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Pressemitteilung an überregionale Medien 29.01.

2008

Dortmund: Einführung eines 15-Euro-Sozialtickets für Bus und Bahn


Ab 1. Februar werden erstmals tausende DortmunderInnen mit einem Sozialticket im Stadtgebiet unterwegs sein.
Trotz der äußerst knappen Frist zwischen Bekanntgabe des Antragsverfahrens und erstem Antragsschluß
(04.01.08) haben bereits 4.500 Dortmunder und Dortmunderinnen auf das neue Angebot der hiesigen
Verkehrsbetriebe zugegriffen: ein Monatsticket für einkommensschwache Haushalte zum Preis von 15 Euro für
die uneingeschränkte Nutzung von Bus und Bahn innerhalb der Stadt.

Am 13.12.07 hatte der Rat der Stadt Dortmund mit den Stimmen der Rathauskoalition aus SPD und GRÜNEN
sowie der Fraktion “Die Linken im Rat” die Einführung eines 15-Euro-Sozialtickets beschlossen. Es berechtigt -
erstmals ab Februar 2008 - zur Nutzung von Bus und Bahn innerhalb des gesamten Stadtgebiets, ohne
tageszeitliche Einschränkungen. Angelegt ist das Ticket zunächst als 2-jähriges Pilotprojekt: “Falls die
Bundesregierung eine Erhöhung der Regelsätze beschließt, die den Bezug eines ‚normalen‘ Tickets ermöglicht
oder falls ein den Regelansätzen entsprechend günstiges Tarifangebot im VRR geschaffen wird, kann auf das
Dortmunder Sozialticket verzichtet werden.” (aus der gemeinsamen Beschlussvorlage von SPD und Grünen v.
11.9.07).

Wie in den Vorjahren abgelehnt wurde hingegen von den anderen Fraktionen der weitergehende Antrag der
“Linken im Rat”, der die Forderung eines breiten - vom Sozialforum Dortmund initiierten - Bündnisses von
Dortmunder Organisationen nach einem Sozialticket zum
Nulltarif aufnahm. Nur dass diesmal der Nulltarif-Antrag von den anderen Fraktionen nicht einfach
abgeschmettert wurde, sondern die SPD/GRÜNE-Koalition mit dem 15-Euro-Ticket einen Alternativantrag
stellte. Finanziert wird das Pilotprojekt durch einen teilweisen Forderungsverzicht der Stadt Dortmund auf
Überschüsse der Stadtwerke (als Besitzerin der Verkehrsbetriebe).

Das vom Rat beschlossene Sozialticket können alle InhaberInnen des “Dortmund-Passes” in Anspruch nehmen,
d.h. im Grundsatz alle LeistungsbezieherInnen nach SGB-II (Alg-II/Sozialgeld), SGB-XII (Grundsicherung im
Alter und bei voller Erwerbsminderung), Bundesversorgungsgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz und
“wirtschaftlicher Jugendhilfe” des Jugendamts. Damit wären zur Zeit offiziell 94.700 DortmunderInnen
anspruchsberechtigt, d.h. jedeR sechste BürgerIn dieser Stadt. Es wird auf Antrag ausgegeben - ausschließlich als
Jahresabo - vom Dortmunder Sozialamt. Die Antragsformulare gibt‘s bei den städtischen Sozialbüros, auf der
eigens eingerichteten WebSite oder über eine spezielle HotLine.

Im Vergleich zu anderen Städten nimmt Dortmund mit dem 15-Euro-Monatsticket zweifellos einen Spitzenplatz
ein. Der SPD-Fraktionsvorsitzende feiert das in einer Antwort an das Bündnis deswegen als “sozialpolitischen
Meilenstein”, ebenso der DGB-Bezirksvorsitzende in der lokalen Presse, während AktivistInnen der Nulltarif-
Kampagne das Ticket mit Blick auf die Zumutungen der Hartz-Gesetze als lediglich halbherzigen Schritt in eine
richtige Richtung kommentieren. Schließlich sind im Eckregelsatz von Hartz-IV nur 14,11 Euro monatlich für
sämtliche “fremden Verkehrsdienstleistungen” vorgesehen.

Das Sozialforum Dortmund hatte sich – als Aktionsbündnis gegen Sozialabbau - seit seiner Gründung im Jahr
2003 dem Widerstand gegen die Agenda 2010 und ihre Folgen verschrieben. Die Forderung nach einem
Sozialticket zum Nulltarif auf Dortmund-Pass nahm dabei von Beginn an einen wichtigen Schwerpunkt der
örtlichen Aktivitäten ein. Anfang 2007 startete das Sozialforum zusammen mit zahlreichen Bündnispartnern1 eine

1
Liste der Organisationen unter Aufruf/Plattform “Für ein Sozialticket zum Nulltarif auf Dortmund-Pass” und/oder
Veranstaltungsaufruf “Ein echtes Sozialticket gibt’s nur zum Nulltarif”:
Sozialforum Do, Arbeitslosenzentrum Do, Fraktion “Die Linken im Rat”, ASTA Uni Do, DIDF e.V. Do, Friedensforum
Do, Bündnis Do gegen Rechts, Linkes Bündnis Do (Parteilose Linke, DKP und SdAJ), Linkspartei.PDS und WASG Do
(später: DIE LINKE. Kv. Do), Montagsdemo Do, KAB Do, Frauenverband Courage Do, Kana Suppenküche, Theater
Metropol, ver.di Erwerbslosenausschuß Do, ver.di-Erwerbslosenausschuss Emscher-Lippe, BoDo eV., Gewerkschaft
NGG Bezirk Do, GBB e.V. Do, Naturfreundejugend NRW, Naturfreunde OG Do-Kreuzviertel, IG Metall Do, IGM-
Vertrauensleutekörper HSP, IG BAU Bo/Do, Arbeitsloseninitiative ALIDO, Linksjugend Do, Mieterverein Do, Akoplan
e.V., GEW Stadtverband Do, GEW Hochschlinformationsbüro, VDK Kv. Do, Sozialverband Deutschland SoVD Kg. Do,
Attac Do, PRO BAHN Do, VCD Do. ---
breite Kampagne für diese Forderung, die schließlich in eine gut besuchte gemeinsam getragene Veranstaltung
im November mündete.

Vor der entscheidenden Ratssitzung am 13.12.wandte sich das Bündnis noch einmal mit Flugblättern an die
Öffentlichkeit (v.a. vor den ARGEn) und mit einem Offenen Brief an die Damen und Herren RatsvertreterInnen:
Zum einen wurde erneut erläutert, warum ein Nulltarif für den innerstädtischen ÖPNV aus Sicht der Betroffenen
die einzig angemessene Lösung darstellt. Zum anderen wurde eine Reihe von Fragen und Ungereimtheiten
hinsichtlich des Berechtigtenkreises angesprochen. Leider mochte sich die Rathauskoalition den dort
vorgetragenen Anregungen nicht anschließen.

Für einen Teil der Betroffenen wird auch das 15-Euro-Ticket schon eine große Erleichterung bedeuten. Andere
hingegen werden vor der traurigen “Wahl” stehen, entweder das 15-Euro-Ticket in Anspruch zu nehmen (nur für
den Stadtverkehr!) oder – bei deutlich reduzierter Mobilität innerhalb der Stadt - weiterhin teure Einzeltickets zu
nutzen, um wenigstens ab und an mal eine Fahrt über die Stadtgrenzen hinaus unternehmen zu können. Von
Fahrten weiter weg einmal ganz abgesehn (Urlaub sitzt eh nicht drin!). Entsprechend ist ein weiterer Kritikpunkt
an dem Dortmunder Modell, dass das 15-Euro-Monatsticket nicht ergänzt wird durch ein Angebot deutlich
verbilligter Mehrfahrtenkarten (wie z.B. in Köln). Jede Mehrausgabe beim ÖPNV bedeutet notwendigerweise
eine Einschränkung bei einer der anderen - ohnehin viel zu niedrig angesetzten - Bedarfspositionen des
Eckregelsatzes.

Menschen, die – sei es aus Scham oder Unwissenheit, sei es, um sich nicht der schon strukturell durch Hartz-IV
bedingten restriktiven und erniedrigenden Behandlung durch die ARGEn auszusetzen – auf einen (Rest-)
Anspruch auf Alg II oder Grundsicherung verzichten, gehen auch beim Dortmunder Sozialticket leer aus,
genauso wie diejenigen, die mit ihren Einkünften und/oder (Alters-)Rücklagen knapp über den offiziellen
Bedüftigkeitsgrenzen liegen, nach europäischen Standards aber ebenfalls als arm gelten müssen.

Unter den InitiatorInnen der Initiative für ein Sozialticket zum Nulltarif wird das nun beschlossene Dortmunder
Sozialtickets unterschiedlich bewertet. Die Einschätzung geht von “großem Teilerfolg” bis zu wesentlich
zurückhaltenderen Wertungen. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass es sich lediglich um einen halbherzigen
Schritt handelt, der nur scheinbar die grausame Realität des Eckregelsatzes aufnimmt, und dass jedes Sozialticket
– gemessen am anti-sozialen Meilenstein “Hartz-IV” allenfalls ein Tropfen auf eben diesen heißen Stein sein
kann. Weitgehend einig sind wir uns aber auch, dass es ohne unsere beharrlichen Aktivitäten zum Thema
Mobilität und Armut nicht einmal diesen Schritt gäbe, auch wenn besondere lokale und bundesweite Umstände
den Durchbruch unterstützt haben (etwa das Bekanntwerden des “Berichts zur sozialen Lage in Dortmund” [2]
und zunehmende Nervosität und Konkurrenzdruck bei SPD und GRÜNEN angesichts der Umfrageergebnisse
der neuen Partei DIE LINKE).

Zweifellos können die Kommunen nicht sämtliche tiefen Löcher in den Leistungssystemen stopfen, die von der
Agenda-2010-Politik auf allen politischen Ebenen aufgerissen wurden und werden.
Die Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro/Std. sowie einem Regelsatz von mindestens 500 Euro
ist auch von daher aktueller denn je!
AG “Mobilität und Armut” im Sozialforum Dortmund
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Weitere Texte zu unserer Kampagne, Pressereaktionen, Reaktionen der örtlichen Politik auf der Website des
Sozialforums: http://agora.free.de/sofodo
Kontakt: sofodo-info|at|list.free.de

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