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Wie der Tilsiter­Käse aus der Schweiz in die russische Heimat zurück findet

Schweizer Auswanderer hatten im späten 19. Jahrhundert die Kunst des Käsens in 
das damalige Ostpreussen (heute Russland) gebracht. 1890 lernte der Thurgauer 
Käseexporteur Otto Wartmann auf einer Geschäftsreise in das ostpreussische Tilsit 
das Rezept des gleichnamigen Käse kennen und brachte es in die Schweiz. Fünf 
Generationen später besucht sein Urenkel Otto Wartmann die Stadt Tilsit, die heute 
Sowetsk heisst, und erlebt dabei wunderliche Dinge.

Otto Wartmann produziert schon in fünfter Generation den Schweizer Tilsiter: Auf dem 
“Holzhof” im Kanton Thurgau käst die Familie Wartmann seit 1893 Tilsiter, ab 1993 unter 
dem geschützten Markenname “Tilsiter Switzerland”.

Otto Wartmann weiss aber, dass sein Urgrossonkel Otto Wartmann das Rezept für den 
Tilsiter aus der Fremde in die Schweiz brachte. Genauer aus der “Milchbude” in der 
damals ostpreussischen Stadt Tilsit. Deshalb macht sich Otto Wartmann auf den Weg 
nach Sowetsk * Советск, wie die Stadt in der russischen Exklave Kaliningrad heute heisst.

Personenkult der Sowjetunion prägt Sowetsk bis heute

Als ob es Perestroika,  Glasnost und Gorbatschow nie gegeben hätte, steht die Lenin­
Statue wie eh und je auf dem Hauptplatz von Sowetsk. An der Rathauswand prangt ein 
riesengrosses Plakat, auf dem ein mit Orden geschmückter Offizier an den 9. Mai erinnert, 
dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, an dem für die 
Sowjetunion der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist.

Wer jetzt noch nicht genug hat vom Personenkult der alten Sowjetunion, begibt sich in den 
Speisesaal des Hotels Rossija, wo an der Wand ein riesengrosses Porträt von Leonid 
Breschnew hängt, dem Parteichef der Kommunistischen Partei der Sowjetunion KPdSU 
von 1964 bis 1982.

Wo ist der bodenständige Thurgauer Käser und Bauer Otto Wartmann, da nur hingeraten? 
Aber alle sowjetischen Devotionalien können ihn nicht davon abhalten, die Kleinstadt mit 
ihren 43′000 Einwohnern mit wachsendem Interesse zu erkunden. Denn unvertraut ist 
dem 50jährigen Wartmann dieses Sowetsk nicht: am Familientisch der Wartmanns auf 
dem “Holzhof” wurde immer wieder über Tilsit gesprochen.

Tilsiter war 1890 ein preussischer Markenartikel
Dorthin nämlich ist nämlich 1890 der Käseexporteur Otto Wartmann der Erste gereist, und 
lernte im damaligen Ostpreussen jenen legendären Käse kennen, dessen Rezept und 
Namen er in die Schweiz brachte. Der Name leitet sich übrigens ab vom Flüsschen Tilse *  
Тыльжа, das hier in die Memel fliesst. In der altpreussischen Sprache war “Tilse” der 
Begriff für ein Sumpfgebiet.

Als im späten 19. Käser und Melker aus der Schweiz zu Hunderten nach Ostpreussen 
ausgewandert sind und dort auf Wunsch der deutschen Reichsregierung die 
Milchverarbeitung auf Vordermann gebracht haben, war diese äusserste Ecke des 
deutschen Reiches alles andere als ein Sumpf: Das blühende Land an der Memel galt als 
die Kornkammer Deutschlands, in der viele Bauern und Käser ein sicheres Auskommen 
fanden. Bis heute tragen die russischen Melker die Berufsbezeichnung Швейцарская *  
Schweizarskaja.

Der Käse aus Tilsit war ein preussischer Markenartikel, in ganz Deutschland und weit 
darüber hinaus ein beliebtes Lebensmittel. Vor allem wegen seiner runden Form und 
handlichen Grösse, sowie der Möglichkeit, den Fettgehalt des Käses von 30 bis 60 
Prozent Fett in der Trockenmasse den Kundenwünschen anzupassen.

Einige Jahrzehnte nachdem Otto Wartmann der Erste mit dem Rezept in die Schweiz 
zurückkehrte und 1893 auf seinem Hof mit der Herstellung von Tilsiter­Käse begann, ging 
es mit Tilsit bergab: Gegen Kriegsende wurde die Stadt von der Roten Armee praktisch 
vollständig zerstört, deren 60′000 Einwohner vertrieben und Tilsit umgetauft in Sowetsk. 
Die ostpreussische Geschichte des Tilsiters ging vergessen. Stattdessen begann eine 
aussergewöhnliche Käsegeschichte “Made in Switzerland”.

Käse und Napoleon

120 Jahre, fünf Generationen und verschiedene weltgeschichtliche Eruptionen später, 
empfängt Oberbürgermeister Wiktor Eduardowitsch Smilgin seinen Besucher Otto 
Wartmann den Fünften im Rathaus. Auf dem Tisch liegt ein roter “Tilsiter Switzerland”, ein 
kräftiger Käse aus Wartmanns Käserei.

Zuerst werden nette Worte ausgetauscht, bis der Oberbürgermeister zur Sache kommt: 
Ihm sei es ein grosses Anliegen, den einst bekannten Namen seiner Stadt, wo Napoleon 
1807 einen Friedensvertrag mit den Russen und Franzosen unterzeichnet hat, wieder in 
die Welt hinaus zu tragen. “Dazu ist der Käse natürlich ein idealer Botschafter”, sagt der 
Oberbürgermeister.
Er spricht von der “Kultur des Käses” und lobt die Ausstellung über den Thurgauer Tilsiter, 
die anderntags im Stadtmuseum eröffnet werden wird. Zum Schluss der kurzen Visite 
probiert der Bürgermeister ein Stückchen Schweizer Käse. Ob ihm der kräftige Rote 
geschmeckt hat, wollte er seinen Gästen nicht verraten.

Echten Schweizer Tilsiter­Käse nach Tilsit bringen

Dass die Thurgauer mit ein paar Kilos echtem Schweizer Tilsiter­Käse nach Tilsit gereist 
sind, war kein Wasser in den Rhein getragen. Wer heute in der Grenzstadt zu Litauen 
nach einem Tilsiter Ausschau hält, findet in der Markthalle zwar manchen einheimischen 
Käse, aber dieser entspricht nicht den Vorstellungen eines mitteleuropäischen 
Käsekonsumenten.

Die Begeisterung über den russischen Käse hält sich bei den Spezialisten aus dem 
Thurgau in engen Grenzen. “Fast ungeniessbar, mit ranzigem Geschmack”, beendet 
Bruno Buntschu, Geschäftsführer der Sortenorganisation Tilsiter, für Schweizer 
Verhältnisse sehr undiplomatisch die Degustation. Und Otto Wartmann der Fünfte, der auf 
seinem Hof jedes Jahr rund 150 Tonnen Tilsiter Käse herstellt, weist auf die unangenehme 
Buttersäure des russischen Käse hin, die von der Fütterung der Kühe durch so 
genannte Silage stammt.

Es ist schwer, im einstigen Käseland einen für Schweizer Münder ansprechenden Käse zu 
finden. Im Stadtmuseum lobt der Oberbürgermeister nichtsdestotrotz die grosse 
Käsetradition seiner Stadt und schwärmt von einer engeren Zusammenarbeit mit den 
“Tilsitern aus der Schweiz”.

Käsefabrik von Slawa macht ihrem Namen keine Ehre

Die Schweizer machen die Probe aufs Exempel und besuchen zehn Kilometer ausserhalb 
von Tilsit eine Käsefabrik. Der Empfang in Slawsk * Славск ist herzlich. “Wir produzieren 
jedes Jahr rund 200 Tonnen Käse”, sagt der Direktor und präsentiert den Schweizern stolz 
Käse aus eigener Produktion. Er macht dem Namen Slawa (russisch für “ruhmreiche 
Stadt”) allerdings keine Ehre: Der Käse schmeckt fade und ist ohne jeden Geschmack, 
weil er viel zu jung konsumiert wird.

Bis 1945, damals hiess das Kleinstädtchen mit 5′000 Einwohnern Heinrichswalde, stellte 
hier ein Deutscher Käse nach traditioneller Art her. Als er vor der Roten Armee die Flucht 
ergreifen musste, nahm er auch sein Fachwissen und die Leidenschaft für den Käse mit. 
Erst 1967 begannen die Russen auf dem Gelände mit der eigenen Käseproduktion.
“Nein, leider ist es nicht möglich, einen Rundgang durch die Käserei zu machen”, erklärt 
der Direktor. Keiner der 50 Angestellten sei zurzeit an der Arbeit. Die Schweizer reagieren 
erstaunt. Nach langem Hin und Her, und nachdem sie ihm ein Kilo echten Schweizer 
Tilsiter in die Hand gedrückt haben, bricht das Eis und sie begeben uns doch noch auf den 
Rundgang – durch leere Hallen und Lager. An diesem Tag ist hier kein Liter Milch 
geflossen, und nur ein paar wenige Käselaibe sind zu sehen. “Wir produzieren erst dann, 
wenn auch Bestellungen vorliegen”, sagt der Chef.

Russischer Gegenbesuch in der Schweiz

Schon wieder auf dem Heimweg, zwei Autostunden von Sowetsk entfernt in Kaliningrad, 
findet Otto Wartmann der Fünfte an der Gagarinstrasse doch noch wirklich guten Käse. Im 
Käseladen von Jewgeni Jarmoluk bekommt der Käsefreund aus Mitteleuropa fast alles, 
was sein Herz begehrt: Greyerzer, Appenzeller, Tête de Moine, viele italienische, 
spanische und französische Käse.

“Nein, den russischen Tilsiter haben wir nicht im Verkauf”, sagt Jarmoluk. Den Tilsiter 
importiert er lieber aus Polen oder Litauen, weil halt nur dieser seinen Anforderungen 
entspreche. Aber auch Tilsiter aus der Schweiz würde er gern in der Vitrine sehen.

Um viele Eindrücke reicher kehrt der Schweizer Tilsiter­Produzent und Urenkel von Otto  
Wartmann dem Ersten in den Thurgau zurück, wo er bald darauf einen Gegenbesuch 
erhält: Im August besucht Oberbürgermeister Wiktor Eduardowitsch Smilgin mit einer 
Delegation aus dem russischen Tilsit Wartmanns “Holzhof” im Thurgau, um dort alles über 
“seinen” Tilsiter erfahren. Ein Käse, der seine Wurzeln in Ostpreussen hat, aber längst ein 
echtes Schweizer Milchprodukt geworden ist.

Über den Autor:

Markus Rohner (1957 im schweizerischen Altstätten/SG) ist Journalist und Autor. Nach 
einem Studium der Geschichte und Germanistik ist Rohner seit 1983 Journalist. Zuerst 
war er als Bundeshauskorrespondent für verschiedene Tageszeitungen tätig, seit 1989 als 
freier Journalist. Seine Beiträge erscheinen quer durch die Schweiz in regionalen 
Tageszeitungen, vom Berner "Bund" über die "Basler Zeitung" bis zur "Südostschweiz" 
und dem "St.Galler Tagblatt". Markus Rohner ist zudem Autor für das "NZZ Folio" sowie 
die "NZZ am Sonntag".

Creative Commons Lizenz:
http://creativecommons.org/licenses/by/2.5/ch/

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Von Markus Rohner / maiak.info

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