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Mittwoch, 1.

Juli 1942 [b]

Liebe Kitty,

bis heute habe ich wirklich keine Zeit finden können, wieder zu schreiben.
Am Donnerstag war ich den ganzen Nachmittag bei Bekannten, am Freitag
hatten wir Besuch, und so ging es immer weiter bis heute.
Hello und ich haben einander in dieser Woche gut kennengelernt, er hat
mir viel über sein Leben erzählt; er kommt aus Gelsenkirchen und ist ohne
seine Eltern bei seinen Großeltern hier in den Niederlanden. Seine Eltern
sind in Belgien; für ihn gibt es keine Möglichkeit, auch dort hinzukommen.

Hello hatte ein Mädchen namens Ursula, ich kenne sie sogar; ein Muster an
Sanftheit und Langeweile; seit er mich getroffen hat, ist Hello zu der
Erkenntnis gekommen, dass er an Ursuls [sic] Seite einschläft. Ich bin also
eine Art Wachhaltemittel für ihn; ein Mensch weiß nie, wozu er im Leben
gebraucht wird!

Am Montagabend war Hello bei uns zu Hause, um Vater und Mutter


kennenzulernen; ich hatte Torte und Süßigkeiten geholt, Tee und Kekse,
alles gab es, aber weder Hello noch ich hatten Lust dazu, so nebeneinander
auf einem Stuhl zu sitzen; wir sind spazieren gegangen, und erst um zehn
nach acht wurde ich daheim abgeliefert. Vater war sehr böse, fand es keine
Art, dass ich zu spät zu Hause war; ich musste versprechen, in Zukunft
schon um zehn vor acht drinnen zu sein. Am kommenden Samstag bin ich
bei ihm eingeladen. Meine Freundin Jacque zieht mich immer mit Hello auf;
ich bin aber wirklich nicht verliebt; oh nein, ich darf doch wohl Freunde
haben, niemand findet da etwas dabei.

Vater ist in letzter Zeit viel zu Hause; in der Firma hat er nichts mehr zu
suchen; es muss ein grässliches Gefühl sein, sich so überflüssig
vorzukommen. Herr Kleiman hat Opekta übernommen, und Herr Kugler
Gies & Co., die Gesellschaft für (Ersatz-)Kräuter, die erst 1941 gegründet
wurde.

Als wir vor ein paar Tagen zusammen in der Nachbarschaft spazieren
waren, fing Vater an, über Verstecken zu sprechen; er sprach davon, dass es
sehr schwierig für uns sein würde, ganz abgeschnitten von der Welt zu
leben.
Ich fragte ihn, warum er denn nun schon darüber sprach.
»Ja, Anne«, sagte er daraufhin, »du weißt, dass wir schon seit mehr als
einem Jahr Kleidung, Lebensmittel und Möbel zu anderen Leuten bringen;
wir wollen unseren Besitz nicht in die Hände der Deutschen fallen lassen,
aber noch weniger wollen wir selbst aufgegriffen werden. Wir werden
darum aus eigener Entscheidung weggehen und nicht warten, bis wir
abgeholt werden.
»Aber Vater, wann denn?«
Ich bekam Angst, weil Vater das mit so großem Ernst sagte.

»Keine Sorge, das regeln wir schon; genieße du dein


sorgloses Leben, solange das noch geht.«
Das war alles. Oh, wenn es bis zur Erfüllung dieser ernsten Worte nur noch
lange dauert.

Deine Anne

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