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Elke Nyssen
Die Westdeutsche
Frauenfriedensbewegung

„Also, der Kampf der Frauen um den Frieden, der ist nicht abgerissen. Der mag vielleicht etwas
abgeklungen sein in seiner Stärke, aber er ist immer wieder geführt worden und eigenartigerweise
- es ist für uns Frauen symptomatisch, daß gerade wir uns für diesen Frieden einsetzen und den
Kampf aufgenommen haben gegen den Krieg. (...) Und ich kann Ihnen versichern, wenn ich dieses
Leben nicht mit dem Einsatz im Kampf für den Frieden gelebt hätte, dann wäre es für mich heute
sinnlos gewesen." (T.H., Jg. 1906, aktiv in der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung, in einer
Seminardiskussion an der Universität Dortmund, 1984)'

Die Geschichte der Frauenfriedensbewegung ist bisher nicht geschrieben worden. Vor
allem die Frauenfriedensbewegung Ende der 40er und in den 50er Jahren blieb historisch
weitgehend unerforscht. 2 Im Alltagsbewußtsein und zum größten Teil auch in den
Sozialwissenschaften und in der Geschichtswissenschaft herrscht über die 50er Jahre die
Vorstellung über Frauen vor, die sich nach den Anstrengungen um das Überleben nach
1945 stillschweigend an Heim und Herd zurückgezogen haben. 3 Diese Vorstellung negiert
die Widerstände von Frauen gegen ihre Vereinnahmung durch eine herrschende Politik,
die sich schlagwortartig mit den Begriffen „Wiederherstellung von Kapitalismus und
Patriarchalismus, Wirtschaftswunder, Blockdenken, Antikommunismus und Wieder-
aufrüstung" charakterisieren läßt.
In diesem Beitrag soll versucht werden, die Geschichte der Frauenfriedensbewegung in
den 50er Jahren am Beispiel der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung (WFFB) zu
rekonstruieren. Neben der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung sind vor allem noch
der Demokralische Frauenbund Deutschlands (DFB), - er wurde im Zusammenhang mit
der KPD 1957 verboten - , die Internationale Frauenföderation fIDFF) und die
Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) bekannt geworden.
In diesem Beitrag kann es nicht darum gehen, das Verhältnis der verschiedenen
Frauenfriedensgruppierungen zueinander und ihr Verhältnis zur Friedensbewegung
insgesamt zu analysieren. Ich beschränke mich auf die Darstellung der Westdeutschen
Frauenfriedensbewegung. Diese wurde deshalb ausgewählt, weil sie, soweit die heutige
Forschungslage Rückschlüsse bereits erlaubt, von Frauen unterschiedlicher politischer
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und weltanschaulicher Richtungen getragen wurde und damit vielen heutigen Frauenfrie-
densgruppen vergleichbar ist.
Die vorliegende Rekonstruktion der friedenspolitischen Aktivitäten basiert auf
folgenden Quellen:
1. Aufarbeitung von Zeitschriftenaufsätzen, Flugblättern und veröffentlichten Erinnerun-
gen von Frauen der Frauenfriedensbewegung.4
2. Bericht einer Zeitzeugin (T.H.), die der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung von
ihren Anfangen bis zum Ende angehörte.
3. Gespräch mit einer Frau (K.I.), die als sehr junge Frau in der Westdeutschen
Frauenfriedensbewegung gearbeitet hat, und deren Leben exemplarisch die Verwoben-
heit von Zeitgeschichte und individueller Geschichte verdeutlicht.
Während ich an diesem Beitrag arbeite (Juli 1984), findet in Dortmund die
internationale Zukunftswerkstatt der heutigen Frauenfriedensbewegung unter dem Motto
statt „ABRÜSTEN - LEBEN - BEFREIEN". In Ost-Berlin versammeln sich Frauen zu
einer Friedenswerkstatt, in Turin zu einem Friedenscamp und in Tokio zu einer
Großdemonstration. 5 Diese Gleichzeitigkeit ist kein Zufall. Benjamin hat während des
Faschismus darauf aufmerksam gemacht, daß die Besinnung auf Vergangenes mit Krisen-
und Umbruchsituationen in der Gegenwart verknüpft ist.
„ Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen ,wie es denn eigentlich gewesen ist'.
Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt

Dieser Beitrag versteht sich nicht als historische Spurensicherung, sondern als erste
Spurenstiche, da nicht alles Material zugänglich war.
Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung geht zurück auf die Initiative Einzelner.
Prof. Dr. Klara Maria Faßbinder, Henriette Rühle (Zentrum), Marial Deku (CSU), Maria
Ehlen u.a. christlich orientierte Frauen luden im Oktober 1951 ein nach Velbert/Rhein-
land zum Kongreß der Frauen und Mütter für den Frieden. Geplant als Treffen
christlicher Frauen, kamen jedoch Frauen unterschiedlicher politischer und religiöser
Weltanschauungen, die sich in ihrem friedenspolitishen Engagement und in ihrer
grundsätzlichen Ablehnung der Wiederaufrüstung einig waren, darunter auch Kommuni-
stinnen. „In Velbert wurde etwas ins Leben gerufen, was von vielen erstrebt, aber noch
nicht durchgeführt worden war Die breite Front aller Frauen als Hüterinnen des Lebens,
unbeschadet ihrer politischen, religiösen und sonstigen Anschauungen." 7
Welches war der politische Hintergrund für das friedenspolitische Engagement der
Frauen von der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung? Wenngleich die Entwicklung
zur Wiederaufrüstung und Atombewaffnung der Bundesrepublik und die Ursachenzu-
schreibung für die endgültige Teilung Deutschlands unter Fachwissenschaftlem bis heute
umstritten sind, lassen sich in aller Knappheit doch folgende Fakten festhalten: Die
Menschen in Deutschland und Europa litten immer noch unter den Zerstörungen durch
den 2. Weltkrieg und den Faschismus, als Adenauer im Dezember 1948 den ehemaligen
General Speidel beauftragte, „ein Memorandum auszuarbeiten über die vergleichsweise
Zusammensetzung der europäischen Armeen und darüber, was die Verbündeten eines
schönen Tages von uns fordern könnten." 8 Im August 1950 betonte Adenauer in einem
Interview mit der New York Times die „Notwendigkeit deutscher Verteidigungspläne".
In diesem Zusammenhang trat der erste Innenminister der Bundesrepublik Deutschland,
Gustav Heinemann, der die Wiederaufrüstung strikt ablehnte, von seinem Amt zurück.
Ebenfalls 1950 wurde das sogenannte „Amt Blank" gegründet, dessen Aufgabe es war,
Fragen der Wiederaufrüstung zu klären. 1952 lehnten die USA und die Bundesregierung
das Angebot der UdSSR nach freien und geheimen Wahlen für ganz Deutschland ab. Im
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Oktober 1954 wurden die Pariser Verträge im Bundestag beschlossen und damit der
Beitritt der Bundesrepublik zur NATO und die endgültige Wiederbewaffnung.
Die Pariser Verträge traten am 5.5.1955 in Kraft. Damit verpflichtete sich die
Bundesrepublik allerdings, selbst keine ABC-Waffen herzustellen. Die Reaktion der
Sowjetunion auf die Pariser Verträge bestand in der Annulierung des britisch-
sowjetischen und des französisch-sowjetischen Beistandsvertrages am 7.5.1955 und der
Unterzeichnung des Warschauer Paktes am 14.5.1955. Im Oktober 1955 wurde das
Atomministerium unter Führung von Franz Josef Strauß gegründet. Im Juli 1956 beschloß
der Bundestag die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Im März 1958 beschloß der
Bundestag mit den Stimmen der Regierungsparteien die Aufrüstung der Bundeswehr mit
Atomwaffen unter NATO-Kommando. 9
Gegen diese stufenweise Aufrüstung der Bundesrepublik, die gleichzeitig die Integration
in die NATO und das westliche Bündnis beinhaltete und damit die Wiedervereinigung
beider deutscher Staaten erschwerte, gab es vielfaltige Protestbewegungen. Am bekannte-
sten geworden sind die Ohne-mich-Bewegung, die Volksbefragungsbewegung 1951 und
1958, die Paulskirchenbewegung, die Kampf-dem-Atomtod-Bewegung und schließlich
die Ostermärsche. Die Frauen der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung beteiligten
sich an den Protesten der Friedensbewegung, sie verstanden sich jedoch von Beginn an als
eigenständige und unabhängige Gruppierung von Frauen, die sich von keiner Partei oder
Weltanschauung vereinnahmen ließen. Ihre Ziele artikulierten die Frauen folgenderma-
ßen:
„Damals wollten wir mithelfen, die Aufrüstung zu verhindern. Es erschien uns unfaßbar, daß man
nur sechs Jahre nach Beendigung des furchtbaren 2. Weltkrieges wieder eine deutsche Armee
schaffen wollte. Wir hielten die Wiederaufrüstung für ein nationales Unglück und befürchteten zu
Recht, daß sie die Spaltung unseres Vaterlandes vertiefen würde. Wir aber wollten zur Annäherung
der Deutschen beitragen und Schritte zur Wiedervereinigung tun. Wir gingen davon aus, daß wir
in einer .pluralistischen' Welt leben, die nur weiter bestehen kann, wenn wir lernen, andere Ansichten
zu kennen, zu respektieren oder wenigstens zu tolerieren. Wir sahen es als unsere Aufgabe an, die
unpolitischen Frauen an die Politik heranzuführen, ihnen zu richtigen Erkenntnissen zu verhelfen
und sie zu staatsbürgerlichem Handeln zu bewegen, die Frauen also aus dem engen Raum ihrer
häuslichen Verpflichtungen hinauszufuhren. "w

Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung war keine Partei und keine Organisation, in


der eine Frau Mitglied werden konnte und in der Beiträge bezahlt wurden. Jede Frau, sei
sie Christin oder Kommunistin, Mitglied der CDU, SPD oder KPD, konnte mitarbeiten,
sofern ihr Ziel die Verhinderung der Wiederaufrüstung war. und sie die Westdeutsche
Frauenfriedensbewegung nicht zu parteipolitischen Zwecken mißbrauchte. Dieser
innenpolitischen Offenheit korrespondierte außenpolitisch das Bemühen um Überwin-
dung des Denkens in weltpolitischen Blöcken, hier der Westen, dort der Osten, und die
Bereitschaft zur unvoreingenommenen Auseinandersetzung und zur Verständigung aller
Länder. Dem entsprach, daß die Frauen von der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung
Kontakt hielten zu Frauen aus den USA, der Sowjetunion, der DDR, England, Frankreich
u.a. Dieses Denken in Toleranz führte in Zeiten des Antikommunismus und des „Kalten
Krieges" immer wieder zum Vorwurf, die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung sei
kommunistisch unterwandert (s.u.).
Der innen- und außenpolitischen Offenheit der Westdeutschen Frauenfriedensbewe-
gung entsprach auch ihre Struktur. Über die Organisation und Arbeit der Westdeutschen
Frauenfriedensbewegung berichtet Elly Steinmann:
„In allen Bundesländern gab es Arbeitskreise und örtliche Gruppen, die selbständig arbeiteten. Die
Frauen organisierten Vortragsabende, Versammlungen, machten Infostände und Flugblattaktio-
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nen, Basare und Kulturveranstaltungen, sammelten Unterschriften gegen die Atomgefahr, gegen
Notstandsgesetze und Notdienst fiir Frauen, fiirfriedliche Koexistenz und Völkerverständigung. Auf
Landesebene gab es entweder eine Vorsitzende oder einen kleinen Arbeitskreis; von dort aus wurde
die Verbindung zwischen den Gruppen aufrechterhalten, um Erfahrungen auszutauschen und
Treffen von Vertreterinnen der Gruppen vorzubereiten oder auch größere gemeinsame Aktionen zu
planen. Wir hatten ein von den Frauen gewähltes Präsidium und eine geschäftsführende Leitung,
deren Aufgabe es war, den Erfahrungsaustausch auch auf Bundesebene zu gewährleisten,
internationale Kontakte zu halten, Öffentlichkeitsarbeit zu machen und die Zeitschrift .Frau und
Frieden' herauszugeben (...) sowie große Veranstaltungen und Demonstrationen in der Bundesre-
publik und international zu organisieren. Die Arbeit konnte nur geleistet werden, weil viele Frauen
mit viel Engagement in der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung mitgemacht haben.""

Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung kannte keine Satzung und keinen hierarchi-


schen Aufbau, sondern war dezentral in Frauenfriedensgruppen vor Ort strukturiert.
Damit war auch die Gefahr der Zentralisierung und Bürokratisierung gebannt. Es bestand
ein Netzwerk von Frauenfriedensgruppen, die zusammengehalten wurden durch die
Zeitschrift Frau und Frieden.
Frau und Frieden erschien monatlich unter ständiger Mitarbeit von Prof. Dr. Klara
Maria Faßbinder, Maria Deku, ehemalige Landtagsabgeordnete der CSU in Bayern, Erna
Hinz-Vonthron, freie Schriftstellerin, Ingeborg Küster, Journalistin und Elly Steinmann,
Journalistin.
Frau und Frieden knüpft an die bürgerlich-humanistische und die antifaschistische
Tradition in Deutschland an. Es erscheinen Ausführungen von Kant, Goethe, Fichte,
Heine, Rilke u.a. zu Fragen der nationalen Einheit, Demokratie, Frieden und Krieg. In
vielen Artikeln wird der antifaschistischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfer
gedacht.
Frau und Frieden kommentiert innen- und außenpolitische Ereignisse, berichtet über
Maßnahmen zur Wiederaufrüstung, über politische Verfolgung, Notstandsgesetzgebung
u.a. In den mir vollständig vorliegenden Jahrgängen 1952 bis 1956 steht häufig die
Auseinandersetzung mit den sowjetischen Vorschlägen zur Wiedervereinigung im
Vordergrund. Diese werden .kritisch' ernstgenommen, wobei an die Bundesregierung
appelliert wird, diese Vorschläge ebenfalls einer kritischen und nicht von vornherein
ablehnenden Prüfung zu unterziehen. Breiten Raum nimmt die Berichterstattung über
friedenspolitische Aktivitäten, wie Demonstrationen, Versammlungen, Vorträge, Basare
und ähnliches der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung und anderer nationaler und
internationaler Friedensgruppen ein. Protestresolutionen von Berufsgruppen, Verbänden
und einzelnen Persönlichkeiten gegen die Wiederaufrüstungspolitik der Bundesregierung
werden abgedruckt.
Frau und Frieden berichtet über politische und juristische Verfolgung der Westdeut-
schen Frauenfriedensbewegung und anderer Organisationen, enthält Reiseberichte, in
denen Frauen ihre Eindrücke aus westlichen und sozialistischen Ländern und Ländern der
„Dritten Welt" schildern.
„Informiert wurde über die Situation in Spanien, Griechenland, Vietnam, im Nahen Osten, in
Brasilien, Chile und Südafrika. In den über 20 Jahrgängen von Frau und Frieden findet man
Interviews mit Politikern, z.B. mit Polens Außenminister Rapacki, mit dem Nobelpreisträger Linus
Pauling, mit Valentina Tereschkowa, mit dem Ehepaar Myrdal, Coretta King, Jane Fonda oder mit
dem vietnamesischen Beauftragten für die Friedensverhandlungen im Vietnamkrieg, Le Duc
Tho."'2

Frau und Frieden erschien von 1952 bis 1974 in einer Auflage von 5.000 bis 7.000
Exemplaren. 13
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Die Geschichte der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung ist jedoch nicht nur die
Geschichte des Kampfes gegen die Wiederaufrüstung, um den Frieden und für gegenseitige
Tolerierung von Ländern unterschiedlicher ökonomischer und politischer Struktur. Ihre
Geschichte ist begleitet von einer ständigen Auseinandersetzung mit den permanenten
Angriffen, kommunistisch unterwandert zu sein.14 Dies hatte praktische Folgen:
Hausdurchsuchungen, Polizeiüberwachung, Diffamierungen. Die Zeitschrift Mädchen-
bildung und Frauenschaffen veröffentlicht folgende Meldung im Jahr 1954:
„Kommunistische Tarnorganisationen von Frauen in der Bundesrepublik.
Aus der langen Liste der kommunistischen Tarnorganisationen in der Bundesrepublik, die im
August 1953 erschienen ist, veröffentlichen wir im folgenden die Namen einiger Frauenorganisatio-
nen. Die Schriftleitung hat inzwischen erfahren, daß die .Deutsche Gemeinschaft zum Schutze der
Kinder', über die ein Bericht in unserer Februarnummer erschienen ist, ebenfalls in enger
Verbindung mit den Organisationen der Sowjetzone steht."
Es folgt die Aufzählung der sog. kommunistischen Tamorganisationen:
„Arbeitsgemeinschaft der Frauen und Mütter gegen Remilitarisierung. Bayrische Frauenfriedens-
bewegung. Demokratischer Frauenausschuß Deutschlands. Demokratischer Frauenbund
Deutschlands (DFD). Hamburger Arbeitsgemeinschaft der Frauen und Mütter. Internationale
Frauen-Föderation (IDFF). Internationale Frauenliga fiir Frieden und Freiheit (IFFF). Kampfge-
meinschaft der Mütter gegen Remilitarisierung. Vorbereitender Ausschuß fiir den Internationalen
Frauentag. Vorbereitender Ausschußfür den Frauen-Friedenstag. Westdeutsche Frauenfriedensbe-
wegung"
Letztere protestiert dagegen. Die Zeitschrift Mädchenbildung und Frauenschaffen
antwortet auf diesen Protest:
„ Wir hatten die Namen der genannten Organisationen der uns vom Politischen Archiv Berlin
Grunewald Bismarckpl. zugestellten Listen vom August 1953 entnommen. Die Proteste haben wir
an das Politische Archiv weitergeleitet. Herausgeberin und Schriftleitung bedauern, wenn in diese
Liste Organisationen fälschlich aufgenommen worden sind".'6
In Frau und Frieden erscheint 1954 folgender Brief des Bayerischen Staatsministeriums
vom 27.9.54 an Frau Maria-Theresia Putz, Eva von Bredow, Mira von Kühlmann:
„Betreff: Verfassungsfeindliche Organisation Bayer. Frauenfriedensbewegung
Zu den Schreiben vom 11.6. und 1.7.1954. Im Nachgang zur ME vom 27.7.1954 Nr. 1 C 4 - 2015-
16-21 wird mitgeteilt, daß die „Bayerische Frauenfriedensbewegung" nunmehr aus der Liste der
verfassungsfeindlichen Organisationen gestrichen worden ist."17
Diese drei Meldungen sind exemplarisch. Der Staat erklärt die Westdeutsche Frauenfrie-
densbewegung zur kommunistischen Tarnorganisation und für verfassungswidrig, diese
protestiert und der Vorwurf wird zurückgenommen.
Am bekanntesten ist das Verbot der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung 1956
durch das Land Rheinland-Pfalz und der viereinhalbjährige Prozeß, der mit den
Rechtsanwälten Dr. Gustav Heinemann und Dr. Dieter Posser gegen das Land Rheinland-
Pfalz geführt und gewonnen wurde.18 In der Urteilsverkündung heißt es:
„Zweck und Tätigkeit der Klägerin waren und sind nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung
gerichtet. Die Beweisaufnahme hat [jedoch] keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Klägerin
eine kommunistische Tarnorganisation ist oder gewesen ist. f...].
Der Kampf gegen die Wiederaufrüstung und auch der Einsatz fiir eine Volksbefragung richteten
sich nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Zwar standen diese Äußerungen mit der Politik
der Bundesregierung nicht im Einklang. Aber es ist das gute und verfassungsmäßig verbürgte Recht
eines jeden Staatsbürgers, eine davon abweichende Auffassung zu vertreten. Es entspricht vielmehr
dem von der Klägerin vertretenen Standpunkt, zur Erhaltung und Bewahrung des Friedens mit allen
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Personen zusammenzuarbeiten, gleich welchen Standes, welcher Rasse, Religion, politischen


Überzeugung und Weltanschauung sie ist. Diesen Standpunkt hat die Klägerin auch hinsichtlich der
Friedensorganisationen konsequenterweise durchgefiihrt".19
Dennoch: die Frauen der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung blieben vielfaltigen
Diffamierungen ausgesetzt. Bekannt ist, daß Klara Maria Faßbinder vorzeitig in den
Ruhestand versetzt wurde und der damalige Bundespräsident Lübke es ablehnte, seine
Zustimmung zur Verleihung des französischen Ordens „les palmes académiques" an Frau
Faßbinder zu erteilen. 20
Unerforscht sind bis heute die vielen Verleumdungen, Angriffe, Schwierigkeiten, die die
einzelnen Frauen vor Ort hatten. 21 Der in der Öffentlichkeit ständig vorgetragene
Vorwurf, die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung sei kommunistisch unterwandert,
hatte zur Konsequenz, daß die Zusammenarbeit mit anderen Frauenverbänden, die sich
gleichfalls gegen Wiederaufrüstung und Atombewaffnung wandten, erschwert und
behindert wurde. 22
Zu Zeiten des „Kalten Krieges" und des Antikommunismus gerieten viele Gruppierun-
gen in den Verdacht, kommunistisch unterwandert zu sein. Die Westdeutsche Frauenfrie-
densbewegung hat sich gegen diese Diffamierung gewehrt und gegen ihr Verbot geklagt,
sie hat sich jedoch nicht von den Kommunistinnen, die in ihr mitarbeiteten, distanziert.
Sie hat den blinden Anti-Kommunismus der 50er Jahre abgelehnt und bekämpft. Nicht
die Parteizugehörigkeit der Frauen war entscheidend, sondern allein ihr friedenspoliti-
sches Engagement. Im folgenden soll gefragt werden, wie die Arbeit der Westdeutschen
Frauenfriedensbewegung vor Ort aussah, und wie sie von den Frauen wahrgenommen
wurde. Ich habe mir von zwei Frauen berichten lassen.

Zwei Zeitzeuginnen berichten


T. H., heute 78 Jahre alt, und K. I., heute 50, habe ich im Zusammenhang der heutigen
Friedensbewegung kennengelernt. T. H. berichtet in einzelnen Friedensgruppen von ihrem
und ihrer Freunde Arbeit für den Frieden, der in den zwanziger Jahren begann und heute
noch fortdauert. K. I. begegne ich häufig bei Diskussionen, Demonstrationen und
Friedensfesten. Beide stehen sie für die Kontinuität des Kampfes der Frauen für den
Frieden und für die Unermüdlichkeit und den Mut, sich ein Leben lang für das als richtig
Erkannte einzusetzen. Hierin manifestiert sich die Sinnhaftigkeit ihres jeweiligen
Frauenlebens. T. H. berichtete im Sommer 1984 in dem Seminar „Soziale und
friedenspolitische Bewegungen nach 1945" an der Universität Dortmund vor Studentin-
nen und Studenten über die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung. Aus der Situation des
Seminars ergibt sich, daß T. H. wenig über ihr persönliches Leben erzählt. Was fühlte T.
H., als bereits wenige Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges an Wiederaufrüstung der
Bundesrepublik gedacht, von ihr gesprochen, sie geplant wurde? Wie reagierte sie?
„Ich war empört, ich war einfach empört und ich habe gesagt, wir müssen jetzt etwas tun [...].
Wir haben einfach gesagt, hier muß etwas geschehen. Wir wollen etwas erreichen. Es darf kein
Krieg wieder werden. Und das ist vielleicht auch nur daraus zu erklären, daß wir diesen verlorenen
Krieg noch so vor Augen hatten. Es lag ja noch alles in Schutt und Trümmern. Und die Frauen
kochten z.B. in Stahlhelmen. [...] Es war zuviel, was wir bereits erlebt hatten, und deswegen war der
Widerstand so sehr groß. Und es war eine breite Bevölkerungsschicht, die immer wacher wurde.
Während im Anfang nach 1945 f...] die Bevölkerung doch sehr apathisch war. Der Druck-einmal
der physische Druck, das dauernde In-den-Keller-Rennen - aber auch der psychische Druck, lastete
noch sehr stark auf uns. Wir hatten viel, viel Mühe. Ich weiß, daß wir von Versammlung zu
Versammlung [Frauen- Versammlung} gegangen sind und den Frauen gesagt haben: Wir müssen
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etwas tun, wir müssen ja unseren Kindern helfen usw. Aber es war da sehr schwer. Während man
in den 50er Jahren doch hellhöriger wurde. Weil man da sah, wohin der Weg ging."
T. H. beteiligte sich an der „Ohne-uns-Bewegung" und der Volksbefragungsbewegung
1951 gegen die Wiederaufrüstung. Sie berichtet von dem Einsatz der Frauen bei der
Volksbefragung - „Und interessant ist, daß die Volksbefragung an sich fast nur von Frauen
ausgeführt worden ist", - von Verhaftungen von Frauen und von den Nöten von Müttern,
die ihre Kinder unversorgt zu Hause wußten.
„Aber die Frauen sind die ganze Nacht festgehalten und erst am anderen Morgen entlassen worden.
Und ich weiß, daß manche Frau dabei war, manche Mutler, z.B. eine Frau mit vier Kindern, die
sagte: .Lassen sie mich doch gehen, ich muß zu meinen Kindern'."
Vor diesem allgemeinen friedenspolitischen Engagement ist auch T. H.'s Arbeit in der
Westdeutschen Frauenfriedensbewegung zu sehen.
„Meine Arbeit lag in den 50er Jahren bei der Westdeutschen Frauen-Friedensbewegung. Diese hat
sich gebildet eben aufgrund dieser ganzen Entwicklung und zwar im Oktober 1951 in Velbert.
Einberufen wurde sie von Frau Prof. Faßbinder. Sie war Katholikin, ganz überzeugte Katholikin,
ein sehr liebenswerter Mensch, aber sie konnte auch sehr kratzbürstig sein. Und sie wurde manchmal
mit einem ironischen Unterton auch „Friedens-Klärchen" genannt. Schon 1945 ist sie in die
Sowjetzone gefahren, hat mit den Kommissaren der sowjetischen Besatzungsmacht Beziehungen
aufgenommen. Und sie war die erste Frau, die nach dem 2. Weltkrieg in die Sowjetunion gereist ist.
Also diese Frau - wenn Sie sie kennengelernt hätten - war sehr unermüdlich in ihrem Kampf um
den Frieden. Sie hatte im Hinterkopf und Vorderkopf nur Frieden. Was anderes kannte die Frau
gar nicht. Sie kannte nur den Frieden."
T. H. berichtet, daß bei der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung nur Frauen
zusammenkamen. Rückblickend ist sie der Ansicht, daß diese sich zu einseitig auf die
Frage des Friedens konzentriert hat und andere für die Gleichberechtigung relevante
Probleme wie § 218, Scheidungs- und Ehegesetzgebung u.a. vernachlässigt hat. „Aber da
stand für uns wirklich nur der Frieden."
Nach dem Friedenskongreß der Frauen und Mütter in Velbert stellte sich für die Frauen
die Aufgabe, die Frauenfriedensarbeit vor Ort aufzubauen. In Dortmund wurde die erste
Friedenskonferenz der Frauen im Freischütz 23 abgehalten, der Platz für 1.000 Frauen bot.
Die damalige Westdeutsche Frauenfriedensbewegung setzte sich vor allem aus Haus-
frauen, Arbeiterinnen, Verkäuferinnen und Angestellten zusammen. T. H. berichtet von
der Einsatzbereitschaft der Frauen und ihrer Lernfähigkeit.
„Ich muß sagen, das hat mich eigentlich stolz gemacht und mir vor allen Dingen das Bewußtsein
gegeben, daß es uns doch gelungen ist, bei diesen Frauen Reserven zu wecken."
Friedenspolitische Aktivitäten der Frauen als Lernprozeß heißt, Einmischung der Frauen
in das politische Zeitgeschehen und auch Rückwirkungen auf den Alltag der Frauen
durchzusetzen.
„Da hatten diese Frauen - da entsinne ich mich vor allem an eine Frau - manchen Kampf mit ihrem
Mann auszustehen, um eben zu unseren Gruppenabenden zu kommen oder zur Flugblattverteilung.
Ich weiß da von einer Frau, die kam immer mit Tränen in den Augen. Wir mußten sie erst trösten,
dann war es gut, dann ging sie mit, Flugblätter verteilen. Also es war schon schwierig. Sie hatte es
nicht leicht, f...] Von einer anderen Frau weiß ich z.B., die sagte zu ihrem Mann,Heute abend bin
ich dran, heute abend gehe ich, dann bleibst du zu Hause'. Also das waren wirklich alles Dinge, die
wir für uns - nun möchte ich sagen - akzeptieren müssen, daß es uns wirklich gelungen ist."
Von den vielen Aktivitäten der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung, an denen sie
teilgenommen hat, erwähnt T. H. die Demonstration in Bonn zwei Tage vor Unterzeich-
nung des Generalvertrages 1953, an der sich 1.600 Frauen beteiligten. Zahlreiche
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Protestresolutionen sind an Adenauer und andere Mitglieder der Regierung geschrieben


worden. In Genf haben die Frauen während der Verhandlungen zwischen den USA, der
UdSSR, England und Frankreich Mahnwachen abgehalten. 1952 fand eine Demonstra-
tion der „Frauen gegen die Wiederaufrüstung" statt, auf der Helene Wessel vor 1.500
Frauen gesprochen hat. 1964 rief die amerikanische Organisation Mütter für den Frieden
Frauen aus allen NATO-Ländern zu einem Protest gegen die Bildung einer Multinationa-
len Atomstreitmacht nach Den Haag auf. 1.400 Frauen bekundeten dort ihren
Friedenswillen mit Blumen. 1964 fand in Bonn ein Anti-Kriegsforum mit Frauen aus
England und mit einem anschließenden Fackelzug statt. U.a. nahmen Pastor Niemöller
und Klara Maria Faßbinder teil.
„ Und ich kann mich an ein Flugblatt [zum Muttertag, E.N.J erinnern, das war so ein kleines
Handblatt, darauf stand: Ein Hauch von Nerz, und wenn man das aufmachte, war aufgefiihrt, was
für diese Remilitarisierung an Geld ausgegeben wurde. Da war einmal diese Auffuhrung - die
A usgaben fiir die A ufrüstung- und auf der anderen Seite stand dann,, Was kann man dajur anderes
machen?" tisw. [...]"
T. H. schildert auch die Arbeit der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung vor Ort. Die
Dortmunder Frauen der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung trafen sich zunächst
einmal monatlich in der Mariengemeinde, die ihre Räume kostenlos zur Verfugung stellte.
Dies war insofern wichtig, weil die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung ja von
Spenden lebte. T. H. berichtet, daß die Frauen Geld sammelten, um ihre Aktivitäten
organisieren und finanzieren zu können. Die Frauen führten Gruppenabende und
Seminare durch zu Fragen der Friedenserziehung, zur Geschichte der Frauenbewegung,
zur Gesamtschulentwicklung. Dazu wurden auch Frauen aus dem Ausland eingeladen. Es
fanden Dichterlesungen mit Vertretern der Gruppe 61 und anderen Arbeiterdichtern statt.
Die Frauen nahmen Kontakt zu anderen Friedensgruppierungen auf. Hier nennt T. H.
vor allem die IDK (Internationale der Kriegstdienstgegner), die Evangelischen Kirchen-
kreise und die Gewerkschaften. Von den friedenspolitischen Aktivitäten in Dortmund in
den fünfziger Jahren erwähnt T. H. vor allem die Proteste gegen die Lagerung englischer
Atomwaffen im Stadtteil Brackel.
„Dann eben begann ja nun 1957/58 die atomare Aufrüstung. Da haben wir uns dann ganz
besonders eingesetzt und den Kampf aufgenommen. Und es warja im vergangenen Jahr (1983 E. N.)
die große Demonstration in Brackel. Die Engländer haben behauptet, dort wären keine atomaren
Sprengköpfe. 1958 waren wir in Brackel, haben einmal eine Demonstration durchgeführt durch
Brackel selbst. (...) Wir haben direkt vor den Toren einen Sitzstreik gemacht. Wir hatten einen Info-
Stand aufgestellt. Wir sind 1958 dreimal in Brackel gewesen. Man hat uns nicht verjagt, doch man
hat uns eiskalt stehen lassen. Das war damals schon so. "24
T. H. hat auch an internationalen Frauen-Friedens-Kongressen teilgenommen. Was das
Zusammentreffen mit Frauen aus anderen Ländern für sie bedeutete, schildert sie
folgendermaßen:
„ Wenn Sie auf solch einem Internationalen Kongreß gewesen sind, haben dort diese Farbenpracht
und all diese Frauen erlebt, wenn man auch die Sprache nicht konnte, irgendwie war eine
Verbundenheit da. Irgendwie konnte man sich verständigen. Irgendwie saß man zusammen, man
hatte das Gefühl: Wir sitzen in einem Boot. Und es hieß: Dieses Boot müssen wir an Land bringen.
Dieses Boot ist für uns so wichtig, fiir uns alle, daß wir das erreichen, daß wir das durchsetzen, das
Leben zu erhalten. Und ich muß sagen, ich bin von solchen Konferenzen immer mit so viel Mut und
Kraft zurückgekehrt."
Welches Fazit zieht T. H. aus ihrem Leben und dem Kampf der Frauen um den Frieden?
„Ich sehe das immer als Plus an, daß wir teilweise ein besseres Fingerspitzengefühl haben als die
Männer, daß wir teilweise viel eherfiihlen, was auf uns zukommt. Und daß wir-das nehme ich auch
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fiir uns Frauen in Anspruch - viel eher bereit sind, wirklich den Kampf aufzunehmen. Nämlich bei
der ersten Demonstration in Bonn vor zwei Jahren, da waren zwei Drittel Frauen dabei und ein
Drittel Männer. Ich finde, das ist ein Plus. Das sollte uns selbstbewußt machen, daß wir wirklich was
erreichen können, wenn wir es wollen."
T. H. hat 22 Jahre in der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung mitgearbeitet. Die
Erfahrungen von Faschismus und Krieg waren entscheidend fiir ihr friedenspolitisches
Engagement und die Zusammenarbeit der Frauen fiir ihren Optimismus.
Das folgende Interview mit einer jüngeren Frau zeigt ebenso wie das mit T. H. den
Einfluß, den die politische und gesellschaftliche Entwicklung auf das persönliche
Frauenleben ausüben kann.
IC I. ist 1934 geboren. Seitdem sie sich erinnern kann, denkt sie politisch, lebt sie
politisch, kämpft sie für den Frieden und um Anerkennung der Gleichberechtigung der
Frau.
Ich habe sie gebeten, von ihrem Leben und ihren Motiven und Gefühlen zu erzählen.
„Ich hab mal so überlegt, warum ich da[WFFB, E.N.J überhaupt hingegangen bin, da hat man sich
ja nie Gedanken drüber gemacht [...], wenn du solche Entschlüsse faßt und hab mir das nachher
überlegt, wo? könnte das eigentlich gewesen sein."
Eine wesentliche Ursache fiir K. I.'s friedenspolitisches Engagement ist das Erlebnis des
2. Weltkrieges.
„Ich war 1945 also elf Jahre und ich hab doch so einiges mitgekriegt, ganz konkret im Krieg.
Wahrscheinlich bin ich auch durch die Gespräche meiner Eltern beeinflußt worden."
Den Krieg hat K. I. in Dortmund, Polen und im Elsaß erlitten.
„ Und dann eben hab ich Grausamkeiten gegen die polnische Bevölkerung mitgekriegt und auch so
Situationen, wenn russische Kriegsgefangene gebettelt haben um Brot, und Hunger hatten und
meine Mutter es nicht mitansehen konnte, wie die also hungerten, und versuchte, ihnen heimlich Brot
zu geben oder den polnischen Frauen sagte, sie sollten einfach in den Keller gehen und sich Kohlen
holen. Das hab ich schon verarbeitet. [...]
Und dann eben die fürchterliche Angst immer vor Angriffen, Schießen. Ich würde sagen, ich war
nach dem Krieg so richtig ein bißchen psychisch gestört, also durch diese Ängste, weil ich also
festgestellt habe, also heute das Gefiihl habe, daß ich mich überhaupt nicht entwickelt habe oder
irgendwie, also einfach irgendwo stehengeblieben oder einen unheimlichen Nachholbedarf oder
irgend so etwas hatte. [...]
Und nach dem Krieg immer wieder die Sorge, es könnte also wieder Angriffe geben. Ich bin
fürchterlich zusammengeschrocken, wenn ein Knall war oder Lärm war, also das waren fiir mich
richtige Schmerzen, richtig also Horror. Und deswegen kam es, daß meine Mutter immer sagte, es
muß etwas getan werden, es darf nie wieder so was passieren, was gewesen ist."
Warum sie zur Westdeutschen Frauenfriedensbewegung gegangen ist, weiß K. I. heute
nicht mehr genau.
„Es könnte sein, daß meine Eltern mich beeinflußt haben, hör mal, du bist ein Mädchen, du bist
eine Frau, und wenn du meinst, du mußt unbedingt was machen, da gibt's die Frauenfriedensbewe-
gung. Meine Mutter war im DFD [Demokratischer Frauenbund, E.N.) und wie das dann
wahrscheinlich bei Kinder so ist, wenn die Eltern irgendwo sind, dann wollte man nicht unbedingt
auch dahin, sich so'n bißchen von den Eltern befreien. Und deswegen bin ich damals zur
Frauenfriedensbewegung. Es war aber auch so, in bin konkret angesprochen worden f.../ ob ich im
Büro der Frauenfriedensbewegung helfen könnte oder möchte. Und wahrscheinlich haben meine
Eltern, weil ich sie immer ganz hartnäckig forderte, ich will was tun, ich will einen Beruf erlernen
oder so, wahrscheinlich das als kleineres Übel angesehen, wenn ich mich da politisch betätigte. Und
dadurch bin ich mit den Frauen oder der Frauenfriedensbewegung in Kontakt gekommen, weil ich
dann natürlich die Veranstaltungen mit vorbereitet habe, indem ich Briefe verschickt habe,
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Einladungen geschrieben hübe, daran teilgenommen habe. [...] Das war in Dortmund [...] Das
muß 1952/53 gewesen sein."
K. I. schildert die mühselige Kleinarbeit, die sie und mit ihr viele unbekannte Frauen der
Westdeutschen Frauenfriedensbewegung geleistet haben.
„Ich selber hob' so an den Sitzungen gar nicht immer teilgenommen, sondern ich hob' immer
eingeladen. Und ich mußte dafiir sorgen, wenn sie den ganzen Tag eine Tagung hatten, daß sie was
zu essen kriegten. Dann z.B. Tagungsorte absprechen, dann Telefonate föhren oder Papiere
verschicken".
Gezielt wurden bestimmte Berufsgruppen, z.B. Lehrerinnen oder Fürsorgerinnen ange-
schrieben, die Adressen aus Telefonbüchern oder Adreßbüchern rausgesucht, das
Material einkouvertiert, auf die Briefkästen der Stadt verteilt.
„In unheimlicher Kleinarbeit, weißt du, deswegen kommt mir das heute so unwichtig vor. In einer
Weise, wie man heute weiß, ist das sehr wichtig, daß solche Arbeit gemacht wird, daß du deine Kraft
mit solcher Arbeit aufgewendet hast".
Ich frage K. I., warum die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung eine Gruppierung war,
bei der nur Frauen mitarbeiteten. K. I. berichtet, daß im Ruhrgebiet politische
Veranstaltungen vorwiegend sonntags stattfanden, weil aufgrund der stark verbreiteten
Schichtarbeit der Sonntag der einzige Zeitpunkt war, an dem die meisten Menschen nicht
arbeiten mußten. An diesen Veranstaltungen nahmen jedoch kaum Frauen teil.
„Da wo Frauen dabei waren, waren das die Frauen, die selber politisch engagiert waren, meistens
auch alleinstehende oder ältere Frauen oder schon Frauen, die eine Persönlichkeit waren. Und selbst
von Sozialisten, wenn du gesagt hast, ,wo ist denn deine Frau?',, Wieso denn, die ist zu Hause, die
muß Essen kochen'. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, daß eine Frau mitging. Und die Männer
haben auch nicht geduldet, daß ihre Frauen in Männersitzungen gingen. Das hatte nicht unbedingt
was mit dem Essen kochen zu tun, sie wollten nicht, daß ihre Frauen in Berührung mit anderen
Männern kamen. Das wollten sie nicht. [...]
Die Frauenfriedensgruppe, das war einfach die einzige Möglichkeit fiir die Frau, aus ihrem
häuslichen Bereich herauszukommen, politisch zu arbeiten, wo der Mann kein Theater machte,
wenn sie sagte, ich geh zur Westdeutschen Frauenfriedensbewegung, da waren ja nur Frauen, da
konnte ja nichts passieren. Daß sie das wohl schon duldeten, aber nicht mit Männern zusammen".
1952 heiratete IC I. im Alter von 19 Jahren. Sie mußte ihre Ausbildung an der
Frauenfachschule abbrechen, weil ihre Mutter krank wurde und fünfjüngere Geschwister
versorgt werden mußten. K. I. zieht nach Hamburg. 1954 wurde die älteste Tochter
geboren. In der ersten Zeit ist sie sehr isoliert. Ihr Mann wird als aktiver Kommunist
politisch verfolgt und ist über ein Jahr in Untersuchungshaft. Im Prozeß kann ihm nichts
nachgewiesen werden. Auf die Frage, wovon sie in dieser Zeit gelebt hat, antwortet K. I.:
„Ja, von Solidaritätsgeld. Man hatte mir immer gesagt, ich sollte zum Sozialamt gehen f...]. Und
das war so, ich hatte Angst, zum Sozialamt zu gehen, weilja dann mein Vormund, mein Mann, im
Gefängnis saß, [K I. war damals erst 20 Jahre] und ich damit ja noch nicht volljährig war und
womöglich untern Jugendschutz geraten wär. Und sie mir eventuell das Kind abgenommen hätten.
Ja, von der Seite mußtest du mit solchen politischen Maßnahmen rechnen. Daß sie einfach dich unter
Druck setzen, dich kaputtmachen, fertigmachen, einschüchtern oder solche Sachen. Und deswegen
bin ich nicht hin. Ich lebte in einem Mietshaus, und in dem Mietshaus lebte meine Schwiegermutter,
die war berufstätig. Ist ja klar, die hat dann mich und das Kind mitverköstigt. Meine Eltern haben
mir auch geholfen. Aber es waren doch schon ganz schön harte Zeiten".
In Hamburg arbeitet K. I. nicht mehr bei der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung
mit. Aber sie geht weiter zu Friedensdemonstrationen.
„Da zuckelte ich immer mit'm Kinderwagen los. Und immer mit der Kleinen da drin. Da weiß ich
noch, dann hatte ich ein rotes Kleid, hab' ich mir irgendwann gekauft, oder es hat mir jemand
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geschenkt, und mit Vorliebe hab' ich dieses knallrote Kleid immer angezogen, f...] Das war so
richtig eine Manie von mir, meiner Schwiegermutter war das äußerst peinlich. Aber irgendwie waren
das doch einsame Jahre. Vielleicht deswegen habe ich das so 'n bißchen verdrängt. Das waren an sich
nicht schöne Jahre fiir mich".
Nachdem ihr Mann aus dem Gefängnis entlassen war, folgen für K. I. schöne Jahre mit
Kindern, Freunden und politischer Arbeit.
„Es muß damals also doch schon sehr viele Menschen gegeben haben, die für den Frieden waren,
sich gefunden und gesucht haben."
Heute zieht sie das Fazit aus der damaligen Zeit:
„In erster Linie erhebe ich doch für mich den Anspruch, ich bin für den Frieden, und man muß was
für den Frieden tun. Und wenn da eine Bewegung im Gange ist, schließe ich mich erst mal als Mensch
dieser Bewegung an. Da kann ich mich jetzt mit einbringen, meine Wünsche, meine Ideen f...].
Z.B. die ganzen Ostermärsche hab ich von Anfang an mitgemacht. Ich kann mich noch erinnern,
irgendwo in Schleswig-Holstein, standen wir aufm Marktplatz, es war kalt, aber wohl sonnig. Aber
weißt Du, für mich war das Dazugehören ein unheimliches Erlebnis".
Die Friedensbewegung der fünfziger Jahre, darunter die Westdeutsche Frauenfriedensbe-
wegung, hat den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO, die Bundeswehr und die atomare
Bewaffnung der Bundeswehr unter NATO-Kommando nicht verhindern können. Ihre
Friedenspolitik war primär auf Verhinderung der Remilitarisierung ausgerichtet. Die
Frauen der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung haben nicht resigniert. In den
sechziger Jahren haben sie gegen die Notstandsgesetze gearbeitet, gegen den Krieg in
Vietnam und die faschistische Diktatur in Chile demonstriert. Das Gefühl des
„Dazugehörens" gab ihnen die Kraft. Als „Hüterinnen des Lebens" kämpften sie in dem
Bewußtsein, so ein Plakat der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung, daß Mütter die
Verlierer aller Kriege sind.

Anmerkungen
1 Das Seminar wurde im SS 1984 unter dem Frauenfriedensbewegung von 1945-1968. (Un-
allgemeinen und vagen Titel „Soziale und veröffentlichte Examensarbeit), Dortmund
friedenspolitische Bewegungen nach 1945" von 1981. Ingeborg Nödingen „Für Frieden und
Sigrid Metz-Göckel und mir durchgeführt. Es ist Gleichberechtigung: Der Demokratische
der Anfang einer Seminarreihe über die 50er Frauenbund Deutschland", in: Florence Hervé
Jahre, in der wir auch die bisher kaum erforsch- (Hrsg.), Geschichte der deutschen Frauenbewe-
te Frauenbewegung aufarbeiten wollen. Der gung, Köln 1982. Demokratische Fraueninitia-
vorliegende Text ist im Zusammenhang mit tive Düsseldorf (Hrsg.), Bewegte Zeiten. Düssel-
dem Seminar zu sehen. Ich danke Sigrid Metz- dorfer Frauen in den fünfziger Jahren, Düssel-
Göckel für ihre solidarische Unterstützung. dorf 1982.
2 Inzwischen liegen erste Aufarbeitungen vor. 3 Selbst Herrad Schenk, Die feministische Her-
Ingrid Schmidt-Harzbach: Freda Wuesthoff - ausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in
„Vorkämpferin gegen atomare Aufrüstung. Deutschland, München 1980, und Renate Wig-
Versuch eines Porträts". In: Anna-Elisabeth gershaus, Geschichte der Frauen und der
Freier/Annette Kuhn (Hrsg.): Frauen in der Frauenbewegung, Wuppertal 1979, datieren die
Geschichte, Bd. V.; „Das Schicksal Frauenbewegung nach 1945 erst ab Ende der
Deutschlands liegt in der Hand seiner Frauen" 60er Jahre.
- Frauen in der deutschen Nachkriegsgeschich- 4 Vgl. die Selbstdarstellung in: Westdeutsche
te, Düsseldorf 1984. Regina Wiese: Sozialhisto- Frauenfriedensbewegung (Hrsg.): 15 Jahre
rische Hintergründe der Frauenfriedensbewe- Westdeutsche Frauenfriedensbewegung. Was
gung dargestellt am Beispiel der Westdeutschen ist diese Bewegung? Was will sie? Was tut sie?
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Gelsenkirchen 1967; Vgl. unzählige Artikel 1963, Hannover 1967 5 ; Fritz Krause, Antimili-
und Berichte über die Aktivitäten der Westdeut- taristische Opposition in der BRD 1949-1955,
schen Frauenfriedensbewegung in: Frau und Frankfurt 1971.
Frieden. Informationsheft der Friedensbewe- 10 In: Was Ist. Was Tut, Was Will die Westdeut-
gung Deutscher Frauen NW, 1952-1974, Essen, sche Frauenfriedensbewegung, a.a.O., S. 6.
später Hannover. Leider lagen mir nur die 11 Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung.
Jahrgänge 1952 bis 1956 vollständig vor. Veröf- Elly Steinmann erzählt, a.a.O., S. 145.
fentlichte Erinnerungen: Klara-Maria Faßbin- 12 Ingeborg Küster/Elly Steinmann, „Die West-
der, Begegnungen und Entscheidungen, Darm- deutsche Frauenfriedensbewegung", a.a.O., S.
stadt o J . [1962]; „Die Westdeutsche Frauen- 213.
friedensbewegung. Elly Steinmann erzählt", in: 13 Ebd. S. 213.
Anna Tuhne/Rina Olfe-Schlothauer (Hrsg.), 14 Eine ausführliche Darstellung der Angriffe ge-
Frauen Bilder Lesebuch, Reinbek 1982; Inge- gen die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung
borg Küster/Elly Steinmann, „Die Westdeut- kann hier nicht geleistet werden. Dazu bedürfte
sche Frauenfriedensbewegung" (WFFB), in: es der Auswertung von Tages-, Wochen- und
Florence Hervé (Hrsg.), Geschichte der deut- Monatszeitungen unterschiedlicher parteipoli-
schen Frauenbewegung, Köln 1982; Elly Stein- tischer Ausrichtung aus den Ländern der Bun-
mann, „Die Westdeutsche Frauenfriedensbe- desrepublik.
wegung (WFFB)", in: Florence Hervé (Hrsg.), 15 Mädchenbildung und Frauenschaffen, Jg. 4,
Brot und Rosen. Geschichte und Perspektive der 1954, H. 5, S. 237.
demokratischen Frauenbewegung, Frank- 16 Mädchenbildung und Frauenschaffen, Jg. 4,
furt/M. 1979. 1954, H. 7, S. 474 f.
5 Vgl. Westfälische Rundschau vom 7.7.84. 17 Frau und Frieden, Nr. 10. 1954, S. 7. Die
6 Walter Benjamin, „Geschichtsphilosophische bayrische Frauenfriedensbewegung war die re-
Thesen", in: Walter Benjamin: Illuminationen. gionale Gruppe der Westdeutschen Frauenfrie-
Ausgewählte Schriften. Frankfurt/M. 1961, S. densbewegung.
270 f. 18 Vgl. Was Ist, Was Will, Was Tut die Westdeut-
7 In: Was Ist, Was Will, Was Tut die Westdeut- sche Frauenfriedensbewegung? a.a.O., S. 23 f.
sche Frauenfriedensbewegung?, a.a.O., S. 5. 19 Ebd., S. 24.
8 Zitat nach: Uli Jäger/Michael Schmid-Vöhrin- 20 Vgl. ebd. S. 42 ff.
ger, „ Wir werden nicht Ruhe geben ...". Die 21 Vgl. Klara Maria Faßbinder, „Frauentag gegen
Friedensbewegung in der Bundesrepublik die Atomgefahr", in: Frau und Frieden, H. 8,
Deutschland 1945-1982, Tübingen 1982, S. 2. 1957.
9 Zur Wiederaufrüstungspolitik und Friedensbe- 22 Die Protestresolution von Frauenverbänden
wegung in den 50er Jahren vgl.: Lorenz Knorr, sind z.T. abgedruckt in: Mädchenbildung und
Geschichte der Friedensbewegung in der Bun- Frauenschaffen, 1958.
desrepublik, Köln 1983; Ulrich Albrecht, Die 23 Der „Freischütz" ist ein großes Lokal in Dort-
Wiederaufrüstung der Bundesrepublik. Analyse mund.
und Dokumentation, Köln 1980; Berndt Engel- 24 Im Dortmunder Stadtteil Brackel befindet sich
mann, Wie wir wurden, was wir sind. Von der eine englische Kaserne. In der Friedenswoche
bedingten Kapitulation zur unbedingten Wie- im Herbst 1983 fand eine Menschenkette von
deraufrüstung, München 1980; G. Heipp einer benachbarten Kirche bis zur Kaserne statt.
(Hrsg.), Es geht ums Leben! Der Kampf gegen Die Vorgänge um die Lagerung englischer Atom-
die Bombe 1945-1965. Eine Dokumentation, sprengköpfe im Dortmunder Stadtteil Brackel sind
Hamburg 1965; Hans Karl Rupp, Außerparla- ausfuhrlich dokumentiert in: Horst Delkus: „Dort-
mentarische Opposition in der Ära Adenauer, mund will keine Atomraketen." in: Arbeitskreis
Köln 19802; Klaus Mehnert/Heinrich Schulte .Dortmunder Wissenschaftler für den Frieden"
(Hrsg.): Deutschland-Jahrbuch 1953, Essen (Hrsg.), Wie weiter? Ringvorlesung Frieden und Ab-
1953; Heitert Lilge (Hrsg.), Deutschland 1945- rüstung, Dortmund 1984.

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