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Dr. Anton Klein ist ein mittlerweile pensionierter


Rechtsanwalt, der auf Ehe- und Scheidungsrecht spezialisiert
war. Er legt in diesem Buch köstliche Anekdoten aus seiner
vergangenen Praxis dar und verpackt diese in teilweise in
einer nestroyhaften Sprache, der dem Kenner höchstes
Lesevergnügen und viele Lacher zu entlocken vermag.

Autor: Dr. Anton Klein


Verlag: Pressel Publishing
Lektorat: Werner Balthazar
Produktion: MedienFabrik Gesellschaft für Medien-
und Verlagsservices mbH

erhältlich als eBook auf Amazon


ISBN-10: 3-902326-73-5
ISBN-13: 978-3-902326-73-7
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INHALT

DER FALL A ODER DAS GESCHWÜR AM HINTERTEIL

DER FALL B ODER DIE SCHEIDUNG AUF ALKOHOLISCH

DER FALL DES HERRN C ODER DIE GELUNGENE RACHE

DER FALL D ODER DIE VERSÖHNUNG WIDERWILLEN

DER FALL E ODER DIE TURNUSMÄSSIGE SCHEIDUNG

DER FALL F ODER DIE UNGESTÖRTE WEIHNACHT

DER FALL G ODER DER DAUERBRENNER

DER FALL H ODER DER FEURIGE PAPAGALLO

DER FALL I ODER DIE MIDLIFE CRISIS

DER FALL J ODER DIE UNTADELIGE HAUSFRAU

DER FALL K ODER DAS SCHNITZELESSEN

DER FALL L ODER DIE FANTASIELOSIGKEIT DES


SCHICKSALS

DER FALL M ODER DIE GESTOHLENE FRUCHT

DER FALL N ODER DIE ZERMÜRBUNGSTAKTIK

DER FALL O ODER DIE NICHTIGE EHE

DER FALL P ODER DAS DREIECK DAS EIN VIERECK WAR


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DER FALL Q ODER TOTSTELLEN

DER FALL R ODER SCHLAMPIGE VERHÄLTNISSE

DER FALL S ODER BIS DASS DER TOD EUCH SCHEIDET

DER FALL T ODER DER KUNSTFEHLER

NACHWORT
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VORWORT

Es ist schon ein wahrer Jammer. Da kamen sie bei mir an,
saßen in meinem Vorzimmer, fahrig, nervös, gebeugt, durch
Jahre - oft jahrzehntelanges schweres Joch, das ihnen die
Seele wund gerieben hat. 0Bejammernswerte Ehekrüppel.
Wenn sie dann in mein Allerheiligstes traten, die Finger gelb
von Nikotin, die Augen blutunterlaufen, dann kamen sie mir
vor wie Krebsleidende, die erst im letzten Stadium den Arzt
konsultieren. Und jedesmal lag mir die Frage auf den
Lippen:„Guter Mann oder gute Frau. Warum kommen Sie erst
jetzt?“ Ist es wirklich so schwer, den Weg zum
Scheidungsanwalt zu finden, noch bevor der ganze Körper der
Ehe von Metastasen übersät ist? Könnte der oder die nicht um
einen diskreten Rat einkommen, sobald die ersten
Krankheitssymptome ruchbar werden? Ich versichere: Ein
guter Rat ist nicht so teuer wie sein billiger Ruf.
Nein, nein, ich verlange keineswegs, dass jedermann
anläßlich des glückbeseelten Einschwebens in den Stand der
heiligen Ehe oder gar davor automatisch wie den Pfarrer den
Scheidungsanwalt konsultiert. Wenngleich jenes fatale
Einschweben, vergleichbar der Erbsünde, den Keim der
Scheidung in sich trägt, so wie das Leben den Keim des
Todes. Ich würde bloß anregen, dass man jedem an die
Pforten des siebenten Himmels pochenden Paar einen kleinen
Hinweis zur Besinnung schenken sollte, wie in der Kirche das
zartfühlende Memento mori (= vergiß nicht, dass dich
garbald die Würmer fressen werden). Dies etwa in Form eines
unscheinbaren vorgedruckten Kärtchens: „Herzliche Grüße -
Ihr Scheidungsanwalt“.
Natürlich gäbe es auch weniger direktes, diskreteres
Gewinke mit dem berühmten Zaunpfahl. So zum Beispiel eine
Scheidungsversicherung, der Beitritt zu einem
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Scheidungsverein, oder schlicht und einfach die segenvolle
Übung, seinem künftigen Scheidungsanwalt allmonatlich
mittels unwiderruflichen Dauerauftrags eine bescheidene
Ehrengabe, branchenintern Honorar genannt, zu überweisen.
Betragsmäßig ausgewogen je nach der voraussichtlichen
Lebenserwartung der jungen Ehe. Statistische Berechnungen
würden sich garbald in Form von Tabellen mit
Erfahrungswerten erstellen lassen.
Der ungeneigte Leser wird mir entgegenhalten, dass es
immer wieder Ehen gibt, die sich ungeschieden über die
Ochsentour retten. In solchem Falle wäre der Anwalt glatt
bereichert. Dem aber ist keineswegs so. Zum einen würde ein
wohlgefülltes Konto beim Scheidungsanwalt den Gang dorthin
auch ohne Metastasen rein psychologisch erleichtern, was
jenes, nämlich das Konto, auf natürliche und schmerzlose Art
reduzierte. Zum zweiten unterschätzt er, nämlich der
ungeneigte Leser, die enorme Verwaltungsarbeit bei der
Bewahrung des künftigen Scheidungshonorars.
Verwaltungsarbeit wieder kostet Geld. Flugs stellte sich die
natürliche Reduktion in angenehmster Weise ein. Ich gebe
allerdings zu, in einseitig angenehmster Weise.
Sollte wider Erwarten bei scheidungslosem Ende, mithin bei
letaler Eheentsorgung, sei es in Form von Altersschwäche, sei
es mittels eines Hackebeils, ein Überschuß vorhanden sein,
dann könnte dieser unschwer auf ein Scheidungskonto der
Nachkommenschaft, bei Fehlen selbiger auf eines der
entfernteren Verwandtschaft umgelegt werden.
Kurzum: Ich halte es zumindest für angebracht, wenn der
Scheidungsanwalt zwecks Dienst am künftigen Kunden zu
passenden Anlässen ein Billett verschicken würde mit der
Aufschrift: Ihr Scheidungsanwalt läßt grüßen.
Nun noch ein aufklärendes Wort: Der geneigte Leser wird
sich und womöglich auch mich fragen, wieso ich erst jetzt,
nach so vielen durchlittenen Scheidungsfällen, zur mahnenden
Druckerschwärze greife. Das hat einen sehr bürgerlichen
Grund und ist keineswegs die Scheu des Bösen vor dem Licht.
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Nämlich nach dem gestrengen Ehrenkodex der
Anwaltskammer ist es deren Mitgliedern bei beruflicher
Todesstrafe untersagt, Werbung in welcher Form auch immer
zu betreiben. Bei Offenbarung nachfolgender
Leidensgeschichten während meiner heilsbringenden Zeit als
praktizierender Scheidungsanwalt wären die
Kammersiegelbewahrer mir zweifelsohne mit der Bezichtigung
unerlaubter Eigenwerbung auf den Pelz gerückt. Zumal mich
überdies, wovon sich der geneigte Leser überzeugen wird, die
Schilderung meiner Praxisfälle nicht unbedingt in üblem Lichte
stehen läßt.
Es wird der geneigte Leser auch fragen, warum ich ihn
hartnäckig als geneigt bezeichne. Nun, selbiges ist nicht im
bildlichen Sinne zu verstehen, wie der Turm von Pisa, der
bekanntlich stets geneigt ist und nie fällt, vielmehr als
Wunschform im übertragenen Sinne. Er möge sein willig' Ohr
in freundlichem Wohlwollen mir zuneigen, möge geneigt sein,
aber ungebeugt.
Lasse er mich also anhand einiger aus dem prallen Leben
gegriffener Scheidungsfälle aufzeigen, wie sehr mein Rat
geboten wäre, den Scheidungsanwalt zur rechten Zeit zu
konsultieren. Die meisten jener dargebotenen Ehebejochten
flüchteten erst zu einem Zeitpunkt in meine väterlich
hilfreichen Trösterarme, als der Stachel ihrer Metastasen
bereits tief im entzündeten Ehefleisch wütete. Wären sie
früher, viel früher zu mir gekommen...
Keineswegs soll der infame Eindruck entstehen, ich hätte
sündige oder gar sittenlose Betriebsanleitungen bereit
gehalten, wie Mann oder Frau ungerächt dem wollüstig
prickelnden Schauer des Ehebruchs Tor und Tür öffnen
könne, in eventu Hintertürchen. Mitnichten, ich höre förmlich
schon die schnöden Neider ihre Mäuler wetzen. Vielmehr war
es stets mein charismatisches Bestreben, jene, die bereits in
schändlicher Verborgenheit den ehelichen Ast besägten, nicht
etwa luziferisch anzuweisen, auf den baumnäheren Teil
desselben überzuspringen, sondern ist es allezeit mein züchtig
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Verlangen gewesen, sie zurückzuleiten auf den Pfad der
häuslichen Tugend.
Anhand der nachfolgenden abschreckenden Beispiele solle
jedermann erkennen, dass Böses nur Böses zeugt, dass
einzig die moralgeschwängerte Tugend zu höchstem Glücke
geleitet, und sei es in der lustfreien Entsagendheit der
quasizölibatären Monogamie. Jene Wenigen aber, die noch
nicht haben, mögen die Lehre ziehen, dass Sünde süß ist,
Reue aber bitter. Man soll nicht von allem haben wollen. Wer
unbedingt sündigen will, der soll der Reue entsagen. Und wer
bereuen will, der soll die Sünde meiden. Beides zusammen ist
fatal und nur für unbegabte Möchtegerne, denen die
Jauchegrube der Ertappung vorgegraben ist.
Wohlan, des Trockenkursens ist genug. Der geneigte Leser
lasse mich den Ärmel hochkrempeln und in das volle
Eheleben greifen. Ich werde keine Namen nennen. Etwaige
verräterische Identifikationsmerkmale werde ich mit dem
Skalpell meiner Phantasie so kunstgerecht entstellen, dass
selbst der brotneidende Nachbar keine Lunte riecht
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DER FALL A ODER DAS GESCHWÜR AM


HINTERTEIL

Dem Fall des Herrn A gebe ich deswegen als erstem die
Ehre, weil er so schrecklich lange zurückliegt und nicht zu
befürchten ist, dass seine Offenlegung meinem
hochgeschätzten damaligen Klienten in irgendeiner Weise
zum Schaden gereichen wird; ist es doch auf Grund seines
unvermeidlichen Alterungsprozesses nicht wahrscheinlich,
dass er noch ehebrechend unter uns weilt.
Nun, der Herr A war eine sehr lebensbejahende Frohnatur
in reiferen Jahren - wollte man pingelig sein, könnte man den
Zustand der Jahre durchaus mit überreif bezeichnen -
ausgestattet mit respektabler Leibesfülle und dem Fluidum des
wohlhabenden Geschäftemachers. Ich allerdings wußte dem
eine andere Bedeutung abzugewinnen, zumal ich ihn auch in
geschäftlichen Dingen zu vertreten die Ehre hatte. Es war mir
sohin nicht verborgen geblieben, dass Herr A in prekärer
finanzieller Beklommenheit sein geschäftliches Dasein fristete,
nicht jedoch sein privates. Obwohl er restlos pleite war, pflegte
er zwecks Übertünchung selbiger Misere im privaten
Lebenspraktikum durchaus großzügig zu verfahren. Er badete
demonstrativ in Galanterie und warf förmlich mit Geld um sich,
so er aus des Zufalls Gnaden eines solchen habhaftig werden
konnte. In geschäftlichen Dingen jedoch war er
ausgesprochen knauserig. Zu solchen zählte er auch den
gegenständlich erzählten Rechtsfall, wenn auch gewiß zu
Unrecht.
Der geneigte Leser wird mitfühlen, wenn ich die
schmerzvoll langwierigen Versuche andeute, die zu setzen ich
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genötigt war, um zu einem Vorschuß für meine segensreiche
Mühewaltung zu gelangen.
Außer offenbar unglücklichen finanziellen Fügungen des
Geschickes begleitete Herrn A auf seinem Lebensweg nebst
seiner angetrauten Ehegattin eine, wenn auch verständliche
Eigenheit, seiner Abneigung gegen Gerichtsbriefe jeder Art
freien Lauf zu lassen. Er pflegte sie zwar entgegenzunehmen,
sodann aber verachtungsvoll und ungeöffnet beiseitezulegen.
Die unvermeidliche Folge war eine Flut von
Versäumungsurteilen und nahezu täglichen Besuchen des
Gerichtsvollziehers.
Herr A trug es mit Würde. Als aber ebenso urplötzlich wie
hinterhältig seine zarten ehebrecherischen Bande zur schönen
Anuschka ruchbar wurden, begann ihn der Schlaf zu fliehen.
Mit diesem stand er als Besitzer einer florierenden Bar
ohnedies nicht auf Du; desgleichen die schöne Anuschka, die
des nächtens den schnapsgeweiteten Augen auf dem
Barhocker hautnah von hinter der Theke, wie weiland Eva,
wohlgerundete Früchte in Greifweite offenbarte. Kurz: sie war
eine Bardame. Chef und lustzeugende Angestellte - eine
unabwendbare Konsequenz, in unserem Falle geradezu
fatalisiert durch die Tatsache, dass der Ehemann der schönen
Anuschka just zu jener Zeit eine langjährige Studienreise
absolvierte, und zwar im staatlichen Erholungsetablissement
zu Stein an der Donau.
Wer sollte darüber besser Bescheid wissen als ich, der ich
zu den acht Jahren meinen bescheidenen Beitrag als
Verteidiger geleistet hatte.
Als, wie gesagt, die Sache mit der schönen Anuschka
ruchbar wurde, das heißt, sie stank bereits zum Himmel,
konsultierte mich Herr A endlich. Sein Eheweib hatte ihm
bereits handfest beweissuchend nachgestellt, und das nicht
ohne Erfolg. Zusammen mit ihrer zwecks späterer
Zeugenschaft beigezogenen Freundin, war sie ihm in den
frühen Morgenstunden bis zur Wohnung der Frau Anuschka
gefolgt. Dort läutend und tobend hatten sie vergebens der
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Öffnung geharrt. Lediglich ein bzw. zwei Blicke durch den
Briefschlitz hatten ihnen einen nackten Mann offenbart, der
aus dem Badezimmer durch den Vorraum huschte.
Infolge der Enge des Briefschlitzes und des neugierigen
Gedränges hatten die beiden Späherinnen nicht den Mann in
seiner ganzen Pracht, sondern lediglich dessen untere Partie
vom Nabel abwärts ins Visier bekommen. Dennoch hatten
beide unzweideutig jene untere Region als die des Herrn A
erkannt, da dieser infolge eines widrigen Geschwüres am
Hinterteil dortselbst ein auffallendes Klebepflaster trug.
Selbiges Gebrechen war offenbar beiden Damen
wohlbekannt. Leugnen schien zwecklos, die Misäre komplett.
Bei solch prekärer Beweislage konnte nur noch ein
gnädiger Wink des Himmels helfen. Und der wurde Herrn A
durch meinen Mund zuteil. Vor Gericht bekannte er freimütig
und treuen Blickes seine Identität mit dem durch das
Vorzimmer flitzenden nackten Pflasterträger in Anuschkas
Wohnung. Jedoch, so verkündete er gesenkten Kopfes und
ebensolcher Stimme mit festem und beleidigtem Ton, jedoch
könne von der ihm so meuchlerisch anverleumdeten ehelichen
Verfehlung keine wie immer geartete Rede sein. Denn eben
des Geschwüres wegen hatte ihm der Arzt verordnet,
allstündlich ein heilförderndes Bad zu sich und insonderheit zu
seinem Hinterteil zu nehmen. Zeitvergessend, in eiligen
Geschäften unterwegs, sei ihm urplötzlich das ärztliche Gebot
zu Sinnen gekommen. In seiner versäumungsgeschwängerten
Verzweiflung war ihm der rettende Einfall beschieden, dass
seine brave Angestellte Anuschka just in jener Gegend ihr
Logie hatte.
Im gestreckten Galopp sei er hingeeilt, habe zaghaft
angeläutet und entschuldigend um Einlaß und ein Bad
gebeten. Die brave Anuschka, von Mitleid überwältigt, habe
ihm das Badezimmer überlassen und sich selber keusch
entfernt, nach den Besorgungen des morgendlichen Einkaufes
strebend.
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Nun kann ich nicht behaupten, selbige todtraurige
Geschichte hätte den Richter zu Tränen gerührt. Sie stimmte
ihn vielmehr stocksauer. Er schleuderte den Akt mit solcher
Vehemenz auf den Tisch, dass der ehrwürdige Staub
kräuselnd nach allen vier Winden stob. Aber was blieb ihm
weiter übrig, als die rührselige Geschichte zumindest als nicht
widerlegt hinzunehmen. Die beweisheischenden Blicke durch
den Briefschlitz hatten zwar das wohlvertraute Hinterteil des
Herrn A ausgemacht, nicht aber die eventuelle Gespielin
Anuschka.
Ein angekränkeltes Hinterteil zu heilendem Zwecke in eine
fremde Wanne zu tauchen, ist schließlich kein ehewidriges
Verhalten.
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DER FALL B ODER DIE SCHEIDUNG AUF


ALKOHOLISCH

An jenem nunmehr zu schildernden Tag suchte mich eine


Dame, eine Frau, in meiner Praxis auf und begehrte meine
Mithilfe bei der Befreiung von einem großen Übel in der
Gestalt ihres zur unerträglichen Last gewordenen
Ehegemahls.
Wenn man bedenkt, dass sich die Leute dereinst zum
fressen geliebt haben, ist es schon ein rechter Jammer.
Die Frau hatte noch nicht die Unbequemlichkeit meines
Klientenstuhles erfahren, als mir zweierlei bereits klar
geworden war: Zum einen, dass sie ihren Angetrauten
grenzenlos haßte. Eine keineswegs seltene Konstellation.
Frauen wollen ja nur lieben oder hassen, was im ehelichen
Hochdrucktopf bis zur Perfektion zu kulminieren pflegt. Das
Dazwischen ist Männersache. Zweitens umhüllte sie eine
beträchtliche Alkoholaura. Nicht dass sie getorkelt wäre oder
gelallt hätte. Ihr Zustand war der des durchtrainierten
Alkoholprofis, der noch im größten Suff penetrante Haltung zur
Schau trägt, als hätte er ein Teleskop verschluckt.
Um dem Gericht ein wasserdichtes Scheidungsurteil
abzuschwatzen, bedarf es entweder der Einhelligkeit beider
Ehepartner oder eines handfesten Scheidungsgrundes,
demzufolge das offenlegbare perfide Verschulden des
anderen Streitteiles von so abscheulicher Gruseligkeit sein
muß, dass der richterliche Gerechtigkeitsgebärer, dem der Fall
ja ohnedies ebenso wurscht wie lästig ist, seinem Widerwillen
in Gestalt eines ehescheidenden Urteiles freien Lauf läßt.
Der Ehemann der Frau B war, wie sie mir unter
verächtlichem Mundgewinkel offenbarte, einer Scheidung
abhold. Also verblieb nur der handfeste Grund. Doch alles,
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was sie ins Treffen zu führen vermochte, war die Bezichtigung,
er sei ein unverbesserlicher Alkoholiker.
Meine Stirne nahm Runzeln an, mein Kopf wich weiter
zurück, um nicht dem Schnapsdusel, der ihrer gewichtigen
Erscheinung ungehemmt entströmte, vollends einverleibt zu
werden. Ich gab zu bedenken, dass ein Nackter nicht der
rechte Mann sei, einem anderen dessen Blößen vorzuwerfen.
Somit hielt ich die Sache für aussichtslos und geleitete die
Dame in gemessenem Abstand zur Tür hinaus. Mit
unverhohlener Verachtung über meine offenkundige
anwaltliche Unfähigkeit, die durch den zugegeben
unverzeihlichen Umstand, dass ich kein Honorar verlangt
hatte, zur Gewißheit geworden war, verließ sie in betont
gerader Haltung meine Kanzlei.
Die Sache wäre meiner Vergeßlichkeit zum weiteren
Verzehr gegeben worden, hätte nicht einige Tage danach das
Konterfei der Frau B aus allen Tageszeitungen geschillert.
Was dazu mittels Druckerschwärze dem Volkeswissen und
dem meinem kundgetan wurde, war schauerliche Moritat. Sie
hatte ihre Scheidungssache selbst in die Hand genommen,
und zwar in Gestalt eines ordinären Küchenmessers.
Nicht Ruhmessucht war es, noch schnöder Geltungsdrang,
sondern der Bubenstreich meines latent schlummernden
schlechten Gewissens, was mich veranlaßte, in das
Strafgerichtsgebäude zu eilen und mich als ihr
Gratisverteidiger feilzubieten. Denn hätte ich sie nicht so brutal
in ihre Aussichtslosigkeit gestoßen, das mußte ich mir
eingestehen, dann wäre ihre Tat mit großer Wahrscheinlichkeit
zu einer solchen nicht geworden. Es bedurfte einiger Mühe,
sie zur Akzeptanz meiner samaritären Anwandlung zu
bewegen, zumal sie mich, wie bereits angedeutet, für eine
anwaltliche Flasche hielt. Jedoch es gelang, wenngleich unter
massiver Hilfeleistung des Untersuchungsrichters, der ihr den
zu erwartenden Eifer eines Pflichtverteidigers realitätsnah
offenbarte.
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Der ungeneigte Leser wird mir den Verdacht an die Fersen
heften, mein Handlungseifer wäre von gekränktem Stolz
gezeugt gewesen. Hatte Frau B mir doch handgreiflich die
Unrichtigkeit meiner Rechtsauskunft vor Augen geführt: Sie
hatte die begehrte Auflösung ihrer Ehe erreicht, hatte mir
bewiesen, dass es eine Form der Scheidung gab, die mir bis
dahin verborgen geblieben war: Die Scheidung auf
alkoholisch.
So leuchtete ihr Blick auch triumphierend, als sie mir die
Vollmacht unterschrieb. Danach schilderte sie, wie mir schien
nicht gänzlich lustfern, den Ablauf ihres meuchlerischen
Kahlschlages.
Demzufolge - und ihre Schilderung erwies sich im
nachfolgenden Gerichtsverfahren als punktgenau sowie frei
von der üblichen Selbstverniedlichung - demzufolge also war
sie, wie allabendlich seit langem Brauch, in das ihrer Wohnung
gegenüberliegende Stammbeisel gestrebt, hatte dort aus dem
bereits angelegten Schlafrock wie einst Krimhild das
Küchenmesser gezogen und vor versammelter
Saufkumpanenschaft lauthals verkündet: „ Heute Nacht stech
ich meinen Alten ab!“
Das Gejohle war groß, auch das ihres gleichfalls
zugegenen „Alten“, dem die Suppe, treffender gesagt das
Hochprozentige, garbald versalzen werden sollte.
Nach dem üblichen nicht weiter getrübten Besäufnis
wankten beide Eheleute gegen zweiundzwanzig Uhr der
nahen Behausung zu. Im Ehebette angelangt, schickte sich
Herr B ohne weiteren Firlefanz an, sein angetrautes Weib
nicht nur seiner geistigen, sondern in konzentrierterem Maße
seiner körperlichen Zuneigung zu versichern. Was jenes,
nämlich das Eheweib, in der auch andernorts geübten
Gelassenheit angedeihen ließ. Sobald, obschon nach
geraumer Durststrecke, jener Zustand, in dem der Mensch
sich vorlügt, das Leben habe sich doch gelohnt, an seinem
Innersten nicht minder denn an seinem Äußersten zu rütteln
anhob, langte sie nach dem sorgsam bereitgelegten
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Küchenmesser und vertiefte dessen blanken Eisenstichling mit
gekonnter Beflissenheit sechsmal in seinen textilentblößten
Rücken.
Je seiner Hochform so ungastlich entrissen, begann Herr B
zu röcheln, diesmal lustfrei, und kippte hernach wie ein
gefällter Baum zur Seite. Frau B hingegen, kaum von der
wabbelnden Last befreit, wischte das Küchenmesser am
Leintuch ab, machte es sich neben dem so lieblos
Abgemetzelten bequem und wartete ergeben auf den Eintritt
ihres Erfolges und damit auf das Ende des Geröchels, und der
Ehe. Da ihr nunmehr Kurzzeitehemann sich einer
außerordentlichen Fitneß erfreute, genauer gesagt, er hatte
eine Roßnatur, zog sich die Prozedur in die Länge. So um
Mitternacht hatte er endlich ausgeröchelt. Flugs zog sie ihm
seinen Sonntagsanzug an, Pietät muß sein, kreuzte seine
Hände christlich über der Brust und legte sich daneben
endgültig zur Ruhe.
Am Morgen lenkte Frau B zunächst den Schritt zum
Dienstgeber ihres jüngst Verblichenen, um den Gegenseitigen
krank zu melden. Das war er in der Tat. Noch kranker geht
nicht. Als Krankheitsgrund gab sie an, er habe es im Rücken
so arg, dass er nicht fähig sei, sich zu rühren. Das war nicht
einmal gelogen. Mißtrauisch wie Dienstgeber nun mal sind,
verlangte der, eine Besoffenheit wähnend, hartnäckig nach
einer ärztlichen Bestätigung. Also ließ sich Frau B einen
Krankenschein aushändigen, suchte den Hausarzt auf, der
sich nicht lange zierte. Bestückt mit dem gewünschten Attest
„Rückenstechen“ stellte sie den aufsässigen Dienstgeber
ruhig. Hernach lenkte sie ihren Schritt zum Fleischerladen, um
eine Knackwurst zu erstehen. Mit dieser beabsichtigte sie, sich
als mittägliches Mahl ein Kartoffelgulasch zu bereiten. Der
Fleischhauer geiferte noch lästig, dass eine Knackwurst für
zwei Mäuler knauserig wäre. Zumal ihm schien, dass die wenn
auch alkoholgebremste Freßlust des ihm seit langem
bekannten Herrn B mit einer halben Knackwurst kaum zu
nullieren sein könnte. Ehe er zu einer weiteren
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Unbotmäßigkeit auszuholen in die Lage kam, schnitt sie ihm
das bereits im Kehlkopf vibrierende Wort ab und sagte schroff:
„Es ist nur für mich. Ich bin geschieden.“ Der Fleischhauer
lächelte ungläubig und haute weiter sein Fleisch.
Vor dem Nachbarhaus der Frau B stand ein Polizeiauto. Ein
Polizist saß am Steuer, der andere lehnte gelangweilt
daneben. Man kannte Frau B von zahlreichen Einsätzen
wegen nächtlicher Ruhestörung und besoffener Randaliererei.
Wohl zum Vertreib seiner lästigen Zeit sprach der eine sie an
und fragte, wie es ihr denn so gehe. Was frägt man schon zum
Zeitvertreib, wenn man auf die Antwort ohnedies nicht scharf
ist?
„Soweit ganz gut“ sagte sie beiläufig. „Nur heute Nacht
habe ich meinen Alten abgestochen.“
Der Polizist fühlte sich leicht verulkt und lachte
mißvergnügt. Frau B ging ihres Weges. Was es wohl zu
lachen gebe, fragte der Kollege abwechslungsheischend.
„Vergiß es“ erhielt er zur Antwort. „Die Tussi sagt, sie hätte
ihren Alten abgestochen.“
Jener, eine Kurzweil witternd, erwiderte: Derartiges sei
immerhin möglich. Man beschloß, Nachschau zu halten.
Frau B öffnete bereitwillig die Tür und führte ihren Besuch
schnurstracks ins Schlafzimmer. Da lag er im Ehebett, kalt und
steif, angetan mit seinem Sonntagsanzug. So begab es sich,
dass Frau B unter Geleitschutz ins Untersuchungsgefängnis
eskortiert wurde, ohne ihr Kartoffelgulasch bereitet zu haben.
Derlei Sorgen blieb sie fürderhin enthoben.
Sobald mir nach durchgeführter Voruntersuchung der
geschilderte Sachverhalt an Hand einer Akteneinsicht in allen
Einzelheiten kund geworden war, begann mich mein Übereifer
zu reuen. Was sollte ich zur Verteidigung der Frau B ins
Treffen führen? Da gab es nichts, rein gar nichts, das man zu
ihrer Entschuldigung aus dem Hut hätte zaubern können. Mir
graute vor der Schwurgerichtsverhandlung. Meine Aussicht,
diese als erfolgreicher Verteidiger in Siegerpose verlassen zu
können, verdüsterte sich zusehends, besonders bei
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Betrachtung des Vorstrafenregisters, hauseigene Bezeichnung
Speisekarte, meiner lieben Mandantin. Da waren achtzehn
Vorstrafen aufgelistet, davon sechzehn einschlägiger Natur.
Als besondere Pikanterie erwies sich der jüngste Vorakt.
Demzufolge hatte sie vor nicht allzu langer Zeit einen
Lebensgefährten auf ähnliche Weise bearbeitet. Selbiger hatte
eine noch größere Roßnatur auf die Meuchelwaage gebracht
als der nunmehr Verblichene und die Prozedur überlebt.
Möglich auch, dass es ihr damals an der Treffsicherheit
gemangelt hatte.
Alles in allem eine fatale Situation. Auf was sollte ich
plädieren? Mord ist das Töten eines Menschen mit Absicht.
Bei den Vorstrafen der Frau käme nur lebenslänglich in Frage.
Totschlag ist das ungewollte Töten im Affekt und dergleichen.
Es gab zahlreiche Zeugen, die die küchenmesserschwingende
Weissagung im Stammbeisel einhellig schilderten. Der
geneigte Leser wird die Düsternis meiner Erfolgsaussichten
mitfühlend begreifen. Aber nun gab es kein Zurück.
Die Schwurgerichtsverhandlung dauerte vier Tage. Ein so
kapitaler Hirsch muß mit allem Pomp verblasen werden. Und
die Journalisten müssen schließlich auch auf ihre Rechnung
kommen. Von Druckerschwärze allein können sie nicht leben.
Die muß zu Papier, zu viel Papier, und unter die Leute
gebracht werden, damit der Appetit gestillt wird.
Zeugen wurden gehört, ausgiebig und in allen pikanten
Einzelheiten. Die Geschworenen sollen schließlich auch was
davon haben. Zwei Psychiater wurden beigezogen. Die
stocherten wie üblich mit ihren krausen Theorien in der Seele
der Delinquentin herum, um dann weise zu befinden, dass sie
zum Zeitpunkt der Tat vollkommen zurechnungsfähig gewesen
sei. Für den vierten und letzten Tag waren die Plädoyers
vorgesehen. Das hohe Gericht verspätete sich etwas. Ich
weilte mit dem Staatsanwalt, mit dem ich bis dahin auf
freundlichem Grußfuß gestanden hatte, scherzend und
witzetauschend vor dem Saal. Endlich kam der Vorsitzende,
ein sehr liebenswürdiger älterer Herr, des Weges.
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„Meine Herren“ redete er uns in väterlich gelöstem Ton an.
„Die ist meine letzte Schwurgerichtsverhandlung. In drei
Wochen gehe ich in Pension. Ich rede euch nichts mehr drein.
Heute habt ihr Narrenfreiheit.“ Das hätte er nicht sagen sollen.
Mein Fastfreund Staatsanwalt, aufgestachelt von der
richterlichen Animation, hielt eine brillante Brandrede wie vor
dem Jüngsten Gericht. Es fehlte nur der Ruf nach der
Todesstrafe. Was blieb mir da weiter übrig, um nicht als
Versager dazustehen? So plädierte ich, mehr als Gaudium für
Gericht und Staatsanwalt gedacht, auf Totschlag. Mit
zwingender Logik gebar ich den haarsträubenden Unsinn,
gerade die Tatsache, dass Frau B ihre Tat so lauthals
angekündigt hatte, sei absolut schlüssiger Beweis dafür, dass
sie diese und deren Erfolg (sofern das Resultat als Erfolg zu
klassifizieren ist) keineswegs beabsichtigt hatte. Ein Mensch
mit geistiger Normalität - selbige hatten ihr die
Sachverständigen bescheinigt - kündige eine so abscheuliche
Tat nicht öffentlich an. Tue er es dennoch, dann meine er es
nicht ernst und wolle bloß angeben. Also keine böse Absicht,
lediglich bedauerliche Verquickung widerlicher Umstände.
Somit allenfalls Totschlag, wenn nicht gar bloß fahrlässige
Tötung.
Der Staatsanwalt kicherte verstohlen in sich hinein, der
Vorsitzende lächelte milde. Sein Blick verriet einen Anflug von
Dankbarkeit für das unverhoffte Amüsement. Die hilflosen
Geschworenen sahen mich mit großen Kuhaugen an.
Nachdem ich meine lichtvollen Offenbarungen zu Ende
gebracht hatte, zogen sie sich zur Beratung zurück. Der
Vorsitzende versagte sich die übliche Praxis, den
Laienrichtern mit wegweisenden Rechtsbelehrungen unter die
überforderten Arme zu greifen. So nahm das Urteil seinen
ungebremsten Lauf.
Als nämlich die Geschworenen wiederkamen und ihr
„Wahrspruch“ verkündet wurde, gefror dem Staatsanwalt das
Lächeln. Sie hatten die Frage auf Mord verneint und auf
Totschlag erkannt.
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Man muß auch mir die Verwunderung angesehen haben.
Ungeachtet dessen stürzte Frau B auf mich zu und wollte mich
an ihrer Freude herzhaft und handgreiflich teilhaben lassen.
Mit Mühe konnte ich das Ärgste verhindern. Derweil redete der
Staatsanwalt wild gestikulierend und mit hochrotem Kopf
gleich einem desperaten Truthahn auf die drei Richter ein. In
der Tat wäre es dem Vorsitzenden samt seinen
Senatsgehilfen gemäß seiner prozessualen Macht-
vollkommenheit in die Hand gegeben gewesen, das Urteil
wegen offensichtlichen Irrtums der Geschworenen
„auszusetzen“ und die Sache zwecks Anordnung eines
neuerlichen Verfahrens dem Obersten Gerichtshof
aufzuhalsen. Er dachte jedoch nicht daran, sich den
Erinnerungsspaß in seinem wohlverdienten Ruhestand
verderben zu lassen, und ließ den „Wahrspruch“ der acht
Geschworenen zur Wahrheit gerinnen.
Der bedauernswerte Staatsanwalt rauschte mit arktischer
Miene hinaus. Wie sollte er das seinem Vorgesetzten
erklären? Seitdem steht er mit mir nicht mehr auf Grußfuß.
Die Strafe, die Frau B abzusitzen hatte, war jedenfalls
kürzer, als die Dauer eines gediegenen Scheidungsprozesses.
Und billiger. Ich war um die Kenntnis einer neuen
Ehescheidungsart bereichert.
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DER FALL DES HERRN C ODER DIE


GELUNGENE RACHE

Der geneigte Leser wird an Hand der geschilderten Fälle


verführt sein zu vermeinen, der in Bedrängnis geschlitterte
Mitmensch brauchte sich nur in den gesegneten Schutz
meines advokatischen Beistands zu begeben, und schon sei
der Erfolg seines Rechtsfalles auf wunderbare Weise
gewährleistet gewesen. Dass dem beklagenswerter Weise
nicht so ist, dass also selbst ich nicht immer erfolgreich war,
mag der folgende Fall schamhaft erweisen:
Herr C trat zu mir als ein schmächtiger schüchterner
Jüngling von etwa 20 Jahren, staatsbeamtet und mit
tadellosem Vorleben. Verlegen trug er mir seinen Fall vor,
stockte immer wieder und schaute mich gesenkten Kopfes in
einer Weise an, als heischte er von mir nach Absolution für
eine zu begehende Sauerei.
Nun, er begehrte die Scheidung von seiner um Jahrzehnte
älteren Angetrauten, die ihm bis vor kurzem nicht nur
Bettgenossin und Mutter, sondern auch Luxusgeberin
gewesen war. Wie ein aus dem Zwinger entsprungener
Rehbock, der das Lüftchen der Freiheit zu schnuppern
bekommen hatte, verlangte Herr C die Entfesselung vom
Ehebande, zumal die lenkenden Hände seiner Ehegattin in
anderer Weise gefesselt und ferne waren. Zahlreiche
erwiesene Fälle des fortgesetzten schweren Betruges,
begangen meist an betagten Pfarrern und Klosterbrüdern,
hatten ihr selbigen Status beschieden. Mit verschiedenen
gutgespielten rührseligen Geschichten war sie von Pfarre zu
Pfarre, von Kloster zu Kloster gereist und hatte in meisterlicher
Weise erstaunlich hohe Beträge locker gemacht. Der Schaden
ging schließlich in die Millionen. Obwohl sie auf kolossal
großem Fuße gelebt und mit ihrem Ehegatten in christlicher
23
Nächstenliebe die kirchlichen Segnungen geteilt hatte, war
jeder böse Verdacht der Mitwisserschaft oder gar
Mittäterschaft vom Haupte des jugendlichen Gemahls
ferngehalten worden. Beide hatten während des gesamten
Strafprozesses einhellig und unwiderlegbar beteuert, er habe
von dem bösen Treiben keinerlei Ahnung gehabt. So war ihm
eine Strafverfolgung erspart und ihr der Seelenfriede erhalten
geblieben. Ihr kleiner Liebling war rein und unbefleckt.
Bei der Schilderung des Sachverhaltes ahnte ich schon
Düsteres und hielt diese Ahnung vor Herrn C nicht verborgen.
Er aber bestand starrsinnig auf Scheidung, zumal die
Gelegenheit nunmehr günstig sei. In der Tat ist eine
schwerwiegende strafrechtliche Verurteilung des Ehegatten
Scheidungsgrund genug. So trat ich den Weg des Prozesses
an. Frau C, vorgeführt aus der Strafanstalt, wehrte sich mit der
ganzen Leidenschaft der gedemütigten, getäuschten alternden
Frau. Sie zieh ihn der Mittäterschaft, zeigte ihn bei der
Staatsanwaltschaft an, behauptete, er habe den Großteil der
ergaunerten Beute verpraßt und habe sie immer wieder zu
neuen Taten angetrieben, ja diese von ihr sogar erpresserisch
gefordert. Sie steigerte sich in einen wahren Rausch des
Hasses, schwor ihm ewige Rache und Ruin, und verfaßte in
ihrer Zelle mit rastloser Bienenemsigkeit eine wahre Flut von
Schriftsätzen an Himmel und Hölle. Nichts aber fruchtete, die
Ehe wurde geschieden.
Ich muß mich mithin korrigieren: Ganz erfolglos war meine
Mühewaltung in dieser Causa nicht geblieben, zumindest nicht
bis dahin. Fürderhin aber sollten auf wahrhaft tückische Weise
die hilfreich dargebotenen Hände von Frau Fortuna meinem
Herrn C entgleiten.
Wider alle gerichtliche Absehbarkeit gelang es Frau C, in
den Genuß eines erstaunlich ausgiebigen Strafnachlasses zu
kommen. Kaum auf freiem Fuße, steigerte sich ihre Orgie des
Hasses gegen den einst so liebgehabten Herrn C zu wahrer
Perfektion. In kürzester Zeit und mit ausgiebig zur Schau
getragener Gläubigkeit wurde sie, behaftet mit dem Gütesiegel
24
des reuigen Sünders, dem Schoß der Kirche einverleibt. Ist
doch im Himmel mehr Freude über einen heimgekehrten
Strawanzer als über 99 psalmende Stubenhocker. Und Frau C
war heimgekehrt. Es wurde nicht nur ein Schaf geschlachtet,
man wollte auch den Kopf von Herrn C. Eine Klage zur
Wiedergutmachung des Millionenschadens wurde gegen ihn
eingebracht. Wie es das Unglück wollte, war der zuständige
und daher nicht zu umgehende Richter ein überaus eifriger
Mann des praktizierenden Glaubens, der es nicht
verabsäumte, alltäglich des Morgens vor dem Liieren mit der
blinden Justitia, Stärkung und Trost in der Kirche zu holen. Zu
ihm hatte Frau C via Kirche einen direkten Draht gefunden.
Der geneigte Leser wird meinen Schmerz verstehen, der
mir die Verbrüderung der beiden im Gerichtssaale
verursachte. Ich mußte zu Mittel greifen, die meiner von Natur
aus friedfertigen Art nicht innewohnen. Einmal reizte ich
während einer Verhandlung den armen Richter so sehr, dass
er seine dicke Brille in den Saal schleuderte und mit dem
verzweifelten Rufe hinausstürmte: „Ich halte Sie nicht mehr
aus, ich halte Sie nicht mehr aus!“
Was nützt es, eine Schlacht zu gewinnen! Der wahrhaft
Weise schlägt keine und verliert keinen Krieg. Nach nicht
weniger als zwanzig Verhandlungen (!), während welcher
besagter Richter die in heiliger Verklärtheit beinahe entrückte
Frau C - heimgekehrt ist heimgekehrt - neben sich am
Richtertisch hatte Platz nehmen lassen und beinahe auf den
Schoß genommen hatte, wurde mein inzwischen nervlich
reichlich strapazierter Klient als Mittäter und Anstifter
bezeichnet, und demzufolge zur Zahlung der vollen Länge des
Schadens verurteilt.
Selbstredend legte ich Berufung an das Oberlandesgericht
ein, wo das Urteil aufgehoben und die Sache neuerlich dem
Erstrichter zur Verfahrensergänzung zugewiesen wurde. Es
folgte eine Serie von weiteren aufreibenden Verhandlungen,
wobei besagter Richter, dem ich keineswegs guten Willen
absprechen möchte, jedesmal Frau C beinahe zur Brust
25
nahm. Schließlich faßte er einen Beharrungsbeschluß in Form
des ersten Urteiles. Siegesgewiß lenkte ich meine
Berufungsschritte neuerlich und voll Vertrauen zum
Oberlandesgericht, zumal dieses in seinem aufhebenden
Urteile als Begründung dargelegt hatte, es gehe nicht an, das
verurteilende Erkenntnis bloß auf die Aussage einer
offenkundig auf Rache sinnenden mehrfach vorbestraften
Betrügerin zu gründen. Doch, wie gesagt, man lernt nie aus.
Dieses Mal änderte das Oberlandesgericht seine Meinung,
und es ging doch an.
Ein letzter Versuch, die Weisheit des Obersten
Gerichtshofes zu strapazieren, mißlang, zumal dieser bereits
in zwei Instanzen getroffene Feststellungen nicht mehr
abändern kann.
Das Aus für Herrn C war gekommen. Gesenkten Hauptes
schlich er von dannen. Ihm war wohl klar, dass er sich in den
nächsten 300 Jahren bescheiden mußte, um den gesamten
Urteilsbetrag samt Zinsen zu zahlen.
Ob die Rache für Frau C süß war, ist mir nicht bekannt.
Gelungen war sie jedenfalls.
26

DER FALL D ODER DIE VERSÖHNUNG


WIDERWILLEN

Auf welche Weise mir die höchst zweifelhafte Ehre zuteil


wurde, Frau D zu vertreten, ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich
muß wohl vorübergehend umnachtet gewesen sein. Vielleicht
hat mich ein empfehlender Freund überrumpelt. Denn
gemeinhin pflegte ich nicht in schon laufende Prozesse
einzusteigen. Der der Frau D hatte schon das elfte Jahr hinter
sich und gute Aussichten, das Alter der Mündigkeit zu
erreichen. Der ungeübte Leser wird die Haare sträuben, doch
ich darf ihm versichern, dass vor einigen Jahren ein
Scheidungsprozeß großjährig geworden ist. Ich will nun
keineswegs potentielle Scheidungskandidaten wie
hartgekochte Eier abschrecken und beeile mich zu versichern,
dass derartige Prozeßlängen eine Rarität sind. Gemeinhin
pflegt die Haderlust der Streitgatten schon um das dritte Jahr
zu erlahmen. Auch muß ich zur Ehre der Gerichte sagen, dass
etwa dieselbe Zeitspanne schon hinreicht, um den steinigen
Instanzenweg bis zum Obersten Gerichtshof zu durcheilen.
Der Fall D hingegen zog sich wie ein abgelutschter
Kaugummi in die Länge. Er wurde auch mit ähnlicher
Glitschigkeit und mit Aufbietung aller Phantasiekräfte der
Beteiligten geführt.
Nicht unmaßgebend für solche Gemütsvehemenz war die
stimulierende Tatsache, dass beide Ehegatten in einander
angrenzenden Wohnungen logierten; Herr D in enthaltsamer
Einsamkeit und stets unter Kontrolle des Guckloches in der
Tür vis-a-vis, Frau D in Hausgemeinschaft mit den beiden
gemeinsamen und schon fast erwachsenen Söhnen. Söhne
pflegen ja stets und rückhaltlos den Standpunkt der Mutter mit
zorniger Heftigkeit zu teilen, was wohl als biologische
Tatsache hingenommen werden muß.
27
Den Scheidungsprozeß hatte Herr D angestrengt. Ihm
oblag es, zum Nachweis zumindest eines handfesten
Scheidungsgrundes, Steinchen um Steinchen der
Beweispyramide zusammenzutragen, was bei Leibe kein
vergnügliches Unterfangen ist. Außer die Angetraute ist von so
sträflicher Ungeschicklichkeit, sich mit einem buhlenden
Liebhaber beweisgesichert erwischen zu lassen. Frau D war
es nicht. Andererseits mußte Herr D wie der Teufel vom
Weihwasser die Hände davon lassen, etwa ein fremdes
Weibsstück zu sich in die Wohnung zu verfrachten. Er wäre
unweigerlich ertappt worden und hätte als selbstverschuldeter
Eheverfehler jegliche Chance auf Scheidung verwirkt. Der
geneigte Leser wird die Schwere der Last ermessen, die seit
elf Jahren auf seinen keusch darbenden Schultern und nicht
nur auf diesen ruhelos brütete.
Nach dem Studium des zum Koloß angeschwollenen
Scheidungsaktes hatte ich die Gewißheit gewonnen, dass sich
die Waage der Gerechtigkeit in bedrohlicher Einseitigkeit dem
Prozeßstandpunkt des Herrn D zugeneigt hatte. Kurz, die
Sache stand für Frau D, welche sich der Scheidung hartnäckig
widersetzte, reichlich miserabel. Da ich die Unart hatte, meine
Klienten rückhaltlos meine Meinung ins Gesicht zu knallen,
ließ ich auch diesmal Frau D daran teilhaben. Sie verließ mich
recht unwillig und bereute es wohl, mich mit ihrer
Klientenschaft beglückt zu haben; ich übrigens ebenfalls.
Frau D, angewidert von der Unfähigkeit ihrer bereits
prozessualisch konsumierten zahlreichen Anwälte, beschloß,
die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Es fügte sich
glücklich, dass sich der Start zum Lebenslauf des jüngsten
ihrer Söhne wieder einmal geburtstäglich jährte. Also nahm er
eine Flasche Weines zur Hand und läutete an der
Wohnungstür seines seit Jahren nicht einmal ignorierten
Erzeugers. Als dieser in höchster Verwunderung öffnete,
beteuerte der einlaßheischende Sproß, dass es ihm an
väterlicher Nähe am Geburtstage fehle, und ob man darauf
nicht ein Gläschen leeren könne. Das Vaterherz, ob der
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unerwarteten glücklichen Fügung Sprünge vollführend, badete
in Rührung und ließ ihn ein. Man leerte das Glas und war
beinahe zu Tränen gerührt. Die Rührung eskalierte zu dem
Vorschlag des Juniors, doch auch den Bruder an dem
freudigen Ereignis teilhaben zu lassen. Schon holte er
selbigen beflissen herbei, und man leerte zu dritt die Flasche.
Umnachtet von dem rauschenden Glück des Augenblicks,
setzte Herr D keine Gegenwehr, als man die nächste Flasche
leerte. Dabei entging seinem bereits getrübten Blick die
Tatsache, dass eine flinke Hand ein weißes Pülverchen in sein
Weinglas streute.
So war es denn nur eine Frage der Zeit, bis Herr D selig
entschlummerte.
Nun ging alles wie zu Heinzelmännchens Zeiten. Die Mama
wurde geholt, sie hatte das Nachthemd angetan, der Papa
wurde entkleidet und in seinen Pyjama gefüllt. In einem
bequemen Sessel plaziert, bestieg Frau D seinen Schoß, legte
die Arme liebevoll und kopfstützend um ihn, und es wurde
fotografiert. Dem des Ehescheidens unkundigen Leser sei
vermittelt, dass eine Versöhnung, Ansonderheit erotischer
Natur, jedem auch noch so sorgfältig aufgerichteten Gebäude
an Ehescheidungsgründen Augenblicks den Boden entzieht,
d.h. dass bei einer solchen Versöhnung alles bis dahin
Gewesene Schmonzes ist. Eine nachgewiesene schwache
Stunde in den Armen seiner Ehegattin, und Herr D konnte sich
samt seinem elfjährigen Scheidungsprozeß brausen.
Nach vollzogenem Geblitze trug man Herrn D sorgsam zu
Bette, wo er beinahe eine Polarnacht durchschlummerte. Als
er schließlich mit Brummschädel und bösen Ahnungen
erwachte, waren die versöhnungsbeweisenden Fotos schon
bei Gericht. Das Vaterherz hüpfte nicht mehr freudig, es
strampfte hilflos in den Seilen.
Aber man soll mir nicht nachsagen, dass ich die Mär
verbreitete, es lohne sich die böse Tat. Mein Kollege und
anwaltlicher Gegenspieler saß nicht auf seinen Ohren. Er
erwirkte unverzüglich die Beiziehung eines
29
Schriftsachverständigen in der Person des fähigsten
Kriminologen der damaligen Zeit, und dieser wies schlüssig
und unzweideutig an Hand der fotografisch festgehaltenen
Körperhaltung und der der Gliedmaßen nach, dass Herr D
bewußtlos gewesen war.
Ein geordneter Rückzug war am Platze. Ich beeilte mich
flugs, das Vollmachtsverhältnis aufzukündigen und wie
weiland Pilatus die Hände zu säubern. Der Prozeß, meiner
Mitwirkung verwaist, dürfte ein baldiges Ende erlitten haben.
30

DER FALL E ODER DIE TURNUSMÄSSIGE


SCHEIDUNG

Der Herr E, das muß ich neidlos anerkennen, der war ein
Bild von einem Mann: groß, muskulös, männlich bis in die
Haarwurzeln, und er fuhr den dicksten Schlitten. Die Frage
nach seinem Beruf erübrigte sich. Er war offensichtlich Imker.
Zwar besaß er nur zwei Bienen, die aber waren sehr emsig.
Um dem eventuellen bösartigen Vorwurf der Zuhälterei zu
entgehen, hatte Herr E ein sehr umfangreiches und
eingehendes Vertragswerk mühevoll erarbeitet und von seinen
beiden vom Fleiß beseelten Bienen unterfertigen lassen. Es
enthielt nebst barocken Unsinnsfloskeln - der von allen
Paragraphen verlassene blutige Laie hängt der kindlichen Mär
an, die vertragliche Sicherheit steige mit der Zahl der
geschriebenen Worte - enthielt also die Abmachung, dass sich
Herr E in Hinkunft turnusweise und abwechselnd jeweils für
ein Jahr mit einer der beiden Damen vermählen sollte. Nach
Ablauf des Jahres würde eine einvernehmliche Scheidung mit
anschließender Ehelichung der anderen Dame erfolgen.
Selbige Prozedur hätte den schützenden Vorteil, dass der
ehrenwerte Herr E unbehelligt von lästigen Nachstellungen der
Sittenpolizei gemeinsam mit angetrauter Ehegattin und deren
zu Besuch weilenden Freundin in einem wenn auch
zweideutigen Hotel ehrbar Logis beziehen konnte, ohne dem
Geruch irgendwelcher Unsittlichkeit anheim gestellt zu sein.
Etwaige mißgünstige Lästerungen, sein angetrautes Weib
würde es während seiner einsamen Spaziergänge oder
gelegentlichen Barbesuche anderweitig treiben, konnte er mit
Entrüstung und dem zur Schau getragenen und nicht
unüblichen Starrsinn des gehörnten Ehemannes von sich
weisen. Was die zu Besuch weilende Freundin betrifft, wäre er
schließlich nicht deren Gouvernante.
31
Die Sache scheint soweit ganz gut gelaufen zu sein, was
auf dem Sparbuch des Herrn E seinen wohligen Niederschlag
fand, bis das Ende der ersten vertraglich verbrieften Frist
nahte. Nach Ablauf des ersten Jahres suchte mich also Herr E
auf, damit ich die Scheidung möglichst form- und schmerzlos
über die Bühne der Justitia bringen sollte. Herr E war einer
jener seltenen Klienten, die ihrem Anwalt freimütig und
rückhaltlos die Wahrheit anvertrauen. Sosehr ich meine
Klienten immer eindringlich ermahnte, wenigstens mir die
Wahrheit zu sagen, so kam mir dieselbe diesfalls gar nicht
zupaß. Es wäre mir lieber gewesen, er hätte mich schamlos
belogen, wie das anständige Klienten sonst zu halten pflegen.
Denn die Angelegenheit war ja irgendwie faul. Also erhöhte ich
mein Honorar, so quasi als seelisches Schmerzensgeld, und
Herr E akzeptierte. Allerdings unternahm er andeutungsvoll,
doch in eindeutiger Weise, den schandbaren Versuch, mich
unter Anpreisung der außerordentlichen Qualitäten seiner
Bienen in Naturalien zu entlohnen. Jede weitere Diskussion
darüber aber lehnte ich mit dem Hinweis ab,
Tauschgeschäften grundsätzlich abhold und nur
Geldgeschäften zugetan zu sein.
Die Klage wurde eingereicht, der Scheidungstermin kam
programmgemäß. Vor dem Gerichtssaal wurde mir die
scheidende Frau E vorgestellt. Der Wahrheit die Ehre: Ich
habe selten eine so schöne Frau gesehen.
Der ungeneigte Leser wird mir jetzt unterschieben, es hätte
mich in diesem Augenblick meine Ablehnung der offerierten
Naturalien gereut. Aber was wird einem nicht alles
unterschoben.
Die Causa wurde aufgerufen, die Eheleute traten vor das
richtende Angesicht. Ich mußte vor dem Saale dem Gesetze
gemäß warten, da der Richter sozusagen unter sechs Augen
den letzten Versuch zu wagen hatte, unter Herbeiführung
einer Versöhnung die ins Wanken geratene Ehe zu retten. Das
Ganze nennt sich unsinnig genug „Sühneversuch“, als ob es
dabei etwas zu sühnen gäbe. Der Versuch zog sich unüblich
32
in die Länge. Wie ich später erfuhr, weigerte sich Frau E
plötzlich, von ihrem geliebten Manne scheidungsvoll getrennt
zu werden. Erst ein trautes Gespräch mit demselben auf dem
Gerichtsgang, in einer meinem Gehör entrückten Entfernung,
belehrte sie eines Besseren und die Verhandlung konnte über
die Bühne gehen. Das Urteil wurde gesprochen, die Ehe
geschieden.
Aber es sollte noch ein dickes Ende kommen. Frau E
wartete in der Folge die postalische Zustellung des
Scheidungsurteils ab und legte in hinterhältiger Weise eine
schriftliche Berufung ein, so dass das Urteil dem Gesetz
gemäß nicht Rechtswirksamkeit erlangte. Herr E, derartige
Infamie nicht ahnend, ließ sich seinerseits das
Scheidungsurteil aushändigen und eilte schnurstracks mit
Biene Nr. 2 zum Standesamt. Der Standesbeamte übersah
sträflicherweise die Tatsache, dass das Urteil keine
Rechtskraftbestätigung aufwies und traute die beiden
Liebenden. Flugs war der ahnungslose Herr E zum Bigamisten
geworden. Ehe ihn aber der rächende Arm des
Staatsanwaltes in seine Klauen bekam, ließ Herr E Bienen
Bienen sein, und suchte alleine unter Mitnahme des Ersparten
das Weite. Ich habe nie wieder von ihm gehört. Auf das
versprochene Honorar wartete ich vergebens. Was die
angebotene Entlohnung in Naturalien anlangt, hat sich das
alte Sprichwort bewahrheitet: Besser das Täubchen im Bett
als der Goldspatz auf dem Dach. Dennoch bereue ich meine
Ablehnung seines gewiß wohlgemeinten Anbotes auch heute
nicht, zumal er mir später anvertraut hatte, dass die zwei
Schönheiten in Mußestunden an einander Genüge zu finden
pflegten. Was ihrer Kunstausübung außer Haus keinen
Abbruch täte. Wie andere Fließbandarbeiter gingen sie ihrem
Broterwerb schließlich nicht aus purer Lust am Werken nach
und seien gerade deswegen imstande, diesfalls in der Lage,
ohne schweißtreibende, damit störende Emotionen ihre
Kunden variantenreich zu bedienen.
Ob die beiden Bienen noch summen, ist mir nicht bekannt.
33

DER FALL F ODER DIE UNGESTÖRTE


WEIHNACHT

Wie schon angedeutet, muß ich immer wieder der


schmerzvollen Erfahrung begegnen, dass die überwiegende
Zahl der anschwirrenden Klienten von dem unheilvollen
Bestreben beseelt ist, bei der Schilderung ihres Anliegens die
eigene Untadelkeit der unbequemen Wahrheit vorzuziehen.
Zwar bin ich auch der Meinung, dass selbige, nämlich die
Wahrheit, ein so kostbares Gut ist, dass sie nicht leichtfertig
jedermann anvertraut werden sollte. Allerdings verstehe ich
unter jedermann mitnichten den zum Zwecke des
Heraushievens aus einer mißlichen Klemme erwählten
Rechtsfreund, und schon gar nicht den Scheidungsanwalt.
Oft genug steht der dann wie der Ochs vor dem neuen Tor,
wenn er vor Gericht nach wortreich leidenschaftlich
vorgetragener Sittenreinheit seines Klienten ein Foto vor die
Nase geknallt bekommt, auf welchem sich der eben noch
mängelfrei Gerühmte mit seinem Buhlen schamlos und bar
jeder Hülle im Schoß des Lasters gymnastisch verrenkt. Es
täte der potentielle Klient wohl besser, frei von falschem
Scham einem Anwalt wie einem Beichtvater alles, auch die
noch so große Sauerei, rückhaltlos zu offenbaren; ist
unsereinem doch nichts Menschliches fremd, und selbst
bisweilen nicht einmal das Unmenschliche. Nur wenn man die
Wahrheit kennt, kann man den zu erwartenden Attacken der
Gegenseite vorsorgend entgegenarbeiten, wie der Arzt, der
nur dann eine Krankheit erfolgreich bekämpfen kann, wenn er
diese in ihrer vollen Tragweite erfaßt hat. Es ist mir aber klar,
dass meine Worte wie die des Rufers in der Wüste im
sandigen Wind der Realität verwehen.
Frau F, ein zierliches Persönchen von offenbar sanftem
Wesen, trug über ihrem durchaus nicht reizlos bebenden
34
Busen eine leidvolle Miene in mein Kanzleizimmer. Leise und
stockend berichtete sie mir von ihren drei kleinen Kinderlein,
die wegen deren bösartig wütenden Vaters eine freudlose
Jugend dahinfristeten, weil jenes unväterliche Mannesmonster
beinahe unausgesetzt zu schreien, zu toben und zu prügeln
beliebe, selbstverständlich grundlos und besoffen. Meine
beinahe schüchtern und der Vollständigkeit halber gestellte
Frage, ob auch sie sich möglicherweise einer Verfehlung gar
in Form eines Liebhabers zuschulden habe kommen lassen,
verneinte sie mit keuschem, vorwurfsvollem Blick. So war es
denn für mich ein Leichtes, dem Unhold eine Scheidungsklage
an den Hals zu hetzen, die sich gewaschen hatte. Dies um so
mehr, als Zeugen in Form von Nachbarinnen und Mama in
ausreichendem Maße zur Verfügung standen. Ich prophezeite
angesichts des so klaren Sachverhaltes einen kurzen
Prozeßverlauf mit erhofftem Ende und verabschiedete Frau F.
Sie schwebte zur Tür, drehte sich noch einmal um und
fragte, ob sie damit rechnen könne, das bevorstehende
Weihnachtsfest im Kreise der Familie und ohne den
unholdischen Störfaktor begehen zu können. Dies nun eben
konnte ich ihr nicht versichern, schließlich braucht gut Ding
bekanntlich Weile, denn auch die schnellste Uhr braucht ihre
Zeit. Wohl belehrte ich Frau F über die Möglichkeit einer
Einstweiligen Verfügung, womit ihr das Gericht, so das Wüten
ihres Ehemannes nicht mehr zu ertragen sei, den
abgesonderten Wohnort bewilligen könne, was allerdings auch
nicht von heute auf morgen geschehe. Weiters tröstete ich sie
über die Befürchtung hinweg, es könne ihr in der Klaue der
ehelichen Zweisamkeit durch die gewaltträchtige Hand des
Herrn F ein Leid geschehen. Für den Fall unerträglicher
Widrigkeiten empfahl ich ihr den hilfreichen Schutz unserer
gottlob tüchtigen Polizei. Schüchtern bedankte sich Frau F und
entschwebte.
Bereits am nächsten Tage, als ich nach dem Überspringen
dreier alltäglicher Hürden in Form von sogenannten
„Streitverhandlungen“ - der Gesetzgeber wird sich dabei etwas
35
gedacht haben - in meine Kanzlei kam, fand ich beim
Betreten derselben Frau F ungeduldig wartend vor. Mit dicken
Tränen in der Nasenwurzel berichtete sie mir die Moritat, dass
ihr nicht mehr liebender Gemahl sie windelweich geprügelt
habe; und das selbstverständlich ohne jeden wie immer
gearteten Grund. Entgegen anderslautenden Verleumdungen
ist das Herz eines Anwaltes nicht aus Stein. Ich war empört.
Flugs beantragte ich die einstweilige Verfügung auf
Bewilligung eines abgesonderten Wohnortes in der Form,
dass der Ehemann der ehelichen Wohnung verwiesen werden
möge.
Wie nicht anders zu erwarten, griff Herr F zur Gegenwehr.
Er suchte seinerseits einen Anwalt auf, und dieser beteuerte in
einem Schriftsatz die Lammhaftigkeit seines Mandanten. Der
böse Wolf sei Frau F, die nicht nur alle Grauslichkeiten frei
erfunden, sondern auch einen Freund zur fortgesetzten Pflege
des Ehebruches habe. Zeugen wurden dargeboten. Mir war
klar, dass sich die Causa gummiartig zu ziehen begann; eine
Tatsache, die ich meiner Klientin nicht vorenthielt. Sie war
abermals enttäuscht, stand doch das Weihnachtsfest greifbar
vor der Tür.
Doch entgegen allen tristen Vorzeichen sollte das Fest
gelingen. Am späten Abend davor bändigten drei
herbeigeholte, kräftige Polizisten unter Zuhilfenahme von
Gummiknüppel und Handschellen den tobenden Herrn F und
führten ihn unsanft von dannen. Frau F hatte verzweifelt um
Hilfe gebeten mit der tränenerstickten Beteuerung, ihr
Ehemann habe sie zum wiederholten Male brutal
zusammengeschlagen und ihr glaubhaft versichert, sie des
nächtens mit kundigem Würgegriff in ein friedvolleres Jenseits
zu befördern. Da Frau F die Frage, ob sie die Drohung ernst
verstanden habe und sich wirklich fürchte, auf das heftigste
bejahte, blieb den helfenden Beamten keine andere Wahl, als
den Bösewicht in Haft zu nehmen. Mochte derselbe auch
anfänglich ruhig, dann immer heftiger seine Schuldlosigkeit
beteuern, wer sollte das Risiko auf sich nehmen, ihn auf
36
freiem Fuß zu belassen, wo er womöglich die angedrohte Tat
begehen könnte.
Beim Abtransport steigerte sich Herr F in eine solche
Tobsucht, dass er noch in der nämlichen Nacht in eine
psychiatrische Klinik eingeliefert wurde. Man steckte ihn in ein
Gitterbett, verpaßte ihm Beruhigungsspritzen und verordnete
ihm einen sechswöchigen Beruhigungsschlaf.
Das Weihnachtsfest war gerettet.
Der geneigte Leser wird verstehen, dass sich an die sechs
Wochen ein Strafverfahren anschloß, wegen gefährlicher
Drohung und Mißhandlung. Frau F beeindruckte dabei als
Zeugin, als einzige Zeugin, zumal gemeinhin bei ehelichen
Zwistigkeiten nur die Eheleute selbst zugegen zu sein pflegen
und daher andere Zeugen nicht vorhandenen sind. Herr F
wurde schuldig gesprochen und verurteilt.
Damit war auch für mich der Scheidungsprozeß erfolgreich
in die Scheune gefahren, die strafrechtliche Verurteilung war
Grundes genug. Die schmähliche Behauptung der
Gegenseite, auch Frau F hätte sich der Eheverfehlung
befleißigt, konnte nicht erwiesen werden, so dass das
Alleinverschulden sich über den gewaschenen Kopf des
Ehemannes wie ein Kübel Unrates ergoß.
Entgegen allen Erwartungen und wider alle Sitten, ließ sich
Herr F noch nicht auszählen und wagte den Versuch, die
Kinder gerichtlich zugesprochen zu erhalten. Ein weiteres
Gericht, nämlich das am Wohnsitz zuständige Bezirksgericht,
wurde strapaziert, ebenso zwei psychiatrische
Sachverständige. Beide führten ellenlange Gespräche mit den
eingeschüchterten Kindern und gaben dann ihr Gutachten ab.
Der eine behauptete, es sei eine reine Katastrophe für die
heranwachsenden zarten Kinderseelen, wenn sie der Obhut
der Mutter übereignet würden, der zweite behauptete das
glatte Gegenteil. Ich hatte Mühe, den Richter von der
absoluten Richtigkeit des zweiten Gutachtens zu überzeugen.
Zustatten kam mir dabei die Tatsache, dass es sich bei
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diesem Sachverständigen um eine anerkannte Kapazität
handelte.
Ich will den geneigten Leser nicht weiter auf die Folter
spannen. Nach Durcheilen aller Instanzen behielt ich Recht,
und die Kinder wurden meiner Klientin zugesprochen. Ich
hatte nicht nur das Gefühl, einen mühevollen Sieg errungen zu
haben, sondern die gerechte Sache mein eigen zu nennen.
Drei Wochen später rief mich Frau F an und erklärte kurz
und bündig, sie habe soeben die Kinder ihrem geschiedenen
Mann übereignet und verlasse das Land zusammen mit ihrem
langjährigen Freund für immer. Das Weihnachtsfest hatte sie
mit diesem begangen.
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DER FALL G ODER DER DAUERBRENNER

Der Herr G, das war mein treuester Klient. Mit Fug und
Recht könnte ich in diesem Falle die Gegenwartsform wählen,
da dessen Vertretung in Scheidungssachen nicht der
Vergangenheit angehört, sein Fall als Ganzes nicht dem
Gewesenen überantwortet werden kann, weil er immer wehrt,
unausrottbar. Er ist ein Dauerbrenner, ein Hit, um es modern
auszudrücken, ein immer wiederkehrender schicksalhafter
Bumerang. Nicht, dass sich sein Scheidungsprozeß so
grausam in die Länge gezogen hätte, vielmehr ist es die Zahl
seiner Scheidungsprozesse, die die Jahre unserer
Zusammenarbeit zu monströser Länge knüpften. Viermal habe
ich ihn geschieden bzw. von einem lästigen Weib befreit, und
ich hatte das Gefühl, dass des grausigen Spieles noch nicht
genug war. Keineswegs ist es mein Bestreben, ihn durch
mißgünstiges Fabulieren in ein Negatives zu rücken; bestritt er
doch, wenn auch in sporadischen Abständen, zum Teil meinen
kärglichen Lebensunterhalt. Ich soll ihn daher, wie jedermann
seinem Ernährer, Dank und respektvolle Achtung zollen. Zwar
habe ich ihm nach gelungener vierter Scheidung pathetisch
beteuert, es sei nun genug des üblen Spieles, er möge in
Zukunft die Hände davon lassen, und ich würde ihn bei einer
künftigen Scheidung, also der fünften, nicht mehr vertreten,
doch war offenkundig ihm so klar wie mir, dass meine
Drohung dem eventuell künftigen Ernstfalle nicht standhalten
würde. Also betrachtete ich meine rechtsfreundliche
ehescheidende Vertretung seiner Person für nicht
abgeschlossen und gegenwärtig.
Der Herr G war ein Mann von durchaus Gegenteils -
hünenhafter Figur, markant ausgestattet mit Spitzbart und
Glatze. Auf Grund unserer jahrelangen Bekanntschaft konnte
ich es mir erlauben, ihm jedesmal zu versichern, zuversichtlich
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zu sein, dass der Prozeß so gut ausginge wie seine Haare.
Obgleich dieser blöde Witz schon einen Bart hat, pflegte er
sich dann in immer wiederkehrender Gleichmäßigkeit an dem
seinen zu zupfen und zu versichern, wenn er diesen nicht
zweimal die Woche ausschneiden ließe, könnte er schon im
stehen seine Schuhe damit putzen.
Als mich Herr G zum ersten Male konsultierte, besaß er
noch volles Haar, ein nacktes Kinn und ein angetrautes
Eheweib, das ihn an Haupteslänge überragte und dessen
Körpergewicht gut das Doppelte des seinigen zählte. Es
konnte mir natürlich nicht erspart bleiben, jenes voluminöse
Weib von Angesicht kennenzulernen, was meine Sinne den
Freiheitsbestrebungen des Herrn G näherbrachte. Als von
Berufswegen Reisender blieb es ihm nicht erspart, unstetig zu
reisen. Er reiste also geschäfteheischend durch das Land, was
zur unvermeidlichen Folge hatte, dass er sein angetrautes
Eheweib sehr oft des nächtens in durchseufzter Einsamkeit
beließ. Wenn er dann nach Wochen jener brotverdienenden
Kümmernis mit geblähten Segeln in den heimischen Hafen
steuerte, pflegte ihm das wortreich darbende Eheweib das
begierdenreiche Wiedersehen klagend zu vergällen. Gerührt
beschloß Herr G, hinkünftlich sein geliebtes Weib gesteigerter
zu umsorgen und des öfteren als bisher sich ihrer
anzunehmen. Ein fataler Entschluß, wie sich gar baldigst
erweisen sollte. Als er nämlich eines schönen Nachmittags
zum Behufe der freudigen Überraschung die Wohnungstür
aufschloß, stand hinter derselben ein ganz und gar fremder
Mann, bekleidet mit einem in aller Hast vor den Unterleib
gehaltenen Handtuch.
Herr G, seiner Gesamtanlage gemäß keine Kämpfernatur,
machte einen letzten Blick ins Schlafgemach, wo seine
Ehefrau mit lautem Gestöhne unter der Decke verschwand
und suchte grußlos das Weite. Zwar fand er nicht dieses, wohl
aber den Weg zu meiner Kanzlei. Zu meiner Überraschung
gestand Frau G den Fehltritt ein, besser gesagt zahllose, so
dass sie ausgereicht hätten, einen ganzen Trampelpfad zu
40
hinterlassen. Die Ehe wurde eiligst geschieden. Herr G reiste
wieder als freier Mann durch die Lande. In dem Maße, wie
sich sein Kopfhaar lichtete, vernachlässigte er die Schur des
Kinnes. Auf diese Weise hielt er seinen Gesamthaarwuchs
konstant.
Offenbar ist Bart noch in, denn es rieselten nur wenige
Wochen durch die Sanduhr und Herr G steckte wieder
felsenfest im ehelichen Korsett. Aber nicht dieses war der
Grund, der ihn neuerlich in meine Praxis trieb. Seine
geschiedene Gemahlin verlangte nämlich von ihm dreist, er
möge seine Nichtvaterschaft an dem in der Ehe geborenen
Töchterchen anerkennen, damit dieses Stammbaum und
Name des vormaligen Liebhabers annehmen könne, welchen
sie ihrerseits inzwischen geehelicht hatte. Herr G aber zeigte
kein menschliches Rühren und wollte seinem Hörner die Tour
vermasseln. Zwar riet ich ihm mit dem Hinweis ab, dass
Rache gewiß süß, mitunter aber schmerzlich teuer sei, doch
blieb er mit hartnäckigem Starrsinn bei seinem Entschluß. So
kam es, dass ihm die stolze Vaterwürde unbenommen blieb,
als Anhängsel dieser Würde wurde er verpflichtet, dem Kinde
bis zu dessen Selbsterhaltungsfähigkeit den Unterhalt zu
reichen. Er hat lange gereicht.
Wie erwähnt, war es nicht meine letzte Segnung für Herrn
G. Nach Ablauf von etwa zwei Jahren - er scheint die Dauer
seiner Ehen auf diesen erträglichen Zeitraum programmiert zu
haben - war die zweite Scheidung fällig. Dieses Mal hatte er,
gewitzigt durch den Erfahrungsreichtum des gebrannten
Kindes, nicht abgewartet, bis ihm die Schmach in Form eines
Geweihes präsentiert würde. Vorbeugend, wie ein anderer
Vitamine zu sich nimmt, hatte er mit Fleiß und Emsigkeit die
Initiative an sich gerissen. Bei der rückhaltlosen Schilderung
seiner Emsigkeit stieg mir der Verdacht auf, dass diese vor
seiner beruflichen Tätigkeit entschiedenen Vorrang genossen.
Denn er hatte auf seinem Reiseweg, wann und wo immer ihm
der Zufall seine lasterhafte Hand darbot, zugegriffen und
Frauen allerlei Kalibers emsig beglückt. Er hätte die
41
kräfteraubende Prozedur gewiß länger durchgestanden, wären
nicht habgierige Alimentationsforderungen, die an seine
Wohnadresse gerichtet waren, in mißlicher Form vor die
neugierigen Augen seiner Ehegattin geraten.
Der Hut brannte, es mußte geschieden sein. Es gelang
noch, die geschockte Ehegattin Nr. 2 von
Unterhaltsforderungen ihrerseits abzubringen. In zwei Fällen
der Folgen seiner Reisevergnügungen wurde seine
Vaterschaft mit eindeutiger Sicherheit erwiesen. Mit jener aus
der ersten Ehe waren es nun drei.
Ich möchte den geneigten Leser nicht mit der minuziösen
Schilderung der beiden weiteren Verehelichung- und
anschließenden Scheidungsfälle des Herrn G strapazieren,
zumal sich diese in dialektischer Konsequenz in nahezu
gleicher Weise wie die beiden ersten Fälle ereigneten. Nach
jeweils zwei Jahren des Eheglücks wurde geschieden. Mal
brach Herr G die Ehe, mal sein Weib. Ich will in diesem
Zusammenhang den zwar im laienhaften Volksmund
gebräuchlichen, meines Erachtens aber irreführenden
Ausdruck „Betrug“ vermeiden. Denn als Strafverteidiger weiß
ich, dass Betrug jemand begeht, der durch listige
Vorstellungen und Handlungen einen anderen in Irrtum führt,
um sich auf dessen Kosten zu bereichern. Wohl führt der an
fremden Kirschen Naschende seinen Ehegesponsen
normalerweise in die Irre, doch ist beileibe nicht gesagt, dass
er sich auch auf Kosten desselben bereichert. Zum einen
kenne ich viele, die aus solcher Fremdnascherei wie
begossene Pudel und damit keineswegs bereichert davon
geschlichen sind, oft unter saftigem finanziellem Aderlaß; zum
anderen sind sich auch hochkarätige Deuter der menschlichen
Psyche nicht im Klaren, ob ein außerehelicher Kontakt nicht
auch dem an selbiger Sportivität nicht beteiligten Ehegatten
zum handgreiflichen Vorteil gereichen kann. Wie man hört, soll
Derartiges wahrhaft beleben und dem schon Erlahmenden zu
neuen unverhofften Kräften verhelfen. Sollte man diesem
Berichte Glauben schenken können, so müßte logischerweise
42
auch der nicht unmittelbar beteiligte Dritte ein potentieller
Nutznießer und keineswegs ein Geschädigter sein.
Nun, Herr G wurde zum vierten Male der Ehe entbunden,
und es gelang, ihn in allen Fällen von lästigen
Unterhaltszahlungen an geschiedene Ehefrauen rein zu
halten. Was die Folgen seiner Lustbarkeit, nämlich die Kinder
betrifft, trug er dieses Los mit Stolz und Würde. Er zahlte
allmonatlich unverdrossen an fünf verschiedene Adressaten.
Bei seinem letzten Abschied wollte ich ihm das Versprechen
abpressen, in Hinkunft die Finger davon zu lassen und
zumindest nicht wieder zu ehelichen. Herr G lächelte
verschmitzt aus seinem schwarzen Barte und meinte nur:
„Was soll ich machen, Herr Doktor, die Frauen mögen mich
eben.“ Und er vertraute mir an, dass die fünfte Eheschließung
bereits fixiert sei.
Ich machte mich erbötig, ihm einen Hammer zu leihen,
damit er sich die Sache aus dem Kopf schlagen könne. Er
aber winkte lächelnd ab und entwand sich meinen
wohlgemeinten Rat.
Vor kurzem mußte ich erfahren, dass ihm der oberste
Schiedsrichter inzwischen aus dem Rennen genommen hat.
Er hätte es ja durchgehalten. Sein Herz aber nicht. Wie man
sieht ist die Sache doch eine Herzensangelegenheit.
43

DER FALL H ODER DER FEURIGE


PAPAGALLO

Die Frau H war eine rassige Schönheit mit wonniglicher


Katzenstimme, die sich geschmeidig durch die Ohrmuschel
wand und seidig an das Trommelfell schmiegte. Bei ihrem
seichten Auf- und Abklingen war man versucht, die
Entschlüsselung der darin gebetteten Worte beiseite zu lassen
und sich ganz den wohligen Tönen hinzugeben. Man war
versucht, doch habe ich im Laufe meiner langjährigen Praxis
gelernt, dass es sehr viel weniger einträglich ist, der lockenden
Versuchung nachzugehen, als ihr mannhaft zu widerstehen.
So widerstand ich dem und hörte mir die Schilderung ihres
wahrhaft bejammernswerten Eheschicksals an.
Als keusches, den luziferischen Ränken Gott Amors noch
nicht auf den Leim gegangenes, aber um so neugieriges
Mädchen von durchaus ausgereiftem Alter, war sie in den
Süden gereist, um dortselbst den schlanken Körper für alle
Fälle zu bräunen. Wie nicht anders zu erhoffen, war gar
baldigst ein brauner papagalischer Schönling an ihre samtige
Seite getreten und hatte gestikulierend, sprudelnd, begeistert
in fremder melodischer Sprache die Schönheiten des Daseins
und ihres Körpers gepriesen. Immer wieder hatte er die
trainierten Muskeln und was sonst noch protzig an ihm war,
gerollt, was dem damals noch Fräulein H als Krönung des
urlaublichen Glückes höchstes, wenn auch unterdrücktes
Entzücken entlockte. Der Papagallo, ein Kavalier vom Scheitel
bis hinunter, stellte seine Sprache auf mühsam gesprochenes
Deutsch um und gab beiläufig zu verstehen, dass er materiell
reichlich ausgestattet sei, zumal er den höchsten adeligen
Kreisen entstamme. Das Entzücken des Fräulein H schwoll,
und man beschloß, einen gemeinsamen Tanzabend zu
verbringen. Bei selbigem kam man sich zwangsläufig näher,
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klemmte sich zu gemeinsamem Schwitzen im Takte lustvoll
aneinander, und das Feuer der Leibe war entfacht. Nur wer
dieses kennt, weiß wo es brennt.
Tage des Glückes reihten sich aneinander. Herr Papagallo
war sprühend und aufmerksam, wie es ein Liebender in
unseren Breiten niemals zu Wege brächte. Was das Fräulein
H in so grenzenloses achtungsvolles Entzücken versetzt hatte,
war der Umstand, dass er ihre Unberührtheit respektierte, mit
übermenschlich stöhnender Anstrengung seinen inneren
Schweinehund überwand und sich ihr voller Entsagung
dergestalt nicht näherte. Das hätte ihr zu denken geben sollen.
Der schmerzvolle Abschied kam unweigerlich. Man schwor
sich ewige Liebe und Treue, und er gestand unter Tränen,
dass er doch nicht so edler Abkunft sei und widriger
Schicksalsschläge wegen sich sein Brot als Pizzakoch
verdienen müsse. Eine kleine Kriegslist, Mama Mia. Welches
liebende Frauenherz würde dem nicht verzeihendes
Verständnis entgegenbringen? Fräulein H seufzte vergebend.
Liebe überwindet bekanntlich alle Schranken. Man wiederholte
den Schwur und versprach, sich auf ewig zu verbinden.
Entgegen jedem papagallischen Ehrenkodex meinte es
dieser aber ernst. Er kam wenige Wochen später angereist,
pomadegeschniegelt und mit Köfferchen in der Hand. Stolz
zeigte ihn Fräulein H wie eine seltene Beute herum, stellte ihn
der Familie vor. Diese rümpfte die Nase und riet von solchem
Unsinn ab. Als das nichts nützte wurde getobt, mit Enterbung
gedroht, was bekanntlich den Starrsinn noch weiter verschärft.
Dieser Weisheit war man in patriarchalischer Zeit offenbar
kundig, denn man verfrachtete in solchem Falle das plärrende
Töchterlein kurzerhand zu Verwandten aufs Land, wo sich die
Wogen früher oder später glätteten. Freilich ging bisweilen
dabei ein Jägersbursche hilfreich zur Hand, so dass der
erzielte Effekt nicht eben ideal zu nennen war.
In unserem Falle besaß der Vater weder patriarchalische
Macht noch Verwandtschaft am Lande, und Fräulein H setzte
ihren Willen durch. Vater schwitzte dicke Tausender und
45
kaufte eine Pizzeria. Es wurde geheiratet. Die Braut trug mit
leichtem Bedauern zu Recht weißen Schleier. Der Bräutigam
nahm zum Zeichen seiner Ergebenheit den Familiennamen
der Braut an. Aus dem Süden reiste eine unzählige
Mischpoche herbei, fett und rund La Mama, im abgeschabten
Sonntagsanzug il Papa. Peinlich, peinlich.
Fräulein H, nunmehr Frau H, umschiffte alle Klippen so gut
es ging und trat trotzigen Schrittes in das neue Eden der Ehe.
Nun saß sie mir gegenüber, den Blick gesenkt, und gestand
stockend, errötend, dass sich ihr Papagallo im Verlaufe der
mehr als einjährigen Ehe trotz mehr oder minder heftigen
Versuchen bislang ihr nicht genähert hatte. Sie war
jungfräulich wie am ersten Tag. Nun war sie des Geseufzes,
der Liebesbeteuerungen und mannhaften Tränen satt. Sie
wollte geschieden sein, möglichst auf der Stelle.
Auch ich konnte einen herzhaften Seufzer nicht
unterdrücken. Dann sagte ich ihr, sie solle sich frei machen
von dem Gedanken, dass ohne das Einverständnis des
anderen Partners die Ehe von heute auf morgen geschieden
werden könne. Dieses Einverständnis lag aber offenkundig
nicht vor. Selbst eine Klage auf Aufhebung der Ehe wegen
Unvermögens des Ehegatten bedarf einer gewissen
zeitraubenden Prozedur. Frau H sah ein. Wir verabredeten,
dass ich ihren Ehegatten zu einem klärenden Gespräch laden
würde, um ihm eine bessere Einsicht abzuringen. Vorsorglich
nahm ich noch andere Daten auf, die in solchem Falle
erforderlich sind. Dabei fiel ich der Routine zum Opfer und
fragte gedankenlos, ob der Ehe Kinder entsprossen seien.
Flugs entschuldigte ich mich, doch Frau H sah mich mit
vernichtendem Blicke an und war sich wohl gewiß, dass ich ihr
überhaupt nicht zugehört hätte. Ich mußte sie schleunigst
besänftigen und in meine Rede Fakten aus ihrem Berichte
einflechten, die ihr das Gegenteil bewiesen. Abschließend
fragte ich noch, ob sie mit ihrem Problem hilfesuchend einen
Arzt konsultiert hätte. Doch, doch sagte sie schüchtern, aber
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der sei auch nicht der richtige Mann gewesen. Sie hatte mich
wohl mißverstanden.
Wenige Tage später erschien Herr H. Zwar neigte er schon
zu eunuchenhafter Fettleibigkeit, offenbar des vielen
pflichtgemäßen Verkostens der Pizzen wegen. Ansonsten
schien er mir eine ganz stattliche Erscheinung, etwas klein
geraten, doch feurigen Blickes, gezwirbelten Schnurrbartes
und durchaus selbstbewußten Gehabes. Sobald ihm jedoch
anhand meiner soweit als möglich schonungsvoll und
behutsam vorgetragener Rede bewußt wurde, dass ich
Kenntnis von der beklagenswerten Situation seiner
Männlichkeit hatte, verfiel er zusehends. Einer aufgeblasenen
Gummipuppe gleich, die ein Schalk listigerweise mit einer
Stecknadel angebohrt hat, sank er langsam in sich
zusammen. Ich mußte schon fürchten, am Ende einen nassen
Fetzen übrig zu haben und beeilte mich, ihm wortreich zu
versichern, dass sein zugegeben nicht bejubelnswerter
Zustand selten auch wieder nicht sei, dass auf der
menschlichen Natur vielfältiger Segen ruhe, und dass jeder
Fehler durch einen zumindest gleichwertigen Vorteil
aufgewogen werde. Der Mann tat mir aufrichtig leid. Ein
robuster Typ hätte sich gewiß leichtfertig abgefunden. Er aber,
ein sprühender Südländer, dem die Lendenregheit von aller
Welt auferlegt, ja erfordert wird, er war ein erledigter Mann. Ich
versicherte ihm meine äußerste Diskretion und schlug ihm vor,
die Sache schmerzlos durch Aufhebung der Ehe zu
bereinigen. Wie eine zu Tode getroffene Wildsau stöhnte er
auf, hätte er doch vor Gericht seine mangelhafte Männlichkeit
einzugestehen gehabt. Dazu kam noch der äußerst
unglückliche Umstand, dass er der bereits brieflich auf
Nachwuchs drängenden südlichen Verwandtschaft erst jüngst
einen solchen vorgeflunkert hatte.
„Diese Schande, diese Schande, oh Mama mia!“ Er vergrub
das Gesicht tränenreich in seinen Händen.
Es gelang mir, ihn zu beruhigen, und wir vereinbarten eine
einvernehmliche Scheidung. Beim Abschied sah er mich mit
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seinen feuchten Augen an, und sein langer Händedruck war
von der Art, dass mein schon vorher gehegter Verdacht zur
Gewißheit erhärtet wurde. Flugs entzog ich ihm meine Hand
und öffnete rasch die Tür. Er wäre mir sonst wohl an die Brust
gesunken.
Was den angekündigten Nachwuchs betraf, so hat er den
mittels einer traurigen Botschaft an die südliche Familie an
bösem Keuchhusten dahinscheiden lassen.
48

DER FALL I ODER DIE MIDLIFE CRISIS

In diese, nämlich die vielgescholtene Midlife-Crisis, ist Herr


I hineingestolpert wie ein Besoffener in ein offenes Kanalloch.
Gleich einem solchen strampelte er darin herum, bis es ihm
wundersamerweise erging wie dem Frosch in der Milch, der so
lange strampelte, bis er auf einem Butterballen saß. Auch Herr
I verspürte eines Tages süße Butter unter seinen Füßen, die
ihm gar wohlig mundete. Ei, dachte er bei sich, so ist es also
mit dem Wechsel des Mannes: Er wechselt von einer zur
anderen.
Mit seinen 43 Jahren war ihm knallhart zu Bewußtsein
gekommen, dass die letzten Jahre in immer rasanterem
Tempo an ihm vorbeigerauscht waren, und dass es wohl in
Zukunft noch schneller ginge. Eines Tages würde er daliegen
mit gekreuzten Händen im schwarzen Tuch und würde sich
fragen, was es ihm denn außer Schweißfüßen eingebracht
habe, das gehetzte Rennen hinter dem großen Glück, das
einem der große Meister unaufhörlich vor der gierigen
Schnauze herzieht, wohlwissend, dass man es nie erreichen
kann. Er würde sich fragen, was er von dem fetten Kuchen
abbekommen hätte, der da gebacken läge, duftend hinter dem
hohen Zaun aus TUT-MAN-NICHT und DARF-MAN-NICHT.
Und so beschloß Herr I, solange es noch ginge, ohne
Rücksicht auf Moral und Sitte, ein großes Loch in den Zaun zu
schlagen und noch einmal, vielleicht ein letztes Mal zu leben.
Wäre I ein Held gewesen, hätte er sein Ränzlein geschnürt,
auf Familie, Gehörtsich und gesellschaftlichen Plunder
gepfiffen, und wäre als Strotter seines unbeschwerten Weges
gezogen. Doch er war kein Held. Wer ist das schon in der
heutigen Zeit, wo die alten Helden müde und die neuen mit
dem Verdauen des großen Fressens reichlich beschäftigt und
wohl auch überfordert sind? Helden sind wie Spritzkerzen. Ihr
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Leben ist hell und sprühend, aber kurz. Spritzkerzen braucht
man nur zu Weihnachten. Wie oft ist das schon?
Beinahe 20 Jahre waren ins Land geflossen, seit er mit
seiner Auserwählten freudig das Jawort getauscht hatte. Vier
Kinder hatte sie ihm geschenkt, oder mehr oder minder
keifend aufgedrängt. Die Familie war, welch eine Seltenheit,
eine intakte, die Ehe - in den Augen der wohlmeinenden
Nachbarschaft - glücklich. Daran sollte sich auch durch
besagten Reinfall in das Kanalloch nach dem redlichen
Vorsatz des Herrn I nichts ändern. Er würde weiter der
erfolgreiche Geschäftemacher bleiben, der gute Familienvater,
der treusorgende Ehemann. Hatte ihm nicht sein Beruf
genügend schauspielerische Fähigkeit abverlangt, wenn es
darum ging, sich und seine Produkte hochpreisend zu
vermarkten?
Ein guter Freund, der selbst nichts zu verlieren hatte, da er
bereits vor Jahren aus dem lästigen, täglich und stündlich
Sichverantwortenmüssen, durch die Segnungen der
Ehescheidung entlassen worden war, gab Starthilfe. Dieser
mietete auf seinen Namen eine hübsche kleine Wohnung und
händigte den Schlüssel seinem anonym verbleibenden Freund
aus. Herr I schlüpfte freudig erregt in die neue Haut und legte
sich kräftig in die Riemen. Zunächst versah er die
Wohnungstür mit dem Schild „Dr. Müller“, richtig originell,
fütterte den Eiskasten bis zum Rand mit allerlei Leckerem und
gab in freudiger Erwartung via Telefon ein Inserat folgenden
Inhaltes auf: „ Sportlicher gutaussehender Akademiker in
besten Verhältnissen, 38/185, sucht hübsche flotte Dame mit
Tagesfreizeit“. Das mit den 38Jahren war etwas gemogelt.
Sah er nicht tatsächlich um einige Jahre jünger aus? Und bei
den 185 mußte er sich strecken. Bei dem, was er vorhatte, war
das unerheblich. Die Horizontale gleicht alles aus.
Am darauffolgenden Samstag erschien die Zeitung. Hastig
durchblätterte er den Annoncenteil. Da erstarrte sein Blick zu
Eis. Der Text war da, doch ein Druckfehler hatte sich
eingeschlichen, statt 38 stand da 83. Verdammte Schweinerei!
50
Was sollte er nun machen? Die Zeitung belangen? Er würde
sich der Lächerlichkeit preisgeben. Nach einer kräftigen
Labung aus dem Eiskasten beschloß er, in der nächsten
Samstagausgabe ein anderes Inserat unterzubringen. Gut
Ding braucht eben Weile.

Zur Mittagszeit, wenn andere Menschen ihre Siesta zu


halten pflegen oder auch am Bürotisch zu einem Nickerchen
die Augenlider herablassen, begann Herr I es sich zur
Gewohnheit werden zu lassen, unbemerkt seine neue
Wohnung aufzusuchen, genüßlich das unterwegs erstandene
Freßpaket zu verzehren, sich hernach auf das Bett zu legen
und sinnend das Glück endlich ungestörten Alleinseins zu
genießen. Kein Telefon konnte ihn stören, niemand wußte von
seinem Dortsein, er fühlte sich endlich frei.
Am Dienstag kam die erste Post. Da staunte Herr I nicht
wenig. Als Echo auf sein Inserat (83 Jahre!) ergoß sich eine
Flut von einsamen Herzen über ihn. Meist 70-jährige,
durchaus rüstige Damen, priesen ihre hausfraulichen und
krankenschwesterlichen Talente und schmachteten förmlich
danach, die Bekanntschaft des sportlichen Dreiundachtzigers
zu machen. Die Altersskala reichte sogar bis zu einem 21-
jährigen Blondchen, welches, eine baldige Erbschaft witternd,
sich zu allerlei blutdruckerhöhenden und damit
beschleunigenden Diensten erbötig machte. Das Luder
verstieg sich zu verlockenden Heucheleien, wie: sie fühle sich
nur zu reiferen Männern angezogen, lechze nach der Güte
einer seniorigen Vaterhand und verabscheue überhaupt die
herzlose Leichtfertigkeit, mit der die heutige Jugend über die
wahren werte des Lebens hinwegzutrampeln pflege. Herr I
besah sich lange die veilchenblauen Augen des beigelegten
Fotos und schüttelte wehmütig den Kopf. Den ursprünglichen
Gedanken, einen zarten Faden zu dem Blondchen zu spinnen,
verwarf er schließlich. Seufzend entwarf er ein neues Inserat.
Diese Mal erhöhte er sein Alter um ein züchtiges Jahr auf 39.
Vor der magischen Vierzigermarke schreckte er zurück. Seine
51
Befürchtung, dass nun ein 93-jähriger Lustgreis feilgeboten
würde, erfüllte sich nicht. Am nächsten Samstag war das
Inserat frei von Druckfehlern. Und siehe, die mit Spannung
erwartete Korrespondenzflut stellte sich ein. Die rührenden
Anpreisungen der alten Suppenhühner aus dem ersten Inserat
vertraute Herr I seiner WC-Muschel an - es waren in den
Folgetagen noch zahlreiche hinzugekommen - und widmete
sich ganz der Analyse der neusprießenden Korrespondenz.
Was ihm erfolgsträchtig schien, stapelte er sorgsam und
begann mit sonorig verstellter Stimme, Telefonnummer um
Telefonnummern abzuklappern, Süßholz raspelnd als Dr.
Müller zu gurren und schließlich Rendezvous zu vereinbaren.
Dabei sah er sich mit dem heikelsten Punkt seiner Mission
konfrontiert, mußte er doch bei der persönlichen
Fleischbeschauung aus seiner anonymen Geborgenheit treten
und gleichfalls sein echtes Gesicht offenbaren. Was half es?
Er mußte in den sauren Apfel beißen. Anders war die Chose
nicht zu bewerkstelligen.
Klopfenden Herzens wie schon lange nicht mehr, ging er
zum ersten Rendezvous zur mittäglichen Zeit. Denn des
Abends hatte er, der langgediente Ehekrüppel und
treusorgende Familienvater, zur gewohnten Stunde zu Hause
zu sein. Er ertappte sich, dass er ohne Unterlass mit fahrigen
Blicken die Umgebung maß, stets panisch fürchtend, ein
wohlmeinender Bekannter würde ihn ertappen.
Nachdem er sich solcherart jedes Mal in die Nähe des
Herzinfarktes manövriert hatte, gelang es ihm schließlich, das
strapaziöse Zeremoniell des Sichkennenlernens hinter sich zu
bringen. An herben Enttäuschungen hatte es dabei nicht
gefehlt. Einige passable Exemplare blieben schließlich im
siebenden Rost seiner Qualifikation hängen, und waren reif
für Hausbesuche zur mittäglichen Zeit in seinem wohligen
Unterschlupf.
Ich will mich nicht in Details verlieren. Herr I genoß die
neue Freiheit und die wiederentdeckte Sonnenseite des
Lebens. Dahin waren die Midlife-crisis, dahin der düster
52
fixierte Blick auf das rasend näher rückende schwarze Loch
am Ende seiner Tage. Er lächelte beständig voller
Mannesstolz in sich hinein, hatte er es doch auf eine stattliche
Zahl von mehr oder minder regelmäßig antänzelnden
Gespielinnen gebracht. Er bewunderte die ungeahnt rasche
Regenerierfähigkeit seiner Jugendkräfte und ward zufrieden.
Weniger zufrieden befand sich seine Ehefrau. Denn dieser
fielen gar bald die gefährlich schwindenden Kräfte ihres
trauten Gemahles auf. Er fiel zusehends müderen Atems in
den Fernsehstuhl, und war schier nicht mehr hochzukriegen.
Frau I fing an, sich ernstlich Sorgen zu machen. Und wenn
sich Ehefrauen um ihre Männer sorgen machen, werden sie
gefährlich. Noch gefährlicher.
Kurz, sie vertraute sich ihrer Freundin an, und diese,
erfahren in drei Eheschlachten und schon lange erpicht, eine
Blöße des Herrn I zu entdecken, gebar einen teuflischen
Bazillus, der in Form von Mißtrauen in Frau I zu wuchern
begann. Die beiden Töchter Dianas setzten sich auf die Fährte
des Ebers, und bald hatten sie herausgefunden, dass er
allmittäglich, verdächtig ängstlich um sich blickend, in einem
bestimmten Hausflur verschwand. Der Bazillus hatte sich zur
schrecklichen Gewißheit gemausert: Herr I ging fremd. Er
holte sich nicht bloß den Appetit auswärts, er speiste auch
dort. Seine Gemahlin wallte förmlich vor Empörung und
engagierte schließlich einen Detektiv.
Dieser hatte ein leichtes Spiel. Unbemerkt fotografierte er
Herrn I beim ängstlichen Betreten des Etablissements, ebenso
einige der emsig nachdrängenden Damen. Im Besitze der
Fotos eilte Frau I zu einer Anwältin - eine besonders
hartnäckig verbissene Spezies in diesem Gewerbe - und man
zimmerte die Scheidungsklage. Mit dieser und mit der Last der
drückenden Beweise im Genick, fand Herr I seinen Weg zu
mir. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, nach dem
Studium der Unterlagen beglückt gewesen zu sein. Aber
schließlich ist meine Aufgabe zu helfen und nicht zu richten,
schon gar nicht hinzurichten. So richtete ich ihn auf mit
53
munteren Worten, vergaß nicht scherzend seiner Regheit
Anerkennung zu zollen, und empfahl ihn meiner Obhut.
Letztlich verstehe ich meine Aufgabe nicht nur darin, die
zarten Gefäße der Ehe zu zertrümmern, sondern, wo dies
geboten scheint, sie nach Kräften zu bewahren. Und Herr I
liebte seine Gattin nach wie vor. Seinen sportiven Ausritt
empfand er zwar nicht als fair, so doch als entschuldbarer
Fehltritt, wie wenn ein Abstinenzler mal über den Durst
getrunken hat.
Wie schon einmal gesagt, ist die Wahrheit ein sehr
kostbares Gut. Bei der Gerichtsverhandlung stritt mein Klient
mit gekränkter Miene alles rundweg ab, gab sich als in
tückischen Fallstricken des Zufalls Gefangener; habe er doch
lediglich seinen Freund, der ja nachgewiesenermaßen
Wohnungsmieter war, besucht, um mit diesem zwecks
mittäglicher Entspannung ein Gläschen Bier zu leeren. Dass
jener, ein vogelfreier Junggeselle, nachträglich auch diversen
Damenbesuch empfangen habe, sei nicht sein Kaffee und
schon gar nicht sein Bier. Tatsächlich konnten weder der
Detektiv noch Fotos bekunden, dass Herr I die diversen
Damen zwecks Pflege unsittlicher Übungen empfangen habe,
und auch der Richter befand schließlich, dass in dem Betreten
der Wohnung eines Freundes nichts Sträfliches zu finden sei.
Frau I brach in verzeihende Tränen aus, die Klage wurde
zurückgenommen. Arm in Arm verließen beide den
Gerichtssaal. Zurück blieb der verstehend lächelnde Richte,
meine schäumende Kollegin, deren Blick mir ewige Rache
schwor, und ich selbst.
Der ungeneigte Leser wird versucht sein, die Frage nach
einem Gewissen zu stellen. Aber was wiegt schon auf der
silbernen Schale des Lebens ein schlechtes Gewissen gegen
die Versöhnung zweier Liebenden?
54

DER FALL J ODER DIE UNTADELIGE


HAUSFRAU

Die Frau J und ihr Gemahl lebten seit vielen Jahren in


ihrem schönen Haus am grünen Stadtrand, umrahmt von
allerlei Gesträuche und Gebäume, in einer bis in die
Nachbarschaft wahrnehmbaren Harmonie. Sie hatten im
Verlaufe der des Weges geronnenen Jahre nicht nur die Zahl
ihrer Bäume emsig vermehrt, sondern auch die Menschheit,
so dass die Familie als komplett bezeichnet werden konnte.
Wenn Herr J des morgens seinen dicken Brummer aus der zu
engen Garage zirkelte, ließ er in seiner jedem ordentlichen
Manager zustehenden Gewißheit ein geordnetes Haus samt
ebensolcher wunschlos glücklichen Hausfrau zurück. Wenn er
des Abends den Brummer wieder in die Garage zwängte, fand
er ein sauberes Haus, ebensolche Kinder und einen
wohlgelaunten Fernseher vor, vor dem sich nebst blauem
Burgunder die Hektik des Tages allmählich entspannte. Dabei
war ihm freilich entgangen, dass seine durchaus ansehnliche
Frau, die säuberlich Haus und Kinder besorgte, bisweilen
einen Zug im anmutigen Gesichte trug, der alle Traurigkeit der
grünen Witwe ausdrückte. Aber welchem Irdischen schenkt
schon Frau Zufriedenheit ihre restlose Gunst?
Herr J, dessen Kopf die täglichen Geschäfte wie ein
Bienenschwarm bevölkerten, war sich gewiß, alles zur
irdischen Glückseligkeit seiner Ehegattin Erforderliche
beigesteuert zu haben. Er behandelte sie zwar nicht mehr mit
der vorehelich geübten Kavaliersbeflissenheit, doch war er
niemals unhöflich oder gar grob und pflegte ihr guten Mutes
freundlich zuzulächeln, wenn er gelegentlich den Blick von der
Flimmerkiste wandte. Überdies sah er großzügig über ihre
zwar überflüssigen und kostspieligen Launenhaftigkeiten
hinweg, wie Einkaufsbummel und allzu häufige Besuche bei
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Friseur und Kosmetikerin. Gönnerhaft sah er darüber hinweg,
soll man doch jedem Menschen seine kleinen Freiheiten
lassen.
Eines schönen, oder besser gesagt unschönen Tages,
sollte Herrn J aber die Zufriedenheit mit sich und seinem
Weibe gallig versalzen werden. Es traf ihn nämlich
keulengleich ein telefonischer Anruf aus der „Casanovabar“,
mit dem eine säuselnde Stimme die Bezahlung der im Laufe
der Zeit zur Beträchtlichkeit angewachsenen Schuldensumme
der Frau J dortselbst einmahnte. Herr J seinerseits hielt das
zunächst für einen blöden Scherz, lächelte amüsiert und
berichtete selbiges in gleicher Weise des Abends seiner
Angetrauten. Ihm war dabei allerdings, als wäre das
Amüsement auf ihrer Seite nicht von gleicher Vergnüglichkeit.
Denn sie zuckte zusammen und tauchte ihr Gesicht in fahle
Bläßlichkeit, stotterte etwas von Gemeinheit und verließ
fluchtartig das heimelige Wohngemach. Zurück blieb Herr J
mit geweiteten Augen, die in eine Leere schauten, welche
nicht diesseits und nicht jenseits war. Hatte er ein heiteres
Lachen erwartet, wie dies bei einem leichtfertigen Scherze zu
räsonieren pflegt, so war statt dessen aus sonnigem Himmel
ein Hammer mit dumpfem Schlage auf sein Gehirn gesaust.
Sollte sie etwa doch? Ihre Reaktion ließ offenkundig keine
andere Deutung zu. Durch seinen Kopf schwirrten wie
faustdicke Fledermäuse die Kosmetikerin, der Friseur, der
Einkaufsbummel usw. Auch fiel ihm ein, dass sein so
untadeliges Weib ihn jüngst, als fiebernde Unpäßlichkeit ihn
beschlichen hatte, und er aus nämlichem Grunde der unrasten
Arbeitsstätte ferngeblieben war, mitnichten ihn sorgend
umhegte. Ihn seinem tückischen Siechtum überlassend, war
sie für fünf Stunden zur - wie sie angab - Kosmetikerin
entfleucht, und das keineswegs mit ob des daniederliegenden
Gatten sorgender Miene.
Ein Licht, ja eine ganze Straßenbeleuchtung ging ihm
urplötzlich auf. Sie, das schamlose, herzlose Weib, hatte ihn
offenkundig seit langem schon treulos genarrt und ihn, den
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ahnungslosen, auf eheliche Treue bauenden Einfaltspinsel so
schrecklich hintergangen. Sie hatte es bei Tage getrieben, und
weiß der Teufel in welchen anrüchigen Lokalitäten noch, hatte
Schulden gemacht und wohl diverse nichtsnutzige Gigolos
ausgehalten. Das Schlimmste aber: Gewiß hatte schon alle
Welt davon Kenntnis, gewiß lächelten die sogenannten guten
Freunde in hämischer Schadenfreude seit langem hinter ihm
her. Ist es doch allemal der Hahnrei selbst, der als letzter von
seiner zweifelhaften Würde Kenntnis erlangt. Nun war also er,
der sich über derlei mißlichen Zustand erhaben glaubte, der
mit Vorliebe im Freundeskreis darüber zu witzeln pflegte, war
er also nun selbst Zwölfender. Welch eine Schande. Unter der
Last des Geweihes stöhnte er und empfand gute Lust,
Augenblicks davonzurennen, davor aber mit bloßen Händen
das treulose Weib zu erwürgen. Mannhaft zähmte er seine
Begierde und beschloß, zwecks größerer Racheentfaltung
einstweilen zu tun, als wäre nichts geschehen, und unbemerkt
Steinchen um Steinchen der gesammelten Beweislast
aufeinanderzutürmen, bis die unumstößliche Pyramide groß
genug sei, jeglichen Zweifel an dem schandbaren Tun zu
erdrücken.
Ein Detektiv wurde engagiert, es wurde observiert und
recherchiert. Detektive sind wie Rennpferde. Sie müssen
Erfolge bringen, ihre Daseinsberechtigung rechtfertigen, um
nicht im Schlachthof zu landen.
Frau J wurde, wann immer sie das eheliche Haus verließ,
beäugt und verfolgt. Und dann, nach wenigen Tagen, lag in
den zitternden Händen des Herrn J ein umfangreicher Bericht,
der von allen ihren Schritten nebst Zeit- und Ortsangaben
Kunde tat. Ob die Hände des Herrn J wegen des
Berichtsinhaltes oder der Honorarnote des Detektivs zitterten,
ist mir nicht bekannt. Tatsache ist, dass er die Moritat bestätigt
fühlte, und Augenblicks die Scheidungsklage einbrachte.
Mit dieser in der Hand und zarter Röte im Weiß der Augen,
betrat Frau J meine Kanzlei. Alles sei erstunken und erlogen,
schwor sie mit bebender Stimme und ebensolcher Hand. Mich
57
konnte das nicht sonderlich beeindrucken, denn hätte ich für
alle bei mir schon geleisteten falschen Schwüre einen
Tausender bekommen, so würde ich nur mehr auf goldenen
Schimmeln reiten. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass die
Reaktion des Herrn J einigermaßen übertrieben war. Man
denkt ja viel nachsichtiger und bagatellisierender über den
Zustand des Gehörntseins, wenn man nicht selbst der
Gehörnte ist. Aber man muß sich im Leben entscheiden. Ich
entschied mich für meine Klientin und glaubte ihr.
Bei Gericht lag der Detektivbericht vor. Diesem gemäß
hatte Frau J dreimal - offenkundig zwecks gymnastischer
Lustbarkeit - jeweils um neun Uhr morgens ein bestimmtes
Haus betreten und dieses immer gute zwei Stunden später,
mißtrauisch um sich blickend verlassen. Des Beweises
Krönung aber war die selbst fotografisch festgehaltene
Tatsache, dass allemal wenig nach ihr ein penetranter Typ von
Don Juan in das nämliche Haus eilfertig schlüpfte und es
jedesmal knapp vor ihr, einem schleichenden Diebe gleich, zu
verlassen pflegte. Nicht minder erdrückend war der
Detektivbericht mit dem Ergebnis seiner Recherchen in der
Casanovabar. Zwei ehrenwerte Barladies bekundeten da in
schriftlicher Zeugenschaft, Frau J nicht nur als häufigen Gast,
sondern als wahre Salonlöwin zu kennen, die allerdings nur
am Vormittag des öfteren ,zum Zwecke eines zumeist
erfolgreichen Aufrisses in dem Etablissement Einkehr gehalten
habe.
Es kam die Gerichtsverhandlung. Mannhaft überzeugend
stritt ich alles als infame Verleumdung ab, nicht jedoch das
Betreten des bewußten Hauses, zumal meine Klientin vor
dessen Portal erkennbar abgelichtet worden war.
Ich gab jedoch dem Gerichte kund, dass in selbigem
Gebäude eine alte Schulfreundin der Frau J logierte, welche
zwecks zwanglosem Geplauder jeweils aufgesucht worden
sei. Von dem fremden Manne habe sie keine wie immer
geartete Kenntnis, alles purer Zufall. Ich berief mich auf die
zeugenschaftliche Vernehmung der Freundin. Das Gericht
58
faßte einen Beweisbeschluß, insbesondere auf Einvernahme
besagter Freundin sowie der beiden Bardamen.
Mit Bangen sah ich der nächsten Streitverhandlung
entgegen. Eingedenk des detektivischen Berichtes malte ich
mir aus, wie sich beide Damen hocherhobenen Hauptes auf
meine arme Klientin stürzen und sie als männerfressende
Lebedame identifizieren würden; mußten sich doch
Animierdamen auf den Schlips getreten und ins Handwerk
gepfuscht fühlen, wenn in ihrem Teich eine fremde Forelle
nach den Hechten schnappt. Also fügte ich mir vorsorglich
etliche Fragen zu Recht, um diese Forellen aufs Eis zu legen.
Zu aller Überraschung aber gaben sich beide Damen
deplaziert und erklärten übereinstimmend, Frau J nie gesehen
zu haben, und diese sei nicht jenes fremde Fischlein in ihrem
Gewässer. Auch habe jenes langes blondes Haar getragen,
wohingegen das liebreizende Antlitz meiner Klientin von
dunklem Gekräuse gerahmt wurde. Die beiden Schönen
tänzelten von dannen, die Gesichter meines verehrten
Kollegen und seines Klienten hatten eine längliche Form
angenommen. Der Richter zuckte bedeutungsvoll die Achseln
und gab bekannt, dass sich die weitere Zeugin, nämlich die
Freundin meiner Mandantin, wegen plötzlicher Unpäßlichkeit
entschuldigt habe. Er sah meine prozessuale Gegenseite
lange an und wiegte bedeutungsvoll den Kopf. Bislang seien
die Beweisergebnisse für die Klagseite nicht eben ermutigend,
vermeinte er leise. Ziehe er seine langjährige Erfahrung heran,
so sei wohl kaum anzunehmen, dass die zeugenschaftliche
Vernehmung der Freundin meiner Mandantin eine größere
Ergiebigkeit verspreche. Mein Kollege sah mich leicht
verzweifelt an und zog sich dann mit Herrn J zwecks
Besprechung der Angelegenheit auf den Gang zurück. Als er
wieder zurückkam, erklärte er mit resignierender Stimme, dass
er die Klage zurückziehe.
Beim Verlassen des Gerichtssaales trat Herr J wie ein mit
Unrat begossener Sünder gebeugten Hauptes auf seine
Ehefrau zu und meinte, dass er sich jetzt wohl entschuldigen
59
müsse. Sie aber, ganz gekränkte Unschuld, warf das
Lockenköpfchen in den Nacken und schritt gruß- und
verzeihungslos vorüber.
Meines Sieges durfte ich mich nur sparsam freuen. Denn
schon wenige Tage danach, während ich eilenden Fußes zu
Gerichte strebte, schaute ich unverhofft in zwei erschrockene
grüne Augen. Sie war es, und zwar mit blonder Perücke.
Hastig wandte sie sich ab und eilte die Straße entlang. Einen
Augenblick stand ich zögernd mit einer teuflischen
Versuchung im Nacken, ihr zu folgen. Denn sie hatte mein
Honorar noch nicht beglichen. Nur einen Augenblick. Dann
ging ich seufzend meines Weges.
60

DER FALL K ODER DAS SCHNITZELESSEN

Herr K war ein Mann in den sattsam bekannten mittleren


Jahren, den eines Tages der Hafer zu stechen begann. Im
Zustande des bereits destabilisierten ehelichen
Gleichgewichtes führte der unerforschliche Winkelzug des
Gevatter Zufall ein zierliches Persönchen vor sein spähendes
Visier, ein Persönchen von der Sorte, an der ein maskuliner
Weg nur schwer begierdelos vorbeiführt.
Herr K, wie erwähnt bereits destabilisiert, wollte auch gar
nicht vorüber. Ein großer Augenaufschlag, ein Unschuldsblick
von der Seite, ein fragendes Spitzmündchen und schon war er
drin in der Mausefalle. Wie die Maus mit dem Speck fühlte er
sich vom Glück beseelt. Die Seligkeit fand er wohl abgerundet,
als sie ihm schamhaft mit niedergeschlagenen Äugchen
gestand, verheiratet zu sein. Heia, da tat er betrübt und dachte
bei sich, welch größeres Glück ihm noch widerfahren könnte.
Eine verheiratete Frau, die nur des Tages ein paar Stunden
Zeit hat, die des abends brav zu Hause weilen muß, die stets
nach Kräften auf äußerste Diskretion bedacht ist, die niemals
weder in brutaler Direktheit noch mit schutzheischender
Hinterlist nach dem Hochzeitstermin frägt; ei, welch
willkommeneres Rehlein kann dem amorisch pirschenden
Ehemann vor die Flinte geraten als eine verheiratete Frau?
Und nicht zu vergessen: Sollten etwa - was der Teufel
verhüten möge - unerwünschte Konsequenzen die lustbare
Freude trüben, dann ist da der ahnungslose Eheochse, dem
man den Kuckuck unterjubeln kann.
Herr K war’s zufrieden und fand keinen Grund, sich zu
beklagen. Die Wonne hätte wohl in alle Ewigkeit gewährt,
hätte nicht - ja-ja, der geneigte Leser kennt das hinterlistige
Ränkespiel des mißgünstigen Geschickes - hätte nicht eines
Tages auch die liebliche Gespielin der Hafer gestochen. Jene
61
bewohnte nämlich ein geräumiges Bauwerk im Grünen samt
Garten, uneingesehener Terrasse und tagsüber konsequent
abwesendem Ehemann. Starrköpfig und beharrlich bestand
sie darauf, er müsse sie dortselbst aufsuchen, wo sie ihm auf
der sonnenbeschienenen Terrasse Wiener Schnitzel und
grünen Veltliner zu kredenzen gedenke. Herr K war
offensichtlich kein Profi und obendrein nicht von ausreichender
Standhaftigkeit, sonst hätte er mannhaft widerstanden und
nicht in grober Weise gegen jede Weidmannsregel verstoßen.
Seine Bedenken, er könnte gesehen werden oder der
Ehemann könnte unverhofft des Weges kommen, verstand sie
zu zerstreuen, insbesondere mit dem Hinweis, sie würde
diesen mehrmals im Büro anrufen und dadurch seinen
jeweiligen Standort ausloten. So willigte er schließlich ein.
Sein Auto parkte er in sicherer Entfernung, schlenderte wie
zufällig des Weges und huschte durch das angelehnte Haustor
in die lustvoll gebreiteten Ärmchen. Stolz zeigte die Hausfrau
ihr Paradies, Zimmer für Zimmer, sauber, adrett. Schließlich
machte man es sich auf der von jeglichem Späherblick
verschonten Terrasse bequem. Die Vöglein zwitscherten
melodisch und die Welt war würzig und heil. Die Hausfrau,
angetan mit einem neckischen Schürzchen über der
textilarmen spitzenbewährten Unterwäsche, servierte die
versprochenen Schnitzel samt grünem Veltliner. Herr K ließ
sich nicht lumpen und streifte als Beitrag der Solidarität die
Hose von den behaarten Beinen. Es war gut, Mensch zu sein.
Als in Griechisch gebildeter Humanist hätte er wissen müssen,
dass die Faust der mißgünstigen Götter auf denjenigen
warnungslos niedersaust, der sich arglos im irdischen Glücke
wähnt. Und sie sauste bereits.
Während er gerade genüßlich ein gebrutzeltes Stückchen
auf die Zunge schob, wurden seine Augen groß und rund wie
Tennisbälle. Urplötzlich stand da ein Gorilla von einem Mann,
breitschultrig, gut 10 Jahre jünger als der so jählings
geschockte Herr K. In der Luft hing etwas wie glasiges
Flimmern. Die Vögel zwitscherten unentwegt und der Gorilla
62
kam näher. Herr K erhob sich langsam, das brutzelige
Schnitzel noch im geöffneten Munde, wo es allmählich zu
Stein zu werden drohte. Da stand er nun in der Unterhose, das
Hemd behufs demonstrierender Männlichkeit bis zum
spärlichen Brusthaar exhibitionistisch geöffnet, da stand er
nun. Und neben ihm in neckischer Unterwäsche die zarte
Gespielin. Sollte er in Kavalierpose die Fäuste ballen und
mannhaft dem Unhold entgegentreten? Der war gut einen
Kopf größer als er. Oder sollte er, Kavalier ist Kavalier und
Schnaps ist Schnaps, eingedenk der alten Weisheit, dass es
besser ist fünf Minuten feige als ein Leben lang tot zu sein,
den schmählichen Rückzug antreten und mit der Hose in der
Hand querfeldein sein Heil suchen?
Über eine derartige Situation berichtet es sich leichter als
es sich darin befindet. Ehe Herr K seine Entschlußkraft
beleben konnte, hatte seine zierliche Schnitzelbackerin die
Situation bereits fest in der Hand. Mit bekümmerter
Gelassenheit begrüßte sie ihren Ehemann, gab ihrer Freude
über sein zwar unverhofftes, aber um so willkommeneres
Erscheinen Ausdruck und stellte ihren barhosigen Besucher
als Oberarzt Dr. Semmelbach vor, der sich
dankenswerterweise die wohlverdiente Mittagsruhe opfernd,
herbemüht hätte, um Gottes Lohn und dem eines kargen
Mahles, Auskunft über das bedauerliche Magenleiden des
daniederliegenden Großvaters zu geben.
Der Gorilla gab die Hand zum Gruße und sich selbst
erfreut, worauf er an der trauten Tafel Platz nahm. Die
offenkundig unverkennbaren Blößen schien er nicht zu
merken. Herr K fragte sich, ob der Kerl so blöd oder so
hinterhältig sei, um ihn, sadistische Rache heischend, in eine
Falle zu locken. Die Sache schien ihm reichlich ungereimt.
Aber wer unter die Wölfe gerät, muß heulen. Mit merklicher
Anstrengung schluckte er den bereits in den Hals geratenen
Schnitzelstein, der ihm ebensowenig schmeckte wie die
makabere Situation. Unauffällig schielte er nach der Hose,
aber sie schien unaufhaltsam von ihm wegzudriften. Die Dame
63
des Hauses, ganz meisterhaft in der Situationsbewältigung,
holte Gedeck und Glas und lud ihren heimgekehrten Gatten
ein, sich angesichts der drückenden Schwüle zum Zwecke
luftiger Kühle auch ein wenig freizumachen. Der lehnte
dankend ab und schwitzte lieber. In gleichem Maße fröstelte
Herr K.
Ungeachtet heftiger Transpiration langte der Ehemann zu
und pries das Glück der Stunde, sei es doch schon lange sein
Wunsch gewesen, eingehend über bestimmte Magen- und
Darmleiden unterrichtet zu werden. Und so biß Herr K mit
angesäuerter Miene in die dargebotene Zitrone und hub an -
obschon in diesem Metier so wenig kundig wie ein Ochse im
Wurstmachen - hub also an zu dozieren von der resistenten
Unanomalie der Magenschleimhäute über die krankhafte
Krümmung des Gallenweges bis zur neuerdings erforschten
faustartigen Verkrampfung des Fünffingerdarmes.
Der Gorilla hörte unentwegt kauend zu, und Herr K wurde
den Verdacht nicht los, dass ihn der Kerl durchschaute. Aber
jetzt gab es kein Zurück. So redete er wie um sein Leben des
blanken Unsinnes mehr und mehr, eine volle halbe Stunde
lang. Plötzlich sah er auf die Uhr, sprang blitzschnell auf,
murmelte etwas von einer dringenden Operation in der Klinik,
fuhr wie der Teufel aus dem Rauchfang in die Hose und
schickte sich an, in beinahe olympischer Manier das rettende
Ufer der Straße zu erreichen; allerdings nicht ohne im Eilen
der „köstlichen Hausfrau für das gnädige Schnitzel“ zu
danken.
Der geneigte Leser wird die böse Fatalie bereits ahnen. Am
nächsten Tag erschien er in meiner Kanzlei. Seine Ehe sei in
Gefahr und überhaupt seine ganze Existenz. Nachdem ich ihn
eindringlich ermahnt hatte, mir einem Hausarzte gleich
rückhaltlos die Wahrheit darzulegen, schilderte er in seltener
Offenheit Vorgeschichte und Verlauf des Schnitzelessens. Ich
erfuhr, dass er sich seines vermeintlichen Entkommenseins
nur kurzfristig freuen konnte, zumal die liebliche Gespielin
bereits wenige Stunden danach mit weinerlicher Stimme am
64
Telefon eröffnete, ihr Ehemann habe Verdacht geschöpft und
von ihr ein Geständnis nebst Preisgabe des Namens des Herr
K erpreßt. Er verlange die sofortige Scheidung und als
Abfertigung eine Summe, deren viele Nullen sie alleine
keinesfalls aufbringen könne. Zu allem Übel habe er auch
gedroht, die Ehefrau meines Klienten mit der erfreulichen
Information zu beglücken.
Bei dem Worte „allein“ war mir die Sache klar. Ich beruhigte
Herrn K, ließ mir die Adresse seiner Freudenspenderin geben
und lud diese zu einer Aussprache. Sie kam pünktlich und ich
mußte gestehen, dass sie nicht bar jeder Reize war. Lange
schwieg ich. Vor mir lag ein Strafgesetzbuch. Sie hüstelte
verlegen. Endlich begann ich ihr meine Meinung
auseinanderzusetzen, insbesondere, dass ich das Verlangen
ihres Ehemannes für reinen Bluff halte. Nunmehr, da ich mit
der Sache befaßt sei, die Geschichte also aktenkundig wäre,
würde er sich hüten, seine Drohung wahrzumachen, denn auf
derartige Erpressung stünde eine schwere Haftstrafe. Ich riet
ihr, dies ihrem Gemahle kundzutun und ihm eindringlich zu
eröffnen, dass es nunmehr in seinem ureigensten Interesse
gelegen sei, die Angelegenheit von den Ohren der Ehegattin
meines Klienten fernzuhalten. Gelänge dies nicht, so hätte er
unweigerlich eine Strafanzeige zu gewärtigen.
Die Dame hatte verstanden. Und sie wußte, dass auch ich
es hatte. Verlegen lächelnd verabschiedete sie sich und ging.
Herr K hat nie wieder von ihr gehört. Zwar mußte er auf
sein liebstes Spielzeug verzichten und ich auf einen
Scheidungsprozeß, der beendet war bevor er begann. Oftmals
ist ein Ende vor dem Anfang besser als danach.
Und die Moral; Hörne niemals im Hause des Gehörnten.
Der könnte dich auf die Hörner nehmen.
65

DER FALL L ODER DIE FANTASIELOSIGKEIT


DES SCHICKSALS

Man sagt, das Schicksal sei etwas, das einem von dem
unerforschlichen Macher des Jenseits mitgegeben worden ist
auf den langen Marsch, wie etwa ein unabnehmbarer
Rucksack oder abstehende Ohren. Wann immer man
versucht, sich ihrer zu entledigen, ist das Ergebnis eine
schmerzvolle Resignation. Auch der Ehemann meiner Klientin,
nämlich der Frau L, hatte so einen verordneten Rucksack zu
schleppen in Form eines kapitalen Bauches, der ihm
beständig wie ein überdimensionaler aufgeblähter Frosch
voranhüpfte, sowie in Form seines beinah erotischen
Naheverhältnisses zu unserem Vetter Alkohol, mit dem er
eigentlich vermählt war. Als Mann in sogenannter gehobener
Position - er stand einer repräsentativen Bank vor -hätte der
mißgünstige Normalverbraucher von ihm gewiß ein höheres
Maß an Willenskraft zur Pflege von Abstinenz abverlangt. Aber
was vermag der Mensch schon gegen seine Gefühle? So
bemühte sich Herr L denn unablässig, beides nach Kräften zu
verbergen, sowohl die Freß- wie die Sauflust, sich im übrigen
aber keinen Zwang anzutun, Insonderheit im relativ
windgeschützten heimischen Bereich. Frau L allerdings bekam
ungeschützt die Leidenschaften ihres Gesponsen wie eine
Palatschinke ins Gesicht geknallt. Wegen der offenkundigen
Erfolglosigkeit eines derartigen Vertuschelungsunterfangens
unternahm er auch keinen diesbezüglichen Versuch. In den
häuslichen Wänden fraß und soff er ungehemmt, dass sich im
wahrsten Sinne des Wortes die Balken bogen. Sein
gequollener Leib hatte es wahlroßgleich auf das stattliche
Mastgewicht von 140 kg gebracht, wobei die Leber allein
schon an die 15 kg wog.
66
Der geneigte Leser bedarf nicht der angefachten Phantasie
um zu ergründen, was Frau L in meine Obhut trieb. Sie selbst
war schlank, zierlich und abstinent bis zur Brutalität. Derartige
Merkwürdigkeiten finden sich bekanntlich zumeist bei
Ehefrauen von Schlemmern, was sich in unabwendbarer
Weise für beide Beteiligte früher oder später zur
Unerträglichkeit steigert.
Für Frau L war jener Siedepunkt erreicht, und sie berichtete
in bejammernswerter Leidenschaftlichkeit von ihrem
Martyrium: Des abends, wenn sich ihr kolossales Dickerchen
über den ächzenden Fahrstuhl durch die Wohnungstür
gezwängt habe, pflege er ohne unnötigen Umweg zielstrebig
wie eine Horde hungriger Wölfe über den Eiskasten
herzufallen und diesen im Stehen schmatzend und rülpsend
erbarmungslos zu leeren, und hernach, gleichfalls bar jedes
unnötigen Aufschubes, bis zu vier Liter Wein wie ein Ochse an
der Tränke in sich zu leeren. Der Erfolg sei von wahrhaft
viehischen Dimensionen. Er pflegte sich dann die Kleider vom
Leibe zu reißen und sich gleich einer suhlenden Wildsau am
Boden zu wälzen. Man stelle sich das bildlich vor. Nicht zu
vergessen die dabei freiwerdenden akustischen Kräfte.
Meine Klientin machte ihrem aufgestauten Kummer Luft:
„Herr Doktor, ein Vieh ist das, ein richtiges Vieh. Sie machen
sich keinen Begriff. Und impotent ist er auch.“
Gegenteiliges schien mir bei der geschilderten Konstellation
auch nicht denkbar.
Ich wog den Kopf und sah die Unerträglichkeit der Situation
ein. Wie immer aber in solchen Fällen, lag die Schwachstelle
bei den Beweisen. Denn mag sich einer im Bereiche der
häuslichen Taucherglocke, abgeschirmt von den Argusblicken
der wohlmeinenden Nachbarschaft, noch so animalisch
betragen, bei Gericht streitet er alles rundweg ab. Da hat er
niemals nicht so eine Ungeheuerlichkeit begangen, da ist ihm
jeder Schritt vom Pfade der Tugend eine undenkbare Greuel,
jeder diesbezügliche Vorwurf eine hinterhältig-bösartige
Verleumdung.
67
Beweise mußten zur Hand. Aber wie? Man kann doch nicht
einen Detektiv in einen Eiskasten setzen. Folglich blieb nur der
bestellte Eideshelfer.
Eine seriöse Freundin nebst Ehegemahl wurde zwecks
Augenschein zur Abendzeit bestellt, und das an fünf
aufeinanderfolgenden Tagen. Das Ergebnis war positiv. Herr
L, der selbst infolge seiner bereits eingetretenen
Introvertiertheit der nächtlichen Besucher nicht gewärtig
wurde, wälzte sich jedes Mal in besagtem Zustand wie ein
Nilpferd durch den Raum. So konnte die Ehescheidungsklage
vom Stapel gelassen werden.
Bei der Ehescheidungsverhandlung stritt Herr „Direktor“ -
siehe oben - alle Behauptungen als glatte Verleumdung ab
und überantwortete sie der Bösartigkeit seines Eheweibes,
welch selbiges offenkundig aus ihm unerklärlichen Gründen
aus der Ehe strebe. Als ich jedoch mit den beiden
Augenzeugen winkte und auch die Impotenz nicht zu
erwähnen vergaß, knickte er ein. Besonders letzterer Vorwurf
pflegt bei altgedienten Ehemännern eine magische Wirkung zu
zeitigen. Der Herr Direktor gab nach und willigte in die
Scheidung ein. Alles andere war Routine und konnte wie
üblich abgewickelt werden. Frau L, ausgestattet mit einer
lebenslänglichen Unterhaltsrente, zum Dank für geleistete
eheliche Dienste, zog von dannen und ließ sich bei ihren
Eltern auf dem Lande nieder. Der Fall war für mich
abgeschlossen, wie ich dachte.
Das aber sollte ein Irrtum sein.
Es verging ein gutes züchtiges Jahr, da erschien bei mir
Frau L Nr. 2: Eine Frau in mittleren Jahren, selbst drall und
rosig feist, den irdischen Genüssen offenkundig zugetan. Was
sie mir zu berichten hatte, war verblüffend. Ihr Ehemann
fresse maßlos, wälze sich am Boden... wie gehabt. „Das ist
kein Mensch, das ist ein Vieh.“
Wie sich die Bilder gleichen. Nur eines hatte Frau L Nr. 2
mir vorenthalten, nämlich die Impotenz. Meine schüchterne
Frage danach bewirkte eine lebhafte Reaktion. Ja ja, das sei
68
er wohl gewesen, aber nur bis zu ihr. Nicht ohne Erfinderstolz
vermeldete sie verklärten Blickes, dass sie ihn auf trab
gebracht habe.
Allerdings in letzter Zeit sähe sie sich um die Früchte ihres
Erfolges geprellt. Ich nickte zustimmend und verstehend. Für
den zweiten Scheidungsprozeß wollte ich schonenderweise
auf Eideshelfer verzichten. Um das Verfahren abzukürzen, lud
ich mir Herrn Direktor L vor. Zu meiner Überraschung kam er,
schwitzend, pustend und ließ sich krachend nieder. Aus
Mitleid zu meinem schönen Jugendstilsessel kürzte ich die
Unterredung eifrigst ab. Mein Gegenüber, gewitzigt aus der
letzten Schlacht, nickte nur ergeben und war mit der
Scheidung einverstanden. Nach Auslotung einer
angemessenen Rente auch für die zweite Gattin wurde die
Scheidung durchgeführt.
Beide Damen allerdings konnten sich nicht mehr lange ihrer
Pfründe erfreuen. Denn Herr Direktor L entfloh nur wenige
Monate danach in ein besseres Jenseits. Er hatte sich zu
Tode geschlemmt. Ob er zu bedauern ist, steht dahin. Denn
als lebenslanger Abstinenzler dahinzuscheiden ist gewiß nicht
erquicklicher, mit intakten Innereien und vor Gesundheit
strotzend.
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DER FALL M ODER DIE GESTOHLENE


FRUCHT

Es handelt sich hiebei mitnichten - wie der ungeneigte


Leser vielleicht raunen mag - um eine listigerweise
entwendete Leibesfrucht. Die solcherart entfremdete Frucht
war vielmehr geistiger Natur, und der Bestohlene ich selber.
Nicht das man mir etwa mein säuerlich verdientes Honorar
abhanden gekommen hat; selbiges konnte ich, wenn auch mit
Mühsal, in die stets offene Scheune fahren. Nein, was mir
gestohlen wurde, war der gewundene Lorbeer des Sieges von
der bereits bekränzten Stirne.
Und das hatte sich so begeben: Herr M, ein durchaus
erfolgreicher Händler mit gebrauchten alten
Straßenverpesstern auf Rädern, hatte es zwar verstanden,
das Wohl seiner Firma zu gutem Gedeihen zu bringen, nicht
jedoch das seiner Ehe. Die Gemahlin, der tristen Eintönigkeit
der Monogamie überdrüssig, suchte zwar nicht das Weite,
wohl aber die Nähe eines jüngeren Angestellten im Betriebe
ihres Mannes, dessen flottes Erscheinungsbild abgerundet
war durch ein respektables Strafregister. Frau M, in ihrem
Suchen nach der Nähe fündig geworden, trieb es mit
besagtem Angestellten derart schamlos, dass es jedermann
ins Auge springen mußte.
Herr M war ein Mann von kleinem Wuchse. Nun ist es ja
sattsam bekannt, dass die Psyche des Mannes sich innerhalb
einer Skala von 10cm Körpergröße bis ins Monströse
verzerren kann. Fühlt einer sich wie Herr M im wahrsten Sinne
des Wortes zu kurz gekommen, so ist zumeist sein
unablässiges Bestreben darin gelegen, die mangelnde
Körpergröße durch übersteigerte Aktivitäten jedwelcher Art zu
kompensieren. Er fällt auf durch Quirligkeit, unablässigen
Tatendrang und tänzelt unaufhörlich seinem Umfeld auf den
70
Nerven herum. Er will gehört werden, beachtet, anerkannt.
Was einem sogenannten Langen in seiner statischen
Lethargie völlig schnuppe ist, wird einem kleinen Mann zur
täglichen Existenzfrage. Er muß unablässig siegen wie sein
Ahnherr Bonaparte. Was ihn aber bis zum Exzeß nervt und ihn
zum reißenden Tiger hochputscht, ist ein eheliches Geweih.
Ich kann nur allen potentiellen Ehebrechern raten, sich zum
Kontrahenten einen möglichst großgewachsenen Ehemann zu
erküren. Der erträgt solche Unbilden mit stoischer
Gelassenheit. Bis sich der Bazillus der rächenden Wut in
seinem langen Leib eingenistet hat, ist die Sache auch schon
verjährt. Sagt doch der Volksmund nicht umsonst „ein langer
Lulatsch“.
Herr M war aber wie gesagt ein Kurzer. So schäumte er
denn auch nicht lange und erstand flugs einen
sechsschüssigen Revolver. Das junge Pärchen, die Zeichen
der Zeit wie auch die Kürze der Zukunft im Hinblick auf den
getätigten Kauf erahnend, suchte sein Heil in der Flucht,
genauer gesagt in der Zuflucht eines Versteckes. Während
noch Herr M wutschnaubend und rachedürstend wie weiland
Achilles vor Troja nach dem Liebesnestchen schnuppernd
durch die Gegend raste, ereilte ihn das böse Geschick in Form
einer Funkstreifenbesatzung, die ihn kurzerhand festnahm.
Veranlassung dazu hatte eine Anzeige gegeben des Inhaltes,
er befände sich auf dem Kriegspfade zwecks Kaltmachung
seiner Ehegattin und des jungen Angestellten.
In der Hitze vergaß ich zu erwähnen, dass mich Herr M
bereits vor der bedauerlichen Festsetzung aufgesucht, mir
sein schmähliches Geschick offengelegt und mich zur
Einbringung der Scheidungsklage beauftragt hatte. Auch hatte
ich bereits die Klage verfaßt. Als Hemmschuh erwies sich
jedoch der Umstand, dass Frau M unbekannten Aufenthaltes
war. Die Klage konnte ihr nicht zugestellt werden.
Aus dem sicheren Gewahrsam erreichte mich der Hilferuf
meines Klienten. Stehenden Fußes eilte ich zu Staatsanwalt
und Untersuchungsrichter, um in beredten Worten die
71
Schuldlosigkeit meines Klienten darzulegen und dessen
baldige Freilassung zu bewirken. Als beträchtliches Hindernis
erwies sich der besagte Revolver, den man mir - bildlich
gesprochen - vor die Nase hielt. Die Sache zog sich hin.
Mitten in mein bienengleiches Bemühen platzte das
ehebrüchige Pärchen aus ihrem unbekannten Aufenthalt direkt
in meine Kanzlei. Man gab sich betroffen, reuig, zerknirscht.
Vor allem aber gab man sich angsterfüllt beim Gedanken an
das Freikommen des Herrn M, der in seiner rasenden Wut
gewiß unverzüglich beide massakrieren und in tausend Stücke
reißen würde. Während ich noch versuchte, solches Feindbild
zu zerstreuen, erdreistete sich der junge Mann zu der kecken
Frage, wieviel es denn koste, wenn ich dafür sorgen würde,
dass Herr M möglichst lange im Gefängnis bleibe. Ein
Seitenblick auf Frau M gab mir Gewißheit, dass sie mit dieser
Frage solidarisch, ja dass das schändliche Angebot der Zweck
des Besuches gewesen war. Da warf ich beide hochkantig
hinaus.
Bereits am nächsten Tag rief mich Frau M an, erklärte mit
tränenerstickter Stimme, alles sei ein Mißverständnis, nicht so
gemeint, sie sei selbstverständlich an der Freilassung ihres
Mannes interessiert und sogar bereit, mein Honorar zu
begleichen. Ich glaubte ihr zwar nicht, doch schien mir für die
Entlassung meines Klienten vonnöten, dass sie dem Gerichte
gegenüber die Erklärung abgebe, sich von ihrem Ehemann
nicht bedroht zu fühlen. So ließ ich also den Kontakt nicht
abreißen, heilt doch bekanntlich der Zweck die Mittel. Ja, ich
ließ sie sogar in meine Kanzlei kommen, um eine
entsprechende Erklärung zu unterfertigen, was sie tatsächlich
tat. Ausgerüstet mit derselben wurde ich neuerlich bei Gericht
vorstellig, pendelte zwischen Untersuchungsrichter und
Staatsanwalt, und konnte schließlich die Zustimmung
erreichen, dass Herr M am darauffolgenden Vormittag
freigelassen würde.
Wohl meiner freudigen Stimmung, die im Bewußtsein des
Erfolges badete, ist es zuzuschreiben, dass ich nun einen
72
kapitalen Fehler beging. Obwohl ich Frau M wie gesagt
mißtraute, wozu ich allen Grund hatte, vertraute ich ihr in
euphorischer Umnachtung die Freudensmeldung an.
Nun legte sie mich aufs Kreuz. Zwar kann ich ihr Verhalten
verstehen, denn wer die eigene Haut zu retten hat, achtet
nicht der des Anderen. Dennoch aber hat mich die Sache
gewurmt.
Frau M also war nach Empfang besagter Botschaft,
keineswegs aus Freude erzitternd, eilenden Schrittes zu
einem meiner Kollegen geeilt und hatte diesen beauftragt,
dringlichst für die Freilassung ihres zu Unrecht einsitzenden
Ehegemahls zu sorgen. Mein Kollege, in Unkenntnis meiner
bereits geleisteten erfolgreichen Tätigkeit, begab sich am
nächsten Morgen zum Gericht und erfuhr dort, dass Herr M
soeben freigelassen werde. So kam es, dass am großen Tore
zum Empfang des Herrn M nicht nur ein anderer Anwalt
angetreten war, sondern auch die tränenreich reuige und
besorgte Ehegattin. Er schloß sie verzeihend in die Arme, und
sie vergaß nicht zu hauchen, dass sie meine Untätigkeit nicht
länger mit ansehen habe können und deswegen einen
anderen Anwalt mit der Vertretung beauftragt habe. Der Erfolg
lag auf der Hand.
Herr M mied mich fürderhin. Mein Honorar bezahlte er
nicht, da ich schließlich nichts für ihn getan hatte. Erst ein
energisches Vorgehen meinerseits ließ ihn seine widerwilligen
Schritte zu mir lenken. Die Unterredung war knapp und frostig.
Das Ränkespiel seiner Gemahlin sparte ich aus. Es hätte auch
keinen Sinn gehabt, Öl auf das Feuer zu gießen, bloß um der
Ehre Willen. War doch der Zug schon abgefahren. Die
gestohlene Frucht des Erfolges schmeckte trotzdem bitter.
73

DER FALL N ODER DIE


ZERMÜRBUNGSTAKTIK

Die Frau N war nicht schön und nicht häßlich, nicht alt und
nicht jung, nicht dick und nicht dünn. Sie siedelte irgendwo
dazwischen. Vielleicht lag die Ursache in ihrem alldinglichen
Mittelmaß, dass sie es auf einmal satt hatte, des nächtens
neben jenem fauchenden, schwitzenden, schnarchenden
Unding zu liegen, an das sie seit 15 Jahren gekettet war. Mit
Gleichmut und Schicksalsergebenheit hatte sie all die Zeit
hingenommen, ohne zu murren und zu kneifen, wie es die
meisten Frauen ihresgleichen für schicklich halten. Eines
Tages aber war etwas über sie gekommen, das sie gemäß
ihrer Schilderung nicht zu definieren vermochte, und das wohl
wie ein Ungeheuer der Vorzeit aus den brodelnden Tiefen
ihres Unterbewußtseins jählings an die Oberfläche gegurgelt
war. Kurz, sie hatte es satt und wollte frei sein. Treulich
versicherte sie mir, kein anderer etwa hinterhältiger Grund
amouröser Provenienz bestimme sie dazu, sondern
ausschließlich der legitime Wunsch jeglicher Kreatur nach
Freiheit.
Da es uns nicht gegeben ist, selbiges unseren
Mitmenschen mit Fug und Recht abzuschlagen oder gar zu
verweigern, forschte ich denn in der eintönigen Tristesse ihres
Ehelebens nach dunklen Flecken auf der weißen Weste ihres
Ehegemahls, die ihm scheidungskläglich als Stolperprügel
zwischen die abgeschlafften Beine geworfen werden könnten.
So viel ich aber kreuzverhörlich zu erkunden suchte, so wenig
konnte ich fündig werden. Der bereits mit gutbürgerlichem
Bauche und ebensolcher Glatze ausstaffierte Angetraute
schien von keiner wie immer gearteten Leidenschaft
gesponsert zu werden. Er rauchte nicht, ging zu keinen
Herrenabenden, hatte auch sonst keine Weibergeschichten,
74
lungerte beständig knabbernd vor dem Fernseher und
verabscheute Alkohol; Grund genug, den Knaben für äußerst
suspekt zu halten. Wie ein Aal glitt er einem durch die
scheidungsheischenden Finger, und Frau N mußte schließlich
gestehen, keinen stichhaltigen Scheidungsgrund zu haben.
Ohne einen solchen aber, mußte ich bedauernd darlegen,
würde der Richter mit den Ohren wackeln und uns in Form
eines abweisenden Urteils in die Wüste schicken.
Frau N, durch meine destruktiven Ausführungen
überraschenderweise nicht entmutigt, erkundigte sich
frohgemuts, was denn alles Scheidungsgrund sei, denn ein
solcher mußte her, um ihren Ehegemahl zwangsweise aus der
gemeinschaftlichen Wohnung zu entfernen. Selbige nämlich
gedachte sie alleine weiter zu behalten, um darin nach
erfolgreicher Scheidung sich der Freiheit genüßlich zu
bedienen. Etwa selbst aus der ehelichen Wohnung zum
Zwecke der ersehnten Freiheitserlangung auszuziehen, lehnte
sie als Ansinnen ab und erkannte, dass nur die Möglichkeit
verblieb, ihrem Ehegesponsen das Einverständnis zur
Scheidung abzuringen, womöglich aber gar eine
Schwachstelle in seinem trägen Dasein zu ergründen.
Zu meiner Überraschung verließ mich Frau N keineswegs
niedergeschlagen, sondern frohgemut, und versprach gar
baldigst unter einem besseren Stern wieder zu kommen. Flugs
begab sie sich, wie ich bei ihrem tatsächlichen späteren
Wiederkommen erfahren sollte, nach Hause und an die Arbeit.
Mit Fleiß und Unrast begann sie dem Ahnungslosen das
häusliche Leben mit einer Vehemenz anzusäuern, dass selbst
eine Zitrone dabei Sodbrennen bekommen hätte. Sie versalzte
ihm das Essen, goß Essig in den Kaffee, Speiseöl auf den
gekachelten Fußboden der Küche, so dass es ihn der Länge
nach hinlegte, füllte die Pantoffel mit Juckpulver und zerrieb
Knoblauch auf dem Kopfpolster. Des nächtens sprang sie
unentwegt aus dem Bett, drehte alle Lichter auf und
behauptete lauthals, die Braut des Teufels zu sein. Sie drehte
75
das Radio auf Discolautstärke, überschwemmte das Bad und
würzte das Mahl mit gemeinem Streusand.
Wochen des emsigen Treibens flossen dahin, und der
Erfolg stellte sich nicht ein. In seiner offenkundigen Infamie
schluckte Herr N alles hinunter, auch den Streusand, ließ sich
zu keinem Exzeß und zu keiner Prügelei hinreißen, nährte sich
weiter an der Labsal des Fernsehens und lehnte die
Scheidung ab.
In dieser Phase höchster Bedrängtheit griff Frau N zum
Letzten, dieses Mal aber erfolgreichen Mittel. Sie beklagte
ihrer Arbeitskollegin das mißliche Los und bekniete selbige, ihr
aus der Patsche zu helfen. Schwesterlich beflissen willigte
jene ein, und man begann gemeinsam und emsig ein Netz zu
knüpfen, in dem sich der Widerborstige fangen sollte.
Schließlich waren die Vorbereitungen getan, das Netz
wurde ausgeworfen, und der nichtsahnende Herr N biß in den
ihm in Form der ihm bislang unbekannten Arbeitskollegin
seiner Frau zugeworfenen Köder. Der programmierte Anbiß
mußte unweigerlich erfolgen, zumal Frau N ihren
Ehegesponsen seit Monaten auf amouröse Hungerkur gesetzt
hatte. Den süßen Duft der Sünde einmal erschnuppert, folgte
Herr N der aufgenommenen Fährte beinahe willenlos. Die
angeheuerte Metze lockte den von Sinnen geratenen Gockel
in ein Stundenhotel, wo der gleichfalls angeheuerte Ehegatte
der Arbeitskollegin hinter einem Vorhang mit blitzbereiter
Kamera lauerte. So kam es, dass sich Herr N schließlich bar
jeden Textils abgelichtet wiederfand, und das in einem
sündigen Bette, zusammen mit einer wenn auch nicht ganz
entkleideten fremden Frau. Frau N betrat, wie angekündigt, die
Fotos schwenkend, in Siegerpose meine Kanzlei. Auf Grund
der vorhandenen Beweise bedurfte es keines Kunstgriffes, die
Scheidung erfolgreich durchzuführen.
Herr N wurde als alleinschuldig erkannt und mußte noch
froh sein, mit heiler Haut und ohne Unterhaltsverpflichtung
davonzukommen. Die Wohnung wurde der Frau samt allem
76
Inventar zugesprochen. Zerknirscht beugte sich Herr N der
letzten Forderung, die gesamten Kosten zu bezahlen.
Der Fall war erfolgreich abgeschlossen.
Nur durch Zufall kam mir einige Zeit später im Gespräch mit
einem Kollegen zu Ohren, dass der Fall eine Fortsetzung
gefunden hatte. Der Ehegatte besagter Arbeitskollegin nämlich
war bereits wenige Tage nach mit meiner Hilfe erfolgter
Scheidung bei meiner Klientin mit Sack und Pack eingezogen.
Dessen Ehefrau hingegen, an Hand der im Stundenhotel
geknipsten Bilder überführt, wurde des Ehebruchs schuldig
befunden und gleichfalls geschieden. Vergeblich hatte sie mit
Händen und Füßen das so schändlich abgekartete Spiel
offenzulegen
versucht. Sie fand kein Gehör, Beweis ist schließlich
Beweis.
77

DER FALL O ODER DIE NICHTIGE EHE

Wenn ich den gegenständlichen aus der trostlosen


Finsternis des Aktenlagers an das Licht der buchstäblichen
Offenlegung gezerrten Fall als eine nichtige Ehe bezeichne, so
nicht deswegen, weil ich ihr meine totale Verachtung
entgegenbringe, wie etwa einem durchaus „nichtigen“
Menschen. Vielmehr sieht das bekanntlich von Weisheit
beseelte Gesetz eine Ehe als nichtig an, demnach als nicht
bestehend, „ wenn sie ausschließlich oder vorwiegend zu dem
Zwecke geschlossen ist, der Frau die Führung des
Familiennamens des Mannes oder den Erwerb der
Staatsangehörigkeit des Mannes zu ermöglichen, ohne dass
die eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden soll.“
Genau selbiges traf auf den Fall O zu, oder wurde
zumindest von dem hilfeheischend an meine Tür pochenden
Herr O behauptet. Er nämlich habe sich, wie er mir glaubhaft
versicherte, aus jugendlichem Leichtsinn und ebensolchem
Geldmangel dazu bestimmen lassen, eine obgeschilderte Ehe
einzugehen. Mit von der Partie und Initiator des schändlichen
Tuns war eine junge, bereits mit dem Doktorhut gesalbte
Medizinerin, der es gelungen war, sich auf verbotenen Wegen
aus ihrem östlichen Heimatlande in Richtung bösem
Kapitalismus auf die Socken zu machen. Hierzulande
ermangelte es ihr an den allheilbringenden Bürgerrechten, um
gar bald durch die Ausübung ihres heilenden Gewerbes auch
der ausbeuterischen Segnungen in Form von fetten Honoraren
teilhaftig zu werden. Also erbot sie sich dem jugendlichen
Herrn O als arbeitslosen Gelderwerb in der reinsten
kapitalistischen Form. Sie bot ihm nämlich für die Performance
eine durchaus respektable Geldsumme. Allerdings müßte
dieser auf die Ausbezahlung mehrere Monate warten, da sie ja
78
selbige, nämlich die Geldsumme, erst nach Erlangung der
Staatsbürgerschaft zu erwerben gedachte.
Hernach würde man sich nach Ablauf eines züchtigen
Jahres in Ehren scheiden lassen und die Sache der
Vergessenheit anheim stellen.
Herr O, durch die wenn auch erst in einiger Zukunft
winkenden Segnungen beeindruckt, hauchte also sein Ja-
Wort.
Die Wochen zogen ins Land, auch Monate, und Herr O hielt
die Zeit für gekommen, bei seiner bereits in akzeptablem
Gelderwerb befindlichen Angetrauten beiläufig anzuklopfen.
Jene aber, offenbar schon von der verderbenden Fäulnis des
Kapitalismus infiziert, tat als wisse sie nicht, wovon er spreche,
und stritt rundweg ab, sich in irgendwelche finanziellen
Versprechungen eingelassen zu haben.
Solcherart einigermaßen frustriert kam Herr O zu mir und
klagte sein Leid. Nicht nur, dass er sich um seine fette Pfründe
betrogen sah, hatte er obendrein ein Eheweib am Halse, in
dessen Genuß er niemals gekommen war, und das sich sogar
weigerte, einer Auflösung der Ehe zuzustimmen.
Ich mußte meinen Klienten belehren, dass die Sache
einigermaßen stinke, und dass seine Chance, auf
gerichtlichem Wege im Namen der Republik zu seinem
erhofften Lohne für das unsaubere Tun bzw. besser gesagt
Dulden zu kommen, dass seine Chance also so gut stehe, wie
die Aussicht eines Nilpferdes einen Gamsbock zu erjagen.
Das genannte Geschäft war ein solches gegen die guten
Sitten, und würde daher niemals die Segnung eines Richters
erlangen. Herr O meinte, wenn schon der Teufel die Kuh
gefressen habe, so wolle er wenigstens das Kalb in Sicherheit
bringen, und bestand auf der Einreichung einer
Nichtigkeitsklage. Und selbige brachte ich pflichtbeseelt bei
Gericht ein. Doch dort kam die große Überraschung. Frau
Doktor erschien zur ersten mündlichen Streitverhandlung, flott,
appetitlich, und gab mit gekränkter Miene zu Protokoll, dass
alles erstunken und erlogen sei. Tatsächlich hätte sie mit dem
79
so inniglich geliebten Herrn O eine ausgesprochene
Liebesehe geschlossen, und man habe das junge Glück nach
genossenem Hochzeitsmahle in der durchaus üblichen Weise
besiegelt, nämlich durch Vollziehung der Ehe. Lediglich in
Ermangelung einer damals noch unerschwinglichen Wohnung
habe man vorläufig getrennt logiert, die Zeit jedoch zu eifrigen
Wohnungssuchen genutzt. Schließlich habe ihr Suchen
gefruchtet. Der so liebevoll Angetraute hätte sich jedoch
inzwischen eines anderen besonnen und den weiteren
Quellfluß seiner Liebe versagt. So säße sie nun da, die in
Lieblosigkeit so gut wie verlassene Ehefrau, allein in ihrem
Schmerz und Gram. Einer normalen Ehescheidung stimme sie
deshalb nicht zu, weil ihr treues Herz noch immer der
Heimkehr des Geliebten harre.
Mein Klient wollte beim Anhören solcher Infamie schier vor
Wut platzen. Mit Mühe gelang es mir, ihn zu beruhigen und
von einer Moritat abzuhalten. Auf meine forschende Frage
nannte er mir zwei Zeugen, die bei dem seinerzeitigen
Gefeilsche anwesend gewesen seien, und somit die wenn
auch verbotene Machenschaft bekunden könnten. Also
beantragte ich deren Ladung und das Gericht vertagte die
Verhandlung. In staatsbürgerlicher Pflichterfüllung erschienen
beide geladenen Personen zur darauffolgenden Verhandlung,
doch erwiesen sich ihre Aussagen als so unergiebig, wie ein
Bittgesuch an die Obrigkeit. Sie hatten - wie bedauerlich - alles
vergessen. Jegliche Erinnerung an den besagten Vorfall und
seine akustischen Begleiterscheinungen waren spurlos
abhanden gekommen.
Folglich raufte Herr O zum zweiten Mal das üppige Haar
und sah seine Felle nebst erhoffter Pfründe auf der Woge der
Verzweiflung dahinschwimmen. Da es nicht meine Art ist, mit
Lust einen Prozeß zu verlieren, ja es bereitet mir sogar
außerordentliche Unlust, griff ich zu einem letzten
verzweifelten Versuch, wie der Ertrinkende nach der leeren
Bierdose.
80
Ich stand auf und beantragte kess die ärztliche
Untersuchung der Beklagten zwecks peinlicher Feststellung,
ob sie denn noch virgo intakta wäre. Es vergingen 1-2
Sekunden des zitternden Schweigens, dann zeigte mein
geschwungener Haken Wirkung. Das siegesgewisse Lächeln
meiner Gegnerin gefror zu einer Maske, verzweifelten
Hilfegeheisches schaute sie zu ihrem Anwalt. Doch dieser
seufzte und zuckte die Achseln. Er hatte sich wohl ein
Versäumnis vorzuwerfen. Da brach die Frau Doktor
zusammen. Obwohl mein verehrter Kollege redlich bemüht
war, ihr den Mund zu stopfen, sprudelte sie mit
tränenbewegter Stimme hervor, dass sie nunmehr alles
zugebe, dass die Ehe tatsächlich nicht vollzogen und nur zum
Zwecke der Erlangung der Staatsbürgerschaft geschlossen
worden sei.
Es ist nicht gut, über einen besiegten Gegner zu
triumphieren. Der Weise läßt Milde walten und lindert den
Schmerz seines Feindes. Also begab ich mich gemeinsam mit
meinem gegnerischen Kollegen auf den Gerichtsgang, wo wir
uns auf die Durchführung einer formalen einvernehmlichen
Scheidung einigten. Der Richter, ein weiser und milder Mann,
hatte nichts gehört von den vorherigen Ereignissen und willigte
in die Klagsänderung ein. Es gelang mir sogar, meinem
Klienten als heilendes Pflaster für den Abschiedsschmerz zu
seinem erwarteten Lohn zu verhelfen.
Alles löste sich in Wohlgefallen auf, und es hatte sich
wieder erwiesen, was eine unerwartete Attacke für Wunder
bewirken kann. Denn es wäre der Frau Beklagten als Ärztin
gewiß ein Leichtes gewesen, noch vor der Untersuchung
durch einen Gerichtssachverständigen das dem
Prozeßgewinn im Wege stehende Hindernis eigenhändig auf
kurzem Wege beiseite zu räumen. Ich will ihr aber nicht
Unrecht widerfahren lassen. Möglich wäre immerhin auch der
ungewöhnliche Gedanke, dass ihr an der Erhaltung des
Beweisstückes der Keuschheit mehr als landläufig üblich
gelegen war.
81

DER FALL P ODER DAS DREIECK DAS EIN


VIERECK WAR

Es steht nirgends verbrieft, dass nur der Mann ein Pascha


ist. Was die Natur uns da im Tierreich vorgaukelt, siehe Löwe,
Hirsch und Dromedar, das hat allenfalls für die Demoskopie
Beweiskraft, nicht aber für eine stichhältige Statistik. Zöge
man für eine solche die gesamte von unserer Sinneswelt
erfaßbare Animalität heran, so würde das Pendel schon ganz
schön in die Gegenrichtung ausschlagen. Man denke nur der
Milliarden Insekten, wie Bienen und Ameisen, bei denen sich
ein einziges Weib ganze Regimenter von liebestollen Gockeln
hält und die Sache ohne nennenswerten Kratzer jahrelang
durchsteht. Davon können unsere Emanzen nur träumen.
Ihnen schwebt bestenfalls die Spinne vor, die bekanntlich
ihren männlichen Liebeswerber nach erfolgreicher Attacke
auffrißt - ob aus Liebe ist nicht verbürgt. Ich tippe da eher auf
simplen Appetit und weibliche Unersättlichkeit.
Nun ja, es ist also im Tierreich auch so. Frau P, eher ein
schüchternes nichtssagendes Dämchen - die brisantesten
Bomben sind bekanntlich unauffällig verpackt - zierte sich über
Gebühr. Ich mußte ihr die Causa förmlich wie einen
Bandwurm aus der Nase ziehen. Schließlich hatte ich das Bild
soweit abgerundet, dass sie seit Jahren verheiratet und Mutter
eines Kindes war. Was sie aber noch ihr eigen nennen durfte,
war ein zweiter Mann, den ich nicht im landläufigen Sinne als
Hausfreund bezeichnen kann. Zwar erfüllte er getreulich die
Pflichten eines solchen. Was ihm jedoch in reichlicher
Unvollkommenheit ermangelte, war die sittsame Heimlichkeit.
Selbige ging ihm vollkommen ab. Anstatt, wie es anständige
Hausfreunde pflegen, meuchlings einem nächtlichen Räuber
gleich, gartenseits ins Haus zu schleichen, trat selbiger kess
82
durch die Vordertür und nannte sich nicht bloß Freund des
Hauses, sondern auch der des Ehemannes.
Der geneigte Leser wird sich fragen, inwiefern dies im
Widerspruch zu den landläufigen Gepflogenheiten eines
anständigen Hausfreundes stehen sollte. Nun, der
Unterschied lag darin, dass unser Hausfreund seine
unsittlichen Absichten keineswegs wie Damon den Dolch im
Gewande zu verbergen suchte. Er trat vielmehr auf wie bei
den alten Völkerschaften der Zeugungshelfer,
sendungsbewußt, als gebühre ihm das größte Stück vom
Kuchen. So hatte es sich mit der Zeit eingependelt, nachdem
der Ehemann weichgeklopft war zu der weisen Einsicht, dass
es besser sei, an einer guten Sache zur Hälfte beteiligt zu sein
als an einer schlechten zur Gänze. So lebte man in Eintracht
und Harmonie, teilte das gute Stück wenn auch widerwillig,
besser gesagt, die Herren ließen sich von der gemeinsamen
Frau P zum jeweiligen Dienste einteilen, und war’s zufrieden.
Allerdings wähnte sich jeder der Herren dem anderen auf
lange Sicht überlegen, denn ein jeder glaubte der Vater des
Kindes zu sein.
Über der häuslichen Harmonie begannen Gewitterwolken
aufzuziehen, sobald Frau P nach meinem Beistand heischte.
Sie wollte nämlich geschieden sein, und zwar von beiden
Herren. Selbiges sollte in der Weise vor sich gehen, dass ihr
die Wohnung verbliebe. Ihr lag lediglich daran, die beiden
lästigen Störenfriede abzubeuteln wie der Hund die Flöhe.
Gleich jenen, nämlich den Flöhen, klammerten sich beide an
ihr Fell. Wie mir Frau P glaubhaft versicherte, seien sie durch
nichts zu einer Trennung zu bewegen gewesen. Wo aber kein
Wille ist, da muß Gewalt her.
Ich brachte also eine Ehescheidungsklage ein,
selbstredend nur gegen den Ehemann, und führte als
Begründung ins Treffen, dieser mute seiner zutiefst
gedemütigten Angetrauten seit Jahren zu, auf bestialische
Weise nicht nur ihm, sondern auch seinem hinterhältig ins
Haus gebrachten Freunde schandbarerweise zu willen zu
83
sein. Seelisch wie moralisch skelettiert, sei sie nunmehr mit
den Nerven am Ende und auch körperlich außerstande,
weiterhin der barbarischen Bettesfrohn nachzukommen.
Beim lektorischen Inhalieren solch herzzerreißender Morität
mußte jedem Richter, dessen war ich gewiß, der Tränenstrom
des Mitleides bis in die Socken rinnen. Erwartungsgemäß
sträubte sich der Ehemann bei der Verhandlung und schob
alles auf das böse Weib, welch selbiges ihm, dem so
schamlos Gedemütigten zumutete, im wahrsten Sinne des
Wortes zuzusehen, wie sein schmerzlich geliebtes Weib es im
gemeinsamen Gemache seit Jahr und Tag schamlos mit
einem Fremden treibe. Sein kläglicher Gesang hätte
vermutlich verfangen, wäre nicht ein gnädiges Schicksal
meiner Klientin wohlwollend zur Seite gestanden. Ein Richter
nämlich, vielleicht selbst Ziel eines hausfreundlichen
Anschlages, hätte sich möglicherweise mit den Gefühlen
meines Gegners solidarisiert. Durch glückliche Fügung aber
war der Richter eine Richterin. So nutznießte meine Klientin
die Solidarisierung, und die Richterin fand, man habe dem
gequälten Weib doch zu viel an Schändlichkeiten zugemutet.
Auch fand sie es reichlich unverständlich, dass Herr P, so er
der willenlos Gehahnreihte sei, noch weiter an der qualvollen
Ehe festhalte. Sein leiser Einwand, dies geschähe zum Wohle
seines Kindes, verfing nicht. Zu Recht vermeinte die Richterin,
der gegenwärtige Zustand sei der Psyche des
heranwachsenden Kindes nicht förderlich. Dieses, nämlich das
Kind, könne Herr P als ehelicher Vater ohnedies jedes zweite
Wochenende und zur halben Urlaubszeit zu sich nehmen.
Herr P versuchte noch den letzten Balken des sinkenden
Schiffes zu retten, nämlich die Wohnung. Doch erntete er mit
selbigem Verlangen nur höhnisches Gelächter. Wird doch
nach ständiger Gepflogenheit die Wohnung stets der mit
einem Kinde bereicherten Mutter zugesprochen.
Solcherart weichgeknetet, wohl auch aus dem Wohlgefühl,
seinem Nebenbuhler endlich eines auswischen und ihn auf die
Straße setzen zu können, willigte Herr P ein.
84
In den folgenden Tagen verließ Herr P die eheliche
Wohnung unter Mitnahme seiner persönlichen Habe und des
Hausfreundes. Jener hatte noch bis zuletzt gehofft, meine
Klientin hätte die ganze Prozedur nur inszeniert, um mit ihm
alleine ihr Dasein bis zum seligen Ende und in Eintracht fristen
zu können. Wohnte ihm doch die Gewißheit inne, der
heimliche Erzeuger des ehelichen Kindes zu sein. Frau P
jedoch zeigte männliche Härte und schmiß auch ihn hinaus.
Am darauffolgenden Wochenende stellte sich der
inzwischen entehelichte Herr P verabredungsgemäß ein, um
das eheliche Kind abzuholen. Frau P jedoch verwehrte ihm
selbiges mit der knappen Kunde, er sei nicht der leibliche
Vater. Herr P, des Kummers gewöhnt, jedoch offenkundig
nicht der Schmach, eilte zum Pflegschaftsgericht und begehrte
die endgültige Festsetzung seiner Besuchsrechte. Bei dem
folgenden Verfahren hatte ich zum zweiten Male die Ehre,
Frau P zu vertreten. Da sie die Vaterschaft bestritt, wurde ein
Gutachten der Blutfaktoren eingeholt, und siehe da. Herr P
war nicht der Vater. Ergo hatte er auch kein Recht auf das
Kind. Total verstört verließ er den Gerichtssaal. Noch auf dem
Gang vor dem Saal - das Gutachten hatte mich ja nicht
sonderlich überrascht - riet ich Frau P, die Vaterschaft des
Exhausfreundes feststellen zu lassen. Halb verlegen, halb
verschmitzt eröffnete sie mir, dass auch der es nicht gewesen
sei. Sie habe sich nämlich - und ihre Augen leuchteten
triumphierend - seit vielen Jahren bei beiden gerächt.
Und am meisten Vergnügen bereitete ihr, dass die beiden
Herren sich zwar unablässig argwöhnisch bespitzelten, von
dem dritten Mann aber nichts bemerkt hatten.
An diesem Beispiel läßt sich erkennen, dass Rache
durchaus ihre angenehmen Seiten haben kann.
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DER FALL Q ODER TOTSTELLEN

Wie sagt der große Erich Kästner: Nicht die Zeiten sind es,
die schlechter werden, sondern die Menschen. Ich habe schon
bei der malerischen Offenlegung des Falles B darauf
hingewiesen: Da heiratet man, prallgefüllt bis über die Ohren
mit reinster Liebe, ein kleines süßes Mägdelein, hat treuen
Herzens nichts weiter im Sinn, als sich von diesem für alle
Zeiten glücklich machen zu lassen, und kommt, kaum dass ein
Stückchen plattgewalzten gelben Metalles den Finger
umwindet, unvermittelt dahinter, dass das kleine Mädchen
inzwischen maßlos gewachsen ist, und zwar weit über den
eigenen Kopf. Man kommt weiters darauf, dass die Süße
reiflich bitter geworden ist, ein wahres Chamäleon. Was aber
das Schlimmste ist: Man hat die gewachsene Größe und die
Bitternis alltäglich, ja allstündlich zu spüren und zu kosten. Zu
welch kapriolender Panik sich dann manch einer hinreißen
läßt, wurde in den vorstehenden Buchstaben beiläufig
angedeutet. Da gibt es eine ganze Palette zwischen dem
radikalen Löser und dem fatalen Dulder. Das Verhalten des
Herrn Q lehnte sich in seiner Resignation eher dem letzteren
an.
Als Spätzünder, wie alle Phlegmatiker, erreichte er das
Stadium des augenöffnenden Erkennens erst zu einem
Zeitpunkt, als ihm die zur Bitternis gewordene Süße bereits
drei Kinder geschenkt hatte. Freilich empfand er dies nicht
unbedingt als Schenkung, zumal eine solche den Besitz des
Beschenkten zu mehren pflegt, desgleichen seine Machtfülle
über Hab und Gut. Von dergleichen konnte bei Herrn Q jedoch
keine Rede sein. Sein Besitz war eher bedenklich
geschrumpft, und seine Machtfülle hatte sich zu einer
ohnmächtigen Leere gewandelt. Solcherart betrachtete er das
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Geschenk eher als ein trojanisches Pferd, in dessen Bauch
bekanntlich nicht eben das Heil verborgen war.
Wie gesagt, Herr Q war ein Mann des Duldens! Einfach den
Hut zu nehmen, mal um Zigaretten ums Eck zu gehen und
nicht wiederzukehren, lag nicht in seinem Sinne. Dazu wäre er
wohl zu feige gewesen. Überdies gab es da drei unschuldige
Kinder, die des Brotes aus Vaterhand bedurften und auch
sonst zu seelischem Gedeihen der geordneten
Hausgemeinschaft. Also zog er das Genick ein, ließ Bitternis
Bitternis sein und sklavte weiter. Wie aber jegliche Kreatur auf
diesem rotierenden Sternenunikum der Vollkommenheit
ermangelt, so war auch die Resignation des Herrn Q eine
totale. Der Mensch bedarf wohl der kleinen geborgten Freiheit,
um die große geschenkte Unfreiheit überhaupt tragen zu
können. Irgendwo muß jeder ein heimliches Gärtchen hegen,
um den Keim der Hoffnung am Leben zu erhalten.
Gemäß seiner besagten Sinneshaltung wählte Herr Q den
Weg des Totstellens. Wann immer seine Angetraute sich ihm,
mehr fordernd als werbend, zwecks Vermehrung der Zahl der
Geschenke ihm näherte, pflegte er sich zunächst schlafend zu
stellen. Alsbald aber hatte sein Weib die List durchschaut, so
dass ihm kein anderer Ausweg blieb, als zu einer radikalen
Methode zu finden und sich tot zu stellen. Ich meine damit
nicht, dass er seine gesamten körperlichen Funktionen und
Aktivitäten zum Zwecke friedhöflicher Verfrachtung eingestellt
hätte, vielmehr möge der geneigte Leser das Totstellen auf
einen kleinen, wenn auch sehr wesentlichen Teil der
Körperfunktion beziehen. Kurz gesagt, er griff zu der
schmählichsten aller Ausreden, nämlich zur Impotenz. Was
ihm anfänglich sein Weib nicht abnahm, verstand er in kurzer
Zeit durch eiserne Disziplin zur Gewißheit zu verdichten.
Zunächst erntete er bitteren Spott und Hohn. Nichts steht
dem Manne in den Augen seiner Angetrauten so wenig
trefflich, wie besagte Lahmheit. Allmählich aber begann in
Frau Q die Gewißheit zu dämmern, dass der Zustand der
Trauerweide ihr selbst zu allergrößtem Verdrusse geworden
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war. Dem Hohn wich Sorge und Beklommenheit. Da nun
setzte Herr Q den Hebel an. Nicht dass er es nicht verstanden
hätte, schon reichlich Kapital aus seiner prekären Situation zu
schlagen; war er doch fürderhin unverdächtig und durfte
unbehelligt von lästigen Eifersüchteleien seinen
Herrenabenden fröhnen. Nicht genug damit, verfiel er eines
Tages auf die Idee, seiner Ehegattin ein längeres Fernsein
vom häuslichen Herd schmackhaft, ja willkommen zu machen.
Er erfand nämlich rundweg ein Sanatorium nebst
Wunderheiler in einer anderen Stadt, wo eine entsprechende
Kur Heilung seinem Leiden zu bringen vermöchte. Halb
resigniert und halb freudig erregt, stimmte Frau Q zu, und der
Ehemann reiste in banger Hoffnung für drei Wochen zu Kur.
Die Frist verstrich zwischen Bangen und Hoffen, Herr Q
kehrte trüben Blickes und reichlich mitgenommen zurück.
Seiner enttäuschten Ehefrau erklärte er achselzuckend, die
Kur habe noch nicht gewirkt, und er müsse in einigen Monaten
die Prozedur neuerlich über sich ergehen lassen. Ich will es
kurz machen: Der geneigte Leser wird erahnen, dass der arme
Herr Q solcherart Jahr um Jahr mit kummervoller Miene zur
Kur reiste und jeweils reichlich mitgenommen und seufzend ob
des ausgebliebenen Erfolges wiederkehrte. Allmählich aber
beschlichen Nattern des Zweifels die Brust seiner Gemahlin,
ob die Kur tatsächlich von der vorgegaukelten Art und Weise
war. Sie fand, dass der Doktor bei seiner Methode des
Kurierens übertreibe, reiste sie ihm das nächste Mal heimlich
nach. Und siehe da; der Doktor erwies sich als aufgedonnerte
Blondine, bei welcher Herr Q seit Jahr und Tag zu kuren
pflegte, offenkundig mitnichten als Trauerweide.
Das Donnerwetter war gewaltig. Reichlich deprimiert suchte
Herr Q meine Hilfe. So sehr hatte er sich an die
Annehmlichkeiten des Kurbetriebes gewöhnt, dass er sich mit
Händen und Füßen gegen die von seiner Gemahlin nunmehr
angestrengte Scheidung wehrte. Es war ihm durchaus
bewußt, dass die Blondine, würde er vom Ehejoch befreit bei
dieser für immer Logie nehmen, binnen kürzester Zeit sich von
88
der schmollmundigen Freundin zum vollmündigen Eheweib
wandeln würde. Er käme also von der Traufe in den Regen,
und das war es, was er zu vermeiden gedachte. Ich aber
mußte meinem Klienten die Trostlosigkeit seines
Standpunktes vor Augen führen, denn die Beweise gegen ihn
waren erdrückend. Wollte er nicht die bittere Pille des
Schuldig-Geschieden-Seins schlucken - und er wollte um
seiner Kinder Willen nicht - so mußte ich zur bewährten
Strategie des altrömischen Feldherrn Cunctator greifen, der
als solcher, nämlich als der „Zauderer“ ruhmreich in die
Weltgeschichte einging. Er hat niemals eine Schlacht verloren,
weil er niemals eine geführt hat. Jeweils wenn der böse Feind
zum Angriff blasen ließ, befahl er seinen Soldaten den
Rückzug. Das ging solange, bis der Gegner müde geworden
war und resignierte.
Der geneigte Leser wird schon erahnen, dass auch der Fall
Q auf selbige Weise einem glücklichen, wenn auch nicht
billigen Ende zuging. Nach etlichen jeweils vertagten
Gerichtsverhandlungen war das Feuer des Zornes in der Brust
meiner Gegnerin soweit auf Sparflamme gebracht, dass Herr
Q zur Attacke blasen konnte. Meinem Rate gemäß ließ er die
Totenstarre fallen und war geheilt. Was Wunder, dass ihn sein
Weib, seit Jahren als solches darbend, vor Rührung über die
wundersame Heilung in die Arme schloß und Richter samt
Anwälte als Bösewichte verteufelte.
Da war sie wieder, die Sache mit dem verlorenen Sohn. Ob
ein Hammel geschlachtet wurde oder ein Schaf, ist mir nicht
bekannt.
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DER FALL R ODER SCHLAMPIGE


VERHÄLTNISSE

Mit Fug und Recht kann ich diesen Fall als einen
verworrenen bezeichnen. Was sich anfänglich wie eine
gutbürgerliche Ehescheidung anließ, zog nach und nach,
einem ins Wasser geworfenen Steine gleich, immer mehr
verworrene Kreise nach sich. Zunächst gab es da nur die
biedere Frau R mit ihrem außer Gunst geratenen Ehemann
und dem gemeinsamen Kind. Der entgunstete Mann schien
auf den ersten Blick phantasielos unergiebig, dass mich bei
der Schilderung der Sachlage die Langeweile überkam, und
ich nur mühsam ein herzhaftes Gähnen unterdrücken konnte.
Alles was Frau R ihm vorzuwerfen in der Lage war, gipfelte in
der zornigen Klage, er gehe fremd. Mir war auf Grund der
immer gleichen Informationen seitens meiner Klientinnen ein
solcher Vorwurf derart vertraut, dass ich versucht war, zu
glauben, das Fremdgehen sei bereits ein so unverzichtbarer
Bestandteil des ehelichen Zusammenseins, wie der Schlafrock
und das Fernsehen. Also unterdrückte ich zum zweiten Mal
die hinterhältige Gähnattacke und fragte routinegemäß nach
Name und Anschrift der seitenbesprungenen Sportsfreundin.
Da meine Klientin verlegen stockte, fragte ich neuerlich nach
dem Namen selbiger Dame. Verlegen rutschte Frau R auf der
sitzbaren Unterlage hin und her, und erklärte schließlich mit
leiser Stimme, es handle sich keineswegs um eine Dame,
sondern um einen Herrn. Und selbigen hatte Herr R unauffällig
als Freund ins Haus geschleust, wo er sich zum wahren
Hausfreund mit verkehrten Vorzeichen auszuwachsen
begonnen hatte. Mit dem Fortschritt des hausfreundlichen
Wachstums war das Interesse für Frau R gleich proportional
geschrumpft. Bis es schließlich danieder lag wie ein toter
Frosch am Straßenrand.
90
Soweit die Schilderung meiner lieben Klientin. Nun halte ich
es ja nicht gerade für lobenswert, wenn ein dem ehelichen
Stand verpflichteter Mann der Ehefrau seine Geringschätzung
in Form einer triumphierenden Nebenbuhlerin vor Augen führt.
Dieses gereicht der Ehefrau gewiß nicht zur eitlen
Schmeichelei. Da es ja offenkundig bereits zum
einkalkulierbaren Berufsrisiko der Eheführenden gehört, früher
oder später gehörnt zu werden, nimmt das gestandene
Ehevolk gemeiniglich die Kunde davon mehr oder minder
gelassen entgegen. Nur weltfremde Exzentriker pflegen sich
dabei aufzuführen wie ein verzogenes Kind, dem man sein
Spielzeug weggenommen hat. Im allgemeinen sind die
Verhaltensregeln in selbiger Situation vorgegeben wie die
Gebrauchsanleitung bei eventuellem Hochwasser. Freilich
nimmt so Mancher die Gelegenheit beim Schopfe und nutzt
sie zum langersehnten Vorwand, um bar jedes eigenen
Verschuldens aus der Misäre zu steigen. Dann werden schon
mal die Reaktionen maßlos überspielt, der besseren Wirkung
wegen.
Mag sohin gemeiniglich die Kunde vom Gehörntsein als
zwar nicht erhoffter aber erfürchteter Schicksalsschlag
resignierend hingenommen werden, so gerät die Sache dann
zur empörenden Ungeheuerlichkeit, wenn, wie in unserem
Falle, der Seitenspringer sich eines gleichgeschlechtlichen
Sprunggenossen bedient. Dann nämlich werden die
primitivsten Regeln des Seitenspringens verletzt, dann wird
der Sprung zur meuchlerischen Moritat. Eine Nebenbuhlerin
vermag die weibliche Seele noch zu umspannen, ein
Nebenbuhler aber sprengt die Kapazität.
Bevor bei der Schilderung des Sachverhaltes auch bei mir
helle Empörung aufzukommen begann, flüsterte mir mein
kleiner Mann im Ohr zu, dass die Geschichte durchaus in der
Lage wäre, noch etwas herzugeben. Also stocherte ich wie ein
Schimpanse mit dem Stock im Termitenhaufen, in Frau R, und
entlockte ihr nach etlichem Sträuben das Geständnis, dass
auch sie der Gunst des Hausfreundes teilhaftig geworden war,
91
und an selbigen Segnungen mitgenascht habe. Wie sie sich
aber eifrigst zu versichern beeilte, hätte sich das aber nur so
quasi zwischen Tür und Angel begeben und ohne Wissen
ihres Ehegemahls.
Zumal ihre Geständnisfreudigkeit damit erschöpft schien,
ließ ich es dabei bewenden, nahm die persönlichen Daten zu
Protokoll und verfaßte schließlich die Ehescheidungsklage. Da
ich hoffte, Herr R würde angesichts der peinlichen Tatsachen
keinen nennenswerten Widerstand entgegenbringen, ließ ich
es bei der Aufzählung seiner Verfehlungen bei mehr oder
minder konkreten Andeutungen bewenden, und führte
insbesondere aus, dass er unter grober Vernachlässigung
seiner Ehegemahlin seine Zeit mit einem Freund verbringe.
Ich sollte mich jedoch getäuscht haben. Herr R gab
keineswegs klein bei, sondern widersetzte sich der Scheidung
mit Vehemenz. Die Ehe bezeichnete er zwar als etwas locker,
doch beabsichtigte er diese im Hinblick auf das gemeinsame
Kind, dem er das geordnete Zuhause zu erhalten gedachte, in
bisheriger Harmonie weiterzuführen. Im übrigen möge sich
seine Gattin einer gewissen Zurückhaltung befleissigen - er
sprach etwas von blöder Schnauze halten - habe sie doch
selber reichlich Butter auf dem Kopfe. Da er sich zunächst
nicht näher ausdrückte, vermutete ich eine Kenntnis von dem
oben erwähnten zwischen „Türundangelgetriebe“. Ich wollte
der Sache auf den Grund gehen und stachelte ihn auf, mit
seinem Wissen nicht hinter den Berg zu halten. Es ist allemal
besser, den Inhalt des gegnerischen Köchers zu kennen, als
mit allerlei Spekulationen im Dunkeln zu tappen. Schließlich
rückte er heraus: die Klägerin unterhalte selber seit Jahr und
Tag ein schandbares Verhältnis zu einer anderen Frau, die in
ihrer Dreistigkeit so weit gehe, sich allnächtlich im ehelichen
Bette des Herrn R vorzufinden.
Die Empörung meiner Klientin manifestierte sich in einem
so leidenschaftlichen Ausbruch, dass mir der fürchterliche
Verdacht kam, Herr R hätte die Wahrheit gesprochen. Mit dem
Vorwand, die Klägerin zu beruhigen, erbat ich eine
92
Unterbrechung der Verhandlung und begab mich mit ihr vor
den Gerichtssaal. Unter Zuhilfenahme einer Schocktherapie,
vorgetragen im erhobenen Baß, war der hysterische Ausbruch
augenblicks gestoppt. Mit entschuldigendem Lächeln gestand
sie alles ein, bat um Verständnis, dass sie sich mir gegenüber
geniert hätte, die Wahrheit zu sagen, doch möge ich sie nun
nicht im Stich lassen. Zwar hatte ich gut Lust, meinen Hut zu
nehmen. Andererseits ist es nicht meine Art, ein halbgeleertes
Glas stehen zu lassen. So überdachte ich die Situation und
mußte mir eingestehen, dass die in Rede stehende Ehe nicht
eine solche im Sinne des Erfinders war. Also kehrte ich in den
Gerichtssaal zurück, spielte den starken Mann und beantragte
die zeugenschaftliche Einvernahme des Hausfreundes. Ich
verabsäumte nicht, durchblicken zu lassen, dass dessen
Umtriebe im Hause R keineswegs von eingleisiger Art seien.
Dabei spekulierte ich gewiß nicht zu Unrecht, dass Herr R
seinem Sportsfreund ungesäumt den Verhandlungsverlauf
berichten würde, und dass selbiger, nur wenig Neigung zur
Zeugenschaft verspürend, alles daransetzen würde, eine
nächste Verhandlung überhaupt zu verhindern. Da sollte ich
mich nicht getäuscht haben.
Der Richter erstreckte die Verhandlung zur Ladung des
genannten Zeugen. Noch ehe es zu einer solchen kam,
erklärte Herr R bereits seine vollständige Einwilligung zur
Scheidung, sodass die nächste Verhandlung lediglich eine
Formsache war. Auf die Einvernahme des Hausfreundes
konnte verzichtet werden.
Nach vollbrachtem Werke herrschte auf dem Gerichtsgang
eine ausgesprochen gelöste Atmosphäre. Man scherzte und
lachte und gab sich heiter. Da wollte auch ich an der Freude
teilhaben und fragte beide nunmehr geschiedenen Ehegatten,
wie denn die Sache weitergehe. Ganz einfach, meinte meine
Mandantin. Sie werde mit ihrer Freundin eine
Ehegemeinschaft begründen und Herr R mit seinem Freund.
Bedauerlicherweise stünde der staatlichen Sanktionierung ein
rückständiges Gesetz entgegen.
93
Wer denn nun wo der Mann und wer die Frau sei, wollte ich
in ernstem aber scherzhaft gemeinten Tone wissen. In
durchaus ebenso ernstem Tone erwiderte meine Klientin, sie
sei in ihrem neuen Hausstand der Mann und er in dem
seinigen die Frau. Ein perfekter Rollentausch also, und das
Ganze ohne Operation. Ich kam mir direkt von der Natur
benachteiligt vor.
94

DER FALL S ODER BIS DASS DER TOD


EUCH SCHEIDET

Im Grunde genommen ist es ja eine traurige Sache. Zum


Scheidungsanwalt kommen die Leute nicht, wenn Ihnen das
Herz vor Freude übergeht, sie kommen nicht strahlenden
Blickes, um von der Sonnenseite des Daseins zu berichten,
wenn sie sich kennen und lieben gelernt haben. Nein, sie
kamen, um vor mir rabenschwarze Schattenseiten gleich
einem Kübel Unrates auf meinen blanken Marmorboden
auszugießen, wenn sie sich kennen und hassen gelernt
haben. Und das ist sehr unerfreulich. Wie überhaupt der Fall
des Herrn S, wenngleich er so viele Jahre zurückliegt, mich
heute noch traurig stimmt. Es war ein schicksalhaft tragischer
Fall.
Die Ehescheidung hat viele Väter. Da gibt es den Richter,
der sich berühmt, diese oder jene Ehe geschieden zu haben;
da gibt es den Anwalt, der die nämliche Diktion für sich in
Anspruch nimmt. Jener aber, der die meisten Ehen scheidet,
schweigt in all seiner Bescheidenheit: Nämlich der Tod. Gegen
sein Urteil ist keine Berufung gewachsen. Auch in unserem
Falle war er letzte Instanz.
Herr S war 72 Jahre alt, als sein Scheidungsfall, wie es so
schön im Gerichtsjargon heißt, anhängig wurde.
Der ungeneigte Leser wird vermeinen, es sei der
bürgerlichen Moral abträglich, in derart hohem Alter noch aus
der Ehe zu streben, um etwa gar in kecker
Pflichtvergessenheit ein durch die Last der Jahre zerknittertes
und geknicktes Eheweib in dem Regen der Einsamkeit stehen
zu lassen. Vollends zum Sieden gerät die nachbarliche
Mißgunst, wenn sich der solcherart Erdreißende einem Weibe
von bedeutend weniger Jahren oder gar Jahrzehnten auf dem
Tachometer des Lebens zuwendet, wie dies Herr S so ohne
95
Rücksicht auf seine sitten-schwangere Mitwelt tat. Seine
Auserwählte nämlich war zum Zeitpunkt seines Balzbeginnes
kaum zwanzig Jahre alt. Da sich dieses etwa 6 Jahre vor
meiner Zeitrechnung begeben hatte, war Herr S ein stattlicher
66-iger gewesen. Seine Frau hingegen hatte zum damaligen
Zeitpunkt die malefize 70igerlatte schon längst übersprungen.
Allen nunmehrigen Nasenrümpfern möchte ich
entgegenhalten, dass ihr Gerümpfe zwar der landläufigen
Meinung gerecht wird, nicht jedoch einer tiefen menschlichen
Einsicht. Es mag sich schicken oder nicht. Ich habe viele Fälle
erlebt, in denen Frauen in ihrer Jugendblüte einem um vieles
älteren Mann anhingen, und zwar keineswegs aus
prostituierlichen Motiven, sondern aus wahrhaft inniger Liebe.
Der in jugendlicher Männlichkeit strotzende Jüngling pflegt
eifersüchtelnd derartige Verhältnisse mit Schmutz zu bewerfen
und als dem schnöden Mammon entsprungen zu diffamieren.
In Wahrheit aber entspringt es dem Urbedürfnis alles
Weiblichen, durch die Geborgenheit der väterlich schützenden
Hand sein Ich den rauhen Stürmen des Lebenslaufes zu
entziehen. Und was zählen schon ein paar Jahrzehnte im
Einmaleins der Liebenden? Ihre Herzen schlagen in derselben
Zeit, sie leben in derselben Zeit, sie sind Zeitgenossen.
Als Herr S zu mir trat, hatte seine Zuneigung zu der um
Jahrzehnte jüngeren Geliebten bereits zwei weitere
Zeitgenossen hervorgebracht. Während die Liebe offenbar auf
fruchtbaren Boden fiel, war seine Ehe kinderlos geblieben.
Und seine Ehegattin hatte sich einsichtig genug gezeigt, ihn
bereits vor Jahren, nachdem seine zarten Bande noch zartere
Frucht getrieben hatten, aus der ehelichen Gemeinschaft in
die der Geliebten zu entlassen. In einer schriftlich
ausgestellten Vereinbarung war selbiges dokumentarisch
festgelegt, ihr Einverständnis also zur Eheauflösung in
tatsächlicher Form, wobei er sich verpflichtet hatte, ihr
sämtliche in der Ehe erworbenen Werte samt Wohnung zu
überlassen und ihr außerdem zwecks Bestreitung des
96
Unterhaltes eine angemessene Pfründe zu leisten. Lediglich
sich selbst nahm er mit.
Wie gesagt, das ganze hatte sich bereits vor Jahren
begeben, und Herr S hatte treulich seine Verpflichtungen
beiden Frauen gegenüber erfüllt. Der einen leistete er den
finanziellen Unterhalt, der anderen diesen samt
unausgesetzter Gesellschaft. Als Rentner war es ihm gegönnt,
der um so vieles jüngeren und um so mehr geliebten
Lebensgefährtin in allen täglichen Verrichtungen zur Hand zu
gehen, die Kinder zu pflegen, den Haushalt zu besorgen, und
was noch sonst des Hausmannes Tugenden sind. Alles wäre
wohl gefällig geblieben, hätten nicht dem ältesten Kinde die
Unbilden des Schulganges mit Erreichen des 6. Lebensjahres
gewunken. Da vermeinte das sorgende Mutterherz, dass es
doch dem Kinde viel angetaner wäre, hierbei den ehelichen
Namen des Vaters zu tragen. So richtete Herr S an die seit
vielen Jahren alimentierte, jedoch räumlich entfremdete
Ehegattin ein untertäniges Schreiben und bat um förmliche
Entlassung aus dem bereits unförmlich gelösten Ehebunde.
Gleichzeitig versprach er die ungeschmälerte Weiterzahlung
seiner Alimentation, so dass sich für die betagte Frau S nicht
das Geringste ändern würde. Jene aber, offenkundig
angestaut mit jahrelangem Haß der gekränkten Weiblichkeit,
setzte dem ein entschiedenes Nein entgegen. So kam Herr S
in seiner Ratlosigkeit zu mir.
Es sah zum damaligen Zeitpunkt das Ehegesetz in seiner
unerforschlichen Weisheit vor, dass dann, wenn die häusliche
Gemeinschaft der Ehegatten seit drei Jahren aufgehoben ist,
jeder Ehegatte die Scheidung wegen tiefgreifender unheilbarer
Zerrüttung der Ehe begehren könne. Die Voraussetzung für
diesen Passus war im Falle des Herrn S gewiß gegeben. Nun
haben es aber Gesetze so in sich, wie der Dr. Faustus eine
zweite Seele zu besitzen, nämlich in Form eines zweiten
Absatzes. In diesem pflegt dann hinterhältig all das widerrufen
zu werden, was im ersten Absatz so treuherzig versprochen
wird. Darin hieß es, der geklagte Ehegatte könne dem
97
Begehren erfolgreich widersprechen, wenn dem anderen das
Verschulden aufgehalst werden könne und ihn die Scheidung
härter treffe als den Kläger. Was immer das auch sein mochte,
und als ob das nicht sowieso zumeist der Fall wäre.
Wohl kundig dieses ominösen zweiten Absatzes, wagte ich
dennoch die Scheidungsklage. Wie erwartet, widersprach Frau
S unter Hinweis auf selbigen. „Der Richter aber, ein
insbesondere im Hinblick auf die zwei der
Liebensgemeinschaft inzwischen entsprossenen Kinder sehr
einsichtsvoller Mann, ignorierte die Gesetzeskapriole und
sprach die Scheidung aus. Mein Klient, mit aller Wehmut des
72-jährigen Kindesvaters ausgestattet, hatte Tränen der
Freude in den Augen.
Ehe sie noch recht getrocknet waren, brachte die
Gegenseite eine Berufung ein, und das zuständige
Oberlandesgericht lud zur mündlichen Verhandlung.
Dortselbst wurde eine Wiederholung der Beweise
beschlossen, und die betagte, kränkelnde und gebrechliche
Frau S einvernommen. Unter dem Eindruck dieses
Erscheinungsbildes ignorierte das Oberlandesgericht
seinerseits das künftige Wohlergehen der zwei kleinen Kinder
sowie deren Mutter, hob das Ersturteil auf und wies das
Scheidungsbegehren ab. Der Weiterbestand der in Wahrheit
nicht mehr existenten Ehe war „sittlich gerechtfertigt“. Die
schriftliche Einverständniserklärung zur Aufhebung der
ehelichen Gemeinschaft vor vielen Jahren seitens der Frau S
zählte nicht mehr. Mein Klient war ein gebrochener Mann.
Sein Dilemma kann nur ermessen, wer selbst das Greisenalter
in all seiner Hilflosigkeit betreten hat. Ich tröstete so gut ich
konnte mit der Weisheit des Obersten Gerichtshofes und
brachte eine Revision an diesen ein. Zwar machte ich Herrn S
nach Kräften Mut, wohl war mir aber nicht bei der Sache.
Denn ich habe schon zu oft erfahren, warum jener Frau
Justicia die Augen verbunden sind. Mit Bangen harrte ich der
Entscheidung. und mir graute vor dem Gedanken, Herrn S
vielleicht mitteilen zu müssen, dass sein Scheidungsbegehren
98
endgültig abgelehnt sei. Es hätte diesen gebeugten alten
Mann endgültig gebrochen.
Da griff jener in seiner oft geübten Barmherzigkeit ein, der
die meisten Ehen scheidet. Frau S wurde plötzlich in ein
besseres Jenseits abberufen. Die Ehe war geschieden, noch
ehe der Oberste Gerichtshof sich zu einem Spruche
durchgerungen hatte. Herr S heiratete seine Lebensgefährtin
unverzüglich und gab den beiden Kindern seinen Namen. Ich
bin ihm danach noch oft begegnet, wenn er mit einem seligen
Lächeln auf den Lippen und zwei Kindern an der Hand
behutsam durch die Straße ging.
99

DER FALL T ODER DER KUNSTFEHLER

Der in seiner grenzenlosen Duldsamkeit überaus geneigte


Leser möge mir zum Abschluß meiner in obiger
Buchstabenfolge dargebrachten lichtvollen Offenbarungen
zum Zeichen seiner Absolutionsbereitschaft eine Entgleisung
gestatten. Der letzte von mir offenbarte Scheidungsfall ist
nämlich gar kein solcher, zumal es ihm, obgleich in seiner
Auswirkung darauf hinauslaufend, an einer wesentlichen
Voraussetzung ermangelte: nämlich an der staatlichen oder
gar kirchlichen Sanktionierung des trauten Beisammenseins.
Kurz, die beiden waren nicht verheiratet, weshalb eine
Scheidung im Sinne des Gesetzes auch nicht erfolgen konnte.
Sie verbrachten ihre gemeinsamen Tage, und nicht nur diese,
in einer de facto Ehe, die sich von der de jure Ehe nur dadurch
unterscheidet, dass sie angeblich wild ist.
Der Laie möge sich aber keine falschen Vorstellungen
machen, denn ich habe im Verlauf meiner Praxisjahre viele
Ehen erlebt, die bedeutend wilder waren, als das landläufige
Konkubinat. Dem Vernehmen nach soll die Institution des
Fernsehens der legendären Wildheit schon die Spitze
genommen haben.
Nun denn, die Frau T war nicht im Sinne des Gesetzes
verehelicht, jedoch in natura. Sie war nicht mehr die Jüngste
und lebte seit 15 Jahre mit einem Herrn zusammen, der um
einiges jünger war als sie und dennoch bereits die rauhen
Stürme der Midlife-Crisis ins Gesicht geblasen bekam. Frau T,
um die Beständigkeit ihres sündhaften Konkubinates besorgt,
desgleichen um die Seßhaftigkeit ihres Konkubiners, sann
nach zauberkräftigen Essenzen, um diesem zwecks
Hintanhaltung einer eventuellen Flucht das Verharren am
häuslichen Herd zu versüßen. Während sie noch selbstredend
heimlicherweise mit allerlei Kräutern und Verrenkungen
100
gymnastizierte, brach das Schicksal jählings über sie herein,
und dies in Form eines ordinären Schnupfens. Genervt durch
die Hartnäckigkeit desselben, heischte sie nach der heilenden
Hand eines Mediziners, welchselbiger unglücklicherweise
seine Berufung im Fache der Schönheitschirurgie zu finden
glaubte: Noch unglücklicherweise entdeckte er bei Frau T
nicht nur den Bazillus Schnupfikus, sondern ein von Kindheit
an vorhandenes Leiden, welches sich in den der weiblichen
Schönheit abträglichen eingefallenen Wangen manifestierte.
Flugs hatte er Blut geleckt, ließ den Schnupfen von dem
heilen, der ihn gebracht hatte, und erklärte verheißungsvoll, es
gäbe eine in Amerika entwickelte Methode, um auf kurzem
Wege das Leiden der eingefallenen Wangen spurlos zu
beheben. Er versprach der freudig errötenden Frau nicht
weniger als ein „schönes Gesichterl“. Das verheimlichte sie
ihrem Lebenspartner nicht.
Frau T, berauscht von der Vision künftiger bislang
schmerzlich entbehrter Schönheit, beseelt von der Gewißheit,
auf diese Art ihren Quasiehemann für alle Zeiten in glühender
Leidenschaft an sich zu binden, stimmte zu. Ein Tag wurde
festgelegt, ein Termin vereinbart. Frau T stellte sich
fristgerecht in der vorgegebenen medizinischen Servicestelle
ein, wo sie von einer zwielichtig lächelnden Oberschwester mit
den Worten empfangen wurde: “Aha, Sie sind die Dame, der
wir heute drei Rippen herausnehmen.“
Nicht minder geschockt wie verdutzt über selbige
Verheißung wollte Frau T stehenden Fußes kehrt machen, um
ihr Heil in der Flucht zu suchen. Die Oberschwester hingegen,
ob des zu erwartenden ärztlichen Rüffels wegen entflohener
Patientin gleichfalls geschockt, stellte sich ihr in den Weg und
überredete sie, abzuwarten bis der Herr Primarius komme und
ihr alles erkläre. Offenkundig verwirrt durch die chloroformierte
Luft, ließ sich die präsumtive Patientin vorläufig umstimmen
und folgte der Oberschwester in ein Wartezimmer. Kaum hatte
sie sich dort niedergelassen, erschien ein junger Arzt, der
101
nicht lange flunkerte, keine Einwände gelten ließ und ihr mit
flinker Hand eine Spritze verpaßte.
Was Frau T nicht wissen konnte: es war die sogenannte
Wurstigkeitsspritze. Nach deren Genuß pflegt der Patient jede
Prozedur lächelnd über sich ergehen zu lassen, und wäre es
die eigene Enthauptung. So war es denn auch nur reine
Formsache, dass der Herr Primarius erschien, ihr die Wange
tätschelte und versicherte, es werde sich alles zum Guten
wenden.
Auf dem Operationstisch entschlummerte Frau T endgültig.
Ihr Erwachen war von geringerer Lebensqualität. Sie hatte
rasende Schmerzen und stöhnte gottserbärmlich. Was sie
zum damaligen Zeitpunkt noch nicht wußte: man hatte sechs
Stunden an ihr herumgeschnetzelt, die Knorpel dreier Rippen
abgeschabt und zwischen Oberlippe und Oberkiefer unter die
Wangen geschoben. So quasi als Drüberstreuer hatte man ihr
noch die Nase gekürzt. Als reinen Glücksfall ist es zu
bezeichnen, dass man ihr nicht noch andere Utensilien
amputierte.
Gepeinigt von rasenden Schmerzen, lag die arme Frau
zehn volle Tage im Krankenhaus. Dann war die Geduld des
Herrn Primarius zu Ende. Er erklärte sie zu einer wehleidigen
Querulantin, verfrachtete sie in seinen privaten PKW, und
chauffierte sie in ihre Wohnung. Sie war als geheilt entlassen.
Drei Tage lang wälzte sie sich qualvoll in ihrem Bette, dann
begann das abgeschabte Rippengeknorpsel allmählich aber
unaufhaltsam zwischen Oberlippe und Oberkiefer nach unten
zu wandern. Böses ahnend, raffte sie sich auf und suchte den
Herrn Primarius in dessen Praxis auf. Jener gab sich ärgerlich,
ergriff eine Schere und schnitt damit das lästige vorgequollene
Füllzeug ab. Danach schickte er Frau T nach Hause.
Nachdem sie sich abermals tagelang gequält und der Heilung
geharrt hatte, begab sie sich schließlich in ein anderes
Krankenhaus, wo man ihr unter heftigem Kopfgeschüttele das
bereits total vereiterte Zeug herausräumte.
102
Im Zuge des anschließenden langwierigen und
schmerzvollen Heilungsverlaufes, wachte die väterlich
schützende Hand des Herrn Professors, einer Kapazität auf
diesem Gebiet, über ihrem genesenden Haupte. Und dieser
machte schließlich seiner Empörung dadurch Luft, dass er
unumwunden erklärte, es sei ein Verbrechen, was man da mit
ihr angestellt habe, eine bodenlose Gemeinheit, und sie möge
ungesäumt einen Rechtsanwalt aufsuchen und jenen dreisten
Kurpfuscher mit einer gerichtlichen Klage kräftig zur Ader
lassen.
Mit solcherart gestärktem Rückgrat trat sie in mein
Blickfeld. Ich hörte mir die Sache an, schüttelte in ehrlicher
Empörung den Kopf, und verfaßte eine Klage, mit welcher ein
angemessenes Schmerzengeld verlangt wurde. Da mir
selbstverständlich die peinliche Gewissensnot eines
Mediziners bekannt ist, der in einem Rechtsstreit zum
Sachverständigen berufen wird - der böse Vergleich mit den
Krähen, die einander kein Auge aushacken, ist unzutreffend,
zumal Mediziner keine Schnäbel haben - war bei der ersten
mündlichen Streitverhandlung mein hinterhältiges Tun darauf
gerichtet, ohne den Argwohn des hohen Gerichtes und meines
Gegenvertreters zu wecken, in unauffälliger Weise den Herrn
Professor, der sich ja schon in so erfreulich eindeutiger Weise
präjudiziert hatte, als unparteiischen Sachverständigen an den
Richtertisch zu bekommen. Unter Aufbietung meiner ganzen
schauspielerischen Fähigkeiten gelang mir selbiges.
Der Herr Professor wurde bestellt. Im Geiste rieb ich mir die
Hände und malte mir schon fantasiereich aus, wie der
unparteiische Gutachter bei der nächsten Verhandlung den
beklagten Primarius schonungslos zur Sau machen würde.
Dem Prozeßgewinn und damit den Segnungen des zu
erwartenden Schmerzengeldes stand nichts mehr im Wege.
Aber wie steht es im Buch der Weisheit geschrieben: Wer das
Fest schon vorher feiert, wird es nicht erleben. Verfrühte
Freude ist wie unreifes Obst: Sie geht nach hinten los.
103
Nun, wie gesagt, ich hatte zu früh frohlockt. Denn der Herr
Professor erschien, ganz souveräner Alleswisser, und
beteuerte mit leidender Miene, wie ungerecht das Schicksal
mit meiner Klientin verfahren sei und welch unverdiente
Schmerzen sie habe erdulden müssen. Die von dem
beklagten Primarius angewandte Methode und dessen Praktik
seien zwar ungewöhnlich, jedoch nicht verfehlt und durchaus
den medizinischen Gepflogenheiten angepaßt. Ein Kunstfehler
liege jedenfalls nicht vor.
Da hatten wir nun den Palawatsch. Nach einer
Schrecksekunde versuchte ich mich gegen den Wind zu
stemmen und durch allerlei Fragestellung den
Sachverständigen von jener ungeheuerlichen Ansicht
abzubringen. Der aber war routiniert genug, gekonnt zu
parieren und sich auf eine unangreifbare Plattform
zurückzuziehen, nämlich auf sein Fachwissen. Demzufolge
gäbe es in Amerika zahlreiche Beispiele, wonach die gleiche
angewandte Methode zu verblüffenden Erfolgen geführt habe.
Schließlich berge jede Operation ein gewisses Risiko. Dass
die gegenständliche danebengegangen sei, wäre äußerst
bedauerlich, nicht jedoch das Verschulden des Operateurs.
Mit Mühe mußte ich meine Empörung zurückhalten. Ich hatte
gute Lust, ihm vorzuwerfen, dass er dem Gericht
verschwiegen hatte, in dieser Sache schon als behandelnder
Arzt tätig gewesen zu sein und die Klage empfohlen zu haben.
Als letzte Rettung erwirkte ich vom Vorsitzenden eine
Verhandlungspause.
Auf dem Gerichtsgang, wo sich der Herr Professor eine
Zigarette gütlich sein ließ, trat meine Klientin an ihn heran und
fragte schüchtern unter vier Augen, wie denn das möglich sei,
denn ihr habe er doch Gegenteiliges gesagt und geraten. Da
zog der Herr Professor, wie mir Frau T nachher verzweifelt
versicherte, die Brauen hoch und sagte in bekümmertem Ton:“
Kindchen, Dir kann ich es ja sagen, aber vor Gericht doch
nicht.“
104
Meine Klientin war verzweifelt und wollte dem grausigen
Spiel ein Ende setzen. Einen weiteren Sachverständigen zu
beantragen lehnte sie ab. So blieb mir nichts anderes übrig,
als zu retten was noch zu retten war. Mit wohlwollender Hilfe
des Gerichtes gelang der Abschluß eines Vergleiches, wonach
wenigstens die Verfahrenskosten und ein wenn auch
bescheidenes Schmerzengeld von der Gegenseite bezahlt
wurden.
Ich war um eine Erfahrung reicher geworden. Um eine
Illusion jedoch ärmer.
Was das alles mit einer Ehescheidung zu tun hat? Nun der
Konkubiner, offenkundig stimuliert durch die enttäuschte
Hoffnung, die allemal schlimmer ist als gar keine, hat sich
grußlos davongemacht. So besehen war der Prozeß in seiner
letzten Konsequenz ein solcher, der zur Scheidung einer
Pseudoehe führte.
Dennoch läßt es sich leugnen, dass besagter Fall meiner
Rechtsverdreherkunst nicht zum Lob gereichen kann. Der
Erfolg ist ein gar launischer Geselle. Trotzdem kenne ich
Kollegen, die sich mit der Behauptung aufplustern, noch nie
einen Prozeß verloren zu haben. Sofern das nicht schamlos
gelogen ist, haben sie auch noch nie einen geführt.
Bei den Mühlen der Gerechtigkeit ist man gar oft ein Don
Quijote.
105

NACHWORT

Es ist nicht wahr, dass nur der junge Advokatenfrischling in


seinem jugendlichen Überschwange die Schmerzen seiner
bangenden Klienten mitleidend teile, der abgebrühte
Paragrafenfuchser aber hinter seiner antrainierten
Teilnahmsmiene nur nach Honoraren strebe und für seine
Schutzheischenden keineswegs nach größtmöglichem
Wohlergehen. Mitnichten. Selbst über den durchstandenen
Prozeß hinaus läßt er nicht selten seine samaritäre Fürsorge
aufopfernd angedeihen. Der abschließend zu schildernde
Beispielsfall soll selbiges erhellen.
Mithin sei als letzter jener Scheidungsfall offenbart, der mir
bis zum heutigen Tag dann und wann die Erinnerung zu
betrüben vermag. Schon sein jäher Eintritt in mein
segensreiches Schaffen stand unter keinem guten
Morgenstern.
Eines allzu frühen Tages nämlich, indes ich noch an der
bereits verwaisten Seite meiner Gemahlin – sie war
klammheimlich dem Lockruf eines Golfballes gefolgt – den
lähmenden Schlaf aus den Gliedern zu dösen versuchte,
schreckte mich der telefonische Anruf eines mir von Jugend
an verbundenen Freunden hoch. Dieser, demselbigen
beruflichen Tagewerk verhaftet wie ich, eröffnete mir bar jeder
geheuchelten Entschuldigung, wie dies barbarischen
Frühaufstehern eigen ist, dass ihm ob der Flut der auf ihn am
Vortag eingestürzten Ereignisse ein Gerichtstermin aus dem
Gedächtnis abhanden gekommen sei. Im Klartext: Er hatte ihn
verschlampt, nach dem advokatischen Sprachgebrauch „eine
Kollision“.
Ich sollte für ihn einspringen.
Nun war es nicht das erstemal, dass ihm solches
Mißgeschick widerfahren war. In der Tat hatten sich in der
106
letzten Zeit derartige morgendliche Anrufe seinerseits
verdächtig gehäuft. Meinen aufkeimenden Unmut unterdrückte
ich seufzend. Wem soll man schließlich seine Schlampereien
nachsehen, wenn nicht dem Jugendfreund? Aber an den Kopf
werfen kann man sie ihm schon. Ehe ich dazu gekommen war,
hatte er aufgehängt. Da die Zeit drängte, mußte ich mich zur
Eile quälen.
Beim Gerichtsgebäude angekommen, strebte ich zunächst
zur Portierloge, wo seine beflissene Sekretärin, wie oft geübt,
den Akt für mich deponiert hatte.
An Aktenstudium war nicht zu denken, was ja auch
verlorene Zeit gewesen wäre. In der unvermeidlichen
Langeweile der Gerichtsverhandlung ist Gelegenheit dazu im
Übermaß.
Während ich gemessenen Schrittes zum Aufzug ging, lotete
ich anhand der gerichtlichen Vorladung den Gerichtssaal aus,
desgleichen wen ich zu vertreten hatte. Dass es um eine
Ehescheidung ging, hatte ich bereits herausgefunden.
Desgleichen, dass ich die klagende Ehefrau zu vertreten hatte.
In der Zielgeraden des Ganges, wo sich Saal an Saal
bedrohlich reiht, drängten sich bereits zahlreiche naive
Gerechtigkeitsheischer und standen in Gruppen umher. Um
meine neue Mandantin herauszupicken, rief ich vernehmlich
ihren Namen.
Mit Erstaunen, ja mit Wohlgefallen sah ich, wie sich aus
dem Pulk ein gar zierliches, sehr hübschgestaltetes
Persönchen löste und mit zaghaften Schritten mir
entgegenschwebte. Die Enttäuschung war ihr in das anmutige
Gesicht geschrieben. Hatte sie doch meinen Freund als
Beistand in ihrer schweren Stunde erwartet. Flugs stellte ich
mich vor, bedauerte ebenso inständig wie geheuchelt, dass
jener leider, leider....Als junger Anwalt erfindet man eine
rührselige Geschichte, läßt Onkel zu Grabe tragen und
dergleichen Anverwandte. In gereiften Jahren wird man
dessen leid und verzichtet auf den Schnickschnack.
107
Nachdem ich ihr prophetisch versichert hatte, dass sie bei
mir in guten Händen sei und ich den Akt genauestens kennen
würde, erhellten sich ihre Züge einwenig. Das gab mir
Gelegenheit, ihr erfrischendes Äußeres unauffällig optisch zu
betasten. Dabei muß sich mein gleitender Blick an ihren
sündhaften Rundungen verhakt haben. Denn sie erhob
erschreckt, ja strafend die zarten Brauen. Flugs riß ich mich in
die Geschäftigkeit zurück, beteuerte ihr, es werde alles
gutgehen und die Sache stünde zum Besten.
Sie, nämlich die Sache, wurde alsbald aufgerufen. Der
Richter quälte sich lustlos durch die Formalitäten, und ich
konnte den Akt durchblättern und so der Causa kundig
werden. In medias res ging es zunächst darum, den beklagten
Ehemann zur Sau zu machen. Hatte er doch diesem armen,
treu sorgenden, untadeligen Geschöpf die unfaßbare
Schmach angetan, des Abends, anstatt das fürsorglich
bereitete Nachtmahl im trauten Heim zu verzehren, es – nicht
einmal, nein des öfteren – mit einem liederlichen Weib zu
treiben. Dass das Hohe Gericht alsbald meine Empörung teilte
und dem Unhold seinen Bannstrahl zuteil werden ließ, liegt auf
der gar nicht vorgehaltenen Hand.
Gerührt mußte ich mit ansehen, wie meine gequälte
Mandantin das ihr so schandbar angetane Leid beherzt zu
ertragen versuchte, indes stille Tränen über ihre pfirsichzarten
Wangen rannen. Dass ich in Rührung mit ihr litt, wird
jedermann verstehen. So war es denn nur folgerichtig, dass
die Gerechtigkeit zum Durchbruch kam und die Ehe aus dem
alleinigen Verschulden des Mannes geschieden wurde.
Nach dem Verlassen des Gerichtsgebäudes hielt ich es für
meine samaritäre Pflicht, das arme, immer noch
wangebenetzte Persönchen unter meine väterlichen Fittiche
zu nehmen, um sie nicht mutterseelenallein dem anteilslosen
Großstadtgetriebe anheimzustellen.
Also ging ich mit ihr einige Schritte der Tröstung bis zu
einem anheimelnden Kaffeehaus, wo ich ihr so gut es ging
aufmunternde Worte gab, um sie für den weiteren Lebensweg,
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der bei ihrer jugendlichen Blüte gewiß noch viele sonnige
Tage bereithielte, aufzurichten und zu stärken.
Selbiges gelang mir in erstaunlicher Geschwindigkeit, was
ich, wie ich gestehe, in vorausschnellender Eitelkeit meiner
suggestiven Trösterkraft zugute hielt. Sie faßte sich beherzt,
trocknete die letzten Tautröpfchen von ihren Wangen, und
konnte sogar wieder lächeln.
Gedopt durch den augenscheinlichen Erfolg meiner
therapeutischen Fähigkeiten, beschloß ich, den ausklingenden
Vormittag nicht freudlos in den arbeitsreichen Nachmittag
übergleiten zu lassen. Dabei fügte es sich geschickt, dass ich
gemeinsam mit meinem oberwähnten Jugendfreund und
Berufskollegen seit geraumer Zeit ganz in der Nähe eine
kleine Wohnung gemietet hatte, wo wir uns beide
abwechselnd an geraden beziehungsweise ungeraden Tagen
so zwei- bis dreimal die Woche der entspannenden Muße
hinzugeben pflegten. Dorthin geleitete ich nun behutsam das
zierliche Persönchen, um flugs meine therapeutische
Samariterpflicht in branchenüblicher Weise abzurunden.
Bei Ansichtigwerden des Haustores schien sie mir einwenig
verwirrt, wenn nicht gar konfusioniert. Ja mir war fast, als
würde sich ihr Fuß sträuben, das Haus zu betreten. Sie fasste
sich aber schnell, und ich muß bekennen, dass die
anschließende Nachbehandlung augenscheinlich ihr nicht
minder in angenehmster Weise zur Entspannung gereichte.
So sehr war ich von der spontanen Genesung angetan,
dass ich sie der Wohltat solch nachprozessualer Therapie
noch für einige Zeit teilhaftig werden ließ.
Erst viel viel später, anläßlich eines gemütlichen
Beisammenseins mit meinem Freund, bei dem ich nach
gelöster Zuge heiter jene Erlebnisse zum Besten gab,
eröffnete er mir nicht minder heiter, dass er mit diesem
zierlichen Persönchen in unserem verschwiegenen Refugium
bereits vor der Scheidungsverhandlung emsig auf die
Genesung hingearbeitet hatte, und – was mich noch heute
wurmt – desgleichen danach.
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Geschrieben 1980

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