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1. Stilistik als philologische Wissenschaft, ihr Gegenstand und ihre Aufgaben.

Stilistik (Stillelire) ist die Wissenschaft von der Verwendungsweise und Ausdrucksgr.taltung der Sprache
in sämtlichen Kommunikationsbereichen und Kommunikationssituationen in unterschiedlichen
Kommunkationsaklen. Die Stilistik ist ein Zweig der philologischen Wissenschaften. Sie verfügt über ein
spezifisches Forschungsgebiet und besitzt ihre Aufgaben. Stilistik ist die Lehre von sämtlichen Stilen
einer Nationalsprache,
von ihren Beziehungen zueinander und ihren gegenseitigen Durchdringen. Sie untersucht die sprachlichen
Verwendungsweisen nicht nur auf dem Gebiet der schönen Literatur, sondern auch auf allen Gebieten des
Gesellschaftsleben. Untersucht werden die Stile mit allen ihren Untergruppen, den sogenannten
Gattungsstilen, sowie ihre individuelle Verwendung von einzelnen Persönligkeiten. Die Erforschung des
literarisch-künstlerischen Stils mit allen seinen Komponenten überschreitet den Rahmen der Stilistik, sie
gehört zu den Aufgaben der Literaturwissenschaft. Sobald wir uns mit Textanalyse befassen, sind
Überschneidungspunkte zwischen Stilistik und Literaturwissenschaft nicht zu umgehen.
Der Gegenstand der Stilistik umfasst vier große Forschungsgebiete:
1. Lehre von der Verwendung der sprachlichen Ausdrucksmittel. Dazu gehört die Untersuchung aller dem
mündlichen und schriftlichen Verkehr zu Gebote stehenden Ausdrucksmittel und ihre Erklärung als
Bestandteile
eines einheitlichen Sprachsystems. Ferner Analyse ihrer Verwendung in den verschiedenen funktionalen
Stilen.
2. Geschichte des Stils. Hierher gehört die Untersuchung der einzelnen Stiltypen in ihrer historischen
Entwicklung, d. h. Monographische Analyse einzelner Stile im Längsschnitt der Zeit.
3. Lehre von den Individualstilen. Hierher gehört die Untersuchung von Einzelstilen bedeutender
Wissenschaftler, Publizisten, Diplomaten … In diesem Teil der Stilistik soll gezeigt werden, wie der
Eizelstil grösser Meister auf die Sprach- und Stilnormen der Epoche Einfluss ausübt.
4. Lehre von den sprachlichen Individualstilen in der schönen Literatur. Hier grenzt die Stilistik mit der
Literaturwissenschaft

2. Entwicklungswege der Linguostilistik

In der zeitgenössischen Fachprosa findet sich immer wieder die Ansicht es gebe zwei Arten der Stilistik:
die Linguostilistik, die der Sprachwissenschaft einverleibt ist, und die literarische Stilistik, die in den
Bereich der Literaturwissenschaft gehören soll.

Die drei philologischen Disziplinen bilden zusammen die Wissenschaft von der Sprache und müssen
gemeinsam in organischem Zusammenwirken den Urquell, von dem sie alle gespeist werden, erforschen.
Das geschieht aber mit verschiedenen Zieleinstellungen: Die Linguistik untersucht den gesamten
Sprachbau als System; die Literaturwissenschaft interessiert sich vor allem für die Sprache als Kunst. Der
Stilistik (Linguostilistik) obliegt es, die Verwendungsweisen der Sprache in sämtlichen funktionalen
Ausdruckssystemen unter dem paradigmatischen Aspekt zu ergründen sowie unter dem syntagmatischen
Aspekt in allen möglichen schriftlichen und mündlichen Textsorten. Die genannten Disziplinen bilden
das System der philologischen Wissenschaften – Philologie im tiefsten Sinne des Wortes.

Der Terminus Linguostilistik wird als präzisierendes Synonym zu Stilistik angenommen.

An die Grundsatzfragen der Stilistik kann man aus mikro- und makrostilistischer Sicht herangehen.

Die Mikrostilistik befasst sich vornehmlich mit der stilistischen Charakteristik sprachlicher
Grundeinheiten und unterschiedlicher Stilfiguren sowie mit ihren Verwendungsmöglichkeiten im
Kleinkontext oder erweiterten Kontext (übersatzmäßige Formen, Absätze, Absatzfolge)

Um die Stilwerte einzelner linguistischer Phänomene allseitig zu erfassen, muss man in manchen Fällen
sogar das Textganze zum Beweis heranziehen.
Aufgabe der Makrostilistik ist die Erforschung des Stils als Komplexerscheinung und
Organisationsprinzip von Ganzheitsstrukturen. Ihr Forschungsmaterial bilden grundsätzlich
abgeschlossene sprachliche Großeinheiten, wobei aber die Wechselbeziehung zwischen dem Ganzen und
seinen Teilen stets beachtet werden muss. Zur Makrostilistik zählen wir:

die Funktionalstilistik als Beschreibung der einzelnen Stil- und Subsysteme durch Registrierung der
qualitativen und quantitativen Anwendungsnormen in den kommunikativen Bereichen des
Gesellschaftsverkehrs (einschließlich der schönen Literatur) unter dem paradigmatischen Aspekt.

die funktionale Textstilistik, d.h. die Interprätation inhaltlich und formal abgeschlossener Texte aus
sämtlichen Sphären der Kommunikation (einschließlich Texte von Wortkunstwerken) unter dem
syntagmatischen Aspekt.

Es gibt noch Grenz- und Überschneidungszonen zwischen Linguistik und Stilistik und zwischen Stilistik
und Literaturwissenschaft.

3. Der Begriff „Stil“. Der Funktionalstil und seine Klassifikation.

In der Sprachwissenschaft ist die allgemeine Bedeutung dieses Terminus «Art und Weise, wie die
Sprache- / Redeeinheit ausgeformt und ausgestaltet wird». Es handelt sich nämlich um charakteristische
Eigenheiten, die die Information nach Inhalt in ein bestimmtes Stilsystem einordnen und ihre Lage auf
der stilistischer Höhenskala sowie ihre expressive Beschaffenheit angeben.

Dementsprechend hat jede Redeeinheit, jeder Text – sei er schriftlich oder mündlich, im offiziellen oder
im privaten Verkehr, im Bereich der Wissenschaft, Publizistik oder künstlerischen Literatur – den Stil,
unabhängig davon, ob darin stilistisch gefärbte oder stilistisch nullgefärbte Elemente aller Sprachebenen
(neutrale Lexik, Grammatik, Intonation) vorhanden sind. Alle sprachlichen Aussagen zeigen Stil: sowohl
das dichterische Kunstwerk als auch der achtlos geschriebene Zettel des Alltags; dabei muss der Sender
sich der stilistischen Eigenheit seiner Rede nicht immer bewusst sein. Die Bezeichnung Stil enthält
demnächst kein Werturteil. Gewiss interessiert uns vor allem die Stilleistung, die auf bewusstes Suchen
nach dem am meisten angemessenen, am besten passenden Ausdruck zurückgeht.

Es gibt verschiedene Arten vom Stil. In der Literaturwissenschaft spricht man von literarischen Zeit- und
Epochenstilen (Barock, Romantik, Realismus), vom Stil eines Textes und vom Individualstil eines
Autors. In der Linguostilistik stellt der Funktionalstil den Grundbegriff der modernen Stilistik dar

Die Spezifik des Sprachverkehrs in verschiedenen Sphären der menschlichen Tätigkeit bedingt also die
Herausbildung der Funktionalstile. Der Funktionalstil ist eine Abart der Nationalsprache, die in einem
bestimmten Kommunikationsbereich zum Zweck der angemessenen Realisierung seines typisierten
Inhalts verwendet wird und über ihre eigenen spezifischen Besonderheiten in der Lexik, Phraseologie,
Syntax u.a. verfügt. (I. Arnold, E. Riesel / E. Schendels). Anders gesagt, stellt jeder Funktionalstil ein
systematisiertes und kodifiziertes Arsenal der lexikalischen, grammatischen, phonetischen
Ausdrucksmittel dar, die aus dem gemeinsamen Sprachvorrat zu bestimmten Mitteilungszwecken, für
eine bestimmte Kommunikationssphäre ausgewählt wurden. Jene Sprachzüge und -Elemente selbst
können auch in einem anderen Funktionalstil wiederholt erscheinen, aber ihre bestimmte Kombinierung
und ihre Häufigkeit formen gerade die Spezifik nur dieses Funktionalstils aus. Es gibt eine andere
Einstellung zu diesem Begriff: Funktionalstil ist die Verwendungsweise der Sprache, die dem
entsprechenden Kommunikationsbereich angemessen ist.

· der Funktionalstil stellt ein organisiertes System von sprachlichen Mitteln dar;

· der beruht auf der Einheit seines typisierten Inhalts und der ihm zukommenden Ausdrucksform;
· der Inhalt hängt im allgemeinen vom betreffenden Kommunikationsbereich ab;

· die Ausdrucksform ist ein Ergebnis der zweckentsprechenden, auf die funktionale Angemessenheit und
auf den Inhalt orientierten Auswahl und Organisierung sprachlicher Mittel;

· die Funktionalstile bestehen aus einzelnen funktionalen Gattungsstilen.

Gattungsstil ist die Verwendungsweise sprachlicher Mittel innerhalb eines Funktionalstils;

Zum Beispiel, zum Funktionalstil des öffentlichen Lebens gehören folgende Gattungsstile: Amtstil, Stil
des Gerichtswesens, Stil des Diplomatenverkehrs, Stil des Handelsverkehrs.

Jeder Gattungsstil wird durch spezifische Stilzüge gekennzeichnet. Ein umfassendes System der
Gattungsstile und der ihnen zuzuordnenden obligatorischen bzw. fakultativen Stilzüge wird aber noch
erarbeitet. Die Stilklassifikation oder Stiltypologie ist das zentrale Problem der Funktionalstilistik. Wie
bekannt, beruht jede Klassifikation auf einer Verallgemeinerung, und da die Merkmale der
Sprachverwendung zahlreich und verschiedenartig sind, sind im Prinzip verschiedene Stilklassifikationen
möglich, abhängig davon, welche Seite oder welches Kriterium der Einteilung zugrunde gelegt wird.

Nach dem Kriterium ihrer sozialen Funktion, ihrer kommunikativen Aufgabe (der Stiltyp ist dadurch
bestimmt, in welchem Bereich der gesellschaftlichen Kommunikation die Sprache ihre Funktion als
Verständigungsmittel erfüllt) unterscheiden die Stilforscher folgende Funktionalstile der deutschen
Gegenwartssprache:

· Stil des öffentlichen Verkehrs (der sachlich-offizielle Stil, Direktivstil)

· Stil der Wissenschaft (der wissenschaftliche Stil, Erkenntnisstil)

· Stil der Presse und Publizistik (der Pressestil, der Zeitungsstil)

· Still der Alltagsrede (der Konversationsstil)

· Stil der schönen Literatur (der belletristische Stil, der künstlerische Stil)

Die meisten deutschen Stilforscher bringen die ersten drei Stile unter einen Hut, und zwar unter dem
Begriff «Sachprosa», die der Kunstprosa (dem belletristischen Stil) gegenüberstellt wird. Außerdem wird
oft die Einheitlichkeit des Zeitungsstils bezweifelt: man schlägt vor, zwei selbstständige Stiltypen zu
unterscheiden: den eigentlichen Pressestil und den Stil der Publizistik. Es gibt auch Stilforscher, die die
Existenz des Konversationsstils (Stils der Alltagsrede) stark bestreiten. Sehr problematisch ist in der
heutigen Stilistik auch der Stil der schönen Literatur, weil seine Thematik und Ausdrucksmittel sehr
mannigfaltig sind und man in diesem Stil Merkmale aller anderen Stile findet; und überhaupt, weil die
schöne Literatur nicht kommunikative, sondern vor allem ästhetische Funktion erfüllt, müsste man sie
zum Bereich der Künste und nicht zum Bereich der Funktionalstile rechnen. Es gibt eine andere
Klassifikation, die sich auf das Kriterium der von jedem Funktionalstil erfüllten Sprachfunktionen stützt.
(Es sei erwähnt, dass Klassifikationen dieses Typs nicht so populär sind);

Die Sprache erfüllt folgende Funktionen:

· kommunikative (die Hauptfunktion), d.h. man gebraucht die Sprache in erster Linie, um seine
Gedanken den anderen mitzuteilen, um sie mit anderen auszutauschen;

· voluntative, d.h. man gebraucht die Sprache, um seinen Willen durchzusetzen, um andere
Leute zu überzeugen, anzuspornen, zu einer bestimmten Handlung zu bewegen;

· emotive, d.h. man gebraucht die Sprache, um seine Gefühle den anderen mitzuteilen;

· kontaktive, d.h. man braucht die Sprache, um bloß mit anderen in Kontakt zu kommen;
· ästhetische, d.h. man gebraucht die Sprache, um ästhetischen Genuss zu bekommen.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Spezifik jedes Funktionalstils durch die Besonderheiten
der sprachlichen Funktionen in jedem Kommunikationsbereich bedingt ist. Anders gesagt, ist jeder Stil
durch seine spezifische Verbindung der Hauptfunktion (der kommunikativen Funktion) mit anderen
Funktionen der Sprache gekennzeichnet; er besitzt also sein spezifisches Bündel von Funktionen.

Funktionen der Sprache

Funktionalstil kommunikative voluntative emotive kontaktive ästetische

Der Alltagsrede + + + + -

Der schönen Literatur + - + - +

Der Presse und Publizistik + + + - -

Des öffentlichen Verkehrs + + - - -

Die Wissenschaft + - - - -

Neben der funktional begründeten Stilklassifikation ist in der deutschen Stilistik noch ein Versuch der
Stiltypenbestimmung bekannt, und zwar auf dem Kriterium der Wortarten aufgebaute Klassifikation. Als
Hauptmerkmal des Stils betrachten die Stilforscher das vorwiegende Auftreten einer der drei
Hauptwortarten: des Substantivs, des Verbs, des Adjektivs. Sie begründen auf solche Weise drei
Stiltypen:

· der substantivische Stil (der Substantivstil, Nominalstil) bezeichnet Gegenstände, die im allgemeinen als
Realien der Wirklichkeit aufgefasst werden können; dementsprechend wird er auch als «realistischer Stil»
bezeichnet. Er verkörpert immer eine starke Komprimierung des Inhalts

· der Verbalstil drückt Tätigkeiten, Vorgänge aus und trägt somit die Idee des Prozesses, der Bewegung,
der Expression; man nennt ihn auch «expressionistischer Stil»

· der Adjektivstil ist Träger der Eigenschaften, Merkmale, wodurch verschiedene Eindrücke
(Impressionen) bewirkt werden; wird auch «impressionistischer Stil» genannt.

Die Verwendungspotenzen dieser Stiltypen in verschiedenen Funktionalstilen sind unterschiedlich: für


die Funktionalstile, die zur Sachprosa gehören (Texte der Presse, Publizistik, -wissenschaft, Technik,
Wirtschaft, Verwaltung u.a.) ist der Nominalstil sehr charakteristisch. In der schönen Literatur können
alle drei Typen auftreten; dabei sind nicht nur Inhalt und Zweck der Mitteilung, sondern auch
Besonderheiten des individuellen Stils des Schriftstellers kennzeichnend: Th. Mann hat Vorliebe zum
Nominalstil, B. Kellermann für den Verbalstil; aber gewöhnlich findet man in einem und demselben
Werk Textstellen in verschiedenen Stilen.
4. Stilistische Bedeutung der Wörter und Wendungen.

Stilistische Bedeutung

Wir unterscheiden zwei Arten der stilistischen Bedeutung:

1. Unter dem paradigmatischen Aspekt fällt sie mit der absoluten Stilfärbung der isolierten sprachlichen
Einheit im Sprachsystem zusammen.

2. Unter dem syntagmatischen Aspekt schwindet diese Deckungsgleichheit. In zusammenhängender Rede


wird der Begriff stilistische Bedeutung wesentlich komplizierter.

Absolute stilistische Bedeutung einer sprachlichen Einheit

Die absolute stilistische Bedeutung (synonym: Stilfärbung, Markierung; Kolorierung, stilistische


Charakteristik) ist eine dem Sprachsystem innewohnende linguistische Erscheinung, die die qualitative
und quantitative Verwendung der sprachlichen Einheit im Kontext vorausbedingt. Sie fügt eine
zusätzliche, unentbehrliche Information zur lexischen und grammatischen Bedeutung hinzu.

Schema (Modell)

(für alle sinntragenden Spracheinheiten mehr oder weniger gültig)

A) B) C)
funktionale Komponente normative Komponente expressive Komponente
derStilfärbung

Die Reihenfolge der Aufzählung im Schema ist nicht zufällig. Es ist selbstverständlich, dass wir in der
Funktionalstilistik gerade von der funktionalen Komponente ausgehen.

A) Die funktionale Komponente der Stilfärbung gibt die kommunikative Sphäre an, in der eine
bestimmte sprachliche Gegebenheit sozusagen „beheimatet“ ist.

Die funktionale Stilfärbung bricht in einzelnen Sprachelementen durch: in bestimmten Wörtern und
Wendungen, Konstruktionen und Intonationsvarianten. In jedem Stil finden sich – nebst neutralen
Erscheinungen, die allen Verwendungsweisen der Sprache gemeinsam sind – bestimmte
funktionalstilistisch kolorierte Bestandteile. So gеhört z.B. die Präposition zwecks (mit Genitiv) zur
typischen Lexik des Amtsdeutsch und anderer Gattungsstile der Sachprosa (Gerichts-, Handelsstil,
diplomatischer Stil u.a.). Die Konstruktion zu + Partizip I, ebenso wie das erweiterte Attribut im
nominalen Rahmen tragen den Stempel der Sachprosa.

B) Die normative Komponente der Stilfärbung bedarf einer ausführlichen Erläuterung. Sie lässt sich als
eine Skala von Ausdrucksschattierungen veranschaulichen, deren Nullpunkt die normalsprachliche
(einfach-literarische) Basis bildet, die Grungnorm für sämtliche funktionale Stile der schriftlichen und
mündlichen Rede.

normative Schema Beispiele


Stilfärbungen
(Stilschichten) 1 2 3

Geschwollen Herr Professor


(geschraubt, gespreizt) mögen gütigst
gestatten...
Gewählt Angesicht, sich Herr Professor
(gehoben) vermählen, gestatten
Antlitz, sich gütigst...
verehelichen
Normalsprachlich Gesicht heiraten, Niemand Herr Professor,
(einfach-literarisch) sich verheiraten (war gekommen) erlauben Sie
(gütigst)...
Literarisch- jemand kriegen Kein Mensch,
umgangssprachlich keine Seele (war
gekommen)
Salopp- Fratze sich Kein Hund (war
umgangssprachlich kriegen gekommen)
Grob- Fresse Kein Aas
umgangssprachlich (war gekommen)
(vulgär)

Grundform

zulässige Norm

außerhalb der Norm

Als Grundnorm bezeichnen wir die Stilfärbung, die in allen Stilen als Nullfärbung, als neutrale Basis
empfunden wird.

Wie leicht ersichtlich, bilden die einzelnen Punkte der normativen Stilfärbungsskala – seien sie durch
Wörter, Wortgruppen oder lexisch-grammatische Fügungen ausgedrückt – zwei- oder mehrgliedrige
synonymische Reihen. Die Glieder dieser Reihen enthalten mehr oder weniger gemeinsame lexisch-
semantische erkmale, unterscheiden sich aber durch ihre stilistische Charakteristik, d.h. durch ihre Lage
auf der stilistischen Höhenskala.

Einige Erläuterungen zur ersten Beispielreihe der Tabelle. Die Verben heiraten, sich verheiraten gehören
dem Grundwortschatz der deutschen Sprache an, sie sind allgemeinverständlich und
allgemeingebräuchlich. Hingegen ist sich vermählen ein Synonym gehobener Stilfärbung. Auch sich
verehelichen hat absolut gewählte Stilfärbung, dominierend ist aber hier die funktionalstilistische
Markierung – der offizielle Amtston. Beide Verben (sich verehelichen, sich vermählen) würden in der
Alltagsrede fast gespreizt wirken. Ein weiteres Synonym dieser Reihe – sich kriegen in der Bedeutung
„heiraten“ – liegt auf der stilistischen Höhenskala zwischen lit.-umg. und salopp.

Auf der Skalenpunkt der gehobenen Stilfärbung ist die Klasse poetische Lexik von besonderem
Interesse. Als absolute Poetismen bezeichnen wir sprachliche Einheiten (Einzelwort, Wortgruppe,
lexisch-syntaktische Fügung), deren poetischer Stilwert schon unter dem paradigmatischen Aspekt
fühlbar ist, da ihnen hohe künstlerische Aussagekraft und starke ästhetisch-pragmatische Wirkung eigen
ist – die sog. Poetizität.

Die lexische Basis der absoluten Poetismen ist mannigfach gestaltet:

a. Archaismen, z.B.: der Nachen – Boot, Kahn. Die absolute poetische Stilfärbung derartiger Wörter
wird gewiß im Kontext, oder gerade durch den Kontext, noch verstärkt.
b. Selten gebrauchte Wörter und Wendungen gehobener Stifärbung wie feuchten anstatt befeuchten:
(„Morgentau der Liebe feuchtete meine Wangen“, Heine).
c. Dichterische Einmalbildungen, die durch Ungewöhnlichkeit ihrer Semantik wie durch die
Wortbildung und Klanggestalt bei ihrer bloßen Nennung die Zugehörigkeit zum poetischen
Wortschatz
verraten: wellenatmend (Goethe), Sehnsuchglut (Heine), lichtdurchatmet (J.R.Becher).
d. Ein- und mehrgliedrige Tropen, Periphrasen und Vergleiche: die Pflanze – ein „Kind des hellen
Sonnenglanzes“, „der Flammenwunsch im Herzen“ (Lenau)

C) Die expressive Komponente der Stilfärbung kann unter dem paradigmatischen Aspekt nur als
Opposition expressiv/nicht expressiv verstanden werden – so ist z.B. richtig das schwache, merkmallose
Glied der Opposition, goldrichtig das starke, merkmalreiche.

Zwischen den drei Komponenten der absoluten stilistischen Bedeutung besteht ein enges
Wechselverhältnis: die Veränderung einer Komponente (vor allem der funktionalen) zieht in der Regel
eine Modifizierung der anderen nach sich.

Sind die drei Komponenten des isolierten Wortes nicht markiert, so weist das Schema auf
die Nullstufe, auf die allseitige stilistische Neutralität der sprachlichen Einheit hin. Demnach würde das
Stilfärbungsmodell der Präposition mit folgenderweise aussehen: neutral-neutral-neutral. (n-n-n).

Ist ein Wort oder eine phraseologische Fügung polysem, muss jeder einzelnen lexischen Bedeutung ihre
stilistische Charakteristik beigegeben werden. Betrachten wir dazu eine anschauliche Illustration – das
Lexem Mattscheibe:

1. leicht matte, aber durchsichtige Scheibe im Fotoapparat (n-n-n);


2. Neubedeutung – Bildschirm des Fernsehapparats (n-n-n);
3. eine Mattscheibe haben, d.h. geistig nicht aufnahmefähig sein, begriffsstutzig (Stil des
Alltagsrede – salopp-umg. – expressiv).

Am häufigsten begegnen wir zur Bezeichnung der Expressivität in der stilistischen Bedeutung der
sprachlichen Einheit den sog. Bewertungskomponenten oder -semen. Unter Bewertung verstehen wir
die positive oder negative Einstellung des Sprechers/Schreibers zum Gegenstand der Rede, wobei in
positiven und negativen Bewertungsemen unzählbare Gefühlsschattierungen und Stimmungsnuancen zum
Ausdruck kommen können – so etwa Achtung, Bewunderung; Liebe, Geringschätzung, Verachtung,
Hass. Besondere Aufmerksamkeit kommt den Bewertungen Humor, Spott, Ironie, Satire in der
expressiven Komponente der stilistischen Bedeutung zu. Allerdings bereitet ihre Einordnung in die
Opposition positiv/negativ gewisse Schwierigkeiten, da sie unmittelbar vom konkreten
Sinnzusammenhang beeinflusst wird.

5. Stilfärbung der Wörter und Wendungen.

J. Scharnhorst versteht unter dem Begriff „Stilfärbung“ die besondere stilistische Prägung einer
sprachlichen Einheit, ihre Spezialisierung für bestimmte stilistische Aufgaben. Dieser Begriff bezieht sich
nach seiner Meinung insbesondere auf lexische Einheiten, (auf die Wörter) Die Stilfärbung nach E.
Riesel ist eine spezielle Ausdrucksschattierung, die die Hauptbedeutung des betreffenden Wortes
überlagert.

Dabei bestehen die beiden Stilforscher darauf, daß man zwei Arten der Stilfärbung unterscheiden muß:
die absolute Stilfärbung und die kontextuale Stilfärbung (für die erstere existiert noch die Bezeichnung
„normative Stilfärbung“). Was die absolute Stilfärbung anbetrifft, so ist sie vom Gebrauch im Kontext
abstrahiert und stellt eine geregelte Erscheinung im System der Sprache dar. Sie wird oft in
Wörterbüchern angegeben. Die kontextuale Stilfärbung ist dagegen, wovon die Benennung selbst zeugt,
immer kontextbedingt, d. h. an einen bestimmten Kontext gebunden.

Der Sprache sind mehrere normative (oder absolute) Stilfärbungen eigen, ihre Gesamtheit weist eine
bestimmte Gradation auf und kann am besten als eine Skala dargestellt werden, wie sie unten angeführt
ist. Das Aufbauprinzip dieser Skala wird daraus abgeleitet, daß sich im Rahmen des Wortschatzes
stilistisch nichtmarkierte und stilistisch markierte Wörter beobachten lassen.

Die nichtmarkierten Wörter gehören in die Mitte der Skala, zur Stufe „neutrale Stilfärbung" (oder auch
normalsprachliche Stilfärbung). Sie bedeutet Nullexpressivität und bildet den Ausgangspunkt für die
Betrachtung anderer Stilfärbungen (die Grundlage aller sprachlichen Äußerungen).

Die anderen Stufen oder Skalapunkte liegen über oder unter dem Nullpunkt: die erste Stufe in der
Richtung „nach oben“ ist „die gehobene Stilfärbung“. Sie ist in erster Linie für die schöne Literatur
(besonders Poesie) charakteristisch, dann für die offizielle, feierliche Ausdrucksweise (Ansprachen,
Gratulationen, Danksagungen usw.). Die oberste Stufe in dieser Richtung trägt den Sinn „die geschraubte
Stilfärbung". Sie ist für ungebräuchliche archaische Wörter und ,,geschwollene“ Ausdrücke
charakteristisch, für einige Höilichkeits- und Anredeformen usw. Man zieht sie meistenfalls zum Zweck
des speziellen Gebrauchs heran, besonders in der schönen Literatur.

Richtung Stilfärbung Beispiele


geschraubt zur in den heiligen Stand der das Angesicht
(geschwollen) ewigen Ruhe Ehe treten; den Bund fürs
eingehen Leben schließen
gehoben verscheiden die Ehe eingehen; sich das Antlitz
vermählen (der Gemahl,
die Gemahlin)
neutral sterben heiraten (der Gatte, die das Gesicht
Gattin)
literarisch- eingehen j-n zu seiner Frau (seinem
umgangs-spr. Mann) machen;
Hochzeit machen (halten)
salopp ins einen Mann, eine Frau die Fratze
Gras beißen kriegen
grob (vulgär) krepieren, die Fresse
verrecken

In der Richtung „nach unten“ vom Nullpunkt befindet sich im Allgemeinen „die gesenkte Lexik“. Sie ist
in ihrer Masse nicht einheitlich und erlaubt, mindestens drei Stufen auszugliedern. Die erste Stufe in der
Richtung „nach unten“ bedeutet „die literarisch-umgangssprachliche Stilfärbung, die zweite Stufe ist „die
saloppe (familiär-umgangssprachliche) Färbung“, die dritte Stufe trägt den Sinn „die grobe (vulgäre)
Stilfärbung“. Alle diese Färbungen kennzeichnen den sprachlichen Verkehr im Bereich der Alltagsrede,
wodurch sie auch in der schönen Literatur möglich sind.
Einer näheren Erläuterung bedarf weiter die k o n t e x t u-ä l e Stilfärbung. Sie unterscheidet sich von der
absoluten Stilfärbung durch folgendes: sie erscheint nicht bei isolierten Wörtern, sondern entsteht nur im
Kontext, unter dem Einfluß seiner thematischen und stilistischen Faktoren. Sie kann mit der absoluten
Stilfärbung einzelner Wörter zusammenfallen, wenn der Kontext es erlaubt, oder sie weicht von der
absoluten Stilfärbung ab und wirkt sogar in der entgegengesetzten Richtung (beeinflußt durch den
Kontext).

Im Buch von W. Fleischer und G. Michel findet sich folgendes Beispiel: Ankauf von altem
Krimskrams und der Verkauf von Antiquitäten. In dieser Aufschrift befinden sich nebeneinander zwei
substantivische Wörter (Krimskrams – Antiquitäten) mit gegensätzlichen Stilfärbungen – „salopp“ und
„gehoben“. Der Kontext aber und die hinter ihm stehende Situation lassen die gehobene Stilfärbung nicht
zu, deshalb wirkt diese Mitteilung als etwas Scherzhaftes die Aussage passt Wir speisten zu Mittag in
einer kleinen Gaststätte nicht in ein alltägliches Gespräch, gerade wegen der gehobenen Stilfärbung
des Ausdrucks zu Mittag speisen: die Situation läßt es nicht zu.

6. Sprachnorm und Stilnorm.

Unter Sprach- und Stilnormen verstehen wir die Gesamtheit historisch veränderlicher, aber dennoch
über größere Zeitabschnitte hinaus stabil kodifizierter Gesetzmäßigkeiten, die die Beschaffenheit wie den
Gebrauch der sprachlichen Einheiten auf allen Ebenen bewerten und verbindliche Kriterien für
richtig/falsch, angemessen/unangemessen darstellen.

Die Norm ist ein Schnittpunkt zwischen linguistischen und außerlinguistischen Faktoren.

a) Beginnen wir mit der Zeit als außerlinguistischem Faktor.

Zur Illustration: absteigen – In welchem Hotel bist du abgestiegen? Das Verb absteigen wirkt heute in der
genannten Redewendung gehoben und wird daher nur in besonderen Kommunikationssituationen
verwendet (hingegen in der Alltagsrede: Wo hast du Unterkunft gefunden, ein Zimmer bekommen?).

b) Eine relevante Beziehung besteht zwischen Norm und Nation. Sprach- und Stilnormen sind nur
innerhalb eines national homogenen Sprachkollektivs gültig. Da die deutsche Gegenwartssprache die
nationalen Varianten des „deutschen Deutsch“, des Schweizer Deutsch und des österreichischen Deutsch
umfasst, müssen wir auch die entsprechenden Normen dieser unterschiedlichen sprachlichen
Ausprägungen als untereinander gleichberechtigt, als souverän anerkennen. So hat der Österreicher das
Recht, die Perfektformen ich bin gegessen, bin gestanden als nationale Norm zu wahren, ebenso wie für
den deutschsprachigen Schweizer etwa das Verb besammeln (versammeln) in allen finktionalen
Bereichen und Sprechsituationen literarisch einwandfrei ist (Z.B.: die Touristen besammeln sich im
Park).

c) Norm und Sprachschicht (sog. vertikale Gliederung). Wie bekannt, besitzen Literatursprache,
Umgangssprache und auch die territorialen Dialekte ihre eigenen Normen, allerdings mit qualitativen und
quantitativen Unterscheidungsmerkmalen. Auch die Wahl der Sprachschicht und damit ihrer Normen
hängt unmittelbar von außerlinguistischen Faktoren ab: nicht nur von der sozialen Herkunft, von der
Bildung, der beruflichen Zugehörigkeit und dem Alter der Gesprechspartner, sondern auch von nationalen
und territorialen Momenten.

d) Norm und kommunikativer bzw. stilistischer Gebrauchswert. Innerhalb eines zeitlich beschränkten
und national homogenen Normensystems lassen sich synchron zwei Gruppen unterscheiden: stilistisch
neutrale und stilistisch markierte Normen. Die ersteren betreffen die Basis des Sprachbaus und gelten für
sämtliche kommunikativen Sphären der Literatursprache und literarischen Umgangssprache, zum Teil
auch für die Ortsdialekte der Gegenwart. Sie lassen allerdings auf allen Ebenen einen gewissen Spielraum
für fakultative Varianten (z.B.: ´außerdem/außer´dem), die aber in kommunikativer und stilistischer
Hinsicht irrelevant sind.
Die zweite Gruppe, die stilistisch markierten Normen, umfassen sprachliche Einheiten, die infolge ihrer
absoluten, d.h. systemhaften Stilfärbung an bestimmte Verwendungsmöglichkeiten gebunden sind. Um
ihren Gebrauchswert in der Rede zu determinieren, muss man unbedingt ihre stilistische Charakteristik
(funktionelle, normative, expressive Komponente) im Auge haben. So zwingt z.B. die gehobene
Stilfärbung, die dem Substantiv Angesicht eignet, den Sprecher/Schreiber, dieses Lexem im passenden
Kontext zu verwenden, wie etwa: das teure Angesicht des Vaters/der Mutter, im Angesicht der
Gefahr. Hingegen würde die Formulierung Wasch dir doch dein Angesicht ab, auf der Wange hast du
Tintenflecke! der Situation nicht angemessen sein.

7. Gattungsstile und Individualstil.

Die Art und Weise, die wie sprachlichen Möglichkeiten in konkreter Rede gebraucht werden, bezeichnen
wir als Stil. Unter dem funktionalen Stil versteht man die historisch veränderliche funktional und
expressiv bedingte Verwendungsweise der Sprache auf einem bestimmten Gebiet menschlicher Tätigkeit.
E. Riesel und E. Schendels verstehen den Funktionalstil als 2 dialektische Seiten: den Sprach- und
Redestil. Die einzelnen f-en Stile schließen eine größere oder kleinere Anzahl von Abarten mit gewissen
Ausdrucksvarianten in sich ein. Diese Abarten der f-en Stile bezeichnen wir als Gattungsstile. Die
Gattungsstile stellen funktionale Verwendungsweisen der Sprache dar.

Es werden folgende Arten der funktionalen Stile unterschieden:

1. Stil der öffentlichen Rede


2. Stil der Wissenschaft
3. Stil der Presse und Publizistik
4. Stil der Alltagsrede
5. Stil der schönen Literatur

1. Der Stil der öffentlichen Rede

Die Texte aus dem öffentlichen Verkehr befriedigen das unmittelbare gesellschaftliche Bedürfnis nach
verlustloser Kommunikation. Grundfunktion dieses Stils ist die offizielle schriftliche und mündliche
Verständigung einerseits zwischen den Staatsämtern und Behörden untereinander und andererseits
zwischen öffentlichen Organisationen und dem Publikum. Zwischen den Kommunikationspartnern soll
exakte Verständigung zu Stande kommen. Das Gesagte deckt sich mit dem Gemeinten. Kriterien für die
Qualität solcher Texte sind Eindeutigkeit, Vollständigkeit, begriffliche Schärfe.

Man unterscheidet die unmittelbare und mittelbare Direktive. Mittelbare - die politische Rede und
der Aufruf. Unmittelbare Direktive: Gesetze, Verordnungen, Anweisungen, Verträge und sonstige
Bekanntmachungen amtlichen Charakters, ferner Anträge und Gesuche an
Behörden, Gebrauchsanweisungen.

Eine besondere Rolle spielen in diesem Stil die sprachlichen Mittel des Veranlassens. (Modalverben,
Verben der Aufforderung (verordnen, verlangen), bestimmte unpersönliche Konstruktionen (ist
unzulässig, erforderlich), die Konstruktion mit haben + zu und sein + zu). Es wird eine große Anzahl von
Fachwörtern (Termini) gebraucht. Die Texte des Stils des öffentlichen Verkehrs sind meistens in Teile,
Paragrafen, Artikel, Punkte zergliedert.

Unter “Individualstil” verstehen wir demnach die individuelle Verwendung allgemeiner und besonderer
Gesetzmäβigkeiten, diktiert durch diesen oder jenen funktionalen Stil. Je nach der Spezifik des
betreffenden Redestils wird dabei der Eigenheit des Sprechenden (des Schreibenden) mehr oder weniger
Bewegungsfreiheit gelassen.

Im Stil des öffentlichen Verkehrs gibt es wenig Möglichkeit zum Durchbruch von Individualstilen. Um
jedwede persönliche Note im Geschäfts- und Handelsleben auszuschalten, wurde in Banken und Börsen,
im Postverkehr, Gerichtswesen u. ä. die Technik der genormten Vordrucke eingeführt (Formulare für
Geldüberweisungen, Vollmachtserklärungen, Bestätigungen, Gesuche aller Art usw.).

Dem Individualstil eines Wissenschaftlers ist gewiβ bedeutend mehr Freiheit eingeräumt als dem
Individualstil EINES Kaufmanns oder Gerichtsbeamten. Dennoch bleibt auch seine Verbindung mit den
Normen des wissenschaftlichen Stils überaus streng geregelt.

Verhältnismäβig groβe Freiheit genieβt der Individualstil in der Publizistik. So hat der Reporter, sei es auf
schriftlichem oder mündlichem Verständigungsweg, reiche Möglichkeit zur Entfaltung seiner
persönlichen Eigenheiten. Und doch erkennen wir z. B. den Sportansager im Rundfunk allein an der
Intonationsart: an der heftig an- und abschwellenden Tonstärke, an der erregten Satzmelodie, an den
unregelmäβigen Sprechpausen – mit anderen Worten: an den typischen funktionalen Gesetzmäβigkeiten
der mündlichen Sportreportage.

Besondere Rechte und Freiheiten besitzt der Jndividualstil des Schriftstellers, Zu den stilistischen
Grundbegriffen, die geklärt werden müssen, gehört die Former „Sprache und Stil des Schriftstellers“
(genauer: „Sprache und sprachlicher Individualstil des Schriftstellers") und ihre Abgrenzung gegen den
Terminus „literarisch-künstlerischer Stil des Schrifsteller“.

Zunächst über Sprache und Stil des Schriftstellers: Hier handelt es sich um zwei aufs innigste miteinander
verbundene, aber dennoch nicht identiche Erscheinungen. Unter der „Sprache eines Schriftstellers“ (oder
eines literarischen Werkes) verstehen wir das „Baumaterial", das der Verfasser aus dem unendlishen
Arsenal der Nationalsprache mit all ihren territorialen und sozialen Dialekten für seine bestimmten
Zwecke auswählt: einzelne Wörter und Wendungen, morphologiche Formen und syntaktische
Konstruktionen, phonetiche Cegebenheiten verschiedener Art. Zur Sprache des Schriftstellers ferner alle
lexischen und grammatischen Neubildungen entstanden auf Grund des objektiv gegebenen, allgemein zu
Gebote stehenden Sprachgutes. Wenn wir nur die Sprache des Schriftstellers untersuchen, können wir
uns wenigstens zun Teil — von den ideotogischen Faktoren (Zugehörigkeit des Autors zu einer
bestimmten literarischen Richtung, ästhetische Einstellung u. ä) loslösen: in diesem Fall betrachten wir
die Sprache des Schriftstellers in erster. Linie als Quellen- und Belegmaterial zur Untersuchung be-
stimmter Erscheinungen in der Literatursprache einer bestimmten Epoche.

Unter dem “sprachlichen Individualstil eines Schriflstellers" verstehen wir die individuelle künstlerische
Ausdrucksgestaltung, die durch bestimmte Verwendung und Kombinierung des ausgewählten
Baumaterials entsteht, ob es sich nun um das objektiv existierende allgemeine Sprachgut handelt oder um
dessen schöpferische Aus- und Umgestaltung. Man könnte hier einwenden, daβ allein in der Auswahl
dieses oder jenes Worles, dieser oder jener syntaktischen Konstruktion schon ein Anzeichen des
Dichterstils zu sehen ist. Gewiβ, dennoch darf der Terminus „sprachlicher Individualstil des
Schriftstellers” nicht in bezug auf einzelne Sprachelemente (Wörter, Wendungen, Formen,
Konstruktionen, phonetische Erscheinungen) gebraucht werden, sondern erst auf ihre Gesamtheit im
geschlossenen Ganzen. Wer den sprachlichen lndividualstil eines literarischen Werkes untersucht, darf
sich nicht mit der Betrachtung einzelner Splitter begnügen; er muβ vielmehr das Zusammenwirken aller
sprachlichen Komponenten im Auge haben, das Prinzip ihrer Auswahl, ihrer Anordnung und
zweckentsprechenden Verbindung.

Der sprachliche Individualstil eines Dichters ist und bleibt — trotz der allergröβten Rechte und Freiheiten
— dennoch den allgemeinen und besonderen Gesetzmäβigkeiten eines übergeordneten Stiltyps
unterstells: den jeweiligen Normen des Stils der schönen Litratur und seiner literarischen Genrestile.

Zum Unterschied vom linguistischen Begriff “sprachlicher Individualstil des Schriftstellers" (in der
Formel „Sprache und Stil des Schriftstellers") drückt der Terminus “literarisch-künsllerischer Stil” einen
literartheoretischen Begriff aus. Der literarisch-künstlerische Slil eines Dichters oder ganzer literarischer
Richtungen (z. B. des deutschen kritischen Realismus, des Naturalismus, der Romantik, der Klassik u.
a. m.) stellt die Gesamtheit ihres ideologischen und sprachlichen Ausdrucks dar, die Gesamtheit ihrer
weltanschaulichen und ästhetischen Ansichten.

Der literarisch-künstlerische Stil offenbart die Methode des gesamten Schaffens und umfaβt folgende
Einzelfaktoren: Sujet, Komposition, Charakteristik der handelnden Personen, Wahl und Verwendung der
sprachlichen Ausdrucksmittel. Mit anderen Worten: Sprache und sprachlicher Individualstil sind eine
Komponente des literarisch-künstlerischen Stils.

Zwischen dem sprachlichen Individualstil des Schriftstellers (“Sprache und Stil") und seinem literarisch-
künstlerischen Stil herrscht ein kompliziertes Wechselverhältnis. Einerseits werden Sprache und
sprachlicher Individualstil durch die gesamte Einstellung des Dichters diktiert. In der Wahl der einzelnen
Wörter und Wendungen zum Ausdruck eines bestimmten Sachverhalts, in der Verwendung der Bilder
(genauer gesagt: in der Art ihrer Verflechtung mit dem gesamten künstlerischen Gewebe), in der
Gestaltung der Sprachporträts usw. usf.— in all diesen Momenten spiegelt sich das literarisch-
künstlerische Credo des Autors wider.

Andrerseits läβt sich aber nicht übersehen, daβ Sprache und sprachlicher Individualstil dazu verhelfen,
die ideologische und künstlerische Einstellung des Dichters möglichst wirksam zun Ausdruck zu bringen,
daβ Sprache und sprachlicher lndividualstil sozusagen akliven Anteil an der Propagierung bestimmter
Gedanken nehmen. Je passender die Auswahl der Sprachmittel aus dem allen zur Verfügung stehenden
Spracharsenal ist, je geschickter und treffender ihre Anwendung, ihre Kombination und Verteilung über
das künstlerische Ganze hin, desto mehr Überzeugungskraft gewinnen die Ideen, die durch ate verkündet
werden.

Es ist eins, einen Sachverhalt so zu formulieren, daβ der andere gerade versteht, worum es sich handelt.
Es ist etwas ganz anderes, diesen Sachverhalt so zu gestalten, daβ der Leser (Zuhörer) von ihm erregt,
ergriffen, erschüttert wird. Auigabe des Stilforschers ist es nachzuweisen, wie ein glücklich gewähltes
Epitheton, ein treffend durchgeführter Vergleich, eine anschaulich-farbige Metapher, ein am rechten Platz
eingeschaltetes Sprichwort u. dgl. m. dem Ideengehalt der Rede besonderen Nachdruck verleihen;
nachzuweisen, welche Schlagkraft dieser oder jener Wortwitz besitzt, welche emotionale Eindringlichkeit
dieser oder jener syntaktischen Konstruktion anhaftet.

Aufgabe des Stilforschers ist es, zu zeigen, wie die richtige Wahl der sprachlich-stilistischen Mittel sowie
das Prinzip ihrer künstlerischen Verwendung und Verteilung über das geschlossene Dichtwerk him auf
die Gestaltung der Grundidee zurückwirken.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß bei der Erforschung von Sprache und Stil des Schriftstellers eine
gewisse Berührung zwischen Stilislik und Literaturwissenschaft unvermeidlch ist.

8. Stilzüge als stilnormende Organisationsprinzipien des Textes.

STILZUG, der: inneres, qualitatives Wesensmerkmal eines Funktionalstils, Substils oder einer beliebigen
Textsorte, abgesehen von konkreten Texten sind Stilzüge stilbildende Gestaltungsnormen, die durch
außersprachliche Faktoren (Aussageabsicht, Kommunikationsbereich, Inhalt der Aussage, Adressat u.a.)
determiniert werden und ein bestimmtes System von sprachlichen Mitteln aller Ebenen zu ihrer
Aktualisierung nach sich ziehen. Es handelt sich also nach E.Riesel um ein Bindeglied zwischen
außersprachlichen Faktoren und zweckmäßiger sprachlicher Ausgestaltung, durch deren Verzahnung der
Stilcharakter der Aussage geprägt wird. Durch eine bestimmte Auswahl, Kombination und Anordnung
sprachlicher Mittel in konkreten Texten realisiert, erscheinen die Stilzüge als korrelierende
Redequalitäten.
W.Fleischer und G.Michel betrachten den Begriff "Stilzug" als eine Kategorie des Textes. "Stilzüge sind
die auf Häufigkeit, Verteilung und Verbindung der Stilelemente beruhenden charakteristischen
Besonderheiten eines Textes". Sie schlagen folgende Hierarchie von Stilzügen vor:

a) generelle Stilzüge der grundlegenden Funktionalstile;

b) spezielle Stilzüge der Genrestile;

c) originelle, nicht verallgemeinerungsfähige Stilzüge des jeweiligen Einzeltextes.

9. Der stilistisch differenzierte und undifferenzierte Wortbestand der deutschen Sprache.

Vom Standpunkt der Stilistik aus ist vor allem die funktionale Verwendung der verschiedenen
Wortschatzschichten von großem Interesse. Nach der Zugehörigkeit des gesamten Wortbestandes zu den
einzelnen schriftlichen und mündlichen Stilen der Nationalsprache unterscheidet man zwei große
Gruppen:

1. den stilistisch undifferenzierten Wortbestand (d.h. allgemeinverständliche und allgemeingebräuchliche


Wörter, die in verschiedenen kommunikativen Bereichen und Situationen von allen Deutschsprachigen
gleicherweise verstanden und verwendet werden);

2. den stilistisch differenzierten Wortbestand (d.h. Wörter und Wendungen, deren Verwendungsbereich
durch gewisse zeitliche, territoriale, berufliche, soziale und nationale Faktoren eingeengt ist). Sie werden
von manchen Gruppen der Sprachgemeinschaft nicht immer verstanden, geschweige den aktiv gebraucht.
Diese beiden Gruppen sind in ständigem Fluss.

Zu der ersten Gruppe gehört vor allem die mehr oder weniger stabile lexische Basis der Sprache.
Grundkriterium – Allgemeinverständlichkeit, Allgemeingebräuchlichkeit, vollständige Neutralität.
Dieser Wortschatz ist stilistisch undifferenziert, weil er in allen Stilen das sprachliche Fundament bildet.
Ohne seine Mithilfe kann keine geschlossene Äußerung zu Stande kommen.

Die Wörter des Grundwortbestandes sind in ihrer Verwendung unbegrenzt; dazu kommt, dass sie in
allen Redestilen das gleiche Gewicht, die gleiche Verbreitung haben. Bemerkenswert ist es, dass zu einem
beträchlichen Teil des Grundwortbestandes weder ideographische noch stilistische Synonyme gebildet
werden können. Numeralien wie zehn, der zehnte, zehnmal, Pronomen wie er, unser, nichts u.a.m. haben
keinerlei sinngleiche oder sinnähnliche Äquivalente, auch keine stilistischen Varianten. Substantive
wie der Tisch, der Mensch u.ä. können keine Synonyme bilden, weil sie zu allgemeine Begriffe
ausdrücken. Erst wenn sie in thematischen Reihen mit engerem Bedeutungsumfang präzisiert werden,
lassen sich – innerhalb dieser thematischen Reihen – Synonyme bilden
(Esstisch, Schreibtisch, Arbeitstisch). Die stilistisch undifferenzierte Gruppe bereichert sich durch
Zustrom aus der stilistisch differenzierten Gruppe. Es handelt sich um jene Wörter, die ihre enge
Wortschicht verlassen, um in den allgemeinen Gebrauch einzugehen. So sind z. B. die wichtigsten
Termini des Fernsehens, die einst als engspezialisierte wissenschaftliche Fachwörter entstanden sind, und
heute ihren terminologischen Charakter verloren haben: Fernsehempfang, Bildschirm,
Farbfernsehen. Die Übergänge zwischen den beiden Wortschatzgruppen lassen sich nur am
Sprachmaterial selbst nachweisen.

10. Stilgefärbte und charakterologische Lexik der deutschen Sprache.


Wir müssen hier zwei große Gruppen unterscheiden:

1. den stilistisch undifferenzierten Wortbestand (Allgemeinwortschatz) – d.h. Wörter und


Wendungen, die in sämtlichen kommunikativen Bereichen und Situationen von allen
Deutschsprachigen gleicherweise verstanden und gebraucht werden, und
2. den stilistisch differenzierten Wortbestand – d.h. Wörter und Wendungen, deren
Verwendungsmöglichkeiten durch bestimmte inner- und außerlinguistische Faktoren eingeengt
sind. Sie werden von manchen Gruppen der Sprachgemeinschaft nicht immer verstanden,
geschweige denn aktiv gebraucht.

Diese beiden Gruppen sind in ständigem Fluss, sei es, dass einzelne Lexeme und lexisch-semantische
Varianten aus dem stilistisch undifferenzierten Wortbestand in den differenzierten übergehen – sei es,
dass umgekehrt manche Ausdrücke aus einer engspezialisierten Gebrauchssphäre in den allgemeinen
Sprachusus abwandern.

Stilistisch undifferenzierter Wortbestand

Grundkriterium: Allgemeinverständlichkeit und Allgemeingebräuchlichkeit, vollständige Neutralität,


d.h. stilistisches Modell n – n – n (in jeder beliebigen funktionalen Sphäre verwendbar, normalsprachlich,
Nullexpressivität).

Ein beträchtlicher Teil des stilistisch undifferenzierten Wortschatzes weist keine unmittelbaren Synonyme
auf, weil sie Allgemeinbegriffe mit großem Bedeutungsumfang und geringer Bedeutungstiefe
ausdrücken. So lassen sich etwa zum Substantiv Tisch erst auf dem Umweg über thematische Reihen (1.
Esstische, 2. Schreibtische, 3. Arbeitstische, 4. Frisiertische u.a.) sinngleiche oder sinnähnliche
Äquivalente finden.

Sobald Fremdwörter geläufig werden, können auch sie dem stilistisch undifferenzierten Wortbestand
einverleibt werden (wie etwa: Elektrizität, interessant, phantasieren); dasselbe gilt für deutsch- oder
fremdsprachige Neologismen bestimmter Zeitabschnitte, die im öffentlichen Leben, in Presse und
schöner Literatur, im Alltagsverkehr und anderen kommunikativen Bereichen ihren Einzug gehalten
haben: VEB, Kosmonaut bzw. Astronaut, Farbfernsehen, pflegeleichtes, atmungsfreudiges Gewebe usw.
usf.

Natürlich ist es nicht möglich, objektiv-exakte Angaben zu machen, welche Termini, z. B. Akupunktur,
Eskalation, heute schon allgemeinverständlich sind und welche noch nicht. Auch wenn man untersuchen
wollte, in welche Gruppe des Wortbestandes diese oder jene phraseologische Fügung aus stilistischer
Sicht eingereiht werden kann, gäbe es ähnliche Schwierigkeiten zur Lösung der
Problemstellung Bildkraft/Verblassen/ Verblasstsein des Bildes.

Stilistisch differenzierter Wortbestand

Grundkriterium: Die sprachlichen Einheiten dieser Gruppe sind aus inner- und außersprachlichen
Gründen nicht allen Deutschsprachigen gleicherweise verständlich, werden nicht von allen gleicherweise
gebraucht. Sie haben kein einheitliches stilistisches Modell. Hier lassen sich zwei Untergruppen
voneinander absondern:

1. die stilistisch vollständig oder partiell kolorierte Lexik, d.h. Wörter und Wendungen, deren
absolute Stilfärbung im Sprachsystem schon den Gebrauchswert in der Rede vorausbestimmt und
dadurch gewisse Schranken der Verbreitung errichtet, und
2. charakterologische Lexik, d.h. Wörter und Wendungen unterschiedlicher Stilfärbung, die nicht
allen Sprachbenutzern gleicherweise bekannt sind, da sie zeitliche, territoriale, berufliche, soziale
und nationale Gegebenheiten charakterisieren. Die stilistische Leistung dieser Ausdrücke besteht
in der Wiedergabe unterschiedlicher Kolorite.
Da die stilistisch kolorierte Lexik im wesentlichen schon zusammen mit dem Problem stilistische
Bedeutung behandelt wurde, gehen wir nun unmittelbar an die Besprechung der zweiten Untergruppe
heran.

Diese zweite Untergruppe der differenzierten Wortbestands verleiht der Aussage ein bestimmtes Kolorit,
sie versieht den schriftlichen und mündlichen Text mit den typischen Merkmalen einer bestimmten Zeit,
einer bestimmten Landschaft, einer bestimmten national homogenen Bevölkerungsgruppe und anderer
gesellschaftlicher Faktoren. Unter Kolorit verstehen wir die für konkrete Ereignisse, Sachverhalte und
Situationen charakteristische Atmosphere, die dank der sprachlichen Eigenart ihrer Wiedergabe fühlbar
wird. Wir müssen dabei zwischen bewusster Koloritzeichnung und dem natürlichen Kolorit der
Aussage unterscheiden.

Die Koloritzeichnung mit Hilfe charakterologischer Ausdrucksmittel ist Resultat einer gezielten Arbeit,
den realistischen Hintergrund, auf dem sich die Ereignisse abspielen, dem Empfänger klar vor Augen zu
führen. Im Gegensatz zu dieser bewussten sprachstilistischen Untermalung und Untermauerung steht das
natürliche Kolorit, das uns ohne Dazutun des Senders lebenswahre Abbilder einer bestimmten Epoche,
einer bestimmten Nation erkennen lässt. Der Sprecher/Schreiber berichtet Gegebenheiten, die er als
Zeitgenosse miterlebt und daher mit den ihm wohlvertrauten Bezeichnungen benennt.

Hier werden folgende Kolorite in ihrer sprachstilistischen Ausformung umgerissen werden:

1. typisierende Kolorite, denen gesellschaftliche Determinanten zugrunde liegen; sie stellen


unterschiedliche Fakten im Leben der Menschen realistisch-verallgemeinernd dar. Hierher
gehören:

a. das historische Kolorit, bedingt durch das grundlegende gesellschaftliche Moment – die Zeit;
b. das nationale Kolorit im engeren Sinn (betrifft die Unterscheidungsmerkmale der nationalen
Varianten innerhalb einer Sprache);
c. das nationale Kolorit im weiteren Sinn (betrifft die Spezifik verschiedener Nationalsprachen);
d. das soziale Kolorit: in der Rede bestimmter Bevölkerungsgruppen und Altersstufen; innerhalb
bestimmter funktionaler Sphären des Sprachverkehrs; berufliches Kolorit.

2. individualisierende Kolorite, die Einzelmenschen nach ihrer persönlichen Eigenart im Ganzen,


aber vor allem nach ihrer Sprechweise charakterisieren, wobei dem gesellschaftlichem Moment
eine wichtige Rolle zukommt.

Betrachten wir nun den Wortschatz, der sämtliche Kolorite sprachstilistisch aktualisiert. Es ist gleich
darauf aufmerksam gemacht, dass einige charakterologische Gruppen polyfunktional sind, d.h. dem
jeweiligen Text bald das eine, bald das andere Kolorit verleihen, bald die eine, bald die andere stilistische
Funktion ausüben. Im Folgenden wird daher gezeigt, dass ein und dieselbe charakterologische Gruppe
(Untergruppe) in unterschiedlichen Kontexten gleichzeitig mehrere Typen der genannten Kolorite und
mannigfache Stilwerte aufweisen kann.

11. Archaismen, ihr Textkolorit und ihre stilistischen Funktionen im Text.

Der Archaismus — vom grch. archaios 'veraltet' bezeichnet also ein aus irgendeinem Grund veraltetes
Wort. Das sind solche Wörter, die zu einer gegebenen Zeit nicht mehr oder nur selten (aus stilistischen
Gründen) gebraucht werden. Der Vorgang des Veraltens - der Archaisierung - von Lexemen ist ein
Prozess, der schwieriger festzustellen ist als das Aufkommen von neuen Wörtern. Wörter werden von den
Lexikographen als untergegangen bezeichnet, wenn sie nicht mehr in die allgemeinen
Sprachwörterbücher aufgenommen werden (Beispiele in (32)).

(32) a. entknüpfen (heute aufknüpfen), entküssen (heute abküssen)


b. Windmonat (heute November), Christmonat (heute Dezember)

Das Entstehen von Archaismen ist eine historische Erscheinung: das, was im modernen Deutsch als
Archaismus gilt, existierte früher, z. B. im Mittelhochdeutschen, als etwas im Volksmunde Übliches,
Allgemeingebräuchliches, z. B. Mage 'Verwandter', Degen in der Bedeutung 'Krieger', 'Recke', Magd in
der alten jetzt verschwundenen Bedeutung 'Mädchen'.

Zu Archaismen gehören nicht nur veraltete Wörter, sondern auch veraltete phonetische und grammatische
Formen des Wortes.

2. Klassifikation von Archaismen

Das Wort stellt eine Einheit von Begriff, Bedeutung und Form dar. Dementsprechend lassen sich die
Archaismen in folgende Gruppen einteilen:

Archaismen des Begriffs (Begriffsarchaismen),

Unter den Begriffsarchaismen verstehen wir solche Wörter, die nicht mehr im aktiven Sprachgebrauch
vorhanden sind, weil diese Wörter solche Gegenstände oder Erscheinungen der Wirklichkeit bezeichnen,
die veraltet oder aus dem Leben des Volkes ganz verschwunden sind. Solche Archaismen nennt man
gewöhnlich Historismen. Sie sind am engsten mit der konkreten Geschichte des Volkes verbunden.
Hierher gehören solche wie Harnisch, Lanze, Spieß, Armbrust, Minnesang, Minnesänger, Kurfürst u. v.
a., die meistenteils mit der Epoche des Feudalismus insbesondere mit der ritterlichen Kultur in
Verbindung stehen. In der Neuzeit verschwinden diese Begriffe, und infolgedessen werden die sie be-
zeichnenden Wörter zu historischen Archaismen (Historismen).

Archaismen der Bedeutung (Bedeutungsarchaismen)

Unter den Bedeutungsarchaismen verstehen wir solche Wörter, deren Grundbedeutung oder eine andere
verbreitete Bedeutung veraltet ist. Als eine lexikalische Einheit sind sie jedoch in der Sprache vorhanden
und verbleiben sogar im aktiven Sprachgebrauch, doch mit einer neuen Bedeutung. Die alte Bedeutung,
die das Wort noch aufbewahrt, ist aber schon veraltet. Ein solches Wort kann neben einer oder mehreren
gebräuchlichen Bedeutungen auch eine veraltete behalten. Das Wort Zunge ist in der modernen Sprache
gebräuchlich und bezeichnet ein wichtiges Organ des menschlichen Körpers. Der alte Sinn dieses Wortes
— 'Sprache' - ist aber veraltet; mit dieser Bedeutung ist das Wort Zunge zu einem Bedeutungsarchaismus
geworden und wird jetzt seltener als 'Sprache' gebraucht.

Archaismen der Form (Formarchaismen).

Unter den Formarchaismen (Archaismen) verstehen wir solche Wörter, bei denen es für die Denotate
neue Bezeichnungen gibt.

Man kann sie in drei Gruppen einteilen:

1) Hierher gehören Wörter, die nicht mehr gebräuchlich sind, obwohl ihre Bedeutungen nicht veralten
und diese Wörter vorhandene Begriffe ausdrücken, z. B. Minne bezeichnet den Begriff
'Liebe', sonder 'ohne', mahnen 'erinnern' u. v. a. In allen diesen Fällen verschwindet ein Wort aus dem
aktiven Gebrauch und wird allmählich zu einem Archaismus, obwohl es zuweilen einen wichtigen Begriff
bezeichnet. Hier haben wir es mit dem Ausfall eines Wortes aus der synonymischen Wortreihe zu tun.

Die Frage, warum eben dieses Wort und kein anderes veraltet, ist schwer zu beantworten. Man kann aber
vermuten, dass eben jenes Wort am Leben bleibt, welches durch andere zu demselben Stamm gehörende,
also genetisch verwandte Wörter unterstützt wird. Keine geringe Rolle spielt auch die Gebräuchlichkeit
des Wortes. Von dem Wort Liebe z. B. ist später eine große Sippe gebildet worden: lieben, lieblich,
Liebhaber, Liebhaberin, verliebt usw., und deswegen verdrängt es allmählich das Wort Minne in die
archaische Wortschicht. In manchen Fällen veraltet das Wort, wenn daneben ein neues einheimisches
oder entlehntes Wort erscheint. Das ist der Fall mit den Wörtern Oheim, Base, Muhme u. a., die infolge
der Verbreitung der entlehnten Wörter Onkel, Kusine, Tante zu Archaismen geworden sind. Dasselbe gilt
für das Wort Aar, welches durch Adler verdrängt worden ist.

Knabe -Junge

Schulmeister - Lehrer

2) Zu den Archaismen der Form zählen wir auch solche Wörter, die neben der neuen lautlichen Form
manchmal in der alten Gestalt gebraucht werden, z. B. gülden statt golden, Odem statt Atem,
Herre statt Herr, Jungfer statt Jungfrau, Herze statt Herz, Turnei statt Turnier. Solche Archaismen
werden vor allem auch zu speziellen stilistischen Zwecken gebraucht — zur Schilderung der Epoche, zur
Wiedergabe der Ironie usw.

Zu den Archaismen zählen auch veraltete Formative, wie:

gülden - golden

Verlöbnis - Verlobung

ohngefähr - ungefähr.

3) Schließlich gibt es auch Archaismen der grammatischen Form, nämlich veraltete grammatische
Formen einiger noch jetzt gebräuchlicher Wörter, z. B. der Gebrauch der alten Form ward statt wurde, auf
Erden statt auf Erde, von wegen statt wegen.

Archaismen treten in unterschiedlichen Texten und Textsorten auf. Wir sprechen dann von „Funktionen",
wenn Sprecher sie bewusst als Stilmittel einsetzen, um bestimmte Wirkungen zu erreichen. Anders zu
bewerten ist die kommunikativ notwendige Verwendung zur Benennung historisch zurückliegender Sach-
verhalte, also die Nutzung von Historismen.

Archaismen können aber auch Indizfunktion haben, wenn ältere Menschen sie brauchen.

Eine spezielle Funktion haben Archaismen im Sprachkunstwerk. Autoren nutzen sie, um Zeitkolorit zu
schaffen.

Eine etwas andere Funktion haben Archaismen als Mittel des Sprachporträts, sie haben hier
Indizfunktion. Durch altertümliche Redeweise wird die Generationsgebundenheit einer Person
charakterisiert.

Im spontanen Sprachgebrauch können Archaismen Lebensumstände und -erfahrungen des Sprechers


signalisieren.

Neben diesen als Stilmittel im literarischen Text oder im Alltag verwendeten Wörtern oder Wortformen
ist die durchgehende Archaisierung ganzer Textsorten zu sehen. Das betrifft u. a. juristische und
Behördentexte.

12. Neologismen und Ihre stilistischen Funktionen im Text.

Als Neologismus wird eine Wortneuschöpfung bezeichnet. Diese kann durchaus als
rhetorisches Stilmittel verstanden werden. Der Neologismus ist ein neugebildeter sprachlicher
Ausdruck für neue Begriffe oder Sachen. Neologismen werden durch die Kombination bereits
vorhandener Elemente gebildet oder aufgrund einer Bedeutungsübertragung sowie der Entlehnung
oder Übersetzung aus einer Fremdsprache. Neologismen gibt es in allen lebendigen Sprachen.

Der Begriff Kurlaub ist eine Wortneuschöpfung, die auf Komposition und Tilgung beruht. Komposition
meint, dass der Begriffe aus mehreren Wörtern gebildet wird, also in diesem Fall aus Urlaub und Kur.
Tilgung meint, dass ein Bestandteil eines Wortes wegfällt, wobei der Kurlaub auf
das ur von Urlaub verzichtet. Solche Tilgungen werden stilistisch auch
als Elision oder Apokope bezeichnet.

Kurlaub ist ein Wort, das erst entstehen konnte, als Menschen zur Kur fuhren und diesen Aufenthalt
einem Urlaub gleichkam. Dafür musste natürlich ein neues Wort her, der Neologismus Kururlaub ward
geboren und wandelte sich im Sprachgebrauch zum Kurlaub, da die Dopplung von ur holprig klingt und
so aus sprachökonomischen Gründen entfiel. So wurde übrigens auch aus dem Mägdchen das Mädchen.

Typen von Neologismen.

 Neuwörter: Wörter, die gänzlich neu sind und dieser Form vorher nicht existiert haben. Das
Wort Brunch kann als solches gelten. Neuerdings kann das Verb simsen (eine SMS schreiben)
angeführt werden.
 Neubedeutungen: Ein Begriff, der bereits existiert, erhält eine zusätzliche Bedeutung. Denken
wir an die Maus, ist diese einerseits ein Nagetier und seit dem Computerzeitalter eben auch ein
Eingabegerät.
 Neue Kombination: Hierbei werden existente Wörter neuartig miteinander verbunden und
werden so zum Neologismus. Ein Café, das seinen Besuchern gegen Bezahlung den Zugang ins
Internet ermöglicht, ist beispielsweise ein Internetcafé. Weitere Beispiele
sind Literaturpapst oder Laptoptasche.
Bildung von Neologismen

 Komposition: Neue Begriffe werden aus bestehenden Wörtern


zusammengesetzt (Bsp.:Computermaus, Genmais, Literaturpapst, Brunch).

 Tilgung und Zusammenziehung: Wörter werden aus dem ersten Teil eines Wortes und
dem zweiten eines anderen gebildet. Dabei kommt es zur Tilgung, also dem Auslassen
einzelner Wortteile. (Bsp.: Bionik, Bollywood, Modem, Teuro)

 Abkürzungen: Können in der Sprache gebildet werden, was sehr häufig aus
sprachökonomischen Gründen geschieht. Solche Abkürzungen, wenn sie sich in der
Sprache etablieren, können als eigenständige Wörter und Neologismen gelten (Bsp.:
SMS, Azubi, Hiwi → Akronym).

 Derivation: Durch Affixe werden neue Wortformen gebildet. Ein Affix ist ein
gebundenes Morphem, das nur eine grammatische Funktion hat. Als Beispiel kann das
Affix Cyber- gelten, das durch zahlreiche Verkettungen unterschiedliche Neologismen
schuf: Cyberpunk, Cyberkriminalität, Cyberkrieg.

 Sprachwitz: Eigentlich eine Form der Verballhornung eines Wortes. Kann jedoch in den
Wortschatz der Sprache gelangen, als berühmtes Beispiel gilt nichtsdestotrotz, das einst
als Scherzwort für die Verbindung aus nichtsdestoweniger und trotzdem von Studenten
gebraucht wurde.

Funktionen

 Als Neologismus wird eine Wortneuschöpfung bezeichnet, die sich in der Folge im Wortschatz
der Sprache etabliert. Einmalige Wortkreationen werden als Okkasionalismus bezeichnet und
sind als spontane Wortbildung zu werten.
 Wichtig ist, dass ein Neologismus für uns nicht mehr neuartig sein muss und dennoch ein solcher
ist. Entscheidend ist, dass das Wort geschaffen wurde, um eine Sache zu bezeichnen und vorher
im Wortschatz einer Sprache noch nicht existierte und sich in der Folge etablierte.
 Der Neologismus kann unterschiedlich gebildet werden. Eine häufige Form im Deutschen ist das
Zusammensetzen bekannter Wörter. Doch können
auch Verballhornung, Derivation oder Zusammenziehungen sowie Abkürzungen ursächlich für
den Neologismus sein.
 Oftmals entstehen Neologismen, weil Begriffe planmäßig durch ein anderes Wort ersetzt werden.
Dies ist oft der Fall, um einem Begriff eine positive Wertung zu geben. In diesem Fall ist der
Neologismus mit dem Euphemismus verwandt. (Beispiel: Zubegleiter anstatt Schaffner.)
 Allerdings kann das Prinzip auch verkehrt und durch den Neologismus eine negative Wertung
geschaffen werden, die dem ursprünglichen Wort nicht zu Eigen ist. Demzufolge werden
Neologismen nicht nur gebraucht, um neue Dinge zu benennen, sondern können auch bestehende
Wörter umdeuten, um ihnen eine andere Bedeutung zu geben.
 Deshalb finden sich Neologismen auch häufig in propagandistischen Schriften, also schriftlichen
Erzeugnissen, die das Ziel haben, dem Empfänger eine bestimmte Denkart aufzuzwingen und
demzufolge zu manipulieren. (Beispiel: internationales Finanzjudentum.)

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