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Konzepte

der Sprach- und Literaturwissenschaft

Herausgegeben von
Klaus Baumgärtner und Peter von Matt
Textgrammatik
Beiträge zum Problem der Textualität

Herausgegeben von
Michael Schecker und Peter Wunderli

Max Niemeyer Verlag


Tübingen 1975
Herausgeber fiir Sprachwissenschaft
Klaus Baumgärtner (Universität Stuttgart)

Herausgeber für Literaturwissenschaft


Peter von Matt (Universität Zürich)

ISBN 3-484-22016-3

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1975


Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch
nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu ver-
vielfältigen. Printed in Germany
Satz: Rothfuchs Dettenhausen
Inhaltsverzeichnis

Vorwort VII

H. Weinrich
Skizze einer textlinguistischen Zahlentheorie 1

H. Vater
Pro-Formen des Deutschen 20

P. Wunderli
Der Prosatz «on. Substitutionsprobleme im Rahmen der transphrastischen
Syntax 43

H. Genaust
Voici und voilà. Eine textsyntaktische Analyse 76

M. Schecker
Verbvalenz und Satzthema 107

R. Meyer-Hermann
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 146

R. Harweg
Präsuppositionen und Rekonstruktion. Zur Erzählsituation in Thomas
Manns Tristan aus textlinguistischer Sicht 166

P. Chr. Kern
Textproduktionen. Zitat und Ritual als Sprachhandlungen 186

Index 215
Vorwort

Die Textlinguistik scheint eine Teildisziplin der Linguistik darzustellen, obwohl


unter ihrem Namen auch Veröffentlichungen aus dem Bereich der Literaturwis-
senschaft erschienen sind 1 . Und in der Tat kann auch die Literaturwissenschaft
den Anspruch erheben, eine Textwissenschaft zu sein, was seinen programma-
tischen Niederschlag u. a. in den Studienmodellen von Weinrich und Iser gefun-
den hat 2 : hier verpflichtet Iser die Literaturwissenschaft so ausschließlich auf
den Text qua Anordnung sprachlicher Zeichen, daß man mit Recht die gesell-
schaftlichen und historischen Zusammenhänge vermißt 3 .
Der vorliegende Band „Textgrammatik" soll deutlich unterschieden sein von
Unternehmen, die durch das oben angedeutete Selbstverständnis der Literatur-
wissenschaft charakterisiert sind. Generell geht es um übertriebene oder doch
zumindest mißverständliche Ansprüche im Namen des Gegenstands „ T e x t " ; denn
welcher Textlinguist — und nicht nur er — könnte die Konsequenzen, die sich
aus Isers Textbegriff und seinen Fachvorstellungen ergeben, mit gutem Gewis-
sen akzeptieren: daß nämlich radikal geschieden werden muß zwischen einer-
seits den Texten und andererseits den gesellschaftlichen und historischen Zu-
sammenhängen?
Immerhin scheinen die obigen Überlegungen eine Unterscheidung zu bein-
halten, die zur näheren Charakterisierung des Textbegriffs in der Literaturwis-
senschaft einerseits, der Linguistik andererseits beitragen könnte. Wir meinen,
daß zu differenzieren ist zwischen dem Text als,Menge von Meinungen', u m die
sich Leser/Hörer verstehend bemühen, und dem Text als Medium, als,Menge
sprachlicher Mittel', die zur Widergabe solcher Meinungen eingesetzt werden 4 .

1 Cf. etwa Tamara Silman, Probleme der Textlinguistik, Heidelberg 1974.


2 Wolfgang Iser, Überlegungen zu einem literaturwissenschaftlichen Studienmodell,
Querheft 1 (1969), 5 3 - 6 2 ; Harald Weinrich, Überlegungen zu einem Studienmodell
der Linguistik, Querheft 1 (1969), 6 2 - 6 9 .
3 Cf. zJB. Johannes Meyer-Ingwersen, Sprachwissenschaft in der Deutschlehrerausbildung,
DU 22 (1973), 3 9 - 8 2 , bes. p. 41 ss.
4 Cf. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 2 1 9 6 5 , bes. p. 381, 382 und
373.
VIII Vorwort

Allerdings ist der Text als Medium nicht zugänglich unter Ausschluß der Mei-
nungen, die im Text geäußert werden; Gadamer 5 hat dies zu Recht betont, und
auch Apel 6 hat darauf hingewiesen, daß hier eine spezifisch wissenschaftstheo-
retische Schwierigkeit der Linguistik liege. Daß man die Linguistik nicht den
hermeneutischen Wissenschaften zurechnen kann und daß sie nicht mit den Li-
teraturwissenschaften zusammengestellt werden darf 7 , soll später noch angedeu-
tet werden.
Nun gilt für den Text als Medium gerade nicht, was für den Text als ,Menge
von Meinungen' Gültigkeit hat, nämlich: daß ich beim Verstehen der Meinungen
eines Textes diese immer auch schon auf mich selber anwende 8 . Hier liegt ein
erster und entscheidender Unterschied zwischen dem literaturwissenschaftlichen
Textbegriff und demjenigen der Linguistik. Entsprechend handelt es sich bei den
von der Sprachwissenschaft ermittelten Regeln (z. B. der Artikelselektion, der
Pronominalisierung usw.) nicht um .praktische Regeln' (Habermas) 9 , wie sie für
den Einsatz sprachlicher Mittel, z. B. im Rahmen des Rollenverhaltens einer Ein-
kaufssituation, formuliert werden können 1 0 . Es handelt sich vielmehr um .tech-
nische Regeln' 11 , deren Kenntnis unser praktisches Wissen nicht erweitert und
unser Bewußtsein nicht verändert, kurz: die keine bessere Handlungsorientierung
bewirken.
Wenn man sich den Konsequenzen, die sich aus dem Gesagten ergeben, nicht
verschließt, so scheint der Textlinguist im Gegensatz zum Literaturwissenschaft-
ler nicht durch ein .praktisches' oder .emanzipatorisches Erkenntnisinteresse'
geleitet zu werden 1 2 , wenn er Texte als Medium zum Untersuchungsgegenstand
macht; und doch hängen solche Untersuchungen in ganz anderer Weise mit prak-
tisch-emanzipatorischen Bestrebungen zusammen, als diese z. B. in den Naturwis-
senschaften der Fall ist. Dies wird deutlich u. a. bei der Analyse von Gerichts-
urteilen und den typischen Versatzstücken ihrer Tatschilderungen oder bei der
Analyse der Kommunikationssituation bestimmter Texte (z.B. Werbung) (und

5 Gadamer, Wahrheit, p. 417.


6 Karl-Otto Apel, Noam Chomskys Sprachtheorie und die Philosophie der Gegenwart,
in: ders., Transformationen der Philosophie, Bd. II, Frankfurt a. M. 1973, p. 2 6 4 - 3 1 0 .
7 Cf. auch Michael Schecker, Begriff und Gegenstand in der Linguistik, in: Dittmann/
Marten/Schecker, Gegenstand und Wahrheit, Tübingen 1975 (in Vorb.)
8 Gadamer, Wahrheit, p.375.
9 Jürgen Habermas, Zur Logik der Sozialwissenschaften, Tübingen 1967, p. 170 s.
10 Cf. den Kode-Begriff Wunderlichs und entsprechende Regeln in: Dieter Wunderlich,
Begriffszusammenhang innerhalb der Soziolinguistik, in: Engel/Schwencke (Hg.), Ge-
genwartssprache und Gesellschaft, Düsseldorf 1972, p. 6 4 - 7 0 , bes. p. 66.
11 Cf. N 9.
12 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, in: ders., Technik und Wissenschaft als
Ideologie, Frankfurt a. M. 2 1969, p . 1 4 6 - 1 6 8 , bes.p.155 und p.160.
Vorwort IX

zwar nicht nur bei Kommunikationssituationen, die vom Text selber verbal vor-
gestellt werden, sondern auch bei solchen, auf die der Text implizit verweist
(etwa über Präsuppositionen).
Allgemein kann man sagen, daß der besondere Gebrauch, den ein Sprecher
vom Medium Sprache macht, zumindest potentiell auf dieses Medium selber zu-
rückschlägt und es verändert 13 ; nur in einem solchen Spannungsraum zwischen
sprachlichen Mitteln einerseits und individuellem Gebrauch 14 andererseits ist
Sprachwandel denkbar und jene vieldiskutierte schöpferische Produktivität des
,native Speaker' möglich, — letzteres wohl nur teilweise gemäß Chomsky 15 . Un-
ter der Kategorie der Arbeit würde der Text als Medium bzw. eine Sprache als
Menge von Mitteln nicht nur ,Organ der Arbeit' sein, sondern zugleich auch
.Produkt der Arbeit', durchaus vergleichbar dem Beispiel der menschlichen Hand
bei Engels16.
Nun dürfen freilich solche Überlegungen nicht dazu verführen, auch den Text
qua Medium ausschließlich als ,Kulturgegenstand' im weitesten Sinne zu ver-
stehen. Hier kann das Bild der Hand täuschen, und doch wirkt es zugleich auch
belehrend. Die Hand ist ja auch .Naturgegenstand' 17 , und zwar in dem Sinne,
daß sie bei aller Entwicklung rückgebunden bleibt an biologische Wachstums-
gesetze usw. Andererseits macht es aber allein eine solche Doppelseitigkeit des
Gegenstands möglich, bei aller Geschichtlichkeit der textkonstitutiven Mittel
einerseits zurückzugehen auf die generellen Bedingungen und Faktoren einer
jeweiligen Textkonstitution, und andererseits entsprechende Untersuchungen
in systematischer Weise auf praktisch-emanzipatorische Bestrebungen zu bezie-
hen. Um es nochmals zu betonen: das ist mehr noch als jene heuristische Ver-

13 Cf. Habermas, Logik, p. 138; cf. auch Gadamer, Wahrheit, p. 422.


14 Es scheint uns wichtig, hier einmal mehr an den Strukturalismus, speziell an das Ver-
hältnis von langue und parole zu erinnern, ferner auch an strukturalistische Vorstel-
lungen speziell zur Sprachveränderung.
15 Noam Chomsky, Aspekte der Syntax-Theorie, Frankfurt a. M. 1969, bes. p. 16 s. und
p. 19. Zu Chomskys Geschichtsverständnis bzw. quasi-romantischer geschichtlicher Her-
leitung seiner Überlegungen vgl. Bertram Kienzle, Rede und Gesinnung - G. Franklins
Sprachlehre von 1778, Deutsche Sprache (1974), 141-152. - Auch nach Bernard
Imhasly, Der Begriff der sprachlichen Kreativität in der neueren Linguistik, Tübingen
1974, p.9 ss., versteht Chomsky die Kreativität sowohl im Sinne eines rein technischen
(operationeilen) Generierens wie auch als ein (substantielles) Erzeugen im Sinne Humboldts.
16 Friedrich Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, Berlin 1972, p . l l .
17 „Wenngleich die Dispositionen also Naturfakten sind, sind Entsprechungen zwischen
den Dispositionen . .. prinzipiell keine Naturfakten. Die Linguistik hat es aber gerade
mit diesen Entsprechungen . . . zu tun." (Quine, gemäß Helmut Schnelle, Sprachphilo-
sophie und Linguistik, Reinbek bei Hamburg 1973, p. 112).
X Vorwort

mittlung von „hermeneutischen und technologisch/instrumentalen Aspekten",


wie sie z. B. Wunderlich vorschwebt 18 .
Nun müssen wir mit unserer Standortbestimmung der hier anvisierten Text-
linguistik in einem entscheidenden Punkt noch weitergehen. Alle bisherigen Aus-
führungen über den Text hatten auch Gültigkeit für die Sprache schlechthin —
und dies ist keineswegs ein Kunstfehler. Es geht hier nicht um einen zusätzlichen
Untersuchungsgegenstand, um den Text z. B. neben dem Satz; Textlinguistik ist
vielmehr durch ihre besondere Perspektive gekennzeichnet, unter der sie auch
den Satz (also nicht nur satzübergreifende Beziehungen) beschreibt 19 . Verschärft
bedeutet dies für den Satz, daß die Prozesse der Satzkonstitution (gemäß Chomsky
die Kompetenz) mit jenen der Textkonstitution (bei Chomsky wohl die Per-
formanz, da auf Referenzobjekte Bezug genommen wird) zusammen gesehen
werden. Das kann nur heißen, daß eine rein innersprachliche Kompetenz besten-
falls als nachträgliche Abstraktion irgendwelche Gültigkeit beanspruchen darf 20 .
Die Bildung z. B. korrekter Sätze erschöpft sich auch nicht im korrekten Rück-
bezug auf eine als solche wieder abstrakte Situation, abstrakt deshalb, weil es im
wesentlichen nur um den/einen physikalistischen Aspekt von Situation geht 21 ;
vielmehr ist in der Bildung korrekter Sätze die Berücksichtigung der Situation
als einer gesellschaftlichen Gegebenheit konstitutiv miteingeschlossen: es gibt
keine Komplexion sprachlicher Zeichen zu Verbänden höheren Ranges außer-
halb des Gebrauchs, den ich von den so entstehenden Sequenzen im weitesten
Sinne zu machen gedenke, und sei es auch nur der Gebrauch Dokumentation
eines grammatischen Problems' oder ,Beispiel für eine Übersetzungsschwierig-
keit zwischen Ausgangs- und Zielsprache' 22 .
Wendet man sich gegen einen rein innersprachlichen Kompetenzbegriff, dann
muß man auch eine darauf aufbauende .kommunikative Kompetenz' 2 3 oder ,kom-
18 Wunderlich, Soziolinguistik, p.69.
19 Als Beleg für die hier vertretene Textlinguistik kann bei allen Unterschieden im Detail
u. a. gelten Kallmeyer/Klein/Meyer-Hermann/Netzer/Siebert, Lektürekolleg zur Text-
linguistik, bes. Bd. I, F r a n k f u r t a. M. 1974, p. 24 s.
20 Cf. zum folgenden Michael Schecker, T e x t k o n s t i t u t i o n - Ein hochschuldidaktischer
Vorschlag, in Vorb. Vgl. auch die „Eisschranksätze" gemäss R . Marten, Existieren,
Wahrsein und Verstehen, Berlin- New York 1972, p. 101.
21 Cf. Dieter Wunderlich, Pragmatik, Sprechsituation, Deixis, LiLi 1/2 (1971), 1 5 3 - 1 9 0 ,
der dennoch - freilich o h n e Konsequenzen zu ziehen - so etwas wie den Honorativ
im Japanischen erörtert.
22 Eben das dürfte der Gebrauchstyp sein, der d e m Satz „Der König von Frankreich ist
weise" bei Strawson, Bedeuten, in Rüdiger Bubner (Hg.), Sprache und Analysis, Göt-
tingen 1968, p. 6 3 - 9 5 , zugrundeliegt.
23 Cf. Jürgen Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der k o m m u n i k a -
tiven K o m p e t e n z , in Habermas/Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechno-
logie, F r a n k f u r t a. M. 1971, 1 0 1 - 1 4 1 .
Vorwort XI

munikative Verhaltenskompetenz' 2 4 ablehnen, und das v. a. dann, wenn solche


Sekundärkompetenzen lediglich additiv 25 zur rein sprachlichen Kompetenz hin-
zugefugt werden. Näher liegt es, hier auf den alten Begriff der sprachlichen Mit-
tel oder Möglichkeiten zurückzugreifen (dies durchaus im Sinne eines Sprach-
systems, freilich mit all den Einschränkungen, die z. B. Coseriu 26 zu diesem
Punkte vorträgt), zu denen in der Nachfolge Saussures u. a. auch Satzbaupläne 27
gehören (vielleicht auch Textbaupläne 2 8 ?). Der Zusammenschluß der elemen-
taren Zeichen zu Komplexionen höheren Ranges wird dann durch die kommu-
nikative Kompetenz geleistet (bei Saussure ein Teil der faculté du langage29).
Eine solche Kompetenz liefert das Bindeglied zwischen den zugrundeliegenden
sprachlichen Mitteln und dem konkreten Gebrauch, d. h. sie vermittelt zwischen
Bedeutung und Meinung und bestimmt ihr Verhältnis, wie es implizit schon im-
mer anklang in der Diskussion um Grund- und Nutzwerte eines sprachlichen
Zeichens 30 .

24 Cf. Funkkolleg Sprache - Eine Einführung in die moderne Linguistik, Studienbegleit-


brief 10, Weinheim-Basel 1972, p.70 ss.
25 Bereits Formulierungen wie „Eine Theorie der kommunikativen Kompetenz muß die
Leistungen erklären, die Sprecher oder Hörer mit Hilfe pragmatischer Universalien vor-
nehmen, wenn sie Sätze in Äußerungen transformieren" (Habermas, Kompetenz, p.103),
legen das nahe.
26 Eugenio Coseriu, Synchronie, Diachronie und Geschichte, München 1974, u.a. p. 9ss.
27 Cf. Peter Wunderli, Zur Stellung der Syntax bei Saussure, ZRPh. 88 (1972), 483-506.
28 Unter Bauplänen werden hier elementare Zeichen verstanden, an deren Stelle beim
Text laut Udo L. Figge, Syntagmatik, Distribution und Text, in: Wolf-Dieter Stempel
(Hg.), Beiträge zur Textlinguistik, München 1971, p. 61-182, Distributionen nicht nur
von Sätzen, sondern primär von Satzpositionen treten. (M. Sch.) - Doch ließen sich
auf jeden Fall auch Textbaupläne für besondere Satzfolgen wie solche mit Sprecher-
wechsel denken, also: Frage - Antwort, Frage - Rückfrage, Aussage - Rückfrage,
Befehl - Protest usw. Für die Fixierung der Typen scheint es sinnvoll zu sein, die
beiden Sprecheranteile auf einen jeweils einzigen Satz (eine einzige Position) im Text-
bauplan zu reduzieren und für die Expansion dieser Position eine Rekursivitätsregel
einzuführen, in deren Rahmen auch Verflechtungsmechanismen wie Thema-/Rhema-
strukturierung, Pronominalisierung, Anaphorisierung/Kataphorisierung usw. zu berück-
sichtigen sind. Ausgehend von dieser Darstellung dürfte es sich als sinnvoll erweisen,
rein beschreibende, erzählende usw. Texte, die nur auf einen einzigen Sprecher zurück-
gehen, primär ebenfalls als Einsatztexte darzustellen und sie - wenn nötig - über ent-
sprechende Expansionsregeln zu erweitern. (P. W.)
29 Cf. hierzu P. Wunderli, Saussure und die Kreativität, VRom.33 (1974), 1 - 3 1 .
30 Cf. etwa die Diskussion um den generalisierenden und partikularisierenden Artikelge-
brauch oder auch die Behandlung der Negation in „Der Prosatz ,non"' in diesem Band
oder auch den Vortrag von Renate Bartsch, Die Beziehung von Intonation und Wort-
XII Vorwort

Beziehen wir unsere Ausführungen auf den vorliegenden Sammelband zurück,


so muß betont werden, daß es sich bei den vorgelegten Beiträgen nicht um eine
geschlossene Meinungsfront handelt, nicht einmal um nur einen einzigen Gegen-
stand, der verhandelt wird: ein .Konzept' in diesem Sinne stellt der Band also
nicht dar. Dies liegt wohl v. a. daran, daß sich im gegenwärtigen Zeitpunkt die
Textlinguistik in voller Entwicklung befindet. Natürlich läßt sich schon manche
Schulenbildung verzeichnen 31 ; was jedoch generell noch fehlt, ist ein Entwurf —
vergleichbar Chomskys generativer Syntax für die Satzlinguistik —, welcher die
weitere Forschung zumindest für eine gewisse Zeit auf ein einziges oder doch
nahezu einziges .Paradigma' 32 festlegt und so eine einheitliche Aufarbeitung und
Interpretation der Detailfragen ermöglicht.
Im einzelnen behandelt eine ganze Gruppe von Beiträgern Probleme der Ar-
tikelselektion und Pronominalisierung, und man kann gerade an diesen Arbei-
ten die neuartige Perspektive der Betrachtung von Phänomenen ablesen, die zwar
durchaus in den Bereich des einzelnen Satzes fallen, aber eben doch gleichzeitig
für die Beziehung zwischen den Sätzen bedeutungsvoll sind. Spricht man hier
von Morphosyntax, was immer einen Ansatzpunkt auf der Ausdrucksseite der
sprachlichen Phänomene impliziert, so erlaubt das zu fragen, was denn in diesem
Fall .ausgedrückt' wird. Daß es sich dabei nicht um rein sprachinterne Inhalts-
betrachtung handeln kann, sondern daß es hier um die Extension sprachlicher
Ausdrücke geht, um die Referenz also, kann nur angedeutet werden 33 .
.Ausdruckssyntax' und .Inhaltssyntax' 34 laufen dann wieder zusammen, wenn
die Kommunikationssituation thematisiert wird, auf die hin ein Text gearbeitet
ist. Wenn dann schließlich Texte als Sequenzen von Sprechhandlungen angegan-
gen werden, was den Versuch eines differenzierten Neueinsatzes zur Sprechakt-
theorie miteinschließt, so steht das in einer folgerichtigen Beziehung zur The-
matisierung der Kommunikationssituation eines Textes.
*

Ordnung zur semantischen Repräsentation, 9. Linguistisches Kolloquium Bielefeld,


2 7 . - 3 0 . August 1974.
31 Cf. die (ehemalige) Konstanzer Projektgruppe zur Textlinguistik u. a. mit Janos Petöfi
und Hannes Rieser, oder die Bielefelder Gruppe, cf. N 19.
3 2 Cf. Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt a. M.
1967.
33 Cf. Z. Hintikka, Semantik für Positionsaussagen, in: S. Kanngiesser - G. Lingrün (Hg.),
Studien zur Semantik, Kronberg/Ts. 1974, p. 6 1 - 9 7 .
34 Die Termini sind übernommen und verwendet von Georg Stötzel, Ausdrucksseite und
Inhaltsseite der Sprache, München 1970, bes. Kap. 5, Ausdrucks- und Inhaltsvalenz.
Vorwort XIII

Zum Schluß bleibt uns noch die angenehme Pflicht, Herrn Dr. H. Genaust für
seine Mithilfe an der Publikation dieses Sammelbandes zu danken. Er hat sämtliche
Korrekturen mitgelesen und die Endredaktion des Index mit großer Umsicht be-
sorgt. Ohne seinen Einsatz wäre eine erhebliche Verzögerung des Erscheinens des
Bandes nicht zu vermeiden gewesen.

Freiburg im Breisgau, im Januar 1975 Michael Schecker


Peter Wunderli
Harald Weinrich

Skizze einer textlinguistischen Zahlentheorie

Singular, Plural und die Zahlen — wo steckt da das Problem? Singular ist „Ein-
zahl", Plural ist „Mehrzahl", und diese Frage bereitet seit den Pythagoreern, die
die Eins nicht zu den Zahlen rechneten, niemandem mehr Kopfzerbrechen1. Ich
meine nun aber, daß es interessant sein könnte, hier ein linguistisches Problem zu
entdecken. Das setzt eine bestimmte linguistische Theorie voraus. Ich wähle
eine Theorie, die sich an den Begriffen Kommunikation, Instruktion und Text
orientiert (mnemotechnisches Stichwort: C-I-T-Linguistik).. Das besagt insbe-
sondere für die syntaktischen Sprachzeichen, daß sie daraufhin befragt werden
sollen, welche Instruktion sie in einem Text für die Kommunikation geben.
Wenn man diese Bedingungen stellt, wird auch das Strukturproblem von Sin-
gular und Plural sowie das textlinguistische Problem der Zahlen erkennbar.

Numerus des Verbs

In den europäischen Sprachen, die keinen Dual (mehr) kennen, bilden Singu-
lar und Plural eine binäre Opposition, die Numerus-Opposition. Die Numerus-
Morpheme verbinden sich, bei geringen Unterschieden je nach den einzelnen
Sprachen, mit den drei Lexem-Klassen Verb, Nomen und Adjektiv und tragen
auf diese Weise zur textuellen Kongruenz bei. Wenn also in einem kurzen
Textsegment der französischen Sprache wie /les jeux sont faits/ der Plural
phonetisch zweimal und orthographisch sogar viermal bezeichnet wird, so ist
diese Erscheinung ein wichtiges Merkmal der Textualität.
Unter den Gesichtspunkten Kommunikation und Instruktion soll nun wei-
ter gefragt werden, inwiefern die Numerus-Morpheme als Anweisungen aufgefaßt
werden können, durch die ein Sprecher einem Hörer in einem Sprachspiel be-

1 Zur antiken Zahlentheorie vgl. insbesondere: B.L. van der Waerden, Die Arithmetik
der Pythagoräer, in: Mathematische Annalen 120 (1947/49), 127-153 und 676 bis
700. - Léon Robin, La théorie platonicienne des idées et des nombres, Paris 1908,
Nachdruck Hildesheim 1963.
2 H. Weinrich

deutet, wie er sich bei seinen Dekodierungsaufgaben im Kommunikationspro-


zeß zurechtfinden soll. Ich muß zu diesem Zweck auf das bekannte und in-
zwischen bereits triviale Kommunikationsmodell der Informationstheorie zu-
rückkommen. Es besagt bekanntlich, daß ein Sprecher und ein Hörer, die an
einem gemeinsamen Kode Anteil haben, in einem bestimmten Medium mittels
Zeichen Nachrichten austauschen. Als bekannt kann weiterhin gelten, daß
dieses Kommunikationsmodell in der Syntax durch das Paradigma der Perso-
nal-Pronomina oder ähnlicher Morpheme gespiegelt wird. Solche Morpheme
finden sich in allen Sprachen; es handelt sich um ein übereinzelsprachliches
Universale. Wir wollen daher diese Morpheme generell Kommunikations-
Morpheme oder kurz Kommunikanten nennen. Unter Vernachlässigung der
häufig mit ihnen verbundenen Genus-Oppositionen können wir nun weiterhin
zum Bestand der Universalien rechnen, daß die Kommunikanten eine Oppo-
sition mit drei Termen bilden: Sender (1. Person), Empfänger (2. Person)
und Referent (3. Person). Die Positionen des Senders und des Empfängers
sind nun im jeweiligen Sprachspiel sehr genau festgelegt und können prag-
matisch verifiziert werden. Die Position des Referenten (3. Person) ist dem-
gegenüber eine gewaltige, kaum konturierte Restkategorie: Referent ist alles,
was in einem Sprachspiel nicht Sender und nicht Empfänger ist. Was es dann
genau ist, muß durch zusätzliche Informationen des Textes ausgedrückt wer-
den. Wenn man die Struktur der Kommunikanten graphisch darstellen will,
kann man das Bild einer Ellipse wählen, mit dem Sender und dem Empfän-
ger als Brennpunkten und der Ellipsenfläche als Veranschaulichung der Rest-
kategorie Referent:

Das sind nun aber nur die Kommunikanten im Singular. In Verbindung mit
den Morphemen des Plurals verändert sich das Modell der Kommunikanten
(die „Kommunikations-Ellipse") in charakteristischer Weise. Das Modell kann
ja nicht im Sinne einer trivialen Numerus-Auffassung „vermehrt" werden. Es
Textlinguistische Zahlentheorie 3

kann nur anders organisiert werden. Das geschieht auch tatsächlich, wenn die
Kommunikanten sich mit dem Plural-Morphem verbinden. Während das Singu-
lar-Morphem dem Hörer die Anweisung gibt, die Kommunikanten, die ja als
Terme einer Opposition unterscheidbar sind, auch tatsächlich zu unterscheiden,
wird der Hörer durch das Plural-Morphem angewiesen, die Unterscheidbarkeit
der Kommunikanten nicht zu aktualisieren und diese vielmehr zusammenzu-
fassen. Die Möglichkeit der Zusammenfassung beginnt bei zwei Elementen. Hier
beginnt also auch der Plural. Der „Sender-Plural" ist in diesem Sinne an die
folgenden Strukturbedingungen geknüpft: [+S], [+X]; zu lesen: verlangt wird die
Zusammenfassung des Senders [S] und mindestens eines weiteren Elementes
[X] (das kann der Empfänger und/oder ein Element aus der großen Restka-
tegorie des Referenten sein). Der „Empfänger-Plural" hat die Merkmale [+ E],
[+Y], [—SJ ; zu lesen: verlangt wird die Zusammenfassung des Empfängers
[E] und mindestens eines weiteren Elementes [Y], das nicht Sender sein darf.
Und der „Referenten-Plural" hat schließlich die Strukturformel: [+X], [+Y],
[—S], [—E]; zu lesen: verlangt wird die Zusammenfassung mindestens zweier
verschiedener Elemente, die beide weder der Sender noch der Empfänger sein
dürfen.

Schaubild der Kommunikations-Ellipse

i 1
SENDER-PLURAL I [+S], [ + E ]
_J

S E N D E R - P L U R A L II [ + S ] , [+X], [ - E l

: EMPFÄNGER-PLURAL [ + E ] , [ + Y ] , [ — S]

REFERENTEN-PLURAL ( + X J , [ + Y ] , [ —SJ, [— EJ
4 H. Weinrich

Aus dieser kleinen Skizze wird nun deutlich, daß die Anweisungen der Nu-
merus-Morpheme, ebenso wie alle anderen syntaktischen Morpheme, auf die
Kommunikation bezogen sind und dem Hörer kommunikations-pragmatische
Hilfen für die Dekodierung anbieten. Daß nun überhaupt das Plural-Morphem
in diesem Zusammenhang eine Hilfe darstellt, ergibt sich aus der drei-elemen-
tigen Struktur des Kommunikanten-Modells. Wenn man ein Paradigma mit
drei Termen vor sich hat, ist es ökonomisch, mindestens zwei dieser Terme
zusammenfassen zu können. Das eben leistet das Plural-Morphem. Die Nu-
merus-Morpheme können daher als kommunikationssteuernde Signale ange-
sehen werden und erfüllen die textlinguistisch-pragmatischen Bedingungen,
die allgemein für Morpheme der Syntax gestellt sind.

Menge und Elemente

Die bisher am Verbalsystem aufgezeigte Numerus-Struktur findet sich im


Nominalsystem der Sprache wieder. Auch das Nomen wird nach Singular
und Plural unterschieden: le jeu vs. les jeux (wenn ich weiter am Beispiel
der französischen Sprache argumentieren darf). Da das Nomen, wenn es
als Subjekt steht, mit dem Verb textuell kongruent sein muß, gelten die für
das Verb skizzierten Strukturbedingungen grundsätzlich auch für das Nomen.
Das Plural-Morphem verlangt also, daß mindestens zwei Elemente zusammen-
gefaßt werden. Da nun gewöhnlich die situativ eindeutigen Positionen des
Senders und des Empfängers nur durch Morpheme (Endungen, Personal-Pro-
nomina usw.) bezeichnet werden, treten Nomina im Text fast immer in
Verbindung mit der Position des Referenten (3. Person) auf. Das ist auch
verständlich, da die Position des Referenten ja im Sinne der voraufgehenden
Überlegungen eine große und wenig konturierte Restkategorie darstellt. Sie
wird durch die Nomina des Textes in vielfältiger Weise ausgefüllt und prä-
zisiert. Hier sind also auch Möglichkeit und Bedarf für pluralische Anwei-
sungen am größten. Unter diesen Umständen verzeichnen wir grundsätzlich
auch bei den Nomina, sofern wir sie uns als pluralische Nomina des Tex-
tes vorstellen, die Strukturformel [+X], [+Y], [ - S ] , [ - E ] ; also genau jene
Formel, die wir im Verbalsystem beim „Referenten-Plural" festgestellt ha-
ben. Mit anderen Worten, das Plural-Morphem kann dann mit einem Nomen
verbunden werden, wenn mindestens zwei verschiedene Elemente zusammen-
gefaßt werden können. Nach oben hin wollen wir für die Zahl der Elemente
einstweilen keine Grenze angeben; diese Unscharfe entspricht generell der Un-
schärfe des Referenten als einer Restkategorie.
Text linguistische Zahlentheorie 5

Ich habe nun mehrfach den Begriff „Element" gebraucht, von dem be-
kannt ist, daß auch die Mathematik sich seiner bedient. Elemente sind in
der Mathematik (Mengenlehre) immer Elemente einer Menge. Diese Über-
einstimmung im Begriff ist mir nicht unangenehm, ich will sie vielmehr aus-
drücklich aufgreifen und thematisieren. Die Grammatik der Einzelsprachen
muß im Kapitel des Numerus so beschaffen sein, daß nicht nur weitere Ka-
pitel der Grammatik (Numeralia, Indefinita usw.) daran anschließen können,
sondern möglicherweise auch einige Kapitel unserer mathematischen Lehrbü-
cher. In diesem Sinne definiere ich nun die Numerus-Opposition Singular
vs. Plural wie folgt: Singular bedeutet Menge (von Elementen). Plural bedeu-
tet Elemente (einer Menge).
Die vorgestellten Definitionen bedürfen einiger Erläuterungen, damit sie
für die linguistische Argumentation nutzbar werden. Ich muß hier in aller
Kürze auf das Verhältnis von Syntax und Semantik zu sprechen kommen.
Gemeint ist natürlich, wie es sich im Rahmen einer Textlinguistik von selbst
versteht, eine Textsyntax und Textsemantik. Die Textsemantik fragt nun
nicht nach der Bedeutung eines Sprachzeichens in der Isolierung, sondern
interessiert sich an erster Stelle für die Bedeutung, die ein Sprachzeichen
in einem Text hat. Wir wollen diese die Text-Bedeutung oder Meinung nen-
nen und sie scharf von der Kode-Bedeutung oder Bedeutung schlechthin ua-
terscheiden. Die Meinung (Text-Bedeutung) eines Sprachzeichens im Text
unterscheidet sich von der Bedeutung (Kode-Bedeutung) dieses Sprachzei-
chens, wenn man es sich isoliert denkt, durch eine mehr oder minder starke
Determination, die vom sprachlichen und/ oder situativen Kontext geleistet
wird. Je nach der Länge und Beschaffenheit dieses Kontextes kann für die
je besonderen Zwecke eines Textes die Meinung eines Sprachzeichens nach
dem semantischen Umfang und Inhalt bestimmt („eingestellt") werden. Die
Textsemantik hat es daher insgesamt mit einer gleitenden semantischen Ska-
la zwischen dem Pol des Allgemeinen und dem Pol des je Besonderen zu
tun. Unter den textuellen Determinanten, die diese Textualisierung und Prä-
zisierung der Bedeutung zur mehr oder weniger konkreten Meinung besor-
gen, findet man nun an bevorzugter Stelle die Morpheme der Syntax. Ob
beispielsweise in der Umgebung eines Nomens ein bestimmter oder ein un-
bestimmter Artikel steht, das ist für den Hörer eine wichtige Instruktion, nach
der er entweder die Vorinformation (beim bestimmten Artikel) oder die Nach-
information (beim unbestimmten Artikel) zur Determination des entspre-
chenden Nomens heranziehen soll. Ähnliches gilt auch für die anderen Mor-
pheme der Syntax. Es gilt insbesondere auch für die Numerus-Morpheme.
Ob ein Nomen mit dem Singular-Morphem verbunden ist („im Singular steht")
oder mit dem Plural-Morphem verbunden ist („im Plural steht"), das instruiert
6 H. Weinrich

den Hörer bei der Dekodierung dieses Textsegmentes und verhilft ihm ins-
besondere dazu, für dieses Nomen die richtige, das heißt vom Sprecher ge-
wollte Einstellung auf der semantischen Skala zu finden. Ich unterstreiche
aber, daß diese Leistung nicht von den Numerus-Morphemen allein, sondern
immer in Konkomitanz mit anderen Morphemen vollbracht wird. Um aber
nun in der Analyse die Instruktion des Numerus-Morphems genau zu erfassen,
ist es notwendig, diese nicht mit den Instruktionen anderer syntaktischer
Morpheme zu verwechseln. Es darf insbesondere dem Numerus-Morphem
keine Funktion zugeschrieben werden, die der Artikel-Opposition bestimm-
ter Artikel vs. unbestimmter Artikel zukommt. Es kommt also darauf an,
genau die begrenzte Funktion zu erkennen, die jedes Morphem für sich hat
und die erst im Text im Zusammenwirken mit der Funktion anderer Mor-
pheme die gesamte textuelle Instruktion ergibt. Für das Problem von Singu-
lar und Plural besagt das insbesondere, daß mit dem Begriff der Menge nichts
über den Umfang der Menge gesagt ist, ebensowenig wie im Begriff des Ele-
mentes genaue Angaben über die Zahl der Elemente enthalten sind. Der Be-
griff der Menge (= Singular) hat also ein sehr weites Anwendungsfeld von
der jeweilig möglichen „Gesamtmenge" (= potentielle Vielheit) als oberem
Grenzfall bis zur „Einermenge" (= ein-elementige Menge) als unterem Grenz-
fall. Ob im Einzelfall dann die Menge mehr im Sinne der Gesamtmenge oder
mehr im Sinne der Einermenge oder schließlich im Sinne irgendeiner Teil-
menge zwischen den beiden Extremwerten gemeint ist, muß der Hörer aus
den zusätzlichen Anweisungen anderer syntaktischer Signale entnehmen.
In gleicher Weise ist im Begriff der Elemente (= Plural) nicht vorentschie-
den, ob es sich im oberen Grenzfall vielleicht um „alle möglichen", d. h.
alle vom Kode her zulässigen Elemente handelt oder im unteren Grenzfall
um nur zwei Elemente. Wenn der Hörer genaueres über die Zahl der bei ei-
nem Sprachspiel beteiligten Elemente erfahren soll, muß er auf die Zusatz-
informationen anderer syntaktischer Morpheme achten, insbesondere auf die
Zahlen (Zahlwörter).
Die Numerus-Morpheme mit der Opposition Singular vs. Plural stellen
also selber keine Zahlenangaben dar, sondern sind, wie alle grammatischen
Zeichen, Anweisungen zur Dekodierung des Textes, insbesondere im Hin-
blick auf das semantische Spiel der Bedeutungs-Determination zwischen den
Polen der Kode-Bedeutung und der Text-Bedeutung (Meinung).

Elementarzahlen
Wir wollen im folgenden annehmen, daß ein Hörer zur Dekodierung eines
Textes, insbesondere zum genauen Verständnis eines Nomens, präzisere An-
Textlinguistische Zahlentheorie 1

Weisungen erhalten will oder erhalten soll. Für diesen Zweck gibt es in> der
Syntax ein Paradigma der Zahlen (Numeralia, Zahlwörter). Es ist nun für
die weitere Argumentation unerläßlich, über die Zahlen nicht nach mathe-
matischen, sondern nach linguistischen Spielregeln nachzudenken. Man soll-
te sich daher die Zahlen auch nicht in symbolischer — arabischer oder rö-
mischer — Notation vorstellen, sondern in ihrer Lautgestalt, und zwar in
der jeweilig einzelsprachlichen Lautgestalt. Um diese Bedingung nicht aus
den Augen zu lassen, argumentiere ich auch im folgenden an den Zahlwör-
tern der französischen Sprache als einer Fremdsprache weiter. Alle Formen
des mathematischen Universalismus bleiben also einstweilen im Hinter-
grund.
Wenn man die Zahlen einer gegebenen Einzelsprache nach diesen Spiel-
regeln untersucht, muß als erstes die Frage aufgeworfen werden, ob diese
Zahlen überhaupt ein Paradigma im Sinne der Grammatik bilden. Die Ma-
thematik hat uns ja daran gewöhnt, uns die Zahlenreihe als unendlich vor-
zustellen. Ein unendliches Paradigma wäre aber ein Widerspruch im Begriff.
Nun kann man aber für die französische Sprache (und analog dazu für andere
Einzelsprachen) mühelos den Nachweis führen, daß diese Morpheme, wie
alle anderen grammatischen Morpheme, tatsächlich ein endliches und über-
schaubares Paradigma bilden 1 . Diese Morpheme erfüllen darüber hinaas, wie-
derum in Analogie zu den anderen Morphemen der Grammatik, die Bedin-
gungen der morphologischen Kürze und der relativ hohen Frequenz in der
Sprache. In diesem Sinne kann man feststellen, daß das Paradigma der mit
dem Plural-Morphem kombinierbaren Zahlen in der französischen Sprache
genau 22 Zahlmorpheme umfaßt. Es sind die folgenden: deux, trois, quatre,
cinq, six, sept, huit, neuf, dix, onze, douze, treize, quatorze, quinze, seize,
vingt, trente, quarante, cinquante, soixante, cent, mille. In Belgien, Kanada,
der französischen Schweiz und in Teilen Ostfrankreichs ist dieses Paradigma
noch um drei Zahlmorpheme erweitert, nämlich septante, octante/huitante,
nonante. Außerhalb dieser Regionen kennt der französische Sprachgebrauch
diese drei Zahlmorpheme nicht; sie werden jedoch verstanden.
Die unendliche Zahlenreihe, deren sich die Mathematik bedient, wird nicht
durch Erweiterung dieses Paradigmas, sondern durch Kombinatorik seiner
Morpheme zustande gebracht. Dabei gelten für die gesprochene französische
Sprache die folgenden Kombinationsregeln:
1. Wenn die kleinere Zahl der größeren nachfolgt, wird sie ihr additiv zuge-
rechnet (cent cinq = 100 + 5).

1 Vgl. hierzu (in der Theorie abweichend) Georges Gougenheim, Système grammati-
cal de la langue française, Paris 1938, p. 68 s.
8 H. Weinrich

2. Wenn die kleinere Zahl der größeren voraufgeht, wird sie ihr multiplika-
tiv zugerechnet (cinq cents = 5 x 100).
Die beiden Typen der Kombinatorik lassen sich ihrerseits noch einmal
kombinieren; auf diese Weise erhält man beispielsweise den Zahlenwert 82:
quatre-vingt-deux und andere Zahlenwerte bis 999.999 als Höchstwert. Jen-
seits dieses Höchstwertes werden die sehr großen Zahlenwerte der französi-
schen Sprache mit Nomina gebildet, z. B. un million, deux milliards, trois
billions.
Alle diese Zahlmorpheme verbinden sich im Text mit dem Plural-Mor-
phem. Da wir nun vom Plural gesagt haben, daß er die Elemente einer Menge
bezeichnet, können wir die 22 Zahlmorpheme Elementarzahlen nennen.
Diese Elementarzahlen sind aber, wie alle Morpheme der Grammatik, für
den Gebrauch in Texten bestimmt. Ich gebe dafür ein Textbeispiel und wäh-
le die bekannte Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung nach dem
Evangelisten Lukas in französischer Version:

Comme le jour commençait à baisser, les douze s'approchèrent de lui et lui dirent:
Renvoie cette multitude, afin quils s'en aillent aux bourgs et aux villages qui sont
aux environs, pour s'y retirer et pour trouver à manger; car nous sommes ici dans
un lieu désert.
Mais il leur dit: Vous mêmes donnez-leur à manger. Et ils dirent: Nous n'avons
que cinq pains et deux poissons; à moins que nous n'allions acheter des vivres pour
tout ce peuple.
Car ils étaient environ cinq mille hommes. Alors il dit à ses disciples: Faites-
les asseoir par rangs de cinquante personnes chacun.
Et ils firent ainsi, et les firent tous asseoir.
Alors Jésus prit les cinq pains et les deux poissons, et levant les yeux au ciel,
il les bénit, et les rompit, et les donna aux disciples, afin qu'ils les missent devant
le peuple.
Ils en mangèrent tous, et furent rassasiés, et on emporta douze paniers pleins
de morceaux qui restèrent (Luc IX, 1 2 - 1 7 ) .

Die Verwendung der Elementarzahlen in diesem Text läßt insbesondere


erkennen, daß sie in ihren distributionellen Eigenschaften mit dem Artikel
übereinstimmen. Ebenso wie man nämlich einen bestmimten (anaphorischen)
und einen unbestimmten (kataphorischen) Artikel unterscheidet, so gibt es
auch jede Elementarzahl in zweifacher Gestalt. Neben deux gibt es les deux,
neben trois gibt es les trois, und so weiter für das ganze Paradigma. Die textu-
ellen Verwendungsregeln für die beiden Reihen entsprechen genau den Ver-
wendungsregeln für den bestimmten und den unbestimmten Artikel. Wir wol-
len daher die Reihe les deux, les trois, les quatre... als die Reihe der ana-
phorischen („bestimmten") Elementarzahlen von der Reihe deux, trois, quatre . . .
Textlmguistische Zahlentheorie 9

als der Reihe der kataphorischen („unbestimmten") Elementarzahlen unter-


scheiden. Auf unseren Beispieltext bezogen, bedeutet das insbesondere, daß
die fünf Brote und zwei Fische, von denen vorher im biblischen Text noch
nicht die Rede war, zunächst mit kataphorischen Elementarzahlen eingeführt
werden. Nachdem sie dieserart in den Text eingeführt worden sind (cinq
pains, deux poissons), kann der biblische Erzähler mit den anaphorischen
Elementarzahlen des gleichen Zahlenwertes fortfahren (les cinq pains, les
deux poissons). Das gleiche gilt, was der Textausschnitt allerdings nicht er-
kennen läßt, für die Verwendung der Elementarzahl douze (hier als freie,
nicht als gebundene Form verwendet). Am Anfang des Textausschnittes
kann nur deshalb die anaphorische Elementarzahl les douze verwendet wer-
den, weil kurz vorher im biblischen Bericht und diesmal mit einer katapho-
rischen Elementarzahl (,, ... il en choisit douze d'entre eux, qu'il nomma
apötres") von der Auswahl dieser zwölf Apostel schon die Rede war (Luc
VI, 13).

Mengenzahlen

Es war bisher nur von den Elementarzahlen die Rede, jenen (anaphorischen
oder kataphorischen) Numeral-Artikeln also, die sich mit dem Plural verbin-
den lassen. Ihr niedrigster Wert ist deux (les deux). Die Zahl mit dem Zah-
lenwert 1 gehört nicht zu diesem Paradigma. Es verläuft also eine sprach-
liche Strukturgrenze zwischen dem Zahlenwert 1 und allen anderen Zahlen-
werten der Zahlenreihe. Die linguistische Mathematik ist eine pythagoreische
Mathematik. Denn man kann in einer linguistischen Analyse nicht ohne wei-
teres davon absehen, daß sich die Morpheme mit dem Zahlenwert 1 nicht
mit dem Plural-Morphem, sondern mit dem Singular-Morphem verbinden.
Es handelt sich also im prägnanten Sinne der oben gegebenen Definition
des Plurals nicht um Elementarzahlen. Die Morpheme mit dem Zahlenwert
1 sind Mengenzahlen. Ich habe hier nun absichtlich gesagt: die Morpheme
mit dem Zahlenwert 1. Tatsächlich gibt es in der französischen Sprache,
analog zu den Elementarzahlen, auch für die Mengenzahl mit dem Zahlen-
wert 1 eine doppelte Form, je nach der textuellen Verwendung als anapho-
risches oder kataphorisches Signal. Nur für die Verwendung als kataphorisches
Signal hat die Mengenzahl die von der (sprechenden) Mathematik favorisierte
Form un (une). Diese Form ist strukturell identisch mit dem unbestimmten
Artikel. Für den wesentlich häufigeren Gebrauch als anaphorisches Signal
hat jedoch die Mengenzahl die Form le (la) und ist in dieser Form struk-
turell identisch mit dem bestimmten Artikel. In der textuellen Verwendung
10 H. Weinrich

verhält sich also die Form un zu der Form le ebenso, wie sich die Form
deux zu der Form les deux verhält.
Nach den vorausgehenden Überlegungen ist es wohl eindeutig, daß von
der (singularischen) Mengenzahl im Unterschied zu den (pluralischen) Ele-
mentarzahlen überhaupt nur mit Vorbehalten und Einschränkungen gesagt
werden darf, sie habe den Zahlenwert 1. Es kann ja keine Rede davon sein,
daß die Morpheme un (une) und le (la), die diesen Numeral-Artikel im Sin-
gular ausdrücken, immer einen Gegenstand bezeichnen. Die Auffassung als
Menge besagt ja gerade, daß der Hörer die Zahl und Verschiedenheit der
Gegenstände, die möglicherweise unter einer Bedeutung zusammengefaßt
sind, als irrelevant ansehen soll. Nur in diesem Sinne kann von einer „Ein-
heit" gesprochen werden; die Aufmerksamkeit des Hörers wird auf die Ge-
meinsamkeit der Menge hingelenkt und von einer möglicherweise in ihr ent-
haltenen Vielheit verschiedener Elemente abgelenkt. Das gilt sowohl bei ana-
phorischer als auch bei kataphorischer Verwendung. Ich will das in den fol-
genden knapp gefaßten Beispielen für die Extremwerte der Gesamtmenge
und der Einermenge kurz illustrieren.
1. Gesamtmenge:
/Le pain est une nourriture fondamentale./
jII faut savoir préparer un poisson./
Der Hörer kann in beiden Fällen den Singular (le pain, un poisson) als Gesamt-
menge interpretieren, d.h. über alle möglichen Unterschiede zahlloser Brote und
Fische hinwegsehen, und zwar auf Grund der vorhandenen (und fehlenden!) Zu-
satzsignale im Kontext dieser kurzen Texte.
2. Einermenge:
/Jesus prit un pain et le donna à ses disciples./
/Dieu avait envoyé un grand poisson pour engloutir Jonas, et Jonas de-
meura dans le ventre du poisson trois jours et trois nuits./
Hier kann der Hörer jeweils den Singular {un pain, du poisson) als Einer-
menge interpretieren, weil der Kontext, insbesondere wegen der in ihm
enthaltenen Eigennamen, ausreichend präzise Determinanten enthält. Nur
unter textuellen Bedingungen wie den hier skizzierten ist der Singular tat-
sächlich „Einzahl" in dem Sinne, daß er sich auf einen einzelnen Gegen-
stand bezieht.
Es kommt also, wie bei allen Sprachzeichen, auf den Kontext an. Das
zeigt sich auch darin, daß die Mengenzahl un (une) unter bestimmten Be-
dingungen mit gewissen Elementarzahlen kombinierbar ist, z. B. in den Zah-
len vingt-et-un, quatre-vingt un, cent un, un million usw. In diesen Kombi-
nationen ist un (une) Bestandteil einer Elementarzahl, und auch die textuel-
le Kongruenz wird mit Pluralmorphemen hergestellt (vingt-et-un députés ont
Textlinguistische Zahlentheorie 11

été élus). Im Kontext von Elementarzahlen wird die Mengenzahl notwendig


als Einermenge (ein-elementige Menge) determiniert und kann daher als ein
Element hinzugezählt werden.

Ordinalzahlen
Elementarzahlen und Mengenzahlen entsprechen zusammen den Kardinal-
zahlen der Mathematik. Von ihnen sind bekanntlich die Ordinalzahlen zu
unterscheiden. Diese bilden ebenfalls ein doppeltes Paradigma, je nachdem
ob sie anaphorische oder kataphorische Funktion im Text haben. Die ana-
phorische Reihe (le premier, le second oder le deuxième, le troisième . . .)
ist jedoch wesentlich häufiger als die kataphorische Reihe (un premier, un
second oder un deuxième, un troisième . . .). Dieser Unterschied in der Fre-
quenz entspricht insgesamt einer Distribution, wie sie für den bestimmten
und den unbestimmten Artikel charakteristisch ist. Ordinalzahlen sind nun
ebenfalls auf die Begriffe Menge und Element bezogen. Sie greifen aus einer
Menge entweder ein Element (= Singular) oder mehrere Elemente (= Plural)
heraus und geben deren Reihenfolge in der Menge an. Die Reihenfolge der
Elemente bei pluralischen Ordinalzahlen verweist dabei entweder auf die
Anordnung in der Textfolge oder auf die Anordnung in der Situation. Da-
mit kommt ein neuer Gesichtspunkt in die linguistische Zahlentheorie. Wäh-
rend die Kardinalzahlen nur die Alternative Menge oder (mehrere) Elemente
kennen, können die Ordinalzahlen aus einer Menge auch ein Element zur
Unterscheidung herausgreifen: le premier, le second, le troisième (...); dieses
ist jeweils ein Element, das zu unterscheiden ist von den anderen Elementen
dieser Menge, die auf diese Weise als geordnete Menge erscheint. Die Oppo-
sition zwischen Mengenzahlen und Elementarzahlen ist folglich bei den Ordinal-
zahlen neutralisiert.
Mit einer Kombination von Kardinalzahlen (fur den Zähler) und Ordinal-
zahlen (für den Nenner) drückt man in der französischen Sprache Bruchzah-
len aus (trois dixièmes = 3/10). Ich will auf Zusammenhänge wie diese hier
nur kurz aufmerksam machen, um darauf hinzuweisen, daß auch solche ma-
thematischen Zahlenbildungen wie Bruchzahlen usw. grundsätzlich einer text-
linguistischen Betrachtungsweise zugänglich sind. Die eigentlichen mathema-
tischen Operationen wie Addition, Multiplikation usw. müssen dabei natür-
lich zusätzlich auf andere Kapitel der Grammatik (Konjunktionen, Präposi-
tionen usw.) bezogen werden. Auch hier ist jedenfalls die mathematische Ope-
ration, die ein bestimmtes mathematisches Kalkül in Gang bringt, grundsätz-
lich als ein Sonderfall jener sprachlichen Anweisungen aufzufassen, die von
der Instruktions-Linguistik für alle Sprachzeichen angenommen werden.
12 H. Weinrich

Rundzahlen

Zahlen sind genaue Numeral-Artikel. Wir können nun in diese ganze Betrach-
tungsweise die sogenannten Indefinita der Grammatik dadurch einbeziehen,
daß wir sie als Rundzahlen auffassen, die nur ungenaue Annäherungswerte
geben1. Die Rundzahlen der französischen Sprache sind nun in ihrer Unge-
nauigkeitsstruktur insgesamt dadurch bestimmt, daß die als Menge von Ele-
menten aufgefaßte Bedeutung in eine größere und eine kleinere Teilmenge
gegliedert wird. Die größere Teilmenge enthält die Mehrzahl der Elemente,
die kleinere Teilmenge enthält die Minderzahl der Elemente. Man kann diese
Struktur durch ein kleines Schaubild verdeutlichen, das ich den Mengenraum
nennen will:

24> beaucoup de .viele'


S bien des .ziemlich viele'
plus de .mehr'
trop de ,zu viele'

9
peu de .wenige'
moins de .weniger'
(. . .)

Im Einklang mit allen anderen Numeral-Artikeln können wir auch bei


den Rundzahlen die folgenden beiden Unterscheidungen machen:
1. Singularische Rundzahlen (peu de pain) vs. pluralische Rundzahlen
(quelques poissons). Singularische Rundzahlen geben dem Hörer an, wie
die Menge ungefähr quantitativ beschaffen ist. Pluralische Rundzahlen las-
sen hingegen den Hörer wissen, wieviele Elemente ungefähr in der Menge
enthalten sind.

1 Vgl. auch zu diesem Thema Ulrich Dausendschön, Textsyntax der Indefinitartikel


im Französischen, Diss. Köln 1974.
Textlinguistische Zahlentheorie 13

2. Anaphorische („bestimmte") Rundzahlen (les nombreux pains) vs. kata-


phorische Rundzahlen (beaucoup de poissons). Kataphorische Rundzah-
len haben eine wesentlich höhere Frequenz als anaphorische Rundzah-
len. Man verwendet nämlich normalerweise im Text keine Rundzahlen,
wenn in der Vorinformation bereits genaue Zahlen gegeben sind. Häufig
findet man daher eine Distribution der Art, daß ein Nomen zunächst mit
einer kataphorischen Rundzahl eingeführt wird, die dann im weiteren
Verlauf des Textes bei Bedarf durch genaue Elementarzahlen präzisiert
wird (plusieurs poissons - cinq poissons - les cinq poissons).

Gegenüber den auch in anderen Paradigmen des Artikel-Systems vorfind-


baren Oppositionen Menge (Singular) vs. Elemente (Plural) und Anaphorik
vs. Kataphorik zeichnen sich die Rundzahlen im Inventar ihrer Merkmale
durch eine weitere Opposition aus. Diese setzt den Begriff der Erwartung
voraus. Es gehört zu den Grundannahmen der Textlinguistik, daß beim Hö-
rer eines Textes nicht nur entsprechend dem bisher vernommenen und ver-
standenen Text ein bestimmter Informationsstand angenommen wird, son-
dern auf der Grundlage dieses Informationsstandes auch eine bestimmte Er-
wartung über den wahrscheinlichen weiteren Verlauf des Textes. Es wird wei-
terhin angenommen, daß auch der Sprecher mit dieser Erwartung des Hörers
rechnet, also seinerseits bestimmte Erwartungen über die Erwartungen des
Hörers hat (Erwartungs-Erwartungen). Es kann nun sein, daß die Erwartun-
gen des Sprechers und des Hörers sich decken. Dann ist die Verständigung
verhältnismäßig problemlos. Es ist aber auch möglich, daß die Erwartungen
des Sprechers und des Hörers aus dem einen oder anderen Grunde nicht zur
Deckung kommen, sondern mehr oder weniger weit auseinanderklaffen. Ei-
ne solche Differenz der Erwartungen kann sich insbesondere bei Quantitä-
ten zeigen, sich also entweder auf eine Menge von Elementen oder auf die
Elemente einer Menge erstrecken. Das kann naturgemäß verhältnismäßig leicht
zu einer Störung der Kommunikation führen. Dagegen ist aber nun wiederum
in der Syntax Vorsorge getroffen, und zwar gerade im Paradigma der Rund-
zahlen. Wir können nämlich, wiederum in einer binären Opposition, zwischen
erwarteten und unerwarteten Rundzahlen unterscheiden. Dabei ist grundsätz-
lich die Erwartung des Hörers gemeint, der sich jedoch die (Erwartungs-)Er-
wartung des Sprechers und Erwartungen anderer Personen (Referenten) bei-
gesellen können. Die Opposition der erwarteten und der unerwarteten Rund-
zahlen steht natürlich wiederum in einem kombinatorischen Zusammenhang
mit den vorher erwähnten Oppositionen der Numeral-Artikel. Von diesen
wollen wir aber in der folgenden Beschreibung absehen und bei den erwar-
teten und unerwarteten Rundzahlen nur solche berücksichtigen, die den Cha-
14 H. Weinrich

rakter von kataphorischen Elementarzahlen haben. Nicht berücksichtigt wer-


den also anaphorische Elementarzahlen, anaphorische Mengenzahlen sowie
kataphorische Mengenzahlen. Mit diesen Einschränkungen, die nur um der
Einfachheit der Darstellung willen vorgenommen sind, läßt sich die textuelle
Funktion der Rundzahlen wiederum mit dem Vorstellungsbild des Mengen-
raumes darstellen. Der Mengenraum ist — ich darf daran erinnern — dadurch
gegliedert, daß er aus einer größeren und einer kleineren Teilmenge besteht.
Bei den erwarteten Rundzahlen ist nun vorausgesetzt, daß die Äußerungen
des Sprechers und die Erwartungen des Hörers durch den gleichen Mengen-
raum charakterisiert sind. Die Instruktion der erwarteten Rundzahl beaucoup
de kann also als Anweisung des Sprechers an den Hörer gelesen werden, daß
dieser das betreffende Nomen unter quantitativen Gesichtspunkten in den
Bereich der größeren Teilmenge einordnen soll, wie dieser es auch erwartet
hatte. Das folgende Schaubild soll die Struktur des für den Sprecher und den
Hörer erwartungsgleichen Mengenraumes veranschaulichen.

Anweisung (des Sprechers) = Erwartung (des Hörers)

beaucoup de ,viele' beaucoup de .viele'


bien des .ziemlich viele' bien des .ziemlich viele'
pas mal de ,nicht wenige' pas mal de .nicht wenige'
quantité de ,eine Menge (von)' — •
quantité de .eine Menge (von)'
nombre de ,eine Anzahl (von)' nombre de .eine Anzahl (von)'
de nombreux .zahlreiche' de nombreux .zahlreiche'
(• - •) (. . .)

peu de ,wenige' peu de .wenige'


quelques .einige' quelques .einige'
différents .verschiedene' différents .verschiedene'
divers .diverse' divers .diverse'
(. . .) (. . .)

Die Liste der hier in den Mengenraum beider Kommunikationspartner ein-


geschriebenen erwarteten Rundzahlen ist nicht erschöpfend. Es gibt außer
diesen, den häufigsten Rundzahlen des Paradigmas natürlich noch weitere
Rundzahlen (bon nombre de, énormément de . . .), die außerdem noch ad-
verbial nuanciert sein können (très peu de, infiniment de . . .).
Wenn es gestattet ist, einen biblischen Text zu linguistischen Zwecken
zu variieren, so will ich in der Lukas-Parabel einmal an einigen Textstellen die
genauen Zahlen durch (erwartete) Rundzahlen ersetzen:
Textlinguistische Zahlentheorie 15

•Comme le jour commençait à baisser, les douze s'approchèrent de lui et lui dirent:
Renvoie cette multitude, afin qu'ils s'en aillent aux bourgs et aux villages qui sont
aux environs, pour s'y retirer et pour trouver à manger; car nous sommes ici dans
un lieu désert.
Mais il leur dit: Vous mêmes donnez-leur à manger. Et ils dirent: Nous n'avons
que peu de pains et trèus peu de poissons; à moins que nous n'allions acheter des
vivres pour tout ce peuple.
Car ils étaient beaucoup d'hommes. Alors il dit à ses disciples: Faites-les asseoir par
rangs de plusieurs personnes chacun.
Et ils firent ainsi, et les firent tous asseoir.
Alors Jésus prit les quelques pains et poissons, et levant les yeux au ciel, il les
bénit, et les rompit, et les donna aux disciples, afin qu'ils les missent devant le peuple.
Ils en mangèrent tous, et furent rassasiés, et on emporta bien des paniers pleins
de morceaux qui restèrent.

Der Sinn der Parabel läßt diese Texttransposition in gewissen Grenzen zu, wenn
man voraussetzt, daß für die beteiligten Personen (der biblische Erzähler, Jesus,
die Jünger) die ganze Situation einschließlich des Wunders grundsätzlich zu den
erwartbaren Ereignissen gehört. Am Anfang steht zwar eine Erwartungsdifferenz:
Jesus scheint angesichts der vielen Menschen gar nicht die Schwierigkeit zu be-
denken, wie sie alle zu beköstigen sind. Er scheint also die geringe Zahl der
Brote und Fische nicht zu erwarten. Aus diesem Grunde geben ihm die Jünger
mit dem Morphem ne ... que zu erkennen, daß er seine Erwartungen herabset-
zen muß. Dadurch wird der Gleichstand der Erwartungen hergestellt, und es
können nun immer erwartete Rundzahlen folgen, sowohl für die vielen Personen
(beaucoup d'hommes, plusieurs personnes) als auch für die wenigen Nahrungs-
mittel (les quelques pains et poissons), bis schließlich die (grundsätzlich erwart-
bare) wunderbare Vermehrung der Brote und Fische (bien des paniers) den Kon-
trast aufhebt.

Unerwartete Rundzahlen

In Opposition zu den erwarteten Rundzahlen ist bei den unerwarteten Rund-


zahlen vorausgesetzt, daß der Sprecher mit seinen Äußerungen nicht den Er-
wartungen des Hörers entspricht. Auch die unerwarteten Rundzahlen haben
den Mengenraum nach einer größeren und einer kleineren Teilmenge gegliedert.
Das Sprachspiel kann jedoch im Einzelfall so beschaffen sein, daß der Hörer
nach der textuellen oder situativen Vorinformation andere quantitative Er-
wartungen hat, als sie vom Sprecher im weiteren Textverlauf tatsächlich er-
16 H. Weinrich

füllt werden können. Das vermutet auch der Sprecher, und so stellt er sich
mit seiner Erwartungs-Erwartung auf die abweichende Erwartung des Hörers
ein und korrigiert sie mit seinen unerwarteten Rundzahlen. Ich stelle das im
folgenden Schaubild so dar, daß der Mengenraum des Hörers und der (gleich
strukturierte) Mengenraum des Sprechers u m 180° gegeneinander gedreht
sind:

Äußerung (des Sprechers) Erwartung (des Hörers)

plus de .mehr' peu de .wenige'


tant de ,so viele' quelques .einige'
trop de ,zu viele' différents .verschiedene'
(• • •) divers .diverse'
(• • •)

beaucoup de .viele'
bien des .ziemlich viele'
pas mal de .nicht wenige'
moins de .weniger' quantité de .eine Menge (von)'
trop peu de ,zu wenige' nombre de .eine Anzahl (von)'
si peu de ,so wenige' de nombreux .zahlreiche'
(...) (• • •)

Die Opposition der erwarteten und der unerwarteten Rundzahlen kann


mit der Form autant de .ebenso viele' neutralisiert werden.
Ich will die Funktion der unerwarteten Rundzahlen wiederum an unse-
rem kleinen Textstück zeigen und variiere dementsprechend noch einmal die
biblische Szene an einigen Textstellen:

•Comme le jour commençait à baisser, les douze s'approchèrent de lui et lui dirent:
Renvoie cette multitude, afin qu'ils s'en aillent aux bourgs et aux villages qui sont
aux environs, pour s'y retirer et pour trouver à manger; car nous sommes ici dans
un lieu désert.
Mais il leur dit: Vous mêmes donnez-leur à manger. Et ils dirent: Nous avons
moins de pains et de poissons que tu ne penses; à moins que nous n'allions acheter
des vivres pour tout ce peuple.
Car il y avait trop d'hommes. Alors il dit à ses disciples: Faites-les asseoir par
rangs de cinquante personnes chacun.
Et ils firent ainsi, et les firent tous asseoir.
Alors Jésus prit plus de pains et de poissons qu'ils n'avaient pensé, et levant les yeux
au ciel, il les bénit, et les rompit, et les donna aux disciples, afin qu'ils les missent devant
le peuple.
Textlinguistische Zahlentheorie 17

Ils en mangèrent tous, et furent rassasiés, et on emporta plus de paniers pleins


de morceaux qu'ils n'avaient eu auparavant de pains et de poissons.

Es ist an dieser Version des Textes erkennbar, daß bei Jesus zunächst ei-
ne überschießende Erwartung in bezug auf die Quantität der Brote und Fi-
sche zu bestehen scheint. Während in der authentischen Version und in mei-
ner ersten Veränderung diese Erwartungsdifferenz durch die Anweisung ne ...
que ausgeglichen wird, habe ich dieses Signal nun ausgelassen. Nun wird die
überhöhte Erwartung durch die Rundzahl selber ausgeglichen, und es steht
eine unerwartete Rundzahl (moins de pains et de poissons). Der Erzähler
stellt dann das Mißverhältnis zwischen der Zahl der Personen und der Zahl
der Brote und Fische „objektiv" fest: es widerspricht der Norm jeder Erwar-
tung (trop d'hommes). Am Ende des Textes habe ich jetzt glaubensschwä-
chere Textadressaten angenommen, deren niedrig gestimmte Erwartung von
dem Erzähler nach oben hin korrigiert wird (plus de paniers).
Die unerwarteten Rundzahlen treten nur als kataphorische Rundzahlen
auf. Wären sie anaphorisch, kämen sie nicht mehr unerwartet. Die katapho-
rische Anweisung der unbestimmten Rundzahlen richtet die Aufmerksam-
keit des Hörers auf die Nachinformation, in der nach der Korrektur der fal-
schen Erwartung nunmehr die richtige Instruktion gegeben werden kann.
Häufig ist das im Text dann auch gleichzeitig eine genaue Anweisung, also
keine Rundzahl, sondern eine Zahl, deren Wert sich auch in Ziffern ausdrücken
läßt.

Allquantoren

Der obere Grenzwert aller Zahlen wird durch ein Morphem bezeichnet, das
wir mit einem Ausdruck der Logik den Allquantor nennen wollen. Der All-
quantor hat in der französischen Sprache verschiedene Formen je nach seiner
Funktion im Text und entspricht damit paradigmatisch den anderen Nume-
ral-Morphemen1:

1 Vgl. Sven Andersson, Etudes sur la syntaxe et la sémantique du mot français tout,
Lund 1954 (Etudes romanes de Lund 11). - Ders., Nouvelles études sur la syntaxe
et la sémantique du mot français tout, Lund 1961 (Etudes romanes de Lund 14).
- Ders., Quelques glanures syntaxiques sur le mot français tout, Studia Neophilolo-
gica 42 (1970), 7 2 - 8 9 . - Christian Rohrer, Zur Bedeutung von ,tout'und .chaque'
im Französischen, in: Interlinguistica. Sprachvergleich und Übersetzung. Festschrift
zum 60. Geburtstag von Mario Wandruszka, Tübingen 1971, p. 5 0 9 - 5 1 7 .
18 H. Weinrich

Menge (Singular) Elemente (Plural)

anaphorisch tout le (toute la) tous les (toutes les)


(bestimmt)

kataphorisch tout (toute) tous (toutes)


(unbestimmt)

Die Instruktion für den Hörer besteht darin, daß dieser angewiesen wird,
unter den Determinationsangeboten der Vorinformation (beim anaphorischen
Allquantor) oder der Nachinformation (beim - seltenen - kataphorischen
Allquantor) keine Auswahl zu treffen. Der Hörer wird vielmehr zum textuel-
len Resümee eingeladen. Unter diesen Bedingungen steht der Allquantor auch
jenseits der Unterscheidung von Zahlen und Rundzahlen sowie von erwarte-
ten oder unerwarteten Rundzahlen. Was die Unterscheidung von Kardinal-
zahlen und Ordinalzahlen betrifft, so ist er den Kardinalzahlen zuzurechnen.
Als Ordinalzahl gibt es in der französischen Sprache einen eigenen Allquan-
tor. Er hat die invariable Form chaque (die freie Form, variabel nach dem Ge-
nus, heißt chacun, chacune), wobei auch die Opposition Singular vs. Plural neu-
tralisiert ist. Das Archimorphem des Numerus wird durch den Singular ver-
treten (chaque pain a été béni). Der Allquantor chaque weist den Hörer an,
alle in einer geordneten Reihe (le premier pain, le second pain, le troisième
pain u s w j aufzählbaren Determinanten des Textes anzunehmen und fur die
Dekodierung des Nomens zu verwenden. Seine Anweisung ist anaphorisch.

Linguistik und Mathematik

Es ist wohl unvermeidlich, daß die hier vorgetragene Auffassung auf den ersten
Blick einiges Befremden auslöst. Sie ist ja, so scheint es, nicht mit den Grund-
lagen der nachpythagoreischen Mathematik, oder sagen wir einfacher: des bür-
gerlichen Rechnens („nach Adam Riese") in Einklang zu bringen, die uns seit
unseren frühesten Lebensjahren bekannt und geläufig sind, so daß sie norma-
lerweise jeglicher Kritik und Grundlagen-Revision entzogen sind. Warum soll-
te man sie auch revidieren, so mag wohl jemand einwerfen, da man mit ihnen
doch offenbar erfolgreich rechnen kann? Ich will das auch nicht bezweifeln.
Der Gewinn bei der hier vorgeführten Analyse soll nicht darin bestehen, daß
man auf diese Weise besser (aber auch nicht schlechter!) rechnen kann, sondern
daß hiermit eine Möglichkeit eröffnet wird, Grammatik und Zahlentheorie
Text linguistische Zahlentheorie 19

als ein System mit einheitlicher Grundstruktur zu begreifen. Es wird hier


zwar nicht zum ersten Mal der Versuch gemacht, Linguistik und Mathema-
tik miteinander in Verbindung zu bringen. Aber die bisherigen Versuche sind
im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß linguistische Strukturen „ma-
thematisiert" werden. Hier geht es umgekehrt um die Bemühung, mathema-
tische Kalküle, angefangen von den einfachsten Rechenoperationen des bür-
gerlichen Rechnens, als Texte im Sinne der Linguistik aufzufassen, sie also im
Sinne der Textlinguistik zu „linguistisieren". Die Mathematik ist, wenn die-
se Auffassung mit Erfolg verteidigt werden kann, ein Sonderfall der Gramma-
tik. In der mathematischen Sondergrammatik werden die Zeichen und Ver-
wendungsregeln, wie sie für die allgemeine Grammatik der natürlichen Spra-
chen gelten, in ihren Grundstrukturen nicht außer Kraft gesetzt, sondern nur
für besondere Verwendungszwecke zugleich erweitert und eingeschränkt. Der
Beweis für diese Auffassung ist dann in der Weise zu fuhren, daß das jeweili-
ge mathematische Programm als Deviation eines linguistischen Programms be-
schrieben wird, das grundsätzlich aus der Grammatik der Einzelsprachen stammt,
jedoch nach bestimmten Regeln der übereinzelsprachlichen Vereinheitlichung,
insbesondere durch eine piktographische Orthographie, auch als universales
Programm behandelt werden kann. Aber selbst unter diesen Bedingungen
ist dann der mathematische Universalismus nur ein Grenzfall des linguisti-
schen Universalienproblems.
Heinz Vater

Pro-Formen des Deutschen

1. Definition von „Pro-Form"

Der Begriff der Pro-Form 1 , der in der neueren linguistischen Literatur eine
große Rolle spielt, ist eine Verallgemeinerung des traditionellen Begriffs „Pro-
nomen". So wie ein Pronomen stellvertretend fur ein Nomen (genauer: eine
NP) steht, so steht eine Pro-Form stellvertretend für eine grammatische Kate-
gorie beliebiger Art. Die Interpretation der Pronomina als besonderer Wort-
art erweist sich daher als unangebracht: Mit dem gleichen Recht, mit dem man
Pro-Formen für Nominalphrasen als eine Klasse zusammenfaßt, müßte man
das auch mit den Pro-Formen für andere Kategorien — also z.B. Pro-Adjek-
tiven und Pro-Adverbialen — tun. Natürlich würde man damit jedoch eine
wichtige Verallgemeinerung unterdrücken, nämlich daß Pro-Formen immer
den gleichen kategoriellen Status haben wie die Formen, die sie vertreten.
Harris definiert Pro-Formen - die er „pro-morphemes" nennt - folgen-
dermaßen:

There exist morphemes whose X-co-occurrents (for each class X in constructional


relation to them), in each sentence, equal the X-co-occurrents of a morpheme (of
class Y) occupying a stated position . . . relative to them, in the same sentence (or
sequence of sentences), and whose X-co-occurrents in all appearances of these mor-
phemes equal the sum of the X-co-occurrents of all the members of the class Y

1 Statt „Pro-Form" finden sich in der linguistischen Literatur noch andere Termini,
so unter anderem „Pro" (Jerrold Katz - Paul Postal, An Integrated Theory of Lin-
guistic Descriptions, Cambridge (Mass.) 1964), „designated element", „designated
representative" und „abstract dummy element" (Noam Chomsky, Current Issues
in Linguistic Theory, The Hague 1964), „pro-morpheme" (Zellig S. Harris, Co-Occur-
rence and Transformation in Linguistic Structure, Language 33 (1957), 283-340),
„pro-formative" (Robert Lees, The Grammar of English Nominalizations, Blooming-
ton Ind. 1960) und „pro-Element" (Wolfdietrich Härtung, Die zusammengesetzten
Sätze des Deutschen, Berlin (Studia grammatica IV) 1964; Wolfgang Mötsch, Können
attributive Adjektive durch Transformationen erklärt werden? , Folia Linguistica 1
(1967), 23-48).
Pro-Formen des Deutschen 21

(which occupies the stated position relative to them). Such morphemes will be called
pro-morphemes of the class Y, or pro-Y.
Zellig S. Harris, Co-occurrence and Transformation in Linguistic Structure, Language
33 (1957), 2 8 3 - 3 4 0 , p. 301s.

Für Harris ist d e m n a c h entscheidend, daß sich die Gesamt-Co-occurrence einer


Pro-Form, ihr Co-occurrence-Bereich, mit d e m Co-occurrence-Bereich der Klas-
se v o n E l e m e n t e n deckt, für die die Pro-Form i m einzelnen eintreten kann.
C h o m s k y präzisiert, daß es sich bei den Kategorien, die durch eine Pro-
F o r m vertreten werden k ö n n e n , u m „major categories" 2 handelt; er n e n n t
Pro-Formen „designated e l e m e n t s " 3 .

Each major category has associated with it a „designated element" as a member. This
designated element may actually be realized (e.g., it for abstract nouns, some (one
thing)), or it may be an abstract „dummy element". It is this designated representa-
tive of the category that must appear in the underlying strings for those transfor-
mations that do not preserve, in the transform, a specification of the actual ter-
minal representative of the category in question."
Noam Chomsky, Current Issues in Linguistic Theory, The Hague 1964, p. 41.

A u f C h o m s k y s Darstellung aufbauend, definieren Katz u n d Postal „Pro-Form"


(wofür sie „Pro" sagen) folgendermaßen:

„The function of the constituent Pro is to characterize formally at the syntactic


level the class of all, and only, such representatives of major categories."
Jerrold Katz - Paul Postal, An Integrated Theory of Linguistic Descriptions, Cam-
bridge (Mass.) 1964, p. 80.

Allen diesen Darstellungen ist gemeinsam, daß „Pro-Form" definiert wird


als ein Element, das stellvertretend für beliebige E l e m e n t e der gleichen syn-
taktischen Kategorie stehen kann; dabei wird v o n C h o m s k y u n d anderen Ver-
tretern der generativen Transformationsgrammatik b e t o n t , daß Pro-Formen
nur innerhalb der „major categories" auftreten — es gibt also beispielsweise
keine Pro-Formen für Präpositionen, T e m p o r a oder Numeri. A u ß e r d e m ist
charakteristisch für Pro-Formen, daß sie merkmalsarm sind; gerade weil sie

2 Eine „major category" ist eine lexikalische Kategorie sowie jede andere Kategorie,
die eine Kette . . . X . . . dominiert, wobei X eine lexikalische Kategorie ist (cf.
Noam Chomsky, Aspects of the Theory of Syntax, Cambridge [Mass.] 1965).
3 Chomskys Bemerkung, daß es dieser ^designated representative" ist, der tilgbaren
Elementen zugrunde liegt, bezieht sich offenbar nur auf die unbestimmten Pro-For-
men, denn bestimmte Pro-Formen sind ja a) noch nicht in der zugrundeliegenden
Struktur vorhanden (sie werden durch Transformationen eingeführt), b) in vielen
Sprachen (z. B. im Englischen und Deutschen) nicht weglaßbar.
22 H. Vater

nur die allgemeinsten Merkmale der jeweiligen Kategorie besitzen, nicht aber
die spezifischeren, können sie ihre Stellvertreter-Funktion ausüben.
So hat die Pro-Form jemand nur die Merkmale [+N] und [+Menschlich]4
und kann daher sowohl für Junge als auch für Mann stehen, denn es ist nicht
für [+Erwachsen] spezifiziert; ebenso kann jemand auch für Frau stehen,
da es nicht für [+Männlich] spezifiziert ist.
Die Pro-Form er andrerseits kann zwar auch für Junge und Mann eintre-
ten, nicht aber für Frau; jedoch kann er auch Tisch oder Baum oder Hund
repräsentieren: Er enthält neben dem Merkmal [+N] nur noch das (morpho-
logisch-syntaktische) Merkmal [+Maskulin], das es ihm ermöglicht, für Lebe-
wesen und Nicht-Lebewesen einzutreten. Da Bezeichnungen für weibliche
Lebewesen im Deutschen aber immer feminines Genus haben5, kann er nicht
für Frau eintreten.
Renate Steinitz schränkt in ihrem Artikel „NominalePro-Formen" 6 den
Kreis der Pro-Formen auf diejenigen ein, die bereits im Text erwähnte sprach-
liche Formen mit gleicher Referenz aufnehmen. Sie sieht „Pro-Fortführung"
also stärker unter dem Gesichtspunkt der Referenzkennzeichnung als unter
dem der Ersetzungsfunktion. Nicht das stellvertretende Vorkommen für ein
Element der gleichen sprachlichen Kategorie ist für sie entscheidend, sondern
das Wiedervorkommen eines Referenzträgers7 im gleichen Text, wobei das
erste Vorkommen eines Referenzträgers die Markierung [—m] (nicht vorer-
wähnt) erhält und jedes neue Vorkommen des gleichen Referenzträgers inner-
halb desselben Textes die Markierung [+m] (vorerwähnt). Steinitz' Begriff
der Pro-Form ist damit einerseits enger als der oben angeführte, da Formen
wie jemand und etwas — die ja nicht Wiederaufnahmen anderer sprachlicher
Formen mit gleicher Referenz sind — außerhalb der Betrachtung bleiben; an-
drerseits ist er weiter, da alle Sprachformen, die als Wiederaufnahme eines

4 Dazu kommen redundante Merkmale wie [+Belebt], [+Konkret] und f+Zählbar],


die nicht spezifiziert zu werden brauchen, da sie durch universelle Redundanzregeln
eingeführt werden (cf. Jerrold Katz, Semantic Theory, New York 1972).
5 Die Beziehungen zwischen semantischen Merkmalen (wie „männlich" und „weiblich")
und morphologischen Merkmalen (wie den Genus-Merkmalen im Deutschen) werden
ausführlich behandelt bei Manfred Bierwisch, Syntactic Features in Morphology: Ge-
neral Problems of so-called Pronominal Inflection in German, in: To Honor Roman
Jakobson. Essays on the Occasion of His Seventieth Birthday I, p. 2 3 9 - 2 7 0 .
6 Renate Steinitz, Nominale Pro-Formen, Unveröffentlichte Mimeographie, Berlin
1968.
7 Wie aus dem Kontext ersichtlich, meint Steinitz mit „Referenzträger" offenbar das
Gleiche wie „Referent", also den Gegenstand (im weitesten Sinne), auf den eine
sprachüche Form Bezug nimmt.
Pro-Formen des Deutschen 23

Referenzträgers möglich sind, eingeschlossen sind, wie z.B. der Mann in


de)8.

(1) (a) In großer Eile bog ein Polizist u m die Ecke.


(b) Der Polizist war mit einem Gummiknüppel bewaffnet.
(c) Er war mit einem Gummiknüppel bewaffnet.
(d) Der Hüter der öffentlichen Ordnung war mit einem Gummiknüp-
pel bewaffnet.
(e) Der Mann war mit einem Gummiknüppel bewaffnet.

Das Verhältnis zwischen Pronomen und „ge-PRO-tem" N o m e n wird als ein


Verhältnis zwischen Mengen gesehen: Der Referenzträger „B" repräsentiert
die Obermenge eines durch die Lexikoneintragung A bezeichneten Referenz-
trägers „A", wenn B weniger und keine anderen (syntaktisch-)semantischen
Merkmale 9 enthält als A. Diese Mengeninklusion trifft für das Paar Polizist:
Mann (ebenso wie auch für Student: Mann usw.) zu. Der Mann wäre nach
dieser Definition ebenso eine nominale Pro-Form wie er10. Pronomina wie
er sind ein Sonderfall von Mengeninklusion: Durch ihren minimalen Bestand
an semantischen Merkmalen sind sie von allen übrigen möglichen nominalen
Wiederaufnahmen verschieden.

8 Das Beispiel ist Steinitz, Pro-Formen, entnommen und hat dort ebenfalls die Nummer
(1).
9 Die meisten der von Chomsky, Aspects, als „syntaktische Merkmale" bezeichneten Merk-
male werden von anderen Linguisten (z.B. Katz, Semantic Theory) als „semantische
Merkmale" bezeichnet. Chomsky selbst diskutiert das Problem der Abgrenzung
von semantischen und syntaktischen Merkmalen (Aspects, p. 75 und 153ss.). So
sagt er über die Subkategorisierung mit Hilfe syntaktischer Merkmale (Aspects,
p. 75): it is not obvious to what extent this information should be provided
by the syntactic component at all". Bechert faßt beide Merkmalgruppen als „seman-
tosyntaktische Merkmale" zusammen (Johannes Bechert, Ad-hoc-Merkmale in der
generativen Phonologie, in: Dieter Wunderlich (Hg.), Probleme und Fortschritte der
Transformationsgrammatik: Referate des 4. Linguistischen Kolloquiums Berlin 1969,
München 1971, p. 2 9 - 3 7 , hier p. 29).
10 Das Problem der Abgrenzung echter Pronomina von Substantiven, die eine Obermen-
ge bezeichnen, wird u. a. auch diskutiert von Emmon Bach, Nouns and Noun Phra-
ses, in: E. Bach - R. Harms (Hg.), Universals of Linguistic Theory, New York 1968,
p. 91-122, ferner auch von Friedrich Braun, Studien zu Konstituentenstruktur und
Merkmalanalyse englischer Sätze, Hamburg 1969. Bach erwähnt auch Fälle, wo ne- •
gative Oberbegriffe (wie idiot) als eine Art Pro-Form benutzt werden, z. B. in
Nave you heard from Algernon lately? - The idiot called me up yesterday. Steinitz
erörtert sehr interessante Fälle, wo das den Oberbegriff bezeichnende Substantiv zur
Wiederaufnahme ungeeignet ist; so kann man z. B. nach Satz (1 a) nicht fortfahren:
*Dieses Lebewesen war mit einem Gummiknüppel bewaffnet.
24 H. Vater

In (lb) und (ld) handelt es sich ebenfalls um eine „Pro-Fortfiihrung";


wortidentische Wiederaufnahme (ein Polizist - der Polizist) und Wiederauf-
nahme durch ein Synonym (ein Polizist - der Hüter der öffentlichen Ord-
nung) können als Mengeninklusion beschrieben werden. Es handelt sich hier
jeweils um identische Merkmalmengen: Der Referenzträger „A" stellt in die-
sen Fällen eine unechte Teilmenge des Referenzträgers „B" dar. Es wird
nicht völlig klar, ob der Polizist und der Hüter der öffentlichen Ordnung
in den obigen Beispielen auch als eine Art Pro-Formen angesehen werden,
doch läßt der Terminus „Pro-Fortführung", der ausdrücklich diese Fälle mit-
einschließt, vermuten, daß Steinitz sie tatsächlich zu den Pro-Formen rech-
net.
Einer solchen Auffassung des Begriffs „Pro-Form" könnte ich mich nicht
anschließen, weil ich sie für zu weit halte: Jede lexikalische Einheit könnte
dann Pro-Form sein, denn Wiederaufnahme eines Referenzträgers durch die
gleiche lexikalische Einheit ist ja immer möglich.
Ich halte es für sinnvoller, den Kreis der Pro-Formen auf diejenigen ein-
zuschränken, deren Referenten echte Obermengen der vorerwähnten Refe-
renten bilden, möglichst sogar auf die merkmalärmsten unter ihnen, die -
wie die Pronomina er, sie, es — überhaupt nur in dieser (von R. Steinitz
„Pro-Fortführung" genannten) Funktion vorkommen.11 In der zuletzt gemach-
ten rigorosen Beschränkung wären dann auch Formen wie der Mann nicht
als Pro-Form anzusehen, da sie nicht einen minimalen Merkmalbestand (wie
er) aufweisen und auch nicht nur zur Pro-Fortfiihrung bénutzt werden (son-
dern z. B. auch generalisierend, was bei echten Pro-Formen unmöglich ist,
z. B.: Der Mann hat jahrhundertelang die Rechte der Frau beschnitten).
Andrerseits sollten „unbestimmte Pro-Formen" - so werden hier Formen
wie jemand und etwas genannt, die nicht der Wiederaufnahme des gleichen
Referenten dienen — aus zwei Gründen auch zu den Pro-Formen gerechnet
werden:
(A) Sie haben mit den „bestimmten" (wiederaufnehmenden) Pro-Formen
die Merkmalarmut (d. h. den Minimalbestand an Merkmalen) gemein.
(B) Sie können im Text eine ähnliche Funktion wie die bestimmten Pro-
Formen ausüben: Ihre Referenten können Oberklassen von Referenten
bilden, die im gleichen Text — aber gewöhnlich ihnen folgend — durch
spezifischere lexikalische Einheiten ausgedrückt sind. Das Verhalten

11 So wird in einigen klassischen Arbeiten über Pronomina verfahren, z. B. bei Roman


Jakobson, Shifters, Verbal Categories, and the Russian Verb, Cambridge (Mass.)
1957 und bei Roland Harweg, Pronomina und Textkonstitution, München 1968.
Pro-Formen des Deutschen 25

unbestimmter Pro-Formen gegenüber spezifischeren lexikalischen Ein-


heiten mit identischer Referenz im gleichen Text ist gewissermaßen
gegenüber dem Verhalten bestimmter Pro-Formen zu vorerwähnten
identischen Referenten spiegelverkehrt: PrOy^ — R gegenüber R — Pro^
(wobei Pro u b eine unbestimmte Pro-Form, Pro^ eine bestimmte Pro-
Form und R die lexikalische Einheit mit identischer Referenz bezeich-
nen).
Die Beispiele (2) — (8) sollen das veranschaulichen:
(2) Wer hat meinen Schlüssel genommen? - Karl.
(3) Jemand hat die Uhr angehalten. - Das war Karl.
(4) Hat jemand die Fenster zugemacht? — Ja, Karl.
(5) Man hat Karl in Chicago gesehen. — Ich weiß, wer ihn dort gesehen
hat: Anna.
(6) Ich weiß, was dir fehlt: Ruhe.
(7) Was Peter besonders bekümmerte, war, daß Karl gelogen hatte.
(8) Karl tat etwas, was er später bereute: Er log.
In all diesen Fällen wird auf einen Referenten zunächst in unspezifischer Wei-
se (durch eine unbestimmte Pro-Form), dann, im weiteren Text, in spezifi-
scherer Weise Bezug genommen. Dabei muß die Spezifizierung nicht von der
gleichen Person vorgenommen werden, wie die Beispiele (2), (3), (4) und (5)
zeigen (Voraussetzung dafür ist natürlich, daß es sich bei dem Text um einen
Dialog handelt). Es scheint vor allem drei Gründe zu geben, warum der Spre-
cher eine unbestimmte Pro-Form wählt:
(a) Der Sprecher kann keine genauere Angabe machen und bittet den An-
geredeten, seine Angaben zu spezifizieren (d. h. die fehlenden Merkma-
le zu ergänzen). Das ist in (2) der Fall. Mit der Angabe wer präsuppo-
niert der Sprecher nur, daß es einen Täter gibt und daß dieser mensch-
lich12 ist. Die spezifischeren Angaben liefert dann der Angeredete in
seiner Antwort.

12 Im Deutschen, wie auch in einigen anderen Sprachen (z. B. im Englischen und Fran-
zösischen) besteht anscheinend eine Lücke im System der Fragepronomina: Man
kann nach Personen und nach Sachen (einschließlich Pflanzen) fragen, aber es gibt
keine spezifischen Fragepronomina für Tiere. Man kann im Deutschen mit gutem
Gewissen weder fragen Wer hat die Milch aufgeleckt? (wenn man nicht sicher ist,
was für ein Tier das getan hat) noch Was hat die Milch aufgeleckt? Trotzdem scheint
wer - wie auch hier in (2) - Bezug auf Tiere nehmen zu können, nämlich dann,
wenn Tiere und Menschen gleichermaßen in Frage kommen.
26 H. Vater

(b) Aus stilistischen Gründen (z. B. um die Spannung zu erhöhen oder sei-
ner Aussage größeren Nachdruck zu verleihen) macht der Sprecher zu-
nächst eine unspezifische Angabe, die er dann selbst spezifiziert. Das
ist in (6), (7) und (8) der Fall. Alternative Ausdrucksweisen, die sich
von der gleichen Tiefenstruktur ableiten lassen und nicht den gleichen
(Spannungs- oder Emphase-) Effekt haben, wären (6'), (7') und (8').

(6') Ich weiß, dir fehlt Ruhe.


(7') Peter bekümmerte besonders, daß Karl gelogen hatte.
(8') Karl log. Das bereute er später.
In den drei betroffenen Sätzen ist es im ersten Fall eine NP, die durch eine
unbestimmte Pro-Form vorweggenommen wird, im zweiten ein eingebette-
ter Satz, im dritten eine VP (die hier nur aus V besteht) 1 3 .

(c) Die Wahl einer unspezifischen Pro-Form kann bedeuten, daß der Spre-
cher keine genaueren Angaben machen kann (ohne aber, wie in (a), um
Spezifizierung zu bitten) oder will (aus Gründen der Höflichkeit, Vor-
sicht usw.). Wenn in diesem Fall eine spätere Spezifizierung durch einen
zweiten Sprecher erfolgt, so ist das eine mögliche, aber keine notwen-
dige Konsequenz aus der Äußerung der unspezifizierten Pro-Form, denn
der erste Sprecher hat nicht zum Ausdruck gebracht, daß er eine Er-
gänzung seiner Angabe erwartet 1 4 . Fall (c) wird illustriert durch die Bei-
spiele (3), (4) und (5). Die Äußerung des ersten Sprechers in (3) kann
eine einfache Feststellung sein, die vom Angesprochenen (bzw. den An-
gesprochenen) kommentarlos hingenommen wird. Auf die Frage in (4)
würde auch Ja als Antwort genügen (z. B. wenn es nur darauf ankommt,
daß die Fenster überhaupt zugemacht wurden, damit es nicht reinregnet).
Der erste Satz in (5) wäre eine in sich vollständige Äußerung, und die Spe-
zifizierung durch den zweiten Sprecher könnte dem ersten Sprecher so-
gar unangenehm sein (sei es, daß er Annas Namen nicht in diesem Zusam-

13 Im Gegensatz zur Subjekts-NP kann VP nicht allein nachgestellt werden, sondern


nur mit (pronominalisiertem) Subjekt: *Karl tat etwas, was er später bereute:
log.
14 Die unbestimmten Pro-Formen in den Beispielen (3), (4) und (5) sind Beispiele da-
für, daß bei gleichbleibender Semantik doch der pragmatische Gehalt recht verschie-
den sein kann: Der Sprecher kann Pro-Formen wie man und jemand benutzen mit
der Absicht oder geheimen Hoffnung, von jemand anders eine (ihm fehlende) nähere
Spezifizierung zu bekommen, er kann aber auch solche Formen benutzen, weil es
ihm in diesem Teil der Aussage gar nicht auf eine nähere Spezifizierung ankommt
oder sogar, weil sie ihm unerwünscht ist.
Pro-Formen des Deutschen 27

menhang erwähnt wissen will, sei es, daß er die Art, in der Sprecher B
sein Wissen ungefragt zum besten gibt, nicht leiden kann) — aber hier,
wie auch in (3) und (4) ist die spätere Spezifizierung durchaus möglich.
Ich halte die in (A) und (B) genannten Gemeinsamkeiten der unbestimmten
(oder unspezifizierten) Pro-Formen mit den bestimmten für entscheidend ge-
nug, um beide Gruppen gemeinsam als Pro-Formen anzusehen. Charakteristisch
für Pro-Formen wäre demnach a) ihre (auf einem Minimum an Merkmalen be-
ruhende) Möglichkeit, stellvertretend für andere sprachliche Elemente der glei-
chen Kategorie einzutreten, b) die Tatsache, daß sie auf eine „ausspezifizier-
te" sprachliche Form im gleichen Text mit identischer Referenz verweisen
oder — wie das bei den unbestimmten Pro-Formen der Fall ist — zum minde-
sten verweisen können.

2. Generierung von Pro-Formen

Überprüft man die verschiedenen Vorschläge zur Behandlung von Pro-Formen


in der neueren linguistischen Literatur, so kann man zusammenfassend fest-
stellen, daß unbestimmte Pro-Formen im allgemeinen bereits in der Basis ein-
geführt werden, bestimmte dagegen durch Transformationen. Einige der wich-
tigsten Ansätze sollen hier kurz erläutert werden.

2.1 Unbestimmte Pro-Formen

Die beiden Hauptansätze zur Generierung unbestimmter Pro-Formen beste-


hen in der Einführung einer Pro-Konstituente einerseits und der Annahme
eines Pro-Merkmals andrerseits.
Den ersten Ansatz verfolgen z. B. Katz und Postal:
„We propose to guarantee unique recoverability by introducing a universal consti-
tuent, for which we use the term ,Pro' . . .".
Katz - Postal, An Integrated Theory, p. 80.

Diese Pro-Konstituente wird als Bestandteil einer universalen Grammatik an-


gesehen. Wichtigste Eigenschaft dieser universalen Pro-Konstituente ist, daß
sie frei tilgbar („freely deletable") ist 1 5 . Eine solche Pro-Konstituente wird
gelegentlich auch als nicht-universale Kategorie behandelt und durch Formá-

i s Das trifft ohne Einschränkungen jedoch nur für unbestimmte Pro-Formen zu (cf. N 3).
28 H. Vater

tionsregeln eingeführt 16 . Die Alternative dazu bildet die Annahme eines syn-
taktischen Merkmals [+Pro]. So verfährt z. B. Postal, der nicht nur alle un-
bestimmten, sondern auch einen Teil der bestimmten nominalen Pro-Formen
auf ein Merkmal [+Pro] in einem N der Tiefenstruktur zurückfuhrt 17 . Ähn-
lich verfahren auch Mötsch und Vater 18 .

2.2 Bestimmte Pro-Formen

Weitaus eingehender als mit den unbestimmten Pro-Formen haben sich die
Linguisten in den letzten Jahrzehnten mit den bestimmten, durch Transfor-
mationen eingeführten, Pro-Formen befaßt. Für die Einsetzung bestimmter
Pronomina gilt dabei im wesentlichen noch immer die von Lees und Klima
1963 entwickelte Pronominalisierungsregel 19 :

(9) X-Nom-Y-Nom'-Z => X - N o m - Y - N o m ' + P r o n - Z .

Voraussetzung ist dabei die Identität von Nom und Nom', wobei Nom (nach
Lees und Klima) eine Konstituente des Matrixsatzes und Nom' eine Konsti-
tuente des eingebetteten Satzes ist.
Was sich seit Formulierung dieser Regel 1963 geändert hat, sind im wesent-
lichen zwei Dinge:

(a) Der Kreis der auf diese Weise eingeführten Pronomina ist erweitert wor-
den;
(b) die Bedingungen für die Durchführung dieser Transformation wurden
modifiziert.
Zu den Pronomina, die man zunächst nicht durch die Pronominalisierungs-
regel einführte, gehören die Personalpronomina der ersten und zweiten Per-
son. Diese Pronomina werden z. B. bei Mötsch und Postal als Kategorien
der Basis, also durch Formationsregeln, eingeführt 20 . Mit Recht kritisiert

16 So z.B. bei Manfred Bierwisch, Grammatik des deutschen Verbs, Berlin 1963 (Stu-
dia grammatica II) und bei Härtung, Die zusammengesetzten Sätze.
17 Paul Postal, On so-called ,pronouns' in English, in: Dinneen (Hg.), Report on the
Seventeenth Annual Round Table Meeting on Linguistics and Language Studies,
Washington 1966, p. 1 7 7 - 2 0 6 .
18 Mötsch, Attributive Adjektive; Heinz Vater, Zur Tiefenstruktur deutscher Nominal-
phrasen, in: Hugo Steger (Hg.), Vorschläge für eine strukturale Grammatik des Deut-
schen, Darmstadt 1970, p. 1 2 1 - 1 4 9 .
19 Robert Lees, E. Klima, Rules for English Pronominalization, Language 39 (1963),
17-28.
20 Wolfgang Mötsch, Untersuchungen zur Apposition im Deutschen, in: Studia gramma-
tica V, Berlin 1965, p. 8 7 - 1 3 2 . Cf. auch N 17.
Pro-Formen des Deutschen 29

Boeder diesen Ansatz und weist nach, daß die Restriktionsbeziehungen die-
ser Pronomina und die Referenzbeziehungen, die eindeutig zwischen ihnen
und dem Sprecher der Äußerung bzw. dem Angeredeten herrschen, eine an-
dere Erklärung verlangen 21 . Die Lösung findet er in der Einfuhrung zweier
Konstituenten, die Sprecher und Angeredeten (bzw. Vokativ) bezeichnen,
und der obligatorischen Pronominalisierung aller in einem Satz auftretenden
NP, die mit der Sprecher- bzw. Vokativ-Konstituente referenzidentisch sind 22 .
Boeders Vorschlag ist nicht nur in Übereinstimmung mit den Beobachtungen
Ross' und Wunderlichs, die sie dazu führten, eine die Tiefenstruktur jedes
Satzes dominierende performative Struktur anzunehmen 23 , sondern auch mit
der Behandlung der Pronomina der dritten Person, die allgemein durch eine
Transformationsregel der in (9) illustrierten Art, auf Grund von Referenziden-
tität mit einer vorerwähnten NP, eingeführt werden.
Die Bedingungen für die Pronominalisierung sind besonders von Langacker
1969 eingehend neu untersucht worden 2 4 . Langacker fand heraus, daß die von
Lees und Klima postulierte Restriktion, daß NP a (die als Antezedens vorkom-
mende NP) im Matrixsatz und NPP (die pronominalisierte NP) im eingebette-
ten Satz vorkommen muß, nicht entscheidend ist, denn in (10) liegen die Din-
ge genau umgekehrt: Pronominalisiert wurde eine NP im Matrixsatz auf Grund
von Referenzidentität mit einer NP im eingebetteten Satz:

(10) The woman who is to marry Ralph will visit him tomorrow.
Ebenso ist die lineare Anordnung der Konstituenten nicht allein entscheidend
dafür, welche NP in der Kette pronominalisiert werden kann, da Pronomi-
nalisierung vorwärts und rückwärts möglich ist, wobei allerdings Rückwärts-
pronominalisierung nicht möglich ist, wenn NP? NP a vorausgeht und höher
im Stammbaum ist:

21 Winfried Boeder, Zur Stellung der Personalpronomina in der generativen Grammatik,


ZMaF 35 ( 1 9 6 8 ) , 2 4 4 - 2 5 4 .
22 Der Vokativ kann im Text vorkommen und gilt dann im allgemeinen für mehr als
einen Satz, nämlich so lange, bis er durch eine neue Anrede ersetzt wird, sonst
bis zum Ende des vom gleichen Sprecher gesprochenen (bzw. geschriebenen) Texts.
Der Sprecher kann dagegen nicht im Text spezifiziert werden.
23 John R. Ross, On Declarative Sentences, in: R. R. Jacobs - P. Rosenbaum (Hg.), Readings
in English Transformational Grammar, Waltham (Mass.) 1970, p. 2 2 2 - 2 7 2 .
Dieter Wunderlich, Pragmatik, Sprechsituation, Deixis, Stuttgart (Papier Nr. 9, Uni-
versität Stuttgart, Lehrstuhl für Linguistik) 1968; LiLi 1 ( 1 9 7 1 ) , 1 5 3 - 1 9 0 .
24 Ronald Langacker, On Pronominalization and the Chain of Command, in: D. Reibel,
S. Schane (Hg.), Modern Studies in English, Englewood Cliffs N. J. 1 9 6 9 , p. 1 6 0 -
186.
30 H. Vater

(11) *He is much more intelligent than Ralph looks.


Als entscheidend für die Möglichkeit der Pronominalisierung erweist sich für
Langacker die Relation „commands", die er folgendermaßen definiert:

„We will say that a n o d e A ,commands' another node B if (1) neither A nor B
dominates the other; and (2) the S-node that most immediately dominates A also
dominates B . "
Langacker, O n Pronominalization, p. 167.

Damit ist er in der Lage, die Pronominalisierungs-Restriktion adäquat zu for-


mulieren (loc. cit):
„NP a may pronominalize NPP unless (1) NPP precedes NP a ; and (2) NPP
commands N P a . "

3. Subklassifizierung deutscher Pro-Formen

Wie sich aus 1. und 2. ergibt, kann man Pro-Formen nach zwei Gesichtspunk-
ten klassifizieren:
a) nach ihrer Funktion im Text (vorerwähnt/nicht-vorerwähnt),
b) nach ihrem kategoriellen Status (Pro-NP, Pro-VP, Pro-S usw.).
Eine Subklassifizierung von Pro-Formen auf Grund der beiden genannten
Kriterien soll im folgenden an Hand deutscher Pro-Formen exemplifiziert
werden.

3.1 Subklassifizierung nach der Funktion im Text

In 1. wurde dargelegt, daß sich zwei Arten von Pro-Formen unterscheiden


lassen, die „bestimmte" und „unbestimmte" Pro-Formen genannt wurden.
Die bestimmten Pro-Formen zeichnen sich dadurch aus, daß sie eine sprach-
liche Form, die im gleichen Text vorkommt und sich auf den gleichen Re-
ferenten bezieht, wiederaufnehmen (was von R. Steinitz als „Pro-Fortfüh-
rung" bezeichnet wird). Die Termini „wiederaufnehmen" und „Pro-Fortfuh-
rung" sind insofern nicht ganz genau, als eine bestimmte Pro-Form auch als
erste Erwähnung eines Referenten im Text vorkommt; bestimmte Pro-For-
men können also sowohl wiederaufnehmen als auch vorausweisen. In (12),
(13) und (14) kommt die bestimmte Pro-Form jeweils als erste Erwähnung
eines Referenten vor.
Pro-Formen des Deutschen 31

( 1 2 ) Es ist wahr, daß Peter gelogen hat.


(13) Nachdem er abgeschlossen h a t t e , ging Peter weg.
(14) So habe ich Fritz noch nie gesehen: alt, müde und griesgrämig.

Es ist wahrscheinlich in allen derartigen Fällen möglich, die Position der


vorausweisenden b e s t i m m t e n Pro-Formen durch Transformationen zu er-
klären. Man vergleiche (12), (13) u n d (14) mit ( 1 2 ' ) , ( 1 3 ' ) u n d ( 1 4 ' ) 2 5 .

( 1 2 ' ) Daß Peter gelogen hat, ist wahr.


( 1 3 ' ) Peter ging weg, nachdem er abgeschlossen hatte.
( 1 4 ' ) Fritz war alt, müde u n d griesgrämig. So habe ich ihn noch nie gesehen.

Typisch für u n b e s t i m m t e Pro-Formen ist es, daß sie nicht nur in reiner F o r m
v o r k o m m e n wie in (15) und (16), sondern auch in einer Art „ S y m b i o s e " mit
anderen Elementen, vorzugsweise d e m Frage- u n d dem Negations-Element 2 6 ;
vgl. ( 1 7 ) - ( 2 1 ) .

(15) Jemand hat angerufen.


(16) Etwas ist geschehen.
(17) Wer hat angerufen?
(18) Was ist geschehen?
(19) Worauf wartest du?
(20) Niemand hat angerufen.
(21) Nichts ist geschehen.

Jemand u n d etwas sind „ r e i n e " Pro-Formen, in diesem Fall Pro-NP mit den
Merkmalen [ + N ] , [+Pro] und [+Menschl] bzw. [ - B e l e b t ] 2 7 .
Dagegen sind wer, was und worauf Kombinationen aus einem N (mit den
Merkmalen [+N], [+Pro] und [+Menschl] bzw. [ - B e l e b t ] ) und einem Frage-

25 (12) und (13) können als Resultate von Extrapositions- bzw. Permutations-Trans-
formationen erklärt werden (cf. 12') und (13')). Die Ableitung von (14) durch Per-
mutation und Tilgungen aus einer zugrundeliegenden Struktur des Typs (14') ist
etwas ad hoc.
26 Frage- und Negations-Element als Tiefenstruktur-Konstituenten werden ausführlich
in Katz, Postal, An Integrated Theory, behandelt; das Negationselement und seine Rea-
lisationen im Deutschen untersucht Gerhard Stickel, Untersuchungen zur Negation
im heutigen Deutsch, Braunschweig 1970.
27 Der Kategorie nach sind alle Pronomina N. Wie echte (d. h. Nicht-Pro-) N können sie
jedoch für eine gesamte NP stehen (vgl. 3. 2. 1). Die Unterscheidung zwischen N und
NP fällt natürlich weg, sobald man einen Dependenz-Ansatz wählt (cf. Heinz Vater,
Dänische Subjekt- und Objektsätze: Ein Beitrag zur generativen Dependenzgramma-
tik, Tübingen 1973), da es in einer Dependenz-Grammatik nur terminale Elemente
gibt.
32 H. Vater

Element, das im Deutschen — und auch in anderen Sprachen - niemals rein


auftritt, sondern immer nominale Pro-Formen als Aufhänger braucht. Dieses
Frage-Element charakterisiert den Satz, in dem es auftritt, als Fragesatz, wo-
bei der Skopus der Frage nicht den ganzen Satz, sondern nur die mit dem
Frage-Element verschmolzene NP umfaßt 2 8 . Man vergleiche (22) und (17).

(22) Hat jemand angerufen?


In (22) bezieht sich die Frage auf die Gesamt-Aussage; präsupponiert wird,
daß es ein X gibt und daß dieses X menschlich ist, und die Frage ist eine
Aufforderung, der Aussage „X hat angerufen" einen Wahrheitswert zuzuertei-
len. In (17) wird nicht nur präsupponiert, daß es ein X gibt und daß X mensch-
lich ist, sondern auch, daß X angerufen hat; die Frage bedeutet hier eine Auf-
forderung, X zu identifizieren. Wer, was, worauf usw. gehören zu den unbe-
stimmten Pro-Formen, die eine Spezifizierung im folgenden Text verlangen
(vgl. 1.).
Niemand und nichts sind Verschmelzungen unbestimmter nominaler Pro-
Formen mit dem Negationselement. Dies Negationselement kann im Deutschen
— im Gegensatz zum Frage-Element — in reiner Form auftreten (als nicht),
es kommt aber auch in Verbindung mit nominalen und adverbialen Pro-For-
men vor; außer niemand und nichts sind hier die noch zu behandelnden For-
men kein, nie(mals), nirgends, nirgendwo und nimmer zu erwähnen 29 .

3.2 Subklassifizierung nach dem kategoriellen Status

In der traditionellen Grammatik werden Pro-Formen weder methodisch ein-


heitlich noch den sprachlichen Tatsachen angemessen behandelt. Eindeutig
als Pro-Formen erkannt wurden nur die Pronomina. Aber der Terminus „Pro-
nomen" und die Interpretation dieses Terminus als Bezeichnung für eine Wort-
art verschleiern zweierlei;
(a) Die Pronomina können weder syntaktisch noch semantisch als besondere
Wortklasse angesehen werden.
(b) Sie stehen nicht durchweg für ein Nomen (d. h. genauer: ein Substantiv),
sondern auch für eine ganze Nominalphrase und sogar für einen Satz; and-
rerseits werden aber auch Sprachelemente zu den Pronomina gerechnet,

28 Cf. dazu Christian Rohrer, Zur Theorie der Fragesätze, in: Dieter Wunderlich (Hg.),
Probleme und Fortschritte der Transformationsgrammatik, München 1971, p. 1 0 9 -
126.
29 Bei der Form nimmer (die nicht zu meinem aktiven Sprachschatz gehört) bin ich mir
allerdings nicht sicher, ob es sich wirklich um eine unbestimmte Pro-Form handelt.
Pro-Formen des Deutschen 33

die überhaupt nicht für ein Substantiv, sondern zusammen mit einem Sub-
stantiv stehen. Es handelt sich um die Determinantien dieser, jener, jeder,
all(er), mancher, einige, mehrere, die Possessivpronomina mein, dein, sein,
unser, euer und ihr u.a. 30 .
Andere Pro-Formen (wie z. B. die adverbialen Pro-Formen hier, da, dort, jetzt,
damals, wo, wann usw.) wurden gar nicht als Pro-Formen erkannt oder sie
wurden — mit dem ebenso monströsen wie unzutreffenden Terminus „Pro-
nominaladverb" versehen — als eine Kreuzung aus Pronomen und Adverb be-
handelt — offenbar, weil man sich die Pro-Funktion nur in Verbindung mit
Pronomina vorstellen konnte.
Nimmt man, wie es hier getan wird, die Vertretungs- bzw. Ersetzungs-Funk-
tion als das Charakteristikum aller Pro-Formen und baut man auf Chomskys
Beobachtung auf, daß Pro-Formen major categories vertreten, dann ergibt sich,
daß sich Pro-Formen sinnvoll danach subkategorisieren lassen, welche Katego-
rie sie vertreten. Folgende Untergruppen werden fürs Deutsche zunächst ange-
nommen: Pronomina 31 , Proverben, Proadverbiale, Proattribute und Prosätze.
Der Ausdruck „Proattribut" fällt dabei insofern aus dem Rahmen, als er nicht
auf die Kategorie, sondern auf die Funktion der betreffenden Pro-Formen
Bezug nimmt 32 . Die Attributs-Funktion kann bekanntlich von Formen ver-
schiedener kategorieller Zugehörigkeit ausgefüllt werden, nämlich von Adjektiv-
phrasen, Nominalphrasen im Genitiv, Präpositionalphrasen und Relativsätzen.
Für all diese verschiedenen Kategorien stehen im Deutschen jedoch die glei-
chen Pro-Formen zur Verfugung: welch(er), was für ein, solcher und so ein\
da das einzig Verbindende all der verschiedenen vertretenen Kategorien die
gleiche Funktion ist, scheint der Name „Proattribute" für Pro-Formen die-
ser Art gerechtfertigt zu sein.

3.2.1 Pronomina
Pronomina stehen nicht nur für den substantivischen Kern einer NP, sondern
auch für die Verbindung Det + N und im Fall der bestimmten Pronomina so-

30 Alle diese Formen wurden zusammen mit der, ein und der 0-Form des Artikels bei
Heinz Vater, Das System der Artikelformen im gegenwärtigen Deutsch, Tübingen 1963,
unter dem Terminus „Artikel" zusammengefaßt, später, in Vater, Tiefenstruktur, dem
Gebrauch in der generativen Grammatik entsprechend, als „Determinantien".
31 Der traditionelle Terminus „Pronomen" wird, da er immer noch allgemein gebräuchlich
ist, beibehalten, obwohl „Pro-NP" genauer wäre. Analog dazu wird auch „Proverb"
gebraucht (was auch dem englischen Terminus „pro-verb" entspricht).
32 Zum Unterschied zwischen Kategorie und Funktion cf. Chomsky, Aspects, Kap. 2.
34 H. Vater

gar auch für die Verbindung Det + N + Attribut, d. h. für die Gesamt-NP 33 ,
wie die folgenden Beispiele demonstrieren.
(23) Ein Mann war da. Er will Sie sprechen.
(24) Mancher Mensch denkt, er kann tun, was er will.
(25) Unsere Katze schnurrt immer, wenn man sie streichelt.
(26) Der kleine karierte Koffer ist nicht da. Ist er im Keller?
(27) Der junge Mann mit dem flotten BMW denkt, die Autobahn sei nur
für ihn da.
Er in (23) nimmt ein Mann wieder auf, er in (24) mancher Mensch, sie in (25)
unsere Katze, er in (26) der kleine karierte Koffer und ihn in (27) ist eine Pro-
Fortführung von der junge Mann mit dem flotten BMW.
Unbestimmte Pronomina können ein Attribut bei sich haben; sie repräsen-
tieren dann nur den Kern einer NP (mit eventuellem Determinans):
(28) Niemand mit gesundem Menschenverstand würde so etwas machen.
(29) Niemand auf der Welt würde mit ihm tauschen.
(30) Nichts auf Erden kann ihn erschüttern.
(31) Karl glaubt grundsätzlich nichts, was in Zeitungen steht.
(32) Jemand, der so etwas sagt, ist ein Dummkopf.
(33) Da geschah etwas, worauf ich lange gewartet hatte.
(34) Wer in Europa glaubt ihm noch?
(35) Wer, der den letzten Krieg mitgemacht hat, will noch einmal Soldat
spielen?
(36) Was in aller Welt soll das bedeuten?
Dabei scheinen für wer und was stärkere Beschränkungen zu bestehen als für
die anderen unbestimmten Pronomina:
(37) *Wer mit Schnurrbart war das?
(38) *Was mit Eis möchten Sie trinken?
Satz (38) könnte allenfalls scherzhaft geäußert werden - unter der Voraus-
setzung, daß der Fragende von vornherein weiß, daß der Angeredete nur etwas
mit Eis trinkt; der Satz wäre aber wohl auch dann ungrammatisch, und zwar

33 Determinantien lassen sich von Attributen - abgesehen von ihrer oberflächenstruk-


turell festgelegten Position innerhalb von NP - vor allem durch ihre verschiedene Ab-
leitung abgrenzen: Während Attribute aus eingebetteten Sätzen abgeleitet werden (so
z.B. Mötsch, Apposition, und Renate Steinitz, Adverbial-Syntax, Berlin 1969), wer-
den Determinantien entweder als NP-Konstituenten bereits in der Tiefenstruktur an-
gesetzt (so bei Chomsky, Aspects) oder aus Merkmalen von N durch Segmentierungs-
Transformationen gewonnen (cf. Postal, Pronouns, und Vater, Tiefenstruktur).
Pro-Formen des Deutschen 35

bewußt gegen die Regeln konstruiert, wie das ja häufig bei scherzhaftem,
ironischem und poetischem Sprachgebrauch der Fall ist.
Die Tatsache, daß unbestimmte Pronomina ein Attribut haben können
(wenn auch mit Einschränkungen), bestimmte dagegen nicht, hat offenbar
mit der verschiedenen Ableitungsart zu tun: Für unbestimmte Pronomina,
die ja schon in der Tiefenstruktur vorhanden sind, gelten anscheinend annä-
hernd die gleichen Beschränkungen wie für „normale" Substantive, also N
mit dem Merkmal [ - P r o ] , während bestimmte Pronomina durch eine Trans-
formation jeweils für eine ganze vorerwähnte NP beliebigen Komplexitäts-
grads eingesetzt werden.
Zu den unbestimmten Pronomina gehören außer den bereits erwähnten
noch die Verbindungen mit irgend: irgendjemand, irgendetwas, irgendeiner,
irgendwer und irgendwas. Diese Pro-Formen unterscheiden sich von jemand
und etwas durch das zusätzliche Merkmal [-spezifisch]. Sie drücken notwen-
dig aus, daß es sich um ein beliebiges Exemplar innerhalb der Klasse aller
N, die etwas Menschliches bzw. etwas Nicht-Belebtes bezeichnen, handelt,
während jemand und etwas in dieser Hinsicht merkmallos sind, d. h. sie kön-
nen etwas Beliebiges bezeichnen wie die irgend-¥ormeti, aber auch etwas, das
zwar nicht vorerwähnt oder als bekannt vorausgesetzt, aber doch näher spezi-
fiziert ist (z. B. durch einen restriktiven Relativsatz) 34 . In den folgenden Bei-
spielen sind die Sätze unter (ii) jeweils ungrammatisch, weil in ihnen die un-
spezifischen Pronomina mit einem spezifizierenden Zusatz verbunden sind.

(39) (i) Jemand, der das sagt, ist verrückt.


(ii) ""Irgendjemand, der das sagt, ist verrückt.
(40) (i) Wasserski ist etwas, was ich noch nie probiert habe.
(ii) *Wasserski ist irgendetwas, was ich noch nie probiert habe.
Zu den unbestimmten Pro-Formen gehört weiterhin das Pronomen man. Es
unterscheidet sich von jemand unter anderem dadurch, daß es auf eine Viel-
heit Bezug nehmen kann und daß es unter Umständen mit den Personalpro-
nomina der ersten und zweiten Person austauschbar ist 35 .

34 Cf. dazu Vater, Artikelformen, ferner James McCawley, Where Do Noun Phrases Come
From? , in: R. Jacobs - P. Rosenbaum (Hg.), Readings in English Transformational
Grammar, Waltham (Mass.) 1970, p. 1 6 6 - 1 8 3 , ferner auch Odo Leys, Nicht-referen-
tielle Nominalphrasen, Deutsche Sprache 2 (1973), 1 - 1 5 . .
35 Die komplizierte Syntax und Semantik von man sind bisher noch nicht gründlich er-
forscht worden. Interessante Ergebnisse sind hier von einer noch in Arbeit befindlichen
Dissertation von Tilman Höhle zu erwarten, wo z. B. mehrere Varianten von man un-
terschieden werden, die sich auch syntaktisch verschieden verhalten.
36 H. Vater

(41) (i) Man hat sich lange darüber gestritten, welche Funktion die Mandeln
im menschlichen Körper haben,
(ii) *Jemand hat sich lange darüber gestritten, welche Funktion die Man-
deln im menschlichen Körper haben.
(42) (i) Wie geht es dir? - Man lebt.
(ii) *Wie geht es dir? - Jemand lebt.

Die Zahl der bestimmten Pronomina ist anscheinend auf er, sie und es be-
schränkt. Einige Determinantien kommen zwar ohne Substantiv vor in Fäl-
len, wo sie mit einer vorerwähnten NP referenzidentisch sind, jedoch han-
delt es sich dabei nicht um Pro-Form-Ersetzung, sondern um Tilgung des sub-
stantivistischen Kerns (vgl. (43) — (47)). Gestützt wird diese Annahme da-
durch, daß in solchen Fällen ein Attribut erhalten bleiben kann, was bei ech-
ten bestimmten Pronomina nicht möglich ist (vgl. (48) und (49)).

(43) Hier zweigen zwei Wege ab. Welcher ist der richtige?
(44) Zehn Menschen waren anwesend. Einer hat es gesehen.
(45) Zehn Menschen waren anwesend. Keiner hat es gesehen.
(46) Viele Vorschläge wurden gemacht. Dieser ist der einzig vernünftige.
(47) Alle Namen hat er aufgerufen, meinen hat er vergessen.
(48) Du hast so schöne Kleider. Mußt du ausgerechnet das rote anziehen?
(49) Wer ist denn jetzt Klaras Freund, der mit dem Bart oder der mit dem
Silberblick?

Haskell nennt solche Formen, die nicht so sehr vorangegangene Einheiten er-
setzen als deren optionale Anwesenheit implizieren, „unechte Pro-Formen" 3 6 .
Um eine echte Pro-Form dürfte es sich allerdings bei der im folgenden Bei-
spiel handeln.

(50) Otto Meyer ist da. - Der hat mir gerade noch gefehlt!

Der ersetzt Otto Meyer, es ist nicht ein Determinans, dessen übergeordne-
tes Substantiv getilgt wurde; im allgemeinen haben Eigennamen ja auch kein
Determinans. In (50) — wie auch in vielen anderen Fällen — hat der im Ge-
gensatz zu er eine negative Konnotation. Das ist jedoch durchaus nicht immer
der Fall, vgl. (51).

(51) Kennen Sie Peter Müller? - Der ist mein bester Freund.

36 Jocelyn Haskell, In Search of the German Pro-Verb, Language Sciences 25 (1973),


41-45, bes. p. 41.
Pro-Formen des Deutschen 37

3.2.2 Proverben

Das Englische macht häufig Gebrauch von Proverben; das meistgebrauchte


Proverb ist to do.
(52) I like swimming. — I do too.
(53) I hate ice cream. — Do you?
(54) Peter wants to go and so do I.
(55) Paul comes here frequently, doesn't he?
Zunächst scheint es, als ob die deutschen Verben machen und tun ungefähr
die gleiche Funktion haben wie do, nur daß sie stärkeren Restriktionen unter-
liegen, wie die folgenden Beispiele zeigen.
(56) (i) Peter schwimmt. Das tut er jeden Nachmittag,
(ii) Peter schwimmt. Das macht er jeden Nachmittag.
(57) (i) Regnet es viel in Hamburg? Das tut es fast täglich.
(ii) *Regnet es viel in Hamburg? Das macht es fast täglich.
(58) (i) *Ißt du gern Eis? Ja, ich tue es.
(ii) *Ißt du gern Eis? Ja, ich mache es.
Anscheinend ist machen nicht möglich bei Wiederaufnahme eines unpersönli-
chen Verbs und sowohl machen als auch tun können offenbar nicht eintreten,
wenn ein potentieller (noch nicht realisierter) Vorgang ausgedrückt wird (vgl.
(58)).
Bei näherer Inspektion zeigt es sich, daß ein wichtiger Unterschied zwischen
machen und tun einerseits und to do andrerseits besteht: Die beiden deutschen
Verben können ihre Pro-Funktion nur zusammen mit einem Objekt-Prono-
men (das oder es) ausfüllen, im Gegensatz zu to do, das ohne ein solches Prono-
men steht. Daraus hat Jocelyn Haskeil die Schlußfolgerung gezogen, daß ma-
chen und tun unechte Pro-Formen sind, ebenso wie die Determinantien. Sie
ersetzen nicht ein Verb bzw. eine VP, sondern sie sind Begleiter eines Verbs,
das selbst durch die Pro-Form es oder das aufgenommen wird. Ihre Funktion
ist es, den Aspekt des Hauptverbs anzuzeigen. Gestützt wird diese These da-
durch, daß tun, aber auch machen tatsächlich (also nicht nur in der vorauszu-
setzenden Tiefenstruktur) mit einem Verb im Infinitiv vorkommen, minde-
stens in der Umgangssprache, oder wenn das Hauptverb nominalisiert ist 3 7 :

(59) Was tut er? Schlafen tut er.


(60) Zuerst machte er eine Reise durch Frankreich, und dann fuhr er wei-
ter nach England.
37 Haskell, Pro-Verb, p 42.
38 H. Vater

Diese These erklärt auch, warum das Objektpronomen bei der Wiederauf-
nahme von intransitiven und sogar unpersönlichen Verben steht (vgl. (56)
und (57)). Es wäre wenig sinnvoll, eine Transformation von zugrundeliegen-
dem schwimmen oder regnen zu es tun anzunehmen, aber eine Transforma-
tion, die in tut regnen den Infinitiv durch es oder das ersetzt, ist durchaus
einleuchtend und innerhalb des Gesamtsystems gerechtfertigt, wenn man be-
denkt, daß es und das zu den neutralsten und allgemeinsten Pro-Formen ge-
hören, die z. B. auch für ganze Sätze eintreten können.
Haskeils Ansatz ist im Einklang mit Isaienkos Beobachtungen, wonach
es und das das Hauptverb in Perfekt- oder Modalkonstruktionen (samt sei-
nem Objekt, falls ein solches vorhanden ist) ersetzen 38 :

(61) Hat Peter seinen Freund getroffen? Ja, das hat er.
(62) Darf Peter seinen Apfel essen? Ja, er darf es.
Auch die von R. Steinitz als Proverben behandelten Verben geschehen, statt-
finden, eintreten, sich abspielen, sich ereignen, beginnen u. a. erklärt Haskeil
als unechte Proverben, die den Aspekt des Infinitiwerbs (bzw. nominalisier-
ten Verbs) angeben 39 .

3.2.3 Proadverbiale
Proadverbiale sind Pro-Formen für Adverbiale, d. h. Adverbien, Präpositio-
nalphrasen oder eingebettete Sätze in adverbialer Funktion 4 0 . Wie bei den
Pronomina kommen unbestimmte und bestimmte Formen vor. Hier einige
Beispiele für unbestimmte Formen:
(63) Wo ist der braune Koffer? - Im Keller.
(64) Wann fährst du nach Rom? - Am Dienstag.
(65) Wie kommst du zum Bahnhof? - Mit einer Taxe.
(66) Weshalb hat Anna den ganzen Abend nichts gesagt? - Weil sie schüch-
tern ist.

38 Alexander Isaöenko, Kontextbedingte Ellipse und Pronominalisierung im Deut-


schen, in: A. Isaienko et al. (Hg.), Beiträge zur Sprachwissenschaft, Volkskunde und
Literaturforschung, Berlin 1965, p. 1 6 3 - 1 7 4 , bes. p. 173.
39 Steinitz, Adverbial-Syntax, bes. p. 27.
40 Der Terminus „Adverbial" wird - in Anlehnung an R. Steinitz - statt des älteren, un-
handlichen Terminus „adverbiale Bestimmung" gebraucht. Ebenso wie bei „Proattri-
but" handelt es sich auch bei „Proadverbial" um eine Funktionsbezeichnung. Auch
hier verhalten sich Formen verschiedener Kategorien (NP, PP, Adv, S) gleich; so kann
damals Adverbiale wie letzten Sommer, im Jahr 1905, früher und als ich noch zur
Schule ging wiederaufnehmen.
Pro-Formen des Deutschen 39

(67) Irgendwann müssen wir mal nach Island fahren.


(68) Ich kann den Duden nirgendwo finden.
Ähnlich wie bei den Pronomina handelt es sich bei den W-Formen um Ver-
bindungen einer adverbialen Pro-Form mit einem Frage-Element und bei den
Zusammensetzungen mit nirgend um unspezifische unbestimmte Pro-Formen.
Die bestimmten Formen nehmen — falls sie nicht deiktisch verwendet
sind — eine vorerwähnte referenzidentische adverbiale Angabe wieder auf:
(69) Mit zwanzig Jahren kam er nach Berlin. Dort studierte er Musik.
(70) Ich lernte Amalie 1950 kennen. Damals war sie sehr hübsch.
(71) Herr Müller dachte lange nach. Dann erhob er sich plötzlich.
(72) Fritz raucht zu viel. So wird er nie richtig gesund werden.
(73) Franz tanzte sehr viel mit Amalie. Deshalb war seine Frau den ganzen
Abend eifersüchtig.
Die Proadverbiale in (71), (72) und (73) stehen für die eingebetteten Adver-
bialsätze nachdem er lange nachgedacht hatte, da er zu viel raucht und weil
Franz sehr viel mit Amalie tanzte.
Zu den Proadverbialen gehören auch die sogenannten „Pronominaladver-
bien"; sie sind nichts anderes als adverbiale Pro-Formen, die eine Präposition
enthalten (und dadurch etwas spezifischer sind als die bisher erwähnten ad-
verbialen Pro-Formen):
(74) In der Ecke steht ein Tisch. Darauf liegen Bücher.
(75) Hier ist ein Lappen. Damit kannst du den Tisch abwischen.
Pro-Formen, die Adverbiale ersetzen, können auch für präpositionale Objekte
stehen (vgl. (76) — (79); sie verhalten sich also genau so wie die entsprechen-
den Nicht-Pro-Formen, bei denen ebenfalls Adverbiale und präpositionale Ob-
jekte in gleicher morphologischer Gestalt (als Präpositionalphrasen) auftreten.

(76) Woran denkst du?


(77) Worauf wartest du?
(78) Peter ist gekommen. Damit habe ich nicht gerechnet.
(79) Wir fahren nach Italien. Darauf freue ich mich.

3.2.4 Proattribute
Als unbestimmte Proattribute werden die Formen was für (ein) und welcher
benutzt, letztere Form kann jedoch auch Vorerwähnung voraussetzen (vgl.
(43) und (83)), nämlich Vorerwähnung einer Menge, aus der durch welcher
ein Einzelelement ausgewählt ist, das selbst unbestimmt (d. h. nicht identi-
fiziert) ist.
40 H. Vater

(80) Was für Tee möchtest du trinken?


(81) Was für ein Kleid hatte Irene auf dem Ball an?
(82) Welchen Eindruck machte Herr Peters auf Sie?
(83) Das Haus hat drei Eingänge. Die Frage ist, durch welchen Eingang
der Mörder das Haus betreten hat.
Welcher in (82) kann durch was für ein ausgetauscht werden, welcher in (83)
nicht, da es vorerwähnt ist (oder sich jedenfalls auf eine vorerwähnte Ober-
menge bezieht) 41 . Die Formen was för ein und was für haben die gleiche
Distribution wie ein und 0 - F o r m des Artikels: was für ein steht bei singu-
larischen Substantiven, die Zählbares bezeichnen, was für bei pluralischen
Substantiven oder solchen, die Nicht-Zählbares bezeichnen.
In allen Fällen handelt es sich um die Verbindung einer unbestimmten
Pro-Form mit einem Frage-Element. Gefragt wird stets nach dem Attribut.
Die Antwort auf (80) könnte sein: grünen, oder Tee aus China (wobei der
Kern Tee wiederholt werden muß) oder Tee, der aus China kommt usw.
Ähnlich ist es in den anderen Fällen.
Bestimmte Proattribute sind solcher, solch ein und so ein.
(84) Ich bestellte grünen Tee. Solchen Tee hatte ich noch nie getrunken.
(85) Ich habe ein Auto mit Schiebedach. So ein Auto ist bei großer Hitze
sehr praktisch.
Es scheint, als ob die Form solcher nur bei nichtzählbaren Substantiven oder
zählbaren Substantiven im Plural möglich ist, die Form solch ein (bzw. so ein)
dagegen wohl unterschiedslos bei zählbaren und nicht-zählbaren.
Distribution und Verwendungsweisen von was für (ein), welcher, so ein
und solcher bedürfen noch eingehender Untersuchungen. Interessanterweise
gibt es im Deutschen keine Pro-Form für prädikative Adjektive. Für den eng-
lischen Satz (86) (i) mit so als Proadjektiv gibt es keine deutsche Entsprechung;
(86)i(ii) ist ungrammatisch.

(86) (i) Mr. Miller is very kind and so is his wife.


(ii) *Herr Müller ist sehr freundlich und so ist seine Frau.

3.2.5 Prosätze
Bei Prosätzen handelt es sich stets um Pro-Formen für eingebettete Sätze.
Als Pro-Formen für Subjekt- und Objektsätze dienen die Formen das, dies
und es, als Proformen für adverbiale Sätze und Satzeinbettungen, die als prä-

41 Cf. Vater, Artikelformen, und Vater, Tiefenstruktur.


Pro-Formen des Deutschen 41

positionales Objekt fungieren, dienen Pro-Formen wie daran, darauf, damit


usw. (vgl. 3.2.3).
(87) Peter kommt. Das freut mich.
(88) Fritz hat die Unwahrheit gesagt. Dies hat mich sehr erschüttert.
(89) Fritz hat die Unwahrheit gesagt. Es hat mich sehr erschüttert.
Die Tatsache, daß für Pro-Sätze nur Formen zur Verfügung stehen,die
auch als Pronomina und Proadverbiale verwendet werden, ist kein Zufall:
Eingebettete Sätze werden immer von einem NP- oder PP-Knoten dominiert,
sind also immer gleichzeitig eine NP (als Subjekt oder Objekt) oder eine PP
(als Adverbial oder präpositionales Objekt). Prosätze lassen sich deshalb nicht
als besondere Untergruppe innerhalb der Pro-Formen herausheben, da sie im-
mer gleichzeitig Pronomina oder Proadverbiale sind. Aus dem gleichen Grund
werden auch eingebettete Attributsätze durch die gleichen Pro-Formen ver-
treten, die für adjektivische und nominale Attribute verwendet werden.
Einbettungen verhalten sich im Hinblick auf ihre „Proisierung" (wie auch
in anderen syntaktischen Hinsichten) also genau so wie Nicht-Einbettungen
in gleicher Funktion (also z. B. Subjektsätze wie nominale Subjekte).
Die folgende Übersicht baut auf den vorangehenden Erörterungen und
Beispielen auf.
42 H. Vater

3.3 Tabellarische Übersicht über die gebräuchlichsten Pro-Formen des Deutschen*

unbestimmt bestimmt

[+Menschlich] [-Belebt]
jemand etwas er, sie, es
42 der, die, das43
man was
dieser, diese, dies44
a irgendjemand irgendetwas
g irgendwer irgendwas
g irgendeiner
o
&
niemand nichts

wer was der, die das (Relativpronomen)


woran, worauf
45
womit usw.

modal lokal temporal kausal modal lokal temporal kausal


Proadverbiale

wo wann warum so hier damals darum


ni'
5

woher weshalb da46 da47 deshalb


wohin weswegen dort dann deswegen
nirgend- nie dorthin darauf
wo
a>
¿ jS was fir (ein) solcher
£ C welcher so ein

* Unechte Pro-Formen (vgl. 3.2.1 und 3.2.2) wurden nicht berücksichtigt

42 Es handelt sich hier um (umgangssprachliches) was in Fällen wie Es muß was passiert
sein.
43 Es geht um der (als Demonstrativum) in Fällen, wo es nicht Determinans ist, d.h. nicht
durch Tilgung des Substantivs alleiniger Repräsentant einer NP geworden ist, cf. (50),
(51) und (87).
44 Cf. dies in Beispiel (88).
45 Woran, worauf usw. als Pro-Formen für präpositionale Objekte (cf. 3.2.3).
46 Hier ist eine Pro-Form für den Ort des Sprechers, dort für den Ort des Angesprochenen;
da ist neutral, d. h. es kann sich sowohl auf den Ort des Sprechers, als auch auf den Ort
des Angesprochenen beziehen; vgl. die in einem Telefongespräch übliche Frage Ist Herr X
da? und die Antwort Er ist nicht da, wo das erste da durch dort, und das zweite durch
hier ersetzt werden kann.
47 Da wie in Da war's um ihn geschehen.
Peter Wunderli

Der Prosatz „ n o n "


Substitutionsprobleme im Rahmen der transphrastischen Syntax

Es mag übertrieben erscheinen, der Analyse eines so einfachen Monems wie


non einen ganzen Aufsatz zu widmen. Handelt es sich hier nicht um eine
kleine, vollkommen problemlose Partikel, die von fast allen Grammatikern
in zwei Zeilen abgehandelt oder gar stillschweigend übergangen wird? Ich
hoffe mit meinen Ausführungen zu zeigen, daß in diesem Fall der Schein
trügt. Sobald man den Dingen nämlich auf den Grund zu gehen versucht,
kompliziert sich alles auf überraschende Art und Weise. Daraus muß man
wohl schließen, daß sich die Grammatiker bisher nicht genügend mit der Ne-
gation non auseinandersetzten, daß sie ihren Charakter nicht wirklich erfaß-
ten und sich vorschnell mit einem Büschel recht heterogener Erklärungen
zufriedengaben. Dies gilt teilweise sogar für David Gaatone, der in seiner wich-
tigen Arbeit über das französische Negationssystem non immerhin über 20
Seiten widmet.
Ich will versuchen, eine kohärente Erklärung für die verschiedenen syn-
taktischen Verwendungen von non zu geben, wobei ich mich bemühen wer-
de, diese verschiedenen syntagmatischen Funktionen auf ein und denselben
paradigmatischen Grundwert zurückzuführen. Was die Redeverwendungen
angeht, so weiß man heute, daß viele syntaktische (und semantische) Proble-
me nicht auf der Ebene des Satzes gelöst werden können. Dieser ist zwar
eine reale linguistische Einheit, aber er stellt nicht die größte Einheit dar, die
man bei der wissenschaftlichen Analyse von Kommunikation berücksich-
tigen muß. Diese Rolle kommt vielmehr dem Text zu. Ich werde deshalb
die syntagmatischen Funktionen von non v.a. aus der Perspektive der Text-
linguistik beschreiben und versuchen, seine Leistung im Rahmen der Text-
konstitution und der Satzverknüpfung herauszuarbeiten. Die Untersuchung
beschränkt sich auf den eigentlich syntaktischen Bereich; ausgeschlossen aus
unseren Betrachtungen werden demnach sein:
— das Präfix non in Lexien wie non pertinent, non interrompu, non-adaption,
non-concomitance usw., da es sich hier um das Gebiet der Wortbildungslehre
(wortinterne Syntax) handelt;
44 P. Wunderli

— non in Formeln wie non seulement, non plus, non loin usw., aber auch
non pas, da es sich um erstarrte Wendungen handelt, die auf einen früheren
Sprachzustand zurückgehen; ihre Bildung kann daher nicht aufgrund der Re-
geln der freien Syntax des Modernfranzösischen erklärt werden.
*

Um die sich im Zusammenhang mit der Negation non stellenden Fragen


zu klären, werde ich in drei Schritten vorgehen: ich werde zunächst versuchen,
non im allgemeinen Rahmen der Negation zu charakterisieren und zu situie-
ren; dann soll die Funktion von non im Hinblick auf die Textkonstitution
und die systematischen Gegebenheiten, nach denen diese Mechanismen ab-
laufen, untersucht werden; und schließlich werden wir uns mit einer bestimm-
ten Anzahl von Fällen beschäftigen, die auf den ersten Blick der vorgeschla-
genen Erklärung zu widersprechen scheinen, die aber ohne Schwierigkeiten
auf die Grundhypothese zurückgeführt werden können.

1. Um non den Platz zuweisen zu können, der ihm im allgemeinen Rahmen


der Negation zusteht, müssen wir uns zunächst fragen, was überhaupt eine
Negation ist. Und hier stößt man bereits auf die ersten Schwierigkeiten, denn
in den meisten der gängigen Grammatiken wird dieses Problem stillschwei-
gend übergangen1. Als Beispiel möchte ich nur die beiden bekanntesten Gram-
matiken des 19. und 20. Jahrhunderts anführen, die Grammaire des Grammai-
res von Girault-Duvivier und den Bon Usage von Maurice Grevisse2. In der
Grammaire des Grammaires lesen wir (unter dem Titel „De l'usage de la né-
gative ne, pas, point et autres mots divers, appelés négatifs"):
La négation s'exprime en français ou par ne ou non tout seul, ou par ne ou non,
accompagné de pas ou de point.
Grammaire des Grammaires, p. 846.
Darauf folgt eine lange Liste von Ausdrücken (darunter rien, jamais, nulle-
ment, aucun, nul, personne usw.), die - so der Verfasser - zwar selbst nicht
negativ wären, gleichwohl aber die Orientierung oder den Wert der Negation
1 Dies trifft selbst für die letzte große Studie zu, die sich mit der Negation im Fran-
zösischen beschäftigt: D. Gaatone, Etude descriptive du système de la négation
en français contemporain, Genève 1971. Was bei einem Autor, der das gesamte gram-
matikalische und syntaktische System einer Sprache darzustellen versucht, zur Not
noch entschuldbar ist, kann dort, wo sich die Studie nur auf das fragliche Phänomen
richtet, nicht mehr hingenommen werden.
2 Cf. Ch.-P. Girault Duvivier, Grammaire des grammaires ou analyse raisonnée des
meilleurs traités sur la langue française . . . , Paris 1 4 1 8 5 1 ; M. Grevisse, Le bon usage.
Grammaire française avec des remarques sur la langue française d'aujourd'hui, Gem-
bloux-Paris 8 1 9 6 4 .
Der Prosatz „non" 45

im einen oder anderen Sinn verändern würden. Es ist erstaunlich, daß diese
Darstellung in d e m großen, für das 20. J a h r h u n d e r t repräsentativen Werk
nur geringfügig verändert wieder a u f g e n o m m e n wird. Maurice Grevisse be-
ginnt sein Kapitel über die Negation folgendermaßen:

Les adverbes de négation sont, à proprement dire: non, forme accentuée, et ne, forme
atone.
Bon Usage, § 8 7 3

Und drei Seiten weiter finden wir folgende Ergänzung:


La négation ordinaire ne se trouve généralement accompagnée d'un des mots pas, aucun,
point, aucunement, guère, jamais, nul, nullement, personne, plus, que, rien, ou d'une
des expressions âme qui vive, qui que ce soit, quoi que ce soit, de ma vie, de (tel)
temps, de longtemps, nulle part etc.
Bon Usage, § 875a

In beiden Werken fehlt jeder Versuch, die Negation an sich zu definieren —


u n d das Gleiche gilt auch fur die meisten anderen Grammatiken. Bei genaue-
rem Zusehen finden wir in all diesen Darstellungen nichts weiter als eine m e h r
oder weniger lange Liste von (kontinuierlichen oder diskontinuierlichen) Mor-
p h e m e n oder gar Syntagmen, die als Negationsfunktion ausübend vorgestellt
w e r d e n 3 . Was eine Negation wirklich ist, wird aber nirgends gesagt. Obwohl
jeder intuitiv zu wissen glaubt, was m a n sich darunter vorzustellen hat, bleibt
diese Unterlassung nicht ohne schwerwiegende Folgen: das Inventar dessen,
was „ N e g a t i o n " genannt wird, fällt von Werk zu Werk verschieden aus. So
führt Girault-Duvivier u n t e r diesem Titel z. B. Lexien wie moins, pis, pire,
moindre, autre, autrement, rarement, sinon usw. auf, die sicherlich ein nega-
tives Element oder etwas Ähnliches enthalten; aber sind sie deswegen schon
Negationen? Die meisten modernen Grammatiker würden dies sicherlich ver-
neinen, u n d sie würden auch die Berücksichtigung von F o r m e l n wie âme qui
vive, qui que ce soit, de ma vie, de longtemps usw. im Inventar von Grevisse
beanstanden. Es ist offensichtlich, daß man die Negation nicht durch ein In-
ventar definieren k a n n ; das, was ins Inventar a u f g e n o m m e n werden kann
oder m u ß , hängt im Gegenteü von der Definition ab, die man dem Terminus
„ N e g a t i o n " zugrundelegt.

3 Mehr oder weniger gleich gehen z. B. vor: J . - C . Chevalier et al., Grammaire Larousse
du français contemporain, Paris 1964, § 6 2 2 ss.; R.-L. Wagner - J. Pinchon, Grammaire
du français classique et moderne, Paris 1962, § 4 6 9 / 7 0 ; Ph. Martinon, Comment on
parle en français, Paris 1927, p. 5 2 6 ss.; G. und R. Le Bidois, Syntaxe du français
moderne II, Paris 2 1 9 6 7 , § 9 8 3 / 8 4 ; C. de Boer, Syntaxe du français moderne, Leiden
' 1947, p. 17ss.; G. Gougenheim, Système grammatical de la langue française, Paris
1939, p. 2 5 9 ss.; usw.
46 P. Wunderli

Ein anderer Versuch, das Wesen der Negation zu erfassen, wurde von Fer-
dinand Brunot in seinem berühmten Werk La pensée et la langue4 unternom-
men. Das Ziel dieses Buches ist es, die grammatischen und syntaktischen
Mittel des Französischen unter einem onomasiologischen Gesichtspunkt dar-
zustellen5 . Leider wird die Art und Weise, wie Brunot zu seinen logischen
Kategorien gelangt, kaum diskutiert; wir erfahren nur, daß sie der Psycholo-
gie und der Logik entstammen — nicht etwa der Psychologie und der Logik,
die Brunot „rein" nennt, sondern einer „psychologie ou . . . logique reflé-
tées dans le langage d'un peuple."6 Im Rahmen dieser Onomasiologie auf
vorwissenschaftlicher Basis wird die Negation folgendermaßen dargestellt:

Lorsqu'on veut répondre négativement c'est non qu'on emploie dans la langue
soit ancienne, soit moderne: Venez-vous? Non. On nie purement et simplement
la chose énoncée. Cette formule essentielle se suffit à elle-même.
Brunot, La pensée et la langue, p. 494

Durch einen Rückgriff auf die Etymologie wird in der Folge die Partikel ne
(und ihre Zusammensetzungen) zu non in Beziehung gesetzt. Diese Art, die
Negation zu behandeln, ruft ebenso nach Vorbehalten wie die Versuche von
Girault-Duvivier, Grevisse und vielen anderen. Sicher, Brunot hat nicht den
Fehler begangen, die Negation durch eine mehr oder weniger vollständige
Aufzählung der Negationszeichen definieren zu wollen. Aber ist die Zuflucht
zur Etymologie etwa weniger anfechtbar? Überdies bringt Brunots Vorge-
hen erneut keine Definition dessen, was die Termini nier, négation für den
Linguisten bedeuten: er versucht nirgends, ihre populäre, vorwissenschaft-
liche Bedeutung durch eine wissenschaftliche Definition zu ersetzen7.

4 F. Brunot, La pensée et la langue, Paris ^1965 ( 3 e tirage).


5 Cf. Brunot, La pensée et la langue, p. VII: „Ce que j'ai voulu, c'est présenter un ex-
posé méthodique des faits de pensée, considérés et classés par rapport au langage,
et des moyens d'expression qui leur correspondent"; p. XVIII: „Entre les formes les
plus diverses de l'expression, entre les signes les plus disparates, il y a un lien, c'est
l'idée commune que ces signes contribuent à exprimer"; p. XX: „II faut se résoudre
à dresser ses méthodes de langage, où les faits ne soient plus rangés d'après l'ordre
des signes, mais d'après l'ordre des idées".
6 Cf. Brunot, La pensée et la langue, p. XX: „II ne s'agit pas du tout d'empiéter sur
la psychologie, ni de faire de la grammaire une branche de la philosophie. Si je
cherche à la reconstituer, c'est pour elle-même, pour ses fins propres comme par
ses moyens propres. Le résultat sera toujours de faire apparaître des dissemblances
profondes entre la psychologie ou la logique d'une part, de l'autre la psychologie
ou la logique reflétées dans le langage d'un peuple".
7 Cf. dazu auch G. Barnicaud, M . - A . Compare, O. Ducrot, A. Vidal, Le problème
de la négation dans diverses grammaires françaises, Langages 7 (1967), 59.
Der Prosatz „non" 47

Außerdem leidet die Darstellung der Beziehungen zwischen non und sei-
nem Kontext unter einigen recht ärgerlichen Ungenauigkeiten. Brunot be-
hauptet, daß einfach der „ausgesagte Inhalt" verneint werden müsse, um ne-
gativ zu antworten. Aber was ist dieser „ausgesagte Inhalt"? Etwa das außer-
sprachliche Faktum „X vient" oder sogar „je viens"? Aber dieses Faktum
wird nicht als solches gesagt; das, was ausgesagt wird, ist eine Frage, die sich
auf dieses Faktum bezieht. Oder sollte Brunot an die Frage Venez-vous?
denken, wenn er von „ausgesagtem Inhalt" spricht? Eine solche Interpre-
tation ist nicht weniger unbefriedigend, denn wir werden sehen 8 , daß non
nicht einem „venez-vous + Negation" (-> ne venez-vous pas?) gleichgesetzt
werden darf.
Wir müssen somit festhalten, daß Brunots Analyse der Beziehungen zwi-
schen der Negation und ihrem Kontext unzureichend ist, und daß es ihm
auch nicht gelungen ist, das Gebiet der Negation befriedigend abzugrenzen.
Dieser Mißerfolg zeigt uns nochmals, daß eine exakte Definition dessen, was
man unter Negation verstehen will, unabdingbare Voraussetzung für die wis-
senschaftliche Untersuchung dieses Phänomens ist; überdies muß herausge-
arbeitet werden, worauf eine Negation sich nun wirklich bezieht. Hierfür
scheint es mir unumgänglich, auf die Logik zu rekurrieren — allerdings nicht
im Sinne von Brunot, sondern in demjenigen von Charles Bally, Ducrot —
Todorov usw. 9 Eine logische Aussage besteht aus einem Argument (z. B.
Pierre) und einem Prädikat (z. B. dort). Die Gesamtheit von Argument und
Prädikat kann man ein Diktum nennen {Pierre + dort). Das Diktum darf nun
aber noch nicht der Aussage gleichgesetzt werden. Diese enthält außer dem
Diktum noch eine Stellungnahme des Sprechers zum existentiellen Charakter
des Diktums. Dieses existentielle Urteil wird Modus oder Modalität genannt;
es kann affirmativ, negativ, interrogativ, imperativ usw. sein und manifestiert
sich auf der Ebene des Satzes durch das, was Coseriu als „ontische Bedeu-
tung" bezeichnet 1 0 . Wir können also sagen, daß sich eine Aussage aus Modali-
tät und Diktum zusammensetzt, wobei das Letztere seinerseits in Argument
und Prädikat zerfällt. Wenn wir nun wieder zu unserem Beispiel zurückkeh-
ren, so stellen wir fest, daß die Aussage Pierre dort ein Argument (Pierre)
und ein Prädikat (dort) enthält, die zusammen das Diktum bilden, und au-
ßerdem eine Modalität, welche in diesem Fall diejenige der Affirmation ist.
Nun wird in unserem Beispiel die Modalität (oder ontische Bedeutung) in

8 Cf. p . 56 SS.
9 Cf. Ch. Bally, Linguistique générale et linguistique française, Berne ^1965, § 27 ss.;
O. Ducrot - T. Todorov, Dictionnaire encyclopédique du langage, Paris 1972, p.
394/95 (cf. auch die bibliographischen Hinweise, p. 397).
10 Cf. E. Coseriu, Die Lage der Linguistik, Innsbruck 1973, p. 10.
48 P. Wunderli

der Redekette durch kein spezifisches Element markiert - Bally spricht des-
wegen von einer „modalité implicite". Aber man kann die Dinge auch an-
ders sehen. Da das Fehlen eines besonderen Merkmals immer bedeutet, daß
wir es mit affirmativer Modalität zu tun haben, könnte man hier von einem
Nullzeichen sprechen: dem signifié ,Affirmation' entspräche ein signifiant 0 1 1 .
Welche Lösung man auch immer wählt, der Entscheid bleibt ohne Konse-
quenzen für die Probleme, die uns hier interessieren. Wichtig für unsere Fra-
gestellung ist, daß die affirmative Modalität immer expliziert werden kann,
indem wir auf lexikalische und syntaktische Mittel zurückgreifen, cf. z. B.:

Il est vrai
Il est juste que Pierre dort.
etc.

Was uns im Bereich des Modus besonders interessiert, ist natürlich die nega-
tive Modalität. Ersetzt man die implizite (Pierre dort) oder die explizite affir-
mative Modalität (il est vrai que Pierre dort) durch eine negative Modalität,
erhält man einen Satz vom Typ II est faux que Pierre dort. In diesem Fall
wird die explizite Negation in erster Linie mit Hilfe lexikalischer Mittel zum
Ausdruck gebracht (être faux); hinzu kommt als sekundäre, von der ersten
abhängige Erscheinung die syntaktische Unterordnung. Die erwähnte Form
stellt die normale Periphrase der logischen Negation dar. Auf sprachlicher
Ebene kann nun eine Konstruktion von Typ Pierre ne dort pas, wo der lexi-
kalischen Negation eine morphosyntaktische Einheit entspricht, als äquiva-
lent angesehen werden. Den beiden Typen gemeinsam ist, daß sie die Aufhe-
bung oder besser Verweigerung der die (reelle oder fiktive) Existenz des Dik-
tums betreffenden Affirmation markieren 12 . Unter diesem Blickwinkel ist die
Negation mit der Frage (Est-ce que vous venez? ) und mit der Bedingung
verwandt (Si tu viens, nous irons au cinéma), obwohl es sich in diesen Fällen
nicht um eine Aufhebung der Verweigerung der Affirmation handelt: bei
der Frage kann man von einer verschobenen oder aufgeschobenen Affirma-
tion sprechen, bei der Hypothese von einer Affirmation, die von der Realisie-
rung einer gegebenen Bedingung abhängig gemacht wird.
Diese logisch begründeten Überlegungen erlauben es uns, ein erstes Ele-
ment der gesuchten Negationsdefinition zu isolieren. Wir halten fest:

11 Cf. zu diesem Problem jetzt auch S. J. Schmidt, Texttheoretische Aspekte der Ne-
gation, ZGL 1 ( 1 9 7 3 ) , 1 7 8 - 2 0 8 , bes. p. 180, sowie den dort erwähnten Interpre-
tationsvorschlag von J. S. Petöfi.
12 Cf. hierzu auch Schmidt, ZGL 1 (1973), 1 7 8 - 2 0 8 , bes. p. 1 8 0 - 1 9 3 .
Der Prosatz „non" 49

Eine Negation ist ein (einfaches oder komplexes) Zeichen, das die Verwei-
gerung der existentiellen Affirmation eines Diktums markiert.

Fügen wir noch hinzu, daß die Modalität, die einem Diktum zugeordnet wird,
immer sprecherabhängig ist: sie hat demnach subjektiven Charakter. Eine
affirmative oder negative Modalität gibt uns a priori keinen Aufschluß über
die objektive Existenz oder Nicht-Existenz des Diktums, sondern nur über
ihre Annahme bzw. Nicht-Annahme durch das modale Subjekt (Sprecher) 13
Nach diesem Exkurs in den Bereich der Logik kommen wir zu unserer
eigenen Fragestellung zurück. Vom linguistischen Standpunkt aus ist die er-
arbeitete Definition der Negation deshalb noch unbefriedigend, weil sie es er-
laubt, unter dieser Bezeichnung alle möglichen Erscheinungen zu klassieren,
denen auf der Ebene des Sprachsystems die verschiedensten Grundwerte zu-
kommen. Es ist eine derart weitgefaßte (implizite) Negationskonzeption, die
es z. B. Ferdinand Brunot erlaubt, auch Ausdrücke wie allons donc!, par exem-
ple! oder joliment! in den folgenden Beispielen als Negationen zu bezeich-
nen 1 4 :

Allons donc! je vous dis que j'ai de bonnes raisons pour savoir que cela ne se
peut pas.
Musset, Lorenzaccio, IV/10

Ma faute à moi, par exemple!


Donay, La Patronne, III/3

La duchesse une amie! . . . Oui, joliment!


Daudet, L'immortel, 9

Weitere Ausdrücke dieser Art wären il n'y a pas de danger!, justement!, tu


parles!, usw. Es soll nicht bestritten werden, daß in den obigen Kontexten
allons donc!, par exemple! und joliment! eine Funktion ausüben, die in et-
wa mit derjenigen einer Negation vergleichbar ist. Aber erlaubt uns diese
Feststellung bereits, diese Ausdrücke zusammen mit non, ne pas usw. zu

13 Unsere Definition des negativen Satzes gleicht in gewisser Hinsicht den von Dubois-
Lagane und Wartburg - Zumthor gegebenen Bestimmungen. Cf. J. Cubois - R. La-
gane, La nouvelle grammaire du français, Paris 1973, p. 163: „Une phrase négative
est une phrase où on nie une affirmation"; W. v. Wartburg - P. Zumthor, Précis
de syntaxe du français contemporian, Berne 21958, p. 43: „La phrase négative
exprime l'inexistence d'un fait. Elle implique une attitude spéciale d'esprit chez le
sujet parlant; celui-ci infirme un jugement qui pourrait être porté par un autre . . ."
- Vgl. auch Schmidt, ZGL 1 (1973), 180 ss.
14 Cf. Brunot, La pensée et la langue, p. 501; cf. auch Tesnière, Eléments, § 8 8 / 1 1 - 1 2 .
50 P. Wunderli

klassieren, sie als eigentliche Negationen zu betrachten? Dies scheint mir


mehr als zweifelhaft, v. a., wenn man bedenkt, daß im dritten der zitierten
Beispiele eigentlich nicht joliment, sondern oui, joliment mit non kommit-
tiert; oui, das affirmative Antonym zu non, müßte somit ebenfalls zu den Ne-
gationen gerechnet werden, was vom paradigmatischen Gesichtspunkt aus
offensichtlich unsinnig ist! Um die Schwierigkeiten in den Griff zu bekom-
men, müssen wir konsequent zwischen der Ebene der langue und derjenigen
des discours unterscheiden. Zeichen wie non, ne . . . pas usw. sind negativ
auf der Ebene der langue, die Negativität ist ein Teil ihres Grundwertes. Ganz
anders liegen die Dinge bei den von Brunot zitierten Ausdrücken. Wenn wir
sie durch non ersetzen, bewahren wir zwar das negative Element des Aus-
drucks, in stilistischer Hinsicht kommen wir jedoch zu einem ganz anderen
Resultat: wir verlieren das affektische Element. Der affektische Charakter
aber ergibt sich aus der Tatsache, daß allons donc! usw. nur auf der Ebene
des discours Negationen sind: kontextuelle Determinationen verformen einen
anderen Grundwert in Richtung auf einen negativen Nutzwert hin. Man könn-
te deshalb von okkasioneller Negation sprechen oder besser noch von negati-
vierendem Gebrauch; auf jeden Fall handelt es sich nicht um Zeichen, denen
der negative Charakter bereits auf der Ebene der langue zukommt 1 5 . Was un-
sere Definition der Negation betrifft, so ist ihr eine Einschränkung beizufügen,
die es erlaubt, die okkasionellen Negationen auszuschließen und nur Zeichen
zu berücksichtigen, deren Grundwert ( > langue) die Negativität einschließt.
Eine zweite Einschränkung drängt sich auf. Die oben besprochenen okka-
sionellen Negationen wie auch die logischen Negationsperiphrasen vom Typ
il est faux que, c'est une erreur que usw. realisieren den negativen Sinneffekt
der Aussage aufgrund von lexikalischen Einheiten; benutzt man hingegen
non, ne . . . pas usw., bedient man sich morpho-syntaktischer Elemente. Daß
lexikalische und morpho-syntaktische Einheiten oft miteinander konkurrieren,
ist eine bekannte Tatsache, und auf der Ebene einer semantischen Satz- und
Textanalyse müßte man selbstverständlich beide Möglichkeiten zur Verwei-
gerung der existentiellen Affirmation eines Diktums gleichberechtigt behan-
deln. Da wir uns aber vorgenommen haben, eine syntaktische Analyse des
Negationsphänomens durchzuführen, sind wir gezwungen, die negativen lexi-
kalischen Einheiten auszuschließen.
Unsere endgültige Definition der morpho-syntaktischen Negation sieht des-
halb folgendermaßen aus:
15 Wenn m a n das Vorgehen von Brunot mit äußerster Konsequenz weiterführen wür-
de, sähe man sich gezwungen, auch jeden mit ironischem U n t e r t o n ausgesprochenen
Satz zu den Negationen zu stellen. Die Beschreibung des sprachlichen Modalsystems
würde damit schlechterdings unmöglich.
Der Prosatz „non" 51

Eine Negation ist ein (einfaches oder komplexes) Morphem, dessen auf der
Ebene der langue gegebene Funktion darin besteht, die existentielle Affirma-
tion eines Diktums zu verweigern.
Wir betrachten als Negation also nur das, was Lucien Tesnière die marquants
de la négation16 nennt, d.h. diejenigen Zeichen, denen die Negationsfunktion
auf der Ebene der langue zukommt und die zu geschlossenen Paradigmen
gehören.
Wir haben somit den Bereich der Negation genau umrissen; es bleibt uns
die Aufgabe, den Platz zu definieren, den non in diesem Bereich einnimmt —
ein Problem, das eng mit der Frage zusammenhängt, was denn eigentlich durch
die verschiedenen Negationen verneint wird. Unsere Klassifikation von non
erfolgt aufgrund von zwei Kriterien. In einem ersten Schritt werden wir non
und dessen Ersatzformen (non pas, pas du tout, point du tout etc.) den Ne-
gationen vom Typ ne.. . pas, ne. . . point gegenüberstellen. Diese Oppo-
sition kann zunächst in syntagmatischer Hinsicht definiert werden. Non bil-
det ein Paradigma mit den Morphemen oui und si, und wie diese übt es für
sich allein die Funktion eines Satzes bzw. Teilsatzes aus 17 : Es steht in Kor-
relation entweder mit der Intonation eines autonomen Aussage-, Ausruf- oder
Fragesatzes, oder aber mit derjenigen des affigierten Elements (A) eines seg-
mentierten Satzes (Typ AZ oder ZA) 1 8 . Wenn non durch seine Satzfunktion
charakterisiert ist, so liegen die Dinge bei ne . . . pas usw. anders. Ein ein-
faches Beispiel wie Pierre ne dort pas und die Unmöglichkeit, mit ne . . . pas
allein eine nicht-metasprachliche Aussage zu machen, beweisen zur Genüge,
daß dieser Negationstypus immer Bestandteil eines Satzes oder Teilsatzes sein
muß, der auf anderen sprachlichen Einheiten beruht. Wir können also mit L.
Bloomfield sagen, daß ne. . . pas eine gebundene, non dagegen eine freie
Form sei 19 .
Indessen unterscheiden sich unsere beiden Negationen nicht nur durch ihren
freien (phrastischen) bzw. gebundenen (nichtphrastischen) Charakter, sondern
auch aufgrund der recht unterschiedlichen Beziehungen, die in diesen beiden

16 Cf. L. Tesniere, Elements de syntaxe structurale, Paris "4966, p. 217.


17 Cf. auch die Grammaire Larousse du français contemporain, §623: „II [sc. non] joue
le rôle d'une proposition à un terme et alterne avec oui et Grevisse, Bon usage,
§ 874 a: ,JVon a, dans les réponses et ailleurs, la valeur d'une proposition reprenant
de façon négative une idée, une proposition; . . .";Dubois-Lagane, La nouvelle grammaire
du français, p. 165: „L'adverbe négatif non peut constituer à lui seul l'équivalent
de toute une phrase négative . . ."; usw.
18 Zum segmentierten Satz cf. Bally, LGLF, § 79ss.
19 Cf. L. Bloomfield, Language, London 2 1935, p. 160.
52 P. Wunderli

Fällen zwischen Negation und Diktum bestehen. Ein Satz wie Pierre ne dort
pas kann in allen möglichen Kontexten vorkommen: er kann die Antwort
auf eine Frage vom Typ Est-ce que Pierre dort? bilden, er kann ein Korrek-
turelement zu einer vorhergehenden Affirmation vom Typ Pierre dort dar-
stellen, er kann eine einfache Feststellung im Rahmen einer gegebenen Situa-
tion auch ohne sprachlichen Kontext zum Ausdruck bringen, usw. Schon die-
se Beispiele genügen, um deutlich zu machen, worauf es hier ankommt: die
Bedeutung des Satzes Pierre ne dort pas bleibt immer gleich, sie ist unabhängig
vom Kontext 20 . Aus diesen Gegebenheiten folgt, daß das negierte Diktum Be-
standteil desselben Satzes ist wie die Negation ne . . . pas selbst; die Reichwei-
te dieser Negation überschreitet offensichtlich die Grenzen des Satzes bzw.
Teilsatzes nicht. Deshalb werden wir diesen Negationstypus — in Anlehnung
an die Terminologie der Kopenhagener Schule21 — homonex nennen, d. h.
,auf denselben Nexus (= Satz bzw. Teilsatz) bezogen'.
Wenn wir jetzt auf unser altes Beispiel Venez-vous? - Non zurückkommen,
so ist auf Anhieb klar, daß die Beziehungen zwischen Negation und Diktum
hier anderer Art sind. Wir haben gesagt, non sei ein freies Morphem und übe
für sich allein Satzfunktion aus. Obwohl wir die Frage, welches nun eigentlich
bei diesem Negationstyp das negierte Diktum sei, noch nicht gelöst haben,
könne wir gleichwohl schon jetzt feststellen, daß die Bedeutung dieses ein-
gliedrigen Satzes nicht unabhängig vom Kontext ist. In den Beispielen:
Venez-vous? - Non.
Sors! - Non.
II s'est endormi. - Non.

muß diese Bedeutung je nach Kontext mit ,Je ne viens pas', ,Je ne sors pas'
oder ,11 ne s'est pas endormi' umschrieben werden. Die Bedeutung von non
hängt also vom Kontext ab. Überdies wird das von der Negation betroffene
Diktum nicht im von diesem Morphem gebildeten Satz expliziert, und die
gleiche Feststellung trifft auch auf segmentierte Sätze wie non, je ne viens
pas zu. Die Reichweite dieser Negation geht also über die Satzgrenzen hinaus;
non betrifft ein Diktum, das außerhalb des monoremen negativen Satzes liegt 22 .

20 Diese Feststellung gilt aber nur für diejenigen Kontexte, die ich „normal" nennen
würde; sie trifft nicht zu für metasprachliche, metaphorische, ironische usw. Kontex-
te.
21 Zur Definition von Nexus cf. K. Togeby, Structure immanente de la langue française,
Paris ^ 1965, p. 67: „Nexus: syntagme caractérisé par des morphèmes extenses (ver-
baux)"; für die Termini homonex und heteronex cf. z. B. G. Boysen, Subjonctif et
hiérarchie, Odense 1971, p. 16, 26, 32, 40.
22 Für den Terminus Monorem (= eingliedriger Satz) cf. Bally, LGLF, § 49; A. Seche-
haye, Essai sur la structure logique de la phrase, Paris ^1950, p. 9 ss.
Der Prosatz „non" 53

Wir tragen diesen Gegebenheiten Rechnung, indem wir den vorliegenden Ne-
gationstypus als heteronex bezeichnen.
Eine homonexe Negation ist demnach eine Negation, die ein Diktum be-
trifft, das in demselben Satz wie das Negationsmorphem zum Ausdruck ge-
bracht wird, eine heteronexe Negation dagegen bezieht sich auf ein Diktum,
das im Kontext des Negativsatzes steht. Für die transphrastische Syntax und
damit fur die Textlinguistik ist v. a. dieser zweite Typ von Interesse23.
Bleibt das zweite Klassifikationskriterium, das sowohl im Bereich der homo-
nexen wie in demjenigen der heteronexen Negation zum Tragen kommt. Be-
ginnen wir mit der heteronexen Negation, da hier die Gegebenheiten leichter
zu fassen sind. Eine Negation kann sich auf einen ganzen Satz beziehen, oder
besser: der Kern dieses Satzes, d.h. das Verb, kann ihr untergeordnet sein 24 .
Dies ist der Fall in den Sätzen Pierre ne vient pas, Pierre ne vend pas sa voi-
ture, Pierre ne part pas demain usw. Da das zentrale Element des Satzes von
der Negation dominiert wird, betrifft diese nicht nur das Verb allein, sondern
indirekt auch alle anderen Positionen, die von diesem Kern abhängig sind, d. h.
die Aktanten und die Zirkumstanten. Greift man auf die Terminologie zu-
rück, die die traditionelle Grammatik im Bereich der Frage benutzt, so könn-
te man von einer totalen Negation sprechen25 ; da wir aber bereits den Termi-
nus Nexus verwendet haben, um den Satzkern zu bezeichnen, ziehe ich es vor,
diesen Typus nexuelle Negation zu nennen 26 . Eine Negation muß sich indes-
sen nicht unbedingt auf einen Nexus als Ganzes beziehen, sie kann auch nur

23 Schmidt, ZGL 1 (1973), 184 ss. bespricht den Fall der homonexen Negation dt.
nicht, deren Bezugselement (eines der verschiedenen Satzglieder) erst aufgrund von
Kontext- und/oder Situationsindikatoren festgelegt würde. Hier liegt zweifellos ein
textlinguistisches Problem vor, aber meiner Auffassung nach nicht eines, das die (ho-
monexe) Negation als solche betrifft: negiert wird immer der nicht enthaltende Satz
als Ganzes; alles Weitere ist ein Problem der Hervorhebung bzw. der Thema-/Rhema-
struktur des Textes. Dies gilt selbst für die Stellung von nicht, die von dieser Thema-/
Rhemastruktur abhängig ist; gleichwohl negiert nicht nie etwas anderes als den
Satz als Ganzes (cf. auch den Fall des Französischen, wo die Stellung von ne . . . pas
etc. fest ist, sich aber aufgrund von Hervorhebung bzw. Thema-/Rhemastruktur die
gleichen Sinneffekte erzielen lassen wie im Deutschen mit „beweglichem" nicht).
24 Mit Tesnière und der Valenzgrammatik betrachte ich das Verb als das Zentrum des
Satzes; cf. Tesnière, Eléments, p. 11 ss.
25 Cf. Wagner-Pinchon, Grammaire du français classique et moderne, p. 389 ss.
26 Nach Tesnière, Eléments, p. 218 ss. betrifft die Negation vom Typ Piere ne vient
pas die Konnexion zwischen Subjekt und Verb, d. h. sie wäre eigentlich dem Verb
untergeordnet (cf. auch G. Bamicaud, M . - A . Compare, O. Ducrot, A. Vidal, Le
problème de la négation dans diverses grammaires françaises, Langages 7 [ 1 9 6 7 ] ,
5 7 - 8 3 , besonders p. 65 ss.). Diese Auffassung scheint mir aber wenig adäquat zu
sein, denn sie erklärt nicht, warum in diesem Fall die Negation auch für den zwei-
54 P. Wunderli

eine der nicht verbalen Positionen des Satzes betreffen, d. h. einen der Ak-
tanten oder Zirkumstanten 27 . Hier einige Beispiele mit Angabe des Elements,
auf das sich die Negation bezieht:

Personne n'est venu 1. Aktant (Subjekt)


Je ne vois rien 2. Aktant („Akkusativobjekt")
Je ne pense à rien 3. Aktant („Dativobjekt")
Il ne vient jamais temporaler Zirkumstant
Je ne le trouve nulle part lokaler Zirkumstant

ten Aktanten, den dritten Aktanten und die Zirkumstanten Gültigkeit hat; es ist
offensichtlich, daß die nexuelle Negation dem Verb übergeordnet sein muß (cf. hier-
zu auch H.-J. Seiler, Zum Problem der sprachlichen Possessivität, Köln 1972 [Arbeitspa-
pier 20 des Instituts für Sprachwissenschaft der Universität Köln], p. 6; Wunderli, Die
Teilaktualisierung des Verbalgeschehens [Subjonctif] im Mittelfranzösischen, Tübingen
1970, p. 203 u. passim). Indem ich Guillaumes Inzidenztheorie dahingehend mo-
difiziere, daß ich das Verb (anstelle des Subjekts) ins Zentrum des Satzes stelle und
indem ich für das Verb eine neue Inzidenz auf die Sprecherorigo (Bühler) einführe (akti-
vatorische Inzidenz), kann ich die Negation ne . . . pas als die Inzidenz Verb - Spre-
cherorigo betreffendes Adverb auffassen. Die graphische Darstellung eines Satzes
wie Pierre ne vend pas sa voiture müßte dann folgendermaßen aussehen:

X (Sprecher-Origo)

(Neg.)
ne . . . pas ^

vend

Pierre (sa) voiture

Zur Inzidenztheorie Guillaumes cf. Leçons de linguistique de Gustave Guillaume,


p.p. R. Valin, 1 9 4 8 - 1 9 4 9 , série B: Psycho-systématique du langage. Principes, mé-
thodes et applications I, Paris 1971, p. 149 ss. und v. a. G. Moignet, L'incidence
de l'adverbe et l'adverbialisation des adjectifs, TLL 1 (1963), 175 ss. Cf. auch un-
sere kritischen Bemerkungen in VRom.32 (1973), 1 - 2 1 .
Da für mich die Negation ne . . . pas nicht nur die Konnexion Verb - Subjekt
betrifft, sondern den Nexus als Ganzes, ersetze ich Tesnières Bezeichnung konnexio-
neile Negation durch nexuelle Negation.
27 Für die Termini Aktant und Zirkumstant vgl. Tesnière. Eléments, p. 102. - Die
Behauptung bei Schmidt, ZGL 1 (1973), 187 s., selbst eine nukleare Negation ent-
spreche letztlich immer einer nexuellen, scheint mir nicht zuzutreffen (cf. Pierre ne
voit pas X i Pierre ne voit personne [ Pierre voit que personne n'est là] ; usw.).
28 Cf. auch Tesnière, Eléments, p. 217/18.
Der Prosatz „non" 55

Die verschiedenen Positionen des Satzbauplanes werden bei Tesnière als Nu-
klei bezeichnet 2 9 . Da bei diesem Negationstypus ein Nukleus allein, unter Aus-
schluß der übrigen Satzelemente, von der Negation betroffen ist, werden wir
mit Tesnière von einer nuklearen Negation sprechen 3 0 .
Man kann dieselbe Unterscheidung zwischen nexueller und nuklearer Ne-
gation auch im heteronexen Bereich machen. In unserem Beispiel „ Venez-
vous? - Non. " haben wir das Element non mit je ne viens pas umschrieben;
es entspricht also einer nexuellen Negation im homonexen Bereich und ist
deshalb selbst als nexuell zu bezeichnen; dasselbe gilt fur die Ersatzformen
non pas, pas du tout usw. Die Einheiten jamais, rien, nulle part usw. können
ebenfalls allein als Satz fungieren; in diesem Fall beziehen sie sich aber auf
ein in einem anderen Satz ausgedrücktes Diktum und müssen zu den hetero-
nexen Negationen gezählt werden, cf. z.B.:

Est-ce que tu l'as revue? - Jamais.


Qu'est-ce que tu fais'.' - Rien.
Où est-il allé? - Nulle part,
usw.

Die obigen Antworten können umschrieben werden mit je ne l'ai jamais revue,
je ne fais rien, il n 'est allé nulle part. Heteronexes jamais, rien, nulle part,
personne usw. entsprechen somit nuklearen Negationen im homonexen Be-
reich und sollen deshalb ebenfalls als nuklear bezeichnet werden.
Nachdem wir bereits definiert haben, was für uns eine Negation ist, können
wir nun non auch noch genau situieren im Bereich der französischen Nega-
tion:

Non ist eine nexuelle heteronexe Negation.

2. Wir haben uns vorgenommen, im zweiten Teil unserer Ausfuhrungen das


Funktionieren der Negation non aus der Sicht der transphrastischen Syntax
zu untersuchen und die Rolle, die diese Partikel für die Textkonstitution
spielt, herauszuarbeiten 3 1 . Unsere Überlegungen müssen zweifellos von der

29 Vgl. Tesnière, Eléments, p. 45 (14, 39).


30 Obwohl letztlich auch das Verb ein Nukleus des Satzes ist, kann die dieses betreffen-
de Negation nicht zu den nuklearen Negationen gezählt werden: aufgrund der beson-
deren Stellung des Verbs im Satz hat sie immer für den gesamten Nexus Gültigkeit.
31 Die folgenden Überlegungen sind auch für die Morpheme, die non ersetzen können,
gültig: pas du tout, point du tout, non pas, du tout etc. Diese Formen unterschei-
den sich von non durch ihren affektischen Charakter und/oder durch die Zugehö-
56 P. Wunderli

Feststellung ausgehen, daß non eine heteronexe Negation ist, d. h. daß es ein
Diktum verneint, das außerhalb des negativen monoremen Satzes zum Aus-
druck gebracht wird. Aus dieser Charakterisierung werden sich alle für die
transphrastische Syntax wesentlichen Aspekte ergeben. Bevor wir diese prä-
sentieren können, müssen wir aber noch ein anderes Problem lösen: die Fra-
ge nach dem Diktum, das durch non negiert wird.
Es ist vollkommen unmöglich zu sagen - wie dies z. B. Ferdinand Brunot
tut —, non negiere „purement et simplement la chose énoncée". Gehen wir
von einem literarischen Beispiel Molières Misanthrope aus:

Philinte

La sincère Eliante a du penchant pour vous,


La prude Arsinôé vous voit d'un œil fort doux:
Cependant à leurs vœux votre âme se refuse,
Tandis qu'en ses liens Célimène l'amuse,
de qui l'humeur coquette et l'esprit médisant
Semble si fort donner dans les mœurs d'à présent.
D'où vient que, leur portant une haine mortelle,
Vous pouvez bien souffrir ce qu'en tient cette belle?
Ne sont-ce plus défauts dans un objet si doux?
Ne les voyez-vous pas? ou les excusez-vous?

Alceste
Non, l'amour que je sens pour cette jeune veuve
ne ferme point mes yeux aux défauts qu'on lui treuve,

Misanthrope 1/1 (v. 2 1 5 - 2 2 6 )

Die Negation non kann sich nur auf den Stimulus „(ou) les excusez-vous? "
beziehen, denn auf die vorhergehenden Fragen müßte man mit si antworten.
Non stellt nun aber sicherlich weder die Negation von „les excusez-vous? "
(-»«e les excusez vous pas? ) noch diejenige des affirmativen Gegenstücks
„vous les excusez" ( -*• vous ne les excusez pas) dar. Diese Feststellung machen
wir zunächst einmal rein intuitiv, aber wir müssen uns nicht damit begnügen:
es ist möglich, einen linguistischen Beweis zu erbringen. Dieser Beweis beruht
auf der Tatsache, daß eine heteronexe Negation im Rahmen eines segmentier-
ten Satzes immer von einer homonexen Negation wieder aufgenommen wer-
den kann. Diese redundante Weise des Negationsausdrucks hat den großen

rigkeit zu einer anderen Stilschicht, z.B.: pas du tout: besondere Betonung der Ne-
gation; non pas, non point: besondere Betonung und (regionaler oder literarischer)
Archaismus; du tout: besondere Betonung und familiär.
Der Prosatz „non" 57

Vorteil, daß so das Diktum expliziert wird, das der heteronexen Negation zu-
gründe liegt: beide Negationen beziehen sich ja auf den gleichen Tatbestand,
Hier noch ein weiteres literarisches Beispiel aus dem Misanthrope, das dieses
Phänomen illustriert:

Oronte

Vous me flattez, et vous croyez peut-être . . .

Philinte

Non, je ne flatte point.


Misanthrope 1/2 (v. 3 3 7 / 3 8 ) 3 2

Wenn im zweiten Beispiel non einem je ne flatte pas/point entspricht, muß


es im ersten Fall mit je ne les excuse pas gleichgesetzt werden. In beiden Fäl-
len ist das Diktum offensichtlich (je flatte, je les excuse) nicht mit dem Stimulus
(vous [me] flattez; les excusez-vous? ) identisch, aber es ist nicht weniger klar,
daß zwischen Stimulus und Diktum regelmäßige Beziehungen existieren. Wir
können also sagen, das Diktum der Negation non sei eine Ableitung aus dem
Stimulus — vorausgesetzt, es gelingt uns, die Regeln dieses Ableitungsmechanis-
mus offenzulegen. Es handelt sich um deren zwei. Um den Stimulus in ein
Diktum zu verwandeln, muß man v. a. von der Ausgangsmodalität abstrahie-
ren. Ganz gleichgültig, ob es sich um eine Frage, einen Befehl, eine Negation
usw. handelt, die Modalität des Stimulus muß immer durch die das Diktum
an sich charakterisierende affirmative Modalität (0-Modalität) ersetzt wer-
den. Zum zweiten muß man die Tatsache berücksichtigen, daß die gramma-
tische Person eine deiktische, von der Sprecherorigo abhängige Kategorie
ist. Findet ein Sprecherwechsel zwischen Stimulus und Antwort statt, müssen
die Personalpronomina dem neuen Sprechersystem angepaßt werden. So wird
eine 2. Person in eine 1. oder eine 1. Person in eine 2. umgesetzt 33 ; nur die
3. Personen bleiben im Prinzip unverändert (cf. z. B. Est-il venu? — Non,
il n'est pas venu)3*.

32 Hinsichtlich des Stimulus haben wir hier eine kleine Abweichung aufgrund der Tat-
sache, daß das Objektspronomen bei der homonexen Negation implizit bleibt; für
unsere weitere Argumentation spielt dies jedoch keine Rolle.
33 Wenn der Stimulus in der Höflichkeitsform steht (Pl.), muß in der Antwort auch
der Plural des Stimulus durch den Singular ersetzt werden; die umgekehrte Erschei-
nung findet man dann, wenn die erste Person des Stimulus sich auf eine Person
bezieht, die der zweite Sprecher in der Höflichkeitsform anzusprechen pflegt (cf.
Suis-je fou? - Non, vous n'êtes pas fou).
34 Diese Feststellung ist nicht ohne Ausnahme. Es kommt vor, daß in bestimmten Si-
tuationen nicht der Angesprochene, sondern der Besprochene auf den Stimulus rea-
58 P. Wunderli

Wir stellen also fest, daß der monoreme Satz non mit mindestens einem
Satz seines Kontextes durch Suppletionsmechanismen verbunden ist. Vom
Standpunkt der transphrastischen Syntax aus ist es nun wichtig zu wissen,
ob diese Beziehung eine Beziehung nach rückwärts, d. h. mit dem, was vor-
ausgeht (Anapher), oder ob es sich um eine Beziehung nach vorwärts, d.h.
mit dem, was folgt, handelt (Katapherj. In allen bisher behandelten Beispie-
len ging non im Text ein wirklicher Stimulus voraus, der nach unserer In-
terpretation die für die Rekonstruktion des Diktums notwendigen Elemente
enthielt. Wir können somit sagen, non besitze auf jeden Fall die Fähigkeit,
als anaphorische heteronexe Negation zu fungieren. Aber ist dieser anapho-
rische Charakter obligatorisch? Handelt es sich um einen charakteristischen
Zug, der non auf der Ebene der langue zukommt? Diese Frage muß verneint
werden. Es gibt nicht nur keine zweite Negation gleicher Art, die die kata-
phorische Relation markieren würde, es läßt sich auch nicht übersehen, daß
— trotz des viel häufigeren anaphorischen Gebrauchs — non auch in Kon-
texten vorkommt, wo das Diktum nur aufgrund des Nachfolgenden ergänzt
werden kann 3 5 . Hierfür nochmals zwei aus dem Misanthrope stammende Bei-
spiele. Der vierte Akt dieser Komödie beginnt folgendermaßen:

Philinte

Non, l'on n'a point vu d'âme à manière si dure,


ni d'accommodement plus pénible à conclure:

Misanthrope IV/1 (v. 113/34)

Auf der Ebene des Textes geht dem non nichts voran; die Zäsur zwischen dem
dritten und dem vierten Akt ist absolut, denn die Personen auf der Bühne
wechseln zwischen III/5 und IV/1 — es gibt also keine Möglichkeit, eine Be-
ziehung zu einem Stimulus in der vorhergehenden Szene herzustellen. Um das
Diktum, auf das sich non bezieht, zu rekonstruieren, müssen wir uns an das
Nachfolgende halten, d. h. an das Element Z des segmentierten Satzes (AZ),
der dem ersten Vers entspricht. Ein ähnlicher Fall findet sich einige Verse
weiter in derselben Szene. Philinte zitiert die Worte Alcestes:

giert (vgl. Il est bête. - [überraschend tritt die besprochene Person auf] Non, je ne
suis pas bête). Sobald der Besprochene das Wort ergreift, müssen auch Pronomina
der dritten Person, die sich auf ihn beziehen, umgesetzt werden.
35 Cf. auch Gaatone, Système, p. 29.
Der Prosatz „non" 59

Philinte

Et jamais différend si bizarre, je pense,


n'avoit de ces Messieurs occupé la prudence.
„Non, Messieurs, disoit-il, je ne me dédis point,
Et tomberai d'accord de tout, hors de ce point.

Misanthrope IV/1 (v. 1 I 3 7 - 4 0 ) 3 6

Nichts, was dieser Szene vorangeht, könnte als Stimulus angesehen werden.
Das Zitat setzt plötzlich ein, Alcestes Worte sind offensichtlich aus ihrem
Originalkontext herausgelöst; um dieses überraschende non zu interpretieren,
müssen wir erneut zum nachfolgenden Text Zuflucht nehmen. In beiden
Fällen liegt somit ein kataphorischer Gebrauch von non vor. Man könnte
natürlich unserer Sicht entgegenhalten, im ersten Fall gebe es sicherlich einen
in unserem Text nur nicht berücksichtigten Stimulus — entweder in Philintes
Gedanken oder in seiner Rede — und im zweiten Fall sei Alcestes Worten im
Originalkontext ganz ohne Zweifel ein Stimulus vorangegangen, der dieses non
hervorgerufen habe. All dies mag zutreffen, ist aber ohne jede Bedeutung für
uns. Wir haben die Aufgabe, den Aufbau und das Funktionieren eines vorge-
gebenen, als solcher autonomen Textes zu beschreiben. Um die beiden non
zu interpretieren, um zu erfahren, auf welches Diktum sich diese Negation
jeweils bezieht, bleibt uns nur die Möglichkeit, den nachfolgenden Kontext
zu befragen. Wir müssen somit festhalten, daß die Negation non im Text eben-
so gut kataphorische wie anaphorische Funktion haben kann. Auf der Ebe-
ne des Sprachsystems ist non neutral in Bezug auf die Opposition anapho-
risch /v/ kataphorisch, es ist nur durch die Verpflichtung zur Kontextbin-
dung charakterisiert; die Richtung dieser Inzidenz wird erst auf Redeebene
festgelegt. Es gibt sogar Fälle, wo non gleichzeitig anaphorische und kata-
phorische Partikel ist, wo man zur Rekonstruktion des Diktums sowohl auf
den vorhergehenden als auch auf den nachfolgenden Kontext rekurrieren
kann; cf. unser bereits zitiertes Beispiel Vous me flattez . . . - Non, je ne
flatte point. Natürlich wird man es bei Beispielen dieser Art im Rahmen einer
spontanen Interpretation von non vorziehen, vom vorangehenden Kontext
auszugehen, aber eine auf dem nachfolgenden Kontext beruhende Interpre-

36 In unseren beiden Beispielen ist das Bezugselement des kataphorischen non ein ne-
gativer Satz (homonexe Negation); obwohl dieser Typ frequenzmäßig dominiert,
ist er nicht der einzig mögliche. Alceste hätte z. B. auch sagen können: „Non . . .
je devrais me dédire? " usw.
60 P. Wunderli

tation ist gleichermaßen möglich und legitim 37 . Der Suppletionsmechanis-


mus fiir das Diktum von non liefert uns also nicht nur zweigliedrige (ana-
phorische oder kataphorische) Satzketten, er kann ebenso auch dreigliedri-
gen (anaphorischen und kataphorischen) Ketten zugrundeliegen38. Wie wir
noch sehen werden, sind diese Ketten nicht unbedingt linear; sie können auch
den Charakter von Büscheln haben.
Und noch eine letzte Bemerkung zur Bildung von Satzketten mittels non.
Wir wissen, daß ein sprachlicher Kontext fast immer durch einen situationei-
len ersetzt werden kann; und dies gilt auch für den Kontext von non. Neh-
men wir folgende Situation: Ich sitze am Tisch einer Bahnhofsgaststätte und
schütte unglücklicherweise mein Bier über die Hose meines Tischnachbarn (den
ich nicht kenne). Dieser ergreift ein Messer und stürzt sich auf mich. Erschrocken
schreie ich: Nein!, was .Stoßen Sie nicht zu' oder etwas Ähnliches bedeutet.
In diesem Beispiel wird das Diktum nirgendwo auf Redeebene expliziert, es
ist vielmehr in der Situation enthalten. In einem solchen Fall ist non offen-
sichtlich nicht an einen Kontext gebunden; man wird vielmehr sagen, daß
dort, wo der sprachliche, eine anaphorische oder kataphorische Interpreta-
tion von non ermöglichende Kontext fehlt, dieses zu einem Instrument wird,
das die Rede in der Situation verankert. Da die Situation in Bezug auf den
Text weder ein Vorher noch ein Nachher darstellt, sondern vielmehr dessen
Grundlage oder Fundament bildet, kann ein auf die Situation verweisendes
non weder anaphorischen noch kataphorischen Charakter haben. Wir nennen
diesen Gebrauch situativ.
Wir können somit vier Funktionen von non auf Text- und Redeebene unter-
scheiden: die anaphorische, die kataphorische, die anaphorisch-kataphorische
und die situative Funktion. Da es sich um Gebrauchstypen handelt, von de-
nen jeder in aktueller Rede in einer unbegrenzten Anzahl von Fällen reali-
siert wird, können wir sagen, diese Typen seien bereits auf der Ebene der
Norm gegeben. Als Einheit auf der Ebene der langue transzendiert das Zei-
chen non die vier Normfunktionen, es kennt die Anwendungsdifferenzierungen
nicht. Um non als Systemeinheit zu charakterisieren, können wir nur auf
diejenigen Züge zurückgreifen, die allen vier Normtypen gemeinsam sind.

37 Sie kann sogar die einzig mögliche sein in Fällen wie dem oben erwähnten Zitat
von Alceste, wo der Stimulus unterdrückt worden ist, oder wenn jemand in einer
Unterhaltung von mehreren Personen das dem non Vorangegangene nicht gehört
oder nicht verstanden hat (Lärm, Unaufmerksamkeit usw.).
38 Es scheint, daß die kettenbildende Kraft sich nach dem ersten Element in beiden
Richtungen (Anapher und Katapher) jeweils erschöpft. Um längere, sich linear fort-
setzende Ketten zu erhalten, muß man auf andere Verknüpfungsmittel zurückgreifen.
Der Prosatz „non" 61

Zu diesen zählt v. a. einmal das Negativitätsmerkmal. Weiterhin stellen wir


bei jedem Gebrauch von non die Notwendigkeit fest, sich auf ein Diktum
außerhalb des die Negation enthaltenden oder durch diese gebildeten Satzes
zu stützen. Es scheint mir aber wenig sinnvoll zu sein, dieses als „Kontext-
hungrigkeit" bezeichnete Phänomen mit einem Merkmal auf Systemebene
gleichzusetzen; da ein syntagmatischer Kontext nur auf der Ebene des dis-
cours existiert, würden wir bei einer solchen Beschreibung Gefahr laufen,
diese beiden Ebenen zu vermischen; gerade dies muß auf jeden Fall vermie-
den werden.
Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, wollen wir versuchen, das bisher
über die phrastische und propositionelle Funktion von non Gesagte zu ver-
tiefen. Bis jetzt waren unsere Formulierungen bewußt vorsichtig gehalten.
Wir haben gesagt, non werde als Satz gebraucht, es übe Teilsatzfunktion aus,
usw.: wir haben uns also immer auf die Ebene des discours und der Sinn-
effekte gestellt und uns gehütet, etwas über den hinter den konkreten Ver-
wendungen stehenden Systemwert (langue) auszusagen. Aber könnte man
nicht kurzerhand sagen, non sei ein vollständiger Satz auf der Ebene der
langue? Ein Satz besteht normalerweise aus einem Bauplan und einem seman-
tischen Komplex. Der Bauplan ist bereits auf der Ebene der langue gegeben;
er liefert uns eine Art Skelett des Satzes, das eine bestimmte Anzahl von
Positionen (Verb, Aktanten, Zirkumstanten usw.) enthält und die Beziehun-
gen zwischen diesen Positionen festlegt 39 . Der spezifische semantische Kom-
plex hingegen gehört auf die Ebene des discours; er umfaßt eine bestimmte
Anzahl von Lexien und deiktischen Morphemen, die den Bauplan bei der
Aktivierung (Übergang von der langue zum discours) auffüllen und ihm eine
„Meinung" verleihen. Wie wir gesehen haben, hat non alleine noch keine Be-
deutung; um zu einer solchen zu gelangen, brauchen wir einen Kontext (oder
eine Situation), der es uns erlaubt, das Diktum, auf das die Negation sich
bezieht, zu identifizieren 40 . Ein isoliertes non — z. B. herausgeschnitten aus
einem Tonband wie Dr. Murkes Pausen in der berühmten Novelle von Boll 41
- liefert uns nur die Hinweise .Negation' und ,Satz- bzw. Teilsatzfunktion'.
Sieht man vom Negationsmerkmal ab, ist non somit nichts weiter als ein se-
mantisch leeres Zeichen, ein Statthaltersymbol für einen Satz oder Teilsatz.
Dieses Phänomen findet man auch anderweitig im Sprachsystem, z. B. im
Nominalbereich; jeden Inhalts entleerte Substantive (oder besser: Nominal-

39 Für die Zugehörigkeit des Bauplanes zur Ebene der langue cf. auch P. Wunderli, Zur
Stellung der Syntax bei Saussure, ZRPh. 88 (1972), 483-506.
40 Cf. auch Tesnière, Eléments, p. 97, 211/12.
41 Cf. H. Boll, Dr. Murkes gesammeltes Schweigen, Köln-Berlin 1958.
p
62 - Wunderli

syntagmen) pflegt man Pronomina zu nennen (cf. z. B. il le boulanger,


le cuisinier, le vendeur usw.; ebenso le, celui-ci, qui, que usw.), und in An-
lehnung an die Relation zwischen Nomen und Pronomen werden wir im Fal-
le der Negation non von einem Prosatz sprechen 42 . Non ist ein Prosatz und
kein Satz, denn es ist ohne spezifischen lexikalischen Gehalt; dieser verändert
sich vielmehr von einer Verwendung zur anderen, er wechselt wie die sich
ständig der veränderten Umgebung anpassende Farbe eines Chamäleons. Genau
besehen muß man sogar sagen, non fehle noch mehr als der lexikalische Ge-
halt. Non kann sich auf ein Diktum wie je viens beziehen, aber auch auf j'ai
vendu cette voiture à ton ami oder il arrivera demain à Paris usw. ; also auf
grundverschiedene Satzbaupläne:

je viens A k t . ' - V.
1 2 3
j'ai vendu cette voiture a ton ami Akt. - V. - Akt. - Akt.
il arrivera demain à Paris A k t . ' - V. - Zirk.* - Zirk.'
43

Non kann alle diese Baupläne vertreten; auf der Ebene der langue ist es somit
an keinen von ihnen gebunden. Diese Feststellung wird weiter gestützt durch
die Tatsache, daß non sich nicht unbedingt nur auf ein einziges Diktum be-
ziehen muß, sondern auch gleichzeitig mehrere betreffen kann; cf. z.B.:

Harpagon
Dis-moi un peu: Marianne ne m'a-t-elle point encore vu?
N'a-t-elle point pris garde à moi en passant?
Prosine

Non; mais nous nous sommes fort entretenues de vous . . .


Molière, Avare III/1

Man kann non hier als Partikel ansehen, die die beiden vorangehenden Fragen
wieder aufnimmt und ihr Diktum negiert: es vereinigt sie gewissermaßen zu
einem Büschel. Es gebricht somit non offensichtlich nicht nur an lexikalischem
Gehalt, es geht ihm auch ein spezifischer Bauplan ab. Unsere heteronexe Ne-

42 Wenn man dem Terminus Pronomen einen so weiten Sinn gibt wie R. Harweg, könn-
te man non in seine Kategorie der „neuen Pronomina" einreihen (vgl. R. Harweg,
Pronomina und Textkonstruktion, München 1968, passim). - Für den Terminus
Prosatz cf. auch Teodora Cristea, La structure de la phrase négative en français con-
temporain, Bucarest 1971, p. 141 s.
43 V. = Verb; A k t . 1 = erster Aktant; A k t . 2 = zweiter Aktant; A k t . 3 = dritter Aktant;
Zirk. 1 = temporaler Zirkumstant; Zirk. 1 = lokaler Zirkumstant.
Der Prosatz „non 63

gation enthält nur die Merkmale .Negation' und ,Satz' (ohne jede Spezifizie-
rung) 44 ; sie ist auf der Ebene der langue nichts weiter als ein minimaler ne-
gativer Prosatz. Aus diesem Grundwert leitet sich die diskursive Funktion
von non ab: da ein aktivierter Satz immer einen einem Bauplan überlager-
ten lexikalischen Gehalt besitzt, muß der in der Rede verwendete Prosatz
non die ihm als Systemeinheit fehlenden Komponenten (lexikalischer Gehalt,
Satzbauplan) mit Hilfe von außerhalb seiner Grenzen liegenden Elementen
ergänzen: er muß sich auf den Kontext stützen (= Inzidenz). Daraus ergibt
sich die erwähnte „Kontexthungrigkeit", die allen vier Normfunktionen von
non gemeinsam ist und die nichts weiter als die diskursive Reinterpretation
des Systemwertes des Prosatzes darstellt.
Die Interpretation von non als negativer Prosatz ermöglicht es nun, eine
Reihe von Problemen zu klären, die die traditionelle Grammatik nicht befrie-
digend zu lösen vermochte. Ihre Schwierigkeiten gehen v. a. auf die Gewohn-
heit zurück, non als Adverb zu betrachten 4 5 . Ein Adverb fügt sich normaler-
weise ohne besonderes Merkmal und ohne jede Transposition in einen „ge-
bundenen Satz" (phrase liée) ein 46 — immer unter der Voraussetzung natür-
lich, daß es tatsächlich die Funktion eines Adverbs ausübt (cf. z. B. II est
vraiment heureux; Je viens demain; Il ne consentira jamais; usw.). Dies gilt
nun aber gerade nicht für non41, oui und si: um sie in einen „gebundenen

44 Was den Negationsmechanismus angeht, so muß das negative Element von non auf
die aktivatorische Inzidenz (-»Sprecherorigo) des Prosatzes bezogen werden, domi-
niert sie doch den Prosatz als Ganzes. Die Verhältnisse entsprechen somit im Prinzip
den bei ne . . . pas festgestellten (cf. N 26). Es darf aber nicht übersehen werden,
daß es sich im Fall von ne . . . pas um eine syntaktisches Phänomen handelt, wäh-
rend wir es hier mit einem Problem der Anordnung (Hierarchie) der Seme zu tun
haben. Außerdem darf non als Systemeinheit nicht als auf eine gegebenen Sprecher-
origo bezogen angesehen werden; die aktivatorische Inzidenz ist auf dieser Ebene
rein virtuell und hat Valenzcharakter:

(Sprecher-Origo)

Neg.'.

, Prosatz'
45 Vgl. z. B. Grammaire Larousse du français contemporain, § 622; Grevisse, Bon usage,
§ 873; Wartburg-Zumthor, Précis, p. 5 6 / 5 7 ; J. Dubois et al., Dictionnaire du français
contemporain, Paris 1970, p. 773; Petit Robert, Paris 1970, p. 1158; M. D a v a u - M .
Cohen - M. Lallemand, Dictionnaire du français vivant, Paris-Bruxelles-Montréal 1972,
p. 829; usw.
46 Zum Begriff der phrase liée (die zur phrase coordonnée und zur phrase segmentée
in Opposition steht) cf. Bally, LGLF, § 100 ss.
47 Im Rahmen unserer Argumentation sind diejenigen Fälle, wo non nicht negativer Pro-
64 P. Wunderli

Satz" integrieren zu können, muß ihnen obligatorisch die Partikel que voran-
gestellt werden; daraus ergeben sich Konstruktionen wie dire que non, pré-
tendre que non, usw. 4 8 Hier einige literarische Beispiele dieses Typs:

La bonne a apporté le thé. Francine lui a demandé si elle n'en prenait pas. La
bonne a répondu que non, ça l'empêchait de dormir.
R. Pinget, Le fiston, p. 129 (Gaatone, Système, p. 30)
Je ressemble à n'importe qui, vous savez. - J'espère bien que non.
H. Bazin, La mort du petit cheval, p. 171 (Gaatone, Système, p. 30)
J'ai d'abord cru qu'elle était sourde; la servante prétend que non . . .
A. Gide, La symphonie pastorale, p. 12 (Gaatone, Système, p. 30)
usw.

Es ist klar, daß diese Konstruktionen unmöglich im Rahmen der normalen


Adverbialsyntax erklärt werden können, denn einem als solches verwendeten
Adverb geht niemals que voran, welches auch immer die Konstruktion oder
der Kontext sein mag. Wenn wir dagegen non (oui, si) als Prosatz interpre-
tieren, macht die Erklärung keinerlei Schwierigkeiten. Alle Verben, denen
diese Konstruktion eignet, haben transitiven Charakter: dire la vérité, espérer
une récompense / un miracle oder gar répondre une renquête / la messe usw. 4 9
Nun wissen wir, daß die Position des zweiten Aktanten auch von einem
Satz eingenommen werden kann -vorausgesetzt, daß er durch die Partikel
que eingeleitet wird: que ist ein Translativ, das einen Satz in ein die Funk-
tion des 2. Aktanten ausübendes Substantiv (proposition complétive) über-
fuhrt 50 , cf. z. B. il dit que tu mens, elle espère que tu viendras, usw. Der
Transpositionsmechanismus hängt offenbar weder vom lexikalischen Gehalt
des umgesetzten Satzes noch von seinem spezifischen Bauplan ab, sondern
einzig von der Satzfunktion der in die Position des 2. Aktanten einzubrin-

satz ist, nicht zu berücksichtigen. Es gibt ein non, das als Präfix fungiert, und das
ich non^ nennen möchte {non pertinent, non interrompu, non-adaptation, non-con-
comitance usw.), und ein weiteres non, das Bestandteil gewisser erstarrter, sich auf-
grund eines früheren Sprachzustands erklärender adverbialer Wendungen ist (non seule-
ment, non plus, non loin usw.); cf. hierzu Gaatone, Système, p. 21 s.; Wartburg-
Zumthor, p. 58/59; Grevisse, Bon usage, § 874b; ferner oben, p. 43.
48 Cf. auch dire que oui/si; wie non muß man also auch oui und si zu den Prosätzen
zählen (oui: affirmativer Prosatz; si: oppositiver Prosatz).
49 Vgl. Petit Robert, p. 1524. Der transitive Gebrauch von répondre mit nominalem Ob-
jekt ist selten, die Konstruktion mit Objektsatz dagegen hat nichts Außergewöhnliches
an sich.
50 Cf. hierzu Bally, LGLF, § 179 ss. (für que § 183); Tesnière, Eléments, p. 361 ss.,
v. a. p. 546-48.
Der Prosatz „non" 65

genden Sequenz. Da non Prosatz ist, ist es nichts weiter als natürlich, daß
es dort, wo es in einem Bauplan die Funktion des 2. Aktanten ausübt, gleich
behandelt wird wie ein Vollsatz: der Prosatz non wird durch que in ein
einem 2. Aktanten entsprechendes Substantiv (proposition complétive)
transponiert 51 . Was das Diktum angeht, auf welches ein solcher transponier-
ter Prosatz sich bezieht, so muß es offensichtlich außerhalb des komplexen
Satzes gesucht werden, zu dem non gehört; es kommt recht häufig vor, daß
es von seinem Stimulus durch mehrere eingeschobene Sätze getrennt ist 52 .
Das zweite Problem, das sich jetzt beinahe von selbst löst, ist die Frage,
warum non mittels ou einem Satz beigeordnet werden kann, cf. z. B. :

. . . toute la science médicale du monde ne suffira pas à décider si la tumeur


invisible est fiévreuse ou non . . .
M. Proust, Le côté de Guermantes, p. 114 (Gaatone, Système, p. 30)

Pour elle, qu'elle l'avouât ou non, les maîtres étaient les maîtres et les domesti-
ques étaient les gens que mangeaient à la cuisine.
M. Proust, Le côté de Guermantes, p. 1027 (Gaatone, Système, p. 31)

Ou ist eine koordinierende Konjunktion, die aber nur zur Verbindung von
gleichartigen Elementen eingesetzt werden kann: zwei Substantiven (mon
père ou ma mère), zwei Adverbien (demain ou après-demain), zwei Sätzen
(il vient ou il ne vient pas) usw., nicht aber von zwei Einheiten, die in morpho-
syntaktischer Hinsicht verschiedenen Kategorien oder verschiedenen Hierar-
chiestufen angehören (z. B. Subst. + Adv., Satz + Subst. usw.). Wenn man
non als Adverb ansieht, bleibt die Interpretation der zitierten Beispiele ge-
zwungenermaßen unbefriedigend. Sieht man in non hingegen einen negativen
Prosatz, ergibt sich die Erklärung von selbst: ou koordiniert in diesem Fall

51 Cf. auch Tesnière, Eléments, p. 546 und Cristea, Structure, p. 143/44. Beispiele wie
das folgende, wo que fehlt, sind selten:

Pour faire dire oui aux hésitants, il importe avant tout de ne pas les laisser dire
non, donc de changer de sujet.
H. Bazin, Qui j'ose aimer, p. 110 (Gaatone, Système, p. 29)
Oui, non sind in diesem Fall nicht transponiert, da sie wie Zitate behandelt werden:
sie stehen in einem metasprachlichen Kontext. Diese spezifische Situation erklärt
auch die Tatsache, warum es im Kontext kein Diktum gibt, auf welches oui und
non sich beziehen könnten; selbst auf Redeebene bleiben sie leere Prosätze.
52 Ein analoger Gebrauch von non und out findet sich in Bedingungssätzen, cf. z. B.
„si tu viens, nous irons au cinéma; si non, je me coucherai tôt". Der Prosatz wird
mit Hilfe des Translativs si in einen Zirkumstanten umgesetzt (proposition circon-
stantielle). Cf. auch Tesnière, Eléments, p. 593.
66 P. Wunderli

zwei Sätze ( -* la tumeur invisible est fiévreuse ou [la tumeur invisible n 'est
pas fiévreuse] ; elle l'avoue ou [elle ne l'avoue pas] usw.).
Bleibt ein dritter Fall, die Erklärung von Beispielen wie:

Je m'éveillais brusquement avec, dans l'oreille, un grand cri - mais est-ce encore
ce mot-là qui convient? Evidemment non.
G. Bernanos, Journal d'un curé de campagne, p. 1099 (Gaatone, Système, p. 29)

Vous croyez avoir quelque influence sur elle? - Non certes, pour le moment.
G. Bernanos, Journal d'un curé de campagne, p. 1172 (Gaatone, Système, p. 29)

Man liest häufig, die Adverbien évidement, certes usw. würden die
Negation „verstärken" 53 . Eine solche Formulierung scheint mir aber nicht
statthaft zu sein, denn Existenz und Nicht-Existenz sind keiner Abstufung
fähig 54 . Man könnte allenfalls sagen, daß in Formeln wie non non, non pas,
pas du tout usw. der Ausdruck der Negation verstärkt ist, daß man auf die
Negation insistiert5S. Aber sind Adverbien wie évidemment, certes, certaine-
ment, assurément usw. in der Lage, den Ausdruck der Negation zu
verstärken? Dies scheint mir äußerst zweifelhaft, denn der Semantismus
dieser Adverbien ist als solcher weder negativ noch affektiv oder quanti-
tativ. Und er braucht es auch gar nicht zu sein, denn wenn man unsere De-
finition von non akzeptiert, müssen wir in diesen Adverbien nicht „Ver-
stärkungen" der Negation oder des Negationsausdrucks sehen. Certes, vrai-
ment usw. beziehen sich nicht auf non als Negation, sondern als Prosatz:
sie fungieren als Satzadverbien und unterstreichen den sicheren, offensicht-
lichen wahren Charakter der Aussage in ihrer Gesamtheit.

3. Unsere Definition von non als „negativer Prosatz (heteronexe Negation)"


scheint also eindeutige Vorteile zu bieten. Bevor wir ihrer aber endgültig
froh werden können, müssen wir noch eine Reihe von Erscheinungen be-
sprechen, die mit unserer Charakterisierung nur schwer in Einklang zu brin-
gen sind oder die sie gar direkt zu widerlegen scheinen. Es handelt sich
um die in der modernen Sprache sehr häufigen Fälle, wo non anstelle von
pas (point) verwendet zu werden scheint 56 . Nun haben wir gesagt, pas,

53 Vgl. z. B. Gaatone, Système, p. 29; Wartburg - Zumthor, Précis, p. 59; Grevisse, Bon
usage, § 874 d; Brunot, La pensée et la langue, p. 502; usw. - Für eine der mei-
nen verwandte Interpretation cf. Cristea, Structure, p. 143.
54 Cf. auch Barnicaud et al., Langages 7 (1967), 59/60.
55 Cf. o b e n N 31.
56 Cf. z. B. Wartburg-Zumthor, Précis, p. 56; „II (se. non) est sur plusieurs points, dans
l'usage actuel, concurrencé par pas"; vgl. auch Grevisse, Bon usage, § 874 a Rem. 1;
Der Prosatz „non" 67

point usw. seien homonexe Negationen 57 ; als solche können sie aber keine
Prosätze sein. Wenn non auf den Bereich von pas übergreift, dann muß man
sich entweder fragen, ob es eine Variante von non gibt, die nicht Prosatz
ist, oder aber die angebliche Prosatzfunktion überhaupt in Zweifel ziehen.
In einer ersten Serie von Beispielen scheint non nicht einen ganzen Satz
wieder aufzunehmen, sondern nur das Verb:

L'impur, donc l'histoire, va devenir la règle et la terre déserte sera livrée à la


force toute nue qui décidera ou non de la divinité de l'homme.
A. Camus, L'homme révolté, p. 171 (Gaatone, Système, p. 31)
Il suffit de grouper des observations pour décider, si la jument est ou non aussi
rapide que l'étalon.
M. Monod, Le nuage, p. 70 (Gaatone, Système, p. 31)

Dieser erste Typ ist jedoch leicht in unseren Ansatz zu integrieren. Einmal
haben wir gesagt, das Verb stelle das Zentrum des Satzes bzw. Teilsatzes
dar und alle Aktanten und Zirkumstanten seien von ihm abhängig. Auch
wenn non in unseren Beispielen nur das Verb wieder aufnehmen würde,
wäre es doch Proform für das zentrale Element des Satzes; dies könnte es
rechtfertigen, ihm trotz allem den Wert eines Prosatzes zuzubilligen. Eine
solche Lösung scheint mir aber gleichwohl wenig zufriedenstellend zu sein,
denn sie impliziert eine vorschnelle Gleichsetzung von Satz und Verb (bzw.
Vorhandensein eines Verbs). Wir wissen aber, daß man oft Zeichenketten
in Satzfunktionen findet, die kein Verb enthalten; es ist deshalb besser, die-
se Erklärung aufzugeben. Und wenn wir uns die obigen Beispiele nochmals
etwas näher ansehen, dann wird bald klar, daß sie gar keine besondere Er-
klärung erheischen. Geht man von der Meinung dieser Konstruktion aus,
so ist es unmöglich zu sagen, non beziehe sich allein auf die Verben déci-
der und être; das Diktum der Negation ist im ersten Fall vielmehr „(la force
toute nue) décidera de la divinité de l'homme", im zweiten Fall „la jument
est aussi rapide que l'étalon". Überdies ist der Tatsache Rechnung zu tragen,
daß in unseren beiden Beispielen die Sequenz „ou non" ohne jede Bedeu-
tungsveränderung auch an das Satzende gestellt werden könnte — allerdings
mit einem spürbaren Verlust an stilistischer Eleganz:

Gaatone, Système, p. 31; G. Gougenheim, Système grammatical de la langue française,


Paris 1939, p. 261; Cristea, Structure, p. 145 ss.; usw.
57 Pas, point sind primär gebundene Varianten von ne . . . pas, ne . . . point; ihre Ver-
wendung ist obligatorisch, wenn das Verb eines Satzes implizit bleibt. Mit explizi-
tem Verb sind pas, point freie (stilistische) Varianten und konnotieren die familiäre
und vulgäre Sprache.
68 P. Wunderli

. . . la terra déserte sera livrée à la force toute nue qui décidera de la divinité
de l'homme ou non.

. . . si la jument est aussi rapide que l'étalon ou non.

Diese beiden Feststellungen scheinen mir zu beweisen, daß der Negations-


mechanismus in diesen Beispielen identisch ist mit demjenigen, den wir be-
reits oben (p. 65/66) bei mit einem Satz koordiniertem non herausgearbeitet
haben. Die beiden Typen unterscheiden sich voneinander durch die Stel-
lung der Gruppe „ou non" im Signifikanten des Satzbauplanes, in der li-
nearen Zeichenabfolge: hier ist der koordinierte Prosatz unmittelbar nach
dem Verb in den das Diktum liefernden Aussagesatz eingeschoben; wir ha-
ben es mit einer Art incise zu tun.
In den folgenden Beispielen komplizieren sich die Dinge, ist es hier doch
unmöglich, irgendeinen vollständigen Satz oder Teilsatz zu finden, den das
(koordinierte) non wieder aufnehmen könnte. Das mit der Negation koordi-
nierte Element ist anscheinend ein einfaches Adjektiv:

Creuse ou non, je ne puis m'y poser.


A. de Saint-Exupéry, Terre des hommes, p. 132 (Gaatone, Système, p. 31)

Cet appel demande également à toutes les organisations, politiques ou non, d'ap-
puyer les mesures . . . du gouvernement.
Le Monde, 30. 3. 63, p. 7 (Gaatone, Système p. 31)

Aber auch hier trügt der Schein, denn das, was durch non aufgenommen
wird, ist nicht ein Adjektiv als solches. In beiden Fällen haben wir es mit
segmentierten Sätzen zu tun, in denen die Gruppe „Adj. + ou non" dem
Element A entspricht; im ersten Beispiel geht das Thema A dem Rhema
Z voran, im zweiten ist A in Z eingeschoben58. Nun ist das Element A eines
segmentierten Satzes immer selbst einem Satz bzw. Teilsatz äquivalent,
selbst wenn es kein Verb enthält. Dies gilt auch für unsere Beispiele, ja
mehr noch: obwohl sie kein Verb enthalten, müssen die A-Elemente dieser
segmentierten Sätze als komplexe Themen angesehen werden, die sich aus
zwei durch ou koordinierten Elementen zusammensetzen und deren zwei-
tes das erste unter negativer Modalität wieder aufnimmt. Wir könnten so-
mit diese Themen folgendermaßen paraphrasieren:

qu'elle soit creuse ou non . . .


que les organisations soient politiques ou non . . .

Wir haben es also mit Konzessivkonstruktionen zu tun. Gleichwohl redu-

58 Cf. Bally, LGLF, § 79 ss., v. a. § 86.


Der Prosatz „non" 69

ziert sich der erste Teil dieser Koordinationskomplexe in der Originalform


(derjenigen der zitierten Beispiele) auf das Adjektiv; Verb, Subjekt, Konjunk-
tion bleiben implizit. Wir können also sagen, creuse und politiques seien
Repräsentanten von Sätzen, deren übrige konstitutiven Elemente implizit
bleiben. Es trifft somit zu, daß das koordinierte non die Einheiten creuse
und politiques wieder aufgreift, aber es nimmt sie als Satzrepräsentanten
und nicht als Adjektiv wieder auf 5 9 . Non übt auch in diesem Fall die
Funktion eines wirklichen Prosatzes aus.
In den bisher besprochenen Fällen folgte non immer auf die Konjunk-
tion ou und stellte für sich allein das koordinierte Element dar; vor allem
seine isolierte Stellung nach der koordinierenden Konjunktion erlaubte es,
non in allen Kontexten ohne größere Schwierigkeiten als einen eigentlichen
negativen Prosatz zu interpretieren. Die Schwierigkeiten werden sich aber
bei den jetzt zu besprechenden Typen nochmals erhöhen. In einer großen
Zahl von Fällen folgt non nicht allein auf die Konjunktion ou, um entwe-
der einen ganzen Satz oder einen Satzrepräsentanten unter negativer Mo-
dalität wieder aufzunehmen, sondern ist selbst — je nachdem nach einer
Pause, de oder mais — von einem Substantiv, einem Adverb, einem Adjek-
tiv usw. begleitet. Stoßen wir hier nicht endgültig in den Bereich von pas/
point vor, die als homonexe Negation normalerweise dazu dienen, einen
Satz mit implizitem Verb zu verneinen ? Sehen wir uns einige Beispiele
an, wo non auf eine Pause folgt:

C'était une vague allusion à l'amour, non une promesse, non une invitation pres-
sante.
J. Romains, Les hommes de bonne volonté I, p. 536 (Gaatone, Système, p. 32)
Ma jalousie naissait par des images, pour une souffrance, non d'après une proba-
bilité.
M. Proust, La prisonnière, p. 24 (Gaatone, Système, p. 32)

Fungiert non hier als homonexe Negation, hat es seinen Prosatzcharakter


verloren? Eine solche Interpretation scheint möglich 60 , aber sie drängt sich
nicht auf. Wir haben bereits gesehen, daß der Prosatz non durch Adverbien
wie certes, vraiment usw. expandiert werden kann 6 1 . Man muß sich nun
fragen, ob wir es in den oben zitierten Beispielen nicht ebenfalls mit Ex-
pansionen des Prosatzes zu tun haben, diesmal jedoch mit einem etwas an-

59 Dieselbe Argumentation gilt für Fälle, wo der Satz sich auf ein Substantiv oder ein
Adverb reduziert.
60 Man müßte dann von einem non^ sprechen (vgl. auch N 47).
61 Cf. oben p. 66.
70 P. Wunderli

deren Typ: es würde sich nicht mehr um Satzadverbien handeln, sondern


um Aktanten oder Attribute, die den Prosatz begleiten. Wir wollen unsere
Hypothese anhand der beiden Beispiele von J. Romains und M. Proust er-
läutern. Ersetzt man die heteronexe Negation durch eine homonexe, so
erhält man Konstruktionen vom folgenden Typ:

C'était une vague allusion à l'amour, ce n'était pas une promesse, ce n'était
pas une invitation pressante.
Ma jalousie naissait par des images, pour une souffrance, ma jalousie ne naissait
pas d'après une probabilité.

In diesen Umformungen haben wir die Funktionen expliziert, die non als
Prosatz global erfüllt. Worin unterscheidet sich dieser Typ nun von jenen
Fällen, wo der heteronexen Negation kein Substantiv, Adverb (Präposition
+ Substantiv) usw. folgte? Wir können feststellen, daß in unseren Bei-
spielen Subjekt und Verb des Ausgangssatzes im koordinierten Negativ-
satz wieder aufgenommen werden; in dieser Hinsicht sind der substituierte
und der substituierende Satz identisch. Sie unterscheiden sich in einem
einzigen Punkt: im Beispiel von Romains betrifft dieser Unterschied das
Prädikatsnomen: „une vague allusion à l'amour" im Ausgangssatz wird im
ersten Negativsatz durch „une promesse", im zweiten durch „une invitation
pressante" ersetzt. In Prousts Beispiel betrifft der Unterschied einen Zir-
kumstanten: die zweifache Ergänzung „par des images, par une souffrance"
im substituierten Satz wird im negativen Substitut durch „d'après une pro-
babilité" ersetzt. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten würde ich
die Rolle von non in Konstruktionen dieser Art folgendermaßen deuten:
non ist ein negativer Prosatz, der alle Elemente des Stimulus (des substi-
tuierten Satzes) wieder aufnimmt, die nicht kontraindiziert sind. Kontra-
indikatoren treten immer dann auf, wenn eine bestimmte Position im ur-
sprünglichen Satzbauplan ausfüllende lexikalische Einheiten nicht zum ver-
neinten Substitut gehören sollen, wenn sie also von der Wiederaufnahme
durch non auszuschließen sind. Das Prinzip dieses Mechanismus ist sehr
einfach: die Position, deren lexikalischer Gehalt eliminiert werden soll, wird
nach der Negation non gesondert wieder aufgegriffen und mit neuem lexi-
kalischem Material besetzt 62 . Durch diese Wiederaufnahme eines Aktanten,

62 In Ausnahmefällen geht diese Expansion des Prosatzes sogar dem non voran; cf.
Grammaire Larousse du français contemporain, p. 428 (il a fait souffrir tout le monde
autour de lui, ses gens, ses chevaux, ses amis non, car il n'en avait pas un seul [Gide]J;
Wagner-Pinchon, Grammaire de français classique et moderne, p. 404 Rem.
Der Prosatz „non" 71

eines Zirkumstanten oder eines Prädikatsnomens wird die entsprechende


Position des Stimulus (substituierter Satz) neutralisiert oder blockiert und
kann nicht durch non repräsentiert werden.
Diese Interpretation erlaubt es uns zu sagen, non fungiere selbst dort als
negativer Prosatz, wo es einem Substantiv, einem Adjektiv oder einem Ad-
verb vorangeht, aber man muß hinzufügen, daß die Wiederaufnahmefähig-
keit der Negation in Bezug auf den substituierten Satz nicht mehr integra-
len Charakter hat: eine der Positionen des Stimulus ist von ihr ausgeschlos-
sen, da sie nach non als Expansion des Prosatzes neu eingeführt wird.
Unsere Erklärung ist nicht nur für die Fälle gültig, wo „non + Expan-
sion" nach einer Pause auftritt; derselbe Mechanismus kommt auch dort
zum Zuge, wo der negative Prosatz und der substituierte Satz durch die
koordinierenden Konjunktionen et und mais verbunden sind. Hier einige
Beispiele:

et non
Il s'agit d ' u n règlement de c o m p t e s particulier, d ' u n e c o n t e s t a t i o n sur le bien, et
non d ' u n e lutte universelle entre le mal et le bien.
A. Camus, L ' h o m m e révolté, p. 4 4 (Gaatone, Système, p. 33)

T o u t e reine qu'elle était, je voyais J e n n y pleurer parce q u e le g e n t i l h o m m e aimait


sa belle suivante et n o n elle, la reine.
E. Triolet, Personne ne m'aime, p. 22 (Gaatone, Système, p. 33)

mais non
On p a r d o n n e les crimes individuels, mais non la participation à u n crime collectif.
M. Proust, Le c ô t é de G u e r m a n t e s , p. 152 ( G a a t o n e , Système, p. 33)

Car la vieillesse n o u s rend d ' a b o r d incapables d ' e n t r e p r e n d r e , mais n o n de dé-


sirer.
M. Proust, La fugitive, p. 6 3 5 (Gaatone, Système, p. 33)

Unsere Erklärung gilt auch für Fälle, wo sich der Blockademechanismus nicht
auf eine lexikalische Einheit (und deren Determinanten), sondern auf in
Teilsätze transponierte Sätze bezieht:

Aimez q u ' o n vous conseille, et n o n pas q u ' o n vous loue.


Boileau, Art p o é t i q u e I (Grevisse, Bon usage, § 874a)

So fügen sich selbst die Beispiele, die zunächst aus dem normalen Rahmen
zu fallen schienen, in unser Interpretationsschema ein; dieses erweist sich
somit als fähig, alle Verwendungen von non als Einheit einer lebendigen
72 P. Wunderli

und freien Syntax zu erklären 63 . Was die Textlinguistik bzw. die Textkon-
stitution betrifft, so muß noch beigefügt werden, daß non als koordinierter
(nach Pause, ou, et, mais) und als untergeordneter Prosatz (nach que) nie
eine kataphorische Beziehung markiert; sieht man von der seltenen Verwen- ..
dung als eingeschobener Satz ab64, haben wir es immer mit anaphorischen
Konstruktionen zu tun. Und da bei unabhängigem Gebrauch (Antworten
usw.) die Anapher ebenfalls deutlich überwiegt, können wir sagen, daß -
obwohl die Opposition anaphorisch / v / kataphorisch auf der Ebene der
langue neutralisiert ist - die anaphorische Beziehung auf den Ebenen des
discours und der Norm eindeutig bevorzugt ist und frequenzmäßig domi-
niert.
*

Eigentlich sind wir nun ans Ende unserer Untersuchung der Negation non
gelangt. Eine letzte Frage bleibt jedoch noch zu klären. Wir haben gesagt,
die Negation pas konkurrenziere non regelmäßig in den Fällen, wo dieses
als koordinierter Prosatz verwendet wird (nach Pause, ou, et und mais).
Muß man daraus schließen, daß pas in der modernen Sprache in den Be-
reich von non eindringt, daß es dabei ist, sich selbst in einen Prosatz zu
verwandeln? Eine solche Erklärung kann nicht von vornherein ausgeschlos-
sen werden, denn anstelle von non gebrauchtes pas wird oft als Merkmal der
familiären Sprache angesehen65 ; sollte es bereits eine stilistische Variante von
non darstellen? Bevor wir auf diese Frage eingehen, sollen hier einige Beispie-
le gegeben werden, wo pas die Stelle von non eingenommen zu haben scheint:

nach einer Pause:


Tout homme qu'il rencontre attend, espère ou exige quelque chose de lui. Pas Fré-
dérique.
R. Vailland, La truite, p. 243 (Gaatone, Système, p. 44)

63 Nur die erstarrten Formeln und das Gebiet der Wortbildung sind gesondert zu behan-
deln, cf. N 47.
64 Vgl. noch einen weiteren Einschubstyp, der sich von dem p. 67/68 erwähnten unterschei-
det:
Choisissez non le succès, mais l'honneur
Grevisse, Bon usage, § 874a

Non ist hier von einer Expansion gefolgt; außerdem fungiert es nicht als koordinier-
ter Terminus, sondern ist in den ersten Teil der Konstruktion integriert, was das Auf-
treten von mais nach der Pause nach sich zieht.
65 Cf. z.B. Grevisse, Bon usage, § 874a; Wartburg-Zumthor, Précis, p. 58; Gaatone, Système
p. 45.
Der Prosatz „non" 73

S'il me plaît d'engager toute ma vie pour elle, trouverais-tu plus beau que je lie mon
amour par des promesses? Pas moi.
A. Gide, La porte étroite, p. 51 (Gaatone, Système, p. 44)

nach ou:
Elle parlait beaucoup, et toujours, de choses qui étaient si belles . . . qu'il allait je
ne sais pas, de mon honneur de . . . les voir ou pas.
M. Duras, Le marin de Gibraltar, p. 33 (Gaatone, Système, p. 44)

nach et:
Vous avez confiance en des inconnus, et pas en moi?
H. de Montherlant, Le démon du bien, p. 1349 (Gaatone, Système, p. 44)
Pierre souffrait pourtant de savoir qu'elle était à un autre, et pas à lui.
L. Aragon, Les voyageurs de l'impériale, p. 372 (Gaatone, Système, p. 44)

nach mais:
Ces noms. . . elle les reconnaissait au passage, mais pas tous.
G. Bernanons, Sous le soleil de Satan, p. 205 (Gaatone, Système, p. 44)

Besonders interessant ist nun das folgende Beispiel, w o die Konstruktionen


mit non und pas abwechseln:

Je ne veux pas savoir s'il est difficile ou non, Madame Desbaresdes, dit la dame.
Difficile ou pas, il faut qu'il obéisse.
; M. Duras, Modérato cantabile, p. 13 (Gaatone, Système, p. 45)

Alles scheint zugunsten einer identischen Interpretation der beiden Negatio-


nen zu sprechen. Aber eine solche Schlußfolgerung würde meiner Ansicht
nach zweierlei nicht berücksichtigen. Erstens: wenn pas wirklich ein Prosatz
wäre, müßte es dann nicht non in allen seinen Verwendungen ersetzen kön-
nen? Gaatone hat eindeutig festgestellt, daß dem nicht so ist: die beiden Ne-
gationen scheinen nur in den Fällen kommutierbar zu sein, wo die Negation
als mit einem Satz oder einem Satzrepräsentanten koordiniert angesehen wer-
den darf (also nach Pause, et, ou, mais)\ nach que oder als Antwort auf eine
Frage oder einen anderen unabhängigen Stimulus kann man dagegen non
nicht durch pas ersetzen 6 6 . Die Fälle, w o pas ausgeschlossen ist, sind genau
diejenigen, wo die Interpretation als Prosatz sich auf Anhieb aufdrängt. Au-
ßerdem hat Gaatone festgestellt, daß pas in Konzessivkonstruktionen wie

66 Cf. Gaatone, Système, p. 42/43.


74 P. Wunderli

difficile ou pas / non, grève ou pas / non usw. obligatorisch ist, sobald das er-
ste Element nach der Negation wiederholt wird 6 7 , cf. z.B.:

Aussi, guerre ou pas guerre, il était certain que nous entrions pour de bon dans
une période assez fertile en désagréments.
C. Simon, La corde raide, p. 140 (Gaatone, Système, p. 45)

Zeigt uns das erste Faktum, daß pas nicht als Äquivalent von non angese-
hen werden darf, daß man es also nicht als Prosatz betrachten kann, so
scheint mir die zweite Erscheinung einen Hinweis zu liefern, wie die be-
schränkte Kommutationsmöglichkeit von pas und non erklärt werden muß.
Wir haben p. 68 gesagt, in Konzessivsätzen dieser Art übe das erste Element
Satzfunktion aus, ganz gleichgültig, ob es sich um ein Substantiv, ein Ad-
jektiv oder ein Adverb handelt. Wenn nun ein solches Element nach der
Konjunktion ou wieder aufgenommen wird, so muß dies in derselben Funk-
tion geschehen, die es vor ou ausübt, d. h. als Satzrepräsentant und nicht
einfach als Substantiv, Adjektiv usw. Da guerre, difficile usw. selbst als
Prosatz fungieren, bleibt kein Platz mehr für die heteronexe Negation (Pro-
satz) non: sie können nur durch die homonexe Negation negiert werden,
die dann Bestandteil des durch ein Substantiv, Adjektiv oder Adverb reprä-
sentierten Satzes ist. Für all die Fälle, wo pas eine nicht-verbale Einheit be-
gleitet, schlage ich vor, diese als Satzrepräsentanten anzusehen und der Ne-
gation ihre normale Funktion zuzuweisen: diejenige einer homonexen Ne-
gation. Diese Interpretation ist nicht nur für die Fälle gültig, wo eine be-
stimmte Lexie wiederholt wird, sondern auch dort, wo wir vom ersten zum
zweiten Glied des koordinierten Komplexes eine lexikalische Substitution
haben. Und die Fälle, wo auf pas weder ein Adjektiv noch ein Substantiv
oder Adverb folgt (cf. difficile ou pas usw.)? Wir befinden uns hier in ei-
ner Grenzsituation, wo die Funktionen der beiden Negationen zusammen-
zufallen scheinen. Man kann sie nur noch differenzieren, wenn man annimmt,
die erste satzhafte Komponente des koordinierten Komplexes werde durch
ein Nullelement wiederaufgenommen und die homonexe Negation pas ne-
giere diesen Nullrepräsentanten 68 .

67 Cf. Gaatone, Système, p. 45.


68 Man könnte dieser Interpretation von pas entgegenhalten, daß wir allein verwende-
tes jamais, rien usw. ebenfalls als heteronexe Negation mit Prosatzfunktion angesehen
haben (cf. p. 55); wäre es da nicht konsequent, pas genauso zu behandeln? Ich
glaube, daß es gute Gründe gibt, um ihm eine andere Funktion zuzuweisen. Zunächst
kann pas nicht für sich einen unabhängigen Satz bilden, was bei einer nuklearen
Der Prosatz „non" 75

So kommen wir zum Schluß, daß selbst in den Fällen, wo pas und non
frei kommutierbar zu sein scheinen, wo die Sinneffekte, die man aufgrund
der beiden Konstruktionen erzielt, praktisch identisch sind, gleichwohl zwei
grundverschiedene Mechanismen vorliegen; unter den vergleichbaren „Ober-
flächenstrukturen" verbergen sich erhebliche Unterschiede hinsichtlich der
„Tiefenstruktur".

Negation möglich ist (Que fais-tu? - Rien; Quand V'as-tu revue? - Jamais; uswj ;
pas kann nur innerhalb eines „gebundenen" Satzes nach einer koordinierenden Kon-
junktion allein stehen. Zweitens kann pas nicht durch que in einen Objektsatz um-
gewandelt werden, was wiederum im Fall von jamais, rien usw. möglich ist (il dit
que jamais usw.). Es ist somit eindeutig, daß pas nicht als Prosatz betrachtet werden
darf.
H e l m u t Genaust

Voici und voilà

Eine textsyntaktische Analyse

Selten ist im Bereich der französischen Sprachwissenschaft die Bestimmung


einer Wortklasse vielfältiger, selten die Divergenz der Meinungen über den
eigentlichen linguistischen Status eines Zeichens größer gewesen als im Falle
von voici/voilà. Die Definitionen, die von Präposition bis Adverb, von Demon-
strativum über présentatif bis factif strumental épidictique und von Interjek-
tion bis mot-phrase oder phrasillon logique reichen, lassen voici und voilà
als einen wahrhaften linguistischen Proteus erscheinen.
Wir brauchen diese Klassifikationsversuche nicht im einzelnen zu diskutie-
ren, sondern können uns ohne Vorbehalt der Kritik von Gérard Moignet 1 an-
schließen, der 1969 — mehr als 60 Jahre nach der vergessenen Programm-
schrift von Friedrich Perle 2 — dem Problem erstmals wieder einen eigenen
Beitrag aus der Schau des guillaumistischen Strukturalismus gewidmet hat.
Moignet schlägt auf der Grundlage einer synchronischen Analyse eine
neue Definition von voici/voild als V e r b 3 vor. Dieser Ansatz hat gegen-
über früheren den unbestrittenen Vorzug, sich statt auf logische, morphologi-
sche oder semantische Überlegungen auf syntaktische Fakten abstützen zu
können. Denn tatsächlich haben voici/voild das comportement syntaxique
eines Verbs: „Comme le verbe, voici-voild peut faire phrase à lui seul, peut
introduire un régime substantival, peut signifier ce régime sous la forme
d'un pronom personnel atone conjoint antéposé ou du pronom relatif que,

1 Le verbe voici-voilà, TLL 7/1 (1969), 1 8 9 - 2 0 2 . In seiner „Grammaire de l'ancien


français. Morphologie et syntaxe" (Paris 1973) nimmt Moignet jedoch offenbar wie-
der eine Abkehr von seiner These vor, wenn er afr. voi ci etc. als „particules pré-
sentâmes" (p. 90) vorstellt.
2 Voici und voilà. Ein Beitrag zur französischen Wortkunde und Stilistik, Progr. Halber-
stadt 1905.
3 Von verbalem Charakter oder verbalem Ursprung von voici/voilà sprechen auch J.
Dubois, G. Jouannon, R. Lagane, Grammaire française, Paris 1961, p. 123; Grammaire
Larousse du français contemporain, Paris 1964, § 85, 310, 567; W. v. Wartburg - P.
Zumthor, Précis de syntaxe du français contemporain, Berne 2 1958, § 615.
Voici und voilà 77

peut régir un infinitif, une phrase nominalisée par la conjonction que ou


d'autres nominalisateurs (qui, quoi, ce que, comme, comment, pourquoi,
etc.), peut être l'élément nodal d'une phrase nominalisée mise en position
de subordonnée, peut s'insérer entre ne et pas, entre ne et que, se mettre en
phrase interrogative grâce au tour est-ce que ou à l'indice t-il (ti), recevoir
l'incidence d'un adverbe" (p. 195, ähnlich schon p. 192) 4 .
Reichen diese Gründe aus, um voici/voild den linguistischen Status eines
Verbs zuzuweisen? Ich meine nein, da noch wesentliche morphosyntaktische
Charakteristika der Klasse Verb fehlen. Moignet sieht diese Einwände auch
und schränkt seine Definition entsprechend ein: „Nous proposons cependant
de voir en lui [ = voici/voild ] un verbe au cas-limite — indépassable — de la
défectivité, où la flexion se réduit à une seule f o r m e " (p. 196). Und weiter:
„ Voici-voilà est un verbe réduit à la forme unipersonnelle du présent de
l'indicatif de l'aspect i m m a n e n t 5 " (p. 196).
Dies ist nun das zentrale Argument, mit dem die Bestimmung als Verb
steht oder fällt: Wenn die syntaktische Distribution nicht beweiskräftig ist
und die in Frage stehende Einheit über keinerlei flexivische Varianz (außer
dem Wechsel von -ci und -là) verfügt, dann kann der ohnehin minimale verbale
Charakter nur noch durch den Nachweis von — und sei es gleichfalls minima-
len — Markierungen von Aktionsstand, Modus, Tempus, Person und Numerus
(Moignet wählt stattdessen Modalität), also die jedem Verb eignende Aktuali-
sierungshierarchie, erhärtet werden.
Moignet unternimmt diesen Versuch, der nach unserer Auffassung einer
Quadratur des Zirkels gleichkommt: Denn wie kann man, wenn die morpho-
logischen Oppositionen, wenn die Aktualisierungsmerkmale auf allen Hierar-
chiestufen neutralisiert sind, noch so eindeutige Zuweisungen machen? Bei
vollständiger Aufhebung aller termes marqués müßte ein Verb doch in seiner
„reinsten Form", in seinem geringsten Aktualisierungsgrad, und das heißt im
Infinitiv, erscheinen. Es ist unmöglich, wenn nicht methodologisch bedenk-
lich, bei Fehlen aller Personal-, Tempus- oder Modusmorpheme Zuordnungen
wie unipersonnel, présent, indicatif und aspect immanent vorzunehmen.
Dies will Moignet durch einzelne Indizien stützen, die im folgenden ge-
prüft werden sollen:

4 Auch Damourette-Pichon (EGLF VI, § 2185) haben deutlich dieses syntaktische Ver-
halten erkannt, mit Rücksicht auf die bestehenden Differenzen die Zuordnung zur
Klasse Verb aber vermieden.
5 Dem aspect immanent Guillaumes entspricht der von G. Hilty vorgeschlagene Ter-
minus Aktionsstand des accomplissement.
78 H. Genaust

a) Person: „En ce qui concerne la personne, il n'y a aucune difficulté à


assimiler voici-voilà au verbe impersonnel" (p. 196). Es läge die unipersonale 6
Form des Präsens, d. h. die 3. Pers. Sing, in unpersönlicher Gebrauchsweise,
vor. Dazu würde stimmen, daß seit dem 17. Jahrhundert das Morphem -t-il
in der Frage auftritt. Ein Personalpronomen il fände sich zwar nie in affirma-
tiven Äußerungen, aber das sei auch im Hinblick auf Wendungen wie faut le
faire, vaut mieux y aller entbehrlich. Es handele sich nicht etwa um 0-Person,
sondern um das, was Gustave Guillaume „personne d'univers" nannte, „tout
phénomène particulier s'inscrivant, en effet, dans le phénomène général qu'est
l'univers" (p. 197). Da Setzung des Pronomens generalisierenden Wert hätte,
„c'est sans doute parce qu'on reste avec lui dans le domaine du particulier que
voici-voilà refuse l'indice personnel il" (p. 197).
Ebenso schwer wie man hier Moignets Argumentation folgen wird, so auch
seinem Resultat:
(1) Es ist grundsätzlich, wie oben betont, unzulässig, bei fehlender Perso-
nalgliederung eine bestimmte Person herauszusondern.
(2) Das in Fragesätzen auftretende Element -t-il kann mit guten Gründen,
wie unten (II, 10) dargestellt wird, als Interrogativmorphem /ti/ interpretiert
werden, also nicht als Syntagma von / f / und Personalpronomen il.
(3) Dringlicher wäre der Nachweis eines solchen Personalpronomens in
affirmativen Äußerungen. Die beigeführten subjektlosen Konstruktionen
bringen hier keine Entlastung, da es sich um im Modernfranzösischen erstarr-
te Syntagmen handelt, die nur in diachronischer Schau erklärbar sind: Nur im
Altfranzösischen, nicht jedoch in der heutigen Sprache ist Nichtsetzung des
Subjektpersonalpronomens bei unpersönlichen Verben Norm. Relikthafte
Bewahrung eines solchen Phänomens liegt aber bei voici/voild nicht vor.
(4) Überdies sind Wendungen wie mieux vaudrait, peu importe, faut pas
faire ça nur freie Varianten sonst immer mit Personalindex kombinierter
Verben, sofern man nicht noch an populärsprachliche und damit schichten-
spezifische Varianten wie_y a un type qui te demande denken will. Solche
stilgebundene Variation ist in dieser Form für voici/voild aber nicht belegbar;
hier entfernt sich im Gegenteil Setzung des Pronomens gerade von der Norm:

6 Cf. G. Moignet, Personne humaine et personne d'univers. Contribution à l'étude du


verbe unipersonnel, TLL 8/1 (1970), 191-202; Verbe unipersonnel et voix verbale,
TLL 9/1 (1971), 267-82; Sur le système de la personne en français, TLL 10/1 (1972),
71-82.
Voici und voilà 79

System/Norm stilschichtengebundene
Variante

unpersönliche Ausdrücke il 0
voici/voilà <t> -t-il; je usw.

(5) Es ist weder syntaktisch noch semantisch einsichtig, warum voici/viold


als „unpersönliche" Konstruktionen (ohne Personenmarke, aber doch uniper-
sonal) gedeutet werden müssen. Im Gegensatz zu den echten unpersönlichen
Äußerungen, wie z. B.11 pleut toujours oder II est des gens qui ne rient jamais,
nehmen Äußerungen mit voici/voilà stets auf eine konkrete Situation Bezug,
an der Sprecher und besonders die angesprochene Person teilhaben. Kontext-
freier Gebrauch wäre im folgenden Beispiel ausgeschlossen:
1 Voilà des gens qui ne rient jamais.

Es scheint ferner, als inzidiere eine solche Äußerung mit voici/voild nicht allein
auf die Situation und den allocutaire, sondern als sei dieser auch an dem in
voici/voild selbst ausgedrückten „verbalen Geschehen" in Form eines 1. Aktan-
ten beteiligt, wie eine Substitution auf Redeebene nahelegt:
2 Les cigarettes que voilà sont à moi

entspricht etwa „Les cigarettes que vous voyez là-bas, que vous trouvez (sur la
table), que vous avez dans votre main, sont à moi". Eine weitergehende Rede-
bedeutung wie etwa „Les cigarettes qui sont i c i . . . " ist zwar durchaus möglich,
trägt aber schon nicht mehr dem syntaktischen Charakter der Wendung mit
dem Relativum que Rechnung.
Es geht also nicht an, in voici/voild unpersönliche Verben zu sehen. Ulrich
Mauch, der sich erst jüngst eingehend mit den unpersönlichen Ausdrücken be-
faßt h a t 7 , führt denn aus verständlichen Gründen beide Einheiten gar nicht auf.
Voici/voild ist somit weder ein unipersonales Verb (in unpersönlicher Ver-
wendung) noch besitzt es überhaupt eine grammatische Person 8 . Dem wider-
sprechen keineswegs die zwei Beispiele, die Moignet (p. 197) — weil unverein-
bar mit seiner These — als Konfusion „dans la pensée de ceux qui possèdent
imparfaitement le système de la langue", als Fälle aus der „grammaire des
fautes" weginterpretiert:
3 Ah! te voilà? - Oui, je voilà.
5jähriges Kind, Beobachtung Moignets p. 197

7 U. Mauch, Geschehen „an sich" und Vorgang ohne Urheberbezug im modernen Fran-
zösisch, Bern 1969 (RH 80).
8 Cf. EGLF, § 2 1 8 5 : „Ce qui les en [ = voici/voild du verbe] distingue essentiellement,
c'est leur absence de support".
80 H. Genaust

4 . . . mais ne me voilà-/e pas prêt depuis des mois, des années?


„Rabéarivolo (poète malgache)" (so Moignet p. 197), Calepins bleus, bei R.
Boudry, Mercure de France, 15 sept. 1938, p. 539 (EGLF § 2188)
Im ersten Fall liegt in kindersprachlichem Idiolekt falscher Umsetzungsme-
chanismus von te voilà zu je voild statt me voild vor, nicht aber, wie Moignet
annimmt, Assimilation von me voild an je suis Id. Im zweiten Beispiel wird
man — bei einem namhaften Dichter — wohl kaum an Unkenntnis des fran-
zösischen Sprachsystems zu denken haben, sondern gleichermaßen an einer
Fehleinschätzung Moignets, der auch den Namen von Jean-Joseph Rabéari-
vélo9 falsch wiedergibt: Es handelt sich um eine poetische Lizenz in Analogie
zu echten Fragesätzen vom Typus ne suis-je... , ne me trouvé-je.. ., keines-
falls jedoch um eine Bildung entsprechend dem Typus ne me voild-t-il pas
prêt... , wo der Bezug auf den Sprecher durch das Objektpronomen ausge-
drückt wird und ein scheinbarer Wechsel zur 3. Person als Subjekt stattfindet.
Überdies hat diese Wendung einen gänzlich anderen Redewert („da bin ich
doch . . . ! " ) ohne interrogativen Charakter, wie Moignet selbst an späterer
Stelle darlegt.
Beide Beispiele hätten Moignets Auffassung stützen können, voici/voild be-
säßen eine grammatische Person und seien deshalb Verb. Denn in beiden Fäl-
len wird ja von Seiten der Sprecher voild als Verb interpretiert und demzufol-
ge unter Verstoß gegen die Norm mit einer Personalmarke versehen.

b)Modus: „Voici-voild ne connaît pas la variation modale: il est, intégrale-


ment, du mode indicatif (p. 197). Diese kategorische Feststellung überrascht
wie die erste. Wir wiederholen ein weiteres Mal, daß bei Neutralisierung sämt-
licher Oppositionen auch eine Modusbestimmung undurchführbar ist. In guil-
laumistischer Sprachauffassung, zu der sich Moignet bekennt, sind Modus und
Tempus in der chronogénèse in der Weise verzahnt, daß auf einer ersten Stufe
(saisie A) in der geistigen Repräsentation das „Zeitbild" (image-temps) noch
nicht, auf der zweiten (saisie B) teilweise, auf der dritten (saisie Cj vollständig
realisiert ist. Diesen saisies entsprächen die Modi Infinitiv/Partizip (A), Sub-
jonctif (B), Indikativ (C) 10 . Das würde bedeuten, daß voici und voilà, sofern
sie Verb sind, die gesamten Stufen der Chronogenese durchlaufen hätten, ja
in jedem Sprechakt von neuem durchlaufen würden, und eine vollständige
Tempusgliederung ausbildeten, die aber — widersprüchlich genug — nur in
einem einzigen Tempus vorhanden sei. Dieser Schluß ist natürlich von der

9 (1901-1937), erster Dichter Madagaskars in frz. Sprache. Sein Name ist im EGLF
unklar gedruckt.
10 Cf. M. Wilmet, Gustave Guillaume et son école linguistique, Paris-Bruxelles 1972,
p. 47—49;P. Wunderli, VRom 32 (1973), 13/14.
Voici und voilà 81

Tatsache abhängig, daß eine Äußerung mit voici/voild situationeil und zeitlich
an den Moment der Sprechhandlung gebunden ist: „Voici-voilà, qui ne sort
pas du moment de la parole, est incompatible avec le temps virtualisé que
signifie le mode subjonctif (p. 198).
Es liegt hier zum einen Verwechslung der Inzidenz auf die Situationelle
Präsenz der Kommunikationspartner mit der temporalen Einheit Präsens vor,
zum anderen ist zu fragen, warum hier denn nicht gerade der Subjonctif (we-
gen der partiellen Tempusgliederung) oder besser Infinitiv (als geringster
Aktualisierungsgrad des Verbs) auftreten müßte. Auch Infinitive können ja
in präsentischer Rede Träger der Verbalhandlung anstelle eines finiten Verbs
sein! Daß voici/voild keine Konjunktive sein können, beweist Moignet damit,
daß sie weder in unabhängigen Sätzen noch in Complétiven jussiven (besser:
volitiven) Wert haben und nie mit konjunktivischen Formen in abhängigen
Sätzen kommutiert werden können. Ungrammatikalisch sind also:
5 *Je veux que le voilà.
*Tu souhaites que le voilà.
*I1 faut que le voilà.
*Dépêche-toi de partir avant que le voilà.
Ich meine, daß aus solchen durch den Semantismus der Einheiten voici/voilà
gegebenen Selektionsbeschränkungen nicht ex negativo auf den Modus des
vermeintlichen Verbs geschlossen werden darf.
c) Tempus: „ Voici-voilà ne connaît pas la variation temporelle parce qu'il
appartient à un seul temps, le présent. Il signale, exclusivement, le moment
dans lequel le locuteur énonce" (p. 198). Nach dem oben Gesagten braucht
nicht noch einmal die Brüchigkeit solcher Argumentation wiederholt zu wer-
den; wenn keine Tempusgliederung da ist, gibt es auch kein Tempus, ja nicht
einmal einen Indikativ. Äußerungen, die sich inzidenziell auf die Situation,
auf den Moment des Sprechens beziehen, müssen nicht notwendigerweise
präsentisch sein, sondern sind eher tempusindifferent und können den Rede-
wert „Gegenwart" eben aus der Anwesenheit der Loquenten, ihrem Hier und
Jetzt, erhalten, wie dies etwa beim lateinischen oder deutschen Imperativ zu
beobachten ist.
Es besteht also kein Grund, voici/voilà ein Tempus und damit einen
Modus zuzusprechen, weil es seinen Bezugspunkt im Moment der Sprechhand-
lung habe, und mit diesem Argument die These vom verbalen Charakter bei-
der Lexien zu stützen.
Eher könnte dies von einem Beispiel her geschehen, das Moignet (p. 198) 11
aus Damourette-Pichon zitiert:
11 Im Widerspruch zu seiner Behauptung „II n'est pas possible de mettre voici-voilà au
passé" (p. 198).
82 H. Genaust

6 Je te disais bien qu'en voilàait un [ . . . vwâlàè:œ:].


M. EP (5jähriger Knabe), 7.6.1931 (EGLF, § 2188)

Dieser Beleg wird natürlich von Moignet als Barbarismus eingestuft, da er


seiner Behauptung zuwiderläuft. Was hier vorliegt, ist nicht allein systemfrem-
der Bezug auf toncalen statt noncalen Standpunkt (so EGLF) - der Junge
wollte verzeihlicherweise die Inzidenz auf das Vergangenheitstempus des
Obersatzverbums markieren - , sondern ebenso ungewöhnliche Ausstattung
des voild mit Imperfekt- und Personalmorphem; genau wie später bei Moignet
ist hier von infantilem Sprecherbewußtsein voild als Verb interpretiert wor-
den, das es nach unserer Meinung nicht ist.

d) Modalität: „Le verbe voici-voilà n'est guère apte à sortir du domaine du


positif" (p. 200), d. h. es lägen allgemein keine Anzeichen expliziter Modali-
täten (Bally) vor. Dann ist aber auch dieses Argument für die These vom ver-
balen Charakter vollkommen unbrauchbar. Die Möglichkeiten einer Umsetzung
in Negation und Frage, die Moignet oben (p. 192, 195) noch für diese These
ins Feld geführt hatte, schränkt er an dieser Stelle eindeutig selbst wieder ein.
Es erweist sich also, wie unzureichend die Indizienbeweise sind, die Moi-
gnet zur Stützung seiner Definition anführt. Es handelt sich nicht um „une sorte
de verbe sans variation morphologique verbale, impersonnel, unimodal (indi-
catif), et unitemporel (présent), qui désigne ce qui est positivement dans le
moment même de la parole" (p. 201), sondern voici/voild sind, wie dargelegt,
apersonal, amodal, atemporal und — sofern man nicht an einen Infinitiv den-
ken will, was bisher niemand getan hat — auch averbal. Die bei Damourette-
Pichon und Moignet (hier ablehnend) genannten meist kindersprachlichen
Beispiele können nicht als Beweis gegen diese Folgerung dienen, sondern sind
umgekehrt zu deuten: Nicht weil in diesen Fällen Person und Tempus expli-
zit markiert sind, hat man von Verben zu sprechen, sondern da die kindlichen
Sprecher in voici/voild aus naheliegenden Gründen Verben zu sehen glaubten,
fügten sie Subjektpronomen und Tempusmorphem an. Ähnliche Fälle sind
aus der Literatur häufiger bekannt, cf. z. B. bei Martinet 12 : „On entend
même, dans la bouche des enfants, ça m'alairait bon pour ça m'avait l'air
bon".
Ein Einwand, den Moignet nicht bringt, könnte der Hinweis darauf sein,
daß voici/voild gewöhnlich ein Objekt bei sich haben, und dies wäre ja doch
Kennzeichen eines transitiven Verbs. Nun ist aber zu bedenken, daß die
Rektion eines 2. Aktanten erst zu den sekundären, variablen Merkmalen des
französischen Verbs gehört. Die konstanten, primären verbalen Charakteristi-

12 A. Martinet, Eléments de linguistique générale, Paris 4 1 9 6 7 , p. 194.


Voici und voilà 83

ka, wie Personen-, Numerus-, Tempus-, Modusgliederung, Aktionsstand,


Diathese und Existenz eines 1. Aktanten (Subjekt) fehlen dagegen bei voici/
voilà vollständig. Das aber kann zu keinem anderen Schluß als dem fuhren,
daß wir es hier gar nicht mit einem Verb zu tun haben, sondern mit einer
anderen Einheit, die über eine 2. Valenz verfügen kann und lediglich aufgrund
ihres syntaktischen Verhaltens bisweilen mit einem Verb identifiziert wird.
Wir haben noch auf den bei Moignet übergangenen Ansatz Lucien Tesniè-
res 13 einzugehen, der voici/voild als mot-phrase, genauer als phrasillon logique
incomplet einreiht, freilich mit der besonderen Feststellung, daß es sich hier
nicht um organismes ankylosés, um mots structuralement inanalysables wie
bei den sonstigen mots-phrases handelt (p. 95). Gemeinsam sei allen diesen
mots-phrases, daß sie Arten von Sätzen, nicht von Wörtern sind, da sie im
discours syntaktisch die gleiche Rolle wie vollständige Sätze spielen (p. 95).
Wenn nun Tesnière noch gegenüber diesen mots-phrases complets (z. B. den
Interjektionen) wieder eine Sondergruppe, die mots-phrases incomplets, aus-
gliedert, die wie voici/voilà nur Teile von Sätzen sind (p. 97), so setzt er sich
ein zweitesmal zu sich selbst in Widerspruch, da ja auch die strukturale (aus-
drucksseitige) Unanalysierbarkeit zu den Kennzeichen der Satzwörter zählt.
Nach semantischen Kriterien definiert Tesnière voici/voild alsphrasillons
logiques, „des mots-phrases dans lesquels la notion exprimée est purement
intellectuelle, sans aucun élément a f f e c t i f (p. 97). Nun ist nicht erkenntlich,
warum voici/voild jedes affektive Element abgesprochen werden muß, wo
andere Forscher 14 gerade diesen Aspekt hervorheben.
Ein entscheidender Einwand gegen Tesnière ist, daß voici/voild gemäß sei-
ner strengeren Definition gar keine mots-phrases sind, keine dem Monorem
Ballys 15 gleichzusetzende Einwortsätze, in denen nur der propos (Rhema)
explizit ausgedrückt ist, sondern daß (um Tesnières eigene Worte zu gebrau-
chen) „ils ne constituent que des fragments de phrases, qu'il est nécessaire de
compléter par d'autres éléments pour obtenir des phrases complètes" (p. 97).
Davon unberührt bleibt Tesnières Verdienst, mit den mots-phrases als „équi-
valents d'une phrase complète" der grammatikalischen Forschung eine neue
Perspektive eröffnet zu haben.
Es ist eine bemerkenswerte Parallele zu der Darstellung bei Tesnière daß
auch Damourette-Pichon 16 voici/voild in ein gemeinsames Teilsystem mit
13 Eléments de syntaxe structurale, Paris 1959 ( 2 1965), p. 9 4 - 9 9 .
14 Cf. z.B. Wartburg-Zumthor, Précis p. 306 (§ 615 c); p. 137 (§ 243); Moignet,
p. 201.
15 LGLF, Berne 4 1965, p. 5 3 - 5 6 .
16 Des mots à la pensée. Essai de grammaire de la langue française (= EGLF), livre VI,
chap. II (t. VI, § 2 1 3 0 - 8 0 ) . - Der Terminus épidictique (cf. gr. epideiktikös
„aufzeigend, zur Schau stellend") entspricht dem frz. présentatif.
84 H. Genaust

oui, si, non einordnen und dieser letzten Gruppe das gleiche distinktive Merk-
mal „anaphorisch" zuweisen:

Tesnière: EGLF:
phrasillons logiques factifs strumentaux
incomplets anaphoriques épidictiques anaphoriques
voici/voilà oui/si, non voici/voilà oui/si, non

Bei Damourette-Pichon fehlt auch nicht der Hinweis, daß die Determination
durch eine deiktische Geste oder durch Inzidenz auf den Kontext vervollstän-
digt werden muß (§ 2181); doch soll nicht verkannt werden, daß beide Ansät-
ze auf verschiedenen, gleichwohl originellen Gedanken beruhen.
Was nun die in beiden Werken als anaphorisch definierten Entsprechungen
von voici/voilà angeht, so hat Peter Wunderli im Rahmen dieses Sammelban-
des17 in überzeugender Weise dargelegt, daß die Negation non den linguisti-
schen Status eines Prosatzes hat, dessen einziges semantisches Merkmal „+ ne-
gativ" ist; seinen spezifischen Gehalt und seinen Satzbauplan erhält non erst
auf Redeebene kraft Inzidenz auf Kontext und Situation. Auch die übrigen
Einheiten wird man ohne weiteres als Prosätze interpretieren dürfen.

II

Es zeigt sich also, daß keiner der bisherigen Definitionsvorschläge akzeptabel,


d. h. mit den sprachlichen Fakten vereinbar ist. Offensichtlich ist eine Lösung
dieser Frage mit den Mitteln der traditionellen Grammatik ebensowenig wie
mit Hilfe strukturalistischer Beschreibungsmethoden möglich, solange diese
auf Wort- oder Satzebene beschränkt bleiben. Es empfiehlt sich daher, von
einer höheren Beschreibungsebene aus, unter Einbeziehung von Kontext und
Kotext, das Problem erneut anzugehen und anhand einer Analyse der Ver-
wendungstypen von voici/voilä nach einer widerspruchsfreieren Definition
ihres Grundwertes zu suchen.
Nehmen wir als Beispiele des wohl häufigsten Typus sprachliche Äuße-
rungen wie:
7 Voici votre chapeau!
8 Où est mon chapeau? - Le voici.

Wäre voici wirklich ein unpersönliches Zustandsverb, wie Moignet annimmt,

17 Cf. p. 4 3 - 7 5 .
Voici und voilà 85

hätten wir parallele Erscheinungen zu d e n p r é s e n t a t i f s wie c'est, il est zu er-


warten; auf jeden Fall aber müßte dann das ihm zugeordnete Nomen als 1.
Aktant erscheinen. Das aber ist durch das Beisp. 8 ausgeschlossen. Das Nomen,
das bei voici/voild steht, ist syntaktisch ein 2. Aktant und hierarchisch von
voici/voild abhängig.
Es bleibt nun zu erörtern, welchen Status voici hier haben muß, um einen
2. Aktanten regieren zu können, wenn es selbst kein Verb ist. Tesnières eige-
ner Vorschlag, voici sei ein mot-phrase incomplet, konstatiert nur das anhin
Bekannte und vermag nicht anzugeben, welche „équivalents d'une phrase
complète" in voici gespeichert sind.
Diese Frage wird uns nun beschäftigen. Akzeptiert man, daß voici — hier
unvollständiges — Äquivalent eines Satzes ist, dann müßte es auch einen
gleichfalls unvollständigen Satzbauplan repräsentieren. Welches Element aus
diesem Bauplan ausgegliedert ist, ist nun offenkundig: Es ist der 2. Aktant,
der explizit in Verbindung mit voici/voild gegeben werden muß, damit der
Satz vollständig ist. Im Gegensatz zu den eigentlichen mots-phrases ist also das
aus voici/voild + Nomen gebildete Syntagma variabel, da das Substantiv bzw.
der hinter dem Objektpronomen stehende Referent einer offenen Liste ange-
hört.
Wenn, wie angenommen, voici/voilà Äquivalent eines Satzes sind, in dem
die Stelle des 2. Aktanten noch aufzufüllen ist, dann repräsentieren sie min-
destens ein Verb als zentralen Knoten und einen 1. Aktanten, möglicherweise
auch einen Zirkumstanten. Die Stellvertretung eines Verbs läßt sich ohne
Schwierigkeiten einsehen, zumal sie die für voici/voilà kennzeichnende Valenz
über einen 2. Aktanten einleuchtend erklären würde.
Die These Moignets steht dieser Überlegung sehr nahe, doch sind als die
zwei wichtigsten Unterschiede hervorzuheben, daß Moignet (1) in voici/
voild selbst ein Verb und nicht einen ein solches einschließenden Repräsen-
tanten sieht; (2) nicht erkennt, daß voici/voild mehr als ein Verb darstellen.
Dieses Verb kann auch nicht mit Moignet als verbe d'existence, sondern nur
als transitives Verb gedeutet werden. Damit ist aber auch Moignets Ansatz
eines ausdrucksseitig zwar entbehrlichen unpersönlichen Subjekts hinfällig.
Es erscheint vielmehr angemessen, als Repräsentation des 1. Aktanten ein
persönliches Subjekt anzunehmen, das freilich — und dies ist ausschlaggebend —
situationeil bzw. kontextuell gegeben ist. Die bisherige Forschung hat zu
wenig darauf gesehen, daß die Setzung von voici/voild neben der Präsenz des
Sprechers die eines Adressaten verlangt, was namentlich in dialogischer Rede-
situation der Fall ist. Jede sprachliche Äußerung mit voici/voild gewinnt ihren
Sinn erst durch Inzidenz auf Situation und Kontext und den Appell an den
Hörer/Leser; die Signalfunktion gehört somit — nach Karl Bühlers Terminolo-
86 H. Genaust

gie — zum Symbolwert von voici/voild. Offener tritt dies in der typischen
Appellsituation, dem Befehl, zutage: Im Imperativ, auch im Neufranzösischen,
wird das Subjekt eingespart, weil es in der Person des allocutaire situationeil
präsent ist. Der gleiche Einsparungsmechanismus liegt nach unserer Meinung
auch im Falle von voici/voilà vor1®.
Was die Frage nach der Repräsentation eines Zirkumstanten angeht, so er-
scheint dies fur die Ortsangabe gesichert. Dies ergibt sich nicht so sehr wegen
der variablen Signifikantelemente /si/ und /la/, die ja eher - wie beim nfrz.
pronom démonstratif - die Orientierung ± seitens des Sprechers markieren,
als vielmehr aus dem Semantismus der Wendung: Voici/voild lenken die Auf-
merksamkeit des lokal kopräsenten Adressaten auf den durch den 2. Aktan-
ten bezeichneten Gegenstand oder Sachverhalt; es besteht ferner Kombina-
tionsbeschränkung mit anderen struments locaux. Dagegen ist die Verbin-
dung mit Zeitadverbien, die ein „Jetzt" markieren, wie z. B. maintenant,
aujourd'hui, erlaubt, so daß der temporale Zirkumstant nicht implizit re-
präsentiert ist.

Verb voici/voilà

1. Aktant* 2. Aktant Orts-* Zeit- 2. Aktant (Zeitadverb,


(Adressat) angabe fakultativ)

(Substituierte Satzkonstituenten sind durch * bezeichnet.)


Stellt man dagegen die repräsentierte Struktur als Inhaltsseite der Zeichens
voici/voild dar, so ergibt sich dieser Bauplan:

transitives Verb
(z.B. .wahrnehmen, sehen')

1. Aktant 2. Aktant Ortsangabe


(= Adressat)

/vuasi/, /vuala/
+ 2. Aktant

18 Cf. P. Wunderli, L'impératif de vouloir: subjonctif et indicatif, Actele celui de-al


XlI-lea Congres international de lingvisticâ y filologie romanicâl, Bucurejti 1970,
Voici und voilà 87

Voici/voild erweisen sich somit kraft ihrer Stellvertreterfunktion als linguisti-


sche Pro-Form, die von den eigentlichen Pronomina durch das Fehlen einer
innersprachlichen Relationalität, von den „neuen Pro-Nomina" Roland Har-
wegs 19 durch den primär nicht vorhandenen (anaphorischen oder katapho-
rischen) Textbezug unterschieden ist. Vielmehr handelt es sich wegen des Be-
zugs auf die Origo von Sprecher und angesprochener Person, auf deren ge-
meinsames Zeigfeld, um Deiktika, um Zeigwörter, wie Bühler20 sagt. Wir ge-
langen so auf anderem Wege zu einer Opposition, wie sie Damourette-Pichon
bei der Untergliederung der factifs strumentaux (anaphorique / vs / épidicti-
que) getroffen haben.
Die deiktische Funktion, die also letztlich aus dem Origobezug der Pro-
Formen voici und voild herrührt, ist auch an anderer Stelle unterstrichen
worden, so von Bally: „D'une façon plus générale, tous les signes appelés
déictiques n'ont pas d'autre fonction que de communiquer à l'entendeur
tout ou une partie d'une pensée" 21 , dann von Henry 22 und Moignet 23 . Sie
ist selbst Grundlage von Definitionen wie Demonstrativ oder Präsentativ
geworden.
Wir definieren somit voici/voilà vorläufig als eine deiktische Pro-Form, die
ein Verb, seinen Situationen gegebenen 1. Aktanten und beschränkt einen
lokalen Zirkumstanten repräsentiert und mit einem 2. Aktanten zu einem
vollständigen Satz aufgefüllt wird. In der Hierarchie der linguistischen Pro-
Formen stehen voici/voild damit über den Einheiten, die nur ein Satzglied (Verb,
Aktant, Zirkumstant) substituieren, aber unter dem Prosatz, wie ihn P. Wun-
derli am Beispiel von non für das Modernfranzösische nachgewiesen h a t 2 4 .
Man könnte unbefangen urteilen, daß sich die hier vorgeschlagene Defini-
tion ja einleuchtend aus der Etymologie von voici/voilà ergibt, nämlich aus
dem Imperativ des transitiven Verbs voir, dessen Subjekt Situationen präsent
ist, und dem Ortsadverb ci/ld. Doch sei betont, daß ich es für methodologisch
bedenklich halte, synchronische Phänomene mit diachronischen Argumenten
zu erklären 25 ; die hier gegebene Deutung beruht ausschließlich auf einer syn-

p. 5 5 7 - 6 8 ; Die Teilaktualisierung des Verbalgeschehens (Subjonctif) im Mittel-


französischen, Tübingen 1970, p. 109ss.; VRom 30 (1971), 145.
19 Cf. R. Harweg, Pronomina und Textkonstitution, München 1968, passim.
20 Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, Stuttgart 2 1965, bes. p. 1 0 2 - 2 0
(Die Origo des Zeigfeldes und ihre Markierung).
21 LGLF, § 60, p. 52.
22 Im unten (N 39) genannten Werk, p. 99.
23 Moignet, p. 201.
24 Cf. N 17.
25 Dies geschieht z. B. bei Wartburg-Zumthor p. 306 und in der Grammaire Larousse du
88 H. Genaust

chronischen Analyse des neufranzösischen Materials und stellt sich die Defini-
tion einer sprachlichen Einheit auf Systemebene, nicht die Beschreibung einer
Redekonstellation zum Ziel. Überdies ist es nicht notwendig, noch aus mo-
dernfranzösischer Sicht im Element /vua/ das Verb voir zu sehen. Sondern so
wie dessen morphologische Indizien vollständig neutralisiert sind, so dürfte
auch die ursprünglich differenzierte Semstruktur auf ein minimales Maß re-
duziert worden sein. Die Leistung von voici/voild besteht demnach darin, daß
der Sprecher eine Sparform zur Hand hat, die es erlaubt, die (nicht nur optische,
sondern auch akustische) Aufmerksamkeit des Adressaten auf einen Gegen-
stand oder Sachverhalt zu lenken, ohne daß das Subjekt, die gesamte Aktuali-
sierungshierarchie 26 des Verbs und dessen jeweiliges Semantem bei der Ab-
wahl aktiviert werden müssen. Als kontextuelle Bedeutung kann auf Rede-
ebene auch eine Umwertung des transitiven Verbs in ein Zustandsverb erfol-
gen, wenn ohne psychologischen Rekurs auf den 1. Aktanten einfach eine
Anwesenheit konstatiert wird (cf. te voilà = tu es là).

Es ist nun zu sehen, ob die hier vorgeschlagene Deutung auch für die übri-
gen Verwendungstypen zutrifft.
1. Voici/voild + Nomen (Substantiv/Pronomen). Wie in Beispiel 7 - 8 dar-
gelegt, fungiert das Nomen als 2. Aktant, cf.:
9 Voici des fruits, des fleurs, des feuilles et des branches. Et puis voici mon cœur,
qui ne bat que pour vous.
Verlaine, Romances sans paroles. Green, v. 1/2
10 Epargner, pardonner, consoler, voilà toute la science de l'amour.
A. France, Balthazar. Abeille, XXII, p. 192 (EGLF, § 2187)
11 Tenez, le v'ia . . . Allez-vous en . . .
A. Flament, La vie de Manet I, p. 7

Verbreiteter als das mit article partitif eingeleitete Objekt:


12 Voici de l'argent

ist dessen anaphorischer Ersatz durch das Pronomen en, das damit zum
2. Aktanten von voici/voilà wird:
13 Tu as besoin d'argent. Tiens en voilà! (en = „de l'argent")

français contemporain p. 85.1m übrigen besteht nicht einmal in diachronischen Erklä-


rungen Einigkeit über den morphologischen Status und die Modalität des verbalen
Elements; es wird an Befehl, Aussage, selbst an Frage (Gamillscheg, Historische fran-
zösische Syntax, Tübingen 1957, p. 544) gedacht. Am ehesten wird man eine Neu-
tralisierung von Modalität, Modus, Tempus und Person in einem reinen Verballexem
annehmen, cf. J. Marouzeau, Composés à thème verbal, FM 20 (1952), 8 1 - 8 6 .
26 Cf. P. Wunderli, VRom. 28 (1969), 95; Teilaktualisierung (1970), p. 3 3 - 3 5 ; ZRPh. 85
(1970), 3 9 3 , 4 2 9 - 3 2 .
Voici und voilà 89

En kann auch den Wert eines redundanten Objekts erhalten, wenn dessen
source sémantique als 2. Aktant folgt (kataphorischer Gebrauch):
14 En voilà une de femme! . . . s'écria Florine.
Balzac, Splendeur et misère des courtisanes I (t. XI, p. 497)
15 En voilà une d'histoire! . . . dit Malaga.
Balzac, Esquisse d'homme d'affaires (t. XII, p. 195)

Selten ist die Setzung des prädikativen Personalpronomens als 2. Aktanten


wie in:
16 . . . celui qui se marie tard, comme voilà toi, il a des chances d'aller longtemps . . .
M. Aymé, Gustalin III, p. 34 (EGLF § 2409)

Zur Erklärung führen Damourette-Pichon an, daß hier nicht (wie mit Hilfe
des unbetonten Pronomens) die Anwesenheit des Adressaten konstatiert,
sondern daß seine Person als exemplarisch hingestellt werden soll.
Dem Nomen kann ein Attribut angegliedert sein:
17 Deux Coqs vivoient en paix; une Poule survint,
Et voilà la guerre allumée.
La Fontaine, Fables VII, 12
18 Le voici installé petit commerçant quelque part.
J. et J. Tharaud, L'ombre de la croix I, p. 26 (kommentiert EGLF,
§ 2186, p. 108)

Daß voici/voild mit ihrem nominalen Objekt einen vollständigen Satz bilden,
zeigen die folgenden Beispiele, wo diese Verbindungen durch entsprechende
Translativa genau wie Sätze mit explizitem Subjekt und Verb in untergeord-
nete Sätze umgeformt werden können, wie als Relativsatz (cf. II, 4):
19 Au point où me voilà . . .

Complétive:
20 Je crois que voici M. Choulette.
A. France, Le lys rouge, p. 130
21 Tu parles qu'en voilà un qui ne doit pas être malheureux.
Proust, A la recherche du temps perdu III, p. 85

Konditionalsatz:
22 Et si le voilà malade, qu'est-ce qui va arriver?
Mme EP, 4 . 5 . 1 9 2 3 (EGLF § 2187)

Komparativsatz:
23 Peut-être vous semble-t-il qu'il est impossible d'obtenir d'un prisonnier plus que
n'en voici obtenu.
J. Rivière, L'Allemand I, 2, p. 85 (EGLF, § 2188)
90 H. Genaust

24 J'aurais encore mon enfant, voire peut-être un gendre avec des petits-fils qui
seraient sur mes genoux; ah! je serais un autre roi que ne me voilà!
G. Polti et P. Morisse, trad. de Novalis, Henri d'Ofterdingen III, p. 64
(EGLF, § 2188)
Die beiden letzten Beispiele sind besonders eindrucksvoll, weil sie auch nach
der Substitution von Subjekt und Verb die syntaktische Konstruktion mit
Setzung des ne discordantiel beibehalten 2 7 . Auch Pro-Formen, die ganze
Sätze repräsentieren wie non, oui, können diese Bedingungen zum Teil er-
füllen (cf. Wunderli, oben p. 64):
25 II dit que oui.
26 Et si non, vous me payez tout.

Als seltene Variante von voici/voild treten revoici/revoilà auf:


27 Me revoici dans les bals.
L. Veuillot, Agnès de Lauvens XXXIV (Œuvres III, p. 378) (EGLF, § 2 1 8 6 )
28 Les revoilà encore qui viennent me dire adieu.
Mme de Sévigné, Lettres VII, p. 284/85 Mommerque
Diese wohl nur in Verbindung mit Personalpronomina existierende Variante
ist nicht als „voilà de nouveau" 28 zu interpretieren, weil sie nicht einen erneu-
ten Blick auf das Objekt lenken soll, sondern die Wiederkunft der bezeichneten
Person(en) anzeigt. Man könnte me voici revenu, les voilà revenus an ihrer Stel-
le einsetzen.

2. Voici/voilà + Q-Aktant. Der vorgeschlagenen Deutung scheinen Fälle zu


widersprechen, in denen voici/voild allein oder ohne explizites Objekt auftritt:
29 Voilà!
30 Ah, voilà!

Das erste Beispiel kennzeichnet den einfachen Hinweis auf ein Objekt, das
dem Adressaten vor Augen geführt wird; das zweite markiert eine plötzliche
Einsicht, die der Sprecher an seine eigene Adresse richtet, die ihm einen
Sachverhalt durchschaubar macht; es liegt also hier eine erweiterte Inzidenz
auf Situation und Kontext vor. Deshalb ist es erlaubt, von einem impliziten,
durch 0 bezeichneten 2. Aktanten zu sprechen. Das ist auch der Fall in den
stehenden Wendungen:
31 Tiens voilà!
32 Voilà pour toi!
33 Voilà c'est comme ça!

27 Dies aber ist kein Beweis dafür, daß voilà deshalb ein Verb ist, wie Moignet p. 191
meint.
28 Cf. Grevisse, Bon usage ( 9 1969), § 948, Rem. 2.
Voici und voilà 91

Es gibt sogar Fälle, in denen aus stilistischen Gründen auf die Markierung
des Objekts verzichtet wird „pour exprimer qu'on ait dit tout ce qu'on avait
à dire sur un objet donné" 2 9 . Voilà erhält hier auf Redeebene zwar den Wert
einer Interjektion (wie in den Beisp. 2 9 - 3 0 ) , aber die stilistische Wirkung re-
sultiert gerade aus der Setzung des (¡)-Objekts:
34 Et si, sacré nom de Dieu, vous n'êtes pas augmenté de huit jours, au rapport de
demain matin, je veux être changé en bénitier! Voilà.
Courteline, Le train de 8 h. 47 III, 3, p. 106 (EGLF, § 2182)

Der gleiche Redeeffekt wird bei einem in Form des Adjektivs tout vorhande-
nen 2. Aktanten in der Wendung voilà tout als Ausdruck der Resignation er-
zielt:
35 La justice est gratuite, seulement les moyens d'arriver à elle ne le sont pas, voilà
tout.
Brieux, La robe rouge III, 2 (EGLF, § 2182)

In dem Beispiel
36 Voici. C'est moi.

liegt nun nicht „emploi absolu" (Wartburg-Zumthor, p. 306, § 615 a) vor,


sondern auch hier sind die Substitutionsmechanismen und die Inzidenz auf
die Situation und den Kontext voll wirksam; man kann eher von katapho-
risch-heteronexer Verwendung sprechen, wie auch unter Bezug auf den Kon-
text in:
37 Et puis voilà: toute l'angoisse ramassée en elle se fixe là, sur cet éclat, ces trous
dans le bois.
Nathalie Sarraute (Grammaire Larousse du fr. cont., p. 85)

Grevisse führt noch (Bon usage, § 948, Rem. 5) Beispiele aus höflicher Kon-
versation an, in denen nach seiner Auffassung voici/voilà als Varianten von
oui, s'il vous plaît usw. auftreten:
38 Ayez la bonté de m'apporter ce livre. - Voilà, monsieur.

Tatsächlich sind diese Redewerte nicht identisch, da oui usw. die Antwort
vor, voici/voild die Antwort nach der ausgeführten Handlung ist. Es liegt also
anaphorisch-heteronexer Gebrauch vor wie auch in:
39 Joseph: - Monsieur a sonné?
Paul: - Vite! une plume, du papier, que je refasse ma carte.
Joseph: - Voilà! voilà!
Labiche et Choler, Les marquises de la fouchette, sc. VIII (EGLF, § 2187)

29 EGLF, § 2182.
92 H. Genaust

Ein nominales Objekt ist schließlich durch 0 substituiert in:


40 Voici pourtant plus sérieux: une caisse de porcelaine, qui contenait la vaisselle de
l'ambassadeur, s'est rompue dans le voyage.
M. Levaillant, Chateaubriand et son ministre des finances (Revue des deux
mondes, 15.6.1922, p. 863),

wo gemäß EGLF, § 2186, eine Entsprechung von voici quelque chose de plus
sérieux zu sehen ist.

3. Voici/voild + Relativsatz. Häufig anzutreffen sind Relativkonstruktionen


in Verbindung mit voild, seltener mit voici. Dabei übernimmt nach einem ge-
läufigen Mechanismus das „neutrale" Demonstrativum ce die Funktion des
2. Aktanten; der folgende Satz wird durch das Relativum in ein Attribut die-
ses Aktanten transponiert, wie in:
41 Voilà ce que je voulais vous faire dire.
H. Becque, Les Corbeaux III, 8
42 Voilà ce que c'est que d'aller au bois où sont les fées!
A. France, La vie littéraire, IV e série: Contes et chansons populaires, p. 82
(EGLF, § 2186)

Auffallender sind Konstruktionen, in denen das Relativum qui direkt an


voild (voici ist nicht belegt) tritt, ohne daß explizit ein 2. Aktant vorhanden
ist:
43 Voilà qui est fort bien agi!
44 Voilà qui est trop fort!
45 Voilà qui est bien, qui va bien.
46 Monsieur - faisant un nœud à son mouchoir: -Voilà qui m'y fera penser.
E. Chavette, Les petits drames de la vertu, p. 214

In allen diesen Beispielen, die zumeist schon formelhaften Charakter haben,


ist eine Referenz auf Personen ausgeschlossen; unmöglich ist:
47 *Voilà qui va vous répondre!
Moignet, p. 191
Es liegt stets Referenz auf einen Sachverhalt 30 , meist auf ein sich dem Be-
schauer darbietendes Resultat, vor, wobei im Hinblick auf die Situationsge-
bundenheit (cf. Beisp. 42) analog dem vorhergehenden Abschnitt der 2.
Aktant (das antécédent ce) durch 0-Form ausgedrückt, also eingespart ist.
Wartburg-Zumthor 31 sprechen denn auch, ohne die Gründe aufzuzeigen, von
einer Reduktion ce qui > qui:

30 Moignet spricht deshalb von einem qui neutre, die Grammaire Larousse du fr. cont.
(p. 85) von Formen „sans antécédent (valeur indefinie)".
31 Précis p. 128, § 222.
Voici und voilà 93

48 II est déjà arrivé! Voilà qui m'étonne!

ce à quoi > d quoi:


4 9 Voilà à quoi je ne m'attendais pas!

ce que > que:


5 0 Voilà que je trouve plaisant!

ce dont > dont (ohne Beleg).


Häufig ist noch ein Typus, in dem sich qui nicht auf ein „neutrales"
antécédent, sondern auf ein Nomen bezieht, das als 2. Aktant von voici/voild
regiert wird:
51 Voilà le train qui arrive (Bally, LGLF, p. 75, § 108)
52 Parlons à ce rival, le voilà qui s'avance.
Corneille, Sertorius II, 3
Diese Konstruktionen haben, wie Bally anläßlich Beisp. 51 bemerkt, die Funk-
tion, ein Element hervorzuheben, ohne daß die progressive Sequenz AZ
(thème-propos) verlorengeht; sie gehören mit ihrer populärsprachlichen Va-
riante il y a (y a). .. qui zu den oben kommentierten tours présentatifs, cf. :
53 II y a Paul qui m'a chipé mon couteau.
Bally, LGLF, p. 75

Gemeinsam ist den hier behandelten Relativkonstruktionen, daß sie als


scheinbarer, d. h. nur psychologisch relevanter 2. Aktant von voilà (voici)
fungieren, während das linguistische Objekt durch ce ausgedrückt oder durch
0 repräsentiert wird.

4. Voici/voild im Relativsatz. Es ist oben anhand des Beisp. 19 (Au point


où me voild ... ) schon dargelegt worden, daß ein aus voici/voild und seinem
2. Aktanten gebildeter Satz wie jeder andere Satz durch ein Relativum in
einen Relativsatz, d. h. in ein adjektivisches Attribut eines im Obersatz gege-
benen Nomens, transponiert werden kann:
54 un écrit dont voici le contenu
55 Tavernier, est-ce un pseudonyme de Charles Guérin dont voici le modèle, dont
voici la peinture?
Apollinaire (Gramm. Larousse du fr. cont. p. 86)

Hier ist einmal me (Beisp. 19), das anderemal le contenu, le modèle, la peinture
das Objekt von voici/voilà. Anders liegen Fälle, in denen das Relativum selbst
den 2. Aktanten — natürlich in der dieser Bedingung entsprechenden Form que —
darstellt, so daß also der Relativsatz auf Relativum + voici/voilà verkürzt ist:
56 Qu'as-tu fait, ô toi que voilà
Pleurant sans cesse,
94 H. Genaust

Dis, qu'as-tu fait, toi que voilà,


De ta jeunesse?
Verlaine, Sagesse. Le ciel est, par-dessus le toit
57 . . . rapports que j'ai essayé d'expliciter par le trapèze que voici:
G. Hilty, VRom. 32 (1973), 40

5. Voici/voild + Infinitiv. Die Funktion des 2. Aktanten kann auch durch


einen Infinitivsatz erfüllt werden, wobei, wie auch Moignet (p. 190/91) be-
merkt, die Kombination häufig auf Bewegungsverben, die ein Ankommen
oder Fortgehen markieren, beschränkt ist:
58 Voici venir les temps où vibrant sur sa tige
Chaque fleur s'évapore ainsi qu'un encensoir.
Baudelaire, Fleurs du mal. Spleen et idéal, XVIII. Harmonie du soir
59 Mais voici déboucher, à travers feuilles, une troupe de galantins.
J. Delteil, La Fayette II, p. 38 (EGLF, § 2186)
60 De l'Odéon au Moulin de la Galette, les voici partir pour la chasse aux Mimis
Pinsons.
P. Dufay, Au temps du Chat Noir (Mercure de France, 1.12.1931, p. 265)
(EGLF, § 2186)
61 Voici, de la maison, sortir un Salavin épineux et glacé.
G. Duhamel, Deux hommes, p. 209 (Grevisse, § 948a, 1007a)

Aber auch andere Semanteme des Verbs sind nicht nur in älteren Texten
möglich:
62 Ta, ta, ta, ta. Voilà bien instruire une affaire!
Racine, Les plaideurs III, 3
63 Et voici commencer le rêve de Shakespeare.
J. Lemaître, Impressions du théâtre I, p. 116 (Grevisse, § 1007 a)
64 Voici croître en mon cœur guéri de ses chimères L'ennui des voluptés dont on
touche le fond.
J. Tellier, Prière (A. France, La vie littéraire IV, p. 186) (EGLF, § 2186)
Der Infinitiv kann auch für sich allein 2. Aktant von voilà sein:
65 Voilà parler!
Le Temps, 10.12.1921, p. 1 (EGLF, § 2186)

Der hier erzielte Nutzwert entspricht — bei größerer Prägnanz — dem von
Voild ce que c'est que de parler!
In allen Fällen werden Sätze, deren Verb in der Form der Nullaktualisierung
erscheint, durch 0-Translativ in einen nominalen 2. Aktanten transponiert, der
die gleiche syntaktische Rolle wie das Substantiv in voici le train qui arrive
(arriver) spielt.
Anders als diese infinitivischen Complétiven muß ein Typus interpretiert
werden, der fälschlich hierher gestellt worden ist 32 :
32 Grammaire Larousse du fr. cont., p. 117.
Voici und voilà 95

66 Nous voilà à rire.


Hier ist nämlich das Pronomen 2. Aktant von voild, nicht der präpositionale
Infinitiv, der sich vielmehr diesem Pronomen hierarchisch in gleicher Funk-
tion wie ein Relativsatz unterordnet ; die Neutralisierung der verbalen Aktuali-
sierungsstufen in voild und à rire und die Einsparung von Zeichen verleiht sol-
chen Wendungen Spontaneität und Prägnanz.

6. Voici/voild + Partizip Perfekt. Dem vorigen Typus auch im Semantismus


des Verbs verwandt sind Wendungen, die äußerlich wie eine Umstellung der in
Beisp. 17—18 besprochenen Struktur wirken, in denen also ein Partizip die
Rolle des 2. Aktanten ausfüllt:
67 Voici revenus les beaux jouis!
6 8 Voilà passées une dizaine d'années.
P. L. Courier, Œuvres (Littré)
Der Unterschied in der Leistung gegenüber dem infinitivischen Objekt besteht
darin, daß diese Partizipien bereits eine erste Aktualisierungsstufe überschrit-
ten haben und den Aktionsstand des accompli, den bereits eingetretenen Sach-
verhalt, markieren.

7. Voici/voilà + Complétive. Eine recht unterschiedliche Beurteilung hat


ein Typus von Sätzen erfahren, die mit voici (voild) que. . . eingeleitet wer-
den:
6 9 Voilà qu'il galopait maintenant.
Flaubert, Trois contes, p. 19
70 Mais voilà que l'étude synchronique elle-même a fait surgir des questions auxquel-
les l'histoire seule peut répondre.
A. Henry, C'était il y a des lunes, p. 6 9
71 Jusqu'à ce soir fatal, elle n'était rien. Et voici soudain qu'elle existe.
F. de Miomandre, Ecrit sur de l'eau. Une fée apparaît, p. 7 (EGLF, § 2 1 8 6 )
72 Et voici qu'au contact glacé du doigt de fer
Un cœur me renaissait, tout un cœur pur et fier.
Et voici que, fervent d'une candeur divine,
Tout un cœur jeune et bon battait dans ma poitrine.
Verlaine, Sagesse. Bon chevalier . . , v. 1 1 - 1 4
Grevisse (§ 180, 1003 a) spricht von principales incomplètes, weil sie wie
Sätze vom Typus assurément que... , heureusement que. . . , peut-être que
. . . usw. kein Verb enthielten. Andere leiten aus diesem Vergleich die Deu-
tung von voici/voild als Adverb her. Bally empfindet diesen Satztypus als
Äußerung ohne Thema entsprechend den Monoremen. Tatsächlich aber han-
delt es sich um vollständige Sätze, in denen voici/voild stellvertretend für
1. Aktanten und Verb stehen, also nicht Adverb sein können 3 3 ; der 2.
33 Genau so wenig wie der Prosatz non im Satztypus Non que . . .
96 H. Genaust

Aktant wird von dem folgenden Nebensatz geliefert, der durch das Translativ
que in ein nominales Objekt transponiert wird. Es liegen also echte Compléti-
ven vor 34 . Der Eindruck eines Adverbs (in Beisp. 69, 71 identisch mit dem
explizierten Adverb maintenant, soudain) oder der eines Präsentativs ergibt
sich lediglich als Nutzwert aus diesem besonderen Redetypus.
8. Voici/voild + pourquoi/comment (indirekter Fragesatz). Neben Relativ-
satz. Infinitivsatz und Complétive können auch indirekte Fragesätze die Funk-
tion des 2. Aktanten von voici/voild ausüben, allerdings nur, wenn das Translat
den Wert eines Substantivs 'la cause, la manière' hat:
73 Et voilà pourquoi j'avais mis en vous mon espoir.
E. Estaunié, L'ascension de M. Baslèvre I, 5, p. 55 (EGLF, § 2186)
74 Voilà comment les choses se passent: le pays limitrophe s'avance jusque sur les
bords de la frontière.
M. Aymé, Silhouette du scandale, p. 149 (Grevisse, § 948)
Auch Einsparung aller Elemente des Fragesatzes bis auf das Fragewort selbst
ist möglich, so daß scheinbar ein Adverb die Ergänzung von voici/voilà bildet:
75 Voici comment.
76 Voilà pourquoi.
Tatsächlich handelt es sich hier gleichfalls um einen 2. Aktanten, nämlich
Nomina, die freilich Translationen von reduzierten Fragesätzen als knappstem
Ausdruck der Frage nach den Ursachen, der Vorgangsweise eines Sachverhal-
tes sind, cf. entsprechend:
77 Je ne savais pas pourquoi, comment.
Moignet (p. 201) bestreitet die Annahme eines Fragesatzes nach voici/voild,
da ja statt comment auch comme stehen könne:
78 Voilà comme il faut agir!
Er übersieht, daß comme auch heute noch als freie Variante des interrogativen
Adverbs comment35 eintreten, ja selbst wie dieses als reduzierter Fragesatz vor-
kommen kann, wie ein Beispiel aus La Fontaine beweist:
79 Je t'attraperai bien, dit-il, et voici comme.
Fables VIII, 10

Dem entspricht der Gebrauch von comme nach savoir:


80 J'attendais la catastrophe. Elle vint et l'on sait comme.
G. Duhamel, Cri des profondeurs, p. 87

34 Cf. Wartburg-Zumthor, Précis, p. 306; Dubois-Jouannon-Lagane, p. 93; Grammaire


Larousse du fr. cont., p. 112.
35 Cf. Grevisse, p. 773, § 835.
Voici und voilà 97

Wir haben somit 8 Typen von Sätzen kennengelernt, in denen das Objekt
von voici/voild auf verschiedene Weise zum Ausdruck kommen kann. Alle
Typen bestätigen gerade dadurch unsere Definition, daß voici/voild eine Pro-
Form mit 2 Aktanten ist und daß beide Elemente zusammen erst Äquivalent
eines vollständigen Satzes bilden.
Es bleiben nun noch Fälle zu besprechen, in denen sich diese Pro-Form mit
den Modalitäten der Negation und/oder der Frage verbindet und wo sie mit
einer Zeitangabe in einen temporalen Zirkumstanten transponiert wird.
9. Negation (ne voild-t-ilpas, ne voild pas, usw.). Ein Verwendungstypus
von voild (nicht voici) scheint der bislang vorgeführten Erklärung zuwiderzu-
laufen:
81 Ne voilà-t-il pas que vous n'avez aveint que six morceaux de sucre, m'en faut huit.
Balzac, Eugénie Grandet (t. V, p. 253)
82 Faisons enfin observer que les salaires étaient beaucoup plus élevés dans les villes
à corporations que dans les villes libres. Ne voilà-t-il pas une nouvelle preuve de
l'utilité des corporations.
Henri, comte de Paris, Le prolétariat I, 1, p. 23
83 Mais ne voilà-t-y pas un bébé? - A-t-on idée de pleurer comme ça!
Courteline, Les linottes II, p. 53

Ohne das Element t-il in Texten bis zum 17. Jahrhundert:


84 Ne voilà pas mon enragé de maître!
Molière, L'étourdi V, 7 (Moignet, p. 192)

In populärsprachlichem Kontext ohne das Element ne:


85 Voilà-t-il pas monsieur qui ricane déjà! 36
Molière, Tartuffe I, 1
86 J'ai eu tort de provoquer sa curiosité, - d'accord. Voilà-t-il pas un bien grand
crime?
L. Frapié, La maternelle III, p. 87
87 Mais vlà-t-i pas qu'en arrivant au pays, on était plusieurs!
H. Barbusse, Le feu VIII (Moignet, p. 192)

Alle diese Beispiele könnten gegen unsere Definition sprechen, weil


(a) ein 1. Aktant im Personalpronomen il vorhanden ist,
(b) die Inversion vom Typus voild-t-il (analoge a-t-il) für den verbalen
Charakter von voild spricht,
(c) die Modalitäten der Negation und der Frage dies gleichfalls nahelegen.
Dem ist entgegenzuhalten, daß
(a) es sich um populärsprachliche Wendungen handelt, die unterhalb der
Norm stehen,

36 Nicht als Frage (. . déjà?), wie Grevisse, § 948, Rem. 1, zitiert.


98 H. Genaust

(b) das Element -t-il gar nicht als Verbindung von -t- und Personalprono-
men il, sondern vielmehr als orthographische Variante (neben -t-y in
Beisp. 83, -t-i in Beisp. 87) des volkssprachlichen Fragemorphems ti31
zu deuten ist, wie dies auch die Grammaire Larousse du français
contemporain vermutet: „Elle [ = particule interrogative ti\ a eu plus
de succès comme élément de renforcement d'un voilà nié" (p. 99.
§ 135),
(c) die Modalität der Frage gar nicht zum Tragen kommt, da in der Mehr-
zahl der bekannten Fälle ein Ausruf (meist des Erstaunens) vorliegt
(Beisp. 84,85, 87), sonst das Konstatieren einer Tatsache (Beisp. 81,
82). Beisp. 83 und 86 enthalten rhetorische Fragen. Das Signifikat „Frage"
ist also in diesem Typus zum großen Teil durch den Kontext neutra-
lisiert und wird auf Redeebene durch die beschriebenen Redebedeu-
tungen verdrängt,
(d) ebensowenig die Modalität der Negation (um die es hier geht) durch-
schlägt, sondern daß vielmehr „durch syntagmatische Kombination
beider Modalitäten ein positiver Gesamtnutzwert erzielt" 38 wird,
so daß also eine ausdrucksseitige Verstärkung der Aussage eintritt.
Tatsächlich wird in keinem unserer Belege ein Sachverhalt durch
die Negationsmorpheme negiert, auch nicht in der rhetorischen Frage
(Beisp. 86), wo der Sinn nicht als „Ist das nicht. . . ?," sondern als
„Ist das denn . . . ? " zu interpretieren ist.
Keine Negation, nicht einmal ein „engagement minimal en négativité" (wie
Moignet p. 200 glaubt) liegt in den Beispielen 23—24 vor, in denen ein
Morphem ne in einem aus voici/voild und seinem Objekt gebildeten Kom-
parativsatz enthalten war. Dieses ne markiert nun nicht die Negation des
vermeintlichen Verbs voici/voild, sondern die Diskordanz des im Komparativ-
satz durch die Pro-Form substituierten Sachverhaltes zu dem Geschehen des
Obersatzes, so daß man angemessener mit Damourette-Pichon von einem ne
discordantiel zu reden hat.
Es bleiben noch Fälle zu besprechen, wo voilà (nicht nur in präpositionel-
ler Verwendung) in syntagmatischer Konstellation mit einer Zahlenangabe
negiert zu sein scheint:

37 Cf. die Literatur zum frz. Fragesatz von G. Paris, Ti, signe d'interrogation, R 6
(1877), 4 3 8 - 4 2 (Mélanges linguistiques, Paris 1909, p. 2 7 6 - 8 0 ) ; E. Rolland, Ti,
signe d'interrogation, R 7 (1878), 599, über E. Fromaigeat, Les formes d'interroga-
tion en français moderne, VRom. 3 (1938), 1 - 4 7 , bis hin zu P. Behnstedt, Viens-tu?
Est-ce que tu viens? Tu viens? Formen und Strukturen des direkten Fragesatzes im
Französischen, Diss. Tübingen 1973, p. 1 4 - 3 5 .
38 P. Wunderli, VRom. 30 (1971), 316.
Voici und voilà 99

88 II est parti ne voilà pas huit jours.


8 9 Ne voilà que deux de nos amis.

Wertet Moignet anfangs (p. 191) diese Fälle als „formes de la négation et de
l'uniception réservées aux formes verbales", so schränkt er diese Ansicht
später wieder ein: „II s'agit, en réalité, par la négation, de suggérer, non pas
l'idée d'une durée nulle, mais celle d'une durée positive numériquement
inférieure: le sens est: „voilà moins de trois jours que . . . " C'est le numéral,
plutôt que ce qui l'introduit, qui est sous négation" (p. 200). Es liegt also
auch hier positiver Nutzwert vor, obwohl syntaktisch die Setzung der Nega-
tionsmarke dank des in voild substituierten verbalen Elements möglich ist.
10. Voild + Fragemorphem. Die vorhergehenden Beispiele haben gezeigt,
daß durch Kombination von Frage- und Negationsmorphemen ein positiver
Gesamtnutzwert erreicht wird. Es gibt aber auch Fälle, in denen voild (nicht
voici) mit der Interrogationsmarke allein ausgestattet ist, was nicht überrascht,
da bekanntlich alle Sätze, also auch deren Pro-Formen, mit dem Fragemor-
phem, namentlich dem Prosodem „Ansteigen der Intonationskurve", kombi-
nierbar sind:
9 0 Le voilà?
91 Est-ce que le voilà?
92 Te voilà-t-il?

Alle drei Typen sind zum einen durch Intonation mit Zeichencharakter,
Beisp. 91 zusätzlich durch das Morphem est-ce que gekennzeichnet; im dritten
Beispiel macht eine Transformation deutlich, daß kein invertiertes Personal-
pronomen vorliegt, sondern eine Variante des populärsprachlichen Fragemor-
phems ¡ti/ (cf. N 37):
93 Te verra-t-il? Il te verra.
Te voilà-t-il? Te voilà
(*I1 te voilà ist ausgeschlossen)

Es scheinen allerdings mit Moignet (p. 200/01) keine echten Fragen vorzuliegen,
sondern ein „cas minimal de l'interrogation, celui qui vise à obtenir, non pas
une information, mais la simple confirmation d'un fait déjà énoncé ou attendu".
Fragen nach den Aktanten dieser Sätze sind jedenfalls ungrammatikalisch.
11. Voici/voild + Zeitangabe. Schließlich ist noch eine verbreitete Kombi-
nation zu diskutieren, in der als 2. Aktant von voild, seltener von voici, eine
Zeitangabe (sémiome de temps, A. Henry), am häufigsten gebildet aus Nume-
rale + Substantiv aus dem Wortfeld „Zeiteinheit" auftritt. Dabei sind drei
strukturell verschiedene Typen zu unterscheiden:
100 H. Genaust

a) Voici/voilà + Zeitangabe als segmentiertes Satzelement:


94 Voici dix ans déjà, le 31 octobre 1955, mourait à sa table de travail Albert Dau-
zat.
S. Sindou, FM 34 (1966), 75 (Henry, p. 102)
95 II vient de mourir, voici dix jours à peine, d'un infarctus.
M. de Saint-Pierre, Les nouveaux aristocrates, p. 17 (Henry, p. 101)

In allen Beispielen haben wir es — nach der Terminologie Ballys — mit


phrases segmentées zu tun, in denen ein hier ausschließlich (und stets?)
aus voici + (durch Adverb modifizierte) Zeitangabe gebildeter Satz durch
Koordination bzw. Insertion in ein Satzgefüge eingegliedert wird. Voici be-
wahrt hier durchaus seinen Grundwert als eine Pro-Form mit 2. Aktanten;
der aus beiden Elementen gebildete Satz kann auf Redeebene als dem folgen-
den Typus vergleichbar empfunden werden.
b) Voici/voild + Zeitangabe in präpositioneller Verwendung:
96 II est parti voilà (bientôt) huit jours (cf. Beisp. 88).
97 Elle est jeune, mais d'une jeunesse qui s'épanouit et se fixa voici quinze ans . . .
F. Mauriac, Le desert de l'amour, p. 32 (Henry, p. 101)
Auch in Variation mit il y a:
98 Car j'ai acquis la quasi certitude que deux personnes au moins sont mortes de
la même façon, l'une voilà près de deux mois, l'autre il y a seulement trois
semaines.
G. Simenon, Les nouvelles enquêtes de Maigret, p. 70 (Henry, p. 103)

Der aus voilà (voici) und seinem Objekt gebildete Satz wird in diesen Beispie-
len durch 0-Translativ in einen temporalen Zirkumstanten transponiert.
Henry, der speziell diesen Verwendungstypus untersucht hat 3 9 , spricht in
Anlehnung an Damourette-Pichon vom Produkt einer „taxiematischen Me-
tasematisation" (p. 99) aus einer Verbform, die direkt mit der Umsetzung des
Syntagmas il y a in ein strument temporel vergleichbar wäre. Tatsächlich kann
man auch in den Beisp. 94—98 il y a bzw. (Beisp. 96) il y aura kommutieren.
Wir haben hier den Übergang von der phrase segmentée zur phrase liée vor
uns, am deutlichsten greifbar in Beisp. 97.
Es liegt natürlich auf der Hand, aus synchronischer Sicht in voilà/voici eine
Präposition zu sehen, wie auch geschehen, zumal in Beisp. 96 und öfter voild
auch mit depuis kommutabel ist. Diese Möglichkeit reicht aber noch nicht aus,
um schon von einer Präposition zu sprechen, wie Moignet betont: „On est en

39 C'était „il y a" des lunes. Etude de syntaxe française, Paris 1968 (Bibliothèque
française et romane A 15), p. 9 9 - 1 0 4 . - Siehe noch M. Wilmet, Note sur l'évolu-
tion sémantique et syntaxique de il y a, TLL 9/1 (1971), 2 8 3 - 3 0 7 .
Voici und voilà 101

droit, tout au plus, de parler d'un emploi prépositionnel, en discours, d'un


mot qui, en langue, est toute autre chose" (p. 192). Es läge somit Neutralisie-
rung der ohnehin minimalen verbalen Komponente auf der Ebene des discours
vor 40 .
Dies steht in Einklang mit den Ergebnissen, zu denen Albert Henry in sei-
ner Studie über die präpositioneile Verwendung von il y a 4 1 gelangt: In der
proposition juxtaposée (= phrase segmentée) behält il y a + Zeitangabe (Hen-
ry schreibt dafür Fx) seinen vollen verbalen Wert; von einer Präposition kann
man nur in dem folgenden Typus sprechen:
9 9 Le menuisier est venu il y a deux jours.
100 Le menuisier était venu il y avait deux jours.
(Henry, p. 6 3 )

Aber Henry zögert aus guten Gründen, dieser Gebrauchsweise den Status
eines Zeichens Yx „Präposition" zuzuweisen, obschon eine Metasematisation
vollzogen ist; immerhin handelt es sich um ein teilweise konjugiertes, oder —
genauer gesagt — mit einem indice chronologique versehenes strument tem-
porel, das auch noch in Negation auftreten kann. Henry folgert daher: „Yx
(il y a, il y avait) est un strument temporel que la parole a donné à la langue.
On découvre ici, une nouvelle fois, la souplesse avec laquelle la parole a
utilisé un donné de la langue . . . pour, finalement, enrichir la langue elle-
même d'un nouveau mécanisme" (p. 67)
Der Kommutabilität von voici/voilà mit il y a und depuis sind freilich
Grenzen gesetzt; alle drei Einheiten haben unterschiedliche Distribution und
Systemwerte. Was den Vergleich mit il y a angeht, bemerkt Henry: „Voici-
voilà a en commun avec Yx d'être un situant „relatif, mais moins riche de
possibilités d'ordre chronologique. Voici-voilà, du point de vue du fonctionne-
ment, équivaut, en pratique, uniquement à il y a nynégocentrique . . . Quoique
appartenant au même „sous-système" que Yx, voici-voild n'a pas la liberté de
déplacement de Yx sur la ligne de temps, si caractéristique" (p. 103). Ent-
scheidend ist also der größere Aktionsradius von il y a, der die Leistungsberei-
che des präpositioneil verwendeten voilà (voici) einschließt und letztlich auf
der noch funktionierenden Verbalität von il y a beruht. Il y a gehört deshalb
nach unserer Auffassung nicht dem gleichen Teilsystem wie voici/voild an,
weil es selbst Teilsatz mit den Komponenten Verb, 1. Aktant und Ortsangabe
und nicht Pro-Form dieser Elemente ist.

4 0 Cf. P. Wunderli, VRom. 3 0 ( 1 9 7 1 ) , 3 1 6 .


41 Henry, op. cit., p. 6 1 - 6 8 .
102 H. Genaust

Im Unterschied zu voilà lenkt depuis den Blick von der Vergangenheit als
Ausgangspunkt auf die Origo des Sprechers, wie Moignet (p. 198) einleuch-
tend darstellt:
101 II est parti depuis huit jours.
d e p u i s . . . . f—t—f—f *
12 3

Dagegen ist der Ausgangspunkt der Blickrichtung von voilà, dem oben be-
schriebenen Semantismus der Pro-Form entsprechend, diese Origo selber, das
moi-ici-maintenant des Sprechers:
102 II est parti voilà huit jours.
voilà . . . M f—f—,—i
3 21

Damit ist erklärt, daß das Geschehen in der Gegenwart des Sprechens vollen-
det sein muß: „Voici-voilà suivi d'un sémiome de temps situe dans le passé
l'événement accompli" 42 . Unmöglich ist also ein Typus:
103 *I1 travaille voilà huit jours.

Ebenso ist die Setzung von voilà unvereinbar mit einem in der Vergangen-
heit oder in der Zukunft liegenden Bezugspunkt, wie Jacqueline Pinchon43
jüngst gezeigt hat, cf. z. B.
104 *I1 sera parti voilà un mois demain (la semaine prochaine).
105 *I1 est parti voilà dix ans la semaine prochaine.
(Henry, p. 103 N 10)

c) Voici/voilà + Zeitangabe + que-Satz: Nicht eine einfache Umstellung,


sondern einen Typus gänzlich unterschiedlicher Funktion und Leistung
bilden die folgenden Strukturen:
106 Voici plusieurs jours que je manque de courage.
Balzac, Lettre à Mme Carraud, 1.1.1833 (Revue des deux mondes, 1.2.1923,
p. 626) (EGLF, § 2189)
107 Voilà bien huit jours qu'il travaille.
J. Pinchon, Langue française 21 (1974), 51
108 Voilà trente ans que je le vis pour la première fois.
A. France, Etui de nacre, p. 28 (Le Bidois, § 1445)

In diesen Beispielen liegt, wie auch in der Wendung il y a + Zeitangabe + que

42 op. cit., p. 101.


43 „L'homme dans la langue". L'expression du temps, Langue française 21 (1974),
4 3 - 5 4 , bes. 50/51.
Voici und voilà 103

keinerlei präpositionaler Gebrauch vor. Im Unterschied zu dem eben geschil-


derten Typus (b) bewahrt dieser Bauplan die progressive Sequenz, bildet je-
doch gegenüber dem Typus (a) eine phrase liée (Bally).
Schwierig zu beantworten ist die Frage, welches Element die Rolle des
2. Aktanten von voici/voild übernimmt, ob nämlich die Zeitangabe selbst
oder aber der durch que eingeleitete Satz, der dann Complétive (cf. II, 7)
wäre. Grevisse (§ 1017, Rem. 2) deutet que als einfache, einen Temporalsatz
einleitende Konjunktion; das hieße aber, daß dieser Satz durch das Translativ
que in einen temporalen Zirkumstanten transponiert würde. Das aber ist nicht
möglich. Dieser Zirkumstant wird vielmehr von voici/voild und seinem 2. Ak-
tanten gebildet. Wenn dem so ist, dann liegt ein spezieller Gebrauch des Rela-
tivums nach proleptischer Zeitangabe vor, den Grevisse (§ 549) etwas un-
glücklich als „une sorte d'adverbe conjonctif" betrachtet:

109 La première fois que je l'ai vu . . .


110 II y a deux ans que je ne vous ai écrit.
111 Les jours qu'elles réglaient leurs comptes . . .
Flaubert, Education sentimentale II, p. 211

Wir haben es also bei genauer Betrachtung mit einer Variante des Typus
Voild le train qui arrive (Beisp. 51) zu tun, in dem der propos in einen Relativ-
satz verlegt wird.
Es ist noch daraufhinzuweisen, daß voici/voild bei identischem Grundwert
in der Verbindung mit Zeitangabe + que. .. zwei verschiedene Nutzwerte er-
zielen kann, die vom Aktionsstand des im Nachsatz enthaltenen Verbs gesteu-
ert werden. Liegt dort accomplissement (aspect immanent) vor, wie in den
Beisp. 1 0 6 - 1 0 8 , dann markiert voici/voilà „l'espace de temps depuis lequel
dure l'action" 4 4 .
Bei Inzidenz auf ein accompli {aspect transcendant, Guillaume) des folgen-
den Verbs dagegen bezeichnet voilà „qu'un certain laps de temps s'est écoulé
entre l'accomplissement de l'action et le m o m e n t où l'on parle" 4 4 :
112 Voilà bien longtemps que je n'ai eu de tes nouvelles.
E. Manet, Lettre à Mme Manet, 3 0 . 9 . 1 8 7 0 (A. Flament, La vie de Manet,
p. 290) (EGLF, § 2189)
113 C'est voilà un an qu'ils sont partis déjà!, nous rappelait la vieille aux sodas.
Céline, Voyage au bout de la nuit I, p. 4 4 (Henry, p. 103)

Die hier herausgestellten, im Deutschen unterschiedlich übersetzbaren Rede-


werte von voici/voild sind, wie sich gezeigt hat, als Positionsvarianten zu inter-
pretieren.

4 4 Cf. Wartburg-Zumthor, p. 306, § 616.


104 H. Genaust

Bei fehlender Aktionsstandmarkierung des der Zeitangabe folgenden Verbs


bleibt auch die Zuordnung zu einem dieser Nutzwerte im unsicheren:
114 Je pris le tramway de Munich, de Munich que j'avais abandonnée, voilà quinze
ans pour venir toucher à Paris le premier prix du concours.
J. Giraudoux, Siegfried et le Limousin, p. 71 (Henry, p. 102)

Henry und Jacqueline Pinchon 45 werten hier voild als semantisch neutral und
führen das Beispiel als Beleg für den Fall an, wo der Bezugspunkt unbestreit-
bar in der Vergangenheit situiert ist. Deutlicher scheint das in einem Beispiel
aus dem gleichen Werk 46 :
115 . . . avec sa Petite Entente, qui avait, voilà deux siècles, au-dessous de l'Europe
alors apparente, acclame Poquelin.
op. cit., p. 183
Es sei jedoch bemerkt, daß auch hier keine den Beisp. 112—113 vergleichbare
Gebrauchsweise vorliegt.

III

Die nunmehr einer Durchmusterung unterzogenen Verwendungstypen haben


sich mit dem oben definierten Grundwert von voici und voild nicht nur als
voll vereinbar gezeigt, sondern sie haben damit auch die vorgeschlagene
Definition als haltbar erwiesen.
Es bleibt abschließend noch die Frage zu klären, welcher Art die Opposi-
tion zwischen den beiden Einheiten ist. Die traditionelle Auffassung basiert
auf einer Parallelisierung zu den Demonstrativpronomina [+ menschL] celui-ci
/vs/ celui-ld bzw. [-menschL] ceci /vs/ cela41, wo mit Sicherheit eine Oppo-
sition der Zuordnung des Referenzobjekts zum Sprecher bzw. Nicht-Sprecher
vorliegt. Diese Zuweisung wird nun zusätzlich, ohne daß die textlinguisti-
schen Aspekte thematisiert werden, mit einer diaphorischen Funktion ver-
bunden. Cf. die Darstellung bei Grevisse (§ 948):
„ Voici sert à désigner à l'attention Voilà sert à désigner à l'attention
une personne ou une chose une personne ou une chose
proche48 de la personne qui parle, éloignée48 de la personne à qui l'on parle,

45 Langue française 21 (1974), 51.


46 „II y a encore plusieurs autres emplois semblables dans cette œuvre; c'est pour ainsi
dire un tic chez cet auteur" (Henry, p. 102 N 8).
47 Die Parallele zum Pronomen ceci/cela wird höchstens im Précis de grammaire histori-
que von Brunot-Bruneau angesprochen.
48 Hervorhebungen von mir.
Voici und voilà 105

ou une chose qu'on une chose se rapportant à ce qui


va exposer48, un etat actuel. vient d'être dit , un état prochain ou
actuel.

Oder kürzer 4 9 :
„Voici. . . désigne ce qui est rapproché ou ce qui suit, voilà, ce qui est éloigné ou
ce qui précède".

Diese Auffassung, die schon bei Girault-Duvivier 50 vertreten ist, wird nun
durch eine synchronische Analyse des Materials nicht gestützt. Geht man die
Beispiele durch, so überwiegt voild bei weitem, ja in einzelnen Verwendungs-
typen, wie namentlich bei Négations- und Fragemarkierung, ist es der einzig
bekannte Vertreter, in anderen (Complétive, präpositionaler Gebrauch, Zeit-
angabe + <7«e-Satz) tritt es fast ausschließlich auf. Voici dagegen findet sich
häufiger in engem Kontakt mit den Verben, die eine Bewegung auf den
Standort des Sprechenden hin bezeichnen, so vor allem in den Beisp. 58—59,
67, darüber hinaus, wenn der Sprecher eigens auf die Nähe des Referenzob-
jektes verweisen will (cf. Beisp. 9, 54, 57).
In den wenigsten Fällen markieren voici/voild also von sich aus den Ort
des Verbalgeschehens oder sind gar in der Lage, diaphorische Textbezüge her-
zustellen, sieht man von den Beisp. 3 7 - 3 9 ab, wo der 2. Aktant im Kotext
selbst gegeben war. Das bedeutet aber, daß die behauptete Opposition zwi-
schen beiden Einheiten nicht oder nicht mehr besteht, zumindest nicht in der
Norm des gesprochenen Französisch, geschweige denn in populärsprachlichen
Texten. Diese Erkenntnis findet sich seit Brunot-Bruneau s l : „Dans le fran-
çais parlé d'aujourd'hui, voici est rare (comme ceci), voilà (prononcé parfois
vlà) est à peu près seul employé (de même que cela, ç a ) " u n d wird über
Damourette-Pichon 5 2 , Grevisse 53 und Wartburg-Zumthor 5 4 bis hin zur
Grammaire Larousse du français contemporain wiederholt: „La distinction
entre voilà (ce qui précède) et voici (ce qui suit) semble aujourd'hui à ranger
dans les distinctions périmées" (p. 86, § 125), ohne daß die linguistischen
Konsequenzen daraus gezogen werden 5 5 .

4 9 Cf. Dubois-Jouannon-Lagane, op. cit., p. 123; ähnlich Brunot-Bruneau, Précis, p. 264,


§ 816, u.a.
5 0 Grammaire des grammaires, P a r i s I 6 1 8 5 6 (erstmals 1811), p. 815.
51 Précis, p. 264.
52 EGLF, § 2 1 8 2 , Abs. 1.
53 Grevisse, Bon usage § 9 4 8 , Rem. 3.
54 Précis, p. 307, § 617.
55 Cf. indes Henry, op. cit., p. 100: „On peut dire qu'aujourd'hui, sauf chez certains
écrivains très regardants, voici et voilà sont de pures variantes, sans valeur stylistique
différenciatrice".
106 H. Genaust

Sofern eine Opposition zwischen voici und voilà noch besteht und nicht
jede der Einheiten schon in bestimmten Verwendungstypen lexikalisiert ist,
kann sie deshalb nur inklusiver Natur sein: voilà markiert die in dieser Pro-
Form enthaltene Deixis, voici zusätzlich den näheren Bezug zum Sprecher:

+ Deixis

r
v o i 1 à"1

(voilà, via 5 6 , revoilà)


l
\ ""voici"1

i + beim Sprecher

Kehren wir abschließend zu unserem einleitenden mythologischen Ver-


gleich zurück, so dürfte nunmehr Klarheit über den Status von voici/voild ge-
wonnen sein: Der linguistische P r o t e u s entpuppt sich als linguistische
P r o f o r m , eine Einheit, die auf höherer Ebene als die „Wörter", aber unter-
halb des Satzes steht und erst in der obligatorischen Verbindung mit einem
2. Aktanten zum Repräsentanten eines vollständigen Satzes wird. Ihre pragma-
tische Relevanz gewinnen voici/voild durch die Verankerung des impliziten
ersten Aktanten in der Gesprächssituation. Sekundär kann die Proform noch
transphrastische Funktion erhalten, wenn sie, gegebenenfalls durch (^-Reprä-
sentation des 2. Aktanten, in anaphorischer oder kataphorischer Form auf den
Kontext verweist".

56 „Contrairement à ce que semblent indiquer les exemples écrits où les auteurs ont
coutume de ne noter v'ià que dans les bouches vulgaires, la prononciation [v 1 à]
n'est en réalité pas spécifiquement vulgaire. Elle s'entend couramment dans la con-
versation familière des personnes de la meilleure société" (EGLF, § 2183).
57 PS. - Während der Satzarbeiten zu diesem Band erschien der kurze Aufsatz von Karel
§ prunk, Analyse syntaxique de la phrase type Voilà mon père, Philologica Pragensia 17
(1974), 187-92, der sich nur auf den einfachsten, bei uns mit (1) bezeichneten Ver-
wendungstypus voilà + Substantiv beschränkt. Kritisch anzumerken ist, daß Sprunk den
grundlegenden Beitrag Moignets überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat. Seine
eigene, nicht sehr originelle und auch nicht widerspruchsfreie Deutung gipfelt darin, in
dem zur Diskussion stehenden Syntagma eine zweigliedrige phrase à un membre (d. h.
ein Monorem) zu sehen (p. 190). Es liegt contradictio in adiecto vor, will man einen ein-
gliedrigen Satz noch in zwei Elemente unterteilen, und die Benennung von voilà als
prédicatif scheint eine weitere Etikette, aber keine Lösung des linguistischen Problems
darzustellen.
M i c h a e l Schecker

Verbvalenz und Satzthema

Vorbemerkung *

Ich möchte zunächst das Thema näher ausführen, in der Hoffnung, daß so der
Zusammenhang der Detailfragen durchsichtiger wird. — Der erste Teil des Ti-
tels — „Verbvalenz" — verweist auf den Satz, der zweite Teil — „Satzthema" —
auf die kommunikative Ausnützung des Satzes in einer Situation oder in einem
Text, die für den einzelnen Satz so etwas wie Thema-Rhema-Strukturen ergibt.
Thema ist dabei zunächst einmal dasjenige, über das geredet wird, Rhema hin-
gegen dasjenige, was über das Thema jeweils ausgesagt wird.
Wenden wir uns nochmals der Valenz zu, so deutet dieser Bestandteil des
Titels bereits auf die Art und Weise, in der ich den Satz begreife; ganz wesent-
lich nämlich werde ich mich dabei auf die Valenzgrammatik 1 und auch auf
die Kasusgrammatik stützen, die ich freilich beide extensional oder extensio-
nal-semantisch zu interpretieren versuche.
Für die Thema-Rhema-Struktur des Satzes gibt es mancherlei Darstellungs-
modi. Hier werde ich vor allem an die Überlegungen der sogenannten funk-
tionalen Satzperspektive (Mathesius, dann u.a. Dahl und Sgall 2 ) anknüpfen.

* Inhalt: I Vorbemerkung
II Einleitung: Rahmen und Zielsetzung
III Hauptteil Satz
a) Zur Analyse von Sätzen
b) Satzinhalte, Satzinhaltsformen und der Begriff des Sachverhaltes
c) Diskussion verwandter Ansätze
IV Hauptteil Text
a) Ansätze zur Beschreibung von Thema-Rhema-Strukturen
b) Thema-Rhema und Satzinhaltsform
V Ausblicke

1 Cf. Arbeiten Heringers und Helbigs.


2 Cf. Petr Sgall, Eva HajiCovä, Eva Benesova, Topic, Focus and Generative Semantics,
Kronberg/Ts. 1973.
108 M. Schecker

Nun scheinen Valenzstruktur und Thema-Rhema-Struktur nicht zusammen-


zupassen. Ich werde jedoch zu zeigen versuchen, daß es eine organische Ver-
bindung beider Strukturierungen gibt. Nur: Welchen Fragestellungen dient
eine solche Verknüpfung von Valenz und Thema-Rhema? Auch das also gilt
es zu explizieren; dabei wird es sich im wesentlichen um einige Anmerkungen
zum derzeitigen Stand der Textlinguistik handeln.

Einleitung: Rahmen und Zielsetzung

Textlinguistik scheint mir heute möglich zu sein einerseits als Zeichen-


linguistik des Textes, die die systematischen Kombinationsmöglichkeiten
sprachlicher Einheiten auch über den Satz hinaus untersucht. Hierher gehört
z. B. eine strukturelle Textbeschreibung, wie sie die Tagmemiker liefern, und
es gehört im Sinne meines eigenen Anliegens hierher auch eine extensionale
Semantik, auf die ich unter dem Stichwort der „möglichen Welten" noch zu
sprechen kommen werde. Zur Zeichenlinguistik konträre Einstiege stellen
andererseits Sprechakttheorie und auch eine solche Argumentationstheorie dar,
wie sie sich aus der Aussagenlogik und dann der Wechsellogik u. a. eines
Wright entwickeln läßt. Für Argumentation und vor allem für den Sprechakt
aber gilt, daß sie sich im Medium der Sprache 3 vollziehen, so daß das Anders-
artige, nämlich der Handlungsaspekt des Sprechens, nur als Bedeutung sprach-
licher Zeichen in den Blick kommt — siehe hierzu die Ausfuhrungen zur Illo-
kution eines Sprechaktes, die im wesentlichen einer Semantik performativer
Verben 4 gleichkommen. Selbstverständlich soll das nicht die Integration von
Sprechakten in eine Zeichenlinguistik des Textes bedeuten, — Grewendorf 5
hat ja einen parallelen Versuch u.a. von Ross 6 glänzend widerlegt —, soll je-

3 Entsprechend Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 2 1 9 6 5 , p. 361 ss.,


insbesondere 415 ss.
4 Performative Verben werden jene Verben genannt, mit denen ich bezeichnen kann,
welche Handlung ich mit dem Aussprechen eines Satzes vollziehe; z.B. „behaupten"
für einen Satz wie „Freiburg liegt 300 m hoch über dem Meeresspiegel". Cf. John R.
Searle, Sprechakte, Frankfurt a.M. 1971. Im Anschluß an den Begriff des performa-
tiven Verbs könnte man den illokutiven (Teil-) Akt im Rahmen eines Sprechaktes -
freilich nicht im Sinne einer Definition - als jene Handlung bezeichnen, die zumin-
dest potentiell durch ein performatives Verb wiedergebbar ist.
5 Günther Grewendorf, Sprache ohne Kontext, in: Dieter Wunderlich (Hg.), Linguisti-
sche Pragmatik, Frankfurt a.M. 1972, p. 1 4 4 - 1 8 2 .
6 John R. Ross, On Declarative Sentences, in: Roderick Jacobs, Peter S. Rosenbaum
(Hg.), Readings in English Transformational Grammar, Waltham (Mass.) 1970, p. 2 2 2 -
277.
Verbvalenz und Satzthema 109

doch bedeuten, daß ich die zeichenlinguistische Textbeschreibung für grund-


legend erachte.
Nun liegen in der zeichenlinguistischen Textlinguistik keinesfalls schon
endgültige Ergebnisse vor. Am weitesten ist man hier wohl für syntaktische
Untersuchungen, die an der Ausdrucksseite des Textes ansetzen, — ich denke
dabei vor allem an Arbeiten von Harweg 7 und Raible 8 . Über die Analyse aus-
drucksseitiger Mittel zur Sequenzierung von Sätzen hinaus hat u.a. Isenberg 9
Inhaltsrelationen zwischen Sätzen untersucht. Für unser eigenes Unterneh-
men wird in diesem Zusammenhang eine Arbeit von Bartsch 1 0 über das Ver-
hältnis von Satzreihung, Satzgefüge und Adverbialkonstruktion interessant,
die die Zusammenhänge von semantischen Textstrukturen und Satzstrukturen
untersucht; bezeichnenderweise lautet der Untertitel „Eine [ . . . ] Untersu-
chung über die textlinguistischen Unterschiede semantisch gleichwertiger Aus-
sagen".
Interessant sind die Ausführungen Renate Bartschs vor allem hinsichtlich
ihres Begriffs der semantischen Gleichwertigkeit u.a. von präpositionalem
Satzadverbial, entsprechendem konjunktionalen Nebensatz und entsprechen-
dem, parataktisch angeordneten Hauptsatz. Hierher paßt die Diskussion um
die Vergleichbarkeit von hypotaktischen und parataktischen Satzgefügen im
Rahmen schichtenspezifischen Sprechens, und auch Gisela Schulz 11 geht von der
logisch-semantischen Gleichwertigkeit von Hypotaxe und Parataxe aus. Das
aber hätte zur Folge, daß als Satzadverbiale fungierende Nebensätze logisch-
semantisch keine determinativen Erweiterungen entsprechender Hauptsätze
wären; was würden sie auch determinieren — im Sinne der semantischen Deter-
mination 1 2 des Substantivs durch ein Adjektiv? Zudem dürften so gut wie
alle Parenthesen 1 3 — und hierher gehören logisch-semantisch wiederum eine
Vielzahl explikativer Relativsätze 14 — ebenfalls in diese Gruppe passen, was
eine nicht uneinsichtige Erklärung des Status von Parenthese und explikativem

7 Cf. Roland Harweg, Pronomina und Textkonstitution, München 1968.


8 Cf. Wolfgang Raible, Satz und Text, Tübingen 1972.
9 Cf. schon Horst Isenberg, Motivierungen zur „Texttheorie", Replik 2 (1968),
13-17.
10 Renate Bartsch, Satzreihung, Satzgefüge oder Adverbialkonstruktion? Vorlage zum
Kolloquium „Linguistische Strukturbeschreibungen von Texten", Kiel 1. - 4 . 1 0 . 1 9 7 3 .
11 Cf. Gisela Schulz, Die Bottroper Protokolle - Parataxe und Hypotaxe, München 1973.
12 Cf. Johann Schnitzer, Elemente einer Theorie der semantischen Determination, Zu-
lassungsarbeit zur ersten Prüfung für das Lehramt an Gymnasien, Freiburg 1970/71.
13 Cf. auch Klaus Bayer, Verteilung und Funktion der sogenannten Parenthese in Tex-
ten gesprochener Sprache, in: Deutsche Sprache 1 (1973), 6 4 - 1 1 5 .
14 Zum Unterschied von explikativem und restriktivem Relativsatz cf. die textorientier-
ten Ausführungen Raibles in Raible, Text, p. 121 ss.
110 M. Schecker

Relativsatz wäre. Im umgekehrten Fall hingegen müßten über konjunktionale


Nebensätze hinaus auch eine ganze Reihe von Hauptsätzen eines Textes seman-
tisch als Determinationen anderer Hauptsätze geführt werden, was — da es sich
bei der Determination um eine Dependenzrelation 15 handelt — daran festzu-
stellen wäre, ob entsprechende Sätze im Text „weggelassen" werden können.
Doch können wir einer solchen Problematik in diesem Zusammenhang nicht
weiter folgen.
Eine Mittelstellung zwischen Renate Bartsch und umfassenden Arbeiten
zur Grammatik von Texten insgesamt nehmen Arbeiten ein wie diejenigen
von FrantiSek Danes 16 — siehe seinen Aufsatz „Zur linguistischen Analyse
der Textstruktur". Unter dem Stichwort der thematischen Progression dis-
kutiert er dort Typen des Anschlusses von Sätzen aneinander, wobei die Ty-
pisierung festgemacht ist an der Anordnung der Themata und Rhemata der
einzelnen Sätze. Etwa kennt Daneä den Typ „durchlaufendes Thema" oder
den stetigen Wechsel derart, daß das Rhema des voraufgegangenen Satzes
Thema des folgenden Satzes wird. Wichtiger jedoch als die sehr vorläufige
Ausarbeitung von Details scheint mir die Erkenntnis von Danei, daß man Text-
strukturen auf den Satz bzw. Satzstrukturen auf den Text beziehen oder ab-
bilden können muß. Das macht zugleich eine zentrale Schwierigkeit der schon
genannten Arbeiten deutlich, die mit Ausnahme von Hinweisen in der Arbeit
Raibles allesamt diese gleichsam organische Verbindung von Satz und Text
vermissen lassen. Ja selbst bei Daneä und ähnlich gelagerten Ansätzen bleibt
zu fragen, wie der Zusammenhang von Thema-Rhema-Struktur einerseits und
Valenz- oder auch Konstituentenstruktur andererseits zu denken ist.
Wenn nun die folgenden Ausführungen hierzu einen Vorschlag machen,
so sollen sie deutlich unterschieden sein von umfassenden Arbeiten wie den-
jenigen Petöfis 1 7 , der zunächst gleichsam nur das Verfahren der generativen
Syntax (Basis) „nach oben hin" verlängert und die uns hier interessierenden
Fragen mit einer Vorstellung u.a. von thematischen Netzen auffängt. Genauer

15 Zur Definition und Unterscheidung von Dependenz und Interdependenz weiter


unten.
16 Frantisek Danes, Zur linguistischen Analyse der Textstruktur, Folia Linguistica 4
(1970), 7 2 - 7 8 .
17 Im Rahmen der Erarbeitung eines Textmodells zur Beschreibung narrativer Struktu-
ren durch die Konstanzer Projektgruppe „Textlinguistik" wurden zwei Vorlagen
erarbeitet, wobei die zweite auf das Konto Jänos S. Petöfis geht. Ich beziehe mich
auf eben dieses sog. Modell II - cf. Jänos S. Petöfi, Towards an empirically motiva-
ted grammatical theory of verbal texts, Vorlage zum Kolloquim „Linguistische
Strukturbeschreibungen von Texten", Kiel 1 . - 4 . 1 0 . 1 9 7 3 ; zugleich in: Jänos S. Petöfi,
Hannes Rieser (Hg.), Studies in Text Grammar, Dordrecht 1973.
Verbvalenz und Satzthema 111

setzt Petöfl neben der Konstituentenstruktur der Tiefenstruktur einen Infor-


mationsblock an, der die generative (Aus-)Formung der Tiefenstruktur steuert
und zu eben diesem Zwecke thematische und kommunikative Netze, ferner
auch Referenz-Indizes-Diagramme, enthält. Freilich bleibt es meiner Meinung
nach auch für die nächste Zukunft ein Problem, wie das funktionieren soll,
und an dieser Frage gemessen könnten die folgenden Ausführungen auch als
Versuch einer Antwort bezeichnet werden, der für die Frage selber freilich
von etwas anderen Grundlagen ausgeht.
Angemerkt werden muß für die folgenden Gedankengänge noch, daß ich
den Inhalt von Sätzen und Texten mit einer extensionalen Semantik 18 zu er-
fassen suche, und diese muß wohl unterschieden werden vom gängigen Kon-
zept der Referenzsemantik. Referenzsemantik nämlich geht aus von einer
Zweiteilung Zeichen — Wirklichkeit, wobei letztere ganz ontologisch gefaßt
wird, und läßt sprachliche Zeichen sich auf eben diese Wirklichkeit beziehen.
Unabhängigkeit von der Frage, ob Zeichen sich gleichsam an sich auf Wirklichkeit
beziehen oder von uns auf diese bezogen werden, versammeln sich in einer solchen
Referenzsemantik Autoren wie Frege 1 9 , Russell 20 , Strawson 21 und Searle 22 :
Ihnen also möchte ich nicht folgen.
Im Sinne der hier anvisierten Semantik konstituieren sprachliche Zeichen
Gegenstände, wobei ich unter die Gegenstände auch etwa Personen oder ganze
Sachverhalte rechne; die Konstitution der Gegenstände ist im verbalen wie situa-
tiven Kontext eindeutig, wobei die Eindeutigkeit nicht identisch, aber parallel
gedacht werden kann zur Monosemierung der strukturellen Semantik. — Gegen-
stände stellen mit Begriffen der Abbildtheorie des Tractatus 23 immer Bestand-
teile von Sachverhalten dar, und Sachverhalte sind immer Sachverhalte in einer
möglichen Welt. - Wollte man den wesentlichen Unterschied zur Referenzse-
mantik nochmals mit anderen Worten kennzeichnen, so könnte man sagen,

18 Extension ist hier aufgefaßt gemäß Carnaps Unterscheidung von Intensionen und
Extensionen, die ähnlich funktioniert wie Freges Unterscheidung von Sinn und Be-
deutung; cf. Franz v. Kutschera, Sprachphilosophie, München 1971, insbesondere
p. 143 ss. Welche Unterschiede dennoch zu Carnaps Begriff der Extension bestehen,
wird im folgenden ausgeführt.
19 Cf. Gottlob Frege, Funktion, Begriff, Bedeutung, Göttingen 1969 , hier insbesondere:
Über Sinn und Bedeutung, p. 4 0 - 6 5 .
20 Cf. Bertrand Russell, On denoting, in: Mind 14 (1905) und Bertrand Russell, An in-
quiry into meaning and truth, London 1940, und Bertrand Russell, Human knowled-
ge, its scope and limits, London 1948, hier insbesondere p. 3 1 0 - 3 2 5 .
21 Cf. P.F. Strawson, Bedeuten, in: Rüdiger Bubner (Hg.), Sprache und Analysis, Göt-
tingen 1968, p. 6 3 - 9 5 .
22 Cf. John R. Searle, Sprechakte, Frankfurt a.M. 1971.
23 Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt a.M. 5 1968.
112 M. Schecker

daß hier an die Stelle der Realität im ontologischen Sinne das Konzept einer
möglichen Welt gestellt wird. „Mögliche Welt" baut dabei auf einer Unterschei-
dung semantischer Inkompatibilitäten in Widersprüche und ungewöhnliche
bzw. nicht normgerechte Kombinationen auf. Widersprüche liegen vor, wenn
die analytischen Urteilen 2 4 zugrundeliegenden Beziehungen verletzt sind;
Beispiel mag der „quadratische Kreis" sein. Hier ergibt sich unter allen denk-
baren Umständen keinerlei Wahrheitswert bzw. keinerlei Sachverhalt. Hinge-
gen können normmäßig festgelegte synthetische Urteile verletzt sein, so dann,
wenn jemand doch einmal mit Genuß gelbe Glühbirnen 2 5 oder auch Rasierklin-
gen verzehrt 2 6 , so aber wohl auch, wenn wider Erwarten der Wolf im „Rotkäpp-
chen" sprechen kann; hier ergeben sich durchaus Wahrheitswerte, womit der
Satz also sinnvoll ist, doch ergibt sich für unsere Alltagswelt der Wahrheits-
wert „falsch", hingegen in einer Märchenwelt der Wahrheitswert „ w a h r " 2 7 .
Formal läßt sich eine mögliche Welt als Verallgemeinerung der Carnapschen
Zustandsbeschreibung charakterisieren. Eine Zustandsbeschreibung in S (wo-
bei für Camap S eine prädikatenlogische Sprache ist) ist die „vollständige Be-
schreibung eines möglichen Weltzustandes, soweit sie in den Ausdrücken von
S gegeben werden k a n n " 2 8 . Im einzelnen werden dabei „sämtliche durch Aus-
drücke in S bezeichneten Individuen [ . . . ] bezüglich aller ihrer Attribute
(Eigenschaften und Beziehungen), die durch Prädikate [Prädikate dabei im
prädikatenlogischen Sinne] ausdrückbar sind, charakterisiert^ . . . ] " 2 8 . Dabei
reduziert sich die Vielzahl möglicher Weltzustände (soweit sie mit S beschrie-
ben werden können) über die Beschränkung aufgrund der möglichen wider-
spruchsfreien Ausdrücke von S hinaus durch Bedeutungsbeziehungen, die Car-
nap in Bedeutungspostulaten formuliert sehen will. „Drückt z.B. F 2 eine sym-
metrische Beziehung aus, so gelten u.a. die Äquivalenzen F 2 (a,b) = F 2 (b,a),
[ . . . ] , d.h. man könnte jeweils einen der beiden äquivalenten elementaren
Sätze fortlassen [ . . . ] " 2 8 . Der Vorteil einer solchen extensionalen Behand-
lung auf der Grundlage des Konzepts einer möglichen Welt wird vor allem bei
modalen Kontexten - so der Modallogik - ersichtlich: Hier gilt

24 Analytische und synthetische Urteile hier im Sinne von Jerrold K.J. Katz, Philoso-
phie der Sprache, Frankfurt a.M. 1969, p. 170 ss.
25 Das ist das berühmte Beispiel von Katz, an dem er die Funktion der Projektionsre-
geln seiner interpretativen Semantik vorführt; im wesentlichen geht es dabei darum,
daß bei Homonymie oder Polysemie der Kontext die Funktion hat, das zutreffende
Semem abzuwählen, mithin eine Monosemierung zu erreichen.
26 Eigenes Erlebnis auf dem Boulevard St. Michel in Paris.
27 Im Unterschied zu Autoren wie Lewis und Hintikka gehe ich nicht von der Wirklich-
keit als einer ausgezeichneten Welt aus, auf welche die anderen Welten als möglich be-
zogen sind.
28 Dieter Wunderlich, Grundlagen der Linguistik, Reinbek bei Hamburg 1974, p. 247.
Verbvalenz und Satzthema 113

z.B. für „es ist notwendig, daß . . . daß die nun folgende, syntaktisch als
Nebensatz formulierte Aussage in allen Welten wahr ist (was die Aussage
Carnaps untermauert, daß alle Aussagen über die Bedeutung von Ausdrücken
Extensionsaussagen sein können bzw. alle Intensionsaussagen sich in Exten-
sionsaussagen umformulieren lassen, nicht aber umgekehrt 2 9 ).
Eine Veränderung einer solchen ,Carnapschen Zustandsbeschreibung' (eine
erste ist in der impliziten Trennung von Aussage und Sachverhalt 3 0 angelegt —
siehe weiter oben) ergibt sich bei Ausweitung des Gegenstandsbegriffs auf
Eigenschaften und Beziehungen, und hier wird die Trennung von Sachverhalt
und Aussage explizit. Denn auch Eigenschaften und Beziehungen können als
Gegenstand aufgegriffen werden 3 1 , so in „Dein Lachen gefällt mir nicht".
Damit entpuppt sich uns der Begriff des Gegenstandes als sachverhaltstheoreti-
scher Begriff, hingegen Eigenschaften und Beziehungen als aussagentheoretische
Begriffe; man könnte dem gerecht werden, indem man davon spricht, daß
etwas „als Gegenstand" aufgegriffen wird, so daß z.B. auch ein Gegenstand
„als Gegenstand" aufgegriffen werden kann (und muß). Weitere Einzelheiten
kann ich mir unter Hinweis auf meine Darstellung in „ .Bedeutung' als sprach-
philosophisches und psycholinguistisches Problem" 3 2 ersparen.
Wir hatten schon angedeutet, daß man unter dem Thema eines Satzes zu-
mindest recht häufig dasjenige versteht, über das man spricht, ganz gleich,
wie wir den Gesprächsgegenstand auffinden oder bestimmen können, und
daß das Rhema dasjenige ist, was über das Thema jeweils ausgesagt wird. Er-
sichtlich wird zumeist nichts über die Wörter ausgesagt, die ein Thema sprach-
lich repräsentieren, sondern über den Gegenstand (in unserer Sicht), und
Gleiches gilt wohl auch für die Rhemata. Die Rhemata ihrerseits fassen wir
dabei gegebenenfalls als komplexe Prädikate auf 3 3 — Prädikat als aussagen-
theoretischer Begriff, und das dann, wenn das Rhema nicht identisch ist mit
dem Verb eines Satzes, was der häufigere Fall sein dürfte. Unter Einbezug des

29 Rudolf Carnap, Der logische Aufbau der Welt/Scheinprobleme in der Philosophie,


Hamburg 2 1 9 6 1 , insbesondere p. 5 9 ss.
30 Cf. auch Roland Harweg, Subjekt und Prädikat, Folia Linguistica 5 ( 1 9 7 1 ) ,
253-276.
31 Cf. Udo L. Figge, Syntagmatik, Distribution und Text, in: Wolf-Dieter Stempel (Hg.),
Beiträge zur Textlinguistik, München 1971, p. 1 6 1 - 1 8 1 ; auf ihn wird weiter unten
noch explizit Bezug genommen.
32 Michael Scheck er, Bedeutung als sprachphilosophisches und psycholinguistisches
Problem, Vorlage zum „9. Linguistischen Kolloquium", Bielefeld 2 7 . - 3 0 . 8 . 1 9 7 4 ;
demnächst in Dittmann, Marten, Schecker, Gegenstand und Wahrheit, Tübingen
1975.
33 Cf. den letzten Abschnitt dieses Aufsatzes - Ausblicke.
114 M. Schecker

Begriffs der möglichen Welt scheint es nun zwei grundlegende „Richtungen"


der Vertextung zu geben, denn einmal kann der Text Zustandsbeschreibung
oder Teil einer Zustandsbeschreibung eines möglichen Weltzustandes sein.
Zum anderen aber können die berichteten Sachverhalte verschiedenen mög-
lichen Welten zugehören, wobei wir hier mögliche Welten nicht nur gemäß
Zeitkoordinaten unterscheiden wollen 34 ; nennen wir bei Wechsel der mögli-
chen Welt das Berichtete eine Geschichte, so kann der Text also zum zweiten
die Beschreibung einer Geschiehte 3s sein. Mit anderen Worten: Unter der Vor-
aussetzung, daß Sätze über Themen miteinander verbunden sind oder doch zu-
mindest miteinander zu tun haben, ergibt sich auf der Grundlage der ,Carnap-
schen Zustandsbeschreibung' und ihrer Modifikationen, daß ein Text eine Zu-
standsbeschreibung einer möglichen Welt oder die Beschreibung einer Geschich-
te in Verbindung mehrerer möglicher Welten ist. Wir wollen uns hier auf den
ersten Aspekt konzentrieren.

Hauptteil Satz

a) Zur Analyse von Sätzen

Wenden wir uns nach diesen vorbereitenden Bemerkungen dem Problem der
Verbindung von Satz- und Textstruktur zu, dann gilt es zunächst zu erläutern,
was hier unter Satzstruktur bzw. Verbvalenz verstanden werden soll. Dabei
wollen wir ausgehen von konkreten Sätzen und eine Reihe von Testverfahren
vorfuhren, wie sie vor allem von Heringer 36 entwickelt wurden. Wenden wir
zunächst einmal den Substitutionstest an, so ergibt das u.a. kleinste bedeutungs-
tragende Segmente, deren Beziehungen untereinander Satzstruktur heißen sol-
len. Heringer hat zur Ermittlung solcher Satzstrukturen ein Teilungsverfahren

34 Cf. Ballmer, der mögliche Welten ausdifferenziert u.a. gemäß Zeit- und Raumkoordi-
naten, aber darüber hinaus feststellt, daß unterschiedliche mögliche Welten auch vor-
liegen beim „Wechsel der Kultur, der Gesellschaftsstruktur oder [beim] Wechseln der
persönlichen Einstellung" (Thomas T. Ballmer, Einführung und Kontrolle von Dis-
kurswelten, in: Wunderlich (Hg.), Pragmatik, p. 189). Cf. hierzu auch Petöfi, der
Modalkontexte als Subweiten einer möglichen Welt führt; cf. insbesondere auch
C.I. Lewis, Studies in Word, Cambridge (England) 1967.
35 Diese Unterscheidung lehnt sich an die Unterscheidung von A- und B-Welten bei
C. I. Lewis an - siehe Lewis, Studies und Ballmer, Diskurswelten - und ist in
Schecker, Bedeutung, hinsichtlich eines Begriffs der Lebensgeschichte angesprochen,
wie ihn die Psychoanalyse verwendet.
36 Cf. insbesondere Hans-Jürgen Heringer, Theorie der deutschen Syntax, München
1970.
Verbvalenz und Satzthema 115

des Satzes 37 entwickelt, das mit irgendeiner Teilung beginnt und diese dann
auf ihre Zulässigkeit hin überprüft. Das geschieht so, daß man zu den entste-
henden Teilen Paradigmen bildet; lassen sich die Elemente eines solchen Pa-
radigmas alle im nächsten Schritt in der gleichen Weise teilen — etwa in die
Teile a und b, so muß die erste Teilung in A und B etwa für B aufgegeben
werden zugunsten einer Teilung in A und a und b. Für einen Satz wie ,.Der
Vater bestrafte den Sohn" und die Teilung in A = „Der Vater bestrafte" und
B = „den Sohn" ergibt sich z. B. für das Paradigma zum Teil A, daß alle seine
Elemente eine weitere Teilung ermöglichen vor dem finiten Verb, so daß die
erste Teilung aufgegeben werden muß zugunsten der Teilung in a = „Der Va-
ter", b = „bestrafte" und B = „den Sohn". Für die Ebene der sogenannten
Satzglieder ergibt ja der Permutations- oder Umstelltest ein gleiches Bild.
Haben wir mit den genannten Testverfahren Heringers alle Positionen eines
Satzes ermittelt, so geht es weiter mit dem Deletionstest bzw. der Weglaßpro-
be, die einen gegebenen Satz auf sein Minimum reduziert. Einer solchen Re-
duktion kann man den Hjelmslevschen Begriff der Abhängigkeit zweier Posi-
tionen zugrundelegen, der wie folgt definiert ist: Liegen zwei Positionen PI
und P2 vor, so ist P2 von PI dependent genau dann, wenn zwar PI ohne P2 in
einem Satz stehen kann, nicht aberP2 ohne P I . Nach allem sind die Satzglie-
der unter Einschluß des finiten Verbs eines Minimalsatzes untereinander inter-
dependent 3 8 . — Zu den Schwierigkeiten bei der Ermittlung von freien Anga-
ben sei noch angemerkt, daß sie bei Einbezug von Kommutationszusammen-
hängen zumindest für das Deutsche relativ leicht zu beseitigen sind. So können
freie Angaben mit Ausnahme vielleicht der Adverbiale der Art und Weise zu
jedem Verb hinzugefügt werden; hingegen sind die Ergänzungen bzw. Aktan-
ten 39 , die jeweils stehen müssen, vom Verb bestimmt, und das auch hinsicht-
lich semantischer Eigentümlichkeiten. Dem werden Valenzgrammatiker und
das Valenzwörterbuch von Helbig/Schenkel 40 durch eine mehrstufige Auf-

37 Heringer, Theorie, p. 73 s.
38 Heringer, Theorie, p. 78.
39 Die Diskussion um Aktanten (Tesnière) versus (notwendige) Ergänzungen (u.a. Hei-
big und Heringer) dürfte bekannt sein und spitzt sich im wesentlichen zu zur Frage
des Status von notwendigen Präpositionalphrasen; Tesnière nämlich geht von einer
formalen/syntaktischen Beschreibung der Aktanten aus - nicht also von deren In-
halten - und rechnet mit wenigen Ausnahmen Präpositionalphrasen den Zircum-
stanten zu, so daß es dann notwendige Zircumstanten geben müßte. Zu Tesnïere cf.
Lucien Tesnière, Eléments de syntaxe structurale, Paris 2 1969, p. 105 ss., insbeson-
dere p. 1 2 7 - 1 2 9 .
40 Gerhard Helbig - Wolfgang Schenkel, Wörterbuch zur Valenz und Distribution deut-
scher Verben, Leipzig 1973.
116 M. Schecker

Schlüsselung der Verben gerecht 4 1 ; das schlägt sich aber auch in der Subkate-
gorisierung der generativen G r a m m a t i k C h o m s k y s nieder derart, daß zumin-
dest lokale und temporale freie Angaben nichts zur sogenannten strikten
Subkategorisierung der Verben beitragen u n d entsprechend auch nicht direkt
von einem Symbol VP dominiert werden 4 2 (was sicherlich auch für kausale
und daraus abzuleitende Erweiterungen gilt). Bleibt eine Reihe von freien
Angaben, die offensichtlich — obwohl nicht notwendig — zur Subkategori-
sierung des Verbs beitragen bzw. in ihrer Wahl vom jeweiligen Verb ab-
hängen 4 3 . Eben hier aber hat Renate Bartsch in einer schon genannten Ar-
beit 4 4 zur Geltung gebracht, daß diese also Prädikatsadverbiale sind, die
sich von Satzadverbialen dadurch unterscheiden, daß sie im Hauptsatz nur
mit emphatischer Betonung u n d im Nebensatz gar nicht am A n f a n g stehen
k ö n n e n ; Renate Bartsch, die offensichtlich zwischen T o p i c / C o m m e n t u n d
T h e m a / R h e m a unterscheidet, drückt das so aus, daß sie sagt, daß entspre-
chende Prädikatsadverbiale nicht topikalisiert werden k ö n n e n .
Minimalsätze der angedeuteten Art bestehen aus einem finiten Verb u n d
den vom Verb geforderten Ergänzungen 4 5 bzw. A k t a n t e n oder auch Nomi-
nalphrasen, wenn man die Terminologie der generativen G r a m m a t i k
Chomskys verwendet. Wenn wir uns im folgenden auf solche Nominalphrasen
konzentrieren, so ist das beispielhaft gemeint. Anders ausgedrückt k ö n n t e die
folgende Argumentation auch für das finite Verb vorgetragen werden, wobei
es wesentlich u m das gehen wird, was Bally 4 6 mit dem Terminus „Aktualisie-
rung" oder Wunderli 4 7 mit dem Terminus „Aktivierung" bezeichnen, die übri-
gens Bally und dann z. B. auch Raible 4 8 für das Verb an den T e m p u s m o r p h e -
men des finiten Verbs festmachen. — Bei den Nominalphrasen wären als ver-
gleichbare P h ä n o m e n e im Deutschen u. a. die Kasusmorpheme, im Französi-
schen die vergleichsweise feste Wortstellung zu nennen; sie drücken zusammen

41 Entsprechend werden neben den vom jeweiligen Verb geforderten Stellen für notwen-
dige Ergänzungen im Sinne der Chomskyschen Subkategorisierungen angegeben die
syntaktisch-kategoriale Umgebung und die semantische Umgebung - diese in Form
einer Strukturbeschreibung im Sinne der strukturellen Semantik.
42 Noam Chomsky, Aspekte der Syntax-Theorie, Frankfurt a.M. 1969, u.a. p. 134.
43 Ib.
44 Bartsch, Satzreihung.
45 Eine solche Auffassung des Satzes rückt diesen an die Aussage im Sinne der Prädika-
tenlogik heran, die auch aus einem ein- oder mehrstelligen Funktor und den von ihm
geforderten Argumenten besteht.
46 Charles Bally, Linguistique générale et linguistique française, Berne 4 1965, p. 77 ss.
47 Peter Wunderli, Die Teilaktualisierung des Verbalgeschehens (Subjonctif) im Mittel-
französischen, Tübingen 1970.
48 Raible, Text, p. 90 ss., insbesondere p. 93/94.
Verbvalenz und Satzthema 117

mit den Präpositionen die innersatzmäßigen Beziehungen bzw. Z u o r d n u n g e n


zum Verb aus, was ja auch Fillmore 4 9 terminologisch dazu bewegte, seine
an sich semantisch gemeinten Tiefenkasus 5 0 eben Kasus zu n e n n e n . Daß u. a.
auch die Präpositionen in die gleiche Klasse sprachlicher P h ä n o m e n e gehören
bzw. eine gleiche F u n k t i o n haben, läßt sich an einer Sprache wie dem Fran-
zösischen sofort belegen und ist u . a . von Robinson 5 1 z u m Anlaß genommen
worden, zunächst einmal alle notwendigen Erweiterungen in einer Tiefenstruk-
tur im Sinne C h o m s k y s als kasus-markierte Phrasen darzustellen, die sowohl
über Präpositionen wie über Oberflächenkasus wie über Wortstellungen reprä-
sentiert werden k ö n n e n ; für eine T i e f e n s t r u k t u r ergibt das dann etwa den fol-
genden S t a m m b a u m 5 2 :

Dabei kennzeichnet P die Proposition des Satzes, mithin den Satz unter Aus-
schluß einer Anzahl von modalen Relationen u n d / o d e r O p e r a t o r e n 5 3 ; was da-
bei zu P gehört und was nicht — für T e m p u s m o r p h e m e wird das z u m Problem,
da sie u.a. die Welt gemäß Zeitkoordinaten angeben, in der ein entsprechender
Sachverhalt z. B. b e h a u p t e t wird —, diese Frage soll hier nicht weiter verfolgt
werden. — K kennzeichnet einen Tiefenkasus im Sinne Filimores, Ci und C j

4 9 Cf. Charles J. Fillmore, Plädoyer für Kasus/The case for case, in: Werner Abraham
(Hg.), Kasustheorie, Frankfurt a.M. 1971, p. 1 - 1 1 8 .
5 0 Cf. die Bestimmungen der einzelnen Kasus in Fillmore, Plädoyer, p. 3 4 - 3 5 .
51 Jane J. Robinson, Kasus, Kategorie und Konfiguration, in: Abraham, Kasus, p. 1 1 9 -
153.
52 Angelehnt an Robinson, Kasus, p. 144.
53 Cf. Fillmore, Plädoyer, p. 3 2 / 3 3 , aber auch Herbert Ernst Brekle, Generative Satzse-
mantik und Transformationelle Syntax im System der englischen Nominalkomposi-
tion, München 1970, u.a. p. 57.
118 M. Schecker

entsprechende Merkmale, die als Kasusrahmenindex ( — C ! C 2 ) dem Verb zu-


geordnet werden, insofern dieses das Träger- oder Leitglied ist.
Zeigten nun die Kasusmorpheme und die Präpositionen innersatzmäßige Be-
ziehungen an, so haben die Artikel bei Nominalphrasen mit Artikel eine andere,
beinahe entgegengesetzte Funktion, die beim Fehlen des Artikels, also bei
Eigennamen, gleichsam inhärent realisiert wird. Bally spricht hier wie schon an-
gedeutet pauschal von Aktualisierung, und Raible 5 4 fuhrt in diesem Zusam-
menhang aus, daß nur Nomen mit Artikel durch Relativsätze oder Relativsatz-
Äquivalente wie das attributive Adjektiv erweitert werden können, so daß in
Wendungen wie „Ich habe Hunger" „Hunger" morphologisch gar nicht als Sub-
stantiv aktualisiert ist 5 5 , wenn ihm auch entsprechende semantische Merkma-
le zuerkannt werden müssen 5 6 . Was aber heißt es über die innersatzmäßigen
Beziehungen bzw. über Kasusmorpheme usw. hinaus, daß ein Substantiv als
Substantiv aktualisiert oder nicht aktualisiert ist? Und darin klingt dann natür-
lich zugleich die Frage an, was es parallel zu einer solchen Frage bei Substan-
tiven heißt, daß ein Verb als Verb aktualisiert ist.

b) Satzinhalte, Satzinhaltsformen und der Begriff des Sachverhalts

Wir müssen an dieser Stelle auf Gedanken Freges 57 und dann auch Strawsons 5 8
und Searles 59 zurückgreifen. Gemäß ihren Ausfuhrungen kann man zwischen
Sinn und Bedeutung (= Frege) 6 0 unterscheiden, wobei uns hier vor allem die
Bedeutung interessieren soll. Mit Frege beginnend läßt sich als Bedeutung z.B.
einer Kennzeichnung wie „die Tankstelle dahinten" der Gegenstand angeben,
auf den ich mich mit der Kennzeichnung beziehe, eben „die/eine bestimmte
Tankstelle". Wie aber — fragt Russell 61 —, wenn der Gegenstand, auf den ich
mich mit einer Kennzeichnung beziehe, gar nicht existiert? Frege hatte darauf
eine Lösung vorgeschlagen, die formal sicherlich haltbar ist, wegen ihrer Absurdi-
tät jedoch nicht recht überzeugt; er nämlich würde dann von einer Nullklasse
von Gegenständen sprechen, auf die ich mich beziehe — so wie ich mich sonst

54 Cf. Raible, Text, p. 159, insbesondere Punkt 1.


55 Cf. die gleiche Behandlung solcher Nomina im Aspekte-Modell Chomskys.
56 Besser würde man hier von Gegenständen oder Dingen sprechen — im Unterschied z.B.
zu Vorgängen, Gedanken und Gefühlen und anderem mehr.
57 Cf. Frege, Funktion.
58 Cf. Strawson, Bedeuten.
59 Cf. Searle, Sprechakte.
60 Frege, Funktion, p. 44/45.
61 Russell, On denoting, auch für das Folgende.
Verbvalenz und Satzthema 119

auf eine Einerklasse beziehe - ; mithin würde ich mich so gesehen auf eine
Klasse von Gegenständen beziehen, die kein Element enthält. Russell seiner-
seits beantwortet seine Frage dahingehend, daß er eine Kennzeichnung zerlegt
in eine Existenzbehauptung einerseits und eine Prädikation andererseits, eine
Lösung, die sich bis heute in der Prädikatenlogik durchgehalten hat, freilich
mit der Einschränkung, daß dabei Existenz nicht mehr ontologisch verstan-
den, sondern als Quantifikation — nämlich Existenzquantifikation „es gibt
mindestens ein X, und X i s t . . . " — verstanden wird; vergleiche zum letzteren
insbesondere Quine 62 und seinen sogenannten kategorischen Satz I.
Gegen Russell läßt sich nun freilich einwenden, daß seine Existenzbehaup-
tung im Sinne einer ontologischen Existenz nicht recht einsichtig ist. Denn —
so könnte man mit Strawson 63 formulieren — eine Kennzeichnung kann ja
auch nur erwähnt werden z.B. a) als Aussage eines anderen: ist damit dann
auch die/eine Existenz behauptet — wer behauptet sie dann? ; b) kann es sich
um einen Beispielsatz der Grammatik handeln: dann ist doch sicherlich keine
Existenzbehauptung damit verbunden. Und man könnte durchaus noch im
Sinne Strawsons fortfahren mit solchen Aussagen, in denen die Existenz eines
Gegenstandes festgestellt oder behauptet wird: wird sie dann zweimal behaup-
tet? Oder wie sieht es bei verneinten Existenzbehauptungen aus — gilt dann
die in der Kennzeichnung enthaltene Existenzbehauptung oder die sich an-
schließende Existenzverneinung? Strawson und Searle ziehen daraus den
Schluß, daß hier eine Vermischung der Kennzeichnung mit dem Gebrauch
einer Kennzeichnung vorliegt, zugleich damit auch eine Vermischung von Satz
und Gebrauch eines Satzes 64 . Searle hat diesen Vorwurf zudem auf der Grund-
lage seiner Sprechakttheorie dahingehend erweitert, daß Russell überdies den
illokutionären Akt des Behauptens mit der propositionalen Teilaktivität des
Referierens auf etwas „in einen Topf wirft" (dabei bildet - vereinfacht gesagt
— die Proposition einen Sachverhalt ab; hingegen gibt die Illokution die Ver-
wendung oder den Verwendungssinn wieder, gibt also wieder, ob die Propo-
sition als Frage oder Behauptung usw. gemeint ist).
Ich halte den Vorwurf Searles für nicht berechtigt, da einerseits die Illo-
kution keine Angelegenheit der Sprache und des Gebrauchs einer Sprache in-
soweit ist, als dieser systematisch in der Sprache angelegt ist. Andererseits
aber geht es Russell um die Existenzbehauptung als systematisch in einer
Sprache angelegtes Phänomen, und so gesehen hat die Searlesche Behaup-

62 Willard V. Quine, Grundzüge der Logik, Frankfurt a. M. 1969, u. a.p. 101.


63 Strawson, Bedeuten, p. 77 s.; dabei ist mein „erwähnen" im Sinne des „uneigentlichen
Gebrauchs" bei Strawson gemeint.
64 Cf. Strawsons Unterscheidungen in Strawson, Bedeuten, p. 69.
120 M. Schecker

tung nichts mit der Russellschen Behauptung zu tun, die man besser eine
Voraussetzung im Sinne einer Existenzpräsupposition nennen würde. Von
Voraussetzung sollte man dabei deshalb sprechen, weil ein Gegenstand voraus-
gesetzt werden m u ß , damit man über ihn etwas aussagen kann. — Nun steckt
in der Kritik an Searle die Behauptung, daß Illokutionen nicht systematisch
in einer Sprache angelegt sind. Dem würden zumindest die Versuche von Ross 65
und auch von R. Lakoff und G. Lakoff 6 6 widersprechen, wobei Ross davon
ausgeht, daß die Illokutionen der Sprechakttheorie als übergeordnete perfor-
mative Sätze in der Tiefenstruktur im Sinne einer generativen Grammatik re-
präsentiert werden müssen. Nun hat Grewendorf 6 7 den Ross'schen Versuch
ausführlich widerlegt und gezeigt, daß bei Ross eine Vermischung der Art von
Sätzen mit der Art der Verwendung von Sätzen vorliegt. Daß z.B. ein Satz
zu den Fragesätzen gehört, heißt nicht, daß man mit ihm nicht auch etwas
behaupten oder eine Erklärung abgeben k a n n 6 8 ; bestenfalls besagt die Zuge-
hörigkeit zu den Fragesätzen, daß ich auf eine bestimmte Verwendung von
Sätzen — dann aber als Sachverhalt — Bezug nehmen kann, z.B. in Form
einer Proposition (so bei den performativen Vordersätzen der Sprechakttheorie),
deren Verwendung ihrerseits damit keinesfalls festgelegt ist69. Folglich sind
wir zurückverwiesen auf die Kritik Strawsons an Russell, mithin auf die
nicht-sprechakttheoretische Unterscheidung von Satz und Gebrauch eines
Satzes, vielleicht noch Art des Satzes und Art der Verwendung eines Satzes,
letzteres dann, wenn wir die Wittgensteinsche Unterscheidung von Verwen-
dung und Gebrauch einbeziehen derart, daß eben die Art der (jeweils kon-
kreten) Verwendung der Gebrauch ist, den ich von Sätzen und damit auch
von Kennzeichnungen mache.
Strawsons Kritik an Russell beruht im wesentlichen darauf, daß er von den
Aussagen Russells einiges dem Satz bzw. der Kennzeichnung, anderes dem
Gebrauch einer Kennzeichnung zuschlägt. Schlägt er entsprechend den Ge-

65 Ross, Declarative Sentences.


66 Cf. G. L a k o f f , Linguistik und natürliche Logik, F r a n k f u r t a. M. 1971, und R. Lakoff,
If's, and's and b u t ' s a b o u t conjunction, in: Ch. J. Fillmore - D . T . Langendoen (Hg.),
Studies in linguistic semantics, New York 1971, p. 1 1 5 - 1 4 9 .
67 Grewendorf, Sprache.
68 Cf. einmal die impliziten Sprechakte, wie sie Wunderlich diskutiert in Dieter Wunder-
lich, Zur Konventionalität von Sprechhandlungen, in: Wunderlich (Hg.), Pragmatik,
p. 1 1 - 5 8 ; daß zum zweiten Searle mehr oder weniger dennoch eine gegenteilige Hal-
tung vertritt, erörtert Kanngießer in Siegfried Kanngießer, Aspekte zur Semantik und
Pragmatik, Linguistische Berichte 24 (1973), 1 - 2 8 , insbesondere p. 8.
6 9 Oder bestenfalls festgelegt im Sinne eines Norm-Begriffs, wie ihn etwa Heger im Rah-
men seiner Sigma-parole vertritt.
Verbvalenz und Satzthema 121

genstand, auf den ich mit einer Kennzeichnung referiere, dem Gebrauch einer
Kennzeichnung zu — unter Einschluß der Tatsache, daß jemand, der die
Kennzeichnung gebraucht, zu verstehen gibt, daß er annimmt, daß der zuge-
hörige Gegenstand auch wirklich existiert —, so bleibt für die Kennzeich-
nung selber einsichtigerweise nur eine Menge allgemeiner Anweisungen
zum Referieren auf Gegenstände. Gegen eine solche Vorstellung kann freilich
eingewendet werden, daß die Menge allgemeiner Anweisungen zum Referieren
auf Gegenstände eigentlich nicht der Kennzeichnung insgesamt zukommt, son-
dern der Position entsprechender sprachlicher Einheiten im Satz bzw. in der
Aussage. Verben bzw. Prädikate nämlich können schon gemäß Frege 70 nicht
zum Referieren auf Gegenstände gebraucht werden, und in einer Fügung wie
„Ich habe Hunger" gehört „Hunger" — obgleich Nomen — zur Position des
Verbs, taugt also nicht zum Referieren. In gleicher Weise kennen wir substan-
tivierte Infinitive — und hiermit knüpfen wir explizit an unsere Vorüberlegun-
gen und die dort getroffene Unterscheidung von Aussage/Satz und Sachverhalt 71
an —, die durchaus als Kennzeichnungen im besprochenen Sinne Verwendung
finden, obgleich sie doch Verben bzw. verbale Lexeme sind. Mit anderen Wor-
ten: Dasjenige, was ein Substantiv als Substantiv aktualisiert, hat im Sinne
Strawsons zur Bedeutung eine Menge allgemeiner Anweisungen zum Referie-
ren auf Gegenstände, nicht aber dasjenige, was dann als Substantiv aktualisiert
wird, nämlich entsprechende nominale oder auch verbale Lexeme. Durchsich-
tiger wird dieser Tatbestand dann, wenn wir ein Begriffspaar Hjelmslevs auf-
greifen, nämlich „Substanz" und „Form", die hier relativ zur jeweiligen
sprachlichen Hierarchieebene definiert werden sollen 72 ; entsprechend wäre
ein Lexem relativ zu den es umfassenden Bedeutungskomponenten F o r m 7 3 ,
diese hingegen wären Substanz. Umgekehrt stellt das Lexem in Bezug auf die
Position des Satzes, in die es dann gleichsam eingesetzt wird, eine Substanz dar,
wobei diesmal die Satzposition bzw. das Gefüge der Satzpositionen des be-
treffenden Satzes die dazugehörige Form abgibt. Wir heben hier auf das Ge-
füge der Satzpositionen eines Satzes insgesamt ab, weil ja die einzelne Satz-
position nicht als autonome Gegebenheit gedacht werden darf. 7 4 Für mini-

70 Frege, Funktion, insbesondere Über Begriff und Gegenstand,p. 6 6 - 8 0 .


71 Cf. schon weiter oben bzw. Harweg, Subjekt.
72 Eine etwas andere Interpretation liefert u.a. Bierwisch in Manfred Bierwisch,
Strukturalismus, Kursbuch 5 (1966), 7 7 - 1 5 2 , p. 93.
73 So etwa im Rahmen einer strukturellen Semantik, so aber auch, wenn man mit dem
logischen Merkmalsbegriff arbeitet, wie ihn Menne vorstellt in Albert Menne, Einfüh-
rung in die Logik, Bern-München 1966, p. 24.
74 Cf. den Begriff des Satzbauplans in der inhaltsbezogenen Grammatik und bei durch
sie beeinflußten Grammatikern wie Erben.
122 M. Schecker

male Sätze als nicht weiter zerlegbare Ganzheiten 75 ergibt das zudem, daß
ihre Form Zeichencharakter hat bzw. ein elementares Zeichen darstellt. Das
aber hat im Sinne einer Kritik an Strawson zur Konsequenz, daß die Unter-
scheidung von Kennzeichnung und Gebrauch einer Kennzeichnung hinfällig
wird; eine Kennzeichnung bedeutet insofern immer schon den Gebrauch oder
die Verwendung von Sprache, als es sich dabei bereits um ein komplexes
Zeichen handelt, daß aus der Kombination zweier oder mehrerer elementarer
Zeichen entstanden ist, nämlich aus der Kombination einer Satzform mit
lexikalischen Einsetzungen. Für einen so verstandenen Gebrauch von Zeichen
aber stellt sich damit die alte Frage Russells an Frege erneut, was denn die
Bedeutung einer Kennzeichnung ist, wenn der Gegenstand, auf den ich mit
einer Kennzeichnung referiere, nicht existiert.
Bevor hier Möglichkeiten der Beantwortung der obigen Frage angedeutet
werden können, müssen wir noch einmal auf die Form einer Kennzeichnung
zurückkommen. Wesentlich an ihr scheint mir, daß sie einen Teil einer ele-
mentaren, also nicht weiter zerlegbaren Satzform abgibt, sofern man sich
hier auf minimale Sätze beschränkt. Das aber lassen einen die Ausführungen
Freges und Russells nur allzu leicht vergessen, denn — so könnte man für
die Kennzeichnung fragen — auf was verweise ich z. B. mit der Subjektskenn-
zeichnung „der Mann/ein bestimmter Mann" in dem Satz „der Mann/ein be-
stimmter Mann lachte": auf einen bestimmten Mann/den Mann oder auf den
lachenden Mann? 76 Entgegen Russell darf folglich nicht von einer Existenz-
behauptung in Bezug auf den Gegenstand gesprochen werden, auf den ich
mit einer Kennzeichnung eines Satzes referiere, bzw. bestenfalls davon, daß
ich so etwas wie die Existenz eines Sachverhaltes behaupte, vielleicht auch
einfach nur das Bestehen (oder eben Nicht-Bestehen) eines Sachverhaltes.
Allgemein unterliegt den obigen Formulierungen die Konvention, u.a. von
der Existenz von Gegenständen und auch davon zu sprechen, daß ihnen z.B.
eine Eigenschaft zukommt, und auch diese letztere Redensart muß schon in-
sofern abgelehnt werden, als nach allem ja auch die Eigenschaften und Be-
ziehungen von Gegenständen keine von einem jeweiligen Sachverhalt losge-
löste Größen darstellen. Mit anderen Worten wird hier abgelehnt, was wir
noch weiter oben im Rahmen der Vorbemerkungen als Zustandsbeschreibung
eines möglichen Weltzustandes ausgeführt haben, daß nämlich die Welt letzt-

75 In der Anlage ist ein solches Konzept bereits bei Saussure zu finden, cf. Peter Wunder-
Ii, Zur Stellung der Syntax bei Saussure, ZRPh. 88 (1972), 4 8 3 - 5 0 6 .
76 Für einen entsprechenden Hinweis bin ich Rainer Marten, Freiburg, zu Dank ver-
pflichtet.
Verb valenz und Satzthema 123

lieh aus Individuen besteht, wenn auch diese bestimmte Eigenschaften besit-
zen und/oder in bestimmten Beziehungen zueinander stehen; implizit war
eine solche Kritik freilich schon in der Ausweitung des Gegenstandsbegriffs
auf Eigenschaften und Beziehungen angeklungen, siehe dazu noch weiter un-
ten. Zusammenfassend ergibt das: Die Welt besteht aus Sachverhalten. Daß
auch das noch einmal — wenn auch nur geringfügig — revidiert werden muß,
werden wir später sehen.
Man kann der hier vorgetragenen Ansicht Sätze aus dem Tractatus 77 un-
terlegen, die den Zusammenhang bestätigen, vielleicht auch deutlicher wer-
den lassen. So sagt Wittgenstein, daß — wenn ich mir den Gegenstand im Ver-
bände des Sachverhalts denken kann — ich ihn mir nicht außerhalb — bei
Wittgenstein sagt, scheint sich bereits im Tractatus zu finden: „Die Möglich-
(Satz 2.0121). Und auch die/eine Rückführung auf den Formbegriff des Sat-
zes und damit die Unterscheidung nach Form und Substanz bzw. Inhalt, wie
Wittgenstein sagt, scheint sich bereits im Tractatus zu finden: „Die Möglich-
keit seines Vorkommens in Sachverhalten ist die Form des Gegenstandes"
(Satz 2.0141). Und dennoch wird bei Wittgenstein eine Unterscheidung unter-
lassen bzw. anders getroffen, als wir das hier im nächsten Schritt vorhaben:
ich meine die Unterscheidung von Satz oder Aussage und von Sachverhalt 78 ,
allerdings sprachlich konstituiertem Sachverhalt - entsprechend in einer
möglichen Welt. Die Unterscheidung von aussagentheoretischen und sachver-
haltstheoretischen Begriffen ist dabei eine Unterscheidung, die im Rahmen nur
eines einzigen Satzes nicht oder bestenfalls nur sehr intuitiv getroffen werden
kann, die aber sofort einsichtig wird, wenn wir über den Satz hinaus auf
den Satz- und Aussagenzusammenhang rekurrieren. Hier nämlich gilt, daß jedes
Verb oder Prädikat in einem nächsten Satz wieder aufgegriffen werden kann
in Form einer Kennzeichnung (nicht aber umgekehrt). Ja, will man einen Prä-
dikatskomplex explizit aufgreifen, dann muß man ihn sogar „als Gegenstand"
aufgreifen. Figge79 hat diesen Tatbestand mit der sehr einsichtigen Unterschei-
dung von „Situierung von Kommunikationsgegenständen" (hier wäre das Verb
das aktive Syntaktem) und „Manifestierung von Kommunikationsgegenstän-
den" (hier wären die nominalen Syntakteme die aktiven Syntakteme) ausgedrückt,
was bei gleichbleibendem Referenzpunkt nur bedeuten kann, daß dieser unab-
hängig ist davon, ob er als Gegenstand oder als Eigenschaft/Beziehung ange-
sprochen wird. Bleibt man bei den eingebürgerten Begriffen „Gegenstand" und
„Eigenschaft"/„Beziehung", so müßte gemäß aussagentheoretischem und sach-

77 Wittgenstein, Tractatus.
78 Cf. schon weiter oben bzw. Harweg, Subjekt.
79 Figge, Syntagmatik.
124 M. Schecker

verhaltstheoretischem Aspekt unterschieden werden zwischen dem Tatbe-


stand, daß ich über einen Gegenstand oder eine Eigenschaft bzw. Beziehung
spreche, und jener Redeweise, gemäß der ich etwas als Gegenstand, als Eigen-
schaft bzw. als Beziehung anspreche derart, daß ich etwa eine Eigenschaft
durchaus als Gegenstand ansprechen kann, und das scheint mir zentral der
Abbildtheorie Wittgensteins zu widersprechen; freilich dürfte das nicht der
einzige Punkt der hier vorgetragenen Konzeption sein, der der/einer Abbild-
theorie widerspricht.
U.a. in „My philosophical development" 80 fuhrt Russell eine Möglichkeit
vor, den Gegenstandsbegriff der Prädikatenlogik zu umgehen, und scheint damit
auf einem Feld zu argumentieren, das auch wir gerade betreten haben. Er sagt:
„According to this hypotheses, there is no need of particulars as subjects in
which qualities inhere. Bundles of qualities [ . . . ] can take the place of parti-
culars." 81 Vielleicht ist es nicht uninteressant, daß nun Brekle 82 diese Kon-
zeption aufgreift und anders, als das „Termtheoretiker" wie z.B. Searle tun,
eine semantische Struktur von Sätzen — was immer Brekle auch darunter ver-
stehen mag — entwirft, die nur Prädikate — auch Bündel von Prädikaten —
enthält. Brekle wie schon Russell müssen sich jedoch nach allem, was hier an-
geführt wurde, den Vorwurf gefallen lassen, daß sie entweder den fundamen-
talen Funktionsunterschied zweier Formen im Sinne Hjelmslevs (Substantiv
und Verb bzw. Adjektiv oder auch Subjekt und Prädikat) außer acht lassen
und wie auch schon andere den aussagentheoretischen Begriff des Substantivs/
Subjekts/„als Gegenstand" auf den aussagentheoretischen Begriff des Verbs
bzw. Adjektivs/Prädikats/ „als Eigenschaft bzw. Beziehung" zurückführen wol-
len. Oder aber — und das wäre eine gleich fundamentale Angelegenheit — hier
sind aussagentheoretische Begriffe und Vorstellungen mit sachverhaltstheore-
tischen Begriffen und Vorstellungen durcheinander gebracht worden, denn
rein sachverhaltstheoretisch ist es zwar .möglich und sogar notwendig, von
einem Begriff des Gegenstandes, wie ihn die neuere Prädikatenlogik kennt,
wegzukommen, nur muß natürlich wie schon besprochen in gleicher Weise
auch der Begriff des Prädikates eliminiert werden.
Unsere bisherigen Erörterungen haben ergeben, daß Kennzeichnung —
weil bereits Gebrauch sprachlicher Zeichen — immer heißt, daß ich mich auf
einen Gegenstand beziehe, genauer: daß ich etwas als Gegenstand „identifi-
ziere" (Searle), das dann im Sinne Freges die Bedeutung der Kennzeichnung
ist, ferner: daß ich eine Kennzeichnung nur als Teil eines Satzes gebrauche

80 Bertrand Russell, My philosophical development, London 1959.


81 Ib. p. 161; zitiert nach Brekle, Satzsemantik, p. 68.
82 Brekle, Satzsemantik, insbesondere p. 69 ss.
Verbvalenz und Satzthema 125

und damit auf etwas als Gegenstand nur im Zusammenhang von Sachverhal-
ten referiere; das erweist zuguterletzt, daß „etwas als Gegenstand identifizie-
ren" oder auch z.B. „eine Eigenschaft zuschreiben" die Art und Weise des
sprachlichen Zugriffs kennzeichnet und von dem zu trennen ist, was im je-
weiligen sprachlichen Zugriff zum Ausdruck k o m m t , ein Ergebnis, das sich
eben auch daraus ergibt, daß ich z.B. eine Eigenschaft in einem nächsten Satz
referenzidentisch als Gegenstand wieder aufgreifen kann.
Freilich müssen wir nun unter neuen Vorzeichen auf die alte Frage Russells zu-
rückkommen, was denn von all unseren Ausführungen übrig bleibt, wenn der Ge-
genstand nicht existiert bzw. der Sachverhalt nicht besteht, in dessen Rahmen ich
auf einen Gegenstand referiere. Und wir kommen auf die Frage Russells zurück unter
Einschluß der Überlegung, daß bei Wegfall der Rede von den Gegenständen
bzw. der Existenz der Gegenstände eigentlich auch fortfällt, daß einem Ge-
genstand Eigenschaften zukommen bzw. zu Recht oder zu Unrecht zuge-
schrieben werden. Die Konsequenz daraus aber ist, daß dann auch nichts mehr
über das Bestehen oder Nicht-Bestehen von Sachverhalten ausgesagt werden
kann, denn die Rede vom Bestehen eines Sachverhaltes gründet ja gerade dar-
auf, daß einmal Gegenstände existieren, zum zweiten darauf, daß ihnen z. B.
eine Eigenschaft zu Recht zukommt.
Nun, wir haben uns mit solchen Überlegungen demjenigen Konzept bereits
sehr genähert, das — bei einer Vielzahl von Modifikationen — eine Antwort
auf die Frage Russells sein könnte, dem Konzept der möglichen Welten 8 3 , so
wie wir es weiter oben schon angesprochen haben. Dort war auch bereits die
Rückführung der Wahrheitswerte „wahr" und „falsch" - soweit damit ontolo-
gische Realität intendiert war — auf die Feststellungen „sinnvoll" und „sinn-
los" vorgeführt worden, was darauf aufmerksam macht, daß der unserem Be-
griff der möglichen Welt zugrundeliegende Begriff der Zustandsbeschreibung
eines möglichen Weltzustandes sprachrelativ in Bezug auf eine jeweilige natür-
liche Sprache ist; mit anderen Worten liegen wir damit dicht an der sprachli-
chen Relativität der Sapir-Whorf-Hypothese, so sehr auch der Begriff der
Möglichkeit historisch gesehen als Produkt unserer Erfahrungen im Umgang
mit realer Wirklichkeit gekennzeichnet werden muß. Mit anderen Worten er-
gibt sich z. B. die Zahl möglicher Welten „allein aus der Reichhaltigkeit [ . . . ]
einer jeweiligen Umgangssprache und nicht aufgrund irgendwelcher ontologi-
scher Überlegungen" 8 4 . Wie weit eine solche Konzeption dann von der Car-
napschen Vorstellung der Zustandsb.eschreibung abweicht, kann ich hier —
auch für das Folgende — nicht diskutieren.

83 Cf. N 34.
84 Wunderlich, Grundlagen, p. 248.
126 M. Schecker

Insofern nun eine jeweilige mögliche Welt sprachlich konstituiert wird,


wird sie und jeweils jeder ihrer Sachverhalte im Sprechen stets neu konsti-
tuiert. Damit gilt zugleich, daß eine jeweilige mögliche Welt sich relativ zur
aktualen Welt einer Sprechsituation bestimmt, was so gedacht werden könn-
te 8 5 , daß die Subjekte u n d Prädikate usw. gleichsam als Variablen geführt
werden, deren Welt von einer Sprechsituation abhängt, in der ein betreffen-
der Satz oder dann auch T e x t Verwendung findet. Freilich kann eben diese
Sprechsituation auch verbal vorgestellt werden, ein Fall, der sicherlich in der
Literatur häufig a u f t a u c h t , hier vor allem wohl bei sogenannten Rahmener-
zählungen.
Greifen wir an dieser Stelle erneut die Extensionalitätsthese Carnaps auf,
so wollen wir angesichts der Tatsache, daß alle Eigenschaften bzw. Bezie-
hungen sich referentiell identisch durch Kennzeichnungen u n d damit als Ge-
genstände wieder aufgreifen lassen, nicht aber umgekehrt, generell von Kenn-
zeichnungen ausgehen. — Die Intension einer Kennzeichnung ap n u n läßt sich
gemäß Carnap/Wunderlich wiedergeben durch den Extensionsverlauf dieser
Kennzeichnung in den verschiedenen möglichen Welten, also durch die Be-
griffe „Extension" und „mögliche Welt", so daß gilt: „Intension von ap:
Extension von a p in der Welt w = Element aus D w (= E w ) ,
Extension von ap in der Welt w ' = Element aus D w ' (= E w ' ) ,
Extension von ap in der Welt w " = Element aus D w " (= E w " ) ,
u s w . " 8 6 ; dabei gibt D irgendeinen Gegenstands- bzw. Referenzbereich an u n d
z.B. D w den Gegenstandsbereich der Welt w. — Entgegen Carnap/Wunderlich
m u ß hier freilich nochmals an den Satzzusammenhang einer Kennzeichnung
erinnert werden. Anders ausgedrückt ergibt sich die Intension einer Kennzeich-
nung ap bestenfalls als ganz spezifischer Extensionsverlauf bzw. bei Einsatz
des Begriffs der Abstraktion als ganz spezifische Abstraktion über E w bis E w "
usw. einschließlich, wobei das Spezifische sicherlich einmal darin liegt, daß
bei Absehen vom K o n z e p t der möglichen Welten gleichsam über nur einem
einzigen Individuum abstrahiert würde; zum zweiten aber liegt das Spezifische
einer solchen Abstraktion vor allem eben darin, daß das durch die Kennzeich-
nung Gekennzeichnete an einen Sachverhalt rückgebunden bleibt. Entspre-
chend k o m m e n wir also zur Kennzeichnung a selber — mithin relativ unab-
hängig einer jeweiligen Satzposition p — erst dann, wenn zwei und mehr Sach-
verhalte ein- u n d derselben Welt sich — mengenalgebraisch gesprochen — über
einem Bestandteil der zwei u n d m e h r Sachverhalte vereinigen derart, daß der
besagte Bestandteil so etwas wie eine Durchschnittsmenge bildet; erst als

85 Cf. zum folgenden Wunderlich, Grundlagen, p. 257.


86 Angelehnt an Wunderlich, loc. cit.
Verbvalenz und Satzthema 127

Durchschnittsmenge bzw. als wiederholter Bestandteil können wir etwas zum


Gegenstand erheben. — Zu weiteren Einzelheiten siehe dann später.
Gehen wir nun einerseits von einem Gegenstand aus und abstrahieren von
den zwei und mehr Sachverhalten, die im vorgetragenen Sinne über den Sach-
verhalt selber hinaus so etwas wie einen Gegenstand erst ermöglichen 8 7 , so
stellt eben dieser Gegenstand ein Klassenmerkmal einer Klasse oder Menge von
Sachverhalten einer möglichen Welt dar. Gehen wir andererseits von einem Sach-
verhalt aus und abstrahieren von den Gegenständen, wobei vorausgesetzt wird die
Konstitution eines Sachverhaltes aus Gegenständen durch „Überschneidung" mit
anderen Sachverhalten (zumindest potentielle „Überschneidung"), so erhalten
wir ein Beziehungsgefüge mit Variablen, das für jeweils jede Variable xi bis x n
ein Klassenmerkmal einer Klasse von Gegenständen abgibt. So gesehen lassen
sich die Variablen des oben angesprochenen Beziehungsgefüges als Klassen
von Gegenständen auffassen; insofern nun zwar nicht alle Sachverhalte durch
Sätze ausgedrückt werden, aber alle Sätze Sachverhalte ausdrücken, ergibt sich
unter extensional-semantischem Blickwinkel die Inhaltsseite der weiter oben
angesprochenen Satzform als jenes Gefüge von Klassen von Gegenständen pro
mögliche Welt. Würden wir hier auf die Kasusgrammatik Filimores zurückgreifen,
so müßten seine Tiefenkasus in Bezug auf jede Welt als solche Klassen von Gegen-
ständen, also als Klassen von Klassen von Sachverhalten gefuhrt werden; freilich
ist im Unterschied zur Kasusgrammatik die Position des Verbs hier einzubeziehen.
Würden wir an dieser Stelle hingegen nochmals auf Brekle 8 8 zurückgreifen, den
wir im Zusammenhang der Ablehnung des herkömmlichen Gegenstandsbegriffs
schon erwähnten, so müßten seine Satzbegriffe als Sachverhalte bezeichnet werden,
die kein Gefüge von Klassen von Prädikaten darstellen, sondern ein Gefüge eben von
Klassen von Gegenständen; das verweist zugleich darauf, daß die von Brekle anvisierte
Ganzheit eines Satzes sich niemals auf der Ebene des Satzes, sondern nur auf der
Ebene des Sachverhaltes — nämlich als Sachverhalt 89 — ergibt; doch siehe zu
Brekle noch später.

c) Diskussion verwandter Ansätze


Die angedeutete Interpretation der Tiefenkasus Filimores leitet über zu An-
sätzen, die mit der Kasusgrammatik verwandt sind, jedoch von unserer Satz-
analyse abweichen. Dabei geht es zunächst wieder um die Unterscheidung von

87 Cf. Lorenzers Mutter-Kind-Dyade und die Einführung von Sprache, wie ich sie in
Schecker, Bedeutung, konzipiert habe aufgrund Alfred Lorenzer, Sprachzerstörung
und Rekonstruktion, Frankfurt a. M. 1972.
88 Brekle, Satzsemantik, insbesondere p. 57.
89 Das bedeutet eine sehr fundamentale Kritik an jeder Form der strukturellen Semantik
von Greimas über Fodor/Katz bis hin zur generativen Semantik etwa eines McCawley.
128 M. Schecker

Form und Substanz, die wir u.a. ja schon kritisch gegen Strawson und auch
gegen Searle wendeten — mit dem Ergebnis, daß die dort getroffene Unter-
scheidung von Kennzeichnung und Gebrauch einer Kennzeichnung aufgege-
ben werden mußte. In gleicher Weise muß die Unterscheidung von Form und
Substanz gegen die generative Semantik gerichtet werden, hier z.B. gegen
McCawley 9 0 und G. L a k o f f 9 1 , die ebenfalls den Unterschied zwischen lexikali-
schen Inhaltssubstanzen und Satzinhaltsformen unterschlagen. Das wirkt sich
dann bei der Dekomposition von Verben wie „öffnen" oder „umgeben" aus,
in deren Rahmen McCawley ein abstraktes Element „Kausativ" 92 bzw. Robert
Binnick 93 das nicht weiter zerlegbare Verb „to cause" / „verursachen" auf-
führt, was dann Stammbäume der folgenden Art ergibt: 94

V NP NP

verursachen x S

V NP

werden S

V NP

nicht S

V NP

lebendig y

90 Cf. James D. McCawley, Bedeutung und die Beschreibung von Sprachen, in: Ferenc
Kiefer (Hg.), Semantik und generative Grammatik II, Frankfurt a.M. 1972, p. 361 —
388; cf. ferner auch James D. McCawley, Lexikalische Einsetzungen in eine transfor-
mationelle Grammatik ohne Tiefenstruktur, in: Steffen Stelzer (Hg.), Probleme des
„Lexikons" in der Transformationsgrammatik, Frankfurt a.M. 1972, p. 4 2 - 5 6 .
91 Cf. u.a. G. Lakoff, Natürliche Logik und lexikalische Zerlegung, in: Stelzer (Hg.),
Lexikon, p. 6 8 - 9 7 ; cf. ferner auch G. Lakoff, Über generative Semantik, in: Kiefer
(Hg.), Semantik, p. 3 0 5 - 3 5 9 .
92 Cf. McCawley, Bedeutung, p. 366.
93 Robert Binnick, Die Beschaffenheit der „Lexikoneinheit", in: Stelzer (Hg.), Lexikon,
p. 2 0 - 2 8 , hier p. 24.
94 Werner Abraham - Robert Binnick, Syntax oder Semantik als erzeugende Komponen-
ten eines Grammatikmodells? , Linguistische Berichte 4 (1969), 1 - 2 8 , hier p. 21.
Verbvalenz und Satzthema 129

Hier gilt, daß die Referenzbeziehungen der in der Verb-Dekomposition erstell-


ten Konstituentensätze bzw. deren Extensionsverhältnisse völlig ungeklärt blei-
ben und auch nicht erklärbar sind, was in einer Kritik Heringers 95 anklingt, die
dieser freilich gegen ähnliche Versuche bei Wundt und Schuchardt richtet — man
sieht, welche Tradition selbst die Verb-Dekomposition der generativen Seman-
tik bereits hat. Heringer nämlich führt gegen ein solches „verursachen" an, daß
es bei einem Satz wie „Emil öffnet das Fenster" für die Dekomposition in
„Emil verursacht, daß das Fenster offen ist" nicht ausgemacht sei, daß nun Emil
selber das Fenster öffnet; er kann ja auch jemand anders dazu veranlassen, was für
den Ausgangssatz jedoch unmöglich ist. 96 Verallgemeinere ich diese Beobach-
tung, daß also die implizit für die Dekomposition zugrundegelegte Paraphrase-
beziehung im Bereich der Referenz so gut wie niemals stimmt, so treffe ich
mich — so weit ich sehe — mit der sehr grundlegenden Kritik von Bartsch und
Vennemann 9 7 ; auch sie führen das zurück auf die Vermischung von — wie man
sagen könnte — Wortsemantik und Satzsemantik.
Nicht nur Bach in „Nouns and Noun Phrases" 98 hat die Dekomposition von
den Verben auf die Nominalphrasen übertragen; zunächst trifft auch ihn die
weiter oben angeführte Kritik. Darüber hinaus werden hier Form und Substanz
in seltsamer Weise auseinandergerissen, genauer: verschiedene Formen und da-
mit verschiedene Funktionen zusammengenommen. Gemeint ist die Dekompo-
sition in einen nominalen Stellvertreter und eine Reihe von Konstituentensät-
zen, denn Substantive wie „der Rektor" aus einem Satz wie „der Rektor hielt
eine Rede" werden ja zerlegt in „derjenige, der Rektor ist, (hielt eine Rede)",

95 Heringer, Theorie, p. 115/116.


96 Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, daß man diese Schwierigkeit dadurch umge-
hen könne, daß man die gleiche Struktur einmal mit einem Operator notiert, der ent-
sprechende Prädikatanhebungen blockiert, und einmal ohne eine solchen Operator.
Nur ist natürlich eine Prädikatanhebung bei Fehlen des Operators nicht verpflich-
tend, so daß das Fehlen des Operators als eine Art eigener Operator nicht obligatori-
sche Transformationen bedeuten würde; entsprechend gibt es Fälle, in denen auf je-
den Fall von einer gleichen Tiefenstruktur bzw. semantischen Satzbasis gesprochen
werden kann. Doch auch dann, wenn man den angedeuteten umgekehrten Weg geht,
werden ja wie im ersten Fall zumindest inhaltliche Relationen postuliert, die mir
keine beschreibungsadäquate Wiedergabe von Sätzen natürlicher Sprachen zu sein
scheinen, ja: die mir nicht einmal eine Beobachtungsadäquatheit garantieren, so daß
- auch dann, wenn es gelingen sollte, die angedeuteten technischen Schwierigkei-
ten aus dem Weg zu räumen - zwar eine formale Lösung, nicht aber darum schon
eine auch inhaltlich befriedigende Lösung vorliegen würde.
97 Renate Bartsch - Theo Vennemann, Semantic Structures, Frankfurt a.M. 1972, p. lOss.
und p. 39 ss.
98 Emmon Bach, Nouns and noun phrases, in: EmmonBach - Robert T. Harms (Hg.),
Universals in linguistic theory, New York u.a. 1968, p. 9 0 - 1 2 2 .
130 M. Schecker

wobei uns Details nicht näher zu interessieren brauchen. Damit aber ist das
ursprüngliche Substantiv gleichsam in Form und Substanz getrennt, wobei
die letztere in einer Verb- bzw. Prädikatform wieder auftaucht. Also wird im
Rahmen der Position des ursprünglichen Substantivs die Substantiv-Funktion
des „identifizierenden Referierens auf etwas " mit der Verb-Funktion des
„Prädizierens" (beides gemäß Searle) vermischt. Das setzt sich im Rahmen der
amerikanischen generativen Semantik fort bei einer ganzen Reihe von soge-
nannten expressiven Termen, die ebenfalls als prädikative Einheiten ausge-
führt werden, wobei ich hier im wesentlichen wieder Bartsch und Vennemann
folgen kann. Unter expressiven Termen versteht man mit Reichenbach 99 , „Ele-
mente der symbolischen Logik", eben solche Terme, die wir zur Satzform
rechnen würden, Einheiten also, „die gewisse Zeichenstrukturen erzeugen und
so gesehen etwas tun, aber nichts sagen", wie es Reichenbach ausdrückt. Spe-
ziell die Negation „nicht" u.a. in den Stammbäumen R. Binnicks trifft diese
Kritik; sie als prädikative Einheiten ausführen heißt, sie mit Einheiten wie
„falsch" und wohl auch „verneinen" vermischen. Bartsch und Vennemann
führen dagegen aus, daß „nicht" kein Prädikat sei, sondern ein Operator über
Propositionen. Sgall100 würde wohl auch das ablehnen. Er bezeichnet solche
Negationen als Operatoren, die ein jeweiliges Verb modifizieren; genauer noch
führt er aus, daß im Unterschied zur Negation in der Logik diese in natürlichen
Sprachen rückbezogen werden muß auf die kommunikative Strukturierung des
Satzes derart, daß die kontextgebundenen Aktanten eines Satzes auf jeden
Fall außerhalb des Skopus der Negation liegen. Bartsch hat freilich in einem
Vortrag 101 dagegen Stellung bezogen; ihr folgend scheint mir eine solche Dis-
kussion nur fruchtbar, wenn sauber zwischen Systemwerten der Negation und
Nutzwerten 102 — etwa unter Einschluß von kontextgegebenen Präsuppositio-
nen — unterschieden wird; doch können wir der Problematik hier nicht weiter
folgen.
Mit Brekle kommen wir auf einen Ansatz zurück, der unserem
sehr viel enger verwandt ist als die generative Semantik eines McCawley usw.
Brekle zerlegt wie schon angedeutet den Satz in einen „semantischen Kern",
dessen Struktur wesentlich auf der Grundlage einer valenzmäßig interpretier-
ten Kasusgrammatik formuliert wird, ferner in eine Anzahl von modalen Re-
lationen, z.B. Assertion, Qualifikation, Negation, Modi usw., „die den Satz-

99 H. Reichenbach, Elements of symbolic logic, New York 1947/London 1966.


100 Sgall, Topic, insbesondere p. 75 ss.
101 Vortrag zum „9. Linguistischen Kolloquium", Bielefeld 2 7 . - 3 0 . 8 . 1 9 7 4 .
102 Vielleicht ergibt sich von daher eine genauere - nämlich formale - Beschreibung der
alten strukturellen Dichotomie von Grundwerten (= Systemwerten) und Nutzwer-
ten (= Werten der parole, auch effets de sens).
Verbvalenz und Satzthema 131

begriff bzw. einzelne Teile desselben in Beziehung zu bestimmten Ebenen der


Kommunikation bringen" 103 . Sehen wir für das Folgende einmal von den mo-
dalen Relationen ab, so bleiben eine ganze Reihe diskussionswürdiger
Details, so etwa die Behandlung des Artikels. Einerseits nämlich formu-
liert Brekle solche Aussagen wie diejenige, daß der bestimmte Artikel im Singu-
lar relative Einzigkeit eines Gegenstandes impliziert 10 ' 1 ; schließlich kann der
bestimmte Artikel im Singular aber auch generalisierend gebraucht werden!
Andererseits geht Brekle auf die referentiell verweisende Rolle des Artikels
überhaupt nicht ein, die insbesondere für die Verkettung von Sätzen oder
Propositionen zu Texten wichtig wird.
Systematisch schwer wiegt auch, daß Brekle glaubt, von der Prädikation
wie auch der Funktion des identifizierenden Referierens auf etwas (Searle)
als fundamentalen Relationen absehen zu können, und das hängt natürlich
wieder mit dem Artikel bzw. dem Substantiv zusammen 105 . Hier kann sich
Brekle sogar auf Russell und dabei u.a. auf dessen Behandlung der Kennzeich-
nungen berufen (siehe „On denoting"), denn diese wurden ja wie angedeutet
in eine Existenzbehauptung und in einen prädikativen Teil zerlegt, der —
ebenso wie die Prädikatskomplexe Brekles — unter unsere Kritik an der gene-
rativen Semantik Bachs fällt. Überhaupt gilt für Brekle, daß er offensichtlich
die Diskussion der Termtheorie - ein Stichwort wiederum Searles - nicht
berücksichtigt.
Aufbauend auf der Nichtberücksichtigung des funktionalen Unterschieds
von Substantiven und Verben/Adjektiven setzt Brekle für die Beziehungen
der Aktanten zum Verb eigene Relationen bzw. Relationskonstanten an, die
den semantischen Gehalt der Tiefenkasus Filimores in eine relationale Be-
schreibung einholen sollen 106 . Auch hier muß Kritik vorgebracht werden, zu-
allererst an Relationskonstanten wie „Caus", die eine Neuauflage der kausati-
ven Beziehung in den Tiefenstrukturen McCawleys und dann Robert Binnicks
bedeuten, und das diesmal auch noch unter explizitem Verweis auf den schon
erwähnten Schuchardt 107 . Auch Brekles Hinweis darauf, daß er ja eigentlich
keine selbständigen Teilsätze postuliert, sondern diese zusammendenkt, ent-
lastet meiner Meinung nach von der oben vorgetragenen Kritik nicht 1 0 8 ; auch
bei der Interpretation des Satzes „der Knabe schlägt den Hund" als „der Knabe

103 Brekle, Satzsemantik, p. 57.


104 Brekle, Satzsemantik, p. 63.
105 Siehe die unter Berufung auf Russell vorgetragenen Gründe in Brekle, Satzsemantik,
insbesondere p. 67 ss.
106 Cf. etwa Brekle, Satzsemantik, p. 71 ss.
107 Brekle, Satzsemantik, p. 65 N 31, p. 71 N 44a, p. 72 N 46.
108 Cf. Brekle, Satzsemantik, p. 72 N 46.
132 M. Schecker

schlägt", und dadurch: „der Hund wird geschlagen" ist es möglich, daß der
Knabe einem Kameraden gedroht hat, ihn — den Kameraden — zu schlagen,
und daß dieser daraufhin die Gegendrohung ausgestoßen hat, daß er aber dann
den Hund des Knaben schlagen werde; statt den Knaben selber zu
schlagen rächt man sich — um so empfindlicher — an seinem Lieblingstier.
Die vorgetragenen Schwierigkeiten Brekles scheinen mir wie schon ange-
deutet implizit bereits Schwierigkeiten Russells zu sein. Dieser verwirft Einzel-
nes bzw. Individuen bzw. Gegenstände in unserem Sinne als Subjekt von
Sätzen 109 — Ausnahmen sind vielleicht die Eigennamen — und reduziert so den
Satz bzw. die Aussage auf eine Verbindung mehrerer prädikativer Einheiten,
die als solche gleichartig und gleichberechtigt sind. Entweder ist hier also der
fundamentale Unterschied von Aussage/Satz und von Sachverhalt vernach-
lässigt und etwas für die Aussage postuliert, was bestenfalls für den Sachver-
halt zutrifft — siehe hierzu schon weiter oben —, oder aber es wird hier die
Position Freges, daß Prädikate sich auf Begriffe als ihre Bedeutung beziehen —
wir hatten bisher nur die Gegenstände als Bedeutung von Kennzeichnungen
und damit auch von Subjekten diskutiert —, nur verdoppelt und damit die
Fregesche Überzeugung, daß Subjekte sich im Gegensatz zu Prädikaten auf
Gegenstände als ihre Bedeutung beziehen, verneint, auch dann übrigens ver-
neint, wenn wir Strawson und auch Searle und unsere Korrekturen an Searle
und Strawson mit einbeziehen. Das aber ist nach allem, was hier im Namen
der Satzinhaltsform gesagt wurde, eine nicht einsichtige Position, die zwar
für die in einen Satz eingebrachten Lexeme als solche gilt, aber verkennt, daß
diese als Lexeme niemals einen Satz bilden können, sondern als Substanz zu-
sätzlich der besagten Satzform bedürfen. Wollte man den Unterschied der
Brekleschen Konzeption zu meiner auf einen prägnanten Nenner bringen, so
könnte man — allerdings beiderseits stark reduzierend — sagen, daß Brekle
a) alles auf den Satz bzw. auf die Aussage konzentriert und b) diese'„auflöst"
in eine Verbindung von prädikativen Einheiten, ich hingegen a) alles auf den
Sachverhalt in einer möglichen Welt konzentriere und b) diesen als Verbin-
dung von Gegenständen darstelle; eine solche Konzeption hätte mit Carnap
übrigens auch für Klassen von Gegenständen, mithin für die Carnapschen
Quasigegenstände 110 , Gültigkeit, denn entsprechende Aussagen könnten ohne
weiteres in Aussagen rückübersetzt werden, die über „echte" Gegenstände
handeln.

109 Genauer geht es hier nur um Subjekt-Prädikat (im logischen Sinne) -Sätze; die Ver-
hältnisse gestalten sich jedoch bei Sätzen mit mehrwertigen Verben nicht anders.
110 Carnap, Welt/Philosophie, p. 35 ss.
Verbvalenz und Satzthema 133

Brekles Reduzierung des Satzes macht nun auch den systematischen Stand-
ort seiner Relationskonstanten deutlich, die Relationen zwischen gleichartigen
und gleichberechtigten Prädikaten kennzeichnen und so — gewollt oder unge-
wollt — mehrstellige Prädikate zweiter Stufe im Sinne einer mehrstufigen Prä-
dikatenlogik darstellen. Damit aber komme ich zu einem letzten Punkt meiner
Kritik an Brekle, daß seine Relationskonstanten zwar Prädikate zweiter Stufe
darstellen — das könnte ein Vorteil gegenüber McCawleys Behandlung seman-
tischer Primitive sein —, aber — so weit ich sehe — nicht als metasprachliche
Prädikate verstanden werden — das wäre nun wieder ohne Unterschied zu
McCawley. Damit muß ihnen im Objekt- oder Gegenstandsbereich in direkter
Weise etwas entsprechen 111 , und so ist es ja von Brekle auch wohl gemeint; mit
anderen Worten betrifft die Theorie spräche, in der solche Relationskonstan-
ten formuliert sind, nur die Ausdrucksseite 112 , und das dürfte der logischen
Typenlehre widersprechen. Wenn weiterhin ein eigener Relator postuliert wird,
der erst einen jeweiligen Aktanten ans finite Verb bindet, so gilt mit gleichem
Recht — immer bezogen auf die Ebene der Objektsprache —, daß dann auch
ein Relator R' (X, Y) angesetzt werden muß, der den oben genannten Relator
R (x,y) z.B. an den Aktanten bindet, usw., d.h. wir kommen zu einem unend-
lichen Regreß, den man wie folgt graphisch veranschaulichen könnte:

111 Genauer sind sie damit selber Objekt- oder Gegenstandsbereich, der hier freilich im
Unterschied zur „natürlichen Ausdrucksseite" der betreffenden natürlichen Sprache
mit einer theoriesprachlichen Ausdrucksseite versehen ist.
112 Zusammengefaßt würde ich den entscheidenden Fehler darin sehen, daß so das Kon-
strukt, d.h. die rationale Nachkonstruktion einer Wirklichkeit, mit der Wirklichkeit
selber „in einen Topf geworfen wird". Das aber lehne ich ab, da Wirklichkeit nur in
Form einer rationalen Nachkonstruktion zugänglich ist - so sehr darin auch als not-
wendige Voraussetzung die Hypothese einer von der Nachkonstruktion unabhängi-
gen Wirklichkeit steckt.
134 M. Sehecker

Anders sähe das aus, wenn es sich im angezeigten Sinne um metasprachliche


Prädikate handeln würde, denn dann steht die Ebene der Prädikation durch
solche Prädikate gleichsam senkrecht zur Ebene der Objektsprache, und es
würde nicht zu einem unendlichen Regreß in der Sache selber kommen.
Es bleibt noch anzumerken, daß Brekle mit Prädikaten zweiter Stufe —
aber Objektsprache — meiner Meinung nach zudem in Konflikt kommt mit
der logischen Darstellung z.B. von Adverbien, auch von Zahlwörtern (siehe
Quine) 113 — vorausgesetzt, er würde seine Beschreibung von Nominalkom-
posita ausdehnen wollen eben auch auf Adverbien usw.; diese nämlich müssen
in einer logischen Darstellung als Prädikate höherer Stufe dargestellt werden,
und das etwa dann, wenn man den Weg generativer Grammatiken nicht mit-
machen will, die auch hierfür eigene Konstituentensätze in einer Tiefenstruk-
tur oder in einer semantischen Satzbasis ansetzen.

Hauptteil Text

aj Ansätze zur Beschreibung von Thema-Rhema-Strukturen

Nachdem ich angedeutet habe, was hier unter Satz-Inhalts-Form verstanden


werden soll, möchte ich nun meinen Begriff von Thema-Rhema-Strukturen
des Satzes vorführen. Hier gehe ich davon aus, daß in jedem Satz eines Textes
— also auch bereits im Anfangssatz — einerseits etwas benannt wird, über das
andererseits eine Aussage gemacht wird. Freilich darf das nicht im Sinne eines
psychologischen Subjekts mißverstanden werden; bei Boost 114 z.B. führt das
„psychologische Subjekt" ja dazu, daß in Aussagesätzen einfach der Satzteil
vor dem finiten Verb Thema ist, das finite Verb selber plus die weiteren
Aktanten bzw. notwendigen Mitspieler hingegen Rhema sind. Erstaunlicher-
weise postuliert selbst Chomsky in „Aspekte der Syntax-Theorie" solches als
Thema-Rhema-Struktur, freilich in einer leicht veränderten Fassung derart,
daß „das Thema des Satzes als die am weitesten links stehende NP in der
Oberflächenstruktur definiert [sein soll], die unmittelbar von S dominiert
wird und außerdem eine Hauptkategorie [ . . . ] ist [ . . . ]; dadurch" - so
Chomsky — „wird John Thema in ,it was John who I saw' [ . . . ] " u s .
Auch in einem anderen Sinne soll die Thema-Rhema-Struktur hier nicht als
gleichsam inhärente Zweitstruktur des Satzes verstanden werden, wie das

113 Quine, Logik, p. 297 ss.


114 Cf. Karl Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des deutschen
Satzes, Berlin 1964.
115 Chomsky, Aspekte, p. 2 7 4 / 2 7 5 , N 32.
Verbvalenz und Satzthema 135

in der Schule der funktionalen Satzperspektive unter dem Terminus der


„kommunikativen Relevanz" (bei Sgall „communicative importance") 1 1 6 ge-
schehen ist. Dabei nämlich geht es um eine systematische Ordnung der kom-
munikativen Rolle, die die einzelnen Aktanten spielen, wobei diese auch bei
Sgall als Tiefenkasus im Sinne Filimores gefaßt werden. Eine solche Konzep-
tion, die eine kommunikative Rolle oder Funktion eines Aktanten eines
Satzes unabhängig vom konkreten Kontext zu erfassen sucht, lehne ich ab.
Neben der „kommunikativen Relevanz" und dem „psychologischen Sub-
jekt" gibt es einen dritten Einsatz, Thema-Rhema-Strukturen zu beschreiben,
der freilich besser als Beschreibung von „Subjektivierungen" bezeichnet würde.
Geht man hier von einer Tiefenstruktur der generativen Grammatik aus, so
handelt es sich um transformationeile Prozesse — im Deutschen etwa der Ab-
stimmung im Numerus zwischen Subjekt und Prädikat, ferner um die Einfüh-
rung des morphologischen Kasus und anderes mehr. Nun kann es zwar unter
stilistischen Aspekten interessant sein, was — um weiterhin mit der generati-
ven Grammatik zu sprechen — jeweils als morphologisches Subjekt ausgezeich-
net wird, so wie es ja auch von Interesse ist hinsichtlich der „Perspektive", un-
ter der ein Geschehen usw. geschildert wird, was an den Anfang eines Satzes
gerückt wird, vorausgesetzt es handelt sich nicht um Sprachen mit festgelegter
Wortstellung, oder auch: was z.B. emphatisch betont wird; doch all diese
sicherlich sehr interessanten Phänomene interessieren hier nicht oder doch nur
sekundär, insofern wir über die Thema-Rhema-Struktur aus sind auf satzüber-
greifende Beziehungen.
Relativ eng an die „Subjektivierung" hält sich nun scheinbar Brekle, wenn
er sich selber fragt, wo in seinem System „die bei allen bisherigen grammati-
schen Satzanalysen angenommene Subjekt-Prädikat-Relation — „Prädikat"
hier im Sinne der klassischen Grammatik gebraucht — angesiedelt wird" 1 1 7 ,
und dann von Topikalisierung spricht, aufgrund derer z.B. eine Passivkon-
struktion bzw. ein Passiv-Subjekt entsteht. Zugleich leitet Brekle aber
mit den gleichen Topikalisierungsprozessen bestimmte Formen der No-
minalkomposita des Englischen aus zugrundeliegenden „Satzbegriffen" ab,
so daß z. B. aus „schreien" und „Baby" in einem Satz wie „das
Baby schreit" (besser: Satzbegriff) bei Topikalisierung des „Babys" „Schrei-
baby", hingegen bei Topikalisierung von „schreien" „Babyschrei" wird 1 1 8 .
Nur: in dem Moment, in dem auch hier von Topikalisierung ge-
sprochen wird, wird der Unterschied zwischen Dependenz und Interdepen-

116 Sgall, T o p i c .
117 Brekle, S a t z s e m a n t i k , p. 7 7 .
1 1 8 Brekle, S a t z s e m a n t i k , p. 1 3 1 .
136 M. Schecker

denz im Sinne Hjelmslevs unterschlagen. Zwar kann man fur das morpholo-
gische Subjekt — zumindest im Deutschen — eine gewisse Vorrangstellung vor
den anderen Aktanten feststellen, die z.B. auch Raible verzeichnet, und das
findet darin seinen Ausdruck, daß bei Umformung z.B. attributiver Adjektive
in Relativsätze bzw. in Konstituentensätze einer syntaktischen Tiefenstruk-
tur das Bezugsnomen des attributiven Adjektivs stets Subjekt des entstehen-
den Relativsatzes oder dann eines solchen Hauptsatzes ist, der u. a.
ohne Wortstellungstransformationen aus dem entsprechenden Konstituenten-
satz der Tiefenstruktur abgeleitet ist. Zwar kann man also eine Vorrangstellung
des ersten Aktanten verzeichnen; doch Brekle kann sich nicht einmal darauf
berufen, sondern scheint mir eine weitere Inkonsequenz in sein System einge-
baut zu haben; hier nämlich geht er plötzlich vom psychologischen Subjekt
aus: „Der Setzung eines ,topic' als psychologisches Subjekt im Satzbereich
entspricht im Kompositionsbereich die Setzung eines ,topic' als sog. ,deter-
minatum' eines Kompositums" 119 . Faßt man zusammen, so bringt Brekle
drei Erscheinungen zusammen, die z.B. noch Bally relativ sauber getrennt hat,
wenn er von „déterminé (— déterminant)", „thème (— propos)" und „dictum
( - m o d a l i t é ) " spricht 120 .
Operationalisiert man die Rede vom psychologischen Subjekt bzw. vom
Thema, über das gesprochen wird, derart, daß man von allen kontextgebunde-
nen Satzgliedern — alles zunächst noch im Bereich von Minimalsätzen — als
Themen spricht, so sind wir beim Gegenstand angelangt, Gegenstand in unse-
rem Sinne. Freilich besteht ein gewisser Unterschied darin, daß die Themen
Gegenstände jeweils eines einzigen Textes sind, Gegenstände selber hingegen sich
auf Grund gleichsam einer Vielzahl potentieller Texte konstituieren können. —
Bedenkt man nun, daß die Kontextgebundenheit von Aktanten und Verb
explizit in Erscheinung tritt bei den sogenannten „neuen Pronomina" Har-
wegs 121 , so läßt sich auch sagen, daß ich als Thema eines Satzes dasjenige be-
trachte, was in einer Substitutionsreihe jeweils substituiert wird. Soweit folge
ich dann auch z.B. Sgall, der neben der „kommunikativen Relevanz" ebenfalls
die Kontextgebundenheit für die „kommunikative Dynamik" eines Satzes be-
rücksichtigt. Vor einem solchen Hintergrund wird weiterhin deutlich, daß ich
nicht — wie z.B. Firbas — differenzierter neben dem Thema und dem Rhema
noch eine „Transition" vom Thema zum Rhema annehmen kann 1 2 2 . Freilich
sind andere Formen der Ausdifferenzierung dennoch möglich, die jedoch we-

119 Brekle, Satzsemantik, p. 130.


120 Bally, LGLF, insbesondere p. 35 ss.
121 Harweg, Pronomina.
122 Cf. u.a. J. Firbas, A note on transition proper in functional sentence analysis,
Philologica Pragensia 8 (1965),170-176; zitiert nach Sgall, Topic.
Verbvalenz und Satzthema 137

sentlich den Bereich des Themas betreffen. Zwar geht es dabei nicht darum,
im Sinne Sgalls den durch die Situation gebundenen Teilen einen höheren
Stellenwert in der „kommunikativen Dynamik" des Satzes zuzubilligen123,
wohl aber darum, daß diejenigen kontextgebundenen Teile, die im Vorder-
grund stehen, einen höheren Wert in der „kommunikativen Dynamik" besit-
zen als jene Teile, die sich im Hintergrund befinden. „Vordergrund" und
„Hintergrund" sind dabei nicht im Sinne Weinrichs124 zu verstehen, sondern
beziehen sich auf den gemeinsamen Wissensbestand von Sprecher/Schreiber
und Hörer/Leser, soweit er den Text betrifft; so gesehen wird der Vorder-
grund thematisch jeweils durch das im Text neu eingeführte Thema gebildet,
also durch jene Themen, die nicht schon länger gleichsam im Gespräch sind.
Der Unterschied, den ich vor allem zu Sgall mache, betrifft die sich auf-
grund seines Vorschlags ergebende „links-rechts-Orientierung" der Werte der
„kommunikativen Dynamik". Ich werde an ihre Stelle eine hierarchische
Gliederung125 setzen derart, daß in einer Themenhierarchie — siehe dazu noch
später — das jeweils unterste Thema den größten Neuigkeitswert — wie man
auch sagen könnte — erhält. Das scheint mir einerseits sinnvoll, weil so die
Zahl der Hierarchieebenen einer Themenhierarchie ein Maß für die „Arbeit"
des Hörers zu sein scheint beim Einordnen eines Satzes in das Ganze eines
Textes bzw. einer Themenhierarchie. Zum anderen bringt eine Themenhier-
archie — jeweils eines einzelnen Textes — erstmals über die bloße Verkettung
von Sätzen über einen identischen Referenzpunkt hinaus eine genuin text-
mäßige Strukturierung zum Ausdruck. Von einer Themenhierarchie nun spre-
chen wir hier insofern, als ja die Reihe der Sätze eines Textes durchaus auch
durch mehr als nur eine Substitutionsreihe miteinander verbunden sein kann;
nehmen wir beispielsweise die Kette der Sätze (minimale Sätze bzw. Satzin-
halte bzw. — mit Brekle — Satzbegriffe) Si bis S 5 an und gehen davon aus,
daß Si bis S 3 einschließlich durch das Thema (Substitut) T a , hingegen zu-
gleich Si bis S s durch Tb miteinander verbunden sind, so ergibt sich rein
intuitiv aufgrund der größeren Reichweite von Tb, daß Tb dem Thema T a über-
geordnet ist. Wir werden diese Redeweise von der Überordnung und der Hier-
archie später noch näher spezifizieren müssen; das schließt eine Reihe von Mo-
difikationen mit ein.

123 Sgall, Topic, p. 70 ss.


124 Harald Weinlich, Tempus - Besprochene und erzählte Welt, Stuttgart 2 1971.
125 Cf. Michael Schecker, Sem- und Themenanalysen als textlinguistische Beschrei-
bungsverfahren, Deutsche Sprache 2 (1973), 1 6 - 4 1 , insbesondere p. 25 ss.
Cf. auch die Ausblicke dieses Aufsatzes.
138 M. Schecker

b) Thema-Rhema und Satzinhaltsform

Wir sind beim letzten P u n k t des Gedankengangs angelangt, u n d ich h o f f e , daß


das Ergebnis die vielen Mühen lohnt. — Gehe ich davon aus, daß zwei u n d
mehr Sätze durch nur eine Substitutionsreihe miteinander verbunden sind,
bzw. daß entsprechende Sachverhalte über ein- und denselben u n d zugleich
nur einen einzigen identischen Gegenstand verfügen — notwendige, doch ge-
ringfügige Modifikationen daran k ö n n e n hier außer acht gelassen werden — ,
so unterliegt für den einzelnen Satz einem Satzinhalt / jeweiligen Sachverhalt genau
eine Thema-Rhema-Gliederung, deren Verbindung mit d e m Satz im folgenden nä-
her betrachtet werden soll. — Die Thema-Rhema-Struktur eines einzelnen Satzes
wird deutlich bei paraphrasierenden A n t w o r t e n auf Nachfragen wie „welcher (alte
Mann)? "; eine entsprechende A n t w o r t k ö n n t e lauten: „(es war) derjenige (alte
Mann), der den Fisch gefangen h a t " , das passend z.B. zu „der (alte) Mann hat
den Fisch gefangen". Paraphrasierungen dieser Art b e n u t z e n restriktive Relativ-
sätze zur Explikation bzw. Spezifizierung des b e t r e f f e n d e n Gegenstandes, u n d
insofern T h e m e n Gegenstände — wenngleich bestimmter Art — sind, wollen
wir die Thematisierung von Gegenständen parallel dem obigen Frage-Antwort-
Paar denken. Im einzelnen stellt der vom Bezugsnomen des restriktiven Rela-
tivsatzes repräsentierte Gegenstand wie alle Gegenstände eine Klasse von Sach-
verhalten dar — siehe dazu schon weiter oben; genauer handelt es sich u m eine
Teilklasse der Klasse derjenigen Sachverhalte, die den b e t r e f f e n d e n Gegenstand
als Bestandteil enthalten. Noch genauer enthält unsere Teilklasse alle jene
Sachverhalte, die durch die Sätze einer Substitutionsreihe von Sätze repräsen-
tiert sind; entsprechend kann von einem Verhältnis der k o m p l e t t e n Inklusion
zweier Klassen 1 2 6 — b e t r e f f e n d einmal den Gegenstand, z u m anderen den
thematisierten Gegenstand — gesprochen werden. Diese k o m p l e t t e Inklusion
ihrerseits nun gibt die Grundlage einer formalen Notation der oben durch einen
restriktiven Relativsatz ausgedrückten Z u o r d n u n g ab, die die Thema-Rhema-
Gliederung als Thematisierung auf einen Satzinhalt bzw. dann auch eine Satz-
inhaltsform bezieht. Notieren wir dabei den Satzinhalt als prädikatenlogi-
sche F u n k t i o n mit der Prädikatskonstanten F und den Argumenten a¡ und a 2 ,
die Zuordnungsoperation hingegen als L a m b d a - A u s d r u c k 1 2 7 , so ergibt das für
den obigen Satz und seine Thematisierung des ersten A k t a n t e n b z w . Argu-
ments:

XX F ( X , a 2 ) • a! (= dasjenige/diejenigen X, für die F (X, a 2 ) gilt u n d ai


ist eines der hier möglichen X).

126 Cf. Brekle, Satzsemantik, p. 125.


127 Cf. I. M. Bochénski - Albert Menne, Grundriß der Logistik, Paderborn 4 1973, p. 81
und p. 121 ss.
Verbvalenz und Satzthema 139

Beschränken wir uns auf diesen Ausdruck — wobei das durch Punkt abgetrenn-
te und nachgestellte ai den Gegenstand kennzeichnet, der in einer Aussage
thematisiert wird —, so beinhaltet unsere Teilklasse nur ein Element 1 2 8 , näm-
lich jenen Sachverhalt, der durch den prädikatenlogischen Ausdruck F ( a i , a 2 )
(z.B. = Klaus ( a j ) schlägt (F) Fritz (a 2 )) ausgedrückt wird. Das widerspricht
freilich insofern unserer Auffassung vom Gegenstand, als dieser nur Gegen-
stand ist kraft des Tatbestandes, daß er den Bestandteil mindestens zweier
Sachverhalte abgibt, und wir hatten weiter oben ja auch von der Klasse der
Sachverhalte einer Substitutionsreihe von Sätzen insgesamt gesprochen. In
welcher Weise also die Thematisierung eines Satzinhaltes zusammenhängt mit
der Thematisierung der Satzinhalte der anderen Sätze einer Substitutionsreihe
von Sätzen, gilt es noch zu klären; freilich soll das zurückgestellt werden, bis
die Funktionsweise des Lambda-Operators näher ausgeführt ist.
Jenseits der formalen Explikation des Lambda-Operators soll im folgenden
nochmals eine Herleitung aus Ausdrücken der Umgangssprache vorgeführt
werden, wobei ich im wesentlichen Ballmer in einem internen Arbeitspapier
folge 1 2 9 . Ziel ist es, einerseits das Verständnis des „Funktionierens" eines
Lambda-Ausdrucks zu erleichtern; andererseits soll so eine zusätzliche Recht-
fertigung für die Einführung des Lambda-Operators beigebracht werden. Ge-
hen wir dabei von „der Mann hat Hunger" aus, abgekürzt
hunger (mann) bzw.
hu (m), so läßt sich in einer solchen Funktion u.a. der Individuenausdruck
durch eine Variable ersetzen, und wir erhalten
hu (x). Spreche ich nun wieder von „dem Mann" und meine jenen Mann,
um dessen Hunger es weiter oben ging, so können wir das als Lambda-Aus-
druck herleiten wie folgt:
das jemandem „er hat Hunger"-Zuordnen bzw.
das jemandem sein „ H u n g e r haben" Zuordnen,
das Zuordnen jemandem sein „Hunger haben",
das Zuordnen jemandem das „Hunger haben" von ihm,
das Zuordnen jemandem x das „Hunger haben" von ihm x ,
das Zuordnen jemandem x Hunger haben (X),
ordne zu!: dem X Hunger haben (X),
X X Hu (X),

128 Weiter unten werden wir dann korrekter als hier den Punkt, der den thematisierten
Gegenstand abtrennt, als Elementator einführen.
129 Thomas T. Ballmer, Zum Aufbau einer Textgrammatik, Vorlage zum Kolloquium
„Linguistische Strukturbeschreibungen von Texten", Kiel 1.-4.10.1973.
140 M. Schecker

für den oben genannten bzw. gemeinten Mann ergibt sich so als Thematisierung
XX Hu (X) • der Mann. Angemerkt werden sollte hier n o c h , daß prädikaten-
logische Ausdrücke wie
Hu (X) oder auch
F ( a i , a 2 ) als theoriesprachliche — und d . h . metasprachliche — Ausdrücke •
nur insofern Gültigkeit h a b e n , als mit ihnen die traditionelle T r e n n u n g in Ge-
genstände einerseits und Eigenschaften u n d Beziehungen andererseits eben
nicht impliziert sein darf. Mit anderen Worten gibt es in Bezug auf eine prädi-
katenlogische Theoriesprache durchaus auch relationale Gegenstände, was
technisch das Gleiche b e d e u t e t , als ob wir umgekehrt alle Individuenausdrücke
als nullstellige F u n k t i o n e n behandeln würden, wie das z.B. auch Ballmer 1 3 0 vor-
schlägt. Mithin gilt die T r e n n u n g von Aussage u n d Sachverhalt selbstverständlich
auch für eine prädikatenlogische Theoriesprache.
Im folgenden wollen wir den vorgetragenen Gedankengang übertragen auf
den Mittelsatz in „ein Mann betrat ein Café (in . . . ) , setzte sich an einen Tisch
und zog eine Zeitung aus seiner Tasche". Ganz offensichtlich ist hier die Rede
von dem Tisch des Cafés, das der b e t r e f f e n d e Mann laut T e x t zuvor gerade
betreten h a t t e . Das m a c h t eine F u n k t i o n der Erweiterungen von Minimalsät-
zen deutlich, die für die Konstitution von T e x t e n sehr wichtig ist, nämlich im
Falle eines tatsächlichen oder auch nur potentiellen Nicht-Verstehens die
Gegenstände deutlich zu m a c h e n , auf die sich zwei u n d mehr Sätze gleicher-
m a ß e n beziehen, u n d so die „ K o n t i n u i t ä t " des Gegenstandes von Satz zu Satz
bzw. seine Identität von Sachverhalt zu Sachverhalt zu sichern. Vorgreifend
sei deshalb vermerkt, daß unser Tisch u n d das Café in einer möglichen Welt
insofern referentiell zusammenhängen als sie in einer Teil-Ganzes-Beziehung
stehen, wie sie z.B. auch Dane!. 131 im R a h m e n seiner thematischen Progres-
sion k e n n t . Daneben k ö n n e n Gegenstände u n t e r Einschluß der Carnapschen
Quasigegenstände untereinander in einer Element-Klasse-Beziehung stehen;
entsprechend der Teil-Ganzes-Beziehung gilt zugleich eine Teil-Teil-Beziehung
als Grundlage textkonstituierender Referenzbezüge, entsprechend der Ele-
ment-Klasse-Beziehung gilt ein Gleiches für die Element-Element-Beziehung.
Nicht also nur die Identität des thematisierten Gegenstandes selber ist Grund-
lage satzübergreifender Beziehungen.
Beziehen wir solche Überlegungen auf unseren obigen Beispielsatz, so läßt
er sich umformulieren zu
der M a n n x setzte sich an einen Tisch (des Cafés)y.
Die mit x u n d y indizierten Satzglieder sind k o n t e x t g e b u n d e n u n d also The-

130 Ballmer, Textgrammatik.


131 Daneä, Textstruktur.
Verbvalenz und Satzthema 141

m e n , w o m i t für beide die Lambda-Operation auszuführen ist; wahren wir da-


bei die Reihenfolge der indizierten Satzglieder, so ergibt sich
XX XY setzte sich (X,Y)- der Mann, der Tisch (des Cafés).
In Erinnerung gerufen werden sollte hier nochmals, daß es sich bei der The-
matisierung um die Organisation bzw. Komposition von Sachverhalten, nicht
aber u m eine von Aussagen handelt. Das m a c h t meines Erachtens auch die
F u n k t i o n von temporalen, modalen usw. Beziehungen deutlich, in denen die
Proposition eines Satzes steht, m a c h t mithin deutlich, welche Aufgabe den
Brekleschen „modalen Relationen" z u k o m m t : generell kennzeichnen sie die
Welt, für die ein Sachverhalt ausgesagt wird, u n d sie kennzeichnen eine jewei-
lige mögliche Welt stets im Rückbezug auf eine aktuale Sprechsituation b z w .
einen Sprecher, doch siehe dazu schon weiter oben; so gesehen k o m m t den
„modalen Relationen" Brekles geradezu ein deiktischer Charakter zu. Freilich
gilt das für jene „modalen R e l a t i o n e n " Brekles nur, w e n n sie sich auf die
Proposition insgesamt beziehen.
Nun kann in unserem Beispielsatz natürlich auch das Verb themati-
siert werden, wenngleich es damit ausdrucksmäßig erst rückwirkend
T h e m a wird; man vergleiche eine Satzfolge wie „er redete über die
neueste Semantik-Theorie. Seine Rede war gespickt mit Bosheiten."
Doch dürfte die erst von Satz 2 aus zu erkennende Thematisierung des Verbs
von Satz 1 kein Gegenargument sein, insofern das Gleiche auch für die The-
matisierung von Nominalphrasen gilt. Eine Besonderheit liegt nur insofern
vor, als die A k t a n t e n des Verbs in der Wiederaufnahme bestenfalls als Erwei-
terungen einer minimalen Nominalphrase wieder a u f t a u c h e n 1 3 2 und damit
syntaktisch einen anderen Status besitzen.
Bei der Thematisierung von Satzpositionen gelten die Regeln der Extraver-
sion und der Konversion, sofern m a n auf einen generierenden Ansatz aus ist,
dabei die Extraversion für die Analyserichtung, die Konversion hingegen für
die Syntheserichtung. Die Extraversion läßt sich wie folgt formulieren — u n d
auch hier folge ich wieder Ballmer 1 3 3 —:
Wenn die Sequenz F (ai, a 2 , . . . , a n ) vorliegt, so darf zu einer der folgen-
den Sequenzen übergegangen werden:
XX X(ai, a 2 , . . . , a n ) • F
XX F ( X , a 2 , . . . , an) • ai
XX F ( a b X , . . . , a n ) • a 2

132 Natürlich nur syntaktisch; nicht aber wird hier behauptet, daß sich der Charakter der
semantischen Beziehung verändert, wenngleich es gute Gründe gibt, das anzuneh-
men.
133 Cf. Ballmer, Textgrammatik.
142 M. Schecker

XX F (ai a2, . . . , X) • a n • Für die Konversion gilt der umgekehrte Ablauf.


— Bedenkt man nun, daß potentiell alle Positionen eines minimalen Satzes
thematisiert sein können, so ergibt sich als thematisierter Satzinhalt insgesamt:
XXp A X i XX 2 . . . XX n X p ( X i , X2, • • • X n ) • F a, a 2 . . . a n .
Wenn dabei eine Satzposition mehrere Positionen des Vordersatzes zugleich
aufgreift — der Vordersatz kann sogar als Ganzes aufgegriffen werden, wenn-
gleich dann für ihn seinerseits keine Thematisierung (einer oder mehrerer Satz-
positionen nämlich) vorliegt —, so kann für den Vordersatz u.a. eine der fol-
genden Thematisierungen gelten:
XXFp X F f ( a , ) • Ff
XXFp X F £ ( a 2 ) • F?

XXpfl X p " ( a n ) • F " — bzw. in gleicher Weise rein darstellungstechnisch


auch:
XXpn 1 /? Xpp/2 ( a i > a 2 ) ' F " / 2 > wobei F n eine n-stellige Funktion ist, F n
mit entsprechend tief gesetztem Index hingegen ein zugehöriges komplexes Prädi-
kat. Ist F ein elementares Prädikat, so kann FJJ umgeschrieben werden derart, daß
gilt:
F ? (X) = 1 3 4 F (X, a 2 , a 3 , . . . a n )
F ? (X) = F ( a 1 , X , a 3 , . . . a n )

Fn (X) = F(ai, a2, a3, . . . X)

F ? / 2 ( X ) = F ( X , X, a 3 , . . . a n )
Mit anderen Worten werden die thematisierten Satzpositionen in einem sol-
chen Fall als komplexes Prädikat aufgefaßt und thematisiert wie ein elementa-
res Prädikat bzw. ein einzelnes Verb auch. Vollständig ist ein Satzinhalt also
erst dann thematisiert, wenn solche komplexen Prädikate bzw. entsprechen-
de Prädikatsbildungen mit einbezogen sind. Freilich kann an dieser Stelle nicht
gesagt werden, ob alle darstellungsmäßig möglichen Komplexierungen auch
tatsächlich für eine bestimmte natürliche Sprache vorkommen. — Interessant
werden die weiter oben vorgeführten Komplexierungen nun auch für gleich-
sam normale Thematisierungen, d.h. für einfache Thematisierungen jeweils
eines Aktanten. Auch hier nämlich ist das Ergebnis ein komplexes Prädikat,
das diesmal freilich das Rhema bildet. Konzentrieren wir uns an dieser Stelle
auf die Umfange von Prädikaten 1 3 5 und fuhren deshalb den Elementator ein,

134 = Äquivalenz.
135 Cf. zum Folgenden Franz v. Kutschera, Alfred Breitkopf, Einführung in die moderne
Logik, Freiburg-Miinchen 2 1 9 7 1 , p. 150 ss., insbesondere p. 152.
Verbvalenz und Satzthema 143

so können wir den Umfang des Prädikats vermittels der dyadischen Relation
des Elementators auf ein Argument als Element des Umfangs beziehen. Ent-
sprechend wird ein Ausdruck wie F ( a j , a 2 , . . . a n ) als geordnetes n-Tupel
Element des Umfangs Kpn des n-stelligen Funktors F i und durch den Elemen-
tator e wie folgt dem Umfang als Menge von n-Tupeln zugeordnet:
<ai, a 2 , . . . an> e Kpn, wobei einige der zugehörigen Lambda-Terme
lauten:
X Xi (<Xlt a 2 , . . . an> e Kpn), oder auch

* XKpn O i , a 2 , . . . an> e XKpn), oder dann:


X X ^ p n (a 2 e XKpn), wobei a 2 parallel zu nullstelligen Funktoren ein
1-Tupel ist. Dabei gilt bzw. liegt zugrunde:
a 2 e Kp^, ferner:
(a 2 e K F n = F 2 (a 2 ) = F n (ai, a 2 , . . . a n ), bzw.
F? (X 2 ) = F n (ai, X 2 , . . . a n ) .
Mit Bezug auf die Umfange elementarer wie komplexer Prädikate gilt also
generell, daß die Rhemata Funktoren, die Themata hingegen deren Argumen-
te darstellen; so wird z.B. aus dem ersten der obigen Lambda-Terme - näm-
lich aus:
XX! (<Xi, a 2 , . . . an> e K p n ) - :
X X ! (X, e KfP), bzw. bei (X, e K p n ) = F U ^ X , ) :
XX, FUi(X)i.

Wichtiger jedoch als technische Details ist die damit verbundene Konsequenz
für den einzelnen thematisierten Satzinhalt bzw. Satzbegriff, a) daß er pro
Thematisierung einer oder mehrerer Satzpositionen in eine Funktion der Art
X e Kp bzw. FU(X) zerfällt — aus der der Lambda-Operator XX eine Klasse
macht 1 3 6 , doch siehe dazu noch später — und in einen thematisierten Gegen-
stand; angesichts des hier behandelten Gegenstandsbereichs muß eine Funk-
tion FU(X) zudem genauer als Sachverhaltsfunktion bezeichnet werden. Ver-
steht man b) den Gebrauch von Zeichen (siehe dazu schon weiter oben) als
Gebiet der Pragmatik und bedenkt zudem, daß im Rückbezug auf Punkt a)
der Satzinhalt auch als die Menge seiner potentiellen thematisch gebundenen
Sachverhaltsfunktionen bezeichnet werden darf, so stellt der Satz ein pragma-
tisches Funktionspotential zur Konstitution von Sachverhalten (selbstver-

136 Cf. Bochénski - Menne, Logistik, p. 81.


144 M. Schecker

ständlich im R a h m e n einer K o m m u n i k a t i o n ) dar, was meines Erachtens


eine recht plausible F o r m der altbekannten Verknüpfung der Bedeutung
sprachlicher Zeichen (hier extensional-semantisch) mit ihrem Gebrauch wäre
(dabei Gebrauch im Sinne Wittgensteins nicht so sehr als k o n k r e t e Verwen-
dung als vielmehr als Verwendungstyp). Greifen wir hier ein letztes Mal auf
den Titel unseres Aufsatzes zurück, so kann — gemessen an dieser Z u o r d n u n g
von Semantik und Pragmatik — „Verbvalenz" — u n d in ihrem Gefolge unser
Begriff der Satzinhaltsform — der Untersuchung der Bedeutung sprachlicher
Zeichen zugeschlagen werden, „Satzthema" b z w . die Thema-Rhema-Gliede-
rung hingegen der Untersuchung des Gebrauchs sprachlicher Zeichen.

Ausblicke

Es bleibt zuguterletzt zu zeigen, wie es weitergehen k ö n n t e . Wenn durch die


Lambda-Operation Satzinhalte thematisiert werden — genau genommen gibt
es keinen nicht-thematisierten Satzinhalt, wohl nicht-thematisierte Satzfor-
men (als elementare Zeichen nämlich) —, wenn also thematisiert wird, so
heißt das im einfachsten Fall, daß bei zwei u n d mehr Sätzen jeweils genau
einmal thematisiert wird, wir es also p r o Satz mit nur einer Thema-Rhema-
Gliederung zu t u n haben. Entsprechend zerfällt jeder der zwei u n d m e h r Sätze
a) in eine Sachverhaltsfunktion, die b ) auf einen b e s t i m m t e n Gegenstand hin
thematisch gebunden ist. Die Sachverhaltsfunktion ihrerseits ist dabei zu-
gleich Argument bzw. Operand des L a m b d a - F u n k t o r s bzw. Operators, der
aus der Sachverhaltsfunktion eine Klasse m a c h t — nämlich eine Klasse von
Gegenständen, von denen der thematisierte Gegenstand ein Element abgibt.
Wichtig dabei ist, daß die verschiedenen Klassen oder Mengen der verschie-
denen Lambda-Terme F U ( X ) i bis F U ( X ) n im thematisierten Gegenstand
ihren Durchschnitt haben, was man mit dem folgenden Schema verdeutlichen
kann:
Verbvalenz und Satzthema 145

Nimmt man an, daß die Durchschnittsmengenbeziehung und die Konjunk-


tion der Aussagen logisch äquivalent sind 137 , so läßt sich der obige Sachver-
halt wie folgt notieren — wobei wir statt des durch Punkt abgetrennten
thematisierten Gegenstands ebenfalls die Elementschaftsbeziehung bzw. den
Elementator ansetzen:
a, e XX, (FUpC,), A FU(X,) 2 • • • F U ( X , ) n )
Für unseren Beispieltext „ein Mann betrat (eines Tages) ein Café (in . . . ),
setzte sich an einen Tisch (des Cafés — siehe dazu schon weiter oben) und zog
eine Zeitung aus seiner Tasche" lautet dann die Aufschlüsselung zum thema-
tisierten Gegenstand „der Mann":
„der Mann" e XX (X betrat ein Café A X setzte sich an einen Tisch A X
zog eine Zeitung aus seiner Tasche). Setzten wir einmal die referentielle Zu-
sammengehörigkeit von „Café" und „Tisch" — nämlich des Cafés — als unpro-
blematisch voraus, unproblematisch vor allem deshalb, weil die Zusammenge-
hörigkeit hier wie Identität behandelt werden soll, was an sich eben nicht un-
problematisch ist, so gilt zudem:
„Café/Tisch" e XX (ein Mann betrat X A ein Mann setzte sich an X)
Zusammengenommen könnte das folgendes ergeben:
„der Mann" e XX, („Café/Tisch" e XX2 (X, betrat X 2 A X¡ setzte sich an
X 2 ) A X[ zog eine Zeitung aus seiner Tasche)
Problematisch ist dabei dennoch die formale Beschreibung der Beziehung von
„Café" und „Tisch" — und nicht zuletzt natürlich auch die vorgeführte Zusam-
menfassung hinsichtlich der Anordnung der thematisierten Gegenstände wie
hinsichtlich der einzelnen Abfolgen von Sachverhaltsfunktionen. Problema-
tisch ist in diesem Zusammenhang wie schon angedeutet zudem die Rolle sol-
cher Erweiterungen minimaler Sätze wie der Satzadverbiale; und sicherlich
gilt es zuguterletzt auch, die Rolle bzw. Funktion der modalen Relationen
Brekles einschließlich des Tempus näher auszuleuchten.

137 Cf. zur Umrechnung in eine mengenalgebraische Schreibweise Helmut Seiffert, Ein-
führung in die Logik, München 1973, p. 142.
Reinhard Meyer-Hermann

Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen

0. Vorbemerkung

In seinen Überlegungen über „Einige Schwierigkeiten beim Postulieren einer


,Textgrammatik' " vertritt E. Lang 1 die These, daß die in der bisherigen For-
schung als Begründung für die Notwendigkeit einer Textgrammatik „angeführ-
ten Faktengruppen weder einzeln genommen noch zusammengezählt ausrei-
chen, um für die Grammatik eine von ,Satz* verschiedene erweiterte Domäne
,Text' zu f o r d e r n " 2 . Lang erläutert seine Auffassung u.a. am Beispiel derje-
nigen Fakten, „die am häufigsten als Argument für die Notwendigkeit einer
,Textgrammatik* ins Feld" 3 geführt werden: sie stammen „aus dem Bereich
des Determinationssystems oder — allgemeiner noch — aus dem Bereich der
Referenzbeziehungen" 4 . Die Forschungssituation in diesem Gebiet charakte-
risiert Lang zusammenfassend folgendermaßen: „Die unzähligen Arbeiten auf
diesem Gebiet haben sich ( . . . ) nur mit der Spezifikation der komplizierten
Bedingungen beschäftigt, denen gemäß zwei sprachliche Einheiten innerhalb
einer zusammenhängenden größeren Struktur koreferieren, d.h. dasselbe De-
notat haben, oder nicht koreferieren, d.h. unterschiedliche Denotate h a b e n " 5 .
Innerhalb dieses Problembereichs wird die Notwendigkeit einer Textgram-
matik u.a. mit einem Basis-Argument begründet, das man verkürzt etwa so
darstellen kann: eine Grammatik, die ihre Beschreibungsdomäne auf die Ein-
heit ,Satz' beschränkt, kann Gesetzmäßigkeiten des V o r k o m m e n s / d e r Ver-
wendung von z.B. sogenannten Pronomina der dritten Person nicht vollständig
erfassen, weil dies nur unter Bezugnahme auf das Bezugselement möglich ist.
Dieses befindet sich jedoch in der Regel außerhalb des Satzes, in dem das

1 Ewald Lang, Über einige Schwierigkeiten beim Postulieren einer „Textgrammatik",


in: F. Kiefer - N. Ruweg (eds.), Generative Grammar in Europe, Dordrecht 1973, p.
284-314.
2 Lang, p. 289.
3 Lang, p. 2 9 0 .
4 Lang, p. 2 9 0 .
5 Lang, p. 290.
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 147

Pronomen steht. Ein Korrolar dieses Arguments ist die Bewertung von isolier-
ten Sätzen, wie the man arrived at six o 'clock und he arrived then usw. als
„ungrammatical discourses" und dementsprechend von Sätzen wie a train
arrived at six o'clock und you arrived sometime usw. als „fully grammatical
monosentential discourses"6.
Lang zufolge trifft die Bewertung von isolierten Sätzen des Types er
kommt und der andere Kerl grinste bloß usw. als „semi-grammatisch"7 nicht
den Kern des Problems. Insbesondere lasse sich daraus nicht die Notwendig-
keit einer Erweiterung der Beschreibungsdomäne, d.h. die Notwendigkeit
einer Textgrammatik ableiten. Denn „als Satz, d.h. als Ergebnis der Anwen-
dung bestimmter Kombinations- und Distributionsregeln der Einheiten des
Sprachsystems innerhalb fixierter Spielräume ( . . . ) ist er kommt heute ge-
wiß vollgrammatisch"8.
Die u.a. von Sanders (s.o.) vertretene Auffassung, isolierte Sätze des Typs
er kommt heute als ungrammatisch zu bezeichnen, wird m.E. durch Längs
Einwand nicht erfaßt, da sie einen Grammatikalitäts-Begriff impliziert, wel-
cher von dem durch Lang vertretenen differiert, und zwar hinsichtlich der
Integration bzw. Nichtintegration einer ad hoc vielleicht „pragmatisch" oder
„kommunikativ-funktional" zu nennenden Komponente. Lang definiert Gram-
6 Gerald A. Sanders, On the natural domain of grammai, Linguistics 63 (1970), 5 1 - 1 2 3 ,
p. 82.
Da hier nicht der Ort ist für eine ausfuhrliche Diskussion des Begriffs „grammatisch in
der Sprache L", muß ich mich an dieser Stelle mit einer kurzen Anmerkung zu einem
Punkt in dem entsprechenden Kapitel von Dieter Wunderlich, Grundlagen der Lingui-
stik, Reinbek 1974, begnügen. Wunderlich diskutiert den in Chomsky, Syntactic struc-
tures, The Hague 1957, zugrundegelegten Grammatikbegriff, und dabei u.a. die Vor-
aussetzung: „The grammar of L will [. . .] be a device that generates all of the
grammatical sequences of L and none of the ungrammatical ones" (p. 13). Wunder-
lich weist p. 220 auf die Zirkularität dieser Voraussetzung hin und fordert: „Um die-
sen Zirkel zu vermeiden, müssen wir unabhängig von der Grammatik wissen, welche
Sätze grammatisch sind und welche nicht. Es ergibt sich die Notwendigkeit eines
vortheoretischen Begriffs „grammatisch in L", der in Befragungen, Beobachtungen o. ä.
verwendet werden kann. Die Grammatik von L soll dann die Ergebnisse der empiri-
schen Untersuchung rekonstruieren." Dieser Vorschlag enthält eben die Zirkularität,
der Wunderlich zu entgehen sucht. Die in Befragungen durch Informanten vorge-
nommene Bewertung von Sätzen als „(un-)grammatisch" erfolgt natürlich immer
unter Rekurs auf eine Grammatik, d.h. auf das, was der Informant als „grammatisch"
anzusehen gelernt hat. Es ist fraglich, ob es überhaupt eine Möglichkeit geben kann,
den theoriegebundenen Begriff „grammatisch in der Sprache L" auf empirischem
Wege zu definieren. Beobachten läßt sich demgegenüber zumindest bis zu einem ge-
wissen Maße, ob Kommunikation stattfindet und ob sie erfolgreich stattfindet.
7 Lang, p. 293.
8 Lang, p. 293.
148 R. Meyer-Hermann

matik als „formale Rekonstruktion der Kompetenz des Sprechers/Hörers qua


,interiorisierte Grammatik' " 9 , eine Definition, welche durch das Definiendum
,Kompetenz' im Definiens Raum für Interpretationen läßt. Doch an anderer
Stelle wird deutlicher, was Lang durch eine Grammatik (nicht) spezifiziert
wissen will: denn zum einen fragt er sich, ob auch „Aspekte der Sprachver-
wendung" 10 dazu gehören sollen, zum anderen betrachtet er die Äußerung
eines isolierten Satzes er kommt heute — wie schon erwähnt — nicht als
ein grammatisches Problem, sondern als eine Frage der Akzeptabilität. Lang
ist nun zwar der Chomsky'schen Lösung gegenüber skeptisch, die Akzeptabili-
tätsfragen in eine von der Kompetenz-Theorie scharf zu trennende Perfor-
manz-Theorie abzuschieben; er kann sich andererseits aber auch nicht dazu
bereitfinden, die „Grammatik" als den theoretischen Ort anzusehen, der
Regeln enthält, die angeben, unter welchen Bedingungen ein Sprecher die
Äußerung er kommt heute so hervorbringt, daß der Hörer etwas mit diesem
Satz anfangen kann 1 1 , d.h. daß Kommunikation stattfindet 12 . Eine solche
Grammatik wäre zu verstehen als Modell (formale Rekonstruktion) der
kommunikativen Kompetenz des Sprechers/Hörers, d.h. seiner Fähigkeit, er-
folgreich zu kommunizieren 13 .
Im Hinblick auf eine so definierte Grammatik bedeutet die Bewertung einer
isolierten Hervorbringung von er kommt heute als ungrammatisch, daß gegen
in dieser Grammatik enthaltene Regeln verstoßen worden ist, welche spezifizie-
ren, unter welchen Bedingungen die Äußerung er kommt heute als sprachliche
Komponente eines erfolgreichen Kommunikationsaktes zu verwenden ist/ver-
wendet werden kann.
Die vorangegangene Argumentation hat gezeigt, daß zwischen der Bewertung
des isolierten Satzes er kommt heute als ungrammatisch und dem Ansatz einer
kommunikativen Textlinguistik ein Zusammenhang besteht. Zusammengefaßt
läßt sich sagen: die Bewertung von er kommt heute als ungrammatisch impli-
ziert einen Begriff von Grammatik bzw. grammatisch, der u.a. auch Regeln für
das Glücken von Kommunikation bzw. erfolgreiche Kommunikation enthält.
Regeln für erfolgreiche Kommunikation beziehen sich auf die Basiseinheit von

9 Lang, p. 286.
10 Lang, p. 286.
11 Cf. Lang, p. 294.
12 Cf. dazu Lang, p. 294: „Die Akzeptabilität, mit der wir es hier zu tun haben, wird
aber bestimmt durch funktionale Aspekte der Kommunikation. Dafür ist der richtige
theoretische Ort erst noch zu suchen."
13 Cf. W. Kallmeyer/W. Klein/R. Meyei-Hermann/K. Netzer/H. J. Siebert, Lektürekolleg
zur Textlinguistik, Band 1: Einführung, Frankfurt 1974, p. 66 s.
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 149

Kommunikation, den Kommunikationsakt 14 . Die sprachliche Komponente


des komplexen Vorganges .Kommunikationsakt' wird in der hier zugrundege-
legten Theorie als ,Text' bezeichnet 1 5 .

1. Die Relation „Verweis"


Nach diesen kurzen theoretischen Vorbemerkungen werden im folgenden an-
hand französischer Textbeispiele einige Probleme aus dem Phänomenbereich
angesprochen, der je nach zugrundeliegender Theorie durch Begriffe wie
„Substitution", JPronominalisierung", „Koreferenz", „Pro-Formen", „représen-
tation pronominale" etc. charakterisiert wird; für die durch diese Begriffe ge-
kennzeichnete Relation werde ich den Terminus „Verweis" verwenden 16 .
Das folgende Textbeispiel (1) dient der Vergegenwärtigung sowie einer
ersten Orientierung. Die in diesem Textstück hervorgehobenen und durch
identische Indices versehenen Elemente stehen zueinander in einer Verweis-
Relation. Das Textstück (1) enthält natürlich nur einige wenige der verschie-
denen im Französischen möglichen Manifestationen des Phänomens „Verweis";
auch sind nicht alle in dem Textstück (1) enthaltenen Verweis-Relationen
durch Hervorhebung und Indizierung gekennzeichnet.
(1) Je vais vous citer un cas qui s'est produit à Lyon, où des policiersi ont eu à tirer sur
un malfaiteur2 quii venait de sauter, d'escalader un mur, de tomber dans la rue.
Je crois même que ce gars-lài leur\ avait tiré dessus et s'était enfui après. Le poli-
cier 1 a tiré, il\ l'i a. tué. Eh bien ce policier \ a été très ennuyé. Ce type-i était un
malfaiteur fiché, recherché. Avouez qu'on ne sait plus très bien ce qu'il faut faire.
(Michèle Manceaux, Les policiers parlent, Paris 1969, p. 172.)

Das jeweils erste Element der durch identische Indizierung gekennzeichne-


ten Verweis-Relation wird das Bezugselement (BE) genannt; für die übrigen
Elemente der Verweisrelation verwende ich den Begriff Verweisform (VF) 1 7 .

14 Deshalb auch spricht Sanders, On the natural domain of grammar, p. 82, in Bezug auf
he arrived then etc. von „ungrammatical discourse" und nicht etwa von „ungrammati-
cal sentence".
15 Vergleiche dazu auch W. Kallmeyer/R. Meyer-Hermann, Textlinguistik, in: H.P.Alt-
haus et alii (Hrsg.), Lexikon der germanistischen Linguistik, Tübingen 1973, p . 2 2 1 -
231.
16 Die meisten der hier zu behandelnden Probleme stellen sich nicht speziell in Bezug
auf das Französische, das somit hier lediglich eine Objektsprache neben möglichen
anderen ist, an welchen dieselbe Argumentation demonstriert werden könnte. Vgl.
zum Portugiesischen meinen Aufsatz Some topics in the study of the referentials in
spoken Portuguese, in: J. Schmidt-Radefeldt (ed.), Portuguese studies, Amsterdam 1975.
17 Vgl. dazu im einzelnen R. Meyer-Hermann, in: Lektürekolleg zur Textlinguistik, Einfüh-
rung, Kap. 7, p. 1 7 7 - 2 5 2 .
150 R. Meyer-Hermann

Verweisformen, die dem Bezugselement nachfolgen, werden anaphorische


Verweisformen genannt, auf nachfolgende Textelemente wird durch kataphori-
sche Verweisformen verwiesen.
Die jeweiligen Bezugselemente der beiden in (1) ausgezeichneten Verweis-
Sequenzen sind des policiers und un malfaiteur, die entsprechenden Verweis-
formen sind zum einen leur, le policier, il, ce policier, zum anderen qui, ce
gars-ld, V, ce type.
Wie wird nun in den zu diesem Thema vorliegenden Arbeiten die Funktion
der hier „Verweisformen" genannten Elemente beschrieben? Da im Rahmen
dieses Aufsatzes keinesfalls ein umfassender Überblick über die einschlägigen
Forschungsergebnisse gegeben werden kann, werde ich mich hier darauf be-
schränken, auf einige Arbeiten französischer Linguisten einzugehen.

2. Forschungsüberblick
In seiner „Grammaire structurale du français" führt J. Dubois die Existenz
des Phänomens „substitution" zurück auf das „principe de l'économie générale
du message codé" 1 8 . Er betont, daß die damit verbundene Reduktion der Äu-
ßerungslänge mit einem mehr oder weniger großen Verlust an Informations-
übermittlung einhergeht. Denn da es nur eine begrenzte Anzahl von „substi-
tuts" gebe, diese außerdem höhere Frequenzen haben als die Elemente, wel-
che sie ersetzen („remplacent"), sei ihre „quantité d'information plus faible" 1 9 .
Dubois definiert dann die Funktion der „substituts" folgendermaßen: „Les
substituts remplacent un segment ou un ensemble de segments et évitent la
répétition d'un trop grand nombre de formes, mais cela ne se produit qu'au
prix de la perte d ' i n f o r m a t i o n " 2 0 . Mit der Auffassung, daß „substitution" mit
Informationsverlust verbunden sei, steht Dubois nicht nur im Widerspruch zu
der gängigen Meinung, wonach zwischen „antécédent" (Bezugselement) und
„substitut" (Verweisform) Referenzidentität herrsche. Es scheint sich auch
ein Widerspruch zu ergeben, wenn Dubois selbst an anderer Stelle seiner Gram-
matik in Bezug auf eine Substitutionsfolge, die aus den Elementen le dernier
roman de Steinbeck als Bezugselement („antécédent") sowie V und en als Ver-
weisform („substitut") besteht, schreibt: „ . . . ces deux segments [ / ' und en]
sont supposés donner les mêmes informations que les syntagmes nominales
qu'ils remplacent" 2 1 .

18 Jean Dubois, Grammaire structurale du français. N o m et p r o n o m , Paris 1965, p. 91.


19 Dubois, p. 91.
20 Dubois, p. 119.
21 Dubois, p. 92.
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 151

Im übrigen scheint Dubois das in der Funktionsbeschreibung für „substituts"


verwendete Verb „remplacer" nicht als Terminus einer Definition anzusehen.
Denn neben dem Verb „remplacer" umschreibt Dubois die Funktion der „sub-
stituts" an verschiedenen Stellen u.a. auch durch die Verben „se référer", „se
substituer", „renvoyer" und „représenter" 22 .
Von den Arbeiten, in denen sich Jacqueline Pinchon mit dem hier diskutier-
ten Problemkomplex auseinandersetzt 23 , sei vor allem ihre Studie zu den „pro-
noms adverbiaux en et y" erwähnt. J. Pinchon unterscheidet zwischen „indi-
cateur" (so z.B. die Pronomina der 1. und 2. Person) und „représentant". Viele
Elemente können sowohl als „indicateur" als auch als „représentant" verwen-
det werden, so z.B. celui-ci. Am Beispiel von Pronomina umschreibt J. Pinchon
die Funktion von „représentants" folgendermaßen: „ . . . ils évoquent un seg-
ment de la chaîne parlée qui, en général, a été précédemment énoncé et qui,
de ce fait, est nommé antécédent. . ." 2 4 . J. Pinchon unterscheidet zwischen
„représentation complète" und „représentation conceptuelle"; erstere ist ge-
geben „quand le pronom reprend le substantif dans sa compréhension [le con-
cept] et dans son extension" 25 ; „représentation complète" durch ein Pronomen
liegt z.B. im Textstück (2) vor:
(2) Une étoile luisait et je la contemplais.
(J. Pinchon, Les pronoms adverbiaux, p. 37)

Die Funktion des Pronomens la in (2) kennzeichnet J. Pinchon folgender-


maßen: „ . . . le pronom désigne la même réalité que le substantif, ou le syn-
tagme nominal" 26 . Diese Formulierung legt die Interpretation nahe, daß hin-
sichtlich der semantischen Leistung — oder wie ich es formulieren würde —,
hinsichtlich der Referenzanweisungen zwischen „antécédent" und „représen-
tant" kein Unterschied besteht. Diese Formulierung scheint allerdings in

22 Cf. u.a. Dubois, p.96 s„ 139 s., 148.


23 Jacqueline Pinchon, La représentation pronominale, FM 33 (1965), 1 8 8 - 1 9 8 ; id.,
Les pronoms adverbiaux en et y. Problèmes généraux de la représentation pronomi-
nale, Genève 1972 (PRF 119). Die entsprechenden Kapitel in R. L. Wagner - J. Pin-
chon, Grammaire du français classique et moderne, Paris 1962, geben offensichtlich
die in den o.a. Untersuchungen vertretenen Auffassungen J. Pinchons wieder.
24 J. Pinchon, Les pronoms adverbiaux, p. 23.
Ähnlich wie in der Grammatik von Dubois (s.o.) ist auch bei J. Pinchon die Beschrei-
bung der Funktion der „représentants" durch terminologische Vielfalt gekennzeich-
net: sie verwendet dazu u.a. die Begriffe „reprendre" (p. 5, 36), „évoquer un segment"
(p. 23), ,représenter" (p. 23), „renvoyer" (p. 23), „se référer" (p. 25), „remplacer"
(p. 25).
25 J. Pinchon, Les pronoms adverbiaux, p. 25.
26 J. Pinchon, Les pronoms adverbiaux, p. 37.
152 R. Meyer-Hermann

einem gewissen Widerspruch zu stehen zu der an anderer Stelle gegebenen


Charakterisierung des P r o n o m e n s als eines „substitut vide de sens" 2 7 . Die
Unklarheiten bezüglich der F u n k t i o n des P r o n o m e n s als „représentant
c o m p l e t " werden durch Erläuterungen, welche J. Pinchon dazu an anderer
Stelle gibt, eher verstärkt als beseitigt. So z.B., w e n n sie in Bezug auf die
„représentation complète" erklärt: „ . . . il y a identité entre la personne,
l'objet, la n o t i o n évoqués par le substantif et ce que représente le p r o n o m " 2 8 .
Wie auch dieses Zitat zeigt, dürften die genannten Unklarheiten vor allem
darauf zurückzuführen sein, daß J. Pinchon nicht exakt genug unterscheidet
zwischen dem Bezug des „ a n t é c é d e n t " als Designans auf das Designatum „la
personne, l'objet, la n o t i o n évoqués par le substantif" einerseits u n d der auf
die sprachliche Manifestation, d.h. das Designans bezogenen (Verweis-) Funk-
tion des „représentant".
Dieser Unterschied wird demgegenüber von Gaatone b e t o n t , w e n n er sagt:
„les substituts, e u x , au sens strict du m o t , ne f o n t jamais référence à u n e
réalité extérieure, extra-linguistique, mais bien à d'autres éléments linguisti-
u29
ques .
In seiner Erläuterung des Begriffs „remplacement" als F u n k t i o n der „sub-
stituts" steht bei Gaatone der paradigmatische Aspekt im Vordergrund: „Ce
qui est réellement remplacé n'est évidemment pas présent dans l'énoncé, mais
lui est en quelque sorte sous-jacent" 3 0 . So n i m m t Gaatone für das Beispiel
(3) Un ami est entré, je le connais depuis longtemps.

eine Zwischenstufe („étape intermédiaire") an, welche das d e m „substitut" le


zugrundeliegende Nominalsyntagma enthält:
( 4 ) . . . , je connais cet a m i . . .

27 J. Pinchon, Les pronoms adverbiaux, p. 25.


28 J. Pinchon, La représentation pronominale,p. 193.
29 D. Gaatone, Pronoms et substituts, Etudes de Linguistique Appliquée N.S. 7 (1972),
3 8 - 4 7 , p. 39.
Anders Kr. Sandfeld, Syntaxe du français contemporain, tome I: Les pronoms, Paris
2
1965, für den dieser Unterschied keine Rolle zu spielen scheint, denn er sieht die
Hauptfunktion der Pronomina der 3. Person sowohl darin, „de représenter des per-
sonnes ou des choses mentionnées" (p. 32), als auch darin, ein vorangegangenes Wort
zu repräsentieren („ . . . représentent un mot p r é c é d e n t . . . p. 42). Sandfeld sieht
schließlich auch die Möglichkeit vor, daß ein Pronomen Repräsentant eines anderen
Pronomens sein könne, was er u.a. an folgendem Textbeispiel aus Lotis Pêcheur
exemplifiziert: „Tout cela, elle le lui pardonnait". Vgl. dazu auch N 51.
30 Gaatone, p. 41.
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 153

Zwischen dem „antécédent" und dem in der Zwischenstufe (4) zugrundelie-


genden Nominalsyntagma müsse Identität hinsichtlich der lexikalischen Ele-
mente bestehen. Im Beispiel (3) besteht danach die Funktion des Pronomens
le darin, cet ami zu ersetzen („remplacer") 31 .
Die mit diesem Vorschlag verbundene Notwendigkeit, ein Substituendum
zu hypostasieren, muß als das entscheidende Problem einer Theorie angesehen
werden, wonach „substituts" die Funktion haben, (paradigmatisch) zu „er-
setzen" („remplacer"). Das Problem zeigt sich indes nicht in erster Linie in Be-
zug auf pronominale Verweisformen vom Typ le. Denn die Annahme eines
mit dem Bezugselement hinsichtlich der lexikalischen Elemente identischen
Nominalsyntagmas in einer Zwischenstufe stellt im Vergleich mit einer Theo-
rie, welche von einer syntagmatischen Substitution eines (Oberflächen-) Bezugs-
elementes durch eine Verweisform ausgeht, keinen Explikationsgewinn dar. Es
handelt sich vielmehr letztlich lediglich um eine Explizitierung der Theorie der
Referenzidentität von Bezugselement und Verweisform. Die Problematik des
Gaatoneschen Vorschlages zeigt sich aber besonders, wenn man nach den in
der Zwischenstufe anzusetzenden Nominalsyntagmen für „substituts" wie cet
ami, ce jeune homme etc. fragt, also nach „substituts" mit lexikalischen Ele-
menten. Hier ergäbe sich also z.B. die Frage, ob für das „substitut" cet ami
in der Zwischenstufe das Nominalsyntagma cet ami anzusetzen wäre usw.
Vorrangig bliebe deshalb an Gaatones Vorschlag die Frage nach dem theoreti-
schen Ort der „étape intermédiaire" zu klären. Ohne an dieser Stelle auf alle
Implikationen dieses Vorschlages eingehen zu können, wird deutlich, daß er
eine überflüssige Komplikation darstellt, zumal da aus der geforderten lexika-
lischen Identität von „antécédent" und dem auf der Zwischenstufe zugrunde-
liegenden Nominalsyntagma keine Schlußfolgerungen auf Identität im Desi-
gnatumbereich gezogen werden können, wie Gaatone selbst zutreffend an-
merkt 32 .

31 Gaatone, p. 41.
Der Grundgedanke dieser Konzeption dürfte auf Ruth Crymes, Some Systems of
Substitution Corrélations in Modern American English, The Hague 1968 (Janua
Linguarum, series maior 23), zurückgehen. Essentiell für die Auffassung Ruth Crymes'
ist, daß sie zwischen der Funktion „reference" eines „Substitute" und dessen Funk-
tion zu „substituieren" unterscheidet: „A Substitute with an antecedent refers to its
antecedent, but, (. . . ) , it does not Substitute for the antecedent. It Substitutes for a
non-occurring potentially occurrent construction or word. For example, in there's a
chair over there - take it, it refers t o a chair over there, but it replaces the chair over
there. " (p. 34). Für weitere Details dieser Konzeption cf. R. Crymes, Some Systems,
p. 34 s.
32 Gaatone, p. 41: „II faut d'ailleurs remarquer qu'identité lexicale ne signifie pas néces-
sairement même référence extra-linguistique. Dans Pierre a des amis, j'en ai aussi, je
154 R. Meyer-Hermann

Was die Funktionsbeschreibung der Pronomina der 3. Person betrifft, lassen


sich — bei allen sonstigen Unterschieden — die bisher erwähnten Untersu-
chungen grosso modo dem Konzept der „Substitution" zuordnen.
Die Arbeit von Maurice Gross „On grammatical reference" 3 3 bezieht in die-
ser Frage eine andere Position. Ausgehend von dem Satzpaar John bought a
book, I read it sagt Gross: „We will say that it has a book as DISCOURSE REFE-
RENT (i.e. it points to unit of discourse which is a noun-phrase together with its
interpretation in terms of the human universe)" 34 . D.h. fur Gross besteht die
Funktion des Pronomens it — und das würde natürlich auch für das entspre-
chende französische Pronomen gelten — darin, auf die Nominalphrase a book
zu zeigen, auf sie zu verweisen etc., jedenfalls nicht a book oder sonst eine
supponierte NP zu „ersetzen". Und indem das Pronomen auf die NP a book
verweist, verweist es zugleich auf die „semantische Leistung", anders formu-
liert, die Referenzanweisungen dieser NP.
Zwischen dieser und meiner im nächsten Abschnitt näher zu erläuternden
Konzeption bestehen bis zu einem gewissen Grade Ähnlichkeiten. Im Unter-
schied zu den hier referierten Auffassungen, welche die Beziehung zwischen
„antécédent" und „représentant" als letztlich nur diese beiden Elemente betref-
fend ansehen, werde ich u.a. zu zeigen versuchen, daß — auf eine sehr allge-
meine Formel gebracht — die zwischen Bezugselement und Verweisform be-
stehende Verweisrelation nur unter systematischer Miteinbeziehung des Kon-
textes von Bezugselement und Verweisform beschrieben werden kann.
Auf Untersuchungen von Ducrot 3 5 , Maillard 36 und Moignet 3 7 , die im Zu-
sammenhang dieses kleinen Forschungsüberblicks genannt werden sollten,
wird in Bezug auf bestimmte Einzelfragen ggf. im nächsten Abschnitt näher
einzugehen sein.

préfère les miens à ceux de Paul, les syntagmes sous-jacents aux substituts en, les miens,
et ceux comportent bien tous un m ê m e élément ami, mais ne désignent pas toujours
les mêmes personnes."
33 Maurice Gross, On grammatical reference, in: F. Kiefer - N. Ruwet (eds.), Generati-
ve Grammar in Europe, Dordrecht 1973, p. 2 0 3 - 2 1 7 .
34 Gross, p. 204.
35 Cf. Oswald Ducrot, Dire et ne pas dire. Principes de sémantique linguistique, Paris 1972.
36 Cf. Michel Maillard, Essai de typologie des substituts diaphoriques (Supports d'une
anaphore et/ou d'une cataphore), Langue Française 21 (1974), 5 5 - 7 1 .
37 Cf. Gérard Moignet, La suppléance du verbe en français, FM 28 ( 1 9 6 0 ) , 1 3 - 2 4 ,
107-124.
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 155

3. Die Funktion der Verweisformen

Im folgenden wird von einer Konzeption ausgegangen, wonach der Sprecher


mit Hilfe sprachlicher Elemente im Kommunikationsakt dem Hörer Anwei-
sungen gibt, bestimmte Operationen durchzuführen. Diese Anweisungen lassen
sich den verschiedenen Ebenen der grammatischen Beschreibung zuordnen.
So wird unterschieden zwischen Konsequenzanweisungen (cf. Ebene der Prag-
matik), Referenzanweisungen (cf. Ebene der Semantik) und Konnexionsanwei-
sungen (cf. Ebene der Syntax) 3 8 .
Das Spezifische einer (pronominalen) Verweisform (im Unterschied zum
Bezugselement) besteht darin, daß sie keine Referenzanweisungen, sondern
„nur" Konnexionsanweisungen gibt; die Verweisfunktion einer pronominalen
Verweisform kann danach in einer ersten allgemeinen Formulierung folgender-
maßen umschrieben werden: Der Hörer wird durch Konnexionsanweisungen
der Verweisform bezüglich bestimmter Referenzanweisungen auf die Refe-
renzanweisungen eines im Text vorangehenden oder nachfolgenden Textstük-
kes verwiesen 39 .
Hiermit unterscheiden wir uns von Auffassungen, in denen „Referenziden-
tität" von Bezugselement und Verweisform in dem Sinne zugrundegelegt wird,
daß sich die Verweisform auf denselben Referenten beziehe wie das Bezugsele-
ment 4 0 . Der Unterschied zwischen diesen beiden Konzeptionen sei an den fol-
genden Schemata veranschaulicht. Fig. 1 zeigt die „Referenzidentität", Fig. 2
die hier vertretene Konzeption der „vermittelten" Referenz: 41

38 Zu dieser Unterscheidung cf. Lektürekolleg zur Textlinguistik, Band 1: Einführung,


p. 4 7 - 6 0 .
39 Ähnlich Ruqaiya Hasan, Grammatical cohesion in spoken and written English: part
one, London 1968 (Programme in Linguistics and English teaching, Paper 7), p. 82 s.
40 Cf. beispielsweise Roland Harweg, Pronomina und Textkonstitution, München 1968,
p. 22; E.V. Paduceva, Anaphoric Relations and their Representation in the Deep
Structure of a Text, in: M. Bierwisch - K. E. Heidolph (eds.), Progress in Linguistics,
The Hague 1970, 2 2 4 - 2 3 2 , spricht p. 226 von „identical denotata".
41 Cf. Auch R. Meyer-Hermann, in: Lektürekolleg zur Textlinguistik, Band 1: Einführung
p. 214ss. Eine „mittlere" Position bezieht in dieser Frage Karen H. Ebert, Referenz,
Sprechsituation und die bestimmten Artikel in einem nordfriesischen Dialekt (Fering),
Bredstedt 1971, p. 51; sie kennzeichnet den Unterschied zwischen einem Bezugsele-
ment patron und einer auf dieses bezogenen Verweisform il hinsichtlich ihrer Beziehung
zu dem Objekt „patron" dadurch, daß die die Form patron mit dem Objekt „patron"
durch eine durchgezogene Linie, il und das Objekt „patron" durch eine gestrichelte Linie
verbindet.
156 R. Meyer-Hermann

Wirklichkeitsmodell „Objekt" : p a t r o n „Objekt" : p a t r o n

M
Referenzanweisungen Referenz-
//
anweisungen

Konnexionsanweisungen

Ebene der sprach- patron . . . .il patron . . . . il


lichen K o m p o n e n t e des
Kommunikationsaktes Fig. 1 Fig. 2

Zur weiteren Erläuterung und Präzisierung der oben gegebenen ersten Funk-
tionsbeschreibung einer pronominalen Verweisform gehen wir von folgendem
Textbeispiel (5) aus; es m a c h t deutlich, daß je n a c h d e m , m i t welchen sprach-
lichen Elementen über das hervorgehobene P r o n o m e n il prädiziert wird, il sich
auf ein verschiedenes Bezugselement bezieht:

(5) A la poursuite du garçon qui avait pris la fuite en direction de la forêt le commissaire i
traversait la forêt, accompagné de son assistant2. C'était quelques mois seulement
111 avait été nommé commissaire.
qu'
112 appartenait â la police.

In diesem Textbeispiel ist die Entscheidung darüber, auf welches Bezugsele-


ment sich il bezieht, davon abhängig, zwischen welchen Referenzanweisungen
der Prädikationen über das P r o n o m e n il und welchen Referenzanweisungen der
potentiellen Bezugselemente semantische Kompatibilität besteht. In Bezug auf
ein zumindest weitverbreitetes Wirklichkeitsmodell besteht (semantische) Kom-
patibilität zwischen den Referenzanweisungen von commissaire und avait été
nommé commissaire, j e d o c h nicht zwischen den Referenzanweisungen von
commissaire und c'était quelque mois seulement qu'il appartenait a la police,
insofern wenige Monate Zugehörigkeit zur Polizei für eine Beförderung zum
Kommissar in diesem Wirklichkeitsmodell nicht ausreichen usw.
Verallgemeinernd läßt sich sagen: die (pronominale) Verweisform il hat die
F u n k t i o n , dem Hörer zu signalisieren, daß er die Referenzanweisungen der
über il geäußerten Prädikationen beziehen soll auf die Referenzanweisungen
einer in Numerus und Genus mit il k o n g r u e n t e n , im T e x t vorangegangenen
N o m i n a l g r u p p e 4 2 . Bei den pronominalen Verweisformen il, ils, elle, elles ist

42 Maillard, Essai de typologie, stellt das folgende, in diesem Zusammenhang interessan-


te Textbeispiel aus Camus, La chute, zur Diskussion: „Quand je quittais un aveugle . . .
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 157

außerdem die Konnexionsanweisung, welche durch Oberflächenmarkierung


von Genus und — was die schriftliche Kommunikation betrifft — Numerus
gegeben wird, ein bei der Identifikation potentieller Bezugselemente wirksa-
mer Steuerungs- bzw. Selektionsmechanismus. Verweisformen, welche nur
Konnexionsanweisungen und keine Referenzanweisungen geben, nenne ich
nicht-referentielle Verweisformen.
Wie das folgende Textstück ( 6 ) zeigt, kann z.B. dann gegen die Bedingung
der Numerus-Kongruenz „verstoßen" werden, wenn das Bezugselement der
entsprechenden Verweisrelation eine Klasse von „Objekten" bezeichnet:
(6) On a essayé d'avoir des renseignements auprès des concierges. La concierge est
une personne qui connaît beaucoup de choses, mais enfin moi, je ne m'attache
pas tellement à ce qu'elles disent, ni à leurs témoignages.
(Les policiers parlent, p. 96)

Von derartigen Ausnahmen abgesehen, muß ein textgrammatikalisches


Regelsystem möglicher Verweisrelationen im Französischen die Bestimmung
enthalten, daß mit Formen wie il, ils, elle, elles, celui(-ci), celle(-ci), lequel,
lesquels, laquelle, lesquelles, la, le, les Verweisrelationen zu genus- und/oder
numerus-kongruenten Bezugselementen etabliert werden.
Es ist wichtig zu betonen, daß die umgekehrte Schlußfolgerung nicht zu-
trifft; d.h. genus- und/oder numerus-markierte Elemente des Textes, also
Nominalgruppen, können auch als (potentielle) Bezugselemente solcher Ver-
weisformen fungieren, welche hinsichtlich Genus und/oder Numerus unmar-
kiert sind 4 3 . Dazu gehören Formen wie ça, cela, ce, ceci, là, Id-dessus, y, aber
auch z.B. bestimmte Verwendungs- bzw. Vorkommensmöglichkeiten der
Form le. Zur Veranschaulichung dieser Tatsache einige Textbeispiele mit den
nicht-referentiellen Verweisformen ça, là und y :
je le saluais. Ce coup de chapeau ne lui était. . . pas déstiné, ilj ne pouvait pas le voir.
A qui donc s'adressait-il2? Au public. " Die Tatsache, daß sich il\ auf aveugle und
1/2 auf coup de chapeau bezieht, erklärt Maillard folgendermaßen: „D'un substitut à
l'autre, il y a glissement référentiel. C'est par un véritable acte de foi sémantique que
le lecteur rapporte les /ils/ à leur antécédent respectif" (p. 58). Das angeführte Text-
beispiel wird durch den Gültigkeitsbereich unserer Explikation erfaßt. Einen Hinweis
auf Identifizierung von „antecedents" durch „information of a ,lexical' or .semantic'
nature" enthält auch David G. Lockwood, Pronoun concord domains in English,
Linguistics 54 (1969), 70-85, p. 79.
43 Angesichts dieser Tatsachen muß der Versuch, den Maillard, Essai de typologie, un-
ternommen hat, zwischen der (Nicht-)Flektierbarkeit der Verweisformen und der
(Nicht-)Flektierbarkeit potentieller Bezugselemente einen Zusammenhang zu kon-
struieren, zumindest was die Angaben über die „référants invariables" betrifft, als
unzutreffend gelten: „Les référants invariables sont tous désignés pour représenter
un énoncé global ( . . . ) inversement les référants variables sont aptes à représenter
un segment, en particulier un substantif marqué en genre et nombre" (p. 59).
158 R. Meyer-Hermann

(7) Je parlais „salaires" avec ces garçons. „Un principal, combien ça gagne? " -
„Oui, mais chez vous un contrôleur, ça fait quoi? "
(Les policiers parlent, p. 66)
(8) Je m'approche, je traverse les groupes qui étaient déjà formés, puis je vais à la
grande grille et je me pointe là tout seul.
(Les policiers parlent, p. 66)
(9) Je ne me savais pas valoir aussi cher (six cents francs) du kilo! Je m'en suis
aperçue au bout de quinze jours sur une health farm de la campagne anglaise . . .
Moi aussi, j'y étais pour maigrir.
(Nouvel Observateur 501, 1974, p.49)

Die Zugehörigkeit der Form le zu den beiden oben gegebenen kleinen


Listen von Verweisformen macht deutlich, daß le sowohl in numerus- als
auch in genus-kongruenten Verweisrelationen auftritt, als auch in solchen,
in denen die Kategorien Genus und Numerus auf das Bezugselement und die
Verweisform le nicht zutreffen. Die Verweisform le stellt damit u.a. auch ein
Beispiel dar für die auf zahlreiche Verweisformen zutreffende Tatsache der
Polyfunktionalität 4 4 ; das Polyfunktionalitätsspektrum der Verweisform le
ist allerdings mit den beiden angedeuteten Möglichkeiten noch nicht erschöpft.
Die Genus- und Numerus-Markierung gilt für die Fälle, in denen le als (prono-
minale) Verweisform in der syntaktischen Position eines Objektes in Opposi-
tion steht zu la und les (vgl. Textstück ( 1 0 ) ). Sie gilt auch für die Verwendung
von le als „Artikel", auf dessen (Verweis-) Funktion an dieser Stelle nicht ein-
gegangen werden kann. Die Zugehörigkeit von le zur Liste der genus- und
numerus-unmarkierten Verweisformen bezieht sich auf Beispiele, in denen le in
der syntaktischen Position des Prädikatsnomens von être z. B. auf ein vorange-
gangenes Partizip als Bezugselement verweist (vgl. Textstück (11), oder in de-
nen le anaphorisch oder kataphorisch auf einen bzw. n Sätze als Bezugsele-
ment verweist (vgl. Textstücke (12) und ( 1 3 ) ):

44 Die Tatsache der Polyfunktionalität von Verweisformen oder, anders formuliert, die
Tatsache, daß ein und dasselbe Oberflächenelement an der Realisierung verschiede-
ner Verweis-Relationen beteiligt ist, stellt ein Problem dar bei dem Bemühen, Ver-
weisformen so zu benennen und in die Textgrammatik zu integrieren, daß aus der
Benennung einer Verweisform ihre Funktion abgelesen werden kann, d.h. abgelesen
werden kann, auf welche Bezugselemente sie verweisen. J. Pinchon, Les pronoms
adverbiaux, p. 4 kritisiert Versuche „de distinguer des pro-noms, des pro-adjectifs,
des pro-verbes, et même des pro-phrases" mit dem bekannten Argument: „ . . . il n'est
pas rare, que le même mot puisse prendre la place de plusieurs parties du discours
différentes . . . Vgl. zu diesem Fragenkomplex ausführlicher R. Meyer-Hermann, in:
Lektürekolleg zur Textlinguistik, Band 1: Einführung, p. 247 ss.
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 159

(10) Il faut que le type sente que s'il veut se débarrasser du flic, il va falloir qu'il le
démolisse.
(Les policiers parlent, p. 55)
(11) Mais même pour mieux connaître le programme de son candidat favori, l'électeur
français estime aujourd'hui que la télévision est le meilleur moyen. [ . . . ] La radio
est nettement distancée par la télévision. Elle /'est même - de peu, il est vrai -
par la presse écrite.
(Nouvel Observateur 497, 1974, p. 33)
(12) Si ceux qui ont les meilleurs postes ne veulent rien changer, ce n'est pas la faute
aux principes de la République, c'est la faute à la médiocrité des hommes, à leur
aveuglement, à leur paresse. Il fallait le rappeler.
(Les policiers parlent, p. 36 s.)
(13) Dans les universités, tout le monde le sait ça fait cinq ans que les étudiants et une
grande partie des enseignants demandaient des réformes.
(Les policiers parlent, p. 44)

Wenn wir oben gesagt haben, daß die Verweisform le auf einen bis n Sätze
als Bezugselement verweisen könne, so stellt diese Formulierung eine Verein-
fachung dar, die nicht den Anspruch erheben kann, das als „Satzpronominali-
sierung" bekannte Problem formuliert zu haben. Es scheinen dazu wenigstens
einige zusätzliche Anmerkungen nötig, die im übrigen auch die Verwendungs-
möglichkeiten von cela und ça als auf Sätze verweisend mit einbeziehen. Ge-'
hen wir von folgendem Textbeispiel aus:
(14) Homme du Nord, il [Hans Apel] est, lui aussi, fermé à toutes les subtilités de la
latinité. Dans le Marché commun, cela compte.
(Nouvel Obervateur 497, 1974, p. 39)

Fragen wir uns, worauf sich cela bezieht bzw. auf welche mit compte zu
kombinierende Referenzanweisungen der Hörer durch cela verwiesen wird.
Nicht die Tatsache, daß Apel als Mann des Nordens den „subtilités de la lati-
nité" gegenüber verschlossen ist, ist es, die im Gemeinsamen Markt zählt; was
im Gemeinsamen Markt zählt, ist (ganz allgemein) kein Verständnis für die
Latinität zu haben. Mit anderen Worten, worauf cela verweist, ist informal
formuliert, der Inhalt der Aussage über Apel, d.h. wieder anders formuliert,
die Referenzanweisungen der Prädikationen über das Thema des vorangegan-
genen Satzes, — jedenfalls nicht der vorangegangene Satz, sei es seine Oberflä-
chenstruktur oder die dieser zugrundeliegende Tiefenstruktur. Der dargelegte
Unterschied käme etwa durch die Differenz der beiden folgenden Formulie-
rungen zum Ausdruck, wobei (b) das beschriebene Bezugselement von cela in
(14) verbalisiert:
(14) (a) . . . ce qui compte dans le Marché commun, c'est que Apel . . . est fermé . . .
(b) . . . ce qui compte dans le Marché commun, c'est d'être fermé . . .
160 R. Meyer-Hermann

In noch deutlicherem Maße, als es dieses Beispiel bereits erkennen läßt,


zeigt das folgende Textbeispiel (15), welche wohl unlösbaren Probleme die
„Satzpronominalisierung" für Konzeptionen darstellt, die (wie z. B. im
Prinzip Gaatone) davon ausgehen, daß zwischen dem als Bezugselement
dienenden Oberflächensatz und dem Satz, welcher der Verweisform in der
Tiefenstruktur zugrundeliege, lexikalische „Identität" bestehen müsse:
(15) Je lui ai [à mon fils] dit: „Faut pas croire que dans la République ce sera impec-
cable et que les biens seront justement partagés, ça faut pas y compter, mais ça
vient de l'égoïsme des uns et des autres plutôt que d'un défaut de structure . . . "
(Les policiers parlent, p. 38)

Eine Textgrammatik hätte zu klären, aufgrund welcher Prozesse der Hörer


in der Lage ist, das hervorgehobene ça dieses Textes auf ein Bezugselement zu
beziehen, das, aus dem vorangegangenen Oberflächentext abgeleitet, Differen-
zen zu dessen Struktur aufweist; das Bezugselement der Verweisform ça in (15)
lautet etwa folgendermaßen:
(15a). . . que dans la République ce n'est pas impeccable et que les biens ne sont pas
justement partagés, (ça) vient de l'égoïsme . . .

Fragen der hier nur an zwei Beispielen skizzierten Probleme der „Satzprono-
minalisierung" sind auch Gegenstand der Erörterung in Osten Dahls Aufsatz
„On so-called ,sloppy identity' " 4 S . Dahl geht dabei aus von Stalnakers Unter-
scheidung zwischen „proposition" und „sentence" 46 . Dahl vertritt die Auffas-
sung, daß die Regeln für die sog. Satzpronominalisierung „in terms of identity
of propositions" 47 formuliert werden müßten.
In einem Dialog wie z.B.:
A. Je t'aime.
B. Je ne le crois pas.

könne das Pronomen le nicht „under identity from a répétition of A's utteran-
ce" 48 abgeleitet werden, denn natürlich will B nicht sagen: „Je ne crois pas que
je t'aime". Die Identität, die hier vorliege, sei eine Identität der Propositionen 49 .
45 Synthese 26 (1973), 8 1 - 1 1 2 .
46 Cf. R.C. Stalnaker, Pragmatics, Synthese 22 (1970), 2 7 2 - 2 8 9 ; dt. in: S. J. Schmidt
(Hrsg.), Pragmatik I, München 1974, p. 1 4 8 - 1 6 5 .
47 Dahl, Sloppy identity, p. 91.
48 Dahl, Sloppy identity, p. 92.
49 Vgl. zu diesem Fragenkomplex weiter Dahl, Sloppy identity, p. 100 ss.; Traugott
Schiebe, Zum Problem der grammatisch relevanten Identitäten: F. Kiefer - N. Ruwet
(eds.), Generative Grammai in Europe, Dordrecht 1973, p. 482-529,bes. p. 499 s. und 516 :
Steven Cushing, The semantics of sentence pronominalization, Foundations of Lan-
guage 9 (1972), 1 8 6 - 2 0 8 .
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 161

Von grundsätzlicher Natur für die Struktur einer Textgrammatik der Verweis-
form ist auch eine Stellungnahme in einer Frage, welche durch die folgende Be-
hauptung Maillards gekennzeichnet werden kann, der schreibt: „... dans
le chapitre 3 de La Chute, des pages 61 à 68 le substitut /elles/ garde une pâ-
leur' sémantique constante, à savoir le signifié .femmes' " so . Verallgemeinert lau-
tet diese These: in einer durch eine Nominalgruppe eingeleiteten Verweiskette
mit n nachfolgenden nicht-referentiellen Verweisformen vom Typ il verwei-
sen die jeweiligen Realisationen von il auf die am Beginn der Verweiskette ste-
hende Nominalgruppe 51 .
Aus unserer oben gegebenen Definition der Funktion der nicht-referentiel-
len Verweisformen il, wonach il essentiell eine Konnexionsanweisung zur Kom-
bination von Referenzanweisungen gibt, ist abzuleiten, daß wir im Widerspruch
zu dieser „Konstanten"-Theorie stehen. Unsere Vorstellung geht demgegen-
über dahin, daß in einer Verweiskette wie in dem folgenden Textstück ange-
deutet,
(16) Un jeune homme\ entra; il\ avait l'air fatigué; après un moment d'hésitation ü\
s'assit tout près de la cheminée . . .

das erste il dem Hörer die Anweisung gibt, die Referenzanweisungen von
avait l'air fatigué mit den Referenzanweisungen des Bezugselementes un jeune
homme und den Referenzanweisungen von entra zu kombinieren. Wollte man
das erste il dementsprechend durch einen sprachlichen Ausdruck substituie-
ren, welcher die genannten, mit avait l'air fatigué zu kombinierenden Refe-
renzanweisungen gibt, müßte es heißen: le jeune homme qui était entré. Für
das zweite il würde es demnach heißen: le jeune homme qui était entré et qui
avait l'air fatigué s'assit... etc. Bei der Instanz von il wird also im Prin-
zip das Gesamt der bis dahin gegebenen Referenzanweisungen über le jeune
homme mit den Referenzanweisungen der jeweils neuen Prädikationen kom-
biniert 52 . Nur die Annahme einer solchen Akkumulation und — ggf. (auch

5 0 Maillard, Essai de typologie, p. 57.


51 Ähnlich auch R. Hasan, Grammatical cohésion, p. 42. Aus dieser Konzeption ergibt
sich die Konsequenz, daß ein Pronomen nicht „Repräsentant" eines anderen (im Text
vorangegangenen) Pronomens sein kann, wie es Kr. Sandfeld behauptet (vgl. N 29).
In dem von Sandfeld gegebenen Beispiel ( . . . tout cela elle le lui pardonnait) handelt
es sich um eine oberflächenstrukturell bedingte Redundanz einer Verweisform, wie
u.a. durch die Umstellungsmöglichkeit elle lui pardonnait tout cela gezeigt werden
kann.
52 Vgl. ausführlicher R. Meyer-Hermann, in: Lektürekolleg zur Textlinguistik, Band 1 : Ein-
führung, p. 226 ss.; vgl. ähnlich auch K.H. Ebert, Referenz, Sprechsituation ..., p. 66 so-
wie 169, wo es heißt : „Es ist leicht zu sehen, daß dieses Verfahren der Explikation bei ei-
nem längeren Text zu unerwünscht komplexen Substituten für die Proformen führt, da alle
162 R. Meyer-Hermann

memoriell bedingt) im Kommunikationsakt tatsächlich nur teilweise vollzogen -


Weiterleitung der über ein eingeführtes Designatum prädizierten Informa-
tionen scheint eine befriedigende Explikation dafür geben zu können, daß die
Verweisketten nicht nur die Verweisform il zu enthalten brauchen bzw. ent-
halten, sondern daß auch Nominalgruppen Verwendung finden (können),
deren Referenzanweisungen an Referenzanweisungen zuvor gegebener Prädi-
kationen anschließen. So könnte es bei Fortsetzung des oben angefangenen
Textes (16) über den jeune homme qui... et qui. .. et qui etc. heißen: et
toujours il ne cessait pas de jouer. Le joueur... Die Form le joueur ist das,
was wir als eine referentielle Verweisform bezeichnen. Referentielle Verweis-
formen geben neben ihren Konnexionsanweisungen (in le joueur durch die
Form le) Referenzanweisungen (in le joueur durch die Form joueur). Im Rah-
men dieses kleinen Überblicks über einige ausgewählte Probleme bei der Kon-
struktion einer Textgrammatik von Verweisformen einige wiederum notwen-
digerweise verkürzende Anmerkungen zum Phänomen der referentiellen Ver-
weisform.
In den referentiellen Verweisformen sind es die Determinantien vom Typ
le, la, les sowie u.a. die sog. Demonstrativ-Artikel ce, cette, ces etc., welche die
Funktion haben, dem Hörer zu signalisieren, daß die Referenzanweisungen des
lexematischen Teils der referentiellen Verweisform mit Referenzanweisungen
im Text vorangegangener Elemente zu kombinieren sind. So gibt in dem oben
diskutierten Textstück (16), in dessen Fortführung die referentielle Verweis-
form le joueur verwendet wird, die Form le dem Hörer die Konnexionsanwei-
sung, die Referenzanweisungen von joueur, dem lexematischen Teil der Ver-
weisform, auf ihre Kompatibilität mit den Referenzanweisungen im Text
vorangegangener Prädikationen zu überprüfen. Die Überprüfung ergibt in die-
sem Fall semantische Kompatibilität mit den Referenzanweisungen von il ne
cessait pas de jouer-, also mit Referenzanweisungen von Prädikationen über le
jeune homme qui et qui etc. ; aufgrund dieser Tatsache kann der Hörer die Refe-
renzanweisungen von le joueur als auf das Designatum von le jeune homme
qui et qui etc. bezogen ansehen.
Ein textgrammatisches Regelsystem für die Verwendungsmöglichkeiten
von le joueur hätte zu spezifizieren, mit welchen Referenzanweisungen die
Referenzanweisungen von le joueur kompatibel oder inkompatibel sind. Es
bedarf keiner weiteren Erläuterung, daß die Extrapolation dieser Forderung
auf das Gesamt der Elemente einer Sprache, die als Bestandteil einer re-

Merkmale, die einem Referenten im Laufe eines Textes zugeordnet wurden, bei jeder
neuen Erwähnung des Referenten wiederholt werden müßten. Stattdessen empfiehlt
sich die Einführung von Referenzindices als Abkürzung der erwähnten Merkmale . . . u
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 163

ferentiellen Verweisform fungieren können, mit anderen Worten, die For-


derung nach einem Inventar der zwischen den Elementen einer Sprache beste-
henden (In-)Kompatibilitäten weitgehend identisch ist mit den Forderungen,
die an die semantische Beschreibung einer Sprache gerichtet werden.
Zu heuristischen Zwecken wird man indes an dieser Stelle zwischen den
folgenden Typen von Verweisrelationen mit referentiellen Verweisformen un-
terscheiden können 5 3 .
1.) „Identität" des Lexems der referentiellen Verweisform mit dem Lexem
der als Bezugselement fungierenden Nominalphrase:
(17) A mon avis, ils ont eu une grande peur au mois de mai, et de cette peur, ils ne
s'en sont par relevés. Ils l'ont toujours.
(Les policiers parlent, p. 191)

2.) „Identität" des Lexems der Verweisform mit dem lexematischen Bestand-
teil einer im Text vorangegangenen Prädikation („Prädikatsnominalisie-
rung"):
(18) Si vous donnez un coup de crosse au foie à quelqu'un, vous l'étendez par terre.
Quand on amène quelqu'un dans cet état-là le chef de poste ne peut pas le garder
au poste. Il est obligé de le conduire à l'hôpital et il se trouve indirectement
responsable. Cette responsabilité a souvent limité les excès.
(Les policiers parlent, p. 59 s.)

3.) Zwischen den Referenzanweisungen des Lexems der referentiellen Ver-


weisform und den Referenzanweisungen einer vorangegangenen Prädika-
tion besteht eine Art „Synonymie"-Relation, im folgenden Beispiel
zwischen den Referenzanweisungen von un Français sur deux und moitié:
(19) Les vacances? Le fait est que les Français, actuellement, ne pensent qu'à ça. Les
Français, ou plus exactement ceux d'entre eux qui ont les moyens de partir.
C'est-à-dire à peine un Français sur deux. Austérité ou pas, cette moitié-là de la
France était de toute façon décidée à prendre des vacances.
(Nouvel Observateur 501, 1974, p. 21)

4.) Die Referenzanweisungen des Lexems der Verweisform stellen in Bezug


auf die Referenzanweisungen im Text vorangegangener Prädikationen eine
„Klassifikation" dar; diese Tatsache wird im übrigen im folgenden Bei-
spiel (20) selbst verbalisiert:
(20) On se demande maintenant si le président Nixon n'avait pas choisi cette fin de se-
maine cruciale dans le conflit du Proche-Orient pour limoger le procureur Koks,
pour régler son compte à l'homme chargé de l'enquête sur le Watergate. C'est

53 Vgl. dazu auch Gross, On grammatical reference, p. 210 ss.


164 R. Meyer-Hermann

samedi soir en effet que le président des Etats-Unis a annoncé ce coup de poker,
comme on le qualifie désormais à Washington.
(Rundfunknachrichten, Europe I)

5.) Die Referenzanweisungen des Lexems der Verweisform stellen eine


„Kategorisierung"54 von Referenzanweisungen vorangegangener Texttei-
le dar:
(21) Oui, exactement. J'aurais dû rencontrer des concours. Au commencement, il y en
a périodiquement. Il faut passer quatre ou cinq ans à la police municipale pour y
avoir droit, mais avec la guerre, je n'ai pas eu cette chance. . .
(Les policiers parlent, p. 47)

6.) Die Referenzanweisungen des Lexems der Verweisform nehmen auf


„metakommunikativer Ebene"55 eine „Klassifikation" der Referenzan-
weisungen von vorausgegangenen oder nachfolgenden Textteilen vor:
(22) M. Mitterrand a répété que le problème no. 1 de la France était l'inflation. Il
l'a dit parce que cet argument lui permettait de critiquer ma gestion de l'écono-
mie . . .
(Nouvel Observateur 497, 1974, p. 38)

(23) Que fera l'industrie européenne du nord quand la main-d'œuvre étrangère reflu-
era vers le sud et se tarira? A défaut de s'automatiser, tel est le dilemme, force lui
sera de suivre sa main-d'œuvre de se déplacer direction sud, deux autres donnees
l'y inciteront: la pollution premièrement . . .
(Europe I)

Diese Unterscheidung einiger Arten von Verweisrelationen mit referentiellen


Verweisformen hat in ihrer Vorläufigkeit im Rahmen dieses Aufsatzes nur den
Sinn, auf die Notwendigkeit zu weiterer (formaler) Explikation hinzuweisen.

4. Zusammenfassung

In einer kurzen theoretischen Vorbemerkung wird (im Unterschied zu E. Lang)


die Auffassung vertreten, daß zwischen der Bewertung isolierter Sätze vom
Typ er kommt heute als ungrammatisch und dem Ansatz einer kommunika-
tiven Textlinguistik bezüglich des zugrundegelegten Grammatik-Begriffes ein

54 Nach W. Kummer (in Vorb.) sind „Kategorien definitorisch von Klassifikationen da-
durch unterschieden, daß die Klassifikationen Kategorien zugeordnet werden können,
während Kategorien nicht Untermengen anderer Mengen repräsentieren können . . . "
55 Vgl. dazu auch in W. Raible, Satz und Text. Untersuchungen zu vier romanischen
Sprachen, Tübingen 1972, p. 150 s., den Begriff der „Wiederaufnahme auf Abstrak-
tionsebene".
Zur Textgrammatik von Verweisformen im Französischen 165

Zusammenhang besteht. Einer ersten Definition der Relation „Verweis" folgt


ein kurzer Überblick über Arbeiten französischer Linguisten zu diesem Thema
(Dubois, J. Pinchon, Gaatone, Gross, Maillard etc.). Im Hauptabschnitt des
Aufsatzes wird — exemplarisch — die Funktion der Verweisformen erläutert,
die — nach der hier vertretenen Theorie — essentiell darin besteht, daß der
Hörer durch die Konnexionsanweisungen der Verweisform bezüglich bestimm-
ter Referenzanweisungen auf die Referenzanweisungen eines im Text vorange-
gangenen oder nachfolgenden Textstückes verwiesen wird. Weiterhin wird ge-
zeigt, daß die Relation „Verweis", d.h. die Beziehung zwischen der Verweis-
form und dem Bezugselement von dem Vorhandensein semantischer Kompa-
tibilität zwischen dem Kontext von Bezugselement und Verweisform abhängt.
Bei Verweisrelationen mit referentiellen Verweisformen werden an Textbei-
spielen einige Arten verschiedener semantischer Kompatibilitäten zwischen
Bezugselement und Verweisform aufgeführt.
Roland Harweg

Präsuppositionen und Rekonstruktion

Zur Erzählsituation in Thomas Manns Tristan aus textlinguistischer Sicht

1.

Erzählsituationen sind Spezialfälle von Kommunikationssituationen — das


heißt: von Situationen, in deren jeweiligem Zentrum eine Folge von mit pa-
role-artiger Referenz 1 ausgestatteten Zeichen steht. Von Zeichen, die jeweils
verbunden sind mit drei verschiedenen außerhalb ihrer liegenden Bezugs-
größen: sie aussendenden Sendern, sie rezipierenden Empfängern und durch
sie abgebildeten Sachverhalten — verbunden etwa so, wie dies Karl Bühler in
seinem bekannten Organonmodell beschrieben hat. 2
Die genannten Größen — Zeichen, Sender, Empfänger und Sachverhalte —
sind die Grundparameter, auf die jede Beschreibung und Erklärung einer
kommunikativen Situation zu rekurrieren hat, die Grundparameter, aber
keineswegs sämtliche Parameter; denn mit diesen Grundparametern verbun-
den, ja gleichsam in ihnen enthalten sind eine Reihe von — ebenfalls zu be-
rücksichtigenden — Sekundärparametern, Parametern, die, da sekundär, in
unserem Kommunikationsmodell denn auch nicht (und wie ich meine zu Recht
nicht) als eigenständige Größen figurieren. Es handelt sich bei diesen Sekun-
därparametern um Parameter wie die des Ortes und der Zeit — beide jeweils
bezogen auf die Grundparameter des Senders, des Empfängers und des darge-
stellten Sachverhaltes — sowie um Parameter wie den des Vorwissens des
Empfängers und den des Wissens des Senders um dieses Vorwissen.
Rekurrierend auf die genannten Grund- und Sekundärparameter, möchte
ich in diesem Aufsatz den Versuch machen, die kommunikative Situation
zu beschreiben, in die ein bestimmter fiktionaler Erzähltext, nämlich die Er-
zählung Tristan von Thomas Mann, eingebettet ist.
Die kommunikative Situation, in die ein fiktionaler Text eingebettet ist, ist
komplizierter als die, in die ein nichtfiktionaler Text eingebettet ist, kompli-
1 Hinter diesem Begriff steht die Unterscheidung zwischen einer langue- und einer pa-
ro/e-artigen Referenz, zwei Phänomenen, die ich in einem anderen Aufsatz zu behan-
deln beabsichtige.
2 Cf. Karl Bühler, Sprachtheorie, Stuttgart 2 1 9 6 5 , p. 24 ss., bes. p. 28.
Präsuppositionen und Rekonstruktion 167

zierter u n d nicht, wie m a n auch denken k ö n n t e , einfacher. Denken, sie sei


einfacher, aber k ö n n t e n (oder m ü ß t e n sogar) alle diejenigen, die sich jener
einleuchtenden u n d scheinbar wohlbegründeten Ansicht verschrieben h a b e n ,
der zufolge fiktionale T e x t e , da sie eben bloße Erfindungen seien, keinerlei
Sachverhalte abbilden — einer Ansicht, die offensichtlich auf eine Eliminie-
rung der Bezugsgröße „Sachverhalte" aus einem K o m m u n i k a t i o n s m o d e l l für
fiktionale Texte hinauszulaufen scheint. Und in der Tat, einleuchtend u n d
wohlbegründet ist diese Ansicht ja auch für den Fall, daß u n d so lange, wie
m a n die Sachverhalte in der Welt des realen, historischen A u t o r s (sowie der
realen, historischen Leser) eines fiktionalen Textes sucht; denn in dieser Welt
existieren die Sachverhalte tatsächlich nicht, auch dann nicht, w e n n sie, wie
häufig genug, geschöpft sind aus des Autors persönlicher Lebenserfahrung;
sind sie doch damit, daß der A u t o r ihnen den Status des Fiktiven verliehen
h a t , für diese Welt unwiederbringlich verloren. Andererseits aber ist jene An-
sicht, wie ich meine, nicht m e h r so einleuchtend u n d wohlbegründet, wie es
den Anschein h a t t e , w e n n m a n die etwaigen durch einen fiktionalen Text ab-
gebildeten Sachverhalte statt in der Welt des realen, historischen Autors in
der Welt eines fiktiven Erzählers, also in einer eigenen, dem jeweiligen fikti-
ven T e x t u n d nur ihm zugeordneten, fiktiven Welt angesiedelt sieht, und eben
dies schlage ich in diesem Aufsatz vor zu tun. Das aber impliziert, daß die kom-
munikativen Situationen, in die fiktionale Erzähltexte eingebettet sind, kom-
plizierter sind als diejenigen, in die nichtfiktionale T e x t e eingebettet sind. In-
wiefern komplizierter? N u n , insofern, als sie statt eines einzigen zwei ver-
schiedene Sender enthalten: den realen A u t o r und den fiktiven Erzähler, ja
nicht nur zwei verschiedene Sender, sondern auch zwei verschiedene
Empfänger, oder genauer: Kategorien von E m p f ä n g e r n : nämlich den dem
realen A u t o r entsprechenden u n d derselben Welt wie er angehörenden realen
Leser und den dem fiktiven Erzähler entsprechenden u n d derselben Welt wie
dieser, nämlich der Welt des jeweiligen fiktiven Geschehens, angehörenden
fiktiven Rezipienten.

Ein fiktionaler Erzähltext ist somit genaugenommen jeweils in zwei ver-


schiedene Kommunikationssituationen, eine reale und eine fiktive, eingebet-
tet, in die reale als die Erfindung eines realen A u t o r s und das Objekt einer
entsprechenden Rezeption seitens realer Leser, d. h. als bar eines sachverhalts-
mäßigen Korrelats, und in die fiktive als Erzählung eines fiktiven Erzählers so-
wie das O b j e k t einer entsprechenden Rezeption seitens fiktiver Rezipienten,
d . h . als Wiedergabe von (innerhalb einer fiktiven Welt) geschehenen Sachver-
halten. Diese beiden Kommunikationssituationen bestehen freilich nicht un-
abhängig nebeneinander, sondern sind auf eine bestimmte Weise integrativ
miteinander verbunden: die fiktive ist ein P r o d u k t der realen. Der reale
168 R. Harweg

Autor nämlich schafft, zugleich mit seinem T e x t , den fiktiven Erzähler u n d


der reale Leser, als eine Rolle, in die er hineinschlüpft, den fiktiven Rezipien-
ten.
Die Einführung eines fiktiven Erzählers und fiktiver Rezipienten in das
Kommunikationsmodell fiktionaler T e x t e , ist, wie wir gesehen haben, her-
vorgegangen aus der Notwendigkeit, die Existenz sachverhaltsmäßiger Korre-
late dieser Texte zu erklären. Diese Notwendigkeit, bei alleinigem Rekurs auf
die G r u n d p a r a m e t e r der Kommunikationssituation möglicherweise nicht un-
mittelbar einsichtig, gewinnt eine geradezu plastische Deutlichkeit, sowie
man auf b e s t i m m t e Sekundärparameter, wie z. B. die zeitliche S i t u i e r u n g d e r
G r u n d p a r a m e t e r , eingeht, ist doch beispielsweise offensichtlich, daß das
durch die für fiktionale Erzählungen so charakteristischen Vergangenheits-
tempora signalisierte, und zwar, wie ich glaube 3 , unabweisbar signalisierte,
Nachzeitigkeitsverhältnis des Senders und der Rezipienten einer fiktionalen
Erzählung zu den durch diese abgebildeten Sachverhalten nur durch die
Instanz eines fiktiven Erzählers und fiktiver Rezipienten erklärbar ist.
Die Vergangenheitstempora — und dazu rechne ich auch eine b e s t i m m t e
Variante des Präsens — sind zwar, wie j e d e r m a n n weiß, fiir die fiktionalen
Erzählungen charakteristisch, sie sind j e d o c h , auch außerhalb der Figuren-
reden, nicht die einzigen T e m p o r a solcher Erzählungen. In einigen Erzäh-
lungen oder zumindest in bestimmten Teilen von ihnen finden sich beispiels-
weise auch Gegenwartstempora, also T e m p o r a , die ein Gleichzeitigkeitsver-
hältnis zwischen Sender und Sachverhalt signalisieren.
Beschränken wir uns auf diese beiden Kategorien von T e m p o r a — und
das wollen wir, da Z u k u n f t s t e m p o r a in fiktionalen Erzählungen, außerhalb
von Figurenreden, äußerst selten zu sein scheinen, 4 im folgenden tun — ,
so können wir, was die zeitlichen Konstellationen zwischen dem fiktiven Er-

3 Anders z. B. Harald Weinrich, Tempus - Besprochene und erzählte Welt, Stuttgart


2
1971, und Kate Hamburger, Die Logik der Dichtung, Stuttgart 2 1968, bes. p. 78 ss.
Beide sprechen den Tempora die Funktion, Zeitverhältnisse auszudrücken, ab; aber
während Weinrich dies für die Tempora schlechthin tut, tut Käte Hamburger dies
nur für die Tempora der fiktionalen Literatur - meiner Vermutung nach (denn sie
selbst sagt das nicht explizit) nicht zuletzt deshalb, weil sie es unterläßt, einen fikti-
ven Erzähler und fiktive Rezipienten als die temporalen Bezugspunkte zu etablieren.
Sie sieht zwar, daß der reale Autor und die realen Leser als solche Bezugspunkte nicht
eigentlich in Frage kommen, aber die Alternative, die sie, wenn ich sie recht verstehe,
vorschlägt, nämlich, die Figuren der erzählten Geschichte selber zu solchen Bezugs-
punkten zu machen, scheint mir ebensowenig in Frage zu kommen.
4 Was die sogenannten Zukunftsromane betrifft, so pflegen auch diese unter Rekurs auf
Vergangenheitstempora erzählt zu werden - ein Beweis mehr für die Notwendigkeit
der Annahme fiktiver Erzähler und fiktiver Rezipienten. Denn die in den Zukunftsro-
Präsuppositionen und Rekonstruktion 169

zähler, den fiktiven Rezipienten und den fiktiven Sachverhalten der fiktio-
nalen Erzählungen betrifft, vier Kategorien von Möglichkeiten unterschei-
den, und zwar
1) die, in der der Erzähler sich im Verhältnis der Nachzeitigkeit zu den Sachver-
halten und im Verhältnis der Vorzeitigkeit zu seinen Rezipienten befindet
2) die, in der der Erzähler sich im Verhältnis der Nachzeitigkeit zu den Sachverhal-
ten und im Verhältnis der Gleichzeitigkeit zu seinen Rezipienten befindet
3) die, in der der Erzähler sich im Verhältnis der Gleichzeitigkeit zu den Sachverhal-
ten und im Verhältnis der Vorzeitigkeit zu seinen Rezipienten und
4) die, in der der Erzähler sich im Verhältnis der Gleichzeitigkeit sowohl gegenüber
den Sachverhalten als auch gegenüber den Rezipienten befindet.

Versucht man, und zwar mit Hilfe der Opposition „räumliches Beieinan-
der" versus „räumliche Getrenntheit", eine Kategorisierung der räumlichen
Konstellationen zwischen dem fiktiven Erzähler, den fiktiven Rezipienten
und den fiktiven Sachverhalten, so erhält man ebenfalls vier verschiedene Ka-
tegorien, nämlich
1) diejenige, in der der Erzähler sich an einem anderen Ort befindet als die Rezipien-
ten und beide wiederum an einem anderen Ort als die Sachverhalte
2) diejenige, in der der Erzähler sich an demselben Ort befindet wie die Rezipienten,
aber an einem anderen Ort als die Sachverhalte

3) diejenige, in der der Erzähler sich an demselben Ort wie die Sachverhalte, aber an
einem anderen Ort als die Rezipienten befindet und
4) diejenige, in der der Erzähler, die Rezipienten und die Sachverhalte sich alle an
ein und demselben Ort befinden 5 .

Eine fünfte Möglichkeit, nämlich die, daß der Erzähler sich an einem ande-
ren Ort befindet als die Rezipienten und die Sachverhalte, diese aber sich an
ein und demselben Ort befinden, schließe ich als unrealistisch aus.

manen erzählten Ereignisse müssen für den Erzähler und die Rezipienten ja bereits ver-
gangen sein. Das aber können sie, als Ereignisse von Zukunftsromanen, nicht für den
realen Erzähler und viele seiner realen Rezipienten.
5 Die Konzepte Räumliches Beieinander" und „Einheit des Ortes" betreffen das Beiein-
ander im bzw. die Einheit des natürlichen visuellen Umfeldes von Erzähler und Rezi-
pient und tragen damit sowohl die (noch zu erläuternde) Möglichkeit der lokalen
Autodeixis als auch die (ebenfalls noch zu erläuternde) Möglichkeit der lokalen He-
terodeixis in sich. Räumliche Getrenntheit, im Sinne dieser Konzeption, beginnt da-
mit erst dort, wo die in Rede stehenden Konstellationspole, nämlich Erzähler, Rezi-
pienten und Sachverhalte, einander nicht überlappenden visuellen Feldern oder Um-
feldern angehören.
170 R. Harweg

Prüft man die vier Möglichkeiten zeitlicher und die vier Möglichkeiten
räumlicher Konstellationen zwischen den drei in Rede stehenden Grundpara-
metern fiktionaler Kommunikationssituationen auf ihre Kombinierbarkeit
zu raum-zeitlichen Konstellationen dieser Grundparameter hin, so stellt man
fest, daß letztlich, d.h. bei Einbeziehung von rahmenerzählerisch beschriebe-
nen und auf Kommunikationskanäle wie Brief, Fernsehen und Telefon rekur-
rierenden Kommunikationssituationen, zwar alle sechzehn der vier mal vier
Kombinationsmuster irgendwie möglich sind — so z.B. könnte jemand, der
vor einem Fernsehschirm der Originalübertragung eines Fußballspiels folgt,
gleichzeitig jemand anders per Telefon den Verlauf dieses Fußballspiels erzäh-
len - , daß aber die meisten dieser sechzehn Kombinationsmuster mehr oder
weniger ungewöhnlich sind, einige davon hochgradig. Klammert man darüber
hinaus die rahmenerzählerisch beschriebenen Kommunikationssituationen
aus, so kommen, wie es scheint, überhaupt nur ganz wenige der sechzehn
Kombinationsmuster in Betracht, und unter diesen wenigen gibt es noch ein-
mal zwei Muster, die sich gewissermaßen als die Normalfälle herausheben
lassen: ich meine die Kombination aus der zeitlichen Konstellationskategorie
(1) und der räumlichen Konstellationskategorie (1) und die Kombination aus
der zeitlichen Konstellationskategorie (2) und der räumlichen Konstellations-
kategorie (2) — zwei Kombinationen, von denen die erstere den Normalfall
schriftlicher und die letztere den Normalfall mündlicher Erzählsituationen
darstellt, schriftlicher Erzählsituationen, wie sie etwa im Falle von Brieferzäh-
lungen und Tatsachenberichten in Illustrierten vorliegen mögen (denn die
Verhältnisse in den fiktiven Welten sind möglichst analog denen unserer realen
Welt zu konzipieren), und mündlicher Erzählsituationen, wie sie vorliegen mögen,
wenn jemand im Freundeskreis einen Schwank aus seiner Jugend erzählt.
Welcher dieser beiden Normalfälle im konkreten Einzelfall eines bestimmten
fiktionalen Erzähltextes vorliegen mag, ist, bei rahmenlosen Erzählungen, in
der Regel nicht explizit gesagt, sondern allenfalls zu erschließen, zu erschlie-
ßen auf Grund von Kriterien wie z.B. denen des Stils oder auch der relativen
Länge einer Erzählung, Kriterien, die allerdings, auf Grund einer gewissen
Kulturbereichsabhängigkeit, gewissen Schwankungen unterworfen sein
mögen. Eindeutiger, dabei jedoch den soeben genannten unter Umständen
zuwiderlaufend, sind Kriterien wie z.B. die Begriffe, mit denen der fiktive
Erzähler auf seine Tätigkeit sowie auf seine Rezipienten Bezug nimmt, Kri-
terien, nach denen z.B. Thomas Manns Roman Bekenntnisse des Hochstaplers
Felix Krull (in dem der fiktive Ich-Erzähler davon spricht, daß er die Feder
ergreife, um seine Geständnisse dem geduldigen Papier anzuvertrauen 6 , und

6 Thomas Mann, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (Stockholmer Gesamtaus-


gabe), o.O. (S. Fischer-Verlag) 1955, p. 9.
Präsuppositionen und Rekonstruktion 171

den Rezipienten als Leser bezeichnet 7 ) in eine schriftliche und Thomas


Manns Erzählung Die vertauschten Köpfe (in der der fiktive Erzähler seine
Rezipienten als Zuhörer und als Lauschende bezeichnet 8 ) in eine mündliche
fiktive Erzählsituation eingebettet ist.

2.

Die fiktive Erzählsituation, in die Thomas Manns Erzählung Tristan — um die


es in diesem Aufsatz geht — eingebettet ist, gehört weder der einen noch der
anderen der soeben skizzierten und als die beiden Normalfälle hingestellten
Kategorien fiktiver Erzählsituationen an und nimmt damit, wie es scheint,
erzählsituationstypologisch eine Sonderstellung ein. Welcher Art diese Sonder-
stellung ist, will ich im folgenden, auf dem Wege einer Rekonstruktion der in
Rede stehenden Erzählsituation — denn diese liegt keineswegs offen zu Tage, son-
dern ist lediglich aus gewissen Präsuppositionen der (erzählsituationell gleichsam
torsohaften) Erzählung erschließbar —, versuchen zu zeigen.
Die Rekonstruktion ist eine sozunennende interne Rekonstruktion, das
heißt, sie nimmt ihren Ausgang von ausschließlich textinternen sprachlichen
Daten, Daten, die sie textlinguistisch interpretiert. Stößt sie bei dieser Inter-
pretation auf Daten, die einander widersprechen — und das wird mehr als
einmal der Fall sein — , so betrachte ich als das für die Rekonstruktion rele-
vantere Datum in der Regel dasjenige, das im Ablauf des Textes vorangeht —
dies in Anbetracht und in Würdigung der Tatsache, daß ein Text, seinem
inneren Wesen nach, ein unidirektionaler Prozeß ist und in diesem Prozeß
Vorangehendes steuernd für Nachfolgendes ist. Ein weiteres, aber durchaus
sekundäres Kriterium für die Rekonstruktionsrelevanz einander widerspre-
chender Daten ist das quantitative Maß, in dem ein bestimmtes Datum des
Textes mit anderen Daten dieses Textes verträglich ist.
Da, nach Maßgabe unseres Primärkriteriums, die vorangehenden Textda-
ten rekonstruktionsrelevanter sind als die nachfolgenden, rekurrieren wir in
erster Linie auf die Einleitung der Erzählung und innerhalb dieser Einleitung
nach Möglichkeit schon auf den ersten Satz — nach Möglichkeit, das heißt:
sofern bereits dieser Satz ein für die Rekonstruktion der Erzählsituation rele-
vantes Datum enthält. Das aber ist der Fall; denn der Anfangssatz der Erzäh-
lung, der Satz

7 Thomas Mann, op. cit., p. 150.


8 Thomas Mann, Erzählungen (Stockholmer Gesamtausgabe), o.O. (S. Fischer-Verlag)
1958, p. 712 und 743.
172 R. Harweg

( Y)Hier ist ,ßinfried", das Sanatorium!9,


enthält mit dem Ausdruck hier ein Deiktikon 1 0 , und Deiktika sind für die ge-
nannte Rekonstruktion die entscheidendsten Ausdrücke, die es gibt.
Das Deiktikon hier, verbunden, wie im Anfangssatz des Tristan, mit einem
Gegenwartstempus, bezeichnet ein räumliches Beieinander von Erzähler und
Sachverhalt und impliziert zumeist, jedoch nicht immer, auch ein räumliches
Beieinander von Erzähler und Rezipient. Dies erkennen wir deutlich, sowie
wir uns die verschiedenen Situationen, in denen ein Satz wie dieser, ober-
flächlich betrachtet, geäußert werden könnte, vergegenwärtigen. Es handelt
sich, in abgekürzter Charakterisierung nach „Erzählertypen", um die folgen-
den fünf:
1) die Fremdenführersituation
2) die Jahrmarktschreiersituation
3) die Rundfunkreportersituation
4) die Tonfilmkommentatorsituation und
5) die Moritatenerzählersituation.

Von diesen fünf Situationen sind die Rundfunkreporter- und die Tonfilm-
kommentatorsituation die einzigen, die kein räumliches Beieinander von Er-
zähler und Rezipient implizieren. Diese Situationen kommen jedoch als
„Erzählsituationen" für Satz (1) bei genauerer Betrachtung nicht in Frage, die
erstere deshalb nicht, weil der Ausdruck Winfried", das Sanatorium zu unge-
nau ist 11 , und die letztere schon aus dem Grunde nicht, weil der Tonfilm-
kommentator keine Möglichkeit hat, auf die betreffende Filmstelle zu zeigen.
Das bedeutet, daß die auf Grund von Satz (1) rekonstruierbare Erzählsituation
eine Situation ist, in der zumindest der fiktive Erzähler und die fiktiven Rezi-
pienten räumlich beieinander sind.
Doch nicht nur die Rundfunkreporter- und die Tonfilmkommentator-
situation, auch die Jahrmarktschreier- und die Moritatenerzählersituation
kommen — obwohl nur sie das Ausrufungszeichen am Ende des Satzes recht-
fertigen könnten — als Erzählsituationen für Satz (1) nicht in Betracht,
die erstere nicht aus dem einfachen Grunde, weil der Satz in ihrem Rahmen
nur auf Transportables bezogen werden kann, und die letztere deshalb nicht,
weil das Deiktikon hier in ihr auf ein Bild oder einen Bildausschnitt verweisen

9 Mann, Erzählungen, p. 2 1 6 .
10 Mit dieser Interpretation revoziere ich die Interpretation dieses /»'er-Vorkommens als
zweidimensionales Substituens in Roland Harweg, Pronomina und Textkonstitution,
München 1 9 6 8 , p. 165.
11 In dieser Ungenauigkeit wäre Satz (1) lediglich, allerdings auch nur mit interpoliertem
wieder, bei einer wiederholten Meldung aus dem Sanatorium im Rahmen einer soge-
nannten Konferenzschaltung denkbar.
Präsuppositionen und Rekonstruktion 173

müßte, dazu aber, wenn es, wie in Satz (1), nicht aufzählungsartig-antithe-
tisch verwendet ist, nicht in der Lage ist, da Erzähler und Rezipient — anders
als vielfach auf Landkarten — auf diesem Bild keinerlei Standort haben und
das Deiktikon hier den Standort des Sanatoriums somit nicht, wie seman-
tisch von ihm gefordert 1 2 , in Relation zu dem des Erzählers (und gegebenen-
falls auch dem der Rezipienten) bezeichnen kann. Hinzu k o m m t , als ein
sekundärer Grund, daß die Moritatenerzählersituation auch bestimmte nach-
folgende Deiktika, wie z.B. das lokale Deiktikon hierselbst13 und das tempo-
rale Deiktikon Anfang Januar1*, nicht erklären könnte.
Bleibt also die Fremdenführersituation, eine Situation, die, angesichts von
Satz (1), nicht nur den Erzähler, als den Führer, und die Rezipienten, als die
Geführten, sondern auch Erzähler und Rezipienten auf der einen und das
Sanatorium auf der anderen Seite räumlich beieinander sein läßt, ja nicht nur
räumlich beieinander, sondern darüber hinaus auch zeitlich. Die Fremdenfüh-
rersituation ist damit eine Situation, deren raum-zeitliches Konstellations-
muster zwischen den drei genannten Größen, Erzähler, Rezipienten und Sana-
torium, einer Kombination aus Kategorie (4) der räumlichen und Kategorie (4)
der zeitlichen der weiter oben aufgestellen Konstellationskategorien ent-
spricht.
Der Fremdenführer könnte, nach Maßgabe von Satz (1), ein öffentlicher
oder ein privater und entsprechend auch die Führung eine öffentliche oder
eine private sein. Bestimmte nachfolgende Textdaten sprechen jedoch dafür,
daß es sich bei dieser Führung um eine private handelt. Wir rekonstruieren
also folgende Situation: Ein Privatmann, wohnhaft in der Nähe des Sanato-
riums, macht mit einem Besucher von auswärts einen Spaziergang, in dessen
Verlauf die beiden auch auf das Sanatorium stoßen.

12 Von dieser Auflage kann das Deiktikon hier, wenn es auf Bildpunkte zeigt, nur dann
entbunden werden, wenn es in mehreren, aufzählungsartig-antithetisch miteinander
kontrastierenden, d.h. auf verschiedene Punkte ein und desselben Bildes zeigenden
Vorkommen auftritt - ein Fall, in welchem die Standorte der gezeigten Gegenstände
nicht mit dem Ort des Erzählers, sondern mit den wechselnden Örtem seines auf dem
Bilde wandernden Zeigefingers oder Zeigestockes in Beziehung gesetzt werden. Zeigt
das Deiktikon hier statt auf Bildpunkte auf ganze Bilder, so bedarf es, entsprechend,
eines aufzählungsartig-antithetischen Zeigens auf verschiedene nebeneinander befind-
liche Bilder. Soll indes nur auf einen Bildpunkt bzw. ein Bild gezeigt wer.den, so muß
an Stelle des Deiktikons hier das Deiktikon das hier verwendet werden; man muß also
statt *Hier ist Dürer sagen: Das hier ist Dürer; das Deiktikon hier, bezogen auf ein,
und nur ein Bild, kann nämlich nur dann verwendet werden, wenn es statt auf das Ab-
gebildete auf die Abbildung verweist - so, wie z. B. in dem Satz Hier ist ein Dürer.
13 Mann, Erzählungen, p. 217.
14 Mann, Erzählungen, p. 218.
174 R. Harweg

An dieser Stelle unserer Rekonstruktion der Erzählsituation ist es nötig,


auf einen weiteren der genannten Sekundärparameter einer Erzählsituation zu
rekurrieren, nämlich auf das (echte oder vermeintliche) Wissen des Erzählers
um den Stand des Vorwissens des Rezipienten; denn Satz (1) impliziert, mit
seinem Ausdruck das Sanatorium, unzweideutig, daß der Erzähler weiß oder
annimmt, daß der Rezipient, sein Besucher, das Sanatorium vom Hörensagen
bereits kennt. Dieses Wissen des Fremdenführer-Erzählers um die erwähnte
Hörensagen-Kenntnis seines Besucher-Rezipienten aber kann — und damit
kommen wir zugleich auf das Problem der Rekonstruktion der fiktiven Vor-
geschichte dieses Textes — zurückgehen auf mindestens zwei verschiedene
Typen von Gesprächssituationen, entweder auf ein früheres, schon längere
Zeit zurückliegendes Gespräch zwischen dem Fremdenführer-Erzähler und
seinem Besucher-Rezipienten oder auf eine Bemerkung zu Beginn des in
Rede stehenden Spaziergangs, eine Bemerkung, in der der Fremdenführer
seinem Besucher-Rezipienten avisiert hat, daß sie im Laufe ihres Spazier-
ganges auch noch an einem Sanatorium, namens „Einfried", vorbeikommen
würden. Diese Bemerkung wiederum kann entweder eine spontane Informa-
tion durch den Fremdenführer-Erzähler oder aber eine Antwort desselben
auf eine Frage des sich bereits vage informiert zeigenden Besucher-Rezipien-
ten sein.
Welcher dieser beiden Möglichkeiten — denn wir wollen uns für eine von
ihnen entscheiden 15 — bei der Rekonstruktion der fiktiven Textvorgeschich-
te der Vorzug gebührt, läßt sich auf Grund von Satz (1) nicht entscheiden,
doch scheint es, als ob bestimmte Daten des nachfolgenden Textes 16 leichter
erklärbar wären, wenn man sich für die letztere Möglichkeit entschiede.
Wörtlich formuliert könnte sich diese Möglichkeit etwa in einem Dialog wie
dem folgenden verkörpert haben:
(I) 17 Besucher-Rezipient: Sagen Sie mal, gibt es hier in der Gegend nicht auch ein
Sanatorium, „Einfried" mit Namen? -
Fremdenführer-Erzähler: Ganz richtig. Übrigens werden wir gleich noch daran
vorbeikommen.

Der Anfangssatz des Mannschen Textes schließt sich, allerdings nicht als
Ausruf, sondern mit normaler Lautstärke gesprochen — das Ausrufungszei-
chen ist deshalb zu streichen — , an diesen Dialog an. Er tut dies jedoch nicht

15 Diese Entscheidung entbehrt freilich nicht einer gewissen Willkür.


16 Diese Daten sind Daten, die ein bestimmtes Vorwissen des Besucher-Rezipienten im-
plizieren.
17 Satzfolgen — und somit auch Dialoge - zähle ich, anders als Sätze, mit römischen
Ziffern.
Präsuppositionen und Rekonstruktion 175

unmittelbar. Das verbietet die für diesen Satz als Anfangssatz eines — etischen18
— Textes anzunehmende Betonungsstruktur, eine Struktur, die durch Akzente
auf den Ausdrücken Einfried und Sanatorium gekennzeichnet ist, und diese
Betonungsstruktur verlangt nicht nur, daß zwischen der Äußerung dieses Satzes
und dem genannten Dialog eine gewisse Zeit- und damit auch Wegesspanne
liegt, sondern auch, daß die Weggenossen, wenn sie in der Zwischenzeit ein
Gespräch führen sollten, über andere Dinge als das Sanatorium reden 19 . Eine
gewisse Wahrscheinlichkeit spricht ferner dafür, daß das Sanatorium, wenn es
sich schließlich den Blicken der Weggenossen darbietet, in ihrer unmittelba-
ren Nähe liegt, daß es bis zu diesem Augenblick den Blicken der Weggenossen
völlig entzogen gewesen ist. Dies läßt sich schließen aus der Verwendung des
Deiktikons hier an Stelle des Deiktikons da hinten.
Das Deiktikon hier in Satz (1) ist ein Heterodeiktikon, d.h. ein Deiktikon,
dessen Deixisobjekt den Deixispartnern, statt sie zu umgeben, gegenüberliegt.
Dem entspricht, zumal mit den nun zwanglos als Bezeichnungen visueller Zeig-
objekte interpretierbaren Ausdrücken seinem langgestreckten Hauptgebäude,
seinem Seitenflügel, des weiten Gartens, seinen Schieferdächern und die
Berge, auch die Perspektive des folgenden Satzes, dennoch aber fügt sich die-
ser Satz nicht in die auf Grund von Satz (1) rekonstruierte Erzählsituation
ein, sondern stellt, textologisch und sprechhandlungstheoretisch gesehen, einen
Bruch dar. Dieser Bruch besteht darin, daß er Informationen gibt, und zwar
Informationen, wie man sie einem Rezipienten, der, wie unser Besucher, das
Objekt selber vor Augen hat, nicht gibt. Will man diesen Bruch beseitigen,
so besteht jedoch die Möglichkeit, den propositionalen Gehalt dieses Satzes
in einen Aufforderungssatz einzubetten und etwa zu sagen: Sehen Sie nur,
wie weiß und geradlinig es mit seinem langgestreckten Hauptgebäude und
seinem Seitenflügel inmitten des weiten Gartens ( . . . ) liegt und wie hinter
seinen Schieferdächern ( . . . ) die Berge himmelan ragen.
Im zweiten Absatz des Textes kommt der Fremdenführer-Erzähler auf den
Leiter des Sanatoriums zu sprechen, aber auch dies, wie die verschiedenen
Präsuppositionen20 des ersten Satzes dieses Absatzes, des Satzes

18 Als etische Texte bezeichne ich Texte, die durch textexterne Kriterien definiert und
delimitiert sind. Der Kontrastbegriff ist „emischer Text". Cf. Harweg, Pronomina,
p. 152 ss., und ders., Textanfänge in geschriebener und in gesprochener Sprache,
Orbis 17 (1968), p. 3 4 3 - 3 8 8 , bes. p. 344.
19 Cf. dazu Roland Harweg, Die textologische Rolle der Betonung, in: Wolf-Dieter
Stempel (Hrsg.), Beiträge zur Textlinguistik, München 1971, p. 1 2 3 - 1 5 9 .
20 Die Präsuppositionen sind: 1) daß der Rezipient Doktor Leander bereits, wenn auch
nur vom Hörensagen, kennt, 2) daß er weiß, daß Doktor Leander der Leiter des Sana-
toriums ist oder dies zumindest für eine bestimmte zurückliegende Zeit gewesen ist,
176 R. Harweg

(2) Nach wie vor leitet Doktor Leander die Anstalt,


zeigen, nicht spontan und unvermittelt, sondern etwa nach folgendem, auf
Grund dieses Satzes zu rekonstruierenden und durch den Besucher-Rezipien-
ten auf Grund gewisser Vorkenntnisse — dies der Grund, warum ich mich auch
bei der Rekonstruktion der Textvorgeschichte für die Vorkenntnis-Variante
entschieden habe — , also auf Grund gewisser Vorkenntnisse initiierten Dialog
(II) Besucher-Rezipient: Übrigens, was den Leiter dieses Sanatoriums betrifft, ist
das nicht ein gewisser Doktor Leander? - Fremdenführer-Erzähler: Ganz recht.
Besucher-Rezipient: Ich habe allerdings auch mal gehört, das Sanatorium sollte
irgendwann einen anderen Leiter bekommen. Das ist dann wohl noch nicht ge-
schehen? ,

einem Dialog, an den sich, mit dem Vorschlag Nein, nein, Satz (2) als Antwort
des Fremdenführer-Erzählers anschließt, seinerseits fortgeführt mit dem Inter-
polat Ein eigentümlicher Mann21 und, daran anschließend, mit dem nächsten
Satz des Mannschen Originaltextes.
Im dritten Absatz des Textes kommt die Rede auf ein Fräulein von Oster-
loh, das Faktotum der Anstalt. Doch wie schon auf Doktor Leander und das
Sanatorium selber kommt auch auf dieses Faktotum die Rede nicht unver-
mittelt. Der Ausdruck was Fräulein von Osterloh betrifft (der den Absatz ein-
leitet) präsupponiert nämlich, daß der Fremdenführer-Erzähler weiß oder an-
nimmt, daß sein Besucher-Rezipient auch Fräulein von Osterloh bereits, zu-
mindest vom Hörensagen, kennt, ja mehr noch: er präsupponiert, auch er,
wiederum einen kurzen voraufgegangenen Dialog zwischen dem Fremden-
führer-Erzähler und dem Besucher-Rezipienten. Dieser Dialog könnte etwa
lauten:
(III) Besucher-Rezipient: Übrigens, ist da nicht auch ein gewisses Fräulein von
Osterloh in diesem Sanatorium? - Fremdenführer-Erzähler: Ganz recht.
Kennen Sie die Dame? - Besucher-Rezipient: Oh, nur vom Hörensagen,

und an diesen Dialog könnte sich, als Gesprächsfortführung des Fremdenfüh-


rer-Erzählers und präludiert durch ein auftaktartiges Nun, der Ausdruck was
Fräulein von Osterloh betrifft anschließen, seinerseits fortgeführt nicht, wie
im Originaltext, durch eine Tätigkeitsangabe, sondern durch eine diese Tätig-
keitsangabe, und zwar in defusionierter Form, enthaltende und auf Fräulein
von Osterlohs Funktion abhebende Eigenschaftsangabe, das heißt fortgeführt

3) daß er einmal gehört hat, das Sanatorium würde womöglich bald einen anderen
Leiter bekommen und 4) daß er dies alles dem Erzähler, in irgendeiner Form, mitge-
teilt hat.
21 Dieses Interpolat trägt der Tatsache Rechnung, daß man an dieser Stelle zu hören er-
wartet, was für ein Mann dieser Doktor Leander ist, und nicht unmittelbar, was er tut.
Präsuppositionen und Rekonstruktion 177

statt durch den Ausdruck so steht sie mit unermüdlicher Hingabe dem Haus-
halte vor durch den Ausdruck so ist sie die Person, die dem Haushalt vorsteht
- und wie sie ihm vorsteht: mit einer Hingabe, die geradezu unermüdlich zu
nennen ist.
Der nächste Satz, der Satz
(3) Mein Gott, wie tätig sie, treppauf und treppab, von einem Ende der An-
stalt zum anderen eilt!,22
gibt uns Auskunft über einen gewissen Bestandteil der Lebensgeschichte des
Fremdenführer-Erzählers selber. Denn dieser Satz, nicht reine Information
des Besucher-Rezipienten, sondern halb selbstgesprächshafte, situationsver-
gessene Erinnerungsevokation, verrät, daß der Fremdenführer-Erzähler das
Sanatorium auch, und zwar am naheliegendsten als Patient, von innen kennen-
gelernt hat, ein Eindruck, der durch die Beschreibung Doktor Leanders im
zweiten Absatz nur erst vage aufgekommen, in den folgenden Sätzen dieses
dritten Absatzes nur noch verstärkt, ja geradezu zur Gewißheit wird.
Trotz der Tatsache, daß der Fremdenführer-Erzähler selber eine gewisse
Zeitlang in dem Sanatorium zugebracht haben muß, stellt sich, mit Beginn des
folgenden Absatzes, die für die Rekonstruktion der fiktiven Erzählsituation
im Tristan höchst bedeutsame Frage, ob der Fremdenführer-Erzähler als
fiktiver Erzähler ausreicht. Die Anstöße zu dieser Frage liegen in zweierlei:
einmal in dem nunmehr beginnenden Auftreten eines neuen Typus von
Deiktika, des Typus der sozunennenden Autodeiktika, und zum andern in
der Tatsache, daß die nachfolgenden Äußerungen, auch für einen ehemaligen
Patienten des Sanatoriums, zu detaillierte Kenntnisse über die Interna dessel-
ben, vor allem für die Zeit seit seiner Entlassung, voraussetzen. Zwar ist —
was diese letztere Tatsache betrifft — nicht auszuschließen, daß der Fremden-
führer über die Interna des Sanatoriums für die Zeit zwischen seiner Entlassung
und der Erzählsituation vom Hörensagen her unterrichtet ist, doch ist die Be-
schreibung bestimmter Details im Verhalten der Patienten, wie z.B. die Schil-
derung der Art und Weise, wie die keines Gedankens mehr fähige Pastorin
Höhlenrauch seit einem Jahr am Arm ihrer Privatpflegerin durch das ganze
Haus irrt, nämlich von einer blöden Unrast getrieben, starr und stumm, ziellos
und unheimlich 23 , eher die eines Augenzeugen- als die eines Hörensagener-
zählers, und wenn es von dem Tod der sogenannten Schweren heißt, nie-
mand, selbst der Zimmernachbar nicht 2 4 , erfahre etwas davon 25 , so dürfte es
sich auch nicht um die Äußerung eines Patienten handeln.

22 Mann, Erzählungen, p. 216.


23 Mann, Erzählungen, p. 217.
24 An Stelle von selbst der Zimmernachbar nicht (der Ausdruck ist wörtlich übernom-
178 R. Harweg

Der Anstoß, den die erwähnten Deiktika, die sozunennenden Autodeiktika


- das sind Deiktika, die Örter bezeichnen, die dem Ort des Erzählers (und ge-
gebenenfalls auch des Rezipienten) nicht gegenüberliegen, sondern die mit
diesem identisch sind oder ihn umgeben — , der Anstoß also, den diese Auto-
deiktika geben, betrifft nicht nur die Frage nach der Person des Erzählers, er
betrifft darüber hinaus auch die Frage des Ortes des Erzählers (und mit ihm
des Rezipienten),und mir scheint nun, daß sie nicht nur verlangen, daß der
Erzähler im folgenden Teil des Tristan-Textes, wenigstens überwiegend, je-
mand anders als der Fremdenführer sei, sondern auch, und vor allem, daß der
Erzähler und mit ihm der Rezipient sich innerhalb des Sanatoriums befinde.
Oder sollte es möglich sein, daß der Fremdenführer-Erzähler, sich mit seinem
Besucher-Rezipienten noch an etwa derselben Stelle befindend, von der aus er
diesem, mit Hilfe des Heterodeiktikons /n'er von Satz (1), das Sanatorium ge-
zeigt hat, die im vierten Absatz des Tristan-Textes begegnenden Vorkommen
des Autodeiktikons hier in dem Sinne verwendete, daß sie nicht nur das
Sanatorium und seinen Garten, sondern auch die nähere Umgebung noch um-
faßten — etwa so, wie ein bildungsbeflissener Bürger einer Universitätsstadt,
auch ohne Bürger der Universität zu sein, unter Umständen sagen könnte: Wir
haben hier auch den berühmten Professor Soundso? Nun, ich habe, anders als
im Falle der Bürgers der Universität, das — allerdings nicht hundertprozentig
sichere — Gefühl, daß es nicht möglich ist, nicht möglich vermutlich deshalb,
weil die Patienten eines Sanatoriums in ihrer Eigenschaft als Patienten weniger
öffentlichkeitsrelevant sind als die Professoren einer Universität in ihrer Ei-
genschaft als Professoren, und wenn dieses mein Gefühl im Falle der autodeik-
tischen hier-Vorkommen, wie gesagt, auch noch nicht hundertprozentig sicher
ist, so ist es doch angesichts des im sechsten Absatz des Tristan-Textes begeg-
nenden Autodeiktikons hierselbst von jeglichem Zweifel befreit; denn dieses
Autodeiktikon kann auf jeden Fall nur innerhalb des Sanatoriums und wohl
auch nur von einem Internen geäußert werden. Sein Gewicht mit in die Waag-
schale werfend, interpretiere ich denn auch bereits die Autodeiktika des vier-
ten Absatzes ohne Schwanken dahingehend, daß sie innerhalb des Sanatoriums
und von einem Internen geäußert werden.
Die Textstelle, an der der Fremdenführer-Erzähler seine Erzählerrolle ab-
gibt, liegt zwischen dem ersten und dem zweiten Satz des vierten Absatzes
und der Ort, an dem er sie abgibt, etwa am Eingang des Sanatoriums. Der
Fremdenführer-Erzähler und sein Besucher-Rezipient müssen sich also zwi-

rnen) müßte es, in diesem Kontext, strenggenommen heißen: nicht einmal der Zim-
mernachbar.
25 Mann, Erzählungen, p. 217.
Präsuppositionen und Rekonstruktion 179

schenzeitlich weiter auf das Sanatorium zubewegt haben, und dies wiederum
ist kaum ohne verbale Vorbereitung — etwa in Form der Erzähler-Äußerung
Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir mal in das Sanatorium hinein. Ich kenne
dort nämlich einige Leute - denkbar. Am Sanatorium angelangt, aber noch
im Freien (so daß man sich ihn demonstrativ den Sauerstoff, auf den er hin-
weist, einsaugend denken kann), äußert der Fremdenführer-Erzähler noch den
ersten Satz des vierten Absatzes und müßte dann seinem Nachfolger begegnen
— einem Internen, den er von seinem eigenen Sanatoriumsaufenthalt her noch
gut kennt und den man sich am besten als eine Art von Pfleger vorstellt. Die-
sem stellt er, nach kurzer Begrüßung, seinen Besucher-Rezipienten vor und
sagt dann etwa: Ich sagte gerade zu Herrn Meier (dies sei der Name des Be-
sucher-Rezipienten), für Lungenkranke ist „Einfried" ja wohl aufs wärmste
zu empfehlen - eine Bemerkung, die der Pfleger aufnimmt mit den Worten:
Richtig. Aber (und mit diesem Wort geht das Original weiter) es halten sich
nicht nur Phthisiker (ein Wort, das, als textologische Wiederaufnahme des
Wortes Lungenkranke normalerweise nicht ganz korrekt 2 6 , durch die Annah-
me besagten Erzählerwechsels eine geradezu feinsinnig-hintergründige Recht-
fertigung erfährt), es halten sich Patienten aller Art, Herren, Damen und so-
gar Kinder hier auf.
Der Pfleger-Erzähler nennt sodann, indem er (in textgrammatisch nicht
völlig korrekter Handhabung des stilistischen Variationsprinzips) aus der
Aufzählung von Patiententypen in eine Aufzählung von Vorgängen überwech-
selt und dabei schließlich auch noch das Autodeiktikon hier unterschlägt 27 ,
einige der in Einfried sich aufhaltenden Patiententypen und Patienten bei
Namen. Die Namensnennungen der letzteren erfolgen dabei in einer Form, die
die Patienten als bei den beiden Rezipienten bekannt voraussetzt, einer Form,
die in deutlichem Gegensatz, ja Widerspruch steht zu der keinerlei Vorwissen
der Rezipienten präsupponierenden Erzählhaltung, die der Pfleger-Erzähler
ansonsten einnimmt. Dieser Widerspruch kann, will man die Namensnennun-
gen nicht von jener Voraussetzung befreien und an die Stelle der Ausdrücke
wie die Magistratsrätin Spatz und die Pastorin Höhlenrauch die Ausdrücke so
zum Beispiel eine Magistratsrätin, namens Spatz bzw. eine gewisse Pastorin
Höhlenrauch setzen, nur so beseitigt werden, daß man annimmt, daß der Pfle-
ger-Erzähler sich einmal an den einen und ein andermal an den andern seiner

26 Cf. Harweg, Pronomina, p. 211.


27 Durch diese Unterschlagung wirken die davon betroffenen Sätze Mehrere Herren mit
entfleischten Gesichtern werfen auf jene unbeherrschte Art ihre Beine, die nichts Gu-
tes bedeutet und Eine ßnfzigjährige Dame ( . . . ) irrt ( . . . j durch das ganze Haus
für mein Gefühl an der betreffenden Stelle nicht ganz korrekt.
180 R. Harweg

beiden Rezipienten wendet, daß er, wenn er sagt: Es gibt hier gastrisch Leiden-
de, in Richtung des keinerlei Kenntnisse über den Patientenbestand des Sana-
toriums besitzenden Besucher-Rezipienten blickt und spricht, daß er aber,
wenn er fortfährt: wie die Magistratsrätin Spatz, Blick und Rede, etwa mit der
zu interpolierenden Ergänzung nicht wahr, Herr Schmidt (dies sei der Name
des Fremdenführers), dem die Rätin von seinem eigenen Sanatoriumsaufent-
halt her bereits kennenden Fremdenfiihrer-Rezipienten zuwendet — und bei
dem Übergang von dem Ausdruck eine fünfzigjährige Dame zu dem Ausdruck
die Pastorin Höhlenrauch ganz genau so 2 8 .
Namensnennungen, die den Namensträger bei den Adressaten als bekannt
voraussetzen, sind auch die — innerhalb der Rede des Pfleger-Erzählers erst-
eingeführten — Ausdrücke Doktor Leander und Fräulein von Osterloh im vier-
ten bzw. sechsten Absatz des Tristan-Textes. Aber diese Ausdrücke sind,
anders als die Ausdrücke wie die Magistratsrätin Spatz und die Pastorin Höh-
lenrauch, nicht parenthetischer Natur und erlauben somit auch nicht jenen
gleichsam parenthetischen Blick- und Redeschwenk des Pfleger-Erzählers von
dem Besucher- auf den Fremdenführer-Rezipienten. Sie müssen deshalb ent-
weder ersetzt oder ergänzt werden, ersetzt durch oder ergänzt um die Aus-
drücke unser Chef bzw. unserm Faktotum. Dabei ist jedoch der Ergänzung der
Vorzug zu geben, da sie und nur sie eine entsprechende Behandlung der Aus-
drücke Doktor Leander im sechsten und Herrn Doktor Leander im siebten
Absatz überflüssig macht.
Der Erzähler und seine Rezipienten befinden sich, auch zum Zeitpunkt
dieser letzteren Namensnennungen, weiterhin am oder im Sanatorium, also
jedenfalls auf dessen Terrain. Das zeigen deutlich die verwendeten Deiktika,
am deutlichsten, gewissermaßen als eine Art von Schlüsseldeiktikon, das be-
reits genannte Autodeiktikon hierselbst, dann aber auch das Autodeiktikon
hier, auf das der Erzähler rekurriert, wenn er von einem sich in Einfried auf-
haltenden Schriftsteller sagt, daß er „hier dem Herrgott die Tage stiehlt". An
einigen Stellen freilich ist die Deixis nicht deutlich genug herausgearbeitet —
so, wenn der Erzähler von dem „Portier, am Eingange des Seitenflügels" spricht
und nicht von dem „Portier, am Eingang des Seitenflügels dort" (d.h. „dort"
oder „hier", je nach Standort der Gruppe, aber doch wohl eher „dort", da
sonst eine direktere Bezugnahme auf den Portier, nämlich durch den Aus-
druck der Portier hier, am Platze gewesen wäre); so ferner, wenn der Erzäh-
ler, etwas unkorrekt, sagt: Sogar ein Schriftsteller ist da und nicht, wie es
korrekt heißen müßte, Sogar ein Schriftsteller ist hier (denn der Ausdruck
da, obwohl nicht im Sinne von dort, sondern eher im Sinne von anwesend

28 Cf., für die Zitate dieses Absatzes, Mann, Erzählungen, p. 217.


Präsuppositionen und Rekonstruktion 181

verwendet, ist dennoch nicht akzeptabel, da er zugleich die Nuance des Ge-
kommenseins impliziert, und zwar eines Gekommenseins, das zudem als das
Ergebnis eines zuvor bereits diskutierten Kommens zu interpretieren ist) —
und so schließlich auch, wenn der Erzähler sagt: Übrigens ist, neben Herrn
Doktor Leander, noch ein zweiter Arzt vorhanden und nicht: Übrigens haben
wir hier, neben Herrn Doktor Leander, noch einen zweiten Arzt29.
Der Sprecher der zweiten Version des zuletzt genannten Satzes, ist, wie
sollte es anders sein, der Pfleger-Erzähler. Halten wir jedoch an der ersteren,
der Originalversion fest, so könnte er — da wir ja, zumindest für gewisse In-
halte, zwei Erzähler zur Verfügung haben — auch und meines Erachtens mit
noch größerer Wirkung der Fremdenführer-Erzähler sein. Dabei müßte freilich
die unmittelbare Fortsetzung dieser Bemerkung, der Ausdruck für die leichten
Fälle und die Hoffnungslosen, eingeleitet von dem zu interpolierenden Kom-
mentar ja richtig, bereits wieder aus dem Munde des Pfleger-Erzählers kom-
men, und es müßte auch der Pfleger-Erzähler sein, der dann schließlich, mit
einem augenzwinkernd-skurrilen Humor, noch anmerkt: Aber er heißt Müller
und ist überhaupt nicht der Rede wert30.

Im Anschluß an diese letzte Bemerkung findet sich im Text — als graphi-


sches Signal für den Übergang von der Milieuschilderung zu der Erzählung
einer Geschichte, die sich in diesem Milieu zugetragen hat — ein etwas grö-
ßeres Leerzeilenkontingent. Dieses Leerzeilenkontingent ist, im Sinne der Re-
konstruktion des genannten Übergangs im Rahmen der beschriebenen Er-
zählsituation, ausgefüllt zu denken durch folgende Bemerkung des Pfleger-
Erzählers: Übrigens, da ich gerade von dem Schriftsteller gesprochen habe,
der hier dem Herrgott die Tage stiehlt - da hat sich doch vor nicht allzu
langer Zeit eine seltsame Geschichte hier zugetragen, eine Bemerkung, an die
sich, nach Interesse- und Neugiersbekundungen zumindest des Besucher-Re-
zipienten, die im Original abgedruckt folgende Erzählung anschließt.
Die mit dieser Erzählung beginnende Erzählsituation ist, erzählsituations-
typologisch gesehen, von anderer Art als die bisher beschriebene. Zwar sind
Erzähler und Rezipienten weiterhin räumlich und zeitlich beisammen, von
den Sachverhalten aber, den Ereignissen, sind sie — das deuten bereits die Ver-
gangenheitstempora an — von nun ab getrennt, und auf Grund dieser — wenn
auch nur zeitlichen — Getrenntheit stellt die neue Erzählsituation nicht mehr,
wie die bisherige, eine Kombination aus Kategorie (4) der räumlichen und
Kategorie (4) der zeitlichen der auf den ersten Seiten dieses Aufsatzes aufge-

29 Cf. Mann, Erzählungen, p. 2 1 7 s.


3 0 Mann, Erzählungen, p. 218.
182 R. Harweg

stellten und die Konstellation zwischen Erzähler, Rezipient und Sachverhalt


betreffenden Konstellationskategorien, sondern eine Kombination aus Kate-
gorie (4) der räumlichen und Kategorie (2) der zeitlichen jener Konstellations-
kategorien dar.
Die Bezeichnung des Zeitpunktes des Beginns der Geschichte geschieht
auf die gleiche Weise wie die Bezeichnung des Ortes zu Beginn der Milieu-
schilderung, nämlich durch ein Deiktikon; denn die Bezeichnung, mit der der
Erzähler den Beginn der Geschichte zeitlich situiert, der Ausdruck Anfang
Januar31, bedeutet, in Verbindung mit dem ihn seinerseits situierenden Ver-
gangenheitstempus, unzweideutig „Anfang Januar dieses Jahres" und ist da-
mit, auch sie, nur zu verstehen und zu akzeptieren, wenn man sie geäußert
sieht innerhalb jener fiktiven Erzählsituation, die wir rekonstruiert haben.
Nicht nur die Datierung des Beginns der Geschichte, auch die Datierungen
ihres weiteren Verlaufs, die Ausdrücke Ende Februar32, am 26. Februar, am
27. und am 28.33, sind Deiktika, auch sie verlangen, implizit, die Ergänzung
durch den Ausdruck dieses Jahres, jenen Ausdruck, dessen Denotat, neben der
Geschichte, auch die Erzählsituation umschließt, und zwar umschließt in
jenem Teil, der eine unbestimmte, aber nicht zu große Anzahl von Tagen
nach dem 28. Februar, frühestens jedoch, wie der Beschreibung des letzten
Nachmittags der Geschichte entnommen werden kann 3 4 , mit der Belaubung
der Bäume und Sträucher beginnt.
Neben diesen temporalen enthält die Erzählung der Geschichte auch noch
einige eindeutige lokale und personale Bezugnahmen auf die rekonstruierte
Erzählsituation: an personalen Bezugnahmen den unpersönlichen Ausdruck
man in der Äußerung Man vergegenwärtige sich einen Brünetten am A nfang
der Dreißiger ( . . . )3S sowie den inklusiv-persönlichen Ausdruck wir in der
Frage Waren wir schon so weit, daß Herr Klöterjahn in die Heimat zurückge-
kehrt war? 36 und an lokalen Bezugnahmen z.B. den — mit seinem Bestand-
teil oben in konventionelle Landkartenperspektivik hinüberweisenden —
Ausdruck dort oben am Ostseestrande37 sowie die Ausdrücke die Tür dort
hinten38 und an der Tür dort hinten39.

31 Mann, Erzählungen, p. 218.


32 Mann, Erzählungen, p. 237.
33 Mann, Erzählungen, p. 248.
34 Mann, Erzählungen, p. 261.
35 Mann, Erzählungen, p. 223.
36 Mann, Erzählungen, p. 226.
37 Mann, Erzählungen, p. 221.
38 Mann, Erzählungen, p. 247.
39 Mann, Erzählungen, p. 248.
Präsuppositionen und Rekonstruktion 183

Die beiden letztgenannten Ausdrücke sind, da sie nicht, der erstere nur
schwerlich, der letztere aber überhaupt nicht, im Sinne erlebter Rede inter-
pretierbar sind, zugleich Indizien für den genauen O r t der Erzählsituation,
den O r t , an dem sich der Erzähler u n d seine beiden Rezipienten, wenigstens
an diesem P u n k t e der Erzählung, b e f i n d e n : Es ist das Zimmer, aus dessen
Perspektive die genannten Ausdrücke zu verstehen sind, das Konversations-
zimmer, genauer: die Stelle, an der das Klavier gestanden hat und vermutlich
noch steht.
„Und vermutlich noch steht" — für das Klavier ist die Identität seiner Stand-
orte, das heißt seines Standortes während der erzählten u n d seines Standortes
während der Erzählzeit, nur zu vermuten. Für die durch den Ausdruck die Tür
dort hinten bezeichnete Tür demgegenüber ist sie als sicher a n z u n e h m e n . Das
aber b e d e u t e t , daß der diesen Ausdruck näher charakterisierende Relativsatz
die zum Korridor führte40 nicht im Präteritum stehen darf, sondern im Präsens
zu stehen hat — ähnlich wie z.B. die Parenthese denn es führte keine Anfahrt
zum Hause41, ein Ausdruck, der j e d o c h aus der Perspektive der rekonstruierten
Erzählsituation, außer mit Einfügung der Vorwissen beschwörenden Partikel
ja (hinter dem - bereits substituierten - Präsens führt), gar nicht mehr for-
mulierbar ist, ebensowenig wie gewisse Teile der Beschreibung des Konversa-
tionszimmers auf p. 2 2 8 — es sei d e n n , der Erzähler stellte vergleichend Be-
züge z u m Z e i t p u n k t der Erzählsituation her, etwa, indem er sagte: Das Konver-
sationszimmer war, wie noch heute, geräumig und schön.

3.

Aus diesen auf K o r r e k t u r e n am Mannschen T e x t hinauslaufenden Bemerkun-


gen geht, wie auch aus einer Reihe verwandter Bemerkungen im vorstehenden,
deutlich hervor, daß die R e k o n s t r u k t i o n von mehr oder weniger impliziten,
fiktiven Erzählsituationen (wie deren eine in T h o m a s Manns Tristan vorliegt)
innerhalb des Textes auf mancherlei die Erzählsituation b e t r e f f e n d e Wider-
sprüche stoßen k a n n , Widersprüche, die weder dem realen A u t o r noch seinen
realen Lesern b e w u ß t zu sein pflegen und die erst recht nicht, wie vielfach
dem A u t o r zuliebe angenommen wird, von diesem beabsichtigt sein müssen.
Daß diese Widersprüche auch d e m realen A u t o r nicht b e w u ß t sind oder
gewesen sind, hängt damit zusammen, daß dieser, als er seinem fiktiven Er-
zähler das Wort erteilte, ein kompromittierend-halbherziges Verhältnis zur

40 Mann, Erzählungen, p. 247.


41 Mann, Erzählungen, p. 218.
184 R. Harweg

fiktiven Erzählsituation hatte, und es ist diese — wie auch immer motivierte —
Halbherzigkeit, auf die jene erzählsituationellen Ungereimtheiten, im Tristan
und anderswo, zurückgehen mögen. Zu Tage treten solche Ungereimtheiten
in der Regel erst dann, wenn man versucht, die auch für das Auge des Analysa-
tors zunächst nur leitfossilienhaft, nämlich im wesentlichen an den verwende-
ten Deiktika, erkennbare implizite fiktive Erzählsituation zu rekonstruieren.
Ich für meinen Versuch am Beispiel des Tristan jedenfalls muß bekennen, daß
ich, als ich mit diesem Versuch begann, die Erzählung bereits etliche Male ge-
lesen hatte, ohne daß mir auch nur eine einzige dieser Ungereimtheiten zu Be-
wußtsein gekommen gewesen wäre.
Das Ergebnis dieses Rekonstruktionsversuchs ist, im Falle des Tristan, der
Aufweis eines verborgenen textuellen Rahmens. Das bedeutet, daß die Erzäh-
lung in jener der Rekonstruktion ihrer Erzählsituation noch harrenden Form,
die ihr ihr realer Autor, nämlich Thomas Mann, verliehen hat, eine verstüm-
melte und damit zugleich verkappte Rahmenerzählung ist.
Die Rekonstruktion dieser Rahmenerzählung hat, wie wir gesehen haben,
einen mündlichen und zudem nichtprofessionellen Erzähler zu Tage gefördert.
Für einen solchen aber erzählt der Erzähler des Tristan entschieden zu flüssig,
zu elaboriert und zu planvoll, mit einem Wort: zu literarisch — theoretisch be-
trachtet zweifellos eine weitere Ungereimtheit 4 2 . Aber diese Ungereimtheit
hat, im Unterschied zu den anderen von mir aufgewiesenen Ungereimtheiten,
die, wenn man so will, fatale Eigenschaft, nicht eigentlich beseitigt werden zu
können, und zwar weder von der Seite der eingebetteten Erzählung noch von
der des sie einbettenden (und teilweise rekonstruierten) Rahmens her: von der
ersteren her nicht, weil die Änderungen im Erzählstil des Erzählers allzu tief-
greifend sein müßten, und von der letzteren her nicht, weil eine Beseitigung
des Rahmens dem textimmanenten Prinzip der Dominanz der vorangehenden
Textteile über die nachfolgenden zuwiderliefe. Wir müssen diese Ungereimt-
heit also hinnehmen — hinnehmen, wie wir es bisher immer und auch ohne,
daß Rekonstruktionen im Spiele gewesen wären, getan haben, wenn wir kei-
nerlei Anstoß nahmen an literarisch überhöhter Figurenrede, an Versen im
Drama oder auch an — originalen, d.h. nicht rekonstruierten — Rahmener-
zählungen nichtprofessioneller mündlicher Erzähler.
Andererseits ist — und dies ist die Kehrseite solcher Rekonstruktionen —
nicht auszuschließen, daß Rekonstruktionen von der Art der vorgeführten
den Effekt haben können, die künstlerisch-ästhetische Wirkung der Texte,

4 2 Zu bedenken wäre hier ferner auch noch der ganze Fragenkomplex der Wissenserlan-
gungspotenz des Erzählers, doch klammere ich diesen Komplex an dieser Stelle bewußt
aus.
Präsuppositionen und Rekonstruktion 185

auf die sie angewandt werden, mehr oder weniger stark zu schwächen — so,
wie es denn ja auch sonst, in anderen Bereichen der Kunst, bisweilen vorkom-
men mag, daß ein Gebilde als Torso eine ungleich stärkere Wirkung auf uns
ausübt als in seiner etwaigen Ganzheit. Es kann demzufolge — u n d das m u ß
mit aller Deutlichkeit gesagt werden — auch nicht die Absicht solcher Rekon-
struktionen sein, irgendetwas für die Steigerung der künstlerisch-ästhetischen
Wirkung des b e t r e f f e n d e n Textes zu leisten. Was sie anstreben, ist somit einzig
und allein die Vertiefung unserer Einsichten in die S t r u k t u r von T e x t e n sowie
die allgemeinen Gesetze des Erzählens, die ihnen zugrunde liegen.
Peter Chr. Kern

Textreproduktionen

Zitat und Ritual als Sprachhandlungen

Reproduzierte Texte

Der Normalfall mündlicher Kommunikation ist, daß der Text sich unmittel-
bar und ad hoc aus der Redekonstellation ergibt, daß er „spontan" entsteht.
Je nach Zahl, Art und Grad der beteiligten Faktoren der Redekonstellation
entstehen unterschiedliche Textexemplare, und es macht gerade die Schwie-
rigkeit der linguistischen Beschreibung aus, daß zuviele psychologische, sozio-
logische, thematische und situative Elemente zu berücksichtigen sind, als daß
man einen konkreten Text vollständig erfassen könnte. 1
Wenn die Situationskomplexität, zu der vor allem das persönlich-indivi-
duelle Beteiligtsein der Kommunikationspartner gehört, nicht ihren adäqua-
ten Ausdruck in einer ebenso komplexen Textstruktur findet, dann wird die
Äußerung und/oder der Sprecher diskriminiert durch die bekannten umgangs-
sprachlichen Bezeichnungen wie „Klischeevorstellungen", „Inoriginalität",
„Allgemeinplätze", „Phrasendrescherei" usw. Diese Werturteile beruhen auf
der richtigen Einsicht des Hörers, daß ein Text, der „nur" wiederholt, re-pro-
duziert, was schon einmal so gesprochen wurde, der je neuen Eigenart der
Sprachsituation nicht angemessen sein kann und darum auf ein unreflektier-
tes, unverantwortliches Sprachhandeln des Sprechers schließen läßt. Freilich
nur, wenn der Hörer glaubt, der Sprecher wisse nicht um die Inoriginalität
seiner Formulierungen; die Äußerung wird sofort einen völlig anderen kom-
munikativen Stellenwert einnehmen, wenn man weiß, der Einsatz vorgepräg-
ter Textmuster geschehe bewußt.
1 Sie sind aus diesem Grund nicht logisch analysierbar, nur nachvollziehend beschreib-
bar. Daraufhat zuletzt überzeugend B. Switalla hingewiesen: „Methodische Verstän-
digung über Handlungsverstehen und sprachliches Handeln scheint mir nur über die
Thematisierung derartiger Verstehenskonflikte vom Standpunkt des gedanklich mit-
handelnden Dritten aus möglich zu sein; anders gesagt: theoretisches Verstehen
sprachlich vermittelter Interaktionen, sprachlicher Handlungen setzt praktisches
(Mit-)Verstehen voraus." (B. Switalla, Zu handlungslogischen Implikationen linguisti-
scher Aussagen, In: Studien zur Texttheorie und zur deutschen Grammatik, hrg. von
H. Sitta und K. Brinker, Düsseldorf 1973, p. 175).
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Dieser letztgenannte Fall soll hier näher untersucht werden, allerdings nicht
im Rahmen jenes komplizierten dialektischen Steuerungsprozesses von alter
und ego, von antizipierter und tatsächlicher, expliziter und impliziter Reak-
tion, wie das für umfassende Sprachhandlungsanalysen notwendig wäre 2 ; ich
glaube nicht, daß der Sachverhalt verfälscht wird, wenn die folgenden Über-
legungen den Sprecher in den Vordergrund rücken, der einen festgelegt-vorge-
prägten Text bewußt re-formuliert und damit rechnet, daß der Hörer das auch
weiß.
Selbstverständlich sind alle, auch alle spontanen sprachlichen Äußerungen
unbewußt mustergeprägt und jeder Text ist nichts anderes als eine je-spezifische
Kompilation solcher Wiederholungen von grammatischen und sprechaktlichen
Mustern; das ist hier jedoch nicht angesprochen, denn wir setzen voraus, daß
der Sprecher sich seiner Musterbezogenheit bewußt ist und in voller Absicht
so sprechhandelt. Das kann mehrere Gründe haben: soziale, ökonomische, ver-
weisende und rituelle. Soziale in jenen Fällen, wo jemand die Diktion seines
Partners oder der Partnergruppe bis in Einzelheiten nachahmt (und so zwangs-
läufig das eine- oder anderemal ganze Sprachhandlungen nach Mustern ablau-
fen); ökonomisch bedingt sind Prägungen, wo vom Thema oder der Situation
her sich Wiederholungen anbieten („Vom Süddeutschen Rundfunk hören Sie
jetzt Nachrichten", „Betreten verboten"), wo aber durchaus die Möglichkeit
bestünde, durch individuelle Variationen den Text zu verändern.
Von diesen beiden nur kasuell reproduzierenden Typen unterscheiden sich
die beiden anderen. Der Sprecher weiß nicht nur um die Vorgeprägtheit des
Textes, er ist auch gehalten, ihn unverändert zu wiederholen: Zitat und Ritual.
Der Unterschied dieser beiden liegt vor allem im Verbindlichkeitsanspruch
und ist daher sprechakttheoretischer Natur. Während im Zitat eine vorgeprägte
Äußerung (Text oder Teiltext) 3 nur wiederholt wird und der Sprecher für sich
nicht in Anspruch nimmt, voll verantwortlich dafür zu sein, findet eben diese
Identifikation mit dem Text beim Ritual statt (vgl. „Im Namen des Gesetzes
sind Sie verhaftet"; „Und ich als beauftragter Diener der Kirche verkünde Euch
hiermit die Vergebung all Euerer Sünden"; „Im Namen des Volkes ergeht fol-
gendes Urteil: Der Angeklagte wird . . . "; „Und somit erkläre ich die 10.
Olympischen Spiele für eröffnet"; „XY hat sich um den Staat verdient ge-

2 Vgl. hierzu vor allem den kritischen Überblick, den Hans Haferkamp zu den Theorien
des symbolischen Interaktionismus gibt (H. Haferkamp, Soziologie als Handlungs-
theorie, Düsseldorf 1972).
3 Als Text verstehe ich unter Umgehung der aktuellen Diskussion im Sinne der Um-
gangssprache jedes von einer Person erzeugte, kontinuierliche Sprachprodukt, das
nicht unbedingt abgeschlossen sein muß; auch Teile einer Äußerung (ein Wort, ein
Satzbruchstück, aber auch Satzkomplexe) können Text sein.
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macht"). Beiden gemeinsam ist, daß die Textgestalt prinzipiell unverändert ist.
Im „Zitat" ist das (abgesehen vom Sonderfall der Travestie) ohnehin selbstver-
ständlich. Das „Ritual" wurde in letzter Zeit, vor allem in handlungstheoreti-
schen Zusammenhängen, gleichbedeutend mit „schabionisiert" verstanden
(„Rituale des Alltags" usw.), wodurch sich eine Vermischung mit dem ergab,
was ich ökonomisch bedingte Musterbezogenheit nenne. Ich möchte in seinem
ursprünglichen Sinn definieren, wie er heute noch in krichlichen und zum Teil in
politischen amtlichen Handlungen praktiziert wird, nämlich Musterhaftigkeit
als conditio sine qua non des Vollzugs. Zitat und Ritual sind Extremfälle, die
jeweils eine sehr spezielle Sprechhaltung voraussetzen, deren Untersuchung
aber auch dem besseren Verständnis jener Äußerungen dienen kann, die we-
niger rigid musterbezogen sind.

Faktoren der Sprachhandlung

Da der Unterschied zwischen Zitat und Ritual in erster Linie ein sprachhand-
lungsbedingter ist, sollen einige theoretische Bemerkungen hierzu voraus-
geschickt werden. Daß die Austin/Searlesche Differenzierung des Sprechaktes
in einen (wie immer benannten) inhaltlichen und einen intentionalen Teil in
mehrfacher Hinsicht ergänzungsbedürftig ist, hat die Diskussion der letzten
Jahre deutlich gemacht. Fundamentale Forderungen waren die nach einer
prinzipiellen Einbeziehung des Hörers als antizipierten Sprechers, der Dialek-
tik des Kommunikationsvorgangs überhaupt. Darüber hinaus bemühte man sich
um eine Differenzierung der Dichotomie Illokution-Proposition selbst, ange-
sichts der unbefriedigenden Ergebnisse, die mit diesem Zweierschema erzielt
werden können. So hat sich gezeigt, daß für die Proposition einer Äußerung
Existenzmodalitäten einbezogen werden müssen, die nicht durch die Illoku-
tion abgedeckt werden: Faktoren des Gültigkeitsanspruchs, der dem proposi-
tionalen Inhalt vom Sprecher zugemessen wird (ob der Inhalt einer Propo-
sition als vorhanden oder möglich, als notwendig oder möglich, als wün-
schenswert oder existent anzusetzen ist). Ernst Ulrich Große hat hier mit seinem
Begriff der „metapropositionalen Basis" eine überzeugende Ergänzung vor-
geschlagen: Zwischen den „performativen Modus" und die Proposition setzt
er sie als Steuerungsniveau, das den modalen Status der Proposition b e s t i m m t 4 ,

4 „Metapropositionale Basis" heißt hier also: vom Sprecher geschaffene Verstehens-


basis, die dem Kommunikationsgeschehen zugrundeliegen soll. Sie signalisiert dem
Hörer, als was (z.B. „wirklich", „möglich", „gewollt") er das, worüber der Sprecher
spricht, verstehen soll. „Metapropositional" steht zu „propositional" im gleichen
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wobei er vier Alternativen unterscheidet: ASS = assertorische Behauptung,


SUBJ = Meinungskundgabe, V O L = Wunschäußerung u n d OBL = verpflichten-
de Ä u ß e r u n g 5 .
Ein Satz „Wir dürften in Quiberon sein" würde demnach auf folgendes
Strukturschema zurückzuführen sein:

performat. Modus metaprop. Basis Proposition

ICH INT TQ 5 a SUBJ X

Ich teile mit (ohne Appell) ich glaube Wir sind in Quiberon

Für G r o ß e ist das zunächst ein Beschreibungsmodell; ich m ö c h t e es allerdings


eher als das Modell einer kommunikativen Tiefenstruktur verstehen, die zu
zahlreichen Textalternativen transformiert werden kann ( „ I c h glaube/meine/
vermute, daß wir in Quiberon sind"; „Wir sind wohl/wahrscheinlich/allem An-
schein nach/vermutlich in Quiberon"; „Ich sage dir, wir sind in Q u i b e r o n " usw.) 6 .
Der Zusatzaspekt der metapropositionalen Basis m a c h t es möglich, eine
Reihe von T e x t m e r k m a l e n (manche I n t e r j e k t i o n e n u n d Adverbien usw.) zu be-
rücksichtigen, die in sprechakttheoretisch orientierten Textbeschreibungen ver-
legen übergangen w u r d e n , weil sie nicht eindeutig zuzuordnen waren. Es ist eine
Ebene, die bisher weder durch die Proposition (die logische Relationen aus-
drückt) noch durch die Illokution (die die Redeabsicht, nicht aber den Modal-
status des Inhalts erfaßt) abgedeckt waren.

Verhältnis wie „metasprachlich" zu „sprachlich". „Metapropositional" bedeutet


jenseits der Proposition, auf einem völlig anderen Niveau . . . " (E. U. Große, Text-
typen. Linguistik gegenwärtiger Kommunikationsakte [preprint], Stuttgart 1974.
p. 93).
5 Vgl. Große, op. cit., p. 56.
5a TQ (= tel quel) signalisiert in einer Äußerung, daß sie keine appellative Funktion
(A) hat.
6 „Die metapropositionale Basis kann in geäußerten Sätzen oder Satzfolgen auf die ver-
schiedenste Weise ausgedrückt sein: als Präsatz (ich glaube/vermute/meine, wir sind
in Quiberon; möglich, daß wir in Quiberon sind);
als Insatz oder Parenthese (wir sind, glaube ich, in Quiberon; wir sind meiner Mei-
nung nach in Quiberon; wie sind möglicherweise/wahrscheinlich/vielleicht in Qui-
beron);
als Postsatz (wir sind in Quiberon, glaube ich);
durch spezielle modale Verben und Verbformen (wir könnten, dürften jetzt in Qui-
beron sein, wir müßten nun in Quiberon sein; beide Sätze werden hier als Vermu-
tungen angesehen, d.h. als durch Kontext und Situation monosemiert)." (cf. Große,
op. cit., p. 56).
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Ich kann allerdings nicht ganz damit einverstanden sein, wie Große diesen
Aspekt in ein umfassendes Beschreibungssystem einbaut. Die durch die meta-
propositionale Basis modalisierte Proposition koppelt er an drei (alternative)
performative M o d i 7 , den bewirkenden (CAUS), den demonstrativen (DEM)
und den eine Absicht kundgebenden (INT). Wenn DEM = „durch ein Mittel
zeigen" die Kundgabe eines Sachverhalts (im Unterschied zu der Kundgabe
einer Absicht) meint, dann sind die drei Modi gleichzusetzen mit den her-
kömmlich als Bewirken, Mitteilen und Auffordern benannten Sprachhand-
lungen. Meint DEM dagegen so etwas wie „Selbstdarstellung", dann enthält
das soviel „Absicht", daß es nicht in Opposition zu INT stehen dürfte. Ich
ziehe deshalb die herkömmliche Einteilung vor, stimme allerdings mit Große
überein in der Unterordnung der „Frage unter die Aufforderungen" 8 (eine
Frage ist die Aufforderung zur sprachlichen Handlung, nämlich der Mittei-
lung). Die drei Grundformen sprachlichen Agierens (MITT; AUFF; CAUS) 9
verhalten sich nun unterschiedlich in ihrer Verknüpfung mit der Proposition.
Im Bewirkungsakt CAUS kann es keine metapropositionale Differenzierung
geben: man bewirkt etwas oder bewirkt es nicht. Die Olympischen Spiele sind
mit der Eröffnungsformel nicht eventuell oder hoffentlich oder notwendiger-
weise, sondern eben nur „eröffnet"; das ist nicht von Vorbehalten, Einschrän-
kungen, Wünschen u. dgl. gesteuert; das Glücken oder Mißglücken hängt nicht
von Intentionen des Sprechers ab, sondern einzig vom Konsensus der Be-
troffenen mit der Aktion und ihrem Effekt, also von der Stabilität des
Strukturzusammenhangs, in dem durch CAUS eine Veränderung vorgenom-
men wird. Demnach bleibt hier die Stelle der Metaproposition leer. 10
Ähnliches gilt für Aufforderungen. Da sie direkt den Kommunikations-
partner und nicht ein tertium betreffen (Objekt der Performation und Sub-
jekt der Proposition sind referenzidentisch), wäre eine Differenzierung nach
Gültigkeitsmodalitäten unsinnig. Das DU steht ja nicht in Frage, sondern ist
persönlich anwesend, essentieller Bestandteil der Redesituation und als sol-
cher nicht Modalitäten in Hinblick auf Wünschbarkeit oder Denkbarkeit unter-
worfen. Auch die Großesche Unterscheidung von VOL und OBL trifft nicht
7 Vgl. Große, op. cit., p. 54 s.
8 Dies im Unterschied zu Maas, der die drei prinzipiellen Sprachhandlungen Auffordern,
Mitteilen, Fragen (unter Vernachlässigung von Bewirken) auffuhrt und in ein hand-
lungstheoretisches Gesamtkonzept integrieren will (cf. U. Maas, Sprachliches Handeln,
in: Funkkolleg Sprache II, Frankfurt a. M. 1973, p. 144).
9 Man müßte evtl. als vierten Modus noch die phatische Sprechhaltung hinzunehmen, die
nichts anderes beabsichtigt als auf sich als Kommunikationspartner aufmerk-
sam zu machen oder eine Sprachhandlung zu eröffnen (z.B. „Hallo" usw.).
10 Zu diskutieren wäre evtl., ob CAUS eine Metaproposition nach sich ziehen kann, die
auf [+ASS; -SUBJ] beschränkt sein müßte, etwa: Ich bewirke, daß feststeht, daß . . .
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zu; ob eine Aufforderung als Wunsch oder als Verpflichtung zu verstehen ist,
hängt nicht von der Intention, sondern vom sozialen Status des Sprechers im
Vergleich zum sozialen Status des Hörers in der Kommunikationssituation ab.
Natürlich sind je nach Verpflichtungsgrad unterschiedliche sprachliche Signa-
le einsetzbar („Komm bitte" / „Du hast zu kommen"), doch sind diese nicht
Ausdruck einer unterschiedlichen Metaproposition, sondern Ausfluß der spezi-
fischen Verhältnisse auf der Beziehungsebene. Darüber wird unten noch zu
lesen sein. Auch hier also bleibt die Metaproposition leer.
Anders bei MITT: Behauptungen oder Feststellungen unterscheiden sich sehr
wohl von Willenskundgebungen und müssen metapropositional getrennt werden
in ASS und VOL. Dagegen sind subjektive Meinungsäußerungen und „objek-
tive" Behauptungen nicht substantiell, sondern nur im Grad der persönlichen
Überzeugtheit voneinander verschieden, so daß sie nur durch ein zusätzliches
nicht aber alternatives Merkmal zu ASS zu kennzeichnen sind. Als (vorläufi-
ges) Schema ergibt sich also

Perform. Modus Metapropos.11 Propos.

+MITT; 1 ?.. +ASS;+SUBJ;.. . X. . . Meinungsäußerung


+MITT; . . . +ASS;-SUBJ;.. . X. . . Feststellung
+MITT;. . . +VOL; 13 X. . . Willensäußerung

+AUFF;. . . - DU . . . Aufforderung

+CAUS - X gilt als Bewirkungsakt


Y

Die einzelnen Reihen sind als kommunikative Tiefenstrukturen zu verstehen,


die je nach Kombination in unterschiedliche Oberflächenstrukturen überführt
werden; diese können im Explikationsgrad variieren. So läßt sich auch [ICH
+MITT;. . . +ASS;+SUBJ;... X . . . ] ein vollexpliziter Satz („Ich sage dir,
Peter kommt, soviel ich weiß") ebenso wie ein impliziter ( , f e t e r kommt") ab-

11 Ich vermeide hinfort den Ausdruck „Basis" im Zusammenhang mit Metaillokution


und Metaproposition, um nicht Anlaß zu Verwechslungen mit der „Basis" als dem
Arsenal eines Generierungsapparates zu geben: diese besteht aus den Komponenten
von Metaillokution, performativen Modus, Metaproposition und Proposition sowie
dem „Lexikon" der zur Verfügung stehenden jeweiligen Indizes.
12 Diese Stelle ist für evtl. fakultative Zusatzmerkmale offengehalten.
13 Da ich nicht sicher bin, ob VOL und ASS den Gesamtbestand denkbarer Metaproposi-
tionen ausmacht, übernehme ich diese Bezeichnungen. Wenn es nur die beiden gäbe,
würde [ + ASS] ausreichen.
192 P. Kern

leiten, bei dem performativer Modus und Metaproposition transformationell


eliminiert werden, wenn u n d weil der situative K o n t e x t die entspre-
chenden I n f o r m a t i o n e n bereithält. Dazwischen gibt es halb-explizite F o r m e n
(Eliminierung der Metaproposition: „Ich sage Dir, Peter k o m m t " ; Eliminie-
rung des perf. Modus: „Ich glaube, Peter k o m m t " ) .
Zur vollständigen Analyse einer k o n k r e t e n Äußerung reicht dieses System
jedoch immer noch nicht aus. Es erfaßt nicht (oder nur unzureichend in der
Metaproposition) die S t i m m u n g des Sprechers, seine Haltung dem Partner
gegenüber im Augenblick des Sprechens, Bedingungen, die von der Beziehungs-
ebene her einen T e x t deutlich beeinflussen. Die Äußerungen „ K o m m j e t z t " ,
„Kommt jetzt aber", „Komm jetzt aber wirklich", „Kommst du endlich",
„Kommst d u nun endlich", „Jetzt k o m m doch endlich", „ K o m m s t du? !" sind
alle A u f f o r d e r u n g e n ; sie unterscheiden sich hinsichtlich eines Zusatzfaktors,
der die aktuelle Beziehung, in der die Partner zueinander stehen, einbringt
und in Wortwahl, Wortstellung, Betonung u n d einzelnen Wörtern die Stim-
m u n g des Sprechers wiedergibt: Ärger, Resignation, Ironie u. ä. Gewiß sind
derartige affektive Modifikationen keineswegs auf die Sprache beschränkt,
zeigen sich in erster Linie durch Mimik u n d Gestik, wirken sich aber eben
auch im sprachlichen und parasprachlichen Bereich aus u n d sind zumindest
teilweise vom Linguisten fixierbar. Das „endlich" in „Kommst du nun endlich"
deutet beispielsweise bei entsprechender Betonung auf eine ärgerliche, zu-
mindest ungeduldige Einstellung des Sprechers hin; ein „wirklich" würde
Ironie signalisieren usw. Der illokutionäre A k t als solcher wird hier also modi-
fiziert. Der Sprecher setzt Signale, wie seine Ä u ß e r u n g (nicht der Inhalt) ge-
wertet werden soll. In Analogie zu Großes Modalbewertungsebene für die
Proposition m ö c h t e ich von Metaillokution sprechen, weil hier eine Ebene
jenseits der Illokution ( u n t e r der ich performativen Modus und Metapropo-
sition verstehe) zu bezeichnen ist.
Diesen weitgehend affektiven Bereich kann man natürlich nicht ohne aus-
führliche psycholinguistische Erhebungen angemessen differenzieren. Für
einen zunächst ganz groben Raster lassen sich aber sicher vorläufige Anhalts-
p u n k t e geben: In der Metaillokution wird der Anspruch festgelegt, den ein
Sprecher erhebt, als Person und Sprecher mit dem Wie und Was seiner
Ä u ß e r u n g beim Hörer a n z u k o m m e n . Umschreibungen dieses recht kompli-
zierten Sachverhalts müßten also e n t h a l t e n : einen A k t a n t e n (der identisch ist
mit dem des performativen Modus), den Anspruch u n d seine Differenzierung,
das Prädikat und eine Überleitung zur P e r f o r m a t i o n . Also etwa:
Ich beanspruche weder als Sprecher noch für das Gesprochene, wohl aber
als Person ernstgenommen zu werden, w e n n . . . = humoristische Äußerung.
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Ich beanspruche als Sprecher, nicht aber für das Gesprochene ernstgenom-
men zu werden, wenn . . . = ironische Äußerung.
Ich beanspruche als Sprecher und mit meiner Ä u ß e r u n g ernstgenommen zu
werden, wenn . . . = neutral-ernste Ä u ß e r u n g
Ich beanspruche als Sprecher ernster g e n o m m e n zu werden als bisher,
wenn . . . = (in sich noch graduierbar) ärgerliche Äußerung.
Ich beanspruche ernstgenommen zu werden, ohne es wirklich zu erwarten,
wenn . . . = resignative Äußerung usw. 1 4
Als viertes S t r a t u m bringt die Metaillokution sprachliche u n d parasprach-
liche Elemente in die Sprachhandlung ein, die ohne sie bei der Analyse unbe-
rücksichtigt bleiben müßten. Poly- und monoverbale Interjektionen ( „ . . . -
was soll's - . . . " ; „ . . . aber wirklich . . . " ; „ . . . doch . . . " ; „ . . . endlich . . . "
usw.), bestimmte Wortstellungstypen, Betonungsdifferenzierungen gehören
ebenso hierher, wie Durchbrechungen der Grammatikalität ( A n a k o l u t h e usw.).
Vor allem aber sind auf diese Weise auch viele F o r m e n indirekten R e d e n s 1 5
näher zu bestimmen, die aufgrund der besonderen Verhältnisse in der Be-
ziehungsebene gewählt werden. Wenn etwa eine deutlich als B e h a u p t u n g zu
verstehende Ä u ß e r u n g mit „Ich k ö n n t e mir vorstellen, daß . . . " eingeleitet
wird, ist das die Folge der besonderen Situation u n d S t i m m u n g des Spre-
chenden, der sich in der unterlegenen Position in einem k o m p l e m e n t ä r e n
Kommunikationsverhältnis fühlt und deshalb nur bedingte Verbindlich-
keit seiner Äußerung beansprucht.
Es m u ß einer eigenen Arbeit vorbehalten bleiben, dieses System ausführ-
licher darzustellen und die mannigfachen Probleme anzureißen, die sich dar-
aus ergeben, Fragen der Systematisierbarkeit von A f f e k t e n , der Segmentier-
barkeit von Sprachmitteln, der Stringenz der Z u o r d n u n g e n von Haltung u n d
Mitteln u. dgl. Für die vorliegende Untersuchung ist j e d o c h nur wichtig, auf
diese Ebene als Steuerungsniveau für Äußerungen hinzuweisen, weil unsere
Absicht ist, z. B. für das Ritual nachzuweisen, daß die metaillokutionären Mög-
lichkeiten aufs äußerste, nämlich auf eine, restringiert sind.

14 An eine Formalisierung dieser Umschreibungen und des ganzen Gcnerierungssystems,


die verdecken könnte, daß es sich um einen vorläufigen Vorschlag handelt, möchte
ich mich hier noch nicht wagen.
15 Bei Wunderlich sind Sprechakte dann direkt, wenn grammatischer mit performativem
Modus zusammenfällt. Dabei wurde nicht weiter berücksichtigt, daß viele Signale
auch einen „indirekten" Sprechakt unverwechselbar machen können, die bei einem
generativen Ansatz ihren sehr unterschiedlichen Ort zugewiesen b e k o m m e n (cf. dazu
u.a. D. Wunderlich, Sprechakte, In: Funkkolleg Sprache, Studienbegleitbrief 9, Wein-
h e i m - B a s e l 1972, p. 5 9 ss.).
194 P. Kern

Dieses vierstufige System [Metaillokution [performativer Modus [Metapro-


position [Proposition ] ] ] ] stellt die Basis zur Erzeugung kommunikativer Tie-
fenstrukturen dar. Alle vier Strata können unmittelbar und jedes für sich an
die Oberfläche transformiert werden und sind dann mit entsprechendem lexi-
kalischen und syntaktischen Konstituenten dort vertreten (z.B. „Ich meine es
ernst, wenn ich sage, ich glaube, daß Peter kommt"), was einen direkten
Sprechakt im Sinne Wunderlichs nahekäme. Im Transformationsprozeß kön-
nen die Ebenen aber auch ineinander integriert oder bei entsprechenden situa-
tiven Voraussetzungen sogar teilweise eliminiert werden („Peter kommt"
kann auf die gleiche Tiefenstruktur wie der obige Satz zurückführbar sein,
wenn der Kontext — Mimik, Gestik, vorausgegangene Sprachhandlungen usw. —
die Merkmale Ernst, MITT, VOL mitliefert). Die Wortwahl ist in der Tie-
fenstruktur noch nicht festgelegt. Selbst die Proposition enthält nur das se-
mantisch-sprachlogische Gerüst der Aussage, etwa im Sinne der semantischen
Satzrepräsentation, wie sie die generative Semantik sieht. Lexikalisierungen
treten erst im Verlauf des Transformationsprozesses auf, d.h. unter Berück-
sichtigung der in den einzelnen Strata eingebrachten Komponenten. Die For-
mel „X gilt als Y" (Proposition von CAUS-Akten) z.B. ist nur als Kern einer
Proposition zu verstehen, die im Zusammenwirken der semantischen Merk-
male von X und Y, von deiktischen Qualifikatoren an der Oberfläche ver-
schiedenartigste Ausdrucksmöglichkeiten hat („Der Angeklagte ist verurteilt";
„X ist Dozent"; „X heißt Peter"). Entsprechendes gilt für die anderen Strata.Vor
allem sind auch gegenseitige Integrationen möglich. In „Zum Donnerwetter:
ich sage es zum letzten Mal: komm jetzt" ist „zum letzten Mal" sowohl mo-
dale Spezifikation von [+AUFF], als auch Ausfluß der Metaillokution [Ärger].
„sage" ist (nur) im Zusammenhang mit „kommst" als Explikation von
[+AUFF] zu verstehen usw.
Dieses Schema scheint die eigentliche Errungenschaft der Sprechakttheorie
unberücksichtigt zu lassen, nämlich die Differenzierung und die Regularitäten
des Gelingens und Mißlingens derselben. In der Euphorie, mit der die Lingui-
stik die Thesen Austins und Searles für sich in Anspruch nahm, wurde jedoch
vielfach nicht beachtet, daß sich die Theorie weit mehr für die logischen und
mentalen Voraussetzungen als für die eigentlichen sprachlichen Prozesse bei
der Formulierung von Sprechakten interessierte. Für den zu äußernden Text
ist zunächst nicht die Tatsache von Gelingen oder Mißlingen im logischen Sinn
bedeutungsvoll. Ich kann eine als solche erkennbare Drohungsäußerung ma-
chen, ohne daß der Sprechakt „Drohung" gelingt und kann umgekehrt eine
nicht als „Drohung" gemeinte Äußerung so formulieren, daß sie als solche
aufgefaßt wird, weil sie die sprachlichen Voraussetzungen erfüllt. Eine Dro-
hung ist die Mitteilung an ein DU über zukünftige für das DU negative Ak-
Textreproduktionen 195

tionen von ICH, wobei ICH zu erkennen gibt, daß er für sich eine dominieren-
de Position im gegenwärtigen Kommunikationssystem beansprucht. In unser
Schema übertragen: der performative Modus MITT wird mit der Metaproposi-
tion VOL (= zukünftige Aktion von ICH) und der Proposition mit der Struk-
tur ICH TUN DIR Z [+negativ] gekoppelt. Der soziale Dominanzanspruch
findet als Element der Beziehungsebene in einer entsprechenden Metailloku-
tion (je nach Grad: Ernst, Ärger, Zorn u. dgl.) seinen Niederschlag.
Nur dann und immer dann, wenn all diese Sprachhandlungsfaktoren
bei einer Äußerung explizit oder implizit vorhanden sind, kann sie den An-
spruch, kommunikativ als „Drohung" zu wirken, erfüllen. In „Ich kann dir
nur sagen, daß du noch was von mir erleben wirst" ist die Metaillokution durch
„nur", „kann" und durch „noch", der performative Modus durch „sagen", die
Metaproposition durch „wirst" und die Proposition durch „erleben" explizit
vertreten und daher unmißverständlich als Drohung verstehen. Bei entspre-
chendem Kontext und in entsprechender Intonation kann „warte nur" auch
eine „Drohung" sein, ist aber der geringeren Explizitheit halber (= zahlreiche
Eleminierungen im Transformationsprozeß) sehr viel mißverständlicher.16
Die Sprechakte sind nach unserem Konzept das Ergebnis einer spezifischen
Kombination von beteiligten Sprachhandlungsfaktoren auf verschiedenen Ebe-
nen. In der stark am Vorhandensein performativer Verben17 orientierten Inter-
pretation Searles wird diese Tatsache verwischt, da der Sprechakt als kompak-
te, statische Größe angesetzt ist. Der hier angebotene Vorschlag will die
Sprechakttheorie um einen Erzeugungsmechanismus ergänzen, der dem dyna-
mischen Aspekt von Sprachhandlungen Rechnung trägt und damit gleichzeitig
eine größere Differenzierung erlaubt.
Nach Searle würde beispielsweise „Zitieren" als ein Sprechakt auszubrin-
gen sein, der zwar hinsichtlich Mißlingen und Gelingen, also nach seinen logischen
Voraussetzungen, nicht nach seiner sprachhandlungstheoretischen Struktur unter-
sucht wird, deren Funktion die sprachliche Form ist.

16 Die Metaillokution kann eine Drohung nur verstärken, differenzieren oder abschwä-
chen, nicht aufheben. Eine „ironische Drohung" ist eben keine: Der Sprecher macht
durch die Metaillokution deutlich, daß die Bemerkung zwar der Form, nicht aber dem
Inhalt nach eine Drohung ist. Umgekehrt können der Form nach „neutrale" Äuße-
rungen auf eine Tiefenstruktur zurückgehen, die alle Merkmale der „Drohung" ent-
hält: diese sind dann nur mehr oder weniger absichtlich während des Transformations-
prozesses verwischt worden.
17 Vgl. u.a. Wunderlich, op. cit., p. 67
196 P. Kern

Das Zitat

Wenn ich zitiere („Hebbels Meister Anton sagte schon ,Ich verstehe die Welt
nicht mehr' " oder „Ich hab' es getragen sieben Jahr"), äußere ich einen vor-
formulierten Text, differenziere dabei aber — mehr oder weniger deutlich —
zwischen mir als Sprecher und dem Autor des Textes. 18 Das besagt, daß die
beiden Ichs verschiedenen Ebenen der Sprachhandlungsbasis angehören: das
Sprecher-Ich der Illokution (und Metaillokution), ein Zitat-Ich der Proposi-
tion. 19
Diese ist ja nicht prinzipiell an den ICH-DU-JETZT-HIER-Status der Illo-
kution gebunden, deshalb ist es (im Unterschied zum Sprachritual) gleichgül-
tig, welche Personalform und sonstige deiktischen Mittel im Zitat enthalten
sind, sie beziehen sich prinzipiell nicht auf die Sprechsituation. Im Beispiel
„ . . . und dann sagte Goethe: ,Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind
in der Mitten' " ist klar, daß sich die Seitenkennzeichnung auf Goethe und
nicht auf den Sprecher des Satzes bezieht. Komplizierter liegt der Fall, wenn
der Sprecher sich in einer Situation befindet, die derjenigen Goethes ähnelt,
und er deshalb, sich des Satzes erinnernd, zitiert. Hier handelt es sich um einen
Annäherungs- oder Vergleichsprozeß, eine Übernahme der Kommunikations-
konstellation des Zitierten (freilich nicht um eine Identifikation). Die sprach-
handlungsmäßige Tiefenstruktur wäre etwa zu umschreiben: ,Ich adaptiere
den folgenden Satz Goethes für meine eigene Situation, wenn ich sage . . . ' .
Es ist also ein Unterschied zu machen zwischen zwei Möglichkeiten des
Zitierens, die ich Apostrophierung und Adaption nennen will, die auch, aber
nicht nur, durch das Merkmal [+_ ADAPT] auseinandergehalten sind.
Die Apostrophierung ist unproblematisch: der Sprecher teilt mit, daß eine
(ihm bekannte oder unbekannte) Person X den folgenden Text gesprochen
habe. Eine persönliche Stellungnahme muß damit nicht verbunden sein. Die
Proposition der Sprachhandlung umfaßt folglich tiefenstrukturell den Zitat-
autor und Zitattext; dieser ist also nur die zweite Ergänzung zu einem zweiwerti-
gen verbum dicendi als Prädikat der Proposition.

X sagen
(Zitattext)
18 Im Selbstzitat ist Sprecher-Ich und Autor-Ich zwar personal-, nicht aber referenziden-
tisch.
19 Entsprechend natürlich andere deiktischen Elemente. Vgl. hierzu u.a. D. Wunderlich,
Pragmatik, Sprechsituation, Deixis, Zeitschrift für Literaturwissenschaft und
Linguistik 1 (1971), 1 5 3 - 9 0 . und des., Redeerwähnung, In: Funkkolleg Sprache,
Studienbegleitbrief 9, Weinheim-Basel 1972, p. 89 ss.
Textreproduktionen 197

Da der Aktant der semantischen Satzrepräsentation X (und nicht ICH) ist,


wird allein durch die Struktur der Proposition die Nichtidentität von Zitat-Ich
und Sprecher-Ich gewährleistet. Die Verantwortung des Sprechers bezieht sich
nur darauf, ob X die Äußerung auch tatsächlich (so) getan hat, nicht auf den
Inhalt des Textes. Nur in Ausnahmefällen kann im Verlauf des Transformations-
prozesses X eliminiert werden, etwa weil X (z.B. bei Sprichwörtern) nicht be-
nennbar ist. Hier wird häufig aber durch ein Distanzierungssignal [-ADAPT]
gekennzeichnet, daß es sich um keine Adaption handelt („einmal ist keinmal'
- a b e r . . . ". 20
In der Adaption fällt dem Sprecher ein (oder auf), daß die Situation, in der er
sich befindet, in wesentlichen Punkten der Situation sehr ähnlich ist, in der sich
der Zitatautor befand. Er adaptiert den Text, indem er die Referenzidentität
mindestens eines Textelementes mit seiner eigenen Situation suggeriert. In
„Ich verstehe die Welt nicht mehr" geschieht diese Suggestion über das Ich, in
„Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten" über die lokal-
deiktischen Elemente, in „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan" über die
auf die Sprechersituation passenden semantischen Merkmale von „Schuldig-
keit". Das ist freilich nur dann möglich, wenn der Zitattext nicht nur als Ob-
jekt einer propositionalen Satzrepräsentation fungiert. In den angeführten
Zitaten füllt er beispielsweise die ganze Proposition aus, da das Sprecher-Ich
auf das Zitat-Ich projiziert wurde, das Subjektfunktion in der Proposition er-
füllt. Diese Projizierung kann freilich auch auf Konstituenten der Metapropo-
sition oder des performativen Modus erfolgen (vgl. „Wahrlich, ich sage e u c h . . . " ,
wo unabhängig vom folgenden propositionalen Inhalt die im Zitattext artiku-
lierte Leistung des performativen Stratums adaptiert wird), wenn gerade sie
die Vergleichbarkeit von Sprecher- und Zitatsituation nahelegen. Dieser Fall
tritt allerdings erheblich seltener ein; Situationsgemeinsamkeiten sind natur-
gemäß meist propositionaler und nicht illokutionärer Natur, da die Illokution
ausschließlich das Ich und seine Sprachhandlungsintentionen betrifft und
demzufolge nur ein verhältnismäßig beschränktes Vergleichsfeld für eine Adap-
tion zur Verfügung steht.
In diesem Zusammenhang ist also ein Unterschied zu machen, ob die
Adaption über ein propositionales Element erfolgt und dann eventuell meta-
propositionale und performative Signale vom Zitattext mehr oder weniger
stimmig zusätzlich eingebracht werden oder ob gerade illokutionäre Bestand-
teile des Zitattextes die Adaption veranlaßten. Soweit ich sehe, können metail-

20 [-ADAPT] ist fakultativ, wird aber meist expliziert: bereits Wendungen wie „Wenn
Goethe sagt: ,Edel sei der Mensch'..." oder „Goethe sagt auch: ,Edel . . . ' " ent-
halten Distanzierungssignale.
198 P. Kern

lokutionäre Faktoren nicht solche Primärauslöser von Adaptionen sein, son-


dern eben nur vom - aus anderen Gründen übernommenen - Zitattext mitge-
liefert werden und dementsprechend ihre ursprüngliche Funktion nicht ge-
nuin erfüllen. Wird ein Zitat als solches geäußert, dann setzt das auf jeden
Fall eine gewisse Distanzhaltung voraus, weil sich der Sprecher bewußt ist,
daß seine Äußerung nicht in jedem Punkt referentiell seiner Situation adäquat
ist. Eine solche prinzipielle Distanzhaltung läßt keine Auswahl aus dem Re-
pertoire metaillokutionärer Haltungen zu, ist vielmehr selbst ein metailloku-
tionärer Faktor. Das Adaptionsmerkmal [ + A D A P T ] ist demnach als Teil
dieses obersten Stratums anzusetzen.
Für die Adaption ergibt sich also folgendes Schema:

Metaillokution Peif. Metaprop. Prop.

[. . . + ADAPT

Zitattext

(a und b stehen für beliebige nichtzitierte Teile der Sprachhandlung, in die der
Zitattext eingebettet sein kann)
Der Zitatautor X ist bei der Adaption nicht von Bedeutung, er kann, m u ß
aber nicht genannt werden. Er gehört nicht wie in der Apostrophierung
in die Proposition. Der Sprecher übernimmt für den Text selbst die Verantwor-
tung und nicht der nur die Behauptung, X habe ihn gesagt.
In einem Satz „Da kann ich nur mit Schiller sagen: ,von der Stirne heiß'
in dem die ganze Sprechhandlung expliziert ist, wird deutlich, daß die Nen-
nung des Zitatautors nicht Teil der Proposition sein kann. Vielmehr ist ,mit
Schiller' ein Hinweis, daß hier keine selbstformulierte Äußerung vorliegt,
gleichwohl aber deren Inhalt in Anspruch genommen wird. Es handelt sich
also um eine der möglichen Aktualisierungen von [ +ADAPT] und signalisiert
jene spezifische Mischung von Identifikation und Distanz, die die metailloku-
tionäre Eigentümlichkeit von Adaptionen ist. Dieses Merkmal allein bewirkt die
Unterscheidung von Nicht-Zitaten. Wenn es nicht deutlich gekennzeichnet
wird, besteht die Gefahr, daß man den Sprecher mit seiner Äußerung voll
identifiziert und ihn — je nach Form und Inhalt des Zitates und dem Vor-

21 Weil er die ganze Proposition im Sinne einer semantischen Satziepräsentation ein-


nimmt, kann der Zitattext auch (leicht) verändert werden im Sinne der Aussage- und
Adaptionsabsicht des Sprechers. Er wird fur den Inhalt, nicht für die Form des Zitates
verantwortlich gemacht. Im Gegensatz dazu ist in der Apostrophierung die Form weit
mehr Gegenstand einer etwaigen Kontrolle, weil die Stimmigkeit der Proposition, in
der Zitattext die invariable Größe Y eines zweiwertigen Prädikats ist, in Frage steht.
Textreproduktionen 199

wissen des Hörers — des Plagiats, der Inoriginalität oder der Abwegigkeit be-
zichtigt. 22
Daneben kann es auch zu Verwechslungen von Apostrophierung und
Adaption kommen, wenn nämlich im Verlauf des Transformationsprozesses
die Unterschiede der Tiefenstrukturen verschwinden. „Rilke sagt: ,Du mußt
dein Leben ändern' " könnte — aus dem Kontext gerissen — Adaption sein mit
der Tiefenstruktur:

[. . . + ADAPT [+AUFF [
mit Rilke ich fordere auf Du m u ß t . . .
oder Apostrophierung mit der Tiefenstruktur
[...-ADAPT [+MITT [+ASS;-SUB [Xsagt^^]]]]
ich sage es ist der Fall: Rilke sagt: Du . . .

Daß es normalerweise nicht zu diesem Zusammenfall kommt, ist die Folge


von Markierungsredundanzen:
1. Adaption kann nur ein Zitattext sein, dessen deiktische Mittel überhaupt
mit der Situation des Sprechers vereinbar sind, also Personalpronomina der
ersten und zweiten Person und/oder entsprechende Lokal-/Temporalhinweise:
„Goethe sagt: Über allen Gipfeln ist Ruh" kann nur dann eine Adaption sein,
wenn eine Affinität der Sprechsituation zu „Gipfeln" oder „Ruh" (aus Topika-
lisierungsgründen vermutlich nur „Ruh") folgt.
2. Unsere Sprache hält noch weitere, oft deutlichere Explikationen für
[+ ADAPT] bereit als die bloße Autorennennung. In der Mehrzahl der Fälle
enthalten sie ein deutliches Vergleichs-, Annäherungs- oder Identifikations-
merkmal konjunktionaler, präpositionaler oder verbaler Art: „Wie Goethe
sagt: „Schon Goethe sagt: „mit Goethe: „Ich schließe
mich Goethe an:
3. Merkmal [ - ADAPT] in der Apostrophierung ist häufig im Kontext
markiert, so daß sich das Zitat nicht als Adaptierung auffassen läßt: „Goethe
sagt: aber. . . "; „Wenn Goethe s a g t ^ ^ , dann . . . „Obwohl Goethe
s a g t : ^ \ , . . . " usw.

22 „Ich verstehe die Welt nicht mehr" kann ohne weiteres als spontane Äußerung ver-
standen werden, wenn der Sprecher nicht mindestens durch den Tonfall seine Adap-
tionsabsicht deutlich macht. Ein nicht als Adaption gekennzeichnetes „Prophete
r e c h t s . . . " dürfte beim Nicht-Kenner ein Kopfschütteln hervorrufen. Und wenn
Linguisten immer mit dem gleichen Beispielsatz „Der Teufel holt den Soldaten"
bzw. „Colorless green ideas sleep furiously" arbeiten, ohne den Ursprung der Bier-
wisch oder Chomsky anzugeben, geraten sie mit Recht in den Geruch des Nach-
schwätzens.
200 P. Kern

4. Wenn der Z i t a t t e x t im Stil oder Inhalt von der Verhaltensnorm des Spre-
chers abweicht, ist er allein dadurch als Zitat kenntlich. Wenn kein A u t o r ge-
nannt wird oder kein - A D A P T gesetzt ist, k o m m t nur Adaption in Frage.
Nur in den Fällen, w o keine dieser Markierungen eingesetzt ist u n d d e n n o c h
der Zitatautor genannt wird, bleibt es unsicher, ob Adaption u n d Apostro-
phierung vorliegt. Wo dies nicht die Folge sprachlicher Ungeschicklichkeit ist,
dient es der manipulatorischen und apologetischen Verschleierung. J e m a n d
will den Eindruck erwecken (oder hat nichts dagegen, w e n n der Eindruck ent-
steht), er identifiziere sich mit einem Z i t a t ; wenn er darauf festgenagelt wird,
kann er sich zurückziehen: er habe ja „nur" zitiert.
Damit sind die V e r w e n d u n g s k o n t e x t e angesprochen, in denen Zitate vor-
k o m m e n . Für die Adaption läßt sich sicherlich sagen, daß sie gebraucht wird,
wenn der Sprecher sich, aus welchen Gründen immer, der A u t o r i t ä t des Zitats
zur Wirkungssteigerung seiner eigenen I n t e n t i o n bedienen will. Diese A u t o r i t ä t
k a n n im Rang u n d Namen des Zitatautors begründet sein, kann aber auch im
Bekanntheitsgrad des Textes (vgl. Sprichwörter, Redensarten usw.) oder in der
besonderen Zustilisierung auf die Sprechsituation, ihrer Treffsicherheit liegen.
Der Sprecher will sich hinter der A u t o r i t ä t verstecken, will seine eigene Mei-
nung intensivieren oder sich selbst (etwa durch seine Belesenheit) in ein be-
sonderes Licht rücken. Als eine vorläufige pauschale Zusammenfassung läßt
sich immerhin andeuten: das Zitat steht in der Adaption statt einer eigenen,
nicht wie in der Apostrophierung als eigene Aussage. Das glaubt der Sprecher
nötig zu haben, weshalb sich als metaillokutionärer Kern herausschält: Ich
beanspruche größere A u f m e r k s a m k e i t als bisher (die anderen usw.), weil ich
mehr zu bieten habe als einen eigenen T e x t , w e n n ich zitierend . . . 2 3
Ein entsprechender metaillokutionärer Kern für Apostrophierungen läßt
sich dagegen nicht ausmachen. Die ihnen innewohnende Distanzhaltung be-
zieht sich ja nur auf den Gegenstand, nicht auf den K o m m u n i k a t i o n s p a r t n e r .
Deshalb sind für diese F o r m des Zitats all jene metaillokutionären Möglich-
keiten anzusetzen, die einem spontanen Mitteilungstext z u k o m m e n . Weitere
Aussagen iassen sich vorläufig darüber nicht machen. Die übliche Erschei-
nungsform für die Apostrophierung bei neutraler Metaillokution ist der Be-
leg, bei metaillokutionärer Abwehrhaltung die Polemik, die als ironische Imita-
tion, als Parodie, als Verriß usw. a u f t r e t e n kann. Unter Distanzhaltung ent-
stehen Apostrophierungen, für die ein Musterbeispiel jenes Gespräch aus
Lessings „Nathan" zwischen Tempelherr und Klosterbruder ist, in dem
letzterer den Zitatcharakter seiner Äußerungen immer wieder b e t o n t
(„ . . . meint der Patriarch"), u m nicht selbst damit identifiziert zu werden.

23 Das kann sehr wohl mit weiteren metaillokutionären Merkmalen ausgestattet sein,
etwa Ironie usw., die dann freilich sekundärer Natur wären.
Textreproduktionen 201

Entsprechend der für die Proposition festgelegten Struktur der Apostro-


phierung (Subjekt: Autor/indikatives verbum dicendi/ Objekt: Zitattext)
und der assertiven Metaproposition kann dieser Zitattyp nur in Sprechakten
auftreten, die den Bestandteil [+ MITT] aufweisen: erläutern, erzählen, berich-
ten, ausrufen usw.
Bei Adaption - entsprechend ihrer alle Strata übergreifenden Struktur -
sind Mitteilungen („Ach, ich bin des Treibens müde") und Aufforderungen
(„Gehe hin und tue desgleichen") möglich, nicht aber Bewirkungen. Ich kann
nicht, indem ich einen Pfarrer „zitiere", jemand die Absolution erteilen oder,
einen Standesbeamten imitierend, jemanden rechtskräftig zu Mann und Frau
erklären. Mir fehlt dafür die entscheidende Voraussetzung, die volle Identifi-
kation mit meiner Rolle, die ich ja gerade durch das Zitieren verhindere. Eben
weil nur eine (assoziative oder explizite) Annäherung, aber gerade keine Gleich-
setzung von Sprecher- und Textsituation vorliegen kann, verhindert das Merk-
mal + ADAPT im ersten Stratum die Abwahl von + CAUS im zweiten. Wo
echtes +CAUS vorliegt, wenn ein Text reproduziert ist, handelt es sich nicht
um Zitat,sondern um Ritual.

Das Ritual

Niemand würde auf die Idee kommen, ein Pfarrer zitiere (seine Vorgänger? ,
die Agenda? ), wenn er in der Abendmahlsfeier spricht: „Und ich als beauftrag-
ter Diener der Kirche verkünde euch hiermit die Vergebung all euerer Sünden".
Dennoch handelt es sich hier (wie in den vergleichbaren, weiter oben angeführ-
ten Beispielen) eindeutig um einen vorfabrizierten Text. Man spricht umgangs-
sprachlich etwa von „gestanzten Formen", die vorgesehen, z.T. sogar vorge-
schrieben sind, wenn die Sprachhandlung gelingen soll. Wie unterscheiden sich
solche Texte von Zitaten und wie von nichtzitierenden Äußerungen?
Beim Zitat ist der vorgegebene Text nur Teil der Sprechhandlung. Die Nicht-
identität von Sprecher- und Zitat-Ich steht fest. Was in der Proposition nicht zur
Sprechersituation paßt, kann deshalb auch in der Adaption nicht stören, so-
lange irgendein tertium comparationis die Reprojektion auf den Sprecher und
seine Situation ermöglicht. Oft lösen gerade Diskrepanzen und Abwegigkeiten
des Zitatinhalts ein Zitat aus, weil sie besonders geeignet sind, jene Aufmerk-
samkeit zu erregen, die wir als metaillokutionäre Voraussetzung für die Adap-
tion festgehalten haben. Die Reaktion: es ist ja nur Zitat, erhellend, interes-
sant, ähnlich zwar, aber eben nur ähnlich, letztlich unverbindlich.
Absolute Verbindlichkeit aber verlangen Texte wie die zitierte Absolutions-
formel. Hier dürfen keine Diskrepanzen referenzieller Art zwischen Illokution
202 P. Kern

und Proposition vorliegen; insbesondere müssen Sprecher-Ich u n d Hörer-Du


mit Text-Ich und -Du nicht nur ähnlich, sondern identisch sein. 2 4 Mit ande-
ren Worten, der T e x t repräsentiert nicht nur die Proposition, sondern die
gesamte Sprachhandlung. Der Absolutionsformel liegt dementsprechend fol-
gende kommunikative Tiefenstruktur zugrunde:

Der Unterschied zu anderen bewirkenden Sprachhandlungen liegt aus-


schließlich darin, daß ein vorgeprägtes Muster vom Sprecher b e w u ß t gewählt
wurde. Also ein T e x t , der schon einmal, u n t e r anderen Personen, an anderem
Ort gesprochen wurde u n d hier zu reaktivieren war.
* Es müssen Bedingungen von einschneidend restriktivem Charakter herr-
schen, wenn dieses Aufstülpen eines fremderzeugten Textes von den K o m m u -
nikationspartnern als angemessene Ausführung einer Sprachhandlung akzep-
tiert werden kann. Solche Bedingungen sind:
1. Es darf nicht auf die Individualität der K o m m u n i k a t i o n s p a r t n e r ankom-
men, d . h . sie dürfen nur in festdefinierten sozialen Rollen, nicht als rollen-
polyvalente Personen a u f t r e t e n , da es nicht möglich ist, private Stellungnah-
men zum T h e m a einzubringen, wenn der T e x t schon feststeht.
2. Das T h e m a m u ß beiden Partnern vertraut sein, damit der Sprecher nicht
die (vermutete) Unkenntnis des Hörers antizipieren und verbal auf sie einge-
hen m u ß .
3. Es m u ß ausgeschaltet sein, daß Räumlichkeit u n d Z e i t p u n k t Einfluß auf
den T e x t n e h m e n k ö n n e n . D.h. Raum und Zeit m u ß entweder absolut irrele-
vant für den Vollzug der Sprachhandlung sein oder aber umgekehrt so fixiert,
daß nur an diesem Ort u n d / o d e r zu diesem Z e i t p u n k t die Sprachhandlung
möglich ist und anderswo/wann nur als Zitat gewertet werden k ö n n t e .

24 Der persönlich anwesende Priester teilt die Absolution nicht nur mit; er erteilt -
bewirkt - sie: „Verkünden" repräsentiert eine transformationeil bedingte Integration
von performativem Modus (+ CAUS) + evtl. Metaprop. ( + ASS; - SUBJ) + Prop.
(X gilt als Y). „Euch" ist sowohl Objekt der Performation als Subjektattribut
der Proposition. „Hiermit" ist Adverbialbestimmung des performativen Modus.
Textreproduktionen 203

Die Redekonstellation m u ß also von allen Zufälligkeiten u n d Individualitä-


ten gereinigt sein, alles m u ß gemäß einer vorgegebenen O r d n u n g — rite — ab-
laufen, die Sprachhandlung m u ß als Ritual vollzogen werden.
U n t e r den Individuen mit ihrer Polyvalenz im Gestalten vom Kommunika-
tionssituationen u n d ihrer Möglichkeit mehrere Rollen schnell hintereinander
oder gleichzeitig einzunehmen, wäre der sprachliche Austausch nach festgeleg-
ten vorgeprägten Mustern nur nach vorheriger Absprache möglich, würde
gerade in der Absprache aber wiederum die freie E n t f a l t u n g reduzieren.
Der Sprecher verzichtet also auf seine individuellen Ausdrucksmöglichkei-
ten, m u ß damit rechnen k ö n n e n , daß alles z u m Verständnis der Situ-
ation notwendige d e m Partner b e k a n n t ist. D. h., er ist auf die Rolle fest-
gelegt, die ihm für den Sprachhandlungsmoment zugewiesen ist ; o f t m a l s ma-
chen das die T e x t e selbst deutlich („als beauftragter Diener der Kirche",
„kraft A m t s " , „als Vertreter der Krone / des Staates / des Volkes" usw.) oder
aber es herrscht durch Institutionalisierung ohnehin Einverständnis über die
Parts der Beteiligten. Man befindet sich ja in der Lage von Schauspielern, die
auf ihren T e x t festgelegt sind; w e n n sie ihn ändern, kann es geschehen, daß
das Stück geschmissen ist: Formfehler bei Gericht, also Ritualbrüche, sind
Rechtsgrundlage für eine Revision.
Ebensowenig wie beim Drama ist es beim Sprachritual auszumachen, ob der
T e x t die Rolle prägt oder u m g e k e h r t ; es ist in vielen Fällen nicht nur Folge
des rollenhaften Sprechens; sondern Indiz dafür: erst wenn u n d weil der Spre-
cher einen b e k a n n t e n T e x t spricht, e r k e n n t der Hörer die Rollenhaftigkeit u n d
damit den Verbindlichkeitsgrad der Sprachhandlung. O f t sind nur Teile eines
K o m m u n i k a t i o n s k o n t i n u u m s auf diesen depersonalisierten Part angewiesen
( V e r h a f t u n g , Eheschließung, Eröffnungsfeierlichkeiten); zwischen textlich
flexible Prä- und Postliminarien schiebt sich ein längerer oder kürzerer rituali-
sierter Teil ein, der anzeigt, daß der Sprecher sich j e t z t , für den Handlungs-
kern der Situation, auf seine Rolle zurückzieht, w ä h r e n d er vorher m e h r oder
weniger als „Mensch" sprach. Und auch der Angesprochene ist ausschließlich
Funktionsträger. Sprachlich zeigt sich das durch depersonalisierende Klassen-
bezeichnungen „Angeklagter, erheben Sie sich", durch Wechsel von der 2. in
die 3. Person „der Angeklagte wird schuldig b e f u n d e n " , durch restriktive
Appositionen „der Angeklagte X", „Ihr, meine Brüder im Glauben" usw.
Ist das Kommunikationsgefüge derart auf die Beteiligung zweier festdefinier-
ter Rollenträger reduziert, die nichts als ihre F u n k t i o n ausüben, dann kann es
keine Vielfalt auf der Beziehungsebene geben: Institutionalisierte Rollen kön-
nen nicht ironisch, ärgerlich, zornig, resigniert usw. miteinander verkehren.
Institutionen stehen zueinander in einem strukturellen, nicht aber gefühls-
204 P. Kern

mäßig orientierten Zusammenhang. Deshalb ist neutraler Ernst die einzige


angemessene Möglichkeit: was gesagt und wie etwas gesagt wird, darf nichts
enthalten, was eine persönliche Stellungnahme beeinhalten könnte; ironi-
scher Tonfall wäre ebenso verfehlt (und würde das Ritual zum Zitat entwer-
ten) wie individuelle gefärbte Adverbien, Interjektionen, Zusätze usw.
Im seltenen Fall, daß derartige persönliche Differenzierungen im Mustertext
selbst vorgesehen sind („Wahrhaft würdig und recht, nützlich und heilsam
i s t ' s . . . in einhelligem Jubel zu preisen . . . ") 25 zeigt sich gerade die Institu-
tionalisierung des Gefühls; es handelt sich um typisches und erwartetes Rollen-
verhalten, das ganz unabhängig davon vorgetragen wird, in welcher Verfassung
der Zelebrant augenblicklich ist, auch unabhängig davon seine Gültigkeit be-
hält. Bezeichnenderweise wird die Freudenformel in obigem Beispiel keineswegs
mit Jubel sondern mit sonorem Ernst vorgetragen und entgegengenommen.
Genausowenig dürfen individuell-subjektive Meinungen vorgesehen sein;
„ich glaube", „vermutlich" usw. können höchstens als institutionalisierte und
damit semantisch entleerte Formeln in Texten enthalten sein, die dafür ge-
dacht sind, daß sie von zahlreichen Individuen reproduziert werden, über de-
ren Glauben und Vermutungen bei der Erstformulierung in Wirklichkeit nichts
bekannt sein konnte. Damit ist auch die Metaproposition um eine wesentliche
Variante nämlich [+ASS; — SUBJ], reduziert.
In diesen Restriktionen (Metaillokution beschränkt auf,neutraler Ernst'; Meta-
propositionen ohne die Alternativmöglichkeit .subjektive Meinungskundgabe' 26 )
sehe ich die entscheidende Voraussetzung dafür, daß festgelegt-vorgeprägte Texte
als vollgültige Sprachhandlungen aktualisiert werden können.
Wenn diese Aussage zutrifft, dann bezeichnet sie präziser die Bedingungen
ritueller Sprachhandlungen als bisherige mehr oder weniger verlegene Hinwei-
se auf Institutionalisierungen usw. Sie gibt immerhin den Ort an und die Wei-
se, wo und wie solche außerthematischen Faktoren wie die SprecherHaltung
Einfluß auf die konkrete Textgestalt nehmen, und daß es tatsächlich nicht nur
performative und propositionelle Restriktionen sind, die die Verwendbarkeit
vorgefertigter Texte in Ritualen ermöglichen.
Diese sind freilich augenfälliger. So dürfen beispielsweise keine Inhalte zu
vermitteln sein, die den Kommunikationspartnern neu wären. Jeder Neuheits-
oder Überraschungseffekt würde Rückfragen, Erläuterungen, Erweiterungen
erfordern, die ein ritualisierter Text nicht erfüllen kann. Es mag vorkommen,

25 Teil des Einleitungszeremoniells in Abendmahlsfeiern nach lutherischem Ritus.


26 Die Metaproposition ist überhaupt nicht (oder nur durch [+ASS; SUBJ], cf. N 10)
vertreten, wenn man sich dem Vorschlag anschließt, daß echte Rituale auf CAUS
beschränkt sind, cf. u. p. 208.
Textreproduktionen 205

daß für den einzelnen Teilnehmer in der Tat das eine oder andere im Ritual
neu ist; gerade dieser Hörer ist aber für die Sprachhandlung nicht vorgesehen,
seine spontane Neugierde wird auch nicht befriedigt, das Ritual nimmt ohne
Rücksicht auf ihn seinen Verlauf. Die Meßliturgie z.B. wird ohne Blick auf den
Partner zelebriert: er ist zwar vorgesehen, aber auch ohne seine Anwesenheit
findet sie statt. Beim Gerichtsurteil ist es ebenso, die Anwesenheit des Ange-
klagten und schon gleich die Anwesenheit weiterer Zuhörer ist nicht für den
Ablauf des Rituals unbedingt erforderlich. Streng genommen bedeutet das,
daß Mitteilungen und Aufforderungen für reproduzierende Sprachhandlungen
nicht in Frage kommen. Mitteilungen sind nur dann welche, wenn ein Infor-
mationstransport von einem Wissenden zu einem Noch-Nicht-Wissenden er-
folgt. Wird etwas schon Bekanntes übermittelt — und bei Reformulierungen
muß der Sprecher immer damit rechnen, daß der Partner den Text kennt — ,
dann kann das allenfalls eine Reaktualisierung bedeuten, den Hinweis auf die
Wichtigkeit für den Moment. Aufforderungen setzen voraus, daß der Spre-
cher glaubt, daß der Angesprochene nicht weiß, was von ihm im Augenblick
verlangt wird und es ohnehin nicht tun würde. Aufforderungen mit vorformu-
lierten Texten können also auch höchstens Aktualisierungsfunktion haben, daß
der Zeitpunkt, nicht aber der Inhalt der Aufforderung signalisiert wird. „Unser
Herr Jesus, in der Nacht da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und
brach's und gab's seinen Jüngern . . . " oder „Der Beschuldigte wird des Dieb-
stahls in Tateinheit . . . angeklagt"; „Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr"
brauchen keinen Mitteilungs- oder Aufforderungswert für den Empfänger zu
besitzen, um dennoch vollwertige Sprachhandlungen zu sein: Ihre wesentliche
Funktion liegt in ihrem Stellenwert in Struktur und Ablauf des Rituals. Dieses
füllen, stützen, regeln sie, während sie ihre ursprüngliche Funktion (die sich in
ihrem sprachlichen Duktus spiegelt) aufgegeben haben.
Wenn diese Pseudoformen sprachlichen Handelns allein ein Ritual ausmach-
ten, wäre es zum ewig sich selbst reproduzierenden Verlauf verurteilt, weil alle
Teile in einem zwar strukturellen Zusammenhang stünden, aber keine hand-
lungstheoretisch relevante, d.h. strukturtranszendente Funktion hätten. 27
Falls dem Ritual eine handlungstheoretische Relevanz eignen soll, dann
darf in seinem Zentrum keine (Sprach-) Handlung stehen, die echt mitteilen-
den oder appellativen performativen Modus hat. Es kommt zwar auf die Äu-
ßerung des Textes an, aber sie gelingt auch (besonders? ) (nur? ) dann, wenn

27 Vgl. die Hofzeremonielle, die Universitätsrituale („der Muff von 1000 Jahren") usw.,
die tatsächlich weitgehend Selbstzweckcharakter haben und mehr (oder nur noch)
der Daseinsbestätigung der Institution dienen, als daß sie relevante Handlungen reprä-
sentierten.
206 P. Kern

der propositionale Inhalt vorher bekannt ist. Eben dies ist der Fall bei allen
CAUS-Aktionen.
Große legt diesen bewirkenden Äußerungen das Schema [ICH CAUS - X
gilt als Y ] zugrunde. 2 8 „Gilt als" trifft sehr genau die Funktion dessen, was
da passiert. Eine typische CAUS-Handlung ist etwa die Eheschließung durch
den Standesbeamten. Materiell verändert sich nichts bei den beteiligten Perso-
nen, wohl aber hat sich ihr Stellenwert innerhalb des Gesellschaftssystems ver-
ändert; nämlich dadurch, daß jeder Betroffene um diese Strukturveränderung
weiß, sie akzeptiert und hinfort seine Tätigkeit nach den neuen Gegebenheiten
ausrichtet. Der Mann und die Frau, aber auch alle Angehörigen der gleichen
Gesellschaft leben nach der Trauung in einer neuen Wirklichkeit, die aber nicht
sinnlich faßbar, sondern nur im Bewußtsein vorhanden, nicht „wahr", wohl
aber gültig ist. Sowohl die Strukturveränderung als auch deren bloßer menta-
ler Habitus sind also sehr zutreffend mit: „X gilt als Y " als semantischer Satz-
präsentation umschrieben. 2 9 Da das Ereignis nicht materiell sichtbar ist,
braucht es ein Zeichen 3 0 , das die Strukturveränderung anzeigt: das ist der
Text des Standesbeamten. Andererseits erfüllt dieses Zeichen nur dann seinen
Zweck, wenn bei den Beteiligten über das Vorher und das Nachher der Zustands-
änderung Klarheit herrscht, da es ja sonst keine manifesten Anhaltspunkte da-
für gibt. Sicherlich m u ß der symbolische Akt in irgendeiner Weise auf das Er-
eignis referieren, verbal ausbreiten m u ß er die Verhältnisse jedoch nicht. Da-
mit wäre die oben aufgestellte Forderung (notwendige Äußerung bei zu ver-
nachlässigendem Inhalt) erfüllt,und es läßt sich als These aufstellen:

Die Verwendbarkeit von vorgeprägten T e x t e n in Ritualen hängt davon ab, ob in


ihrem Z e n t r u m eine Sprachhandlung mit der performativen Modus CAUS und der
Proposition: „X gilt als Y" steht.

Sowohl tiefen- wie auch oberflächenstrukturell verringern sich damit die


Sprachverhaltensmöglichkeiten extrem. Einer alternativelosen Tiefenstruk-
turkette

28 Vgl. Große, op. cit., p. 56.


29 Eine weitere wesentliche Restriktion besteht darin, daß „gilt als" nur durch eine prä-
sentische V e r b f o r m an der Oberfläche ausgedrückt werden kann.
30 Daß es „nur" auf Zeichen und nicht auf sprachbedingte Informationsvermittlung an-
k o m m t , zeigen die gestischen CAUS-Akte, die mit verbaler Unterstützung, aber auch
ohne sie a u s k o m m e n : Ritterschlag, Taufe, Segen usw.
Textreproduktionen 207

TS: [NEUTR. ERNST [ICHCAUS [ 3 1 - [X gilt als Y ] ] ] ]

entspricht Einfachheit und Kürze in der Oberfläche: Neutraler Ernst verhin-


dert die Verwendung von Elementen persönlicher Stellungnahme und läßt
höchstens institutionalisierte, d.h. situationsstereotype Variierung zu. Für ein
explizites CAUS stehen im Deutschen nur sehr wenige Verben zur Verfügung
(etwa: bewirken, bestimmen); meist aber k o m m t es während des Transforma-
tionsprozesses zur Integration von CAUS und der durch X und Y spezifizierten
Proposition (ernennen, taufen, vergeben/die Vergebung verkünden; verurteilen
usw.) 3 2 . Doch auch dafür sind im Lexikon nicht allzuviele performative Aus-
drücke vorhanden. Fakultative Zusätze können weiterhin noch sein: der Hin-
weis auf den Rechtfertigungshintergrund als Apposition zu ICH (ICH „als Ver-
treter der Krone") sowie eine kleine Anzahl lokal-/temporal- oder medialdeik-
tischer Elemente (hier, jetzt, hiermit).
Da auch X und Y thematisch und situativ gebunden sind, ist die Bandbrei-
te denkbarer Textvarianten im Vergleich zu anderen Sprachhandlungen sehr
gering. Daß dem Zusammenspiel von Neutraler Ernst, CAUS und „gilt als"
keine Konnotationen im semantischen Bereich vorgesehen sind, Texte demnach
nur denotativ funktionieren, erleichtert die Übernahme vorgeprägter Texte
sehr, legt sie sogar nahe.
Für die Handlung selbst würde dieser zentrale Bewirkungstext ausrei-
chen und bräuchte nicht durch die Pseudomitteilungen und Pseudoaufforde-
rungen, von denen oben die Rede war, ergänzt werden. Sie aktualisieren die
im Zusammenhang mit der Neusetzung durch CAUS stehenden Fakten:
Aitiologischen 33 Begründungen und Motivationen 3 4 , Folgerungen 3 5 . Ge-
stützt durch die Verbindlichkeit des handlungstheoretisch relevanten CAUS-
Akts füllen sie das Ritual auf und man könnte sie in Anbetracht ihrer referen-
tiellen Bindung an CAUS als eingeschränkte Mitteilungen (bzw. Aufforderun-
gen) einordnen:

31 Cf. N 10.
32 Ernennen: ICH CAUS + X gilt als Y/X: nomen proprium; Y: Appellativ + Element einer
Ämterhierarchie.
Taufen: ICH CAUS + X gilt als Y/X: Du; Y: nomen proprium.
Verurteilen: ICH CAUS + X gilt als Y/X: nomen proprium; Y: schuldig
usw.
33 Z. B. die Rückführung von Beichte und Abendmahl auf die biblische Ursituation.
34 Z. B. „Der hier anwesende X und die hier anwesende Y sind bereit in den Stand der
Ehe einzutreten" oder die pauschalen Begründungen für Habilitationen u. dgl.
35 Z. B. Maßgaben, die sich aus dem durch CAUS initiierten neuen Status für den betrof-
fenen ergeben.
208 P. Kern

[+Neutr.Ernst [+MITT [+ASS. - SUBJ [X../ [+bekannt ] ] ] ] ]


36
+VOL 3 6
[+Neutr. Ernst [+AUFF [ - [DU../ [+bekannt ] ] ] ] ]

Da aber nur Bekanntes vermittelt wird, 3 7 bleibt nach wie vor ein gewisses Un-
behagen, sie in gleichem Maße wie die CAUS-Aktion als vollverbindliche
Sprachhandlungen zu verstehen. Aktualisierung allein ist n u n einmal nicht das
essentielle Merkmal einer Mitteilung. Wenn ein Pfarrer im Zusammenhang
mit dem Abendmahlvollzug die Einsetzungsworte Jesu als Aitiologie rituell-
wiederholend vorträgt, fragt man sich, ob er wirklich „ m i t t e i l t " . Es sei daher
folgendes zur Diskussion gestellt: die in Frage stehenden Mitteilungen u n d
A u f f o r d e r u n g e n sind keine der CAUS-Aktion vergleichbaren T e x t r e p r o d u k -
tionen, sondern „Adaptionen" im oben definierten Sinn. Der Sprecher adaptiert
aus Gründen der Situationsähnlichkeit (der Ritus will ja eine Situation wieder-
holen) einen für die Urkonstellation geprägten T e x t , ohne daß er — wie bei
CAUS — diesen Textteil in völliger Eigenverantwortlichkeit realisiert.
Ein sprachlicher Ritus wäre in seinem Ablauf zu definieren als eine
CAUS-Handlung, u m die sich eine Reihe von A d a p t i o n e n gruppiert, die die
metaillokutionären u n d metapropositionalen Voraussetzungen von CAUS
übernehmen, aber entsprechend ihrer S t r u k t u r nicht den vollen Verbindlich-
keitsgrad des Ritualkerns b e s i t z e n 3 8 .
Bisher w u r d e nur u n t e r s u c h t , w a r u m die Verwendung vorgeprägter, fixier-
ter Texte im Ritus möglich ist oder naheliegt und u n t e r welchen Bedingungen
sie vollzogen wird; nicht geklärt ist die Frage w a r u m m a n überhaupt auf sol-
che Texte zurückgreift. Hier spielen zweifellos in erster Linie psychologische
Gründe eine Rolle, atavistische u n d ästhetische F a k t o r e n , die das Bewußtsein
steuern, über die wir nichts aussagen k ö n n e n 3 9 ; unsere Frage lautet vielmehr:

36 VOL-Äußerungen sind (im Unterschied zu subjektiven Meinungskundgaben +ASS;


+ SUBJ) auch rituell möglich, in dem Maße nämlich, wie im Rahmen der Amtshand-
lung Wirkungen erwartet werden. Vgl. „Der Herr sei mit Euch" - „Und mit Deinem
Geiste" „Wünsche" im Sinne persönlicher Hoffnungen u. dgl. sind das freilich nicht.
37 Die Form, in der ein MITT-Akt am häufigsten erscheint ist dann die „Erinnerung"
([. . . [+MITT . . . [ . [ X . . . / [+bekannt] ] ] ] ] ) ; die „(Er-)Mahnung ( [ . . . [ + AUFF
. . . [. [DU . . . I [+ bekannt] ] ] ] ]) ist die häufigste Form von AUFF.
38 Es ergäbe sich dann folgende Systematik: Ritualkern und Adaption sind komplemen-
tär distribuierte Formen reproduzierenden Sprachhandelns; Ritualkern tritt nur auf
in Form von CAUS, während Adaption nur in Form von MITT oder AUFF erscheint.
39 Dazu gehören Fragen nach dem Wesen des Festes und der Feier, das allem Anschein
nach essentiell auf Wieder-Holung und Re-Präsentation beruht und daher im Ritual
210 P. Kern

was legt vom sprachhandlungstheoretischen Aspekt aus die Verwendung sol-


cher Texte nahe?
Institutionen sind auf Konvention beruhende Einrichtungen zur Interak-
tionsregelung. Ob es sich dabei um die Wahrnehmung von Interessen einer
Gruppe, den Schutz vor internen und externen interessewidrigen Aktionen
oder Bestrafung von Interessenverletzungen handelt, in jedem Fall muß zu-
nächst dieses Interesse in Form und Normen fixiert sein. Staat, Kirche und
Kaninchenzüchterverein unterscheiden sich nicht in der grundlegenden Tat-
sache, daß alles, was sie tun, im Hinblick auf die durch die Gruppe gesetzte
Norm geschieht. Der CAUS-Akt ist der sichtbarste Ausdruck dieser Tätigkeit.
Hier dokumentiert die Institution den Grund, warum sie eingesetzt wurde,
auch nach außen. Durch CAUS wird eine Neusetzung in die durch die Norm
gesetzte Wirklichkeit eingebracht, sei es daß sich die Gruppe vergrößert oder
verkleinert oder umstrukturiert wird, sei es, daß die Norm selber symbolisch
vorgestellt wird oder in der Anwendung ihre Bestätigung findet. Unabhängig
davon, welche materiell greifbaren Vorbedingungen und Folgen der CAUS-
Akt hat, er selber kann nur symbolischer Natur sein, da er die abstrakte Norm
repräsentiert. Repräsentation heißt Wiedervergegenwärtigung; darin ist schon
über die Zeiten hinweg andauernde Identität der Norm mit sich selbst ausge-
sprochen, die in der Identität des Symbols ihre Entsprechung finden muß.
Daher die Wiederholung des einfurallemal vorgeformten Textes.
Daneben darf ein pragmatischer Gesichtspunkt nicht außer acht gelassen
werden. Die Institution selbst ist nicht handlungsfähig, sie bedarf der Men-
schen als Handlungsträger; Amtspersonen, wie man das umgangssprachlich
nennt. Je mehr solcher Stellvertreter es gibt, desto größer ist die Gefahr der
unzulässigen Disparatheit der Aktionen. Dem kann man durch vorgeprägte
Texte vorbeugen, die dem Amtsträger zur Ausübung seiner Funktion vorge-
schrieben sind. Nicht die zufällig zur Stellvertretung herangezogene Person,
sondern die Institution selbst handelt. Nur sie kann dafür zur Verantwortung
gezogen werden, und es sind bekanntlich die Verletzungen vorgeschriebener
Handlungsmuster, die unter Umständen zu Sanktionen gegen einen Amts-
träger führen. Durch den vorgegebenen Text schützt sich also auch der
einzelne Amtsträger und gleicht den Verlust an individuellen Entfaltungsmög-
lichkeiten durch die Identifikation mit der Institution und deren größerer
Verbindlichkeit aus 4 0 .

seinen angemessenen Ausdruck findet; nach dem Spieltrieb und dem ihm innewohnen-
den Sinn für Wiederholungen; nach der kognitiven und affektiven Funktion von Ken-
nen und Wiedererkennen usw.
40 Neben den erwähnten expliziten Bezugnahmen auf die Rollenfunktion trifft man des-
Textreproduktionen 211

Die rituelle Sprachhandlung stellt somit genau das dar, was Roland Bar-
thes 4 1 ein m y t h i s c h e s Zeichen nennt: zunächst b e z e i c h n e t der T e x t einen
b e s t i m m t e n Sachverhalt (das, was mit d e m C A U S - A k t erreicht werden soll).
In seiner festgelegten Form verweist der T e x t als solcher darüber hinaus aber
n o c h auf die N o t w e n d i g k e i t , Aktivität, Existenz, m. a. W. die Daseinsberechti-
gung der Institution und damit der Gesellschaft s e l b s t 4 2 .

Zusammenfassung

1.0 Betrachtet man die Entstehung von T e x t e n unter sprachhandlungstheo-


retischem Gesichtspunkt, so läßt sich eine Generierungsbasis postulieren, die
aus vier Strata besteht:

A ) Proposition enthält das logisch-semantische Gerüst der Äuße-


rung
B) Metaproposition enthält die Modalitäten des Gültigkeitsanspruchs,
den der Sprecher an den propositionalen Inhalt
stellt
C) Performativer Modus enthält die Möglichkeiten v o n Sprachhandlungen
( A u f f o r d e r u n g , Mitteilung, Bewirkung und die sub-
sumierten Sprechakte).
D) Metaillokution enthält die Modalitäten des Anspruchs, mit d e m der
Sprecher mit seinem illokutiven A k t (perform. Mo-
dus + Metapropos.) seinem Kommunikationspart-
ner gegenübersteht.

halb auch häufig auf Passivkonstruktionen ohne logisches Subjekt: „Hiermit wird die
Republik proklamiert" oder „Das Verfahren ist eröffnet". Darüber hinaus wird meist
durch außerverbale Mittel (Knieen, Bedeckung oder Entblößung des Kopfes, Aufste-
hen usw.) der Sonderstatus, die Sondersituation, der Sonderaugenblick betont.
41 Vgl. Roland Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt a. M. 2 1970, p. 93 s. Im Sinne
eines solchen Überzeichens wäre der Großesche performative Modus DEM (Große,
op. cit., p. 54) zu erklären, dürfte dann aber nicht auf einer Stufe mit INT und
CAUS stehen.
42 Je fester eine Zeit an die Eigenständigkeit und Unentbehrlichkeit von Institutionen
glaubt, desto mächtiger werden Rituale sein. Umgekehrt muß man aber auch sehen,
daß das Ritual nicht nur im amtlich-institutionellen Sinn, sondern auch im privaten
Bereich seinen Sinn hat; es erleichtert dem einzelnen sowohl die Deklaration einer
erhofften oder gewußten Gruppenzugehörigkeit als auch die Verschleierung von
persönlichen Affekten: Traueranzeigen z.B. sind stark durchritualisierte Texte, die
nicht nur aus sprachökonomischen Gründen (etwa: dieses Muster einer Traueranzei-
ge hat sich bewährt und daher verwende ich es) immer wieder reproduziert werden.
212 P. Kern

1.1 Jedes dieser Strata hält eine Reihe von Alternativen bereit, aus denen p r o
Redekonstellation eine spezifische kommunikative T i e f e n s t r u k t u r mit hier-
archischem A u f b a u erstellt wird:

[Metaill. [Perform. [Metaprop. [Prop. ] ] ] ]

1.2 Vermittels unterschiedlicher Transformationsmöglichkeiten k ö n n e n aus


dieser T i e f e n s t r u k t u r verschiedene Oberflächenstrukturen (konkrete Äuße-
rungen) m i t identischer kommunikativer Leistung transformiert werden;
ebenso ist es möglich, aus differenten Tiefenstrukturen oberflächen-
strukturell identische Äußerungen mit unterschiedlicher kommunikativer
Leistung zu erzeugen.

2.0 Vorformulierte Texte k ö n n e n aus sozialen oder sprachökonomischen


Gründen wieder-verwendet werden, unterscheiden sich aber sprachhandlungs-
theoretisch nicht von spontanen, weil sie jederzeit auch anders formuliert
h ä t t e n werden und in ihnen alle Möglichkeiten der vier Strata aktualisiert
sein k ö n n e n .

2.1 Zitate n e h m e n eine Sonderstellung ein, weil bei ihnen nicht die gleiche
Bandbreite an Aktualisierungsmöglichkeiten vorliegt. Hier besteht nicht die
Möglichkeit, auch anders zu formulieren. Z u unterscheiden sind

A) Apostrophierungen, w o der Z i t a t t e x t nur das O b j e k t Y in einer Proposi-


tion „X sagt Y " darstellt u n d somit als unveränderbares Element einer
semantischen Satzrepräsentation f u n k t i o n i e r t .

B) A d a p t i o n e n , w o durch ein Merkmal [+ADAPT] in der Metaillokution si-


gnalisiert ist, daß die (Teil)-Äußerung vom Sprecher als vorformuliert für
die gegenwärtige Situation in A n s p r u c h genommen wird, was einerseits die
volle Verantwortlichkeit des Sprechers einschränkt, andererseits gewähr-
leistet, daß der T e x t unverändert an die Oberfläche transformiert wird.

2.2 Sprachrituale verwenden auch vorformulierte T e x t e , verlangen aber im


Unterschied z u m Zitat volle Identifikation des Sprechers mit dem Text.

2.2.1 Das gilt zumindest für den Ritualkern, der immer den performativen
Modus [+ CAUS] aufweist; darüberhinaus ist die Metaillokution auf die Mög-
lichkeit / Neutraler Ernst / beschränkt.
Textreproduktionen 213

2.2.2 Um diesen Ritualkern können Ritualbestandteile gruppiert sein, die


nicht bewirkende Performation aufweisen. Diese mitteilenden und auffor-
dernden Partien können als Reformulierungen gelten, die ihre Aktualisie-
rung aufgrund der Abhängigkeit vom Ritualkern und der gemeinsamen
Metaillokution (Neutraler Ernst) erwirken oder/und als Adaptionen zu ver-
stehen sind.
Index

Abwahl 88 - bestimmter 5 8/9


accompli 95 103 - kataphorischer 8/9
accomplissement 103 - unbestimmter 5 8/9
Adaption 1 9 6 - 2 0 1 208 212 213 Aspekt 37/38
Adjektiv 68 69 74 131 136 Assertion 130 189 191
Adverb 6 3 - 6 6 69 70 74 76 86 95 96 Attribut 3 4 - 3 6 70 92 93
134 189 204 Aufforderung 175 189 191
Adverbiale 109 115 Ausdrucksseite 109 133
Affekt 50 55 83 192 193 Aussage 47 132 134 140
Affirmation 4 7 - 4 9 Aussagenlogik 108 113 123 124
Aktant 54 6 1 64 65 67 70 83 8 6 - 9 7 Äußerung 16
9 9 - 1 0 1 103 105 106 115 116 130 AUSTIN J.L. 188 194
131 1 3 3 - 3 6 138 141 142 192 197 Autodeiktikon 1 7 7 - 8 0
Aktionsstand 83 95 103 104
Aktivierung 61 63 88 116
Aktualisierung 77 81 88 95 116 118 121 BACH E. 129 131
208 213 BALLMER T h . T . 1 3 9 - 4 1
Akzent 174/75 BALLY Ch. 47 48 83 87 93 95 100 103
Akzeptabilität 148 116 118 136
Allquantor 17ss. BARTHES R. 211
Anakoluth 193 BARTSCH Renate 109 110 116 129 130
Anapher 8 - 1 1 13 14 17 18 5 8 - 6 0 72 84 Basis 27 110 134
87 91 106 150 158 Bauplan 61 85/86 103
Angabe 115/16 Bedeutung 5 6 118 132
Antezedens 93 150 151 153 154 - ontische 47
Antonym 50 Bedingung 48
Anweisung 14 155 Betonung 116 174/75 192/93
APEL K.-O. VIII Bewirkungsakt 190 191 206 208
Apostrophierung 196 1 9 9 - 2 0 1 212 Bezugselement 89 149 150 1 5 3 - 6 0 165
Appell 85/86 BINNICK R. 128 130 131
Apposition 207 Blockade 71
Äquivalent 85 97 BLOOMFIELD L. 51
Archimorphem 18 BOEDER W. 29
Argument 47 138 143 BOOST K. 134
Argumentationstheorie 108 BREKLE H.E. 124 127 1 3 0 - 3 5 137 141
Artikel 6 8 118 131 145
- anaphorischer 8/9 Bruchzahlen 11
216 Index

BRUNEAU Ch. 105 Distribution 8 11 13 77 101 147


BRUNOT F. 46/47 49 50 56 105 Dominanzprinzip 184
BÜHLER K. 54 N 26 86 87 166 Dual 1
DUBOIS J. 150/51
DUCROT O. 47 154
CARNAP R. 112 125 126 132 140 Durchschnittsmenge 126/27
CHOMSKY N. IX X XII 21 33 116 117
134 148
Chronogenese 80 Eigenname 132
C-I-T-Linguistik 1 11 Element 4 - 6 39 139 140 144
Complétive 89 95 Elementarzahlen 6 - 9 14
co-occurrence 21 Elementator 142 145
COSERIU E. XI 47 Elimination 70 195
CRYMES Ruth 153 N 31 emisch 175 N 18
Empfänger 2 166
Emphase 135
DAHL Ö. 160 ENGELS F. IX
DAMOURETTE J. 8 2 - 8 4 87 89 98 Ergänzung 115
100 105 Erkenntnisinteresse VIII
DANES F. 110 Ersetzungsfunktion 22 152
Deiktika 87 172 173 175 177 178 180 Erwartung 13ss.
182 184 Erzähler, fiktiver 167-70 1 7 2 - 8 3
Deixis 39 57 106 141 169 N 5 175 180 Erzählhaltung 179
194 Erzählsituation 166-85
- lokale 182 199 etisch 175
- personale 182 Etymologie 46 87
Dekodierung 2 4 6 18 Existenzbehauptung 131
Dekomposition 128/29 Existenzquantifikator 119
Deletion 115 Expansion 69 71
Demonstration 190 Explikation 138 153 191
Demonstrativa 76 87 104 162 expressive Terme 130
Denotat 146 Extension 126 129
Dependenz 110 115 135 Extraposition 31 N 25
Designans 152 Extraversion 141
designated element 21
Designatum 152/53 162
determinant 136 faculté du langage XI
Determinanten 5 18 33 34 36 37 162 FIGGE U.L. 123
Determination 110 146 Fiktion 166ss. 183-85
Determinatum 136 FILLMORE Ch. J. 117 127 131 135
déterminé 136 FIRBAS J. 136
Diachronie 87 Flexion 77
Diaphora 104/05 Form 121 128-30 132
Diathese 83 - freie 51
Diktum 47ss. 52 53 5 6 - 5 8 61 62 67 136 - gebundene 51
discours 50 72 83 101 Frage 31/32 39 40 48 78 82 9 6 - 9 9 105
Diskordanz 98 120 161
diskursiv 63 Fragemorphem 31/32 78 98/99
Index 217

FREGE G. 111 118 122 124 132 Integration 167


Funktion 6 30ss. 147 Intension 126
Funktor 143 Interdependenz 115 135/36
Interjektion 76 91 189 193 204
Intonation 99 195
GAATONE D. 43 44 N 1 73 152 153 160
Inzidenz 54 N 26 59 63 63 N 44 79 81
GADAMER H.-G. VIII
82 84 85 90 91
GENAUST H. 7 6 - 1 0 6
Inzise 68
Generative Grammatik 134/35
ISACENKO A. 38
Generierung 27ss.
ISENBERG H. 109
Genus 2 22 1 5 6 - 5 8
ISER W. VII
Gestik 192 194
GlRAULT-DUVIVIER Ch.-P. 44 46 105
Grammatik 147 147 N 6 148 164
Kardinalzahlen 11 18
Grammatikalität 147/48
Kasus 135
GREVISSE M. 4 4 - 4 6 95 1 0 3 - 0 5
Kasusgrammatik 107ss. 117 118 127 130
GREWENDORF G. 108 120
Katapher 8 - 1 1 13 14 17 18 5 8 - 6 0 72
GROSS M. 154
87 89 91 106 150 158
GROSSE E.U. 188 190 206 211 N 41
Kategorie 30 32ss.
Grundwert XI 43 49 50 63 84 103 104
Kategorisierung 164
GUILLAUME G. 54 N 26 76 78 80
KATZ J.J. 21 27
Kausativ 128 131
HABERMAS J. VIII Kennzeichnung 131
HAMBURGER Käte 168 N 3 KERN P. 1 8 6 - 2 1 3
HARRIS Z. S. 20 Klasse 127 132 1 3 8 - 4 0 144 157
HARWEG R. 87 109 1 6 6 - 8 5 Klassifikation 163/64
HASKELL J. 3 6 - 3 8 KLIMA E. 28/29
HENRY A. 87 9 9 - 1 0 1 104 Kode VIII N 10 2
HERINGER H.J. 114/15 129 Kode-Bedeutung 5/6
Hermeneutik VIII Kombination 7 8 31 147 170 181
Heterodeiktikon 175 178 Kommunikanten 2 - 4
heteronex 53 55 56 58 62 70 91 Kommunikation 1 81 131 147 147 N 6
Heuristik 163 148 149 155 157 162 1 6 6 - 6 8 170
HJELMSLEV L. 115 121 124 136 189 191 194 202
homonex 52 53 55 56 67 69 70 Kommunikationsmodell 3 167/68
Homonymie 112 N 25 Kommutation 74 101
Hypotaxe 109 Komparativsatz 89 98
Kompatibilität 156 162 163 165
Illokution 108 119 120 189 192 196 197 Kompetenz X 148
- kommunikative 148
201
Kompositum 136
Imperativ 86/87
Konditionalsatz 89
Indikator 151
Kongruenz 1 10 156/57
Infinitiv 37/38 77 81 94 121
Konjunktiv 8 0 / 8 1
Informationsblock 111
Konnexion 53 54 N 26
Inklusion 106 138
Konnexionsanweisung 155 157 161 162
Inkompatibilität 112 163
165
Institutionalisierung 203/04
Instruktion 1 6 Konnotation 207
218 Index

Konsequenzanweisung 155 Metaproposition 1 9 0 - 9 2 194 195 197 201


Konstellation 170 182 186 196 204 208 211 212
Konstituentensatz 129 134 136 metapropositionale Basis 188 189 191
Konstituentenstruktur 110/11 Metasematisation 101
Kontext 5 10 50 52 53 5 9 - 6 1 63 84 85 90 Metasprache 51 133 134 140
91 98 111 130 135 136 140 154 165 MEYER-HERMANN R. 1 4 6 - 6 5
192 194 195 Mimik 192 194
Kontexthungrigkeit 61 63 modale Relation 117 130/31 141
Kontraindikation 70 modales Subjekt 49
Konversion 141/42 Modalität 47 48 57 82/83 96 98 136
Konzessivsatz 68 73/74 Modallogik 112
Koordination 6 5 6 8 6 9 7 2 7 3 Modus 47/48 80/81 83 130
Kopenhagener Schule 52 MOIGNET G. 54 N 26 76ss. 85 94 96
Koreferenz 146 149 9 8 - 1 0 0 102 154
Kotext 84 Monem 43
Kundgabe 189/90 Monorem 52 56 58 83 95 106 N 57
Morphem 1 4 7 45 51 52 61 77 78 82
116
LAKOFF G. 120 128 MÖTSCH W. 28
- Robin 120 Muster 186ss. 202/03
Lambda-Operator 138ss.
LANG E. 1 4 6 - 4 8 Negation 31/32 43ss. 82 9 6 - 9 9 105 130
LANGACKER R. 29/30 Netz, kommunikatives 111
langue 50 58 6 0 - 6 3 72 - thematisches 110/11
LEES R. 28/29 Neuigkeitswert 137
Lexem 1 121 132 163/64 Neutralisation 11 16 18 71 72 77 80 95
Lexie 43 45 61 98 101
Literaturwissenschaft und Linguistik VII nexuell 53 55
Logik 46 47 130 134 Nexus 52
Loquent 81 Nomen 4ss.
Nominalkompositum 134/35
Nominalphrase 32
McCAWLEY J.D. 128 130 131 133 non (fr.) 4 3 - 7 5
MAILLARD M. 154 161 noncal 82
MARTINET A. 82 Norm 60 72 78 80 97 105 112 120 N 69
Mathematik und Linguistik 5 18/19 210
MATHESIUS V. 107 Normtypus 60
MAUCH U. 79 nuklear 55
Meinung 5 6 61 67 Nukleus 55
Meinungskundgabe 189 191 Null-Aktant 90
Menge 4 - 6 23 39 127 143 145 Null-Aktualisierung 94
Mengenalgebra 126 Nullform 40 92
Mengenraum 12 1 4 - 1 6 Null-Modalität 57
Mengenzahlen 9 - 1 1 14 Null-Repräsentant 74 106
Merkmal 2 1 - 2 4 31 35 77 Numeralartikel 8/9 12 13
Metaillokution 191 N 11 1 9 2 - 9 8 200 Numerale 1 - 1 9
201 204 208 2 1 1 - 1 3 Numerus 1 - 1 9 135 1 5 6 - 5 8
Metakommunikation 164 Nutzwert XI 43 50 96 99 103 130
Index 219

Oberflächenstruktur 75 159 160 191 Prädikation 130 131 134 159 161-63
206/07 Prädikatsadverbiale 116
Objektpronomen 38 Prädikatsnomen 71
Objektsprache 133/34 Präfix 43
Ökonomieprinzip 4 150 188 Pragmatik 4 106 143 144 147 155
Onomasiologie 46 Präposition 76 lOOss.
Ontologie 111/12 119 125 Präsens 81 168 172 183
Operator 117 129 N 96 130 Präsentativ 76 85 87 96
Opposition 1 2 13 77 104 106 Präsupposition 32 166-85
Ordinalzahlen llss. 18 Präteritum 183
Organon-Modell 166 Primitive, semantische 133
Origo 54 N 26 57 63 N 44 87 102 „Pro" 21
Ort 86 105 166 178 183 Pro-Adjektiv 20
- theoretischer 148 153 Pro-Adverbiale 20 33 38/39 41 42
Pro-Attribut 33 39/40 42
Pro-Form 2 0 - 4 2 87 97 98 100-02 106
Paradigma 7 11 51 115 149
Paradigmatik 43 50 152 - bestimmte 28ss. 42
Paraphrase 129 138 - unbestimmte 2 4 - 2 8 30ss. 40 42
Parataxe 109 Pro-Fortführung 22 24 30
Parenthese 109 Pro-Konstituente 27
Parodie 200 Pro-Morphem 20
parole 166 Pronomen 20 32ss. 62 146 147 152-54
Partizip 95 156 158
Passiv 135 - bestimmtes 35/36
Performanz X 148 - unbestimmtes 34/35
Performation 192 204 Pronominaladverb 33 39
performativer Modus 188/89 190-92 194 Pornominalisierung 28ss. 149
195 197 205 211 212 propos 103 136
performative Verben 108 195 Proposition 117 119 120 130 141 160
Periphrase 48 50 188 189 194-98 201 202 206 207
PERLE F. 76 211 212
Permutation 31 N 25 115 Prosatz 33 40/41 4 3 - 7 5 84 87 159
Person 78ss. 83 182 Prosodem 99
Personalpronomen 35 90 146-65 199 Pro-Verb 33 37ss.
PETÖFI J. 110/11 Psychologie 46
PICHON E. 8 2 - 8 4 87 89 98 100 105
PINCHON Jacqueline 102-04 151/52
Plagiat 199 Qualifikator 194
Plural 1 - 1 9 Qualifikation 130
Polemik 200 QUINE W.V. 119 134
Polyfunktionalität 158
Polysemie 112 N 25
Possessiva 33 Rahmenerzählung 184
POSTAL P.M. 21 27/28 RAIBLE W. 109 116 118 136
Prädikat 47 113 123 124 126 127 130 Raum 170 173 202
132-35 138 142 143 Reaktualisierung 205
Prädikatenlogik 119 124 133 139 140 Rede 59 60 79 84 98 100 125
220 Index

- erlebte 183 - segmantierter 51 56 58 68 100


- indirekte 193 Satzbasis 129 N 96 134
Redewendung 43 80 88 Satzbauplan XI 55 62 84/85
Redundanz 89 199 Satzinhaltsform 134 138ss. 144
Referent 2ss. 24 25 30 85 Satzkonstitution X
Referenz 22 23 27 29 36 87 92 104 105 Satzperspektive, funktionale 107ss. 135
111 121 123 125 1 2 9 - 3 1 137 140 Satzpronominalisierung 159/60
146 150 151 1 5 3 - 5 5 157 161 162 Satzrepräsentant 69 73 74 106 194 197
165 166 1 9 0 - 9 2 195 196 N 18 197 Satzsemantik 129
201 203 Satzverknüpfung 43
Referenzanweisung 1 5 5 - 5 7 159 1 6 1 - 1 6 5 Satzwort 83
Referenzsemantik 111 SAUSSURS F. de XI
Regel VIII SCHECKER M. 1 0 7 - 4 5
REICHENBACH H. 130 SCHUCHARDT H. 129 131
Rekonstruktion 148 1 6 6 - 8 5 SCHULZ Gisela 109
Relationalität 87 SEARLE J.R. 111 1 1 8 - 2 0 124 1 3 0 - 1 3 2
Relationskonstante 133 188 194 195
Relativsatz 9 2 - 9 4 Semantem 94
- restriktiver 35 138 Semantik 50 144 155 163
Relator 133 - extensionale 108 111 126 127 144
Relevanz, kommunikative 135/36 - generative 1 2 8 - 3 1 194
remplacement 152/53 Semem 112 N 25
Repräsentant 8 5 - 8 7 1 5 1 - 5 4 semi-grammatisch 147
Reproduktion 1 8 6 - 2 1 3 Semiom 99
Restriktion 29 30 34 37 86 193 204 Semstruktur 88
Rezipient 1 6 7 - 7 0 1 7 2 - 7 5 177 178 1 8 0 - Sender 2 166 168
83 Sequenz, progressive 93 103
Rhema 68 83 103 107ss. 110 113 135 138 SGALL P. 107 130 135 137
142-44 Sigma-parole 120 N 69
Ritual 186ss. 193 196 2 0 1 - 1 1 212/13 Signalfunktion 85/86
ROBINSON Jane 117 Singular 1 - 1 9
Rolle 202/03 Sinn 118
ROSS J.R. 29 108 120 Sinneffekt 6 1 9 1
Rundzahlen 12ss. Situation 5 60 61 84 85 90 91 137 141
RUSSELL B. 111 1 1 8 - 2 0 122 124 125 1 6 6 - 6 8 170 186 191 192 197
131 132 situativ 60
source sémantique 89
Sparform 86 88 95/96
Sachverhalt 88 96 98 127 132 1 3 8 - 4 1 Sprachhandlung 186ss. 190 195 196 202
144 146 1 6 6 - 6 9 182 205 208 210
Sachverhaltstheorie 113 123/24 Sprachspiel 1 2 6
SANDERS G.A. 147 Sprechakttheorie XIII 108 119 120 1 8 7 -
SANDFELD K. 152 N 69 161 N 51 89 194 195
SAPIR E. 125 Sprechhandlung 175 201
Satz 32 43 51 52 61 6 7 - 6 9 83 107 110 SPRUNK K. 106 N 57
1 1 4 - 3 4 135 136 138 140 141 146 147 STALNACKER R.C. 160
158 159 171 STEINITZ Renate 22 24 30 38
- gebundener (phrase liée) 63 100 103 Stimmung 192
Index 221

Stimulus 5 7 - 5 9 70 71 Theoriesprache 133


STRAWSON P.F. I l l 118-21 128 132 Tiefenkasus 117 127 131 135
Strukturalismus 84 Tiefenstruktur 26 28 75 111 117 120 129
Subjekt 126 132 135/36 N 96 134-36 159 160 189 191 194
- psycholigisches 134-36 196 199 206
Subjektivierung 135 Tilgung 27 36
Subkategorisierung 116 TODOROV T. 47
Subklassifizierung 30ss. TOGEBY K. 52 N 21
Substantiv 69 70 74 118 121 131 toncal 82
Substanz 121 128-30 132 topic/comment 116
Substituendum 15^ Topikalisierung 135 199
Substitut 70 150-53 Transformation 27 28 31 38 99 129 N
Substitution 43ss. 74 79 90 91 114 1 3 6 - 96 135 194 195 197 199 207
39 149 150 154 Transition 136
Suppletion 58 60 Transitivität 85
Symbolwert 86 Translat 96
Synchronie 87 100 Translation 96
Synonymie 163 Translativ 64 89 94 96 103
Syntagma 45 78 transphrastische Syntax 43ss. 56 106
Syntagmatik 43 51 98 153 Transposition 15 64 71
Syntax 1 4 50 72 76 155
- und Semantik 5
- generative 110 übereinzelsprachlich 19
System XI 49 59 80 88 Umfeld 169 N 5
Systemeinheit 60 ungrammatisch 34 81 147/48
Systemwert 61 101 130 unipersonal 78/79
Universalien 2 19
Tagmemik 108 unpersönlich 79
Teilsatz 52 61 67 68 71
Tempus 8 1 - 8 3 116 117 145 168 172 181
182 199 Valenz 85 107-45
Termtheorie 131 Valenzgrammatik 107ss. 115
TESNIERE L. 53 83 85 Variation 179
Text VII 43 87 107 110 134-44 146 149 VATER H. 2 0 - 4 2
160 163 165ss. 187 N 3 VENNEMANN Th. 129/30
- fiktionaler 166ss. Verb lss. 61 67 76ss. 83 85 87 88 116
Textbauplan XI 118 123 127-31 133 134 136 141 142
Text-Bedeutung 5 6 98 verbum dicendi 196 201
Textgrammatik 146 147 151 157 162 179 Verweis 149/50 165
Textkonstitution IX X 43 44 55 72 140 Verweisform 146-65
Textlinguistik VIIss. 108 109 148 164 171 Verweisrelation 163
Textologie 175 179 voici (fr.) 7 6 - 1 0 6
Textreproduktion 186-213 voilä (fr.) 7 6 - 1 0 6
Textsemantik 5 Vokativ 29
Textsyntax 5 76 ss. Vorwissen 174
Textualität 1
Thema 68 95 107-45
Themenhierarchie 137 Wahrheitswert 32 112 125
222 Index

WARTBURG W. v. 105 WUNDERLI P. 4 3 - 7 5 84 87 116


Wechsellogik 108 WUNDERLICH D. X 29 126 147 N 6 193
WEINRICH H. VII 1 - 1 9 137 168 N 3 N 15
Welt 167 WUNDT W. 129
- mögliche 108 111 112 114 123 1 2 5 -
127 141
W-Formen 39 Zahlentheorie 1 - 1 9
WHORF B.L. 125 Zahlwort 1 - 1 9 134
Widerspruch 112 Zeichen 1 76 86 108 109 122 143 144
Willensäußerung 189 191 Zeit 166 168 170 173 202
Wirklichkeitsmodell 156 Zeitangabe 9 9 - 1 0 4
WITTGENSTEIN L. 111 120 123 124 144 Zirkumstant 54 61 67 70 71 8 5 - 8 7 97
Wortbildung 43 100 103
wortinterne Syntax 43 Zitat 186ss. 1 9 6 - 2 0 1 202 212
Wortsemantik 129 ZUMTHOR P. 105
Wortstellung 116 117 135 136 192/93 Zuordnungsoperation 138
Wortwahl 192 Zweitstruktur 1,34

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