweier Jugendlicher, die Heimat und Umwelt entdek-
ken und dabei eine »vage Beziehung zueinander« entwikeln. In
Isabel auf der Treppe (1980) stellt Waldtraut Lewin das poli-
tisch-moralische, unsoziale Verhalten von Eltern gegenüber
chilenischen Emigranten zur Diskussion.
Obwohl das Kinderhörspiel in den 80er Jahren auch plakativ
Vorbildliches verbreitet, entsteht durch das Engagement nam-
hafter Autoren Goachim Nowotny, Jutta Schlott, Maria Seide-
mann, Hans Weber) eine Art Freiraum, kultureller Nische, in
der Autoren problemorientierte Stoffe realisieren können, die

149
in öffentlich mehr beachteten Medien, Film, Fernsehen, Kin-
derbuch, an Zensurinstanzen scheitern würden. Dabei werden
auch künstlerisch-ästhetische Möglichkeiten des Mediums wei-
terentwickelt, werden innerer Monolog, phantastische Ver-
fremdung, Nebeneinander verschiedener Realitätsebenen,
stimmliche wie musikalische Dissonanzen, Musik zum Aus-
druck innerer Befindlichkeit genutzt.
Das ästhetisch komplexe Hörspiel erreicht jedoch allenfalls
einen kleinen Teil der Kinder. Bei der jährlichen Vergabe der Kin-
derhörspielpreise entscheiden sich die jungen Hörer eher für
unterhaltsame, märchenhafte oder heitere Inszenierungen. Kin-
dem vertrauter, durch schablonenhafte Gestaltungsmittelleicht
rezipierbar sind Serien- oder Reihenhörspiele, Was ist denn
heut' bei Findigs los (seit 1958) oder Kinderradio Knirpsenstadt
(seit 1963), die über Jahre mit festem, wiederkehrenden Figuren-
arsenal arbeiten. Die Rundfunkfamilie Findig nimmt in Kurz-
hörspielen Alltagsprobleme, Konflikte zwischen Eltern und Kin-
dem oder mangelndes Engagement beim Sammeln von Altpa-
pier auf, bringt morgens um sieben Uhr eher >small talk<, nach-
mittags die politisch wichtigeren Themen, naturalistisch und
alltagsnah inszeniert (eine Art Lindenstraße für DDR-Kinder).
Da in den DDR-Sendern seit Anfang der 70erJahre der Anteil
von (nicht nur westlicher) Popmusik kontinuierlich gewachsen
ist, Jugendmagazine mehrfach täglich »heiße Musik« ausstrah-
len, seit 1986 ein eigenes »Jugendradio DT 64« fast rund um die
Uhr ein musikorientiertes Programm für junge Hörer sendet,
nutzen auch in der DDR Kinder den Hörfunk mit zunehmen-
dem Alter vorrangig oder ausschließlich als Medium der Musik-
vermittlung, als Sekundärmedium neben anderen Tätigkeiten.

6. Kindertonträger
Die Kinderhörspielkultur der DDR blüht zwar künstlerisch be-
achtlich auf, kann aber über andere auditive Medien praktisch
nicht zugänglich gemacht werden, da Kindertonträger vom da-
für zuständigen staatlichen Monopolbetrieb VEB Deutsche
Schallplatte als ein randständiges Segment betrachtet werden.
Plattenspieler sind zum Ende der DDR weitaus verbreiteter als
Kassettenabspielgeräte, so produziert auch der VEB sein Kin-
derrepertoire, das »Litera«-Label vorwiegend auf Langspiel-
platte; zu Beginn der 80er Jahre sind etwa 50 Titel auf LP, davon

150
die Hälfte auch als Audio-Kassette lieferbar. Jährlich kommen
nur vier bis sechs Neuerscheinungen heraus; der Handel ver-
treibt insgesamt 800.000 Kindertonträger, was nicht ansatz-
weise die Nachfrage deckt.
Die Litera-Kinderplatten werden fast ausschließlich in eige-
nen Studios aufgenommen, aus Funk und Fernsehen allenfalls
Kinderlieder übernommen (Kommt und singt mit Pitti Platsch),
ansonsten auch die bereits als Rundfunkhörspiel vorliegenden
Stoffe neu adaptiert (Benno Pludras Tambari).
Das Angebot wendet sich überwiegend an Kinder im Vor-
und ersten Grundschulalter, Märchenstoffe jeder Art dominie-
ren: Rotkäppchen, Der kleine Muck, Der standhafte Zinnsol-
dat. Daneben sind einige klassische Abenteuerstoffe von Jules
Verne, Mark Twain, J. F. Cooper (Die Ballade vom Leder-
strumpf) sowie DDR-Kinderbuchklassiker (A/fons Zitterbacke)
kindgemäß aufbereitet. Die Inszenierungen sind durchweg na-
turalistisch, nicht überzogen kindertümelnd, die Figuren mit
bekannten Berliner Schauspielern besetzt, insgesamt eher kon-
ventionell, aber mediengerecht (und aufwendiger als westdeut-
sche Interpretationen von Standardmärchen).
Eine neue Qualität gewinnt Ende der 70er Jahre auch das
Kinderlied, als neue Liedermacher kindgemäße Texte mit Ele-
menten der internationalen Popmusik verbinden, mit »moder-
nen musikalischen Mitteln den Hörgewohnheiten der Kinder«
entgegenkommen, »aber keineswegs simpel oder kindertü-
melnd« (Thomas Natschinski), als Reinhard Lakomy mit Mo-
nika Erhardt heiter-unterhaltsame >Geschichtenlieder< produ-
ziert (Mimmelitt, das Stadtkaninchen) oder als Gerhard Schöne
packend und engagiert Kindern das »Rükgrat stärken, Rücken-
wind« geben will. Mit unbequemen Texten weckt das neue Kin-
derlied zwar Interesse bei der Zielgruppe, aber nicht das Wohl-
wollen von Pädagogen und Kulturpolitikern.
Die intensivste Nutzung der Kindertonträger erfolgt über
Kindergärten sowie Bibliotheken, die vorrangig beliefert wer-
den, doch auch hier haben »Interessenten ... relativ schnell das
Angebot ausgeschöpft« (SONNTAG 27/1989).

7. Kinderfilm

Ein vielfältiges Angebot finden Kinder und Jugendliche in den


Kinos der DDR, wo sie in den 80er Jahren drei Viertel der Besu-

151
eher stellen; für sie werden von 1949 bis 1989 insgesamt 150
Kinderfilme in den Babelsherger DEFA-Ateliers gedreht (fast
ein Viertel der gesamten DEFA-Produktion). Zusammen mit
den seit 1955 in Dresden produzierten (meist kürzeren) Trick-
filmen und den seit den 60er Jahren entstehenden Dokumentar-
filmen ist die DDR-eigene Kinofilmproduktion für junge Zu-
schauer erheblich umfangreicher als die der BRD.
Nach Kriegsende werden im Osten Vermögen und Studios
der UFA von den Sowjets beschlagnahmt, teilweise in eine 1946
neu gegründete zentrale Deutsche Filmaktiengesellschaft
(DEFA) überführt, die als volkseigener Betrieb noch im glei-
chenJahreinen ersten Film über Kinderschicksale, lrgendwo in
Berlin (Regie: Gerhard Lamprecht), sowie bald danach auch in-
tentionale Kinder- und Märchenfilme produziert. Als »Haupt-
aufgabe der Kinderfilmproduktion in der DDR gilt zunächst,
»bei der sozialistischen Erziehung der Kinder mitzuhelfen ...
ethische Werte zu vermitteln ... über eine dem Leben entnom-
mene interessante Fabel und durch Darstellung lebensvoller
Charaktere« (Kleine Enzyklopädie Film, 1966), also im Sinne
des sozialistischen Realismus. Auch Märchenstoffe sollen
»nicht der Verbreitung des Mystizismus dienen, sondern das
Kind im Geiste sozialer Gerechtigkeit und zur Liebe für das ar-
beitende Volk erziehen.« (Alexander Abusch, 1958) Der Kin-
derfilm wird also politisch funktionalisiert, als Mittel ideologi-
scher Erziehung finanziell gefördert; bis in die Gegenwart ko-
stet der Kinobesuch für Kinder nur wenige Groschen, er wird
zudem zeitweise bei wichtigen politischen Darbietungen durch
Schulen oder FDJ-Gruppen organisiert.
Die frühen Kinderfilme agitieren manchmal recht vorder-
gründig: In Die Störenfriede (1953) werden zwei »Störer« von
der Pioniergruppe ihre Schulklasse >umerzogen<; in Alarm im
Zirkus sollen Pferde aus einem volkseigenen Zirkus gestohlen
und nach Westberlin gebracht werden. Künstlerisch beeindruk-
kender und zeitloser und in ihrer Aussage nicht tagespolitisch
fixiert sind die ersten DEFA-Märchenfilme, die heute in Ost
und West zu den Klassikern des Genres gehören, in der DDR
als wegweisend für die »progressive Interpretation des klassi-
schen Erbes« gelten (Häntzsche): Das kalte Herz (Regie: Paul
Verhoeven, 1950) erzählt von dem Köhlerjungen Peter, der sich
in seiner Gier nach Reichtum dem Bösen verschreibt, dann er-
kennt, daß Freundschaft, Liebe, Hilfsbereitschaft mehr bedeu-
ten als Geld. Zeitloser noch wirkt der zweite Märchenfilm, Die
Geschichte vom kleinen Muck (Regie: Wolfgang Staudte, 1953 ),
152
ebenfalls nach einem Hauffschen Kunstmärchen, durch den
Mitgefühl mit Außenseitern geweckt, Korruption und Unterta-
nengeist lächerlich gemacht werden. Die Märchenfilme der fol-
genden Zeit neigen häufig zu einer überzogen antifeudalen
Interpretation, das »tapfere Schneiderlein<< leutet gar eine Re-
volte ein, die Bauern verjagen König und Hofstaat.
Gegenwartsthemen bleiben in den 50er Jahren stark zeitver-
haftet: Sheriff Teddy (Regie: Heiner Carow, 1957, nach Benno
Pludra) thematisiert den negativen Einfluß der westlichen
>Schundliteratur<. Das Lied vom kleinen Trompeter (1964) glo-
rifiziert aufopferungsvolle junge Helden der Arbeiterbewe-
gung. Wie in anderen DDR-Kindermedien verfestigen sich
auch im Film bis in die späten 60er Jahre spezifische Schablo-
nen: Um die jungen Zuschauer zu bessern, »besserten wir den
Helden. Weithin erhob sich der große Zeigefinger, und mit der
Didaktik kam die Langeweile.« (Benno Pludra, 1965)
Als nach 1965 mehrere Gegenwartsfilme für Erwachsene we-
gen zu kritischer Tendenzen gar nicht erst in die Kinos gelan-
gen, entziehen sich auch die Kinderfilmmacher vorläufig den
Gegenwartsstoffen. Das Märchen erlebt eine Art Aufschwung,
erobert sich auch im Fernsehen einen festen Platz. »Die Regis-
seure ... führten ... Diskussionen um die spezifische Ästhetik
von >Fernsehmärchen< und >Filmmärchen< ... Es wurde experi-
mentiert, ausprobiert und verworfen« (Reimann).
Innerhalb der gesamten DDR-Kinderfilmproduktion domi-
niert das Märchen oder Märchenhaft-Phantastische, vielfach
Adaptionen von Grimmsehen Texten, König Drosselbart (1965),
Schneeweißehen und Rosenrot (1979), Bearbeitungen romanti-
scher Kunstmärchen, Gritta von Rattenzuhausbeiuns (1985,
nach Bettina von Arnim), daneben das phantastisch verfremdete
Alltägliche, das >Gegenwartsmärchen. Philipp der Kleine (Regie:
Hermann Zschoche, 1975) ist ein wegen seiner geringen Körper-
größe gehänselter Junge, der eine Wunderflöte bekommt, mit
der er Dinge verkleinern oder vergrößern kann. Daraus erwach-
sen im Film komische Situationen, bis Philip erkennt, das es für
ihn wichtiger ist, aufgrund eigener Fähigkeiten von den anderen
akzeptiert zu werden. In Moritz in der Litfaßsäule (Regie: Rolf
Losansky, 1983) läuft ein von den vielbeschäftigten Eltern ver-
nachlässigter Junge diesen davon, schafft sich Klarheit über
seine Situation, seine Probleme im Gespräch mit einer spre-
chenden Katze. Märchenhaftes soll so die Phantasie der kleinen
Zuschauer aktivieren, sie ermuntern, sich selbst mit Phantasie
>>gegen Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen« Gungnickel).

153
Durch die restriktive Filmpolitik und die wachsende Verbrei-
tung des Fernsehens geht in den 60er Jahren in der DDR das In-
teresse am Kino insgesamt spürbar zurück. Deshalb soll die
DEFA den Unterhaltungs- und »Schauwert« ihrer Filme erhö-
hen, was sie mit aufwendig ausgestatteten historischen Aben-
teuerfilmen versucht, vor allem mit Indianerfilmen, die bei jun-
gen Zuschauern zu einem andauernden Erfolg werden. Am An-
fang stehen 1965 Die Söhne der große Bärin (Regie: Josef Mach,
nach L. Welskopf-Henrich), es folgt Chingachgook, die große
Schlange (1967, nach J. F. Cooper). Die daran anschließenden
Indianerstreifen lösen sich zunehmend vom Vorbild der bun-
desdeutsc~en Karl May-Verfilmungen, wollen den Zusammen-
hang von Okonomie und Politik bei der Unterdrückung der In-
dianer zeigen, Tödlicher Irrtum (1970) oder beschreiben nach
historischen Quellen Indianeraufstände, Tecumseh (1972). Als
vorläufig letzter Film der Indianerreihe setzt Blauvogel (1979,
nach AnnaJürgen) an die Stelle äußerer Aktion psychologische
Spannung, bindet die Erzählperspektive an einen von Indianern
geraubten weißen Jungen.
Die anhaltende Popularität der Indianerfilme geht nicht zuletzt
auf den jugoslawischen Schauspieler Gojko Mitic zurück, der in
fast allen Streifen Hauptrollen als »edle Rothaut« übernimmt, von
jungen Zuschauer(innen) manchmal kultischverehrt (Kinderzim-
merposter). Doch der jugoslawische kann den französischen Win-
netou, Pierre Brice, in den Augen der DDR-Kinder auf Dauer
ebenso wenig ersetzen, wie der DDR-eigene Western die auf-
wendiger und perfekter inszenierten Hollywoodproduktionen.
Mit zunehmender Offenheit von Kino und Fernsehen gegen-
über westlichen Unterhaltungsfilmen (1982 beginnende Aus-
strahlung von Karl May Filmen durch den Fernsehfunk) verliert
die eigene Indianerfilmproduktion endgültig an Bedeutung.
In den 70er Jahren wächst die Zahl der Kinderfilme mit The-
men aus Gegenwart und Zeitgeschichte. In Ikarus (1975) setzt
sich Heiner Carow, nach einem Drehbuch von Klaus Schlesin-
ger, am Beispiel seines achtjährigen Helden mit Scheidungspro-
blemen und alltäglicher Kinderfeindlichkeit in DDR-Groß-
städten auseinander. Isabel auf der Treppe (1984, nach einem
Hörspiel von Waldtraut Lewin) will Verständnis für in der
DDR lebende Ausländer wecken. Insel der Schwäne (1983,
nach Benno Pludra) kritisiert die Inhumanität der neuen Vor-
städte, beklemmend betonierte Wohnwelten ohne Spielmög-
lichkeiten für Kinder. In den späten 80er Jahren gewinnt der
Kinderfilm an Realitätsnähe und subjektiver Sicht.

154
Neben den Realfilmen produziert die DEFA über ein selb-
ständiges, 1955 in Dresden eröffnetes Trickfilmstudio auch
Puppen-, Figuren-, Lege- und Zeichentrick- sowie Silhouetten-
filme, die sich überwiegend an Kinder im Vorschul- und jünge-
ren Grundschulalter wenden; textnahe Standardmärchen, mär-
chenhafte Geschichten mit anthropomorphen Tieren oder Mär-
chenhaftes mit aktuellen Bezügen: Im Puppentrickfilm Gleich
links hinter dem Mond (1959) herrscht im Himmel Unruhe we-
gen des ersten Sputniks, dessen Geheimnis der Weihnachts-
mann dann ergründet. Die in den 50er Jahren manchmal etwas
unzureichende Tricktechnik wird bis in die 70er zusehends ver-
feinert, DEFA-Zeichentrickstreifen übertreffen dann die Stan-
dards amerikanischer oder japanischer Serienproduktionen
(Der arme Müllerbursch und das Kätzchen, 1971). Programm-
füllende, phantasievolle Puppenfilme wie Die fliegende Wind-
mühle (1981, nach Günther Feustel) begeistern sogar westdeut-
sche Zuschauer und Kritiker: »Eine märchenhafte Weltraum-
fahrt mit einer klapprigen Windmühle sorgt für kosmische
Abenteuer und ... Begegnungen mit außerplanetarischen W e-
sen. Ausgangs- und Zielpunkt ist Ollis Mißvergnügen an Schule
und Lernzwang, das sich auf dem Flug durchs All nach und
nach ins Gegenteil verkehrt.« (FILMDIENST 20/1984)
Seit Beginn der 60er Jahre gewinnt der Dokumentarfilm in
der DDR durch eine spezifische Mischung von Sachlichkeit und
Engagement eine neue Qualität, internationales Ansehen (Stu-
dio Heynowski und Scheumann). Die Dokumentaristen regi-
strieren alltägliche Ereignisse, auch aus dem Alltag von Kin-
dern, um damit gesellschaftliche Veränderungen, auch für Kin-
der, erkennbar zu machen: Wenn ich erst zur Schule geh (1961),
Nach einem Jahr- Beobachtungen in einer ersten Klasse (1962)
und ElfJahre (1966) von Winfried Junge, der als Langzeitpro-
jekt mit Abständen von wenigen Jahren das Heranwachsen der
Kinder einer Schulklasse in Golzow dokumentiert (1980 zu-
sammenfassend: Armut sparet nicht noch Mühe). Ergreifend re-
konstruiert Konrad Weiß mit Dawids Tagebuch (1980) das Le-
ben eines poesiebegabten polnischen Kindes jüdischer Abstam-
mung, das Opfer der faschistischen Vernichtungsmaschinerie
wird. DEFA-Dokumentarfilme für Kinder entstehen zuneh-
mend als Auftrags- oder freie Produktionen für den Fernseh-
funk, Kurzfilme für Vorschulkinder in der Sendereihe »Derbe-
sondere Tag«: Wir bekommen ein Baby.
Wirkung und Ansehen des Kinderfilmes werden in der DDR
durch regionale Filmwochen und ein nationales Festival (»Der

155
goldene Spatz« in Gera) gefördert, die Kompetenz der Kinder-
filmmacher durch spezifische Ausbildungsmöglichkeiten und
regelmäßige Tagungen. Kino und Fernsehen arbeiten zusam-
men, die Klassiker des Kinderfilms (Die Geschichte vom klei-
nen Muck) werden in mehrjährigen Abständen durch die Kinos
geschickt und zwischendurch vom Fernsehfunk ausgestrahlt,
erreichen also Generation auf Generation fast alle DDR-Kin-
der. Gleichwohl verliert das Kino an Bedeutung: ältere Grund-
schulkinder gingen Mitte der 60er Jahre zehnmal so häufig ins
Kino wie ihre Altersgenossen Mitte der 80er, diese sehen aber,
durch das Fernsehen, erheblich mehr Spielfilme. (Vgl. Wiede-
mann, in: Jäger).
Obwohl Filmproduktion und Angebot stärker politisch-
ideologisch orientiert sind, gleichen sich die genrebezogenen
Präferenzen bei Kindern und Jugendlichen in Ost und West; am
liebsten sehen DDR-Kinder:

Lustspielfilme 92 % I Abenteuerfilme 92%


Kriminalfilme 87% I Trickfilme 82%

Bei jüngeren Kindern liegen Abenteuer- und Animationsfilme


weit vorn, bei Mädchen sind Märchenfilme beliebter als bei Jun-
gen. Die Liste der bei DDR-Kindern beliebtesten Kinofilme
führen Mitte der 80er Jahre ausnahmslos Westproduktionen an
(obwohl die DDR nur eine begrenzte Zahl davon einführt und
die Eintrittspreise für Westfilme, wegen des Devisenaufwands,
oft höher liegen). Spitzenreiter sind aktionsbetonte Komödien
mit Bud Spencer oder Pierre Richard, Asterix-Zeichentrick-
filme und US-amerikanische Action-Filme, Das fliegende
Auge. (Vgl. Wiedemann)

8. Kinderfernsehen
Fernsehen ist für Kinder der »späten DDR« das attraktivste Me-
dium, leicht verfügbar, in praktisch jedem Haushalt präsent.
Allein die beiden Programme des DDR-Fernsehens bieten viel-
fältige Zerstreuungsmöglichkeiten, zeigen etwa 750 Spielfilme
pro Jahr (MEDIUM 2/1986). Weitere Programme sind teils
gut, teils hinreichend zu nutzen:

156
Empfangbarkeit von Fernsehprogrammen in DDR-Haushalten
(laut Media Perspektiven 9/1990)
erreichte Sehdaueranteil
Programm Haushalte in % pro Haushalt in %
DFF1(DDR) 98,3 19,8
DFF2(DDR) 96,9 8,6
ARD1(BRD) 87,3 25,3
ZDF(BRD) 81,1 21,6
NDR3(BRD) 43,8 2,5
SAT 1 (BRD privat) 39,2 13,6
RTL plus (BRD privat) 20,5 6,8
Bayern 3 (BRD) 20,2 2,5

Über die Programmauswahl können Kinder zunehmend selbst


bestimmen, denn nach Neuanschaffungen wandert das intakte
Altgerät ins Kinderzimmer; in Großstädten verfügen Mitte der
80er Jahre zwei Drittel der älteren Schulkinder über einen eige-
nen Fernseher. (Vgl. Wiedemann, in: Jäger) Kinderfernsehen
umfaßt also auch in der DDR weit mehr als intentionale Pro-
duktionen.
Die DDR beginnt 1952 mit einem offizielle Fernseh-Ver-
suchsprogramm, sendet 1956 erst 2,2 Stunden täglich. Die Zahl
der angemeldeten Fernsehempfänger steigt zügig von 71.000
(1956), auf 594.000 (1959), aufüber 3 Millionen (1965). Die Lei-
tungsorgane des Fernsehens (bis 1972 »Deutscher Fernseh-
funk«, dann »Fernsehen der DDR«) unterstehen direkt dem ZK
der SED sowie dem Minsterrat, unterliegen bis ins Detail Wei-
sungen von Staats- und Parteiführung. Programmauftrag des
Fernsehens ist die »Einheit von Information, Unterhaltung,
Bildung und Erziehung«, die Förderung »sozialistischer Be-
wußtseinsbildung«. In der Praxis orientieren sich die Pro-
grammverantwortlichen spätestens seit den frühen 70er Jahren,
dem Wechsel zu Honecker, zunehmend am Publikumsge-
schmack, erhöhen Unterhaltungs- und Spielfilmanteile. Bis auf
den Raum Dresden und wenige Gemeinden im nordöstlichen
Mecklenburg kann die DDR-Bevölkerung westliche Fernseh-
sender empfangen. Restriktive kommunale Verordnungen über
den Bau von Antennenanlagen oder FDJ-Abrißaktionen gegen
westwärts gerichtete Antennen können die Rezeption westli-
cher Fernsehprogramme bei jung und alt keineswegs einschrän-
ken. Im Zuge einer grundlegenden Programmreform wird nach
1982 ein noch breiteres Unterhaltungsangebot mit einem höhe-
ren Anteil von Westfilmen (Karl May, Louis de Funes) ausge-
strahlt, um die Attraktivität der Westprogramme zu mindern,

157
um nicht zuletzt Kinder und Jugendliche am Umschalten zu
hindern.
Das Kinderprogramm des Deutschen Fernsehfunks beginnt
mit Märchenhaftem für die Jüngsten (Matthias Löffelchen, ein
Osterhasenmärchen), mit porträtierenden, agitierenden Fern-
sehspielen (Clara Zetkin, Wilhelm Pieck) und belehrenden Ma-
gazinen (Kramkiste, Ökonomisches Lexikon) für Ältere. Zu
>Dauerbrennern< werden die Reihen Zu Besuch im Märchen-
land mit Meister Nadelöhr und Puppenensemble (seit 1955 );
Bei Professor Flimmrich (durch eine vorangestellte Einführung
der Titelfigur wird das Verständnis des anschließend gezeigten
Kinderfilmes vertieft); vor allem aber der Abendgruß des Deut-
schen Fernsehfunks (später: Sandmännchen) mit modernisier-
tem Sandmann und kurzen, belehrend-unterhaltsamen Filmen
(seit 1959).
Auch den älteren Kindern undJugendlichen sind eigene Ma-
gazinreihen gewidmet, Quartett bemüht sich um unterhaltsame
W ehrerziehung, das Pioniermagazin Aktuelle Kurbelwelle be-
schäftigt sich mit dem Zeitgeschehen und um 1970 herum mo-
deriert DDR-Schlagerstar Frank Schöbel Mode und Musik.
Im letztenJahrzehnthalten intentionale Kindersendungen in
beiden DDR-Programmen einen Anteil von etwa sechs bis sie-
ben Prozent (in DFF 1 mehr als inDFF 2). FürVorschulkinder
werden- altersgemäß-vorwiegend Magazine mit Kurzbeiträ-
gen (stets Trickfilmen dabei), Kurzfilmreihen und kurz~ Spiel-
filme offeriert. Eine Art nationaler Institution, auch bei Alteren
populär, ist Der Sandmann, mit einem dreiminütigen Auftritt
des weißbärtigen Knirpses, der meist ein Puppenspiel oder
einen Trickfilm umrahmt. Er kommt mit unterschiedlichen
Fahrzeugen angereist (über 200), mit Kutsche, Hubschrauber
oder Rakete, präsentiert dann im Mittelteil eine fünfminütige
Geschichte, mit vermenschlichten Tieren, Herr Fuchs und Frau
Elster oder mit Pitti(platsch) und Schnatterinchen (Handpup-
pen), durch die den Kleinen Botschaften für ihren Alltag ver-
mittelt werden: Paßt auf im Straßenverkehr! Helft mit beim
Frühjahrsputz! Der Kobold Pitti, neben dem Sandmann älteste
Figur des DDR-Kinderfernsehens, agiert mit seinen Freunden
und menschlichem Moderator auch in Zu Besuch im Märchen-
land, veranstaltet dort »ein fröhliches Liedersingen und Rätsel-
raten«, wenn es draußen regnet, zeigt beliebig gewählte Trick-
filme. Die älteren Kindermagazine sind noch belehrender kon-
zipiert, dieneueren (Ellentie) wirken häufiger, zumindest in der
Moderation, anbiedernd: »Findet ihr das nicht auch irre?« Ins-

158
gesamt macht sich »Kindertümelei in Sprache und Umgangsfor-
men breit ... aus Kindheit wird Kindlichkeit, Niedlichkeit ...
Konfliktferne« (Rogge).
Animationsfilme sind nicht nur Teil der Vorschulmagazine,
sondern auch durch eigene Reihen und Filme für eine altersmä-
ßig breite Zielgruppe präsent. Die »Tri-Tra-Trick«-Reihe ist
offenkundig die sozialistische Antwort auf die westlichen Vor-
abendserien, bringt qualitativ sehr unterschiedliche Beiträge aus
osteuropäischen Trickstudios, teilweise durchaus am Disney-
Vorbild orientiert. Aus dem Moskauer Sojusmultfilm-Studio
stammt die Hase und Wolf-Serie: »Wo und auf welche Weise
der Wolf seinen ersehnten Festschmaus, den Hasen, auch im-
mer jagt, stets zieht er den kürzeren und erntet Spott.« (FILM-
SPIEGEL 14/1984)
Magazine für ältere Kinder setzen mehr auf Information,Jan
und Tini auf Reisen, auf Agitation, im Pioniermagazin Mobil,
oder auf Sport- und Wissenswettkämpfe von Schülern, Mach
mit ...
Besonderen Erfolg haben in den 80er Jahren einige unterhal-
tende, freier fabulierte Serienproduktionen, Spuk unterm Rie-
senrad, Spuk im Hochhaus und Spuk von draußen (von C. U.
Wiesner und Günter Meyer), in denen Kinder in einem sehr re-
alen Alltag mit Gespenstern konfrontiert werden, spannend
und situationskomisch. Neben den DEFA-Kinderfilmen bringt
das Fernsehen auch selbst entwickelte und realisierte Fernseh-
filme, in den späten 70ern und 80ern aufwendige Märchenfilme,
Die schwarze Mühle (1976, nach Jurij Brezan), Geschichte vom
goldenen Taler (1985, nach Hans Fallada), sowie Adaptionen
von Kinderbüchern, Pianke (1983, nach Peter Abraham).
Für ästhetische Innovation, inhaltliches und formales Experi-
mentieren lassen die Programmstrukturen zusehends weniger
Raum. Die zeitweise ambitionierte Dokumentarfilmarbeit
(Vorschulreihe »Der besondere Tag«, u.a. von Konrad Weiß)
ist auf tagesaktuelle Themen oder Unterhaltsames und Erstaun-
liches zusammengeschrumpft. Neuerungen hat in der Spät-
phase der DDR das Jugendprogramm aufzuweisen. Ein erstes,
rock- und poplastiges Jugendmagazin, rund, produziert das
Fernsehen im Vorfeld des Weltjugendfestivals 1973: »eine ei-
gentümliche Mischung aus Musik und Tanz zum Mitklatschen
und ... harter FDJ-Agitation« (MEDIUM 2/1986). Seit 1985
schaffen kontroverse Diskussionen über Sexualiät oder Lei-
stungsdruck in Klik den Rahmen für aktuelle Rockmusik und
selbstproduzierte Videoclips. Und Elf99 (Postleitzahl von Ber-

159
lin-Adlershof) soll, kurz vor Ende des Staates, noch zum »Auf-
fangbecken« für die Jugendlichen werden, die sich (nicht nur)
von den DDR-Medien abgewendet haben (durch Verzicht auf
Agitation, hohen Musikanteil, viele Clips).
Die Programmverantwortlichen reagieren zwar auf Publi-
kumsbedürfnisse, doch mit Verzögerungen und inkonsequent
sowie in den Grenzen, die durch ideologische Vorgaben und
fehlende Devisen gesetzt werden. Vielleicht noch eher als Er-
wachsene sind Kinder mit den für sie produzierten Program-
men zufriedenzustellen. Drei Viertel der Kinder im Vor- und
unteren Grundschulalter sehen sich mehrmals wöchentlich Bei-
träge des DDR-Kinderfernsehens an.
Insgesamt verbringen Sechsjährige täglich eine Stunde, Drei-
zehnjährige etwa zwei Stunden vor dem Bildschirm. Die Haupt-
sehzeiten liegen bei kleineren Kindern zwischen 17.00 und 19.30
Uhr, bei älteren Grundschulkindern bis 21.00 Uhr. Jedes zweite
Vorschulkind nimmt am Erwachsenenprogramm teil. Vorschul-
kinder sehen mit Präferenz die für sie konzipierten Magazine
(Hoppla, Spielhaus), den Sandmann sowie die Filme der Flim-
merstunde, aberdie »größte Begeisterung lösen Trickfilme aus.«
(Merkel) Kinder im Grundschulalter schätzen ebenfalls den
Zeichentrick, daneben vorrangig Abenteuer- und Actionfilme
sowie Komödien, auch und gerade Filmreihen des Erwachsenen-
programms, die um populäre Schauspieler zusammengestellt sind
(Spielfilme mit Lex Barker, Pierre Brice, Pierre Richard oder die
Reihe »Lachen mit Weltstars«). Immer jüngere Kinder interes-
sieren sich für Sendungen mit Rock- und Popmusik sowie die
entsprechenden Jugendmagazine. Die Kinder suchen, wie die
Erwachsenen, ihre Programmpräferenze durch entsprechende,
erreichbare Westfernsehprogramme zu befriedigen, besonders
die Vorabendactionserien finden unter den DDR-Kindern mit
zunehmendem Grundschulalter ein begeistertes Stammpubli-
kum; beiUmfragen in den Klassen 3 bis 5 sind die am häufigsten
genannten Lieblingssendungen: »Winnetou; Sirnon & Simon;
Die verflixte Sieben; Spaß am Dienstag; ... Alf; Der Fahnder;
Donnerlippchen; Formell, Miami Vice.« (Wiedemann)

9. Kinderspielzeug

Haben sich Fernsehinteressen und -nutzung bei Kindern in Ost


undWestunübersehbar angenähert, so unterscheiden sich beim

160
Spielzeug Nutzung und Nutzungsmöglichkeiten durch die ver-
schiedenartigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. In der
marxistischen Theorie ist Spiel »eine sinnvolle und unterhal-
tende, dem Erlebnis und der Erkenntnis dienende Tätigkeit«,
die bewußt genutzt wird, um Kinder »ZU bilden ... , Fähigkei-
ten und Fertigkeiten gezielt auszuprägen und so auf kommende
Tätigkeiten im Leben vorzubereiten.« (Kulturpolitisches Wör-
terbuch, 1978) In der gesellschaftlichen Realität der DDR sind
Frauen wie Männer berufstätig. Der Tagesablauf von Kindern,
damit Spielmöglichkeiten und -verhalten werden durch den
Aufenthalt in Kindergarten, Hort oder Krippe vorrangig beein-
flußt. Erziehungspläne für Kindergärten sehen relativ viel
Raum für Lernspiele jeder Art, eher wenig Anteil für freies
Spielen vor. Bei den Freizeitinteressen der Erwachsenen in der
DDR liegt Spielen weit hinten.
Auf dem Gebiet der DDR liegen traditionelle Zentren der
deutschen Spielwarenherstellung (Thüringer Wald, Sonne-
berg), in denen auch nach dem Krieg weiter im Spektrum des
traditionellen Sortimentes (vom Brettspiel bis zum Metall-Kon-
struktionsbaukasten), später auch kunsthandwerklich orien-
tiert (Holzspielzeug) gefertigt wird. Die Spielwarenindustrie
hat aber im Vergleich mit den Grundlagenindustrien, mit dem
Wohnungsbau, mit der Landwirtschaft für die Gesamtwirt-
schaft eine geringe Bedeutung, bleibt zweitrangig. Da Spielmit-
tel zudem exportiert, aber wegen Devisenmangels nicht impor-
tiert werden, stehen den Kindern in der DDR im Vergleich mit
westlichen Ländern weniger Spielsachen zur Verfügung, auf-
wendige Spielfigurenensembles praktisch gar nicht, billige Mas-
senspielwaren aus Kunststoff ebenfalls in geringerem Umfang,
vermutlich mehr Lernspielmittel aus Papier und Pappe.
Die deutliche Pädagogisierung des Spielzeugs artikuliert sich
in der Förderung des Lernspielsektors, der sowohl individuelle
Bedürfnisse als auch die Nachfrage durch pädagogische Ein-
richtungen zu befriedigen hat. Mit Karten-, Reise- und Quiz-
spielen, Puzzles, Ausschneide- und Basteibögen wird natur-
kundliches, technisches oder berufsbezogenes Wissen vermit-
telt, schulisches Lernen vorbereitet oder ergänzt. Daneben wer-
den Gesellschaftsspiele aus der Vorkriegszeit auch im Osten als
Klassiker weiter produziert und gespielt (Fang den Hut,
Mensch ärgere Dich nicht), gehören umfangreiche Brettspiel-
magazine zur Grundausstattung ostdeutscher Kinderzimmer.
Weit verbreitet sind ebenfalls Baukästen jeder Art, Konstruk-
tions- und Elektronikspiele, mechanische Spielzeuge, Fahr-

161
zeuge (Bagger und Förderband), Modellautos, Eisenbahnen.
Traditionsbewußt und variantenreich ist die Puppen- und
Plüschtierherstellung, elementar notwendiges Spielzeug auch
für Kleinkinder in der DDR. Im Vergleich zum Westen be-
scheiden (keineswegs auf Serienkauf angelegt) mutet das Spielfi-
gurenangebot an: Handpuppen und Kasperlefiguren, Kunst-
stoffsoldaten und -indianer (mit dazugehörigen Burgen) sowie
mit Pitti(platsch), Fuchs und Elster (aus Sandmann und Mär-
chenland) verhaltene Ansätze für einen DDR-spezifischem Me-
dienverbund.
Das im Westen kritisch diskutierte, im Osten als »sozialisti-
sches Wehrspielzeug« gerechtfertigte Kriegsspielzeug (Panzer,
Soldaten, kleine Maschinenpistolen) wird zwar auch nach den
60er Jahren noch durch volkseigene Neuentwicklungen be-
reichert, hat aber für das Spielverhalten zunehmend weniger
Bedeutung. Bedeutsamer sind hingegen die W estspielwaren,
die als Mitbringsel, Verwandtengeschenke in ostdeutsche Kin-
derzimmer gelangen, grell, aggressiv, komponentenreich west-
liche Überlegenheit belegen und als Teil von aus dem Westfern-
sehen bekannten Medienverbundsystemen auch für DDR-Kin-
der besonders attraktiv sind.
In prinzipieller Übereinstimmung mit dem Westen stehen
(staatlich postulierter Emanzipation zum Trotz) geschlechts-
spezifische Spielzeugnutzung und -besitz: Mädchen besitzen
mehr Puppen und Puppenwagen, Jungen mehr Modellautos,
Eisenbahnen, große Fahrzeuge, neigen stärker zum Spiel mit
Konstruktions-Baukästen.

10. Mediennutzung vor und nach der Wende


Insgesamt ist in allen medialen Sektoren zu konstatieren, daß
die westlichen Medienangebote den Kindern der DDR bereits
vor der Wende weitgehend vertraut sind, daß sie in groben Zü-
gen die gleichen medialen Präferenzen, stofflichen wie themati-
schen Neigungen entwickelt haben. BRAVO- oder Micky
Maus- Hefte sind zwar nur in geringer Zahl ins Land gelangt, die
Einzelstücke kursieren dann aber so lange, bis sie völlig zerlesen
sind. Westfunk- und Fernsehen sind fast allgegenwärtig. Die
DDR-Kinos decken zusammen mit dem Fernsehen von hüben
und drüben fast das gesamte Spektrum des Hollywood-Films
ab: »Die Medienkommunikation in der DDR war stets gesamt-

162
deutsch« (SONNTAG 8/1990), zumindest war eine strikte
Trennung in Ost und West nie haltbar.
Auch die Erlebniswelt der in der DDR Heranwachsenden ist
zunehmend visuell und medial geprägt. Das »Leseland DDR«
ist spätestens in den frühen 80er Jahren nur noch ein Mythos
(vgl. MEDIA PERSPEKTIVEN 7/1990), das Buch hat seine
Vormachtstellung bei alt und jung längst verloren: »Bereits im
Vorschulalter dominiert eindeutig das Fernsehen über das
Buch: es wird wesentlich häufiger täglich ferngesehen (65 Pro-
zent) als täglich vorgelesen (27 Prozent). Im mittleren Schul-
alter rückt das Buchlesen nach Radiohören, Fernsehen und
Kinobesuch an die vierte Stelle im ... Freizeitverhalten« (Emm-
rich).
Die in der DDR nach 1970 Geborenen sind seit frühesten
Kindertagen mit audiovisuellen Medien (Fernsehen, Radio,
Plattenspieler) vertraut, sind in umfassend ausgestattete »Me-
dienhaushalte« hineingeboren, werden unter Beteiligung der
Medien sozialisiert. »Spätestens für die in den achtziger Jahren
aufgewachsene Generation ... trifft ... zu, daß ihre mediale
Sozialisation auch und häufig insbesondere durch Hörfunk und
Fernsehen der BRD (im Fernsehbereich fast ausschließlich ... )
erfolgte.« (Wiedemann) Die Kinder unterliegen in der DDR
stärkeren Reglementierungen, durch Schule, FDJ, einge-
schränkte Reisemöglichkeiten, zensierte Printmedien. Der
Wunsch nach individuellen Flucht- und Freiräumen prägt sich
bei ihnen stärker aus als im Westen und wird nicht zuletzt von
geeigneten Westmediendarbietungen kompensiert. Kinder er-
kennen frühzeitig die Diskrepanz zwischen den in den intentio-
nalen DDR-Kindermedien vorgeführten Idealen und der gesell-
schaftlichen Wirklichkeit, orientieren sich am Beispiel westse-
hender Eltern. So nutzen ältere Kinder A V-Medien zeitaufwen-
diger als gleichaltrige in der BRD, sind bei der »Nutzung der im
Haushalt vorhandenen Kultur- und Medienprodukte ... kaum
Restriktionen seitens der Eltern unterworfen.« (Wiedemann)
Mit der Wende in der DDR ändern sich die Medienangebote,
aber kaum die Nutzungspräferenzen. Nach Öffnung der Gren-
zen unterliegen die ideologisch geprägten, pädagogisierenden
Presse-Erzeugnisse sofort der westlichen Konkurrenz; die
kommerziellen Kinder- und Jugendzeitschriften überschwem-
men den Markt, Micky Maus legt erheblich an Auflage zu,
BRAVO wird in den neuen Bundesländern prozentual mehr
verkauft als in den alten. DDR-Kinderzeitschriften werden ein-
gestellt oder gewandelt, mit kleinen Auflagen fortgeführt. Der

163
zentrale Verlag »Junge Welt« wird vom Bauer-Konzern über-
nommen.
Litera-Kindertonträger, bis 1989 Mangelware, sind nach der
Wende auch zu reduzierten Preisen unverkäuflich, Displays mit
Benjamin Blümchen oder ALF stehen stattdessen in Phonoge-
schäften und Supermärkten, die westlichen Niedrigpreisserien
dominieren das Angebot.
Im Video-Sektor besteht der größte Nachholbedarf. Bis
Mitte 1991 sind etwa 30% der Haushalte mit Recordern ausge-
stattet, eröffnen in den neuen Bundesländern etwa 2000 kom-
merzielle Videotheken; diese offerieren zunächst vorrangig die
bis dahin am wenigsten zugänglichen Genres Sex, Horror, bru-
talere Action (und was die Erwachsenen nutzen, läßt sich vor
den Heranwachsenden nur bedingt verschließen). Über billige
Leih- und Kaufkassetten stehen aber nicht nur die Massenpro-
duktionen für Kinder bereit, sondern potentiell auch der an-
spruchsvollere Kinderfilm einschließlich wichtiger DDR-Pro-
duktionen, die bei Westfirmen schon länger im Sortiment sind
(Die Geschichte vom kleinen Muck, König Drosselbart).
Das staatliche Fernsehen der DDR wird in regionale Anstal-
ten nach westlichem Vorbild überführt, wenige Programmfor-
men werden von der ARD übernommen, die betulichen Kin-
dermagazine eingestellt, das erfolgreiche Jugendmagazin Elf99
in das private RTL-Programm integriert. Über »Satelliten-
schüsseln« haben immer mehr Haushalte in den neuen Ländern
Teil an den privaten Programmen, können ein breites und un-
terhaltendes Filmangebot nutzen. Durch diese Konkurrenz,
durch denWegfall der Subventionen auf die Eintrittspreise geht
der Kinobesuch (bei mehrheitlich ohnehin jungen Zuschauern)
drastisch zurück.
Kindermedienangebot und -nutzung haben sich zu Beginn
der 90er Jahre im Osten den westlichen Entwicklungen angegli-
chen, der stärkste Nachholbedarf an trivialen Billigprodukten
ist weitgehend gedeckt. Aufgrund der insgesamt noch niedrige-
ren Einkommen in den neuen Bundesländern wird hier die Aus-
stattung der Kinderzimmer mit Hardware, mit teuereren elek-
tronischen Geräten, eigenen Farbfernsehern, Spielecomputern
oder Konsolen, mit umfangreichen Spielfigurenensembles noch
für absehbare Zeit geringer ausfallen.
Da in der DDR Erwachsenengenerationen mit Pittiplatsch,
dem kleinen Muck und den Söhnen der großen Bärin sozialisert
worden sind, werden sie solche -positiven - Medienerlebnisse
auch eigenen Kindern und Enkeln weitervermitteln wollen,

164
dadurch wird es auf absehbare Zeit noch geringfügige Unter-
schiede beim Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad von Medienfi-
guren geben.

Literatur

zur DDR-Kinderkultur allgemein


Bauer, Karl W.: »Kinder im realen Sozialismus- Notizen zum Kinder-
alltag in der DDR«, in: Heinz Hengst (Hg.): Kindheit in Europa,
Frankfurt1985,S.221-246.
Büchner, Peter und Heinz-Hermann Krüger (Hg.): Aufwachsen hüben
und drüben. Deutsch-deutsche Kindheit und Jugend vor und nach
der Vereinigung, Opladen 1991.
Rogge, Jan-Uwe und Klaus Jensen: Lernen- Helfen- Fleißigsein. Kin-
dermedien und Kinderkultur in der DDR, Köln 1987.

zu Kinderzeitschriften
Chowanetz, Rudi: Die Kinderzeitschriften in der DDR von 1946-1960,
Berlin/DDR 1983 (Studien zur Geschichte der deutschen Kinder-
undJugendlit. 13).
Kühler, Hans-Dieter: »Kinderpresse in der DDR«, in: Politik und Kul-
tur 2/1979, S. 24-39.
Riedel, Karl Veit: Die Jugendpresse in der DDR«, in: Hearing. Beiträge
zur Jugendpublizistik 5/1970, S. 5-24.

zu Kindercomics
Heidtmann, Horst: »Wegen Tarzan die Tante mit dem Flacheisen er-
schlagen? Comics in der DDR«, in: IJM 3/1985, S. 49-52.
Lettkemann, Gerd: »Comics in der DDR«, in: Andreas C. Knigge:
Fortsetzung folgt. Comic Kultur in Deutschland, Frankfurt, Berlin
1986,S.317-361
Lettkemann, Gerd: »35 Jahre Mosaik, 35 Jahre Comics in der DDR.
Ein Interviewmit LotharDräger«, in: Andreas C. Knigge (Hg.): Co-
micJahrbuch 1990, S. 98-113.
Thiel, Paul: »Mickymaus und Mosaik«, in: Beiträge KJL 44/1977,
s. 28-44.
zum Kinderfunk
Jensen, Klaus: »Ein Medium, sang- und klanglos am Rande- der Hör-
funk für Kinder«, in: Jan-Uwe Rogge u. ders.: Lernen- Helfen-
Fleißigsein, Köln 1987. S. 225-242.

zum Kinderhörspiel
Gabriel, Waltraud: »Hörspiele im Urteil der Kinder«, in: Beiträge KJL
77/1985,S. 88-94.

165
Mahlow, Wolfgang: »Jugendliche zwischen Suchen und Finden. Zu
einigen Aspekten der Kinder- und Jugend-Hörspiel-Produktion der
Jahre 1979/80«, in: Temperamente 3/1981, S. 104-113.
Schulz, Silvia: »Hörspiel für Kinder- dargestellte Literatur für Kin-
der«, In: Beiträge KJL 47/1978, S. 58-67.

zum Kinderlied
Baumert, Hans-Joachim u. a.: »>Da ist nun Pegasus ein neuer Flügel ge-
wachsen ... <Liedermacher über sich und ihre Arbeit«, in: Beiträge
KJL 89/1988, S. 11-40.
Schöbel, Frank: »Kinder, Schlager und Kinderschlager«, in: Deutsche
Lehrerzeitung2/1976, S. 2.

zu Kindertonträgern
Hopfe, Gerhard und Claudia Rouvel: »Literaturschallplatten für Kin-
der«, in: Beiträge KJL 57/1980, S. 42-48.
»Interview mit Jürgen Schmidt, Chefredakteur im VEB Deutsche
Schallplatten«, in: Beiträge KJL 57/1980, S. 38-41.
Kern, Wilfried: »Schallplatten für Kinder und Jugendliche«, in: Der Bi-
bliothekar 11/1980, S. 495-497.

zum Kindertheater
Arnold, Heinz: »Dramatik und Theaterfür junge Zuschauer«, in: Chri-
stian Emmrich u. a. (Hg.): Literatur für Kinder und Jugendliche in
der DDR, Berlin/DDR 1981, S. 314-338.
Hacks, Peter: »Was ist ein Drama, was ist ein Kind?«, in: Neue Deut-
sche Literatur 3/1980, S. 38-51.
Hoffmann, Christel: Theater für junge Zuschauer. Sowjetische Erfah-
rungen - Sozialistische deutsche Traditionen - Geschichte in der
DDR, Berlin/DDR 1976
Schneider, Wolfgang (Hg.): Kinder- und Jugendtheater in der DDR,
Frankfurt 1990 Gugend u. Medien 20).

zum Kinderfilm
Giera, Joachim: » Kinderliteratur und Kinderkinematografie«, in: Bei-
träge KJL 67/1983, S. 49-59.
Giera, Joachim: »Die Zukunft beginnt in der Gegenwart. Zu einigen
Aspekten des DDR-Kinder-Kinospielfilms in den achtziger Jahren«,
in: Fundevogel39/1987, S. 4-9.
Häntzsche, Hellmuth: »Die Entwicklung einer sozialistischen deut-
schen Kinderfilmproduktion - Künstlerische Prinzipien und Ten-
denzen«, in: ders. (Hg.): ... und ich grüße die Schwalben. Der Kin-
derfilm in sozialistischen europäischen Ländern, Berlin/DDR 1985,
s. 221-305.
Jäger, W altraud (Hg.): Filmarbeit für Kinder. Anspruch und Wirklich-
keit, Berlin/DDR 1987 (Podium u. Werkstatt 25/26 ).

166
Jordan, Günter (Hg.): Erprobung eines Genres. DEFA-Dokumentar-
filme für Kinder 1975-1990, Remscheid 1991.
Jungnickel, Dirk: »Aspekte des DEFA-Kinderfilmschaffens«, in:
Harry Blunk u. ders. (Hg.): Filmland DDR. Ein Reader zu Ge-
schichte, Funktion und Wirkung der DEFA, Köln 1990, S. 83-93.
Der Kinderfilm in der DDR. Sonderdruck der Kinder- und Jugend-
film-Korrespondenz, München 1985.

zum Märchenfilm
Berger, Eberhard und Joachim Giera (Hg.): 77 Märchenfilme. Ein
Filmführer für jung und alt, Berlin 1990.
Harnisch, Siegfried: »Es war einmal ... Märchen und Märchenverfil-
mungen im DEFA-Film und in Filmendes Fernsehens der DDR«, in:
Horst Knietzsch (Hg.): Prisma Kino- und Fernseh-Almanach 15,
Berlin/DDR 1985, S. 79-93.
Reimann, Anne: »Märchenfilme in der DDR«, in: IJM 2/1990, S. 50-60.

zum Abenteuer- und Indianerfilm


Almai, Frank: »Zur ästhetischen Spezifik historischer Abenteuerfilme
der DEFA«, in: Beiträge KJL 86/1987, S. 38-49.
Beck, Walter: »Gedanken zum Abenteuerfilm«, in: Film, Fernsehen,
Erziehung 3/1971, S. 11-30.
Harnisch, Siegfried: »Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen. Zu den hi-
storischen Abenteuerfilmen der DEFA«, in: Horst Knietzsch (Hg.):
Prisma Kino- und Fernseh-Almanach 8, Berlin!DDR 1977, S. 119-133.
Heidtmann, Horst: »Die pädagogische Potenz des Weitspähenden Fal-
ken oder: Der Bildungswert des Abenteuers. Zum Indianerthema in
der DDR«, in IJM 6/1982, S. 114-120.

zum Animationsfilm
Häntzsche, Hellmuth: Der Spiel- und Trickfilm für Kinder in der
DDR, Berlin/DDR 1979 (Studien zur Geschichte der deutschen Kin-
der- u. Jugendlit. 14).
Herrmann, Jörg: »Märchenerzählen. Anmerkungen zu neuerenFilmen
des DEFA-Studios für Trickfilm«, in: Film undFernsehen 10/1-984,
s. 39-41.
zum Kinderfernsehen
Barthold, Gisela und Ursula Storm: »Erlebnis-Pädagogik-Didaktik.
Gedanken zum Abendgruß des Kinderfernsehens«, in: Film, Fernse-
hen, Erziehung 1/1970, S. 71-80.
Hoff, Peter: »Jugendsendungen in der DDR vordem Herbst 1989«, in:
merz 5/1990, S. 275-279.
Kühler, Hans-Dieter u. a.: Kinderfernsehsendungen in der Bundesre-
publik und der DDR, Tübingen 1981.

167
Nauschütz, Hans Joachim: »Fernsehzeit. Ein paar Blicke aufs Angebot
des DDR-Fernsehens für Kinder«, in: Beiträge KJL 92/1989, S. 31-
41.
Richter-de Vroe, Klaus: »Robin Hood oder Mäxchen Pfiffig. Zu
einigen Qualitätskriterien bei Serienhelden«, in: Film, Fernsehen,
Filmerziehung 2/1966, S. 13-27.

zum Kinderspielzeug
Jensen, Klaus: »Der pädagogische Zeigefinger oder der Zweck heiligt
die Mittel- ein knapper Überblick über das Spielzeug«, in: Jan-Uwe
Roggeu. ders.: Lernen-Helfen-Fleißigsein, Köln 1987, S. 243-248.

zur Mediennutzung und-Wirkung in der DDR


Esche, Heidrun: »Massenmedien im Alltag der Vorschulkinder«, in:
Beiträge KJL 66/1982, S. 56-63.
Harnisch, Siegfried: »Erwarrungen junger Zuschauer. Kinder- UndJu-
gendspielfilme der DEFA und des Fernsehens in den siebziger Jah-
ren«, in: Horst Knietzsch (Hg.): Prisma Kino- und Fernseh-Alma-
nach 12, Berlin/DDR 1981, S. 69-82.
Maerker, Rudolf: »Wie stark ist der Einfluß der Presse auf die DDR-Ju-
gend?«, in: Hearing. Beiträge zur Jugendpublizistik 5/1970, S. 25-
33.
Merkel, Lothar: »Kinderfernsehen- Rezeption und Wirksamkeitser-
höhung aus pädagogischer Sicht«, in: Schauplatz 2. Aufsätze zur Kin-
der- und Jugendliterarur und zu anderen Medienkünsten, Berlin/
DDR 1988, S. 125-137.

zur Medienwirkung und Nutzung während und nach der Wende


Groebel, Jo und Walter Klingler: »Kinder und Medien 1990. Erste Er-
gebnisse einer Vergleichsstudie in den alten und neuen Bundeslän-
dern«, in: Media Perspektiven 10/1991, S. 633-648.
Lindner, Bernd: »Erst die neuen Medien und dann die neuen Verhält-
nisse ... «,in: JuLit. Informationen des Arbeitskreises für Jugendlite-
ratur2/1990, S. 36-51.
Stiehler, Hans-Jörg: »Veränderte Medien- und Lebenswelten als Pro-
blem«, in: merz 5/1991, S. 258-264.
Wiedemann, Dieter: »Mediengebrauch Ost- Probleme für Kinder und
Erwachsene«, in: merz 5/1991, S. 265-270.

168
XII. Kinderkultur heute: Mediatisierung,
Serienbildung und Medienverbund

In den letzten Jahrzehnten haben sich in den westlichen und


östlichen Industriestaaten die Kommunikationsstrukturen
entscheidend verändert, und damit auch die Medienange-
bote, Mediennutzung und Medienpräferenzen. Für die Be-
wußtseins- und Meinungsbildung in unserer Gesellschaft sind
die Printmedien schon längst nicht mehr die Leitmedien, audio-
visuelle Medien werden zeitaufwendiger und intensiver ge-
nutzt. Kinder finden sich heute in ein Medien- und Kommuni-
kationsnetz hineingeboren, dessen Dichte noch vor wenigen
Jahrzehnten unvorstellbar gewesen ist. Neue Medien sind zur
Aufrechterhaltung komplexer Kommunikationsstrukturen
notwendig, beeinflussen die Arbeitswelt wie den Freizeitsek-
tor.

1. M ediatisierung der Kindheit


Nach dem 2. Weltkrieg schreitet in der Bundesrepublik die Me-
diatisierung des Alltagslebens kontinuierlich voran. In den
1960er Jahren Geborene haben im Fernsehapparat einen zwar
täglichen, doch nur zu bestimmten Zeiten verfügbaren Begleiter
ihrer Kindheit. Für die in den 80er Jahren geborenen Kinder lie-
fern gleichzeitig mehrere auditive und audiovisuelle Medien
rund um die Uhr Programmme zur freien Wahl.
Mit der Erfindung und Verbreitung neuer Medien ver-
schwinden die alten nicht, unterliegen aber einem Funktions-
wandel: sie büßen bestimmte Funktionen ein, übernehmen
gleichzeitig aber neue. So verändert sich mit der Erfindung der
Fotografie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Male-
rei, denn das Foto vermag reale Wirklichkeit viel authentischer
widerzuspiegeln, die Malerei kann sich also von den »Fesseln
des Realismus« lösen, sich neue, nicht-realistische Ausdrucks-
formen erschließen. Mit dem Aufkommen des Fernsehens ver-
schwindet das- damals totgesagte- Kino nicht, verliert aber die
Funktion, Wirklichkeit in Form von aktuellen Wochenschauen
und Dokumentationen wiederzugeben, da das Fernsehen dies

169
schneller und einfacher leistet. Gleichwohl haben aufwendig
produzierte Kinofilme heute ein festes Publikum.
Unterhaltungsbedürfnisse, die in den SOer Jahren triviale
Heftreihen und gewerbliche Leihbüchereien befriedigen, haben
sich heute auf entsprechende Fernsehserien verlagert. Die Wün-
sche von Kindern und Jugendlichen nach Action, Abenteuer,
Spannung werden - wie die neuere Leserforschung überein-
stimmend belegt - zunehmend durch Film, Fernsehen, Video
erfüllt, die vergleichbaren Stoff kompakter, weniger zeitauf-
wendig bieten und intensiver erlebbar machen.
Die neuen Medien übermitteln ihre Botschaften vor allem in
Bildern und gesprochener Sprache, sind für Kinder wesentlich
leichter verständlich als die geschriebene, durch Zeichen ver-
schlüsselte Sprache. Kinder erhalten durch die AV-Medien Ein-
blicke in die sie umgebende Welt, in Themen und Probleme, die
in abstrakter schriftlicher Form dargeboten ihre kognitiven Fä-
higkeiten überfordern würden. Sie erhalten also direkte Ein-
blicke in die Erwachsenenwelt, »schon kleinen Kindern« ist es
durch das Fernsehen möglich, »bei Interaktionen zwischen Er-
wachsenen >anwesend< zu sein« (Meyrowitz).
Die Medienerfahrung von Kindern und Erwachsenen nähert
sich an. »Die Eltern büßen mit dem Zerfall des kulturellen Tra-
ditionsbestandes ihre Elternidentität ein und überantworten die
Erziehung der Kinder mehr oder weniger bewußt und freiwillig
anderen Instanzen. Die Kleinkindererziehung wird ... vor al-
lem ... durch die Angebote der Spiel- und Unterhaltungsindu-
strien zur öffentlichen Angelegenheit ... Kinder erfahren die
Medien sehr früh als Unterhalter und Tröster und als Apparate,
die ... über das Leben orientieren ... , werden durch die Mas-
senmedien mit Meinungen bekannt, die denen der Eltern wider-
sprechen. Insofern tragen die Medien zur Erweiterung des ...
Deutungsspektrums der Kinder bei und erschüttern zusätzlich
ehemalige Elternkompetenzen, verringern den Abstand zwi-
schen den Generationen.« (Hengst: Kindheit als Fiktion)
Kinder akzeptieren neue Medien (Computer) vorbehaltloser
und schneller als die meisten Erwachsenen. Bei der Nutzung
von Medieninhalten ist ein kultureller Akzellerationsprozeß zu
beobachten: bestimmte Stoffe, Themen, Bücher, Filme werden
von immer jüngeren Kindern als für sie interessant, unterhalt-
sam angenommen, werden von älteren immer früher als »ZU
kindlich« verworfen.
Teil dieses Akzellerationsprozesses (ebenfalls für die späte
DDR, die neuen Bundesländer zu belegen; vgl. Wiedemann) ist

170
auch eine Beschleunigung der kognitiven Entwicklung: Gegen-
über den von Piaget vor wenigenJahrzehntenvorgenommenen
Stufungen kognitiver Entwicklung läßt sich heute eine etwa ein-
jährige >> Verständnisverfrühung« feststellen, zwischen dem 5.
und 6. Lebensjahr sogar ein stärkerer Entwicklungssprung, was
die Schlußfolgerung erlaubt, daß die audiovisuellen Medien
durchaus die kognitive Entwicklung von Kindern beschleuni-
gen können. Bereits vier- bis achtjährige Kinder >>verstehen
auch längere Fernseh- und Hörfunkbei träge, wenn diese Rück-
sicht nehmen auf die kognitiven Bezüge der Rezipienten<<. Mit
gewachsener Rezeptionserfahrung wächst nicht nur die Kom-
petenz der Kinder hinsichtlich der Verständnisleistung von In-
halt und Form einer Darbietung, sondern auch >>ihre Erinne-
rungsleistung im Hinblick auf ... gezeigte Details.« Es lassen
sich also Ansätze einer >>media literacy« nachweisen. (Vgl.
Sturm) Die vom Fernsehen gelieferten >>neuen Hinweisreize«
und >>sozialen Erfahrungen« können sich zudem positiv auf die
soziale Entwicklung von Kindern auswirken (Meyrowitz).
Die Orientierung auf die Medieninhalte für Erwachsene er-
folgt zunehmend früher, da diese ja ihrerseits Tendenzen zur
lnfantilisierung aufweisen und problemlos rezipierbar sein
müssen. Im Gegensatz zu Neil Postman meinen deshalb andere
Kulturwissenschaftler nicht, daß die Kindheit verschwindet,
>>Sondern daß, im Gegenteil, der Status der Erwachsenen im
Verschwinden begriffen ist ... , daß wir heute vor dem Phäno-
men einer maßlosen Expansion des Kindlichen stehen.« (Len-
zen)
Durch die Mediatisierung des Alltags sind Kinder nicht mehr
aus der Erwachsenenwelt auszugrenzen. Für viele Kinder be-
deutet Erwachsensein kaum noch mehr als die vollständige Ver-
fügung über das komplette Angebot der Unterhaltungsmedien.
Wer >>nicht an der Medienkommunikation teilnimmt, läuft Ge-
fahr, isoliert zu werden ... Medien und Medienangebote wer-
den Erwachsenen und Kindern in zunehmendem Maße zum
Kommunikationsanlaß, ja zur Basis und zum Inhalt der Kom-
munikation.« (Bauer/Hengst)

2. Kommerzialisierung der Kinderkultur

Der Einzug audiovisueller Medien in die bundesdeutschen Kin-


derzimmer geht nicht nur auf das erweiterte Medienangebot

171
zurück, sondern gleichermaßen auf das veränderte Konsumgü-
terangebot. Vor 30 Jahren stand in der Kinderstube allenfalls ein
billiges Detektorradio, Plattenspieler oder Tonbandgerät waren
kaum bezahlbar. Heute bewegen sich nicht nur die Preise von
Ton- und Videokassetten, sondern auch die von Radiorecor-
dern, einfachen Fernsehgeräten sowie Video- und Kleincompu-
terspielen im Taschengeldbereich. Der Industrie sind seit drei
Jahrzehnten (nach gewachsenemWohlstandder Bundesbürger)
Kinder als Kunden erkennbar wichtig. Sie werden von AV-Me-
dienanbietem ernst genommen: Mit der Ausweitung und Priva-
tisierung des Fernsehangebotes sind Kinder wichtig, um bei den
Privaten Einschaltquoten zu erhöhen und damit über höhere
Reichweiten mehr Werbeeinnahmen zu erwirtschaften. Die
kommerziellen Sender kaufen also in großem Umfang triviale
Zeichentrick- und Actionserien, was bei den Film- und Fem-
sehproduzenten in diesen Segmenten Nachfrage schafft und in
den USA zielgerichtete Serieninszenierungen für bundesdeut-
sche Heranwachsende nach sich zieht (z. B. mit David Rassel-
hoff).
Die Fernsehserienofferten am frühen Morgen oder am Nach-
mittag bieten gleichzeitig ein ideales Werbeumfeld für kinder-
bezogene Produkte, einer Transformers-Serienepisode folgt
der Werbespot für das entsprechende Spielfahrzeug-Ensemble,
den Abenteuern der kleinen Ponies folgen eben diese als Spiel-
figuren oder aber ein witziger Spot mit vielen, vielen bunten
Smarties. Erzeugnisse der kommerziellen Kinderkultur finden
sich zunehmend in die Eigenproduktionen integriert, der Mo-
derator trägt ein Sweatshirt von Benetton oder hat auf dem
Tisch, gegen Entgelt des Herstellers, mehr oder minder auffällig
Spielfiguren plaziert. Durch dies, bei allen Sendem zuneh-
mende »Product Placement«, sind auch diejenigen jungen Kun-
den zu erreichen, die vor Werheblöcken auf den anderen Kanal
umschalten.
Durch ihre Unerfahrenheit, verbunden mit dem Wunsch
nach Orientierungen, sind Kinder den Botschaften der Werbe-
treibenden und deren Markensymbolen gegenüber offener, auf-
nahmefähiger. Attraktive Bilder und Figuren »Wecken in den
kindlichen Köpfen Vorstellungen von einer Scheinwelt, in der
alles für schnelle Bedürfnisbefriedigung und sofortigen Genuß
verfügbar ist ... Es entstehen Gefühle von Entbehrung, Mangel
und Unzufriedenheit, die zu Wünschen ... und Forderungen
werden. Die Hoffnung aber, durch Erwerb, Besitz ... Zufrie-
denheit und Anerkennung zu erlangen, bleibt meist unerfüllt.

172
Selbst das erträumte Spielzeug hält nur selten, was sich das Kind
-durch glanzvolle Bilder eingenommen- von ihm versprochen
hat ... Mißmut und Enttäuschung stellen sich ein, gegen die es
nur ein Rezept zu geben scheint: die illusionäre Hoffnung auf
neue, üppigere ... Konsumerlebnisse.« (Eicke)
Kinder werden also zielstrebig umworben, denn bereits Sie-
ben- bis Fünfzehnjährige verfügen über »rund 3,5 Milliarden
Mark Taschengeld . . . 1988. Außerdem wanderte Bares in
Höhe von vier Milliarden auf ihre Sparkonten.« (DER SPIE-
GEL 1989) Kinder beeinflussen Kaufentscheidungen der El-
tern, sie sind als zukünftige Verbraueher so früh wie möglich an
Produktmarken zu binden, denn einmal bevorzugten Artikeln
bleiben sie später lange treu.
»Wer mit seiner Werbung Kinder und Jugendliche nicht er-
reicht, kommt zu spät. Denn in der Zwischenzeit haben die
Konkurrenten schon ihre Markensymbole in die kindlichen
Gehirne eintätowiert ... Nicht mehr Charakter und Leistung,
sondern die benutzten Marken«, die verfügbaren Medien- und
Serienfiguren »sagen aus, wer man ist. Die Insignien des Kon-
sums und die Kaufkraft bestimmen das Bewußtsein. Dingwert-
gefühl und Markenwertgefühl ersetzen das SelbstwertgefühL «
(Eicke)

3. Serienbildung
Worum sich die Konsumgüterindustrie durch Markenprodukte
bemüht, nämlich wiederkehrende, regelmäßige Käufer zu ge-
winnen, deren Erwartungen dann vom Produkt wiederholt be-
stätigt werden, das versuchen auf einer vergleichbaren Ebene
die Kindermedienanbieter durch Serienbildung zu bewirken.
Serien sind kein neues, durch die AV -Medien eingeführtes Phä-
nomen, sondern gehen bereits einher mit der Kommerzialisie-
rung des literarischen Marktes, dem Aufkommen trivialer lite-
rarischer Unterhaltung für das bürgerliche Publikum im 18.
und 19. Jahrhundert. Räuber- und Schauerromane entstehen
serienartig, die frühen Publikumszeitschriften (Gartenlaube)
drucken Fortsetzungsserien, Alexandre Dumas beschäftigt
Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris schon Lohnschreiber, mit
denen zusammen er arbeitsteilig seine Fortsetzungsromane ver-
faßt. Karl Mays Romanzyklen erscheinen in wöchentlichen
Lieferungen zu 24 Seiten. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts pu-

173
blizieren deutsche Verleger- nach dem Vorbild amerikanischer
Dime-Novels - Groschenhefte: in sich abgeschlossene Ge-
schichten, mit einer durchgehenden Hauptfigur (Buffalo Bill,
425 Hefte), mit gleichbleibender äußerer Form, die sofort zur
Lieblingslektüre von zahlreichen Kindern und Jugendlichen
(nicht nur aus der Unterschicht) arrivieren. Anspruchslos er-
zählte Serienhefte, vorwiegend Spannungsliteratur, nach dem
2. Weltkrieg auch Comic-Serien, befriedigen über Jahrzehnte
die einfachen Unterhaltungsbedürfnisse von jungen Lesern
(und rufen deswegen immer wieder >Jugendschützer< auf den
Plan).
Auch der Funk arbeitet seit seinen Anfängen mit Serien: po-
puläre Figuren wie der »Funkheinzelmann« geben den frühen
deutschen Kinderfunksendungen wiederkehrend Gemeinsa-
mes, allwöchentlich agieren Kasperle und Seppl. Die kommer-
ziellen Rundfunksender in den USA werden nicht zuletzt we-
gen ihres breiten Spektrums von Hörspielserien (The Lone
Ranger, The Shadow) zu dem von jung und alt in den 30er und
40er Jahren meistgenutzten Unterhaltungsmedium. Im ameri-
kanischen Unterhaltungskino werden seit 1913 Serien, »Se-
rials«, mit Fortsetzungsepisoden von 20 bis 30 Minuten Länge
gezeigt (beginnend mit The Perils of Pauline), zahllose Aben-
teuer-, Wildwest-, Science Fiction-Serials, die auch in deut-
schen Kinos von jungen Zuschauern begeistert angenommen
(Tom Mix), die noch nach dem 2. Weltkrieg in den Kindervor-
stellungen und später im TV-Vorabendprogramm (Rin Tin Tin)
laufen. DieSerials werden in den 50er Jahren in den USA voll-
ständig durch Fernsehserien ersetzt. Die kommerziellen Fern-
sehsender suchen Zuschauer durch »Soap operas«, Western-
und Krimiserien zu binden. Mit Ausweitung der bundesdeut-
schen Fernsehprogramme sind amerikanische Serien hier fest in
die Programmschemata integriert, erfolgreich bei alten wie jun-
gen Zuschauern (77 Sunset Strip, 1962-65; Bonanza, 1962-66),
erfreuen als Langzeitserien Generationen von Kindern (Lassie).
Bereits Ende der 80er Jahre senden die großen privaten TV-An-
bieter täglich im Durchschnitt 3,6 Stunden Serienfolgen; die öf-
fentlich-rechtlichen passen sich mit eigenen Serieninszenierun-
gen diesem Trend immer mehr an. Und schon die Allerjüngsten
bindet heute das Fernsehen durch Serien, eine erste affektive -
und physiologische - Ansprache geht von Zeichentrickserien
aus.
Obwohl die einzelnen Serienfolgen immer wieder gleiches
variieren, mit reduzierten Charakteren, Klischees, Handlung-

174
schablonen arbeiten, kommen sie offenkundig Bedürfnissen bei
jungen wie erwachsenen Zuschauern entgegen. Serien sind auf
Überschaubarkeit angelegt, sie arbeiten mit einem überschau-
baren Figurenensemble; Einzelepisoden sind klar, übersichtlich
gegliedert. Das Gute siegt über das Böse. Die Handlung weist
»einen Spannungsbogen auf, der mit dem Happy-End aufhört.
Biene Maja oder Colt Sievers kommen am Schluß unbeschadet
aus allen noch so gefährlichen Abenteuern heraus. Meist hat die
Haupthandlung noch kleinere Spannungsbögen, so daß es den
Kindern möglich ist, während des Sehens für kurze Zeit aus-
und dann wieder einzusteigen.« (Rogge, 1988)
Kinder erwarten ein bestimmtes Maß an Komik und an Span-
nung, erwarten, daß die Figuren in bestimmter Weise agieren,
reagieren. Die Geschichte muß zwar auch Neues enthalten,
doch das darf das aus früheren Folgen Bekannte, Geliebte nicht
überlagern. Kinder empfinden es als angenehm, wenn ihnen
vertraute Figuren und Hintergründe vorgeführt werden, weil
sie im Kreis der ihnen bekannten Serienfiguren eine gewisse Ge-
borgenheit finden.
Nichtsdestotrotz sind Serien in sich statisch, die Figuren ver-
ändern sich nicht, Helden lernen nicht hinzu. Eine Weiterent-
wicklung ergibt sich nur durch neue Serien, neue Helden, in de-
nen sich bestimmte, bewährte Charakterzüge tradieren, die
aber innovatorische Elemente enthalten. So verbinden sich in
den Teenage Turtles harte Kämpfer (Vorbild: Karate Kid) mit
liebenswert anthropomorphen Tierfiguren und gängigen
ScienceFiction-Topoi zu einer neuen, gleichwohl die ohnehin
vorhandenen Erwartungen bestätigenden Action-Serie.
Mit dem Serienprinzip arbeiten Hersteller in allen Kinderme-
dien, ihm folgt zunehmend die Spielwarenfabrikation: Spielfi-
gurenensembles (Barbie, Regina Regenbogen), Actionspiel-
zeuge (MASK), Systembaukästen (LEGO) sind alle auf Fortset-
zung angelegt, bestätigen mit dem Ergänzungskauf, dem neuen
Produkt aus dem Ensemble die Käufererwartungen.
Die Beliebtheit von Serien sichert Herstellern, Händlern,
Sendern gleichbleibende Marktanteile, garantiert Umsatz,
Werbeeinnahmen. Die serielle Produktion reduziert Herstel-
lungs-, Werbungs- und Vertriebskosten. Ein Autor (oder ein
Autorenteam) kann mit einem einmal konzipierten, in Eigen-
schaften und Verhaltensweisen weitgehend festgelegten Figu-
renensemble mit bescheidenem Phantasie- und Zeitaufwand
Episode für Episode am Fließband herunterschreiben. Produ-
zent und Regisseur können mit gleichbleibendem Darsteller-

175
ensemble mehrere Folgen zusammenhängend rationell insze-
nieren. Und wenn- bei Benjamin Blümchen-Kassetten- eine
Werbeaktion nur den beiden neuesten Folgen gilt, so profitiert
hiervon immer die gesamte Serie.

4. Medien im Verbund
Der werbliche Aufwand für ein Medienprodukt, für den Ver-
kauf von Software, Ton- und Videokassetten, von Werbezeit,
läßt sich in jedem Fall erleichtern, wenn Figuren oder Motive
bereits aus anderen Medien bekannt sind, wenn sie gleichzeitig
durch Film und Fernsehen, Comics oder Spiele popularisiert,
wenn sie also im Verbund von mehreren Medien vermarktet
werden. Die multimediale Verwertung von Figuren, Geschich-
ten, Requisiten erreicht im Idealfall alle Sinnesempfindungen
eines Kindes:

- Sehsinn, über Film/FernsehenNideo/Comics/Bilder auf Ge-


brauchsgegenständen;
- Hörsinn, über Tonkassetten/Schallplatten/CDs;
- Tastsinn, über Figuren zum Anfassen/Spielzeug;
- Geschmackssinn, über Fruchtgummi/Speiseeisfiguren;
- Geruchssinn, über parfümierte Figuren;
- Gedächtnis, über Computerspiele, Bücher.

Charaktere und Motive, deren Popularität sich in einem Me-


dium erwiesen hat, werden in ein anderes transponiert, dieser
Medienverbund durch »Merchandising«, den Verkauf von Ne-
benrechten, auf die verschiedensten Konsumgüterbereiche aus-
geweitet. Die Entstehung derartiger Medienverbundsysteme
setzt allerdings einen bestimmten kulturellen, technischen und
wirtschaftlichen Entwicklungsstand voraus: durch ein Aus-
gangsmedium (das könnten auch Buch, Comic-Heft oder Spiel-
zeugpuppe sein) muß eine Figur bei sehr vielen Kindern be-
kannt, beliebt gemacht worden sein; Medien, über die sich Mas-
sen von Rezipienten erreichen lassen, müssen technisch reali-
sierbar sein (was erst im Verlaufe des 20. Jahrhunderts möglich
geworden ist); die Konsumenten müssen über ein Einkommen
verfügen, das es ihnen ermöglicht, notwendige Hardware und
Software zu kaufen (was in Ländern der 3. Welt nur bedingt
oder gar nicht vorhanden ist); vor allem Kinder - Hauptziel-

176
gruppe der meisten Verbundsysteme - müssen Zugang zu den
Medienprodukten haben, und sie können in größerer Zahl erst
seit den 1930er Jahren ins Kino gehen, Rundfunk hören, in der
BRD seit den 60er Jahren fernsehen, seit den 70ern Tonträger
und seit den 80er Jahren Videospiele und -kassetten kaufen. Es
bedarf nicht zuletzt einer hochentwickelten, kapitalkonzen-
trierten Unterhaltungsindustrie, die aufwendige Serienproduk-
tionen realisieren, entsprechend bewerben und verteilen kann.
Eine Frühform des Verbundes mehrerer Medien findet sich
im 19. Jahrhundert, als sich die Zinnsoldatenproduktion an
Kriegs- und Schlachtenbildern orientiert, als Soldatenfiguren-
ensembles auf Bilderbögen reproduziert werden. Auch die Ted-
dybären in Plüsch und im Bilderbuch bilden nach der Wende
zum 20. Jahrhundert einen sich wechselseitig in der Beliebtheit
bei Kindern fördernden Verbund. Voraussetzungen für ein mo-
dernes Medienverbundsystem liegen erstmals mit der von Walt
Disney 1928 erfundenen Zeichentrickfigur Micky Maus vor,
deren Kurzfilme schnell auch außerhalb der USA ein begeister-
tes Publikum finden. Ab 1930 erscheinen in Tageszeitungen
Comic-Strips (und später eigene Hefte) mit Mausgeschichten,
es folgen Micky-Puppen. Eine New Yorker Agentur vermark-
tet Nebenrechte an Disney-Figuren schon 1930 in anderen Län-
dern; es entstehen Taschentücher, Füller, Eierbecher, Kalender
mit Micky-Aufdruck. Der fast bankrotte Uhrenhersteller In-
gersoll-Waterbury erwirbt 1933 eine Lizenz für Micky-Uhren,
von denen er - beispiellos prosperierend - 25 Millionen Stück
bis 1957 verkauft. Durch das erfolgreiche Merchandising ver-
bessert Disney gleichzeitig die Absatzbedingungen seiner
Filme.
Einen ersten erfolgreichen Verbund begründet in der BRD
die ProgrammzeitschriftHör Zu, die eine von den Puppentrick-
filmern Diehl (1937) entworfene Igelfigur zum Redaktionsmas-
kottchen macht, seit 1951 mit dieser Figur eine Bildergeschichte
von Reinhold Escher zeichnen läßt, die bei Kindern so beliebt
wird, daß Mecki-Postkarten und Mecki-Bilderbücher kurz dar-
auf folgen und eine Lizenz an die Spielwarenfirma Steiff ver-
kauft werden kann, für deren Igelpuppe dann in der Rundfunk-
zeitschrift im readaktionellen Teil geworben wird (»Der Redak-
tionsigel von Hör Zu«).
Das erste umfassende bundesdeutsche Verbundsystem ent-
steht erst zu Beginn der 70er Jahre: die zentralen Figuren der
TV-Vorschulserie Sesamstraße werden mit zahlreichen Neben-
produkten, Comics, Malbüchern vermarktet. Um Umsatzein-

177
bußen, die der Rückgang der Kinderzahlen in den 70er Jahren
(»Pillenknick«) hervorruft, wieder auszugleichen, fördert die
Industrie Medienmultiplikationen und Verwertungen bekann-
ter Medienfiguren. Das Comic-Programm des Bergisch Glad-
bacher Bastei Verlages expandiert, nachdem dieser 1976 vom
ZDF die Cornie-Rechte an der Biene Maja und die darauf fol-
genden Trickserien (von Heidi bis Alice im Wunderland) über-
nehmen kann.
Die multimediale Verwertung weitet sich in den 80er und frü-
hen 90er Jahren immer mehr aus. Spezialisierte Merchandising-
Agenturen übernehmen von Verlagen, Autoren, Filmprodu-
zenten die Urheberrechte für Nebenmärkte, verkaufen also Re-
produktionsrechte an Comic- oder Spielzeughersteller (gegen
prozentuale Gewinn- oder Umsatzbeteiligungen) weiter. Da
immer mehr auf Kinder zielende Konsumartikel mit dem Pu-
muck/ geschmückt, Turnschuhe mit den Turtles oder Super Ma-
rio (nach dem gleichnamigen Nintendo-Videospiel) beklebt
werden, vervielfachen sich diese Lizenzgeschäfte innerhalb we-
niger Jahre. Sind es 1976 noch weit unter 100 Agenturen, die
weltweit Urheberrechte vermitteln, so arbeiten 1986 bereits 600
Firmen in dieser Branche. Führende» Agenturfür Urheber-Ne-
benrechte« ist in der BRD die zur Leo Kirch-Gruppe gehörende
»Merchandising München«, die u. a. ALF, Batman, Bugs
Bunny, Garfield, Mein kleines Pony sowie die neue Trickserie
Peter Pan und die Piraten vermarktet, die ferner Rechte an
Game Shows wie Bingo, Drops und Schauspielern wie David
Hasselhoff hält. Zusammen mit der größten britischen Mer-
chandising Agentur gründen die Münchener 1991 die European
Licencing Group (ELG) und sind damit europaweit marktfüh-
rend.
Die sich selbst als »Trend F actory « verstehende W alt Disney
Company läßt von einer eigenen deutschen Tochter ihre Mer-
chandising-Interessen wahrnehmen, damit bei Anlaufen des
neuen Disney Weihnachtstrickfilmes 1992 (Die Schöne und das
Biest) Lizenzproduktionen in allen Segmenten des Spielzeug-
marktes präsent sind.
Für die Medienmultis entwickeln mittlerweile hochspeziali-
sierte Marketingtechniker umfassende, übernationale Strate-
gien zur raschen Vermittlung eines Produktverbundes an ein -
vorwiegend jugendliches - Publikum. Ausgangsmedium für
globale Verbunderfolge ist bislang ein international erfolgrei-
cher Spielfilm. Beispielhaft vorgeführt hat erstmals der Regis-
seur und Produzent Georg Lucas, wie so ein Erfolgsfilm und

178
ein systematischer »Vermarktungsfeldzug« zu konzipieren
sind: Mit Krieg der Sterne (Star Wars 1, 1977) produziert Lucas
einen der erfolgreichsten Filme der Kinogeschichte. Durch das
technisch perfekte Arrangement zahlloser Erfolgsmuster, Figu-
ren und Klischees des Unterhaltungsfilms ist dieser kommer-
zielle Erfolg vorprogrammiert, durch eine über Markenartikel
hinausgehende Werbekampagne wird er abgesichert. Der Film
selbst und seine beiden Fortsetzungen laufen in über 160 Län-
dern der Erde, allein die Vermarktung der Nebenrechte (für
Spielfiguren, -waffen, Baukästen, Videospiele, Textilien, Ge-
schenkartikel, Printmedien, Tonträger) bringt bis 1984 Um-
sätze von über 1,5 Milliarden Dollar (CINEMA, 1984).
Die bundesdeutsche Kinderkulturindustrie nimmt als Aus-
gangsmedium für Verbundsysteme überwiegend Zeichentrick-
und andere Fernsehserien aus dem Vorabend- und Nachmit-
tagsprogramm: Pumuckl (über 200 verschiedene Artikel),
Heidi (über 100 Artikel), Muppet Babies, Teenage Turtles,
Simpsons.
Seit mehreren Jahren versuchen die multinationalen Spielwa-
renkonzerne wie MattelToys oder Milton Bradley den Verkauf
ihrer Spielfigurenensembles durch den Produktverbund mit
Trickfilmen, Hörspielkassetten, Comic:~ und Bilderbüchern zu
fördern. In den USA ist 1982 durch die Uberwachungskommis-
sion für das Fernsehen (FCC) ein Erlaß aufgehoben worden,
der den Spielzeugherstellern jede eigene Beteiligung an der Pro-
duktion von Fernsehprogrammen verbot. »Prompt boomte die
Serienproduktion: Industriell gefertigte . . . Reihen ergossen
sich inflationsartig in die . . . Kinderzimmer. Gleichzeitig
stürmten die Helden der TV-Abenteuer die Spielzeugge-
schäfte.« (STUTTGARTER ZEITUNG v. 15. 1. 1992) Den
Masters of the Universe (Hörspielserie bei EUROPA, Zei-
chentrick in Tele 5) liegt >>Aktionsspielzeug« von Mattel zu-
grunde: Figuren von Superhelden (He-Man), Superbösewich-
ten, phantastischen Monstern, Fahrzeuge, Geräte, Gebäude.
Kinder können nun die von AV- und Printmedien vorgege-
benen Eigenschaften der Charaktere sowie die dort inszenierten
Handlungsversatzstücke, Dialoge, Redewendungen als Folie,
Vorlage für das eigene Spiel mit den Figuren nehmen. Um die
weniger actionorientierten Spielfigurenensembles für Mädchen
herum entstehen ebenfalls vermehrt Verbundsysteme: Regina
Regenbogen, Lady Lockenlicht und den Klassiker Barbie. Als
Grundlage können ferner erfolgreiche Gesellschaftsspiele (Scot-
land Yard) oder Videospiele (Super Mario) dienen.

179
In den neueren Verbundsystemen ist die Literatur nur noch
selten der Rohstofflieferant, häufiger entstehen stattdessen
Buchfassungen nach der Vorlage von Filmen oder Hörspielen.
Diese »Verbuchungen« beschränken sich fast immer auf direkte
Nacherzählung der Haupthandlungslinien, sparen aus, was sich
medienspezifisch im Film durch Kameraführung, Mimik, Ge-
stik, Stimmungen, Atmosphäre realisiert, liefern im Medium
Buch eigentlich keine mediengerechte Literatur. Die Grund-
funktion der Filmbücher besteht darin, daß Kinder nachlesen
können, was sie bereits kennen, daß ihnen also Erwartungen
bestätigt werden, die in einem anderen, dem attraktiveren Me-
dium geweckt worden sind. Diese Form des Verbundes muß in
der Praxis in den Augen Heranwachsender die Leistungsfähig-
keitenerzählender Literatur diskreditieren.
Für Kinder liegt der grundsätzliche Vorzug des Medienver-
bundes darin, daß bei ihnen verschiedene Sinnesreize gleichzei-
tig angesprochen werden; sie verschaffen sich darüber »ganze
Reizbündel, um Erlebnishöhepunkte herzustellen.« (Hengst)
Andererseits tragen Medienverbundsysteme und Serienbildung
zu einer Standardisierung der Kinderkultur bei, denn aus ande-
ren Medien werden jeweils die Stoffe und Figuren übernom-
men, die Erfolg, Verkäuflichkeit bereits unter Beweis gestellt
haben. Inhaltliche und formale Innovationen, die Kinder ver-
unsichern könnten, haben wenig Chancen im Markt.
Das am Ende der 80er Jahre in der BRD erfolgreichste Ver-
bundsystem, ALF, haben zwei amerikanische Autoren für das
Fernsehen entwickelt, an den Drehbüchern arbeiten jedoch etli-
che andere Verfasser mit. Im amerikanischen Fernsehen läuft
ALF mit durchschnittlichem Erfolg, im ZDF ist die Serie bei
kleinsten, kleinen und größeren Zuschauern ein »Megahit«
(was nicht zuletzt an der pfiffigen, dem Original überlegenen
deutschsprachigen Synchronisation liegt). Die Gestaltung der
ALF-Puppe nimmt Bewährtes auf, das Kindchenschema, das
Pelzig-Knuddelige vom Teddybär, variiert, ironisiert dies je-
doch durch eine Art Schweinerüssel als Schnauze. Erwachsene
(Kritiker) stilisieren die Figur zum Mythos: »Er ist ein moder-
ner Melancholiker ... ein Abweichler und Chaot ... ein puber-
tärer Jugendlicher unserer Tage ... eine enorm zeitgemäße Mi-
schung aus Angepaßtheit und Aufmüpfigkeit, Brösel und
Nietzsche.« (DIE ZEIT, 1989) Für Kinder sind an der Figur, an
der Serie andere Eigenschaften wichtig (die sich auf weitere er-
folgreiche Verbundsysteme übertragen lassen): ALF nimmt ele-
mentare Bedürfnisse der Kinder auf, lebt sie aus; er ist neugie-

180
rig, will- wie ein Kind- seine Umwelt erkunden, braucht dabei
keine Rücksicht zu nehmen, hat keine ernsten Nachteile zu er-
warten, wenn er etwas zerstört. ALF will ständig und spontan
-wie ein Kind- seine Bedürfnisse befriedigen, ist ständig hung-
rig, holt sich das Leckerste unerlaubt aus dem Kühlschrank.
Trotz alledem findet ALF Sicherheit und immer wieder wohl-
wollende Aufnahme im Kreis der Gastfamilie, die ihm Gebor-
genheit und Angstfreiheit vermittelt - wie sie auch die Kinder
brauchen -, die ihn ernst nimmt, deren Aufmerksamkeit und
Zuwendung er sich durch Streiche und Sprüche verschafft.
Diese Züge der Figur werden im Kindermedienverbund weid-
lich ausgewalzt, indem immer neue Sammlungen mit Sprüchen,
Kalauern, Antibenimmregeln (ALFs Ratgeber) erscheinen.
Die ALP-Fernsehserie (wie die fast identischen Video- und
Tonkassetten) nimmt zwar durch die Synchronisation Bezug
auf spezifisch Westdeutsches, unübersehbar liefern die USA
den gesellschaftlich-ideologischen Hintergrund: eine Mittel-
standsidylle, in ihrer Durchschnittlichkeit überzeichnete Klein-
bürger, die den »american way of life« propagieren.

5. Internationalisierung der Kinderkultur


Die übergroße Mehrheit der von bundesdeutschen Fernsehsen-
dern ausgestrahlten Serien, Action wie Soap Opera, sind in den
USA produziert. Bereits nach dem 1. Weltkrieg, als europä-
ische Staaten unter Kriegsnachwirkungen leiden, kann Holly-
woods Filmindustrie eine Vormachtstellung in der Welt auf-
bauen. Nach dem 2. Weltkrieg entsteht in den USA weitaus
schneller als im kriegszerstörten Europa eine Fernsehindustrie.
Die Film- und Fernsehproduktionen der USA dominieren den
Weltmarkt, dominieren auch die multinationalen Medienver-
bundsysteme für Kinder.
Die amerikanischen Serien vermitteln Kindern in aller Welt
die politischen Normen und kulturellen Werte des Herstel-
lungslandes. Mit Spielzeugpuppen kreiert Mattel (Barbie) welt-
weit Schönheitsideale für große und kleine Mädchen. Japani-
sche Zeichentrickserien, die teilweise in amerikanischem Auf-
trag entstehen, die zumindest in die USA verkauft werden sol-
len, übernehmen diesen Wertekanon. Diese Internationalisie-
rung, eher Amerikanisierung der Kinderkultur führt zum Ver-
lust nationaler kultureller Identitäten, Traditionen, zu weltwei-

181
ter Nivellierung. In den Zeichentrickfilmen sind übereinstim-
mend gezeichnete, verkitschte Gebirgslandschaften einmal die
Alpen, ein anderes Mal die Rocky Mountains, stehen die glei-
chen, stilisierten Farmgebäude im Mittelwesten der USA, in Ja-
pan oder in den Schweizer Bergen, treten sich gleichende Kin-
der mit großen runden Augen als Franzosen, Japaner oder
Amerikaner auf. Science Fiction-Technik und futuristische
Kulturlandschaften haben - durchaus genregemäß - ohnehin
keinen erkennbaren Nationalcharakter mehr. Handlungs-
grundstrukturen sind auf gut gegen böse, auf die Ebene des
Märchens reduziert, damit in aller Welt verständlich.

6. Vermischung von Genres, Stoffen, Motiven


Weiterer kultureller Nivellierung leisten die erfolgreichen Me-
dienverbundsysteme dadurch Vorschub, daß sie die gesamte
Populärkultur plündern, daß sie Versatzstücke aus unterschied-
lichen Genres, Kulturkreisen und Zeitaltern nehmen. Die >gro-
ßen< Hollywoodfilme von Steven Spielberg und Georg Lucas
nähern sich formal eher dem Märchen als der eigentlich realisti-
scheren Abenteuergeschichte, sie sind zudem durch die Viel-
zahl eingearbeiteter Muster nicht mehr auf ein Genre zu be-
schränken. Lucas< Megaerfolg im Medienverbund, Krieg der
Sterne, läßt in einem simplen Märchenschema einen jugendli-
chen Haupthelden agieren, der dem landläufigen Bild eines
Popstars entspricht; sein Mitstreiter gleicht in Aufmachung und
Gehabe dem >edlen< W esternhelden; ein »Schneewittchen-Ver-
schnitt« als Prinzessin ist zu retten; ein Asterix und Obelix
(oder Laurel und Hardy) nachempfundenes Androidengespann
sorgt für Komik; der Gegenspieler, Superbösewicht ist bis ins
Detail dem Negativhelden der Marvel-Comics, Dr. Doom,
nachgestaltet. In den Nebenrollen agieren sämtliche Monster,
Mutationen und Maschinen, die der phantastische Film bis da-
hin hervorgebracht hat. Die Handlung zitiert - technisch-fu-
turistisch aufbereitet - vor allem Kampfszenen aus Western,
Mantel-und-Degen-Filmen. Lucas' Erfolgsrezepte werden von
den Schöpfern anderer Verbundsysteme fast bis ins Detail ko-
piert (Masters of the Universe). Selbst Vorschulmagazine wie
die Sesamstraße verfahren ähnlich. Kinder sind nicht mehr auf
ein Genre, eine spezifische Art des Erzählens, eine intentionale
Kinderkultur beschränkt, sie begegnen in den neueren Erfolgs-

182
serien Bildsegmenten, Versatzstücken aus dem gesamten Kor-
pus trivialer Kultur, vielleicht einer neuen, zeitgemäßen inter-
nationalen Form von Märchen.
Die unterschiedlichen Medien nähern sich zudem in ihren
Darstellungsweisen an: Comics übernehmen Dramaturgie,
Bildaufteilung, Blickwinkel des Films; Realfilme benutzen die
schablonenhaften Figurencharakteristika und Erzählmittel der
Comics; Zeichentrickfilme wirken wie sparsam animierte Co-
mics; Spielfiguren sind ebenso auf Wesentliches, Exemplari-
sches, leicht Wiedererkennbares reduziert wie die Helden von
TV-Serien; aus Spielzeugen entstehen in sich bewegliche, mit
der Variabilität von Trickfilmfiguren ausgestattete Actionfigu-
ren-Ensembles; Spielzeugfiguren dienen als Haupthelden von
Trick- und Realfilmen.

7. Mediennutzung und -wirkung

Die Genre-, Medien- und Kulturvermischung, die für die er-


folgreichen Kindermediendarbietungen charakteristisch ge-
worden ist, entspricht eigentlich sehr grundsätzlich dem gesam-
ten kindlichen Medienumgang. Die verschiedenen Medien lie-
fern den Kindern heute eine ständige Flut von Informationen,
von Reizen. Beim Umgang mit der Fernbedienung vor dem
Fernsehgerät springen Kinder außerdem ständig von einem Ka-
nal, einem Beitrag in den nächsten (»Zappen« ). Nachrichten aus
dem Kreml wechseln mit Ketchup-Reklame, die Lindenstraße
mit der Sesamstraße, Mr. Ed, das sprechende Pferd, mit Lassie,
dem Collie, der sie zu Bim Bam Bino begleitet, wo schon die
Masters of the Universe warten, die vom Knight Rider mit dem
Wunderauto überholt werden. Diesen gigantischen Bilderbrei
nehmen Kinder weder zusammenhängend noch durchgängig
auf. Ihr Gehirn verarbeitet- wie das der Erwachsenen- nur
Bruchstücke der darin enthaltenen Informationen. Kinder ver-
arbeiten, vernetzen die Informationen jedoch anders als Er-
wachsene. Kinder nehmen selektiv wahr, sie richten ihre Auf-
merksamkeit auf Details (Figuren, Eigenschaften, Requisiten),
die sie erkennen, interessieren, die in der aktuellen Situation
eine bestimmte Bedeutung für sie haben. Diese Detailinforma-
tionen nehmen Kinder auf, ordnen sie, indem sie sie zu ihren
bisherigen Erfahrungen in Beziehung setzen. Im Rezeptions-
prozeß der Kinder werden die Originale, die gesehenen Filme,

183
Motive, Figuren individuell umgeformt, mit eigenständigen Er-
gebnissen (die sich beim gleichen Film Kind für Kind unter-
scheiden können). Im Spiel der Kinder untereinander, im Rol-
lenspiel mit Figuren vermengen sie die industriell gefertigten,
seriell gelieferten Figuren, Versatzstücke, Geschichten, lassen
Lurchi und He-Man gegen Peter Pan im Kängurubland kämp-
fen.
Die Medienwirkungsforschung hat mittlerweile sehr nach-
haltig belegt, daß auch bei Kindern Rezeptionsprozesse lang-
wierig und komplex verlaufen, daß das befürchtete »Kanin-
chen-Schlange-Verhältnis« unzutreffend ist. Natürlich können
Mediendarbietungen auf Kinder auch negative Wirkungen ha-
ben, andererseits »brauchen Kinder Fernsehen« (Bruno Bettel-
heim), weil viele Filme (wie auch Märchen oder Kinderbücher)
Situationen beschreiben, symbolisieren, die Kinder in ihrer ei-
genen Realität nicht ausleben können. Der Medienverbund
kann Materialien liefern, die Kindern Hilfestellung bei der Be-
wältigung ihres Alltags, bei der Lösung von (auch inneren)
Konflikten, bei der Identitätsfindung geben:
»Ein 4jähriger setzt sich beispielsweise auf der Folie der TV-
Serie Pumuckl mit seinen Angstphantasien auseinander. Das
Kind leidet unter ängstigenden Träumen in der Nacht: Kraken
verfolgen und bedrohen ihn. Im Rollenspiel mit der Medienfi-
gur Pumuckl verarbeitet der Junge seine Angste. Er kreiert eine
>Horrortruppe<, bestehend aus gefährlichen (!) Pumuckls und
Wölfen, mit denen er nun selbst andere ärgert und ängstigt. Das
Kind überwindet das passive Erleiden und wird im Spiel selbst
zum Akteur- in der TV-Serienfigur Pumuckl sieht er eine Sym-
bolik, sich mit sich und seinen Ängsten produktiv auseinander-
zusetzen ... Ein ebenfalls 4jähriges Kind nutzt die Pumuckl-Fi-
gur anders: als Kind in einem Lehrerhaushalt ist es vom Lei-
stungs- und Schulthema in Beschlag genommen. Folgerichtig
spielt es anhaltend, daß es als Pumuckl in die Schule geht und
dort die Lehrerin (die Mutter!) kräftig ärgert.« (Neumann)
Bereits Kinder im Vorschulalter benutzen »die Massenme-
dien als soziale Regulative, sie setzen Medien ein, um ihre aktu-
elle soziale Situation zu beeinflussen, um frühere soziale Erfah-
rungen neu zu durchdenken, um sich auf künftige Interaktio-
nen vorzubereiten.« (Charlton/Neumann, in: Charlton/Bach-
mair) So gewinnen die kommerziellen Kindermedien im Alltag
vielschichtige Bedeutungen: mit grellen bunten Action-Zei-
chentrickfilmen (Captain Future), die von den Erwachsenen
abgelehnt werden (»brutal, laut«), können sich Kinder gegen

184
die Eltern abgrenzen, anfangen, eigene Identität zu entwickeln.
In Zeiten, in denen sich das Kind mit seiner eigenen Ge-
schlechtsrolle auseinandersetzt, werden Cowboy-Figuren,
Barbie-Puppen oder Serienfilme mit Geschlechtsrollenstereo-
typen zu wichtigem, individuell bearbeiteten Rohmaterial. Die
Phantasietätigkeit von Kindern wird durch AV-Medienkonsum
nicht eingeengt, sondern verlagert und erhält andere Requisiten
vorgegeben.
Und trotz des überwiegend märchenhaften, realitätsfernen
Charakters der Medieninhalte verlieren Kinder weniger leicht
den Bezug zur Realität, zu der sie umgebenden Gesellschaft, als
erwachsene Medienkritiker befürchten; so sehen sie z. B. die
sich zuspitzenden Umweltgefährdungen realistischer: »Fast
75 Prozent der Kinder, aber nur 55 Prozent der Erwachsenen
glaubten, die Technik und die Chemie zerstörten die Umwelt.«
(Horst Eberhard Richter, 1990)
Kinder und Jugendliche wählen heute aus dem gesamten Me-
dienangebot das für sich aus, was in der jeweils konkreten Situa-
tion die jeweils spezifischen Bedüdnisse befriedigen kann, auch
aus den Printmedien. Sie haben-neuere Umfragen belegen dies
- durchaus vielfältige, keineswegs uniformierte, aber auch wi-
dersprüchliche Interessen. Und allen Unkenrufen zum Trotz
lesen Kinder und Jugendliche >>auch Ende der 80er Jahre häufi-
ger als die übrigen Altersgruppen der bundesdeutschen Bevöl-
kerung.« (Bertelsmann Stiftung, 1989) Die Lektüre kann also
noch ganz spezifische Funktionen übernehmen. Allerdings lei-
det die Wirkung der Literatur an einem Medienvorverständnis,
das nicht zuletzt auch durch die neuere Leseerziehung man-
cherorts fortgeschrieben oder vertieft wird. Mit den audiovisu-
ellen Medien verbindet sich für Kinder- wie auch im öffentli-
chen Bewußtsein überhaupt- ein als einfach und unkompliziert
eingestufter Rezeptionsvorgang. Und offenkundig ist es ja auch
einfacher, eine Botschaft über Bilder und Töne aufzunehmen,
als die gleiche Botschaft aus Schriftzeichen zu dekodieren und
im eigenen Kopf in Bilder umzusetzen. Mit dem Fernsehen ver-
binden sich eher Bedeutungen wie Unterhaltsamkeit und Ver-
gnügen, mit dem Buch Konnotationen wie Arbeit, Erarbeiten,
Askese, Anstrengung. Projekte der Medienwirkungsforschung
mit Kindern zeigen, daß diese selbst mit dem Fernsehen gedan-
kenloser, unaufmerksamer umgehen als mit Lesestoff, daß sie
sich bei der Lektüre mehr anstrengen als bei der Rezeption von
Fernsehbeiträgen, daß sie also - bei gleichem Informationsge-
halt - aus der Lektüre mehr Schlußfolgerungen ziehen, mehr

185
lernen. Kinder, die Lesen für anstrengend halten, werden eher
dazu neigen, darauf zu verzichten.
Medienpädagogische Arbeit mit Kindern ist nur dann erfolg-
versprechend, wenn sie von einem gleichberechtigten Neben-
einander der Medien ausgeht, wie es die meisten Kinder auch
selbst tun, wenn sie die mediale Sozialisation, die Mediatisie-
rung der Kindheit, die Vorerfahrungen der Kinder mit Serien
und Medienverbundsystemen in Rechnung stellt, wenn die Me-
dienvorlieben der Kinder ernst, wenn die Inhalte der von ihnen
genutzten Mediendarbietungen zumindest zur Kenntnis ge-
nommen werden.

Literatur

zu Geschichte, Entwicklung und Veränderung von Kindheit


Aries, Philippe: Geschichte der Kindheit, München 1978 (dtv wissen-
schaft 4320).
Geulen, Dieter (Hg.): Kindheit. Neue Realitäten und Aspekte, Wein-
heim, Basel1989.
Hengst, Heinz u. a.: Kindheit als Fiktion, Frankfurt 1981 (es NF 81).
Johansen, Ema M.: Betrogene Kinder. Eine Sozialgeschichte der Kind-
heit, Frankfurt 1978 (Fischer TB 6622).
Lenzen, Dieter: »Zukunft der Kindheit«, in: BA. Besprechungen und
Annotationen 3/1990, S. 1-2, 75-76.

zur Kinderkultur
Bauer, Karl W. und Heinz Hengst (Hg.): Kritische Stichwörter zur
Kinderkultur, München 1978.
Kinderkultur. 25. Deutscher Volkskundekongreß in Bremen vom 7. bis
12. Oktober 1985, Bremen 1987.
Lenzen, Klaus-Dieter: Kinderkultur, die sanfte Anpassung, Frankfurt
1978 (Fischer Tb 3400).
Rogge, Jan-Uwe: »Anmerkungen zum Verhältnis von Kontinuität und
Wandel in den Medien- und Alltagskulturen von Kindem und Ju-
gendlichen«, in: IJM 1/1987, S. 12-23.

zu Kindermedien (Übersichtsdarstellungen und Sammelwerke)


Grünewald, Dietrich und Winfred Kaminski (Hg.): Kinder- und Ju-
gendmedien. Ein Handbuch für die Praxis, Weinheim, Basel1984.
J ensen, Klaus und J an-Uwe Rogge: Der Medienmarktfür Kinder in der
Bundesrepublik, Tübingen 1980 (Untersuchungen des Ludwig-Uh-
land-Instituts der Universität Tübingen 50).
Schmidbauer, Michael und Paul Löhr: Der Markt der kommerziellen
Kindermedien, München u.a. 1985.

186
zur Mediatisierung der Kindheit
Bauer, Kar! W. und Heinz Hengst: Wirklichkeit aus zweiter Hand.
Kindheit in der Erfahrungswelt von Spielwaren und Medienproduk-
ten, Reinbek 1980 (rororo sachbuch 7360).
Greenfield, Patricia M.: Kinder und neue Medien, München, Wein-
heim 1987.
Groebel, Jo und Walther Klingler: »Kinderund Medien 1990. Erste Er-
gebnisse einer Vergleichsstudie in den alten und neuen Bundeslän-
dern«, in: Media Perspektiven 10/1991, S. 633-660.
Hengst, Heinz: Kinder und Massenmedien, Heidelberg 1981.
Hentig, Hartmut von: Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit.
Ein Pädagoge ermutigt zum Nachdenken über die Neuen Medien,
München 1984.
Jörg, Sabine: Per Knopfdruck durch die Kindheit, Berlin 1987.
Meyrowitz, Joshua: Die Fernsehgesellschaft, Weinheim, Basel1987.
Postman, Neil: Das Verschwinden der Kindheit, Frankfurt 1983.
Rogge, Jan-Uwe: »Los-Sein und Los-Machen. Über Wahrnehmungs-
stile, Erfahrungszusammenhänge und Aneignungstätigkeiten in den
Medien-Kindheiten«, in: Christian Büttner (Hg.): Jahrbuch der
Kindheit 2, Weinheim, Basel1985, S. 83-97, 263-264.

zur Kommerzialisierung der Kinderkultur


Böckelmann, Frank u. a.: Werbefernsehkinder - Fernsehwerbung vor
und mit Kindern in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1979
(AfK Studien 14).
Cebulla-Jünger, Edeltraut: >>Marketingexperten entdecken ihr >Herz<
für Kinder. Eine Herausforderung für rechtliche undpädagogische
Maßnahmen«, in: ajs-informationen, 6/1990, S. 1-4.
Eicke, Ulrich: »Kinder: >Wandelnde Markenspeicher<«, in: Psycholo-
gie heute 6/92. S. 62-69.
Friesen, Astrid von: Geld spielt keine Rolle. Erziehung im Konsum-
rausch, Reinbek 1990
Hickethier, Knut: »Wundertüten, Überraschungseier, Sammelbilder.
Medienverbund in der kommerziellen Kinderkultur«, in: Ästhetik
und Kommunikation 27/1977, S. 28-34.
Kazemi-Veisari, Erika: Zur gesellschaftlichen und pädagogischen
Funktion von Spielwaren in der Gegenwart. Eine Analyse ihres we-
sentlichen Beitrages zur Entfremdung in der Kindheit und zur Pro-
blematik in der Institution Kindergarten, Frankfurt 1987.
Meyer-Bendrat, Klaus-Peter: Die Warenförmigkeit kindlicher Spielar-
beit. Die Verformung des Spiels im Lichte industrieller Erkenntnisin-
teressen, Frankfurt u. a. 1987 (Europ.Hochschulschriften Reihe XI,
329).
Wawrzyn, Lienhard: »Eßbares Spielzeug- Von Kaugummis, Gummi-
bärehen und dem, was man daraus machen kann«, in: Ästhetik und
Kommunikation 27/1977, S. 54-62.

187
zum Merchandising I Product Placement
Baacke, Dieter: »Skippies und Fun-Generation. Die neuen Sponsoren
als Spaßbringer?«, in: merz 611990, S. 3-7.
Fuchs, WolfgangJ.: »Merchandising: Das Nebengeschäft der Medien-
industrie mit den Kindern«, in: merz 311991, S. 207-214.
Janneck, Rainer: »Product Placement in Film und Fernsehen«, in: merz
611990, s. 17-23.
Wasem, Erich: »Zur Genealogie von Marketing-Lieblingsfiguren der
Kinder«, in: Kinderkultur. 25. Deutscher Volkskundekongreß in
Bremen v. 7. -12. 10. 1985, Bremen 1987, S. 299-304.

zu Medienverbundsystemen I medialen Verflechtungen


Heidtmann, Horst: »Filmverbuchungen: Kinder- und Jugendbücher
nach Filmen. Prinzipien und Probleme der Adaption«, in: IJM
211991, s. 50-63.
Kazemi-Veisari, Erika: Kaffeefahrten ins Land der Biene Maja. Me-
dienverbundsystem: das Charaktervertriebsgewerbe, Harnburg 1988
(Medienrundbrief 13, hg. vom Referat Medienarbeit der Behörde f.
Arbeit, Jugend u. Soziales).
Thomsen, Christian W. und Werner Faulstich (Hg.): SeHer, Stars und
Serien. Medien im Produktverbund, Heidelberg 1989 (Reihe Siegen.
Beitr. zur Literatur-, Sprach- u. Medienwiss. 89).

zur Internationalisierung der Kinderkultur


Hengst, Heinz (Hg.): Eurovisionen. Kinder und Medien in Schweden,
Italien und der Bundesrepublik, Frankfurt 1990.
Ketchup, Pop und Comic-Strips. Internationalisierung und Standardi-
sierung der Kultur für Kinder und Jugendliche- Wege und Irrwege.
Zeitschrift für Kulturaustausch 111986.
Schiller, Herbert 1.: »Disney, Dallas und der elektronische Informa-
tionsfluß. Die weltweite Kommerzialisierung der Kultur«, in: Media
Perspektiven 1211988, S. 782-790.
Thomsen, Christian W. (Ed. ): Cultural Transfer or Electronic lmperia-
lism? The Impact of American Television Programs on European Te-
levision, Heidelberg 1989 (Reihe Siegen. Beiträge zur Literatur-,
Sprach- u. Medienwiss. 90).

zu Kommunikationsverhalten I Mediennutzung
Bonfadelli, Heinz u.a.: Jugend und Medien. Eine Studie der ARDI-
ZDF-Medienkommission und der Bertelsmann Stiftung, Frankfurt
1986 (Schriftenreihe Media Perspektiven 6).
Charlton, Michael und Ben Bachmair (Hg.): Medienkommunikation
im Alltag. Interpretative Studien zum Medienhandeln von Kindern
und Jugendlichen, München 1990 (Schriftenreihe des IZI 24).
Media Perspektiven: Daten zur Mediensituation in Deutschland. Basis-
daten 1991, Frankfurt 1991.

188
Saxer, Ulrich u.a.: Kommunikationsverhalten und Medien. Lesen in
der modernen Gesellschaft. Eine Studie der Beneismann Stiftung,
Gütersloh 1989.

zur Medienwirkungsforschung
Barthelmes, Jürgen: Kindliche Weltbilder und Medien. Eine Literatur-
analyse zur Mediensozialisation, München 1987.
Neumann, KLaus: »Baustelle für den Identitätsaufbau. Medienkonsum
und Alltagsbewältigung«, in: Medien Concret 2/1988, S. 24-31.
Rogge, Jan-Uwe: »Slalom zwischen Spannung und Klamauk. Stars und
Genres in der Gunst der Kinder«, in: Medien Concret 2/1988, S. 12-
23.
Salomon, Gavriel: »Der Einfluß von Vorverständnis und Rezeptions-
schemata auf die Fernsehwahrnehmung von Kindern«, in: Manfred
Meyer (Hg.): Wie verstehen Kinder Fernsehprogramme? For-
schungsergebnisse zur Wirkung formaler Gestaltungselemente,
München 1984, S. 199-218.
Sturm, Hertha und Sabine Jörg: Informationsverarbeitung durch Kin-
der. Piagets Entwicklungstheorie auf Hörfunk und Fernsehen ange-
wandt, München u. a. 1980.
Sturm, Hertha: Fernsehdiktate: Die Veränderung von Gedanken und
Gefühlen. Ergebnisse und Folgerungen einer rezipientenorientierten
Mediendramaturgie, Gütersloh 1991.
Wiedemann, Dieter: »Filme in der Kindheit. Anmerkungen zur Filmre-
zeption von Kindern«, in: WaltraudJäger (Hg.): Filmarbeit für Kin-
der. Anspruch und Ergebnis, Berlin/DDR 1987, S. 51-63.
Winterhoof-Spurk, Peter: Fernsehen. Psychologische Befunde zur Me-
dienwirkung, Bern, Stuttgart 1986.

zur Medienpädagogik
Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Medien und Kommunika-
tion als Lernfeld, Bonn 1986 (Schriftenreihe d. Bundeszentrale f. po-
lit. Bildung 236 ).
Heidtmann, Horst: »Lektüre- Kontrahent audiovisueller Medien?«,
in: BuB 3/1989, S. 252-256.
Kämpf-Jansen, Helga: »>Ach wie niedlich<- oder die allmähliche Ver-
kuschelung der Welt. Zur Anthropomorphisierung von Lebewesen
und Dingen. Ein Unterrichtsbeispiel für die Grundschule«, in: Kunst
+ Untericht 103/1986, S. 12-15.
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hg.): Me-
dienpädagogik im Umbruch, Stuttgart 1987.
Ricken, Ludwig: Literaturverzeichnis Medienarbeit mit Kindern und
Jugendlichen, München 1990.
Rogge,Jan-Uwe: Heidi, PacMan unddie Video-Zombies. Die Medien-
freunde der Kinder und das Unbehagen der Eltern, Reinbek 1985 (ro-
roro sachbuch 7890).

189
Rogge, Jan-Uwe: Kinder und Medien. Bausteine für die Medienerzie-
hung jüngerer Kinder, 1-6, hg. vom Niedersächs. Kultusministe-
rium, Hannover 1990.
Schnoor, Dedev: Sehen lernen in der Fernsehgesellschaft. Das pädago-
gische Prinzip Anschaulichkeit im Zeitalter technischer Bilder, Opla-
den 1992.

190
Namensregister

1. Medienproduzenten BMG (Bertelsmann Music


Group) 65, 68
Abraham, Peter 159 Bohm, Hark 43, 81
Adams, Douglas 130 Bojunga-Nunes, Lygia 58
Adelung, Johann Christoph 2 Braun & Schneider 13
Aghte, Arend 46, 47, 51, 81 Brecht, Bertolt 149
Albrecht, Gerd 72 Breugel, Pieter 108
ARJ) 58,80,81,82,83,84,86, Brezan, Jurij 159
87,90,157 Brice, Pierre 154, 160
Ariola(-Miller) 65,68 Bröger, Achim 58
ARIDLASOFT 127, 129 Brösel (Rötger Feldmann) 180
Amim, Bettina von 153 Buena Vista 101
ASS 116 Buresch, Wolfgang 80
ATARI 124,125,126,128,133, Busch, Wilhelm 13, 14
136
ATLASAV 102 Carlsen Verlag 18,20
Carow, Heiner 153, 154
Bandai 115 Carrera 116
Barker, Lex 160 Caza 18
Barks, Carl 17, 25 CBS 66, 102, 125
Barrie, James Matthew 29, 49 Chaplin, Charlie 37, 41, 105
Barthel, Max 4 CIC 102
Barthelmeß-Weller, Usch 46 Commodore 126, 127
Bassewitz, Gerdt von 29 Condor Verlag 8, 19, 20, 21, 22,
Bastei Verlag 8, 17, 20, 33, 23, 23,24,25
178 Coogan, Jacky 38
Bauer Verlag, Heinrich 5, 8, 19, Cooper, J ames Fenimore 151,
164 154
Bavaria Comic Verlag 8 Cosey (Bemard Cosandey) 18
Becker, Wolfgang 44 Czechowski, Heinz 146
Behrens, Gloria 81
Beltz & Gelberg 7 DEFA 152, 155, 159, 167
Berliner Funk-Stunde 53, 60 Derib (Claude de Ribeaupierre)
Berliner Rundfunk 148 18
Bettelsmann 65, 102, 125 Deutsche Grammophon (DG
Biehler, WolfgangM. 24 oder DGG) 63, 65, 72
Bilal, Enki 18 Deutscher Freiheitssender 904
Bildschriften Verlag 18 148
Birne Theater 31 Deutschlandsender 54
Blyton, Enid 67, 70 Deutschmann, Wolfgang 45

191
DFF 157, 158 Gottschalk, Thomas 90
Diehl, Ferdinand und Kar! Gould, Chester 15
Ludwig 39 Grahame, Kenneth 58
Disney, Walt( er Elias) oder Grimm, Jacob und Wilhelm 30,
DisneyCompany 7, 15, 19, 40,63,153
20,21,22,23,25,33,39,42,47, GRIPS-Theater 30, 31, 33, 34
48,51,65,67,85,86,90, 101, Grosche, Erwin 71
102, 104, 115, 116, 118, 143, Grün, Max von der 44
159, 176, 177, 178, 188 Gruner +Jahr 8
Donelly, Elfie 45, 66 Guggenmos, J osef 55
3sat 83 Gumpert, Thekla von 2
Dumas, Alexandre 173 Gutenberghus Verlag 16
Ehapa Verlag 8, 17, 18, 20,22 Haase, Jürgen 45
Ehmck, Gustav 44 Hachfeld, Rainer 31
Eichinger, Bernd 48 Hacks, Peter 57, 146, 147
Eins plus 83 Hallervorden, Dieter 105
Eisner, Bruno 57f. Hanna Barbera 17, 84
Electrola 63, 66 Hardy, Oliver 37, 182
Ende, Michael 45, 47, 65, 113 Hasbro 115
Erhardt, Monika 151 Hasselhoff, David 96, 118, 172,
Ernsting, Volker 18 178
Escher, Reinhold 177 Hauser, Jochen 149
European Licencing Group 178 Hegen, Hannes 143
EuroVideo 102 Held, Hans 39
Henson, Jim 34, 95
Fallada, Hans 159 Herfurtner, Rudolf 33
Feininger, Lyonel 14 Herge (Georges Remi) 20
Feustel, Günter 155 Herzog, Uli 58
Fischer-Koesen, Hans 39 Heym, Stefan 145
Fleischmann, Gehr. 116 Heynowski, Walter 155
Foster, Hai 15 Hoernle, Edwin 3, 29
Frank, Leonhard 39 Hoffmann, Heinrich 14
Frey, Fritz 77 Hoffmanns Comic Theater 31
Froebe, Gert 44 Holtz-Baumert, Gerhard 149
Froebel, Friedrich 110 Homocord 63
Fuchs, Erika 17 HR (Hessischer Rundfunk) 55,
Funes, Louis de 48, 157 57
Gaidar, Arkadi 145 Ibanez, Francisco 21
GeHeTon/Miller International ITPTon-undBildträger 65,119
65
Genschow, Fritz 40,41 Janosch (Horst Eckert) 86, 103
GEOBRABrandstätter 114, Jansson, Tove 78
117 Job (AndreJobin) 18
Görlich, Günter 146 Jürgen, Anna (Müller-Tannewitz,
Görner, Carl August 27,28 A.) 154

192
Jürgens, Udo 81 ~attel (~attelToys) 113, 114,
Jugendradio DT 64 150 115,116,117,118,119,133,
Junge, Winfried 155 179, 181
~ay, Karl 3, 42, 53, 105, 154,
Kästner, Erich 4, 29, 34, 39, 41, 157, 173
51, 144, 145 ~B (~ilton Bradley) 116, 117,
Kahlau, Heinz 145 179
Kauka, Rolf 17 ~cCay, Windsor 14
Keaton, Buster 37 ~edek, Tilo 71
Keystone Company 37 ~edien Verlagsgesellschaft 8
Kirch, Leo oder Kirch-Gruppe ~eggendorfer, Lotbar 14, 110
102, 178 ~elies, Georges 37
Klecks (Klex) Theater 31 ~erchandising ~ünchen 178
Klee, Ernst 45 ~eurer, ~ax 54
Kluge, Alexander 43 ~eyer, Werner 46
Knust, Bruno 34 ~ichel, Detlef 31
Koeppe, Sigrun 45 ~itic, Gojko 154
Körting-Beurmann, Heikedine ~orris (~aurice de Bevere) 17
65 ~TV 83
Koss, Irene 77 ~ünchner ~ärchen-Bühne 31
Krüss,James 55, 81 ~üntefering, Gert K. 78, 81
Kruse, Käthe 111
Natschinski, Thomas 151
Lakomy, Reinhard 151
Lamprecht, Gerhard 39, 152 NDR (Norddeutscher Rundfunk)
55,56,80,157
Laurel, Stan 37, 182
LEGO 115, 116, 117, 175 Neue Constantin 192
Lehning Verlag, Walter 16 Niemann, Charlotte 57,58
Levoy,~yron 33
Nintendo 117, 128, 133, 178
Lewin, Waltraut 149, 154 Nöstlinger, Christine 43, 46
Lindgren, Astrid 41, 51, 55, 64, Nordwestdeutscher Rundfunk
104 76
Lomsen, Boy 82 Nowotny,Joachim 149
Losansky, Rolf 153
Loustal, J acques de 18 übrig, Ilse 77
Lucas, George 49, 178, 182 Ossowski, Leonie 46
Ludwig, Volker 31
Lustig, Peter 81 Parker (Kenner-Parker-Tonka)
116
~aar, Paul 32, 34,35 Patmos-Schwann 66, 71
~ach,Josef 154 Petersen, Wolfgang 44,47
~ärklin, Gehr. 116 Peyo (Pierre Culliford) 18
~aierVerlag, Otto 102,110, Pickford, ~ary 38
116 Pläne Verlag 66, 71, 72
~anara, ~ilo 18 Plauen, e. o. (Erich Ohser) 15
~arvelComics 18, 103, 182 Pludra, Benno 151, 153,154
~atchbox Spielwaren 116 Pocci, Franz Graf von 14, 28

193
Polyband 66, 102 Seidemann, Maria 149
Polygram 65, 102 SFB (Sender Freies Berlin) 57,
Polydor 65 58
Poth, Chlodwig 18 SIKU Sieper Werke 116
Pressier, Mirjam 45 Simon, Liese! 63
Preussler, Otfried 44, 55, 64 Sommer-Bodenburg, Angela 69
Pro 7 83 Sony 66
Prokofieff, Serge 71 Spencer, Bud 156
Speyer, Wilhelm 39
Raddatz, Hilke 18 Spiegelman, Art 18
Radio Bremen 57 Spielberg, Steven 33, 49, 50, 51,
Radio Dreiecksland 59 115,125,182
RCA (BMG) 102, 125 Stachowa, Angela 149
Reinecker, Herbert 39 Stark, Isolde 147
Reinicke, Emil 14 Staudte, Wolfgang 152
Reiniger, Lotte 28, 37, 50 Steiff, Margarete 111, 113, 177
Revell Plastics 116 Stemmle, R(obert) A(dolf) 29
RIAS 55,57 Strauss, Richard 72
Richard, Pierre 156, 160 Strittmatter, Erwin 146
Rosenbaum, Marianne 46 Südwestdeutscher Rundfunk-
Rote Grütze 31, 33 dienst 63
RTL plus 68, 83, 84, 87, 89, 90, Süverkrüp, Dieter 71
101, 157, 164
Runze, Ottokar 46 Tardi, 1acques 18
Rushware Micro 127 Taurus-Video 102
Tele 5 83, 84, 90
Saiten, F elix 14 3 Tetzner, Lisa 46, 53
SAT 1 68, 83, 84, 87, 89, 90, 91, Theater der Freundschaft 144
101, 157 Theater der jungen Welt 144
Schaaf, 1ohannes 47 Theater für Kinder 31
Scharrelmann, Wilhelm 4 Traxler, Hans 18
Scheumann, Gerhard 155 TRIX Mangold 116
Schlesinger, Klaus 154 Turnier, Wolfgang 45
Schlott, 1utta 149 Twain, Mark 151
Schmidt, Manfred 15, 17
Schmidt Spiel+ Freizeit 116 UFA 102,152
Schöbe!, Frank 158 Ullstein Verlag 15, 53
Schöne, Gerhard 151 Ultraphon 63
Schonger,Hubert 39,40,41 USGold 127
Sehröder, Claudia 46 Vahle, Fredrik (Fritz) 71, 74
Schulz, Charles M. 17 VEB Deutsche Schallplatte 150
Schwarz, 1ewgenij 144, 145 Verhoeven, Paul 152
Schwerin, Rose Marie 56 Verne,1ules 110,151
SDR (Süddeutscher Rundfunk)
56,57,81 Waalkes, Otto 48, 69, 105
Sebaldus Verlag 8 Waechter, Friedrich Kar! 32
SEGA 128, 129, 130 Wäscher, Hansrudi 16,24

194
Wallace, Edgar 42 Barbie 70, 75, 113, 117, 118,
Warner Bros. 79, 102 119, 123, 175, 179, 181, 185
Warner Horne Video 102 Batman 87, 178
WDR (Westdeutscher Rundfunk) Benjamin Blümchen 20, 66, 67,
57, 78, 79, 80 69,73,74, 103,116,119,164,
Weber, Hans 149 175
Wegener, Paul 37 Bernard und Bianca 48
Weidenmann, Alfred 39 Bernie 8
Weil, Kurt 57 Bert 34, 112
Weiß, Konrad 155 Bessy 17
Weiße, Christian Felix 2, 27 Bibi Blocksberg 20, 66, 67, 69,
Welskopf-Henrich, Liselotte 119
154 Bigjim 114, 122
Wiesner, C(laus) U(lrich) 159 Biene Maja 23, 85, 97, 103, 175,
Wiking Modellbau 116 178, 188
Black 68
Zander,Frank 71 Blauvogel 154
I>F 79,80,83,84,87,90, 180 Blondie 14
Zengerling, Alf 39 Bremer Stadtmusikanten 63, 74
Zimmering, Max 145 Buffalo Bill 174
Zuckowski, Rolf 71 BugsBunny 79,84,85,103,178
Zschoche, Hermann 153 Bummi 140
bunter Hund 7
2. Medienfiguren Captain Future 86, 184
Captain Harlock 103
A-Team 87 Captain Hawke 70
Action Team 114 Charly Brown 17
Airwolf 63, 67, 70, 87, 88 Chingachgook 154
Akim 16 Clever & Smart 19, 20, 21
ALF 67, 68, 69, 75, 89, 95, 160, Coco 4
164, 178, 180, 181 Colt Sievers 87, 175
Alfons Zitterbacke 151 Conny 20,22
AlfredJ. Kwak 20, 75 Corky 78
Alice im Wunderland 178 Crazy Cat 14
Allianzmann 6
Arielle 101 I>affy (I>uffy) I>uck 79
Armer Ritter 145, 147 I>agobert I>uck 19, 25
Aschenputtel (Aschenbrödel) I>avid, der Klabauter 69
30, 63,75 I>ick Tracy 15
Asterix 6, 17, 20, 22, 24, 25, I>ick und I>oof (Laure! und
104, 105, 156, 182 Hardy) 41, 79
Atomino 144 I>igedags 143
I>ino-Riders 115
Baggerführer Willibald 71 I>oktor I>olittle 53
Bambi 144 I>r. I>oom 182
Barbar 69 I>r. Kildare 17

195
Dr. Pfiffikus 8 Hänsel und Gretel 28
Donald Duck 19, 20, 25, 26,130 Hanni und Nanni 70
Dornröschen 37,40 Hans Trutz 37
drei??? 70 Harry und die Hendersons 68
Dumbo 7, 8 Hase Cäsar 79
Haseund Wolf 159
Emil 29, 39, 144, 145 Hatschipub 47
Ernie 34, 112 Heidi 23, 97, 178, 179, 189
E.T. 48,89 Hein Segelohr 77
heiterer Fridolin 15
Fahnder 160 Me-Man 22, 70, 84, 86, 97, 103,
Falk 16 115,119,120,122,123,179,184
Familie Feuerstein 17, 84 Hitlerjunge Quex 39
Familie Findig 150 Hook 115, 117
Fantastic Max 84 Huck(leberry) Finn 145
fantastische Vier 18 Hucky 17
Faust(us) 147
Felix, the Cat 14, 17 IndianaJones 49, 125
Fiete Appelschnut 77 Ivanhoe 17
Fips 4 James Bond 70
FixundFax 143
Jan und Tini 159
Fix und Foxi 17, 19
Jenny 19,22
Flash Gordon 15 Jetsons 84
Frau Elster 148, 162
JimKnopf 34
Fred Sonnenschein 71 John Drake 78
Fünf Freunde 67, 70
Funkheinzelmann 53, 55, 173 Käpt'n Briese 148
Funkprinzessin 53, 55 Kalle Schwobbel 79
Fury 42,78 Karate Kid 175
Fuzzy 41 Kasper(! oder -le) 28, 29, 30, 35,
63, 146, 174
Gärtner Ludwig 77 Kater Carlo 21
Garfield 19, 65, 178 Katzenjammer Kids 14
gestiefelter Kater 30, 145 Kermit 8, 34
Ghostbusters 21, 48, 67, 70, 84, Kevin 48, 101
115, 118, 129 Keypers 115
Glücksbärchis 8 Kiebich und Dutz 32
Godzilla 114 Kimba 85
Goldbärehen 7, 8 Kinder aus Nr. 67 46
Goofy 21 Kinderfreund 2, 3, 4
Gremlins 49 Kin-der-Kids 14
Gritta von Rattenzuhausbeiuns Klarabella 22
153 kleiner Häwelmann 77
Gummibärenbande 84 kleiner Muck 104, 151, 152, 164
Gurkenkönig 43, 81 kleinerTrompeter 153
Gute-Nacht-Lied-Onkel 56 kleiner Vampir 65,69

196
Knax 6,20 Mr. Ed 183
Knight Rider 65, 67, 70, 87, 88, Momo 47
95, 183 Mumin (Muminfarnilie) 33, 78
König Drosselbart 104, 146, Muppet Babies 179
153, 164 Muppets 34, 95
Konrad aus der Konservenbüchse
Nick Knatterton 17
46, 106
Nickel und Herr Siemon 58
Krümelmonster 94
Nils Holgersson 85
Lady Lockenlicht 180
Obelix 182
Lassie 17, 42, 79, 174, 183
Onkel Eduard 55
Laurel und Hardy 17, 182
Onkel Fridolin 77
Lederstrumpf 151
Onkel T obias 55
Li-La-Launebär 83, 90
Oskar, die Supermaus 103
Lilli 113
Ottifanten 69
Little Mermaid 118
Little Nemo 14 PacMan 125, 135,189
Lone Ranger 114, 174 Pan Tau 81
Lucky Luke 17, 20, 21,22 Panzerknacker 21
Lurchi 6, 11, 20, 25, 184 Paul und Paula 32
Luzie 81 Pauline 174
Peanuts 17,22
MacGyver 87 Peter Pan 29, 49, 68, 178, 184
Mäxchen Pfiffig 168 Peter und der Wolf 71
Marco 85
Peterle 15
Marsupilami 20 Petra 121
MASK 22, 66, 85, 103, 104, 115, Petzi 20
175 Phantom 15
Masters of the Universe 65, 70, Philipp, der Kleine 153
103, 115, 117, 119, 179, 182, Pinocchio 68, 85
183 Pionier Mitja 3
Matthias Löffelehen 158 Pippi Langstrumpf 43, 55, 81
Max und Moritz 14 Pitti(platsch) 151, 158, 162, 164
Maxifant und Minifant 80 Pongo und Perdita 41
Mecki 17, 24, 25, 39, 177
Popeye 14
Mein kleines Pony 19, 22, 66,
Poppies 113
104, 115, 172, 178
Prinz Achmed 3 7
Meine Schwester Klara 69
Prinz Eisenherz 15, 16,26
MeisterEder 47, 48, 82
Professor Flimmrich 158
Meister Nadelöhr 158
Professor Pechmann 15
MickyMaus (Mickey Mouse) Pünktchen und Anton 29, 41
14, 15, 16, 19, 21, 103, 116, Pumuckl 47, 48,66, 67, 69, 82,
130,162, 163, 165, 177 97, 178, 184
Mimmelitt 151 Pussy 18
Minnie Maus 22
Miß Magie Hair 113 Räuber Hotzenplotz 44, 116
Miß Piggie 34 Rattenfängervon Hameln 37

197
Regina Regenbogen 22, 65, 70, Super Mario 178, 179
104, 175, 179 Superkater 86
Rias-Kinder 55 Superman(n) 15, 18, 26
Rin Tin Tin 38, 174 Susi und Strolch 101
Roadrunner 79
TanteJo 55
Robbi, Tobbi und das
tapferes Schneiderlein 153
Fliewatüüt 82
Tarzan 15, 41, 79, 165
Robin Hood 41, 168
Tecumseh 154
Roger Rahbit 49
Teddy(bär) 111,113,140,177,
Rotkäppchen 63, 110,145,151
180
Rübezahl 37
Teenage Mutant Hero Turtles
Sams 33 19, 21, 67, 70, 86, 97, 103,
Samson 34 115,118,119,175,178,179
Sandmann 63, 148, 158, 162 Texas Rangers 78
Schlümpfe 18, 84, 85 Thundercats 20
Schneekönigin 144 Tibor 16
Schneeweißehen und Rosenrot Till Eulenspiegel 72
30, 153 Tim und Struppi 20, 22
Schneewittchen 182 Timur 145
Schnorchels 65 Tinko 146
Schredder 70 TKKG 48, 65, 67,70
Schuhu 57 Tom Mix 38, 174
Schweinchen Dick 23, 79, 97, Tom Sawyer 145
112 Tom &Jerry 20, 21, 84, 85, 87,
6-Millionen-Dollar-Mann 87 118
Seppl 174 Transformers 22, 86, 115, 119,
Shadow 174 172
She-Ra 120 Tschetan 43
SheriffTeddy 153 Tweety und Sylvester 79
Sigurd 16
Vanessa 20, 22
Sirnon & Sirnon 160
Vater und Sohn 15
Simpsons 69, 87, 118, 130, 179
Sindbad 85 Weihnachtsmann 155
Skeletor 115, 123 Weitspähender Falke 167
Söhnedergroßen Bärin 154,164 Wendy 19,22,70
Spatz vom Wallraffplatz 79 Waldo 69
Spencer 8 Wummy 6
Spiderman (Spinne) 18, 86
Yakari 18
standhafter Zinnsoldat 151
Yellow Kid 14
Stingray 87
Yogi Bär 17, 84
Struwwelpeter 14, 94
Sumsi 25 Zorro 41

198
Angaben zum Autor

Horst Heidtmann, geh. 1948, ist Professor für Neue Medien


und Kinder- und Jugendliteratur an der Fachhochschule für Bi-
bliothekswesen Stuttgart, Veröffentlichungen zu Kinderlitera-
tur und Medien, sowie zur DDR-Literatur, Redakteur der Zeit-
schrift »Informationen Jugendliteratur und Medien I Jugend-
schriften-Warte«.

199
Sammlung Metzler

Mediävistik
SM 7 Hoffmann, Nibelungenlied
SM 14 Eis, Mittelalterliche Fachliteratur
SM 15 Weber, Gottfried von Strasburg
SM 32 Wisniewski, Kudrun
SM 33 Soeteman, Deutsche geistliche Dichtung des 11. und 12.]h.
SM 36 Bumke, Wolfram von Eschenbach
SM 40 Halbach, Watthervon der Vogelweide
SM 64 Hoffmann, Altdeutsche Metrik
SM 67 von See, Germanische Verskunst
SM 72 Düwel, Einführung in die Runenkunde
SM 78 Schier, Sagaliteratur
SM 103 Sowinski, Lehrhafte Dichtung des Mittelalters
SM 135 Kartschoke, Altdeutsche Bibeldichtung
SM 140 Murdoch/Groseclose, Die althochdeutschen poetischen Denkmäler
SM 151 Haymes, Das mündliche Epos
SM 205 Wisniewski, Mittelalterliche Dietrich-Dichtung
SM 244 Schweikle, Minnesang
SM 249 Gottzmann, Anusdichtung
SM 253 Schweikle, Neidhart

Deutsche Literaturgeschichte
SM 6 Schlawe, Literarische Zeitschriften 1898-1910
SM 24 Schlawe, Literarische Zeitschriften 1910-1933
SM 25 Anger, Literarisches Rokoko
SM 47 Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung
SM 68 Kimpel, Der Roman der Aufklärung (1670-1774)
SM 75 Hoefert, Das Drama des Naturalismus
SM 81 Jost, Literarischer ]ugendstü
SM 128 Meid, Der deutsche Barockroman
SM 129 King, Literarische Zeitschriften 1945-1970
SM 142 Ketelsen, Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literatur in Deutsch-
land 1890-1945
SM 144 Schutte, Lyrik des deutschen Naturalismus (1885-1893)
SM 157 Aust, Literatur des Realismus
SM 170 Hoffmeister, Deutsche und europäische Romantik
SM 174 Wilke, Zeitschriften des 18.]h.I: Grundlegung
SM 175 Wilke, Zeitschriften des 18.]h.II: Repertorium
SM 209 Alexander, Das deutsche Barockdrama
SM 210 Krull, Prosa des Expressionismus
SM 225 Obenaus, Lit. und politische Zeitschriften 1830-1848
SM 227 Meid, Barocklyrik
SM 229 Obenaus, Lit. und politische Zeitschriften 1848-1880
SM 234 Hoffmeister, Deutsche und europäische Barockliteratur
SM 238 Ruß-Michel, Lit. und politische Zeitschriften des Exüs 1933-1945
SM 241 Mahoney, Der Roman der Goethezeit
SM 247 Cowen, Das deutsche Drama im 19.]h.
SM 250 Korte, Geschichte der deutschen Lyrik seit 1945
Gattungen
SM 9 Rosenfeld, Legende
SM 12 Nagel, Meistersang
SM 16 Lüthi, Märchen
SM 52 Suppan, Volkslied
SM 53 Hain, Rätsel
SM 63 Boeschenstein-Schäfer, Idylle
SM 66 Leibfried, Fabel
SM 77 Straßner, Schwank
SM 85 Boerner, Tagebuch
SM 101 Grothe, Anekdote
SM 116 Guthke, Das deutsche bürgerliche Trauerspiel
SM 133 Koch, Das deutsche Singspiel
SM 145 Hein, Die Dorfgeschichte
SM 154 Röhrich/Mieder, Sprichwort
SM 155 Tismar, Kunstmärchen
SM 164 Siegel, Die Reportage
SM 166 Köpf, Märendichtung
SM 172 Würffel, Das deutsche Hörspiel
SM 177 Schlütter u. a., Sonett
SM 191 N usser, DerKriminalroman
SM 200 Freund, Die literarische Parodie
SM 208 Pricke, Aphorismus
SM 214 Selbmann, Der deutsche Bildungsroman
SM 216 Marx, Die deutsche Kurzgeschichte
SM 226 Schulz, ScienceFiction
SM 232 Barton, Das Dokumentartheater
SM 248 Hess, Epigramm
SM 256 Aust, Novelle
SM 257 Schmitz, Das Volksstück
SM 260 Nikisch, Brief
SM 262 Nusser, Trivialliteratur
Autorinnen und Autoren
SM 60 Fehr,]eremias Gotthelf
SM 65 Guthke, Gotthold Ephraim Lessing
SM 71 Helmers, Wühelm Raabe
SM 76 Mannack, Andreas Gryphius
SM 80 Kully,]ohann Peter Hebel
SM 84 Boeschenstein, Gottfried Keller
SM 90 Winkler, Stefan George
SM 92 Hein, Ferdinand Raimund
SM 94 Könneker, Hans Sachs
SM 96 van lngen, Phitipp von lesen
SM 97 Asmuth, Daniel Casper von Lohenstein
SM 99 Weydt, H.]. Chr. von Grimmeishausen
SM 102 Fehr, Conrad Ferdinand Meyer
SM 105 Prange!, Alfred Döblin
SM 107 Hoefert, Gerhart Hauptmann
SM 113 Bender,]. ]. Bodmerund ]. ]. Breitinger
SM 114 Jolles, Theodor Fontane
SM 115 Foltin, Franz Werfe!
SM 124 Saas, Georg Trakt
SM 131 Fischer, Kar! Kraus
SM 134 Christiansen, Fritz Reuter
SM 138 Dietz, Pranz Kafka
SM 143 Jörgensen,Johann Georg Hamann
SM 153 Schneider, Annette von Droste-Hülshoff
SM 156 Steiner, Georg Forster
SM 159 Knapp, Georg Büchner
SM 163 Pape, Wilhelm Busch
SM 171 Peter, Friedrich Schlegel
SM 173 Petersen, Max Frisch
SM 178 Paul, August Strindberg
SM 179 Neubaus, Günter Grass
SM 180 Bamouw, Elias Canetti
SM 185 Paulin, Ludwig Tieck
SM 186 Naumann, Adalbert Stifter
SM 189 Haupt, Heinrich Mann
SM 195 Schrimpf, Kar/ Phitipp Moritz
SM 196 Knapp, Friedrich Dürrenmatt
SM 197 Schulz, Heiner Müller
SM 201 Kaempfer, Ernstjünger
SM 203 Korte, Georg Heym
SM 207 Wehdeking, Alfred Andersch
SM 211 Hansen, Thomas Mann
SM 213 Riley, Clemens Brentano
SM 215 Wackwitz, Friedrich Hölderlin
SM 218 Renner, Peter Handke
SM 221 Kretschmer, Christian Morgenstern
SM 223 Dietschreit!Henze-Dietschreit, Hans Magnus Enzensberger
SM 224 Hilzinger, Christa Wolf
SM 230 Vincon, Frank Wedekind
SM 231 Lowsky, Kar/ May
SM 233 Winter,]akob Michael Reinhold Lenz
SM 237 Mayer, Eduard Mörike
SM 239 Perlmann, Artbur Schnitz/er
SM 240 Wichmann, Heinrich von Kleist
SM 242 Bartsch, lngeborg Bachmann
SM 243 Kaiser, E. T. A. Hoffmann
SM 245 Dietschreit, Lion Feuchtwanger
SM 254 Späth, Rolf Dieter Brinkmann
SM 258 Hein,]ohann Nestroy
SM 261 Sammons, Heinrich Heine

Einführungen, Methodenlehre
SM 1 Raabe, Einführung in die Bücherkunde zur dt.Literaturwissenschaft
SM 13 Bangen, Die schriftliche Form germanistischer Arbeiten
SM 28 Frenzel, Stoff-, Motiv- und Symbolforschung
SM 41 Hermand, Literaturwissenschaft und Kunstwissenschaft
SM 59 Behrmann, Einführung in die Analyse von Prosatexten
SM 79 Weber-Kellermann/Bimmer, Einführung in die Volkskunde/Europäische
Ethnologie
SM 112 Schlawe, Neudeutsche Metrik
SM 148 Grimm u. a., Einführung in die frz. Lit.wissenschaft
SM 183 Schwenger, Literaturproduktion
SM 188 Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse
SM 190 Zima, Textsoziologie
SM 194 Reese, Literarische Rezeption
SM 217 Schutte, Einführung in die Literaturinterpretation
SM 235
217 Paech, Literatur und Film
SM 246
263 Eagleton, Einführung in die Literaturtheorie
SM 263
259 Schönau, Einf i. d. psychoanalytische Lit.wissenschaft
SM 263
263 Sowinski, Stilistik

Sprachwissenschaft
SM 72 Düwel, Einführung in die Runenkunde
82 Reichmann, Germanistische Lexikologie
SM 104
SM 104 Heike, Phonologie
167 Ebert, Historische Syntax des Deutschen
SM198
SM 198 Pilz, Phraseologie
219 Apel, Literarische Obersetzung
SM 206
219 Lutzeier, Linguistische Semantik
SM 263
263 Glück/Sauer, Gegenwartsdeutsch
SM 252

Philosophie
SM143
141 Pranzen, Martin Heidegger
SM 143 Jörgensen,]ohann Georg Hamann
SM 143
168 Bernstein, Die Literatur des deutschen Frühhumanismus
SM 182 Helferich, G. W. Fr. Hege/
SM 182
184 Naumann, Literaturtheorie und Geschichtsphilosophie I
SM 187 Ollig, Der Neukantianismus
SM 193 Wolf, Martin Luther
SM 202 Bayertz, Wissenschaftstheorie und Paradigma-Begriff
SM 202
220 Gmünder, Kritische Theorie
SM 263
222 Schmidt, Ernst Bloch
SM 251 Jung, Georg Lukacs
SM 264 Ries, Kar/ Löwith
SM 267
265 Pieger, Vorsokratiker
SM267
266 Horster, Jürgen Habermas
SM 267 Buchheister/Steuer, Ludwig Wittgenstein
SM 268
268 Vattimo, Friedrich Nietzsche
SM 268
269 Schöttker, Walter Benjamin

Romanistik und andere Philologien


SM 119 Hoffmeister, Petrarkistische Lyrik
SM 146 Daus, Zola und der französische Naturalismus
SM 147 Daus, Das Theater des Absurden
SM 148 Grimm u. a., Einführung in die frz. Lit.wissenschaft
SM 148
161 Brockmeier, Francais Viiion
SM 162 Wetze!, Die Romanische Novelle
SM 162
170 Hoffmeister, Deutsche und europäische Romantik
SM 170
176 Hausmann, Francais Rabelais
SM176
177 Schlütteru.a., Sonett
SM 204
177 W eissberg, Edgar Al/an Poe
SM 263
212 Grimm, Moliere
SM 263
234 Hoffmeister, Deutsche und europäische Barockliteratur

J. B. Metzler

Das könnte Ihnen auch gefallen