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FAUSTREGELN FÜR GUTES SCHREIBEN – WORKSHOP 205, KURS 1, KAPITEL 3

KONKRETE WÖRTER

“Wer gelesen werden will, sollte


ein bisschen grübeln.”
Wolf Schneider

ZUSAMMENFASSUNG

Was ist ein Haustier? Ein Hund, eine Katze, eine Kuh, ein Schwein – das ist
konkret, das ist anschaulich, das ist vorstellbar und das wollen wir lesen!
Ergiebige Niederschläge sind in Wahrheit ein Dauerregen oder ein
Platzregen. Wenn es schneit oder hagelt, dann ist das etwas Anderes,
auch das sollte der Leser wissen. Wenn der Meteorologe sagt, dass „die
Niederschläge teils als Regen, teils als Schnee niedergehen“, so meint er
damit eigentlich: „Es wird teils regnen, teils schneien“. Der Oberbegriff
Niederschlag ist ein einziges Abstraktum. Es gehört nicht in einen guten
Text.

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Faustregel 4: Seien Sie so konkret wie
möglich!
Der Schreiber, der gelesen werden will, benennt das, was er meint, stets
mit dem engsten Begriff. Also nicht: Backwaren. Sondern: Semmeln,
Brötchen, Brot. Oder Gewürze - das sind natürlich Pfeffer, Zimt und
Knoblauch. Die engste Einheit benennen, das heißt: präzise schreiben,
konkret schreiben, anschaulich schreiben. Die Hirnforschung sag: Lesen
wir „Gewürze“, erkennt unsere linke Gehirnhälfte das Wort und ist
zufrieden. Lesen wir jedoch „Zimt“, wird zusätzlich die rechte Gehirnhälfte
aktiv – die Region im Gehirn, die auch für Gerüche zuständig ist. Das Wort
Zimt aktiviert einen Sinneseindruck, die Zuwendung zum Text wird
verdoppelt, der Schreiber hat gewonnen.

Kennt der Schreiber das konkrete Detail nicht, sollte er ein wenig
recherchieren und grübeln. Mit Sätzen wie „Die Reise war großartig“ oder
„Mein Urlaub war wunderschön“ hat er dem Leser nichts mitgeteilt.

Im Englischen geht das Wort „Serendipity“ um. Es bedeutet: Die Fähigkeit,


zufällig überraschende Entdeckungen zu machen. Eine konkrete
Übersetzung könnte lauten: Sie suchen die Nadel im Heuhaufen. Und
finden die Tochter des Bauern.

MEHR ZUM THEMA


Die schlimmste Substantive sind die ohne Mark und Knochen wie Bereich,
Gebiet, Sektor, Umfeld, Ebene und Raum: „Freiräume der Mitverantwortung“,
„Die Schule als sinnstiftender Erfahrungsraum“ - in solchen Räumen fühlt
man sich zu Hause; auch „im erarbeiteten Zahlenraum“, in welchem die
Sechsjährige noch Anschauungshilfen benötigt, wie eine Lehrerin
monierte, freilich nur „im Minusbereich“.

Bereich ist seit Jahren das häufigste Füllwort. Man hört Referate mit
zwanzig Bereichen in zehn Sätzen. „In einigen Teilbereichen in meinem
Zuständigkeitsbereich“, sagte der schleswig-holsteinische Kultusminister

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Bendixen 1985 in einem Interview, und so ging es weiter: „Das betrifft den
skandinavischen Bereich, aber auch den gesamten Bereich der
Bundesrepublik… im musealen Bereich, im musischen Bereich, wo auch
immer.“

Und dann die Befindlichkeit, eine geblähte Imponiervokabel für „Befinden“


oder „Zustand“, nur doppelt so lang und so herrlich abstrakt, noch dazu
steigerungsfähig zur Grundbefindlichkeit, zur Befindlichkeitsqualität oder
zum Missbefindlichkeitspegel (Hermann Lübbe).

Weitere Ausgeburten der akademisch-bürokratischen Sprachschöpfer:


Beaufschlagung, Beampelung, Beschulung, Hierarchisierung,
Ingangsetzung, Verschlagwortung; auch Aktivitätenpalette,
Innovationspotential, Stellplatzablösungsverpflichtung,
Technologiehaltigkeit und Sekundärtugendorientiertheit.

Die Tagesschau meldet: „Auch in Hamburg können Warnstreiks zur


Durchsetzung der Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche
stattfinden.“ Der Bundesernährungsminister „hat die EG-Kommission
gebeten, die Preisbruchproblematik im Sinne einer Preisbruchvergütung zu
lösen“. Ein grandioser Aufschwung statt vom Feld der manchmal
notwendigen Abstraktion in die Giftwolke der schieren Scheußlichkeit.

(Siehe auch Wolf Schneider: Deutsch für Kenner: Die neue Stilkunde, S. 63)

JET ZT SIN D S IE G EF RA G T !
Aufgabe A: Seien Sie konkret, ersetzen Sie den Gattungsbegriff!
(mehrere Antworten zulässig)

• Haustier
• Backwaren
• Niederschlag

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Aufgabe B: Was stimmt mit dem folgenden Satz nicht? Bitte formulieren
Sie ein besseres Beispiel.

„Die Reise war wunderschön, wir hatten immer gute Laune.“

• Der Satz ist nicht anschaulich.


• Der Satz ist nichtssagend.
• Der Satz ist konkret.
• Ich kann mir unter der Reise etwas vorstellen.
• Der Satz animiert zum Weiterlesen.

Aufgabe C: Formulieren Sie folgenden Satz um:

„Auch in Hamburg können Warnstreiks zur Durchsetzung


der Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche
stattfin-den.“

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