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Sensorische Regime Die

wahrnehmungsformierende Kraft des


Films Johannes Geng
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Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft

Johannes Geng

Sensorische
Regime
Die wahrnehmungsformierende
Kraft des Films
Film und Bewegtbild in Kultur
und Gesellschaft

Reihe herausgegeben von


A. Geimer, Hamburg, Deutschland
C. Heinze, Hamburg, Deutschland
R. Winter, Klagenfurt, Österreich
Die Reihe „Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft“ möchte die sozio-
­logische Auseinandersetzung mit dem Film intensivieren und eine Publikations­
plattform für Soziolog_innen, aber auch Medien- und K­ ulturwissenschaftler_innen
mit soziologischem Interesse schaffen. Dabei soll die Film- und Bewegtbild-
­soziologie in ihrem Profil sowohl theoretisch, methodologisch/methodisch wie
empirisch gefördert werden und Platz für Differenzierung und Verstetigung
­filmsoziologischer Schwerpunkte geschaffen werden.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/13426


Johannes Geng

Sensorische Regime
Die wahrnehmungsformierende
Kraft des Films
Johannes Geng
Mainz, Deutschland

Zgl. Dissertation an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 2017

ISSN 2524-3020 ISSN 2524-3039 (electronic)


Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft
ISBN 978-3-658-23501-7 ISBN 978-3-658-23502-4 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23502-4

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­


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Springer VS
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In Dankbarkeit
für meine
Mutter
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ......................................................................................................... 1!

2. ! Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung


als kulturtheoretisches Problem .............................................................. 15!
2.1! Wahrnehmungsgeschichte als Begriffsgeschichte ...................................... 15!
2.2! Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie ..... 17!
2.2.1! Marx: Die industrielle Moderne als
Zäsur in der Geschichte der Wahrnehmung .................................... 18!
2.2.2! Lukács: Wahrnehmung und Verdinglichung
in der kapitalistischen Gesellschaft ................................................. 22!
2.2.3! Benjamin: Filmtechnologie als Agent
einer Politik der sinnlichen Wahrnehmung ..................................... 25!
2.2.4! Adorno: Betrogene Sinnlichkeit ...................................................... 35!
2.3! Neuere kulturwissenschaftliche Ansätze .................................................... 42!
2.3.1! Crary: Verkörperlichung und Rationalisierung
des Sehens in der Moderne .............................................................. 43!
2.3.2! Sterne: Verdinglichte Wahrnehmungspraxis
als Signum der Medientechnologie ................................................. 50!

3. ! Das Kino und der historische Charakter von Wahrnehmung .............. 53!
3.1! Die Standpunkte der Kritiker des Theoriediskurses ................................... 53!
3.2! Übersicht: Die bisherige Rezeption in der Filmwissenschaft ..................... 60!
3.2.1! Der frühe Film und die Transformation
der Erfahrbarkeit von Raum und Zeit.............................................. 60!
3.2.2! Sinnliche Überstimulation in der Moderne
und das Melodram der 1920er Jahre ............................................... 64!
3.2.3! Wie Hollywood zu seiner Sound-Ordnung kam ............................. 66!
VIII Inhaltsverzeichnis

3.2.4! Die Sinnesexperimente der sowjetischen Avantgarde


und ihr Nachwirken ......................................................................... 70!
3.2.5! Die feministische Kritik an Hollywoods heteronormativer
Blickdetermination .......................................................................... 72!
3.2.6! Das wahrnehmende Subjekt zwischen der Leinwand
und dem Begehren ........................................................................... 74!
3.2.7! Film – Leib – Wahrnehmung: Impulse der
phänomenologischen Filmtheorie ................................................... 76!
3.3! Zusammenfassung ...................................................................................... 80!

4. ! Zur Konzeption eines Sensorischen Regimes


– Theoretisches Modell und empirisches Faktum ................................. 83!
4.1! Zur Ausgangsfrage: Was kennzeichnet filmtechnologisch
vermittelte Wahrnehmung?......................................................................... 83!
4.2! Sensorisches Regime – eine programmatische Bestimmung ..................... 88!
4.3! Standard – Wiederholung – Dominanz als
Kern des filmtheoretischen Modells ........................................................... 95!
4.4! Der Regime-Begriff und sein Mehrwert
für den historiographischen Ansatz ............................................................ 97!
4.5! Über die Aufgabe der Analysekategorie „des Zuschauers“ ...................... 103!

5.! Das Sensorische Regime von Körper, Masse und Raum


im NS-Propagandafilm ........................................................................... 109!
5.1 ! Über das Verhältnis von NS-Ideologie und Filmästhetik
– Standpunkte einer Debatte ..................................................................... 115!
5.1.1! Abbild und Verführung: Die Ideologiekritik am „NS-Kino“ ........ 115!
5.1.2! Die Hinwendung zum populären Film im Nationalsozialismus ... 119!
5.1.3! Von der Relativierung zur Analyse des Politisch-Unpolitischen .. 122!
5.1.4! Neuere methodische Ansätze: Mikroanalysen .............................. 124!
5.1.5! Zur Frage: Was ist ein NS-Propagandafilm? ................................ 130!
5.2! Die Grundzüge der NS-Ideologie von Körper, Masse und Raum ............ 134!
5.2.1! Körper ............................................................................................ 135!
5.2.2! Masse ............................................................................................. 139!
5.2.3! Raum ............................................................................................. 144
Inhaltsverzeichnis IX

5.3! Parameter I: Die Masse marschiert ........................................................... 147!


5.3.1! Die Grundlegung des Parameters in
den ersten Reichsparteitagsfilmen ................................................. 149!
5.3.2! Die Verfeinerung des technoästhetischen Standards
durch Riefenstahl ........................................................................... 154!
5.3.3 ! Ausstrahlungseffekte und Nachwirken
des technoästhetischen Standards .................................................. 171!
5.4 ! Parameter II: Der „Führer“ fährt durch die jubelnde Menge .................... 175!
5.4.1! Ankunft und Überhöhung .............................................................. 175!
5.4.2! Die dramaturgische Einbettung des Ereignisses ........................... 177!
5.4.3! Sinnliche Einmaligkeit des Erfahrungsmoments .......................... 179!
5.5 ! Parameter III: Die Ansprache des „Führers“ ............................................ 186!
5.5.1! Die Uneinheitlichkeit der filmischen Visualisierung .................... 186!
5.5.2! Die Dominanz der Stimme und die Selbstunterwerfung
des Hörens ..................................................................................... 188!
5.6! Parameter IV: Die filmästhetische Verewigung des Lebens .................... 190!
5.6.1! Jenseits des Todeskitsches............................................................. 190!
5.6.2! Der Ausschluss des Sterbens aus dem Close-up ........................... 191!
5.6.3! Die Glorifizierung des Lebens ...................................................... 197!
5.7! Zusammenfassung .................................................................................... 202!

6. ! Das Sensorische Regime von authentifizierter Medienöffentlichkeit


in den Filmen des Direct Cinema .......................................................... 205!
6.1 ! Die Medialisierung der US-Nachkriegsgesellschaft und ihre Folgen ...... 206!
6.2! Zeitdiagnosen als Zeitreflexe der
sozialen Energien der Medialisierung....................................................... 215!
6.3! In Abgrenzung vereint
– das öffentliche Selbstbild der Akteure des Direct Cinema .................... 223!
6.4! Authentizität – Analysekategorie und kulturhistorische Referenz
des Direct Cinema ..................................................................................... 232!
6.5! Parameter I: Die andere Bühne des Direct Cinema .................................. 241!
6.5.1 ! TV als Abgrenzung ....................................................................... 241!
6.5.2 ! Die Performance der Kamera als Teil der Feedback-Schleife ...... 245!
6.5.3! Abgrenzung des Parameters durch den Vergleich
mit WOODSTOCK ........................................................................... 255!
X Inhaltsverzeichnis

6.6! Parameter II: Der Zwischenraum zwischen Front Region


und Backstage ........................................................................................... 256!
6.6.1! Der begleitete Übertritt als Akt der Unterordnung ........................ 257!
6.6.2! Momente intimer Vertrautheit bei der
mitvollzogenen Autofahrt.............................................................. 263!
6.6.3! Abgrenzung des Parameters durch den Vergleich
mit CHRONIQUE D'UN ÉTÉ .............................................................. 268!
6.7! Parameter III: Der exklusive Einschluss in der Backstage ....................... 271!
6.7.1 ! Das exklusive Beiwohnen im Privaten
und die Abgeschlossenheit der Backstage..................................... 273!
6.7.2! In-Bezug-Setzung zur Front Region.............................................. 286!
6.7.3! Abgrenzung des Parameters durch den Vergleich
mit COCKSUCKER BLUES ............................................................... 289!
6.8! Zusammenfassung .................................................................................... 291!

7.! Schlussbetrachtung: Sensorische Regime


als filmästhetisches Produkt und Produzent der Moderne ................. 295!

Literaturverzeichnis ........................................................................................ 305!

Filmverzeichnis ................................................................................................ 321!


Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 SIEG DES GLAUBENS – Hitlers Hand als Auftakt ................................... 158!
Abb. 2 Spannungsabfall nach vorheriger Attraktion ......................................... 158!
Abb. 3 Taktgenauer Auftritt der marschierenden Massen ................................ 158!
Abb. 4 Trommler und das Wiedereinsetzen der Musik .................................... 159!
Abb. 5 Schwenk auf die Kolonne...................................................................... 159!
Abb. 6 Sprunghafter Umschnitt auf Hitler ........................................................ 159!
Abb. 7 Gewohnheitsmäßige Fortsetzung des Marsches.................................... 160!
Abb. 8 Rudolf Hess – nach abermaligem Achsensprung .................................. 160!
Abb. 9 Am Straßenrand, an anderer Position .................................................... 160!
Abb. 10 Die Masse erheischt die Aufmerksamkeit ........................................... 161!
Abb. 11 Hitler / Achsensprung .......................................................................... 161!
Abb. 12 Hitler / Bildwiederholung .................................................................... 161!
Abb. 13 TRIUMPH DES WILLENS (Sequenz) – Trommler als Auftakt ................ 163!
Abb. 14 Marschformationen in Teleeinstellungen ........................................... 163!
Abb. 15 Das Publikum erhebt sich .................................................................... 163!
Abb. 16 Kanalisierung der Aufmerksamkeit über einen Schwenk ................... 164!
Abb. 17 Hitler in hervorstechender Kadrage .................................................... 164!
Abb. 18 Wiederaufnahme des Schwenks .......................................................... 164!
Abb. 19 Konventionalisierter Ausklang ............................................................ 165!
Abb. 20 Hitler als Schnittbild ............................................................................ 165!
Abb. 21 Wiederauftreten der Masse und Achsensprung ................................... 165!
Abb. 22 Visueller Akzent und anschließender Spannungsabbau ...................... 168!
Abb. 23 Hitlers symbolische Abnahme der Parade........................................... 168!
Abb. 24 Schärfenverlagerung als Visualisierung der „Führergewalt“ .............. 168!
Abb. 25 Die Kamera marschiert mit ................................................................. 169!
Abb. 26 Die Kamera als Teil des Geschehens .................................................. 169!
Abb. 27 Radikalisierung der Kameraposition ................................................... 169!
Abb. 28 SIEG DES GLAUBENS – Hitlers Anfahrt ................................................ 182!
Abb. 29 Das Publikum am Straßenrand ............................................................ 182!
Abb. 30 Filmästhetische Nachahmungen von Hitlers Blick ............................. 182!
Abb. 31 Die Überfahrt als Ereignis, der Held in Bewegung ............................. 183!
Abb. 32 Rückschwenk der Kamera auf die Masse............................................ 183!
XII Abbildungsverzeichnis

Abb. 33 Eine daran frei angeschlossene Einstellung ........................................ 183!


Abb. 34 TRIUMPH DES WILLES – Wiederholung des Parameters ...................... 184!
Abb. 35 Das Publikum am Straßenrand ............................................................ 184!
Abb. 36 Die Kamera und der „Führer“ ............................................................. 184!
Abb. 37 Der Jubel für den „Führer“ / für die Kamera....................................... 185!
Abb. 38 Ein genauer Umschnitt ........................................................................ 185!
Abb. 39 Die Kamera in unmittelbarer Nähe ..................................................... 185!
Abb. 40 SIEG DES GLAUBENS – Filmästhetische Verewigung des Lebens I ..... 201!
Abb. 41 SIEG DES GLAUBENS – Filmästhetische Verewigung des Lebens II .... 201!
Abb. 42 TRIUMPH DES WILLENS – Filmästhetische Verewigung des Lebens I 201!
Abb. 43 DONT LOOK BACK – Technologisch vermittelte Nähe zu Dylan ........ 251!
Abb. 44 MONTEREY POP – Das abtastende Teleobjektiv .................................. 251!
Abb. 45 GIMME SHELTER – Gerangel und der tödliche Messerstich ................ 251!
Abb. 46 PRIMARY – Das mitvollzogene Durchschreiten der Eingangstür ........ 259!
Abb. 47 PRIMARY – Die Kamera als subordinativer Begleiter von Kennedy ... 259!
Abb. 48 CRISIS – Selbstzurücknahme des Parameters ...................................... 259!
Abb. 49 PRIMARY – Humphreys Moment der Ruhe ......................................... 266!
Abb. 50 CRISIS – Wallaces vermeintliche Selbstoffenlegung ........................... 266!
Abb. 51 WHAT'S HAPPENING! – Die dramaturgische Aufladung des Autos ..... 266!
Abb. 52 PRIMARY – Die Selbstverortung der Kamera in der Backstage ........... 277!
Abb. 53 WHAT’S HAPPENING! – Die Beatles am Telefon ................................. 277!
Abb. 54 GIMME SHELTER! – Ein Stone beim Hören von „Wild Horses“ .......... 277!
Abb. 55 CRISIS – Im Privaten ............................................................................ 280!
Abb. 56 CRISIS – Die vorgebliche Überraschung.............................................. 280!
Abb. 57 CRISIS – Kennedy als nachdenklicher Staatsmann .............................. 280!
Abb. 58 DONT LOOK BACK – Donovans Performance ...................................... 285!
Abb. 59 DONT LOOK BACK – Die Kamera im Zentrum .................................... 285!
Abb. 60 DONT LOOK BACK – Der Schwenk auf andere Zuhörer ...................... 285!
1. Einleitung

Wozu Filmtheorie? Klassischerweise konnte sich eine filmtheoretische Abhand-


lung in ihrem Gegenstand und damit über Umwege in sich selbst begründen,
indem sie herausstellt, dass sie den Wesenskern des Films als Medium respektive
als Kunstform erfassen wolle. Angesichts ihrer engen, zumal essentialistischen
Fokussierung mutet diese Fragestellung überholt, womöglich gar obsolet an,
weshalb manch einer1 ihr ein despektierliches „noch“ hinzufügen würde.2 Doch
zeichnet sich demgegenüber aktuell eine Gegenbewegung ab. So findet sich im
Editorial der zehnten Ausgabe der „Zeitschrift für Medienwissenschaft“, die sich
um eine Bestandsaufnahme des Faches bemüht, eine bezeichnende Feststellung.
Um Medienwissenschaft zu betreiben, sei es demnach notwendig, „sich immer
wieder zu fragen, was die Voraussetzungen und Bedingungen der eigenen
Forschung sind. Die Medialität von Dingen und Ereignissen wird häufig erst in
der Beschäftigung mit ihrer Theorie und Geschichte, mit ihrer Technik und ihrer
Ästhetik freigelegt.“3 Die Antwort auf die Frage, wozu wieder Filmtheorie,
postuliert im Gegensatz zu ihrer klassischen Fassung keine Spezifik des Films,
um diese dann herauszuarbeiten. Sie zielt dagegen auf eine Reflexion der
eigenen Forschungspraxis.
Die von der klassischen Filmtheorie gestellte Frage nach der Wesenhaf-
tigkeit des Films zum einen und die nach den Möglichkeiten seiner Analyse zum
anderen konvergieren in ihrem Bezug auf die Wahrnehmung. In ihrer schieren
Existenz bedingen sich die Bilder eines Films einerseits im menschlichen
Sehvermögens: Ein Film „wirkt“ nicht nur auf, vielmehr existiert er allein in der
visuellen Wahrnehmung und durch sie als eine Erscheinung, die ein Effekt einer
auf Bewegung beruhenden, durch eine Apparatur geregelten Manipulation des
visuellen Systems darstellt. Anderseits ist zu sagen: Filmanalyse zu betreiben
meint, die ästhetische Wirkkraft eines Films in ihrer jeweiligen Besonderheit zu
untersuchen. Sofern diese nicht nach naturwissenschaftlichen Grundsätzen

1
Aus Gründen der Lesefreundlichkeit werden in dieser Arbeit männliche und weibliche Sprachform
nicht nebeneinander aufgeführt – selbstverständlich sind aber stets beide Geschlechter gemeint.
2
David Bordwell u. Noël Carroll (Hrsg.): Post-Theory. Reconstructing Film Studies, Madison: The
University of Wisconsin Press 1996.
3
Ulrike Bergemann, Daniel Eschkötter u. a.: Editorial. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, 1
(2014), H. 10, S. 5.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
J. Geng, Sensorische Regime, Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23502-4_1
2 1. Einleitung

empirisch-quantitativ gemessen wird, sondern gedeutet werden soll, ergibt sich


ein Problem, das jedoch häufig unbeachtet bleibt. Jede deutende Aussage über
einen Film, die im obigen Sinne mit der Wahrnehmung verzahnt ist, fußt selbst
auf einem Akt des Wahrnehmens und bleibt, so die auf einer Metaebene zu
formulierende Einsicht, an und für sich stets an diesen rückgebunden.
Entsprechend ist Wahrnehmung gleichermaßen inhärente Existenzbedin-
gung des Films, insofern seine Bilder nicht jenseits ihrer Bedingtheit im mensch-
lichen Auge bestehen respektive bestehen können, als auch eine oftmals metho-
disch nicht problematisierte Voraussetzung seiner Analyse. Im Lichte dieser
doppelseitigen Problematik lässt sich der eingangs gestellten Frage schlicht nicht
die Aktualität absprechen. Der Untersuchungsgegenstand drängt sie dem Fach,
im Gegenteil, bei einer jeden deutenden Filmanalyse aufs Neue auf.
Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit, die historischen Ver-
schränkungen von Filmtechnologie und Wahrnehmung vor dem Hintergrund
gesellschaftlicher Transformationsprozesse zu durchdringen, gibt der Frage nach
dem „wozu“ von Filmtheorie sowohl einen thematischen Bezug als auch eine
besondere Relevanz. Zwar ließe sich ein Film hinsichtlich seiner techno-
logischen Beschaffenheit ohne weitere theoretische Vorüberlegungen, also rein
deskriptiv analysieren. Doch könnte solch ein Vorgehen keinerlei Auskunft
darüber geben, mit welchen programmatischen Schritten und auf welcher
argumentativen Basis es zu seinen Befunden kommt. Ihm ist somit keine
selbstreflexive Bezugnahme auf den eigenen Analyseprozess sowie auf den
Forschungsgegenstand möglich. Eben hierin liegt der besondere Stellenwert von
Filmtheorie für die vorliegende Untersuchung: Um von der ästhetischen Wirk-
kraft eines Films zunächst einen Schritt zurückzutreten, um sich ihr analytisch
wiederanzunähern, bedarf es notwendigerweise einer theoretischen Reflexion
über die Leistung des Films, filmische Sichtbarkeit und Wahrnehmung in ein
bestimmtes, ergo auf seine Form hin analysierbares Verhältnis zu rücken.
Hiervon ausgehend, lassen sich nicht nur einzelne Aspekte eines Films,
beispielsweise welche Modi des sinnlichen Erfahrens darin angelegt sind,
untersuchen. Darüber hinaus leiten diese Überlegungen zu einem systematischen
Vorgehen an und machen die analytische Fokussierung aus sich heraus reflek-
tierbar. Der per se subjektive Akt des Wahrnehmens bleibt dabei nach wie vor
die Basis für den deutenden Erkenntnisprozess. Doch ist Wahrnehmung in dieser
Form nicht mehr unreflektiert-vorausgesetzt. Der Theorierahmen, in den sie nun
eingefasst wird, hat ihre zweckmäßige Ausrichtung für die Analyse nachvoll-
ziehbar gemacht. Diesem Anspruch will ich durch mein filmtheoretisches
Modell eines Sensorischen Regimes4 gerecht werden. Sein Mehrwert für die

4
Die Gründe für die Benennung als Sensorisches Regime werden im Kapitel 4.4 dargelegt.
1. Einleitung 3

vorliegende Untersuchung liegt somit darin, mehrere Perspektiven auf das


Verhältnis von Wahrnehmung und Filmtechnologie zu integrieren, um so zu
einem originären, filmtheoretisch fundierten Ansatz der Filmgeschichts-
schreibung zu kommen.
Die beiden nachfolgenden Kapitel dienen der sukzessiven Entwicklung, das
vierte Kapitel der programmatischen Darlegung meines filmtheoretischen
Modells eines Sensorischen Regimes. Die Grundlage hierfür bildet die Aufarbei-
tung eines vielschichtigen Forschungsdiskurses, der im Kern die Frage behan-
delt, wie der Film auf die geschichtliche Bedingtheit von Wahrnehmung zu
beziehen ist und inwiefern er diese verändert hat. Dabei sind der Geltungsbereich
der jeweiligen Betrachtungsweisen, ihre argumentativen Annahmen und ihre
Implikationen herauszuarbeiten. Zudem gilt es, zu einem den weiteren Fortgang
der Arbeit leitenden Verständnis von Wahrnehmung zu kommen. Dieses fußt auf
der Prämisse, dass Wahrnehmung nicht als ein biologischer Mechanismus auf-
gefasst werden darf. Insofern Wahrnehmung stets eine kulturelle Form hat und
sich Kultur über die Zeit wandelt, ist vielmehr von einer Historizität der Wahr-
nehmung auszugehen. Ebenso wenig wie Wahrnehmung von der biologistischen
Vorstellung eines Urzustands abzuleiten ist, kann über das Subjekt, so die zweite
Prämisse der Arbeit, in einem nicht- beziehungsweise vorvergesellschafteten
Zustand gesprochen werden. Hieraus leitet sich im Bezug auf die erste Prämisse
ab, dass Wahrnehmung zwar ein subjektives Vermögen darstellt, das als solches
jedoch durch soziokulturelle Prozesse geformt ist. Mithin vollzieht sich ihr
historischer Wandel im Wechselspiel mit gesellschaftlichen Strukturen sowie
deren Veränderungen.
Die soeben angeführte Vielschichtigkeit des Theoriediskurses, in dem sich
meine Arbeit zu verorten hat, berührt ebenfalls den generativen Aspekt der
Massenmedien. Dieser Diskussion gibt Sibylle Krämer zwei wichtige Impulse,
indem sie den Boten als figuratives Modell von Medialität ausweist. Somit ist
erstens mit Krämer hervorzuheben, dass Medien per se heteronom im Auftrag
von anderen handeln und hierüber zu bestimmen sind. Zweitens verdeutlicht
Krämers Argumentation, dass Medien die von ihnen überbrückte Distanz nicht
nivellieren, sondern in Form der Nicht-Reziprozität als Differenz weiter aufrecht
halten.5 Auf dieser Basis legt ihr Botenmodell die selbstneutralisierende
Funktionslogik von Medien offen, die laut Krämer keine den Medien wesensmä-
ßig gegebene Qualität darstellt, sondern erst über den jeweiligen Gebrauch
wirksam wird.6 Komplementär argumentiert Lisa Gitelman, dass die Einfüh-
rungsphase einer neuen Medientechnologie, wie beispielsweise bei der phono-

5
Vgl. Sybille Krämer: Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität, Frankfurt a.
M.: Suhrkamp 2006. S. 104.
6
Vgl. Krämer, 2006, S. 28.
4 1. Einleitung

graphischen Tonaufzeichnung gegen Ende des 19. Jahrhunderts oder unlängst


beim World Wide Web, zunächst stets durch eine weite Erfahrungs- respektive
Gebrauchsoffenheit gekennzeichnet ist. Gitelman wendet sich damit gegen eine
essentialistische, zumal naturalisierende Auffassung, die einer Medientechno-
logie eine von Beginn an reglementierte Wirkkraft zuschreibt. Im Gegenteil
vertritt sie die Ansicht, dass Mediengeschichte nicht allein auf Basis von
technischen Aspekten zu schreiben ist, sondern sich auf soziale Aushandlungs-
prozesse, wirtschaftliche Rahmenbedingungen und nicht zuletzt auf die eingeüb-
ten Wahrnehmungsmodalitäten beziehen müsse. „[M]edia become authoritative
as the social process of their definition and dissemination are separated out or
forgotten, and as social processes of protocol formations and acceptance get
ignored.“7 Aus Bertolt Brechts Radiotheorie arbeitet Michael Bachmann einen
vergleichbaren Standpunkt heraus, wonach die „kulturellen Praktiken und
medialen Protokolle des neuen Mediums“8 als prinzipiell unbestimmt und offen
zur Bearbeitung, also weder von der technischen Apparatur selbst noch von der
jeweiligen Gesellschaft determiniert zu denken sind. Denn ausschließlich auf
Basis dieser Annahme lässt sich, laut Bachmann, der Standpunkt von Brecht
erschließen, dass der Rundfunk, zumal in seiner Frühphase, von einem einseiti-
gen Distributions- hin zu einem wechselseitigen Kommunikationsapparat
umzufunktionieren sei.
Wozu dient dieser Seitenblick? Er lässt als dritte Prämisse der vorliegenden
Arbeit offenbar werden, dass die wahrnehmungsformierende Kraft des Films, die
sich über die jeweiligen Gebrauchsweisen seiner Technologie verwirklicht und
die es im Folgenden näher zu durchdringen gilt, eine historische Bestimmtheit
des Mediums Films zur Vorbedingung hat.
Diese drei Prämissen sind elementar für den Theorierahmen der vor-
liegenden Arbeit (Kapitel 2). Sein Fundament legte Karl Marx mit seinen
„Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ (auch: „Pariser Manuskripte“)
von 1844. Für die vorliegende Arbeit sollen sie als programmatischer Grund-
lagentext für einen kulturhistorischen Analyseansatz gelesen werden, der darauf
abzielt, die industrielle Moderne hinsichtlich ihrer sinnlichen Erfahrbarkeit zu
bestimmen (Kapitel 2.2.1). Während sich die Ausführungen von Marx auf die
Wahrnehmungsveränderungen durch die Fabrikarbeit beschränken, erweitert
Georg Lukács im Zuge seiner Auseinandersetzung mit dem Phänomen der

7
Lisa Gitelman: Always Already New. Media, History and the Data of Culture, Cambridge, London:
MIT Press 2006. S. 6.
8
Michael Bachmann: Andreas Ammers Apocalypse Live. Transmediales Erzählen und Intermediale
Situation. In: Medien. Erzählen. Gesellschaft: Transmediales Erzählen im Zeitalter der
Medienkonvergenz, hrsg. von Karl Nikolaus Renner, Dagmar von Hoff u. a., Berlin, Boston: Walter
de Gruyter 2013. S. 21.
1. Einleitung 5

Verdinglichung den Gedanken einer historischen Bedingtheit des Sehens auf


gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge (Kapitel 2.2.2). Später überträgt ihn
Walter Benjamin auf die moderne Medientechnologie, wobei er dem Film eine
sowohl gesellschaftsprägende als auch eine wahrnehmungsverändernde Kraft
attestiert. Diese Thesen aus seinem Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner
technischen Reproduzierbarkeit“ gehören zweifelsohne zum Grundstock
medienwissenschaftlicher Forschung. Um darüber hinauszugehen, sollen aus
Benjamins Gesamtwerk die verschiedenen Teilaspekte seiner Überlegungen
zusammengeführt und vertieft werden. Auf dieser Basis ist zu Schlussfolgerun-
gen zu kommen, die über die bisherige Rezeption hinausreichen (Kapitel 2.2.3).
Als viertem Protagonisten dieses Diskurses wendet die Arbeit sich Theodor W.
Adorno zu, indem sie eine Relektüre seiner Ausführungen über die Kultur-
industrie vorschlägt. Dabei will sie sich von seinen aburteilenden Wertungen
lösen und andere, bislang weniger rezipierte Argumente in ihrer gesamten
Tragweite entfalten. So soll im Besonderen die von Adorno reflektierte Wirk-
kraft produktionsästhetischer Standardisierungen erfasst werden (Kapitel 2.2.4).
Eine Bezugnahme auf die Kritische Theorie evoziert zuweilen reflexhaft
das Verdikt des Anachronismus – am produktivsten gewendet in Form einer
nicht allein rhetorisch gestellten Frage: Wozu heute noch ein filmtheoretischer
Ansatz in der Tradition der Kritischen Theorie? Die erste Antwort, die ich
hierauf geben möchte, hebt darauf ab, dass die Kritische Theorie über einen
fundierten Technologie-Begriff verfügt, dessen analytische Potentiale für eine
Betrachtung von Filmgeschichte noch nicht ausgeschöpft sind. Für gewöhnlich
wird Filmtechnologie begrifflich als Bezeichnung für einzelne Gerätschaften,
beispielsweise für ein Kameramodell, eine Art von Scheinwerfer oder ein
spezifisches Schnittprogramm gebraucht und somit über die jeweiligen techni-
schen Kapazitäten definiert. In diesem Verständnis meinen filmtechnische
Innovationen schlechterdings den Fortschritt der zur Verfügung stehenden
Apparaturen. Eine hierauf fußende Analyse käme jedoch nicht darüber hinaus,
beispielsweise die bei der Produktion verwendeten Kameramodelle voneinander
zu unterscheiden, die Ausleuchtung der Szene oder die Klarheit des Tons in
Bezug auf die technischen Kapazitäten des Scheinwerfers oder des Tonband-
geräts zu setzen, oder die verschiedenen Optionen zwischen dem analogen und
dem digitalen Schnitt hervorzuheben.9 Angestoßen von Miriam Hansens
filmwissenschaftlicher Fortführung der Kritischen Theorie ist demgegenüber
einzuwenden, dass solch eine Betrachtungsweise unweigerlich zu kurz greift.
Die technischen Gerätschaften, die bei der Filmproduktion zum Einsatz kom-

9
Eine komplementäre Reduktion wäre hinsichtlich der filmischen Projektionstechnik denkbar, wobei
sich dann die Analyse auf das Leistungsvermögen von Projektoren oder die Beschaffenheit der
Leinwand erstrecken würde. Siehe hierzu die Diskussion der Apparatus-Theorie im Kapitel 2.3.1.
6 1. Einleitung

men, sind vielmehr nicht von ihren Gebrauchsweisen zu trennen, die wiederum
sozial eingebunden sind und damit ein soziales Faktum darstellen. Der Techno-
logie-Begriff aus der Kritischen Theorie leistet somit zweierlei: Er verpflichtet
den Analysefokus auf eine genaue Betrachtung, wie bei der Filmproduktion
konkret Filmtechnologie eingesetzt wurde. Zudem lässt er erkennen, dass ihre
ästhetische Wirkkraft, ergo ihr Bestreben, Wahrnehmung zielgerichtet zu
formieren, nicht vom jeweiligen soziokulturellen Entstehungskontext zu trennen
ist. Allein so erhellt sich zum Beispiel, wie meine beiden Fallstudien en détail
demonstrieren werden, weshalb dem Gebrauch der Großaufnahme für die
Sichtbarmachung eines Gesichts eine dem jeweiligen Kontext entsprechende
filmästhetische Signifikanz innewohnt.
Als weitere Antwort lässt sich theorieimmanent anschließen, dass der
Diskurs, der sich um den Gedanken einer historischen Bedingtheit von Wahr-
nehmung herausgebildet hat, bislang noch nicht systematisch aufgearbeitet
wurde. Dies möchte die vorliegende Studie leisten. Dieses Unterfangen vollzieht
sich im Rahmen eines neuen Interesses der Medien- und Filmwissenschaft an der
Kritischen Theorie. Hiervon zeugt beispielsweise die internationale Tagung an
der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main im Jahr 2014,
deren Titel „Critical Theory, Film and Media: Where is ‚Frankfurt’ now?“
gleichermaßen das Bemühen um eine historisierende Standortbestimmung sowie
den Versuch einer Aktualisierung zum Ausdruck bringt. Von der Ansicht, dass
ein umstandsloser, zumal kritikloser Übertrag der Argumente Benjamins und
Adornos in den aktuellen Forschungsdiskurs sich verbietet, nimmt auch diese
Arbeit ihren Ausgang. Bei meinem filmtheoretischen Weiterdenken werden
deshalb später entwickelte Ansätze von Jonathan Crary und Jonathan Sterne
(Kapitel 2.3) sowie die kritischen Gegenstandpunkte David Bordwells und Noël
Carrolls (Kapitel 3.1) einbezogen. Darauf aufbauend können die bisherigen
filmwissenschaftlichen Forschungsansätze zu diesem Thema dargelegt werden
(Kapitel 3.2). Somit stellt die vorliegende Arbeit viertens einen Erkenntniszu-
gewinn in Aussicht, der sich zwar aus einer partikularen Theorietradition speist,
doch zugleich in Form einer klar umrissenen Forschungsperspektive darüber
hinaus reicht (Kapitel 4). Dieses Versprechen bezieht sich im Besonderen darauf,
zu verbinden, was im gegenwärtigen Fachdiskurs in zwei konträre Strömungen,
ihren Selbstbeschreibungen nach in einen medienarchäologischen und einen
phänomenologisch-affektorientierten Ansatz, zerfällt.
Die Medienarchäologie zeichnet sich, wie es Wolfgang Ernst in seiner
Antrittsvorlesung formuliert hat, durch einen „nicht-inhaltistische[n] Zugriff auf
ihre Gegenstände“ und damit einhergehend durch „eine gewisse Kälte der
1. Einleitung 7

Beschreibung” aus.10 Die von Ernst ebenfalls hervorgehobene Objekt-


orientierung verweist darauf, dass dieser Forschungsansatz die Medien, so auch
den Film, über ihre technische Determiniertheit zu definieren sucht. So lässt sich
bezogen auf die vorliegende Problemstellung aus Friedrich Kittlers Schlüssel-
werk „Grammophon, Film, Typewriter“ die medienarchäologische Auffassung
abstrahieren, wonach der Film eine strikt medientechnische Bedingung für das
Sehen implementiert habe, in der sich die technikgenetischen Verflechtungen des
Films mit den Geräten der modernen Kriegsführung weiter fortsetzten.11 Jenseits
der vorwiegend deutschen Denkschule der Medienarchäologie betont ebenso
Paul Virilio den Nexus von Krieg und Kino. So hebt seine nicht minder technik-
zentrierte Medientheorie gleichfalls darauf ab, dass das Kino quasi im zivilen
Gewand eine Militarisierung der Wahrnehmung bewirkt habe, da sich seine
Technik aus den kriegstechnischen Innovationen im Ersten und Zweiten Welt-
krieg speise.12
Eine derartige Betrachtungsweise ist der zweiten, im aktuellen medienwis-
senschaftlichen Diskurs prävalenten Strömung nicht nur fremd. Sie widerstrebt
der damit intendierten Hinwendung zum leiblichen, dezidiert als multisensorisch
verstandenen Affekt grundlegend. Hierfür steht exemplarisch die themen-
bezogene Ausgabe der Zeitschrift „Paragraph“ aus dem Jahr 2008, die den
bezeichnenden Titel „Cinema and the Senses“, wohlgemerkt im Plural, trägt und
Aufsätze von einschlägigen Autorinnen wie Laura U. Marks, Martine Beugnet
und Jennifer M. Barker vereint. Geleitet von einem Rekurs auf die Phänomeno-
logie postuliert dieser Ansatz eine unmittelbare und gleichfalls unhintergehbare
Kopplung von Sinnlichkeit und Medialität, deren Beschreibung er auf das
subjektive Empfinden stützt. Dabei treten Fragen nach dem Haptischen und der
Körperlichkeit beziehungsweise dem „embodiment“ in den Vordergrund.13
Allein die Darlegung der Grundzüge der beiden Forschungsansätze lässt
offenbar werden: Was dem einen die Medientechnik an sich, ist dem anderen die
sinnlich-körperliche Affektion. Sonach schließen sie sich nicht nur in ihren
Argumenten und den dabei zugrunde gelegten Axiomen gegenseitig aus, sondern
desgleichen in ihren Begrifflichkeiten. Ein Verständnis von „Hardware“ ist
phänomenologisch ebenso wenig zu formulieren, wie aus medienarchäologischer
Perspektive die Rede von „Leiblichkeit“ sein könnte.

10
Wolfgang Ernst: Medienwissen(schaft) zeitkritisch. Ein Programm aus der Sophienstraße. In:
Antrittsvorlesung, Hrsg. von Jürgen Mlynek, Band. 126. Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin
2003. S. 6f.
11
Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin: Brinkmann & Bose 1986. S. 177.
12
Paul Virilio: Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung, München, Wien: Carl Hanser Verlag
1986.
13
Laura U. Marks: Thinking Multisensory Culture. In: Paragraph, 31 (2008), H. 2. 1988. S. 6.
8 1. Einleitung

In ihrem Absehen von Gesellschaft als eine für die Analyse entscheidende
Kategorie kommen die beiden so unterschiedlichen Ansätze indes überein. Um
eine derartige Entkopplung zu überwinden, hat der Literaturwissenschaftler und
Vordenker des New Historicism Stephen Greenblatt den Vorschlag gemacht, die
wechselseitigen Bezüge von künstlerischen Texten untereinander sowie zu ihren
Kontexten als Resonanzeffekte zu konzeptualisieren und sie als „soziale
Energien“ („social energy“) zu bezeichnen. Soziale Energien sind nach Green-
blatt über das zu definieren, was sie hervorbringen, mit anderen Worten auf eine
indirekte, fragmentarische und zirkuläre Art und Weise.14 Dementsprechend ist
zu sagen, dass eine Rekonstruktion von historischen Austauschbeziehungen
niemals vollständig sein kann. Die Aufgabe dieses Anspruchs wird indes
dadurch kompensiert, dass eine Analyse von sozialen Energien sich durch ihren
Erkenntniszugewinn zu beweisen hat, worüber sich ihre korrelative Betrach-
tungsweise wiederum legitimiert. Hierin liegt ein wesentlicher Vorzug von
Grenblatts Analysekategorien, von dem auch meine Studie profitieren möchte.
Auf der einen Seite ist sie so trennscharf, sodass Globales greifbar und dadurch
für die kulturgeschichtliche Analyse eines Films handhabbar gemacht werden
kann. Auf der anderen Seite ermöglicht ihre Offenheit eine zusammenfassende
Betrachtung, in die sich sprachliche Diskurse und wirkmächtige Bilder ebenso
wie philosophische Gedanken und lebensweltliche Veränderungen integrieren
lassen. Somit hilft ein Rekurs auf Greenblatt, eine abstrakte und damit unterbe-
stimmte Gegenüberstellung von „dem Kino“ und „der Gesellschaft“ zu überwin-
den und die konkreten Austauschbeziehungen zwischen beiden zu analysieren.
Dies lässt mich zu meiner zweigliedrigen Forschungsfrage kommen, inwie-
fern die sozialen Energien einer Zeit ihren Widerhall in konkreten Gebrauchs-
weisen von Filmtechnologie gefunden haben, die ihrerseits durch das Heraus-
bilden von technoästhetischen Standards Politiken des sinnlichen Erfahrens
bewirken. In dieser Fragestellung sind zwei Denkfiguren zusammengezogen, die
des Übertrags zum einen, die der Entfaltung zum anderen, die nach Christoph
Menke zentral für das philosophische Nachdenken über die Kraft der Kunst sind.
Laut Menke kennzeichnen die Kraft der Kunst vier Merkmale, die sich allesamt
auch als zutreffend für ein Sensorisches Regime erweisen.
Die Kraft der Kunst ist für Menke vorsubjektiv, da sie die vorgelagerte
Möglichkeitsbedingung für eine auf Einübung beruhende künstlerische Tätigkeit,
dem Vermögen, darstellt. Zweitens, so Menke, „wirken Kräfte von selbst, ihr
Wirken ist nicht von dem Subjekt geführt und daher vom Subjekt nicht ge-
wusst.“ Drittens sind Kräfte formierend, insofern sie sich über künstlerische
Ausdrucksformen verwirklichen und die gebildeten Formen wiederum umbilden.
14
Vgl. Stephen Greenblatt: Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in
Renaissance England, Oxford: Clarendon Press 1988. S. 6.
1. Einleitung 9

Und viertens: „Das Wirken der Kräfte ist Spiel, und darin die Hervorbringung
von etwas, über das sie immer schon hinaus sind.“15
In Sensorischen Regimen eine Manifestation der wahrnehmungs-
formierenden Kraft des Films zu erkennen, rechtfertigt sich dadurch, dass darin
die von Menke herausgestellten Charakteristika in einem besonders engen Bezug
zueinander vorliegen. Zwar bedingen Sensorische Regime in ihrer empirischen
Existenz ein kodifiziertes filmkünstlerisches Handlungsvermögen. Doch bildet
sich dieses gerade über die Verwirklichung von Sensorischen Regimes heraus.
Deswegen entziehen sie sich erstens einer Verortung auf der Ebene des Subjekts.
Zweitens lassen sich Sensorische Regime nicht über eine analytische Rekon-
struktion der bewussten Intentionen einzelner Filmschaffender ergründen.
Vielmehr resultieren sie aus einer allgemeinen historischen Informiertheit im
Gebrauch von Filmtechnologie, insofern sich die bei einer Filmproduktion
beteiligten Akteure an der technologischen Gestaltung vorheriger Filmen
orientieren und danach ihr Handeln mitunter unbewusst ausrichten. Sensorische
Regime und die darin angelegten Ordnungen der filmischen Sichtbarkeit
respektive Hörbarkeit verfestigen sich somit quasi von selbst. Kennzeichen
hiervon ist drittens, dass sich die strukturellen Gebrauchsbestimmungen von
Filmtechnologie, auf denen ein Sensorisches Regime fußt, in abgewandelter
Form von Film zu Film übertragen. Hieraus resultieren technoästhetische
Standards, die viertens, wie mit Menke zu sagen ist, weder einem vorgegebenen
Ziel noch einem bestimmten Maß folgen, sondern sich in einem dynamischen
Spiel zwischen Bezugnahme und Abgrenzung immer wieder aufs Neue hervor-
bringen. Über diesen Mechanismus gelingt es einem Sensorischen Regime,
Wahrnehmung zu formieren und so die in ihm gebündelte ästhetische Kraft zur
Geltung zu bringen. Um diese Kraft in ihrer historischen Spezifik zu durchdrin-
gen, genügt es nicht, wie bei einer formalistischen Filmanalyse üblich, den Blick
auf einzelne filmische Gestaltungsmittel zu richten. Vielmehr bedarf es einer
Ausweitung der Untersuchungsperspektive auf die ihnen zugrunde liegenden
Gebrauchsweisen von Filmtechnologie sowie auf den jeweiligen soziokulturellen
Kontext, da sich nur so die Resonanzeffekte zwischen beiden identifizieren
lassen. Der erste Teil meiner Forschungsfrage geht somit von der These aus, dass
der Übertrag von sozialen Energien den Gebrauchsweisen von Filmtechnologie
ihre historische Signifikanz gibt, die sich ihrerseits in einer historisch spezifi-
schen ästhetischen Wirkkraft zeigt.
Bezüglich des zweiten Teils meiner Forschungsfrage scheint eine antizipie-
rende Klarstellung opportun: Mein Untersuchungsinteresse zielt weder darauf
ab, Aussagen über unmittelbare Wirkungszusammenhänge zu treffen, noch die

15
Christoph Menke: Die Kraft der Kunst, Berlin: Suhrkamp 2014. S. 13.
10 1. Einleitung

historische Medienwirkung eines Films auf sein Publikum zu rekonstruieren.


Stattdessen sollen zwei Epochen der Filmgeschichte auf die darin realisierten,
historischen Gebrauchsbestimmungen von Filmtechnologie untersucht werden.
Deren Leistung ist darin zu sehen, ein Spektrum an möglichen ästhetischen
Erfahrungen abgesteckt und darin Modi des sinnlichen Erfahrens vorgebahnt zu
haben. Dieses Argument stützt sich darauf, dass Wahrnehmung seit der Moderne
in technologisch vermittelter Form vorliegt (Kapitel 4.1). Die Reglementierun-
gen bei der filmtechnologischen Vermittlung von Wahrnehmung und deren
Entsprechungen mit dem soziokulturellen Kontext will ich durch mein
Forschungsprogramm (Kapitel 4.2) erfassen. Anstatt die damit verbundenen
Implikationen auszublenden, möchte ich diese reflektieren, um so den Kern
meines filmtheoretischen Modells eines Sensorischen Regimes zu schärfen
(Kapitel 4.3). Des Weiteren erörtere ich meine Verwendung des Regime-
Begriffs vor dem Hintergrund seiner gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen
Diskussion (Kapitel 4.4) sowie die Gründe, weshalb meine Argumentation vom
Forschungskonstrukt ‚des Zuschauers’ absehen möchte (Kapitel 4.5).
Die Arbeit umfasst zwei Korpora, mittels derer die Übertragbarkeit des hier
entwickelten filmtheoretischen Modells demonstriert werden soll. Die hierfür
zweckmäßige Kontrastierung lässt sich durch die Analysen des „Sensorischen
Regimes von Körper, Masse und Raum im NS-Propagandafilm“ (Kapitel 5) und
des „Sensorischen Regimes von authentifizierter Medienöffentlichkeit in den
Filmen des Direct Cinema“ (Kapitel 6) erreichen. Die beiden Sensorischen
Regime unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihres Entstehungszeitraums
(erste vs. zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts), sondern ebenfalls im Hinblick auf
ihren ökonomisch-politischen Entstehungskontext (gelenkte Filmproduktion in
einem totalitären Staat vs. privatwirtschaftliche Auftragsproduktionen in einer
demokratischen Gesellschaft) sowie in Bezug auf die ihnen übergeordneten
soziokulturellen Thematiken (rassenideologisch fundierter Einschluss in ein
Kollektiv vs. eine Neustrukturierung des Verhältnisses von Öffentlichkeit und
Privatheit im Zuge einer Medialisierung von Gesellschaft). Hinzu tritt als
weiteres Spezifikum, dass die dokumentarfilmischen Praktiken des Direct
Cinema die Verfügbarkeit eines seinerzeit neuen technischen Equipments
vorausgesetzt haben.
Die vorliegende Studie beansprucht, sich dem NS-Propagandafilm mit
einem neuen Analyseschwerpunkt zu nähern. Um diesen zu veranschaulichen,
will sie in einem ersten Schritt (Kapitel 5.1.1 bis Kapitel 5.1.4) den bisherigen
Forschungsdiskurs über den politischen Gehalt der NS-Kinematographie
darlegen. Darüber kommt sie zudem zu einer eigenständigen Definition des
NS-Propagandafilms (Kapitel 5.1.5), die den Geltungsbereich der Studie
absteckt und die Auswahl der Filmbeispiele leitet. Eine auf die Elemente von
1. Einleitung 11

Körper, Masse und Raum ausgerichtete Aufarbeitung der sozialen Energien des
Nationalsozialismus (Kapitel 5.2) schafft die Grundlage, um zu zeigen, wie diese
sozialen Energien durch einen partikularen Gebrauch von Filmtechnologie in
filmästhetische Konfigurationen überführt wurden (Kapitel 5.3 bis Kapitel 5.6).
Ziel der Filmanalysen ist der Beleg der These, dass wesentliche techno-
ästhetische Standardisierungen des NS-Propagandafilms mit den Inhalten der
NS-Ideologie korrespondieren. Mithin setzt das Sensorische Regime die rassen-
ideologische Unterscheidung von Inklusion und Exklusion weiter fort und
verwirklicht darüber eine Hervorbringung der NS-Ideologie im Ästhetischen.
Mit meiner so umrissenen Analyse des Sensorischen Regimes von Körper,
Masse und Raum im NS-Propagandafilm möchte ich einer Forschungslücke
begegnen, die Peter Zimmermann und Kay Hoffmann bezogen auf den
NS-Dokumentarfilm sehen und die nach meinem Dafürhalten genauso für den
Spielfilm besteht. „Es mangelt an komparatistischen Studien, die in Längs- und
Querschnitten Kontinuitäten und Ähnlichkeiten der filmhistorischen Entwick-
lung aufzeigen.“16 Bei der Durchsicht der Literatur zum Film aus dem Nazismus
zeigt sich eine Tendenz der Forschung, sich auf eine eng umrissene, quasi
kanonische Auswahl an wiederholt analysierten Filmen zu kaprizieren. Zwar
kann in dieser Arbeit keine umfassende Aufarbeitung der NS-Kinematographie
in ihrer vergessenen Breite geleistet werden. Wohl aber soll mit einem kompara-
tistischen Analysefokus eine bis dato seltene Systematik erreicht werden.
Diesem Gebot verpflichtet, habe ich insgesamt rund 210 Filme aus der Zeit des
Nationalsozialismus gesichtet.17 Dabei bot mir Gerd Albrechts Studie „National-
sozialistische Filmpolitik“ eine erste Orientierung.18 In diesem Zusammenhang
ist es mir wichtig zu unterstreichen, dass die vorliegende Arbeit sich weder
Albrechts Kategorisierung des „politisch-propagandistischen“ Films verschrie-
ben noch diese übernommen hat. Stattdessen half mir seine Gesamtauflistung der
Spielfilmproduktion im Nationalsozialismus, ausgehend von der zuvor originär
entwickelten Definition des NS-Propagandafilms den entsprechenden Film-
korpus zusammenzustellen.
Die Einschränkung auf den NS-Propagandafilm hat in Anbetracht der Ge-
samtzahl aller, während des Nationalsozialismus produzierten Filme, nach
Albrecht allein 1094 Spielfilme, auch forschungspraktische Gründe. Dies macht

16
Peter Zimmermann u. Kay Hoffmann: Vom ‚Nazi-Kino‘ zum Film im ‚Dritten Reich‘.
Perspektivwechsel in der Filmwissenschaft. In: Geschichte des dokumentarischen Films in
Deutschland. Band 3. ‚Drittes Reich‘. 1933–1945, hrsg. von Peter Zimmermann u. Kay Hoffmann,
Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2005. S. 43.
17
Zugänglich waren mir die Filme über die Mediathek des Instituts für Film-, Theater- und
empirische Kulturwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
18
Gerd Albrecht: Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die
Spielfilme des Dritten Reichs, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag 1969.
12 1. Einleitung

eine weitere Klarstellung erforderlich: Dass ich lediglich Aussagen über den
NS-Propagandafilm treffe, impliziert mitnichten die etwaige Einschätzung, dass
die übrigen Filmen in keinerlei Austauschbeziehungen mit ihrem Entstehungs-
kontext gestanden haben. Meine Fokussierung gründet vielmehr auf der Annah-
me, dass im Besonderen im NS-Propagandafilm die ins Auge gefassten sozialen
Energien des Nazismus in einen Gebrauch von Filmtechnologie übertragen
worden sind.
Das Sample meiner zweiten Fallstudie fiel mit ca. 30 Filmen ungleich klei-
ner aus, da die Gesamtzahl aller Filme des Direct Cinema verhältnismäßig eng
umrissen ist.19 Die Auswahl traf ich im Zuge meiner Auseinandersetzung mit der
Forschungsliteratur und den darin erbrachten Darlegungen der Filminhalte.
Das Direct Cinema, so meine zentrale These, markiert einen hervorstechen-
den Moment in der massenmedialen Durchdringung der US-amerikanischen
Gesellschaft. Zum einen nutzen die Filmemacher die zu Beginn der 1960er Jahre
sich neu auftuenden filmtechnologischen Möglichkeiten, um auf die sozio-
kulturellen Ausstrahlungseffekte des vorherigen Medienwandels, im Besonderen
auf die Neuausrichtung des Verhältnisses von Öffentlichkeit und Privatheit, zu
reagieren. Zum anderen verfestigen sich in ihren Filmen gewisse technoästhe-
tische Standards, die Modi des sinnlichen Erfahrens über eine Differenzsetzung
zu den hegemonialen Massenmedien, allen voran dem Fernsehen, präfigurieren.
Das hierüber sich konstituierende Sensorische Regime von authentifizierter
Medienöffentlichkeit setzt, um funktionieren zu können, in seinen Horizonten
der ästhetischen Erfahrung wiederum eine Habitualisierung dieser massen-
medialen Darstellungskonventionen voraus. Darin ist die Bedeutung des Direct
Cinema in der Kulturgeschichte der Wahrnehmung in der Moderne zu sehen.
Um die hierfür ursächlichen sozialen Energien zu ergründen, sollen die dem
Direct Cinema vorangegangenen gesellschaftlichen Veränderungen (Kapitel 6.1)
sowie die Zeitdiagnostiken von Jürgen Habermas, Marschall McLuhan sowie
Guy Debord (Kapitel 6.2) untersucht werden. Vor diesem Hintergrund kann
aufgezeigt werden, wie sich die Protagonisten der Dokumentarfilmbewegung in
Interviews gegenüber den materiellen sowie den ideengeschichtlichen Umbrü-
chen ihrer Zeit positioniert haben und welches Selbstbild sie dabei intendieren.
(Kapitel 6.3). Im Anschluss daran und in Auseinandersetzung mit der bestehen-
den Forschungsliteratur erarbeite ich ein Verständnis von Authentizität als
kulturhistorische Referenz sowie filmästhetische Analysekategorie des Direct
Cinema, wobei ich dafür eintrete, beides aufeinander zu beziehen (Kapitel 6.4).
Für die weitere Analyse des Sensorischen Regimes von authentifizierter
Medienöffentlichkeit greife ich auf Erving Goffmans Studie „The Presentation
19
Ihre Sichtung war mir über die Mediatheken der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der
Stockholm University sowie im Filmarchiv des Hauses des Dokumentarfilms in Stuttgart möglich.
1. Einleitung 13

of Self in Everyday Life“20 und seiner darin entwickelten Unterscheidung von


Front Region und Backstage zurück, nach der sich die Filmanalysen gliedern
(Kapitel 6.5 bis Kapitel 6.7).
Das Schlusskapitel fasst die wesentlichen Erkenntnisse meiner Untersu-
chung zusammen. In einer Erörterung der Frage nach dem Fortbestehen von
Sensorischen Regimen in einer global vernetzten, durch einen weitreichenden
Medienwandel geprägten Welt findet die Studie ihren Endpunkt (Kapitel 7).

20
Erving Goffman: The Presentation of Self in Everyday Life, New York: Anchor Books 1959.
2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als
kulturtheoretisches Problem

Die Thematik der vorliegenden Arbeit wirft aus sich heraus Fragen auf: Was
bedeutet es, der sinnlichen Wahrnehmung eine historische Bedingtheit zuzuspre-
chen? Woran zeigt sich ihre Variabilität? Und weshalb erwuchs hieraus ein
Problem, das epochenspezifisch für die Moderne sein soll?
Diese Fragen machen eine Vorbemerkung erforderlich, die ihrem Anschein
nach einem Gemeinplatz gleichkommt, doch im Gegenteil auf die Problematik
eines solchen aufmerksam machen will: Wahrnehmung wird häufig, bisweilen
unhinterfragt oder implizit über das Modell der visuellen Wahrnehmung gefasst.
Da der Film vorrangig über die von ihm dargebotene Sichtbarkeit in Erscheinung
tritt, setzt er selbst das Primat des Sehens in der abendländischen Kulturge-
schichte weiter fort. Jedoch darf darüber hinaus seine auditive Komponente nicht
vergessen werden. Diese Hervorhebung ist an dieser Stelle nicht zuletzt deshalb
geboten, weil der Gedanke einer Historizität von Wahrnehmung, den es im
Folgenden darzulegen gilt, mittels exemplarischer Bezugnahme auf das Auge
entwickelt wurde.

2.1 Wahrnehmungsgeschichte als Begriffsgeschichte

Die Beschäftigung mit Fragen der Wahrnehmung hat in der Philosophie eine
lange Tradition. Über die Zeit hinweg entstand in dieser Hinsicht eine
Geschichte der Wahrnehmung, die sich darauf bezieht, was zu einem Zeitpunkt
über Wahrnehmung gedacht und geschrieben wurde. Als zentrale Referenz für
ein Untersuchungsvorhaben, das die historischen Wahrnehmungsdiskurse der
Philosophie darzulegen versucht, gilt in der Forschung Martin Jay. Seine
grundlegende These verdichtet bereits der Titel seines Buchs „Downcast Eyes“
und wird durch den Untertitel weiter präzisiert: „The Denigration of Vision in
twentieth-Century French Thought“. Statt sich von der Allgegenwart der Bilder
in der sozialen Realität des 20. Jahrhunderts blenden zu lassen, die er an anderer

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
J. Geng, Sensorische Regime, Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23502-4_2
16 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

Stelle als ein hierarchisch aufgebautes „modern scopic regime“21 umschreibt,


untersucht Jay darin die Argumente, mit denen sich die französische Philosophie
nach dem Zweiten Weltkrieg skeptisch, geradezu geringschätzend, gegenüber
dem Sehsinn positioniert hat. Als Resümee hält Jay fest:

Vision, it bears repeating, is normally understood as the master sense of the modern
era, variously described as the heyday of Cartesian perspectivalism, the age of the
world pictures, and the society of the spectacle or surveillance. It comes therefore
as no surprise that the critique of modernity would find congenial many of the
arguments against the hegemony of the eye that have been tracing in this study.22

Jays Befund, dass das Sehen durch die Moderne in eine Krise gestürzt worden
sei, fußt auf der Vorstellung, dass die Philosophie es vermag, Epochen in
Begriffe zu fassen. Die Einschätzung, ob ihr dies gelingt, ist indes zuvorderst auf
eine weitere Prämisse zurückgeworfen: Wahrnehmung zu denken, mit anderen
Worten einzelne Eigenschaften oder Aspekte von ihr zu erkennen, stellt eine
philosophische Objektvierung dar. Eine solche Bestimmung erfolgt stets unter
einer partikularen Perspektive und ist durch ihren Vollzug im Medium der
Sprache begrenzt. Hierin erkennt Theodor W. Adorno ein Grundproblem der
Philosophie, das er auf die Problematik der Nicht-Identität von Begriff und
Nichtbegrifflichem zuspitzt.

Wir sind also in der Philosophie gehalten, mit Begriffen und über Begriffe zu
reden; und dadurch ist von vornherein schon das, worum es in der Philosophie geht
– nämlich das Nichtbegriffliche, das worauf die Begriffe sich beziehen –, aus ihr
ausgeschlossen. Sie bringt sich also bereits durch ihr eigenes Medium, durch ihren
eigenen Ansatz um das, was sie eigentlich sollte: nämlich um die Möglichkeit, über
das zu urteilen, was sie nicht selber, was nicht Begriff ist. [Herv. i. Org.]23

Kein Begriff, ergo auch keine Begriffsgeschichte kann demnach darlegen, was
Wahrnehmung hinsichtlich ihrer phänomenologischen Gegebenheit an sich ist
respektive gewesen ist. Diese Unzulänglichkeit weist Lambert Wiesing wieder-
um als konstitutiv für die Wahrnehmungsphilosophie aus, wenn er postuliert,

21
Martin Jay: Scopic Regimes of Modernity. In: Vision and Visuality, hrsg. von Hal Foster, New
York: The New Press 1988. S. 4.
22
Martin Jay: Downcast Eyes: The Denigration of Vision in twentieth-century French Thought,
Berkeley: University of California Press 1993. S. 543.
23
Theodor W. Adorno: Vorlesung über Negative Dialektik, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007. S. 95.
2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie 17

dass der Begriff der Wahrnehmung sich per se nicht definieren lasse.24 Hierbei
spielt Wiesing nicht darauf an, dass die Philosophie überhaupt nur konkur-
rierende Definitionsvorschläge machen könne und deswegen auch für die
Wahrnehmung keine allumfassende Bestimmung zu finden sei.

Im Gegenteil: Ziemlich einhellig wird Wahrnehmung als die Fähigkeit von


Lebewesen verstanden, mittels ihrer Sinnesorgane Information über ihre materielle
Umwelt zu erhalten. [...] Selbstverständlich läßt sich mit dieser Standarddefinition
der Wahrnehmung, wahrscheinlich sogar ausschließlich mit dieser, bestens leben
und nahezu jede Aussage, in der der Begriff ‚Wahrnehmung‘ vorkommt, richtig
verstehen. Die philosophischen Verständnis- und Definitionsprobleme tauchen erst
dann auf, wenn man die trivial klingende Frage stellt: Ist diese Definition denn
auch richtig und was ist genau mit ihr gemeint?25

Mit ihrem Erkenntnisinteresse, das nach der Richtigkeit der jeweiligen begriff-
lichen Bestimmung fragt, macht die philosophische Reflexion Wahrnehmung zu
einem Problem, das im Alltag keines ist, weil dort Wahrnehmung gemeinhin
unhinterfragt hingenommen wird. Mithin verfehlen die philosophischen Defini-
tionen stets das empirische Phänomen, das sie begrifflich zu ergründen suchen.

2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie

Aus historischer Distanz erscheinen die grundlegenden Veränderungen der


sozialen und ökonomischen Realität im Zuge der Industrialisierung gleichsam
als neutrales Faktum. Einen Eindruck davon, wie ein Zeitzeuge diese Umwäl-
zungen erfahren hat, vermag auch heute noch Alexis de Tocquevilles Werk
„Notizen über eine Reise nach England“ (1835) zu vermitteln:

Ein dichter, schwarzer Qualm liegt über der Stadt. Durch ihn hindurch scheint die
Sonne als Scheibe ohne Strahlen. In diesem verschleierten Licht bewegen sich
unablässig dreihunderttausend menschliche Wesen. Tausend Geräusche ertönen
unablässig in diesem feuchten und finsteren Labyrinth. Aber es sind nicht die ge-
wohnten Geräusche, die sonst aus den Mauern großer Städte aufsteigen.26

Laut de Tocqueville stürzt die Industrialisierung das wahrnehmende Subjekt in


ein bis dato unbekanntes Chaos von Sinneseindrücken, welches sowohl das

24
Vgl. Lambert Wiesing: Einleitung: Philosophie der Wahrnehmung. In: Philosophie der
Wahrnehmung, hrsg. von Lambert Wiesing, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2002. S. 10.
25
Wiesing, 2002, S. 12.
26
Alexis de Tocqueville: Das Zeitalter der Gleichheit. Auswahl aus Werken und Briefen, Köln,
Opladen: Westdeutscher Verlag 1967. S. 230.
18 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

Sehen als auch das Hören durch neuartige Reize überfordert. Selbst die Haut sei
in Form einer beängstigenden Feuchte von der neuen Art des urbanen Zusam-
menlebens affiziert. Dass eine derartige Schilderung sich nicht zwangsläufig auf
die Vergangenheit beziehen muss, belegen die gegenwärtigen Entwicklungen
beispielsweise in China, wo in den letzten Jahrzehnten ein Beobachter zu einer
vergleichbaren Schilderung gekommen sein könnte.
Angesichts einer derart drastischen Zäsur liegt der Ansatz nahe, den rapiden
Übergang von der Agrar- hin zur Industriegesellschaft auch in seinen Auswir-
kungen auf die Wahrnehmung zu reflektieren. Eine solche Reflexion integriert
Karl Marx in seine frühe Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus, die
„Ökonomisch-philosophischen Manuskripte“ aus dem Jahr 1844. Die darin von
ihm zugrunde gelegte Prämisse besagt, dass in der Moderne nicht nur der
philosophische Diskurs um die Wahrnehmung, sondern das Wahrnehmen selbst
sich verändert habe. Angelehnt an sein Diktum aus der elften Feuerbach-These27
ließe sich entsprechend festhalten: Die Philosophie hat nur verschiedentlich
interpretiert, wie Wahrnehmung zu definieren ist, es kommt jedoch darauf an,
ihre Veränderung zu erfassen.

2.2.1 Marx: Die industrielle Moderne als Zäsur in der Geschichte der
Wahrnehmung

In der Rezeptionsgeschichte der Marx’schen Werke sind eine Vielzahl anderer


Aspekte prominenter in Erscheinung getreten als seine Reflexion über Wahr-
nehmung. Diese Vernachlässigung mag überraschen angesichts des hohen
Stellenwerts, den insbesondere der frühe Marx der Wahrnehmungs-Thematik
zuerkennt. In ihr kulminieren viele seiner grundlegenden Gedanken, zum
Beispiel sein Verständnis von Geschichte. So möchte sich Marx von der
„ganze[n] bisherige[n] Geschichtsauffassung“ abgrenzen, der er vorwirft, das
Verhältnis des Menschen zur Natur nicht bedacht zu haben.28 „Beide Seiten sind
indes von der Zeit nicht zu trennen; solange Menschen existieren, bedingen sich
Geschichte der Natur und Geschichte der Menschen wechselseitig.“29 Hieraus
leitet Marx seine Auffassung ab, dass „alle Geschichtsschreibung [...] von diesen
natürlichen Grundlagen [‚der physischen Beschaffenheit der Menschen‘ sowie
den ‚vorgefundenen Naturbedingungen‘, Anmerkung d. Verf., J. G.] und ihrer
Modifikation im Lauf der Geschichte durch die Aktion der Menschen“30

27
Karl Marx: Thesen über Feuerbach, Berlin: Dietz Verlag 1979. S. 7.
28
Karl Marx: Die Deutsche Ideologie, Berlin: Dietz Verlag 1959. S. 39.
29
Marx, 1959, S. 18.
30
Marx, 1959, S. 21.
2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie 19

auszugehen habe. Dementsprechend ist Marx der Ansicht, dass das Verhältnis, in
dem der Mensch und die Natur zueinander stehen, einer permanenten Neube-
stimmung unterliegt. Als Triebkraft hinter dieser Dynamik identifiziert Marx das
Bestreben des Menschen zum Selbsterhalt. Demnach produziere der Mensch
seine Lebensmittel und infolgedessen indirekt sein materielles Leben selbst.
Hierdurch schaffe er die Grundlage für die Zunahme seiner Population, die ihn
zu abermals weitreichenderen Eingriffen in die Natur zwinge.31
Marx gibt diesem Gedanken über das Mensch-Natur-Verhältnis eine
Wendung ins Radikale, wenn er im Kontext seiner Auseinandersetzung mit
Feuerbach schreibt: „Übrigens ist diese, der menschlichen Geschichte vorherge-
hende Natur, in der Feuerbach lebt, nicht die Natur, die heutzutage, ausgenom-
men etwa auf einzelnen australischen Koralleninseln neueren Ursprungs,
nirgends mehr existiert, also auch für Feuerbach nicht existiert.“32 In seinem
originären Argumentationszusammenhang findet sich dieser Satz der
Marx’schen Ansicht untergeordnet, wonach im Kapitalismus alle natürlichen
Ressourcen, von den im Erdinneren verborgenen Metallen bis hin zum Trink-
wasser, auf den Verwertungsprozess bezogen sind. Darüber hinaus birgt er einen
Gedanken, der sich erst in seiner gesamten Tragweite erschließt, wenn er als eine
Bestimmung der Moderne gelesen wird. Im Gegensatz zu vorangegangenen
Epochen ist die Moderne dadurch gekennzeichnet, dass es in ihr keine vom
Menschen unbelassene Natur mehr gibt. Zu Zeiten Marx’ gestaltete es sich
ungleich einfacher, einzelne Gegenbeispiele, wie die von ihm selbst erwähnten,
zu finden. In Anbetracht der stetig voranschreitenden Gentechnologie, der
globalen Umweltverschmutzung sowie des Klimawandels ist dies heute schlech-
terdings unmöglich geworden.
Auf diese allgemeine Auffassung des Mensch-Natur-Verhältnisses stützt
Marx seine Einsicht, dass die Sinne keine ausschließlich evolutionär gesetzte
und dergestalt unveränderliche Kapazität haben können. Seinen Gegenstand-
punkt hierzu expliziert Marx wie folgt: „Die Bildung der 5 Sinne ist eine Arbeit
der ganzen bisherigen Weltgeschichte.“33 Anstatt Wahrnehmung erschöpfend,
jedoch zwangsläufig abstrakt zu definieren, hebt Marx im Besonderen auf zwei
konkrete Charakteristika ab: So definieren sich die Sinne, laut Marx, über ihren
Doppelcharakter, sowohl subjektives als auch objektives Organ zu sein. Als
solches besteht ihre Leistung wiederum darin, dem Menschen einen gleicher-
maßen unmittelbaren wie auch historisch bestimmten Zugriff auf seine Umwelt
zu vermitteln.34 Die Möglichkeit ihrer Formbarkeit und infolgedessen der

31
Vgl. Marx, 1959, S. 21ff.
32
Marx, 1959, S. 44.
33
Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2005. S. 93.
34
Marx, 2005, S. 91.
20 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

Veränderlichkeit der Wahrnehmung erklärt sich nach Marx durch eben diese
verschränkte Bedingtheit: Durch seine Sinne eignet sich der Mensch die ihn
umgebende Umwelt an und setzt sich zu ihr ins Verhältnis. Eine Veränderung
der materiellen Welt hinsichtlich ihrer dinghaften Sichtbarkeit bewirke demnach
unweigerlich eine Veränderung in der menschlichen Wahrnehmungspraxis, die
sich sodann habitualisiert. Hierüber sedimentiere sich die materielle Lebenswelt
im tätigen Subjekt, das dadurch wiederum geformt und in seinem Weltverhältnis
ausgerichtet werde. Hierbei identifiziert Marx ein Kausalverhältnis: „Das Auge
ist zum menschlichen Auge geworden, wie sein Gegenstand zu einem gesell-
schaftlichen, menschlichen, vom Menschen für den Menschen herrührenden
Gegenstand geworden ist. [Herv. i. Org.]“35
Die Kultivierung der Sinnesorgane folgt somit, laut Marx, der stetig
zunehmenden Durchdringung der materiellen Lebenswirklichkeit durch den
Menschen, deren Folge es ist, dass ihm allgegenwärtig gesellschaftliche Verhält-
nisse in verdinglichter Form gegenübertreten. In diesem Wechselspiel macht
Marx überdies ein Telos aus: die durch den Kapitalismus bedingte Entfremdung
des Menschen.36 Mithin erhebt Marx die Industrialisierung zum übergeordneten
Faktor in der Geschichte der Wahrnehmung. Die Fabrik als eine vollkommen
durch den Menschen geschaffene Umwelt präge die Wahrnehmung der arbeiten-
den Massen. Laut Marx erzwingt sie, dass Wahrnehmung auf eine bis dato
unbekannte, dem Menschen unwürdige Art und Weise erfolgen müsse. So fixiere
die Maschine den Blick des Arbeiters auf das korrekte Bedienen der Apparatur,
und mehr noch, nötige sie ihn, seine Aufmerksamkeit in einem normierten Maß
nach der Serienproduktion auszurichten. Jedwedes rhythmisch-organische
Sinnesempfinden werde dabei durch das Diktat der maschinellen Taktung
negiert. Infolgedessen lerne der Arbeiter, die ihm zugewiesene Maschine nicht
nur förmlich zu hören und zu sehen, überdies verinnerlichten sich darüber die
dahinter stehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in seinen Sinnen. Diese
Spezialisierung der Wahrnehmung steigere wiederum die Effizienz des Produk-
tionsprozesses, wovon aber einseitig der Kapitalist profitiere. Der Arbeiter sehe
sich allein mit den Konsequenzen der Automatisierung seiner Wahrnehmung
zurückgelassen, die einer holistischen Entfaltung der Sinne zuwiderlaufen.
Dieser entstellten Wahrnehmung stellt Marx seine Utopie des Genusses
entgegen, die eine Vollendung der Wahrnehmung durch ihr Aufgehen im
Ästhetischen meint. Dabei mag überraschen, dass Marx den Genuss dezidiert auf
den Produktionsprozess bezieht. In seiner Argumentation ist dies jedoch
konsequent: Die eigene Arbeit als Genuss zu vollziehen, heißt für Marx, dass der
gesellschaftlich werktätige Mensch das eigene Tun durch das Tun des anderen
35
Vgl. Marx, 2005, S. 90f.
36
Vgl. Marx, 2005, S. 56ff.
2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie 21

als unmittelbar bestätigt erfährt.37 Der Genuss stellt für Marx somit nichts
Geringeres dar als die Überwindung der Entfremdung und der menschlichen
Habsucht, ergo: eine Transformation in einen neuen Menschen. Wie auch für den
Genuss kennzeichnend, würde sein Zugriff auf die Welt weder instrumentell
noch reduktiv verfahren, sondern sich selbst genügen. Unter diesen Bedingungen
könnte sich dann, laut Marx, seine Individualität im Ausgleich mit dem
Gemeinwesen entfalten und zugleich darin aufgehen. Dieses Argument verlän-
gert Marx konsequenterweise auf die Kunst. Vorausgesetzt, dass die Lebens-
bedürfnisse gedeckt seien, schaffe die Kunst einen Reichtum in der Wahrneh-
mung und forme darüber hinaus die Sinne.

Subjektiv gefaßt: Wie erst die Musik den musikalischen Sinn des Menschen
erweckt, wie für das unmusikalische Ohr die schönste Musik keinen Sinn hat,
[kein] Gegenstand ist, weil mein Gegenstand nur die Bestätigung einer meiner
Wesenskräfte sein kann, also nur so für mich sein kann, wie meine Wesenskraft als
subjektive Fähigkeit für sich ist, weil der Sinn eines Gegenstandes für mich (nur
Sinn für einen ihm entsprechenden Sinn hat) grade so weit geht, als mein Sinn geht,
darum sind die Sinne des gesellschaftlichen Menschen andere Sinne wie die des
ungesellschaftlichen; erst durch den gegenständlich entfalteten Reichtum des
menschlichen Wesens wird der Reichtum der subjektiven menschlichen Sinnlich-
keit, wird ein musikalisches Ohr, ein Auge für die Schönheit der Form, kurz,
werden erst menschlicher Genüsse fähige Sinne, Sinne, welche als menschliche
Wesenskräfte sich bestätigen, teils erst ausgebildet, teils erst erzeugt [Herv.
i. Org.].38

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass bei Marx die Formung
der Wahrnehmung des Arbeiters durch den industriellen Produktionsprozess als
Teil von dessen Entfremdung gedacht wird. Die Fabrik bestimmt demgemäß das
Proletariat und im Besonderen dessen Wahrnehmung auf eine ihm nicht würdige
Art und Weise. Dagegen stellt Marx den Kommunismus, der für ihn die einzige
Möglichkeit ist, der Wahrnehmung ihre menschliche Form und dem Menschen
seine Menschlichkeit zurückzugeben. Die sozialen Verwundungen des Arbeiters
durch den Kapitalismus zu heilen und so die „Rückkehr des Menschen für sich
als ein ... gesellschaftlicher, d. h. menschlicher Menschen [Herv. i. Org.]“39 zu
ermöglichen, gründet somit für Marx auf einem Rekurs auf das Ästhetische.

37
Vgl. Marx, 2005, S. 89.
38
Marx, 2005, S. 91f.
39
Marx, 2005, S. 86.
22 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

2.2.2 Lukács: Wahrnehmung und Verdinglichung in der kapitalistischen


Gesellschaft

Eine substantielle Erweiterung der Marx’schen Kapitalismuskritik gelingt Georg


Lukács mit seinem frühen Hauptwerk „Geschichte und Klassenbewusstsein“
(1923). Seine Studie will darlegen, wie sich das Verhältnis der Menschen
zueinander in der Form der Klasse historisch entwickelt hat, um vor diesem
Hintergrund der Frage nach der Herstellung eines „revolutionären Klassen-
bewusstseins“ nachzugehen. Überschattet werden seine Gedanken heute nicht
nur von einer langen Rezeptionsgeschichte, sondern ebenso von der Kritik an
Lukács’ späteren Schriften, im Speziellen an seinem Buch „Zerstörung der
Vernunft“ (1954). Dabei hat sich im deutschen Theoriediskurs im Besonderen
Theodor W. Adornos Verdikt eingebrannt, wonach Lukács sich „dem offiziellen
kommunistischen Denken beugte [...] und seine Denkkraft dem trostlosen
Niveau der sowjetischen Denkerei“40 angedient habe. Umso deutlicher sticht
demgegenüber Axel Honneths Aktualisierung von Lukács’ Verdinglichungs-
begriff hervor, die es in Bezug auf das Verhältnis von Technologie und Wahr-
nehmung weiter zu vertiefen lohnt.
Lukács’ Erörterung der Verdinglichungsproblematik befasst sich zwar nicht
explizit mit Wahrnehmung, jedoch schwingt der Bezug darauf bei vielen
Ausführungen mit – so auch bei seinem im Ausgang von Marx entwickelten
Gedanken, dass, vermittelt durch die universale Form der Ware, die für den
Kapitalismus wesentlichen Prinzipien der Rationalisierung, der Spezialisierung
sowie der Kalkulierbarkeit auf die moderne Gesellschaft als solche ausgestrahlt
haben. Hierbei denkt Lukács in erster Linie an das Bewusstsein: „So wie das
ökonomische System sich fortwährend auf erhöhter Stufe produziert und
reproduziert, so senkt sich im Laufe der Entwicklung des Kapitalismus die
Verdinglichungsstruktur immer tiefer, schicksalhafter und konstitutiver in das
Bewußtsein der Menschen hinein.“41 Daraus zieht Lukács die Schlussfolgerung,
dass die beiden Entwicklungen – die Komplexitätssteigerung des Kapitalismus
als ökonomisches System und die Verinnerlichung seiner Gesetzmäßigkeiten –
nur zu verstehen sind, wenn sie aufeinander bezogen werden. Von dieser
grundlegenden These kommt Lukács zu dem Standpunkt, dass im Kapitalismus
verändertes Bewusstsein mit veränderter Wahrnehmung einhergehe. Diesbezüg-
lich führt er aus:

40
Theodor W. Adorno: Erpreßte Versöhnung. In: Lehrstück Lukács, hrsg. von Jutta Matzner,
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974. S. 178.
41
Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik,
Darmstadt, Neuwied: Herman Luchterhand Velag 1986. S. 185.
2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie 23

Gerade weil in ihnen [den Formen des Kapitals, Anmerk. d. Verf. J.G.] die in der
unmittelbaren Warenbeziehung verborgenen Beziehungen der Menschen
zueinander und zu den wirklichen Objekten ihrer realen Bedürfnisbefriedigung zur
vollen Unwahrnehmbarkeit und Unkenntlichkeit verblassen, müssen sie für das
verdinglichte Bewußtsein zu den wahren Repräsentanten seines gesellschaftlichen
Lebens werden. Der Warencharakter der Ware, die abstraktquantitative Form der
Kalkulierbarkeit erscheint hier in seiner reinsten Gestalt: sie wird also für das
verdinglichte Bewußtsein notwendigerweise zur Erscheinungsform seiner eigent-
lichen Unmittelbarkeit, über die es – als verdinglichtes Bewußtsein – gar nicht
hinauszugehen trachtet. 42

Damit formuliert Lukács auf zwei miteinander verflochtenen Ebenen einen


entscheidenden Gedanken. Zum einen argumentiert er, dass ein falscher Unmit-
telbarkeitsschein das Wesen der Ware verdecke, woran sich wiederum falsche
Wahrnehmungsgewohnheiten schulten.43 Die derart fehlgeleitete, gleichwie
verdinglichte Wahrnehmung fungiert nach Lukács zum anderen als Mittel der
Unsichtbarmachung. Sie lässt den jeweiligen Gegenstand ausschließlich in
seinem faktischen Dasein, quasi als schieres Ding, sehen und macht darüber
unkenntlich, dass in den Gegenstand vermittelte Verhältnisse zwischen Men-
schen eingelassen sind. Hierauf bezieht sich der Kern von Lukács’ Verständnis
von Verdinglichung, die er definiert als die Schaffung eines „Verhältnis[ses],
eine[r] Beziehung zwischen Personen [, das] den Charakter einer Dinghaftigkeit
und auf diese Weise eine ‚gespenstige Gegenständlichkeit‘ erhält“44. Den in
diesem Begriffsverständnis zusammengefassten Nuancierungen hat unlängst
Axel Honneth die folgende Auslegung gegeben:

Die Subjekte sind im Warentausch wechselseitig dazu angehalten, (a) die vorfind-
lichen Gegenstände nur noch als potentiell verwertbare ‚Dinge‘ wahrzunehmen,
(b) ihr Gegenüber nur noch als ‚Objekt‘ einer ertragreichen Transaktion anzusehen
und schließlich (c) ihr eigenes Vermögen nur noch als Ressource zu betrachten
[Herv. d. Verf., J. G.].45

Mit jedem Element seiner dreigliedrigen Deutung hebt Honneth auf verschiede-
ne Aspekte des Wahrnehmens als konstituierendes Merkmal von Verdinglichung
ab. Hierin drückt sich wiederum sein Standpunkt aus, dass im Zentrum von
Lukács’ Studie die These stehe, wonach im Kapitalismus Verdinglichung zur
‚zweiten Natur‘ des Menschen geworden sei, die ihm die Rolle eines passiven
Beobachters zuweise, anstatt ihn zu einem aktiv gestaltenden Teilnehmer zu

42
Lukács, 1986, S. 185.
43
Vgl. Lukács, 1986, S. 274.
44
Lukács, 1986, S. 170f.
45
Axel Honneth: Verdinglichung. Eine anerkennungstheoretische Studie, Frankfurt am Main:
Suhrkamp 2006. S. 20.
24 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

machen. Im Ausgang von Honneths handlungstheoretischer Perspektive auf


Lukács’ Verdinglichungsbegriff ist ein wechselseitiger Zusammenhang festzu-
stellen: Zum einen vollzieht sich Verdinglichung über Wahrnehmung, weshalb
Honneth von einer „verdinglichende[n] Wahrnehmung“46 spricht und sie so als
Funktionsmechanismus der Verdinglichung ausweist, zum anderen ist Wahr-
nehmung selbst Gegenstand kapitalistischer Verdinglichung.
Ein Rekurs auf Lukács verdeutlicht überdies: Eine ‚neutrale‘ Wahrnehmung
kann es im Kapitalismus nicht geben, da ihr Vermögen nicht nur an kapitalis-
tisch produzierten Gütern geschult wurde. Darüber hinaus betont Honneth bei
seiner Relektüre von Lukács, dass die Wahrnehmung prinzipiell, und damit dem
Phänomen der Verdinglichung entsprechend, über eine „habituell erstarrte
Perspektive“47 neu ausgerichtet wurde, woraus nach seinem Dafürhalten der
Verlust einer fürsorgenden und anteilnehmenden Verhaltensform resultiere.
Jedoch entledigt sich Honneth dabei, wie er selbst schreibt, dem „Herzstück der
Analyse von Georg Lukács [...], daß für all diese Verdinglichungserscheinungen
nur die kapitalistische Verallgemeinerung des Warentausches verantwortlich zu
machen ist“.48 Insofern lässt zwar seine Neufassung von Verdinglichung als
Anerkennungsvergessenheit die darin implizite Bedeutsamkeit von Wahr-
nehmung hervortreten, allerdings um den Preis, Lukács’ Selbstverortung auf den
Standpunkt des Proletariats und damit seine Radikalität aufzugeben.
Ohne Lukács’ Hoffnung auf eine nahende Revolution wiederbeleben zu
wollen, liegt doch in seiner Fokussierung auf die Warenform gerade im Hinblick
auf gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungstendenzen ein überraschendes
Erkenntnispotential. Um dieses zu heben, bedarf es einer Rückbesinnung auf
seine an Marx geschulte Ansicht, dass im Kapitalismus die Ware sich selbst als
objektive Realität darbiete und darüber die in sie eingelassenen Machtverhältnis-
se zwischen den Menschen verberge. Entsprechend ist mit Lukács zu der
Schlussfolgerung zu kommen, dass nicht nur der Mensch aufgrund seiner
Beteiligung im Produktionsprozess warenförmig und folglich zu einem „Ding“
gemacht werde, sondern dass ein jedes Element in der kapitalistischen Gesell-
schaft, gleichsam als Ware, seine Herstellung und die darin eingelassenen
sozialen Beziehungen zu verbergen habe. Der Konvergenzeffekt dieser beiden
Entwicklungen zeichnet sich im Bereich der Nano- bzw. Biotechnologie sowie
an den Fortschritten der Prothesentechnik wie in einem Brennglas ab: Die
Trennung von Mensch und Maschine wird durchlässig und unter dem Stichwort
des Transhumanismus zunehmend infrage gestellt. Dabei kommt indes dem
Menschen nicht ausschließlich die Rolle eines passiv gemachten Benutzers zu.
46
Honneth, 2006, S. 23.
47
Honneth, 2006, S. 63.
48
Honneth, 2006, S. 94.
2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie 25

Vielmehr erfassen diese neuen Techniken ihn in seinem kreativen Vermögen und
seinem Streben nach Selbstoptimierung. Dabei wird der Mensch wiederum in
neue soziale Beziehungen sowie in warenförmige Abhängigkeitsverhältnisse
gerückt, wobei diese von der Normativität des vermeintlich Faktischen der
Geräte überdeckt werden.
Mit Lukács ist eine programmatische Weichenstellung getroffen, die von
den ihm nachfolgenden Theoretikern verschiedentlich fortgeführt wurde: Nicht
an den empirischen Auswirkungen auf die Wahrnehmung, sondern an den
technologiebasierten Prozessen ihrer Verdinglichung gilt es nach Lukács, die
Resonanzeffekte des Kapitalismus darzulegen. Mithin spricht er sich für eine
Hinwendung zu den hervorbringenden Kräften sowie deren Entfaltungs-
mechanismen aus, statt den Analysefokus auf die Symptome, beispielsweise die
Abstumpfung, die Teilnahmslosigkeit oder die Aufmerksamkeitsminderung, zu
richten. Als Ansatz, um über den Schein der Unmittelbarkeit hinauszugehen,
schlägt er eine kontextualisierende Analyse der Ursachen vor. Ihr Ziel soll sein,
„die struktiven Aufbauprinzipien und die realen Bewegungstendenzen der
Gegenstände“49, ergo ihre Entstehungsprozesse und ihre sozialen Ausstrahlungs-
effekte zu ergründen. Somit ist für Lukács gesetzt, woran sich die historische
Variabilität von Wahrnehmung zeigt und was ihre Treiber sind. Seine Betrach-
tungsweise zieht dabei ihre Eingängigkeit respektive Radikalität aus der Annah-
me von Monokausalitäten. Entsprechend verkennt sie die Wahrnehmung
einseitig als passives beziehungsweise passiv gemachtes Vermögen und übergeht
dabei die Wechselbeziehungen zwischen den Sinnen, ihren Aneignungsprozes-
sen und den formierend auf sie einwirkenden Technologien.

2.2.3 Benjamin: Filmtechnologie als Agent einer Politik der sinnlichen


Wahrnehmung

Erkannte Marx in der Fabrik den Ort, an dem industriell neben Produkten auch
das Proletariat und eine ihm zugehörige Form der Wahrnehmung geschaffen
werde, erweiterte Lukács diesen Gedanken durch das Argument, dass mittels
einer verdinglichten Wahrnehmung die Gesellschaft als solche nach kapitalisti-
schen Prinzipien geformt werde. Welche Kraft von den modernen Massen-
medien auf die Sinne ausgeht, reflektierte indes erst Walter Benjamin.
Benjamins erste Beschäftigung mit dieser Thematik resultierte in seiner im
Jahr 1928 publizierten Aphorismensammlung „Einbahnstraße“, die nach seiner
Lektüre von Lukács’ „Geschichte und Klassenbewusstsein“ zwischen 1924 und

49
Lukács, 1986, S. 276.
26 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

1926 entstanden ist.50 Darin konstatiert er eine Neuausrichtung des Sehsinns von
der Horizontalen in die Vertikale, welche die Zeitung, die Reklame sowie der
Film mit ihrem Gestaltungsprinzip der Senkrechten bewirkt haben.51 Ausführli-
cher und mit einer weitaus größeren theoretischen Fundierung erörtert Benjamin
den Zusammenhang von Medientechnologie und der historischen Wandelbarkeit
von Wahrnehmung in seinem Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner
technischen Reproduzierbarkeit“, in dem sich die beiden folgenden Sätze finden:

Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten


Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer
Sinneswahrnehmung. Die Art und Weise, in der die menschliche
Sinneswahrnehmung sich organisiert – das Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht
nur natürlich, sondern auch geschichtlich bedingt.52

Diese beiden Schlüsselsätze erschließen sich über Benjamins Verständnis des


Begriffs Medium. Benjamin gebraucht den Terminus, um in Anlehnung an Marx
darauf zu verweisen, dass dem per se subjektiven Wahrnehmungsakt kollektiv
geteilte, dergestalt bindende sowie stabile Strukturen zugrunde liegen. Wahr-
nehmung lässt sich demnach nicht ausschließlich durch die Physiologie des
menschlichen Sinnesapparats erklären oder im Umkehrschluss darauf reduzieren.
Die Sinne sind vielmehr stets soziokulturell geformt, wodurch sie ihre histori-
sche Variabilität erhalten: Das, was man sieht und hört, ist stets auch das
Resultat dessen, was eine Kultur dem Subjekt nahe legt, bevorzugt zu sehen und
zu hören respektive welche Gewöhnungseffekte sich eingestellt haben. Umge-
kehrt wird Wahrnehmung ebenfalls dadurch beeinflusst, dass möglichen
Einstellungen und Interessen kulturell nicht gefördert und dementsprechend
weniger ausgebildet werden. Natürlich behauptet Benjamin damit nicht, dass die
schieren biologischen Kapazitäten der menschlichen Sinne – beispielsweise
welche Farben unsere Augen unterscheiden oder welches Frequenzspektrum wir
hören können – sich gemäß Darwins’ Evolutionstheorie verändert hätten. Doch
liegt die entscheidende Wendung in Benjamins Argument darin, dass das

50
Vgl. Miriam Bratu Hansen: Cinema and Experience: Siegfried Kracauer, Walter Benjamin, and
Theodor W. Adorno, Berkeley: University of California Press 2012. S. 133.
51
Vgl. Walter Benjamin: Einbahnstraße, Hrsg. von Detlev Schöttker, Frankfurt a. M.: Suhrkamp
2009. S. 30.
52
Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Dritte
Fassung). In: Walter Benjamin. Werke und Nachlaß. Kritische Gesamtausgabe. Band 16: Das
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, hrsg. von Burkhardt Lindner, Berlin:
Suhrkamp 2012. S. 101.
Die von Burkhardt Lindner als dritte Fassung editierte Version des „Kunstwerk“-Aufsatzes wird in
den „Gesammelten Schriften“ als die zweite Fassung ausgewiesen. Die von Lindner als fünfte
Fassung bezeichnete Version entspricht der dritten in den „Gesammelten Schriften“.
2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie 27

biologisch gegebene Basisvermögen der Sinne von ihrem Medium und damit
von ihrer soziokulturellen Geformtheit nicht zu trennen ist.
Benjamins Verständnis von Wahrnehmung exponiert einen weiteren
Aspekt: Visuelle Wahrnehmung ist nicht mit Sichtbarkeit gleichzusetzen und
doch auch nicht von ihr zu trennen. Anstatt diesen Gedanken als Paradoxie
abzutun, erweist es sich als produktiver, ihn in seine einzelnen Teile aufzu-
schlüsseln. So besteht grundlegend eine unüberwindbare Diskrepanz zwischen
dem, was in der Realität als faktische Sichtbarkeit oder Hörbarkeit wahrzuneh-
men wäre, und dem, was die Wahrnehmung erfasst respektive aufgrund ihrer
historischen Form überhaupt erfassen kann. Denn ihr potentielles Vermögen
wird durch kulturelle Konventionen auf feste Dispositionen festgelegt, welche
der Wahrnehmung ihre historisch vermittelte Bedingtheit geben. Auf diese
Weise akzentuiert Benjamins Terminus der Organisation von Wahrnehmung,
nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich das Verhältnis von Wahrnehmung und
visueller Kultur ausgerichtet hat. Dieses Verhältnis unterliegt fortwährenden
Anpassungen, die Benjamin wie folgt umreißt:

Die Zeit der Völkerwanderung, in der die spätrömische Kulturindustrie und die
Wiener Genesis entstanden, hatte nicht nur eine andere Kunst als die Antike,
sondern auch eine andere Wahrnehmung. Die Gelehrten der wiener [sic] Schule,
Riegl und Wickhoff, […] sind als erste auf den Gedanken gekommen, aus ihr
Schlüsse auf die Organisation der Wahrnehmung in der Zeit zu tun, in der sie in
Geltung stand. So weittragend ihre Erkenntnisse waren, so hatten sie ihre Grenzen
darin, daß sich diese Forscher begnügten, die formale Signatur aufzuweisen, die der
Wahrnehmung in der spätrömischen Zeit eigen war. Sie haben nicht versucht – und
konnten vielleicht auch nicht hoffen – , die gesellschaftlichen Umwälzungen zu
zeigen, die in diesen Veränderungen der Wahrnehmung ihren Ausdruck fanden. Für
die Gegenwart liegen die Bedingungen einer entsprechenden Einsicht besser.53

Das Zitat beinhaltet gleichermaßen einen simplen Fehlschluss wie eine gedan-
kenscharfe Erkenntnis. Wie Joel Snyder herausstellt, erweist sich Benjamins
Bezugnahme auf die Autorität Alois Riegls und Franz Wickhoffs eher als
abwegig, da keiner der beiden Kunsthistoriker den argumentativen Rückschluss
von der Stilentwicklung der antiken Kunst auf einen Wandel der Wahrnehmung
zieht. Im Gegenteil nehmen beide Historiker eher konträre Positionen ein, die
Benjamins Auffassung einer historischen Wandelbarkeit von Wahrnehmung
zuwiderlaufen.54 Demgegenüber steht Benjamins weitsichtiger Vorschlag, wie
eine Untersuchung der historischen Veränderung von Wahrnehmung methodo-

53
Benjamin, 2012, S. 101.
54
Vgl. Joel Snyder: Benjamin on Reproducibility and Aura. A Reading of ‚The Work of Art in the
Age of Its Technical Reproducibility‘. In: Benjamin: Philosophy, Aesthetics, History, hrsg. von Gary
Smith, Chicago: University of Chicago Press 1989. S. 165.
28 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

logisch zu konzeptualisieren sei. Nach Benjamin sind hierfür drei Ebenen zu


unterscheiden: die Ebene der Sozialgeschichte, oder in Benjamins Worten die
„Daseinsweise der menschlichen Kollektiva“, zweitens die Geschichtlichkeit der
Wahrnehmung und drittens die Formgeschichte der visuellen Kunst. Hierauf
aufbauend, stellt Benjamin den Kausalzusammenhang auf, dass eine Verände-
rung in der materiellen Sozialgeschichte eine Veränderung der Wahrnehmung
nach sich ziehe, die sich ihrerseits auf der dritten Ebene in den visuellen
Ausdrucksformen der Kunst niederschlage. Damit verwahrt sich Benjamin
dagegen, eine Veränderung der künstlerischen Ausdrucksformen mit einem
Wandel der Wahrnehmung gleichzusetzen. Vielmehr müsse die Geschichte der
visuellen Repräsentation auf die ihnen vorgelagerten gesellschaftlichen Trans-
formationsprozesse bezogen werden, um den Rückschluss auf die historische
Wandelbarkeit von Wahrnehmung argumentativ zu untermauern. Ein Wandel in
den künstlerischen Ausdrucksformen könne demnach nur dann als ein Indikator
für eine Zäsur in der vermittelten Bedingtheit von Wahrnehmung angesehen
werden, wenn die Analyse die „gesellschaftlichen Umwälzungen [...], die in
diesen Veränderungen der Wahrnehmung ihren Ausdruck fanden“, einbezieht.
Erst hierdurch gelingt, wie mit Benjamin zu unterstreichen ist, bei der Analyse
der Kunstwerke der entscheidende Schritt, der über eine rein formalistische
Betrachtungsweise hinausreicht.
Unübersehbar setzt diese Untersuchungsanlage eine Privilegierung der
Kunst voraus. So begründet Benjamin auch nicht, warum im Besonderen an der
Kunst die historische Wandelbarkeit von Wahrnehmung abzulesen wäre. Eine
Antwort hierauf lässt sich indes aus Benjamins Gesamtbetrachtung der Moderne
ableiten, wobei Bernd Kiefer zu dem Schluss kommt, dass nach Benjamin das
Ästhetische „als Potenzierung des menschlichen Sinnesbewußtseins und der
sinnlichen Wahrnehmung“55 zu verstehen ist. Demnach ist es nur konsequent, für
eine Untersuchung der historischen Wandelbarkeit von Wahrnehmung bei der
Kunst anzusetzen, da innerhalb dieser die Veränderungen besonders prägnant
hervortreten und sich entsprechend anschaulich untersuchen lassen.
Die Abstraktheit, in der Benjamin sein Argument in seinem „Kunstwerk“-
Aufsatz belässt, lässt sich mit einer daran geschulten Betrachtung von Adolph
Menzels Bild „Eisenwalzwerk“ minimieren. Obgleich es nicht als Auftragsarbeit
für einen Fabrikbesitzer angefertigt wurde56, entspricht Menzels Bild doch klar,
wie sich mit Benjamin sagen lässt, einem bürgerlich-kapitalistischen Blick auf
die industrielle Fabrikarbeit, anstatt ein Produkt proletarischer Wahrnehmung zu

55
Bernd Kiefer: Rettende Kritik der Moderne. Studien zum Gesamtwerk Walter Benjamins,
Frankfurt a. M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Lang 1994. S. 318.
56
Vgl. Françoise Forster-Hahn: Ethos und Eros: Adolph Menzels "Eisenwalzwerk" und
"Atelierwand". In: Jahrbuch der Berliner Museen, 41 (1999), S. 143.
2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie 29

sein. Eine derartige Interpretation begnügt sich nicht mit einer kontextualisieren-
den Deutung, wonach das Gemälde eher im bourgeoisen Milieu, beispielsweise
in der Lobby eines Stahlunternehmens oder in einem Museum, wie der Alten
Nationalgalerie, wo es heute hängt, zu verorten wäre, als in der Lebenswelt eines
Arbeiters. Ebenso wenig erschöpft sie sich darin, auf Menzels Tendenz zur
Verklärung der proletarischen Arbeit hinzuweisen. Vielmehr stützt sich eine an
Benjamin geschulte Deutung von Menzels Werk auf die Totalität der visuellen
Darstellung, die wiederum ihre Entsprechung in den schieren Maßen des Bildes
von 158 cm auf 254 cm findet. Diese überwältigende Größe verstärkt zumal den
formalen Aufbau des Bildes, in dem eine alles überblickende Beobachterposition
angelegt ist. Diese macht das Bild zum Zeugnis einer bürgerlichen Organisation
von Wahrnehmung. Von dem dadurch bedingten Abstand auf das Geschehen
ausgehend, fängt Menzel mit dem Mittel der Zentralperspektive die Simultanei-
tät der verschiedenen Produktionsprozesse ein, die von einem Arbeiter so
niemals hätte wahrgenommen werden können. Zwar zeigt Menzels
„Eisenwalzwerk“ die Hektik und die Körperlichkeit, welche die Fabrikarbeit
kennzeichnen. Allerdings stellt das Bild beides nicht als Bedrohung für die
Wahrnehmung dar, weshalb es von der faktischen Erfahrung eines Fabrik-
arbeiters abweicht. Stattdessen hält Menzels Gemälde strikt an Kategorien wie
Distanz, Überblick und Einheit fest, die allesamt mit dem bürgerlichen Blick
eines Kapitalisten zu assoziieren sind. Dies lässt sich bis in die Werkgenese
verfolgen. So wird aus Vorstudien ersichtlich, dass Menzel bei der Ausarbeitung
einzelner Details auf deren Einklang mit dem visuellen Gesamteindruck bedacht
war.57
Im diametralen Kontrast hierzu steht nach Benjamins Dafürhalten das
Massenmedium Film, das aufgrund seiner technologischen Grundausrichtung auf
Reproduktion angelegt sowie einer Doktrin der perzeptuellen Nähe verpflichtet
ist. In einer ungleich pointierteren Lesart entnimmt Miriam Hansen Benjamins
Ausführungen die Vorstellung eines allgemeinen „new regime of perception
advanced by the media of technological reproduction“58, dessen wichtigster
Exponent der Film darstelle. Das augenscheinlichste Opfer dieses Regimes der
technologischen Nähe erkennt Benjamin in der Aura. Die massenweise
(Re-)Produktion der fotografischen und der filmischen Sichtbarkeit mache jene
„Erscheinung der Ferne, so nah sie auch sein mag [Hervorhebung d. Verf.,
J. G.]“59, durch die Benjamin die Aura geradezu poetisch zu fassen sucht,
zunichte und etabliere dagegen die Faktizität eines bildlich fixierten Nah-Seins.
Hierin sieht Benjamin gleichfalls neue Potentiale hinsichtlich der Erfahrbarkeit
57
Vgl. Konrad Kaiser: Adolph Menzels Eisenwalzwerk, Berlin: Henschelverlag 1953. S. 46ff.
58
Hansen, 2012, S. 85.
59
Benjamin, 2012, S. 102.
30 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

von Kunst sich auftun, die ihrerseits mit dem „Anliegen“60 der proletarischen
Massen, den Dingen näher zu kommen, korrespondierten. Das visuelle Wahr-
nehmungsvermögen des Arbeiters sieht Benjamin, das Marx’sche Argument
fortführend, durch die Maschine auf ein kleines, greifbares Blickfeld gewohn-
heitsmäßig verengt. Bürgerliche Kunst, wie zum Beispiel Menzels „Eisenwalz-
werk“ oder die impressionistische Malerei, biete demgegenüber eine ästhetische
Erfahrung der Ferne, die der Wahrnehmung des Proletariats schlechterdings
zuwider laufe. Dessen Bedürfnisse befriedige stattdessen der Film, der bei-
spielsweise durch den Close-up ein Objekt für die Augen zum Greifen nahe
bringen kann.
In der proletarischen Masse manifestiert sich die grundlegende Setzung von
Benjamins „Kunstwerk“-Aufsatz, die er im Vorwort einführt, im Nachwort
abermals radikalisiert und auf die viele seiner Ausführungen hinauslaufen.
Entsprechend leitet Benjamin seinen Essay mit einer expliziten Bezugnahme auf
Marx ein. Dabei konstatiert er, dass der prognostische Gehalt der Marx’schen
Schriften sich nun erst – in den 1930er Jahren – in allen Bereichen der Kultur als
zutreffend erwiesen habe. Hinzu kommt der zeitgleich aufziehende Faschismus,
der für Benjamin, die Relevanz seiner Ausführungen begründend, eine Neube-
stimmung von Kunst durch die Masse erforderlich macht. Eine solche Kunst-
theorie – und mit ihr die Kunst, die sie befördere – habe sich auf die Seite der
gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenzen zu stellen – für Benjamin: die
„zunehmende Proletarisierung der heutigen Menschen und die zunehmende
Formierung von Massen“61. Hieran schließt sich die zweite, bisweilen normative
Setzung Benjamins an, wonach die proletarische Masse zum einen das Wesen
der „Apparatur“62 und den danach ausgerichteten Gebrauch der Filmtechnologie
bestimme, zum anderen der Film wiederum in den Dienst an der proletarischen
Masse und ihrem „Recht auf Veränderung der Eigentumsverhältnisse“63 zu
stellen sei. Problematisch an dieser argumentativen Zirkularität gestaltet sich,
dass sie hintergründig in einen Determinismus kippt, wie folgendes Beispiel
zugespitzt veranschaulicht. Eisensteins БРОНЕНОСЕЦ ПОТЁМКИН /
PANZERKREUZER POTEMKIN (1925) ist für Benjamin deshalb ein ‚guter‘ Film,
weil er die Filmtechnologie ‚richtig‘, also für die Anliegen der Masse gebraucht,
wobei das ‚richtig‘ sich aus der Setzung der proletarischen Masse bestimmt, für
deren Formung der Film wiederum als konstitutiv erachtet wird. Alternativ
ermöglicht dieses auf sich selbst verweisende Argument Benjamin die Gleich-
setzung der politischen „Vergewaltigung der Masse“ durch den Nationalsozia-

60
Benjamin, 2012, S. 102.
61
Benjamin, 2012, S. 138.
62
Benjamin, 2012, S. 108.
63
Benjamin, 2012, S. 139.
2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie 31

lismus mit der „Vergewaltigung der Apparatur“, wobei im Umkehrschluss die


„Vergewaltigung der Apparatur“ aus der „Vergewaltigung der Masse“ begründet
wird.64 In diesem zirkulären Sinne kann Benjamin von der „Ausrichtung der
Realität auf die Masse und der Masse auf sie“ 65 sprechen, die er vom Film
verlangt.66 ‚Die Masse‘ bleibt jedoch bei Benjamin eine unbestimmte Größe und
wird von ihm überdies metaphorisch überhöht. So führt er beispielsweise in
seinem Surrealismus-Essay aus, wie sich die Filmtechnologie in der Masse, nun
körperlich gedacht, verankert habe, was er als „Innervation“ beschrieben wissen
will67, denn: „Auch das Kollektivum ist leibhaft.“68 Der Gedanke, dass die
proletarische Masse als Kollektiv entsprechend einen empfindsamen Körper,
einen Leib habe und darüber zu fassen sei, lässt sich zum einen schwer konkret
greifen, zum anderen führt er ein ahistorisches Element in die Argumentation
ein, das sich nicht auflösen lässt.
Um die Kontrastierung von bürgerlicher und proletarischer Kunsterfahrung
weiter zu charakterisieren, gebraucht Benjamin die Unterscheidung von opti-
scher und taktischer69 respektive, wie es in der fünften Fassung seines
Kunstwerk-Aufsatzes heißt, von taktiler Wahrnehmung.70 Optische Wahr-
nehmung fordert, laut Benjamin, vom Kunstbetrachter Sammlung und Konzent-
ration, wodurch er der Autorität des Kunstwerks unterworfen und schlussendlich
passiv gemacht werde. Anders verhält es sich für die proletarische Kunst-
erfahrung. Benjamins Changieren bei der Wortwahl von taktil und taktisch sollte
allerdings nicht als Ausdruck eines gewandelten Verständnisses gelesen werden.
Taktil und taktisch betonen für Benjamin eher zwei Aspekte ein und desselben
Zusammenhangs. In beiden Fällen verweist Benjamins Wortwahl auf die
Körperlichkeit der Filmwahrnehmung, welche die Technologie dem Zuschauer
abverlangt. Indem Benjamin den Modus der Filmrezeption als taktil kenn-
zeichnet, attestiert er dem Film eine sinnlich-haptische Qualität: Die durch die
Filmtechnologie hervorgebrachten Sichtbarmachungen lassen das Dargestellte so
erscheinen, als wäre es für die Sinne unmittelbar – im wahrsten Sinne des
Wortes – begreifbar. Der Film zielt dabei, wie Benjamin des Weiteren betont,
nicht in erster Linie auf das analytische Denkvermögen seines Publikums. Seine
Wirkung vollziehe sich viel eher wie ein Sinneseindruck auf der Haut, das heißt:

64
Benjamin, 2012, S. 248.
65
Benjamin, 2012, S. 103.
66
Benjamin, 2012, S. 103.
67
Vgl. Miriam Bratu Hansen: Benjamin and Cinema: Not a One-Way Street. In: Critical Inquiry, 25
(1999a), H. 3, S. 313ff.
68
Walter Benjamin: Der Sürrealismus. Die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz. In:
Ein Lesebuch, hrsg. von Michael Opitz, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996. S. 163.
69
Vgl. Benjamin, 2012, S. 137.
70
Vgl. Benjamin, 2012, S. 243.
32 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

unreflektiert und unverstellt, direkt und direktiv. Diese Art der Stimulation
macht jedwede Form der Kontemplation, wie sie unter dem bourgeoisen Regime
des Optischen vom Betrachter für sein Sich-Versenken in der Aura gefordert
wurde, obsolet. Aufgrund der getilgten Distanz ändere sich, wie Benjamin
herausstellt, bei der Filmrezeption zwangsläufig die Haltung, die ein Betrachter
gegenüber dem Kunstwerk einnehme: Für seine einstmalige Passivität gebe es
keinen Grund mehr. Vielmehr appelliere der Film regelrecht an sein proletari-
sches Publikum, sich aktiv mit den Bildern auseinanderzusetzen und sogar seine
Reaktionen im Zuschauerkollektiv des Kinos lautstark zu artikulieren.
Benjamins Verweis auf die taktische Eigenart der Filmrezeption bezweckt
dagegen eine Assoziation mit dem Militärischen, wodurch der Wahrnehmungs-
prozess eines Films als Kampf ausgewiesen wird. Um darin bestehen zu können,
bedarf es nicht nur blitzschneller Reaktionen, wie es der Terminus des Taktilen
ausdrückt, überdies muss das wahrnehmende Subjekt eine Strategie zu Händen
haben, um die Reize eines Films bewältigen zu können. Für Benjamin leisten
dies in erster Linie Gewohnheiten.

Gewöhnen kann sich auch der Zerstreute. Mehr: gewisse Aufgaben in der
Zerstreuung bewältigen zu können, erweist erst, daß sie zu lösen einem zur
Gewohnheit geworden ist. Durch die Zerstreuung, wie die Kunst sie zu bieten hat,
wird unter der Hand kontrolliert, wie weit neue Aufgaben der Apperzeption lösbar
geworden sind [...] Die Rezeption in der Zerstreuung, die sich mit wachsendem
Nachdruck auf allen Gebieten der Kunst bemerkbar macht und das Symptom von
tiefgreifenden Veränderungen der Apperzeption ist, hat am Film ihr eigentliches
Übungsinstrument. In seiner Chockwirkung kommt der Film dieser Rezeptionsform
entgegen [Herv. i. Org.].71

Als „Agent“72 der Technisierung der Moderne konfrontiert der Film nach
Benjamin sein Publikum mit einer permanenten Abfolge audiovisueller Chocks.
Diese Chocks zwingen dazu, perzeptuelle Abwehrmechanismen in Form von
Gewohnheiten aufzubauen. Dabei geht Benjamin nicht von einem umstandslosen
Wirkungszusammenhang aus, demzufolge der Zuschauer dem Film vollkommen
unterworfen sei und sich folglich seine Wahrnehmungsgewohnheiten gemäß
eines Stimulus-Response-Schemas bildeten. Die sensorische Wirkkraft des Films
will Benjamin indes auch nicht geleugnet wissen, insofern er den Zuschauer in
einer nicht minder starken Position sieht. Denn der Verlust der Aura meint für
Benjamin gleichermaßen einen Verlust der Autorität, die ein Kunstwerk über
seinen Betrachter auszuüben vermag. In der Zerstreuung ergeben sich, laut
Benjamin, zugleich ganz neue Möglichkeiten, auf ein Kunstwerk und die von

71
Benjamin, 2012, S. 138.
72
Benjamin, 2012, S. 101.
2.2 Die Historizität der Wahrnehmung im Diskurs der Kritischen Theorie 33

ihm geleistete Affizierung der Sinne zu reagieren. Aus diesem Wechselspiel von
Zuschauer und Filmtechnologie, das eher einem Kampf auf Augenhöhe als einer
einseitigen Unterwerfung entspricht, gehen, gemäß Benjamins Wirkungslogik,
die durch den Film geschaffenen Wahrnehmungsgewohnheiten hervor.
Sich gewöhnen an den Chock meint für Benjamin somit zugleich: sich be-
wusst zu werden, dass der nächste Chock unweigerlich kommen wird und ihn zu
antizipieren, im Moment der Chockerfahrung eine passende Reaktion zur
Bewältigung parat zu haben und nicht zuletzt einen Umgang mit den bereits
erlittenen Chock-Traumata zu entwickeln. In jedem der angeführten Fälle sind es
nach Benjamin Gewohnheiten, die das moderne Subjekt zusammenhalten, das
weder in seinem Bewusstsein noch in der Tradition ein Refugium mehr hat.
Angesichts dieses Verlusts kommen zwei ausschlaggebende Charakteristika von
Gewohnheiten zum Tragen. Erstens entstehen Gewohnheiten nicht notwendi-
gerweise intentional, häufig sind sie das ungewollte Nebenprodukt wiederholter
Praxis. Entsprechend spricht Benjamin davon, dass Gewohnheiten „unter der
Hand“73, mit anderen Worten, beiläufig oder gar hintergründig, eingeübt werden.
Reflektiert werden sie zumeist erst, wenn sie existieren und das Subjekt, sein
Verhalten und sein Denken bereits bestimmen. Mit diesem Gedanken ist bereits
der zweite Aspekt von Gewohnheiten angerissen, der für Benjamin maßgeblich
ist: Gewohnheiten sind ihrem Wesen nach ungemein beständig. Einmal in Kraft
gesetzt, lassen sie sich nicht so leicht auflösen, wie es das von seinen Gewohn-
heiten geleitete Subjekt sich wünscht. Übertragen auf das Kino ließe sich somit
sagen, dass die Gewohnheiten der Wahrnehmung, die sich im Zuge der Film-
rezeption etablieren, auch dann noch nachwirken, wenn der einzelne Film zu
Ende ist und der Zuschauer das Kino verlassen hat. In dieser Hinsicht überträgt
Benjamin das Argument von Lukács, dass die kapitalistischen Prinzipien
außerhalb der Fabrik in die Gesellschaft hineinwirken, auf die Medien-
technologie. Doch verbindet Benjamin diesen Übertrag mit einer anderen
Wertung. Im Gegensatz zu Lukács erachtet er den Film, zumindest potentiell, als
eine Gegenkraft zu der sich in der Gesellschaft ausbreitenden Verdinglichung
der Wahrnehmung. Der Film, als kollektive sowie technologische Kunst, hat für
Benjamin, unter Voraussetzung seines richtigen Gebrauchs, das Potential, jene
Wunden zu heilen, die der Kapitalismus mit seinen industriellen Produktionsver-
fahren gerissen hat.74 Träumte Marx von einer Humanisierung der entfremdeten
Sinne durch den Kommunismus, überträgt Benjamin diese Hoffnung dezidiert
auf das Kino, wenn er schreibt:

73
Benjamin, 2012, S. 138.
74
Vgl. Hansen, 2012, S. 126f.
34 2. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung als kulturtheoretisches Problem

Wirklich entsteht mit ihm [dem Film, Anmerkung d. Verf., J. G.] eine neue Region
des Bewußtseins. Er ist – um es mit einem Wort zu sagen – das einzige Prisma, in
welchem dem Menschen die unmittelbare Umwelt, die Räume, in denen er lebt,
seinen Geschäften nachgeht und sich vergnügt, sich faßlich, sinnvoll, passionierend
auseinanderlegen. An sich selber sind diese Büros, möblierten Zimmer, Kneipen,
Großstadtstraßen, Bahnhöfe und Fabriken häßlich, unfaßlich, hoffnungslos, traurig.
Vielmehr: sie waren und sie schienen so, bis der Film war. Er hat diese ganze
Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daß nun zwischen
ihren weitverstreuten Trümmern wir weite, abenteuerliche Reisen unternehmen
[Herv. i. Org.].75

Gegenüber Marx und Lukács realisiert sich somit in Benjamins Denken ein
Raumgewinn des Ästhetischen: Indem der Film den Zuschauer direkt und
leiblich affiziert, gelingt es ihm nach Benjamin, ein neues Bewusstsein zu
schaffen, das die im Alltag wirksame Verdinglichung hinter sich zurücklässt.
Allerdings darf sich nach Benjamins Überzeugung das Einüben dieser technolo-
gisch vermittelten Wahrnehmung, also das über die filmische Sichtbarkeit
formierte Sehen, nicht in sich selbst erschöpfen. Eine wahrhaft revolutionäre
Kraft könne vom Film nur dann ausgehen, wenn das Medium einen neuen,
perzeptuellen Zugang zu den alltäglichen Lebenswelten biete, sodass der
Zuschauer aus dem Kino mit einer veränderten Sicht in den Alltag zurückkehre,
die ihn die soziale Realität verändern ließe. Dass die Filmtechnologie hierzu
überhaupt fähig ist, führt Benjamin wiederum auf die körperliche Wirkweise des
Mediums zurück, die für ihn dem Erfahrungsmodus der Moderne gleichkommt.76
Die Erfahrungen, die der moderne Mensch unter dem Einfluss der Hektik, der
Reklame sowie der amorph-anonymen Masse in einer kapitalistischen Gesell-
schaftsordnung mache, seien nicht minder Erfahrungen des Chocks. Dem Chock
spricht Benjamin somit neben einer ästhetischen auch eine gesellschaftliche
Dimension zu. Die Moderne brennt sich für Benjamin dementsprechend zum
einen in die leibliche Verfasstheit des Menschen regelrecht ein, zum anderen
wird sie durch den Film im Ästhetischen neu erfahrbar gemacht. Bei diesem
zweiseitigen Prozess bestimmt Benjamin ein Wechselspiel: „Alle Aufmerksam-
keit muß in Gewohnheit münden, wenn sie den Menschen nicht sprengen, alle
Gewohnheit von Aufmerksamkeit verstört werden, wenn sie den Menschen nicht
lähmen soll.“77 Wie Benjamin es in diesem Aphorismus ausdrückt, stehen
Gewohnheit und Aufmerksamkeit, verstanden als die intentionale Bündelung der
Wahrnehmung auf einen Gegenstand, in einem dialektischen Verhältnis

75
Walter Benjamin: Erwiderung an Oscar A. H. Schmitz. In: Medienästhetische Schriften, hrsg. von
Detlev Schöttker, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. S. 348.
76
Vgl. Benjamin, 2012, S. 244ff.
77
Walter Benjamin: Gewohnheit und Aufmerksamkeit. In: Gesammelte Schriften IV, hrsg. von
Tillman Rexroth, Band. I, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981. S. 407f.
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Doctor Harden’s great-grandfather, back in the year of the big wind,
had collected more bounties for wolf scalps than had ever been
earned by any other settler in Jackson County, and the Doctor was
thereupon admitted to fellowship in the Pioneer Society. The
Hardens did not climb; they were pushed up the ladder, seemingly
by unseen hands, somewhat to their own surprise and a little to their
discomfiture.

II
The only cloud on Mills’s horizon was his apprehension as to Leila’s
future. Mills was increasingly aware that she couldn’t be managed as
he managed Shepherd. He had gone as far as he dared in letting
Carroll know that he would be an acceptable son-in-law, and he had
perhaps intimated a little too plainly to Leila the desirability of such
an arrangement. Carroll visited the house frequently; but Leila
snubbed him outrageously. When it pleased her to accept his
attentions it was merely, Mills surmised, to allay suspicion as to her
interest elsewhere. It was his duty to see that Leila married in
keeping with her status as the daughter of the house of Mills.
In analyzing his duty with respect to Leila, it occurred to Mills that he
might have been culpable in not laying more stress upon the merits
of religion in the upbringing of Leila. She had gone to Sunday school
in her earliest youth; but churchgoing was not to her taste. He was
unable to remember when Leila had last attended church, but never
voluntarily within his recollection. She needed, he decided, the
sobering influence of religion. God, in Mills’s speculations, was on
the side of order, law and respectability. The church frowned upon
divorce; and Leila must be saved from the disgrace of marrying a
divorced man. Leila needed religion, and the idea broadened in
Mills’s mind until he saw that probably Constance and Shepherd,
too, would be safer under the protecting arm of the church.
The Sunday following Christmas seemed to Mills a fitting time for
renewing the family’s acquaintance with St. Barnabas. When he
telephoned his invitation to Constance, carefully putting it in the form
of a suggestion, he found his daughter-in-law wholly agreeable to the
idea. She and Shepherd would be glad to breakfast with him and
accompany him to divine worship. When he broached the matter to
Leila she did not explode as he had expected. She took a cigarette
from her mouth and expelled the smoke from her lungs.
“Sure, I’ll go with you, Dada,” she replied.
He had suggested nine as a conservative breakfast hour, but
Constance and Shepherd were fifteen minutes late. Leila was
considerably later, but appeared finally, after the maid had twice
been dispatched to her room. Having danced late, she was still
sleepy. At the table she insisted on scanning the society page of the
morning newspaper. This annoyed Mills, particularly when in
spreading out the sheet she upset her water glass, with resulting
deplorable irrigation of the tablecloth and a splash upon Connie’s
smart morning dress that might or might not prove permanently
disfiguring. Mills hated a messy table. He also hated criticism of
food. Leila’s complaint that the scalloped sweetbreads were too dry
evoked the pertinent retort that if she hadn’t been late they wouldn’t
have been spoiled.
“I guess that’ll hold me for a little while,” she said cheerfully. “I say,
Dada, what do we get for going to church?”
“You’ll get what you need from Doctor Lindley,” Mills replied, frowning
at the butler, who was stupidly oblivious of the fact that the flame
under the percolator was threatening a general conflagration.
Shepherd, in trying to clap on the extinguisher, burned his fingers
and emitted a shrill cry of pain. All things considered, the breakfast
was hardly conducive to spiritual uplift.
It was ten minutes after eleven when the Millses reached St.
Barnabas and the party went down the aisle pursued by an usher to
the chanting of the Venite, exultemus Domino. The usher, caught off
guard, was guiltily conscious of having a few minutes before filled
the Mills pew with strangers in accordance with the rule that
reserved seats for their owners only until the processional. Mills, his
silk hat on his arm, had not foreseen such a predicament. He paused
in perplexity beside the ancestral pew in which five strangers were
devoutly reinforcing the chanting of the choir, happily unaware that
they were trespassers upon the property of Franklin Mills.
The courteous usher lifted his hand to indicate his mastery of the
situation and guided the Mills party in front of the chancel to seats in
the south transept. This maneuver had the effect of publishing to the
congregation the fact that Franklin Mills, his son, daughter-in-law and
daughter, were today breaking an abstinence from divine worship
which regular attendants knew to have been prolonged.
Constance, Leila and Shepherd knelt at once; Mills remained
standing. A lady behind him thrust a prayer book into his hand. In
trying to find his glasses he dropped the book, which Leila, much
diverted, recovered as she rose. This was annoying and added to
Mills’s discomfiture at being planted in the front seat of the transept
where the whole congregation could observe him at leisure.
However, by the time the proper psalms for the day had been read
he had recovered his composure and listened attentively to Doctor
Lindley’s sonorous reading of the lessons. His seat enabled him to
contemplate the Mills memorial window in the north transept, a fact
which mitigated his discomfort at being deprived of the Mills pew.
Leila stifled a yawn as the rector introduced as the preacher for the
day a missionary bishop who had spent many years in the Orient.
Mills had always been impatient of missionary work among peoples
who, as he viewed the matter, were entitled to live their lives and
worship their gods without interference by meddlesome foreigners.
But the discourse appealed strongly to his practical sense. He saw in
the schools and hospitals established by the church in China a
splendid advertisement of American good will and enterprise. Such
philanthropies were calculated to broaden the market for American
trade. When Doctor Lindley announced that the offerings for the day
would go to the visitor to assist in the building of a new hospital in his
far-away diocese, Mills found a hundred dollar bill to lay on the
plate....

III
As they drove to Shepherd’s for dinner he good-naturedly combated
Constance’s assertion that Confucius was as great a teacher as
Christ. Leila said she’d like to adopt a Chinese baby; the Chinese
babies in the movies were always so cute. Shepherd’s philanthropic
nature had been deeply impressed by the idea of reducing human
suffering through foreign missions. He announced that he would
send the bishop a check.
“Well, I claim it was a good sermon,” said Leila. “That funny old bird
talked a hundred berries out of Dada.”
When they reached the table, Mills reproved Leila for asserting that
she guessed she was a Buddhist. She confessed under direct
examination that she knew nothing about Buddhism but thought it
might be worth taking up sometime.
“Millie says there’s nothing in the Bible so wonderful as the world
itself,” Leila continued. “Millie has marvelous ideas. Talk about
miracles—she says the grass and the sunrise are miracles.”
“Millie is such a dear,” Constance murmured in a tone that implied a
lack of enthusiasm for grass and sunrises.
“Millicent has a poetic nature,” Mills remarked, finding himself self-
conscious at the mention of Millicent. Millicent’s belief in a Supreme
Power that controls the circling planets and guides the destinies of
man was interesting because Millicent held it and talked of it
charmingly.
“Did you see that outlandish hat Mrs. Charlie Felton was sporting?”
Leila demanded with cheerful irrelevance. “I’ll say it’s some hat! She
ought to hire a blind woman to buy her clothes.”
“I didn’t see anything the matter with her hat,” remarked Shepherd.
“You wouldn’t, dear!” said Constance.
“Who’s Charlie Felton?” asked Mills. “It seemed to me I didn’t know a
dozen people in church this morning.”
“Oh, the Feltons have lately moved here from Racine, Fond du Lac
or St. Louis—one of those queer Illinois towns.”
“Those towns may be queer,” said her father gently. “But they are not
in Illinois.”
“Oh, well, give them to Kansas, then,” said Leila, who was never
disturbed by her errors in geography or any other department of
knowledge. “You know,” she continued, glad the conversation had
been successfully diverted from religion, “that Freddy Thomas was in
college with Charlie Felton and Freddy says Mrs. Felton isn’t as bad
as her hats.”
Mills frowned. Shepherd laughed at this more joyously than the
remark deserved and stammeringly tried to cover up the allusion to
Thomas. It was sheer impudence for Leila to introduce into the
Sunday table talk a name that could only irritate her father; but
before Shepherd could make himself articulate Mills looked up from
his salad.
“Freddy? I didn’t know you were so intimate with anyone of that
name.”
This was not, of course, strictly true. Leila always referred to Thomas
as Freddy; she found a mischievous delight in doing so before her
father. Since she became aware of her father’s increasing
displeasure at Thomas’s attentions and knew that the young man’s
visits at the house were a source of irritation, she had been meeting
Thomas at the homes of one or another of her friends whose
discretion could be relied on, or at the public library or the Art
Institute—it was a joke that Leila should have availed herself of
these institutions for any purpose! Constance in giving her an
admonitory prod under the table inadvertently brushed her father-in-
law’s shin.
“I meant Mr. Frederick Thomas, Dada,” Leila replied, her gentle tone
in itself a species of impudence.
“I hope you are about done with that fellow,” said Mills, frowning.
“Sure, Dada, I’m about through with him,” she replied with intentional
equivocation.
“I should think you would be! I don’t like the idea of your name being
associated with his!”
“Well, it isn’t, is it?”
Mills disliked being talked back to. His annoyance was increased by
the fact that he had been unable to learn anything detrimental to
Thomas beyond the fact that the man had been divorced. The
decree of divorce, he had learned in Chicago, was granted to
Thomas though his wife had brought the suit. While not rich, Thomas
was well-to-do, and when it came to the question of age, Arthur
Carroll was a trifle older. But Leila should marry Carroll. Carroll was
ideally qualified to enter the family by reason of his familiarity with its
history and traditional conservatism. He knew and respected the
Franklin Mills habit of mind, and this in itself was an asset. Mills had
no intention of being thwarted in his purpose to possess Carroll as a
son-in-law....
Gloom settled over the table. Mills, deeply preoccupied, ate his
dessert in silence. Leila presented a much more serious and
pressing problem than foreign missions. Constance strove vainly to
dispel the cloud. Leila alone seemed untroubled; she repeated a
story that Bud Henderson had told her which was hardly an
appropriate addendum for a missionary sermon. Her father rebuked
her sternly. If there was anything that roused his ire it was a risqué
story.
“One might think,” he said severely, “that you were brought up in a
slum from the way you talk. The heathen are not all in China!”
“Well, it is a funny story,” Leila persisted. “I told it to Doctor Harden
and he almost died laffin’. Doc certainly knows a joke. You’re not
angry—not really, terribly angry at your ’ittle baby girl, is ’ou, Dada?”
“I most certainly am!” he retorted grimly. A moment later he added:
“Well, let’s go to Deer Trail for supper. Connie, you and Shep are
free for the evening, I hope?”
“We’ll be glad to go, of course,” Constance replied amiably.

IV
The Sunday evening suppers at Deer Trail were usually discontinued
after Christmas, and Leila was taken aback by the announcement.
Her father had not, she noted, shown his usual courtesy in asking
her if she cared to go. She correctly surmised that the proposed
flight into the country was intended as a disciplinary measure for her
benefit. She had promised to meet Thomas at the Burtons’ at eight
o’clock, and he could hardly have hit upon anything better calculated
to awaken resentment in her young breast. She began to consider
the hazards of attempting to communicate with Thomas to explain
her inability to keep the appointment. As there were to be no guests,
the evening at Deer Trail promised to be an insufferably dull
experience and she must dodge it if possible.
“Oh, don’t let’s do that!” she said. “It’s too cold, Dada. And the house
is always drafty in the winter!”
“Drafty!” Her father stared at her blandly. The country house was
steam-heated and this was the first time he had ever heard that it
was drafty. The suggestion of drafts was altogether unfortunate.
“Had you any engagement for this evening?” he asked.
“Oh, I promised Mrs. Torrence I’d go there for supper—she’s having
some people in to do some music. It’s just an informal company, but I
hate dropping out.”
Constance perceptibly shuddered.
“When did she give this invitation?” asked Mills, with the utmost
urbanity.
“Oh, I met her downtown yesterday. It’s no great matter, Dada. If
you’re making a point of it, I’ll be glad to go to the farm!”
“Mrs. Torrence must be a quick traveler,” her father replied, entirely
at ease. “I met her myself yesterday morning. She was just leaving
for Louisville and didn’t expect to be back until Tuesday.”
“How funny!” Leila ejaculated, though she had little confidence in her
ability to give a humorous aspect to her plight. She bent her head in
the laugh of self-derision which she had frequently employed in
easing her way out of similar predicaments with her father. This time
it merely provoked an ironic smile.
Mills, from the extension telephone in the living room, called Deer
Trail to give warning of the approach of four guests for supper; there
was no possible escape from this excursion. Thomas filled Leila’s
thoughts. He had been insisting that they be married before the
projected trip to Bermuda. The time was short and she was uncertain
whether to take the step now or postpone it in the hope of winning
her father’s consent in the intimate association of their travels.
Today Mills’s cigar seemed to be of interminable length. As he
smoked he talked in the leisurely fashion he enjoyed after a
satisfactory meal, and Constance never made the mistake of giving
him poor food. He had caught Leila in a lie—a stupid, foolish lie; but
no one would have guessed that it had impressed him disagreeably
or opened a new train of suspicions in his mind. Constance was
admiring his perfect self-restraint; Franklin Mills, no matter what else
he might or might not be, was a thoroughbred.
“If you don’t have to stop at home, Leila, we can start from here,” he
said—“at three o’clock.”
“Yes, Dada. I’m all set!” she replied.
Constance and Shepherd left the room and Leila was prepared for a
sharp reprimand, but her father merely asked whether she had
everything necessary for the Bermuda trip. He had his steamer
reservation and they would go to New York a few days ahead of the
sailing date to see the new plays and she could pick up any little
things she needed.
“Arthur’s going East at the same time. We have some business
errands in New York,” he continued in a matter of course tone.
She was aware that he had mentioned Carroll with special intention,
and it added nothing to her peace of mind.
“That’s fine, Dada,” she said, reaching for a fresh cigarette. “Arthur
can take me to some of the new dancing places. Arthur’s a good
little hopper.”
She felt moved to try to gloss over her blunder in pretending to have
an engagement that evening with Helen Torrence, but her intuitions
warned her that the time was not fortunate for the practice of her
familiar cajoleries upon her father. She realized that she had
outgrown her knack of laughing herself out of her troubles; and she
had never before been trapped so neatly. Like Shepherd, she felt
that in dealing with her father she never knew what was in his mind
until he laid his cards on the table—laid them down with the serenity
of one who knows thoroughly the value of his hand.
She was deeply in love with Thomas and craved sympathy and help;
but she felt quite as Shepherd always did, her father’s remoteness
and the closing of the common avenues of communication between
human beings. He had always indulged her, shown kindness even
when he scolded and protested against her conduct; but she felt that
his heart was as inaccessible as a safety box behind massive steel
doors. On the drive to Deer Trail she took little part in the talk, to
which Shepherd and Constance tried, with indifferent success, to
impart a light and cheery tone. When they reached the country
house, which derived a fresh picturesqueness from the snowy fields
about it, Mills left them, driving on to the stables for a look at his
horses.
“Well, that was some break!” exclaimed Constance the moment they
were within doors. “Everybody in town knows Helen is away. You
ought to have known it yourself! I never knew you to do anything so
clumsy as that!”
“Oh, shoot! I didn’t want to come out here today. It’s a bore; nobody
here and nothing to do. And I object to being punished like a child!”
“You needn’t have lied to your father; that was inexcusable,” said
Constance. “If you’ve got to do such a thing, please don’t do it when
I’m around!”
“See here, sis,” began Shepherd with a prolonged sibilant stutter,
“let’s be frank about this! You know this thing of meeting Fred
Thomas at other people’s houses is no good. You’ve got to stop it!
Father would be terribly cut up if he found you out. You may be sure
he suspects something now, after that foolish break about going to
Helen Torrence’s.”
“Well, I haven’t said I was going to meet anyone, have I?” Leila
demanded defiantly.
“You don’t have to. There are other people just as clever as you are,”
Constance retorted, jerking off her gloves.
“I can’t imagine what you see in Thomas,” Shepherd persisted.
“I don’t care if you don’t. It’s my business what I see in him.” Leila
nervously lighted a cigarette. “Freddy’s a fine fellow; father doesn’t
know a thing against him!”
“If you marry him you’ll break father’s heart,” Shepherd declared
solemnly.
“His heart!” repeated Leila with fine contempt. “You needn’t think he’s
going to treat me as he treats you. I won’t stand for it! How about
that clubhouse you wanted to build—how about this sudden idea of
taking you out of the battery business and sticking you into the trust
company? You didn’t want to change, did you? He didn’t ask you if
you wanted to move, did he? I’ll say he didn’t! That’s dada all over—
he doesn’t ask you; he tells you! And I’m not a child to be sent to bed
whenever his majesty gets peevish.”
“Don’t be ridiculous!” said Constance with a despairing sigh. “You’re
going to make trouble for all of us if you don’t drop Freddy!”
“You tell me not to make trouble!”
Leila’s eyes flashed her scorn of the idea and something more. Her
words had the effect of bringing a deep flush to Constance’s face.
Constance walked to the fire and sat down. There was no counting
on Leila’s discretion; and if she eloped with Thomas the town would
hum with talk about the whole Mills family.
“Now, Leila,” began Shepherd, who had not noticed his wife’s
perturbation or understood the nature of the spiteful little stab that
caused it. “You’d better try to square yourself with father.”
“I see myself trying! You two make me tired! Please don’t talk to me
any more!”
V
She waited until Constance and Shepherd had found reading matter
and were settled before the fireplace, and then with the remark that
she wanted to fix her hair, went upstairs; and after closing a door
noisily to allay suspicions, went cautiously down the back stairs to
the telephone in the butler’s pantry. Satisfying herself by a glance
through the window that her father was still at the stables, she called
Thomas’s number and explained her inability to go to the Burtons’
where they had planned to meet. Happy to hear his voice, she talked
quite as freely as though speaking to him face to face, and his
replies over the wire soothed and comforted her....
“No, dear; there’d only be a row if you asked father now. You’ll have
to take my word for that, Freddy.”
“I’m not so sure of that—if he knows you love me!”
“Of course I love you, Freddy!”
“Then let us be married and end all this bother. You’re of age; there’s
nothing to prevent us. I’d a lot rather have it out with your father now.
I know I can convince him that I’m respectable and able to take care
of you. I’ve got the record of the divorce case; there’s nothing in it I’m
ashamed of.”
“That’s all right enough; but the very mention of it would make him
furious. We’ve talked of this a hundred times, Freddy, and I’m not
going to let you make that mistake. We’re going to wait a little
longer!”
“You won’t go back on me?”
“Never, Freddy!”
“You might meet someone on the trip you’d like better. I’m going to
be terribly nervous about you!”
“Then you don’t trust me! If you don’t trust me you don’t love me!”
“Don’t be so foolish. I’m mad about you. And I’m sick of all this
sneaking round for a chance to see you!”
“Be sensible, dear; it’s just as hard for me as it is for you. And people
are talking!”
In her absorption she had forgotten the importance of secrecy and
the danger of being overheard. The swing doors had creaked
several times, but she had attributed this to suction from an open
window in the kitchen. Constance and Shepherd would wonder at
her absence; the talk must not be prolonged.
“I’ve got to go!” she added hurriedly.
“Say you care—that you’re not just putting me off——”
“I love you, Freddy! Please be patient. Remember, I love you with all
my heart! Yes, always!”
As she hung up the receiver she turned round to face her father. He
had entered the house through the kitchen and might or might not
have heard part of her dialogue with Thomas. But she was instantly
aware that her last words, in the tense, lover-like tone in which she
had spoken them, were enough to convict her.
“Hello, Dada! How’s the live stock?” she asked with poorly feigned
carelessness as she hung the receiver on the hook.
Mills, his overcoat flung over his arm, his hat pushed back from his
forehead, eyed her with a cold stare.
“Why are you telephoning here?” he demanded.
“No reasons. I didn’t want to disturb Connie and Shep. They’re
reading in the living-room.”
“That’s very thoughtful of you, I’m sure!”
“I thought so myself,” she replied, and took a step toward the dining-
room door. He flung out his arm arrestingly.
“Just a moment, please!”
“Oh, hours—if you want them!”
“I overheard some of your speeches. To whom were you speaking—
tell me the truth!”
“Don’t be so fierce about it! And do take off your hat! You look so
funny with your hat stuck on the back of your head that way!”
“Never mind my hat! It will be much better for you not to trifle with
me. Who was on the other end of that telephone?”
“What if I don’t tell you?” she demanded.
“I want an answer to my question! You told me one falsehood today;
I don’t want to hear another!”
“Well, you won’t! I was talking to Mr. Frederick V. Thomas!”
“I thought as much. Now I’ve told you as plainly as I know how that
you’ve got to drop that fellow. He’s a scoundrel to force his attentions
on you. I haven’t wanted to bring matters to an issue with you about
him. I’ve been patient with you—let him come to the house and go
about with you. But you’ve not played fair with me. When I told you I
didn’t like his coming to the house so much you began meeting him
when you thought I wouldn’t know it—that’s a fact, isn’t it?”
“Yes, Dada—only a few times, though.”
“May I ask what you mean by that? That a girl brought up as you
have been, with every advantage and indulgence, should be so
basely ungrateful as to meet a man I disapprove of—meet him in
ways that show you know you’re doing a wrong thing—is beyond my
understanding. It’s contemptible; it’s close upon the unpardonable!”
“Then why don’t you act decently about it?” She lifted her head and
met his gaze unwaveringly. “If you didn’t hear what I said I’ll tell you!
I told him I love him; I’ve promised to marry him.”
“Well, you won’t marry him!” he exclaimed, his voice quavering in his
effort to restrain his anger. “A man who’s left a wife somewhere and
plays upon the sympathy of a credulous young girl like you is a
contemptible hound!”
“All right, then! He’s a contemptible hound!”
Her insolence, her refusal to cower before him, increased his anger.
His time-tried formula for meeting emergencies by superior strategy
—the method that worked so well with his son—was of no use to him
here. He had lost a point in letting her see that for once in his life his
temper had got the better of him. He had been too tolerant of her
faults; the bills for his indulgence were coming in now—a large sheaf
of them. She must be handled with care—with very great caution,
indeed; thus far in his life he had got what he wanted, and it was not
for a girl whom he saw only as a spoiled child to circumvent him.
But he realized at this moment that Leila was no longer a child. She
was not only a woman, but a woman it would be folly to attempt to
drive or frighten. He was alarmed by the composure with which she
waited for the further disclosure of his purposes, standing with her
back against the service shelf, eyeing him half hostilely, half, he
feared, with a hope that he would carry the matter further and open
his guard for a thrust he was not prepared to parry. He was afraid of
her, but she must not know that he was afraid.
He took off his hat and let it swing at arm’s length as he considered
how to escape with dignity from the corner into which she had forced
him. Sentiment is a natural refuge of the average man when other
resources fail. He smiled benevolently, and with a quick lifting of the
head remarked:
“This isn’t the way for us to talk to each other. We’ve always been
the best of friends; nothing’s going to change that. I trust your good
sense—I trust”—here his voice sank under the weight of emotion—“I
trust your love for me—your love for your dear mother’s memory—to
do nothing to grieve me, nothing that would hurt her.”
“Yes, Dada,” she said absently, not sure how far she could trust his
mood. Then she walked up to him and drew her hand across his
cheek and gave his tie a twitch. He drew his arm about her and
kissed her forehead.
“Let this be between ourselves,” he said. “I’ll go around and come in
the front way.”
She went up the back stairs and reappeared in the living-room,
whistling. Constance and Shepherd were still reading before the fire
where she had left them.
After supper—served at the dining-room table tonight—Leila was
unwontedly silent, and the attempts of Constance and Shepherd to
be gay were sadly deficient in spontaneity. Mills’s Sunday, which had
begun with high hopes, had been bitterly disappointing. Though
outwardly tranquil and unbending a little more than usual, his mind
was elsewhere.

VI
The happy life manifestly was not to be won merely by going to
church. At the back of his mind, with all his agnosticism, he had
entertained a superstitious belief that in Christianity there was some
secret of happiness revealed to those who placed themselves
receptively close to the throne of grace. This was evidently a
mistake; or at least it was clear from the day’s experience that the
boon was less easy of attainment than he had believed.
He recalled what the rector of St. Barnabas had said to him the
morning he had gone in to inspect the Mills window—that walls do
not make the church, that the true edifice is within man’s own breast.
Lindley shouldn’t say things like that, to perplex the hearer, baffle
him, create a disagreeable uneasiness! This hint of a God whose
tabernacle is in every man’s heart was displeasing. Mills didn’t like
the idea of carrying God around with him. To grant any such premise
would be to open the way for doubts as to his omnipotence in his
own world; and Franklin Mills was not ready for that. He groped for a
deity who wouldn’t be a nuisance, like a disagreeable guest in the
house, upsetting the whole establishment! God should be a
convenience, subject to call like a doctor or a lawyer. But how could
a man reach Lindley’s God, who wasn’t in the church at all, but
within man himself?
In his pondering he came back to his own family. He didn’t know
Shepherd; he didn’t know Leila. And this was all wrong. He knew
Millicent Harden better than he knew either of his children.
He had friends who were good pals with their children, and he
wondered how they managed it. Maybe it was the spirit of the age
that was the trouble. It was a common habit to fix responsibility for all
the disturbing moral and social phenomena of the time on the
receding World War, or the greed for gain, or the diminished zeal for
religion. This brought him again to God; uncomfortable—the
reflection that thought in all its circling and tangential excursions
does somehow land at that mysterious door.... Leila must be dealt
with. She was much too facile in dissimulation. He was confident that
no other Mills had ever been like that.
When they reached home he followed Leila into her room. He took
the cigarette she offered him and sat down in the low rocking chair
she pulled out for him—a befrilled feminine contrivance little to his
taste. Utterly at a loss as to how he could most effectively reprimand
her for her attempted deception and give her to understand that he
would never countenance a marriage with Thomas, he was relieved
when she took the initiative.
“I was naughty, Dada!” she said. “But Freddy was going over to the
Burtons’ tonight and I had told him I’d be there—that’s all. I wasn’t
just crazy about going to the farm.”
She held a match for him, extinguished it with a flourish, and after
lighting her own cigarette dropped down on the chaise longue with a
weary little sigh. If she had remained standing or had sat down
properly in a chair, his rôle as the stern, aggrieved parent would
have been simpler. Leila was so confoundedly difficult, so completely
what he wished she was not!
“About this Thomas——” he began.
“Oh, pshaw! Don’t you bother a little tiny bit about him. I’m just
teasing him along.”
“I must say your talk over the telephone sounded pretty serious to
me!”
“Oh, bunk! All the girls talk to men that way these days—it doesn’t
mean anything!”
“What’s that? You say the words you used don’t mean anything?”
“Not a thing, Dada. If you’d tell a man you didn’t love him he’d be
sure to think you did!”
“A dangerous idea, I should think.”
“Oh, no! Everything’s different from what it was when you were
young!”
“Yes; I’ve noticed that!” he replied drily. “But seriously, Leila, this
meeting a man—a man we know little about—at other people’s
houses won’t do! You ought to have more self-respect and dignity
than that!”
“You’re making too much of it, Dada! It’s happened only two or three
times. I thought you were sore about Freddy’s coming here so much,
and I have met him other places—always perfectly proper places!”
“I should hope so!” he exclaimed with his first display of spirit. “But
you can’t afford to go about with him. You’ve got to remember the
community has a right to expect the best of you. You should think of
your dear mother even if you don’t care for me!”
“Now, Dada!” She leveled her arm at him, the smoking cigarette in
her slim fingers. “Don’t be silly; you know I adore you; I’ve always
been perfectly crazy about you!”
She spoke in much the same tone she would have used in approving
of a new suit of clothes he had submitted for inspection.
“Now, I have your promise——” he said, sitting up alertly in his chair.
“Promise, Dada?” she inquired, her thoughts far afield. “Oh, about
Freddy! Well, if you’ll be happier I promise you now never to marry
him. Frankly—frankly—I’m not going to marry anybody right away.
When I get ready I’ll probably marry Arthur if some widow doesn’t
snatch him first. But please don’t crowd me, Dada! If there is
anything I hate it’s being crowded!”
“Nobody’s crowding you!” he said, feeling that she was once more
eluding him.
“Then don’t push!” she laughed.
“Let’s not have any more nonsense,” he said. “I think you do a lot of
things just to annoy me. It isn’t fair!”
“Why, Dada!” she exclaimed in mock astonishment. “I thought you
liked being kidded. I kid all your old friends and it tickles ’em to
death.”
“Go to bed!” he retorted, laughing in spite of himself.
She mussed his hair before kissing him good-night, but even as he
turned away he could see that her thoughts were elsewhere.

VII
Behind his own door, as he thought it over, the interview was about
as unsatisfactory as an interview could be. She had kept it in her
own hands, left him no opening for the eloquent appeal he had
planned or the severe scolding she deserved. He wished he dared
go back and put his arms about her and tell her how deeply he loved
her. But he lacked the courage; she wouldn’t understand it. It was
the cruelest of ironies that he dare not knock at his child’s door to tell
her how precious she was to him.
That was the trouble—he didn’t know how to make her understand!
As he paced the floor, he wondered whether anyone in all the world
had ever loved him! Yes, there was Marian Storrs; and, again, the
woman who had been his wife. Beyond question each had, in her
own way, loved him; but both were gathered into the great company
of the dead. That question, as to whether anyone had ever loved
him, reversed itself: in the whole course of his life had he, Franklin
Mills, ever unselfishly loved anyone? This was the most
disagreeable question that had forced itself upon Franklin Mills’s
attention in a long time. As he tried to go to sleep it took countless
forms in the dark, till the room danced with interrogation marks.
He turned on the lights and got up. After moving about restlessly for
a time he found himself staring at his reflection in the panel mirror in
the bathroom door. It seemed to him that the shadow in the glass
was not himself but the phantom of a man he had never known.
CHAPTER SIXTEEN
I
At Christmas Bruce had sent Millicent a box of flowers, which she
had acknowledged in a cordial little note, but he had not called on
her, making the excuse to himself that he lacked time. But the real
reason was a fear that he had begun to care too much for her. He
must not allow himself to love her when he could never marry her; he
could never ask any woman to take a name to which he had no
honest right.
But if he hadn’t seen Millicent he heard of her frequently. He was
established as a welcome visitor at all times at the Freemans’ and
the Hendersons’. The belated social recognition of the Hardens, in
spite of the adroitness with which Mills had inspired it, had not gone
unremarked.
There was, Bud said, always some reason for everything Mills did;
and Maybelle, who knew everything that was said and done in town,
had remarked in Bruce’s hearing that the Hardens’ social promotion
was merely an item in Mills’s courtship of Millicent.
“I’ll wager he doesn’t make it! Millicent will never do it,” was
Maybelle’s opinion, expressed one evening at dinner.
“Why not?” Bruce asked, trying to conceal his suspicion that the
remark was made for his own encouragement.
“Oh, Millie’s not going to throw herself away on an old bird like Frank
Mills. She values her youth too much for that.”
“Oh, you never can tell,” said Bud provokingly. “Girls have done it
before this.”
“But not girls like Millicent!” Maybelle flung back.
“That’s easy,” Bud acquiesced. “There never was a girl like Millie—
not even you, Maybelle, much as I love you. But all that mazuma and
that long line of noble ancestors; not a spot on the whole bloomin’
scutcheon! I wonder if Mills is really teasing himself with the idea that
he has even a look-in!”
“What you ought to do, Bruce, is to sail in and marry Millie yourself,”
said Maybelle. “Dale and I are strong for you!”
“Thanks for the compliment!” exclaimed Bruce. “You and Dale want
me to enter the race in the hope of seeing Mills knocked out! No
particular interest in me! You don’t want me to win half as much as
you want the great Mills to lose. Alas! And this is friendship!”
“The idea warms my sporting blood,” said Bud. “Once the struggle
begins we’ll post the bets on the club bulletin. I’ll start with two to one
on you, old top!”
“I’m surprised at Connie—she seems to be helping on the boosting
of the Hardens,” said Maybelle. “It must occur to her that it wouldn’t
help her own fortunes to have a healthy young stepmother-in-law
prance into the sketch. When Frank Mills passes on some day
Connie’s going to be all set to spend a lot of his money. Connie’s one
of the born spenders.”
“That’s all well enough,” remarked Bud. “But just now Connie’s only
too glad to have Mills’s attention directed away from her own little
diversions. She and George Whitford——”
“Bud!” Maybelle tapped her water glass sharply. “Remember, boys,
these people are our friends!”
“Not so up-stage, darling!” said Bud. “I’m sure we’ve been talking
only in a spirit of loving kindness!”
“Honorable men and women—one and all!” said Bruce.
“Absolutely!” Bud affirmed, and the subject was dropped.
A few nights later Bruce was obliged to listen to similar talk at the
Freemans’, though in a different key. Mrs. Freeman was indignant
that Mills should think of marrying Millicent.

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