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Afrik imische |
Doris und Marcel wu8ten nicht viel vonein--
ander, obwohl sie so gut wie zusammen leb-
ten. Ihre Vertrautheit war ganz natiirlich, un-
ter den Umstinden geradezu 2wangsliufig,
Auslander machten sich in diesen ‘Tagen rar
in Franzésisch-Marokko. Die meisten Touri-
sten reisten ab, als der Krieg ausbrach; wih-
rend andere bis zam Zusammenbruch Frank-"
seichs blieben. Danach kamen alle méglichen
diisteren Geriichte in Umlauf, Glaubte man
dem Oberkeliner des «Palace Arabe», war
Marokko dabei, Deutschland den Krieg zu
erkléren, eine Allianz mit Hitler einzugchen,
unter italienischen Einflu zu geraten, ameri.
kanische Kolonie, das Hauptquartier von Ge-
neral de Gaulle oder gar der private Tummel-
platz des Feldmarschalls Hermann Géring zu
werden. Der Empfangschef hatte Informatio-
nen, daf alle Briten, die noch in diesem Teil
Afrikas wohnten, in Kiirze interniert, wenn
nicht vor ein Kriegsgericht gestellt und hinge-
richtet wiirden.
Das franzésische Viertel von Fez ~ einst
strotzend vor grellem Leben —nahm nach und
65
Yoos, 6nach den diisteren Charakter einer Geister-
stadt an, Was das «Palace Arabe» betraf ~
eine phantastische Karawanserei inmitten der
eigentlichen Araberstadt ~, es hatte genauso-
gut schlicen kénnen, waren da nicht Doris
und Marcel gewesea. Zur Lunchzeit waren
sie in dem riesigen, leeren Speisesaal vollig al-
Jein, Es wae albern und wahrhaftig beangsti
gend gewesen, an zwei gerrennten Tischen 2u
essen, Also teilten sie ihre Mahlzciten und
ihre Sorgen.
Est zum Cocktail kamen einige Leute vor-
bei Finheimische von hohem sozialem Rang,
franzdsische Offiziere und Beamte und hie
und da eine Gruppe geheimnisvoller deutscher
fouristen. Die Araber sahen wiirdevoll und
malerisch aus in ihren schweren seidenen Bu-
nusgewandern mit unbewegten, bartigen Ge-
sichtern, Verglichen mit ihnen wirkten die
franzsischen Offiziere vie) zerbrechlicher
und nerviser, wihrend das anmafend Vulgare
der teutonischen Besucher besonders schmerz-
haft mit der schweigsamen Grofe der Musel-
manen kontrastierte
elegendwie peinlich, deine Landsleute»,
bemerkte Doris und blies dabei den Rauch ih-
rer Zigarette auf eine aggressive Art in die
Luft.
«Welche Landsleute meinst du?» - Marcel
66
war offensichtlich irvitiert. «Wenn du 2vféllig
diese ulkigen PrenBen meinst ...»
Aber sic unterbrach ihn mit ihrem ein-
schmeicheinden und zweideutigen Lacheln.
«Du liebe Zeit!» sagte sie. «Schau aicht so
base, Liebling! Ich wollte deine Gefiihle nicht
verletzen — bestimmt nicht. Warum sollte ich
diese Nazis als deine Landsleute bezeichnen?
Ich wei, da du Franzose bist, chérie ...»
«Wann hitte ich jemals so getan, als ob
ich Franzose ware?» murmelte er. «Mein Va-
terland ist-das GroBherzogtum Luxemburg, ,
wie du inzwischen wissen kGnntest.» Sie ki-
cherte und 2uckte die Schultern,, «Luxem-
burg, Frankreich, Deutschland», sagte sie,
«wo ist der Unterschied? Fax mich ist das al-
les dasselbe, Es ist mir wirklich gleichgilrig,
ob ich einen dieser Telimmerhaufen jemais
wiedersehen werde.»
Er schaute sie mit Mi8trauen und Bewun-
derung an. Sie sah entwaffnend attraktiy aus
~ ein nachdenklicher, cleganter Page im kur
zen, enggeschnittenen Bolero, mit grauer Fla~
nellhose. Die Form ihres Hinterkopfes hate
etwas anzichend Kithnes, Knabenhaftes. Mar
cel studierte gern die sich verdindernde Farbe
ihres Haaces und ihrer Augen, Manchmal
glich das Haar dem von der Sonne ausge-
trockneten und gebleichten Stroh. Zu ande-
&ren Zeitpunkten schien es honigfarben mit
reichen Goldtdnen. Ihre weit auseinanderste-
henden Augen unter einer breiten, nachdenk-
lichen Stirn hatten die schillernde Tiefe von
stillem, aber unberechenbarem Gewasser. Sie
waren nicht blau, ihre Augen, sondern von ei-
nem strahlenden Grau; wirklich ein auSerge-
wohnliches Grau mit einem Strich ins Silbrig-
griine. Zuweilen wirkten sie klar und hell wie
Edelsteine - gkinzten mit einer fast un-
menschlichen Reinbeit. In anderen Augen-
blicken wieder verdunkelten sie sich und wur-
den beinahe schwarz —als ob sie plétalich von
geheimnisvollen Wolken verdiistert wiirden.
Ein seltsames Weser», dachte Marcel,
wahrend er sie ansah, “Wie kann sie nur so
engelsgleiche Ziige haben und doch eine sol-
che Liignerin sein? Welchen triigerischen
‘Traumbildern hangt sie nach, wenn sie mir
diese falschen Blicke zuwirft? Wenn ich nur
wife, was fiir ein Madchen sie in Wirklich-
keit ist!
‘Was immer sie iiber ihren Hintergrund und
ihre Tatigkeit erzahlte, er glaubte ihr kein
Wort. Sie sagte, sie sei in Bern gebaren: das
bedeutete wahrscheinlich, da sie aus Finn-
land oder Australien kam, Angeblich war sie
mit einem brasilianischen Diplomaten verhei-
ratet; aber Marcel hielt es fiir wahrscheinli-
68
cher, da sie die Witwe eines russischen Ge
nerals war oder die zehnte Frau eines indi-
schen Maharadschas oder da sie der Orga-
isation militanter Amazonen angehéste,
deren Ziel es war, die Manner umzubringen,
anstatt sie zu heiraten.
Was machte sie iiberhaupt in Fez? Welche
unyerniinftige Laune, welche geheime Missi
on hielten sie im veriassenen «Palace Arabe»
fest? Sie gab vor, als Korrespondentin fiir
schwedische und portugiesische Zeitungen in
Masokko unterwegs zu sein, aber sie zeigte
ihm nie cine ihrer journalistischen Arbeiten.-
Die meiste Zeit wirkte sie untatig und gelang-
weilt ~ bis sie plovzlich sehr geschaftig wurde,
zum Telefon hastete, Telegramme erhielt und
mysteridse Ausflige in das franzésische Vier-
tel oder in eine benachbarte Stadt unternahm.
Bei solchen Gelegenheiten neigte Marcel da-
zu, sie fiir eine Spionin zu halten — eine Ge-
heimagentin im Dienste Nazideutschlands
oder Grobritanniens oder des Scheichs von
Tunesien. Bei anderen Gelegenheiten verdich-
tigte er sie, eine verruchte und schlaue Aben-
teurerin zu sein, die von einer kleinen Armee
reicher Liebhaber in den verschiedensten Ge-
genden Nordaftikas ausgehalten wurde. Und
es gab Zeiten, da hielt er sie fiir ein hilfloses
Stick Strandgut, wie er selbst es war; fiir ei-
69nen Ger vielen riuchtlinge aus einem der vom
Krieg heimgesuchten Lander; ein verlassenes
‘Wesen der vertrauten, triibseligen Art.
Es gab Hunderte, Tausende von ihnen ~ in
Lissabon, in Ziirich, in Casablanca: alle von
denselben Angsten und Illusionen verfolgt; sie
gaben ibr letztes Geld in irgendeiner diisteren
Familienpension oder in einem pompisen
Grandhotel aus; sie eilten zu den Konsulaten
von Ecuador, Mexiko oder den Vereinigten
Staaten, sie telegraphierten ihre monotonen
SOS-Rufe an Freunde in Milwaukee, Mel-
bourne oder Montreal; sie warteten auf eides-
stattliche Erklarungen, Visa, Flugzeug- oder
Schiffsreservierungen; sie warteten immer
Vielleicht war Doris nur eine von diesen Un-
gliicklichens oder aber jhr Leben war voller
lasterhafter und schillernder Geheimnisse. Im
Grunde interessierte es Marcel nicht wicklich.
Spionin oder Fliichtling — sie war bezaubernd
und auch ein guter Kamerad ~auif ihre auswei-
chende, geistesabwesende Art. Es machite
Spa8, Arm in Acm mit ihr durch das schwiile
Labyrinth der Araberstadt zu schlendern. Sie
pflegten einander davon zu berichten, wie lei-
denschaftlich sie verliebt seien - nicht ineinan-
der, sondern in diesen verzaubecten und be-
zaubernden Ort namens Fez. In der Tat, die
grellen Plakate der franzésischen Reisebiiros
70
iibertrieben niche, wenn sie Fez als das Herz
und die Perle der arabischen Welt bezeichne
ten. Die mircheuhafte Szenerie dieser Mo.
scheen und Basare erfillte die iiberschwen,
lichsten Versprechungen. Kein Tourist wing
bedauern, der Aufforderung gefolat 2u eein
«Visitez Fez, la Mystériense! Fez, la Ree
de Afrique du Nordts aia
_ Es lag etwas unglaublich Fesselndes in den
Geriichen und Farben, in der eindrucksvolls
Geschittigkeit dieser engen, schattigen Gan
sen. Dotis und Marcel genossen jede Mines
ihres “«Binkaufsbummels». Nicht der Kect
Yon irgendwelchen Kuciosititen amisione
und faszinierte sie: Tatsichlich kauften sie eg
But wie nichts. Aber sie wurden nies.
miide, den farbenpriichtigen Plunder oy
durchstbern, der aus den hdhlenartigen Ga
schalten gleichsam auf das Pfaster quoll -all
die bunten Gewiindes, die siRlichen Parfure
giftig aussehende Naschereien, die clesanna,
Sachen aus marokkanischem Leder
Doris und Marcel kicherten wie Kinder
sich hinein, wenn die bartigen Handler ven
ihnen, die, traditionelle Palette cindeutize,
Tricks éntfalteten, zusammen mit dem billy
en Fitterzeug, das sie 2u einem unangeme
senen Preis za verkaufen hofften, Dees
Kincllchen Touristen exgovzten sich an der
yrdegewandten Hartnackigkeit wie an einer Var
rietévorstellung. und fahlten sich wohl, wenn
sie das aromatische Gebrau, genannt Café
Turgue, schliirften, das den Kunden umsonst
angeboten wurde, SchlieBlich stellten sie zu
ihrer peinlichen Uberraschung fest, da sie
gar kein Geld mitgenommen hatten.
Die meisten der enttiusctiten Verkéufer
reagierten mit einem frewndlichea Licheln.
Ménalque, der sogenannte Prinz der Basare,
war die einzige Ausnahme.
Seine Saramlung von Kuriositaten war an-
geblich die groRartigste und kostbarste der
ganzen Gegend, Doch aus irgendeinem uner-
findlichen Grund hatten Doris und Marcel
bisher keine Lust verspiirt, Ménalques be-
rilimte Schatze zu besichtigen. Schlieflich
iiberwanden sie ihren seltsamen Widerwillen.
Sie gingen zu Ménalque, uni éinen Blick auf
seine vielgelobten Antiquitaten zu werfen.
Was sie sahen, war wirklich eindrucksvoll.
Trotzdem fablten sie sich leicht unbehaglich
in dem ausgedehnten, schwach beleuchteten
Geschaft, vollgestopit mit Spiegein, Pfeifen,
Lampen, grotesken Figuren und verzerrten
Maskea, Holeschnitzereien und Elfenbeinsta~
tuen, absonderlichem Spielzeug und unheim-
lichen Altertiimern,
Sie mochten weder den Ort, noch behagte
ihnen sein Eigentiimer. Es lag irgend etwas
Usifreundliches um Ménalques mageres, intel-
ligentes Gesicht — blaBlich unver dem schar-
lachroten Fez. Seine Augen versteckten sich
hinter riesigen blauen Glasern, Er sprach
wonderbaz, mit tiefer, salbungsvolles Stimme.
Die kleine runde Dose aus schwarzem Me-
tall, die er ihnen verkaufen wollte, war offen-
sichtlich einer der weniger wertvollen Gegen-
stinde, Er konnte kaum wirklich an den 250
Francs interessiert sein, die er verlangte. Je-
denfalls klang seine mehrfach wiederholee Er-
klirung, da es ihm nicht um das Geld gehe,
vollig berzengend. Doch warum machte er
wegen einer solchen Kleinigkeit eine Ausnah-
me? Angeblich wollre er nur, da «unsere
wundervolle Lady» und «géttliche junge
Frau», wie er Doris anredete, die Blechdose
besitze, die, so Ménalque, einen Zaubes be-
inhalte, véllig unentbehrlich fiir jeden, der die
wirklichen Geheimnisse des Orients zu ent-
decken beabsichtige.
Doris schien halb amiisiert, halb angewi-
dert von seinen blumigen Komplimenten. Sie
lauschte, errdtere, lachte und runzelte miGbil-
ligend die Stirn; lauschie und kichelre wieder.
Irgendwann chien sie dann bereit, die Biich-
se zu kaufen: Sie umklammerte die Biichse
mit seltsamer Gier und Zartlichkeit. Aberplétzlich anderte sie ihre Meinung und erklar-
te, mit einer gewissen nervésen Eile, da8 sie
das Ding zwar gern hatte, es sich aber leider
im Moment nicht leisten kénne. Mit unbe-
weglicher Miene begleitete Ménalque seine
Besucher zur Tire — ganz eisige Hflichkeit
und wiirdevoller Ernst. «Es tut mir leid fiir
Sie, Madame», war alles, was er sagte, wah-
rend Marcel und Doris Entschuldigungen
murmelten. Noch auf der Strafe, die sie mit
den vertrauten Gerauschen empfing und be-
ruhigte, hérten sic die klangyolle Stimme des
Handlers hinter ihnen mit diisterem Nach-
druck wiederholen: «... sehr, sehr leid fiir Sie,
junge Frau.»
Es klang unheilvoll und ziemlich furcht-
erregend ~ beinahe wie ein Flach.
Sie sprachen nicht viel auf ihrem Heimweg
iiber diesen unerfreulichen Besuch. Oder ge-
nauer: wahrend des ersten Teils ihres Weges
blieben sie gedankenverloren und schweig-
sam. Etwa auf halbem Weg zwischen Ménal-
ques Basar und dem «Palace Arabe» trafen sie
Salem und schlossen mit ihm Freundschaft.
Marcel bemerkte ihn zuerst ~ ein kleiner Ara-
berjunge beschattete sie, lautlos und flink wie
eine Katze oder ein Pantherbaby: Marcel frag-
te ihn etwas schroff, was zum Téufel er ei-
gentlich wolle. Der Kleine — er konnte nicht
74
eae eh oder elf Jaze at sen ~2uckte
redethole auf thesealische Weise die Schul
teen, wobsi er sich wie in einem Anfall oket-
* Verlegenheit wand, «Rien», flisterte o-
und kriimmte sich vor Schiichternheit ode
heimlichem Lachen. «Nichts. Salem wollan
nichts von Monsieur. Nur Madame sehen
nar das wollen Salem.» Sein furchtsames Li.
dachte Marcel
mit fliichtigem Schaudern. «Oder aber, sein
Blick ist so schrecklich und so gewaltig, da
er es nicht riskieren kann, irgend jemanden
8ranzuschauen, auGer die, die er zu toten beab-
sichtigr>
«Setz dich, Fremder!» sagte Ménalque und
bot mit einer groBartigen Handbewegung den
nackren Boden an. Er fiigte mit diskcet ge-
senkter Stimme hinzu: «Mein kleiner Neffe
hat mir alles fiber euch erzhle.»
«Also, was fiir verritckte Sachen hat sich
Salem iiber uns ausgedacht?» fragte Marcel
mit einem kurzen, unbehaglichen Lachen.
Ménalqne antwortete nicht, sondern nick-
te nur und grinste. Nach einer Kleinen
Weile murmelte er vieldeutig: «Ich wei8, ich
wei ...» Und wieder Stille.
Es war Marcel, der erneut zu sprechen be-
gaan: «Salem ~ thr Neffe — ich meine, unser
kleiner Freund ..,» Er muBte sich réuspern
und fuhr dann fort: «Er erwahnte eine Medi-
zin~ ein Heillraut, wenn ich mich nichr irre,
um nervise Stérungen zu heilen ~ genauer ge-
sagt, Depressionen, melancholische Anwand-
lungen und dergleichen.»
«Das hat euch Salem gesagt?» Ménalque
lie ein tiefes, weiches Lachen hdren, «Auf je-
den Fall cin kluger kleiner Bursche!» rief er
fréhlich, als ob er endlich seine heschwerliche,
wiirdevolle Schicksalsmaske fallen lieBe, Sehr
sachlich — fast zynisch fuhr er fort: «Neben an-
deren Sachen handle ich mit Haschisch.»
82
|
|
{
|
|
|
j
{
Marcel empfand Erleichterung und 2v-
sleich Bnicauschung, Darauf liuit’s aloo hnn
Ne dachee ex in nosmaler Rauschgfe
peter Er erklree faut und zilch
barsch: ach bin an Drogen niche interes
Ménalque ~ jetzt wieder feietlich und cl
monisch ~ ethob seinen éligen, melodidse,
Ba: «Aber die junge Frau kénnte es seins
sagte er mit geheimnisvoller Beronung, «lhre
wonderbare Lady braucht es. Vergessen— dae
suchen wir alle, mein Freund. Vergessen .
Nergessen», wiederholte er mie Klingendes
hypnotisierender Stimme. «Haschisch ae
wibrt es dig, die himmlische Tréstung des Ver.
gessens. Fin Kleiner Loffel der Zauberdrone
mein Freund, und de vergift die Liigen vnd
den Kummer dieser bésen Welt — der wires
ceak der wundervollen Pflanze, zu paradiest.
schen Gefilden emporgehoben.»
Noch wahrend er sprach, zog er die kleine
schwarze Biichse mit einer bliteschnellen und
unauffilligen Bewegung aus seinem Arnel
oder aus seiner Kapuze, cinem Zavberor
sleich, der eine Taube oder einen Rosensrranh
ave seinen Schuhen oder seinen Nasenfligeln
zieht.
a ist es!» rief er triumphierend aus.
«Nur 250 Franes, die hiibsche Dose einge.
83schlossen. Das ist ein gutes Geschaft, mein
Freund! Und welche Qualitée! Prinzenquali-
cathy
Da Marcel noch zéigerte, nahn der Prinz
dey Basare seine riesige, farbige Sonnenbrille
ab und enthiillte seine Augen.
Marcel kaufte das Haschisch fiir 250
Francs — denselhen Preis, den Ménalque far
die noch leere Dose verlangt hatte.
«Ménalque ist cin dreckiger Logner», be-
schwerte sich Doris. «Ich kann nicht das Min-
deste spiicen. Seine Prinzenqualitat besteht
ans Kakaopulver, mit Zime vermischt.»
«Das ist doch 21 dumm», sagte Marcel.
«Nehmen wir auf jeden Fall noch einen Léf
fel. Es kann niches schaden.»
Das Zauberkraut sah nicht sehe appetit-
lich aus ~ eine Art grimfich-schwarzer Staub.
Sie hatten schon das Dreifache der you
Ménalque empfoblenen Menge konsumiert.
Jexzt schuckren sie eine weitere starke Dosis,
‘ohine Riicksicht auf seine Warnungen.
Nach einer kleinen Weile wurden sie auGes-
ardentlich {réhlich, Alles brachte sie zum Ki-
chern - die Form der Karaffe oder die Trod-
deln von Doris’ Hansschuhen - der Name des
Hotels, dessen Einrichtung so komisch war,
84
oder der Name der arabischen Stadt, in deren
lachhaftem Zentrum sich diese drollige Kava-
wanserei befand. «Fez!» glucksten sie in sinn-
loser Heiterkeit. «Was fiir cin Name! Visitez
Fez, Ja Mystérieuse? Warum besuchen Sie
niche Fez, la Reine de VAfrique du Nord, wo
jeder einen Fez eragt und jeder Fez einen
Traddel hat? Warem zollen Sie nicht Tribut
der troddeligen Kénigin von Nordafrika und
ihren prinzlichen Sasaren? Besuchen Sie das
Herz und die Perle van Ménalques Fez mit
Troddela! Warum bezablen sie nicht 250
Francs fiir die vergeRliche Biichse des prinzli-
chen Basats? Mes princes, my reines, et mes
bazarest Visiter donc — wunderbare Lady
brauchen das! ~ fe mystére de la qualité
Ménalquienne; la Reine aux principes Ha-
shishaux; le Hashish royale aux qualités my-
stérieux ...»
Sie kreischten vor Lachen fiber ihre alber-
nen Wortspiele. Alles, was si¢ anrithrten oder
erwahnten, wurde unweigerlich lustig. Unge-
fahr eine Stunde lang amiisierten sie sich k6
niglich. Dann schlicfen sie unvermitrelt ein.
Doris lag auf dem Bett; Marcel in einem
Lebnstuhl hingestreckt, mirten in dem chaoti-
schen Raum. Ihr Aufschrei durchdrang seinen
trancedbnlichen Schlaf. «Oh! Mein Gott!
Oh!» stdhnre sie - sie raste durch das Appar
85tement, ihre Augen starr und geweitet in'el-
nem wei@en, entserzten Gesicht. «Ich mu8
sterben! Ich bin am Ende!»
«iag ist Jos?» fragte ef ~ AUS
Betaubung erwachend.
“Dieses reuflische Zengt» stohnte
«Dieses Haschisch, wit sind vergiftet ~ alle
beide ... Oh! Mein Gott
Mit geht es soweit gut», sagre er und be-
ann au zittert. Sein Geist ~ ‘sich drehend und
ueteich wnheimlich wach = versuchte ver
vvelfelt, dic verschiedenen Mglichkeiten, 19
die sich die Situation aufzulosen schien, fest
suhalten, Vielleicht wollte Ménalque Doris
taten, die im Dienst einer feindlichen Regic-
ung stehen mochee. Oder aber Doris kénnte
selbst in dic schreckliche Intrige verwickelt
sein ~ sie kOnnte sic in det Tat inszeniert ha-
ben, um ihn, Marcel, vernicheen, den sie
Pee amen_Agenten Grogbritanniens oder des
freien Frankreichs hielt. Da sie el Nazispion
war, hatte sie Befehl, iha zu liquidieren. Salern
rad Ménalque waren ihre Werkzeuge, s° wie
de ein Werkzeug, jener duniklen Machte in
Darlin war. Diese héchst unangenehme Még-
Jichkeir war avch die wahrscheinlichste. Jede
Einzelheit stimmte. Yor selrsames Benehmen
ia Ménalques Basar; ihre tbermaRige Zunei-
gung zu Salem; ihre iiberraschende Bereit-
Schlaf und
86
scha
scaly an dem Haschisch-8benteue tn
seflber ihe gequies Stohnen widesae
els Verdachs. Zweifellos waren ihre
‘Angst und ihre Qual echt, Keine noch so gute
Schauspieierin konnte dieses Entetzen, das
ine Gevieht ahve und ents, vortie
schen. Wahrend sie uneotwegt ach das
inns wandete, vrsicte sie x eri
was rim Solna wat ~ den ie wah
genden Schock zu schildern, den sie erfeb
hatte, «lch war zu tief», murmelte sie 7 lee
re iuaarilvelien Kin er reba ahi
Untenlah vor Bett zum Fenster gehend, wie
cin verstrtes Tier nt Kili, «Viel 2 tet un
ten > fur sin ihrem konfusen Berit
s war beinahe der Tod ... Oh! M
aumer Marcel! Wir missen steben >
Er woilte den Ars holen, aber Dori
schied: «Wir gehen selber!» ne
In ihrem Morgenmantel und den arab
schen Pantoffeln? Ee zogertes aber sie 2 ‘ihn
zor Tir — hinaus in’ die. woblcechende
chaise der eeeruises Nach Lee
1S multen den Garten in sins ganaen
Langs duthqueren, un den Hanptat des
Hotels nu erreichen. Aver dem schwach
Schein aus Doris? Zim i
ter ciaies Ge Mepis voce Nets
87portier hinter der Telefonanlage schtunmer-
te, leuchrete kein Licht mehr.
Die vielen Pflanzen und Blumen dufteren
erregend siif in der feuchren, samtenen Luft.
Noch berauschender als der Geruch der
Rosen und des Jasmins war das monotone
Konzert der Frosche und Grillen. thre endlose
Lianei ertednkse fast die vertranten Gerai-
sche, die von der arabischen Stadt iber die
Steinmauer in den Park geweht wurden, Die-
se Gerdusche waren immer die gleichen: die
guitaralen Rufe, mit denen sich die Halb-
wiichsigen von einem Versteck zum anderen
verstandigren; das trautige Bimmeln, das ¢i-
nen Aussatzigen ankiindigte; das Bellen eines
wiitenden Handes; der diistere Gesang eines
Trinkers, Die verzauberte Stadt, Fez la My-
stérieuse, schickte jeden Abend ihre unveran-
derlichen Beschworungen hinauf in einen
sternenlosen und unbewepten Himmel.
«Sag etwas!» bat Doris mit erstickter Stim-
me, wilrend sie Seite an Seite durch das La-
byrinth von Blumenbeeten und Blitengebii
schen stolperten. «Wenn du nicht mit mir
sprichst», wimmerte sie, «werde ich wieder
fallen ... oh! Ins Bodenlose ... Warum sagst
du nichts?
Aber Marcel wafte nicht, was er sagen
sollee. Er war von der plavzlichen Fusche be-
8&8
sessen, da sie den Weg zum Hauptgebaude
verfehlen kénnten. Sein kreisender Verstand
wiederholte ~ verzweifelt, aucomatisch ~ die
Worte, die er von Doris gehért hatte: «Es ist
irgendwie schwierig, nicht auf Abwege zu ge-
raten, wenn alles Risse bekomint und bebt
und einstiirat ...»
Es entstand eine lange Pause, bevor er —
hilflos, tonlos wie ein verschrecktes Kind ~
fllisterte: «Mir ist gerade etwas AuGerge-
wohnliches passiert. Ich fille meinen rechten
Anm nicht mehr. Er mu verschwunden sein.
‘Und jetzt ist der tinke Arm ab ..
«Was ist mit deinen Armen los, Maccel?»
Sic ciittelte ihn an den Schultern, wahrend sie
ihn anschrie: «Oh! Dieses teuflische Zeug!»
Was Marcel in den folgenden Augenblicken
durchlebte, war unbeschreiblich schrecklich.
Es war der Wahnsinn, Es war die Hélle.
Zuerst flogen seine Arme weg; dann die
Beine; dann sein Hals, sein Kopf, sein Kérper
Er zerplatzte buchstiblich. Pr explodierte, |S
ste sich auf, zerfiel in tausend Sticke. Seine
Identitit zerbrach: Die Bruchstiicke seines
Organismus flatterten durch den Park. Er
durchlebte das unbeschreibliche Gefiihl voll-
standiger physischer Auflésung. Sein Haar
schmerzte und brannte - in einem dornigen
Dickicht verheddert. Sein fremedes, schreckli-
89
‘ane rg Om ercher Mund stammelte aus der Krone einer
Zypresse Gebete und Blasphemien. Seine
Fiie ~ ziellos und nachlassig - liefen durch
die Blumenbeete, wahrend sein Herz - ein
Klampen pulsierender, unverbundener Ner-
ven ~ in den Abgrund der dunkelroten, uner-
griindlichen Nacht fiel.
Marcels innerstes Bewutsein war sich je-
doch wiheend der ganzen Zeit des entsetzli-
chen Spuks bewuft und beobachtete ihn
Vielleicht war dies das allerscheuBlichste
an dem hillischen Abenteuer; daf er sich dar-
iiber klar war, was er durchmachte ~ er schau-
te mit unendlichem Schrecken und Eke! dem
Proze seiner eigenen Spaltung zu. Sein Ge-
hirn schwebte isoliert irgendwo inmitten die-
ses schizophrenen Chaos, aber kcinesfalls
umdunkelt oder gebiliie
Er hérte die Stimme von Doris; sie kam
iberraschenderweise vom Dach des Haupt-
gebiudes. «Warum hiipfst du die ganze Zeit
herum?» fragte sie cinigermaen verargert.
«Warum tanzt du? Hér auf zu tanzen!»
Marcels einsames Gehirn bemerkte niche
ohne Verwirrung, da Marcels Stimmme ~ ent=
gegen allen Regeln der Logik und des An-
stands - von der Spitze des Springbrunnens
kam.
«ich tanze nicht, wenn’s recht ist», machte
90
das ;
sein Marcel gewesen war, geltend. uD.
see Ee . Sachen cinbilden, Wenn ich je-
fae sal wiirde, Ware és nicht ich, der
» Wie kann ich authoren au 2
wenn ich es nicht bin
wenn ich tanzte>»
tanzen,
» der tanzen sviirde,
as er eingviff,
ied y feinfihtender und erfahrener Hi als
ngestellter, vermutete er, dak seine
respekta i
oe ae ungliicklicher ‘weise den
and verloren hatten. F
a nm. Er befahl de;
Nachtportig den Chauffeur zu rufen, dev
erseits den waknsinnigen Hetrn und cet
ne verriick al
eee Dame zum Militirkrankenhaug
Fa sollte ~ zu dem eir -
fe nzigen Ort, wi
{ir solche Faille 2ustandig wen” V0"
Es dauerte ungefahr dreifiz
a Minuten,
cr Fahrer auftauchte: Er matic aus cae
aus einem
neck ntmmUAg. So keifte er mir seinen
PunnWitdigen Fahrgisten herum die ganz
Fehe vom Zencum der Araber-Stade bis hin,
a ie Hiigel 6 :
cl, wo das Hépital MilitaireDas Auto schwama durch Walken. Doris
sang; Marcel versuchte zu tanzen. Der Fahrer
sagte, sie solltén sich schmen. Marcel heulte
vor Furcht auf, als sein Kopf wagemutig auf
dom Dach einer grofien Moschee herumhiip®
te, «Sei still, verriickter Auslander!» schrie
ihn der Fahrer an. «Ich schlage dir den Schi-
del ein, wenn du das noch einmal machst.»
Doris rang in der Zwischenaeit ihre Hinde so
heftig, da& man die Gelenke knacken hérte.
Wahrend der gesamten Fahrt sang ste und
rang die Hinde ~ vielleiche, um wach 2x blei-
ben oder aus Verzweiflung oder weil sie ein-
fach verriickt war
Es war fast drei Uhr morgens, als der Fah-
rer sie am Bingang des Milirarkrankenhauses
absetzte. Die Luft war plétzlich abgekithle,
oder sie war immer frischer hier oben als int
Dunst der arabischen Stads. Es wat noch
ziemlich dunkel, aber die Dunkelheit war
nicht mehr wie schwarzer Samt. Ein grauer
Schimmer kroch tiber die Wipfel der Patmen
und kiindigte die Morgendammerung an.
Die Soldaten bedriingen und neckten die
zwei tanzenden Derwische, wabrend der Fah-
rer einem alteren Mann im weigen Kittel Be-
richt erstattere, «Eine Uberdosis Haschisch»,
hérte Marcel den alten Mann aus unermefli-
cher Entfernung sagen. «Dumme Kinder sind
92
sie. Wir werden ihnen etwas zum Sch
ben. Sie sind jung: Sie werden den
liberstehen. Gut, da du sie hieehe
hast.»
Seine Stimme klang freandlich ond bess:
gend. Marcel mochte den Mann, «weet
sind keine Zigeunet», versicherto Denn
Soldaten, die iiber die farbenprichtiga
windes, die sie trag, héchst amiisiert yon
Und vervicke sind wir auch niches, fee
ziemlich beleidige und hochmiitig hinge
In diesem Moment bemetkte Marcel, da@
Salem ihnen gefolgs was, Da-war er nun, Gh
cinsame, rihhrende Figut die vor dem Bisanins
herumlungerte: Er hatte seine feinen non
Kleider gegen seinen alten, schibigen Kane
zenmantel getauscht ~ er trug ihn wie mee
und trauerte um seine rasenden Freunde, Dan
ris und Marcel, Er sah duSerst veraveifol
sind verzagt aus, mit blaulichen Lippen in ei
nem lassen, zitternden Gesicht ein frieren,
der, kleiner Affe in der Kile dieser bleichen
Stunde. Als die zwei Gefangenen vorbeigin,
gen ~ von den grélenden Soldaten flanker
und gestitet ~ hob er seine kdeinen, sehavey
igen Hainde mir einer hilflosen, schonen Ce
ste, als ob er sie um Verzeihung bitten wolle
lafen pec
Schock
ebrachy
wir
S denerred errr eee cee eeat cerca eee
Man brachte sie in eine distere Zelle, mit
nichts darin als einem gro8en Doppelbett. Die
Verwaltung des Krankenhauses hielt die Neu-
ankdmmlinge offensichtlich fiir ein Ehepaar,
oder aber sie dachten, Doris ware ein Junge —
ein zerbrechlicher, zerzauster Jiingling mit
griin-schwarzen-Augen voller Angst.
Der Altere Mann in Wei gab ihnen ein
Schlafmittel - stark genng, um einen Riesen
Jahmzulegen.
Doris protestierte zuerst ~ si¢ erinnerte den
Arzt an ihe Exfahrungen, was die meckwiir-
dige Anziehungskraft des Bodenlosen anging.
Der Arzt lachelte versténdnisvoll. Er lachelte
immer noch, als Marcel darauf bestand, da&
es schlieRlich aus triftigem Grund unméglich
sei, in seinen Arm eine Injektion zu machen,
weil namlich kein Arm da sei. Er erhielt die
Injektion ganz normal. Mir einem ferzten va-
terlich feinen Lacheln in Richtung der zwei
verwirrten jungen Leute zog sich der alre
Mann zuriick.
Sie waren allein — cinander sehr nahe, und
sie hatten keine Angst mehr. Sie waren ge-
meinsam durch die Holle gegangen und hat-
ten zusammen tiberlebt, von jetzt an konnten
sie sich aufeinander verlassen, sie waren Ka-
meraden fiir immer und ewig.
Ménalque hatte seinen finsteren Einfl8
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liber sie verloren. Die Metalidose — bisher
mie dem siiGlichen Krant des Verderbens ye-
fille - war ihres Zaubers beraubt. Doris
fircheete sich nicht mehr vor dem Sox von
Dunkelheit und Tod. Sie wukte, da es einen
Freund gab, der sie vor dem Fallen beschiit-
zen witcde, Marcel seinerseits hatte das Ge-
fiihl, da sich seine Identitat wieder zusam-
menfiige ~- Stiick fiir Stiick und langsam; das
Schlimmste vom Schlimmen jedoch war vor=
iiber. Doris hatte dankenswerterweise cinca
pulsierenden Klumpen unverbundeney Nev-
ven, der irgendwo in den Biischen hing, au
gehoben ~ Marcels einsames Herz.
Doris», fliisterte Marcel, «schliifet du?»
«Ganz fest.»
elch auch.»
Alle Fesseln und Biirden, alle Verwirrungen
und Liigen ihres heimatlosen Lebens schienen
gmidig verklirt, als sie sich im. gemeinsamen
Schlaf entspannten — ihr erstes Geheimnis
miteinander,Der Ménch
In der gesamten Kompanie hic er «der
Ménch», weil er kein Madchen ji der Stade
hatte und immer etwas verlegen winkte, wenn
die anderen sich ihre Frauengeschichten on
zihlten. Manchmal unterbrach er auch ihre
Anztiglichkeiten mit einer sanften, aber im
gendwie beeindruckenden Geste: «Es reiche!
Bitte schén!» Natiivlich war die Antwort ein
homerisches Gelachters aber tiberraschendes
weise verstummte das Geschwaitz kurz darauf
oder wurde doch cine Spur zuciickhaltender
Was war mit dem Ménch nicht in Ord-
nung? Einige seiner Stubenkameraden vermun
teten, da er heimlich verheiratet sei and sei-
ner Frau teu ware, obwohl er behauptere, ein
Junggeselle zu sein. Andere meinten, da es
religiése Griinde fiir seine Priiderie giibe; er
war jedoch kein Kirchganger War er viel.
leicht krankhafe schitchtern? Oder war es ein,
fach nur sein Altes, das ihn davon abhielt, sich
zu amiisieren?
Er war tatsichlich schon recht alt, ungefihe
Fanfunddreidig, wens nicht noch alter; auf ie.
‘leu Fall war er bei weitem der Alteste in des
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