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Kursbuch Politikwissenschaft I 2nd

Edition Peter Massing Sabine Achour


Hans Jürgen Bieling Stefan Schieren
Johannes Varwick
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Sabine Achour, Hans-Jürgen Bieling, Peter Massing,
Stefan Schieren, Johannes Varwick (Hg.)

Kursbuch
Politikwissenschaft 1

Grundkenntnisse und Orientierung

WOCHENSCHAU VERLAG
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-


bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de ab-
rufbar.

© WOCHENSCHAU Verlag,
Dr. Kurt Debus GmbH
2., akt. Aufl., Frankfurt/M. 2022

www.wochenschau-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie
oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert
oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart


Umschlagmotiv:© Vastram-stock.adobe.com

utb-Band-Nr. 5828
ISBN 978-3-8252-5828-3
ISBN (PDF): 978-3-8385-5828-8
DOI: https://doi.org/10.46499/1953
Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

PETER MASSING
Politikwissenschaft in Deutschland - Entwicklung und
Selbstbeschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

HUBERTUS BUCHSTEIN
Politische Theorie - Ihre Konturen, Ausdifferenzierungen
und gesellschaftspolitischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

SABINE KROPP
Das politische System Deutschlands -
Entwicklungslinien und Schwerpunkte eines Teilgebietes
der Politikwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

HANS-JOACHIM LAUTH, CHRISTOPH MOHAMAD-KLOTZBACH


Die Entwicklung der Vergleichenden Politikwissenschaft in
Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

JOHANNES VARWICK
Die Lehre von den Internationalen Beziehungen -
Entwicklungslinien und Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

STEFAN SCHIEREN, JANA WINDWEHR


Die Europäische Union 119

HANS-JÜRGEN BIELING
Internationale Politische Ökonomie (IPÖ): Interdisziplin
und Integrationswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
THORSTEN FAAS, SVEN VOLLNHALS
Methoden der Politikwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

KERSTIN POHL
Politikdidaktik- eine interdisziplinäre Sozialwissenschaft 184

Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207


7

Einleitung

Das „Kursbuch Politikwissenschaft"

Die Existenzberechtigung der Politikwissenschaft liegt in der gesell-


schaftlichen Vermittlung von Wissen über das Politische. Ziel des
„Kursbuch Politikwissenschaft" ist es, den Leserinnen und Lesern
einen Einblick in und einen Überblick über die Entwicklungsetap-
pen der Politikwissenschaft in Deutschland, ihre zentralen Themen
sowie den Fragestellungen der wichtigsten Teilgebiete der Politik-
wissenschaft zu geben. Es zeigt auf, wie sich die Gegenstände dieser
Teildisziplinen verändert haben, welche Themenkonjunkturen sich
erkennen lassen, welche Kontinuitäten und Brüche festgestellt wer-
den können und wie diese mit gesellschaftlichen und/oder politi-
schen Ereignissen zusammenhängen. Darüber hinaus wird erörtert,
ob sich die Perspektiven auf den Gegenstand der Politikwissenschaft
verändert haben, welchen Methoden im Laufe der Entwicklung im
Zentrum standen, wie sich die Politikwissenschaft als interdiszipli-
näre Wissenschaft darstellt und welche Nachbardisziplinen dabei ei-
ne Rolle spielen. Es geht also um einen Entwicklungsbericht und ei-
ne Standortbestimmung der Politikwissenschaft.
Das „Kursbuch" bietet Lehrenden und Lernenden in Hoch-
schule, Schule und außerschulischer politischer Bildung eine sowohl
verständliche als auch differenzierte Einführung in die Politikwis-
senschaft. Es ermöglicht erfahrenen Praktikerinnen und Praktikern,
deren Studium schon eine Weile zurückliegt, die Auffrischung und
Aktualisierung ihrer politikwissenschaftlichen Kenntnisse. Darüber
hinaus ist es für alle nutzbar, die sich über die Entwicklung und den
aktuellen Stand des etablierten akademischen Faches Politikwissen-
schaft informieren möchten.
Das „Kursbuch Politikwissenschaft" unternimmt diesen Ver-
such in insgesamt neun Beiträgen, die jeweils auch eine geschlosse-
8

ne Einführung in ein bestimmtes Themenfeld bieten. In seinem ein-


leitenden Beitrag skizziert Peter Massing Entwicklungsetappen und
Selbstbeschreibungen der deutschen Politikwissenschaft als akade-
mische Disziplin. Orientiert an den klassischen Teilgebieten behan-
deln Hubertus Buchstein den Bereich „Politische Theorie", Sabine
Kropp den Bereich „Politisches System Deutschlands", Hans-Joa-
chim Lauth und Christoph Mohamad-Klotzbach den Bereich „Ver-
gleichende Regierungslehre" und Johannes Varwick den Bereich
,,Internationale Beziehungen". Dem Umstand, dass die Politikwis-
senschaft sich in den vergangenen Jahren weiter ausdifferenziert hat
tragen weitere Beiträge des Bandes Rechnung: Stefan Schieren und
Jana Windwehr stellen das Teilgebiet „Europa" vor und Hans-Jür-
gen Bieling den Bereich „Internationale Politische Ökonomie". Der
Beitrag von Thorsten Faas und Sven Vollnhals zu den ,,Methoden
der Politikwissenschaft" spiegelt wider, dass die empirische For-
schung an Bedeutung gewonnen hat. Der letzte Beitrag zu den Teil-
gebieten der Politikwissenschaft von Kerstin Pohl widmet sich der
,,Politikdidaktik".
SabineAchour, Hans-Jürgen Bieling, Peter Massing,
Stefan Schieren undJohannes Varwick

Dieser Beitrag ist online auffindbar unter


DOI https://10.36198/9783838558288-1-2
Politikwissenschaft in Deutschland 9

PETER MASSING

Politikwissenschaft in Deutschland -
Entwicklung und Selbstbeschreibungen

Die Neugründung der Politikwissenschaft

Die Neugründung der Politikwissenschaft als eigenständige Wis-


senschaftsdisziplin und die Errichtung der ersten politikwissen-
schaftlichen Lehrstühle an den westdeutschen Universitäten nach
der Neugründung der Länder ist eng verbunden mit der Reeduca-
tionspolitik der Amerikaner und der übrigen westlichen Alliierten.
So erfolgte die Etablierung und Begründung der Politikwissenschaft
als Universitätsdisziplin vor allem im Hinblick auf ihre politische
Bildungsfunktion. Diese Bildungsfunktion steht denn auch im Zen-
trum der drei Konferenzen, die eine Neugründung der Politikwis-
senschaft als eigenständiges universitäres Lehr- und Forschungsge-
biet sowie die Errichtung politikwissenschaftlicher Lehrstühle an
den westdeutschen Universitäten forderten. Die erste Konferenz, die
im September 1949 im südhessischen Waldleiningen stattfand, trug
den Titel „Einführung der politischen Wissenschaften an den deut-
schen Universitäten und Hochschulen". Sie gilt als eigentliche
Gründungskonferenz der Politikwissenschaft. Angeregt und finan-
ziert wurde sie durch die amerikanischen Militärbehörden (vgl.
Bleek 2001, 266 ff.). An ihr nahmen neben deren Vertretern vor al-
lem Repräsentanten deutscher Kultusverwaltungen und Universitä-
ten, sowie der Vorsitzende der American Political Science Associa-
tion (APSA), Qiincey Wright teil. Darüber hinaus waren Teilneh-
mer dieser Konferenz deutsche Emigranten aus Amerika unter Füh-
rung von Karl Löwenstein eines starken Befürworters einer neuen
Politikwissenschaft (vgl. von Alemann 1995, 35). Der hessische Kul-
1O Peter Massing

tusminister Stein begründete in seiner Eröffnungsrede die Erweite-


rung des Universitätsstudiums auf dem Gebiet der sozialen und po-
litischen Wissenschaften durch die Bedeutung der politischen Er-
ziehung (Bleek2001, S. 266ff.; Mohr, 1988, 99). Er beklagte,dass es
,,in der akademischen Ausbildung der deutschen Jugend an einer in-
tensiven Unterrichtung in den Problemen des internationalen Zu-
sammenlebens und des Zusammenlebens der Völker bisher gefehlt
hat." Politik solle „fester Bestandteil des Bildungsganges werden",
damit der Vollbürger das zur Erfüllung seiner Pflichten notwendige
Wissen erwerbe. Außerdem solle es darum gehen, ,,die Jugend in ei-
nem neuen Geist und in demokratischem Sinne zu erziehen, gegen
autoritative wie kollektivistische Versuche und Gefahren zu festigen
und sie zu Menschen zu bilden, die in Verantwortung vor dem Ewi-
gen in der Zeit und in dem Volkleben" (Waldleiningen 1949, 13 ff.).
Die Konferenz verabschiedete eine Resolution, in der sie die Einbe-
ziehung der Politikwissenschaft in den Studienplan der Universitä-
ten und Hochschulen als unerlässlich und dringend bezeichnete. Er-
wogen werden sollte, die politikwissenschaftlichen Vorlesungen ge-
gebenenfalls für alle Studenten verpflichtend und zum Gegenstand
von Prüfungen zu machen (Waldleiningen 1949, 104). Am Ende
wurden die Länder aufgefordert, Lehrstühle für politische Wissen-
schaften einzurichten. (Waldleiningen 1949).
Für die Durchsetzung der Politikwissenschaft war dieser Bezug
zur politischen Bildung von strategischer Bedeutung. Es ging also
nicht nur um ein „demokratisches Belehrungspathos" (Klaus von
Beyme), sondern es war auch handfeste Interessenpolitik und der
Versuch sich gegen die Widerstände in den Universitäten und der
Westdeutschen Rektorenkonferenz, die noch Ende 1949 eine eigen-
ständige Politikwissenschaft ablehnten, zu behaupten. Um die Exis-
tenzberechtigung eines selbstständigen Faches Politik, gegenüber
zunehmenden Bedenken und Vorurteilen zu verteidigen, sahen sich
die Anhänger der Politikwissenschaft gezwungen, erneut zusam-
menzukommen. Dieses Treffen, mit dem Thema „Die Wissenschaft
im Rahmen politischer Bildung", fand im März 1950 statt und wur-
de von der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin organisiert.
Politikwissenschaft in Deutschland 11

Die Teilnehmer stellten fest: ,,Es gibt eine eigene Wissenschaft von
der Politik. Sie soll in Forschung und Lehre entsprechend der be-
sonderen deutschen Situation entwickelt werden". Außerdem be-
tonten sie die Notwendigkeit der „politischen Selbsterziehung des
deutschen Volkes", zu der die „Wissenschaft von der Politik" eine
unabdingbare Voraussetzung sei (Mohr 1988, llüff.). In seinem
Grundsatzreferat hatte Alfred Weber über den Sinn und die Bil-
dungsaufgabe der Politikwissenschaft gesprochen. Die Politikwis-
senschaft hielt er für notwendig als Fundament der politischen Bil-
dung, der sich alle Studenten unterziehen müssten. Weber schloss
seinen Vortrag mit der Forderung, dass die Politikwissenschaft ihre
Ergebnisse in die Öffentlichkeit tragen müsse:

,,Wir brauchen unbedingt ein solches Hinaustragen an die er-


wachsene Bevölkerung. Denn politische Unwissenheit ist eine
Krankheit. Nur politisches Wissen auf der Grundlage politi-
scher Wissenschaft kann den Virustöter hervorrufen, der diese
Krankheit einschränkt.( ... ) Die politische Wissenschaft kann
ihre Aufgabe, das politische Leben zu entgiften, nicht erfüllen,
wenn sie nicht aus ihrer akademischen Eingeschlossenheit he-
rausgeht.( ... ) Erst wenn die politische Wissenschaft ins Gan-
ze des Lebens ausstrahlt, kann sie das werden, worüber ich zu
sprechen hatte: Bildungsfaktor" (Vgl. Detjen 2013, 126; Deut-
sche Hochschule für Politik Berlin 1950, 14).

Auf der Berliner Tagung hat sich die Forderung nach Einrichtung
der Politikwissenschaft als eigenständiger Disziplin endgültig
durchgesetzt. Die Wissenschaft von der Politik untersuche analysie-
rend und zusammenfassend die gesamtgesellschaftlichen und ge-
schichtlichen Verhältnisse unter politischen Gesichtspunkten. Als
Gegenstand dieser Wissenschaft wurde u.a. festgehalten: die Gestal-
tung des öffentlichen Lebens, der Erwerb und der Gebrauch von
Macht, Innenpolitik und internationalen Beziehungen und die An-
wendung der Ergebnisse auf die politische Tagespraxis. Die gegen-
wärtige deutsche Wirklichkeit verlange für die politische Wissen-
12 Peter Massing

schaft die Errichtung eigener Forschungszentren, Lehrstühle und


Arbeitsgemeinschaften an allen akademischen Bildungsanstalten
sowie die Entwicklung der Wissenschaft von der Politik an eigenen
Hochschulen. Die Ergebnisse der Arbeit der politischen Wissen-
schaft solle nicht nur den Studierenden, den Schülerinnen und
Schülern, sondern auch den Volkshochschulen, der Publizistik so-
wie anderen Bereichen des öffentlichen Lebens zur Verfügung ge-
stellt werden. Darüber hinaus müsse die Wissenschaft von der Poli-
tik einen Beitrag zur politischen Bildung liefern, die Wissen, Erfah-
rung und Gesittung verbindet (vgl. Kastendiek 1977, 178f.). Die
Vermittlung eines hohen Maßes politischen Wissens, sachlich und
unabhängig dargeboten, ergänzt von Praktikern aus der unmi ttelba-
ren Erfahrung, fördere nachhaltig die politische Selbsterziehung des
deutschen Volkes" (Deutsche Hochschule für Politik Berlin 1950,
28; Detjen ebd.).
Den eigentlichen Durchbruch der deutschen Politikwissen-
schaft als Universitätsfach markiert jedoch erst die dritte Konferenz
am 15. und 16. Juli in Königstein, wiederum in Anwesenheit von
amerikanischen, britischen und französischen Wissenschaftlern so-
wie höheren Beamten aus den Ländern, Vertretern der politischen
Erwachsenenbildung und 40 deutschen Hochschullehrern aus be-
nachbarten Fächern. Sie plädierte nachdrücklich für die Einrichtung
von Lehrstühlen für die „Wissenschaft von der Politik" an allen Uni-
versitäten vor allem mit dem Hinweis auf die Bedeutung dieser Wis-
senschaft für die politische Bildung der Studenten wie auch der All-
gemeinheit. In mehreren Diskussionsbeiträgen wurde jedoch auch
betont (vgl. Detjen 2013, 126), dass die Politikwissenschaft zwar in
der politischen Bildung ein zentrales Aufgabenfeld besitze, sie aber
darüber hinaus einen hiervon unabhängigen Forschungsauftrag er-
füllen müsse. Die klarsten Äußerungen über Notwendigkeit und
Sinn der politischen Bildung kamen von Wolfgang Abendroth, Max
Horkheimer und Gerhard Leibholz. Abendroth stellte fest, ,,dass es
nicht nur unseren Studenten, sondern unserem ganzen Volke an po-
litischer Bildung mangelt. Es mangelt dem Studenten an politischer
Bildung nicht in dem Sinne, dass es nicht der politischen Ideologi-
Politikwissenschaft in Deutschland 13

en genug gäbe, die ihnen mit mehr oder minder gerechtfertigter phi-
losophischer Begründung gelehrt werden. Deren gibt es übergenug.
Es mangelt ihnen an politischer Bildung in dem Sinne, dass ihnen
das Verständnis der inneren Zusammenhänge des Politischen fehlt.
Es ist also erforderlich, ihnen dieses Verständnis zu erschließen."
Horkheimer sagte über den Bildungsauftrag der Politikwissenschaft:
,,Wir wollen in der Tat durch die politische Erziehung in Deutsch-
land Menschen heranbilden, die innere Freiheit besitzen, die nicht
mehr schematisch denken, die in der Lage sind, eigene Erfahrungen
zu machen." Leihholz gab zu bedenken: ,,Es mag wohl sein, dass
durch weiteres zusätzliches Fachwissen im Allgemeinen die Studen-
ten heute mehr belastet als gefördert werden. Andererseits sollten
wir doch - so glaube ich - das, was man die allgemeine politische
Bildung nennt, auch nicht unterschätzen. Ich habe die Ehre gehabt,
deutsche und englische Studenten zu unterrichten, und glaube mit
Bestimmtheit sagen zu können, dass in dem, was allgemeine politi-
sche Bildung betrifft, die englischen Studenten den deutschen Stu-
denten ganz erheblich voraus sind und dass dies -von der deutschen
Seite gesehen her - ein Manko ist, das beseitigt werden sollte" (Hes-
sisches Ministerium für Erziehung und Volksbildung 1951, 71, 79,
82). Die Konferenz verabschiedete eine Entschließung, in der es
hieß: ,,Politische Bildung und Erziehung finden ihren festen Grund
nur in einem gesicherten politischen Wissen und klaren politischen
Erkenntnissen. Fruchtbar werden die Bemühungen um eine politi-
sche Bildung aber erst, wenn sie auch den Willen zu politischer Ver-
antwortung wecken, lehren und festigen" (Hessisches Ministerium
für Erziehung und Volksbildung 1951, 144).
Das Plädoyer für die Einrichtung von Lehrstühlen für die „Wis-
senschaft von der Politik" an allen Universitäten, erfolgte vor dem
Hintergrund der kurz zuvor veröffentlichten Empfehlungen der
Kultusministerkonferenz zu den „Grundsätzen der politischen Bil-
dung". Die KMK bezeichnete darin die Errichtung planmäßiger
Lehrstühle für Politik an den deutschen Hochschulen als „dringend
erwünscht" (Kuhn, Massing, Skuhr 1993, S. 151). Dagegen konnte
sich die Westdeutsche Rektorenkonferenz (WRK) erst 1954 zu der
14 Peter Massing

Empfehlung durchringen, Lehrstühle für Politikwissenschaft einzu-


richten. Auch dann noch ging die Einführung des neuen Faches an
den Universitäten nur schleppend voran.

,,Viele Fakultäten sahen in der Installierung der neuen Diszip-


lin einen massiven Eingriff in ihren traditionellen Besitzstand:
Hier trat ein Fach in den Kanon der wissenschaftlichen Diszi-
plinen ein, das sich in seinen Themenstellungen mit den
Rechtswissenschaften, der Geschichte, der Soziologie partiell
auch mit der Volkswissenschaftslehre und der Philosophie be-
rührte und überschnitt und das nicht einmal eine eigene, ihm
spezifische Methode vorzuweisen hatte. Alle Fragen und Pro-
bleme, die möglicher Gegenstand der Politischen Wissenschaft
sein könnten, so wurde seitens der alten Fakultäten eingewen-
det, würden bereits von den genannten Disziplinen behandelt"
(Münkler 1985, 10).

Einern Teil der Gründergeneration wurde schon in dieser Phase klar,


dass es nicht ausreichte, Politikwissenschaft allein über ihren Bil-
dungsauftrag zu definieren. Wollte sie in der Konkurrenz mit ande-
ren Wissenschaften an der Universität anerkannt werden und sich
durchsetzen, musste sie sich auch als Forschungsdisziplin profilieren.
Der erste Schritt auf diesem Wege war im Februar 1951 die Grün-
dung der „Vereinigung der Wissenschaft von der Politik" (ab 1959
„Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft", DVPW, und
seit 2016 „Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft"). Erster
Vorsitzender wurde der Heidelberger Kultursoziologe Alexander
Rüstow, weitere Vorstands- und Beiratsmitglieder waren unter an-
derem Wolfgang Abendroth, Otto Suhr, der hessische Kultusminis-
ter Erwin Stein, der Freiburger Ludwig Bergsträsser, der Tubinger
Theodor Eschenburg und der Heidelberger Dolf Sternberger. Als
Fachzeitschrift war zunächst die wiederbegründete „Zeitschrift für
Politik" im Gespräch. Schließlich wurde jedoch 1960/61 die „Poli-
tische Vierteljahresschrift" (PVS) als Verbandsorgan neu gegründet
(vgl. von Alemann 1995, 36).
Politikwissenschaft in Deutschland 15

Als Ziel der Vereinigung wurde festgdegt, ,,Forschung und Leh-


re der Wissenschaft von der Politik zu fördern, durch Erfahrungs-
und Meinungsaustausch auch mit dem Ausland". Dennoch lässt sich
aus den Vorträgen und Grußworten der ersten Vorsitzenden der
Vereinigung rekonstruieren, dass in der Gründungsphase die Vor-
stellung einer soliden demokratischen, normativ begründeten und
argumentierenden „Wissenschaft" mit unverhohlen volkspädagogi-
schem Impetus im Vordergrund stand (Falter 2003, S. 223).

Die Politikwissenschaft der Anfangsjahre und erste


Schritte zu ihrer Etablierung

Es bedurfte noch zwei weiterer Anstöße um die Entwicklung der


Politikwissenschaft voranzutreiben. Ein Anstoß war wiederum ein
politisch-pädagogischer Impuls von außen der andere Anstoß eher
innerwissenschaftlicher Natur.
Der politisch-pädagogischer Anstoß der die Expansion der Po-
litikwissenschaft beschleunigte, war die Folge einer Reihe von anti-
semitischen Hakenkreuzschmierereien und Schändungen jüdischer
Friedhöfe 1959/60, die zum Teil auf ein Versagen der politischen
Bildung zurückgeführt wurden. Die Kultusministerkonferenz be-
schloss daraufhin die „Saarbrücker Rahmenvereinbarung der Kul-
tusministerkonferenz von 1960" und den „Rahmenrichtlinien für die
Gemeinschaftskunde in den Klassen 12 und 13 der Gymnasien
(1962)." Darüber hinaus forderten die Kultusminister, dass die Ein-
richtung weiterer Lehrstühle für politische Wissenschaften nach-
haltig betrieben werde. An allen Hochschulen und Instituten, an de-
nen Lehrer ausgebildet werden, sind auch für die Didaktik der poli-
tischen Wissenschaften und Geschichte Lehrstühle oder Lehrauf-
träge vorzunehmen. In der Ausbildungszeit zwischen der 1. und 2.
Prüfung muss jeder Lehrer in die Methodik der Gemeinschaftskun-
de (als Prinzip und als Fach) eingeführt werden.Jeder Lehrer muss
in dieser Ausbildungszeit die Beziehungen seines besonderen Fach-
gebietes zur Zeitgeschichte und zur Gemeinschaftskunde erkennen
16 Peter Massing

und herstellen lernen. Alle Bemühungen der Lehrerfortbildung um


die politische Bildung müssen gefördert werden (Kuhn/Massing/
Skuhr, 2003, S. 231 ff.).
Die Beschlüsse beinhalteten eine deutliche Aufwertung der
politischen Bildung und das neue Fach erforderte wissenschaftlich
ausgebildete Fachlehrer. Von da an fühlte sich die Politikwissen-
schaft mit der Lehrerbildung in Sozialkunde bzw. Gemeinschafts-
kunde beauftragt. Dies half der Disziplin sich an der Universität
durchzusetzen, auch wenn sie zunächst noch mit der Soziologie
konkurrieren musste, die ebenfalls den Anspruch erhob für die
Lehramtsausbildung zuständig zu sein (Detjen 2016, S. 76). Letzt-
endlich konnte jedoch vor allem die Politikwissenschaft von der
Einführung der Gemeinschaftskunde profitieren und das veran-
lasste einige Politikwissenschaftler wie z.B. Kurt Sontheimer, ein
Monopol der Politikwissenschaft für die Lehramtsausbildung zu
beanspruchen, wenn er feststellte: ,,Die neue Idee der Gemein-
schaftskunde als eines fächerübergreifenden Faches ist im Prinzip
identisch mit der Idee der Politischen Wissenschaft" (Sontheimer
1963, S. 171). Tatsächlich hatten die Gründungsväter der Politik-
wissenschaft wie Ernst Fraenkel und Arnold Bergstraesser den
zentralen Ansatz der Politikwissenschaft und das für sie typische
Analyseverfahren als „Zusammenschau" formuliert. Für Ernst Fra-
enkel war die Politikwissenschaft eine „Integrationswissenschaft",
für Bergstraesser eine „synoptische Disziplin" (Massing 1992, 24).
Ein solches Verständnis von Politikwissenschaft schien für die
Aufgabe der Lehramtsausbildung und der politischen Bildung be-
sonders geeignet.

,,Staatsbürgerliche Mündigkeit und Urteilsfähigkeit setze - zu-


nächst beim Lehrer und dem ,Mittler' politischer Bildung im
außerschulischen Bereich- ein ,Netz politischer Vorstellungen
und Zuordnungsmöglichkeiten' voraus. Genau dieses hatte die
Politikwissenschaft jener Tage zu bieten. Darum bemühte sie
sich. Dies verdeutlichten diese Lehrstuhlinhaber auch selbst im
Rahmen der Lehrerweiterbildung" (Hartwich, 1989, S. 10).
Politikwissenschaft in Deutschland 17

Auch inhaltlich wies die Politikwissenschaft der damaligen Zeit als


Demokratiewissenschaft eine große Nähe zur politischen Bildung
und zur Lehramtsausbildung in dem entsprechenden Fach auf. Ihr
Leitmotiv sah die Politikwissenschaft in der Vermittlung demokra-
tischen Grundwissens, in der Werbung für die liberale, repräsenta-
tive Demokratie und in der Auseinandersetzung mit noch vorhan-
denem faschistischem Bewusstsein sowie in der Abwehr des Totali-
tarismus kommunistischer Prägung. Zusammenfassend ergaben sich
die Problemstellungen der westdeutschen Politikwissenschaft nach
dem Kriege zum einen aus der kritischen Auseinandersetzung mit
dem Totalitarismus in seinen verschiedensten Ausprägungen, zum
anderen aus dem Versuch, über die Formulierung von Grundprinzi-
pien einer liberal pluralistischen und repräsentativen Demokratie ein
positives Gegenmodell zu entwickeln, mit dem Ziel, über die Ver-
mittlung demokratischen Wissens einen Beitrag zur Erziehung zur
Demokratie zu leisten (Mohr 1988).
Die Politikwissenschaft interessierte sich zwar überwiegend für
normative Fragen, ihr Demokratiemodell und ihre Anforderungen
an die Bürgerinnen und Bürger waren jedoch durchaus realistisch.
Die Voraussetzungen und die Funktionsbedingungen der Demokra-
tie waren differenziert ausgearbeitet. Auch führte die normative Ori-
entierung der Politikwissenschaft keineswegs dazu, dass die soziale
und politische Realität mit dem Verfassungsideal ineinsgesetzt wur-
de und die Disziplin überwiegend affirmative oder bloß legitimato-
rische Funktion wahrnahm. Im Gegenteil, gerade das Modell der
pluralistischen Demokratie, das in der Politikwissenschaft eine
wichtige Rolle spielte, wurde von seinen Vertretern wie Ernst Fra-
enkel vor allem kritisch verstanden. Es sollte sowohl der herausfor-
dernden Interpretation der bundesrepublikanischen Ordnung als
auch der Formulierung von Fragestellungen zur Analyse der Verfas-
sungswirklichkeit dienen. So wies Ernst Fraenkel immer wieder kri-
tisch auf die Diskrepanz zwischen Norm und gesellschaftlicher Re-
alität hin. Vor allem die im Pluralismus positive Bewertung von In-
teressen und Konflikten, von Interessenorganisationen und Interes-
senwahrnehmung richtete sich theoretisch gegen den Einfluss der
18 Peter Massing

„traditionellen deutschen Staatstheorie" und praktisch gegen die


vorherrschende politische Kultur in Westdeutschland mit ihren um-
fassenden Konsens-, Harmonisierungs- und Homogenitätsvorstel-
lungen.Insgesamtverstand sich die Politikwissenschaft als eine He-
rausforderung an den Status quo der deutschen Nachkriegsgesell-
schaft und als ihr kritisches Korrelat (Massing 2015, 14). In dieser
Funktion verstand sich die Politikwissenschaft der Anfangsjahre in
doppelter Hinsicht auch als politische Bildung. Zum einen wollte
die Politikwissenschaft die akademischen Eliten über die Werte und
Prozesse der westlichen Demokratie aufklären und sie zu Demokra-
ten erziehen (Bleek, 2001, 305 f.), zum anderen wollte sie aber auch
vermittelt über die universitäre Ausbildung der entsprechenden
Lehrerinnen und Lehrer, Jugendliche sowie die Normalbürgerin,
den Normalbürger „politisch bilden". Zwar war eine so ausgerichte-
te Politikwissenschaft keineswegs unumstritten, dennoch hatten die
Vertreter, die die Bildungsfunktion der Politikwissenschaft betonten
eine durchaus starke Position. Als exemplarisch kann hier Ernst Fra-
enkel gelten der diese Position geradezu emphatisch vertrat. In einer
vom Rundfunk übertragenen Gesprächsrunde im Jahr 1965 sagte er:
„Ich gehe aber noch einen Schritt weiter, und das ist schließlich die
Tatsache, dass eine Politikwissenschaft, die sich nicht darum küm-
mert, wie das Erziehungssystem einer Nation ist, dass die meines Er-
achtens einpacken kann." Es müsse der Politikwissenschaft um die
Prägung des Bewusstseins derjenigen Menschen gehen, die in den
Staat hineinwüchsen.

„Die hineinwachsen, diejenigen also - sagen wir es einmal ganz


deutlich-, die Gemeinschaftskunde lehren und die Gemein-
schaftskunde lernen. Und dieses System ist derartig kompliziert,
in dem wir leben, dass - wenn wir denjenigen, die die Jugend in
einen demokratischen Staat hineinführen sollen, nicht wissen-
schaftlich fundierte Erkenntnisse übermitteln-, dann wird die
Gemeinschaftskunde, über die so viel geredet wird, ein Fach, in
dem der Jugend die Beschäftigung mit Politik verekelt wird, an-
statt dass sie ihr nahegebracht wird. Und hier sehe ich eine ganz
Politikwissenschaft in Deutschland 19

große Aufgabe der Politikwissenschaft" (Fraenkel, 1965, S. 15;


Detjen 2011, S. 32).

Auch wenn die Politikwissenschaft sich sehr stark über ihren Bil-
dungsauftrag definierte, war ihr klar, dass sie darüber hinaus For-
schungsdisziplin sein musste, um sich in Konkurrenz mit den ande-
ren Wissenschaften an der Universität durchzusetzen. Dies machte,
die von dem Soziologen Mario Rainer Lepsius im Auftrag der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft 1961 verfasste „Denkschrift zur La-
ge der Soziologie und der Politischen Wissenschaft", nachdrücklich
deutlich und wurde so zu einem weiteren Impuls für die Entwick-
lung der Politikwissenschaft. Ziel der Denkschrift war es, sie vor al-
lem als eine theoretische und empirische Forschungsdisziplin wei-
ter zu entwickeln. Politische Bildung insbesondere Erziehung zur
Demokratie sei zwar eine wichtige Aufgabe der Politikwissenschaft,
aber die Politikwissenschaft könne nicht länger darauf beschränkt
bleiben, sonst bestehe die Gefahr, dass sie einer Verflachung und
Verengung anheimfalle, die ihre Entwicklung als Wissenschaft be-
hindere. ,,Man müsse weiterhin deutlich differenzieren zwischen po-
litischer Bildung und der Politikwissenschaft. Politische Bildung sei
eine pädagogische Aufgabe, Politikwissenschaft sei eine theoretische
Disziplin" (Lepsius 1961, 88ff.).

Differenzierung, Professionalisierung und


Konsolidierung der Politikwissenschaft

Sah die Verankerung der Politikwissenschaft in der universitären


Lehrerausbildung zunächst wie ein Sieg der Politikwissenschaft in
der Verteilung der Ausbildungsressourcen aus, stellte sich dieser, spä-
testens in den 1980er Jahren, in denen auf Grund der aussichtslos
werdenden Berufsperspektive, die Zahl der Lehramtsstudierenden
dramatisch zurückging, als ein Pyrrhussieg heraus.
Der Marginalisierung der Lehramtsstudiengänge versuchte
man durch die Orientierung an anderen politikwissenschaftlichen
20 Peter Massing

und berufsfeldorientierten Studiengängen zu begegnen, was gleich-


zeitig als Gelegenheit gesehen wurde, sich vom „pädagogischen Bal-
last" zu befreien. Von der Lehre und von den Erfordernissen mögli-
cher Berufsfelder her war eine stärkere Ausdifferenzierung des Fa-
ches und eine deutliche Spezialisierung notwendig mit der Folge,
dass die inhaltlichen Anforderungen an die Ausbildung der Politik-
lehrerinnen und -lehrer mit einer politikwissenschaftlichen Ausbil-
dung, die zu anderen Berufsfeldern führte, nicht mehr überein-
stimmten. So wurde die Lehramtsausbildung an den Rand der Aus-
bildungsleistung professioneller Politikwissenschaft gedrängt. Zum
Teil geschah dies mit dem wohlwollenden Einverständnis einiger
Vertreter der Politikwissenschaft selbst, bei denen die Arbeit mit den
Lehramtskandidaten von jeher wenig beliebt war und die kaum In-
teresse für den politischen Unterricht an den Schulen zeigten.
Zugleich stellte sich dabei die Frage „zu welchem Ende studiert
man eigentlich Politikwissenschaft?" Die Antwort lag zunächst in
der Einrichtung von neuen Studiengängen, die zu einem berufsqua-
lifizierten Abschluss führen sollten wie der Diplomstudiengang Po-
litikwissenschaft (zuerst in Berlin) oder politikwissenschaftliche
Magisterstudiengänge. Ein mögliches Berufsfeld sah man in der Po-
litikberatung. Doch die Erwartungen, damit den Absolventinnen
und Absolventen der Politikwissenschaft eine sichere Berufspers-
pektive zu verschaffen, erfüllten sich nicht. Ebenso wenig gelang es,
das Juristenprivileg in der Ausbildung für den höheren Verwaltungs-
dienst zu brechen.
Für den Anspruch, sich stärker als Forschungsdisziplin zu pro-
filieren erwies sich vor allem die normative Orientierung der Poli-
tikwissenschaft als Hindernis. Empirische Konzepte erlangten in
der Anfangszeit nur eine geringe Bedeutung obwohl schon in den
fünfziger Jahren Otto Stammer in Berlin eine lebhafte Debatte über
die geringe Bedeutung der empirischen politikwissenschaftlichen
Forschung ausgelöst hatte. Jedoch erst der wachsende Bedarf an
staatlicher Planung und die Orientierung an den Ergebnissen und
Methoden der angelsächsischen Politikwissenschaft führte zu einer
breiteren empirischen und fachlichen Aufstellung der Disziplin so-
Politikwissenschaft in Deutschland 21

wie zu einer Expansion des Faches an den bundesdeutschen Univer-


sitäten. Politikwissenschaft verstand sich jetzt in erster Linie als em-
pirisch ausgerichtete Sozialwissenschaft.
Im Zusammenhang der Studentenbewegung öffnete sich die
Politikwissenschaft auch vermehrt gesellschaftskritischen Fragestel-
lungen und Forschungsansätzen, die einem emanzipatorischen Er-
kenntnisinteresse zu folgen versuchten. Der Streit um die drei The-
orietypen (normativ-ontologisch, empirisch-analytisch und histo-
risch-kritisch) mündete in einen politischen Lagerkampf zwischen
den als restaurativ und systemaffirmativ oder als fortschrittlich wahr-
genommenen Kräften (Bleek, Gawrich 2020, 4).
Erst Mitte der 1970er Jahre geriet die Politikwissenschaft in
ruhigere Fahrwasser und gelangte zu einem geregelten Pluralismus
unterschiedlicher Theorie- und Forschungsansätze. Eine weitere
Expansion, Binnendifferenzierung, Professionalisierung und Spe-
zialisierung der Politikwissenschaft erfolgten durch ihre Hinwen-
dung zu Policy-Forschung. Mit der Orientierung am amerikani-
schen Vorbild der Policy-Analyse versuchte sie, die politikwissen-
schaftliche Forschung neu auszurichten und in der praktischen Re-
formpolitik wirksam werden zu lassen. An die Stelle eines
weitgehend übersichtlich strukturierten Feldes der deutschen Poli-
tikwissenschaft, trat nunmehr ein vielfach gestaffeltes, ausdifferen-
ziertes und plurales Muster von Politikwissenschaftlerinnen und
Politikwissenschaftlern sowie der von ihnen bearbeiteten Politik-
feldern (Lietzmann 1996, S. 45).

„Die Wissenschaft selbst erscheint vor allem als Forschung in


hoch spezialisierten Teilfragen und vollzieht sich so gleichsam
immer an den Rändern ihres eigenen Feldes, dort, wo sich die
gesicherten Bestände auflösen und in Neues, Ungewisses und
Strittiges übergehen. Ihr Gebiet ist nicht das des Gesicherten,
Selbstverständlichen und damit ,Banalen"' (Rothe, 1981, S. 25).

Die Problematisierung aber ist nicht die erste Stufe. Ihr gehen
Kenntnis und Erkenntnis dessen voraus, was dann zum Problem
22 Peter Massing

wird und eben dies könnte der Anknüpfungspunkt für die politik-
wissenschaftliche Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sein,
aber auch für die universitäre Lehre insgesamt. So heißt es mit ei-
nem kritischen Blick auf die Diversifizierung und Segmentierung
des Fachs seit Mitte der 70er Jahre in den Empfehlungen der von
der KMK eingesetzten Ständigen Studienreformkommission Poli-
tikwissenschaft/Soziologie für das Fach Politikwissenschaft:

,,Unbeschadet ihrer Forschungsleistung und ihrer Schwerpunkt-


bildungen in der Forschung steht die Politikwissenschaft vor
der Aufgabe, den tatsächlich vorhandenen thematischen Kern-
bereich des Faches stärker heraus- und in den Mittelpunkt der
von ihr betreuten Studiengänge zu stellen" (Studienreformkom-
mission 1987, S. 20).

Dies ist ihr allerdings nur zum Teil gelungen. Dennoch befand sich
die deutsche Politikwissenschaft zwar unter Verlust des Überblicks
über die politischen Prozesse in der Gesellschaft, aber doch angerei-
chert mit einem hoch aggregierten Wissen um Abläufe im Detail,
Ende der 19 80er Jahre in einem Zustand weitgehender Konsolidie-
rung und hatte sich methodisch als moderne Sozialwissenschaft pro-
filiert (vgl. Bleek, Gawrich 2020, 5).
Nach 1990 im Zuge des Prozesses der deutschen Vereinigung
wurde die bundesdeutsche Politikwissenschaft auch an den ostdeut-
schen Universitäten etabliert. Dies führte zunächst zwar zu einer in-
stitutionellen Stärkung- sieht man aber einmal von der zunehmen-
den Bedeutung der Transformationsforschung ab - nicht zu einer
inhaltlichen Neuorientierung der deutschen Politikwissenschaft.
Gegen Ende des 20.Jahrhunderts hatte sich die Politikwissenschaft
zu einer „normalen" Wissenschaft entwickelt. Durch die Transfor-
mationsforschung und die Debatten zur Post-Demokratie erlebte
der Ansatz der Demokratiewissenschaft wieder einen Aufschwung.
Die inhaltliche Expansion der Politikwissenschaft durch Einbezug
der „governance" - Orientierung in verschiedenen Teildisziplinen,
der Genderforschung und Postcolonial Studies, Studien zur Fragi-
Politikwissenschaft in Deutschland 23

lität von Staatlichkeit u.a. ging jedoch weiter. Ebenso die Binnen-
differenzierung, die Professionalisierung, die Zersplitterung sowie
eine zunehmend dominierende Forschungsorientierung, nicht zu-
letzt durch die starke Drittmittelfixierung der Universitäten.

Politikwissenschaft heute. Zurück in die Zukunft?

Diese Entwicklung der Politikwissenschaft ist in der Disziplin selbst


nicht ohne Kritik geblieben. Im Zentrum stehen dabei unterschied-
liche Aspekte. Kritisierte wird die Tendenz zu methodologischen
Debatten. Die starke Orientierung an einem szientistischen Para-
digma habe dazu geführt, mit hohem methodischem Aufwand häu-
fig genug, lediglich Banales herauszufinden, im Grunde also un-
fruchtbar zu sein (Oberndörfer 2004, 35 f.; Der Szientismus messe
der wissenschaftslogischen Sauberkeit einen höheren Stellenwert zu
als der inhaltlichen Substanz der untersuchten Gegenstände. (vgl.
zum Folgenden Detjen 2016, 504ff.). Moniert wird auch eine the-
matische Zersplitterung des Faches, verursacht durch die Tendenz,
eng umrissene Spezialthemen zu .bearbeiten, die für das Gedeihen
des politischen Gemeinwesens im Regelfall bedeutungslos sind. Das
Nachdenken über entscheidende politische Fragen wird auf diese
Weise faktisch anderen Fächern überlassen, etwa der politischen
Philosophie, der Zeitgeschichte oder der Soziologie. Die Vorliebe
für methodologische Fragen und für spezielle Themen hat man we-
nig schmeichelhaft als „Scholastizismus" bezeichnet (Mead 2011,
147;Jesse/Liebold 2011, 520). Des Weiteren ist davon die Rede, die
Erkenntnisse der Politikwissenschaft hätten sich zu einer Art ,,Ark-
anwissen" entwickelt, das lediglich Spezialisten interessiere, aber
nicht das allgemeine Publikum. Sie beeinflusse keine öffentlichkeits-
wirksamen Debatten. Der öffentliche Bedeutungsverlust führe zu ei-
ner „Randständigkeit der Politikwissenschaft" (Greven 2000). Eini-
ge Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von „Krisenanfäl-
ligkeit" (Jesse/Liebold 2014), gar von „Misere" (Mead 2011) sowie
dem Verlust Identität der Politikwissenschaft, weil es ihr aufgrund
24 Peter Massing

ihrer thematischen Zersplitterung nicht gelinge, sich auf einen Kern


zu einigen. Alles sei politisch - nur die deutsche Politikwissenschaft
nicht. Ihr drohe die Degenerierung zu einer Randdisziplin. Politik-
wissenschaft als Forschungsdisziplin, die der Gesellschaft etwas zu
sagen habe, spiele eine immer kleinere Rolle und sie verliere zuneh-
mend ihre gesellschaftliche Relevanz (Masala 2017, 74). Sie sei ein
Fach ohne Ausstrahlung und der Einfluss der Politikwissenschaft
gesunken. Das Fach bleibe in der öffentlichen Resonanz und Wirk-
samkeit hinter anderen Wissenschaften weit zurück (Decker &]es-
se 2016). Politikwissenschaft beziehe aber ihre Legitimität nicht aus
irgendwelchen Drittmittelprojekten, positivistischen Datenmateri-
alschlachten oder aus langen Publikationslisten, sondern daraus, dass
sie zum Verständnis der gegenwärtigen politischen Transformati-
onsprozesse beiträgt und die politische Urteilskraft schärft. (Jörke
2017, in Bezug aufSchmitter).
Es gibt jedoch auch andere Stimmen mit überzeugenden Argu-
menten. Schon Klaus von Beyme sah in der szientistischen Orien-
tierung der Politikwissenschaft eine Stärke, durch die sie zu einer
normalen Wissenschaft geworden sei (Beyme 2010, 51). Ihr Ziel
müsse sein, sowohl wissenschaftlich anerkannt als auch öffentlich
sichtbar zu sein. Die Politikwissenschaft heute sei beides und von ei-
nem Rückzug der Politikwissenschaft könne keine Rede sein (De-
bus et al. 2017). Im Gegenteil die deutsche Politikwissenschaft sei
national und international gut aufgestellt und durchaus „ein Fach
mit Ausstrahlung" (Müller-Rommel 2017).
Unabhängig von der jeweiligen Position prägt die Frage nach
der gesellschaftlichen Relevanz der Politikwissenschaft die aktuel-
len Diskurse zur Selbstverortung und Selbstbeschreibung. Vor die-
sem Hintergrund hat die deutsche Vereinigung für Politikwissen-
schaft (DVPW) im Dezember 2019 eine Tagung unter dem Titel
,,Wie relevant ist die Politikwissenschaft? Wissenstransfer und ge-
sellschaftliche Wirkung von Forschung und Lehre" veranstaltet
und die Zeitschrift POLITIKUM 2020 ein Sonderheft zu der Fra-
ge „Wem nutzt die Politikwissenschaft?" herausgegeben. Gefordert
wird in diesem Zusammenhang auch eine Neuausrichtung der Po-
Politikwissenschaft in Deutschland 25

litikwissenschaft im Sinne einer engagiert normativen, auf robus-


te empirische Grundlagen gestützten Demokratiewissenschaft, de-
ren Vertreter sich als „öffentliche Intellektuelle" dem aktiven Ein-
satz für eine gute Gesellschaft verpflichtet fühlen. (Eisfeld 2019,
75 f.). Dahinter steht die Vorstellung, dass es notwendig ist, sich auf
etwas zurück zu besinnen, was die deutsche Politikwissenschaft in
den 1950er und 1960er Jahre stark ausgezeichnet hat, ,,nämlich das
Verständnis einer auch normativ angelegten Demokratiewissen-
schaft". Dass der demokratische Verfassungsstaat keine Selbstver-
ständlichkeit ist, sondern gegen Anfeindungen von innen wie von
außen immer wieder neu begründet, erklärt und verteidigt werden
muss, haben die krisenhaften Entwicklungen seit den 2000er Jah-
ren schmerzhaft vor Augen geführt. Auch hier könnte und müsste
die öffentliche Stimme der Politikwissenschaft im Vergleich zu
Nachbardisziplinen wie der Geschichte, Soziologie und den
Rechts- und Wirtschaftswissenschaften vernehmbarer sein (De-
cker 2021, 20). ,,Anschließend an die Tradition der Politikwissen-
schaft als Demokratiewissenschaft geht es darum, die gesellschaft-
liche Verantwortung der Politikwissenschaft wieder zu reklamie-
ren, die sich nicht primär auf einen direkten Anwendungsnutzen
beschränkt oder auf die Aufbereitung und Verwaltung von Fakten
stützt, auch wenn dies ein wichtiger Teil davon ist, sondern primär
auf die Unterstützung des Prozesses politischer Urteilsbildung
(Deitelhoff2021, 39).Wurde noch in den 1990er Jahre behauptet,
als bloße Bildungs- und Demokratiewissenschaft habe die Politik-
wissenschaft keine ernstzunehmenden wissenschaftlichen Beiträ-
ge geliefert (Noetzel/Rupp 1996, 83), ist heute die Position in der
Politikwissenschaft gestärkt, die betont, dass ihr maßgeblicher
Wissensbereich die Demokratie ist. Die Demokratie benötige de-
mokratiebewusste Bürger, also Menschen, die urteils- und hand-
lungsfahig seien, Wissen über die Mechanismen der Demokratie
wie auch über wichtige politische Regelungsmaterien besäßen und
sich mit der Demokratie identifizierten. Die Politikwissenschaft
sei wie keine andere Disziplin geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen
(Detjen 2016, 505 f.). '
26 Peter Massing

,,Wissenschaft und die Politikwissenschaft zumal, hat immer,


aber insbesondere in Zeiten, in denen Wissen und Wahrheit ins
Wanken geraten sind, man vielleicht sogar von einer epistemi-
schen Krise normativer Ordnungen sprechen sollte, eine origi-
näre gesellschaftliche Verantwortung. Sie soll dazu beitragen,
politische Auseinandersetzungen zu initiieren und zu ordnen
und damit die Grundlagen demokratischer Ordnungen, die
Auseinandersetzung über die Ausgestaltung unserer demokra-
tischen Gemeinwesen zu befördern" (Deitelhoff2021, ebd.).

Die Politikwissenschaft könne Wissensdefizite beheben, was für


die Stabilität der Demokratie von hoher Bedeutung sei: ,,In den
Überlegungen zur Wiederausrichtung der Politikwissenschaft auf
ihren ursprünglichen Zweck legte Michael Th. Greven plausibel
dar, dass die Bildungsaufgabe das Fach am besten zu legitimieren
vermag.

,,In den politischen Gesellschaften von heute ist der angemes-


sene Erwerb von Wissen aber eine, wenn nicht die wichtigste
Voraussetzung der Wahrnehmung von Bürgerrechten in der
Demokratie. Wo für die meisten alles unverstanden und un-
durchschaubar bleibt, wächst im Falle der Versagung individu-
eller Interessen die Frustration gegenüber Politik insgesamt"
(Greven 1994,295).

Wenn die Politikwissenschaft eine Verantwortung für das politische


Bewusstsein der Bevölkerung und das demokratische Gemeinwesen
trägt, ist damit nicht nur ein oberflächlicher Bezug zur politischen
Bildung hergestellt (Detjen 2016, S. 514). Vor diesem Hintergrund
mehren sich die Stimmen, die der Politikwissenschaft raten, sich
wieder auf ihre Bildungs- und Aufklärungsfunktion zu besinnen.
Die Politikwissenschaft sei immer dann stark gewesen, wenn ihr all-
gemeinbildende Aufgaben zugeschrieben worden seien, die dem Bil-
dungsprinzip Vorrang vor der Ausbildungsfunktion eingeräumt hät-
ten (Bleek 2001, 453).
Politikwissenschaft in Deutschland 27

Die Existenzberechtigung der Politikwissenschaft liegt in der


gesellschaftlichen Vermittlung von Wissen über das Politische.
Dass eine wichtige Aufgabe der gegenwärtigen Politikwissenschaft
die politische Bildung ist; betont auch Reihe von Politikwissen-
schaftlern. So fragt z.B. Hubertus Buchstein (Buchstein 2004,
51f.), wie dem Auseinanderdriften von Politikwissenschaft und
politscher Bildung begegnet werden könne und Oskar W. Gabriel
will den abgebrochenen Dialog zwischen Politikwissenschaft und
politischer Bildung wieder intensivieren (Gabriel 2004, 43). Die
schnelle Veränderung unserer politischen Wirklichkeit und ihre
immens gewachsene Bedeutung für das alltägliche Leben der
Menschen stellt Wissenschaft wie bürgerliche Lebenspraxis vor
völlig neue Aufgaben. Nur eine enge Verzahnung zwischen wissen-
schaftlicher Forschung und politischer Bildung, die sich auch in
der Ausbildung des Lehrpersonals wie in der Unterrichtspraxis mit
den Schülerinnen und Schülern direkt niederschlägt, bietet die
Chance, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Damit wird
auch die zum Szientismus neigende Fachwissenschaft sich wieder
mehr der Relevanz und der praktischen Bedeutung des Transfers
ihrer Ergebnisse für die politische Bildung versichern müssen
(Greven 2000, 248).
Letztlich ist es die Aufgabe der Politikwissenschaft an der Ent-
wicklung einer demokratis~hen politischen Kultur mit zu wirken.Je-
denfalls scheinen die aktuellen Krisenerscheinungen und Defekte
der Demokratie ebenso wie ihre Gefährdungen durch Populismus
und autokratische Tendenzen gesellschaftliche Erwartungen nach
Expertise der Politikwissenschaft und der politischen Bildung zu be-
fördern. Die Politikwissenschaft und die politi"sche Bildung können
von einer Offensive der Politikwissenschaft in Richtung politischer
Bildung nur profitieren und sie böte Chancen die gesellschaftliche
Relevanz beider Disziplinen zu stärken.

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28 Peter Massing

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Dieser Beitrag ist online auffindbar unter


DOI https://10.36198/9783838558288-3-24
Politische Theorie - Ihre Konturen 31

HUBERTUS BUCHSTEIN

Politische Theorie - Ihre Konturen,


Ausdifferenzierungen und
gesellschaftspolitischen Funktionen

1. Politische Theorie als Teilgebiet der


Politikwissenschaft

Das eingedeutschte Wort Theorie geht auf das altgriechische ,theo-


ria' zurück und bedeutete damals ein ,staunendes Anschauen'. Da-
mit sprach ,theoria' eine besondere Art von Erfahrung der Zusam-
menhänge des Ganzen der Welt an, die uns zum erkennenden Stau-
nen gebracht hat, die also eine Aktivität in uns auslöst. 1 Das Verb
,theorien' bedeutete das besonders intensive Zuschauen und Be-
trachten ohne dabei zunächst an eine praktische Verwertbarkeit des
dadurch erworbenen Wissens zu denken. Die ,theoria' war ein posi-
tiv konnotierter Begriff, denn sie galt als die Vorbedingung von
Weisheit, der ,sophia'. Im heutigen Alltagsverständnis erfährt das
Wort Theorie hingegen eine ambivalente Bewertung. Sie kann po-
sitiv, zuweilen fast bewundernd oder eingeschüchtert ,abstrakt' und
,wissenschaftlich' meinen. Das Wort Theorie kann aber auch ab-
schätzig verstanden werden: ,das ist doch bloß Theorie, die Praxis
oder die Empirie sind doch ganz anders!'
Wissenschaftliche Theorien sind eine besondere Klasse von
Antworten auf ,Warum?'-Fragen. Auf die Politik bezogen: Warum

Auch das ,theater' und das ,theorikon' (das Zuschauergeld, das die Bürger im
antiken demokratischen Athen als Entlohnung für ihren Verdienstausfall durch
den Besuch von Theatervorstellungen erhielten) sind von dem Wort abgeleitet.
32 Hubertus Buchstein

können politische Maßnahmen den Klimawandel nicht sofort stop-


pen? Warum ist es falsch, dass Russland die Ukraine überfallen hat?
Warum protestiert jemand so laut gegen eine Corona-Schutzmaß-
nahme? Warum soll ich wählen gehen? Wir geben in unserem poli-
tischen Alltag permanent Antworten auf solche Fragen. Dabei um-
fasst das Repertoire unserer Fragen nach Erklärungen im Sinne von
politischen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen ebenso wie nach
Erklärungen von politischen Absichten, deren Sinn richtig verstan-
den werden muss. Politische Theorien sind Zusammenhänge von
Aussagen, die auf systematische Weise Antworten auf die vielen
,Warum?'-Fragen der Politikgeben, seien sie nun empirischer, nor-
mativer oder prognostischer Art.
Oder, um es mit einer auf zwei Sätze aufgeteilten Definition zu
formulieren: Politische Theorien sind auf intersubjektiv nachvoll-
ziehbare Weise verknüpfte Aussagen mit einem Generalisierungs-
anspruch über politische Phänomene. Diese Phänomene können zur
realen Welt gehören (empirische Theorien), zur ebenso realen Welt
der politischen Sollensvorstellungen (normative Theorien) oder zur
fiktiven Welt von zuvor definierten Bedingungen, aus denen sich be-
stimmte Effekte logisch ableiten lassen (formale Theorien). Diese
drei Grundformen der Politischen Theorien werden in einem späte-
ren Abschnitt noch genauer erläutert und um die ideengeschichtli-
che Dimension erweitert.
Als akademische Disziplin hat die Politische Theorie (zumeist
verbunden mit der Politischen Ideengeschichte) im Fach Politikwis-
senschaft von jeher einen festen Platz. Seit dem ersten Jahrzehnt des
21.Jahrhunderts werden auf Empfehlungen der wichtigsten euro-
päischen Fachvereinigungen für Politikwissenschaft insgesamt sie-
ben Subdisziplinen als Komponenten eines auskömmlichen politik-
wissenschaftlichen Lehr- und Forschungsbetriebes angesehen, zu
denen die „Politische Theorie und Ideengeschichte" als eigenständig
anerkannter Bereich zählt. 2

2 Es sind: (1) Politische Theorie und Ideengeschichte, (2) Politisches Sys-


tem des eigenen Landes und der EU, (3) Vergleichende Politikwissen-
Politische Theorie - Ihre Konturen 33

Die bundesdeutsche Politikwissenschaft hat sich in den vergan-


genen 70 Jahren personell rasant entwickelt; es gibt keine andere
sozialwissenschaftliche Disziplin, die nach 1945 auf eine derartige
Erfolgsgeschichte zurückblicken kann (vgl. Behrmann 1998). Das
Teilgebiet der Politischen Theorie und Ideengeschichte wurde als
Ergebnis eines Gutachtens der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) ab Mitte der 1960er Jahre flächendeckend etabliert und
profitierte von Anfang an enorm von der Expansion des gesamten
Faches Politikwissenschaft. Im Jahr 2021 ist die Politische Theorie
an 50 der insgesamt 69 universitären Standorten als personell eigen-
ständiges Teilgebiet in politikwissenschaftlichen Studienprogram-
men (inklusive der Lehramtsausbildung) fest verankert.

Tabelle 1: Professorale Kopfstärke des Faches und Professuren im Teilgebiet


Politische Theorie 3
Jahr Professuren Professuren des %-angabe
gesamt Teilgebietes
1949 0
1954 8
1959 21
1964 51
1969 81 11 13,6
1979 268 33 12,3
1989. 313 38 12,1
1999 354 49 13,9
2009 362 52 14,4
2014 373 53 14,2
2021 387 50 12,8

schaft, (4) Politische Ökonomie und Politische Soziologie, (5) Policy-Ana-


lyse, (6) Internationale Politik, (7) Methoden der Politikwissenschaft, vgl.
Klingernann (2008).
3 Qµelle: Buchstein/Jörke (2022: 152; Daten mit Stand vorn 31.6.2021).
34 Hubertus Buchstein

Der Stellenanteil der Politischen Theorie ist in den vergangenen 10


Jahren manchen vorherigen Kassandrarufen zum Trotz - meine ei-
genen eingeschlossen 4 - nur geringfügig gesunken. In dieser Stabi-
lisierung schlagen sich nicht zuletzt der weitere Ausbau der univer-
sitären Lehramtsausbildung und Stellenbesetzungen im Rahmen
von speziellen Förderprogrammen nieder. Zudem ist es gelungen,
die Etablierung einer ganzen Reihe neuer Professuren im Bereich
„Methoden der Politikwissenschaft" nicht zu sehr auf Kosten der
Theorie-Stellen erfolgen zu lassen. Groben Schätzungen zufolge ar-
beiten an bundesdeutschen Hochschulen neben den Professor*innen
ca. 250 bis 300 weitere jüngere Wissenschaftler*innen im Bereich
Politische Theorie und Ideengeschichte, in aller Regel für den Zweck
ihrer Weiterqualifikation nur mit Zeitverträgen prekär beschäftigt.
In inhaltlicher Hinsicht hat ein seit der Jahrtausendwende in-
tensivierter Internationalisierungsschub im Teilgebiet der Politi-
schen Theorie dafür gesorgt, dass sich die Subdisziplin intern neu zu
sortieren begann. Zu den sechs wirkmächtigsten internationalen Re-
zeptionen gehörten (1) in der Politischen Philosophie die vielfälti-
gen durch John Rawls'Werk angestoßenen Debatten zu Fragen der
Gerechtigkeit, des politischen Liberalismus und der deliberativen
Demokratie, (2) Beiträge feministischer Theoretiker*innen und (3)
postkoloniale Ansätze, (4) in der Politischen Ideengeschichte die
Ansätze von Qientin Skinner und Michel Foucault, (5) im Bereich
der empirischen Theoriebildung der Neue Institutionalismus und
Rational-Choke-Ansätze sowie (6) vielfältige Beiträge aus dem
Bereich der Theorie der internationalen Politik. Heute hat die Poli-
tische Theorie eine bemerkenswerte Anschlussfähigkeit zu den an-
deren Teilbereichen, was sich nicht nur an zahlreichen disziplinü-
bergreifenden Forschungskooperationen, sondern auch an den zahl-
reichen substantiellen Beiträgen aus dem Bereich der Politischen
Theorie zur Demokratieforschung, zur Populismusforschung, zur
Digitalisierung, zur Theorie politischer Verfahren, zu Fragen der in-
ternationalen Politik wie Krieg und Frieden, Migration, globaler Ge-

4 Vgl. Buchstein/Fietz 2007.


Politische Theorie - Ihre Konturen 35

rechtigkeit und transnationalem Konstitutionalismus sowie zur Po-


litik in Zeiten des Klimawan.dels ablesen lässt.

2. Die vier grundlegenden Typen der Politischen


Theorie

Das personelle Wachstum im Bereich der Politischen Theorie und


Ideengeschichte sowie die starke inhaltliche Ausdifferenzierung der
Subdisziplin hat zu einer die Anfänger*innen zunächst einschüch-
ternden Theorienvielfalt geführt. In der Einführungsliteratur zur Po-
litischen Theorie lassen sich für die Bewältigung dieses oftmals un-
übersichtlichen politiktheoretischen Pluralismus drei hilfreiche Sor-
tierungsverfahren finden.
Beim ersten Verfahren werden entwicklungsgeschichtliche Li-
nien im Bereich der Politischen Theorie und Ideengeschichte nach-
gezeichnet; der Zweck dieses Verfahrens besteht darin, grobe Pha-
seneinteilungen und markante thematische Änderungen im politik-
theoretischen Denken zu ermitteln, um auf diese Weise die erreich-
ten Fortschritte der modernen Politischen Theorie demonstrieren zu
können (vgl. von Beyme 1991 und Benz/Seibel 1997).
Beim zweiten Verfahren wird die politiktheoretische Vielfalt zu
,,Modellen" oder ,,Ansätzen" verdichtet; der Zweck dieses Verfah-
rens besteht darin, sie besser miteinander vergleichbar zu machen
(vgl. Ladwig 2014 und Brodocz/Schaal 2021).
In einem dritten Verfahren werden „Schlüsselbegriffe" oder zen-
trale „Topoi" identifiziert und im Hinblick aufihre Bedeutungsviel-
falt und Relevanz für die politikwissenschaftliche Forschung befragt
(vgl. Göhler/Iser/Kerner 2012 und Münkler/Straßenberger 2016).
Angesichts der wachsenden Bedeutung von wissenschaftlichen
Methoden als Kriterium für die Unterscheidung zwischen politi-
scher Alltagskommunikation und professioneller Politikwissen-
schaft bietet es sich an, auch im Hinblick auf das Teilgebiet der Po-
litischen Theorie den Blick auf die methodischen Einstellungen zu
richten, mit denen an politikwissenschaftliche Fragen und Proble-
36 Hubertus Buchstein

me herangegangen wird. In einer solchen Sortierungsperspektivie-


rung lassen sich im Anschluss und Erweiterung der eingangs ge-
nannten drei Bezugsdimensionen die folgenden vier grundlegenden
Typen oder Ansätze von Politischer Theorie identifizieren: die em-
pirische, formale, historische und die normative Politische Theorie.
Die beiden erstgenannten Typen haben ein enges, an strengen Ab-
leitungen orientiertes Methodenideal; die beiden in der unteren Ta-
bellenspalte platzierten Typen arbeiten mit einer größeren Vielfalt
von miteinander konkurrierender Methoden.

Tabelle 2: Die vier grundlegenden Typen Politischer Theorie

Empirische Politische Theorie Formate Politische Theorie


Induktive Theoriebildung Deduktive Theoriebi ld ung

Historische Politische Theorie Normative Politische Theorie

Rekonstruktion von Texten aus der Konstruktion und kritische Analyse


politischen Ideengeschichte von Begründungszusammenhängen

Die empirischen Politischen Theorien versuchen zu ermitteln, in-


wieweit sich empirische Befunde aus der Politik zu verallgemein-
erbaren theoretischen Aussagen verdichten lassen. Die formalen
Politischen Theorien leiten ihre theoretischen Modelle aus be-
stimmten Rationalitätsannahmen von Akteuren oder Systemzu-
sammenhängen ab. Die historischen Politischen Theorien suchen
im reichen Fundus der politischen Ideengeschichte nach Anknüp-
fungspunkten und verschütteten Einsichten für aktuelle Debatten
und Kontroversen in der Politikwissenschaft. Die normativen Po-
litischen Theorien beschäftigen sich mit der Konstruktion und der
kritischen Analyse von Sollensaussagen im Hinblick auf politische
Phänomene.
Die meisten Forschungsansätze und -projekte verknüpfen na-
türlich mehrere dieser Perspektiven. So dienen ideengeschichtliche
Arbeiten häufig der Unterfütterung von normativen Geltungsan-
sprüchen. Oder kommen empirische Studien über die Qyalität von
Demokratien nicht ohne eine normative Festlegung ihres Demokra-
Politische Theorie - Ihre Konturen 37

tiebegriffs aus. Die Unterscheidung zwischen den vier unterschied-


lichen Theorietypen ist dennoch hilfreich, um bei Kooperationen
zwischen Vertretern der Politischen Theorie mit denen aus anderen
Teilgebieten der Politikwissenschaft die gegenseitigen Erwartungen
sinnvoll formulieren zu können. Die Unterscheidung hat zudem ei-
nen allgemeinen didaktischen Wert. Denn viele Debatten in der po-
litischen Bildung und der Tagespolitik könnten mit weniger Heftig-
keit, mit weniger Missverständnissen und mit mehr Gewinn für al-
le daran Beteiligten geführt werden, wenn man die vier unterschied-
lichen Perspektiven und die mit ihnen jeweils verbundenen
argumentativen Möglichkeiten.(und Grenzen) deutlicher voneinan-
der trennen würde.

3. Die Typen und die Themen der Politischen Theorie

Mit der genannten Typologie sind nicht nur unterschiedliche me-


thodische Herangehensweisen, sondern auch unterschiedliche wis-
senschaftliche Erkenntnisinteressen in den Blick genommen; dies
lässt sich wenigstens in groben Strichen am Beispiel der unter-
schiedlichen Art und Weise, wie Fragen der Demokratietheorie the-
matisiert werden, illustrieren. 5
(1) Empirische Politische Theorien beanspruchen, politische
Handlungen und politische Systeme adäquat zu beschreiben und
zu Aussagen über kausale politische Wirkungszusammenhänge zu
gelangen. Ideengeschichtlich lässt sich die empirische Analyse von
Demokratien bereits bis in Texte von Platon und Aristoteles zu-
rückverfolgen. Modeme empirische Theorien klassifizieren unter-
schiedliche Typen politischer Systeme, benennen deren Funktions-
voraussetzungen und messen deren Leistungsfähigkeit, z.B. beim
Vergleich der Erfolge in der Klimapolitik zwischen Demokratien
und autoritären Regimen. Sie bedienen sich dabei unterschiedlicher
Methoden der qualitativen und quantitativen Sozialforschung. Ih-

5 Vgl. zum Folgenden Buchstein (2013).


38 Hubertus Buchstein

re Theoriebildung erfolgt in der Regel induktiv, d.h. auf dem Wege


der in kleinen Schritten vorgehenden Verallgemeinerung von em-
pirischen Befunden.
In Bezug auf die Demokratie arbeiten empirische Theorien he-
raus, dass es nicht die eine Demokratie gibt, sondern eine Vielzahl
verschiedener Formen, Ausprägungen und institutioneller Konstel-
lationen von Demokratien. Empirische Theorieansätze liefern
Laboratoriumsberichte über die Erprobung demokratischer
Systemkonfigurationen und gelangen zu Widerlegungen von vielen
verbreiteten Ansichten über institutionelle Settings: zum Beispiel
über die angeblichen Stärken von präsidentiellen Systemen, die be-
haupteten Vorteile von Mehrheitsdemokratien sowie die vermeint-
lichen Gefahren der direkten Demokratie. Zugleich liefern sie The-
orien des Wählerverhaltens, Befunde aus der vergleichenden Demo-
kratiemessung sowie Erklärungsansätze für die unterschiedlichen
Leistungsbilanzen von Demokratien bei der Lösung politischer Pro-
bleme (vgl. Schmidt 2019).
(2) Formale Politische Theorien konstruieren Modelle. Ihre
Konstruktionen basieren auf wenigen Axiomen oder Voraussetzun-
gen, die sich je nach Theorieansatz unterscheiden. Ihre Theoriebil-
dung erfolgt auf deduktivem Wege. Weder ihre Grundannahmen
noch die Modelle erheben einen normativen Anspruch - etwa in
dem Sinne, dass die jeweiligen Autoren sie als positive Ideale prä-
sentieren. Im Hinblick aufihre empirische Gültigkeit zehren forma-
le Theorien von der Hoffnung, empirisch zutreffende Grundannah-
men gewählt sowie des Weiteren die Modelle richtig konstruiert zu
haben, um damit eine Erklärung von politischen Funktionsabläufen
geben zu können.
Seit mehreren Jahrzehnten konkurrieren in der bundesdeut-
schen Politischen Theorie zwei formale Theorieansätze miteinander,
der akteurszentrierte Ansatz von Rational-Choice-Modellen und
der systemorientierte Ansatz von Niklas Luhmann. Sie setzen an ge-
genüberliegenden Enden des politischen Prozesses an. Rational-
Choice-Theorien gehen zunächst von einzelnen Akteuren aus, de-
nen sie rationale Handlungsmotivationen unterstellen. Wenn sie
Politische Theorie - Ihre Konturen 39

sich auf höheren Ebenen des politischen Prozesses mit den Hand-
lungen kollektiver Akteure befassen, versuchen sie mithilfe dersel-
ben Rationalitätsannahmen das Verhalten von Verbänden, Parteien
und Staaten zu erklären. Die Systemtheorie beginnt demgegenüber
auf der Makroebene der Gesellschaft. Sie begreift die verschiedenen
Bereiche einer Gesellschaft als in sich abgeschlossene Systeme und
untersucht deren Struktur sowie die Funktion des politischen Sys-
tems und seiner einzelnen Bestandteile für die Gesamtgesellschaft.
Formale Theorien bieten Erklärungsansätze für eine Reihe von zu-
weilen irritierenden politischen Phänomenen in modernen Demo-
kratien an: zu der geringen politischen Steuerungsfähigkeit des
Staates, dem Anwachsen der Anzahl an Nicht-Wählern, dem sin-
kenden politischen Organisierungsgrad, dem Aufstieg des uninfor-
mierten Populismus, zu institutionellen Blockaden sowie zum weit-
gehenden Versagen bei der Klimapolitik.
(3) Gegenstand der Historischen Politischen Theorie ist die po-
litische Ideengeschichte. Ideengeschichtliche Untersuchungen ge-
hörten in der Gründungsphase zum festen Kanon des Faches, wur-
den aber in den 1970er Jahren zunehmend marginalisiert. Das hat
sich seit der Jahrtausendwende grundlegend geändert. Mittlerweile
gibt es auch im deutschsprachigen Raum eine Reihe vorzüglicher
Überblicksdarstellungen aus unterschiedlichen methodischen Pers-
pektiven. 6 Im Zuge der Rezeption neuer ideengeschichtlicher Me-
thoden aus der internationalen Forschung wie der Cambridge
School (Qyentin Skinner) und der Diskursanalyse (Michel Fou-
cault) gewann die politische Ideengeschichte in den vergangenen
beiden Jahrzehnten wieder an Boden. Dabei konkurrieren Metho-
den der Hermeneutik, Sozialgeschichte, Diskursanalyse, Computer-
linguistik und historischen Semantik miteinander - und ergänzen
sich an anderer Stelle. Inhaltlich hat sich die politische Ideenge-
schichte von ihrer lange Zeit dominierenden Bezugnahme auf einen
ausgewählten Kreis von wenigen Klassikern des politischen Denkens

6 Vgl. Llanque (2008), Salzborn (2015), Münkler/Straßenberger (2016) und


Brocker (2018), (2022).
40 Hubertus Buchstein

der Vergangenheit gelöst und betreibt verstärkt sozial- und begriffs-


geschichtliche Analysen sowie international vergleichende Studien
zur Entwicklung des politischen Denkens (vgl. Weber/Beckstein
2014 und 2021).
Für das Fach Politikwissenschaft erfüllt die politische Ideenge-
schichte zwei elementare Funktionen, die mit den Metaphern „Ar-
chiv" und „Arsenal" umschrieben werden (vgl. Llanque 2008,2).Als
Archiv bewahrt und tradiert sie die umfangreichen Bestände des po-
litischen Denkens seit seinem Beginn (spätestens der griechischen
Antike); als Arsenal hält sie einen vielfältigen Fundus an Ideen,Mo-
dellen, Erklärungsmustern, Argumenten und Reformvorschlägen für
aktuelle wissenschaftliche und politische Debatten bereit. Die Im-
pulse, die von der politischen Ideengeschichte auf die gegenwärtige
Demokratiedebatte ausgegangen sind, sind zahlreich. Zu ihnen ge-
hören Neuformulierungen der Theorie politischer Repräsentation,
die Neuaufnahme der Diskussion über Demokratie und Krieg, die
Neujustierung des Verhältnisses von Freiheit und Gleichheit, die
Renaissance des Republikanismus sowie die Wiederentdeckung von
Losverfahren für die moderne Politik (vgl. Buchstein/Pohl/Trimcev
2021).
(4) In Abgrenzung zu den drei bisherigen Zugangsweisen be-
anspruchen Arbeiten aus der Normativen Politischen Theorie expli-
zit, zu wissenschaftlich begründeten Stellungnahmen im Hinblick
aufSollensaussagen zu politischen Phänomenen zu gelangen. In der
normativen Theorie werden die Begründungen und die Kriterien für
die Bewertung politischer Phänomene nicht unter Verweis auf Max
Weber und dessen Postulat der „Wertfreiheit der Wissenschaft" in
einen als vorwissenschaftlich deklarierten Bereich abgedrängt, son-
dern sie werden explizit zum Gegenstand der wissenschaftlichen Be-
trachtung gemacht.
Die empirische Beobachtung zeigt, dass Normativität ein zen-
trales Phänomen des sozialen und politischen Lebens ist. Normati-
ve Erwartungen regulieren und strukturieren auf vielfältige Weise
die sozialen und politischen Beziehungen der Menschen unterein-
ander. Vertreter der normativen Politischen Theorie beharren ange-
Politische Theorie - Ihre Konturen 41

sichts dieser Tatsache auf der Möglichkeit, den „normativen Sinn"


(Habermas 2009, 13) von politischen Institutionen intersubjektiv
nachvollziehbar darlegen zu können. Von einem 'adäquaten theore-
tischen Umgang mit dem Phänomen der Normativitätverlangen sie
dezidiert, dass wir überzeugende Gründe für das politische ,Sollen'
anzugeben vermögen, die ein entsprechendes Handeln nicht nur er-
klären, sondern es auch rechtfertigen können (vgl. Schmalz-Bruns/
Hitzel-Cassangnes 2003, 134f.). Beriefen sich Vertreter*innen der
normativen Politischen Theorie in der Gründungsphase des Faches
für dieses Ansinnen auf antike oder naturrechtliche Theorietraditi-
onen, so wird die unumgängliche Normativität des Politischen heu-
te eher im Rekurs auf geteilte moralische Intuitionen (John Rawls),
auf anthropologische Konstanten (Martha Nussbaum) oder aufVer-
ankerungen in den allgemeinen Strukturen der menschlichen Kom-
munikation (Jürgen Habermas) begründet.
Die in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast exponentiell ge-
wachsene Anzahl der Arbeiten zur normativen Politischen Theorie
lässt sich drei Untertypen zuordnen, die sich in ihrer methodischen
Vorgehensweise gravierend voneinander unterscheiden. Martin
Saar hat in diesem Zusammenhang von unterschiedlichen „Bau-
weisen" Politischer Theorie gesprochen und die Baumetaphorik für
die Unterscheidung von konstruktiven, rekonstruktiven und dekon-
struktiven Architekturen von Theorien verwendet. 7 In der konst-
ruktiven (wie bei Rawls) und der rekonstruktiven (wie bei Haber-
mas) Theoriebildung wird auf unterschiedliche Weise nach über-
zeugenden Begründungen für bestimmte politische Ordnungssys-
teme oder Handlungen gesucht, während Beiträge, die
dekonstruktiv (wie in derTradition der marxistischen Ideologiekri-
tik oder Derridas) vorgehen, die jeweils zentralen politischen Nor-
men und politischen Begriffe einer radikalen genealogischen Kri-
tik aussetzen und damit eingespielte Rationalitätsstandards bewusst
zu unterlaufen beabsichtigen. Die Differenzen zwischen den drei
Untertypen zeigen sich selbst in Nuancen des Stils und der Wort-

7 Zu dieser Unterscheidung von Martin Saar vgl. Jörke/Nullmeier (2012 4).


42 Hubertus Buchstein

wahl. Wo ein Rekonstruktivist wie Axel Honneth nach Brücken zu


empirisch verfahrenden Analysen sucht und in der politischen Re-
alität nach Elementen einer sich verwirklichenden Vernunft, sieht
sich eine Dekonstruktivistin wie Judith Butler dazu veranlasst, uns
diese politische Realität als möglichst fremdartig erscheinen zu las-
sen.Und wo ein postmoderner Autor wie Richard Rorty das rheto-
rische Stilmittel der absichtlichen Überpointierung verwendet, wird
ein solches Argumentationsverfahren von einer analytisch geschul-
ten Konstruktivistin wie Christine M. Korsgaard als unnötige Phra-
se abgelehnt. Vor dem Hintergrund solcher Differenzen bei der
Vorgehensweise von Theoriebildung und im Argumentationsstil
sollte man deshalb auch keinen für die normative Theorie gemein-
samen Methodenkanon erwarten. 8
Mehr Gemeinsamkeiten finden sich bei der Auflistung von ak-
tuellen Themenschwerpunkten normativer Politischer Theorien. Das
sind einerseits zentrale politische Ordnungsbegriffe wie Staat, De-
mokratie, Institution, Macht oder System sowie andererseits zent-
rale normative Leitideen wie Gerechtigkeit, Gemeinwohl, Pluralis-
mus, Anerkennung, Freiheit oder Gleichheit. Zu den neuen (und zu-
weilen ebenso alten) Thematisierungen gehören Debatten über Ge-
walt und Widerstand, Geschlechter und Geschlechtergerechtigkeit,
Menschenrechte, Migration, Toleranz und deren Grenzen, Kosmo-
politanismus und Post-Kolonialismus, Populismus, Rassismus, Bio-
politik oder der Einsatz von Losverfahren in der Demokratie. 9 Viel-
fach überschneiden sich die Themenschwerpunkte oder werden mit-
einander kombiniert.

8 Zu den methodologischen Differenzen im Einzelnen vgl. Zapf(2013).


9 Gute Übersichten bieten Hartmann/Offe (2011), Göhler/Iser/Kemer (2012)
sowie die Beiträge zu einzelnen Theorieansätzen in Brodocz/Schaal (2021).
Politische Theorie - Ihre Konturen 43

4. Interpret und Platzhalter: die drei


Reflexionsfunktionen der Politischen Theorie

Die Politische Theorie bezieht sich nicht nur auf die akademische
Disziplin Politikwissenschaft, sondern nimmt insofern eine gesell-
schaftliche Reflexionsfunktion wahr, als sie ihre Aufmerksamkeit
auch auf Alltagsverständnisse und -theorien der Politik richtet. Die
Fragen, mit denen sich Politische Theoretiker*innen beschäftigen,
sind im Kern die gleichen, auf welche auch die politischen Akteure
in ihrem Denken und Handeln Antworten zu geben versuchen:
Politische Theorien sind, so Ruth Grant, letztlich nicht mehr als ei-
ne „extension of a natural, daily activity" (Grant 2004, 185). Alltags-
theorien der Politik basieren auf alltäglichen Erfahrungen und Pro-
blemwahrnehmungen, über die es bekanntlich sehr unterschiedliche
Ansichten und Meinungen gibt- und schon deshalb ist die Politi-
sche Theorie in pluralen Gesellschaften unverzichtbar, denn sie bie-
tet einen Raum der distanzierten Auseinandersetzung mit diesen
unterschiedlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen. Die akade-
mische Politische Theorie kann in solchen gesellschaftspolitischen
Debatten die Rolle eines Interpreten und eines Platzhalters einneh-
men.10
Als Interpret fungiert die Politische Theorie insofern, als sie die
mit politischen Lösungsvorschlägen einhergehenden normativen
Grundannahmen rekonstruiert und somit den Weg für eine grund-
legende Diskussion über gesellschaftliche Zielvorstellungen bahnt.
Viele gesellschaftliche Akteure haben so etwas wie „alltägliche po-
litische Theorien" (Demirovic 1995, 206), die auch für die Politische
Theorie interessante Fragen aufwerfen. Als Platzhalter für eine erst
noch zu besetzende Position fungiert die Politische Theorie, indem
sie dazu anregt, auf Distanz zu den gegenwärtigen und zumeist un-
hinterfragten Praxis- und Problematisierungskontexten zu gehen.
Die Politische Theorie zieht sich dann nicht auf die Beobachterrol-

1 0 Zu dieser Rollenunterscheidung im Hinblick auf die Philosophie vgl.


Habermas (1981).
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good annealing a piece should never be hotter in one part than in
another, and no part should be hotter than necessary, usually the
medium orange color. Annealing, then, is a slow process
comparatively, and sufficient time should be allowed.
There are many ways of annealing steel, and generally the plan
used is well adapted to the result desired; it is necessary, however,
to consider the end aimed at and to adopt means to accomplish it,
because a plan that is excellent in one case may be entirely
inefficient in another.
Probably the greatest amount of annealing is done in the
manufacture of wire, where many tons must be annealed daily.
For annealing wire sunken cylindrical pits built of fire-bricks are
used usually; the coils of wire are piled up in the cylinders, which are
then covered tightly, and heat is applied through flues surrounding
the cylinders, so that no flame comes in contact with the steel. For all
ordinary uses this method of annealing wire is quick, economical,
and satisfactory. The wire comes out with a heavy scale of oxide on
the surface; this is pickled off in hot acid, and the steel should then
be washed in limewater, then in clean water, and finally dried.
If it be desired to make drill-wire for drills, punches, graving-tools,
etc., this plan will not answer, because under the removable scale
there is left a thin film of decarbonized iron which cannot be pickled
off without ruining the steel, and which will not harden. It is plain that
this soft surface must be ruinous to steel intended for cutting-tools,
for it prevents the extreme edge from hardening—the very place that
must be hard if cutting is to be done.
Tools for drills, lathe-tools, reamers, punches, etc., are usually
annealed in iron boxes, filled in the spaces between the tools with
charcoal; the box is then looted and heated in a furnace adapted to
the work. This is a satisfactory method generally, because the tools
are either ground or turned after annealing, removing any
decarbonized film that may be found; the charcoal usually takes up
all of the oxygen and prevents the formation of heavy scale and
decarbonized surfaces, but it does not do so entirely, and so for
annealing drill-wire this plan is not satisfactory. It is a common
practice in annealing in this way to continue the heating for many
hours, sometimes as many as thirty-six hours, in the mistaken notion
that long-continued heating produces greater softness, and some
people adhere to this plan in spite of remonstrances, because they
find that pieces so annealed will turn as easily as soft cast iron. This
last statement is true; the pieces may be turned in a lathe or cut in
any way as easily as soft cast iron, for the reason that that is exactly
what they are practically. When steel is made properly, the carbon is
nearly all in a condition of complete solution; it is in the very best
condition to harden well and to be enduring.
When steel is heated above the recalescence-point into the
plastic condition, the carbon at once begins to separate out of
solution and into what is known as the graphitic condition. If it be
kept hot long enough, the carbon will practically all take the graphitic
form, and then the steel will not harden properly, and it will not hold
its temper. To illustrate: Let a piece of 90-carbon steel be hardened
and drawn to a light brown temper; it will be found to be almost file
hard, very strong, and capable of holding a fine, keen edge for a long
time.
Next let a part of the same bar be buried in charcoal in a box and
be closed up air-tight, then let it be heated to a medium orange, no
hotter, and be kept at that heat for twelve hours, a common practice,
and then cooled slowly. This piece will be easily cut, and it will
harden very hard, but when drawn to the same light brown as the
other tool a file will cut it easily; it will not hold its edge, and it will not
do good work.
Clearly in this case time and money have been spent merely in
spoiling good material. There is nothing to be gained, and there is
everything to be lost, in long-continued heating of any piece of steel
for any purpose. When it is hot enough, and hot through, get it away
from the fire as quickly as possible.
This method of box-annealing is not satisfactory when applied to
drill-wire, or to long thin strands intended for clock-springs, watch-
springs, etc.
The coils or strands do not come out even; they will be harder in
one part than in another; they will not take an even temper. When
hardened and tempered, some parts will be found to be just right,
and others will have a soft surface, or will not hold a good temper.
The reason of this seems to be a want of uniformity in the conditions:
the charcoal does not take up all of the oxygen before the steel is hot
enough to be attacked, and so a decarbonized surface is formed in
some parts; or it may be that some of the carbon dioxide which is
formed comes in contact with the surface of the steel and takes
another equivalent of carbon from it. Whatever the reaction may be,
the fact is that much soft surface is formed. This soft surface may not
be more than .001 of an inch thick, but that is enough to ruin a
watch-spring or a fine drill.
Again, it seems to be impossible to heat such boxes evenly; it is
manifest that it must take a considerable length of time to heat a
mass of charcoal up to the required temperature, and if the whole be
not so heated some of the steel will not be heated sufficiently; this
will show itself in the subsequent drawing of the wire or rolling of the
strands. On the other hand, if the whole mass be brought up to the
required heat, some of the steel will have come up to the heat
quickly, and will then have been subjected to that heat during the
balance of the operation, and in this way the carbon will be thrown
out of solution partly. This is proven by the fact that strands made in
this way and hardened and tempered by the continuous process will
be hard and soft at regular intervals, showing that one side of the coil
has been subjected to too much heat. This trouble is overcome by
open annealing, which will be described presently.
When steel is heated in an open furnace, there is always a scale
of oxide formed on the surface; this scale, being hard, and of the
nature of sand or of sandstone, grinds away the edges of cutting-
tools, so that, although the steel underneath may be soft and in good
cutting condition, this gritty surface is very objectionable. This trouble
is overcome by annealing in closed vessels; when charcoal is used,
the difficulties just mentioned in connection with wire- and strand-
annealing operate to some extent, although not so seriously,
because the steel is to be machined, removing the surface.
The Jones method of annealing in an atmosphere of gas is a
complete cure for these troubles.
Jones uses ordinary gas-pipes or welded tubes of sizes to suit
the class of work. One end of the tube is welded up solid; the other
end is reinforced by a band upon which a screw-thread is cut; a cap
is made to screw on this end when the tube is charged. A gas-pipe
of about ½-inch diameter is screwed into the solid end, and a hole of
¹/₁₆- to ⅛-inch diameter is drilled in the cap.
When the tube is charged and the cap is screwed on, a hose
connected with a gas-main is attached to the piece of gas-pipe in the
solid end of the tube; the gas-pipe is long enough to project out of
the end of the furnace a foot or so through a slot made in the end of
the furnace for that purpose.
The gas is now turned on and a flame is held near the hole in the
cap until the escaping gas ignites; this shows that the air is driven
out and replaced by gas.
The pipe is now rolled into the furnace and the door is closed, the
gas continuing to flow through the pipe. By keeping the pipe down to
a proper annealing-heat it is manifest that the steel will not be any
hotter than the pipe. By heating the pipe evenly by rolling it over
occasionally the steel will be heated evenly. A little experience will
teach the operator how long it takes to heat through a given size of
pipe and its contents, so that he need not expose his steel to heat
any longer than necessary.
There is not a great quantity of gas consumed in the operation,
because the expanding gas in the tube makes a back pressure, the
vent in the cap being small. This seems to be the perfection of
annealing. A tube containing a bushel or more of bright, polished
tacks will deliver them all perfectly bright and as ductile as lead,
showing that there is no oxidation whatever. Experiments with drill-
rods, with the use of natural gas, have shown that they can be
annealed in this way, leaving the surface perfectly bright, and
thoroughly hard when quenched. This Jones process is patented.
Although the Jones process is so perfect, and necessary for
bright surfaces, its detail is not necessary when a tarnished surface
is not objectionable.
The charcoal difficulty can be overcome also. Let a pipe be made
like a Jones pipe without a hole in the cap or a gas-pipe in the end.
To charge it first throw a handful of resin into the bottom of the pipe,
then put in the steel, then another handful of resin near the open
end, and screw on the cap. The cap is a loose fit. Now roll the whole
into the furnace; the resin will be volatilized at once, fill the pipe with
carbon or hydrocarbon gases, and unite with the air long before the
steel is hot enough to be attacked.
The gas will cause an outward pressure, and may be seen
burning as it leaks through the joint at the cap. This prevents air from
coming in contact with the steel. This method is as efficient as the
Jones plan as far as perfect heating and easy management are
concerned. It reduces the scale on the surfaces of the pieces,
leaving them a dark gray color and covered with fine carbon or soot.
For annealing blocks or bars it is handier and cheaper than the
Jones plan, but it will not do for polished surfaces. This method is not
patented.

OPEN ANNEALING.
Open annealing, or annealing without boxes or pipes, is practised
wherever there are comparatively few pieces to anneal and where a
regular annealing-plant would not pay, or in a specially arranged
annealing-furnace where drill-wire, clock-spring steel, etc., are to be
annealed.
For ordinary work a blacksmith has near his fire a box of dry lime
or of powdered charcoal. He brings his piece up to the right heat and
buries it in the box, where it may cool slowly. In annealing in this way
it is well not to use blast, because it is liable to force all edges up to
too high a heat and to make a very heavy scale all over the surface.
With a little common-sense and by the use of a little care this way of
annealing is admirable.
It is a common practice where there is a furnace in use in
daytime and allowed to go cold at night to charge the furnace in the
evening, after the fire is drawn, with steel to be annealed, close the
doors and damper, and leave the whole until morning. The furnace
does not look too hot when it is closed up, but no one knows how hot
it will make the steel by radiation: the steel is almost always made
too hot, it is kept hot too long, and so converted into cast iron, and
there is an excessively heavy scale on it.
Many thousands of dollars worth of good steel are ruined
annually in this way, and it is in every way about the worst method of
annealing that was ever devised.
To anneal wire or thin strands in an open furnace the furnace
should be built with vertical walls about two feet high and then
arched to a half circle. The inports for flame should be vertical and
open into the furnace at the top of the vertical wall; the outports for
the gases of combustion should be vertical and at the same level as
the inports and on the opposite side of the furnace from the inports.
These outflues may be carried under the floor of the furnace to keep
it hot.
The bottom of the door should be at the level of the ports to keep
indraught air away from the steel. The annealing-pot is then the
whole size of the furnace—two feet deep—and closed all around.
The draught should be regulated so that the flame will pass
around the roof, or so nearly so as to never touch the steel, not even
in momentary eddies.
In such a furnace clock-spring wire not more than .01 inch in
diameter, or clock-spring strands not more than .006 to .008 inch
thick and several hundred feet long, may be annealed perfectly. The
steel is scaled of course, but the operation is so quick and so
complete that there is no decarbonized surface under the scale.
This plan is better than the Jones method or any closed method,
because the big boxes necessary to hold the strands or coils cannot
be heated up without in some parts overheating the steel; all of
which is avoided in the open furnace, because by means of peep-
holes the operator can see what he is about, and after a little
practice he can anneal large quantities of steel uniformly and
efficiently.
VIII.
HARDENING AND TEMPERING.

For nearly all structural and machinery purposes steel is used in


the condition in which it comes from the rolls or the forge; in
exceptional cases it is annealed, and in some cases such as for wire
in cables or for bearings in machinery, it is hardened and tempered.
For all uses for tools steel must be hardened, or hardened and
tempered. The operations of hardening and tempering, including the
necessary heating, are the most important, the most delicate, and
the most difficult of all of the manipulations to which steel is
subjected; these operations form an art in themselves where skill,
care, good judgment, and experience are required to produce
reliable and satisfactory results. It is a common idea that all that is
necessary is to heat a piece of steel, quench it in water, brine, or
some pet nostrum, and then warm it to a certain color; these are
indeed the only operations that are necessary, but the way in which
they are done are all-important.
An experienced steel-maker is often amazed at the confidence
with which an ignorant person will put a valuable tool in the fire, rush
the heat up to some bright color, or half a dozen colors at once, and
souse it into the cooling-bath without regard to consequences. That
such work does not always result in disastrous fractures shows that
steel does possess marvellous strength to resist even the worst
disregard of rules and facts.
On the other hand, the beautiful work upon the most delicate and
difficult shapes that is done by one skilled in the art cannot but excite
the surprise and admiration of the onlooker who is familiar with the
physics of steel, and who can appreciate the delicacy of handling
required in the operation.
There are a few simple laws to observe and rules to follow which
will lead to success; they will be stated in this chapter as clearly as
may be, in the hope of giving the reader a good starting-point and a
plain path to follow; but he who would become an expert can do so
only by travelling the road carefully step by step. The hair-spring of a
watch, or a little pinion or pivot, so small that it can only be seen
through a magnifying-glass, the exquisitely engraved die costing
hundreds or thousands of dollars, and the huge armor-plate
weighing many tons, must all be hardened and tempered under
precisely the same laws and in exactly the same way; the only
difference is in the means of getting at it in each case.
Referring now to properties mentioned in the previous chapters,
we have first to heat the piece to the right temperature and then to
cool it in the quickest possible way in order to secure the greatest
hardness and the best grain. In doing this we subject the steel to the
greatest shocks or strains, and great care must be used.
The importance of uniformity in heating for forging and for
annealing has been stated, and it has been shown how an error in
this may be rectified by another and a more careful heating; when it
comes to hardening, this uniformity must be insisted upon and
emphasized, for as a rule an error here has no remedy.
There may be cases of bad work that do not cause actual
fracture that can be remedied by re-heating and hardening, but these
are rare, because even if incurable fracture does not occur the error
is not discovered until the piece has been put to work and its failure
develops the errors of the temperer.
If the error is one of merely too low heat, not producing thorough
hardening, it will generally be discovered by the operator, who will
then try again and possibly succeed; but if the error be of uneven
heat, or too much heat, the probabilities are that it will not be
discovered until the piece fails in work, when it will be too late to
apply any remedy.
Referring to Table I, Chap. V, treating of specific gravities, it is
clear that all steel possesses different specific gravities, due to
differences of temperature, and that these differences of specific
gravity increase as the carbon content increases; it follows that if a
piece of steel be heated unevenly, internal strains must be set up in
the mass, and it is certain that if steel be quenched in this condition
violent strains will be set up, even to the causing of fractures.
The theory of this action, as of all hardening, is involved in
discussion which will be considered later; in this chapter the facts will
be dealt with. When a piece of steel is heated, no matter how
unevenly or to what temperature below actual granulation, and is
allowed to cool slowly and without disturbance, it will not break or
crack under the operation. If a piece be heated as unevenly as, say,
medium orange in one part and medium lemon in another, and is
then quenched, it will be almost certain to crack if it contains enough
carbon to harden at all in the common acceptance of the term, that is
to say, file hard or having carbon 40 or higher.
This fact is too well known to be open to discussion; therefore the
quenching of hot steel, the operation of hardening, does set up
violent strains in steel, no matter what the true theory of hardening
may be.
Referring to Chap. V, to the series of squares representing the
apparent sizes of grain due to different temperatures, similar results
follow from hardening, with the exceptions that the different
structures are far more plainly marked, and the squares should be
arranged a little differently; they are shown as continuously larger in
Chap. V, from the grain of the cold bar up to the highest
temperature; this is true if a bar has been rolled or hammered
properly into a fine condition of grain. Of course if a bar be finished
at, say, medium orange it will have a grain due to that heat—No. 3 in
the series of squares. Then if it be heated to dark orange and cooled
from that heat it will take on a grain corresponding to square No. 2,
and No. 1 square will be eliminated.
The series of squares to represent hardened grain will be as
follows:
The heat colors being the same as before, viz.:
1. The natural bar—untreated.
2. Quenched at dark orange or orange red.
3. “ “ medium orange—refined.
4. “ “ bright orange.
5. “ “ dark lemon.
6. “ “ medium lemon.
7. “ “ bright lemon.
8. “ “ very bright lemon or creamy.

Heats 6, 7, 8 will almost invariably produce


cracks although the pieces be evenly heated.
These squares do not represent absolute structures with marked
divisions; they are only the steps on an incline, like the temper
numbers in the carbon series; thus, the carbon-line is continuous,
but the temper divisions represent steps up the incline. So with the
series of squares, the changes of grain or structure are continuous,
as represented by the doubly inclined line; the squares being only
the steps to indicate easily observed divisions. The minuteness of
the changes is illustrated by the fact that in a piece heated
continuously from creamy to dark orange and quenched, differences
of grain have been observed unmistakably on opposite sides of
pieces broken off not more than ⅛ inch thick.
In practice the differences due to the colors given in the list above
are as plain and surely marked as are the differences in the structure
of ingots due to the different temper carbons already described.
In this hardened series each carbon temper gives its own
peculiar grain; in low steel, say 40 carbon compared to 1.00 carbon
or higher, No. 3 will be larger and No. 8 will be smaller in the low
temper than in the high—another illustration of the fact that low steel
is more inert to the action of heat than high steel. All grades and all
tempers go through the same changes, but they are more marked in
the high than in the low steel.
The grain of hardened steel is affected by the presence of silicon,
phosphorus, and manganese, and doubtless by any other
ingredients, these three being the most common.
It is in the grain of hardened steel that the conditions described in
Chap. V as “sappy,” “dry,” and “fiery” are the most easily and
frequently observed, although the same conditions obtain in
unhardened steel in a manner that is useful to an observing steel-
user. But it is in this hardened condition that the excellences or
defects of steel are brought out and emphasized.
When a piece of steel is heated continuously from “creamy,” or
scintillating, down to black, or unheated, and is then quenched, the
grain will be found to be coarsest, hardest, and most brittle at the
hottest end, and with the brightest lustre, even to brilliancy, and to
become finer down to a certain point, noted as No. 3 in the series of
squares, or at a heat which shows about a medium orange color;
here the grain becomes exceedingly fine, and here the steel is found
to be the strongest and to be without lustre. Below this heat the grain
appears coarser and the steel is less hard, until the grain and
condition of the unheated part are reached. This fine condition,
known as the refined condition, is very remarkable. It is the condition
to be aimed at in all hardening operations, with one or two
exceptions which will be noted, because in this state steel is at its
best; it is strongest then, and it would seem to be clear without
argument that the finest grain and the strongest will hold the best at
a fine cutting-edge, and will do the most work with the least wear,
although a coarser grain may be a little harder, the coarser and more
brittle condition of the latter more than counterbalancing its superior
hardness.
The advantages of this refined condition are so great that it is
found to be well to harden and refine mild-steel dies, and battering-
and cutting-tools that are to be used for hot work, although the heat
will draw out all of the temper in the first few minutes, because the
superior strength of the fine grain will enable the tool to do twice to
twenty times more work than an unhardened tool.
The refining-heat, like most other properties, varies with the
carbon; the medium orange given is the proper heat for normal tool-
steel of from about 90 to 110 carbon. Steel of 150 carbon will refine
at about a dark orange, and steel of 50 to 60 carbon will require
about a bright orange to refine it.
This range is small, but it must be observed and worked to if the
best results are desired.
A color-blind person can never learn to harden steel properly.
In studying this phenomenon of refining, the conclusion was
reached that it occurred at or immediately above the temperature
that broke up the crystalline condition of cold steel and brought it
fairly into the second, the plastic condition. Farther observation led to
the conclusion that the coarser grain and greater hardness caused
by higher heats were due to the gradual change from plastic toward
granular condition that takes place as the heat increases. Later
investigations have given no reason for changing these conclusions.
When the phenomenon of recalescence was observed and
investigated by Osmond and others, different theories were
advanced in explanation.
Langley concluded that if recalescence occurred at the change
from a plastic to a crystalline condition, then the heat absorbed and
again set free during such changes would account for the visible
phenomenon of recalescence.
Again, if it should prove that recalescence occurred at the refining
point, the conjunction of these phenomena would indicate strongly,
first, that refining does occur at the point where this change of
structure is complete in the reverse order, from crystalline to plastic;
and second, the first being true, recalescence would be explained as
stated, as indicating the inevitable absorption and emission of heat
due to such a change.
Langley fitted up an electric apparatus for heating steel, in a box
so placed that the light was practically uniform, that is, so that bright
sunlight, or a cloudy sky, or passing clouds would not affect seriously
the observation of heat-colors.
Pieces of steel were heated far above recalescence, up to bright
lemon, and then allowed to cool slowly; in this way recalescence was
shown clearly.
It was found to occur at the refining heat in every case, shifting
for different carbons just as the refining heat shifts.
Immediately under the pieces being observed was a vessel of
water into which the pieces could be dropped and quenched. After
observing the heating and cooling until the eye was well trained,
pieces were quenched at different heats and the results were noted.
It was found that in the ascending heats no great hardness was
produced until the recalescence heat was reached or passed
slightly; and in the descending heat excessive hardening occurred at
a little below the recalescent heat, although no such hardening
occurred at that color during ascending heats. This apparent
anomaly is due simply to lag. If, in ascending, the piece be held for a
few moments at the recalescent point, no increase being allowed,
and then it be quenched, it will harden thoroughly and be refined. If,
in descending, the cooling be arrested at a little below the
recalescence for a few moments, neither increase nor decrease
being allowed, and then the piece be quenched, it will not harden
any better than if it be quenched immediately upon reaching the
same heat in ascending.
Time must be allowed for the changes to take place, and lag
must be provided for.
These experiments show that refining and recalescence take
place at the same temperature.

AS TO HARDNESS.
Prof. J. W. Langley showed by sp. gr. determinations that steel
quenched from 212° F. in water at 60° F. showed the hardening
effect of such quenching, the difference of temperature being only
152° F.
Prof. S. P. Langley, of the Smithsonian, proved the same to be
true by delicate electrical tests, and these again were confirmed by
Prof. J. W. Langley in the laboratory of the Case School of Sciences.
A piece of refined steel will rarely be hard enough to scratch
glass. A piece of steel quenched from creamy heat will almost
always scratch glass. The maximum hardness is produced by the
highest heat, or when temperature minus cold is a maximum; the
least hardness is found by quenching at the lowest heat above the
cooling medium, or when temperature minus cold is a minimum—the
time required to quench being a minimum in both cases.
What occurs between these limits? Is the curve of hardness a
straight line, or an irregular line?
Let a piece of steel be heated as uniformly as possible from a
creamy heat at one end to black at the other, and then be quenched.
Now take a newly broken hard file and draw its sharp corner
gently and firmly over the piece, beginning at the black-heated end.
The file will take hold, and as it is drawn along it will be felt that the
piece becomes slightly harder as the file advances, until suddenly it
will slip, and no amount of pressure will make it take hold above that
point. The piece has become suddenly file hard.
Next try the same thing with a diamond; the diamond will cut
easily until the point is reached where the file slipped, then there will
be found a great increase of hardness.
From this point to the end of the piece it is observed readily by
the action of the diamond that there is a gradual increase of
hardness from the hump to the end of the piece to the creamy-
heated end. Attempts were made to measure this curve of hardness
by putting a load on the diamond and dragging it over the piece; but
no diamond obtainable would bear a load heavy enough to produce
a groove that could be measured accurately by micrometer. An
examination of such a groove, through a strong magnifying-glass
revealed the conditions plainly; the groove of hardness may be
illustrated on an exaggerated scale; thus:

The next question was, Where does this hump occur, and what is
the cause of it?
Careful observation showed that it occurred at the point of
recalescence, at the refining-point. This word point must not be
taken as space without dimension in this connection; it is used in the
common sense of at or adjacent to a given place. There is of course
a small allowable range of temperature above any given exact point
of recalescence, such as 655° C. or 1211° F.
By superimposing Langley’s curves of cooling and of hardening
(see Trans. Am. Soc. Civ. Eng., Vol. XXVII, p. 403), the relation
between recalescence and the hardening-hump is obvious.
It is safe to say that experience proves that the refined condition
is the best for all cutting-tools of every shape and form.
It seems to be obvious; the steel is then in its strongest condition,
and when the grain is finest, the crystals the smallest, a fine edge
should be the most enduring, because there is a more intimate
contact between the particles. That a steel will refine well, and be
strong in that condition is the steel-maker’s final test of quality.
No steel-maker who has a proper regard for the character of his
product will accept raw material upon mere analysis; analysis is of
the utmost importance, for material for steel-making must be of a
quality that will produce a certain quality of steel, or the result will be
an inferior product. This applies to acid Bessemer and open-hearth,
and to crucible-steel especially; the basic processes admit of a
reduction of phosphorus not obtainable in the others.
In making fine-tool steel a bad charge in the pot inevitably means
a bad piece of steel. It may happen also that an iron of apparently
good analysis will not produce a really fine steel; then there must be
a search for unusual elements, such as copper, arsenic, antimony,
etc., or for dirt, left in the iron by careless working. The refining-test
then is as necessary as analysis, for if steel will not refine thoroughly
it will not make good tools. Battering-tools, such as sledges,
hammers, flatters, etc., should be refined carefully, for although their
work is mainly compressive they are liable to receive, and do get,
blows on the corners and edges that would ruin them if they were not
in the strongest condition possible.
The reasons for refining hot-working tools have been stated
already. Engraved dies for use in drop-presses where they are
subjected to heavy blows are undoubtedly in the most durable
condition when they are refined, but they are subjected not only to
impact, but to enormous compression, and therefore they must be
hardened deeply. When a die-block is heated so as to refine, and
then is quenched, it hardens perfectly on the surface and not very
deeply, and it is quite common in such a case to see a die crushed
by a few blows: the hardened part is driven bodily into the soft steel
below it, and the die is ruined; thus:

To avoid this, such a die should be heated to No. 5, or a dark


lemon, and quenched suddenly in a large volume of rushing water.
It will then have the enormous resistance to compression that is
so well known in very hard steel, and it will be hardened so deeply
that the blow of the hammer will not crush through the hard part. This
is the best condition, too, of an armor-plate that is to resist the
impact of a projectile.
It will be brittle, a light blow of a hammer will snip the corners, but
it cannot be crushed by ordinary work. Dies made in this way have
turned out thousands of gross of stamped pieces, showing no
appreciable wear.
To harden a die in this way is a critical operation, because the
strains are so enormous that a very trifling unevenness in the heat
will break the piece, but the skill of expert temperers is so great that
they will harden hundreds of dies in this way and not lose one if the
steel be sound.

HEATING FOR HARDENING.


A smith can heat an occasional piece for hardening, in his
ordinary fire by using care and taking a little time. Where there are
many pieces to be hardened, special furnaces should be used.
For thousands of little pieces, such as saw-teeth or little springs,
a large furnace with a brick floor, and so arranged that the flame will
not impinge on the pieces, is good.
The operator can watch the pieces, and as soon as any come to
the right color he can draw them out, letting them drop into the
quenching-tank, which should be right under the door or close at
hand.
For twist-drills, reamers, etc., a lead bath, or a bath of melted salt
and soda, is used. The lead bath is the best if care be taken to draw
off the fumes so as not to poison the heaters. Because a bath of this
kind is of exactly the right color at the top it is not to be assumed that
pieces can be heated in it and hardened without further attention.
Thousands of tools are ruined, and thousands of dollars are
thrown away annually, by unobserving men who assume that
because a lead bath appears to be exactly the right color at the
surface it is therefore just right.
A dark orange color surface may have underneath it an
increasingly higher temperature, up to a bright lemon at the bottom,
and tools heated in such a bath will have all of the varying
temperatures of the bath; then cracked tools, twisted tools, brittle

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