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Der Kirchenlehrer
Routiniert, souverän, modern – ein Meister seines Fachs. Joseph Ratzinger
wird als einer der ganz großen Theologen dieser Zeit in die Geschichte ein-
gehen. Ein Text aus dem Jahr 1962 zeigt, wie der junge Professor sich schon
damals nicht scheute, dem heiligen Augustinus Fehler nachzuweisen
I
n der Ruinenbasilika San Giovanni seit seiner Wahl angesammelt hat, weist sprechen wird. Hier hat Joseph Ratzinger,
Rotondo auf dem Celio-Hügel steht ihn schon jetzt als weiteren großen Kir- einer der großen Theologen der heutigen
links neben dem Eingang fast unbe- chenlehrer aus. Zeit, mit einer langen Erfahrung auf den
achtet ein antiker Marmorschemel an Dabei geht er überaus systematisch Feldern des Austauschs zwischen Glaube
der Wand. Es ist der alte Bischofssitz vor. Nach seiner Wahl hat er zuerst alle und Vernunft, auf ganz natürliche Weise
Papst Gregors des Großen. In Sankt Peter Apostel Stück für Stück und hintereinan- seine Hauptaufgabe als Papst gefunden.
schwebt der Heilige Stuhl in der Apsis der behandelt, dann den heiligen Stepha- Dabei zitiert er auch einmal Dante
vom Heiligen Geist herab in die Hände nus und die Gestalten der frühen Kirche, oder unbekanntere Kirchenlehrer wie den
von Johannes Chrysostomos, Athanasius, die großen Kirchenväter und inzwischen – heiligen Andreas von Kreta. In fast jeder
Ambrosius und Augustinus. Die Cathe- wir haben ja das Paulus-Jahr – das Leben Ansprache bei der Generalaudienz oder
dra der Nachfolger Petri war immer auch und Denken des Völkerapostels. zum sonntäglichen Angelus-Gebet geht
schon ein Sitz der Kirchenlehrer für Ost Die beständige Lehre ist die Grund- Benedikt XVI. auf die Grundlagen des
und West. konstante im Pontifikat Benedikts XVI., Glaubens und die letzten Heilsgeheimnisse
Routiniert wie ein Schuster Schuhe die von Anfang an als das größte Anliegen zurück. Er muss nicht mehr wie früher als
besohlt, hat auf diesem Stuhl auch der des Theologen-Papstes zu erahnen war: Präfekt der vatikanischen Glaubenskon-
266. Nachfolger Petri diese Aufgabe über- Die unablässige Darlegung der Glaubens- gregation die scharfe Unterscheidung zwi-
nommen, oder vielleicht doch noch etwas wahrheiten. Er krempelt nicht die Medien- schen reiner Lehre und häretischer Abwei-
routinierter. Denn ihm – dem Professor Arbeit des Vatikans um, auch die Reorga- chung ziehen. Vom Verteidiger des Glau-
Papst – ist diese Rolle wie auf den Leib nisation der römischen Kurie wird er wohl bens – was mitunter auch disziplinarische
geschrieben. einem seiner Nachfolger überlassen. Eben- Maßnahmen der Glaubenskongregation
Mittwoch für Mittwoch hält er deshalb falls ist Benedikt XVI. kein „Reise-Papst“, einschloss – zum Verkünder des Glaubens
auf dem Petersplatz oder in der Audienz- auch wenn er pro Jahr einige wenige, dafür gewandelt legt der deutsche Theologen-
halle kleine Vorlesungen auf Italienisch, aber wichtige Auslandsbesuche auf dem Papst den ganzen Schatz der kirchlichen
die nur wenige der angereisten Pilger ver- Programm hat. Stattdessen reiht er sich Erlösungslehre dar.
stehen, aber wohl alle in das große Lehr- selber in die lange Abfolge der Kirchen- Die letzten zwanzig Generalaudienzen
buch der Kirche eingefügt werden. Das lehrer ein, über die er in der Katechese bei hat er dem heiligen Paulus gewidmet und
Schrifttum, das Benedikt XVI. dabei allein den Generalaudienzen spricht und weiter wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme,
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Der junge Theologe
Joseph Ratzinger.
Foto: KNA
dass er eines fernen Tages ganz bei sich derts schon einmal vorsorglich aufgesetzt Geringsten von den römischen Glaubens-
selbst ankommen wird, dem wohl bedeu- hatten. wächtern unter Kardinal Alfredo Ottavi-
tendsten Kirchenlehrer des 21. Jahrhun- Der Text trägt das Datum vom 10. ani beeindrucken. Nicht nur dass er den
derts. Angefangen hat er mit der Arbeit Oktober 1962 – einen Tag später begann – wohl zu ängstlichen und älterem Lehr-
der Kirchenlehre schon in der Mitte des das Konzil –, behandelt den Entwurf für buchwissen verpflichteten – Autoren des
letzten Jahrhunderts – wie der folgende ein Konzilsschreiben zur Offenbarung, wie Offenbarungs-Entwurfs kräftig auf die
Text zeigt, den der junge Joseph Ratzin- sie in Heiliger Schrift und Überlieferung Finger klopfte. So ganz nebenbei bekam
ger vor dem Zweiten Vatikanischen Kon- zu Tage tritt – und zeigt schon die ganze auch der heilige Augustinus eins ausge-
zil verfasst hat, als Stellungnahme zu den Souveränität, mit der der damals 35 Jahre wischt. Der Text ist hochtheologisch, aber
so genannten Schemata, den Entwürfen alte Ratzinger sein theologisches Hand- auch für Laien verständlich und behan-
der Konzilstexte, die die Vorbereitungs- werk betrieb. Als Berater des Kölner Erzbi- delt die zentrale Frage, auf welche Weise
kommissionen für diese größte Kirchen- schofs Joseph Kardinal Frings war er nach der Gott der Christen zu den Menschen
versammlung des vergangenen Jahrhun- Rom gekommen und ließ sich nicht im gesprochen hat.
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titel-thema
Die Offenbarung:
Ausdruck einer Geschichte
Gottes mit den Menschen
Einspruch! Wie Professor Ratzinger 1962 einen Entwurf der Vorbereitungs-
kommissionen des Zweiten Vatikanums über die Heilige Schrift und die Tra-
dition zerlegte. Auszüge aus seiner Stellungnahme
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Licht drängt, um deren Verständnis dann Professor Ratzinger trifft zum Inspiration und Irrtums-
ein jahrhundertelanges Ringen anhebt und Konzil auf dem römischen
von der schließlich 1950 die Kirche erklärt Flughafen Fiumicino ein.
losigkeit der Schrift
hat, daß es eine Erkenntnis im Heiligen
Geiste war, die zum Grundbestand der
Offenbarung zu rechnen ist. Die Tradition
als ein eigenes Materialprinzip kann man
Foto: SLOMI
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« möge keine unnötigen Fixierung bringen,
es möge darauf verzichten, die Einzelheiten
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titel-thema
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ologie und Kirche, wenn die philonisch- einstimmung mit dem, was in Abschnitt muß diese „Ergänzung“ der Schrift umso
augustinische Inspirationslehre nach Jahr- 13 recht gut ausgeführt wird, die Irrtums- mehr bedenklich stimmen, als in Mk 13,32
hunderten, in denen man sie auf die Lehr- losigkeit der Schrift auf die vere enuntiata ausdrücklich das Gegenteil gesagt wird,
bücher beschränkte, gerade in dem Augen- beschränkt werden, wenn nicht die histo- wenn es heißt: «Über jenen Tag und jene
blick kirchlich sanktioniert würde, in dem rische Vernunft in einen geradezu ausweg- Stunde aber weiß niemand etwas, auch
sich endlich die Möglichkeit anbietet, eine losen Konflikt geführt werden soll. nicht die Engel im Himmel, auch nicht der
Inspirationslehre genuin-biblischer Prä- Der Schluß des 2. Kapitels fordert Sohn, sondern nur der Vater“. Wie immer
gung zu entwickeln. (...) nocheinmal eine Bemerkung heraus: Es dieser Vers auch auszulegen ist, er zeigt
Mit dem Gesagten fällt auch Licht auf wird Hebr 4,15 zitiert: Der Herr ist uns in auf jeden Fall, daß in einem bestimmten
die Frage der Irrtumslosigkeit und Histo- allem ähnlich geworden „praeter pecca- (gewiß näherer Erläuterung fähigen und
rizität der Heiligen Schrift, die in den fol- tum“ (außer der Sünde). Der Verfasser des bedürftigen) Sinn von einem Nichtwis-
genden Abschnitten angegangen wird. Schemas scheint indes mit der Schrift nicht sen des Menschen Jesus gesprochen wer-
Das Schema spricht hier eine sehr scharfe zufrieden; er fügt hinzu: „et ignorantiam“ den darf und daß es sich im vorliegenden
Sprache. Es deduziert: Gott ist die höchste (und der Unkenntnis). Das ist, um offen Text um eine recht anfechtbare Ergänzung
Wahrheit und kann sich nicht irren. Gott zu sein, ein wenig erbauliches Verfahren, der Schrift handelt, die zu streichen ist,
hat die Schrift diktiert. Also ist die Schrift das vor allem auch die getrennten Brüder zumal sie auch in der ersten Vorlage nicht
genau so irrtumsfrei wie Gott selbst „in mit Mißbehagen erfüllen wird. Überdies gestanden hatte. (...)
qualibet re religiosa vel profana“ (in religi-
ösen wie in profanen Dingen). Nun drückt
aber die hier unterstellte Diktattheorie, wie Ratzinger 1955 als Dozent für Dogmatik und Fundamentaltheologie in Freising.
eben gesagt, gar keinen spezifisch christ- Foto: KNA
lichen Gedanken aus. So braucht es nicht
zu verwundern, daß sich in profanen, für
die eigentliche Aussageabsicht der Schrift
belanglosen Dingen nach der einmütigen
und kaum noch zu widerlegenden Ansicht
der Historiker durchaus auch Versehen
und Irrtümer in der Bibel finden. Man
kann auf Kleinigkeiten verweisen, wie die
Tatsache, daß Markus (2,26) vom Hohen-
priester Abiathar redet, statt von dessen
Vater Achimelech, ein Irrtum, den dann
Matthäus und Lukas in ihrem Text korri-
giert haben. Man könnte auf größere Dinge
wie auf die bekannten Abweichungen
der Chronikbücher von den Königsbü-
chern, auf die ungeschichtliche Bezeich-
nung Belsazars als Sohn Nebukadnezars
bei Daniel und anderen verweisen; eines
dürfte heute klar sein: Es war offensicht-
lich nicht der Sinn der Inspiration, in dem
breiten Horizont der menschlichen Aus-
sagen jede Randunschärfe in den beiläu-
fig mitgesagten Dingen zu vermeiden, son-
dern es war ihr Sinn, in wahrhaft mensch-
lichen Worten den Menschen das Geheim-
nis Gottes nahekommen zu lassen. Die
wahre Menschlichkeit der Schrift, hinter
der sich umso größer das Geheimnis des
göttlichen Erbarmens erhebt, kommt uns
erst allmählich zum Bewußtsein; irrtumlos
ist und bliebt die Schrift ohne Zweifel in all
dem, was sie eigentlich aussagen will, aber
nicht notwendig in dem in der Aussage
Mitgesagten, das kein Teil der eigentlichen
Aussage selber ist. Deshalb muß, in Über-
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titel-thema
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liegt, daß sie, wo sie Gemeinde hören,
überhaupt nichts anderes mehr denken
können. (...)
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Foto: SLOMI
der Text des Schemas selbst bietet: Quae-
cumque enim scripta sunt, ad nostram
doctrinam scripta sunt (Röm 15,4) – das
ganze Alte Testament redet von Christus,
ist christologisch gemeint und ist als sol-
ches Grundlegung, Fundament der christ-
lichen Religion, nicht bloß einzelne Stücke
daraus. Aber auch das ganze Alte Testa-
ment muß gleichsam durch die christolo-
gische Verwandlung hindurch, gilt nicht
aus sich heraus, sondern von Christus her
und auf Christus hin, der erst den Schleier
wegzieht, der über dem Antlitz des Moses
gelegen hatte (2 Kor 3,12-18).
Noch ein Stück weiter führt die Über-
legung, zu der der folgende Abschnitt 16
Anlaß gibt, wenn es heißt: „Gottes Hin-
wendung zum Menschen zielte vom Sün-
denfall Adams an darauf ab, daß durch
die Verheißungen an die Väter, durch die
prophetische Vorankündigung des Erlö-
sers und durch die fortwährend deut- titativ gesehen der Anteil der sogenannten rung des Christusheiles weiß, daß es nicht
lichere Botschaft von ihm jeder mensch- Heilsgeschichte an der Weltgeschichte ver- in den Gittern eines mitteralterlichen
lichen Kreatur der Zugang zur Heilshoff- schwindend gering ist. Das alte Wort von Geschichtsbildes gefangen so etwas wie
nung offen stünde.“ Dieser Satz ist richtig. der Ecclesia ab Abel gewinnt damit eine einen kirchlichen Provinzialismus pflegt,
Aber er berücksichtigt in seiner Formulie- neue Bedeutung; es läßt uns wissen, daß sondern die Frage des Menschen von
rung doch wohl zu wenig den ungeheuren dennoch diese ganze Geschichte letzter- heute verstanden hat und bereit ist, ihr
Wandel des Welt- und Geschichtsbildes, dings christologisch strukturiert ist und in Antwort zu geben. Es müßte also in der
der sich in den letzten hundert Jahren ihrer Ganzheit verborgenerweise von der Formulierung, deutlicher als es geschieht,
zugetragen und der christlichen Botschaft Helligkeit jener schmalen Lichtspur lebt, zum Vorschein kommen, daß das Chri-
einen ganz neuen Hintergrund gegeben die mit Abraham beginnt und in Christus stusheil, das sich in der Geschichte Israels
hat, sodaß sie vor diesem Hintergrund sich sich als das wahre Licht eines jeden Men- und der Kirche manifestiert, nicht an die
selbst neu auslegen muß, wenn sie in ihrer schen enthüllt, der in diese Welt kommt. äußeren Mauern Israels und der Kirche
«
alten einen Wahrheit verständlich bleiben Ein Konzil, auf das heute die ganze, gebunden ist, sondern allezeit allen offen
will. Wir wissen heute, daß die Geschichte auch die nicht christliche Welt hinschaut, stand. (...)
Israels und der Kirche nur einen winzigen sollte auch erkennen lassen, daß es um die
Ausschnitt aus der Gesamtgeschichte der ganze Breite und Höhe, Länge und Tiefe, Zitiert aus der Zeitschrift Gregorianum,
Menschheit darstellt, daß also rein quan- um die wahrhaft kosmische Dimensionie- Februar 2008.
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