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KAPITEL 2

WAS IST LIEBE?

Alle von uns möchten bedingungslos und ewig geliebt werden – mit
einer Liebe, die über Schönheit, Intelligenz oder irgendeiner anderen
oberflächlichen Eigenschaft hinwegsieht. Wir möchten geliebt werden,
weil es uns einfach gibt. Gleichzeitig haben wir ein natürliches, angebo
renes Verlangen, die Liebe mit anderen zu teilen. Dieses Liebesanliegen
besteht, weil wir in Wirklichkeit ewige, liebende Wesen sind, deren Seele
von Wissen und Glückseligkeit erfüllt ist. Obwohl wir vorübergehend in
der stofflichen Verkörperung von materieller Energie bedeckt sind, bleibt
die uns innewohnende Natur göttlich und wir streben stets bewußt oder
unbewußt nach der glückseligen Liebe des spirituellen Königreichs, wo
unsere wahre Erfüllung liegt.

Doch etwas scheint immer schief zu gehen. Trotz unserer ständigen


Suche, erleben wir oft Enttäuschungen und entdecken, dass unsere Er
fahrung der Liebe zeitweilig ist. Obwohl wir uns in verschiedenen Bezie
hungen versucht und versagt haben, glauben wir weiterhin beharrlich
daran, dass irgendwo da draußen die richtige Person auf uns wartet. Aus
einem unerklärlichen Grund scheinen wir uns nie zur richtigen Zeit am
richtigen Ort zu befinden.

DER WELT MANGELT ES AN LIEBE

Unzählig viele Menschen haben sich in der heutigen Welt noch nie
richtig geliebt gefühlt. Sie haben keine Vorstellung was, trotz ihrer tie

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II
fen Sehnsucht Liebe wirklich ist. Tatsächlich entwickelte sich der Begriff
der »Liebe« in unseren täglichen Beziehungen in eine nicht klare Bedeu
tung und mag manchmal sogar etwas völlig anderes, wie Herrschaft und
Bedürfnis, bezeichnen. So wird die Idee der Liebe oft auf einen bloßen
körperlichen Austausch reduziert oder auf den Versuch, von einem an
deren Menschen Befriedigung zu erlangen – wenn nötig mit Gewalt. Das
ist keine Liebe.

Das Problem entsteht, weil wir an den falschen Orten nach Antwor
ten suchen. Wir haben die spirituelle Dimension des Lebens vergessen.
Einer Gesellschaft ohne spirituellen Kern fehlt der »kosmische Kleb stoff«,
der alles zum Wirken bringt. Liebe ist dieser kosmische Klebstoff, der uns
zusammenhält, während wir lernen, wie wir miteinander und letztlich mit
der höchsten Persönlichkeit Gottes eine Beziehung einge hen können.

Die moderne Gesellschaft scheint das vergessen zu haben. Doch ob


wohl sich uns das Erlebnis der Liebe oft entzieht, besitzen wir das Wissen tief
in uns selbst, dass die Liebe unser Geburtsrecht ist. Es ist, als ob uns jemand
etwas köstlich Verlockendes vor die Nase hält und es doch außerhalb un
serer Reichweite bleibt. Wir wollen es haben und wissen, dass es erhält
lich ist, doch sind wir nicht imstande, es zu fassen. Deshalb ersetzen wir
es mit etwas anderem, ganz in der Hoffnung, dass wir Glück im Reichtum,
Ansehen oder in der Macht finden. Lasst uns etwas tiefer gehen und
sehen, wie das ganze funktioniert, indem wir zuerst untersuchen, was die
Liebe nicht ist.

IN DER LIEBE GEHT ES NICHT DARUM, ETWAS ZU BEKOMMEN

Echte Liebe kümmert sich nicht um persönlichen Gewinn, sondern


eher um die Qualität des Austausches unter den Beteiligten. Wenn wir
nur an uns denken und versuchen, Vorkehrungen zu treffen, um zu

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?
bekommen, was wir wollen, dann ist das kein Ausdruck der Liebe. Be
dingungslose Liebe gründet nie auf dem Versuch, etwas zu bekommen.
Stattdessen ist es eine Erfahrung des Gebens eine erhabene und freud
volle Tätigkeit, in der jeder Beteiligte danach strebt, großzügiger als der
andere zu sein.

Dieser Punkt ist vor allem für jene Gesellschaft von besonderer Be
deutung, in der oft Liebe mit Sex verwechselt wird. Sex bereitet uns ei nes
der größten Vergnügen, das wir hier erfahren können und wir versu chen
es, so oft wie möglich zu genießen. Fast alle größeren Bemühungen
unser Bewusstsein zu beeinflussen, gründen auf dem Versuch, uns se
xuell zu verlocken. Leider hat dieser Versuch, die menschliche Zivilisati on
zu versklaven, nur allzu großen Erfolg. Wie wir bereits erörtert haben,
versuchen heutzutage zahllose Werbungen, den sexuellen Wunsch der
Öffentlichkeit zwecks Verkaufsförderung, zu beleben. Die Folge ist die
Ausrichtung der Menschen auf Äußerlichkeiten. Sie legen keinen Wert
mehr darauf andere oder sich selbst kennenzulernen. Da sie nicht über
das »körperliche Spiel« hinauskommen, ist ihr Bewußtsein in Wirklich keit
ein versklavter Gegenstand körperlicher Lüste.

Doch Liebe hat nichts mit der Menge an sexueller Befriedigung zu


tun, welche wir von der anderen Person bekommen können. In der Lie be
geht es nicht nur um Sex. Die Menschen sagen oft: »Lass uns Liebe
machen«, wenn sie eigentlich: »Lass uns Sex haben« meinen. Wenn wir
glauben, Sex sei Liebe, dann wird sogar Inzest annehmbar, weil sich der
Vater, der seine Tochter liebt, die Freiheit nehmen wird, sich ihr sexu ell
zu nähern. Und tatsächlich nimmt auf der ganzen Welt der Inzest zu,
dazu haben wir schon erwähnt, wie auf diese Weise viele Opfer furchtba
re Wunden mit sich tragen – manchmal ein ganzes Leben lang.

Liebe hat nichts mit Ausbeutung zu tun. Sie ist kein Geschäft oder ein
Abrechnungssystem, das von einer Person verlangt, die Rechnung

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

einer anderen zu begleichen. Stattdessen drückt wahre Liebe die auf


richtige Sorge um das Wohl des anderen aus. In unserer »Leiste-mir-Ge
sellschaft«, die davon ausgeht, dass die Menschen stets Hintergedanken
bei ihrem Tun besitzen, ist das schwierig zu verstehen.

Oft entscheiden wir uns für sichere Beziehungen, die wie ein Ge
schäft funktionieren: »Du befriedigst mich, und ich befriedige dich.«
Doch sobald Störungen in unserer Abmachung aufkommen, sind wir lei
der zu schnell dazu bereit, eine andere Beziehung zu suchen. Letztlich
hat wahre Liebe nichts mit dem zu tun, was andere sagen oder tun. Sie
gründet in uns selbst – und nicht in anderen Personen – denn sie ist Aus
druck von dem, was wir sind, was wir haben und was wir teilen können.

Wenn wir jemanden lieben, möchten wir etwas für diese Person tun.
Wenn wir uns wirklich um unseren Ehemann, unsere Ehefrau, Kind oder
Freund kümmern, dann werden wir bei jeder Gelegenheit zum Dienen,
angeregt sein. Denn wenn wir jemandem einmal einen Dienst erwiesen
haben, werden wir noch viel angeregter sein, weil wir uns glücklich schät
zen, die Person unterstützt zu haben. Wann immer Schwierigkeiten auf
kommen, werden wir begierig sein, etwas für unseren Geliebten zu tun,
um ihm unsere Zuneigung und Ergebenheit zu zeigen, ohne gleichzeitig
etwas dafür zu erwarten.

LIEBE IST NICHT BLOSS EIN GEFÜHL

Die meisten von uns denken, Liebe sei ein Gefühl, das je nach Um
ständen zu- oder abnimmt. Doch wahre Liebe ist weder an unser Gefühl
gebunden, noch ist sie von äußerlichen Einflüssen abhängig. Wahre Lie
be ist göttlich und kann nicht von ihrer Quelle, Gott, getrennt bestehen.

Liebe ist nicht etwas, das wir wie einen Wasserhahn auf- und zudrehen
können. Oft verstehen wir das in unserer Gesellschaft nicht. Mann und
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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

Frau mögen eheliche Gelübde ablegen, um es sich nach einigen Mona


ten oder Jahren wieder anders zu überlegen. In einem solchen Bewusst
seinszustand sind wir ständig auf der Suche nach etwas, das sich außer
halb von uns selbst befindet, statt dass wir die wahre Liebesquelle in uns
anzapfen. Obwohl wir manchmal durch die Taten eines anderen gestört
sein mögen, bleibt wahre Liebe standhaft, weil sie in etwas viel tieferem
als in Gefühlen gründet. Wenn Liebe bloß sentimental ist, dann kann
jede Meinungsverschiedenheit den Gegenstand unserer Liebe plötzlich
zu unserem Feind machen.

So manche Menschen haben Schwierigkeiten, sinnvolle Beziehungen


mit anderen herzustellen. Wenn die anfängliche Verliebtheit vergeht,
entdecken sie enttäuscht, dass ihre Beziehung eher reaktiv denn proak tiv
war. Eine proaktive Person gründet ihre Prinzipien auf klaren Vorstel
lungen und ist philosophisch orientiert, während eine reaktive Person in
egozentrischen Angelegenheiten vertieft ist, wie zum Beispiel Essen,
Schlafen, Verteidigung und Fortpflanzung. Reaktive Menschen sehen
alles hinsichtlich ihres persönlichen Genusses. Für sie ist die Liebe ein
Gefühl, das ihr eigenes Wohlgefühl steigert, und wann immer sie nicht
bekommen, was sie wollen, ziehen sie sich zurück.

Andererseits kümmern wir uns überhaupt nicht um uns, wenn wir


aufrichtig lieben. Liebe ist ein Verb: wir zeigen Einfühlungsvermögen, wir
schätzen, teilen, helfen und geben. Wir versuchen uns nicht wohlzufüh
len oder unsere Umgebung zu beherrschen, nur um unseren eigenen
Genuss zu steigern.

LIEBE IST NICHT IMMER ANGENEHM

Weil Liebe nicht von unseren angenehmen Gefühlen bestimmt wird,


kann Leid ein wesentlicher Bestandteil der Liebe sein. Obwohl viele von
uns lieber Glück erfahren und das Leid aus unseren Beziehungen besei

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

tigen wollen, beruht diese Einstellung auf dem Wunsch nach eigener Sin
nesbefriedigung. Wahre Liebe kann uns tatsächlich viel Glück bescheren,
doch kann sie auch großes Leid verursachen.

Wenn wir nur ein bisschen unser Leben betrachten, werden wir mer
ken, dass unser größtes Leid ausnahmslos aus Beziehungen mit Perso
nen stammt, die wir lieben. Vielleicht versuchten wir zu geben und es
wurde nicht genug geschätzt, oder wir wollten eine liebevolle Beziehung
aufbauen, was jedoch irgendwie nicht klappte. Wer kann sich nicht an die
tiefe Kränkung, betrogen, enttäuscht, vernachlässigt und verlassen
worden zu sein erinnern? Gleichzeitig stammt auch unser größtes Glück
aus Beziehungen mit anderen. Es ist ein Widerspruch, dass wir durch Liebe,
die mächtigste Heilkraft, die es gibt, dem Leid gegenüber so anfällig sind.

In einer liebenden Beziehung wird jede Schwierigkeit in unserem Le


ben zu einer Herausforderung, mit der wir den Herrn lobpreisen und
Ihm dienen können. Wenn uns jemand am Herzen liegt, dann sind die
schwierigen Zeiten wunderschön, da sie die Notwendigkeit einer tiefe ren
Verständigung veranschaulichen. Weil unser Partner unsere Worte und
Taten nicht im Geist der Liebe angenommen hat, verspüren wir ein
Bedürfnis nach Liebe. Das gibt uns eine tolle Gelegenheit zu dienen und
für das Wohl der anderen Person zu handeln.

Wenn wir Herr der Lage sind, dann fühlen wir uns überall wohl. Doch
sowie etwas nicht nach unserem Plan läuft, werden wir uns nur wider
willig unserem Partner anpassen. Wann immer Zweifel in unserer Bezie
hung aufkommen, wenden wir uns ab. Diese Zweifel mögen aufkommen,
wenn es uns an starkem Glauben fehlt oder wenn wir uns unsicher füh
len. Oft übertragen wir unsere Ängste und Phobien auf unseren Partner
und auf die Umgebung, damit wir uns der Tatsache, dass das Problem
sich in unserem eigenen Bewußtsein befindet, nicht stellen müssen.
Selbst wenn uns jemand lobpreist, denken wir mißtrauisch: »Was willst

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

du damit sagen?« Manche Menschen bleiben stur bei ihrem ablehnen


den Verhalten, egal was passiert.

Unser Ziel als spirituelle Krieger ist, so liebevoll zu werden, dass uns
nichts mehr stört. In einem solchen Zustand werden wir von einer nega
tiven Grundhaltung überhaupt nicht mehr beeinflußt. Stattdessen wer
den wir sowohl für die negativen Kommentare als auch für Lob dankbar
sein; und vielleicht werden wir sogar grobe Worte auf liebevolle Weise zu
deuten vermögen. Das mag auf den ersten Blick naiv erscheinen. Doch
eigentlich spiegelt ein solches Benehmen den festen Glauben an den
Herrn wieder und steigert die Bereitwilligkeit, unseren Glauben und un
sere Liebe mit anderen zu teilen. Jeder von uns besitzt die Fähigkeit, sich
in unserer Liebe derart zu festigen, dass uns alles in unserer Umgebung
hilft, noch liebevoller zu werden. Das ist die Gemütsstimmung eines ech
ten spirituellen Kriegers.

EIFERSUCHT UND NEID HABEN NICHTS MIT LIEBE ZU TUN

Doch selbst in spirituellen Kreisen verstehen die Menschen oft nicht,


wie man sich liebt. Trotz angeblicher Verpflichtung zur spirituellen Le
bensart, mögen die einzelnen Mitglieder gegenüber ihren Genossen Neid
und Eifersucht empfinden. Zum Beispiel schreitet jemand im spi rituellen
Leben voran, doch sind diejenigen, die im materiellen Bewußt sein
gefangen sind, unfähig, ihre Freude darüber zu verspüren. Stattdes sen
werden sie eifersüchtig und gemein.

Menschen, die Ruhm, Geld und materielle Bequemlichkeiten vereh


ren, sind an zeitweilige Erscheinungen des Lebens angehaftet. Letztlich
sind sie zum Unglücklichsein verurteilt, da alles Zeitweilige zerfällt. Sie
verdammen sich zu Verlust und Enttäuschung. Das Streben nach egois
tischen Freuden ist ein Hauptmerkmal der modernen westlichen Kultur.
Beim Vorgang auf dem Weg die Spitze zu erklimmen, sind wir gezwun

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

gen zu denken: »Ich gewinne nur, wenn du versagst.« Damit wir Fort
schritte machen können, wünschen wir so den anderen das Unglück. Wir
mögen sogar im Glauben sein erfolgreich dabei zu werden, einen mögli
chen Gegner zu sabotieren.

Wir sollten uns jedoch vor Augen halten, dass wir jedesmal, wenn wir
Trauer, Beunruhigung oder Neid auf den Erfolg eines Anderen verspü ren,
wir für die Segnungen, welche uns ein spirituelles Leben bereithält, nicht
geeignet sind. Unter solchen Umständen müssen wir an uns selbst
arbeiten, um uns von den egoistischen Antrieben zu befreien, so dass wir
letztlich jene Stufe erreichen, wo wir bei Errungenschaften anderer
glücklich und begeistert sein werden. Das Wachstum eines anderen wird
uns dann nicht schwächen, sondern eher stärken.

LIEBE IST STÄRKER ALS ZWEIFEL

Liebe muss über jeden Zweifel erhaben sein, den wir in Bezug auf
den Wert unseres spirituellen Lebens haben mögen. Anhaltende Zweifel
schaden dem spirituellen Fortschritt immer. Sie lassen uns anfällig für
materielle Illusionen werden und schwächen unsere Verbindung zur
spirituellen Führung und deren Schutz. Das bedeutet jedoch nicht, dass
wir blinde Anhänger sein sollen, welche die spirituellen Lehren, ohne sie
zu hinterfragen einfach annehmen. Zweifel kommen natürlicherweise
auf, solange wir auf dem spirituellen Pfad fortschreiten. Doch um die
innewohnenden Gefahren der hartnäckig andauernden Zweifel zu ver
meiden, sollten wir jede Frage sowie sie auftaucht stellen. Unsere
aufrichtige Erkundigung kann Zweifel tilgen, ohne negativen Einflüssen
die Möglichkeit zu gewähren, uns irrezuführen.
Spirituelles Leben ist intensiv und erfordert einen starken Glauben
sowie eine feste Überzeugung. Ungelöste Zweifel lassen im Körper und
Geist frühere Gewohnheitsmuster wieder aufkommen. Man benimmt

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Kapitel 3 – Was ist Lust?

sich wie ein Drogenabhängiger, der bei Schwierigkeiten im Leben seinen


gewohnten Trost bei Drogen sucht. Wenn unser Glaube und unsere Kraft
schwinden, suchen wir ganz natürlich einen Ausweg zu früheren Mecha
nismen, um Probleme zu bewältigen und um etwas Trost zu finden.

Tatsächlich sind die meisten von uns Abhängige. Wir sind sehr von
unseren Sinnen und der niederen Natur abhängig, die seit langer Zeit
unsere stetigen Begleiter sind. Während wir spirituell fortschreiten,
müssen wir aufpassen, nicht unausgeglichen zu werden, um eben nicht
in alte Muster zurückzufallen. Deshalb ist es wichtig, dass wir
baldmöglichst und so aufrichtig wie möglich unsere Zweifel beseitigen.

DIE QUELLE DER LIEBE

Da wir gesehen haben, was Liebe nicht ist, wollen wir nun einen nä
heren Einblick gewinnen, was Liebe ist und woher sie kommt. Den Ur
sprung der Liebe findet man nur an einem Ort, der weit jenseits dieser
materiellen Welt liegt. Eigentlich kann inbrünstige Liebe nicht unabhän
gig vom Höchsten Herrn existieren, weil der Herr die Quelle und Schatz
kammer von allem ist. Diejenigen, die behaupten, sie hätten Liebe, ohne mit
dem Göttlichen verbunden zu sein, mögen denken, sie besäßen wertvolle
Diamanten; doch eigentlich besitzen sie nichts weiter als Glasscherben. Da
ihnen die wesentliche spirituelle Verbindung fehlt, besitzen sie in Wirk
lichkeit gar nichts. Andererseits sind echte Spiritualisten von selbst voller
Liebe, da sie Kanäle von Gottes eigener Energie sind. Da sie göttliche
Liebe ausstrahlen, teilen sie diese ganz natürlich mit anderen und helfen
ihnen, sich mit dieser Liebe zu verbinden.
Unsere Sehnsucht nach ewiger Liebe ist ein Zeichen, dass wir uns
nicht in unserer natürlichen Stellung befinden. Dieser zeitweilige, irdi
sche Zustand erfüllt uns nicht, weil physische Körper und materielle
Wechselwirkungen immer einen Anfang und ein Ende haben. Wir wollen

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

ewig geliebt werden, weil wir unvergängliche spirituelle Wesen sind und
weil die Liebe ein ewiger Ausdruck der Seele ist.

Letztlich bestätigen alle großen spirituellen Traditionen, dass wir lie


bende Wesen, jedoch Fremde in dieser materiellen Welt sind. Sie lehren
uns, dass wir eine Möglichkeit haben, viel mehr Liebe zu erfahren, als wir
sie für gewöhnlich in unserem täglichen Leben wahrnehmen. Wenn wir
liebevoller werden und uns bemühen, anderen zu dienen, treten wir
allmählich in das Reich der göttlichen Liebe ein. Wenn wir diese echte
Liebe anderen darbringen, bekommen wir dafür noch viel mehr zurück.
Sobald wir einmal eine tiefe spirituelle Verbindung entwickelt haben, be
ginnen wir jene Freuden zu erfahren, die wir uns früher so erhofft haben,
doch sie nie im materiell bedingten Leben finden konnten. Wir werden
eine endlose Liebe entdecken, die unbeschränkt von Zeit und Umstän
den sowie völlig erfüllend ist.

BEDINGUNGSLOSE LIEBE IST SPIRITUELL

Bedingungslose Liebe befindet sich jenseits materieller Angelegen


heiten. Sie existiert in einem Reich, das Körper und Geist übersteigt und
einen ewigen Bezug zur Natur der Seele hat. Ihre natürliche Ausdrucks
kraft ist frei von körperlichen Begrenzungen wie Geburt, Krankheit, Alter
und Tod. Um eine solche Liebe zu erfahren, müssen wir unsere eigenen
selbstischen Wünsche nach Sinnesbefriedigung aufgeben und aufhören,
eine bestimmte zeitweilige Reaktion herbei zu sehnen.
Bedingungslose Liebe ist nur das: Sie ist ohne Bedingungen, motivlos
und ununterbrochen. Solche Liebe ist jenseits jeglicher Bemühung, gut,
aufrecht, ethisch und moralisch zu sein. Viele »gute« Menschen tun das
Richtige nur, um Anerkennung und Lob zu erhalten. Im Gegensatz dazu,
ist eine Tätigkeit, die auf bedingungsloser Liebe beruht, eine, die wir
ausführen, selbst wenn andere uns deswegen Vorwürfe machen. Zum

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

Beispiel weiß eine Mutter, dass ihr Kind gerne spielt und nicht aufhört,
wenn es Abendessen gibt. Trotzdem ruft die Mutter ihr Kind, unbeein
druckt von dessen Zorn, da sie weiß, dass ihr Kind Nahrung braucht.

Die Elemente, welche die physische Welt bilden, sind ein Teil von Got
tes getrennter, äußeren Energie und sind nicht unmittelbar mit den tie
feren Aspekten des Göttlichen verbunden. Im Gegensatz dazu ist reine,
grundlose Liebe transzendental zu allem Materiellen und kann uns letzt
lich mit den kraftvollen inneren Energien Gottes verbinden.

Im Sanskrit wird von sat-cit-ananda-vigraha gesprochen, was bedeu


tet, dass die Seele ewiglich in der Verzückung der Liebe versunken, mit
vollkommenem Wissen durchdrungen und von Glückseligkeit durch
tränkt ist. Tiefe Liebe kann ohne Wissen und Wertschätzung nicht be
stehen. In Abwesenheit dieser Eigenschaften wird Liebe etwas theoreti
sches und allgemeines. Wir können keine tiefe Liebe für jemanden, den
wir nicht kennen empfinden, selbst wenn wir im großen und ganzen ein
»schönes Gefühl« zum betreffenden Individuum haben. Das meiste, was
wir zum Ausdruck bringen können ist ein Gefühl unbestimmter Bewun
derung.

Je mehr wir über diejenige, die wir lieben wissen, umso mehr können
wir unsere Liebe vertiefen und festigen. Echte Liebe gründet auf dem
Bewußtsein bestimmter Merkmale und Eigenschaften. Wenn wir die ge
liebte Person gut kennen, entwickeln wir eine tiefe Wertschätzung für sie
und wissen, wie wir ihr am besten dienen können. Andererseits, wenn
wir nicht genug über jemanden wissen, kann unsere Unkenntnis Schwie
rigkeiten erzeugen, da es uns am richtigen Verstehen fehlt, um wirksa
mes Verständigen und Handeln zu entwickeln. Genauso können wir Gott
nicht lieben, wenn wir nicht genau wissen, wer der Herr ist, was der Herr
tut und was Er von uns will.

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

EIN TREFFEN VON WEISEN

Mit all den Hollywood-Darstellungen sentimentaler Liebe, die in


unserer mechanisierten Gesellschaft vorherrschend sind, haben vie le
von uns Schwierigkeiten, die wahre Bedeutung spiritueller Liebe zu
verstehen. Wir haben wenig Gelegenheit, über körperliche Beziehungen
hinaus zu gehen oder andere nicht als Erweiterung von uns selbst zu
betrachten. Diese Art der Annäherung zur Liebe ist so beherrschend,
dass sie selbst unsere Einstellung zu Gott beeinflusst. Wir besitzen die
Neigung den Herrn als jemanden zu betrachten, der uns unsere persön
lichen Wünsche erfüllt, weshalb wir kein Interesse am selbst-, motiv- und
bedingungslosen Dienen für den Herrn zeigen.

Das Srimad-Bhagavatam, eine uralte und sehr heilige vedische Schrift,


beschreibt eine Zusammenkunft von Yogis und großen Mystikern ver
schiedener Schulen, die vor langer Zeit im Wald von Naimisharanya, in
Indien, zusammenkamen. Sie stellten sich vor allem eine Frage: »Was ist
für den Menschen die erhabenste Tätigkeit?« Die dort anwesenden Yogis
waren begierig, den angebrachtesten Vorgang zu entdecken, um die
höchste Ebene der spirituellen Entwicklung zu erlangen. Sie waren bereit,
wenn nötig, für Jahre zusammenzubleiben, bis sie zu einer zufrie
denstellenden Schlussfolgerung kommen würden. Trotz der Tatsache,
dass sie aus vielen verschiedenen Traditionen kamen, teilten sie alle das
gemeinsame Ziel, die größten spirituellen Wahrheiten erfahren zu wol len.
Inmitten des Treffens erschien ein ungewöhnlich reiner Geweihter des
Herrn, Suta Gosvami. Er war sich nicht mehr der materiellen Welt
gewahr. Er trug keine Kleidung und war so in Gedanken zu Gott vertieft,
dass ihn manche Menschen für verrückt hielten. Trotz seiner Erschei nung
verstanden die versammelten Weisen, dass diese sonderbare Per son ein
außergewöhnliches und erhabenes Wesen war. Die Suchenden am
Treffen waren sehr ernsthaft. Bei jeglichen spirituellen Treffen ist die
Ernsthaftigkeit des Sprechers und der Zuhörer sehr wichtig. Dieses

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

ungewöhnliche Wesen, Suta, war völlig selbst- und motivlos. Weder er


schien er am Treffen, um jemanden zu beeindrucken, noch unter einem
besonderen Vorwand. Er zog in der Welt umher, bis er auf Yogis traf, die
entschlossen waren, die Wahrheit zu kennen sowie bereit, jegliche Ritu
ale, Übungen und jegliches Studium auszuführen, die ihnen helfen könn
ten, diese Wahrheit zu entdecken.

Was schließlich beim Treffen herauskam, war das Verständnis, dass


Spiritualität nie die Angelegenheit eines Glaubens oder Dogmas gegen
andere ist. Der umherziehende Weise verharrte nicht bei solch zeitwei
ligen Auffassungen, noch behauptete er, dass eine Lehre besser sei als
eine andere. Stattdessen sprach er über die Bedeutung von Wissen,
Dienst und Liebe zu Gott, was sich jenseits jeglicher Äußerlichkeiten be
findet. Außerdem erklärte er, wie Liebe und Dienst die wahre Grundlage
für Selbsterkenntnis bilden. Wenn wir Gott bedingungslos lieben, beten
wir nicht um Befreiung von Angstgefühlen, Leid oder Enttäuschung. Sol
che Gebete sind kein Merkmal erhabener Hingabe. Stattdessen müssen
wir lernen, unsere Liebe zu teilen, indem wir unmotivierten, ununterbro
chenen Dienst leisten.

LIEBE IST UNMOTIVIERTER [DAS KLINGT UNPASSEND] DIENST


Liebe ist viel mehr als wohlklingende Worte; sie wird nur durch unser
Benehmen echt. Wir drücken unsere Liebe durch das aus, was wir tun.
Wenn jemand dem anderen seine Liebe beteuert, aber nicht bereit ist,
dieser Person zu dienen, so ist das keine tiefe Liebe. Diese Liebe ist
theoretisch und nicht echt. Wenn wir unsere Liebe nicht durch dynami
sches Handeln zeigen, dann ist etwas nicht in Ordnung. Je tiefer die Lie
be, umso mehr werden wir sie durch selbstloses Dienen zum Geliebten
zum Ausdruck bringen.

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Dieses Verständnis der Liebe als Dienst ist die Grundlage aller großen
Weltreligionen. Obwohl sich diese Religionen, oberflächlich betrachtet, in
vielerlei Hinsicht unterscheiden, sind sie sich über einen Punkt einig:
Wahre Religion bedeutet, Gott zu dienen. Wie auch immer wir uns
nennen mögen – Christ, Jude, Moslem, Buddhist oder Hindu –, es ist
nicht von besonderer Bedeutung, genauso wenig wie die Rituale, die wir
ausführen. Hinter all den äußerlichen Bräuchen steht die Tatsache, dass
jeder religiöse Pfad entstanden ist, um uns bestimmte Wege aufzuzei
gen, Gott zu lieben und zu dienen.

Obwohl sich Liebe jenseits von Sehen, Hören und Fühlen befindet,
können all diese Elemente im selbstlosen Dienen miteinbezogen werden.
Wenn unsere Liebe bedingungslos ist, suchen wir nicht nach irgend einer
bestimmten Erfahrung für unser eigenes Wohl, wie wir es sonst täten,
wenn wir uns mit eigennützigen Tätigkeiten zum Zweck unserer
Sinnesbefriedigung beschäftigten. Egoistische Handlungen verbieten uns,
eine tiefere Verbindung zu Gott zu entwickeln, denn sie gründen auf den
illusorischen Vorstellungen von »Ich« und »meine Bedürfnisse«, »meine
Wünsche«, »mein Körper«. Sie sind nicht wirklich auf den Dienst für die
geliebte Person ausgerichtet.
Je mehr wir geben und teilen, was wir haben, desto mehr stellen wir
den Herrn an die erste Stelle und nehmen Unannehmlichkeiten in Kauf,
um Ihm zu dienen. Wenn wir wenig besitzen, bringen wir ein Stück Brot
oder ein Glas Wasser dar. Wenn wir nur eine Banane besitzen, bringen
wir diese dar. Wenn wir überhaupt etwas zum Essen haben, dann sollte
auch die andere Person essen können.

Wenn wir jemanden lieben, möchten wir uns um ihn kümmern; wir
sind begierig, unsere innersten Gefühle mit Taten für unser Objekt der
Liebe auszudrücken. Ein Mann, der seine Frau und seine Kinder liebt,
sagt es nicht nur; er verbringt seine Zeit mit ihnen und kümmert sich um

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

ihre Bedürfnisse. Eine Frau mag behaupten, sie liebe ihren Mann und ihr
Kind, doch wenn sie ihr Kind nicht ernährt und ihren Mann nicht unter
stützt, dann dürfen wir zurecht an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln.

Manchmal sprechen wir Liebesworte aus, obwohl wir das Gegenteil


fühlen, einfach nur deswegen, um eine Anerkennung und Bestätigung zu
bekommen, so das wir selbst geliebt werden. Ein solches Benehmen
widerspiegelt weder Liebe noch Dienst. Wir sollten nicht lügen, nur um
belohnt zu werden. Wenn unsere Liebe echt ist, werden wir uns offen
und von ganzem Herzen und ohne den Hintergedanken, »Was springt für
mich dabei heraus?«, der geliebten Person hingeben.

Wenn Liebe aus der Haltung, eine bestimmte Reaktion zu erhalten,


bestünde, was geschähe dann, wenn wir nicht das gewünschte Ergebnis
bekommen? Wenn wir Liebe mit Sinnesbefriedigung gleichsetzen, setzen
wir uns jedes mal, wenn wir nicht zufrieden gestellt werden, der Gefahr
aus, zornig, verdrießlich und enttäuscht zu werden. Doch die meisten
von uns knüpfen Bedingungen an die Liebe, weil der Gedanke an unsere
eigene Annehmlichkeit vorherrschend ist. Doch bedingungslose Liebe
liegt weit jenseits unserer persönlichen Zufriedenheit, sie geht sogar bis
zu dem Punkt, wo wir bereit sind uns für das Wohl der geliebten Person
großen Unannehmlichkeiten aussetzen.

Zu dienen ist natürlich. Wir dienen immer jemandem oder etwas und
diejenigen, die sich lieben, möchten ihre Liebe verständlicherweise durch
Dienen zum Ausdruck bringen. Deshalb haben wir die Goldene Regel:
»Handle anderen gegenüber so, wie Du willst, dass sie Dir gegenüber
handeln.« Wenn wir uns selbst als Diener der geliebten Person
betrachten, versuchen wir sie im spontanen Ausdruck unserer Liebe
zufriedenzustellen. Wir bleiben gleichgültig gegenüber Lob und Tadel.
Doch obwohl wir versuchen, voller Begeisterung zu dienen, sind unsere
Beweggründe oft unrein; wir wollen anerkannt und geschätzt werden.

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Wir müssen lernen, selbst in Abwesenheit von Erwiderung oder Aner


kennung gerne zu dienen.

Wir sollten uns erinnern, dass die Art und Weise, wie wir andere be
handeln, die Art und Weise ist, wie wir uns behandeln, denn früher oder
später kommt alles wieder auf uns zurück. Warum bekommen manche
Leute stets Hilfe und Fürsorge? Sie geben und erhalten dafür Gutes. Wa
rum vertraut niemand jenen, die anderen nicht vertrauen? Weil diese
Energie des Misstrauens auf diese Art von Menschen wieder zurück
kommt. Wir müssen sehr behutsam unser Handeln und Denken gestal
ten, denn unsere Gedanken und Taten setzen Energien frei, die
entsprechende Ergebnisse bringen.

Wir können uns selbst prüfen, indem wir jemand, um den wir uns ger
ne kümmern, unerkannt einen Gefallen erweisen. Üblicherweise senden
wir mit einem Geschenkeine Grußkarte mit, um uns zu erkennen zu
geben. Damit deuten wir an, dass wir eine Art der Anerkennung für
unsere Großzügigkeit erwarten. Dies ist offensichtlich kein selbst- und
grundloses Verhalten, denn es gründet auf Selbstverherrlichung. Wir
bestehen den Test des selbst- und grundlosen Dienstes nur, wenn wir
anderen helfen, ohne dafür Lob zu erwarten. Wir sind einfach glücklich
im Wissen, dass wir die richtige Handlung ausgeführt haben.

TRANSZENDENTAL WERDEN

Wenn wir jemandem aufrichtig mit bedingungsloser Liebe dienen,


geben wir uns dem Willen Gottes hin. Wir stellen unsere eigenen Bedürf
nisse zurück und tun das Notwendige, koste es, was es wolle. Aufgrund
unserer Liebe gehen wir auch auf Kritik und Zorn seitens anderer nicht
ein. Wir werden einfach nach Wegen suchen, unseren Dienst auf noch
taktvollere Art und Weise auszuführen. Wir sind weiterhin demütig, was
bedeutet, dass wir uns um andere kümmern und ihnen das Leben ange

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

nehmer gestalten als wir es für uns täten, denn wir lieben sie mehr als
uns selbst. Das ist wahre, bedingungslose Liebe.

Solch ein standhaftes Verhalten führt uns zur Transzendenz und läßt
uns nicht einfach nur sentimental sein. Wir sind sentimental, wenn wir
daran angehaftet sind, uns wohl zu fühlen, unsere Ruhe um jeden Preis
zu bekommen oder wir dulden die Missetaten anderer, nur um ihrem
Missfallen aus dem Weg zu gehen. Das ist eine Form des Sinnengenus
ses, was ein Hindernis im spirituellen Leben darstellt. Wahre Liebe
gründet nicht auf dem Wunsch, sich gut zu fühlen, weder mental,
psychisch noch physisch. Die Ausrichtung eines solch oberflächlichen
Zugangs ist purer Egoismus, da wir eine Beziehung, selbst die zu Gott,
missbrauchen, um das zu bekommen, was wir wollen.

Wir werden transzendental, wenn wir uns über materialistisches


Handeln und der Ebene des alltäglichen Mittelmaßes hinwegsetzen. Wir
erheben uns, wenn unsere Ausrichtung klar bleibt, wir in der spirituellen
Praxis beharrlich sind und unsere täglichen Prüfungen bestehen. Wir
wollen keine Hindernisse, wie unsere Sinne oder jene anderer Menschen,
im Weg haben.

Liebe bedeutet nicht immer, eine Beziehung zu jemand zu unter


halten, oder dass wir liebenswert und nett sind. Manchmal müssen wir
weggehen oder harsche Worte sprechen. Doch solche Handlungen sind
sanft zum Herzen, weil die Beweggründe selbstlos sind. Wenn wir für die
wahre Liebe bereit sind, hören wir nicht auf, andere zu lieben, auch
wenn wir uns ihnen gegenüber manchmal schroff verhalten oder uns gar
entscheiden, keine Gemeinschaft mehr mit ihnen zu pflegen. Ungeachtet
allen Scheins, sollte unsere Priorität stets das höchste Wohl des anderen
sein.

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Als spirituelle Krieger sollten wir immer danach trachten, das Ener
giefeld um uns herum zu erheben. Wenn wir uns darin üben, unsere
Umgebung zu verbessern, schreiten wir schnell voran, weil wir wohin wir
auch gehen Göttlichkeit und Liebe ausstrahlen. Nach dem Gesetz des
Karma bekommen wir das zurück, was immer wir den anderen geben. Je
mehr Liebe wir also geben, umso mehr werden wir sie erfahren können.

Das bringt uns zum Thema der Ermächtigung. Obwohl wir anderen
helfen möchten, glauben wir nicht genügend Liebe zum Geben zu haben.
In solchen Situationen kann der Herr, der in unserem Herzen weilt,
unsere Sehnsucht erwidern, indem Er uns ermächtigt, jenseits unserer
gewöhnlichen Fähigkeiten zu dienen. Tatsächlich stützen sich überaus
spirituelle Menschen nicht nur auf ihre eigene Intelligenz oder ihren
gewöhnlichen Verstand. Ihre tiefe, reine Verpflichtung erzeugt
unbegrenzte Liebe, Wissen und Erkenntnis jenseits ihrer eigenen
Beschränkungen. Das ist der Grund, warum Wunder beginnen zu
geschehen, wenn wir empfänglich für Gottes Hilfe werden.

DAS TÄGLICHE LEBEN IST EINE SCHULE

Die Weisen und Yogis bei der im Srimad-Bhagavatam beschriebenen


Versammlung verstanden durch die Gnade von Suta Gosvami, dass Liebe
auf unmotiviertem Dienst an Gott beruht. Sie erkannten, dass echte
Spiritualität bedeutet, Diener eines jeden zu werden. Dasselbe gilt auch
für uns. Im täglichen Leben sind unsere Beziehungen zueinander eine
Übung für die göttlichen Beziehungen, die wir eines Tages erfahren wer
den. Die Qualität unserer gegenseitigen Beziehungen zeigt, wie gut wir
uns für die Gemeinschaft mit dem Höchsten Herrn vorbereiten. Deshalb
ist die Gemeinschaft mit jenen, die ernsthaft im spirituellen Leben sind,
so wichtig. Mit diesen Erfahrungen lernen wir den Höchsten zu lieben
und Ihm zu dienen.

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

Die höchste Ebene der spirituellen Welt ist ein Bereich der ewigen
spirituellen Romantik sowie des selbstlosen Liebesaustausches. Um in
das Reich der reinen Liebe einzutreten, müssen wir im Hier und Jetzt, in
der materiellen Welt, beginnen, reine, motivlose Diener zu werden. Jede
egozentrische Motivation disqualifiziert uns, denn um göttliche Liebe zu
erfahren, müssen wir Freude empfinden, wenn wir unsere eigenen
Verlangen für die Zufriedenheit des geliebten Menschen aufgeben. Wir
verlieren dabei nicht unsere eigene Identität. Ganz im Gegenteil, unsere
wahre Identität kommt durch unseren Dienst erst recht zum Vorschein;
und jeder Ausdruck der Selbstlosigkeit steigert unsere Fähigkeit, die ewig
unermesslichen Dimensionen der Liebe zu erfahren. Wenn wir von
echter Liebe motiviert sind, so selbstlos zu handeln, steht uns noch mehr
Liebe zur Verfügung.
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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

FRAGEN UND ANTWORTEN

Frage: Sie erwähnten, dass alle Weltreligionen im wesentlichen gleich wären.


Bedeutet das, dass die Unterschiede überhaupt nicht wichtig sind?

Antwort: Natürlich gibt es wichtige Unterschiede, die davon abhängen,


wie weit ein System entwickelt ist. Doch ist das Sektentum sehr gefähr
lich. Sektiererisch ausgerichtete Menschen behaupten, Gott gebe seine
Liebe nur durch eine bestimmte Gruppe. Sind wir für die Liebe Gottes
nur dann berechtigt, wenn wir der Episkopalkirche angehören, Sufi,
Baha’i, Hindu oder Mitglied eines anderen religiösen Systems sind? Es
gibt viele Priester, Lehrer und Laien, die diese Frage bejahen würden,
ganz im Glauben, dass ihre Lehre die einzig Richtige sei. Das bedeutet,
dass sie glauben Gottes Liebe wäre so begrenzt, dass Er sie nur auf eine
Art auszudrücken vermag. Doch wir können dem einen Gott nicht auf
bruchstückhafte, sektiererische Art dienen. Folgende Analogie mag uns
helfen, den Grund für die Existenz so vieler verschiedener Religionen zu
veranschaulichen. Als Eltern, die zu helfen versuchen, unterweisen wir
unsere Kinder auf eine bestimmte Art und Weise. Wenn die Kinder die
Unterweisungen nicht verstehen können, oder sie nicht richtig befolgen,
unterweisen wir sie wieder, jedoch auf eine etwas andere Art, denn wir
kümmern uns um die Kinder und wollen, dass sie erfolgreich sind. Gott
handelt auf ähnliche Weise. Er gibt uns die gleichen Unterweisungen auf
verschiedene Art und Weise, um sicher zu gehen, dass wir lernen, das
Richtige zu tun.

Wenn wir Menschen schon so viele Söhne und Töchter haben können,
warum sollte Gott, der ursprüngliche Vater, nur einen Sohn haben? Das
macht keinen Sinn. Außer Jesus, sind da nicht auch Mohammed und
Buddha – sowie viele andere – die genauso Kinder Gottes sind? Sind wir
eigentlich nicht alle Söhne und Töchter des Herrn? Es ist nur so, dass wir
Söhne und Töchter sind, die von ihrem Weg abgekommen sind, während

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

Jesus und andere Söhne und Töchter Gottes niemals vom Weg abkamen.
Sie versuchten jenen Familienmitgliedern zu helfen, die sich abgewandt
haben, um wieder in den Schoß der Familie zurückzukehren.

Alle echten spirituellen Abgesandten lehren die Botschaft des Herrn ge


mäß ihrem Auftrag. Das bedeutet, dass jeder von ihnen eine besondere
Aufgabe zu erfüllen hat. Sie helfen, die Seelen auf ihren Dienst in den
verschiedenen Bereichen des Königreichs Gottes vorzubereiten. Wenn
das Sektentum so wichtig wäre, würden Millionen von Seelen miteinan
der streiten und kämpfen, wenn sie einmal im Reich des Herrn ange
kommen sind. Es würde sich etwa so anhören: »Warte einmal! Wo ist der
Ort der Adventisten? Ich habe keine Zeit für andere!« Oder »Wo sind die
Sunniten? Sie sind die wahren Kinder Gottes.« Alle würden in ihre Lager
kommen und sich vorbereiten, zu kämpfen. Wann hätte man unter sol
chen Umständen je die Gelegenheit, den Herrn zu lobpreisen und Ihm zu
dienen?

Wenn Jesus heute unter uns weilen würde, könnte er leicht noch viel
schneller gekreuzigt werden als zuvor. Er hätte mit Sicherheit in der gan
zen Welt viele Geldwechsler aus den heutigen Tempeln zu vertreiben. Es
würde nicht lange dauern, bis sich Christen verschiedener Richtungen zu
sammenschließen würden, um solch einen »Störfaktor« zum Schweigen
zu bringen. Wenn der Prophet Mohammed heute zurückkehrte, müsste
er aufgrund der Gewalt in dieser Welt, was eine tiefe Unwissenheit und
das Missverständnis seiner Lehren darlegt, in Tränen ausbrechen. Wenn
aus der vedischen Tradition irgendeiner der großen rishis und swamis
zurückkehrte, um zu sehen, wie es uns geht, sie wären entmutigt.

Im spirituellen Leben geht es nicht um Bezeichnungen, die wir uns oder


anderen geben, oder die Art und Weise wie wir beten oder wo wir Gott
verehren. Stattdessen geht es darum, wie aufrichtig wir sind. Letztlich
spielt es keine Rolle, in welchem Fahrzeug wir fahren. Jemandem gefällt

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

ein Chevrolet und ein anderer bevorzugt einen Mitsubishi oder einen
Ford; wiederum ein anderer fühlt sich nur in einem Jaguar wohl. Die
Wahl liegt an uns. Bedeutend ist nur, dass wir unser Ziel durch eine auto
risierte Verbindung erreichen.

Wenn wir Schwierigkeiten bekunden, uns aufgrund oberflächlicher Un


terschiede dem Bewusstsein eines anderen anzupassen, dann sind wir
nicht wirklich am Bewusstsein interessiert. Und wenn wir nicht am Be
wusstsein interessiert sind, befinden wir uns auf einer unentwickelten
Stufe der Evolution. Unser kollektiver Bewusstseinszustand ist der ent
scheidende Faktor, der den Unterschied auf diesem Planeten ausmacht.
Der Sinn des Lebens wurde nie auf die Religion, die man befolgt bezo gen.
Er beschäftigte sich stets mit der Stufe der eigenen spirituellen Ent
wicklung. Der wahre Kampf auf diesem Planeten heute, ist der zwischen
Menschen niedriger und negativer Gesinnung gegen jene, die sich auf
einer höheren Bewusstseinsstufe befinden.

Frage: Sie sprechen über eine materielle und spirituelle Welt. Was ist die Be
ziehung zueinander?

Antwort: Wir können sehr viel über das spirituelle Reich lernen, wenn wir
die materielle Welt näher betrachten. Die materielle Welt ist eine ver
zerrte Spiegelung des ursprünglichen Königreiches Gottes. Die meisten
von uns haben schon irgendwann einmal eine erbauliche Gemeinschaft
mit anderen Menschen erfahren. Weil diese Begegnungen so schön wa
ren, vertiefen wir uns in Gedanken zur Person, mit der wir zusammen
waren und wir sehnen uns wieder nach ihrer Gemeinschaft. Manchmal
waren unsere Tagträume so erfüllend, dass sie uns durch viele betrübte,
langweilige und schmerzhafte Zeiten in unserem Leben geführt haben.

In ähnlicher Weise können wir uns bei Schwierigkeiten im materiellen


Leben daran erinnern, dass unsere ursprüngliche, rechtmäßige Stellung

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

im spirituellen Königreich ist – dem Ort der reinen, unendlichen Liebe


und Hingabe. Unser Wissen über die Freuden der spirituellen Erkenntnis
kann uns bei den Versuchungen und Schwierigkeiten, die wir derzeit er
fahren helfen, diese zu überwinden.

Selbst ein Tag, eine Woche oder ein Jahr erscheinen endlos, wenn etwas
nicht gut läuft. Aus der Sicht der Ewigkeit ist dieses Leben jedoch nur
eine kleine Ablenkung, ein kurzes Aufflackern. Wenn wir einmal im spiri
tuellen Königreich sind, werden die unzähligen Jahre, die wir in den nie
deren Existenzbereichen verbrachten, wie flackernde Augenblicke eines
Albtraumes erscheinen.

Wenn wir also leiden und Schwierigkeiten erfahren, die wir kaum ertra
gen, können wir unser ewiges Leben zum Bezugspunkt machen, dann
werden wir über all unsere Unannehmlichkeiten lachen müssen. Wir
können uns daran erinnern, dass wir zu irgendeinem Zeitpunkt in unse
rer Entwicklung die Möglichkeit bekamen, rein zu werden und schließlich
vergehen all unsere gegenwärtigen Probleme Albträumen gleich. Es ist,
als wären wir in der spirituellen Welt für eine Weile eingenickt. Die ganze
Erfahrung des Einnickens ist unser derzeitiges Erleben in der materiellen
Welt, die mit endlosen Schwierigkeiten, Leiden und Herausforderungen
erfüllt zu sein scheint.

Wir können unsere Erfahrung ändern, indem wir uns von den relativen
materiellen Sorgen abwenden und versuchen, mehr über die transzen
dentale Liebe zu verstehen, die wir nur dann wertschätzen können, wenn
wir unser Wissen über die Seele vertiefen. So wie wir unser Bewusstsein
erheben und transzendentaler werden, schwinden alle der zeitigen
Schwierigkeiten in der materiellen Welt ins Bedeutungslose.

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DER SPIRITUELLE KRIEGER II

Frage: In welchem Maße beeinflussen unsere Einstellungen zum Geld unsere


Einstellungen zur Liebe?

Antwort: Das ist eine schöne Frage, weil sie sehr viel mit der gegenwär
tigen Gesellschaft zu tun hat. Menschen, die finanziell nicht geben wollen,
werden wahrscheinlich auch auf anderen Ebenen nichts geben. Die
Finanzen sind nur der Aspekt eines weit tiefgründigeren Problems. Die
jenigen, die ihr Geld mit ihrem Partner nicht teilen wollen, sind höchst
wahrscheinlich auch in anderen Bereichen der Beziehung egoistisch. In
einer Ehe sollten die Ehepartner das Bewusstsein haben, dass alles,
auch der Partner Gottes Eigentum ist und großzügig zueinander sein.

Wir kennen alle den Spruch: »Money is the honey.« Doch abgesehen von
seiner Symbolik, hat Geld wenig mit Liebe zu tun, obwohl es eine Quelle
der Enttäuschung werden kann, die den Ausdruck der Liebe zu anderen
beeinträchtigt. Scheidungen finden oft aufgrund finanzieller Schwierig
keiten statt. Geldsorgen können auch Spannungen in Familien verursa
chen, die so weit gehen, dass die Menschen nicht mehr imstande sind,
ihre höhere Liebe zu teilen. Mann und Frau richten ihr Augenmerk so
sehr auf Hypothek, Versicherung oder das Auto, dass sie die Liebe und
den Dienst zueinander vergessen. Die Verständigung untereinander ver
stummt, da jeder abgelenkt ist und denkt: »In zwei Tagen muss ich das
Auto abbezahlt haben.«

Eine Beziehung ist nicht tief, wenn das Paar nur zusammenarbeiten
kann, wenn alles gut ist. Die wahren Prüfungen erfahren wir bei auf
kommenden Schwierigkeiten, wenn beide Parteien das größte Bedürfnis
verspüren, Liebe zu bekommen um sich geliebt zu fühlen. Manche erlau
ben es den Schwierigkeiten, dass man sich auseinander lebt. Doch dieje
nigen, die sich aufrichtig lieben, werden noch näher zusammenkommen
und versuchen, noch selbstloser zu werden um sich selbst dabei für den
anderen hinten anzustellen. Eine Frau mag sich entscheiden, kein neues

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Kapitel 2 – Was ist Liebe?

Kleid zu kaufen, damit ihr Mann ein paar neue Hosen bekommt. Ein Va
ter mag sich dafür entscheiden, kein Auto zu kaufen, damit seine Kinder
in eine besondere Schule gehen können. Solche Opfer, die Ausdruck der
Liebe sind, helfen starke und enge Beziehungen zu nähren.
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