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Zeitschrift

Humor
natürlircithäet Persön- exibel
Auto lichkeit fl
Schülernähe flex Nervenstark Reflexion
Offenh ibel Empathi Kreativi
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Einfühlungsvermögen fachlich stark
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Wer ts Kompetenz s Lernen
Respekt

Ausgabe 1 – 2017 Lehrerkompetenzen


Inhaltsverzeichnis

Vorwort ............................................................................. 3
Aus dem ZLB.KU ............................................................. 4
Einführung ........................................................................ 5

Aus der Perspektive von Forschung, Lehre und


Schulpraxis: „Lehrerkompetenzen"
Was heißt schon schulpraktische Erfahrung? Nachdenken über Lernen und
Bildung in der schulpraktischen Lehrerausbildung
Prof. Dr. Wolfgang Schönig ....................................................................................... 7
Was brauchen wir als künftige Lehrer? Und wann lernen wir es? -
Lehrerkompetenzen aus Sicht eines Studierenden
Dominik Wittmann .................................................................................................. 15
Lehrerkompetenzen - Aktuelle und künftige Berufsanforderungen aus
schulpraktischer Perspektive
Dr. Frank Puschner .................................................................................................. 20
Welche Kompetenzen brauchen angehende Biologielehrerinnen und – lehrer?
Dr. Helga Rolletschek ............................................................................................... 26
Berufsfeldspezifische explorative Kompetenzen bei Lehrkräften
Prof. Dr. Heiner Böttger, Julia Dose, Dr. Tanja Müller ............................................. 32
Bildung für nachhaltige Entwicklung – über welche Kompetenzen verfügen
Lehrkräfte und Akteur/-innen aus den außerschulischen Einrichtungen?
Verena Reinke, Prof. Dr. Ingrid Hemmer ................................................................. 38
Internationalisierung@home im Lehramtsstudium:
Das „International Project (IPC)“
Prof. Dr. Klaudia Schultheis, Dr. Petra Hiebl ........................................................... 44

Veranstaltungen zum Themenschwerpunkt „Digitali-


sierung"............................................................................... 50
Ausblick/Impressum ........................................................ 51

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    2


Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,


ich freue mich als Präsidentin der fen, dass unsere Studierenden als den direkten Austausch mit unseren
Katholischen Universität Eich- Schnittstelle von Gesellschaft und Studierenden aufrechterhalten, um
stätt-Ingolstadt, das Vorwort für die Wissenschaft ihre erlernten Heran- ihre Bedarfe zu identifizieren, den
erste Ausgabe der Zeitschrift des gehensweisen und ihre Werteorien- wissenschaftlichen Nachwuchs för-
Zentrums für Lehrerbildung und Bil- tierung nach dem Studium an der dern, um Innovationen zu begüns-
dungsforschung an Sie, liebe Lese- KU weitergeben und ihr Wissen im tigen, die Internationalisierung der
rinnen und Leser, zu richten. Damit öffentlichen Raum austauschen und KU ausbauen, um der Globalisierung
erweitern wir unser Informationsan- sich nicht nur in der Institution Schu- gerecht zu werden und vielfältige
gebot im Bereich der Lehreraus- und le bewegen. Dabei unterstützen wir Möglichkeiten für interdisziplinäre
-weiterbildung und ich freue mich unsere Studierenden richtungswei- Projekte anbieten. Damit die Qua-
über die Fortschritte unseres neu send auf ihrem akademischen und lität künftiger Lehrleistungen und
gegründeten Zentrums. persönlichen Weg im Kontext einer Forschungsprojekte im Bereich der
aufeinander abgestimmten Lehrer- Lehreraus- und -weiterbildung ge-
Das Schwerpunktthema dieser aus- und -weiterbildung, um Ant- währleistet wird, müssen wir ge-
Ausgabe handelt von Lehrerkom- worten auf die drängenden Fragen meinsam – Studierende, Dozieren-
petenzen aus der Perspektive von unserer Zeit zu finden. Daher haben de, wissenschaftliche Mitarbeiter,
Forschung, Lehre und Schulpraxis. Studierende unserer Universität un- Referendare und die Hochschullei-
Als Präsidentin der KU ist es mir ein ter anderem die Möglichkeit, vielfa- tung – diese Ziele verfolgen.
Anliegen, neben den erforderlichen che Perspektiven einzunehmen: sie
Kompetenzen für den Lehrerberuf, können sich in Flüchtlingsprojekten Ein großer Dank gilt an alle Auto-
vor allem die Lehrerpersönlichkeit im Rahmen von Service Learning rinnen und Autoren, die mit ihrem
in diesem Zusammenhang heraus- einbringen, sie können interdiszipli- Beitrag die Zeitschrift ermöglicht
zustellen. John Hattie hat in seiner näre Seminare an einer unserer acht haben. Leider gibt es nicht genug
Studie von 2008 dargelegt, dass je- sozial- und geisteswissenschaftlich Seiten, um allen Mitwirkenden und
der Eingriff einer Lehrkraft in den ausgerichteten Fakultäten belegen, Unterstützern für ihr großartiges
Unterricht eine positive Wirkung auf sie können ein Semester im Aus- Engagement zu danken, aber mein
die Schülerinnen und Schüler hat. land studieren oder sie können sich Dank gilt natürlich allen Personen,
Migration, demografischer Wandel, in Entwicklungsländern im Rahmen die bei der Entstehung dieser ersten
Digitalisierung und Innovationen ihres Studiums engagieren, um die Ausgabe beigetragen haben.
stellen immer neue Herausforderun- Zusammenarbeit zwischen Universi-
gen an Studium und Arbeit. Daher ist tät und Gesellschaft mitzugestalten. Ich freue mich, wenn Sie sich laufend
es uns als katholischer Universität ein Die KU sieht all dies als Bausteine auf den Internetseiten des ZLB.KU
Anliegen, unsere Studierenden zu einer Lehrerpersönlichkeit, die „über informieren und für ein Studium an
verantwortlichem und ethisch-fun- den Tellerrand“ blicken kann, inter- der KU werben. Bei der Lektüre der
diertem Denken und Handeln in al- kulturelle Kompetenzen besitzt und ersten Ausgabe der Zeitschrift des
len Lebensbereichen zu befähigen. einen vom christlichen Menschen- ZLB wünsche ich Ihnen viele neue
Lebenslanges Lernen wird damit bild geprägten Blick auf Schülerin- Anregungen und gute Ideen!
zum Leitmotiv, um die Anforderun- nen und Schüler und deren Lernvo-
gen zu meistern. Unser Ziel ist es, der raussetzungen zur Grundlage ihres
Generation von morgen ethisch-so- Lehrerhandels macht.
ziales Wertebewusstsein zu ver-
mitteln, und mit ihnen gemeinsam Damit alle Lehramtsstudierenden
den Dialog der Wissenschaft mit der davon profitieren können, wird un-
Zivilgesellschaft herzustellen. Wir sere entscheidende Aufgabe für die
möchten das Bewusstsein schär- kommenden Jahre sein, dass wir Professor Dr. Gabriele Gien

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    3


Aus dem ZLB.KU

Foto (von links nach rechts) Prof. Dr. Stefan Seitz, Prof. Dr. Heiner Böttger, Dr.
Petra Hiebl, Prof. Dr. Ingrid Hemmer, Prof. Dr. Rainer Wenrich

D
as Zentrum für Lehrerbildung und Vernetzung der einzelnen Das ZLB.KU hat seine Diensträume
und Bildungsforschung der Fachdisziplinen mit den externen am historischen Marktplatz der Uni-
Katholischen Universität Eich- Bildungspartnern der KU versitätsstadt Eichstätt und heißt sei-
stätt-Ingolstadt ist eine zentrale ne (studentischen) Besucher/innen
Einrichtung der Universität mit dem ¡¡ Phasenübergreifende herzlich willkommen. Über seine
Ziel, die wissenschaftsgetragene, Lehrerbildung Homepage, über öffentlichkeitswirk-
kompetenz- und professionsorien- same Projekte (Lehrerfortbildungen,
tierte LehrerInnenbildung an der ¡¡ Schulbezogene Fort- und Tagungen, Kooperationsprojekte
KU zu fördern und zu sichern. In Weiterbildung universitätsintern sowie mit allen
der stetigen qualitativen Weiterent- schulischen Partnern, Unterstützung
wicklung der LehrerInnenbildung ¡¡ Internationalisierung der und Koordination von Forschungs-
auf der Basis neuer wissenschaft- LehrerInnenbildung vorhaben im Kontext Schule etc.)
licher Erkenntnisse, einschließlich und nicht zuletzt auch über seine
der Bildungsforschung in globaler ¡¡ Forschung und Förderung des ZLB.KU-Zeitschrift möchte es sich
Perspektive und im Blick auf die wissenschaftlichen Nachwuchses einem breiteren Kreis an Interes-
Erfordernisse aus gesellschaftli- in den lehrerbildenden sierten präsentieren und in einen
chen Veränderungen, sieht die KU Fachdisziplinen gemeinsamen, kreativen und stets
insgesamt ein wichtiges Feld ihres anregungsoffenen Diskurs über eine
profilspezifischen, wertorientierten ¡¡ Förderung einer professionelle, zukunftswirksame
Bildungsauftrages, der durch das wissenschaftsbasierten Diskussion Lehrer(aus)bildung treten.
christliche Menschenbild geprägt ist über LehrerInnenbildung Seien Sie herzlich dazu eingeladen,
(vgl. Ordnung des ZLB.KU §2). Aus- (vgl. Ordnung des ZLB.KU § 3) diesen Diskurs durch Ihre konstrukti-
gehend von diesem Leitbild setzt ven Beiträge zu bereichern und uns
sich das ZLB.KU in Zusammenarbeit zu kontaktieren.
mit den an der LehrerInnenbildung Geführt wird das ZLB.KU seit Juli Für das Leitungsteam ZLB.KU
beteiligten Fakultäten folgende Zie- 2016 von einem fünfköpfigen Lei-
le und Aufgaben: tungsteam (sh. Bild) sowie einer Ge-
schäftsführerin mit Geschäftsstelle.
¡¡ Verdeutlichung des Stellenwerts Das Team vertritt eine phasen- und
der Lehrerbildung an der KU schulartenübergreifende Lehrerbil-
dung in Theorie, Wissenschaft und
¡¡ Profilbildung in Studium und Lehre Schulpraxis, die die Kompetenzent-
wicklung zukünftiger Lehrkräfte
¡¡ Universitätsinterne Koordination optimal anbahnen und im Sinne
und Vernetzung der einzelnen berufsbezogener und lebenslanger
Fachdisziplinen im Kontext (Fort- und Weiter-)Bildung dauerhaft Herzlichst
Lehrerbildung sowie Koordination unterstützen möchte. Stefan Seitz & Petra Hiebl

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Einführung

Zum Qualitätsprofil einer Lehrkraft im 21sten Jahrhundert


– eine Einführung in die Themenbeiträge
Stefan Seitz, Petra Hiebl

Am 19.Januar 2017 fand in den Räu- Kompetenzen und das Einräumen Transformationsprozess gestaltet
men des ZLB.KU eine Kick-off-Ver- konkreter Anforderungssituationen sein muss, der es Studierenden er-
anstaltung mit dem Titel „Eine Leh- zur aktiven und motivierten Umset- möglicht, ihre in der Schulpraxis ge-
rerbildung für die Zukunft“ statt, zung dieser Standards. machten Erfahrungen vor dem Hin-
deren Fokus darauf gerichtet war, tergrund der (wissenschaftlichen)
mit allen universitätsinternen sowie Welche Kompetenzen brauchen Theorie zu reflektieren. Aus diesen
schulischen Bildungspartnern das Lehrerinnen und Lehrer also, um ak- Überlegungen heraus zieht er sechs
Kompetenzprofil einer Lehrkraft im tuellen und künftigen Berufsanfor- mögliche Schlussfolgerungen prin-
21sten Jahrhundert – für die Schule derungen gerecht zu werden? Wel- zipieller, organisatorischer sowie
von morgen – abzustecken und zu che von diesen Kompetenzen sind methodischer Art für die adäquate
diskutieren. Wie soll eine Lehrkraft in als grundlegende (Persönlichkeits-) Gestaltung schulischer Praktika.
der heutigen und morgigen Zeit be- Konstituenten günstig, welche kön-
schaffen sein, die den Ansprüchen nen im Professionalisierungsprozess Dominik Wittmann reflektiert aus
von Bildungspolitik, Gesellschaft, erworben werden? Und an welcher Studierendensicht besonders rele-
Schülerschaft, Elternschaft, Schullei- Stelle im Prozess einer nachhalti- vante Lehrerkompetenzen, die sich
tung und Kollegium etc. gleicherma- gen Professionalisierung sollte die- einer/m Studierenden im Laufe ih-
ßen gerecht werden kann, ohne sich se Qualifizierung einsetzen? Die- res/seines Studiums erschließen. In
dabei selbst im Sinne von (Selbst) ses vieldiskutierte und beforschte einem zweiten Schritt wird überlegt,
Achtsamkeit zu vernachlässigen? Thema steht im Fokus der ersten ob diese angesprochenen Kompe-
Welchen Qualitätsstandards sowie Ausgabe des ZLB.KU Magazins. Um tenzen tatsächlich erworben werden
persönlichen Ansprüchen muss eine verschiedene Perspektiven und Zu- können oder welche davon vielmehr
Lehrkraft in der heutigen Zeit ge- gänge zum Thema aufzuzeigen, im eigenen Charakter grundgelegt
recht werden, in der sich die schuli- wurden Beiträge aus allen Phasen sind. Schließlich wird diskutiert, wel-
schen Herausforderungen und auch der Lehrerbildung sowie aus dem che der als wichtig erachteten Kom-
Belastungsfaktoren kontinuierlich beruflichen Alltag an Schulen ange- petenzen aktuell an welcher Stelle
erhöhen, in der die beruflichen Rol- fragt. im Studienverlauf und auf welche
lenerwartungen an Lehrkräfte von Weise erworben werden können.
anderen Prämissen diktiert werden In einem übergreifenden Beitrag
als noch vor wenigen Dekaden und befasst sich Wolfgang Schönig mit Aus der Warte eines Schullei-
in der die heutige Unterrichtspla- schulischen Praktika als vielbeach- tungsmitglieds thematisiert Frank
nung und –gestaltung angesichts teter und –diskutierter Gelenkstelle Puschner Anforderungen an eine
neuer Erkenntnisse aus der Lehr- am Übergang von (wissenschafts- zeitgemäße Lehrerausbildung
Lern-Forschung sowie der Hirnfor- basierter) Theorie und schulischer für eine veränderte Schülerschaft
schung völlig anderen Maximen Praxis. Er stellt aufgrund der oftmals aufgrund anders gearteter gesell-
folgt als früher? entstehenden Bruchstellen zwi- schaftlicher Rahmenbedingungen.
schen Theorie und Praxis, die sich in Er postuliert hierbei, dass nicht al-
So geht es im heutigen schulischen Schwierigkeiten des Transfers von lein kognitive Kompetenzen einer
Alltag nicht mehr um eine bloße Ver- Wissen in Können manifestieren, Lehrkraft für deren Professionalität
mittlung von Wissen und Können, die Frage danach, was Lehramtsstu- relevant sind, sondern ebenso pro-
Werten und Haltungen, sondern dierende wissen und können soll- zedurale und metakognitive Kom-
vielmehr um die Entwicklung von ten. Unter Bezug auf einschlägige ponenten. Festgemacht wird dies
fachlichen sowie überfachlichen Lerntheorien zeigt er auf, wie dieser anhand konkreter Beispiele aus der

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    5


schulischen Praxis, indem ein sub- den als auch durch angemessene wird noch einmal postuliert, dass
jektiver Einblick in die Realität heuti- Instrumente der Lernstandserhe- die Lehrerausbildung auf die ge-
ger Schulklassen gegeben wird. bung wie Aktionsforschungsansät- sellschaftlichen, sozialen und kultu-
ze, reflexive Tagebücher oder Unter- rellen Herausforderungen heutiger
Helga Rolletschek erörtert Lehrer- richts- und Ausbildungsportfolios. Schulrealität vorbereiten muss und
kompetenzen aus der Sicht der Und nur Lehrkräfte, die über diese in diesem Kontext – angesichts zu-
Biologiedidaktik, die Schüler/in- Forschungskompetenzen verfügen, nehmender Mobilität, Migrations-
nen dazu befähigen sollen, aktuelle vermögen es letztlich, auch ihre bewegungen, Interkulturalität und
Probleme der „Lehre vom Leben“ Schülerinnen und Schüler im Unter- Heterogenität an unseren Schulen -
bearbeiten und klären zu können. richt selbst zu forschendem und ent- der Aspekt der Internationalisierung
Neben dem Fachwissen (Begriffe, deckendem Lernen anzuhalten. Auf immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Zusammenhänge), der Erkenntnis- einer solchen Forschungs-Meta-Ebe- Da Schulen die Aufgabe zukommt,
gewinnung (u.a. Arbeitsweisen) und ne werden ihre Forschungsobjekte Schülerinnen und Schüler auf ein Le-
der Kommunikation gehört hierzu so zu Subjekten, die lernen, selbst zu ben in einer zunehmend globalisier-
auch die Bewertung von Phänome- explorieren – ein Modelllehren wie ten und mediendominierten Welt
nen der Lebenswelt. Kritisch werden -lernen par excellence. vorzubereiten, wird es für (ange-
diese Kompetenzen kontrastiert mit hende) Lehrkräfte zunehmend be-
der mittlerweile in der Lebenswelt Der Beitrag von Verena Reinke und deutsamer, die internationale bzw.
von Schüler/innen immer mehr be- Ingrid Hemmer beschreibt das Dis- globale Perspektive in Schule und
obachtbaren Naturentfremdung, Di- sertationsprojekt von Verena Reinke, Erziehung einzubringen, aber auch
gitalisierung der Lebenswelt sowie das sich der Ausbildung von Multi- im Umgang mit digitalen Medien
einem häufigen Desinteresse an bio- plikatoren für Bildung für nach- versiert zu sein. Zur Förderung die-
logischen Zusammenhängen. haltige Entwicklung als einem der ser Professionalität stellt der Beitrag
zentralen Aufgabenfelder des Wel- das „International Project (IPC)“ des
Heiner Böttger, Julia Dose und Tan- taktionsprogramms (2005-2019) Lehrstuhls für Grundschulpädagogik
ja Müller widmen sich dem Aspekt, widmet. Eine wichtige Grundlage und Grundschuldidaktik an der Ka-
dass sich Unterricht nur dann wei- zur Konzeption einer geeigneten tholischen Universität Eichstätt-In-
terentwickeln lässt und sich nicht Ausbildung ist das Wissen darum, golstadt vor, das es den Lehramts-
in einer bloßen Meisterlehre ergeht, über welche Kompetenzen heutige studierenden ermöglicht, während
wenn Lehrkräfte als Forscher ihre Multiplikatoren bereits verfügen. ihres Studiums an der Heimatuni-
Lehr- und Lernsituationen hinter- Diese im Vergleich zwischen Geogra- versität internationale Erfahrungen
fragen, Hypothesen bilden sowie phielehrkräften und Multiplikatoren zu machen (Internationalisierung@
Daten erheben und interpretieren. in außerschulischen Einrichtungen home). Neben einer Erläuterung der
Im Artikel sollen u.a. alle auf das auf der Grundlage des Modells der Ziele, des didaktischen Konzepts
Berufsfeld LehrerIn bezogenen ex- professionellen Handlungskompe- und der didaktischen Varianten des
plorativen Kompetenzen erörtert tenz zu ermitteln, ist Ziel dieses For- IPC Projekts werden anhand der
werden. Erlernt werden diese Kom- schungsprojektes. jüngst entwickelten Variante IPC
petenzen als Forschende sowohl Basic deren konkreter Verlauf aufge-
in Form angemessener, universitär Im abschließenden Beitrag von zeigt sowie aktuelle Evaluationser-
erworbener Forschungsmetho- Klaudia Schultheis und Petra Hiebl gebnisse vorgestellt.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    6


Wolfgang Schönig

Was heißt schon schulpraktische Erfahrung?1


Nachdenken über Lernen und Bildung in der schulpraktischen Lehrerausbildung

Schulpraktika werden als wichtige dium gelernt haben. Ein Dreh- und Phase der Lehrerausbildung, so be-
Gelenkstelle für die Verbindung von Angelpunkt dieses systematisch an- gegnet man sogar der Forderung,
Theorie und Praxis angesehen und gelegten Prozesses sind die Schul- die angehenden Lehrkräfte mögen
sollen den Studierenden Erfahrun- praktika, die in allen Bundesländern auf der Grundlage der Auseinan-
gen ermöglichen, die ihnen beim in den Studien- und Prüfungsord- dersetzung mit Theorie und den mit
Aufbau wesentlicher Kompetenzen nungen der Lehramtsstudiengänge eigenen Erfahrungen einen persön-
für die gelingende zukünftige Schul- in vergleichbarer Gestalt verankert lichen Handlungsstil entwickeln (so
praxis helfen. In der Ausbildungs- sind. Es herrscht Einigkeit darüber, etwa Bovet/Frommer 1999).
praxis zeigen sich allerdings nicht welche Ziele die Praktika ansteuern Näheren Aufschluss über die Kom-
zu übersehende Bruchlinien. Der sollen (Nölle 2002, Schnebel 2011, petenzen und Ziele der Lehrerbil-
Beitrag fragt nach, was Studierende Terhart 2014). Die Studierenden sol- dung erhalten wir, wenn wir auf die
des Lehramts wissen und können len erstens Einblicke gewinnen in „Standards für die Lehrerbildung:
sollten (1). Einige Ergebnisse der die typischen Organisationsabläufe, Bildungswissenschaften“ schau-
empirischen Forschung zeigen die pädagogischen Prozesse, Aufgaben en, die von der KMK im Jahr 2004
Schwierigkeiten bei der Verwand- und Erfordernisse der Schule, kurz: verabschiedet wurden. Sie sind
lung von Wissen in Können auf (2). sie soll mit ihnen vertraut werden. vergleichbar einem Kompetenz-
Auf der lerntheoretischen Ebene Zweitens sollen sie lernen, Prozesse maßstab bzw. einem „einheitlichen
wird deshalb gezeigt, von welcher selber so zu planen, dass Unterricht Erwartungshorizont“ (Terhart 2014,
Art der Prozess sein muss, der es – das Herz der Lehr-Lernaktivitäten 301) für die Lehrerbildung. Sie wur-
den Studierenden ermöglicht, ihre – erfolgreich ist. Und sie sollen drit- den im vorigen Jahr überarbeitet,
Erfahrungen zu reflektieren. Dieser tens überprüfen, ob sie die richtige weil dies durch die Berücksichtigung
Transformationsprozess wird ge- Berufswahlentscheidung getroffen des Gegenstandsbereichs Inklusion
kennzeichnet (3). Schließlich werden haben. Gerade an diesem letztge- geboten erschien.2 Sie beziehen
aus den Überlegungen sechs Konse- nannten Ziel leuchtet unmittelbar sich unabhängig von den gewählten
quenzen gezogen (4). ein, von welch fundamentaler Be- Unterrichtsfächern auf den gemein-
deutung die Praktika sind, denn sie samen Kern, das erziehungswissen-
1. Auf der Ebene der Ziele: vermitteln die leibhaftige Erfahrung schaftliche bzw. bildungswissen-
des Könnens oder Scheiterns in der schaftliche Teilstudium. Seit dem
Was Studierende des von den Studierenden als authen- Beschluss der KMK vom 16.10.2008 i.
Lehramts können sollten tisch erlebten Situation, vor bzw. in d. F. vom 11.12.2014 „Ländergemein-
der Klasse zu stehen. Die Kohärenz same inhaltliche Anforderungen für
des Ensembles von Wissen, Können die Fachwissenschaften und Fachdi-
Zu den wesentlichen Aufgaben des und Einstellungen kann also nicht daktiken in der Lehrerbildung“ wird
Lehramtsstudiums gehört, dass es vorausgesetzt werden, sondern dieser Bereich ergänzt durch fach-
Kompetenzen anbahnt, mit denen kann nur das Ergebnis eines länge- spezifische Kompetenzprofile.3
die Studierenden ihr zukünftiges ren konstruktiven Prozesses sein, in Interessant ist der Blick auf den eher
berufliches Handlungsfeld Schule dem die anfangs verstreuten Bruch- allgemeinen Bereich, den der „Bil-
erschließen können. Der Kompe- stücke des Lernens synthetisierend dungswissenschaften“, denn hier
tenzbegriff zielt dabei auf eine Kom- und kumulativ miteinander in Ver- werden vier Kompetenzbereiche
bination aus Wissen, Können und bindung gebracht werden (Bromme festgelegt und durch Kompetenzen
Einstellungen sowie auf den Transfer 1997). Lenkt man den Blick über die konkretisiert: Unterrichten, Erziehen,
dessen in die Praxis, was sie im Stu- Hochschulen hinaus auf die Zweite Beurteilen und Innovieren. Es ist un-

1
Der Titel ist angelehnt an einen Vortrag, den Peter Fauser anlässlich der Tagung „Praktisches Lernen und Schulreform“ der Robert Bosch
Stiftung am 18. November 1999 in Jena gehalten hat. Der gedruckte Text ist erschienen unter dem Titel: Was heißt schon Erfahrung? Be-
merkungen zu einem pädagogischen Grenzwort. In: Neue Sammlung 40(2000)4, S. 583–599
2
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards_Lehrerbildung_Bildungswissenschaften.pdf
(aufgerufen am 10.03.2015)
3
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Fachprofile-Lehrerbildung.pdf (aufgerufen am
10.03.2015)

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    7


schwer zu erkennen, dass das vom ein Ineinandergreifen von Theorie im Sinne des bloßen Sammelns von
Deutschen Bildungsrat im Jahr 1970 und Praxis gehen sollte, das beide Erfahrungen und der theorielosen
in seinem „Strukturplan für das Bil- unverändert lässt – ineinandergrei- Handwerkelei (Hascher 2005) ent-
dungswesen“ formulierte Aufgaben- fende Zahnräder nutzen sich ja im stehen, sondern das Erfahrene ge-
quintett von Lehren, Erziehen, Beur- Laufe der Zeit ab – sondern um ei- winnbringend reflektiert werden
teilen, Beraten und Innovieren Pate nen Transformationsprozess, der auf kann. Wie also kann Wissen so in
gestanden hat (Der Deutsche Bil- Seiten der Studierenden etwas Neu- Können übersetzt werden, dass sich
dungsrat 1970). Etwas kurios ist, dass es hervorbringt, eine berufsethisch, das Handlungsrepertoire des Prakti-
die KMK die „Diagnostik, Beurteilung fachlich und pädagogisch gereifte kanten sinnvoll erweitert? Bevor ich
und Beratung“ als einen „inhaltlichen Persönlichkeit. Wir könnten auch dieser Frage lerntheoretisch nachge-
Schwerpunkt der Ausbildung“ an- von Bildung sprechen. Zwar wer- he, werfe ich einen kurzen Blick auf
spricht, aber als eigenständigen Be- den uns Konzepte wie der „Reflecti- die realen Verhältnisse in unseren
reich aus dem Ensemble der großen ve Practitioner“ (Schön 1987) oder Schulen.
Aufgaben der Lehrerbildung tilgt. „Lehrer als Forscher“ (Altrichter,
Auch bei den Angaben zur Förde- Posch 1990) angeboten, wie sie zum 2. Empirie: Einblicke in die
rung von Kompetenzen sind immer Erfolg geführt werden können, ist
wieder „beratungsnahe“ Aktivitäten jedoch bis heute offen (kritisch dazu schulpraktische Ausbildung
zu finden, so etwa „die Kooperation Schönig 1999). So ist auch nach-
bei der Planung sowie gegenseiti- vollziehbar, wenn Ewald Terhart am Mit der Etablierung der Standards
gen Hospitation und gemeinsamen Beispiel von Nordrhein-Westfalen ist also das Ende der Beliebigkeit in
Reflexion“ (ebd.), aber der Schlüs- feststellt, dass die Standards für die der Lehrerbildung keineswegs be-
selbegriff der Beratung taucht nicht Lehrerbildung zwar nicht zu der be- siegelt, denn nach wie vor dominiert
mehr auf. Angesichts der hohen fürchteten „technokratischen Fun- in der Schulpraxis eine pragmati-
Problembelastungen unserer Schu- damentalrevision der Verhältnisse sche Einstellung von Lehrpersonen,
len im sozial-emotionalen sowie im im Bildungssystem“ (Terhart 2014, der gemäß das gut ist, was im All-
Lern- und Verhaltensbereich ist die- 8) geführt haben, sondern vielmehr tag funktioniert. Man greift auf jene
ser Befund irritierend – gerade Bera- nur langsam in den Schulalltag „ein- Wissensbestandteile und berufliche
tungskompetenz tut not. (Ich kom- sickern“ (Helmut Becker). Offenbar Routinen zurück, die eine direkte
me später darauf zurück) Wichtiger ist die Steuerungskraft von Stan- Umsetzbarkeit im Unterricht ver-
an dieser Stelle erscheint mir der dards im Allgemeinen recht gering. sprechen. Das vorhandene Wissen
Hinweis auf das Aufbauprinzip der Sie werden an der für die Einzelschu- wird steinbruchartig verwendet und
Liste von Kompetenzen. Während in le typischen Rationalität gebrochen fließt in die subjektiven Theorien von
der linken Spalte “Standards für die und verändern entsprechend nur „gutem Unterricht“, Klassenmanage-
theoretische Ausbildung“ stehen, mühsam das Theorie-Praxis-Verhält- ment, Schülerpersönlichkeit usw.
sind rechts davon „Standards für die nis. Terhart fasst zusammen: ein. Bereits eine frühe empirische
praktischen Ausbildungsabschnitte“ Studie von Ewald Terhart u. a. (1994)
genannt. Dies wirkt klar und konnte zeigen, dass nur 7 % der
eindeutig, könnte aber die befragten Lehrer und Lehre-
Dichotomie zwischen The- „Institutionen und Personen rezipieren sol- rinnen sich bei pädagogischen
orie und Praxis nicht deutli- che Vorgaben sehr idiosynkratisch, adap- Entscheidung auf wissenschaft-
cher vor Augen stellen. Ver- tieren Vorgaben an gegebene Verhältnisse, liche pädagogische Theorien
mutlich wollte die KMK uns vollziehen Scheinanpassungen zwecks Selbst- beziehen, während über 80 %
nicht gerade auf ein Funda- der Befragten angeben, sich auf
mentalproblem aufmerk-
schutz oder demonstrieren auf andere Weise ihre Berufserfahrungen bezie-
sam machen, das sich seit ihre Innovationsunterlaufungskompetenz. hen. Wie können dann Studie-
der Erfindung der Didaktik Reformen ändern Schulen, aber Schulen än- rende zur wissenschaftlichen
wie ein roter Faden durch dern auch Reformen (…).“ (ebd.) Praxisreflexion angeregt wer-
den wissenschaftlichen Dis- den? Auf der Ebene der Prakti-
kurs zieht: die Suche nach kumsbetreuung spiegelt sich
der Verbindung von Theorie Terhart spricht grundsätzlich die dieser Befund deutlich wider.
und Praxis. Allenthalben ist von der Gelingensbedingungen der Schul- Die Mentoren zielen kaum auf eine
Verklammerung, Verzahnung oder entwicklung an. Darüber hinaus wissenschaftlich gestützte Analyse
Vernetzung von Theorie und Praxis stellt sich auf der personalen Be- des beobachteten Unterrichts, son-
die Rede – so auch bei der KMK– trachtungsebene die Frage, wie die dern geben in erster Linie Tipps zur
um das Verhältnis beider zu umrei- schulpraktischen Erfahrungen von Problembeseitigung und konkrete
ßen. Dabei täuschen die Begriffe den Mentoren bzw. Praktikumslehr- Handlungsanweisungen zur Verbes-
über den gewünschten Sachverhalt kräften so organisiert werden kön- serung des Unterrichts. Die Kom-
hinweg, dass es eben nicht nur um nen, dass keine „Erfahrungsfallen“ munikation wird entsprechend vom

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    8


Mentor mit einem durchschnitt- Beurteilungen auf „Unterricht“ und nur schwer, zumindest nicht unmit-
lichen Sprechanteil von gut 80 % geben ihm damit die höchste Priori- telbar voneinander lernen können,
dominiert, sie ist also asymmetrisch tät. Auf die Bereiche „Erziehen“, „Be- weil sie einer je eigenen Logik fol-
konzipiert. In einer empirischen Stu- urteilen“ und „Innovieren“ entfallen gen. Wissenschaft und Forschung
die konnte Stefanie Schnebel ein ty- 26 %, 24 % und 27 %. geht es primär darum, Erkenntnisse
pisches Gesprächsmuster ausfindig Es ist unbestritten, dass der Unter- zu gewinnen, die allgemeine, „ge-
machen, das der Intuition der Men- richt das „Hauptgeschäft“ der Schule setzmäßige“, über den konkreten
toren folgt: Der Stellungnahme des ist. Deshalb ist nachvollziehbar, dass Fall hinausgehende Aussagen zu-
Praktikanten folgt seitens des Men- dem Unterricht sowohl in der Ersten lassen. Sie zielt auf ein Wahrheits-
tors der Dreischritt von Kritik, Ana- als auch in der Zweiten Phase die kriterium durch die immer weitere
lyse und Verbesserungsvorschlägen zentrale Aufmerksamkeit geschenkt Verbesserung der Theorie und die
(man beachte die Reihenfolge!). Da- wird. Vor dem empirischen Hinter- fortwährende Generierung von Er-
bei folgen die Mentoren primär den grund drängt sich aber der Eindruck kenntnis. Die Praxis hingegen er-
Erfahrungen, die sie in der eigenen auf, dass der Unterricht in seiner Viel- zeugt ihr Wissen induktiv, aus sich
Lehrerausbildung gemacht haben gestaltigkeit und seiner Einbettung selbst heraus und für sich selbst.
(Schnebel 2011). Diese Experten-No- in das komplexe Bildungsgeschehen Wissensgenerierung ist an einem
vizen-Konstellation führt die Prakti- einer Schule nicht gewürdigt wird. „Brauchbarkeitskriterium“ orientiert.
kanten in eine starke psychologische Nimmt man die Betreuung der Prak- Brauchbar ist Wissen dann, wenn es
Abhängigkeit und behindert die tika, dann scheint der Fokus traditi- der Praxis dienlich ist, d. h. zum „gu-
Analyse, Reflexion und Eigenstän- onell auf der Planung, Vorbereitung, ten“ Funktionieren ihrer selbst ver-
digkeit sowie die gemeinsame kre- Analyse und Besprechung einzelner hilft. Beide Ansätze basieren also auf
ative Planung weiteren Unterrichts. Stunden (!) zu liegen. Es fragt sich, unterschiedlichen Handlungslogi-
Es ist interessant, einen Blick auf die inwieweit das Experimentieren mit ken, mit denen sich immer aufs Neue
Gesprächsinhalte der Besprechun- sog. neuen Lehr-Lernformen und Argumente gegen die jeweils ande-
gen zu werfen. In der erwähnten mit anderen Lernzeitpartituren (vgl. re Seite gewinnen lassen: Praxisferne
fallanalytischen Studie Schnebels Schönig 2014) überhaupt ermög- und Leben im Elfenbeinturm gegen
(2011) ist zu sehen, dass den The- licht wird. Von welcher Gestalt ist die eine, Theoriefeindlichkeit und
menbereichen „Methodik“ und „Un- also die Praxis, die den Studierenden Stümperhaftigkeit gegen die andere
terrichtsmaterialien/Medien“ die begegnet? An welchen impliziten Seite.
größte Bedeutung zukommt. Ein und expliziten Normen einer „guten Die Integrationsthese hingegen be-
Drittel aller Äußerungen bezieht sich Praxis“ werden ihre Bemühungen tont die Notwendigkeit und Mög-
auf die methodische Gestaltung des gemessen? Wie und in welcher Form lichkeit, für beide, Wissenschaft und
Unterrichts, ein Viertel auf die Medi- kommen Theorie und Praxis, Wissen Praxis, eine versöhnliche und kons-
en und Materialien. Dabei stehen di- und Können zusammen? truktive Beziehung zu stiften. Beide
daktische Theorien im Hintergrund. könnten voneinander lernen. Auf
Ca. 8 % der Äußerungen entfallen die Schulpraxis bezogen könnte die
auf das Schülerverhalten und nur 3. Transformationen oder: Pädagogik als wissenschaftliche Dis-
ca. 3 % auf die Lehrerpersönlich- Lernen im Praktikum ziplin durch Forschung legitimier-
keit. Ebenso werden Aspekte wie te Hilfen bereitstellen, mit denen
Kommunikation, Klassenführung zwischen Theorie und der Aufbau professioneller Hand-
oder Ziele selten angesprochen. Es Praxis lungskompetenz der Studierenden
ist bemerkenswert, dass von der erleichtert wird. Sie selbst könnte
KMK nahegelegte Schwerpunkte Die skizzierten Bruchlinien im Prakti- durch eine realitätsgerechte Wahr-
wie z. B. „Bildung und Erziehung“, kum lassen etwas von dem Problem nehmung der Praxis praxistaugliche
„Lernen, Entwicklung und Sozialisa- erahnen, wissenschaftliches Wis- Theorien entwerfen.
tion“, „Schulentwicklung“ oder „Bil- sen für das pädagogische Handeln
dungsforschung“ und entsprechen- nutzbar zu machen. Solange es ein Vermutlich müsste man die Praktika
de Standards zumindest in dieser Nachdenken über das Theorie-Pra- abschaffen, würde man der Diffe-
Studie nicht auftauchen. Verlängert xis-Verhältnis gibt – immerhin seit renzthese folgen. Nimmt man je-
man allerdings diese Forschungsli- der Antike – gibt es kontroverse Po- doch die Integrationsthese an, muss
nie in die Zweite Phase hinein und sitionen. Wir können grob zwischen ein Handlungskontinuum zwischen
fragt mit einer Studie von Strietholt einer Differenzthese und einer Inte- Theorie und Praxis definiert werden,
und Terhart (2009) nach den Beurtei- grationsthese unterscheiden (bei- das einerseits die Diskrepanz zwi-
lungspräferenzen der Lehrerbildner, spielhaft Nölle 2002, Cramer 2014). schen beiden nicht auflöst und bei-
dann zeigen sich deutliche Korres- Die Differenzthese besagt grob ge- de in ihrer eigenen Handlungslogik
pondenzen mit Schnebel. Von den sprochen, dass Wissenschaft und pä- belässt, das andererseits die größt-
vier von der KMK genannten Kom- dagogische Praxis unterschiedliche mögliche Bereicherung der jeweils
petenzbereichen zielten 80 % der Wissensformen hervorbringen, die anderen Seite verspricht. Zwischen

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    9


beiden, so meine zentrale These, ist tungen und Rahmungen zu einem das so, wie es ist? (theoretisches
das Lernen der Beteiligten angesie- pädagogischen Gegenstand wird. Wissen)
delt. Es muss also darum gehen, das Pädagogische Lerntheorien, die uns ¡¡ Wie sollte man etwas machen
je Eigene für die andere Seite in di- im Handlungsfeld Schule weiterhel- und warum sollte man es so tun?
alektischer Weise fruchtbar zu ma- fen könnten, gibt es nur ansatzwei- (technisches Wissen)
chen. Weder die Verabsolutierung se (Künzli 2004, Meyer-Drawe 2005, ¡¡ Warum ist es geboten oder ver-
noch die Nivellierung von Theorie Koch 1988). Lutz Koch (1988) hat boten, etwas zu tun oder es zu
oder Praxis kann zum Erfolg führen, den Versuch unternommen, über unterlassen? (moralisch-prakti-
wie Colin Cramer anspricht: psychologische Engführungen des sches Wissen) (in Anlehnung an
Lernverständnisses hinaus eine „Lo- Koch 1988, 321ff.)
Ohne Praxis würde wissenschaft- gik des Lernens“ für die Pädagogik
liche Theorie verabsolutiert und zu erarbeiten. Er unterscheidet mit Zweierlei ist unschwer erkennbar:
Rückgriff auf verschiedene philoso- Erstens arbeitet das Lernverständ-
als Ideal der Praxis missverstan- phische Traditionen zwischen Ursa- nis mit einem aktiven Subjekt, das
den. Ohne die Beschäftigung mit chen und Beweggründen, die eine sich seiner Vernunft bedient. Zwei-
wissenschaftlicher Theorie hin- Person zum Lernen veranlassen. tens geht es um den Aufbau von
gegen würde das Handeln auf der Wird ihr Lernen durch eine Ursache Wissensstrukturen, der ohne die
Grundlage konzeptuellen Wissens angestoßen, so ist es eine Folge. Auseinandersetzung mit Theorie
Behavioristisch gesprochen ist ihr nicht auskommt. Wir sind also an
scheitern, weil prozedurales Wis- Verhalten eine Reaktion auf einen der Schnittstelle von Wissenserwerb
sen überbetont würde und so die Stimulus. Es wird von außen verur- (Theorie) und Können (Praxis) an-
Gefahr willkürlichen Handelns sacht, ohne dass dem Lernenden die gekommen. Aber der Sachverhalt
ohne Rekurs auf Wissen bestün- Gründe für sein Verhalten einsichtig ist komplexer. Er lässt sich nicht auf
de.“ (Cramer 2014, 352) sind. Lernen läuft gewissermaßen kognitive Prozesse allein reduzieren.
mechanisch ab. In diesem Fall ist die Es ist zur weiteren Klärung hilfreich,
Verhaltensänderung nicht „im Inne- den von Künzli angesprochenen Er-
So gesehen geht es um eine „theo- ren“ der Person zu finden, sondern fahrungsbegriff ins Spiel zu bringen.
riegeleitete Reflexion“. Die Heraus- von außen erzeugt worden. In Prak- Wenn wir von einem erfahrenen
forderung und Chance der Schul- tika findet ein solches Lernen immer Menschen sprechen, dann den-
praktika besteht wohl darin, dass statt, wenn Tipps, Anleitungen oder ken wir nicht an einen Spezialisten,
sie ein Oszillieren zwischen Theorie Belehrungen des Mentors nach dem sondern an eine Persönlichkeit, die
und Praxis und dem Studierenden Muster im Raume stehen: Erfolg- durch viele Bewährungssituationen
und damit die Erfahrung der Diffe- versprechend ist, wenn du in dieser hindurch geschritten und zu einer
renz und Leistungsfähigkeit beider Situation XY tust – das hat mir auch gewissen Reife gelangt ist. Er hat
erlauben. Doch lässt sich das auch immer geholfen. Anders ist ein Ler- aus Erfahrung gelernt. Etymologisch
lerntheoretisch fundieren? nen, das durch Beweggründe her- betrachtet macht uns der Begriff
Rudolf Künzli betrachtet Lernen vorgerufen wird. Man könnte auch Erfahrung auf die aktive Seite der
als „relativ stabile Verhaltens- und von einem kognitiven Lernen oder Erfahrung aufmerksam. „Erfahrung“
Wahrnehmungsänderungen, wie einem Lernen aus Einsicht sprechen. spricht die Aktivität des „Fahrens“
sie auf Grund von Erfahrungen und Es handelt sich darum, dass mögli- oder des „reisenden Erkundens“ an.
deren Verarbeitung zustande kom- che oder tatsächliche Vorgänge beim Peter Fauser spricht deshalb vom
men“. (Künzli 2009, 620). In dieser Lernenden einen Reflexionsprozess „Bewegungsbegriff“ der Erfahrung
Definition erscheint Lernen als ein in Gang setzen, der zur Einsicht und (Fauser 2000, 588). Der Reisende ist
psychologischer oder auch physio- zu einem eigenen Urteil führt. Das unterwegs und hält sich offen für die
logischer Sachverhalt, als eine Art kognitive Durchdringen einer Sache Dinge, Prozesse und Menschen, die
naturgegebenes Faktum oder eine oder eines Vorgangs soll durch Wie- ihm begegnen werden. „Erfahrun-
Grundausstattung des Menschen. derholung zu einer Erhöhung der gen machen“ ist auch ein Schritt in
Wie die „Verarbeitung“ von Erfah- Urteilskraft führen – das wäre ein we- die Ungewissheit und Unsicherheit,
rung geschieht, bleibt offen und sentliches Ziel des Praktikums. Dem denn wir wissen nicht, was auf uns
eine Verhaltensorientierung, wie sie Denken stellen sich Fragen auf min- zu kommt. Hier zeigt sich die zweite,
vom Behaviorismus favorisiert wor- destens drei Ebenen, auf einer the- die passive Seite des Erfahrungsbe-
den ist, ist in der Definition nicht oretischen, einer technischen und griffs. Er spricht an, dass uns etwas
zu übersehen. Auffallend ist, dass einer moralisch-praktischen Ebene. widerfährt! Es entsteht etwas Uner-
der für den pädagogischen Kontext Die Fragen lauten: wartetes, Überraschendes oder Un-
so wichtige Begriff der Einstellun- geahntes, mit dem wir nicht rechnen
gen hier nicht angesprochen wird. ¡¡ Wie ist etwas (eine Situation, ein konnten – eine Art Überfall des Le-
Künzli konstatiert, dass Lernen erst Konflikt, ein Prozess, ein Sachver- bens. Man kann sich der Erfahrung
durch den Kontext kultureller Deu- halt) beschaffen und warum ist stellen, d. h. aus ihr lernen, oder vor

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    10


ihr zu flüchten versuchen. Man kann ein Impuls zur Abstraktion, zur der psychoanalytischen Ba-
sie annehmen, aber ihr letztlich nicht Ablösung der Perspektive vom sis des Szenischen Verstehens
entkommen. selbstverständlich Gegebenen, nach Alfred Lorenzer ein Prak-
Mir scheint, dass an dieser Stelle der dem reinen Erleben, man könn- tikumskonzept vorgelegt, das
springende Punkt für das Schulprak- te auch sagen, ein Anspruch auf die Studierenden dazu anhält,
tikum und für das Lernen generell er- Objektivität. Erfahrung verlangt stärker mit sich selbst in Kontakt
reicht ist. Die Erfahrung konfrontiert eine solche Objektivität und ver- zu kommen und die eigenen
uns mit der Widerständigkeit der weist damit auf Theorie.“ „naiven“ Auffassungen von Un-
Ding- und Menschenwelt und ver- (Fauser 2000, 589) terricht zu entdecken. Er nennt
unsichert uns, ja flößt uns vielleicht es Psychoanalytische Selbstrefle-
Angst ein. Aber genau hier liegt der Wie können wir diesem „Verweis“ in xion (POS). Würker lässt die Prak-
Anfangspunkt eines Lernens, das zur den Schulpraktika folgen und vom tikanten nach einer bestimmten
Erkenntnis führt, das uns reicher und Wissen zum Können gelangen? Stu- Anleitung beobachtete Un-
reifer macht (Meyer-Drawe 2005). dierende müssen üben! Was so ba- terrichtsszenen oder -stunden
Die Erfahrungssituationen, die wir nal klingt, ist anspruchsvoll. Es geht protokollarisch aufschreiben.
einem Praktikanten bereitstellen, darum, dass ihnen in Praktika immer Die Texte werden mithilfe einer
konfrontieren ihn zunächst mit wieder neue Fälle oder Beispiele vor tiefenhermeneutischen Metho-
seinem eigenen Nichtwissen und Augen gestellt werden, an denen sie de analysiert. Auf diese Weise
Nichtkönnen. Das ist eine Selbstbe- Theoriearbeit leisten können (Nölle lassen sich Ungereimtheiten,
gegnung, die sehr demütigend und 2002, Koch 1988, Cramer 2014). Das Widersprüche, Spannungen,
schmerzhaft sein kann: Warum habe betrifft erst recht die eigenen Unter- unbewusste Vorstellungen von
ich Angst, in der Klasse zu stehen? richtsversuche. Eine fallanalytische (gutem) Unterricht und Problem-
Was hindert mich, mein Stundenziel Vorgehensweise zielt auf die Dif- konfigurationen in der Wahrneh-
zu erreichen? Was ist immer wieder ferenz zwischen dem Eigenen und mung der Praktikanten ausfindig
mein Problem mit ein und demsel- der wissenschaftlichen Theorie: Was machen. Die Besprechung der
ben Schüler usw.? Das Lernen erhält ist das Besondere, Eigene, Persön- POS-Texte regt die betroffene
plötzlich eine existenzielle Tiefe, weil liche; was weist aber auch über das Person zu Selbstreflexionsprozes-
es mich selbst als Person betrifft. Besondere, Einzigartige hinaus und sen an, mit denen sie eigene psy-
Lernen lässt sich hier vielleicht mit zeigt etwas Allgemeines? Die eige- chische Abwehrneigungen und
dem psychoanalytischen Terminus nen Erfahrungen einschließlich ih- Verhaltensdispositionen erkennt,
des Durcharbeitens umreißen. Ich rer emotionalen Anteile müssen im die emotionale Betroffenheit an-
lerne, indem ich mich dieser kon- Spiegel wissenschaftlicher Theorie nehmen lernt, sich selbst besser
kreten Situation aussetze und sie strukturiert und neu geordnet wer- in Interaktionszusammenhängen
kognitiv und emotional durchdrin- den, damit die subjektiven Theorien versteht und ihre biografischen
ge. Wie lässt sich die Differenz zwi- zugunsten des Verstehens nach und Bezüge zum Unterricht aufdeckt.
schen meinen Absichten und dem nach verblassen können. Die Theo- Die bereits angesprochene fall-
tatsächlich Erreichten erklären? Je rie wird so ein Mittel der Aufklärung verstehende Reflexivität könnte
öfter ich mir als Lernendem dieses bzw. Selbstaufklärung und die Stu- auf diesem Wege erhöht werden.
Lernen an der Erfahrung zumute, dierenden können die Aussage bes-
desto weiter öffnet sich mein Hori- ser verstehen: Nichts ist praktischer ¡¡ Die Standards für die Lehrerbil-
zont, desto mehr komme ich aus un- als eine gute Theorie! dung umreißen ein Modell für
reflektierter Provinzialität heraus. Es die Lehrerrolle, das auch perso-
scheint ein Grundzug allen Lernens nale Kompetenzen der (ange-
zu sein, dem wir auch im Lernalltag 4. Praktische Konsequenzen henden) Lehrerinnen und Leh-
der Schule begegnen: Lernen hat rer anspricht. Der „Umgang mit
etwas mit der Widerborstigkeit der Welche Schlüsse sind aus den Über- berufsbezogenen Konflikt- und
Sache zu tun und ist anstrengend. legungen zu ziehen? Ich spreche Entscheidungssituationen“ oder
Wir sollten Schüler wie Praktikanten sechs Punkte an, die zum Teil prin- die „Kommunikation, Interak-
diese Anstrengung nicht ersparen, zipieller Natur sind, teils die Orga- tion und Konfliktbewältigung
denn nur sie führt vom bloßen Wis- nisationsform der Praktika anspre- als grundlegende Elemente der
sen zum Verstehen (Gruschka 2011). chen oder auf die methodische Seite Lehr- und Erziehungstätigkeit“,
Mit den Worten von Peter Fauser ge- des Praktikums Bezug nehmen. Ich so zwei Schwerpunkte, sind keine
sprochen: knüpfe an die Überlegungen zum technischen Aspekte der Berufs-
Lernen und zum erfahrungsorien- rolle, sondern fordern die ganze
„Neben der Bindung an die Per- tierten Praktikum an und beginne Person. Angesichts der schwin-
son wird der Erfahrung [ …] ein mit dem Methodischen. denden Erziehungskraft vieler
Zug zur Distanz gegenüber dem Elternhäuser werden die Bezie-
Unmittelbaren zugesprochen, ¡¡ Achim Würker (2007) hat auf hungsdimension und die Lehr-

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    11


kraft als Bezugsperson immer üblicherweise ausgeklammert Professionalität der Mentoren.
stärker über die Entwicklung und werden. Das bedeutet: Aufga- Die empirischen Studien zeigen
den Lernerfolg der Heranwach- ben der Betreuung im Rahmen einhellig, dass nicht die Organi-
senden entscheiden. Auch wenn von Schullandheimaufenthalten sationsstrukturen und die Anzahl
das Konstrukt der Lehrerpersön- und Exkursionen, Entwickeln von der Praktika das Entscheiden-
lichkeit schwer zu operationali- Förderplänen, Teilnahme an Kon- de sind. (vgl. Nölle 2002, Dieck/
sieren ist, sollten wir vor diesem ferenzen und Elterngesprächen, Dörr 2009). Der pauschalen For-
Hintergrund der veränderten Beteiligung an der Notengebung derung nach einer bloßen Ver-
Lebenslagen junger Menschen usw. Dadurch sollte für die Stu- längerung von Praktikumspha-
bereits in der Lehrerausbildung dierenden und die Schulen eine sen ist deshalb mit Vorsicht zu
viel Wert auf die Persönlichkei Win-win-Situation entstehen. begegnen. Zentral ist vielmehr
tsbildung der zukünftigen Lehrer Zwölf Studierende hatten diese die Intensität der Betreuung der
legen (Hiebl/Schmidtlein-Mau- Möglichkeit wahrgenommen. Praktikanten. Colin Cramer stellt
derer/Seitz 2014, S. 16 ff.). Das Praktikum wurde von zwei fest, dass „zu frühe und schlecht
Studierenden im Rahmen ihrer begleitete Praktika zu Deprofes-
Man kann auch von der Ar- Zulassungsarbeiten zum Ersten sionalisierung führen [können],
beit am Berufsethos sprechen. Staatsexamen evaluiert (Hefter weil sie Studierenden suggeriert,
2007, Huber 2007). Die Ergebnis- sie könnten bereits erfolgreich
¡¡ An den empirischen Studien ist se waren ermutigend: Eine hohe unterrichten (…)“ (Cramer 2014,
ablesbar, dass insbesondere die Betreuungsintensität durch die 349). Die Steigerung der Quali-
praktische Anleitungs- und Be- Mentoren und ein als hoch emp- tät von Schulpraktika verlangt
treuungstätigkeit der Mentoren fundener Lerngewinn der Studie- eine hoch entwickelte Bera-
zu sehr auf die handwerkliche renden, die Förderung der Kom- tungskompetenz der Mentoren,
Seite des Unterrichtens fokussiert munikation aller am Praktikum die wir zurzeit noch vielerorts
ist und nicht nur die fachdidakti- Beteiligten, eine bessere Berufs- vermissen (Schnebel 2011).
schen, sondern auch die schulpä- eignungsfeststellung, ein höhe- Deshalb sollten wir dem Thema
dagogischen Schulpraktika die rer Anteil an eigenem Unterricht, Beratung bereits in der Lehrer-
Komplexität der Schule als Gan- eine intensivere Beziehung zu ausbildung mehr Beachtung
zer nicht hinreichend berück- den Schülern, eine umfangreiche schenken. Zu denken ist im Übri-
sichtigen. Wenn die Standards Erprobung neuer Lernformen, gen auch an das Unterrichtscoa-
für die Lehrerbildung auch auf eine intensivere Hausaufgaben- ching zwischen Studierenden,
die Kooperationsstrukturen der und Lernzielkontrolle und eine für das Stefanie Schnebel und
Schule, auf Schulentwicklung, größere Teilhabe an außerunter- Annelies Kreis (2014) plädieren.
Kommunikation, Evaluation, So- richtlichen Aktivitäten. Leider hat
zialisation der Heranwachsen- der politische Wind diese Prak- ¡¡ Wenn auch kein Automatismus
den und Medienbildung zielen tikumsform hinweg geblasen. zwischen der Struktur und Län-
– um nur einige Schwerpunkte ge von Praktika einerseits und
zu nennen – dann erweitert sich ¡¡ Für die Hochschulen ist es eine deren Qualität andererseits be-
der Auftrag an die Lehrerbildung Entscheidungsfrage, ob sie viele steht, so es lohnt sich doch, die
erheblich. Damit müsste auch oder gute Lehramtsstudierende Experimente mit einem einzigen
der Horizont für die schulprakti- wollen. Will man gute Studie- und durchgängigen Praktikum
sche Ausbildung inhaltlich und rende im Sinne der Ausführun- zu prüfen. Beispielsweise hat es
organisatorisch neu abgesteckt gen, dann sind damit engagierte in Baden-Württemberg zwischen
werden. Hinzuweisen ist auf ein junge Leute gemeint, die eine 2004 und 2010 einen Modell-
Experiment, das in den Jahren hohe Belastbarkeit und Offen- versuch der PH Weingarten, das
2005 und 2006 vom Lehrstuhl heit gegenüber den Zumutun- „Praxisjahr Biberach“ gegeben
für Schulpädagogik und dem gen der praktischen Erfahrung (Dieck/Dörr 2009). Die auf das
Schulpraktikumsamt gemeinsam mitbringen. Um dies festzustell- gesamte Studium verstreuten
durchgeführt worden ist. Einige ten, sollten wir aussagekräftige „Tagespraktika“ und „Blockprak-
Schulen hatten sich bereitgefun- Eingangsprüfungen (vor Studi- tika“ wurden zusammengeführt
den, Studierenden ein über die enaufnahme) durchführen. Dies und mit dem ersten Abschnitt
gewöhnlichen Praktika hinaus- ist auch vor dem Hintergrund des Vorbereitungsdienstes zu
gehendes „Exzellenzpraktikum“ einer massiv sich aufbauenden einem „Praxisjahr“ zusammenge-
im Umfang von 200 Stunden zu Lehrerarbeitslosigkeit in den fasst. Die Ergebnisse sind keines-
ermöglichen. Die Praktikanten 2020er Jahren zu betrachten. wegs konsistent. Die Erwartung,
sollten auch jene Bereiche des dass das Praxisjahr zu einem ge-
Schulalltags erfahren können, ¡¡ Die Qualität eines jeden Prak- genüber den Kontrollgruppen
die von den regulären Praktika tikums steht und fällt mit der erhöhten Kompetenzzuwachs

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    12


führen würde, hat sich jedenfalls chenden Redeanteilen, zu wenig besseres Reflexionsvermögen
nicht bestätigt. Diemut Kucharz Beratung und mangelnde Ko- und eine deutlichere Orientie-
zeigt die verschiedenen Hürden operation zwischen den beteilig- rung an den Lernprozessen der
des Versuchs auf, beispielsweise ten Institutionen (Kucharz 2009). Schüler entwickelt haben (ebd.).
das konservative Unterrichtsver- Dem steht gegenüber, dass die Das Beispiel zeigt: Strukturverän-
ständnis der Mentoren, deren Studierenden im Praxisjahr ein derungen können ihr Potenzial
Anlehnung an das Konzept der sensibleres Bewusstsein für den nur dann entfalten, wenn auch
„Meisterlehre“ mit den entspre- Unterricht und seine Planung, ein die Binnenverhältnisse stimmen.

Autor

Prof. Dr. Wolfgang Schönig


Professor für Schulpädagogik
an der Katholischen Universität
Eichstätt-Ingolstadt mit
den Arbeitsschwerpunkten
Schulberatung, Inklusion,
Schultheorie

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Literatur
Literatur

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Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    14


Dominik Wittmann

Was brauchen wir als künftige Lehrer? Und wann lernen wir es?
Lehrerkompetenzen aus Sicht eines Studierenden

„Sie wollen heute wirklich noch Leh- Wahrgenommene Lehrer- psychologischen und diagnosti-
rer werden? Wieso denn das?!“ Als schen Kenntnissen – beispielswei-
angehende Lehrkraft bekommt man kompetenzen im Studium se auch aus Methodenkompetenz,
diese Frage nicht selten gestellt – sei zusammen (vgl. Fink-Pomberger/
es von ehemaligen Schulfreund/in- Zur näheren inhaltlichen Bestim- Volkmer 2015, S. 67). Diese Lehrer-
nen, von alltäglichen Begegnungen mung sollen die weithin bekannten kompetenz ist, wenngleich zum ge-
oder gar von bereits älteren Schüler/ Lehrerkompetenzen, wie sie bei- ringeren Teil, im Studium mit den Fä-
innen im Praktikum der Lehreraus- spielsweise auch die Kultusminister- chern der Erziehungswissenschaften
bildung. Zunächst ist dies vielleicht konferenz 2004 beschreibt1 , nicht gegenwärtig und nimmt damit ge-
sogar eine nachvollziehbare Frage: übergangen oder in Frage gestellt rade im ersten Teil der bayerischen
Eine unsichere Anstellungssituati- werden. Auch wenn an dieser Stelle Lehrerausbildung einen bedeutsa-
on, wachsende Anforderungen der natürlich keine genaue Erörterung men Stellenwert ein.
heutigen Schulrealität, kaum Auf- erfolgen kann, sollen dennoch kurz Das professionelle Wissen, das Leh-
stiegschancen bei einer doch recht jene Kompetenzbereiche zur Spra- rer besitzen sollten, kann darüber
langen Ausbildung oder auch eine che kommen, die gerade im Lehr- hinaus noch unterschiedlich und
abnehmende Wertschätzung in der amtsstudium wahrgenommen wer- sehr fein spezifiziert und unterglie-
Gesellschaft rufen durchaus nach den. dert werden (vgl. Kocher 2014, S.
einer Rechtfertigung dieser Berufs- So ist an der Universität zweifels- 51). Dies würde an dieser Stelle aller-
wahl. Den verschiedenen Antworten frei besonders die Fachkompetenz dings zu weit führen.
der meisten Studierenden darauf allgegenwärtig. Auch Studierende Da sich diese Fachkompetenz auch
dürfte meistens ein Gedanke ge- sind sich bewusst darüber, dass zum (vermeintlich?) leicht überprüfen
meinsam sein: Die Arbeit als Lehrer/ einen die unterrichteten Fächer be- lässt, nimmt die Benotung des Stu-
in ist mehr oder weniger ihr Traum- herrscht werden müssen und man diums und damit das erste Staats-
beruf: Die tägliche Arbeit mit jungen tiefere Kenntnisse in den Fachge- examen fast ausschließlich auf die
Menschen, mit ganz unterschiedli- bieten benötigt, die man später ver- Fachkompetenz Bezug: Der Eindruck
chen Individuen. Ihnen möchte man mitteln wird. Es ist nur logisch, dass wird hier vermittelt: Wer fachlich
Wissen und wertvolle Erfahrungen die Lehrperson in gewisser Weise kompetent ist, wird ein guter Lehrer/
mit auf den Lebensweg geben. ein ‚Experte‘ in ihren später unter- eine gute Lehrerin. Dass dies zwar
richteten Fächern sein muss – allein zunächst keine falsche Aussage ist,
„In erster Linie unterrichten wir spä- schon um die ,didaktische Redukti- wird auch nicht in Frage gestellt wie
ter nicht unsere Fächer – sondern on‘ angemessen ansetzen zu kön- oben bereits erwähnt. Doch die Stu-
Schüler.“ Diesem Satz begegnete ich nen. Wie will man ein Fachgebiet dierenden wissen, dass es zu einem
am Anfang meines Studiums und er (glaubhaft) unterrichten und damit ‚guten Lehrer‘/einer ‚guten Lehrerin‘
bringt diese Aussage noch einmal anderen näherbringen, in welchem viel mehr braucht. Denkt man nur
besonders zum Ausdruck. Dass Leh- man sich selbst nicht auskennt? In ein paar Jahre zurück, wird klar: Leh-
rer/innen in dieser doch anspruchs- zahlreichen Vorlesungen, Seminaren rer/innen, die für ihr Fach begeistern
vollen Aufgabe bestimmte Kompe- und Hausarbeiten beschäftigt man konnten, waren gute Lehrer/innen.
tenzen brauchen und diese im Laufe sich demnach wissenschaftlich mit Solche, die den Stoff in einfachen
der Ausbildung erlernen wollen (!) dem Fachwissen – recht unabhängig Worten erklären konnten. Aber auch
steht außer Frage. Aber welche sind vom künftigen Beruf des Lehrers/der solche, die sympathisch waren und
diese? Im Folgenden soll darauf aus Lehrerin. gleichzeitig auch in schwierigen
studentischer Sicht geantwortet Zum anderen setzt sich die Fachkom- Situationen für Ruhe in der Klasse
werden. petenz auch aus pädagogischen, sorgten, waren gute Lehrer/innen.

1
Vgl. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004: „Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“, abrufbar unter http://
www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung.pdf

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    15


Einen Schwerpunkt neben der oben chen der Schulpraxis? von Lehrer/innen sowohl Wissens-
beschriebenen für Studenten allge- Wird die Fachkompetenz also noch als auch Persönlichkeitsaspekte
genwärtigen Fachkompetenz bildet besonders durch die unmittelbare entscheidend sind (vgl. Kocher 2014,
eine personale Kompetenz, eine Ausbildung an der Universität ge- S. 277). Dies lässt sich schon dadurch
Beziehungs- und Einfühlungskom- genwärtig, werden Studierende auf begründen, dass sie sich gegenseitig
petenz. Über diese ebenso wichtige die mindestens genauso wichtigen beeinflussen: „Persönlichkeits-
Kompetenzen sind sich Studierende weiteren beschriebenen Kompeten- aspekte sind (…) für bestimmte
sehr wohl bewusst, wenngleich sie zen vor allem durch eigene Reflexion berufliche Aspekte relevant, da sie
natürlich kaum im Universitätsalltag und die ersten eigenen Unterrichts- diese erklären oder prognostizieren
geschult werden und damit um ein erfahrungen in Praktika vorbereitet. können“ (Kocher 2014, S. 277). Um
Vielfaches seltener in der ersten Jede/r Studierende wird dabei auch Lehrerkompetenzen vorzuweisen,
Ausbildungsphase wahrgenommen das Ziel vor Augen haben, später sind demnach also zum einen die
werden: Einfühlungsvermögen, Ver- selbst einmal guten Unterricht zu individuellen Voraussetzungen und
trauenswürdigkeit oder Toleranz halten – also selbst verschiedene die Person des (künftigen) Lehrers/
sind hier nur einige Aspekte, die Lehrerkompetenzen zu erwerben. der (künftigen) Lehrerin selbst
ebenfalls oder gerade einen guten Um abschließend die Frage stellen entscheidend. Andererseits ist es
Lehrer ausmachen (vgl. Fink-Pom- zu können, wo und wie Studieren- aber genauso ihre Qualifizierung
berger/Volkmer 2015, S. 67). Studie- den dazu eine Möglichkeit gegeben durch Aus- und Weiterbildung
rende wissen also im Allgemeinen wird, ist es deshalb durchaus sinn- (vgl. Kocher 2014, S. 278). Diese
sehr wohl darum, dass sie später vor voll, kurz zu erörtern, wie Lehrer- Erkenntnisse aus der Forschung
und mit einer Klasse erfolgreich sein kompetenzen überhaupt entwickelt lassen sich leicht nachvollziehen:
werden, wenn sie zwar fachlich kom- werden können. Wir haben bei unseren eigenen
petent sind, aber auch mit Humor Lehrer/innen selten Unterschiede
und Herzlichkeit eine Klasse führen ihrer Fachkompetenz erlebt. Aber
können: Persönlichkeitsaspekte sind Können Kompetenzen er- wir erinnern uns an Unterschiede,
vielleicht sogar entscheidender, was wie sie dieses Wissen erklären
die Unterrichtsqualität betrifft: Wie worben werden? konnten, welchen ‚Draht‘ sie zu ihren
kann ich das vorhandene Wissen Schüler/innen hatten und ob sie uns
auch so weitergeben, dass es wirk- Natürlich können gerade Bereiche sympathisch waren und die Klasse
lich gelernt wird und bei Schüler/ der Fachkompetenz bis zu einem begeistern konnten. Beschäftige
innen ankommt? bestimmten Grad erlernt bzw. ein- ich mich vielleicht sogar gerne mit
Weiterhin sei an dieser Stelle noch geübt werden. Aber sind es nicht dem Lehrstoff, weil ich bei dieser
auf eine Kompetenz verwiesen, die gerade die – ebenso wichtigen – mir sympathischen Lehrkraft nicht
immer mehr auch im eigenen Alltag personalen Kompetenzen, die im ‚versagen‘ möchte?
der Studierenden an Bedeutung ge- eigenen Charakter grundgelegt Dass diese Eigenschaften und/oder
winnt: Die Medienkompetenz. Die sind? Das merkt man schon daran, Kompetenzen anscheinend tatsäch-
Lebenswelt von Schüler/innen wird wie unterschiedlich Studierende lich nicht von Grund auf erlernbar
heute von Instagram, WhatsApp mit Kindern und Jugendlichen um- sind, klingt wenig überraschend.
oder Snapchat dominiert – wie geht gehen können. Dieser Umgang und Und dennoch sollte es uns zu den-
man damit verantwortungsvoll um? beispielsweise schon die Möglich- ken geben, wenn die Qualifizierung
Die Medienkompetenz kann hier keit, hier Beziehungen aufzubauen, von denen, die günstige Vorausset-
Antworten geben, ist sie doch „nor- hängen sicherlich entscheidend zungen dafür mitbringen, erst durch
mativ ausgerichtet auf ein sachge- von der eigenen Persönlichkeit ab. Aus- und Weiterbildung bzw. die ver-
rechtes, selbst bestimmtes, kreatives Die Fähigkeit zu zwischenmensch- schiedensten Erfahrungen fruchtbar
und sozial-verantwortliches Han- lichen Beziehungen kann zwar be- gemacht werden kann.
deln in einer von Medien geprägten stimmt gerade durch Erfahrungen Der Wunsch der Studierenden nach
Welt“ (Herzig/Grafe 2011, S. 92). gefördert werden, aber nur schwer mehr solchen Erfahrungen ist auf je-
Doch auch weitere aktuelle und ‚erlernt‘ werden. So folgt selbst aus den Fall deutlich zu spüren: Wie trete
neuere Dimensionen des Schulall- empirischen Befunden: „Damit eine ich sicher als Lehrer/in auf? Wie be-
tags fordern Kompetenzen: Im Stu- schrittweise Prozeduralisierung des komme ich Ruhe im Klassenzimmer?
dium hört jede angehende Lehrkraft vorliegenden deklarativen Wissens Wie kann mein Unterricht auch Spaß
einmal etwas von Themen aus dem gelingt, halten sowohl die Experti- machen? Das sind Fragen, die sich
heutigem Schulalltag wie der Inklu- seforschung als auch die Kognitions- Studierende stellen, aber darauf in
sion oder der Migration. Wie kann psychologie umfangreiche Praxiser- ihrem jahrelangen Lehramtsstudium
ich mich hier später im Beruf kom- fahrungen für notwendig“ (Blömeke wenig konkrete Antworten bekom-
petent einbringen? Welche Kompe- 2011, S. 148). men. Darauf kommt es später im Be-
tenzen brauche ich im Umgang mit Es lässt sich also in jedem Fall ruf aber an. Darauf kommt es in dem
diesen ja selbstverständlichen Berei- feststellen, dass für die Kompetenzen Beruf an, für den ich hier eigentlich

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    16


ausgebildet werden soll. Oder soll sen fördert, sei dahingestellt. Hans interessant weitergegeben werden
ich das nicht, weil das alles erst im N. Weiler stellt unter anderem dazu kann. Die dafür genauso erforderli-
zweiten Ausbildungsabschnitt im provokant fest, dass es sich „bei der chen Beziehungs- und Selbstkompe-
Zentrum steht, wie es die Lehramts- Reform der deutschen Hochschulen tenzen scheinen im Lehramtsstudi-
ausbildung in Bayern vorsieht? wie auch bei der Reform der Lehrer- um hingegen kaum vorzukommen.
Wenn Studierende eine geeignete bildung um ausgesprochen unvoll- Sabine Fink-Pomberger und Irene
Persönlichkeit mitbringen, sollte es endete Werke handelt“ (Weiler 2011, Volkmer stellen passend zu diesen
selbstverständlich sein, dass sie in S. 20). Natürlich muss das System Eindrücken von Studierenden fest:
ihrer Ausbildung zahlreiche Mög- an Hochschulen auch differenziert „Die Beziehungskompetenz erhält
lichkeiten zum Erwerb der ange- und auch von den positiven Seiten auch einen zu geringen Wert in der
sprochenen Kompetenzen erhalten. her mit beurteilt werden. Aber den Lehrerinnen- und Lehrerausbildung
Doch wo und wie wird das in der geschilderten Eindruck des wenig und –weiterbildung. Sehr wenige
aktuellen Lehrerausbildung ermög- nachhaltigen Lernens äußern selbst Angebote beschäftigen sich mit
licht? die breiten Schichten der Studieren- Phänomenen der zwischenmensch-
den. Hier liegt es aber vielleicht auch lichen Beziehungen und sozialem
Lehrerkompetenzen im wieder am Studierenden und seiner Lernen“ (Fink-Pomberger/Volkmer
Persönlichkeit selbst, inwiefern das 2015, S. 67). Diese Beobachtung
Universitätsstudium vermittelte Wissen behalten oder steht gerade zu vehement im Wider-
auch vertieft wird. Dass bezüglich spruch zu einer Ausbildung, die zum
Im ersten Teil des Beitrags wurden der Fachkompetenz aber zahlreiche Lehrerberuf befähigen soll: Bezie-
verschiedene Kompetenzbereiche Möglichkeiten in der Lehrerausbil- hungen sollten im Lehrerberuf all-
angeschnitten, die Studierenden dung gegeben werden, kann nicht täglich sein. Natürlich kann an dieser
durchaus bewusst sind. Zu Beginn bestritten werden – selbst wenn die- Stelle erneut eingewendet werden,
wurde auf die im Studium sehr prä- se eventuell von Studierenden auf dass sich die erste Ausbildungspha-
sente Fachkompetenz eingegangen. eine andere Art gewünscht werden. se an der Universität bewusst die-
Fachwissen wird dabei natürlich im Doch wie bereits erläutert, ist neben ser Aussage entzieht und auf das
besonderen Maß vermittelt. Dies hat der Fachkompetenz die personale Fachwissen hin ausgelegt ist. Aber
durchaus auch seine Berechtigung Kompetenz genauso im Bewusst- wenn selbst empirische Forschung
– nicht umsonst wurde schließlich sein der Studierenden. Danach su- zu dem Schluss kommt, dass es für
festgestellt, dass glaubhafte Lehrer/ chen die Studierenden und würden professionelle Lehrerkompetenzen
innen in ihren Unterrichtsfächern sich auf jeden Fall mehrere Ange- viele Jahre Erfahrung braucht (s.o.),
kompetente Ansprechpartner sein bote wünschen – auch schon in der kann damit doch nicht früh genug
müssen und in gewisser Weise ‚Ex- ersten Phase der Ausbildung. Die – parallel zum Erwerb von Fachkom-
pert/innen‘ darstellten sollten. Auch Studierenden erfahren gerade sol- petenz – begonnen werden: Studie-
wenn sich die Ausbildung bis zum che Veranstaltungen als wertvoll, die rende möchten sich umfassend auf
ersten Staatsexamen so also be- gezielt auf den späteren Berufsalltag ihren späteren Beruf vorbereiten
wusst auf die Fachkompetenz der vorbereiten. Doch leider gibt es sol- und können durch Angebote gezielt
angehenden Lehrer/innen konzent- che Seminare, Vorlesungen oder von diesen (wichtigen) personalen
rieren will, bleibt zu fragen: Erlangt Veranstaltungen äußerst selten. Wo Lehrerkompetenzen von Anfang an
man diese angemessen durch stu- und wann lernt man in der Univer- profitieren.
res Auswendiglernen auf die nächs- sität Zeitmanagement als Lehrer/in, Ähnlich verhält es sich bei den wei-
te Modulprüfung? Diese natürlich ein sicheres und selbstbewusstes terführenden beschriebenen Lehrer-
etwas überspitzt formulierte Frage Auftreten vor Schüler/innen und kompetenzen wie der Medienkom-
trifft allerdings auch die Wahrneh- wie man fruchtbare Elterngesprä- petenz: Konkrete Anregungen zum
mung vieler Studierender, aus de- che führen kann? Oder so scheinbar Thema Smartphones, Tablets und
ren Sicht hier geantwortet werden banale Fähigkeiten wie das Entwer- Co. helfen jedem Studierenden ge-
soll: Man lernt im Studium für die fen von Tafelbildern? Es gibt solche nauso weiter wie das Ansprechen
nächste Modulprüfung – je Semes- Angebote durchaus in einigen we- möglicher Probleme wie Cybermob-
ter durchaus mehrere – und verliert nigen Modulen – man muss sie im bing – und vor allem das Aufzeigen
dieses kurzzeitig angelernte Wis- Verlaufsplan eines Lehramtsstudi- von Wegen, wie diese umgangen
sen wieder, um den nächsten Lern- ums oder darüber hinaus aber be- werden können. Doch wo findet
stoff zu behalten. Sollte es letztlich wusst suchen und auch erst einmal man diese Themenkreise im Univer-
nicht vielmehr darum gehen, für finden. Diese Kompetenzen wären sitätsalltag einer Lehrerbildung?
den späteren Beruf zu lernen? Ob es aber, die später einen guten Un- Wo lernt man Herausforderungen
ein modularisiertes Studium dazu terricht ermöglichen können: Einen kennen, die später auf die Lehrer/
beiträgt oder nichteher stures Aus- Unterricht, in dem das erworbene innen zukommen und vor allem, wie
wendiglernen auf die nächste Prü- Fachwissen auch kompetent, ab- man diesen kompetent begegnen
fung und anschließendes Verges- wechslungsreich, anschaulich und kann?

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    17


Um die anfangs gestellte Frage zu von Beginn ihrer Ausbildung an fundamental wichtig, aber sie darf
beantworten, bleibt auf jeden Fall praktisch kennenlernen und för- die Lehrerausbildung – auch nicht in
festzuhalten: Ja, diese jungen Men- dern, damit diese auch nachhaltig der ersten Phase – völlig einnehmen.
schen möchten heute auf jeden Fall wachsen können. Doch ihnen wird Denn „in erster Linie unterrichten wir
noch Lehrer/innen werden. Aber sie kaum Möglichkeit dazu gegeben. später nicht unsere Fächer – sondern
würden gerne viel mehr der unter- Die Fachkompetenz ist im Beruf des Schüler.“
schiedlichen Lehrerkompetenzen Lehrers/der Lehrerin zweifelsfrei

Autor

Dominik Wittmann
geb. 1994, studierte von 2012 bis
2016 an der KU Eichstätt-Ingolstadt
Lehramt an Realschulen mit der
Fächerkombination Mathematik/
Katholische Religionslehre. Nach
der ersten Staatsprüfung sowie
dem Abschluss Bachelor of Arts
(Schwerpunkt Katholische Theologie)
setzte er 2016 das Studium mit dem
Erweiterungsfach Kunsterziehung
fort und unterrichtet seitdem
als Vertretungslehrer, bevor er
voraussichtlich im Herbst 2017 das
Referendariat antreten wird.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    18


Literatur

¡¡ Blömeke, S. (2011): Was lernen sion, der Bildungsforschung und


deutsche Lehrerinnen und Lehrer der Mathematik-Didaktik. Müns-
in ihrer Ausbildung, was können ter: LIT Verlag, S. 87-108.
sie im internationalen Vergleich?. ¡¡ Kocher, M. (2014): Selbstwirk-
In: Berner, H./Isler R. (Hrsg.) samkeit und Unterrichtsqualität.
(2011): Lehrer-Identität, Leh- Unterricht und Persönlichkeitsas-
rer-Rolle, Lehrer-Handeln. Balt- pekte von Lehrpersonen im Be-
mannsweiler: Schneider Verlag rufsübergang. Münster/New York:
Hohengehren, S. 143-162. Waxmann Verlag.
¡¡ Fink-Pomberger S./Volkmer I. ¡¡ Weiler, H. (2011): Die Reform der
(2015): Lehrerinnen- und Lehrer- Lehrerbildung und die Reform der
persönlichkeit. Hamburg: Verlag Hochschulen: zwei unvollendete
Dr. Kovač Kunstwerke. In: Eilerts, K. u.a.
¡¡ Herzig B./Grafe S. (2011): Medien- (Hrsg.) (2011): Kompetenz-
kompetenz – Grundbegriffe, Kom- orientierung in Schule und
petenzmodelle und Standards. Lehrerbildung. Perspektiven der
In: Eilerts, K. u.a. (Hrsg.) (2011): bildungspolitischen Diskussion,
Kompetenzorientierung in Schule der Bildungsforschung und der
und Lehrerbildung. Perspektiven Mathematik-Didaktik. Münster:
der bildungspolitischen Diskus- LIT Verlag, S. 19-34.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    19


Frank Puschner
Lehrerkompetenzen - Aktuelle und künftige
Berufsanforderungen aus schulpraktischer Perspektive

Ändert sich die Gesellschaft, muss male, sondern schließen die für den vermittler mehr, sondern müssen
es die Schule auch. Da die Schule zielgerichteten Einsatz der kogniti- nun in den vielfältigsten Bereichen
wiederum ein Subsystem der Gesell- ven Fähigkeiten notwendigen auslö- Fähigkeiten aufweisen und durch-
schaft ist und sich die Erwartungen senden, steuernden und kontrollie- aus starke und flexible Persönlich-
an die künftigen Schulabgänger renden Faktoren ein. Somit umfasst keiten sein. Nicht, dass sie das vorher
deutlich gewandelt haben, müssen der Kompetenzbegriff deklaratives, nicht schon konnten und waren, nur
sich nicht nur die amtierenden Lehr- prozedurales und metakognitives seit 2004 steht die Rolle des Lehrers1
kräfte dieser neuen Situation stellen, Wissen und steht gewissermaßen deutlich mehr im öffentlichen Fokus.
sondern auch die Lehrerausbildung für „eine Verschmelzung von Wissen Wobei vorab festzuhalten ist, dass
muss an entscheidenden Stellen und Können" (Reusser 2014, S. 327). sich das Ansehen des Lehrers in der
verändert werden. Die Schülerinnen In meinem Beitrag möchte ich nun Öffentlichkeit von 2007 auf 2015 um
und Schüler müssen heutzutage mit einen kurzen Überblick darüber sieben Prozentpunkte auf immerhin
ganz anderen Kompetenzen aufwar- geben, welche Kompetenzen die beachtliche 70% gesteigert hat2.
ten können als noch vor zehn Jahren. Wissenschaft für eine Lehrkraft als Gefühlt hat sich die Rolle des Leh-
Das Schlagwort "Kompetenzen" ist notwendig erachtet, welche sich das rers in den letzten zwei Jahrzehn-
in der heutigen Zeit in aller Munde, Kultusministerium wünscht und was ten deutlich gewandelt. Er ist nicht
nicht nur wegen dem neu imple- die Öffentlichkeit denkt, was einen mehr nur der (ausschließliche)
mentierten LehrplanPLUS, sondern guten Lehrer ausmacht. Schwieri- Fachwissenvermittler, sondern auch
auch wegen der leichten Nuancen, ger wird die Frage zu beantworten in vielen Bereichen Erzieher und
wie "Kompetenzorientierung", "Min- sein, welche Kompetenzen im Pro- Wertevermittler geworden. Daher
destkompetenz", "Höchstkompe- fessionalisierungsprozess erworben scheint sich die Gewichtung vom
tenz", etc. Doch was versteht man werden können/sollen und welches Bildungs- hin zu Gunsten des Erzie-
nun genau unter "Kompetenzen"? grundlegende Persönlichkeits-Kon- hungsauftrages doch recht deutlich
In der Literatur gibt es eine Vielzahl stituenten sind. Es geht also mehr verschoben zu haben. Nachfolgend
von - durchaus auch inhaltlich un- oder weniger um die Frage: "Lehrer möchte ich in Kürze die Erkenntnis-
terschiedlichen - Definitionen. Ein - Beruf oder Berufung?" se der wissenschaftlichen Literatur
möglicher Vorschlag wäre bei Wei- vorstellen, gefolgt von dem, was die
nert (S.27) zu suchen: kultusministerielle Konferenz zu die-
Kompetenzen sind „die bei Indivi- Welche Kompetenzen sem Thema sagt und abschließend
duen verfügbaren oder durch sie brauchen Lehrer, um ein paar Auszüge darlegen, wie sich
erlernbaren kognitiven Fähigkeiten die Personen einen guten Lehrer
und Fertigkeiten, um Probleme zu aktuellen und künftigen wünschen, die es am meisten betrifft
lösen, sowie die damit verbundenen Berufsanforderungen - unsere Schüler.
motivationalen, volitionalen und gerecht zu werden?
sozialen Bereitschaften und Fähig- – Eine Bestandsaufnahme
keiten, um die Problemlösung in aus der Literatur und Praxis Was sagt die Literatur?
variablen Situationen erfolgreich
und verantwortungsvoll nutzen zu Lehmann und Nieke (2005) erken-
können". Dass seit der PISA-Studie von 2004 nen durchaus die Tatsache an, dass
nicht mehr nur die Kompetenzen ein umfassendes Expertenwissen
Allerdings sind nach Brühwiler, der Schüler diskutiert werden, son- notwendig ist, welches sich auf die
Helmke und Schrader (2016) Kom- dern auch die der Lehrer, ist kein No- Bereiche der fachspezifischen, di-
petenzen nicht rein kognitive Merk- vum. Sie sind keine reinen Wissens- daktisch-methodischen, diagnosti-

1
Anmerkung: Zur Bezugnahme auf Personen werden Substantive und Pronomina generisch gebraucht. Wenn also von „Lehrern“ oder „Schülern“
gesprochen wird, sind damit männliche und weibliche Personen in gleicher Weise gemeint.
2
http://www.news4teachers.de/wp-content/uploads/Beamte.jpg (Die Frage, warum aber Studienräte von 53% auf 50% abgerutscht sind, bleibt
hier allerdings unbeantwortet)

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    20


schen, persönlichkeitsbezogenen Teil der Leistungsunterschie- Schüler und befähigen sie, Zusam-
sowie kommunikativen und sozialen de auf die konstruktivistische menhänge herzustellen und Gelern-
Kompetenzen erstreckt, konstatie- Orientierung der Lehrperson tes zu nutzen.
ren jedoch, dass dieser Kompetenz- zurückgeführt. Es wird also an-
katalog nicht pauschal für jeder- genommen, dass die wertebe- Kompetenz 3: Lehrerinnen und Leh-
mann gleich angeboten werden zogenen Überzeugungen der rer fördern die Fähigkeiten von Schü-
kann. Vielmehr ist er ähnlich dem Lehrkraft hinsichtlich des Un- lerinnen und Schülern zum selbstbe-
Bildungsprozess als mögliches An- terrichts (in Planung, Gestaltung stimmten Lernen und Arbeiten.
gebot zu verstehen, dessen Inhalte und Wahrnehmung) eine wich-
individuell unterschiedlich und nur tige Rolle spielen. Erziehen
unter passenden Rahmenbedin- Kompetenz 4: Lehrerinnen und
gungen verarbeitet werden können. ¡¡ Selbstbezogene Kognitionen: Lehrer kennen die sozialen und
Das wesentliche Ziel ist der Erwerb Wenn Lehrkräfte eine höhere kulturellen Lebensbedingungen,
und Aufbau einer umfassenden Wirksamkeitsüberzeugung auf- etwaige Benachteiligungen, Beein-
Handlungskompetenz, in welche weisen, verwenden sie mehr trächtigungen und Barrieren von
die Selbst-, Fach-, Methoden- und Zeit für die Vorbereitung für Schülerinnen und Schülern und neh-
Sozialkompetenz hineinspielen (vgl. den Unterricht und setzen sich men im Rahmen der Schule Einfluss
Lehmann/ Nieke 2005, S. 2). höhere Ziele. Allgemein haben auf deren individuelle Entwicklung.
diese Lehrkräfte eine höhere
Auch Lipowsky (2006) sieht in den Bindung zum Lehrberuf. Kompetenz 5: Lehrerinnen und Leh-
berufsspezifischen Kompetenzen rer vermitteln Werte und Normen,
des Lehrers wesentliche Determi- Fazit: Kurz zusammengefasst, kann eine Haltung der Wertschätzung
nanten des Lernerfolgs der Schüler. festgehalten werden, dass in der und Anerkennung von Diversität
Lipowsky beschreibt folgende sechs, wissenschaftlichen Literatur, neben und unterstützen selbstbestimmtes
für eine Lehrperson notwendigen weiteren, gerade die fachdidakti- Urteilen und Handeln von Schülerin-
Kompetenzbereiche und ihren Ein- sche und die Fachkompetenz eine nen und Schülern.
fluss auf die Schülerleistung: hohe Rolle spielen.
Kompetenz 6: Lehrerinnen und
¡¡ Fachliches Wissen: Alleine kein Lehrer finden Lösungsansätze für
Indikator für Lernerfolg. Gut Was sagt die KMK? Schwierigkeiten und Konflikte in
ausgebildete Lehrkräfte weisen Schule und Unterricht.
jedoch eine größere Handlungs- Die KMK vom 16.12.2004 i. d. F. vom
kompetenz auf. 12.06.2014 umschreibt die für Lehr- Beurteilen
kräfte notwendigen Kompetenzen Kompetenz 7: Lehrerinnen und Leh-
¡¡ Fachdidaktisches Wissen: Nach mit „Fähigkeiten, Fertigkeiten und rer diagnostizieren Lernvorausset-
Lipowsky (2006, S. 52) war „von Einstellungen, über die eine Lehr- zungen und Lernprozesse von Schü-
allen einbezogenen Lehrerkom- kraft zur Bewältigung der berufli- lerinnen und Schülern; sie fördern
petenzen fachdidaktisches Wis- chen Anforderungen verfügt" (KMK Schülerinnen und Schüler gezielt
sen am wichtigsten". S. 4). und beraten Lernende und deren
Folgende Kompetenzbereiche sollte Eltern.
¡¡ Pädagogisches Wissen: Lehrper- eine Lehrkraft abdecken (Anm.: die
sonen mit einer pädagogischen fett gedruckten Bereiche stellen die Kompetenz 8: Lehrerinnen und
Ausbildung haben eine effekti- Neuerung zwischen der Fassung von Lehrer erfassen Leistungen die Leis-
vere Klassenführung und kön- 2004 und 2014 dar) tungsentwicklung von Schülerinnen
nen Schülerleistungen besser und Schülern auf der Grundlage
einschätzen. Unterrichten transparenter Beurteilungsmaßstä-
Kompetenz 1: Lehrerinnen und be.
¡¡ Berufserfahrung: Schwierig zu Lehrer planen Unterricht unter Be-
interpretieren und spielt daher rücksichtigung unterschiedlicher Innovieren
hinsichtlich des Lernerfolgs eine Lernvoraussetzungen und Entwick- Kompetenz 9: Lehrerinnen und Leh-
untergeordnete Rolle. Aller- lungsprozesse fach- und sachge- rer sind sich der besonderen Anfor-
dings kann Alter und Berufser- recht und führen ihn sachlich und derungen des Lehrerberufs bewusst.
fahrung die natürliche Autorität fachlich korrekt durch. Sie verstehen ihren Beruf als ein öf-
stärken, was wiederum einen fentliches Amt mit besonderer Ver-
Einfluss auf den Lernerfolg hätte Kompetenz 2: Lehrerinnen und Leh- antwortung und Verpflichtung.
(vgl. SZ vom 09.09.2013). rer unterstützen durch die Gestal-
tung von Lernsituationen das Ler- Kompetenz 10: Lehrerinnen und
¡¡ Epistemologische Überzeu- nen von Schülerinnen und Schülern. Lehrer verstehen ihren Beruf als
gung: Hier wird ein erheblicher Sie motivieren Schülerinnen und ständige Lernaufgabe.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    21


Kompetenz 11: Lehrerinnen und mit der Bitte angeschrieben, dass lasst mich bis zur nächsten Stunde
Lehrer beteiligen sich an der Pla- sie mir nun, mit einem zweijähri- recherchieren") ist ihnen viel wichti-
nung und Umsetzung schulischer gen Abstand zur Schule, doch bitte ger. Ein guter Lehrer gestaltet seinen
Projekte und Vorhaben. beschreiben mögen, welche Eigen- Unterricht abwechslungsreich und
schaften (hier Kompetenzen) sie macht eine Show aus dem Unter-
Kurzum, sollte eine Lehrkraft folgen- an einem guten Lehrer schätz(t)en. richtsstoff. Sie sind auch der - durch-
de Kompetenzbereiche abdecken: Auch wenn dies mit Sicherheit keine aus berechtigten Meinung - dass die
repräsentative, signifikante Umfrage „natürliche Autorität" von keinem
¡¡ Fachkompetenz ist, so gibt sie doch einen ganz inte- Universitätsprofessor der Welt ver-
¡¡ Methodenkompetenz ressanten Einblick in die Gedanken- mittelt werden kann. Die hat man als
welt der Schüler, was für sie einen Lehrer oder eben nicht. Allerdings
¡¡ Pädagogische Kompetenz „guten" Lehrer ausmacht. darf an dieser Stelle nicht vergessen
¡¡ Selbstkompetenz werden, dass durch das Alter und zu-
Aus „Die Zeit" (2017): nehmende Berufserfahrung die na-
¡¡ Sprachliche Kompetenz Für Hendrik Dury, welcher seit nun- türliche Autorität durchaus verstärkt
¡¡ Soziale Kompetenz mehr zehn Jahren als Lehrer Vollmer werden kann.
in der RTL Serie "Der Lehrer" agiert,
Fazit: Die von der KMK vorgeschla- ist es wichtig, dass ein Lehrer junge Aus „Dein Spiegel" (2014):
genen Kompetenzbereiche müssen Menschen leitet und ihnen aus ver- Auch eine Schülerumfrage von „Dein
nicht alle zu gleichen Teilen erfüllt trackten Situationen hilft. Außerdem Spiegel" (2014) hat ergeben, dass
werden. Es geht hier vielmehr um gilt es die Talente eines jeden einzel- ein Lehrer nicht nur starke Nerven
einen Erwerb von grundlegenden nen zu erkennen, denn Versager gibt haben, sondern auch gut erklären
Handlungskompetenzen wie bei es nicht. (Die Zeit 2017) können muss. Er sollte zudem selbst-
Lehmann und Nieke (2005). Aller- ständig dazulernen wollen, wobei
dings ist es durchaus so, dass, wenn Aus „Frankfurter Allgemeine" (2014): ihm die Schüler - im Rahmen der
einer dieser Kompetenzbereiche Die Studenten von Alfred Ziegler Feedbackkultur - durchaus gut hel-
nicht erfüllt wird, sich derjenige ehr- sind sich hingegen einig, dass sein fen können. Er muss fachlich fit sein
lich und selbstkritisch mit seiner Be- Fachwissen, seine „Engelsgeduld" - aber nicht alles wissen. Authentizi-
rufswahl auseinandersetzen sollte. und dass er einfach alles erklären tät steht bei Schülern ganz hoch im
Besonders hervorzuheben sind an könne, zu den wichtigsten Kompe- Kurs. Er muss das Wissen so erklären
dieser Stelle auch die Neuerungen, tenzen zähle. können, dass alle mitkommen, es
dass in der KMK i. d. F. vom 12.06.2014 aber den besonders Schnellen nicht
- verglichen zu der von 2004 - nicht Aus „Süddeutsche Zeitung" (2013): langweilig wird. Außerdem sollte
nur auf individuelle Entwicklungs- Sechs Jugendliche haben sich dem ein Lehrer auch gut organisiert sein
prozesse und inklusionsrelevante Interview mit u.a. Johanna Bruck- und seine Stunden gründlich vorbe-
Themen eingegangen wird, sondern ner gestellt. Für diese muss sich ein reiten, mit den Eltern reden, Humor
auch die Rede davon ist, dass Lehrer guter Lehrer nicht nur für sein Fach haben, gelassen bleiben und gute
Werte und Normen vermitteln und interessieren, sondern auch Freude Nerven besitzen.
es den Schülern ermöglichen sollen, haben, es zu präsentieren. Er muss
eine eigene Haltung der Wertschät- sich im Stoff gut auskennen, dass Auch die mit dem Deutschen Lehrer-
zung und Anerkennung von Diversi- er die Aspekte herausgreifen kann, preis 2013 ausgezeichnete Juliane
tät zu entwickeln. die beim Schüler Begeisterung we- Rux bemüht sich nicht nur jeden Tag,
cken. Er muss aber auch etwas von den Schülern etwas Neues zu bieten,
Stimmen aus der Praxis sich preisgeben. Die Schüler wollen sondern sie sieht das Geheimnis ih-
durchaus wissen: „Wer ist diese Per- res Erfolges hier begründet: „Ich
Die Frage, was einen guten Lehrer son?". Das Klassleiterprinzip wird von mag meine Schüler sehr gern. Jeden
ausmacht, ist wahrscheinlich so alt den Jugendlichen gelobt, denn dort einzelnen. Wenn ich morgens in die
wie der Berufstand selber. Ebenso wird schneller Vertrauen aufgebaut. Schule komme, freue ich mich auf
wie wohl die Diskussion hierüber in Aber auch wenn das Fachwissen sie. Und das merken die Kinder mir
der Bevölkerung. Daher werde ich ganz hoch im Kurs ist, wünschen an. Außerdem unternehme ich nach
im Folgenden die Kernaussagen di- sich die Schüler einen Blick über der Schule viel mit meiner Klasse: Im
verser Zeitungs- und Zeitschriften- den Stoff hinaus in das Leben und Winter gehen wir Schlittenfahren
artikel, die sich auch diesem Thema wie der Stoff im großen Ganzen zu oder ins Kino, im Sommer grillen wir.
gewidmet haben, zusammengefasst verstehen ist. Für diese Eigenschaft So zeige ich ihnen: Wir sind eine Ge-
wiedergeben. eines Lehrers verzichten die Jugend- meinschaft und ich als Lehrerin ge-
Ich habe dank dieses Beitrages die lichen auch gerne auf die „Allwissen- höre dazu. Der Lehrer sollte sich für
Gelegenheit genutzt und meine heit". Ein Lehrer muss nicht alles wis- die Schüler interessieren: nicht nur
ehemalige Abschlussklasse 2015 sen, Ehrlichkeit („Das weiß ich nicht, für ihre Leistung, sondern auch für

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    22


das, was sie nach Schulschluss tun." nen, wenn nicht in der Schule? muss. Diese Aussage unterstützt
(Dein Spiegel 2014, S.21) auch die Herangehensweise der
¡¡ Ein Lehrer sollte in meinen Au- Universitäten, welchen aber gerne
Im Folgenden zitiere ich meine ei- gen kompetent sein, er soll häufig eine zu hohe Theorielastig-
genen Schülerinnen, welche vor wissen, um was es geht und keit vorgeworfen wird. Dieser Vor-
zwei Jahren erfolgreich ihren Real- keine Mühen scheuen, wenn ein wurf ändert sich auch nur mit zu-
schulabschluss absolviert haben. Schüler zum hundertsten Mal nehmendem Zustand vom Studium
Dankenswerter Weise haben sie sich nachhakt. Er sollte eine gewis- punktuell. Aber mit zunehmendem
bereit erklärt, einen Blick zurück zu se Strenge und doch auch Hu- Abstand zum Studium werden der
wagen, um nun - mehr oder weniger mor besitzen. Ein Lehrer sollte Fachdidaktik und dem Studium der
objektiv - festzuhalten, welche Kom- auf seine eigene Art und Weise Unterrichtsfächer (aber auch der
petenzen sie sich von ihren Lehrkräf- freundlich, offen und hilfsbereit Lernpsychologie) ein höherer Stel-
ten erwartet haben. sein. Das Verhalten des Lehrers lenwert eingeräumt (Hoppe-Graff
spiegelt sich im Verhalten der 2008, S.379). Dieser Schwerpunkt
¡¡ Wenn wir Fragen oder Proble- Schüler wider. auf der Theorie legitimiert aber kei-
me hatten, wurde einem immer neswegs die Defizite im praktischen
geholfen. Keiner wurde so zu sa- ¡¡ Ich würde sagen, ein guter Leh- Ausbildungsbereich.
gen „im Regen stehen gelassen“. rer braucht eine gewisse freund- Zum einen müssen die Studenten
Vor allem das muss ein guter schaftliche Basis, jedoch mit während des Studiums noch mehr
Lehrer für mich unbedingt mit- Vorbildfunktion und gegenseiti- in die Praxis involviert werden, um
bringen. gem Respekt. das Risiko, in diesem Beruf zu schei-
tern, auf ein Minimum zu reduzieren.
¡¡ Wenn ich überlege, welche ¡¡ Also ich finde, einen guten Leh- Denn durch die zahlreichen, in die-
Kompetenzen Lehrer haben sol- rer macht aus, dass er Fachwis- sem Beitrag aufgeführten Kompe-
len, um uns und unsere Nach- sen und auch Spaß am Unter- tenzerwartungen an eine Lehrkraft
folger auf das spätere Leben richt hat, dass er sich Zeit nimmt ist es nicht weiter verwunderlich,
im Beruf und auch im privaten für seine Schüler und nicht nur dass dieses Berufsfeld zu dem mit
Alltag vorzubereiten, fällt mir als versucht, den Unterrichtsstoff der höchsten Burnoutqoute zählt
Erstes die Sachkompetenz ein. zu schaffen. (Puschner 2012). Auch die Lehrer-
Außerdem ist es mir persönlich gesundheit und Gesunderhaltung
sehr wichtig, dass Lehrer viel ¡¡ Was ich aber für mich sagen muss einen Platz in der universitären
Sozialkompetenz besitzen, um kann, dass es sehr gut ist, wenn Ausbildung finden. "Life-Work-Ba-
mit viel Wertschätzung, Echt- man einen guten Lehrer als Vor- lance" - auch das ist eine Kompetenz.
heit und Empathie den Schul- bild hat, der immer ein offenes Außerdem muss im Studium noch
alltag authentisch zu gestalten. Ohr für seine Schüler hat und mehr die Tatsache berücksichtigt
Sie sollen den Schülern vermit- Fragen beantwortet. werden, dass der Lehrer nicht mehr
teln können, dass auch sie das an der Tafel steht und einen 45-mi-
durchgestanden haben. Es sol- Fazit: Werden aus diesen Medien nütigen Monolog hält, sondern,
len Aufgaben gestellt werden, und Aussagen die bei einem Lehrer dass dieser jetzt quasi die Rolle eines
die nicht nur den Lehrplan de- erwünschten Eigenschaften kompri- Moderators, eines Lern- und Lebens-
cken, sondern auch das logische miert wiedergegeben, so lassen sich begleiters hat. Die Rolle des „Mode-
Denken fördern, welchem wir diese wie folgt zusammenfassen: rators" impliziert auch keineswegs,
täglich ausgesetzt sind. Natür- Geduld, Talentscout, Fachwissen, dass jetzt die Schüler alles in Eigen-
lich dürfen wir nicht vergessen, Ahnung vom Leben, interessanter regie machen sollen und der Lehrer
dass Lehrer auch nur Menschen Unterricht, Beziehung zu den Schü- arbeitslos ist. Nein, es bedeutet viel-
sind und so wäre es wichtig, lern aufbauen, offen sein für Fort- mehr, dass er immer präsent ist und
wenn auch diese ihre Fehler ein- bildungen, Differenzierung, gute individuell steuernd eingreifen kann
gestehen, um so den Schülern Organisation, Interesse an Kindern, und unterschiedliche Lernvorausset-
Mut zu machen, dass man jede Vorbildfunktion. zungen und Entwicklungsprozesse
Hürde schaffen kann. Aber Leh- berücksichtigt. Bei den heutigen he-
rer und Schüler sollen sich nicht terogenen Klassen stellt dies - trotz
auf freundschaftlicher Ebene Abschließende Bemerkung sinkenden Klassendurchschnitts -
begegnen, denn Respekt und eine regelrechte Herausforderung
Autorität sind für eine schuli- Die Fachkompetenz stellt auch in dar. Während des Studiums wäre es
sche Ausbildung und eine Erzie- der heutigen Zeit nach wie vor für auch absolut sinnvoll, den Studie-
hung, wie sie im späteren Leben die Wissenschaft und Öffentlichkeit renden einen Einblick in die anderen
verlangt wird, von Bedeutung. eine der wichtigsten Kompetenzen Disziplinen zu ermöglichen. Sie soll-
Denn wann sollen es Schüler ler- dar, die eine Lehrkraft mitbringen ten auch Vorlesungen und Seminare

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der Fächer besuchen müssen, die sie gerade in dem sozial-kommunikati- In einem Beitrag von „Schule und
nicht (vertieft) studieren. Das würde ven Bereich eine hohe Kompetenz Wir" (2013, S.9) hat Kultusminister
der Tatsache Rechnung tragen, dass aufweisen, um eine gute Beziehung Spaenle festgehalten, dass wir uns
wir mit unseren Schülern gemein- zu den Schülern herzustellen. „auf ein gemeinsames Wertefun-
sam die großen Zusammenhänge dament verständigen" (müssen).
der einzelnen Fächer erforschen Insbesondere die Wertevermittlung Dabei muss immer auch Raum sein
und nicht mehr nur isoliert unser muss m.E. gerade heute, in Zeiten für eine Auseinandersetzung über
eigenes Fach betrachten. Wenn wir der Globalisierung, der religiösen Werte, Werthierarchien und Wert-
die Zusammenarbeit der einzelnen und politischen Konflikte, einen ordnungen - gerade auch vor dem
Fächer und Kollegen noch intensi- noch größeren Stellenwert einneh- Hintergrund einer zunehmend in-
vieren und wir den Schülern quasi men. Dank Kohlberg wissen wir, dass terkulturell geprägten Schule und
eine spannende „Geschichte" bieten, sich diese stufenweise vollzieht und Gesellschaft. Lehrer sind also nicht
in die sie eintauchen können, ist der aufeinander aufbaut. Daher sollten mehr nur Wissens-, sondern auch
Lernerfolg fast schon vorprogram- wir im Rahmen unserer Möglichkei- Wertevermittler. Eine äußerst an-
miert. ten im Unterricht immer wieder in spruchsvolle und vor allem verant-
Auch nach dem Studium sollen Leh- vielfältiger Weise Begründungen für wortungsvolle Aufgabe. Sie müssen
rer weiterlernen und ihre Fähigkei- Werte besprechen. Werte müssen ihr „Wissen und Können" (Reusser,
ten und Fertigkeiten weiter entwi- - unter Berücksichtigung des ver- 2014, S.327) verschmelzen, um be-
ckeln. Im Idealfall kommen Kollegen fassungsmäßigen Rechts der Eltern reit zu sein, ihre Fähigkeiten in varia-
oder der Schulleiter regelmäßig zu auf Erziehung ihrer Kinder - vorge- blen Situationen zur Problemlösung
Besuch in deren Unterricht. In Kana- lebt werden. Von Eltern und Lehrern. erfolgreich und verantwortungsvoll
da, Finnland oder den Niederlanden Schüler sollen lernen, Maßstäbe, heranziehen zu können (Weinert
ist das ganz normal - die Kollegen die angelegt werden, zu bewerten. 2001). Daher liegt für mich bei dem
können (z.B. im Rahmen der „kollegi- Wir Lehrer müssen unsere Schüler Zusammenspiel der geforderten
alen Hospitation") oft gute Tipps ge- bis hin zur konventionellen Phase, Kompetenzen und den gestiegenen
ben. In Deutschland ist das nicht so in der sich die jungen Menschen an Anforderungen an die Person des
verbreitet. Deutsche Lehrer fühlen einer gesellschaftlichen Ordnung Lehrers die Vermutung nahe, dass
sich bei solchen Besuchen nicht un- und deren Wertesystem orientieren, der Beruf des Lehrers eben nicht nur
terstützt, sondern eher kontrolliert. dauerhaft begleiten, um sie auch im ein Beruf, sondern doch eine Beru-
Hattie (Dein Spiegel 2014, S.21) sagt Rahmen des Bildungs- und Erzie- fung ist.
beispielsweise, dass das Feedback hungsauftrages zu mündigen (kri-
aber auch die Schüler übernehmen tisch denkenden, hinterfragenden)
können. Sie sollen durchaus sagen, Bürgern zu erziehen. Allerdings kön-
wenn sie etwas nicht verstehen oder nen Werte nur vermittelt werden,
ein Thema langweilig finden. Nicht wenn diese vorgelebt werden. Das Autor
als Nörgler, sondern freundlich - bedeutet im Umkehrschluss, dass
ganz so wie sich Schüler selbst ihre jede Lehrkraft, die Werte vermitteln
Lehrer wünschen. will, selber welche entwickelt/erlernt
Die Echtheit der Lehrperson sowie haben muss, damit es ihr jetzt ein
die Freude im Umgang mit Jugend- Anliegen ist, solche zu vermitteln.
lichen, die Achtung und Wertschät-
zung für sich und andere, ein offener,
vertrauensvoller Umgang genauso
wie die gegenseitige Akzeptanz von
Schülern und Lehrern spielen viel-
leicht - mehr als früher - eine nicht
zu verachtende Rolle. Denn diese
sind Garanten für ein positives Un-
terrichtsklima, das wiederum als Er-
folgsrezept gilt und auch von John
Hattie in seiner 2013 veröffentlich- Dr. Frank Puschner
ten Studie (Hattie 2014) bestätigt geboren 1978 in Augsburg, studierte Lehramt für Realschule
wird. mit den Fächern katholische Religionslehre und Mathematik,
Die Lehrer sind also Vorbilder. Na-
von Oktober 2005 bis September 2008, und promovierte im
türlich vermitteln sie in erster Linie
Stoff, keine Frage, aber es findet im- Fach Schulpädagogik bei Prof. Dr. Dr. Werner Wiater im Juni
mer mehr Kommunikation im (non- 2010. Seit Februar 2016 ist er stellvertretender Schulleiter an
verbalen) zwischenmenschlichen der Maria-Ward-Realschule Schrobenhausen. Außerdem ist er
Bereich statt und daher ist es unab- zertifizierter Marchtaler-Plan-Pädagoge und Vorsitzender der
dingbar, dass (zukünftige) Lehrkräfte
Unterrichtsplankommission für den Vernetzten Unterricht.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    24


Literatur

¡¡ Brühwiler, C./Helmke, A./Schra- 381. uni-rostock.de/fileadmin/IAS/


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der Schulleistung. In: Schweer wichtig sind. In: "Schule & Wir"; pdf, zuletzt geprüft am 05.03.2017.
M.K.W. (Hg.): Lehrer-Schüler-In- (Hg.): Bayerisches Staatsministeri- ¡¡ Puschner, F. (2012): ...bis zur völ-
teraktion. 3. Wiesbaden: Springer um für Bildung und Kultus, Wis- ligen Erschöpfung. Alarmierende
Fachmedien Wiesbaden GmbH, senschaft und Kunst. Nürnberg: Befunde: Lehrer erkranken be-
S.292. Prinovis S.6-11. sonders häufig an Burn-out. In:
¡¡ Dein Spiegel (2014): Liebe Lehrer ¡¡ KMK (2016): Standards für die Die Bayerische Realschule 58 (1),
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Spiegel, H. 2, S. 14-21. schaften. Online verfügbar unter: ¡¡ Reusser, K. (2014): Kompetenz-
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"Ziegi" - Professor für Nachhilfe. dungswissenschaften.pdf, zuletzt ¡¡ h t t p s : / / w w w. b z l - o n l i n e . c h /
In: Frankfurter Allgemeine vom aktualisiert am 12.06.2014, zuletzt archivdownload/artikel/
08./09. November 2014, Nr. 260, geprüft am 05.03.2017. BZL_2014_3_325-339.pdf zuletzt
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machen für Lehrpersonen. Balt- Evidenzen für Zusammenhänge de Leistungsmessung in Schulen
mannsweiler: Schneider zwischen Lehrerkompetenzen, – Eine umstrittene Selbstverständ-
¡¡ Hoppe-Graff, S./Schroeter, R./ Lehrerhandeln und dem Lernen lichkeit. Weinheim u. Basel: Beltz
Flagmeyer, D. (2008). Universitäre der Schüler. Zeitschrift für Päda- Verlag, S. 27f.
Lehrerausbildung auf dem Prüf- gogik, 51, S. 47-65. ¡¡ Süddeutsche Zeitung (2013): Leh-
stand: Wie beurteilen Referendare ¡¡ Lehmann G., Nieke W. (2005): rer sind doch auch nur Menschen.
das Theorie-Praxis-Problem? Em- Zum Kompetenzmodell. Online In Süddeutsche Zeitung vom
pirische Pädagogik, 22 (3), 353- verfügbar unter: http://www.iasp. 09.09.2013, Nr. 208, S. 13.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    25


Helga Rolletscheck
Welche Kompetenzen brauchen angehende Biologielehrerinnen
und -lehrer?

Biologie- die Lehre vom Leben- hat zu wollen. Biologieunterricht kann beantworten oder lösen zu können,
sich in den letzten 150 Jahren in und soll dabei helfen, zu den oft sehr werden verschiedene Kompetenzen
zahlreiche Unterdisziplinen aus- komplexen Herausforderungen der beansprucht. Die Rahmenkonzepti-
differenziert und wird heute unter heutigen Lebensgrundlagen Stel- on unterscheidet hier zwischen drei
dem Begriff Lebens- oder Biowis- lung zu nehmen und dabei „spezifi- Teilkompetenzen:
senschaften zusammengefasst (vgl. sche Handlungspotentiale“ (Heißler/
Sitte, 1999). Damit wurden auch die Hiebl 2016, S.9) aus dem Bereich der ¡¡ dem Erkennen und Formulieren
Lehrpläne für den Biologieunterricht Lebenswissenschaften zielgerichtet von Fragestellungen, die na-
mit immer mehr Detailwissen ange- einzusetzen. Dazu wurden von der turwissenschaftlich untersucht
häuft, was auf Kosten der Vermitt- Kultusministerkonferenz länder- und beantwortet werden kön-
lung von Zusammenhangswissen übergreifende Bildungsstandards nen,
ging. In Anbetracht der mittelmäßi- für den Mittleren Schulabschluss
gen Ergebnisse deutscher Schüle- in der Biologie verabschiedet (KMK ¡¡ dem Beschreiben und Erklären
rinnen und Schüler in den großen 2005). Diese Standards wurden in naturwissenschaftlicher Phäno-
internationalen Vergleichsstudien Form von Kompetenzen formuliert. mene und
(TIMSS oder PISA) kam es zur Wende Bezugspunkt für die normativ fest-
weg von der Inputorientierung hin gelegten Standards ist vor allem ¡¡ dem Interpretieren von natur-
zur Outputorientierung, welche in das Kompetenzkonzept der OECD, wissenschaftlicher Evidenz.
Kompetenzen in den Bildungsstan- welches die naturwissenschaftliche
dards festgeschrieben wurde. Grundbildung für die Fächer Biolo-
gie, Chemie und Physik beschreibt. Grundlage der Kompetenzen sind
Neben diesen Kompetenzen des Naturwissenschaftliche Kompetenz bestimmte Wissensbestände, die
Faches Biologie müssen angehende beschreibt demnach die Fähigkeit, differenziert werden in eher objekt-
Biologielehrkräfte auch in solchen naturwissenschaftliches Wissen bezogenes naturwissenschaftliches
Kompetenzen gestärkt werden, anzuwenden, um Fragestellungen Wissen und (Meta-)Wissen über die
die ihnen helfen, bei der Vermitt- zu erkennen, sich neues Wissen an- Naturwissenschaften.
lung der Sache den Adressaten mit zueignen, naturwissenschaftliche
seinem Vorwissen und seinen Ein- Phänomene zu beschreiben und aus Das objektbezogene naturwissen-
stellungen im Blick zu haben. Also Belegen Schlussfolgerungen zu zie- schaftliche Wissen wird aufgrund
beispielsweise auf die zunehmende hen, um Entscheidungen zu verste- der Fülle an Lebensformen in der
Naturentfremdung und die Inter- hen und zu treffen (PISA-Konsortium Biologie mittels Basiskonzepten
essenslosigkeit in Bezug auf viele Deutschland 2007)1 . strukturiert. Damit sollen die Ler-
Bereiche der Biologie eingehen zu nenden befähigt werden, mit natur-
können mit Diagnose-, Förder- und wissenschaftlichem Wissen umzuge-
Methodenkompetenz und grund- Dieses Verständnis von naturwissen- hen, „träges Wissen“ (Renkl 1996) soll
legend für alle Kompetenzbereiche schaftlicher Kompetenz, häufig auch verhindert werden.
die notwendige Begeisterung für die als naturwissenschaftliche Grund-
Sache mitzubringen. bildung beziehungsweise Scientific Neben dem Wissen spielen aber
Literacy bezeichnet, wird in einem auch motivationale Orientierungen
theoretischen Kompetenzmodell oder Einstellungen eine wichtige
Was sind „Kompetenzen“ strukturiert. Es ordnet wichtige Kon- Rolle für das Handeln in der Situati-
im Biologieunterricht? strukte gewissermaßen in einen on (Weinert 2001, S. 27). Das gelingt
Handlungsablauf ein: durch sinnvolle Auswahl geeigneter
Anwendungsbereiche oder Situati-
Kompetenzen sollen Menschen in Man begegnet in einer Situation onen, welche entweder das Indivi-
die Lage versetzen, Probleme zu er- einer naturwissenschaftlichen Fra- duum betreffen, eine Gemeinschaft
kennen, diese lösen zu können und ge- oder Problemstellung. Um diese oder die gesamte Erde.

1
http://archiv.ipn.uni-kiel.de/PISA/fr_reload.html?pisa_start.html

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    26


Konkret für die Fächer Biologe, Chemie und Physik wurden in den Bildungsstandards vier Kompetenzbereiche festge-
legt, welche sich schwerpunktmäßig auf die kognitive Dimension des Lernens (vgl. Lieme & Leutner 2010) beziehen:

Kompetenzbereiche für Biologie, Fachspezifische Beschreibung für Biologie


Chemie und Physik

Fachwissen Lebewesen, biologische Phänomene,


Begriffe, Prinzipien, Fakten kennen und den
Basiskonzepten zuordnen

Erkenntnisgewinnung Beobachten, Vergleichen, Experimentieren,


Modelle nutzen und Arbeitstechniken
anwenden

Kommunikation Informationen sach- und fachbezogen


erschließen und austauschen

Bewertung Biologische Sachverhalte in verschiedenen


Kontexten erkennen und bewerten

Tab. 1: Kompetenzbereiche der Bildungsstandards des Faches Biologie (KMK 2005)

Während der Kompetenzbereich „Fachwissen“ sich auf die inhaltliche Dimension des Faches bezieht, richten sich die
drei übrigen auf die Handlungsdimension des Lernens im Naturwissenschaftlichen Fach. Um die Kompetenzen zu
fördern, sind spezielle Aufgabenformate notwendig. Bezüglich ihres kognitiven Anspruchsniveaus werden diese in
drei Anforderungsbereiche zugeordnet (vgl. KMK 2005). Die Anforderungsbereiche beschreiben Stufen, die verschie-
dene Schwierigkeitsgrade innerhalb ein und derselben Kompetenz abbilden sollen. Es geht um Mindest-, Regel- und
Expertenstandards (Ziener 2010, S.55f ).

Kompetenzorientierung im Biologieunterricht heißt Outputorientierung im Blick auf kognitive und pragmati-


sche Fähigkeiten, Probleme zu lösen sowie affektive Bereitschaft und Fähigkeiten, die gefundenen Problem-
lösungen anzuwenden.

Kompetenzen im Bereich des Fachwissens


Biologieunterricht soll konzeptuelles Fachwissen vermitteln. Statt einer Fülle von zusammenhangslosem Detailwis-
sen geht es um die Strukturierung exemplarisch ausgewählter Bereiche anhand der drei sogenannten Basiskonzepte
(KMK 2005, 8):

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    27


Basiskonzepte Kompetenzbeschreibungen
Schülerinnen und Schüler…
System verstehen die Zelle als System.
erklären den Organismus und Organismengruppen
als System.
beschreiben und erklären Wechselwirkungen im
Organismus, zwischen Organismen sowie zwischen
Organismen und unbelebter Materie.

Struktur und bescheriben Zellen als sturukturelle und funktionelle


Funktion Grundbaueinheiten von Lebewesen.
stellenstrukturelle und funktionelle Gemeinsamkeiten
und Unterschiede von Organismen und
Organismengruppen dar.
beschreiben die strukturelle und funktionelle
Organisation im Ökosystem.

Entwicklung erläutern die Bedeutung der Zellteilung für


Wachstum, Fortpflanzung und Vermehrung.
beschreiben ein Ökosystem in zeitlicher Veränderung.
beschreiben und erklären stammesgeschichtliche
Verwandtschaft von Organismen.

Tabelle 2: Beispiele für Kompetenzbeschreibungen zum Umfang mit Fachwissen


(KMK 2005; S. 13 f.)

Das Basiskonzept Entwicklung enthält sowohl die Individual- als auch die stammesgeschichtliche Entwicklung (Phy-
logenese, Evolution).
Lernen wird in der Kognitionspsychologie als aktiver, konstruktiver Prozess der Lernenden aufgefasst, das nur dann
anschlussfähig ist, wenn es kumulativ erfolgt, also immer wieder erweitert und vertieft wird (sogenannte „learning
progression“ u.a. Duschl et al. 2007; Krajcik et al. 2012). Das gelingt durch die Vernetzung des Kompetenzbereichs
Fachwissen mit den drei handlungsbezogenen Kompetenzbereichen und der Auswahl von sinnvollen Problemsitua-
tionen. Da es auch in den anderen naturwissenschaftlichen Schulfächern Chemie und Physik die gleichen Konzepte
gibt, soll damit die interdisziplinäre Vernetzung von Wissen in den Naturwissenschaften angebahnt und gefördert
werden.

Konzeptuelles Fachwissen muss geleitet von Fragen und sinnvollen Problemsituationen kumulativ entwickelt
und gefestigt werden.

Kompetenzen im Bereich der Erkenntnisgewinnung

Angehende Biologielehrerinnen und -lehrer müssen den Weg des naturwissenschaftlichen Lernens- von der ge-
nauen Beobachtung, dem Vergleichen, dem Generieren von Problemfragen, dem Aufstellen von Hypothesen,
dem Erkunden hin zu logischen Schlussfolgerungen an verschiedenen Beispielen aus dem Lebensumfeld - prak-
tiziert haben. Dabei müssen unterschiedliche Erkundungsformen, speziell das Experimentieren, aber auch das
Nutzen von Modellen eingeübt worden sein. Unterstützend dazu kommt der Einsatz diverser Arbeitstechniken
(u.a. Sammeln, Präparieren, Arbeit mit Lupe und Mikroskop, Dokumentationsmethoden).
Dies gelingt durch forschendes Lernen unter Einsatz von Forscherheften, bei dem neben dem „hands on“ (prakti-
schem Arbeiten) ein „minds on“ (wissenschaftliches Denken) gefordert wird.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    28


Erkenntnismethode Funktion
Betrachten Erfassen morphologischer Merkmale zur Datenerhe-
bung
Beobachtung Erfassen von Prozessmerkmalen zur Datenerhebung
Untersuchen Erfassen von anatomischen Eigenschaften zur Date-
nerhebung
Experimentieren Erfassen von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen
zur Datenerhebung
Diagrammarbeit z.B. Beziehung von Daten visualisieren zur Datendo-
kumentation
Vergleichen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen biologi-
schen Systemen feststellen zur Datenanalyse
Argumentieren Dateninterpretation zur Ableitung hypothetischer
Gesetzmäßigkeiten oder Modelle
Modellarbeit Erstellen und Nutzen von Repräsentationen zur
Theorieentwicklung
Ordnen Systematisierung biologischer Systeme zur Theorie-
entwicklung
Hypothesenbildung Entwicklung möglicher Lösungsansätze für Problem-
stellungen
Tab. 3 abgewandelt nach Spörhase (2015, S.134)

Forschendes Lernen fördert Kompetenzen im Bereich der Erkenntnisgewinnung.

Kompetenzen im Bereich Fachliche Kommunikation als Teil Biologische Erkenntnisse müssen


der Kommunikation wissenschaftlicher Tätigkeit ver- bei der Anwendung vorab bewertet
langt fachliches Argumentieren, werden. Dazu bedarf es ethischer
Auswertung fachlicher Quellen und Maßstäbe.
Um Informationen sach- und fach- Verwendung verschiedener Darstel-
bezogen erschließen und austau- lungsformen. Weitere Kompetenzen für
schen zu können, bedarf es eines Biologielehrerinnen und
Repertoires an Fachbegriffen und Kompetenzen im Bereich -lehrer
sprachlich normierter Abläufe. der Bewertung
Ziel ist der Aufbau wissenschaftli- Auf Seiten der Adressaten - Schüle-
cher Vorstellungen. Beim Austausch Biologische Sachverhalte sollen in rinnen und Schüler - stellt man zu-
der unterschiedlichen Konzepte und verschiedenen Kontexten erkannt nehmende Naturentfremdung, eine
der Thematisierung von kogniti- und bewertet werden. Unter Bewer- Digitalisierung ihrer Lebenswelt und
ven Konflikten kommt der Sprache ten fällt es, „Sachverhalte, Gegen- häufig Desinteresse an biologischen
und dem Sprechen eine große Be- stände, Methoden, Ergebnisse etc. Zusammenhängen fest. Zu vielen
deutung zu. Aber auch bei der Re- an erkennbaren Wertkategorien (…) Bereichen bestehen alternative Kon-
cherche fachlicher Quellen müssen messen“ zu können (Niedersäch- zepte, die nur sehr schwer an die
geeignete Texte ausgewertet und sisches Kultusministerium 2007, S. fachliche Wirklichkeit heranzuführen
bewertet werden. Dabei spielt die 105). Beim Bewerten werden ethi- sind.
adäquate Auswertung von Quellen sche Reflexionen relevant. Speziell Um diese Kluft von Missverständnis-
unterschiedlicher Darstellungsfor- die komplexen ökologischen Zu- sen zu überbrücken und erfolgreich
men wie Diagramme und Tabellen sammenhänge und Themen der fä- Biologie unterrichten zu können,
eine besondere Rolle, die wiederum cherübergreifenden Bildungs- und müssen angehende Biologielehre-
beim Dokumentieren von besonde- Erziehungsaufgaben bieten sich rinnen und –lehrer aus meiner Sicht
rer Bedeutung sind. hierbei an. folgende Kompetenzen mitbringen:

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    29


Diagnose- und Förderkompetenz im Biologieunterricht:
Welches Vorwissen, welche Konzepte bringen die Schülerinnen und Schüler für die Biologiethemen mit? Auf welche
Weise lässt sich dieses eruieren? Nach welchen Kriterien kann ich die Schülerinnen und Schüler im Biologieunterricht
gezielt beobachten, um jedem Lernenden eine individuelle Kompetenzentwicklung zu ermöglichen?

Fragen Beobachten Eigenständig und mit an- Handeln und Kommunizieren Reflektieren und
stellen deren zusammenarbeiten umsetzen und präsentieren bewerten
Kind
Tab. 4 Beobachtungsmatrix – leicht abgewandelt - aus Heißler/Hiebl 2016, S.100

Jeder Bereich kann für die Bewertung in eine Skala eingeordnet werden. Beim Bereich „Beobachtung" beispielsweise
von der Wahrnehmung ohne Details bis hin zur Wahrnehmung spezifischer Details.

Methodenkompetenz nend und interessant sind. Bei je- tung der Lernumgebung, sollen sie
dem Unterrichtsthema sollte in der später den Schülerinnen und Schü-
Welche methodischen Großformen Unterrichtsplanung auf das Beson- lern als Coach und Berater bei der
können wie eingesetzt werden (u.a. dere, Faszinierende eingegangen Herausbildung der Kompetenzen
außerschulische Lernorte, Projekte, werden. Das können auch verblüf- zur Verfügung stehen.
Exkursionen), welche Sozialformen fende Phänomene und spannende
und welche Handlungsmuster bie- Experimente sein. Die Schülerinnen
ten sich wann an? und Schüler sind in der Auswahl der
Dazu müssen Projekte bereits im Themen explizit mit einzubeziehen:
Studium eigenständig durchgeführt z.B. Nutztiere und –pflanzen. Je nach
worden sein. Außerschulische Lern- Interesse können das Kühe, Honig-
orte sind aktiv vorzubereiten und bienen oder Hühner sein. Damit
mit Schülerinnen und Schülern an die Schülerinnen und Schüler den
exemplarischen Beispielen durchzu- Bezug zur außerschulischen Lebens- Autor
führen. wirklichkeit erkennen, bedarf es der
Einbindung außerschulischer Lern-
Begeisterungsfähigkeit – orte in den Biologieunterricht.
Interesse – Fragenstellen als
Angehende Biologielehrerinnen
Grundlage und Fundament und – lehrer müssen in allen Kom-
petenzbereichen der Biologie Per-
Die oben beschriebenen Kompeten- formanz in Anforderungssituatio-
zen können nur dann sinnvoll ange- nen zeigen. Trotz des Primats der
bahnt werden, wenn die Schülerin- eigenständigen Erarbeitung von
nen und Schüler mitgerissen werden Inhalten durch die Schülerinnen
durch die Begeisterungsfähigkeit und Schüler sollten sie in der Regel
der Lehrkraft, wenn sie Interesse an auf Fragen der Lernenden einge-
der Sache haben und Fragen stellen. hen können. Insbesondere benöti-
Die voliotionale Komponente der gen sie eine grundlegende Arten-
Kompetenzen (Probleme auch lösen kenntnis, aber auch eine eigene Dr. rer. nat. Helga Rolletschek
zu wollen) verlangt notwendiger Haltung zu aktuellen bioethischen KU Eichstätt-Ingolstadt, Leiterin
Maßen nach Motivation und Inte- Fragen. Mit eigener Begeisterung der Didaktik Biologie
resse an der Sache. Zudem gibt es für die Sache sollen sie später die
Untersuchungen, die zeigen, dass Lernenden motivieren. Um die Lange Jahre als
ein Lernen, das durch Interesse ge- Lernausgangslage, die Erfahrun- Grundschullehrerin,
prägt ist, erfolgreich ist mit Blick auf gen und Interessen, das Vorwissen dann als Seminarrektorin
das Verstehen des Gelernten (Har- der Lernenden zu eruieren, bedarf in der Ausbildung der
tinger &Fölling-Albers 2002, S. 82ff.). es diagnostischer Kompetenz und Grundschulreferendare tätig.
Angehende Lehrerinnen und Lehrer der Schulung der eigenen Beob-
der Biologie sind aufgefordert, für achtungskompetenz. Mit der ent- Promovierte in Didaktik der
sich Bereiche in der Biologie zu ent- sprechenden Auswahl geeigneter Biologie bei Professor Dr.
decken, die für sie besonders span- Medien und Methoden, der Gestal- Killermann.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    30


Literatur

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tik des Sachunterrichts) (Hrsg.): Neumann, K. & Nentwig. P. (Eds.),
Perspektivrahmen Sachunterricht. Making it tangible: Learning out-
Klinkhardt Verlag. (vollst. über- comes in science education (pp.
arb. und erw. Ausgabe). 261-283). Münster: Waxmann.
¡¡ Gropengießer, H., Harms, U.& ¡¡ Sitte, P. (1999). Ouvertüre. In P.
Kattmann, U. (Hrsg.). (2016). Sitte (Hrsg.), Jahrhundertwissen-
Fachdidaktik Biologie (10.Aufl.). schaft Biologie. Die großen The-
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¡¡ Hartinger, A./Fölling-Albers, M. ¡¡ Spörhase, U. (Hrsg.) (2015): Biolo-
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¡¡ Heißler, J. & Hiebl, P. (2016): Kom- ¡¡ Weinert, F.E. (2001). Vergleichen-
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leren Schulabschluss. Beschluss ¡¡ Ziener, G. (2010): Bildungsstan-
vom 16.12.2004. München: Lucht- dards in der Praxis. Kompetenz-
erhand. Verfügbar unter http:// orientiert unterrichten. Seelze:
www.kmk.org/fileadmin/Dateien/ Klett.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    31


Heiner Böttger, Julia Dose, Tanja Müller

Berufsfeldspezifische explorative Kompetenzen


bei Lehrkräften

Lehrkräfte sind eigentlich Forscher: sollen evolutionäre pädagogische -subjekte) im Unterricht selbst for-
Sie entwickeln, testen, evaluieren, und didaktische Weiterentwicklun- schendes und entdeckendes Lernen,
optimieren und verbessern – Un- gen auch tatsächlich im Unterricht so lassen sie sie berufsvorbereitende
terricht. Nur so lässt sich dieser in ankommen. Strukturen projekt- und prozessori-
allen Fächern grundlegend weiter- entierten sowie kooperativen und
entwickeln und unterliegt nicht ei- 1. Voraussetzungen für For- selbstständigen Lernens erfahren,
ner sich selbst spiralförmig immer schungskompetenzen erproben und reflektieren. Auf ei-
weiter abwertenden Meisterlehre ner solchen Forschungs-Meta-Ebe-
nicht-evidenter, methodischer Ver- ne werden ihre Forschungsobjekte
fahren. In einem solchen, lange Das Idealbild der institutionalisier- so zu Subjekten, die lernen selbst
überkommenen, aber in der Regel ten Implementierung von forschen- zu explorieren – ein Modelllehren
aktuellen Konzept lehren angehen- den Kompetenzen bei Lehrkräften wie -lernen par excellence. Der Kreis
de Lehrkräfte nur die Inhalte, die ih- ist visionär: würde sich schließen.
nen in der universitären Ausbildung Forschende Lehrkräfte hinterfragen Im Artikel sollen u.a. alle auf das Be-
bzw. der Seminar- oder Referendar- Lehr- und Lernsituationen, bilden rufsfeld LehrerIn bezogenen explo-
zeit beigebracht wurden. Das mag Hypothesen, erheben Daten und rativen Kompetenzen erörtert wer-
völlig ausgeschlossen klingen, fin- interpretieren. Von ihren Aus- und den – beispielhaft an der Thematik
det jedoch noch viel zu häufig statt FortbilderInnen an Universitäten, der Inklusion. Sie bilden Gelingens-
– mangels vorhandener Strukturen, in Seminaren und an den Ausbil- bedingungen für eine forschungso-
die es Lehrkräften aller Fächer, Klas- dungsschulen wurden sie genau rientierte und gleichzeitig reflektive
sen- und Schulstufen, ähnlich wie dazu angehalten, bekamen und be- Kompetenzentwicklung. Inklusive
dem wissenschaftlichen Personal kommen Zeit und Unterstützung. Settings formen dabei ein hervor-
an Universität, ermöglichen, neben Ihr reflektiertes Erfahrungslernen ist ragendes Anschauungsmodell, da
der Lehre aktive Forschung in ih- gleichzeitig eine empirisch-qualitati- sie Neuland für alle Beteiligten sind,
rem berufsfeldspezifischen Kontext ve Forschung, die sich durch eine su- Umorientierungen, Haltungswech-
(Methoden, soziologische Aspekte, chende, ergründende, verstehende sel, neue Erfahrungen und eine
Schulpsychologie, Pädagogik etc.) Perspektive sowohl auf den Lehr-/ hohe Flexibilität erfordern. Inklusive
zu betreiben. Eine einzige bekann- Lern-Prozessen im Klassenzimmer Unterrichtspraxis ist in der Regel nur
te Ausnahme im institutionalisier- als auch auf den fachlichen Inhalten good practice (vgl. Dose 2017), neue
ten Schulwesen in Deutschland selbst gründet. Erkenntnisse, Erfahrungen und Be-
bildet die Laborschule Bielefeld, in Die Anforderungen und Prädisposi- funde sind notwendig, um wenige,
der Lehrkräfte immer wieder unter- tionen solcher Kompetenzen kom- mühsame Schritte voranzukommen.
richtliche Forschungsanträge mit men nicht von allein. Sie beinhalten Eigene Forschungskompetenzen
dann nicht unerheblicher zeitlicher Kompetenzen in spezifischen fach- sind somit für Lehrkräfte, die solches
und wirtschaftlicher Unterstützung didaktischen Forschungsprozessen, Neuland betreten, unabdingbar.
stellen können. In der Regel jedoch in die Lernende, FachexpertInnen Lehrkräfte MÜSSEN also Forscher
kommt es in forschender Hinsicht und bestehende Erkenntnisse mit sein, wenn sie es noch nicht sind.
höchstens zu der bereits in der Pä- einbezogen werden müssen. Lern-
dagogik und Didaktik ausführlich prozesse in der Konsequenz auf der
beschriebenen, immer auf das Lehr- Grundlage von neuen Erkenntnissen 2. Begriffliche Evolution
deputat bezogenen zusätzlichen Ak- zu verändern und innovativ zu ge-
tionsforschung (Elliott 1991; Wallace stalten, heißt auch, sich flexibel auf
1998). Der vorliegende Artikel will die jeweiligen Lehr-/ Lern-Bedingun- Bei jeder berufsfeldbezogen explo-
einen Schritt weitergehen und zei- gen einer Schulklasse einzustellen. rativen (entdeckerischen) Initiative
gen, dass forschende Kompetenzen Ermöglichen die forschenden Lehr- haben alle Lehrkräfte die Möglich-
bei Lehrkräften entwickelt werden kräfte ihren Schülerinnen und keit, sich frei im beruflichen Wissens-
und in Standards der Lehrerbildung Schülern quasi als genuine For- und Begriffskontext zu bewegen
(vgl. BIG 2007) übergehen müssen, schungsobjekte (oder noch besser: und selbst zu entscheiden, welcher

1
http://www.uni-bielefeld.de/LS/laborschule_neu/index.html [Zugriff am 10.04.2017]

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Fragestellung sie nachgehen und 3. Forscherische Basiskom- stärkt und auf weitere Erfahrun-
welches forscherische Interesse sie petenzen gen neugierig macht. Dies sorgt für
entwickeln wollen. Dieses kann auch wachsende Sicherheit, die daraus
aus einer unterrichtlichen Notwen- Das in der Aktionsforschung erlang- resultierende, notwendige Risikobe-
digkeit resultieren, beispielsweise ei- te Wissen allerdings bleibt allerdings reitschaft und den Aufbau von zu-
ner ungelösten pädagogischen oder noch zu oft verborgen und wird nehmender Forschungsroutine, in
didaktischen Situation. höchstens als best practice-Erfah- die die Lernenden in einem zweiten
Explorative Initiativen sind zunächst rung bei Lehrerfortbildungen der Schritt aktiv miteinbezogen werden
eigentlich besonders für in Lehr-/ professionellen Gemeinschaft zu- sollten (vgl. Böttger/Dose 2017). So
Lernprozessen erfahrene Lehrkräfte gänglich gemacht. Fallstudien, Kurse ist ein Paradigmenwechsel weg von
geeignet, die bereits über ein breites oder Vorträge sind zwar geeignete der Meisterlehre zu schaffen, der ers-
Spektrum an diversen Kompetenzen Kommunikationsmittel, dazu müs- te Versuch in forschende Richtung
verfügen. Gleichzeitig lassen sich sen aber weitere Foren wie Sympo- gar bildlich gesprochen ein game
solche Herangehensweisen auch sien und Konferenzen sowie eigene changer.
schon früh in der Lehrerausbildung Journals genutzt werden können. Das Geheimnis, wenn dies über-
bei zukünftigen Lehrkräften entwi- Einzelne Erkenntnisse gilt es auf haupt eines darstellt, ist dabei unbe-
ckeln, denn sie werden maßgeblich ihre Generalisierbarkeit zu überprü- dingt die Reduktion von jedweder
durch Neugierde und Kreativität ge- fen und weiterzuentwickeln. In der Forschungskomplexität und die Er-
steuert. Dabei ist ein hohes Maß an Konsequenz daraus entsteht eine mutigung zur Kleinschrittigkeit, um
Selbstdisziplin notwendig, zusätz- Vergrößerung der Wissensbasis des Misserfolge auszuschließen. Kleine
lich ein gutes Fundament an empiri- Lehrerberufs sowie der damit be- Forschungserfolge, gut kommuni-
schem Wissen. fassten Wissenschaften. Sie verbin- ziert, ergeben ein Forschungsnetz-
Explorative Initiativen und Projekte den sich in geeigneter Weise zu spe- werk. Mit zunehmender Erfahrung
finden häufig im Rahmen von Ak- zifischen Kompetenzen. kann die Komplexität erhöht wer-
tionsforschung (Action Research) Insbesondere im Kontext von Inklu- den.
statt. Deren Grundprinzip ist der sion existiert inzwischen eine Viel- Im Folgenden werden solche Kom-
Kreislauf von Aktion und Reflexion zahl von didaktischen Konzepten petenzen benannt, die den be-
und einem anschließenden bzw. und Ansätzen (vgl. u.a. Böttger 2012; schriebenen Prozess unterstützen
fortwährendem Austausch in Akti- Amrhein/Bongartz 2014; Mendez können und im besten Fall Teil eines
onsforschungsnetzwerken, z.B. dem 2012), wie ein Unterricht gestaltet zukünftigen Aus- bzw. Fortbildungs-
internationalen CARN Netzwerk. werden sollte, um solchen Ansprü- curriculums sind. Sie basieren im
Dies bedeutet, dass diese beiden chen zu genügen. Es zeigt sich je- Wesentlichen auf den „Standards für
Prozesse immer aufeinander bezo- doch, dass sie nicht unreflektiert die Lehrerbildung“ des BIG-Kreises3
gen werden. Es handelt sich um kei- übernommen werden können, son- (BIG 2007).
nen abgeschlossenen Forschungs- dern für jede Lerngruppe individuell
prozess, sondern um ein stetiges adaptiert werden müssen, um der Reflexives Erfahrungswissen
Wiederholen von Aktion, Informa- Heterogenität und den individuellen aufbauen
tionssammlung, Interpretation und Bedürfnissen aller Lernenden ge-
Auswertung der Daten und daraus recht zu werden (vgl. Dose 2017). Je Lehrkräfte werden durch die didak-
resultierenden neuen Aktionen. mehr Erfahrungen von der Lehrkraft tische Anlage von Aus- und Fort-
Aktionsforschung ist somit ein län- in forscherischer Hinsicht gemacht bildung angeleitet, eine suchende,
ger andauernder Forschungs- und werden, desto breiter ist die menta- ergründende, verstehende Perspek-
Entwicklungszyklus mit Praxisorien- le, kognitive Erfahrung. Sie wieder- tive sowohl auf die Lehr-/Lern-Pro-
tierung. Ihr geht es vordergründig um ermöglicht eine schnellere Ver- zesse im Klassenzimmer als auch auf
nicht darum, Thesen aufzustellen, arbeitung neuer Erfahrungen, die die fachlichen Inhalte und die Lehr-/
die sich verallgemeinern lassen, son- die Voraussetzungen dafür bieten, Lern-Prozesse in der Ausbildung zu
dern um situatives Verstehen und sich erneut explorativ zu verhalten. entwickeln (BIG 2007, S. 7). Dabei
Verbesserung der Praxis. Das Ziel der Das Belohnungssystem unterstützt helfen empirische und hermeneu-
Lehrkraft ist die Evaluierung und Op- explorative Haltungen nachhaltig: tische Forschungsmethoden sowie
timierung der eigenen beruflichen Kognitionspsychologische Befunde verschiedene Instrumente wie z.B.
Kompetenz. Der zusätzliche Aus- (z.B. Krapp 1999; Rheinberg 1995) reflexive, auch virtuelle Tagebücher
tausch im Forschungsnetzwerk führt sagen aus, dass der eigenständi- oder Unterrichts- und Ausbildungs-
des Weiteren zu einer allgemeinen ge Zugang zur selbsterworbenen portfolios, die auch durch Adaptio-
Verbesserung von Unterricht. Erkenntnis das Selbstbewusstsein nen entsprechend an die heteroge-

2
https://www.carn.org.uk/ [Zugriff am 11.04.2017]
3
Der BIG-KREIS (Beratungs-, Informations- und Gesprächskreis) setzt sich zusammen aus Fachleuten aus Lehre und Forschung, aus Ministerien,
Staats- und Landesinstituten sowie aus der Unterrichtspraxis. Er arbeitet unter dem Dach der Stiftung LERNEN der Schul-Jugendzeitschriften
FLOHKISTE und floh! des DOMINO-Verlags. http://www.stiftung-lernen.de/ [Zugriff am 19.05.2017]. 3

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    33


nen Bedürfnisse der Schülerinnen fördernde Interaktionsformen (BIG rer beruflichen Wertvorstellungen
und Schüler angepasst werden 2007, S. 7). Die Aus- und Fortbildung und versuchen, sie weiterzuentwi-
können: mündliches Aufnehmen fördert deshalb konsequent den ckeln“ (Posch 2009, S. 1).
statt Verschriftlichung, geschlossene netzwerkartigen, professionellen Aktionsforschung basiert auf ein-
Aufgaben und Fragen zur Reflexion Austausch über den Bereich der fachen empirischen Methoden, die
anstatt komplexer Evaluationsaufga- Schule hinaus. Zukünftige Lehr- von Lehrkräften ohne immenses
ben. kräfte nutzen Veranstaltungen und Hintergrundwissen über statistische
Foren eines solchen Austauschs: Be- Verfahren oder empirischen Metho-
Forschend und entdeckend zugspunkte sind regionale, nationa- dologie umgesetzt werden und in
lernen le und internationale Konferenzen den normalen Unterricht integriert
und Partnerschaften, professionelle werden können. Das wichtigste Ele-
Lehrkräfte werden in explorativen Netzwerke mit ihren Publikationsor- ment ist die systematische Reflexi-
Kontexten dazu ermutigt und an- ganen und Kommunikationsformen. on, eine wiederkehrende Abfolge
geleitet, sich flexibel auf die jeweili- Ein notwendiger Bedarf dazu be- von einem kritischen Hinterfragen,
gen, immer heterogenen und indi- steht beispielsweise besonders im Reflektieren und Handeln in einem
viduellen Lehr-/ Lern-Bedingungen Bereich der Inklusion: Ohne Vernet- ständigen Kreislauf.
einer Klasse einzustellen (BIG 2007, zung bleiben Expertenwissen und
S. 7). Sie gestalten vornehmlich pä- Erfahrung auf den Aktionsrahmen Interesse entwickeln und Fragen
dagogische und fachdidaktische einer Schule beschränkt. stellen
Forschungsprozesse, in die idealiter
auch die Lernenden selbst sowie Kollegial zusammenwirken in der Aktionsforschung beginnt immer
FachexpertInnen mit einbezogen LehrerInnenbildung mit dem Aufstellen einer bedeutsa-
werden. Insbesondere im Kontext men Fragestellung. Dabei kann es
von Inklusion ist dabei für Lehr- Ein gemeinsames Interesse an fach- sich um ein derzeitiges Problem im
kräfte zu bedenken, dass diese For- didaktischen und pädagogischen Unterrichtsgeschehen handeln, aber
schungsprozesse nicht auf eine pure Fragen und die gemeinsame Verant- ebenso auch nur um eine Idee, wie
Individualisierung zielen, sondern wortung für die Entwicklung einer der Unterricht verbessert werden
den Lernenden die Möglichkeit zur forschenden Haltung bei Lehrkräf- kann. Je genauer eine Fragestellung
Kooperation und Lernen am ge- ten bringt die VertreterInnen der definiert ist, desto besser lässt sich
meinsamen Gegenstand lassen (vgl. unterschiedlichen Phasen der Aus-, gezielt an Faktoren arbeiten, die die-
Ziemen et al. 2011). Fort- und Weiterbildung zusammen se beeinflussen. Außerdem kann die
(BIG 2007, S. 8). Das gemeinsame In- Lehrkraft hierdurch die Ressourcen,
Modelllernen teresse und die gemeinsame Verant- die sie aufwenden muss, d.h. Mate-
wortung sowie die zu erwartenden rialien, Methoden, aber auch Zeit,
Die Lernumgebung in der Aus- und Ergebnisse fördern die Arbeit und besser einschätzen. Grundlegend
Fortbildung weist geeignete Struk- die Entwicklung einer forschenden für eine geeignete Fragestellung
turen auf, die Forschungen im Be- Lehr-/ Lernkultur, die auf dieser Basis ist zum einen die Umsetzbarkeit im
rufsfeld erfahrbar und erschließbar institutionelle Grenzen überschreitet Klassenzimmer und zum anderen
machen (BIG 2007, S. 7). Insbesonde- und damit das Verbindende stärkt. die Möglichkeit, die Erkenntnisse di-
re schon in der Ausbildung können Relevante inklusive Fragestellungen rekt zur Verbesserung von Unterricht
Erfahrungen projekt- und prozess- beispielsweise lassen sich nur durch zu nutzen.
orientierten sowie kooperativen kollegiale Zusammenarbeit lösen.
und selbstständigen forschenden Daten sammeln
Lernens gemacht, erprobt und re-
flektiert werden. Das Vorbild solcher 4. Forschen konkret Die Sammlung der Daten für die Ak-
Erfahrungen wird automatisch auch tionsforschung kann auf vielfältige
auf die Gestaltung eigener Lehrpro- Wenn Grundkompetenzen vorhan- Weise geschehen. Die entscheiden-
zesse übertragen. den sind, können Lehrkräfte zu For- de Frage ist dabei immer die nach
schenden werden. Im schulischen der Eignung der empirischen Me-
An professionellem Austausch Umfeld seit mehr als 30 Jahren ein thoden und deren Durchführbarkeit.
teilnehmen Begriff, aber dennoch eher selten im Alle Methoden besitzen ihre Vor-
deutschen Schulbereich angewen- und Nachteile und können verschie-
Die berufliche Entwicklung der det wird die sogenannte Aktionsfor- dene Arten an Informationen liefern.
Lehrkräfte als ForscherInnen bleibt schung (Action Research). Viele Lehr- Das Führen eines Tagebuchs durch
optimalerweise, einmal initiiert, ein kräfte betreiben auf der Mikroebene die Lehrkraft hat zum Beispiel den
lebenslanger Prozess. Fachliche Ge- des eigenen Unterrichts unbewusst Vorteil, recht einfach durchführbar
spräche und Erfahrungsaustausch Aktionsforschung: „Sie reflektieren zu sein und wird deswegen für den
sind notwendige, entwicklungs- ihre Praxis vor dem Hintergrund ih- Einstieg empfohlen. Die gesammel-

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ten Daten sind hier aber überwie- nisse, Methoden und abgeleiteten den Teams hierbei aktiv zur Seite.
gend subjektiv. Auch die Aktionsfor- Handlungsstrategien ist hierbei es- In Linz wählen die Studierenden ihre
schung unterliegt dem Grundsatz sentiell für einen Erfolg über das ei- Fragestellungen selbst hinsichtlich
der Gütekriterien: Validität, Reliabi- gene Klassenzimmer hinaus. ihres eigenen beruflichen Interesses
lität und Objektivität, jedoch in ge- aus und versuchen diese während
ringerem Maße als beispielsweise 5. Beispiele der der Praktikumszeit durch Befragun-
im akademischen Bereich. Um auch Implementierung gen, Beobachtungen und Literatur-
hier die Güte der Untersuchung studien zu beantworten. Auch hier
zu steigern, können verschiedene Aktionsforschung ist in die Lehrer- werden kleine Forschungsteams
Perspektiven in den Fokus gestellt bildung bislang noch zu wenig ein- gebildet mit einer kleinen Anzahl an
werden und gleichzeitig oder nach- gebunden. Verschiedene Möglich- Studierenden, einer Lehrkraft und
einander verschiedene Methoden keiten der Implementierung werden betreuenden Universitätsdozieren-
zur Beantwortung einer Problem- anhand von einzelnen Beispielen im den. Dazu findet eine entsprechen-
stellung herangezogen werden (vgl. Folgenden dargestellt (vgl. Altrich- de universitäre Begleitveranstaltung
Posch 2009, S. 9f ). ter/Lobenwein 1999; Altrichter 2003, statt.
S. 49; Posch 2009, S. 11ff ): Die Vermittlung von Erfahrungen
Forschungsstrategisch handeln Forschende Lehrerbildung findet an mit Aktionsforschung kann ebenso
Im Anschluss an eine intensive Ana- der Universität Oldenburg statt. Hier gewinnbringend auch in die Lehr-
lyse der Daten und ihre Interpre- werden die Lehramtsstudierenden kräftefortbildung integriert wer-
tation liegt es an der Lehrkraft, mit dazu aufgefordert, im Rahmen ihrer den. Österreich ist hier bereits seit
Hilfe der gewonnenen Ergebnisse schulischen Praktika verschiedene mehreren Jahrzehnten mit einem
didaktische Handlungsstrategien Fragestellungen untersuchen. Die Programm Pädagogik und Fachdi-
zu entwickeln. Durch diese wird im betreuenden Lehrkräfte entwickeln daktik für Lehrer/innen (PFL) aktiv.
günstigsten Fall das Grundproblem Fragen aus ihrer eigenen schuli- Der Lehrgang beschäftigt sich mit
gelöst bzw. die ungelöste Situation schen Praxis. Die Studierenden fin- „fachdidaktischen, fachlichen, me-
verbessert. Unterstützung bei der den sich je nach Interesse an diesen thodischen und pädagogischen Fra-
Entwicklung bietet das kollegiale Fragen zu kleinen Forschungsteams gestellungen (…). Methoden der Ak-
Netzwerk sowie die Fachliteratur. zusammen und beantworten diese tionsforschung bilden die Basis, um
Nach der Ausarbeitung folgt schließ- in Kooperation mit der Lehrkraft. In praktische Erfahrungen der Teilneh-
lich die Durchführung der geplanten einem regelmäßigen Plenum wer- mer/innen zu analysieren und fun-
Aktionen, und der Reflexions-Ak- den die Strategien und Erkenntnisse diert weiter zu entwickeln“ (Posch
tions-Kreislauf beginnt aufs Neue. diskutiert. Die forschungserfahrenen 2009, S. 12).
Eine Veröffentlichung der Erkennt- Dozierenden der Hochschule stehen

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    35


Autoren

Prof. Dr. Heiner Böttger Julia Dose Dr. Tanja Müller


ist Professor für Englischdidaktik ist Gymnasiallehrerin für Biologie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin
an der Katholischen Universität und Deutsch. Seit dem Jahr 2014 an der Professur für die Didak-
Eichstätt-Ingolstadt. ist sie Lehrkraft an der Franco- tik der englischen Sprache und
Sein Forschungsinteresse kon- nian International School und Literatur an der Katholischen
zentriert sich aktuell auf die wissenschaftliche Mitarbeiterin an Universität Eichstätt-Ingolstadt.
sprachenrelevante Neurodidak- der Professur für die Didaktik der Seit 2014 ist sie darüberhinaus
tik. Er untersucht, wie Kinder englischen Sprache und Literatur als Forschungsevaluatorin für die
und Jugendliche kommunikative an der Katholischen Universi- Europäische Kommission im Rah-
Kompetenzen erwerben, wel- tät Eichstätt-Ingolstadt. Sie ist men von Horizon 2020 tätig.
che Sprachstrategien sie dabei Doktorandin im Verbundprojekt
verwenden, welche Prozesse im „inklusives Leben und Lernen in
Gehirn der sprachlichen Entwick- der Schule“.
lung zugrunde liegen und welche
Gegebenheiten für den Erwerb
von drei und mehr Sprachen not-
wendig sind.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    36


Literatur

¡¡ Altrichter H./ Posch, P. (2007): 25-44. tionelle Überlegungen. In: Zeit-


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forschen ihren Unterricht. die Lehrerbildung: Empfehlungen 387-406.
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tionsforschung. Bad Heilbrunn: richt in der Grundschule. Mün- rausforderung und Chance. In:
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¡¡ Altrichter, H./Lobenwein, W. ¡¡ Böttger, H./Dose, J. (2017): Inklu- Basisheft (1), S. 5-8.
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Dirks, U.; Hansmann, W. (Hrsg.) ¡¡ Böttger, H. (2012): All inclusive? gleitforschung: 14. Fachtagung
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Weinheim: Deutscher Studienver- – Gedanken zur Passgenauigkeit. nordverbund-schulbegleitfor-
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nen. Theorie und Praxis einer pro- Studie zum Status quo in der Se- ment/tla/actionResearch/ARP_
fessionellen Lehrer/innenausbil- kundarstufe I. (unveröffentlicht) softchalk/ [Zugriff am 10.04.2017]
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dung. In: Bartosch, R; Rohde, A Buckingham et al.: Open Univer- Ziemen, K. u.a. (Hrsg.) (2011):
(Hrsg.) (2014): Im Dialog der Dis- sity Press. Inklusion – Herausforderungen,
ziplinen. Englischdidaktik – För- ¡¡ Krapp, A. (1999): Intrinsische Chancen und Perspektiven. Ham-
derpädagogik – Inklusion. Trier: Lernmotivation und Interesse. burg: Verlag Dr. Kovac, S. 9-19.
Wissenschaftlicher Verlag Trier, S. Forschungsansätze und konzep-

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    37


Verena Reinke, Ingrid Hemmer

Bildung für nachhaltige Entwicklung – über welche


Kompetenzen verfügen Lehrkräfte und Akteur/-innen aus
den außerschulischen Einrichtungen?

Im neuen bayerischen LehrplanPLUS, In dieser Formulierung wird deut- Unzureichend war einerseits die
der für die Grundschule bereits gül- lich, dass in BNE zwei frühere Ziele Verankerung in den Fachlehrplänen
tig ist und für die anderen Schular- und Bildungsansätze einfließen, die (z.B. Bagoly-Simó 2014), weil eine
ten voraussichtlich zum Schuljahr Umweltbildung sowie die entwick- sichtbare Verankerung nur in den Fä-
2017/18 in Kraft treten wird, wurde lungspolitische Bildung, die später chern Sachunterricht, Sozialkunde,
Bildung für nachhaltige Entwicklung in das Globale Lernen einmündete. Biologie und vor allem Geographie
(BNE) als neues fächer- und schul- Neu ist dabei das Zusammendenken gelang, andererseits die systemati-
artenübergreifendes Bildungs- und von Umwelt- und Entwicklungsthe- sche Ausbildung von Multiplikato-
Erziehungsziel wie folgt formuliert: men und die Erkenntnis, dass eine ren, also im Falle des Schulsystems
wirtschaftliche Entwicklung nur der Lehrkräfte (z.B. Siegmund/Jahn
„Bildung für Nachhaltige Entwick- dann nachhaltig und zukunftsfähig 2014, Hemmer 2016). In jüngster
lung (Umweltbildung, Globales ist, wenn man sie umwelt- und sozi- Zeit ist zu beobachten, dass BNE
Lernen) algerecht gestaltet. Dabei muss eine zunehmend in die jüngeren Lehr-
Im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung lokal wie pläne auch anderer Bundesländer
Nachhaltige Entwicklung entwi- global angestrebt werden und glo- implementiert wurde. Die Veran-
ckeln Schülerinnen und Schüler bale Gerechtigkeit sowie Generati- kerung in die Lehrerbildung der 16
Kompetenzen, die sie befähigen, onengerechtigkeit berücksichtigen. Bundesländer und verschiedenen
nachhaltige Entwicklungen als sol- Schularten ist kompliziert und bleibt
che zu erkennen und aktiv mitzu- Die Integration dieses neuen Ziels bisher noch ein Desiderat. Allerdings
gestalten. BNE in die fächer- und schularten- erhebt sich dabei die Frage, über
Sie entwickeln Verantwortungsbe- übergreifenden Ziele stellt einen welche Kompetenzen eine Lehrkraft
wusstsein für Natur und Umwelt wichtigen Schritt der strukturel- verfügen soll, um BNE in den Unter-
und erweitern ihre Kenntnisse über len Verankerung von BNE in das richt integrieren zu können. Zwar
die komplexe und wechselseitige bayerische Schulsystem dar. Diese gibt es ein allgemein anerkanntes
Abhängigkeit zwischen Mensch strukturelle Verankerung ist eine Kompetenzmodell für Lernende (de
und Umwelt. Sie gehen sorgsam Forderung des aktuell von 2015 bis Haan 2008), aber nicht für Multipli-
mit den ökologischen, ökonomi- 2019 laufenden BNE-Weltaktions- katoren. Hier besteht noch großer
schen und sozialen Ressourcen programms (WAP), das in Deutsch- Forschungsbedarf. Um diesem For-
um, damit Lebensgrundlage und land vom BMBF und der Deutschen schungsinteresse nachzugehen, ist
Gestaltungsmöglichkeiten der UNESCO-Kommission koordiniert es zunächst wichtig, Daten für eine
jetzigen und der zukünftigen Ge- wird. Im Juni 2017 soll ein nationaler Bestandaufnahme zu haben, um
nerationen in allen Regionen der Aktionsplan verabschiedet werden, empirische Grundlagen für ein Kom-
Welt gesichert werden. Die Schü- in dem die strukturelle Verankerung petenzmodell zu bekommen. Es
lerinnen und Schüler eignen sich von BNE in das formale Bildungswe- stellt sich darum die Frage, über wel-
Wissen über Umwelt- und Entwick- sen, genauer u.a. auch in Lehrpläne che Kompetenzen Lehrkräfte und
lungsprobleme, deren komplexe und in die Lehrerbildung, gefordert außerschulische BNE-Multiplikato-
Ursachen sowie Auswirkungen an wird. Bereits in der dem WAP vor- rinnen und Multiplikatoren bereits
und setzen sich mit Normen und ausgehenden UN-Dekade für BNE jetzt verfügen. Hier setzt die vor-
Werten auseinander, um ihre Um- (2005-2014) wollte man die Integra- liegende Studie an, die als Promo-
welt wie auch die vernetzte Welt tion von BNE in das Bildungswesen tionsvorhaben von Verena Reinke
im Sinne des Globalen Lernens vorantreiben. Es kam zu zahlreichen im Rahmen des Graduiertenkollegs
kreativ mitgestalten zu können“ guten Initiativen und Projekten, al- Nachhaltigkeit in Umwelt, Wirtschaft
(http://www.lehrplanplus.bayern. lerdings bleibt selbstkritisch zu ver- und Gesellschaft durchgeführt
de/uebergreifende-ziele/gymnasi- merken, dass eine strukturelle Ein- wurde (Altmeppen et al. 2017). Da-
um, letzter Abruf 13.04.2017). bindung nicht hinreichend gelang. bei war zunächst zu klären, welche

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theoretischen Grundlagen geeignet katorinnen und Multiplikatoren, die fachdidaktische Ausbildung in ihren
sind, um die Kompetenzen von Mul- im Bereich BNE, z.B. in Umweltzen- Fächern. Ob und in welchem Um-
tiplikatorinnen und Multiplikatoren tren oder Eine-Welt-Zentren, agie- fang sie im Rahmen des Studiums
in diesem fachübergreifenden Be- ren, sind mit großem Engagement jedoch auch Kenntnisse über BNE
reich BNE zu erfassen. tätig. Gerade bei Letztgenannten und Kompetenzen, diesen Bereich
ist der berufliche Hintergrund sehr zu unterrichten, bekommen haben,
vielfältig; die Multiplikatorinnen unterscheidet sich vermutlich sehr
Welche theoretischen und Multiplikatoren kommen aus stark. BNE als fachübergreifendes
Grundlagen gibt es, um unterschiedlichen Fachrichtun- Bildungskonzept sollte eigentlich
Kompetenzen von Multipli- gen, bringen jedoch vermutlich ein in verschiedenen, wenn nicht sogar
katoren zu erfassen? ausgeprägtes Interesse explizit an allen Fachdisziplinen thematisiert
nachhaltigkeitsrelevanten Themen werden. Das macht das Forschungs-
sowie eine Werteorientierung mit feld komplex, unterstreicht aber
BNE intendiert, bei den Lernen- und arbeiten gemäß den Leitbildern auch die Bedeutung der Frage, über
den eine Gestaltungskompetenz der Einrichtungen nach den Zielen welche Kompetenzen denn die Ak-
zu fördern, um heutige Lebensstile einer BNE. Diese strebt nicht nur an, teurinnen und Akteure derzeit wirk-
der Gesellschaft beurteilen, nicht Wissen über nachhaltige und nicht lich verfügen. Liegen hierzu empiri-
nachhaltiges Agieren erkennen und nachhaltige Prozesse zu vermitteln, sche Ergebnisse vor, dann kann auch
vermeiden sowie nachhaltige Hand- sondern auch die Analyse- und Re- die Frage nach den richtigen und
lungsalternativen aufzeigen zu kön- flexionsfähigkeit zu fördern, womit wichtigen Ausbildungsinhalten und
nen. Das Kompetenzmodell der Ge- BNE mehr fordert als rein fachspezi- –methoden für den Bereich BNE in
staltungskompetenz, das de Haan fische Kompetenzen. der Lehrerbildung valider beantwor-
(2008) für Lernende entwickelte, ist Für BNE-Multiplikatoren gibt es bis- tet werden.
über zwölf Teilkompetenzen näher her kaum Erkenntnisse, die sich auf
differenziert. Inwiefern jedoch deren die professionelle Handlungskom- Um die oben aufgeführten For-
Aufbau bzw. die Förderung dieser petenz von Lehrkräften oder au- schungsfragen beantworten zu
gelingt, ist maßgeblich abhängig ßerschulischen Multiplikatoren im können, wird auf das Modell der
von erfolgreicher Bildungsarbeit. Bereich BNE beziehen. Die wenigen professionellen Handlungskompe-
Somit ist die Wirksamkeit von BNE Modelle, die entwickelt wurden, tenz zurückgegriffen, weil BNE nicht
an die Ausprägung der spezifischen richten sich eher auf soziale Kom- nur interdisziplinäres und soziales
professionellen Handlungskompe- petenzen und das Arbeiten im Team Lernen umfasst, sondern sich auch
tenz der jeweiligen Multiplikatorin- (vgl. Steiner 2011) als auf kognitive auf bestimmte BNE-Inhalte aus den
nen und Multiplikatoren gebunden. Kompetenzen (vgl. Hellberg-Rode/ Bereichen Umwelt und Entwick-
Für den Fachunterricht ist im Rah- Schrüfer/Hemmer 2014). Dies ist lung richtet, Konzeptwissen zum
men der einschlägigen Theorien zur eine Herausforderung, die den For- Bereich nachhaltige Entwicklung
professionellen Handlungskompe- schungsbedarf auch dadurch deut- sowie BNE umfasst und die Förde-
tenz die Bedeutung des kognitiven lich macht, dass der Pool an BNE-Ak- rung bestimmter Kompetenzen, wie
Fachwissens und fachdidaktischen teuren sehr breit gefächert ist. Die z.B. Systemkompetenz, Bewertungs-
Wissens für guten Unterricht bereits außerschulischen Multiplikatorin- kompetenz und Reflexionskompe-
durch empirische Studien nachge- nen und Multiplikatoren agieren auf tenz, erfordert, wie Befragungen von
wiesen (vgl. Kunter et al. 2011). Zum einer unterschiedlichen Kompetenz- Experten und Lehrkräften zeigten
kognitiven Professionswissen von basis, die wiederum auf verschiede- (Hellberg-Rode/Schrüfer/Hemmer
Lehrkräften gehört neben diesen nen Expertisen beruht, was durch 2014, Hellberg-Rode/Schrüfer 2016).
beiden Wissensbereichen v.a. noch die Wahl der Studienfächer oder Dabei wird im Rahmen der vorlie-
das pädagogische Wissen (vgl. auch Berufsausbildungen begründet ist. genden Studie auf den Bereich der
Shulman 1986). Die professionelle Bezüglich der schulischen BNE-Ak- motivationalen Orientierung zusätz-
Handlungskompetenz umfasst über teure scheint der Ausbildungshin- lich ein besonderer Fokus gerichtet.
dieses kognitive Professionswissen tergrund im Vorfeld transparenter: Als Grundlage für die Messung der
hinaus noch motivationale Aspekte Jede Lehrkraft hat ein Studium ab- Kompetenzen der BNE-Multiplika-
und Werthaltungen, die im Rahmen solviert; so kann davon ausgegan- torinnen und Multiplikatoren wird
der Fragestellung dieser vorliegen- gen werden, dass diese Probanden ein Modell, das in Abwandlung des
den Studie besonders interessant fachwissenschaftliche und pädago- Modells von Kunter et al. (2011) ent-
sind. Nicht nur viele Lehrkräfte, gische Grundkenntnisse haben. Da- stand, zugrunde gelegt (vgl. Abb. 1).
sondern auch zahlreiche Multipli- rüber hinaus verfügen sie über eine

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    39


Abb. 1: Modell zur Erfassung professioneller Handlungskompetenz von BNE-Akteuren (eigener Entwurf nach Kunter et al. 2011)

Wie wurde die Studie


und die Rücklaufquote zu erhöhen, gewählt. Sowohl der Geographieun-
durchgeführt? – Design, die zum Beispiel bei schriftlichen Be- terricht als auch Bildungseinrichtun-
Stichprobe und Methode fragungen häufig nur bei 20% liegt. gen, die sich primär dem Globalen
Zudem ermöglichte die persönliche Lernen als Teilbereich der BNE wid-
Zunächst erfolgte eine Vorstudie Befragung auch einen Eindruck zu men und auch die, die einen eher
mit Interviews, um den außerschu- den unterschiedlichen Bildungsein- ökologischen Schwerpunkt haben,
lischen Bereich besser einschätzen richtungen. Gespräche nach der ei- beschäftigen sich im Rahmen ihrer
zu können, und eine zweite, um den gentlichen Befragung boten Diskus- Tätigkeit mit dem Klimawandel, so-
Fragebogen auf seine Validität und sionsmöglichkeiten über die Sicht dass mit diesem Oberthema hier
Reliabilität zu testen. Im Rahmen auf BNE und die Kooperationen eine gemeinsame Basis gefunden
der Hauptstudie wurde 2015 und zwischen Schulen und außerschuli- wurde.
2016 mit je 50 Geographielehrkräf- schen Einrichtungen. Der Fragebogen wurde auf der
ten an Gymnasien in Niedersachsen Die Höhe der Stichprobe war er- Grundlage des Modells der professi-
sowie 50 außerschulischen BNE-Ak- forderlich, um statistische Kompe- onellen Handlungskompetenz ent-
teurinnen und Akteuren aus au- tenzberechnungen durchführen zu wickelt (vgl. Abb. 1). Er umfasst also
ßerschulischen Einrichtungen (zur können. Die Wahl der Region Nie- die wesentlichen Facetten, die sich
Hälfte aus Umweltstationen und zur dersachsen ergab sich dadurch, weil auf einzelne Komponenten der pro-
Hälfte aus Eine-Welt-Einrichtungen) die Doktorandin aktuell mit einer fessionellen Handlungskompetenz
eine Befragung durchgeführt. Der halben Stelle an einem Gymnasium beziehen.
Fragebogen, der 31 Items umfasst, in Niedersachsen unterrichtet. Die Der Fragebogen beinhaltet fiktive
wurde von den Probandinnen und Beschränkung auf Geographielehr- Beispiele (Aufgabenstämme), an die
Probanden (Paper and Pencil) im kräfte erklärte sich dadurch, dass sich offene oder geschlossene Fra-
Beisein der Doktorandin ausgefüllt. Geographie derzeit das Hauptträ- gen (Items) anschließen. Diese Items
Die Beantwortung des Bogens dau- gerfach von BNE in den Sekundar- sind den in Abbildung 1 erwähnten
erte im Schnitt ca. 45 Minuten. Dies schulen ist. Facetten und deren Subfacetten (z.B.
war zwar ein erheblicher Aufwand, Als übergeordnetes Thema für den theoriegeleitete Unterscheidung
war aber notwendig, um eine stan- Fragebogen und die fiktiven Beispie- von drei Formen des Fachwissens)
dardisierte Situation herzustellen le wurde das Thema Klimawandel zugeordnet.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    40


Um Fachwissen abzufragen, das Erste Ergebnisse sich auch an vielen kreativen Ideen
über das allgemeine Wissen eines bei der Beantwortung von Fragen
Erwachsenen hinausgeht, gab es Welche Unterschiede und Gemein- zur Methodik zum Beispiel spiegel-
z.B. Items zum „Forschungswissen“ . samkeiten gibt es zwischen den bei- te. Bei nicht wenigen Lehrkräften
Anhand der Antworten kann festge- den Multiplikatorgruppen bei den hingegen bildete sich bei den Ant-
stellt werden, über welches vertiefte einzelnen Komponenten der pro- worten zur Motivation u.a. auch ab,
Fachwissen die Probanden zu den fessionellen Handlungskompetenz? dass sie von den Rahmenbedingun-
jeweiligen Phänomenen verfügen Die Berechnungen sind noch nicht gen und Beschränkungen im Unter-
(Auszug aus eigenem Fragebogen abgeschlossen. Eine systematische richtsalltag demotiviert sind.
2015): Auswertung nach den o.g. Facetten
und Subfacetten liegt derzeit noch Die o.g. Ergebnisse geben nur eini-
"Bitte kreuzen Sie an, was Ihrer Meinung nicht vor. Ausgewertet wurden je- ge wenige Einblicke. Sicher wird die
nach zutrifft (Mehrfachnennung): doch einige Einzelitems. weitere Auswertung noch spannen-
de Erkenntnisse bringen.
Das tiefgründige und dauerhafte
Erste Ergebnisse bringen jedoch
Auftauen des Permafrostbodens ... interessante Erkenntnisse. Beson-
o ... setzt große Mengen an ders deutlich zeigte sich, dass die Diskussion und
Methangasen frei. außerschulischen Akteurinnen und Schlussfolgerungen
Akteure im Bereich nachhaltige Ent-
o ... hat keinen großen Einfluss auf den
wicklung und BNE über ein deutlich für Ausbildung der
Treibhauseffekt.
besseres Konzeptwissen verfügen Multiplikatoren
o ... setzt CO2 frei.
als die Lehrkräfte.
o ... gehört zu den relevanten Die ersten Ergebnisse deuten bei al-
Rückkopplungsprozessen." Ebenso wurde ersichtlich, dass BNE ler Vorläufigkeit und Unvollständig-
aus der Sicht der außerschulischen keit darauf hin, dass die außerschu-
Akteurinnen und Akteure nicht als lischen Multiplikatoren im Vergleich
Dieses Item wurde gewählt, um zu eine Art „Zusatzfach“ gesehen wird, zu den Lehrkräften beachtliches
prüfen, ob die Probanden über ver- was sich bei den befragten Lehrkräf- Ausmaß an professioneller Hand-
tieftes Wissen zu den Zusammen- ten hingegen in einigen Fällen so lungskompetenz besitzen. Dies mag
hängen zwischen dem Auftauen des abbildete. BNE wird in außerschu- damit zusammenhängen, dass sie
Permafrostbodens und dem anthro- lischen Bildungseinrichtungen als in ihren Bildungseinrichtungen nur
pogenen Treibhauseffekt verfügen. Konzept verstanden, welches die wenige Themen und die dann ziem-
Das Wissen über Zusammenhänge Organisation der Bildungsveranstal- lich intensiv aufbereiten, während
ist notwendig, um Inhalte wirksam tungen gestaltet und dabei z.B. die die Lehrkräfte gerade an Gymnasi-
zu vermitteln. Intention der Reflexionsfähigkeit en ein breites Spektrum an Themen
In der Facette „fachdidaktisches Wis- sehr stark berücksichtigt und die Ler- behandeln und sich in die einzelnen
sen“ findet sich z.B. folgendes Item nenden in diesen Bereichen fördert Themen nicht so tief einarbeiten
der Subfacette „Erklären, Repräsen- und auch fordert. Somit trugen auch können. Um valide Schlussfolge-
tieren, Skizzieren“ (Auszug aus eige- Antworten auf die fachdidaktischen rungen zu ziehen, muss man je-
nem Fragebogen 2015): Fragen, die auf die Organisation von doch zunächst alle Ergebnisse und
Lernorganisationen abzielten, dazu diese im Detail analysieren. Diese
bei, Rückschlüsse auf das Konzept- Erkenntnisse sollen eine Grundlage
„Sie arbeiten im Plenum und erklä- wissen der Probanden zu ziehen. für ein empirisch-gestütztes Profil
ren den Treibhauseffekt. Bitte nen- professioneller Handlungskompe-
nen Sie drei besonders geeignete Zu bedenken sind bei den Ergeb- tenz von BNE-Akteuren bilden, an
Materialien, die Sie zur Unterstüt- nissen die unterschiedlichen Rah- denen sich die künftige Ausbildung
zung der Erklärung heranziehen menbedingungen. Lehrkräfte sehen von Lehrkräften und Multiplikatoren
würden.“ mit oft nur einer Stunde Geographie orientieren kann. BNE soll in Schulen
pro Woche und wenig Spielräu- nicht mehr als ein Zusatz gesehen
men für (interdisziplinäre) Projekte werden, sondern als Konzept, was
nach eigenen Aussagen nicht den den Fachunterricht mitgestaltet.
Eine ausführliche Darstellung zur Er- notwendigen Spielraum und die Dazu gehört zum Beispiel auch das
stellung des Fragebogens findet sich Rahmenvoraussetzungen für eine fachübergreifende Lernen.
in Reinke (2017). Die statistische „BNE-gerechte“ Lernsituation. Letz-
Auswertung erfolgte mit Hilfe eines teres zeigte sich auch bei den Items, Deutlich erkennbar ist in jedem Fall,
Kollegen aus der Pädagogischen welche die Motivation und Selbst- dass ein dringender Handlungs-
Psychologie, der auf Kompetenzaus- wirksamkeit erhoben. Bei den außer- bedarf besteht, BNE in der Lehrer-
wertungen mit Hilfe der Item-Res- schulischen Akteuren war die Moti- bildung stärker zu verankern, ei-
ponse-Theory spezialisiert ist. vation, das Thema „Klimawandel“ zu nerseits angesichts der Ergebnisse
unterrichten, durchaus hoch, was dieser Studie, andererseits aufgrund

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    41


der Vorgabe des neuen bayerischen sprechende Angebote zu machen
LehrplanPlus, dieses fächer- und und dabei auch die Kooperation
schularten-übergreifende Ziel zu re- mit außerschulischen Einrichtungen
alisieren. Das ZLB.KU wird sich in der nutzen.
nächsten Zeit darum bemühen, ent-

Autoren

ist Doktorandin an ist Professorin


der KU-Eichstätt- für Didaktik der
Ingolstadt, wiss. Geographie an der KU
Mitarbeiterin am Eichstätt-Ingolstadt ,
Lehrstuhl für Didaktik Nachhaltigkeitsbeauf-
der Geographie an tragte der Universität
der HU Berlin und seit 2010 und Mitglied
Gymnasiallehrerin des Leitungsteams des
in Wilhelmshaven. ZLB.KU.
Verena.reinke@ku.de

Verena Reinke Prof. Dr. Ingrid Hemmer

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    42


Literatur

¡¡ Altmeppen, K.-D./Zschaler, F./Za- & Hemmer, M. (2014): Brauchen in Umwelt, Wirtschaft und Gesell-
demach, H.-M./Böttigheimer, C.& Lehrkräfte für die Umsetzung von schaft. Interdisziplinäre Perspek-
Müller, M. (2017): Nachhaltigkeit Bildung für nachhaltige Entwick- tiven. Springer: Open Access, S.
in Umwelt, Wirtschaft und Gesell- lung (BNE) spezifische profes- 241-255.
schaft. Interdisziplinäre Perspekti- sionelle Handlungskompetenz? ¡¡ Shulman, L.S. (1986): Those who
ven. Springer: Open Access. Theoretische Grundlagen, For- understand: Knowledge growth in
¡¡ Bagoly-Simó, P. (2014): Imple- schungsdesign und erste Ergebnis- teaching. In: Educational Resear-
mentierung von BNE am Ende der se. In: Zeitschrift für Geographie- cher, 15, H. 2, S. 4-14.
UN-Dekade. Eine internationale didaktik, H. 4, S. 257-281. ¡¡ Siegmund, A./ Jahn, M. (2014):
Vergleichsstudie am Beispiel des ¡¡ Hemmer, I. (2016): Bildung für BNE in der Lehramtsausbildung
Fachunterrichts. Zeitschrift für nachhaltige Entwicklung. Der an baden-württembergischen
Geographiedidaktik, H. 4, S. 221- Beitrag der Fachdidaktiken. In: Hochschulen. www.rgeo.de/de/p/
256. Menthe, J. u.a. (Hrsg.): Befähigung bnel/, letzter Abruf 13.04.2017.
¡¡ De Haan, G./Kamp, G./Lerch, A./ zu gesellschaftlicher Teilhabe. ¡¡ Staatsinstitut für Schulqualität
Martignon, L./Müller-Christ, G. & Münster (= Beiträge der fach-di- und Bildungsforschung Mün-
Nutzinger, H.-G. (2008): Nachhal- daktischen Forschung Band 10), chen (2017): LehrplanPLUS.
tigkeit und Gerechtigkeit. Grund- S. 25-40. Internet-quelle: http://www.
lagen und schulpraktische Kon- ¡¡ Kunter, M./Baumert, J./Blum, W./ lehrplanplus.bayern.de/uebergrei-
sequenzen. Berlin, Heidelberg: Klusmann, U./Krauss, S.& Neu- fende-ziele/gymnasium , letzter
Springer. brand, M. (2011): Professionel- Abruf 13.04.2017
¡¡ Hellberg-Rode, G./Schrüfer, G. le Kompetenz von Lehrkräften. ¡¡ Steiner, R. (2011): Kompetenzori-
(2016): Welche spezifischen pro- Ergebnisse des Forschungspro- entierte Lehrer/innenbildung für
fessionellen Handlungskompe- gramms COACTIV. Münster, Bildung für Nachhaltige Entwick-
tenzen benötigen Lehrkräfte für New York, München, Berlin: Wax- lung. Kompetenzmodell, Fallstu-
die Umsetzung von Bildung für mann. dien und Empfehlungen. Müns-
Nachhaltige Entwicklung (BNE)? ¡¡ Reinke, V. (2017): Professionel- ter: Verlagshaus Monsenstein
In: ZDB Zeitschrift für Didaktik le Handlungskompetenz von und Vannerdat (=Schriftenreihe
der Biologie 20, H. 1, S. 1-29. BNE-Akteuren. In: Altmeppen, Bildung & Nachhaltige Entwick-
¡¡ Hellberg-Rode, G./ Schrüfer, G. K.-D et al. (Hrsg.): Nachhaltigkeit lung).

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    43


Klaudia Schultheis, Petra Hiebl

Internationalisierung@home im Lehramtsstudium:
Das "International Project (IPC)"

Die Lehrerausbildung muss auf die zunächst die Ziele, das didaktische ¡¡ offen zu sein für internationale
gesellschaftlichen, sozialen und kul- Konzept und die didaktischen Va- Begegnungen und über gute
turellen Herausforderungen, die sich rianten des IPC Projekts. Danach Fremdsprachenkompetenz zu
heute in den Schulen widerspiegeln, zeigen wir anhand der jüngst entwi- verfügen (insbesondere in der
vorbereiten. Internationalisierung ist ckelten Variante IPC Basic den kon- englischen Sprache),
dabei ein Aspekt, der immer mehr an kreten Verlauf auf, und stellen aktu-
Bedeutung gewinnt. Die Situation elle Evaluationsergebnisse vor. ¡¡ Unterrichtsprojekte, die the-
an den Schulen ist gekennzeichnet matisch und didaktisch die
durch die wachsende Heterogenität interkulturelle bzw. globale
und Diversität in der Schülerschaft „International Project Perspektive berücksichtigen, in
infolge (IPC)“ für globale Kompe- Teamarbeit planen zu können,
tenzen
¡¡ moderne Medien, Informations-
¡¡ von Mobilität und Migration technologien und das Internet
und der zunehmenden Zahl an Wie können Lehramts-Studierende für den eigenen Unterricht zu
Flüchtlingen und Asylsuchen- globale Kompetenzen erwerben? nutzen,
den, Dieser Frage geht das „Internatio-
¡¡ der zunehmenden kulturellen
nal Project (IPC)“ des Lehrstuhls für ¡¡ internationale Kooperation
Grundschulpädagogik und Grund- von Partneruniversitäten in der
und sozialen Diversifizierung
schuldidaktik an der Katholischen Lehramtsausbildung,
der Schülerinnen und Schüler
Universität Eichstätt-Ingolstadt seit
und
2008 mit internationalen Partnern in ¡¡ und Begegnungen mit den in-
¡¡ der Herausforderung durch sechs Ländern (Bulgarien, Deutsch- ternationalen Projektpartnern.
Inklusion im Rahmen der Um- land, Japan, Polen, Spanien, USA)
setzung der UN-Behinderten- nach. Dabei werden Projektsemi-
rechtskonvention. nare mit unterschiedlichen Schwer-
punkten entwickelt, erprobt und Didaktisches Konzept
evaluiert, in denen Studierende aus
Darüber hinaus kommt den Schulen verschiedenen Ländern online zu-
die Aufgabe zu, die Schülerinnen sammenarbeiten (vgl. http://inter- In vielen Jahren erprobt und eva-
und Schüler auf ein Leben in einer nationalproject-ipc.com). luiert, bietet das IPC Projekt eine
zunehmend globalisierten und me- Ziel des „International Project (IPC)" Kursstruktur, die mit Hilfe des Inter-
diendominierten Welt vorzuberei- ist es, den zukünftigen Lehrerin- nets und moderner Kommunika-
ten. Für Lehrerinnen und Lehrer wird nen und Lehrern Kompetenzen zu tionstechnologien zur Internatio-
es deshalb zunehmend wichtiger, vermitteln, die ihnen ermöglichen, nalisierung des Lehramtsstudiums
die internationale bzw. globale Per- gesellschaftlichen, sozialen und kul- beiträgt, und zwar durch die ge-
spektive in Schule und Erziehung turellen Herausforderungen zu be- meinsame Arbeit internationaler
einzubringen, aber auch im Umgang gegnen. Dazu gehören: studentischer Teams an konkreten,
mit digitalen Medien versiert zu sein. selbstentwickelten Fragestellungen
Im folgenden Beitrag stellen wir ¡¡ Lernthemen in internationaler und Projekten. Im Sinne eines Kom-
das „International Project (IPC)“ des bzw. globaler Perspektive sehen petenz-Trainings, gleichzeitig aber
Lehrstuhls für Grundschulpäda- und aufbereiten zu können: auch in seiner personenorientierten
gogik und Grundschuldidaktik an global, nachhaltig und werte- Ausrichtung, bietet dieses Modul für
der Katholischen Universität Eich- orientiert, angehende Lehrerinnen und Lehrer
stätt-Ingolstadt vor. Das IPC Projekt die Möglichkeit, konkrete Projekte in
ermöglicht den Lehramtsstudieren- ¡¡ „cultural awareness and internationalen Gruppen selbststän-
den, während ihres Studiums an der sensitivity“ im Umgang mit dig vorzubereiten, durchzuführen
Heimatuniversität internationale Schülerinnen und Schülern aus und dabei interkulturelle Erfahrun-
Erfahrungen zu machen (Internati- vielfältigen Herkunftsländern gen zu sammeln.
onalisierung@home). Wir erläutern auszubilden, Im „International Project“ (IPC) wird

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    44


der Projektgedanke auf die Hoch- len Team zusammen, entwerfen ge- Aufbaus professionellen Wissens im
schuldidaktik übertragen. Es handelt meinsam und in Selbstverantwor- Rahmen des Studiums, d.h. der Ent-
sich um eine Projektarbeit, die Kom- tung ein Forschungsprojekt, das sie wicklung von fachlicher Kompetenz
petenzen im Bereich des selbststän- im Anschluss (auch durch Exkursio- im jeweiligen Studienfach. Darüber
digen und kooperativen Arbeitens nen) durchführen und abschließend hinaus spielt die Entwicklung von
entwickelt, vertiefte Erfahrungen präsentieren. Die Themen des Kurses Projektkompetenz eine bedeuten-
mit modernen Internet- und Kom- können wahlweise auch vorgege- de Rolle. Sie umfasst neben der Ent-
munikationswerkzeugen vermittelt, ben und die Arbeitsabläufe durch wicklung von Eigeninitiative auch
aber vor allem die professionelle Ex- wöchentliche Arbeitsaufgaben und Teamfähigkeit und Kommunikati-
pertise der Studierenden erweitert Leistungsnachweise strukturiert onsbereitschaft in der Gruppe. In
durch interkulturelle Kontakte, Ko- werden. Die Vorgehensweise hängt Kombination mit dem Einsatz vielfäl-
operationen und inhaltliche Verglei- stark von der zur Verfügung stehen- tiger moderner Web-Technologien
che im Rahmen des Curriculums für den Zeit ab. Gegenwärtig kooperie- erwerben die Kursteilnehmerinnen
das Lehramtsstudium. ren im IPC Projekt Universitäten aus und Kursteilnehmer weitgehende
Die Studierenden der verschiedenen Spanien, Bulgarien, Polen, Japan, Kompetenzen im Umgang mit inter-
internationalen Partneruniversitäten USA und Deutschland. netbasierten Tools.
wählen aus ihrem Studienbereich Das IPC Konzept basiert auf einem
ein sie interessierendes und anspre- konstruktivistischen Verständnis Die Originalität des „International
chendes Thema, schließen sich mit des Lernens. Bedeutung haben die Project (IPC)" beruht darauf, dass
Kommilitoninnen und Kommilito- selbständige Beschaffung von Infor- es bedeutende und weitreichende
nen anderer am Projekt teilnehmen- mationen und die Konstruktion von Kompetenzen für das Lehramtsstu-
der Hochschulen in einer Online Wissen im kommunikativen Prozess. dium in einer einzigartigen Kombi-
Community zu einem internationa- Diese stehen immer im Dienste des nation vermittelt.

Abbildung s. http://www.internationalproject-ipc.com/de/kompetenzen-und-lernziele [08.03.2017]

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    45


Für die Studierenden mit nicht-eng- www.internationalproject-ipc.com/ Lehramtsausbildung - geht es da-
lischer Muttersprache erweitern sich de/didaktische-konzeption-didakti- rum, Studierende in einem inter-
die fremdsprachlichen Kompeten- sche-formate-des-international-pro- nationalen Online-Seminar mit re-
zen. Die Arbeit in einem internati- jects-ipc [15.03.2017]). levanten Inhalten des Curriculums
onalen Setting trägt zum Aufbau Im Folgenden stellen wir das Format der Lehrerausbildung vertraut zu
positiver Haltungen gegenüber „IPC Basic“ vor, erläutern den kon- machen (http://www.international-
anderen Ländern bei. Der Erwerb kreten Ablauf und stellen aktuelle project-ipc.com). Durch die interna-
kommunikativer Kompetenz erfolgt Ergebnisse zur Kursevaluation vor. tionale Zusammenarbeit wird ein
im Rahmen der Teamarbeit, der Beitrag zur Internationalisierung
Selbsttätigkeit und Kommunikati- der Lehrerausbildung geleistet, wo-
on in einer internationalen Gruppe Kursvariante „IPC Basic“, bei insbesondere folgende Ziele
zur Abstimmung des Projektplans, entwickelt in deutsch-japa- fokussiert werden: Erstens verfolgt
des zeitlichen Ablaufs sowie bei der nischer Kooperation IPC-Basic das Anliegen, zukünfti-
Projektdurchführung. Internetkom- ge Lehrerinnen und Lehrer auf ein
petenz wird erworben durch den Mit Förderung des Deutschen Aka- Unterrichten in einer globalisierten
Einsatz moderner Informationstech- demischen Austauschdienstes Welt vorzubereiten, welches u.a. von
nologien und webtools, wie content DAAD wurde eine Kursvariante „IPC Integration, Migration und Mobilität,
systems, online platforms, weblogs, Basic“ (Schultheis, Hiebl & Pfrang) von sozialer und kultureller Diversi-
wikis, discussionboards, chatrooms, entwickelt, die speziell an die Be- tät im Klassenraum und von moder-
Skype, Doodle und Online Sur- dürfnisse der Zusammenarbeit nen Medien und Kommunikations-
vey tools, wie z.B. Survey-Monkey zwischen Japan und Deutschland technologien geprägt ist. Zweitens
oder SurveyGismo. Kollaborative angepasst ist. Insbesondere finden wird durch dieses Vorgehen ein Be-
Webtools ermöglichen es beispiels- kulturelle und fremdsprachliche wusstsein für kulturelle Unterschie-
weise, Fragebögen als Online-For- Kompetenzen, aber auch die unter- de und globale Fragen gefördert
mulare direkt an den Partnerstand- schiedliche universitäre Ausbildung und die Studierenden erhalten die
orten auszufüllen, Fragen synchron Berücksichtigung. Möglichkeit, verschiedene Perspek-
per Chat oder asynchron über Foren tiven auf Unterricht, Lernen und Er-
zu besprechen oder Konzepte in Wi- Im Mai 2016 fand ein Arbeitstreffen ziehung kennen zu lernen. Letztlich
kis zu erstellen. Die Studierenden in Nagasaki statt, an dem, neben den wird den Studierenden durch die
gewinnen darüber hinaus einschlä- Projektverantwortlichen, auch Stu- Teilnahme ermöglicht, ihr kritisches
gige fachliche Expertise im Hinblick dierende beider Länder teilnahmen. Denken, ihre Problemlösungskom-
auf das Studiencurriculum. Dazu Inhalt des Arbeitstreffens war die petenzen und ihre Fähigkeit zum
gehören auch die Kenntnis und das Entwicklung und Evaluierung von Perspektivwechsel zu entwickeln
Verständnis interkultureller Diffe- „IPC Basic“. Ziel von „IPC Basic“ ist es, bzw. zu vertiefen.
renzen und der Erziehungs- und den zukünftigen Lehrerinnen und
Bildungssysteme anderer Länder. Lehrern Kompetenzen zu vermitteln, Um diese Ziele zu realisieren, arbei-
Der vergleichende Blick auf Unter- die ihnen ermöglichen, Lernthemen ten die Studierenden in einem inter-
richtsmethoden, Curricula, Kindheit in internationaler bzw. globaler Per- nationalen Online-Seminar mit der
etc. ermöglicht den Studierenden spektive sehen und aufbereiten zu Kurssprache Englisch an relevanten
eine erweiterte Perspektive und ein können: global, nachhaltig und wer- Inhalten und Fragen zu Unterricht,
tieferes Verständnis von Lehren und teorientiert. Lernen und Erziehung. Während der
Lernen im Kontext von Schule. Projektarbeit werden die Studieren-
Das Besondere an diesem Ar- den von Dozentinnen und Dozenten
Bislang gibt es vier verschiedene di- beitstreffen war, dass Studierende sowie studentischen Tutorinnen und
daktische Varianten des IPC Projekts: beider Länder (Studierende der Tutoren aller beteiligten Universi-
IPC Basic, IPC Research, IPC Inclass KUEI und Studierende der Junshin täten begleitet. Um gemeinsam an
und Classroom IPC. IPC Basic fokus- Catholic University Nagasaki) an Themen zu arbeiten, werden Web-
siert auf kollaboratives Lernen und der Evaluierung des Konzeptes für Tools verwendet, wie z.B. Wikis,
die gemeinsame Erarbeitung von „IPC Basic“ beteiligt waren. In einem Chat-Foren oder Blogs.
curriculum-relevanten Lerninhalten. gemeinsamen Workshop wurde
IPC Research stellt das forschende das vorbereitete Lehrkonzept (On- Die Kursstruktur gliedert sich in vier
Lernen in den Mittelpunkt. Schwer- line-Kursplattform, Themenstellung Phasen:
punkt in der Variante IPC InClass ist und Methodik) begutachtet sowie
das vergleichend-reflexive Lernen die ausgesuchten Materialien (Texte, (1) Vorbereitung: Start-up Meeting
in der internationalen Gruppe. Pra- Videos) gesichtet. an den lokalen Universitäten, Ver-
xisorientiertes Lernen anhand von traut werden mit dem Online-Kurs,
Unterrichtsprojekten mit Schulen Bei „IPC Basic“ – einem flexiblen Kennenlernen der Online-Plattform
bietet das Classroom IPC (vgl. http:// Kurskonzept für den Beginn der und der beteiligten Personen.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    46


(2) Theorie: Erarbeitung und Diskus- die Situation und die Rahmenbedin- to be a good teacher?“ durchgeführt
sion wesentlicher Inhalte, Kennen- gungen, stellen Bezüge zum Unter- werden. Inhaltlich anzusiedeln ist
lernen methodisch-didaktischer Vor- richt her. Hier kommen oft nationale das Thema im Bereich der professio-
gehensweisen für die Aufbereitung Besonderheiten zur Sprache, aber nellen Entwicklung von Lehrerinnen
eines Inhaltes; auch Gemeinsamkeiten – eine Erfah- und Lehrern, u.a. Lehrerkompeten-
rung, die das gegenseitige kulturelle zen und Lehrerpersönlichkeit.
(3) Transfer: Planung eines Projektes Verständnis erweitert. Die im Folgenden ausgewählten
für Schülerinnen und Schüler oder Die Kursstruktur IPC Basic ist für Evaluationsergebnisse zeigen die
Studierende, Erstellen einer Präsen- Grundschullehramtsstudierende Einschätzung der Lernergebnisse
tation über das Projekt und konzipiert, jedoch auf alle Lehrämter der Studierenden.
übertragbar. Am Kurs beteiligt waren neben
(4) Reflexion: Präsentation der Pro- Deutschland und Japan auch die
jekte an den jeweiligen Universitä- Länder Bulgarien, Polen, Spanien
ten; Diskussion und Evaluation. Evaluationsergebnisse zu und USA. Der Kurs wurde durch
„IPC Basic“ die Studierenden (n=83; vollstän-
Durch die Förderung von Fach-, Pro- dige Antworten n=75) mit einem
jekt- und Internetkompetenz bildet Online-Fragebogen evaluiert. Die
„IPC Basic“ einen besonderen Akzent Unter Federführung von Prof. Dr. Verteilung der Studierenden nach
in der Lehramtsausbildung. Gerade Klaudia Schultheis und Prof. Dr. Chi- Muttersprache zeigt die folgende
der internationale Vergleich relati- zuko Suzuki (Catholic Junshin Uni- Übersicht:
viert und vertieft die Erfahrung, die versity Nagasaki) konnte „IPC Basic“
die Studierenden gemacht haben. im Wintersemester 2016/ 17 das ers-
Sie tauschen sich aus, vergleichen te Mal zum inhaltlichen Thema „How

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    47


Frage 8 des Evaluationsbogens bezieht sich auf die persönlich erreichten Kompetenzen. Hinsichtlich der anvisier-
ten Kompetenzen Interkulturelle/ Globale Kompetenz, Fachkompetenz, Internetkompetenz, Projektkompetenz und
Fremdsprachenkompetenz attestieren die Antworten der Studierenden durchgehend gute Erfolge.
Siehe detaillierte Auswertung im Folgenden:

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    48


Ausgewählte Kommentare „The international atmosphere, I could es nicht möglich, im Rahmen ihres
zu „IPC Basic“ aus den offe- improve my English level, I could reflect Studiums einen Auslandsaufenthalt
nen Antworten about my job , use a new platform, zu absolvieren. Projekte zur Interna-
learn new tools as wikis, how to do a tionalisierung@home können durch
poster, a mind map,” die Nutzung technischer Möglich-
keiten zur Internationalisierung von
Die offenen Antworten geben weite- Curricula beitragen, den Austausch
ren Einblick in die subjektiven Erfah- „I felt challenged as I was learning to und Kontakt zwischen deutschen
rungen einzelner Studierender: navigate and use the technology while und internationalen Studierenden
learning about the topic at the same fördern und eine „virtuelle Mobilität“
time. This is not a dislike, merely an für Studierende schaffen.
„I liked to have contact with students opportunity for growth that I am still
of other countries, to chat with them reflecting on.” Das „International Projekt (IPC)“ an
and to learn new things about their der Katholischen Universität Eich-
countries. It was also good that we stätt-Ingolstadt bietet mit der Mög-
could decide how we manage our time Internationalisierung@ lichkeit zur Integration des Kurses
and when we work for the project.” home in das reguläre Semesterprogramm
und einer überschaubaren Organi-
Ziel der Internationalisierung@ sation eine exzellente Möglichkeit,
„How I was able to communicate with home ist es, möglichst allen Studie- Internationalisierung@home umzu-
others studying the same topic in a renden den Erwerb internationaler setzen. Das Konzept ist für andere
different country and seeing similarities und kultureller Kompetenzen zu er- Fachinhalte und Studiengänge ein-
and differences in results.” möglichen. Vielen Studierenden ist fach adaptierbar.

Autoren

ist Inhaberin des ist Akademische


Lehrstuhls für Oberrätin mit
Grundschulpädagogik Forschungsaufgaben
& Grundschuldidaktik am Lehrstuhl für
an der Katholischen Grundschulpädagogik
Universität Eichstätt- & Grundschuldidaktik
Ingolstadt und im Leitungsteam
des Zentrums für
Lehrerbildung und
Bildungsforschung
der KU Eichstätt-
Prof. Dr. Klaudia Schultheis Dr. Petra Hiebl Ingolstadt.

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    49


Veranstaltungen zum Themenschwerpunkt „Digitalisierung"

19. Juni 2017:


Netzwerktreffen für
Schulleitungen an Grund- und
Mittelschulen
Zeit:
Montag, 19.Juni 2017, 14:00 – 17:00 Uhr
Ort:
International Office (Foyer), Marktplatz 7, 85072 Eichstätt
Ab 13:30 Ankommen, Kaffee
14 Uhr: Begrüßung
14:15-15:45: Vortrag: Digitale Bildung
Referent: MiB Tobias Frischholz
In diesem Vortrag geht es um digitale Bildung und wie
Digitalisierung unsere Gesellschaft verändert. Zudem
wird der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen
dies auf den schulischen Kontext hat.
anschließend Kaffeepause
16:15 – 17:00: Moderierte Aussprache/
Möglichkeit für weitere Themen
einzubringen 20. September 2017:
Netzwerktreffen für
Schulleitungen an Realschulen
und Gymnasien

„Digitale Bildung"

05. Oktober 2017:


4. Eichstätter Lehrertag „Digitale
Medien im Unterricht“
von ca. 9:00 Uhr bis 17 Uhr
Mit Vorträgen und Workshops
Weitere Veranstaltungen

finden Sie unter

http://www.ku.de/zlb/aktuelles/
veranstaltungentermine/

Zeitschrift des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung Erste Ausgabe  |    50


1. Ausgabe

Ausblick

Prof. Dr. Stefan Seitz,


Dr. Petra Hiebl

Lehrerkompetenzen sind, das tioniert werden. Alle in den Lebenswelt - unter anderem
wird aus der Rückschau auf Kontext der beruflichen Aus- und gerade auch von Kin-
die verschiedenen Beiträge bildungsphasen Involvierten dern und Jugendlichen – in
deutlich, ein überaus komple- sind hierbei aufgerufen, in den schulischen Alltag immer
xes und multidimensionales Kooperation und wechselsei- stärker hineinreicht: Die Digi-
Geflecht aus bereits vorhan- tigem Austausch die zentralen talisierung von Schule. Im Sin-
denen Veranlagungen und Kompetenzen gemeinsam an- ne des Hauses der „Medien-
einer Fülle von mehr oder zubahnen und weiterzuentwi- pädagogik“ wird hier sowohl
weniger erlernbaren Professi- ckeln. auf medienerzieherische und
onsstandards, die von Beginn In der nächsten Ausgabe der mediendidaktische Aspekte
der beruflichen Ausbildung Zeitschrift ZLB.KU wird der als auch auf die informations-
an bis zum Ende des Berufsle- Fokus auf einen Aspekt von technische Grundbildung der
bens als berufsbiographischer Schule gelegt, der im Zuge Schülerinnen und Schüler,
Lernprozess kontinuierlich fortschreitender Technisie- aber auch ihrer Lehrkräfte ab-
weiterentwickelt und perfek- rung und Mediatisierung der gehoben.

Impressum
Die Zeitschrift ZLB.KU wird vom Leitungsteam des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZLB.KU) der Katholischen
Universität Eichstätt-Ingolstadt herausgegeben. Diskutiert werden jeweils Themenschwerpunkte der Lehrerbildung aus der Per-
spektive der Phasen der Lehrerbildung.
Die Zeitschrift erscheint digital unter: www.ku.de/zlb

Herausgeber
Leitungsteam Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung ZLB.KU:
Prof. Dr. Rainer Wenrich (Vorsitzender), Prof. Dr. Ingrid Hemmer (stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Heiner Böttger, Dr. Petra
Hiebl, Prof. Dr. Stefan Seitz

Kontakt
Zeitschrift.ZLB@ku.de

Redaktion
Dr. Petra Hiebl, Prof. Dr. Stefan Seitz

Layout
Lena Erhardt, Inka Möwes, Dr. Petra Hiebl, Prof. Dr. Stefan Seitz

Titelbild
Dr. Christian Klenk

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