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Coverdesign Ulrike Kirsch

Rolf Kirsch

Die Stoipa
Bruno hat jetzt in einem kleinen Kreis zugegeben,
dass er, Bruno, seit vielen Jahren an einer Krank-
heit gelitten habe, die wegen ihrer Heimtücke und
ihrer Unsichtbarkeit für andere Menschen kaum
Möglichkeiten der Heilung geboten hätte, dass
jetzt aber der Zeitpunkt gekommen sei, an wel-
chem er, Bruno, allen Mitmenschen, Freunden,
Bekannten und Verwandten freudig mitteilen
könne, dass er nun geheilt und gesund sei.

Die Umsitzenden, so wurde berichtet, hätten er-


staunt aufgeschaut und einige von ihnen hätten
geäußert, dass ihnen bislang nicht bewusst gewor-
den sei, dass er, Bruno, überhaupt jemals krank
gewesen wäre, vielmehr habe er immer einen ge-
sunden und robusten Eindruck hinterlassen und
um welche Erkrankung, bei allem Respekt, es
sich denn gehandelt habe, wenn man fragen dür-
fe.

Darauf soll Bruno eine Pause eingelegt und


schließlich geantwortet haben, selbstverständlich
dürfe man nach dieser heimtückischen Erkran-
kung fragen. Er, Bruno, könne mit seiner Antwort
möglicherweise helfen, dass diese Heimsuchung
nicht so lange im Verborgenen bliebe wie bei
ihm, sondern dass durch seine Mitteilung andere
Menschen, die die versteckten Anzeichen nun zu
deuten wüssten, viel früher einer Heilung gewiss
sein könnten. Und nach einer weiteren Pause ha-
be Bruno schließlich die Erkrankung als "die
Stoipa" bezeichnet und wiederum gewartet, bis
einer der Umsitzenden die Frage an ihn, Bruno,
richtete, was um Himmelswillen diese Stoipa
denn sei und was sie anrichte.

Bruno habe sich nun zurückgelehnt, wie es Ex-


perten tun, denen man mühevoll ihre Kenntnisse,
Erfahrungen und Erforschungen abringen müsse.
Dann habe er darum gebeten, dass man ihn wäh-
rend seiner Ausführungen nicht unterbrechen mö-
ge, damit er im Zusammenhang alles erklären
könne. Schließlich habe Bruno nicht ohne sich
noch einmal zu räuspern, erläutert, dass es sich
bei der Stoipa um eine Erkrankung handele, die
grundsätzlich alle Menschen des Erdballs zu be-
fallen imstande sei und keine Unterschiede zwi-
schen Geschlecht, Herkunft, Religion, Weltan-
schauung, Hautfarbe, Migrationshintergrund oder
sexueller Orientierung mache, dass es für diese
oft verborgene Heimsuchung, die nur an kleinen
Anzeichen im Verhalten der Befallenen erkannt
werden könne, auch keine medikamentöse Be-
handlung gäbe, zumindest derzeit nicht.

Die Stoipa, so sei Bruno fortgefahren, äußere sich


darin, dass der Befallene etwas behaupte, was es
in der Realität überhaupt nicht gebe oder was für
alle in der Welt eine vollkommen falsche Be-
hauptung sei. Wenn nun der von der Stoipa
Heimgesuchte auf die Unwirklichkeit oder
Falschheit seiner Behauptung vorsichtig auf-
merksam gemacht werde, dann würde der Er-
krankte mit der ihm zur Verfügung stehenden
Sturheit und Entschlossenheit auf die Richtigkeit
seiner Behauptung dringen und so lange daran
festhalten, bis alle Menschen seines sozialen Um-
feldes ermattet darauf verzichteten, den Heimge-
suchten noch eines Besseren zu belehren, worauf
der Erkrankte umso überzeugter sei, dass seine
Behauptung über alle Zweifel erhaben und damit
Bestandteil der Wirklichkeit geworden sei. So un-
gefähr, habe Bruno seine Ausführungen geschlos-
sen, so ungefähr seien die Anzeichen der Stoipa
zu benennen.

Auf diesen Bericht hin hätten die Umsitzenden ei-


ne gewisse Zeit etwas ratlos umher geblickt.
Schließlich habe jemand aus dem Kreise vorsich-
tig erwähnt, dass er noch niemals von dieser
Krankheit gehört habe, ihm der Name Stoipa
auch nicht geläufig sei, er somit zu diesem Zeit-
punkt gewisse Zweifel habe, ob es diese Erkran-
kung überhaupt gebe.

Auf diese Einlassung hin habe Bruno aber sofort


empört reagiert und vehement darauf hingewie-
sen, dass er, Bruno, es sei und niemand sonst in
diesem Kreise, der schließlich jahrelang an dieser
Erkrankung gelitten habe, jede Phase dieser
Heimsuchung an sich selbst habe untersuchen
können. Er habe es nicht nötig, seine Aussagen
von Unwissenden und Leugnern bezweifeln zu
lassen. Alle anderen täten gut daran, sich die
Bezeichnung "Stoipa" einzuprägen. Auch wenn
die Übertragungswege noch nicht erforscht seien,
bestehe doch eine immense Gefahr nicht nur für
die Umsitzenden, sondern möglicherweise früher
oder später für die gesamte Menschheit. Er, Bru-
no, wisse genau, wovon er rede.

Da nun alle im Kreise sorgenvoll schwiegen,


schließlich der vorgenannte Zweifler auch zugab,
dass offensichtlich die Stoipa eine Tatsache sei,
wie Bruno ohne Zweifel gerade belegt habe, sei
Bruno zufrieden aufgestanden und habe ruhig und
gelassen die Runde mit einem freundlichen Ab-
schiedsgruß verlassen.

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