Vorlesung 3 Sprachliche Probleme der literarischen Übersetzung. 1.Wesen und Bedeutung der Stiluntersuchung Um das künstlerische Ganze eines belletristischen Textes zu verstehen, soll sich der Übersetzer mit dem Erfassen der stilistischen und inhaltlichen Werte der einzelnen Sprachmittel und Teilmotive befassen, d.h. eine gründliche Stiluntersuchung durchführen. In der ersten Phase der Übersetzerarbeit, beim Erfassen der Vorlage, wenn ein Übersetzer wie ein Leser einen Text in die Hand bekommt und in seinen Sinn eindringt, braucht er dessen Qualitäten (in erster Linie Stilelemente und Stilzüge) rational zu erkennen, um den individuellen Stil des Autors zu bestimmen und dessen Stil in seine Muttersprache treu zu übertragen. Die Stiluntersuchung von Texten steht im Dienst konkreter, gesellschaftlich begründeter Aufgaben, zum Beispiel, im Dienst der ästhetischen Erziehung der Literaturkritik oder des historisch-philologischen Textvergleichs und der literarischen Übersetzung. Das Wesen der Stiluntersuchung besteht darin, dass die Stilelemente und ihr Zusammenwirken bei einem gegebenen Text systematisch erfasst und adäquat dargestellt werden. Für das Erfassen des Stils oder einzelner Stilzüge gegebener Texte kann man den Terminus Stiluntersuchung verwenden. Das Bewusstmachen der sprachlichen Stilelemente und Stilzüge dient dem tiefen Erfassen des Ideengehalts und des ästhetischen Charakters des Werkes. Das Endziel der Stiluntersuchung eines Textes besteht nicht darin, das Ganze einfach zu zergliedern und nur die einzelnen Elemente, Teile heraus- zuarbeiten. Stil ist die Gesamtheit der fakultativen Varianten der Rede, und diese Gesamtheit mit ihren eigenen Qualitäten ist etwas anderes als die Summe ihrer Elemente. Der Stil eines Textes lässt sich also nur erfassen, wenn am Ende der Stil-”Analyse” eine zusammenwirkende Darstellung der Beziehungen und des Zusammenwirkens der durch die Analyse ermittelten Stilelemente erfolgt. Hier soll lediglich bewusst werden, dass bei der Stiluntersuchung neben den speziell sprachwissenschaftlichen auch andere Gesichtspunkte beachtet werden müssen, die über die primären Aufgaben der Linguistik hinausreichen. Ferner sollte deutlich werden, dass es in der angewandten, praktischen Stilistik keine von anderen wissenschaftlichen Disziplinen völlig abgekapselte Textbetrachtung geben kann. Der Terminus Stil wird bekanntlich nicht nur in der Sprachwissenschaft, sondern auch auf anderen Gebieten verwendet, so vor allem im Bereich der Kunst, speziell auch in Bezug auf die schöne Literatur. Im letzteren Fall spricht man von literarisch-künstlerischem Stil und erfasst damit einen literaturwissenschaftlichen Sachverhalt. Über den Begriff des literarisch-künstlerischen Stils ist viel diskutiert worden, eine allgemein verwendete Definition gibt es jedoch nicht. E. Riesel sagt zu dieser Frage folgendes: “Der literarisch-künstlerische Stil offenbart die Methode des gesamten Schaffens und umfasst folgende Einzelfaktoren: Sujet, Komposition, Charakteristik der handelnden Personen, Wahl und Verwendung der sprachlichen Ausdrucksmittel. Mit anderen Worten: Sprache und sprachlicher Individual-Stil sind eine Komponente des literarisch-künstlerischen Stils.” Die sprachliche Seite des literarischen Kunstwerkes — und darin einbegriffen der Redestil — ist die “Existenzform” des ideellen künstlerischen Abbildes der Wirklichkeit. Die sprachliche Äußerung, in der das Kunstwerk als Realität entgegentritt, ist jedoch niemals nur äußere, akustisch oder visuell wahrnehmbare Form. Das Erfassen des Redestils ist ein notwendiger Bestandteil der wissenschaftlich fundierten Untersuchung des belletristischen Werkes; denn nur über die Sprache ist der Zugang zum ästhetischen Wesen der schönen Literatur möglich. Das Erfassen des Redestils im literarischen Kunstwerk erfordert die Anwendung linguistischer Kategorien und Methoden; doch die Beurteilung und Bewertung des Redestils mit seinen strukturellen und funktionalen Besonderheiten, das heißt die Klärung der Frage, ob die durch die besondere Art der Sprachgestaltung vermittelten Bewusstseinsinhalte den Charakter künstlerischer Abbilder der Wirklichkeit aufweisen, worin sich dieser Charakter ideell ausprägt und welche ideellen Komponenten Struktur und Inhalt des künstlerischen Gesamtbildes ausmachen, kann nur in Verbindung mit den Kategorien der Ästhetik, genauer: von den Kategorien der Ästhetik her erfolgen. 2. Methodik der Stiluntersuchung Mit der Erörterung methodologischer und methodischer Fragen der Stil- untersuchungen befassten sich viele Literaturkritiker, Wissenschaftler, Übersetzer besonders in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. In dem bekannten und nicht wenig einflussreichen Buch von W. Kayser “Das sprachliche Kunstwerk” zum Beispiel wird folgende Auffassung vertreten: “Wer den Stil eines Werkes untersuchen will, der muss zunächst das Werk voll und tief auf sich wirken lassen, ohne alle Nebengedanken an Stilzüge und Formen. Bei einer wiederholten Lesung kann dann auf Stilzüge geachtet werden, oder besser: man muss sich von ihnen ansprechen lassen. Im Gegensatz zum intuitiven Erfassen stellt die wissenschaftliche Stil- untersuchung die empirisch gegebenen sprachlichen Fakten, auf denen bestimmte Stilzüge beruhen, sowie die quantitativen und qualitativen Beziehungen zwischen diesen sprachlichen Fakten dar. Sie zeigt in logisch schlüssiger Form, welche Ordnungsprinzipien den verschiedenartigsten Stilelementen eines Textes zugrunde liegen. Sie stützt sich auf belegbares sprachliches Material und nachweisbare sprachliche Zusammenhänge des gegebenen Textes. Das, was im intuitiven Erfassen durch raffendes Urteilen oft vorweggenommen wird, wird durch die wissenschaftliche Stiluntersuchung bewiesen. Oft kann die wissenschaftliche Untersuchung mehr erschließen, als intuitiv erfasst wird, wie sie andererseits weitgehende Gewähr dafür gibt, dass nichts in den Text “hineininterpretiert” wird. Damit wird das Problem der semantischen Interpretation und der damit eng zusammenhängenden Kennzeichnung der inhaltlichen Leistung der Stilelemente, der Stilzüge und des gesamten Stils eines Textes berührt. Häufig ist in diesem Zusammenhang eingewandt worden, dass die verschiedenen Individuen ein und dasselbe literarische Kunstwerk unterschiedlich interpretieren, je nach dem historischen und gesellschaftlichen Standort, der aktuellen Situation, der Vorbildung und den persönlichen Erlebnissen. Das ist zweifellos richtig. Die textgetreue semantische Analyse ist eine Seite, die individuelle “Verwertung” der durch die Sprache fixierten Inhalte beim einzelnen Hörer oder Leser ist eine andere Seite. Der Einwand, dass die sprachliche Analyse eines literarischen Kunstwerkes nur die “Oberfläche” erfasse, ist völlig unberechtigt. Auch die tieferen und tiefsten “Schichten”, der Ideengehalt, repräsentieren sich im Sprachlichen, freilich nicht im einzelnen Wort oder Satz, sondern im Kontext, im komplizierten Zusammenwirken der sprachlichen Mittel. Jede Isolierung eines sprachlichen Mittels oder eines komplexen sprachlichen Ausdrucks vom Gesamttext muss daher zu einer oberflächlichen Inhaltsbestimmung oder gar zur Fehlinterpretation führen. Den einzelnen sprachlichen Elementen des Textes dürfen also nur solche Inhalte zugesprochen werden, die sich aus den Fakten des Kontextes ableiten lassen. Eine Interpretation, die sich nicht an den Kontext hält, ist eine “Überdeutung”. Wenn man von der textgetreuen semantischen Analyse spricht, so meint man damit das Erfassen der durch die Sprache vermittelten Inhalte, die gesellschaftliche, interindividuelle Funktion der Sprache. Man darf nicht aus dem Auge verlieren, dass die Sprache - auch im noch so eigenwilligen Kunstwerk - ihrem Wesen nach ein gesellschaftliches Kommunikationsmittel ist und dass den sprachlichen Formen vom einzelnen Mitglied der Sprachgemeinschaft nicht willkürlich beliebige Funktionen übertragen werden können. Als methodische Grundstufen innerhalb der linguistischen Stiluntersuchung lassen sich folgende Ebenen festlegen: 1. das Erfassen des Redeganzen, 2. das Erfassen der Stilelemente, 3. das Erfassen der Stilzuge, 4. die Stilbeschreibung. 3. 1. Erfassen des Redeganzen Das Erfassen des Redeganzen, das jeder Stiluntersuchung vorausgeht, schließt die formale und die inhaltliche Seite des Textes ein. Der Inhalt wird dem Leser über die sprachliche Form vermittelt. Das, was aufgenommen wird, ist ein einheitliches Ganzes, doch es ist zugleich ein in formaler und inhaltlicher Hinsicht differenziertes Ganzes. Das erste Lesen des Textes zielt nun allerdings nicht unmittelbar auf die Gliederung des Ganzen in seinen einzelnen Teilen, Seiten und Beziehungen, sondern führt zunächst zu einem komplexen Erfassen, dem sich erst im Prozess der weiteren Auseinandersetzung ein differenziertes Erfassen der Rede anschließt. Man erfasst zwar die Tatsache, dass der Text Wörter und Sätze, Absätze, Kapitel oder Strophen enthält, dass er inhaltliche Teilkomplexe und elementare Vorstellungs- und Gedankeneinheiten umfasst; das Bewusstwerden solcher einzelnen Teile und deren Zuordnung zum Textganzen steht zunächst jedoch nicht im Vordergrund. Die Aufmerksamkeit richtet sich vielmehr auf das übergreifende Ganze, das heißt auf den Großkontext und den durch ihn erzeugten kommunikativen Effekt. Der Prozess der zunehmenden Differenzierung im Erfassen des Redeganzens, das schrittweise Bewusstwerden einzelner Teile, Seiten und Beziehungen vollzieht sich im Zuge der weiteren Beschäftigung mit dem Text. Welche Teile, Seiten und Beziehungen vom Leser dabei zuerst und welche später erfasst werden, wird unterschiedlich sein. Hier spielen die individuelle Erfahrung, die Vorbildung und vor allem auch der konkrete Anlass zur Beschäftigung mit dem Text eine wesentliche Rolle. Für die Stiluntersuchung ist es jedoch in jedem Fall unerlässlich, die Komponenten des Inhalts zu erfassen; denn der Inhalt bildet die kommunikativ wesentliche Seite des Textes. Das Erfassen des Inhalts ist eine primäre Voraussetzung für die Stiluntersuchung. Zum Inhalt des Textes gehört einerseits die Widerspiegelung des Sachverhalts, der der Rede zugrunde liegt, und andererseits die vom Sprecher her erfolgende spezielle Nuancierung und Bewertung in der Darstellung des Sachverhalts. Der Sachverhalt ist der Gegenstand der Darstellung. Für die differenzierende Arbeit am Text ist es dann jedoch wichtig, den komplexen Inhalt unter folgenden Aspekten zu betrachten: 1. Was ist der vordergründige Mitteilungsinhalt in den einzelnen Sätzen und Abschnitten des Textes? 2. Was ist der wesentliche Ideengehalt des Textes, der inhaltlich für die im Konkreten unterschiedlichen Details bestimmend ist? Hierzu gehören nicht nur konkrete Vorstellungsinhalte, sondern auch vom Dichter unmittelbar formulierte Urteile und Gefühle, die sich auf die von ihm erwähnten oder beschriebenen konkreten Erscheinungen beziehen. Folgende drei Gesichtspunkte können dem Studierenden helfen, vordergründigen Mitteilungsinhalt in seiner Gesamtheit und zugleich in einer ersten Differenzierung zu erfassen: a) direkt genannte konkrete Gegebenheiten (Personen, Erscheinungen, Geschehnisse, Umstände) b) direkt formulierte Verallgemeinerungen, die vom Autor oder von bestimmten Figuren geäußert werden c) direkt formulierte Wertungen, die vom Autor oder von bestimmten Figuren geäußert werden. Das Verhältnis dieser drei Komponenten ist in den einzelnen Texten un- terschiedlich. Man hat nicht nur darauf zu achten, was der Dichter unmittelbar formuliert, sondern auch darauf, an welcher Stelle und in welchem Umfang er dies tut und wo sich mehr oder weniger deutliche Einschnitte erkennen lassen. E. Riesel unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen architektonischer und kompositorischer Gliederung des Textes: “Unter “Architektonik” versteht man die Gliederung des Sinnganzen in formale Einheiten (sog. architektonische Einheiten), in abgeschlossene Monolog- und Dialogstücke, in Absätze, Abschnitte, Kapitel, Buchteile, Bücher; in Strophen, Gedichte und Gedichtzyklen. Architektonik und Komposition sind nah verwandt, aber nicht identische Begriffe. Auch die Komposition stellt eine Gliederung des Sinnganzen dar. Wenn aber bei der Architektonik das Formale im Vordergrund steht, so bei der Komposition das Inhaltliche. Zwischen den beiden Begriffen besteht eine feste Wechselbeziehung” . 3.2Erfassen der Stilelemente Jeder Text enthält eine relativ große Anzahl von Stilelementen, die man in der praktischen Arbeit am Text oft nicht erschöpfend erfassen kann und auch nicht zu erfassen braucht. Die Anzahl der zu berücksichtigenden linguistilistischen Elemente erhöht sich schließlich noch beträchtlich durch die Tatsache, dass der Stil eines Textes nicht nur durch die in der Rede realisierten sprachlichen Möglichkeiten, sondern auch durch das Nichtvorhandensein bestimmter sprachlicher Mittel charakterisiert wird. Das heißt, man muss sich bis zu einem gewissen Grade bewusstmachen, dass ein bestimmter Sachverhalt auch anders als im gegebenen Fall dargestellt werden könnte. Um die Fülle der in Frage kommenden Stilelemente zu erfassen, ist es notwendig, den Reichtum der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten überhaupt zu kennen und die im Text verwendeten Mittel und Gebrauchsweisen als synonymische, fakultative Varianten zu begreifen. Der Anfänger in der Stil- untersuchung sieht oft nur das Auffällige: sprachliche Bilder, schmückende Beiwörter, Einmalbildungen, Wiederholungen, Gegenüberstellungen und andere “Stilfiguren”. Er “sammelt” dann solche sprachlichen Erscheinungen. Oder aber er sieht sich vielleicht hilflos vor einen Text gestellt, der gar keine derartigen Auffälligkeiten enthält und stilistisch nichts “hergibt”. Stilelemente treten auf folgenden linguistischen Ebenen auf: 1. Lexische Elemente 1.1. Semantisch-begrifflicher Aspekt 1.2. Semantisch-expressiver Aspekt 1.3. Historischer Aspekt 1.4. Regionaler Aspekt 1.5. Sozialer Aspekt 1.6. Fachsprachlicher Aspekt 1.7. Fremdwortaspekt 1.8. Wortbildungsaspekt 1.9. Phraseologischer Aspekt 2. Grammatische Elemente 2.1. Klassifikation der Sätze (Satzformen, Satzarten, Satztypen) 2.2. Ausnutzung der fakultativen Satzgliedstellen 2.3. Satzgliedfolge 2.4. Verknüpfung zwischen den Satzgliedern und Sätzen _ 2.5. Morphologische Mittel 3. Phonetische Elemente 3.1. Lautinstrumentierung 3.2. Lautwiederholung 3.3. Dynamische Abstufung 3.4. Melodische Abstufung 3.5. Zeitliche Aufgliederung Wesentlich ist, dass zunächst einmal der Reichtum an Aspekten bewusst wird, unter denen jene sprachlichen Erscheinungen eines Textes erfasst werden können, die man als Stilelemente in dem definierten Sinne betrachtet. 3.3Erfassen der Stilzüge Die Stilzüge des Textes sind charakteristische Merkmale des Stils, die auf der Häufigkeit, Verteilung und Verbindung von Stilelementen verschiedener Art und Ebene beruhen. Während es sich bei den Stilelementen um konkrete linguistische Fakten handelt, bilden Stilzüge Abstraktionen. “Jeder Stilzug wird durch bestimmte lexisch-phraseologische, grammatische und phonetische Mittel umgesetzt. E. Riesel nennt einige Stilzüge und stellt sie zu Gegensatzpaaren zusammen: “In jedem größeren Redeganzen machen sich bestimmte Stilzüge fühlbar. Auf sämtlichen Gebieten des Sprachverkehrs kann die zusammenhängende Äußerung - aus verschiedenen Gründen und zu verschiedenen Zwecken - knapp oder breit gehalten sein, klar oder verschwommen, emotional mit subjektiver Wertung oder nichtemotional mit objektiver Beurteilung, bildhaft oder bildlos, statisch oder dynamisch, offiziell oder zwang- los- aufgelockert u.a.m. Die genannten und ähnliche Stilzüge können sich miteinander verflechten und selbstverständlich, je nach dem funktionalen Charakter des Redeganzen, mehrmals innerhalb eines größeren Sinnzusammenhangs wechseln. Und dennoch lässt jede geschlossene Äußerung einen bestimmten Grundton - eben den grundlegenden Stilzug - durchscheinen” . Die in diesem Zitat genannten Stilzüge sind lediglich eine Reihe von Beispielen, die noch erweitert werden kann. Man knüpft bei dem Gedanken an, dass die Stilelemente eines Textes eine bestimmte Ordnung bilden und dass es nun darum geht, Komponenten dieser Ordnung zu finden, denen die einzelnen Stilelemente zugeordnet werden können. Als erster methodischer Ansatz eignen sich dazu solche allgemeinen Stilzugkategorien, wie sie E. Riesel oder auch andere Stilforscher nennen: Emotionalität, Knappheit, Bildhaftigkeit, Dynamik und die entsprechenden Gegensatzbegriffe. Ein nützliches Verfahren zur Ermittlung von Stilzügen ist die Analyse der Häufigkeit (Frequenz), der Verteilung (Distribution) und der Verbindung (Kom- bination) der einzelnen Stilelemente im Text. 3.4Stilbeschreibung Die Darstellung des Stils als der Einheit der Stilelemente bzw. der Stilzüge ist im Gegensatz zu den vorangegangenen Analysestufen im wesentlichen eine Synthesestufe. Hier kommt es auf die Zusammenschau der durch die Analyse gewonnenen einzelnen Elemente und Komponenten an. Diese Synthese findet ihren Niederschlag in einer sprachlich formulierten, in sich geschlossenen Stilbeschreibung. Bei der Anfertigung der Stilbeschreibung sind folgende Prinzipien zu beachten: 1. Die Stilbeschreibung ist keine einfache “Zusammenfassung” der vor- angegangenen methodischen Stufen, sondern eine Verarbeitung der sprach- stilistischen Fakten auf höherer Ebene. 2. Die bei der Stilbeschreibung herauszuarbeitenden Stilzüge sind nicht als Summe, als reine Aufzählung, sondern in ihrem charakteristischen, inhaltlich bedingten Verhältnis zueinander darzustellen. Es ist zu zeigen, welche Stilmerkmale dominieren und für das Stilganze bestimmend sind und welche Stilmerkmale eine mehr untergeordnete Rolle spielen und für das Stilganze nicht in gleichem Maße entscheidend sind. 3. Bei der Stilbeschreibung muss stets der Zusammenhang von Form und Funktion des Redestils beachtet werden. Die Form bilden die Häufigkeit, Verteilung und Verbindung der Stilelemente im Text; die Funktion ist die durch die Häufigkeit, Verteilung und Verbindung der Stilelemente erzielte Spezifik im kommunikativen Effekt bei der sprachlichen Darstellung des Sachverhalts. Zum Erfassen der Zusammenhänge der verschiedenartigen Stilelemente empfiehlt es sich, Übersichten in Form von Skizzen, Tabellen, Diagrammen anzulegen, an denen man sich bei der Anfertigung der Stilbeschreibung orientieren kann. Für Übersichten dieser Art gibt es keine verbindliche, allgemein festgelegte oder gebräuchliche Form. Grundsätzlich kann man zwei Möglichkeiten ins Auge fassen: a) man legt eine Übersicht an, die nur einen Aspekt bzw. nur wenige Aspekte berücksichtigt. In bezug auf die Lexik könnte dies zum Beispiel der semantisch-expressive Aspekt oder der Wortbildungsaspekt sein, in Bezug auf die grammatischen Stilelemente könnte der Aspekt der Satzklassifikation oder der Satzgliedfolge zugrunde gelegt werden. So kann man in einem Diagramm etwa den prozentualen Anteil der verschiedenen Satzformen, Satzarten und Satztypen innerhalb der Gesamtzahl der Sätze eines Textes darstellen; b) man legt eine Übersicht an, die verhältnismäßig viele Aspekte berück- sichtigt und darüber hinaus nicht nur die Häufigkeitsverhältnisse, sondern auch die Verteilung nnd Verbindung der einzelnen Elemente erkennen lässt. Solche tabellarischen Übersichten sind bei der Stiluntersuchung nur ein Hilfsmittel, eine Vorarbeit, gleichsam eine “Nebenrechnung”. Man kann dabei mit Symbolen, Abkürzungen und Andeutungen arbeiten. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass die Arbeit mit Tabellen durch andere Möglichkeiten unterstützt, ergänzt oder ersetzt werden kann: Kennzeichnung im Text durch Unterstreichungen, Symbole und Vermerke; Anfertigung von Strukturskizzen, die zum Beispiel den Wechsel und die Tendenzen im Gebrauch expressiver und nichtexpressiver bzw. anderer Stilelemente visuell veranschaulichen;