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„All die brennenden Fragen“ von Henri Maximilian Jakobs: Ist das echt alles?

Der Berliner Musiker und Autor Henri Maximilian Jakobs spricht in seinem aktuellen Buch „All die
brennenden Fragen“ über persönliche Erfahrungen als trans Person, aber auch über das, was man
auf Fragen antworten kann, die auftauchen im Umgang mit dem Thema „trans“.

„Ich bin gerade von der Probe in die Garderobe zum Interview hinuntergestürmt“

Neben Anekdoten aus dem eigenen Leben besteht das Buch vor allem aus dem Dialog des Autors mit
der Moderatorin Christina Wolf. Gemeinsam haben die beiden bereits den Podcast „Transformer“
aufgenommen und 2019 dafür den Deutschen Hörbuchpreis bekommen. Das Buch ist sozusagen eine
Neuauflage des Podcasts in gekürzter Fassung in Buchform. Außerdem sind in dem Buch noch
Einlassungen weiterer trans Personen zu finden, um auch anderen Perspektiven einen Raum zu
geben. Im Interview spricht Henri Maximilian Jakobs über sein neues Buch, aber auch über andere
Themen, über die er gerne spricht, zum Beispiel Gebäck.

Io Görz: Hallo Henri, zuallererst die Frage: Was backst du am liebsten?

Henri Maximilian Jakobs: Das ist natürlich die beste Frage überhaupt. Ich habe mich auf
Sauerteigbrot versteift. Ich muss aber hinzufügen: Ich habe schon vor Corona damit angefangen, ich
bin also kein Corona-Sauerteigbäcker. Abgesehen vom Brot habe ich mich auch den süßen Teilchen
verschrieben. Gerade habe ich etwa einen exzellenten Apfel-Streuselkuchen in mein Repertoire
aufgenommen.

Nach eurem Podcast: Wie ist der Unterschied zwischen dem Schreiben und dem Audioformat – und
was hat dir besser gefallen?

Beim Schreiben fokussiert man sich etwas mehr und hat die Gedanken gebündelter, kommt nicht so
sehr ins Plaudern. Die Schriftform mag ich schon recht gerne. Mit Christina plaudere ich gerne, das
klappt nur bei ihr so gut. Allgemein bin ich nicht so gut in Small Talk, daher schätze ich das
geschriebene Wort schon sehr, weil man sich schon etwas mehr Zeit lassen kann und Dinge wirken
lassen kann, um schließlich den gereiften Gedanken von sich geben zu können.

Der Podcast ist schon ein paar Jahre her. Von wem kam eigentlich die Idee, daraus nun ein Buch zu
machen? Und warum?

Ich habe Christina gefragt, ob sie Lust hat und sie meinte, sie sei sofort dabei. Warum die Idee
aufkam? Nun, der Podcast ist ja durchaus einige Zeit her. Sowohl ich habe mich entwickelt als auch
Christina. Auch die Welt hat sich – vorsichtig ausgedrückt – entwickelt. Die Debatte ist
vorangeschritten – oder zurückgeschritten, man weiß es nicht genau. Mir war es daher wichtig, eine
aktualisierte Version unseres Gesprächs herauszubringen, einige Sachen neu einzuordnen.
Uns lag daran, zu zeigen, dass man Gespräche führen kann, dass sie möglich sind. Das ist in unseren
Augen eine gute Form, um etwas zu vermitteln – wenn man sich ruhig an einen Tisch setzt und
miteinander redet, anstatt von der einen Ecke des Internets in die andere schreit, dass alles
schrecklich ist.

Du sagst aktualisiert: Was ist denn im Buch anders als im Podcast?

Bei mir waren es damals die ersten beiden Jahre meiner Transition und es war so viel, was auf mich
einprasselte, was ich gar nicht verarbeiten und in Echtzeit verdauen konnte. Ich habe damals sehr
situativ gehandelt und gesprochen. Seitdem ist viel passiert und ich habe mich entwickelt. Ich habe
dazu gelernt und würde auf einiges heute anders reagieren und anders einordnen. Die Debatte hat
sich auch verändert. Damals fand sie gar nicht so sehr statt wie heute, etwa das ganze TERF-Geplärre
und dass viele ihre Agenda durchdrücken wollen. Deswegen ist es mir wichtig, mich zu positionieren.

Apropos aktuelle Debatte: Wie nimmst du die Stimmungslage wahr derzeit, in deiner Umgebung – bei
dir selbst?

Ehrlich gesagt ziemlich desolat. Wenn ich allein die Gesetzgebung in den USA ansehe, wie Teenagern
das Leben schwer gemacht wird, wie Eltern in Bedrängnis geraten, die ihre trans Kinder unterstützen.
Das ist brandgefährlich, was gerade passiert. In Deutschland ist zwar noch vieles zu tun – siehe das
Selbstbestimmungsgesetz, das immer noch nicht da ist – aber hier ist es noch ok. Hier sind etwa
Behandlungen für trans Personen noch möglich. Aber man muss aus meiner Sicht sehr wachsam sein
und sich deutlich positionieren, damit Dinge, wie sie in den USA und anderen Teilen der Welt
geschehen, nicht auch hier Einzug halten. Daher versuche ich, eine kleine, zarte Stimme der Vernunft
zu sein und bei all den hanebüchenen Vorwürfen klarzustellen: Trans Menschen wollen in Ruhe ihr
Leben leben, ohne irgendjemanden einzuschränken.

Du hast das Selbstbestimmungsgesetz angesprochen: Warum ist es dir wichtig, dass es endlich
kommt?

Zunächst muss ich sagen, dass hier oft die medizinische und die rechtliche Seite vermischt werden.
Beim Selbstbestimmungsgesetz wird es ja nur und ausschließlich darum gehen, den Personenstand
und den Namen unkompliziert ändern zu können. Das hat nur Auswirkungen auf einen selbst und
dieses ganze Getue, das gemacht wird, ist kompletter Unfug: Dass Genderhopping betrieben würde,
dass Jugendliche losrennen und sich sofort in Kliniken alles Mögliche abschneiden lassen. Die Welt
wird nicht den Bach runter gehen, wenn Menschen über ihr Leben bestimmen dürfen und es
gestalten, wie es sie froh macht. Es ist überfällig, dass die ganzen grässlichen Gutachten mit ihren
furchtbaren Fragen und all die anderen schrecklichen Dinge, die das TSG (Transsexuellengesetz)
beinhaltet, einfach der Vergangenheit angehören.

Durch das Warten auf das Selbstbestimmungsgesetz sind viele trans Personen ungeduldig, traurig,
wütend oder enttäuscht – wie ist deine Gefühlslage?

Ich war nie euphorisch. Ich werde erst zufrieden sein, wenn das Gesetz beschlossen ist. Daher fehlt
die Fallhöhe bei mir. Ich bin ein gebranntes Kind und mein Misstrauen war stets größer als die
Euphorie aufgrund einer Ankündigung. Ich würde meine Haltung als „lauernd“ bezeichnen – in beide
Richtungen: Entweder werde ich sagen „Toll, endlich passiert es und andere Menschen müssen sich
nicht den gleichen Scheiß geben wie ich es machen musste und viele andere“ oder „Ihr habt uns nur
hingehalten und wieder nichts gemacht oder etwas völlig anderes beschlossen. Ich spare mir
sozusagen derzeit meine Gefühle noch auf.

Du beschreibst in eurem Buch viele Unterhaltungen mit anderen Menschen, die von unangenehmen
Fragen geprägt waren. Hat sich hier etwas verändert – gibt es eine Entwicklung?

Naja, wenn ich meine kleine, alltägliche Bubble verlassen, gibt es immer noch viele Unsicherheiten:
Wie werde ich empfangen, wie reagieren Menschen auf mich? Gerade medizinische Situationen sind
unangenehm, weil da oft Reaktionen kommen, wie „Hätte ich nie gedacht“ oder „Du siehst ja echt
aus wie ein Mann“. Man will nicht ständig kommentiert werden. Das alles ist unverändert da. Was
sich aber verändert hat: Das Thema „trans“ an sich ist sehr präsent in den Medien, wenn auch nicht
immer auf die beste Art und Weise. Vor 6, 7 Jahren wussten Menschen teilweise gar nicht, was ich
ihnen mitteilen wollte. Diese Phase ist meiner Erfahrung vorbei.

Mit einem Buch macht man sich sehr öffentlich – wie passt das zu deinem Wunsch, eigentlich nur
deine Ruhe zu haben?

Ich dachte mir einfach, in Zukunft Menschen, die mir unangenehme Fragen stellen, einfach das Buch
in die Hand zu drücken, damit sie dort die Antworten auf ihre „brennenden Fragen“ finden. Aber im
Ernst: Ich kokettiere natürlich ein wenig damit, aber ein Buch zu schreiben, ist auch eine Art der
Selbstermächtigung. Hier habe ich Dinge ausdrücken können, wie ich es will, wie ich wirklich über
diese Themen denke.

Wie ist bisher die Resonanz zu dem Buch?

Ich habe einige Rückmeldungen erhalten: Sowohl trans Personen, die mir schrieben, dass sie froh
sind, dass es dieses Buch gibt, als auch andere Leute, die sagten, sie hätten etwas gelernt. Einige
zeigten sich berührt von den Geschichten und haben mir für die Einblicke gedankt. Eine Freundin, die
am Beginn ihrer Transition steht, meinte, das Buch hätte ihr sehr geholfen. Sie habe dadurch die
Sicherheit bei der Entscheidung bekommen, diesen Weg zu gehen. Das ist die ultimativ schöne
Rückmeldung, wenn man merkt, man jemandem damit Schritte erleichtert oder Klarheit verschafft.

War das dein Ziel beim Schreiben des Buchs? Oder anders gefragt: Für wen ist das Buch gedacht – an
wen richtet es sich?

Das Buch ist für alle da. Ich weiß nur, dass ich mir ein Vorbild, eine Orientierung gewünscht, als ich
jünger war. Ich war sehr auf der Suche nach einer Hoffnung, um zu sehen: Wenn ich die Entscheidung
zur Transition treffe, kann alles gut werden. Es war aber schwierig, Literatur zu finden, vor allem von
hoffnungsstiftenden Lebensentwürfen zu erfahren. Auch aus diesen Gründen habe ich dieses Buch
geschrieben: Vielleicht kann ich diese Person sein, die ich mir damals gewünscht hätte.

Ich glaube, dass es die Art, wie Christina und ich uns unterhalten und wie wir die Welt betrachten,
den Menschen den Zugang einfacher macht. Wir sind nicht radikal, sondern so, wie wir eben sind. Ich
bin mir nicht sicher, ob Radikalität immer der beste Weg ist. Natürlich bekommt durch Radikalität
mehr Aufmerksamkeit. Aber nichtsdestotrotz denke ich nicht, dass es der gesellschaftlichen
Entwicklung und der Debatte hilft, wenn man etwa TERFS, die Quatsch herumbrüllen,
entgegenschreit. Wenn es zu viel Lärm gibt, halten sich die Leute die Ohren zu. Christina und ich
waren und sind der Meinung, dass man mit einem entspannten Gespräch mehr Zuhören und
Verständnis erreichen kann. Wir hoffen, dass das hilft, die Debatte in eine positive Richtung zu
schieben.

Denkst du, dass du mit deinem Buch Menschen erreichen, die die Trans-Thematik jetzt zum ersten
Mal bewusst wahrnehmen?

Als Christina und ich damals den Podcast für Bayern 2 gemacht haben, haben uns viele Menschen aus
Bayern geschrieben, sie hätten vorher noch gar nichts mit dem Thema zu tun gehabt. Nun hätten sie
es aber verstanden und vor allem kapiert: Das ist ja alles gar nicht so wild. Ich vermute mal, dass
Menschen, die das Buch lesen, einen gemäßigteren Einstieg haben, als wenn sie sich eine halbe
Stunde auf Twitter herumtreiben und sich dort anschreien lassen.

Welche Fragen könnten aus deiner Sicht nach dem Lesen des Buches noch offen sein? Gibt es diese
Fragen?

Ich schließe es nicht aus. Es gibt andere Realitäten, die andere Fragen mit sich bringen. Wir haben
sicher eine brennende Frage nicht beantwortet, weil meine Realität eine andere ist als etwa einer
trans Frau oder einer geflüchteten trans Frau. Insofern: bestimmt. Ein Großteil der brennenden
Fragen sollte aber abgedeckt sein.

Nachdem du in deinem Buch auch über deine Ex-Beziehung sprichst: Hast du einen Rat für Menschen
in Beziehung, die sich für eine Transition entscheiden – oder auch für deren Partner*innen?

Offene Kommunikation wäre mein Rat. Ich glaube nicht, dass man jemanden zwingen kann, dich für
immer weiter zu lieben. Das ist leider unrealistisch. Ich glaube aber, dass man fordern kann, dass
man die Entwicklung der Beziehung respektvoll und ehrlich miteinander teilt. Von beiden Seiten
sollte ehrlich kommuniziert werden. Man kann nicht fordern: „Du hast doch mal gesagt, du wirst für
immer bei mir bleiben und jetzt ist das nicht mehr so?“. So funktioniert das nicht mit der Liebe. Man
kann aber gemeinsam schauen, wie sich die Beziehung entwickelt.

Immer, wenn ein Teil einer Beziehung eine große Entscheidung trifft, die große Veränderungen mit
sich bringt, muss die andere Person immer schauen: Bin ich da mit dabei oder eben nicht. Das muss
auch keine Transition sein, es kann ja auch sein, dass eine Person sagt: Ich war Metzger und nun
werde ich Maler. Dadurch entwickelt sich eine neue Realität und dann muss die andere Person in der
Beziehung eben schauen: Ist das noch die Realität, an der ich teilhaben kann oder nicht?

Nach dem Buch „All die brennenden Fragen“: Planst du weitere Bücher – und wenn ja, welche?

Tatsächlich erscheint am 7. Juni ein Roman von mir. Ich empfehle, ihn zu kaufen, denn er ist sehr gut.
Ansonsten schreibe ich vielleicht mal ein Kochbuch oder werde mich weiter der Fiktion verschreiben.
Das große Sachbuchthema, bei dem ich mich auskenne, habe ich aber wohl abgearbeitet.

Hast du zum Schluss noch eine Antwort auf eine Frage, die ich gar nicht gestellt habe?

Ja! Wenn man sich mal fragt: Was soll ich mit diesen trans Menschen immer reden, dann habe ich ein
tolles Small-Talk-Thema: Gebäck oder allgemein Essen. Oder Garten oder Heimwerken. Damit kann
man viel Small Talk füllen. Was ich damit sagen will: Trans Menschen sind einfach normale Menschen
und man behandelt sie im Idealfall, wie man selbst behandelt werden will: Freundlich und nett, wie
man hoffentlich zu all den anderen Menschen auch ist.

Henri, ich danke dir vielmals für das Gespräch!

Henri Maximilian Jakobs

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