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KAPITEL 9

DIE LIEBE ZU GOTT

Du wirst dich aus Kapitel 2 erinnern, dass die große vedische Schrift,
bekannt als das Srimad-Bhagavatam, eine Versammlung von Weisen be-
schreibt, die sich um die höchsten Wahrheiten und das spirituelle Wohl-
ergehen der Menschheit sorgten. Als diese Weisen nach dem tiefsten
spirituellen Wissen fragten, erfuhren sie, dass das yuga-dharma oder die
höchste spirituelle Aktivität für dieses Zeitalter reine, bedingungslose
Liebe und Dienst an Gott ist. Eine solche Liebe ist nicht von Äußerlich-
keiten oder verschiedenen Ritualen abhängig, sondern basiert auf das
Bewusstsein.

SEHNSUCHT NACH DEM HERRN

Wir alle sind letztlich auf der Suche nach einer Beziehung zu Gott.
Sowohl in unseren alltäglichen Aktivitäten als auch im spirituellen Le-
ben suchen wir nach einem bestimmten rasa, einem »Geschmack« der
Beziehung. Rasa ist in verschiedenen Beziehungen unterschiedlich. Zum
Beispiel ist rasa zwischen Freunden anders als rasa zwischen Eltern und
Kindern oder rasa zwischen Liebenden. In der materiellen Welt sind
solche Beziehungen ein blasses Abbild der tiefen, liebevollen Arten von
rasas, die wir mit dem Herrn haben können. Wenn wir aufrichtiger lie-
ben, mehr von unserer Göttlichkeit annehmen und uns intensiv mit Gott
verbinden, können wir kraftvolle Beziehungen haben, die weit über alles
hinausgehen, was wir in diesem Leben je erlebt haben.

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Unsere Aufgabe als menschliche Wesen ist es, uns wieder in Mutter-Va-
ter-Gott zu verlieben und in das Land der göttlichen Liebe zurückzukehren,
wo wir unseren natürlichen Zustand erleben können. Alles andere ist unna-
türlich. Wenn wir nicht völlig in der göttlichen Liebe aufgehen, bleiben
wir der Knechtschaft der Lust und den Leiden des Alters, der Krankheit
und des Todes unterworfen – das ist alles ein Teil der materiellen Umge-
bung und nicht in Übereinstimmung mit dem, was wir wirklich sind.

Letztendlich müssen wir verstehen, dass wir vollständig für den


Herrn existieren. Wenn wir ein solches Verständnis haben, lieben wir
Gott mit unserem ganzen Wesen. Ein solcher Zustand der Liebe unter-
gräbt nicht unsere eigene Identität; im Gegenteil, er erweitert sie und
vergrößert die Tiefe unserer Erfahrung, wenn wir dem Herrn unsere Lie-
be darbringen und sie nicht dann im Gegenzug zurückerhalten. Unser
Ausdruck der Liebe bringt noch mehr Liebe hervor.

Wir können nie völlig zufrieden sein, bis wir wieder in unserem na-
türlichen Zustand im geistigen Reich sind, wo alle Beziehungen auf Gott
ausgerichtet sind. Deshalb ist eine tägliche spirituelle Praxis so wichtig.
Sie bereitet uns auf die intensive Liebe und den Dienst in der geistigen
Welt vor. Wir sollten mit voller Hingabe üben, viel intensiver, als wenn wir
uns als Geiger auf das wichtigste Konzert unseres Lebens vorbereiten
würden.

Wenn wir andere lieben, leiden wir zutiefst, wenn wir sie nicht sehen
oder von ihnen hören. Wir möchten alles über sie wissen; wir sehnen
uns danach, mit ihnen vertraulich zu sprechen, Zeit mit ihnen zu ver-
bringen und Briefe von ihnen zu erhalten, wenn sie verreist sind. Wenn
wir all diese Gefühle hier in der physischen Welt haben, stellen Sie sich
vor, wie viel intensiver diese Sehnsüchte sind, wenn sie auf den Herrn
gerichtet sind.

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KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

Wenn wir Spiritualität zu unserer obersten Priorität machen, können


wir hier und jetzt Kontakt mit der geistigen Welt aufnehmen. Die Wahr-
heit ist, dass Gott und seine Vertreter viel mehr mit uns in Verbindung treten
wollen als wir mit ihnen. Wenn wir Gott in allem, was wir tun, aufrichtig
an die erste Stelle setzen – hundertprozentig, nicht nur teilweise, theore-
tisch oder gelegentlich -, beginnen wir zu erfahren, wovon wir vorher nur
gelesen oder gehört haben. Die geistige Welt wird dann ein Teil unserer
eigenen Realität.

DIE LIEBE ZU GOTT IST KEINE FORDERUNG

Obwohl jeder Mensch die Liebe erfahren möchte, werden wir oft
nachtragend und entmutigt, wenn Probleme auftreten. Die wahre Prü-
fung besteht darin, in unserer Liebe zu Gott standhaft zu bleiben, egal
was passiert. Andernfalls betrachten wir Ihn einfach als einen niederen
Diener, dessen Aufgabe es ist, unsere Wünsche und Launen zu erfül-
len. Unter solchen Umständen sind wir wie verwöhnte Kinder, die sich
abwenden oder Wutanfälle bekommen, wenn Er uns nicht gibt, was wir
wollen. Die Liebe zu Gott muss über eine solche Haltung hinausgehen.

Viele von uns verstehen nicht, dass Schmerz und Leid in unserem
Leben notwendig sind. »Wenn es einen Gott gibt«, fragen wir, »warum
gibt es dann das Böse in der Welt? Wenn es einen Gott gibt, warum gibt
er den Menschen – und insbesondere mir – nicht das, was notwendig
ist, um glücklich zu sein? Wenn das Leiden eine Realität ist«, folgern wir,
»dann kann es Gott nicht geben«. Diese Sichtweise, die auf egozentri-
schen Wünschen nach Befriedigung beruht, geht davon aus, dass Gott
jederzeit auf unsere Wünsche eingehen sollte. Sie berücksichtigt weder
unseren eigenen Missbrauch des freien Willens und die karmischen Fol-
gen unseres Handelns, noch erkennt sie den erzieherischen Wert unse-
rer Erfahrungen an, auch der schwierigen.

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

In der Literatur lernt der tragische Held oft durch verschiedene Arten
von Widrigkeiten und geht schließlich als eine durch diese Erfahrung ge-
stärkte Person hervor. Derselbe Wachstumsprozess steht uns durch die
unendliche Barmherzigkeit des Herrn offen. Wenn unsere Bindung an
den Herrn in Zeiten des Unglücks nicht stärker wird, dann sind wir nicht
auf der Grundlage einer tiefen Liebe tätig.

FURCHT VOR GOTT

Viele Menschen glauben, dass Gottesfurcht eine Voraussetzung für


geistliches Leben ist. Ein Beispiel dafür ist die Reaktion auf eine Rede, die
der Präsident von Ghana vor einigen Jahren (manche sagen, aufgrund
meines Einflusses) vor einer Versammlung von Priestern, Unternehmern
und Politikern hielt. In seiner Rede erwähnte er, dass er gelernt habe,
Gott zu lieben, statt ihn zu fürchten. Die Kirchen verurteilten ihn für die-
se Äußerung aufs Schärfste und sagten: »Was ist das für ein Mann? Wie
kann er unser Präsident sein? Wie können die Menschen ihn wählen – ei-
nen Mann, der Gott nicht fürchtet?« Diese religiösen Führer haben nicht
verstanden, dass eine Verbindung zum Herrn bestehen kann, die viel
tiefer ist als Angst.

Kinder, die ihre Eltern und Lehrer fürchten, verhalten sich nur dann
richtig, wenn ihnen Strafe droht. Wenn der äußere Druck wegfällt, wer-
den diese Kinder alles tun, was sie wollen. So ist es auch in unserer Be-
ziehung zum Herrn. Eine Beziehung zu Gott, die auf Angst beruht, kann
nicht sehr stark sein. Sie bleibt auf einer oberflächlichen Ebene und hin-
dert uns daran, das tiefere Verständnis zu entwickeln, das für eine wahre
spirituelle Verwirklichung notwendig ist.

Angst hindert uns daran, uns frei zu verschenken oder tiefe Verbin-
dungen zu anderen zu entwickeln. Stattdessen richten wir unser Haupt-
augenmerk darauf, unangenehme Konsequenzen zu vermeiden. Die Lie-

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KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

be, die ein Ausdruck des freien Willens ist, der auf Wertschätzung und
Spontanität beruht, kann in einem solchen Umfeld nicht gedeihen. Lei-
der beruhen viele religiöse Traditionen auf der Grundlage von Angst und
verehren einen Gott, der Verstöße gegen seine Gesetze bestraft. Die An-
hänger solcher Traditionen verwenden ihre Energie eher dazu Strafe zu
vermeiden, als Liebe zu zeigen.

Dennoch kann die Angst in den frühen Phasen der Entwicklung eine
nützliche Rolle spielen. Wenn Kinder klein sind, müssen Eltern auf Be-
lohnungen und Strafen zurückgreifen. Auf dieser ersten Stufe des Um-
gangs mit Autorität sind Kinder egozentrisch und hauptsächlich durch
Angst motiviert. Später fangen sie an, auf einer tieferen Ebene zu ver-
stehen, indem sie sagen: »Ich liebe Mama und möchte das nicht tun, weil
es sie stören würde« oder »Papa wird sehr unglücklich sein, wenn ich
das tue, also werde ich es nicht tun«. Wenn sie reifer werden, lernen sie,
Handlungen auf der Grundlage von Liebe auszuführen. So ist es auch in
unserer Beziehung zu Gott. Anfangs fürchten wir ihn vielleicht – das ist
oft ein notwendiger Schritt, weil wir so zumindest seine Existenz aner-
kennen. Mit der Zeit entwickeln wir ein umfassenderes Verständnis und
entdecken, dass das geistliche Leben nicht nur eine Frage von Regeln
und Vorschriften ist, sondern eine Frage der Gemeinschaft der Seele mit
dem Göttlichen.

ZWEIFEL AN GOTT

Solange wir uns in der materiellen Welt befinden, werden wir wei-
terhin Zweifel an Gott haben. Hätten wir keine Zweifel, wären wir keine
Menschen mehr und bräuchten weder einen materiellen Körper noch
ein materielles Bewusstsein. Wir würden bereits im geistigen Reich woh-
nen.

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Wir sollten uns keine Sorgen über unsere Zweifel machen. Wie wir in
den Kapiteln 3 und 4 gesehen haben, haben der Verstand und die Sinne
gerne das Sagen. Wenn der Verstand und die Sinne entdecken, dass wir
uns auf die transzendentale Energien einstimmen, dann wird der Ver-
stand, der von den Sinnen kontrolliert wird, uns oft mit Wutanfällen kon-
frontieren, um unsere Aufmerksamkeit von den höheren Erfahrungsbe-
reichen abzulenken. Schließlich erkennen wir jedoch, dass der Verstand
diese »Zweifelsspiele« spielt, um nicht kontrolliert oder ignoriert zu wer-
den. Wenn wir das verstehen, werden wir die Tricks des Geistes nicht
mehr so ernst nehmen.

Stattdessen müssen wir unsere spirituelle Praxis verstärken, damit


unsere Intelligenz, die mit der Seele in Kontakt steht, den Verstand lenkt.
Dann werden unser Glaube und unser Verständnis stark sein, und wir
können dann die Zweifel einfach vorbeiziehen lassen. Wenn unser Glau-
be und unser Verständnis zunehmen, werden die Zweifel verschwinden
– und natürlich auch wieder Platz für neue machen! Doch je mehr wir der
Seele erlauben, sich zu entfalten, desto weniger stören uns die Zweifel.

Obwohl wir unsere Zweifel überwinden müssen, dürfen wir nicht ver-
gessen, dass Religion nicht nur eine Sache des blinden Glaubens ist. Es
stimmt, dass der Glaube bei allem was wir tun notwendig ist, sowohl im
materiellen als auch im spirituellen Bereich, aber richtig gelenkter Glau-
be sollte sich in Verwirklichung verwandeln – mit anderen Worten, in
direkte Erfahrung. Das spirituelle Leben ist eine anspruchsvolle, erhabe-
ne Wissenschaft, und wir haben bestimmte Schlüssel, um diese Wissen-
schaft für uns arbeiten zu lassen. Ohne diesen Körper zu verlassen, kön-
nen wir Kontakt mit der geistigen Welt aufnehmen. Wenn unsere Praxis
nicht zu Ergebnissen führt, sind wir entweder keine Experten in dieser
Praxis oder unser Glaube basiert auf einem falschen Glaubenssystem.

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KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

STUFEN DER GOTTESVERWIRKLICHUNG

Menschen auf verschiedenen spirituellen Pfaden bezeichnen das


Endziel mit unterschiedlichen Begriffen: nirvana, samadhi, kosmisches
Bewusstsein, Eintritt in den Geist Gottes oder Einswerden mit Gott.
Doch all diese Begriffe beziehen sich auf die Energien des spirituellen
Bereichs, die vom Herrn ausgehen; sie beziehen sich nicht auf den Herrn
selbst. Wenn wir einen Kuchen backen, können wir das duftende Aro-
ma im ganzen Haus riechen, ohne den Kuchen jemals im Ofen zu sehen.
Ein anderes Beispiel: Auch wenn wir die Sonne noch nie gesehen haben,
können wir ihre Wärme spüren und uns in ihrem Glanz sonnen. In glei-
cher Weise streben viele spirituell Praktizierende danach, die göttlichen
Energien des Herrn zu erfahren, ohne ihm von Angesicht zu Angesicht
zu begegnen.

Aber das ist nur ein Aspekt des spirituellen Lebens. Wenn wir die
Spiritualität tiefer studieren, entdecken wir, dass es verschiedene Ebe-
nen des Gottesbewusstseins gibt. Wie wir bereits sagten, ist der Prozess
der Gottesbewusstwerdung äußerst wissenschaftlich. Auf der soeben
beschriebenen Ebene, der Erfahrung der Ausstrahlung des Herrn, be-
ginnen wir, ein Einssein mit der ganzen Schöpfung und mit den Energi-
en des Herrn zu spüren. Darüber hinaus gibt es eine weitere Ebene des
Gottesbewusstseins, auf der wir den Heiligen Geist oder die Überseele
entdecken – die Gegenwart Gottes in unseren Herzen. Noch höher ist
eine Gotteserfahrung, in der wir in die geistige Welt eintreten. Auch hier
gibt es verschiedene Ebenen und Unterteilungen, wie Jesus andeutete,
als er sagte: »Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen.«

WIR BRAUCHEN TIEFE SPIRITUELLE ERLEBNISSE

Viele von uns sind spirituell ausgehungert. Weil uns tiefe spirituelle
Erfahrungen fehlen oder weil wir keine Vorbilder haben, die solche Er-

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fahrungen machen, neigen wir dazu, mechanisch, trocken und ungläubig


zu werden. Als vergnügungssüchtige Wesen werden wir, wenn wir keine
Freude aus spirituellen Quellen erfahren, schließlich anfangen, die Leere
mit materiellen Aktivitäten zu füllen.

Manche Leute haben sich daran gestört, dass mein spiritueller Men-
tor in seinen Büchern und Vorträgen immer wieder das gleiche Thema
ansprach: »Du bist nicht der Körper.« Sie wollten, dass er vertraulichere,
esoterische Themen anspricht. Er kam ihren Bitten jedoch nicht nach,
denn solche Themen sind nicht für eine ausführliche Diskussion gedacht.
Sie gehören vielmehr in den Bereich der inneren Erfahrung.

Wenn wir unsere Intelligenz und unseren Verstand benutzen, um


über Erfahrungen zu sprechen, die eigentlich in den Bereich der Seele
gehören, können wir verwirrt werden und die Wahrheit verfälschen. So
wie Worte einem Blinden keine Farben beschreiben können, können sie
uns kein vollständiges Verständnis des esoterischen Bereichs vermitteln.
Das kann nur durch direkte Erfahrung geschehen. Um ein solches Ver-
ständnis zu erlangen, müssen wir an unserem Charakter arbeiten, un-
sere Unreinheiten auflösen und unsere Hingabe erhöhen, so dass wir
schließlich des transzendentalen Wissens und der Glückseligkeit würdig
werden.

In der Spiritualität gibt es immer eine höhere Ebene, die es zu er-


reichen gilt. Keine Schrift allein gibt uns ausreichende Informationen,
um die spirituelle Welt zu erreichen. Deshalb sind Lehrer und spiritu-
elle Führer notwendig. Um nicht in die Irre geführt zu werden, müssen
wir sicher sein, dass die Botschaften unserer Lehrer mit den Schriften
und mit anderen verwirklichten Praktizierenden des Pfades überein-
stimmen. Wenn das der Fall ist, können wir uns mit ihnen als Mentoren
wohl fühlen. Wenn wir richtig praktizieren, werden wir allmählich die Er-
gebnisse erzielen, die von den Heiligen und den Schriften beschrieben

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KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

werden, wir erhalten Einblicke in die spirituelle Welt und werden immer
begieriger, noch höhere Erfahrungen zu machen.

Um unserer spirituellen Entwicklung nicht im Wege zu stehen, stel-


len die meisten erhabenen Seelen ihre mystischen Fähigkeiten nicht zur
Schau. Sie sind sich bewusst, dass solche Demonstrationen die Men-
schen eher zu ihren Kräften als zu ihrer Hingabe hinziehen würden, und
sie wollen nicht den Glauben fördern, dass das spirituelle Leben nur eine
Frage bestimmter Tricks oder Techniken ist. Manchmal denken wir, dass
man Gott nur sehen kann, wenn man eine bestimmte Formel kennt. Wir
fragen uns: »Wie kann ich Gott sehen? Wie kann ich den universellen
Klang hören? Wie kann ich einen Führer haben?« Solange wir in unse-
rem Glauben verharren, dass Spiritualität eine Frage der Technik ist, und
nicht bereit sind, tiefer in das einzudringen, was wir bereits haben, und
uns der Notwendigkeit der Selbstprüfung und Selbstreinigung widerset-
zen, werden wir an der Oberfläche der Spiritualität bleiben.

Im spirituellen Leben kommt es auf unseren Bewusstseinszustand


an, nicht nur auf äußere religiöse Formen oder Praktiken. Die Sprache,
die wir beim Gebet verwenden, ist nicht wichtig, ebenso wenig wie der
Ort, an dem wir beten – in einer Scheune, einer Kathedrale, einem Tem-
pel oder in unserem Schlafzimmer. All die Äußerlichkeiten sind Details,
die uns helfen, größere innere Erfahrungen zu machen. Wenn sich die
innere spirituelle Verbindung entwickelt, dann werden die äußeren Din-
ge fast zu einer Zeitverschwendung.

Wenn wir jedoch keine Vorbilder haben, die uns in angemessener


Weise bestärken und anleiten, geben wir uns vielleicht mit Mittelmäßig-
keit zufrieden. Damit entwerten wir die Schriften und Lehren unseres
Pfades, denn wir implizieren, dass hohe spirituelle Errungenschaften in
unserer Tradition nicht möglich sind. Mit einer solchen Haltung werden
die echten Leistungen der vielen qualifizierten spirituellen Lehrer und

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Praktizierenden, die es gibt, heruntergespielt, und wir können uns dann


nur mit einem niedrigen Grad an Errungenschaften zufrieden geben.

SUCHEN SIE NACH DEN INNEREN LEHREN

Jede Tradition hat innere Lehren. Jeder von uns sollte versuchen,
mehr über dieses tiefere Wissen in seiner eigenen Tradition zu erfahren,
denn es hilft uns, über die äußeren Aspekte des religiösen Lebens hin-
auszusehen. Die Liebe und das Mitgefühl des Herrn sind universell. Die-
jenigen, die in äußeren, esoterischen Praktiken gefangen sind, neigen
dazu, sektiererisch zu werden, und Sektierertum ist für viele Probleme
der Welt verantwortlich, indem es eine Gruppe gegen eine andere auf-
bringt und unsagbares Leid verursacht. Wenn wir tiefer in die inneren
Lehren eindringen, dann entdecken wir die gemeinsame Grundlage aller
spirituellen Traditionen.

Das ist ein Grund, warum wir die Schriften niemals so lesen sollten,
als seien sie lediglich Quellen für sachliche Informationen oder Zusam-
menstellungen interessanter Mythen und Geschichten. Wir wenden uns
nicht an die Schriften, nur um Daten zu erhalten oder um unterhalten
zu werden. Die Schriften sind so lebendig wie wir selbst; sie sind literari-
sche Inkarnationen Gottes. Aus diesem Grund können hochentwickelte
Seelen in einen Zustand ekstatischer Trance fallen, wenn sie nur einen
Abschnitt lesen. Für sie sind die Schriften nicht nur Worte; sie dienen als
Verbindung zu einem ganzen Bereich spiritueller Erfahrung. Wenn wir
Schriften und andere Andachtsliteratur mit großer Liebe und Sorgfalt
lesen, schauen wir durch ein spirituelles Fenster in die transzendentale
Welt.

Bestimmte Lehren gibt es auf dieser Erde, seit der Planet erschaf-
fen wurde. Dazu gehören die Veden, einige der ältesten der Menschheit
bekannten Schriften, die auf der Verwirklichung und tatsächlichen An-

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KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

wendung innerer spiritueller Lehren beruhen. Auch heute noch gibt es


Praktizierende der Veden, die dieses Wissen in lebendiger, erfahrungs-
orientierter Form an andere weitergeben. Diese Lehren können zu den
gleichen Ergebnissen führen wie in der Vergangenheit, vorausgesetzt wir
sind bereit, uns aufrichtig zu bemühen.

DIE LIEBE ZU GOTT IST BERAUSCHEND

Im geistlichen Leben geht es nicht um trockene Theorien oder stän-


diges Ringen, Anstrengung und Selbstverleugnung. Es geht um tiefe
Erfahrungen und berauschende Rauschzustände. Warum sollten wir
uns selbst betrügen? Wir alle wollen lieben und geliebt werden. Wir alle
wollen die Höhepunkte der Lust erleben. Letztlich geht es im spirituel-
len Leben, auf seine einfachste Form reduziert, genau darum: um den
höchsten Genuss, das größte Vergnügen und die intensivste Sinnesbe-
friedigung – aber weit über die materielle Ebene hinaus. Wir führen ver-
schiedene Entbehrungen, Rituale und Praktiken durch, um uns darauf
vorzubereiten, die Schatten und Bilder dieser materiellen Welt zu über-
winden und die Herrlichkeiten des spirituellen Reiches zu erlangen.

Erinnere dich daran, dass alle Lebewesen nach Liebe, Glück und Ver-
gnügen streben, auch Menschen, die sich auf verzerrte oder destruktive
Weise verhalten. Kannst du dir vorstellen, wie intensiv dein Vergnügen
sein könnte wenn alle Hindernisse und Begrenzungen, die dem reinen
Vergnügen im Wege stehen, beseitigt wären? Wir können einen winzi-
gen Einblick in einen solchen Zustand gewinnen, wenn wir ein starkes,
überwältigendes Gefühl für jemanden erleben, der uns wichtig ist. War-
um also sollten wir zögern, uns Gott zu nähern, um größere Ebenen der
Freude zu erleben?

Wenn wir beginnen, in höhere Bewusstseinszustände einzutreten,


kann der physische Körper die ekstatischen Erfahrungen, die buchstäb-

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

lich jenseits dieses materiellen Bereichs liegen nicht mehr fassen. Doch
obwohl Ekstase eine berauschende Erfahrung ist, ist sie nur ein erster
Aspekt des Prozesses der Entwicklung reiner Gottesliebe. Die Gefühle,
Symptome und Erfahrungen der reinen Gottesliebe liegen tatsächlich
weit jenseits dieser Ebene.

Wenn wir spirituell wachsen, entwickeln wir einen süßen Wettbe-


werb mit Gott, in dem wir, je mehr wir uns bemühen, dem Herrn zu
dienen, desto eifriger ist Er, uns zu segnen und zu empfangen. In einer
solchen Situation empfinden wir eine so tiefe Liebe und Gegenliebe für
den Herrn, dass wir glauben, Er kümmere sich um niemanden außer um
uns. In diesem Bewusstseinszustand ist es uns egal, ob wir im Himmel
oder in der Hölle sind, denn wir wissen, dass wir geliebt werden. Jeder
Augenblick ist sogleich eine Erfahrung, in der wir Gott immer mehr Liebe
geben und sie in überwältigender Menge zurückbekommen.

Das Schöne am spirituellen Leben ist, dass wir die göttliche Gnade
des Herrn anziehen können, und wenn wir sie einmal empfangen haben,
können wir diese Gnade mit anderen teilen. Wenn wir andere Menschen
ermutigen, indem wir ihnen unsere Erfahrungen und Erkenntnisse an-
bieten, denken sie vielleicht: »Das möchte ich auch erleben. Ich möchte
frei von meinem Elend sein oder zumindest nicht von ihm belästigt wer-
den. Ich möchte ein Gleichgewicht in meinem Leben haben und mich
nicht in verschiedene Richtungen hin- und hergerissen fühlen.« Ein Le-
ben auf mehreren Gleisen zu führen, ist schizophren. Wir sollten uns
nicht so zersplittern, sondern uns an diesen wesentlichen Fragen orien-
tieren: Wie sehr liebe ich Gott? Wie sehr will ich seine volle Gnade und
seinen Segen?

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KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

PERSÖNLICHE VERBINDUNG MIT GOTT


IN DEN TRADITIONEN DER WELT

Gott ist mehr als Energie, Klang oder Licht. So wie es in dieser materi-
ellen Welt eine Form gibt, hat auch Gott eine Form – aber seine Form ist
spirituell. Das macht Sinn, wenn wir darüber tiefer nachdenken. Es kann
nichts außerhalb von Gott geben, auch keine Form. Warum sollte Er also
keine Form haben? Alle Formen der Üppigkeit, wie Schönheit, Liebe oder
Wissen, kommen vom Höchsten Herrn und sind Teil Seiner Gesamtheit.
Der einzige Grund, warum wir sie überhaupt erfahren können, ist, dass
sie von vornherein Teil des Herrn sind.

Weil der Herr eine Form hat, ist die Liebe zu Gott nicht nur eine Abs-
traktion, sondern Ausdruck einer direkten, persönlichen Beziehung. Die
fortgeschrittenen inneren Lehren vieler Traditionen betonen tiefe Ebe-
nen der Liebe auf höchst persönliche Weise. Schauen Sie sich Ihren Ko-
ran oder Ihre Bibel genau an. Sie werden viele Hinweise auf persönliche
Beziehungen mit dem Herrn entdecken. In diesen Schriften und auch
in den vedischen Schriften ist die Rede davon, Gott von Angesicht zu
Angesicht zu sehen.

Eine Passage in der Hadith-Literatur des Islam erklärt beispielsweise,


dass die höchste Erfahrung im Paradies darin besteht, Allah zu sehen. In
den muslimischen Schriften wird auch die Himmelfahrt des Propheten
beschrieben, eine der höchsten Erfahrungen seines Lebens. Er wurde
vom Engel Gabriel von den niederen zu den höheren Planetensystemen
begleitet, bis sie einen bestimmten Punkt erreichten, über den hinaus
der Prophet allein gehen musste, um eine direkte Begegnung mit Allah
zu erfahren.

Auch in der christlichen Tradition hat Gott einen persönlichen Aspekt.


So lehren beispielsweise die Seligpreisungen, dass diejenigen die reinen

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Herzens sind Gott sehen werden. In der Offenbarung heißt es, dass die-
jenigen, die als Kinder Gottes bekannt sind, das Zeichen des Herrn auf
ihrer Stirn tragen und Sein Angesicht sehen werden. In den Schriften des
Christentums und des Islams wird beschrieben, dass Sarah Gott wie ein
geliebtes Kind behandelte. Abraham wandte sich an Gott wie an einen
Freund. Wir können keine formlose Energie als unser Kind oder als unse-
ren Freund haben. Elternschaft und Freundschaft setzen eine Beziehung
voraus, die auf gemeinsamen Aktivitäten zwischen verschiedenen Per-
sonen beruht, in diesem Fall einer irdischen und einer göttlichen.

SPIRITUELLE VEREINIGUNG

Die inneren Traditionen der Welt verbinden uns mit tiefen Ebenen der
persönlichen Erfahrung. Sex existiert in der spirituellen Welt in der Form
der spirituellen Vereinigung, aber wir können sie in unserem gegenwär-
tigen Zustand nicht verstehen. Die körperliche Sexualität des materiellen
Lebens ist lediglich eine pervertierte Widerspiegelung der ewigen, reinen,
schwärmerischen Beziehung der Seele mit dem Höchsten Herrn. Obwohl die
Reflektion bestimmte Eigenschaften der tatsächlichen Beziehung auf-
weist, ist sie nicht der echte Ausdruck in seiner vollen Realität. Sexuelle
Erfahrungen mögen uns angenehm erscheinen, solange wir uns in die-
sem konditionierten Zustand befinden, aber letztlich geben sie uns nicht
die tiefe Erfüllung, die wir suchen.

Dennoch können wir das Sexualleben in dieser materiellen Welt nicht


einfach als eine Illusion einstufen und glauben, dass das materielle Le-
ben unwirklich und nur das spirituelle Leben wirklich ist. Der wichtige
Unterschied ist vielmehr, dass das spirituelle Leben ewig und das ma-
terielle Leben vorübergehend ist. Selbst eine Illusion ist auf ihre Weise
eine Realität: Sie ist ein tatsächliches Phänomen, das den Anschein von
etwas anderem erweckt. Obwohl eine Illusion nicht für sich allein ste-
hen kann, wäre es ein Fehler, ihre Existenz zu leugnen. Wenn wir zum

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KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

Beispiel ein Bild von uns selbst im Spiegel sehen, verstehen wir, dass
das Bild eine echte zweidimensionale Reflexion einer dreidimensionalen
Realität ist. Das Spiegelbild hat bestimmte Eigenschaften dieser Realität,
aber es fehlen ihm viele andere Eigenschaften. Es ist unvollständig und
unvollkommen. In gleicher Weise ist die künstliche, vorübergehende
Erfahrung des körperlichen Geschlechtsverkehrs ein unvollkommenes
Abbild der geistigen Vereinigung. Obwohl sie uns nicht das gibt, was wir
letztlich wollen, dient sie als positives Zeichen dafür, dass die wirkliche,
dauerhafte Erfahrung der geistigen Vereinigung tatsächlich existiert.

Im spirituellen Bereich hat die Vereinigung nichts mit physischen


Körpern zu tun, die versuchen, sich gegenseitig zu stimulieren, oder mit
Genitalien, die nach lustvollem Kontakt suchen. Stattdessen bedeutet
spirituelle Vereinigung, dass sich alle Aspekte des spirituellen Körpers
mit dem Geliebten vereinen. Tatsächlich haben die spirituellen Sinne im
Reich Gottes nicht die Einschränkungen, die unsere physischen Sinne
auszeichnen. In unserem physischen Körper müssen wir zum Beispiel
unsere Augen benutzen, um zu sehen, weil wir mit anderen Organen
nicht sehen können. Doch die Bewohner des göttlichen Reiches können
mit jedem Teil ihres geistigen Körpers sehen. Das Gleiche gilt für die an-
deren Sinne. Ein Sinn kann die Tätigkeiten aller anderen ausüben, weil
es keine Unterscheidung zwischen den Sinnen gibt, wie es in der physi-
schen Welt der Fall ist.

Weil der physische Körper begrenzt ist und keine ewige, reine Be-
ziehung zum Höchsten erfahren kann, kann die materielle Sexualität
niemals die Sehnsüchte der Seele erfüllen. Doch selbst in dieser Welt
können wir das Sexualleben auf eine Art und Weise ausüben, die einen
befreienden Aspekt annimmt. In der Bhagavad-gita, 7.11, sagt Lord Kris-
hna: »Ich bin das Sexualleben, das nicht im Widerspruch zu religiösen
Prinzipien steht.« Körperlicher Sex spielt im spirituellen Leben eine
wichtige Rolle, wenn wir ihn als Dienst für den Herrn betrachten – einen

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Dienst, der es den Seelen ermöglicht, in dieser Welt geboren zu werden,


um ihre Reise zurück nach Hause zu Gott fortzusetzen. Wenn wir eine
solche Haltung des Dienens haben, können wir sexuelle Aktivitäten aus-
üben, ohne unsere Bindung an die materielle Welt zu verstärken.

In der modernen Gesellschaft haben die meisten Menschen jeden


Tag Sex im Kopf. Obwohl sie es vielleicht nicht wissen, sehnen sie sich
in Wirklichkeit nach der erhabensten Erfahrung von allen – der höchs-
ten Verbindung der Seele in ihrer Verzückung mit der göttlichen Seele,
der letzten Quelle aller Seelen. Das Problem ist, dass diejenigen, die auf
der körperlichen Plattform funktionieren, versuchen, eine Vereinigung ohne
Vereinigung zu haben. Das heißt, sie suchen körperliche Intimität, ohne
zu wissen, wer oder was sie sind. Sie glauben, dass sie physische Körper
sind, und betrachten den Zweck des Lebens lediglich als persönliche Be-
friedigung und Stimulation. Leider führt ihre Unkenntnis der Seele dazu,
dass sie die Erfahrung der Vereinigung mit physischen Mitteln suchen.
Da jede echte Vereinigung geistig ist, können ihre Versuche letztlich nur
zu Frustration und Enttäuschung führen.

VERTRAULICHE ASPEKTE DER SPIRITUALITÄT

Jeder Versuch, spirituellen Sex oder spirituelle Vereinigung zu ver-


stehen, muss über die formale, majestätische, Ehrfurcht einflößende
Vorstellung von Gott als dem höchsten Schöpfer, Erhalter und Zerstörer
hinausgehen. Sie muss auch die unpersönliche Vorstellung von Gott als
Licht oder Energie hinter sich lassen.

Die tieferen, vertraulicheren Aspekte der Spiritualität beinhalten


eine intime, persönliche, schwärmerische Beziehung der Seele zu Gott.
Wenn wir nicht mehr an das materielle Bewusstsein gebunden sind und
kein Verlangen mehr nach physischer Sinnesbefriedigung haben, sind
viele Arten von intimen, süßen Beziehungen mit dem Herrn möglich. Sol-

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KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

che Beziehungen sind Teil der inneren Lehren jeder gutgläubigen spiri-
tuellen Tradition, wie sie von den fortgeschrittensten Heiligen erfahren
wurde.

Die inneren Lehren der Brautmystik in der christlichen Tradition be-


inhalten zum Beispiel persönliche Erfahrungen mit Gott, so dass Non-
nen in bestimmten Orden zu Bräuten des Herrn werden. Darüber hinaus
beschreiben die Schriften der heiligen Teresa von Avila und des heiligen
Johannes vom Kreuz eine mystische, eheliche, liebende Beziehung zu
Gott, in der die Seele, die von Natur aus weiblich ist, große Freude an der
Verbindung mit dem Geliebten empfindet. In der alten Vaisnava-Traditi-
on in Indien schreiben viele der großen männlichen gosvamis ebenfalls
darüber, dass sie in ihrem spirituellen Bewusstsein weiblich sind und
sich als Liebende des Herrn betrachten.

Leider sind die Menschen in der heutigen Zeit so äußerlich geworden,


dass sie die biblischen Berichte über spirituelle Erfahrungen als bloße
Allegorie oder Mythos betrachten. Doch das ist nicht der Fall. Das Hohe-
lied Salomos in der Bibel zum Beispiel spricht von einer persönlichen Be-
ziehung zu Gott als einem Liebhaber. Wenn wir einen Geistlichen bitten
würden, diese Passagen zu erklären, könnten wir viele Vermutungen hö-
ren. Doch der Dichter des Hohelieds Salomos beschreibt eine zwischen-
menschliche Erfahrung, in der er sich selbst als Frau sieht und den Herrn
als Liebhaber betrachtet. Das Gedicht, das nicht allegorisch, sondern
faktisch ist, beschreibt vertrauliche Aspekte der Vereinigung der Seele
mit dem Herrn. Es ist ein wörtlicher Ausdruck der Hingabe, Liebe und
Ekstase eines großen Heiligen.

Der liebevolle Austausch in der spirituellen Welt ist nicht auf den
Austausch von Angesicht zu Angesicht beschränkt. Letztlich gibt es zwei
Arten von Liebesbekundungen: jene, die in der Gegenwart des Geliebten
stattfinden, und jene, die in der Trennung von ihm stattfinden. Die Liebe,

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die in der Trennung vom Herrn empfunden wird, gilt als die tiefere Ver-
bindung, denn wenn der Geliebte nicht anwesend ist, ist der Liebende
ganz in der Meditation über ihn versunken und erwartet die Freuden des
Wiedersehens. Dieser Aspekt des spirituellen Lebens verdeutlicht den
großen Unterschied zwischen dem physischen Sexualleben und der spi-
rituellen Vereinigung. Die materielle Sexualität stützt sich weitgehend
auf die körperliche Stimulation, während die spirituelle Vereinigung die
Erfahrung der Trennung als noch größer erachtet als die tatsächliche An-
wesenheit des Geliebten.

Die natürliche Aktivität der Seele besteht darin, in ständiger, schwärme-


rischer Vereinigung mit dem Geliebten zu sein oder Vorbereitungen für diese
Vereinigung zu treffen. Dies ist ein weiterer radikaler Unterschied zur ma-
teriellen, sexuellen Aktivität, die nur stattfindet, wenn der Mensch den
Wunsch danach verspürt. Im spirituellen Leben erfährt die Seele immer
eine glückselige Vereinigung, sogar dann, wenn sie vom Geliebten ge-
trennt ist. Obwohl dies materiell gesehen keinen Sinn ergibt, ist es spiri-
tuell gesehen vollkommen sinnvoll, denn die Vereinigung im spirituellen
Bereich hat nichts mit physischen Körpern zu tun.

Der Unterschied zwischen der Vereinigung in einem geistigen Kör-


per und dem Sex in einem materiellen Körper ist vergleichbar mit dem
Unterschied zwischen Wasser und Öl. Obwohl beides Flüssigkeiten sind,
stirbt man, wenn man Öl trinkt, wohingegen man lebt, wenn man Wasser
trinkt, und den Tod nur riskiert, wenn man es nicht trinkt. Eine weitere
Analogie ist der Unterschied zwischen einem altruistischen, rechtschaf-
fenen Bürger und einem bösartigen, egoistischen Sträfling. Der Bürger
und der Sträfling unterliegen unterschiedlichen Gesetzen und haben
unterschiedliche Tätigkeitsbereiche. Der Lebensstil und das Umfeld des
Sträflings sind ein pervertiertes Abbild der tatsächlichen Gesellschaft.
Das Universum des Sträflings ist das Gefängnis, während der Bürger
die Freiheit hat, überall hinzugehen. Häftlinge, die ihre Inhaftierung ver-

276
KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

gessen und versuchen, ihre Gewohnheiten im Gefängnis beizubehalten,


ohne ihre kriminelle Gesinnung zu ändern, können ihre Bewährung ver-
wirken. Ähnlich verhält es sich, wenn wir in diesem materiellen Gefäng-
nis darauf beharren, uns mit den physischen Sinnen zu identifizieren,
dann verlieren wir unsere Fähigkeit, uns von der materiellen Energie zu
befreien.

DAS REICH DER EWIGEN ROMANTIK

Die höchste Ebene der spirituellen Welt ist ein Reich der ewigen Romantik,
in dessen Mittelpunkt ein selbstloser, liebevoller Austausch steht, bei dem wir
die Rolle des Liebhabers, der Eltern oder des Freundes für den Herrn spielen.
Je näher wir einem heißen Ofen kommen, desto mehr Wärme spüren
wir. Ähnlich gilt: Je mehr wir über die transzendentalen Bereiche wis-
sen, desto näher kommen wir der Gottheit. Je größer unsere Harmonie
mit Gott ist, desto stärker ist unser Kontakt mit der göttlichen Liebe. In
dem Maße, in dem wir unser Wissen über die Großherzigkeit, Allmacht
und Allwissenheit des Herrn vertiefen – und zwar nicht nur in der Theo-
rie, sondern in der Praxis -, erfahren wir Gottes Liebe in zunehmendem
Maße.

Eine Analogie kann helfen, das Wesen wahrer Liebesbeziehungen im


Gegensatz zu egozentrischen, lustvollen Verbindungen zu verdeutlichen.
Wenn wir jemanden zutiefst lieben – einen Ehepartner, ein Kind, oder ei-
nen Freund -, dann interessiert uns, was mit dieser Person geschieht. Wir
freuen uns über seine Erfolge und trauern um seine Verluste, als wären
es unsere eigenen und wir wollen ihm auf jede erdenkliche Weise hel-
fen. In der spirituellen Vereinigung ist es dasselbe, allerdings auf einer
höheren Ebene. Der Mensch, der einem anderen mit Liebe und Hingabe
dient, erfährt genauso viel, oft sogar mehr Freude als der Empfänger der
Handlung. Die vedische Tradition erklärt zum Beispiel, dass die Diener
von Srimati Radharani, der hingebungsvollen Gefährtin Lord Krishnas,

277
DER SPIRITUELLE KRIEGER II

millionenfach mehr Vergnügen erfahren als Krishna selbst. Dies ist das
Wesen wahrer Liebesbeziehungen im Gegensatz zu egozentrischem,
lüsternem Verhalten, das lediglich nach persönlichem Glück, Stimulati-
on und Vergnügen strebt.

Die göttliche Liebe, die aus den höheren Dimensionen in diese ma-
terielle Welt importiert wurde, liegt oft jenseits unseres Verständnisses,
weil vieles von dem, was wir in dieser Welt Liebe nennen, immer noch
auf egozentrischen Belangen beruht. Wir brauchen Hilfe, um sie zu er-
fahren. Die göttliche Liebe erreicht uns durch die Vermittlung höherer
Wesen, die aus den geistigen Reichen kommen, um uns zu lehren, zu
erheben und zu führen.

Die Bescheidenheit der göttlichen Vermittler kann schwer zu verste-


hen sein. Ein erfahrener Kampfsportler kennt die Macht seiner Hände
und Füße. Er kann ein Leben in Sekundenschnelle auslöschen. Aus die-
sem Grund hat er einen natürlichen Sinn für Demut, da er weiß, welchen
Schaden der Missbrauch seiner Fähigkeiten anrichten kann. Er weiß
auch, dass er für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden wird. In
gleicher Weise sind sich die göttlichen Boten ihrer großen Verantwor-
tung bewusst.

Im materiellen Sinne mag es widersprüchlich erscheinen, wenn gro-


ße Macht mit großer Demut einhergeht. Ein demütiger Mensch wird oft
als fügsam – ein Weichei – und nicht als mächtig angesehen. Aber geist-
lich gesehen sind diese beiden Eigenschaften durchaus vereinbar. Ob-
wohl die Vertreter des Herrn über enorme Macht verfügen, beruht ihre
Demut auf großer Liebe zu denjenigen, die sich in einem Zustand der
Amnesie befinden und unnötigerweise ein Leben lang leiden, obwohl es
Schlüssel gibt, um ihr Unglück zu beenden.

278
KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

Spirituelle Botschafter sind auch aus einem anderen Grund demü-


tig: Ihre Leistung wird überwacht und sie werden die Konsequenzen
erleiden, wenn sie ihre Aktivitäten nicht richtig ausführen. Ein weiterer
Grund für ihre Demut ergibt sich aus ihrer Abhängigkeit vom Herrn. Sie
erkennen, dass Er die Quelle aller Kraft und Liebe ist, nicht sie selbst.

Viele aufrichtige Lehrer haben die Aufgabe, ihre Anhänger auf be-
stimmte Aspekte des Reiches Gottes auszurichten und nicht auf ande-
re. Deshalb scheinen sich die Lehrer voneinander zu unterscheiden;
sie rufen die Seelen dazu auf, verschiedene Facetten der Liebe und des
Dienstes an Gott zu erfahren. Manchmal missverstehen die Menschen
dies und glauben, dass Gott nur einen einzigen Propheten oder Sohn
gesandt hat. Jesus selbst hat jedoch gesagt, dass er den Menschen die
Kraft geben kann, Söhne Gottes zu werden. Wenn wir einem der gut-
gläubigen Propheten mit Hingabe und Engagement folgen, können auch
wir bewusste Söhne und Töchter des Herrn werden. Wie wir gesehen
haben, verstehen die Religionen dies leider nicht und bekämpfen sich
gegenseitig, um die Exklusivität ihrer jeweiligen Lehren zu verteidigen.

GEHEN SIE TIEF IN IHRE EIGENE TRADITION HINEIN

Probleme entstehen, wenn Menschen ihren gutgläubigen Traditio-


nen nicht treu bleiben, weil sie nie tief genug in eine Lehre eindringen,
um ein sinnvolles spirituelles Verständnis zu erlangen. Bleiben sie je-
doch einem gutgläubigen Weg treu, können die Schriften und Praktiken
die Tür zu Gott öffnen. Wenn Sie sich mit dem Katholizismus am wohls-
ten fühlen, ist das in Ordnung. Das bedeutet, dass der Katholizismus
vielleicht Ihr Weg ist. Wenn Sie gerne Muslim sind, dann ist der Islam
vielleicht Ihre spirituelle Richtung. Wenn Sie einmal eine Entscheidung
getroffen haben, ist es jedoch wichtig, dass Sie Ihrer Schrift und Ihren
Praktiken treu bleiben, damit sich die Liebe zu Gott in der richtigen Rei-
henfolge entfalten kann.

279
DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Paradoxerweise können wir andere Traditionen nicht respektieren,


wenn wir nicht ausreichend an unsere eigene glauben. Es kann keine
»Interreligiosität« ohne Glauben geben. Wenn Menschen in anderen
Traditionen keinen tiefen Glauben an ihre eigenen Schriften, Lehrer und
Praktiken haben, werden sie sich ihrer eigenen Spiritualität auf einer
oberflächlichen Ebene nähern. Folglich werden sie sich im Umgang mit
anderen Religionen lediglich auf die Unterschiede in den äußeren Prak-
tiken konzentrieren und blind sein für die Einheit, die unter der Oberflä-
che existiert.

Was haben Menschen gewonnen, die von einem Weg zum anderen
wandern? Nichts als Frustration, einen mit Büchern vollgestopften Keller
und ein durch all die Schecks, die sie für Konferenzen und Workshops
ausgestellt haben, geleertes Bankkonto. Sie haben weder gelernt, ih-
ren Egoismus und ihre körperbewusste Lebenseinstellung aufzugeben,
noch haben sie eine tiefe Ebene der Liebe und des Mitgefühls entwickelt.
Stattdessen haben sie darauf beharrt, außerhalb von sich selbst zu su-
chen, um das zu finden, was tatsächlich in ihrem Inneren wohnt.

Spiritueller Fortschritt erfordert Liebe, Engagement und Hingabe,


wenn wir die Stabilität und das Verständnis erlangen wollen, um über
Sektierertum hinauszugehen. Wenn wir über genügend Tiefe verfügen,
können wir jede gutgläubige Tradition schätzen. Ein tiefes Erfahrungs-
wissen über unsere eigenen Lehren und Praktiken ermöglicht es uns,
andere zu respektieren und gleichzeitig unserem eigenen Weg treu und
keusch zu bleiben.

Vergessen Sie niemals diesen Punkt: Wir können dem allumfassenden


Gott nicht in einem kurzsichtigen Zustand des Bewusstseins dienen. Wir dür-
fen nicht fragmentiert oder parteiisch sein. Wir können nicht begrenzt
und sektiererisch sein, während wir behaupten, Boten der Liebe zu sein.
Wenn wir echte Botschafter der Liebe sind, bleiben wir zu jeder Zeit und

280
KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

an jedem Ort liebevoll und teilen das, was wir haben, mit anderen. Wenn
wir nicht in der Lage sind, bereitwillig zu teilen, dann müssen wir an uns
selbst arbeiten. Es braucht jemanden, der Gott ähnlich ist, um mit Gott
in Verbindung treten zu können.

Wie schön ist es, Menschen auf andere Weise beten zu hören – was
für ein wunderbares Orchester! Wie lohnend ist es, wenn Menschen un-
terschiedlichen Glaubens, unterschiedlicher Rassen, Geschlechter und
Nationalitäten harmonisch zusammenarbeiten! Wenn wir etwas anderes
denken, dann nehmen wir die Zersplitterung in Kauf, die die hartnäckigs-
ten Probleme der Welt an Orten wie Bosnien, Liberia, Ruanda, Burundi,
Nordirland oder im Nahen Osten verursacht. Wir müssen lernen, uns
mit den Menschen auf einer tieferen Ebene auf der Grundlage von Ähn-
lichkeiten im Bewusstsein auszurichten, anstatt uns auf Unterschiede
in Kleidung, Sprache, Rasse oder religiösen Praktiken zu konzentrieren.

SPIRITUELLES LEBEN IST UNSER RECHTMÄSSIGER ANSPRUCH

Das spirituelle Leben ist unser Geburtsrecht und steht jedem von
uns offen. Um diese materiellen Fesseln abzuwerfen, müssen wir zuerst
erkennen, was uns zur Verfügung steht, und dann unsere Verantwor-
tung verstehen, unser rechtmäßiges Erbe einzufordern. Wenn wir glau-
ben, dass der spirituelle Bereich jenseits unserer Fähigkeiten liegt oder
zu mühsam ist, um ihn zu erreichen, blockieren wir unseren eigenen
Fortschritt. Spirituelles Bewusstsein ist unser natürlicher Zustand und
steht jedem von uns zur Verfügung, wenn wir es wirklich wollen.

Wenn Gott unsere erste Priorität wird, tun wir bereitwillig unseren
Teil, um uns zu läutern und zu dienen. Dann ist die Barmherzigkeit der
Diener des Herrn immer zugänglich und hilft uns, ein Hindernis nach
dem anderen zu überwinden und Schichten von Karma abzubauen, so
dass wir in unserem hingebungsvollen Dienst schnell voranschreiten

281
DER SPIRITUELLE KRIEGER II

können. Leider neigen die meisten Menschen dazu, nur langsam voran-
zukommen, wenn überhaupt. Wenn wir uns zu langsam bewegen, sind
wir vielleicht nicht in der Lage, den materiellen Energien zu entkommen,
die uns mit großer Intensität verfolgen.

Alles hat seinen Preis. Im weltlichen Leben kann der Preis für ein be-
stimmtes Ziel einfach zu hoch sein, damit es sich lohnt. Aber im spirituel-
len Leben ist das Endergebnis ewige Liebe und Glückseligkeit, für die wir
unsere materiellen Anhaftungen und egozentrischen Kämpfe aufgeben
müssen, die ohnehin nur Leid bringen. Ist das so schwierig?

Denke einmal darüber nach. Wir sind von Leben zu Leben, von Kör-
per zu Körper gewandert, immer und immer wieder, Tausende oder Mil-
lionen von Malen. Wenn wir uns entscheiden, dieses Leben dazu zu nut-
zen, diesen Prozess ein für alle Mal zu beenden, ist das aus dieser Sicht
kein großes Opfer. Die Verwirklichung des Reiches Gottes ist jeden Preis
wert, den wir dafür zahlen müssen. Selbst wenn wir jeden einzelnen Tag
in Angst und Frustration leben müssten und von der ganzen Welt miss-
verstanden würden, wäre dieses Leiden unbedeutend im Vergleich zu
dem, was wir in der Ewigkeit erreichen würden.

Wäre das Ziel nicht so wunderbar oder wäre es nicht von Dauer, wäre
der Preis vielleicht zu hoch. Aber der Endpunkt ist sowohl wunderbar
als auch dauerhaft: kein Tod, keine Krankheit, kein Alter und kein Kampf
mehr – nur noch Glückseligkeit, Ekstase und ständiger liebevoller Aus-
tausch im Reich Gottes. Wir können all unser Leiden hinter uns lassen,
indem wir diese Lebenszeit Gott widmen, ohne dass daran Bedingungen
geknüpft sind. Warum tun wir das nicht?

282
KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

FRAGEN UND ANTWORTEN

Frage: In der Bibel ist häufig von der Gottesfurcht die Rede. Warum wird das
so betont?

Antwort: Es gibt einen Unterschied zwischen dem Himmel und der geis-
tigen Welt. Die Bibel, vor allem in ihrer jetzigen Form, lehrt uns wie wir
uns auf den Himmel vorbereiten sollen, der aus den höheren, materiel-
len Planeten und dem Wohnsitz der Engel besteht – nicht auf die spiritu-
elle Welt, die das Reich Gottes ist. Die Engel leben nicht im Reich Gottes.
Der Eintritt in dieses himmlische Reich wird im Allgemeinen mit dem
Gedanken begründet, dass man den Herrn fürchten muss, um nicht in
die Hölle zu kommen. Deshalb handelt ein großer Teil der biblischen Leh-
re von den Schrecken der Hölle oder der Furcht vor Gott. Wenn Kinder
aufmüpfig sind, muss man sie ermutigen, das Richtige zu tun, um nicht
gezüchtigt zu werden. Diese Art von Druck bringt sie dazu, innezuhalten
und darüber nachzudenken, was sie falsch gemacht haben und warum
sie das Richtige tun sollten.

Denke daran, dass ein großer Teil des Alten Testaments die Geschichte
der Kinder Israels erzählt, die den Herrn verleugnen, Übertretungen be-
gehen, heuchlerisch werden, sich selbst verwöhnen oder allgemein vom
Weg der Gerechtigkeit abkommen. Auch eines der grundlegenden Gebe-
te in der Bibel lautet: »Herr, gib uns unser tägliches Brot.« Dies ist nicht
die Plattform für bedingungslose, unmotivierte Liebe, sondern eher für
die Hoffnung, im Gegenzug für die Anbetung einen Segen vom Herrn zu
erhalten. Wer jedoch die Bibel gründlicher liest, wird allmählich zu der
Einsicht gelangen, dass »Dein Wille geschehe« das wichtigste Gebet von
allen ist.

Die Angst vor Feuer und Schwefel hat ihre Berechtigung, denn Men-
schen, die vom spirituellen Weg abkommen, müssen motiviert werden,

283
DER SPIRITUELLE KRIEGER II

ihr falsches Verhalten einzustellen, bevor sie die Notwendigkeit eines


anderen Lebens verstehen können. Die Erwartung einer Bestrafung
kann ein starker Anreiz sein, seine Gewohnheiten zu ändern.

Frage: Jede spirituelle Tradition lehrt uns, auf eine andere Weise zu chanten.
Die Christen, Juden, Muslime, Buddhisten und Hindus haben alle ihre eigenen
speziellen Mantras. Welches ist das richtige?

Antwort: Der Klang selbst hat eine Wirkung auf Materie und Bewusst-
sein: Er kann anregen, reinigen, herausfordern und Aufmerksamkeit er-
regen. Wenn wir den Namen von jemandem anrufen, stellen wir eine
Kommunikations- und Austauschlinie her und laden die Person ein, sich
mit uns zu verbinden. In ähnlicher Weise stellen wir eine spirituelle Ver-
bindung her, wenn wir verschiedene Mantras rezitieren.

Mantras sind kraftvoll und können wie Schwerter wirken, die negative
Energie, die uns umgibt wegschneiden. Verschiedene Mantras haben
unterschiedliche Zwecke. Manchmal gibt ein spiritueller Lehrer dem
Schüler ein grundlegendes, universelles Mantra, das in fast allen Situa-
tionen hilfreich ist. Zu anderen Zeiten kann der Lehrer sehr spezifische
Mantras geben, um einen bestimmten Umstand anzusprechen. Prakti-
zierende einiger Traditionen rezitieren bestimmte Mantras, um spiritu-
elle Zeremonien zu eröffnen, und andere, um sie zu beenden. Es gibt
Mantras zum Schutz und andere um eine innige Verbindung mit Gott zu
erwecken.

Mitglieder der Krishna-Bewusstseinsbewegung verwenden Perlenket-


ten als Unterstützung für das Chanten des Mantras, so wie es Muslime,
Buddhisten und Katholiken tun, wenn sie ihre besonderen Gebete rezi-
tieren. Das Chanten ermöglicht es dem Geist, sich in die Klangschwin-
gung zu vertiefen. Wenn wir das Mantra hörbar wiederholen, dringt sei-
ne Schwingung in das Ohr und hat eine reinigende Wirkung. Wenn wir es

284
KAPITEL 9 – Die Liebe zu Gott

im Stillen singen, fixieren wir den Geist auf das Mantra, so dass es uns
läutern kann.

Ma bedeutet Geist und tra bedeutet befreien. Die Art des Mantras be-
stimmt, wovon wir befreit werden. Universelle Mantras, die die Namen
des Herrn anrufen – wie Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna,
Hare Hare, Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare – bedeuten
einfach, dass wir darum bitten, aus der materiellen Welt in die Obhut des
Herrn entlassen und in seinen Dienst aufgenommen zu werden. Solche
Mantras, die allgemeine Appelle an das Göttliche sind, sind allumfassend
und können uns aus fast jeder Situation herausheben. Wenn wir uns auf
diese Schwingungen verlassen, werden wir den Unterschied körperlich,
geistig und spirituell spüren, weil das Mantra die Kraft hat, verschiedene
Schichten von Unreinheit und Widerstand zu durchdringen.

Frage: Sie haben erwähnt, dass wir uns immer bewusst sein sollten, dass
Gott unser Vater ist und dass alles Ihm gehört. Die gleichen Aussagen hören
wir auch in Bezug auf die Erlangung von irdischem Reichtum: Gott ist unser
Vater und da die ganze Welt Ihm gehört, gehört sie auch uns und wir können
sie erlangen. Das ist für mich ein Paradoxon. Könnten Sie das bitte klären?

Antwort: Auf den verschiedenen Ebenen des Gottesbewusstseins gibt


es unterschiedliche Grade der Liebe. Wenn unsere Liebe nicht tief ist,
betrachten wir das Objekt unserer Liebe im Hinblick darauf, was diese
Person für uns tun kann. Das ist wie im Geschäftsleben. Menschen mit
einem solchen Bewusstsein können eine Art von Hingabe an Gott ha-
ben, die sich so anhört: »Ich habe gebetet; ich habe meditiert; ich habe
gechantet; ich habe gespendet. Jetzt, Herr, bist Du an der Reihe. Was
wirst Du für mich tun?« Dieser Ansatz basiert nicht auf Liebe, sondern
auf dem, was man bekommen kann. Wie wir bereits gesagt haben, ist
eine solche Haltung zwar nicht sehr ausgeprägt, aber besser als gar kein
Interesse an Gott. Allmählich und mit Beharrlichkeit wird die materielle

285
DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Verunreinigung beseitigt, und die Person wird eine authentischere Er-


fahrung von Spiritualität machen.

Wenn wir uns einem Feuer nähern, wird uns zuerst warm, dann wird uns
heiß, und schließlich verbrennen wir uns. Das Feuer absorbiert, was in
es hineingekommen ist. In ähnlicher Weise verbrennt das spirituelle Le-
ben allmählich unsere materiellen Begierden. Die Bhagavad-gita erklärt,
dass wir, selbst wenn wir noch solche Wünsche haben, die Früchte unse-
rer Arbeit dem Herrn darbringen können. Wenn wir weiter fortschreiten,
folgen wir einer Progression, die von der direkten Arbeit für den Herrn
über die Befolgung von Prinzipien der Hingabe bis hin zur völligen Hin-
gabe an den Herrn reicht. Es gibt nie einen Zeitpunkt, an dem wir den
Gipfel des geistlichen Lebens erreicht haben; es gibt immer etwas Höhe-
res. Indem wir unseren Wunsch, mehr zu lieben und zu dienen, steigern,
wird der Herr in unseren Herzen dafür sorgen, dass diese Erfahrungen
eintreten. Das transzendentale, spirituelle Leben ist eine ewige Roman-
ze, in der jeder Austausch explosionsartig süßer und süßer wird.

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