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Eselinei

Wir lassen uns die "Bürgerinnen und Bürger", die "Leserinnen und Leser", die
"Soldatinnen und Soldaten" und zur Not, aber wirklich nur zur Not auch noch
den "Studierendenausweis" gefallen. Man braucht den femininen Plural
genauso wenig wie dieses absurde, verdruckste Partizipialmonster.
Dergleichen ist umständlich und war bei der Herstellung der
Geschlechtergerechtigkeit wohl auch noch nicht sonderlich hilfreich. Genau
genommen wird damit sogar eine neue Ungerechtigkeit begangen. Denn bei
den Lehrern und Autoren, den Ärzten und Redakteuren wollen die Frauen
begreiflicherweise dabei sein, nicht aber bei den Mördern, Dieben und
sonstigen Verbrechern. Diese werden gewissermaßen immer nur mit ihrem
männlichen Vornamen angeredet. Von einer Meldung wie "Nach der Mörderin
oder dem Mörder wird noch gefahndet" oder von einer "Verbrecherinnen- und
Verbrecherkartei" hat man jedenfalls noch nichts gehört, obwohl ja eigentlich
erst wirkliche Gerechtigkeit hergestellt wäre, wenn bei der Nennung einer
bestimmten Personengruppe auch nicht eine einzige Frau unterschlagen wird,
was ja bedeuten würde, dass die Frau als solche dadurch quasi schon
unterdrückt wäre. Sei es drum. Wenn diese Eseleien, die es in keiner anderen
Sprache gibt, dem sozialen Frieden dienen - bitte sehr. Man kann, wie dies an
dieser Stelle schon mehrmals, aber wahrscheinlich zu zaghaft versucht wurde,
noch so oft darauf hinweisen, dass das grammatische Geschlecht (Genus) mit
dem biologischen Geschlecht (Sexus) nicht zwingend etwas zu tun hat und es
also den weiblichen Gast genauso gibt wie die männliche Geisel. Und es hilft
wahrscheinlich auch nicht viel, daran zu erinnern, dass im Deutschen das
primäre grammatische Geschlecht nun einmal männlich ist. Die Leute wollen
es einfach nicht begreifen. Sie reden und schreiben mit einer idiotisch-
bürokratischen Umstandskrämerei mitsamt diesen hässlichen Schrägstrichen
("der/die Wähler/in"), die in seltsamem Kontrast zu dem Bedürfnis nach
Bequemlichkeit steht, das sich sonst allenthalben breitmacht. Dies alles lassen
wir uns, wie gesagt, noch gefallen. Aber gerade kommt uns Post auf den
Schreibtisch, die das Fass zum Überlaufen bringt. Der Deutsche
Germanistenverband wendet sich in einem Rundschreiben doch tatsächlich an
"Mitgliederinnen und Mitglieder". Hätte man in diesen Taginnen und Tagen
nichts Besseres zu tun, man müsste dieser Vereinin/diesem Verein, wo
frau/man es eigentlich besser wissen müsste, glatt die Grammatikpolizei ins
Haus schicken. Menschinnenskindnochmal!

edo.

F.A.Z., 04.06.2011, Nr. 129 / Seite 33

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