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Sie lassen die Kirche ins Dorf


In dem 900-Einwohner-Dorf Stiege in Sachsen-Anhalt soll eine alte
Holzkirche an einen neuen Ort kommen – aus dem Wald ins Zentrum.
Kann das funktionieren? Von Valerie Schönian
LEICHT
Fotos: xxxx
Deutsch perfekt GESELLSCHAFT 65

e Noch steht die

E
Mini-Kirche im Wald.

Sie l„ssen die ähnlich


rst vor ziemlich kurzer Zeit Verein meinen: Nur die Stabkirche Stie- K“rche “ns D¶rf , fast gleich
hat es ihr wieder jemand ge- ge ist im „norwegischen Drachenstil“. , Sie bringen die Kirche
¡s s¶ll … geben
sagt, ein Journalist: Er hat am Noch geht sie auf einem früheren Kran- ins Dorf; Wortspiel mit:
, hier: man sagt, dass
die Kirche im Dorf lassen
Anfang gedacht, dass sie alle kenhaus-Areal langsam kaputt. Teil des ≈ m nicht sagen, dass
es … gibt
verrückt sind in Stiege, die- Krankenhauses war sie ab 1905. etwas größer, schöner der Dr„che, -n
sem Dorf in Deutschlands zentraler Berg- In Stiege hatte die Kirche nie eine eige- oder besser ist, als es in , fiktives Tier: ≈ Es ist sehr
Wirklichkeit ist groß, kann fliegen und mit
region, dem Harz. Eine Kirche versetzen? ne Gemeinde. 1993 war das Krankenhaus dem Mund Feuer machen.
vers¡tzen
Für eine Million Euro? In diesen Zeiten? am Ende. Danach kamen Stürme und , von einer Stelle an eine die Gemeinde, -n
Regina Bierwisch lacht, als sie davon er- Feuer. Bald hat es keinen Strom und kein andere bringen , Kommune
zählt. Sie hat es selbst nicht geglaubt. Wasser mehr gegeben. Auch Vandalismus der H„ndwerker, - der St¢rm, ¿e
Aber sie hatten beide nicht recht. Das wurde zum Problem. , Person: Sie arbeitet , ≈ sehr starker Wind
Geld kommt. Und in dem 900-Einwoh- Trotzdem haben viele im Dorf auf beruflich mit Händen und
Werkzeugen. w¢rde
ner-Dorf versetzen Handwerker bald Hoppes Idee erst einmal sehr skeptisch , Prät. von: werden
r¡tten
eine mehr als 100 Jahre alte Holzkirche. reagiert. „Das hat so etwas typisch Ost- , hier: helfen, dass es … erst einmal
Bis jetzt steht sie im Wald. Dort interes- deutsches, immer zu sagen: ‚Bei uns hier noch länger gibt , zuerst

sieren sich nur wenige Menschen für sie. passiert ja nichts‘“, sagt Hoppe. „Die Leu- die Wiese, -n ¡twas typisch {stdeut-
Jetzt sollen die Handwerker sie in das te müssen verstehen: Bevor Geld in die , ≈ großer grüner Platz in sches haben
der Natur , m typisch ostdeutsch
Ortszentrum transportieren. Langsam Region fließt, müssen wir erst mal selbst sein
kommt die Kirche ins Dorf. etwas tun!“ J¡tzt w“rd gefeiert!
, m hier: Los! Wir bevor
In Sachsen-Anhalt Hoppe hat Unter- müssen feiern! , ≈ in der Zeit vorher
sind sehr wenige Men- stützer gefunden. Den fließen
das Vereinsmitglied, -er
schen religiös – wie in An dem Projekt meisten war dabei , hier: Person: Sie ist in , hier: ≈ ankommen
ganz Ostdeutschland. nicht die Kirche als In- einem Verein angemeldet.
Und genau in so einer
arbeiten stitution wichtig. Sie überhaupt
der Unterst•tzer, -
, von: unterstützen

Region wird eine Kir- Leute, die wollten das Denkmal , absolut ≈ helfen
das D¡nkmal, ¿er
che gerettet? Von ei- retten. Zuerst waren geil
nem kleinen Verein aus
eigentlich nicht sie ein paar Leute aus , m toll; super , z. B. Monument,
Skulptur
Leuten, die nicht religi- religiös sind. Stiege. Heute hat ihr j¢ng h„lten
, machen, dass … jung das Fœrdermitglied, -er
ös sind? Kann so etwas Verein 130 Förder- , Mitglied in einem Verein:
bleibt
wahr sein? mitglieder, manche Er hilft einer speziellen
w¢sste Sache.
Ja, es kann. An einem Mittwoch im leben in Baden-Württemberg oder Nord- , Prät. von: wissen
Spätsommer treffen sich vier Menschen rhein-Westfalen. Am letzten „Tag des of- der Tag des ¶ffenen D¡nk-
das Pr„chtstück, -e mals, Tage des ¶ffenen
auf einer Wiese. Dort soll die Kirche spä- fenen Denkmals“ haben 2000 Menschen , hier: besonders tolles D¡nkmals
ter ihren neuen Platz haben. Sie freuen die Stiegener Stabkirche besucht. Aber Exemplar , Tag: Dann kann man
sich: Das Geld dafür ist da. Neben Regina das war natürlich nicht genug. Der Verein Denkmäler kostenlos
w¡nn auch
besichtigen.
Bierwisch sitzt ihr Mann, 68 Jahre alt. Er brauchte Geld. , auch wenn
der Br¶cken
sagt: „Jetzt wird gefeiert!“ Daneben sitzt Stiege ist ein Ortsteil der Stadt Ober- ¢nauffällig
, hier: Berg in der Region
ein anderes Vereinsmitglied, Helmut harz am Brocken. Aber die Stadt hat kein , hier: L spektakulär;
Harz.
speziell
Hoppe, 84 Jahre alt. Auch er ist eupho- Geld. Der Verein selbst hat auch kein eige- die H¶lzhütte, -n
die Stabkirche, -n
risch: „Wir hatten ja überhaupt keine Er- nes Stück Land. Und wie organisiert man , Kirche aus Stäben
, kleines, einfaches Haus
fahrung!“ Und noch ein anderer, 77 Jahre so eine Sache? aus Holz
(der Stab, ¿e
alt, sagt: „Das ist geil, das hält einen jung!“ Von dem komplizierten Start kann Re- , hier: langer, dünner
sp“tz
, hier: hoch und an einem
Stiege ist sehr stolz an diesem Tag. gina Bierwisch erzählen. Sie steht jetzt Gegenstand aus Holz)
Ende dünn
Hoppe hatte 2014 die Idee für das Pro- vor der Stabkirche, also im Wald.
jekt. Die ersten Reaktionen waren nicht Ein bisschen sieht es in der Kirche wie
sehr positiv. „Aber ich wusste: Holen wir in einer Holzhütte für Wanderer aus. Eine
Foto: Daniel Kühne/Alamy Stock Photo

die Kirche nicht ins Dorf, geht sie kom- große Hütte, für jeden und jede. Sie hat ei-
plett kaputt“, sagt er. nen spitzen Turm mit ein paar Drachen-
Sie ist ein Prachtstück, wenn auch ein köpfen. Drinnen ist es dunkel, es gibt dort
unauffälliges. Eine Stabkirche aus Holz, keinen Luxus.
wie sie eigentlich meistens in Skandi- Schön und einfach – speziell fin-
navien steht. Nur zwei ähnliche soll es det Bierwisch die Kirche. Auch sie ist
in Deutschland geben. Die Leute vom kein Kirchenmitglied. Nach ihrem
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diese g„nzen das Begegnungszentrum,


, m ≈ alle diese Begegnungszentren
, Zentrum für die Begeg-
der [blauf, ¿e
nung von verschiedenen
, hier: Prozess
Menschen/Gruppen
die Sparkasse, -n
(die Begegnung, -en
, hier: Bank: Sie ist oft in
, hier: Treffen; Kennen-
regionalen Projekten aktiv.
lernen)
das D¡nkmalpflege­
der Pf„rrer, -
programm, -e
, Mann: Er hat in der
, Programm: Es finanziert
Kirche religiöse Aufgaben.
z. B. die Renovierung von
alten Häusern oder techni- explizit … n¡nnen
schen Geräten. , hier: direkt … sagen zu

einfach s“ch zus„mmenfinden


, hier: m Das ist die , hier: sich organisieren
Lösung.
s“ch zur•ckstellen
„bbauen , hier: zeigen, dass man
, hier: in Teile machen und selbst nicht wichtiger als die
wegtransportieren anderen ist
aufbauen sch„ffen
, hier: wieder neu machen , mit Erfolg machen
Auch in der Kirche ist fast alles aus Holz, wie in alten norwegischen Kirchen.
lackieren gemeinsam
, ≈ Lack machen auf , zusammen

ausmachen
, hier: die Idee sein von
Lehrerinnen-Leben wollte sie etwas für „transloziert“ man sie. In anderen Worten:
ihren Ort tun. So ist sie 2016 zum Kir- Die Handwerker bauen sie einmal kom-
chen-Versetzen gekommen. „Für uns wa- plett ab und dann wieder auf. Jedes Teil
ren diese ganzen bürokratischen Abläufe reparieren und lackieren sie. Die Bänke
neu“, sagt sie. Und woher sollte das Geld haben sie schon nach draußen getragen.
kommen? Die Kirche soll am neuen Ort ein kultu-
Es war kompliziert. Aber immer wieder relles Begegnungszentrum werden. Sie
haben Leute Bierwisch geholfen. Sie hat ist dann keine Kirche mehr. Die Stadt hat
immer mehr Unterstützer gefunden. Poli- dem Verein das Areal kostenlos gegeben.
tiker haben das Dorf be- Wie findet eigentlich
sucht. Handwerker und die Institution Kirche
Studentinnen haben Außer dieser das? Das kann man den
begonnen, das Projekt Pfarrer des Orts fragen.
zu unterstützen, genau Kirche sind in Auch das, was hier in
wie die ostdeutschen Deutschland Stiege passiert, ist für
Sparkassen. Aber das Karsten Höpting Kir-
war nicht genug. nur zwei andere che: „Es ist egal, ob man
Im Sommer 2020 in dem skandi- das explizit so nennt.
kamen endlich gute Man findet sich hier
Nachrichten – vom navischen Stil. zusammen, stellt sich
Denkmalpflegepro - zurück, schafft gemein-
gramm der deutschen sam etwas. Was Kirche
Regierung. 300 000 Euro für die Verset- ausmacht, ist Begegnung. Und das ist das,
Foto: picture alliance/dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

zung. So viel gibt auch Sachsen-Anhalt. was hier passiert.“ Alle glücklich also.
Die Million war komplett. Bierwisch hat Auch an dem Tag im Spätsommer be-
gedacht: „Wow!“ So erinnert sie sich. suchen Touristen wieder Regina Bier-
„Viele warten immer, dass irgendetwas wisch. Angemeldet waren sie bei ihr nicht.
passiert. Aber man muss einfach mal ma- Die Menschen sind gekommen, weil sie
chen“, sagt Bierwisch. von der Stabkirche gelesen haben. Weil
Wenn alles funktioniert, kommt die sie diese sehen wollen. Auch von diesem
Kirche noch im Frühling auf eine Wie- Harzer Verein, der die Kirche rettet, haben
se direkt im Dorfzentrum. Technisch sie schon gehört.

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