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012 - Dein Tod geschehe Roxann Hill

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ROXANN HILL
_________________

Dein Tod geschehe


Thriller

Der zwölfte Fall für Steinbach und Wagner


Copyright © 2020 Roxann Hill

Sämtliche Namen, Charaktere und Handlungen sind frei erfunden


und reine Fiktion der Autorin.
Alle Ähnlichkeiten mit Personen, lebend oder tot, sind Zufall.
© Coverdesign: Alexios Saskalidis a.k.a. 187designz
unter Verwendung eines Fotos von Vincent Hill
Korrektorat: SW Korrekturen e.U.
https://www.roxannhill.com
http://www.facebook.com/Roxann.Hill.Autorin
https://www.instagram.com/roxann_hill/
www.twitter.com/roxann_hill
INHALT

VORWORT
1 Drei Tage zuvor
2 Mittwoch, Apulien/Italien
3 Donnerstag
4
5
6 Freitag
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17 Samstag
18
19
20
21
22
23
24
25 Sonntag
26
27
28
29 Montag
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31
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33
34
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38
39
40
41
42 Dienstag
43
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48
49
50
51 Mittwoch
52
53
54
55

56
57
58
59 Donnerstag
60
61
62
63
64
65 Samstag, eine Woche später
66 Sonntagabend
ANNE UND PAUL KOMMEN WIEDER!
Die Fälle von Steinbach und Wagner – Was bisher geschah
Weitere Romane von Roxann Hill
Leseprobe: Dunkel Land (Wuthenow-Thriller 1)
Die Autorin
VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Romane von Anne Steinbach und Paul Wagner sind in sich
abgeschlossen und können völlig problemlos einzeln gelesen
werden. Allein die Hauptcharaktere entwickeln sich im Verlauf der
Kriminalfälle weiter. Von daher bietet es sich an, chronologisch mit
Band 1 zu beginnen.

Für alle Quereinsteiger habe ich – wie man es von Fernsehserien


kennt – ein »Was bisher geschah« verfasst. Sie finden die
Zusammenfassung am Ende des Buches.

Ich wünsche Ihnen spannende Stunden mit Anne und Paul.

Ihre

Roxann Hill
Nam tam omnibus ignoscere crudelitas
quam nulli.

Denn allen zu verzeihen, ist ebensowohl Grausamkeit,


wie keinem zu verzeihen.

Lucius Annaeus Seneca (1 – 65 n.Chr),


aus: De Clementia/Über die Milde
1
Drei Tage zuvor

Der Befreier hatte sich hingekniet. Er betete. Dabei las er die Worte
von einem Zettel ab, der vor ihm lag. Streng genommen hätte er das
Blatt Papier gar nicht gebraucht. Er kannte den Text in- und
auswendig. Er hatte ihn in den letzten Jahren oft gehört und
aufgesagt. Aber er wollte auf Nummer sicher gehen.
Eigentlich hatte er seinen Glauben schon lange verloren. Doch der
seltsame Klang der Silben, die sich auf unerklärliche Weise zu reimen
schienen, besaßen ihre eigene, ganz besondere Kraft. Das wusste er.
Der Boden unter ihm war hart. Seine Beine schmerzten, die
Muskeln rebellierten und er schwitzte vor Anstrengung. Doch er gab
nicht auf. Wieder und wieder rezitierte er die Formel, sorgfältig
darauf bedacht, dass ihm nicht der geringste Fehler unterlief.
Ein Geruch stieg ihm in die Nase – stechend, metallisch.
Es war so weit.
Mühsam erhob sich der Befreier, streckte sich, kreiste die
Schultern. Er blickte auf den Lötkolben in der Wandhalterung. Er
hatte ihn mit viel Mühe eigenhändig umgebaut. Der Aufsatz glühte
rot. Er wandte sich ab.
Ein Schritt, und er stand bei dem Mann: vielleicht Ende fünfzig,
salopp bekleidet mit einem hellen Hemd und einer blauen Stoffhose.
Der Grauhaarige war barfuß. Seine Schuhe mitsamt Strümpfen
befanden sich auf einem kleinen Eckregal neben einer Rolle
Klebeband.
Der Grauhaarige selbst war mit breiten Lederriemen auf einer
Pritsche festgeschnallt. Er konnte sich kaum rühren. Das musste so
sein. Ein breites Stück des Panzertapes verschloss seinen Mund.
Auch das war leider erforderlich.
Der Befreier beugte sich vor. »Ich werde deinen Knebel entfernen.
Es hat keinen Sinn, zu schreien. Niemand würde dich hören. Hast du
das verstanden?«
Der Grauhaarige riss die Augen auf und nickte übertrieben
deutlich.
»Gut«, sagte der Befreier. »Wir werden uns ganz normal
unterhalten. Wie zwei gesittete Menschen.«
Ein erneutes Nicken als Antwort.
Mit spitzen Fingern ergriff der Befreier ein Ende des Klebestreifens
und riss ihn mit einem Ruck ab.
Der Grauhaarige ächzte und sog mehrmals geräuschvoll die Luft
ein. »Geld«, stieß er hastig hervor. »Ich kann Ihnen viel Geld geben.
Und das bleibt unter uns. Ich werde Sie nicht anzei…«
»Still!«, unterbrach ihn der Befreier.
Der Grauhaarige verstummte.
»Ich bin nicht käuflich«, sagte der Befreier. »Du führst mich nicht
in Versuchung! Du nicht!«
»Was wollen Sie?«, stammelte der Grauhaarige.
Der Befreier lächelte. »Eine Antwort. Auf eine einzige, simple
Frage.«
»Und dann kann ich gehen? Ja?«
Der Befreier nickte. »Wenn du die Wahrheit sagst.«
»Die Wahrheit?« Der Grauhaarige blinzelte. »Was möchten Sie
wissen?«
Der Befreier blieb einen Moment still. Seine nächsten Worte
formulierte er langsam und bedächtig: »Deinen Namen.«
»Meinen Namen? Aber Sie kennen mich doch!«
»Nenne mir deinen Namen!«
»Okay, okay«, beeilte sich der Grauhaarige zu erwidern und fuhr
sich mit der Zungenspitze über die spröde Unterlippe. Sie blutete
leicht. »Ich … ich heiße Gallenhofer. Dr. Joachim Gallenhofer.«
»Falsch! Versuche es noch mal: Nenne mir deinen Namen!«
»Dr. Joachim Andreas Gallenhofer! Sie kennen mich! Sie haben
mich angerufen. Sie…«
Das Gesicht des Befreiers verzog sich. »Falsch!«
»Wieso falsch? Was möchten Sie von mir hören? Ich heiße
Gallenhofer. Dr. med. Joachim Gallenhofer. In der Schule nannten sie
mich Jo. Manchmal Achim…«
»Deinen Namen!«
Der Grauhaarige begann zu keuchen. »Ich … ich … Was wollen Sie
von mir! Lassen Sie mich gehen! Das ist doch der reinste Irrsinn!
Ich…«
Ungeduld und Zorn blitzten in den Augen des Befreiers auf.
»Deinen Namen! Sag mir endlich deinen Namen!«
Der Grauhaarige versuchte, sich loszureißen. Die Pritsche
wackelte. Die Fesseln schnitten sich tief in seine Handgelenke.
»Gallenhofer! Gallenhofer!«
Der Befreier musterte den Grauhaarigen. Dabei veränderte sich
sein eben noch wütender Ausdruck, wurde ruhig und fokussiert.
Ohne ein weiteres Wort langte er zu dem Eckregal und riss ein
frisches Stück vom Panzertape ab.
»Es tut mir leid, dass ich das tun muss«, sagte er dabei. »Du lässt
mir keine andere Wahl.«
Der Grauhaarige warf seinen Kopf hin und her in dem Bemühen,
den Befreier daran zu hindern, seinen Mund erneut zu verkleben.
Vergeblich.
Der Befreier presste den Streifen fest, nahm den glühend roten
Lötkolben aus der Halterung und betrachtete ihn mit
fachmännischem Blick.
Die Augen des Grauhaarigen weiteten sich vor Entsetzen. Er gab
unartikulierte Laute von sich, versuchte verzweifelt, aus seinen
Fesseln zu kommen, indem er mit aller Kraft an ihnen riss.
Der Befreier drückte ihm die Spitze des Lötkolbens gegen die linke
Fußsohle. Ein Zischen. Rauch stieg auf. Es begann zu stinken – nach
verbranntem Fleisch.
Der Grauhaarige schrie, krümmte sich vor Schmerzen, bäumte sich
auf, soweit es die Lederriemen erlaubten. Er keuchte und grunzte.
Tränen und Rotz liefen ihm über das verzerrte Gesicht.
Sehr gut. Jetzt nur nicht nachlassen – dachte sich der Befreier. Er
zog den Lötkolben zurück und presste ihn gegen die Ferse des
Grauhaarigen. Dessen Laute gingen in ein Wimmern über.
Noch zwei weitere Male brachte der Befreier den Lötkolben zum
Einsatz. Diesmal am rechten Fuß.
Der Grauhaarige schien sich kurz vor der Bewusstlosigkeit zu
befinden.
Der Befreier behielt den Lötkolben in der Hand. Mit der anderen
riss er dem Grauhaarigen das Klebeband vom Mund.
»Wie ist dein Name?«
»Jo-Joachim … Dr. Joachim Ga-Gallenhofer«, flüsterte der
Grauhaarige.
»Nein!«, schrie der Befreier und hob drohend das glühende Metall.
»Deinen richtigen Namen. Sag ihn mir! Jetzt! Ich befehle es dir!«
»Joachim!«, flüsterte der Grauhaarige und dann brüllte er: »Mein
Name ist Joachim Gallenhofer!« Speicheltropfen flogen durch die
Luft. »Das weißt du ganz genau! Du Schwein, du dreckiges,
perverses Schwein!« Erneut wollte sich der Grauhaarige mit
überraschend großer Kraft losreißen. Er tobte, schrie. Dann wurde er
ohnmächtig.
Der Befreier ließ seine Schultern sinken und seufzte. Eine Welle
der Enttäuschung gepaart mit Resignation erfasste ihn. Das hatte er
befürchtet. Es hatte keinen Sinn. Er würde es nicht schaffen.
Sorgfältig hängte er den Lötkolben an seinem Platz auf, trennte
ihn vom Strom. Dann ergriff er eine durchsichtige Plastiktüte und
wandte sich ein letztes Mal dem Grauhaarigen zu. Mit einer einzigen
Bewegung stülpte er den Beutel über den Kopf des Mannes und
drehte ihn an dessen Hals fest.
Der Grauhaarige bewegte die Lippen, öffnete die Augen.
Der Befreier biss die Zähne zusammen. »Du willst mir deinen
Namen nicht verraten«, brachte er heraus. »Dann musst du sterben.
Du entkommst mir nicht!«
Der Grauhaarige machte den Mund auf, um Luft zu holen.
Vermutlich versuchte er, etwas zu antworten – eine neue Lüge … die
Plastiktüte legte sich eng an sein Gesicht, schmiegte sich an die
Nase, die Wangenknochen, die Lippen und das Kinn. Beim Ausatmen
blähte sich das Plastik auf, nur um mit dem nächsten Atemzug
wieder eingesogen zu werden. Diesmal tiefer.
Panik erschien im Blick des Grauhaarigen. Die Folie hob und
senkte sich immer schneller. Jetzt beschlug die Innenseite, die
Gesichtszüge des Grauhaarigen wurden unscharf, wie mit einem
Weichzeichner aufgenommen.
Aufblähen, einsaugen, aufblähen, einsaugen … der Grauhaarige
hechelte, er wand sich hin und her, er zuckte. Der Befreier hielt die
Tüte mit eisernem Griff fest.
Dann, ein langes Zittern … zwei, drei unmotivierte Bewegungen …
und es war vorbei.
Der Befreier wartete eine weitere Minute, bevor er den Beutel
lockerte und vom Kopf des Grauhaarigen zog. Er wischte sich den
Schweiß von der Stirn, hob die Schuhe und Strümpfe des Toten auf
und zog sie ihm behutsam an.
Er betrachtete die verkrümmte Leiche. Kein schöner Anblick.
Das alles wäre vermeidbar gewesen, wenn ihm der Grauhaarige
seinen Namen verraten hätte.
2
Mittwoch, Apulien/Italien

Ich schwamm mit gleichmäßigen Zügen durch das kühle, glasklare


Wasser. Langsam, aber beständig arbeitete ich mich vorwärts. Die
kleinen Wellen, durch die ich glitt, stellten kein Hindernis dar. Und
heute gab es kaum Strömung wie in den letzten Tagen, an denen ich
zu kämpfen hatte, um überhaupt vom Fleck zu kommen.
Ein perfekter Morgen.
Der Schmerz in meinem Oberschenkel meldete sich. Zuerst
verhalten, ähnlich einer verblassten Erinnerung. Dann spürte ich
dieses wütende Pochen, und ich wusste, jetzt war der Zeitpunkt
gekommen, eine Pause einzulegen. Ich hielt an, drehte mich auf den
Rücken und ließ mich mit ausgestreckten Armen treiben.
Ich blinzelte. Der Himmel war wolkenlos. Ein, zwei Möwen flogen
vorbei. Eine leichte Brise strich mir über das Gesicht, während ich
sanft hin und her geschaukelt wurde.
Das Stechen im Bein verschwand.
Ich wartete noch ein paar Minuten, bevor ich mich auf den
Rückweg machte. Ich konnte bis auf den Meeresboden sehen. Sand,
durch Ebbe und Flut zu symmetrisch verlaufenden Linien geformt.
Dazwischen einige Steine, Pflanzen und der ein oder andere
Schwarm kleiner bunt-silbriger Sardinen. Sie schwebten zielgerichtet
dahin, als wären sie keine Individuen, sondern ein einzelner
lebendiger Organismus. Wie sie das wohl anstellten? Vielleicht
verfügten sie über so etwas Ähnliches wie ein gemeinsames
Bewusstsein, das ihnen genau sagte, wohin sie sich zu bewegen
hatten.
Ich schwamm bis kurz vor das Ufer. Das letzte Stück watete ich
durch die helle Gischt der Brandung.
Der Strand – wenn man ihn denn so bezeichnen wollte – war
maximal zwanzig Meter tief und ebenso breit. Und vollkommen
verlassen. Eine versteckte Bucht zwischen weißgrauen, schroffen
Felsen fernab vom Massentourismus. Neben meinem ausgebreiteten
Handtuch saß ein schwarzer Schäferhund. Prinz, seines Zeichens
ehemaliger Polizeihund, aber genauso fit wie zu seiner aktiven
Dienstzeit.
Sobald ich an Land war, kam er schwanzwedelnd zu mir gelaufen.
Ich ging in die Hocke, streichelte ihn und kraulte ihn hinter den
Ohren. Er drückte sich an mich und hätte mich vor lauter
ungestümer Begeisterung beinahe umgeworfen.
Gemeinsam kehrten wir zu meinen Sachen zurück. Ich setzte mich
und ließ mich von der Sonne trocknen. Prinz scharrte den trockenen
Sand zur Seite und legte sich in seine frische Kuhle.
Ich umfasste die Knie mit beiden Händen und schaute hinaus aufs
Meer. Eine türkis-smaragdfarbene Unendlichkeit. Der Himmel
darüber von tiefem, unwirklich anmutendem Blau. Ich blickte nach
rechts.
Auf einem der Felsen an der Küste erhob sich eine abenteuerliche
Holzkonstruktion aus grau-weiß gebleichten Balken: ein hoher
Pfahlbau mit einem schuppenartigen Häuschen und einer Plattform,
die zusammen mit meterlangen Stangen und Schnüren weit aufs
Wasser hinausragte.
Das Ganze machte den Eindruck, als würde es bei dem geringsten
Windstoß oder einem heftigen Niesen in sich zusammenbrechen. Das
Aussehen täuschte. Der Trabucco war über hundert Jahre alt. Ein
Fischergalgen, wie man sie nur in Apulien findet. Im Moment turnten
zwei Männer mit schlafwandlerischer Sicherheit auf dem Gestell
herum. Einer balancierte über die Streben und zog an irgendwelchen
Tauen. Der andere betätigte per Hand eine wuchtige Winde. Sie
quietschte, und das Geräusch drang bis zu mir. Ein Netz von
beachtlicher Größe tauchte aus den Fluten auf, wurde
emporgezogen, tropfend auf die Plattform geschwenkt und
ausgeleert.
Ich wusste, dass ein Teil der gefangenen Fische heute auf der
Speisekarte meiner Unterkunft landen würden – der Masseria, einem
altehrwürdigen Gutshof, der seit Generationen von Lorenzos
Verwandten bewirtschaftet wurde. Vor rund zwanzig Jahren hatten
sie einen Teil des landwirtschaftlichen Betriebs zu einem Hotel
umgebaut. Klein, aber fein.
Prinz begann zu hecheln.
»Dir ist heiß«, stellte ich fest.
Als Antwort schleckte er sich über das Maul und hechelte weiter.
Die Sonne hatte an Kraft gewonnen. Ich war nahezu trocken.
»Lass uns heimgehen«, sagte ich und erhob mich. Ich schlüpfte in
meine kurzen Hosen und das T-Shirt, zog mir die Sandalen an und
folgte Prinz, der bereits halb die Böschung hinaufgelaufen war.
Oben angekommen erstreckte sich vor mir der Olivenhain des
Gutes. Teils tausendjährige Bäume, knorrig und von beträchtlichem
Wert. Der Vorarbeiter hatte mir mit Händen und Füßen zu verstehen
gegeben, dass ab und zu Diebe einen der alten Stämme nachts
ausgraben würden, um sie für teures Geld zu verkaufen. Ich grinste.
Die vermutlich einzige Art von Kriminalität, die es hier gab.
Mein Magen knurrte. Ich freute mich aufs Frühstück. Lorenzos
Familie behandelte mich seit meiner Ankunft vor rund zwei Monaten
wie einen Ehrengast. Besonders, was das Essen betraf. Ich konnte
froh sein, dass ich das Meer quasi vor der Haustür hatte und täglich
schwimmen gehen konnte. Joggen kam wegen der Verletzung noch
immer nicht infrage. Bei dem reichhaltigen und äußerst
schmackhaften Verwöhnprogramm wäre ich ohne mein Training
unweigerlich aus dem Leim gegangen.

Eine Stunde später. Ich saß auf der Terrasse unter einem großen,
weißen Schirm und trank ein Glas eingekühlte Zitronenlimonade.
Frisch gepresst, aus dem Garten. Mein Handy klingelte. Paul rief an.
Es hatte einen Mord gegeben. Ich wurde zu Hause gebraucht.
Meine Auszeit war zu Ende.
3
Donnerstag

Der Gehsteig war nass vom Regen. Die Passanten eilten mit
aufgespannten Schirmen und gebeugten Köpfen vorbei. Ich stand
unter dem Vordach der Pathologie, die Hände in den Taschen meiner
Lederjacke, und fröstelte. Ich hätte bei der Abreise aus Italien nicht
alle Sweatshirts in den Koffer packen sollen.
Ein dunkelblauer BMW näherte sich langsam, fand eine Lücke
zwischen den am Straßenrand geparkten Wagen und fuhr hinein.
Der Motor wurde abgestellt und zwei Männer stiegen aus. Ungefähr
gleich groß, der eine mit modischem Sakko, der andere in einem
schwarzen Anzug mit weißem Kragen. Ralf und Paul.
Ich hatte nur Augen für Paul. Er lächelte mir entgegen. Jeden Tag
in den letzten Wochen hatte ich mich auf diesen Augenblick gefreut.
Ich hatte Paul vermisst. Und jetzt, da ich ihn sah, merkte ich, wie
sehr er mir gefehlt hatte. Mein Herzschlag beschleunigte, und ich
musste mich zwingen, ihm nicht entgegenzurennen, ihn zu umarmen
und nie, nie wieder loszulassen. Aber das ging nicht. Jedenfalls nicht
in der Öffentlichkeit. Katholischen Priestern sind Beziehungen
untersagt.
Die beiden hatten mich erreicht.
Ich merkte deutlich, dass auch Paul mit sich zu kämpfen hatte,
den Schein zu wahren. Schnell streckte ich den Arm aus, um ihn
gesellschaftlich angemessen zu begrüßen. Er folgte meinem Beispiel.
Wir schüttelten uns die Hände und hielten sie fest. Dabei sahen wir
uns an. Das musste fürs Erste genügen.
Ich hörte jemanden hüsteln.
»Leute«, murmelte Ralf. »Das fällt langsam auf.«
Widerstrebend zog ich die Hand zurück, ließ Paul los und wandte
mich Ralf zu.
»Hallo, Herr Oberkommissar Lambrecht!«, sagte ich mit breitem
Grinsen. »Was für eine Freude, dich zu sehen!«
Ralf gab mir das Grinsen zurück. »Hauptkommissar.«
»Seit wann?«, fragte ich meinen ehemaligen Kollegen.
»Vor drei Wochen habe ich die Ernennungsurkunde erhalten.«
»Super! Herzlichen Glückwunsch!« Ich knuffte ihn am Oberarm.
»Danke, danke!« Er strahlte. »Gut siehst du aus! Du bist braun
geworden, und deine Haare sind hellblond durch die Sonne. Steht
dir!«
»Jetzt übertreib mal nicht«, winkte ich ab. »Aber es war wirklich
traumhaft schön bei Lorenzos Verwandten.«
»Du hast uns gefehlt«, sagte Paul.
»Ihr mir auch.« Ich lächelte. »Sorry, dass ich so spät komme. Es
gab einen mörderischen Stau auf der Autobahn um München herum.
Deshalb bin ich erst gar nicht nach Hause zum Prof und zu Lorenzo
gefahren, sondern direkt hierher.« Ich machte eine Kopfbewegung in
Richtung meines Wagens. Prinz saß auf dem Beifahrersitz des Golfs
und schaute aus dem halb heruntergekurbelten Seitenfenster
hinaus. Ihm schien das kühle Wetter zu gefallen.
»Lorenzo hat gleich gesagt, dass du bei dieser Strecke mit
Verzögerungen rechnen musst«, meinte Paul.
Ralf blickte an mir herunter. »Wie geht es deinem Bein?«
Ich seufzte. »Es hat schon gedauert. Anfangs hat mir die
Verletzung ganz schön zu schaffen gemacht. Inzwischen ist die
Stichwunde fast ausgeheilt. Ich darf das Bein nicht zu sehr belasten,
sonst meldet es sich. Doch das sind quasi Nachwehen – nicht der
Rede wert.«
Ganz stimmte das nicht, aber ich wollte dieses Thema so schnell
wie möglich hinter mir lassen. Paul anscheinend nicht.
»Du wärst fast verblutet«, stellte er fest.
Ralf verzog den Mund. »Sei froh, dass du die andere nicht
gesehen hast.«
Ohne es zu wollen, musste ich an meinen letzten Fall denken. Eine
Auftragskillerin hatte mir aufgelauert. Es ging um viel Geld. Und
eigentlich auch wieder nicht. Sie hätte mich beinahe erstochen. Ich
hatte sie erschossen.
Ich zwang meine Gedanken in eine andere Richtung. »Gibt es in
der Sache was Neues?«
Ralf zuckte mit den Schultern. »Nicht wirklich. Ich habe einen
schriftlichen Bericht verfasst, dass du in Notwehr gehandelt hast. Er
wird von meinen Chefs gestützt. Die Tote hatte viel auf dem
Kerbholz. Die endgültige Stellungnahme der Staatsanwaltschaft steht
aber noch aus. Hoffen wir das Beste. Wird schon gut gehen.«
Ich nickte.
Paul musste meine Bedenken gespürt haben. »Keine Sorge, der
Prof ist dran«, sagte er leise.
Ich lächelte. »Ein Segen, dass wir ihn haben!«
Ralf sah auf seine Armbanduhr. »Leute, ich unterbreche nur
ungern unseren Plausch. Aber wir sollten jetzt reingehen. Die
Mitarbeiter wollen in ihren verdienten Feierabend.«
4

Der geflieste Raum war heruntergekühlt. Ich fror erbärmlich mit


meinem dünnen T-Shirt unter der Lederjacke. In der Luft hing der
typische Geruch einer Leichenhalle. Eine Mischung aus
Desinfektionsmitteln, Formaldehyd und Tod. Er stieg einem in die
Nase und man wurde ihn nicht so schnell wieder los.
Wir standen vor einer fahrbaren Bahre aus Edelstahl. Der Körper
eines Menschen lag darauf, abgedeckt mit einem weißen Tuch.
»Okay?« Ralf sah mich und Paul an.
Wir nickten.
Ralf ergriff das Laken und legte den Kopf bis zu den Schultern des
Toten frei. Paul sog scharf die Luft ein. Er würde sich wohl nie an
den Anblick eines Mordopfers gewöhnen.
Ein grauhaariger Mann, älter, aufgedunsen. Die Lider halb
geschlossen.
»Dr. Joachim Gallenhofer«, sagte Ralf. »Stationsarzt an der
hiesigen Uniklinik. Kardiologe. Verheiratet, drei Kinder.«
Ich beugte mich vor und betrachtete das, was ich von den Augen
sehen konnte. Das Weiß war dunkel verfärbt.
»Sind das petechiale Blutungen?«, fragte ich. »Ist er erstickt?«
Ralf nickte. »Ja. Die Pathologin meinte, man hat ihm eine
Plastiktüte oder so etwas in der Art über den Kopf gestülpt.«
»Kein schöner Tod«, bemerkte ich.
»Bestimmt nicht«, bestätigte Ralf.
Paul wies auf den Toten. »Die Unterlippe ist verletzt. Wurde er
geschlagen?«
»Eher nicht«, erwiderte Ralf. »Sein Mund muss irgendwann vor
dem Tod zugeklebt gewesen sein. Es befanden sich Reste eines
Panzertapes am Kinn. Vermutlich ist die Wunde beim Abreißen
entstanden.«
»Fesselspuren an den Händen«, sagte ich mit Blick auf die
deutlich sichtbaren Striemen an den Gelenken.
»Seine Beine waren auch fixiert«, sagte Ralf. »Das zeige ich euch
gleich.«
Ich runzelte die Stirn. »Was ist das?«
»Was?«, fragte Ralf.
»Na, diese ganzen kleinen Wunden an der Wange und am Ohr.«
Ralf seufzte. »Tierfraß. Der Tote wurde nicht gleich entdeckt. Er
lag bestimmt zwei Tage im Freien.«
»Und wo wurde er gefunden?«, erkundigte sich Paul. Etwas Farbe
war in sein Gesicht zurückgekehrt.
»In einer Senke im Wald«, sagte Ralf. »Nicht weit von einem
Forstweg entfernt, aber doch versteckt und schwer zugänglich.«
Ich blies die Wangen auf und ließ die Luft wieder ausströmen.
»Fesselspuren, Plastiktüte, Panzertape … ein Sexualmord?«
»Nein.« Ralf schüttelte den Kopf. »Dafür gibt es keine Hinweise.«
»Dann war es ein Raub, der schiefgegangen ist?«
»Auch nicht. Sein Geldbeutel mit rund dreihundert Euro und seine
Kreditkarten waren unangetastet. Selbst sein Handy war da.
Ausgeschaltet.«
»Okay«, sagte ich. »Vermutlich irgendein Verrückter … Aber wieso
ist das für Paul und mich interessant?«
»Ralf, zeig es ihr bitte«, bat Paul mit leiser Stimme.
Ralf zog das Tuch wieder über den Kopf des Mannes, ging ans
andere Ende der Bahre und deckte die Füße auf.
Ich betrachtete sie. »Ja, und?«
»Die Sohlen«, meinte Paul.
Ich machte zwei Schritte, um freie Sicht zu haben. Rotschwarz
verkohltes Fleisch. Ein Muster war zu erkennen.
»Er ist gefoltert worden?«, fragte ich Ralf.
»Mit einem glühenden Metall. Einer Art Brandeisen.«
Ich schluckte. »Das sind Kreuze, nicht wahr? Jemand hat ihm
Kreuze in die Fußsohlen gebrannt.«
»Eindeutig«, bestätigte Ralf.
»Das müssen höllische Schmerzen gewesen sein.«
»Er hielt außerdem einen Rosenkranz«, sagte Paul.
Ich blickte von Paul zu Ralf. »Jetzt verstehe ich. Deshalb sind wir
hier. Es hat einen kirchlichen Bezug. Hatte der Tote denn mit der
Kirche zu tun?«
»Das ist es ja eben. Hatte er nicht.« Ralf deckte den Toten wieder
vollständig zu und wir drehten uns ab.
»Sonst habt ihr keine Spuren oder Hinweise?«, vergewisserte ich
mich.
»Lediglich den Überrest eines Zettels, der halb aus seiner
Hosentasche herausragte«, sagte Ralf. »Der ist leider auch
angefressen worden. Muss nicht unbedingt etwas bedeuten.«
»Stand was drauf?«
»Durch den Regen ist die Schrift nahezu unleserlich geworden.
Das Labor ist dran. Wenn wir Glück haben, gelingt es ihnen,
zumindest einen Teil zu entziffern. Aber ob der Text eine Bedeutung
hat…«, Ralf zog die Schultern hoch, »wird sich zeigen.«
»Puh«, machte ich. »Was hältst du von dem Ganzen?«
Ralf verzog den Mund. »Keine Ahnung. Deshalb brauche ich euch
– deinen Spürsinn und Pauls katholische Fachkenntnisse. Ich habe
schon mit Prälat Ott gesprochen. Er hat mir zugesagt, dass er Paul
freistellt, falls ihr bereit seid, mich zu unterstützen.«
Ich musste lächeln und Paul ebenfalls.
»Sicher helfen wir dir«, sagte er. »Das weißt du doch.«
5

Wir alle saßen am Esstisch und genossen einen Espresso.


Als ich mit Paul und Prinz von der Pathologie zurückgekehrt war,
hatten mich Lorenzo und Satorius an der Tür willkommen geheißen.
Lorenzo war die Stufen in den Vorgarten geeilt. Er nannte mich mia
cara und drückte mich so fest, dass mir das Atmen schwerfiel. Ich
sah, wie er sich verstohlen eine Träne abwischte, nachdem er mich
losgelassen hatte. Und selbst Satorius, der seine Gefühle für
gewöhnlich nicht nach außen trug, strahlte mir von seinem Rollstuhl
aus entgegen. Dazwischen ein verrückt gewordener Hund, der vor
lauter Schwanzwedeln und Bellen nicht mehr wusste, von wem er
sich zuerst streicheln lassen sollte.
Während Lorenzo das Essen vorbereitete, gingen Paul und ich mit
Prinz am nahe gelegenen Fluss spazieren. Es hatte aufgehört zu
regnen, aber es war kühl. Ich genoss es, endlich wieder Zeit mit Paul
allein zu verbringen. Auch wenn wir täglich telefoniert hatten, hatte
mir seine Anwesenheit schmerzlich gefehlt. Und nicht zum ersten
Mal wunderte ich mich darüber, dass ich mich bei ihm dermaßen
geborgen fühlte. Bei meinem Exmann Yannick hatte ich nie so
empfunden. Paul konnte ich vertrauen. Ohne jede Einschränkung.
Zu meiner großen Überraschung wartete Lorenzo mit einem
typisch deutschen Essen auf. Keine italienischen Köstlichkeiten,
sondern Leberknödelsuppe und dann Schweinebraten mit Klößen
und Sauerkraut. Ich sah ihn fragend an und er wackelte verschmitzt
mit den Augenbrauen.
»Das hast du in Italien sicher vermisst«, sagte er.
Ich trank von meinem Espresso.
Lorenzo beugte sich vor und tätschelte mir die Hand. »Mia cara,
vielen Dank für die zwei Kisten Olivenöl, die du mitgebracht hast.
Hier bekomme ich das nicht. Und Friedrich mag das Öl aus Apulien
so gerne.«
»Das stammt vom Hof deiner Verwandten, mein Lieber«,
bemerkte Satorius. »Es ist handgepresst, ohne Zusätze. Und das
Aroma … unvergleichlich.«
Ich lächelte Lorenzo an. »Deine Cousine Francesca hat darauf
bestanden, dass ich es mitnehme. Wie auch den Wein und die Kiste
Zitronen.«
Lorenzo seufzte. »Meine Franca ist ein Engel.«
Mir wurde bewusst, dass mich Satorius musterte.
»Du siehst gut erholt aus«, meinte er.
»Apulien ist wundervoll. Aber…«, fügte ich schnell hinzu, »hier bei
euch ist es schöner.« Ich warf Paul einen Blick zu.
»Natürlich ist es das«, erwiderte Lorenzo, als würde sich das von
selbst verstehen. Dann wurde er ernst. »Schade nur, dass du
zurückkommst und gleich mit einem solchen Fall konfrontiert wirst.«
»Ach.« Ich zuckte mit den Schultern. »Du kennst mich doch. Ich
arbeite gerne.«
»Diesmal scheint es sich um eine mysteriöse Sache zu handeln«,
fuhr Lorenzo fort.
»Das stimmt«, bestätigte Paul. »Der Tote hielt einen Rosenkranz
in den Händen. In seine Fußsohlen waren Kreuze eingebrannt.«
»Ralf hatte schon recht, uns, beziehungsweise vor allem dich, um
Unterstützung zu bitten«, sagte ich zu Paul. »Der religiöse Bezug ist
nicht zu leugnen.«
»Ganz eindeutig«, murmelte Satorius.
Paul blickte in die Runde. »Das Seltsame ist, dass der Tote bereits
mit zwanzig aus der Kirche ausgetreten ist. Auch seine Frau und
seine Kinder haben keine Verbindung zu irgendeiner katholischen
Gemeinde.«
»Tja.« Satorius trommelte mit den Fingern leise auf der Lehne
seines Rollstuhls herum. »Wenn nicht das Opfer, dann der Täter.«
Paul runzelte die Stirn. »Du nimmst an, der Rosenkranz stammt
vom Mörder?«
Satorius nickte.
»Wäre schon möglich«, sagte ich. »Er war es ja auch, der die
Kreuze eingebrannt hat.«
»Ihr sucht einen zutiefst gestörten Menschen«, sagte Satorius,
und der Tonfall seiner Stimme ließ mich aufhorchen. »Er tötet
entweder aus einem tiefen Kirchenhass heraus oder wird von einem
religiösen Wahn getrieben.« Er schürzte die Lippen. »Oder es ist
eine gefährliche Mischung aus beidem.«
»Das würde der Kirche gerade noch fehlen«, seufzte Paul. »Ein
Psychopath, der aus Glaubensgründen tötet.«
»Könnte es sich nicht um das Mitglied einer Sekte handeln?«, warf
Lorenzo ein.
»Denkbar«, gestand ihm Satorius zu.
»Im Moment müssen wir in alle vorstellbaren Richtungen
denken«, sagte Paul.
Wir blieben still.
»Was muss das für ein Mensch sein, der anderen so etwas
antut?«, fragte Lorenzo nach einer Weile. Er schüttelte den Kopf. »In
einen solch kranken Verstand möchte ich mich lieber gar nicht
hineinversetzen.«
Niemand von uns antwortete ihm.
Er räusperte sich. »Vielleicht sollte ich das nicht sagen, vielleicht
bin ich auf meine alten Tage nur zu empfindlich, aber bei diesem Fall
bekomme ich ein ganz schlechtes Gefühl.«
»Warum, mein Lieber?«, fragte Satorius mit ehrlichem Interesse.
Lorenzo sah ihn an. »Ich kann es dir nicht erklären, Friedrich. Das
Gefühl ist einfach da. Ein religiös motivierter Mord mit Folter. Mir ist
nicht wohl bei der Sache.« Er holte tief Luft und zwang sich zu
einem Lächeln. »Will noch jemand einen Espresso oder einen
Grappa?«
Wir lehnten ab.
Lorenzo begann, unsere Tassen auf ein Tablett zu räumen. Ich
wollte aufstehen, um ihm zu helfen. Paul berührte meinen Unterarm
und hielt mich auf.
»Lass mal. Heute bin ich dran.«
Er erhob sich und folgte Lorenzo in die Küche.
Satorius und ich waren allein.
»Wie geht es deiner Wunde?«, fragte er leise.
Ich wiegte den Kopf hin und her. »Besser. Aber sie schmerzt schon
noch.«
»Nun«, meinte er. »Das war nicht anders zu erwarten. Die Folgen
dieser Auseinandersetzung wirst du länger spüren.«
»Scheint so«, gab ich ihm recht. »Dabei würde ich mit dem Vorfall
gerne abschließen.«
»Bis man derartige Erlebnisse hinter sich lässt, vergeht einige Zeit.
Das klappt nicht von heute auf morgen. Da dürfen wir nicht
ungeduldig werden.«
Ich musterte ihn, wie er in seinem Rollstuhl saß. Nie klagte er über
sein Schicksal. Er machte einfach das Beste aus seiner Situation.
»Was ist mit meiner Waffe?«, fragte ich.
Auf Satorius’ Gesicht breitete sich ein kleines Lächeln aus, das
allerdings schnell verschwand. »Ich wusste, dass du danach fragen
würdest.«
Ich wartete.
»Ich habe mein Möglichstes getan.«
»Da bin ich mir sicher«, erwiderte ich. »Einen besseren Juristen
als dich findet man nicht so schnell.«
»Danke«, meinte er. »Trotzdem: Solange die Untersuchung noch
andauert …« Er machte eine unbestimmte Handbewegung.
Ich nickte. »Das hatte ich schon befürchtet.«
Er beugte sich vor. »Du weißt, wenn du eine Waffe brauchst … im
Safe liegt eine.«
»Nur im Notfall«, meinte ich.
»Der kann schneller eintreten, als man es erwartet«, gab er
zurück.
Mit einem Mal merkte ich, dass sich in mir ein dunkles Unbehagen
breitzumachen begann, wie es Lorenzo vorhin beschrieben hatte.
Und ich kannte Satorius jetzt schon lange. Ihm ging es genauso.
6
Freitag

Die Familie des verstorbenen Arztes wohnte in einer netten Gegend.


Eine ältere Doppelhaushälfte, aber gut in Schuss, ein ansprechend
angelegter Vorgarten mit Rosenbüschen und Stauden, die zögerlich
anfingen, zu blühen.
Paul klingelte.
Eine Frau um die Mitte fünfzig öffnete uns. Sie trug keine
schwarze Kleidung, aber ihr graues, eingefallenes Gesicht mit tiefen
Augenringen zeigte deutlich, dass sie trauerte.
Wir stellten uns vor, und sie bat uns in ihr Wohnzimmer. Wir
nahmen Platz.
Frau Gallenhofer sah uns an. Sie wirkte gefasst, doch ihre Hände
verrieten sie. Sie faltete sie ineinander, um das Zittern zu
unterdrücken.
»Danke«, begann Paul, »dass Sie sich für uns Zeit nehmen. Ich
kann mir vorstellen, wie schwer es für Sie im Moment ist.«
Sie schluckte. »Ich muss alles vorbereiten. Die Beerdigung, die
Versicherungen … Aber eigentlich bin ich dankbar für den ganzen
Papierkram.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Er hält mich vom
Nachdenken ab. Es ist so unwirklich.«
»Haben Sie jemanden, der Ihnen hilft?«, fragte Paul.
Sie verzog den Mund. »Die Kinder sind ja schon groß. Meine
Tochter wohnt noch zu Hause. Sie ist im Moment in der Schule. Sie
wollte nicht gehen, aber ich habe darauf bestanden. Und meine
Söhne kommen am Abend vorbei.« Sie stockte. »Herr Lambrecht hat
mir heute Morgen erklärt, dass Sie beide die Ermittlungen der Polizei
unterstützen?«
»Genau«, bestätigte Paul. »Wegen des Rosenkranzes und …
anderer Dinge.«
Ralf hatte uns eingeschärft, niemand Außenstehendem von den
gebrandmarkten Fußsohlen des Opfers zu erzählen, auch nicht den
Angehörigen.
»Vermutlich haben Sie die ein oder andere Frage, die wir Ihnen
stellen werden, Herrn Lambrecht bereits beantwortet«, übernahm
ich. »Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn wir uns trotzdem noch
einmal vergewissern. Manchmal ergibt sich bei einem Gespräch ein
neuer Aspekt oder Hinweis.«
»Selbstverständlich.« Der Ausdruck in ihren Augen zeigte mir, dass
sie meinte, was sie sagte. »Ich will alles dafür tun, damit derjenige,
der meinem Mann das Leben genommen hat, gefunden wird. Wissen
Sie, Joachim war ein wundervoller Mensch. Er hat nie jemandem
etwas zuleide getan. Und dann wird er…« Sie schluckte und brach
ab.
»Wie war das an dem Tag, an dem er verschwunden ist?«
Sie hob die Schultern. »Es war ein ganz gewöhnlicher Morgen.
Mein Mann ist ins Krankenhaus. Und…« Sie holte zitternd Luft. »Er
kam nicht zurück.«
»Es gab nichts Außergewöhnliches?«
»Nein. Wir hatten uns beim Frühstück darüber unterhalten, dass
wir abends ins Gartencenter gehen. Und ich habe auf ihn gewartet,
und er kommt und kommt nicht.« Sie hielt inne. »Natürlich kann in
der Klinik immer wieder mal ein Notfall eingeliefert werden. Dann
schafft er es nicht, zurückzurufen. Das bin ich gewohnt. Aber als er
um acht nicht zu Hause war und ich ihn nicht erreichen konnte, habe
ich in der Klinik herumtelefoniert. Ich dachte mir noch immer nichts
dabei.«
»Welche Auskunft hat Ihnen die Klinik gegeben?«
»Stationsschwester Petra war überrascht. Sie hatte gedacht,
Joachim wäre schon längst daheim.«
»Warum das?«, hakte Paul nach.
»Warum sie das annahm?«
Paul nickte.
»Nun. Sie hatte ihn seit Stunden nicht gesehen.«
»Stunden?«, wiederholte ich.
»Ja. Als sie zu ihrer Schicht kam, das war kurz vor eins, hat er sich
bei ihr zum Mittagessen abgemeldet.«
»Dann war er in der Kantine?«
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The Project Gutenberg eBook of Puzzles and
oddities
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eBook.

Title: Puzzles and oddities


Found floating on the surface of our current literature,
or tossed to dry land by the waves of memory

Compiler: Mary A. A. Dawson

Release date: November 14, 2023 [eBook #72129]

Language: English

Original publication: New York: Russell Brothers, 1876

Credits: Debrah Thompson and the Online Distributed


Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file
was produced from images generously made available
by The Internet Archive)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PUZZLES


AND ODDITIES ***
PUZZLES AND ODDITIES:
Found Floating on the Surface of our Current
Literature,
OR

TOSSED TO DRY LAND BY THE WAVES OF MEMORY.

GATHERED AND ARRANGED


BY

M. A. A. D.
New York:
RUSSELL BROTHERS, PUBLISHERS,
17, 19, 21, 23 ROSE STREET.

1876.
COPYRIGHTED BY
RUSSELL BROTHERS,
1876.
It is related of St. Aloysius Gonzaga that while, at the usual time
of recreation, he was engaged in playing chess, question arising
among his brother novices as to what each would do were the
assurance to come to them that they would die within an hour, St.
Aloysius said he should go on with his game of chess.
If our recreations as well as our graver employments are
undertaken with a pure intention, we need not reproach ourselves
though Sorrow, we need not fear though Death surprise us while
engaged in them.
Addison, N. Y., January, 1876.
INDEX.

PART I.

CHARADES.
Nos. 1, 10, 25, 43, 44, 53, 88, 91, 110, 152, 153, 154, 155, 167,
176, 177, 182, 183, 192, 193, 201, 217, 279, 281, 285, 290, 291,
297, 316, 331, 332, 333, 345, 350, 354, 357, 368, 371, 372, 374.

CONUNDRUMS.
Nos. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 17, 18, 21, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37,
46, 47, 51, 52, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 92, 93, 94, 95, 97, 98,
106, 108, 109, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 158, 159,
160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 168, 169, 170, 171, 172, 173,
174, 175, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 196, 197, 198,
199, 200, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 214, 252, 253, 254, 257,
258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270,
274, 275, 278, 280, 286, 294, 299, 300, 301, 303, 318, 319, 320,
321, 322, 323, 325, 326, 327, 329, 330, 359, 360, 361.

FRENCH AND LATIN RIDDLES.


Nos. 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 78.

MATHEMATICAL.
Nos. 48, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 346, 362, 373.

NOTABLE NAMES.
Nos. 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122,
123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135,
136, 137, 138, 139, 140, 141, 142.

POSITIVES AND COMPARATIVES.


Nos. 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229,
230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 336, 337, 338, 339,
340, 341, 342, 343, 344.

POSITIVES, COMPARATIVES AND


SUPERLATIVES.
Nos. 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250.

ELLIPSES.
Nos. 307, 308, 309, 312, 313, 352, 355, 365, 366.

NUMERICAL ENIGMA.
No. 306.

SQUARE WORD.
No. 304.

XMAS DINNER.
No. 315.

DINNER PARTY.
No. 360.

UNANSWERED RIDDLES.
Pp. 77, 78.

UNANSWERABLE QUESTIONS.
P. 78.

PARADOXES.
P. 79.

OTHER VARIETIES OF PUZZLES.


Nos. 11, 12, 13, 14, 15, 16, 19, 20, 22, 23, 24, 26, 27, 28, 29, 30,
38, 39, 40, 41, 42, 45, 49, 50, 54, 55, 64, 65, 75, 76, 79, 80, 81, 89,
90, 96, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 107, 151, 156, 157, 178,
179, 180, 182, 194, 195, 202, 203, 210, 211, 212, 213, 215, 216,
251, 255, 256, 271, 272, 273, 276, 277, 282, 283, 284, 287, 288,
289, 292, 293, 295, 296, 298, 302, 305, 310, 311, 314, 317, 324,
328, 334, 335, 347, 348, 349, 351, 353, 354, 358, 363, 364, 367,
369, 370.

PART II.
ACROSTICS: PAGE.
Adelina Patti 145
Emblematic 131
Spring 146
ALLITERATION:
Siege of Belgrade 144
Example in French 145
ALPHABET, THE, in One Sentence 133
AMERICANS, Characteristic Sayings of 113
ANAGRAMS 131, 133
ANN HATHAWAY 140
AN ORIGINAL LOVE STORY 126
BEHEADED WORDS 133
BOOKS, Fancy Titles of 83
CLUBS 85
CONCEALED MEANINGS 129
CONCEITS OF COMPOSITION:
When the September eves 152
Oh! come to-night 153
Thweetly murmurth the breethe 154
CONTRIBUTION TO AN ALBUM 125
DIALECTS:
Yankee 116
London Exquisite’s 116
Legal 118
Wiltshire 118
ENEID, The Newly Translated 122
EPIGRAM 129
ETIQUETTE OF EQUITATION 88
EXTEMPORE SPEAKING 147
FACETLÆ 84, 105
FRENCH SONG 139
GEOGRAPHICAL PROPRIETY 102
GEORGE AND HIS POPPAR 121
HISTORY 133
INSTRUCTIVE FABLES 141
LATIN POEM 139
MACARONIC POETRY:
Felis et Mures 137
Ego nunquam audivi 138
Tres fratres stolidi 138
The Rhine 138
Ich Bin Dein 139
In questa casa 140
MACARONIC PROSE 136
MEDLEYS:
I only know 159
The curfew tolls 160
The moon was shining 161
Life 162
NAMES:
Fantastic 98
Ladies’, their Sound 100
“ their Signification 101
ODE TO SPRING 127
OTHER WORLDS 86
OUR MODERN HUMORISTS 148
PALINDROME 132
PARODIES:
Song of the Recent Rebellion 89
Come out in the garden, Jane 91
Brown has pockets running over 93
When I think of him I love so 94
Never jumps a sheep that’s frightened 95
How the water comes down at Lodore 96
Tell me, my secret soul 97
PRINTER’S SHORT-HAND 119
PRONUNCIATION 142
RHYME 122
RHYTHM 127
SECRET CORRESPONDENCE 130
SEEING IS BELIEVING 97
SOUND AND UNSOUND:
See the fragrant twilight 151
Brightly blue the stars 152
SORROWS OF WERTHER 84
STANZAS from J. F. CRAWFORD’S Poems 128
STILTS 87
ST. ANTHONY’S FISH-SERMON 135
THE CAPTURE 103
THE NIMBLE BANK-NOTE 154
THE QUESTION 144
THE RATIONALISTIC CHICKEN 158
WORD PYRAMID 132
PART I.
PUZZLES AND ODDITIES.

1.

My FIRST the heats of July pack


With rows of milk-pans down the back;
September fills them all with starch,
And, though they neither drill nor march,
Each has a warlike name:
October plucks my honors off,
And down I’m thrown to floor or trough:
Perchance the mill to powder turns
Or smouldering fire to ashes burns
My rough and useless frame.

A weaver’s loom my SECOND fills


In dozens of tall cotton mills,
Before the shuttle, o’er and through,
Has thrown the filling straight and true,
And made each ending fast.
My WHOLE a house in corners set,
Has swung as long as time, and yet
A trap for foolish folk shall swing,
And lessons to the wiser bring,
As long as time shall last.

Answer

2.
What is that which we often return, but never borrow?
Answer
3.
Can you tell me of what parentage Napoleon the First was?
Answer

4.
What was Joan of Arc made of?
Answer

5.
Why ought stars to be the best Astronomers?
Answer

6.
What colors were the winds and the waves in the last violent
storm?
Answer

7.
In what color should a secret be kept?
Answer
8.
How do trees get at their summer dress without opening their
trunks?
Answer

9.
Why am I queerer than you?
Answer

10.

Mr. Premium took my FIRST, and he wrote to Captain Smith,


And said: “Sir, do my SECOND to my THIRD, forthwith.”
Now, Mr. P., you see, though a millionaire he be,
Could not, without my WHOLE, have sent Captain Smith to sea.

Answer

11.

Two pronouns find, but mind they suit,


And then between them “a—t” put:
The combination quickly yields
What may be seen on Scotland’s fields.
Now, for the first word, substitute
Another pronoun that will “suit;”
When this is done, ’twill bring to view
What every day is seen by you.

Answer

12.

Me the contented man desires,


The poor man has, the rich requires,
The miser gives, the spendthrift saves,
And all men carry to their graves.

Answer

13.

A BUSINESS ORDER.
“J. Gray:
Pack with my box five dozen quills.”
What is its peculiarity?
Answer

14.
Those who have me not, do not wish for me; those who have me,
do not wish to lose me; and those who gain me, have me no longer.
Answer
15.
Although Methusaleh was the oldest man that ever lived, yet he
died before his father.
Answer

16.
If Moses was by adoption the son of Pharaoh’s daughter, was he
not, “by the same token,” the daughter of Pharaoh’s son?
Answer

17.
What is the best time to study the book of Nature?
Answer

18.
What is the religion of Nature in the spring?
Answer

19.
There is an article of common domestic consumption, whose
name contains six letters, from which may be formed twenty-two
nouns, without using the plurals. What is it?

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