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»Ich sah ihn vor einigen Jahren mehre Male, kannte aber seinen Und am 2. Januar 1929 schrieb er:
irdischen Namen nicht. Sein Name in der geistigen Welt ist ja »Was die Lehre der Reinkarnation und auch der Seelenwande-
ein ganz anderer, und zwar entspricht der seiner hohen Position rung betrifft, habe ich mit Swedenborg und auch mit ehemaligen
und Aufgabe sowie seinem ausgesprochen schönen Charakter. Er Hindu-Heiligen gesprochen. Einige dieser Hindus haben nach
ist über alle Maßen glücklich und beständig dabei, anderen zu ihrem Übergang in die geistige Welt den Herrn als den alleinigen
helfen.« wahren Gott und Retter angenommen, andere noch nicht. Aber
alle sagen, dass die Reinkarnation unmöglich ist….«
Einige Tage vorher hatte er an den gleichen A. E. Penn ge-
schrieben, um sich für die Zusendung der Himmlischen Geheim- Übrigens war es dieser Brief, wo Sundar Singh – anders als
nisse zu bedanken (ein Buch, von dem er eine Ausgabe, wie wir ge- sonst in der Korrespondenz – den wahrscheinlich einzigen direk-
sehen haben, seit Jahren gehabt hatte): ten Hinweis auf die Schriften Swedenborgs gab. Es wird wohl nicht
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überraschen, dass er sich auf Himmel und Hölle bezieht, und zwar und mit ihm in der geistigen Welt in Kontakt gekommen bin,
auf die Unmöglichkeit, die Hinduauffassung von der Seelenwande- kann ich ihn nachdrücklich als einen großen Seher empfehlen.‹«
rung zu akzeptieren. Und in einem späteren Brief, datiert auf den Sundar Singh, der sich zu jener Zeit in einem sehr kritischen
11. März 1929, bestätigte er, dass er in der geistigen Welt …»Sze- Gesundheitszustand befand, verließ Subathu, um nach »Tibet« zu
nen und Dinge, fast genau so, wie sie Swedenborg in Himmel und reisen, und zwar etwa am 18. April 1929, dem Tag, an dem seine
Hölle beschrieben hat« gefunden habe. letzten Briefe an seine Freunde geschrieben wurden. Man hat da-
Interessanterweise wurde der Name Swedenborg in Sundar nach nie wieder etwas von ihm gesehen oder gehört.
Singhs Korrespondenz mit seiner »spirituellen Mutter« Mrs. Parker Eine Zeitlang war sein Verbleiben Gegenstand von Diskussio-
niemals erwähnt und auch nur ein einziges Mal in einem Brief an nen. Schließlich, so wurde argumentiert, war er ja schon früher in
Söderblom. Als er am 13. November 1928 an ihn schrieb, fragte »Tibet« gewesen und er könnte gerade so geheimnisvoll wieder auf-
er, ob es wohl möglich wäre, die Niederschriften seiner Ausspra- tauchen, wie er verschwunden war. Eine kontroverse Diskussion um
chen mit Swedenborg in Buchform zu veröffentlichen.9 Söderblom ihn folgte. Appasamy’s Artikel hatte den Zorn, zumindest aber die
scheint auf diesen Brief nicht geantwortet zu haben, weil er offen- Sorge einiger evangelischer Christen in Indien erweckt, und einer
bar meinte, dass der Sadhu bei dieser Gelegenheit die Grenzen des von ihnen schrieb ihm, dass seine positive Wertung Swedenborgs
theologisch Akzeptablen überschritten hatte. (Es mag erlaubt sein »abstoßend« sei. Er warnte ihn, er solle nicht den Geist Gottes be-
hinzuzufügen, dass das Lesen gerade dieses Briefes mein Interesse trüben, zumal viele in Indien sich nach ihm richten könnten. »Ich
an einer Ausarbeitung wie dieser erstmalig geweckt hat.) fordere Sie nochmals auf, in dieser Angelegenheit ernsthaft den Wil-
Im März 1929 wurde Sundar Singh in Subathu von A. J. Appa- len Gottes zu erforschen.«
samy besucht, Streeters Mitarbeiter an dem Buch von 1922, mit dem In Publikationen der Neuen Kirche wurde Sundar Singh weiter-
die Auseinandersetzung mit dem Sadhu begann. Appasamy schrieb hin als ein »begeisterter Student der Werke Swedenborgs« bezeich-
darüber im National Christian Council Review vom März 1929: net. Ihm wurden von Swedenborgianern noch Briefe gewidmet, wo
ihm bestätigt wurde, »… wir sind über einige Jahre mit Ihrem Leben
»Er sprach … mit wirklicher Begeisterung von Swedenborgs und Ihrem Werk in einer gewissen Verbindung gewesen.« The Hel-
Büchern. Als Sundar Singhs Buch Visionen der Geistigen Welt ver-
per druckte den Beitrag eines »englischen Sadhu« namens George
öffentlicht worden war, sandte ihm die Swedenborg-Gesellschaft
Leik, der behauptete, mit dem Sadhu in einer einsamen Höhle zu-
einige von Swedenborgs Schriften und wies darauf hin, dass in
sammengekommen zu sein, wo er mit der Erläuterung des vier-
mancherlei Hinsicht Sundar Singhs Erfahrungen denen Sweden-
ten Evangeliums beschäftigt sei, »damit der normale Mensch, der
borgs ähnelten. Diese Bücher … hat er mit großem Interesse gele-
sen. ›Swedenborg war ein großartiger Mann, ein Philosoph, ein
Mann von der Strasse« es verstehen kann. Diese Aussagen waren
Wissenschaftler und vor allem ein Seher klarer Visionen (dies sagte aber wahrscheinlich nichts anderes als eine fromme Phantasie. In je-
der Sadhu zu Appasamy). In meinen Visionen spreche ich oft mit dem Fall half das Verschwinden des Sadhu dabei, eine Legende zu
ihm. Er hat in der geistigen Welt einen hohen Rang inne. Er ist ein bilden, deren Echo bis heute vernehmbar ist, immerhin ein halbes
prächtiger Mann, dabei aber bescheiden und stets bereit zu die- Jahrhundert später.
nen. Auch ich sehe wunderbare Dinge in der geistigen Welt, ich Es ist die Legende von Sundar Singh, die bis heute verhindert
kann sie aber nicht mit der Genauigkeit und mit den Fähigkeiten, hat, dass der Westen wirklich begreift, was für ein Mann er war und
die Swedenborg hat, beschreiben. Er ist eine hochbegabte und die Voraussetzungen versteht, die er bei seinem Zusammentreffen
bestens geübte Seele. Nachdem ich seine Bücher gelesen habe mit Christen (und anderen Menschen) des Westens mitbrachte.
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Ich möchte bei dieser Gelegenheit zwar nicht vorschlagen, rückbli- Punkt bot Swedenborg eine Dimension der Hoffnung, die in den
ckend den Charakters Sundar Singhs zu analysieren, aber es gibt Hauptlehren der missionierenden Gemeinden vollständig fehlte.
schon einige Punkte, die es wert sind, kommentiert zu werden. Aus diesen Gründen akzeptierte Sundar Singh Swedenborgs
Der erste ist, dass Sundar Singh in all seinem Umgang mit der Zeugnisse auch in anderen Punkten. Dies machte ihn jedoch im for-
Christenheit an theologischen Fragen ganz und gar nicht interessiert malen Sinn keineswegs zu einem Swedenborgianer. Ihn interessier-
war, und mit großer Wahrscheinlichkeit wusste er auch nichts von ten Unterschiede der Benennungen überhaupt nicht, und er macht
den unterschiedlichen Interpretationen der christlichen Botschaft, auch keine Anstalten, sich mit der Neuen Kirche zu verbinden, von
durch die die christlichen Kirchen und Benennungen voneinander der Ebene des Lesens der Werke einmal abgesehen. Vielleicht hätte
getrennt werden. In einem rein formalen Sinn war er, man muss das die Neue Kirche ihn als einen »anonymen Swedenborgianer« rekla-
wohl so sagen, ein Anglikaner, obwohl es absurd wäre zu behaupten, mieren können, aber der Sadhu selbst würde wahrscheinlich wenig
dass der Sadhu je Mitglied einer Anglikanischen Gemeinde gewesen Grund hierfür gesehen haben.
wäre. In religiöser Sprache ausgedrückt war er ein »allein Gehender«, Der zweite Punkt ergibt sich aus dem ersten. Sein Leben lang
der Gemeinschaft annahm, wenn sie angeboten wurde, darauf aber wurde die eine Sache, die auf dem spirituellen Pilgerweg des Hindu
nie angewiesen war. Sein Leseverhalten scheint eklektisch und unkri- nötig ist, dem christlichen Sadhu verweigert: die Führung durch ei-
tisch gewesen zu sein, und es gibt kaum Zweifel daran, dass er sich nen persönlichen Guru. Sowohl in Indien als auch im Westen hatte
den Schriften Swedenborgs einfach als christlichem Werk zuwandte, Sundar Singh Tausende von Christen getroffen, von denen viele
das sich von anderen einzig und allein insoweit unterschied, als es wertvoll aber langweilig waren. Für Rebecca Parker empfand er eine
die Dimension der spirituellen Erfahrung anerkennt. Selbst wenn er tiefe persönliche Zuneigung, Söderblom und einige andere erweck-
gewusst hätte, dass andere Christen über einige Aspekte der swe- ten in ihm ein gewisses Maß an Bewunderung, aber bezüglich der
denborgischen Lehre absolut nicht begeistert waren, hätte ihm das zentralen Frage seines eigenen persönlichen religiösen Lebens, näm-
wahrscheinlich nichts ausgemacht (allerdings muss auch zugege- lich der visionären Erfahrung, konnte er von keinem von ihnen ir-
ben werden, dass die Nichterwähnung des Namens Swedenborg in gendeine Führung erwarten. Beim Lesen Swedenborgs fand er zum
seiner Korrespondenz mit seiner evangelischen »geistigen Mutter« ersten Mal einen Christen, der Visionen verstand. In einem Wort,
vielmehr darauf hinweist, dass er über ihre Reaktion unsicher war). Swedenborg wurde der Guru des Sadhu. Und da Swedenborg ja
Er nahm Swedenborgs Zeugnis über die geistige Welt an, da er Zeugnis davon abgelegt hatte, dass ein Lebens des Dienens sich auch
keinen anderen Christen gefunden hatte, der in der Lage war, über- jenseits des Grabes fortsetzt, war die Tatsache, dass Swedenborg vor
haupt etwas darüber zu sagen und weil seine eigene direkte Erfah- so vielen Jahren gestorben war, kein Hindernis dafür, die Verbindun-
rung ihm Beweis für dieses Zeugnis war. Im Übrigen hat die Neue gen zwischen Guru und Schüler aufrechtzuerhalten. Swedenborg
Kirche »den Heiden« nicht gnadenlos zur ewigen Qual verdammt, lebte ja noch; in Visionen konnte er sich ihm nahen, und Sweden-
wie die extremeren evangelikalen Christen es zu tun gewohnt wa- borg konnte ihn noch belehren. In Sundar Singhs spirituellen Di-
ren. Wenn diese Evangelikalen Recht hätten, wäre auch Sundar mensionen tat er genau das. Einige werden sicherlich den Eindruck
Singhs geliebte Mutter zu ewiger Qual verurteilt – in diesem Punkt haben, dass es sich dabei um nicht mehr als Wunschdenken auf Sei-
sprach Swedenborg mit einer durch und durch milderen Stimme10. ten des Sadhu handelt, und in diesem Punkt dürften die Auffassun-
Weiterhin wurde die Hindu-Alternative – Wiedergeburt auf der Erde gen in der Neuen Kirche sicherlich geteilt sein. Dass aber die letzten
– von der Neuen Kirche ebenso abgelehnt wie von allen anderen Lebensjahre Sundar Singhs durch diese Serie von Visionen erträg-
Christen. Die Mehrheit hielt es allerdings für ausgeschlossen, dass es lich wurden, kann nicht bezweifelt werden. Schließlich öffneten die
eine geistige Weiterentwicklung jenseits des Grabes gibt. In diesem Schriften Swedenborgs dem Sadhu eine Dimension christlicher Spi-
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ritualität, die er unter seinen mehr konventionell orientierten christ- dar Singh eine Art Basis oder Modell für einige seiner Erlebnisse geliefert haben. Stokes
und Sundar Singh waren in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts beide Mitglieder
lichen Bekannten und Freunden sonst nicht hatte finden können.
eines quasi-franziskanisch orientierten anglikanischen Ordens, und ein Mitbruder war
Es gibt natürlich noch viele weitere Aspekte der Geschichte der spätere Mitarbeiter von Tagore und Gandhi, Charles Freer Andrews.
des Sundar Singh, die ich in dieser Arbeit nicht zu erörtern versucht 4 Alfred Zahir, Shaida-i-Salib (Agra 1916) in englischer Übersetzung: »A Lover of the
habe. Als Schlussfolgerung meiner Arbeit möchte ich jedoch fest- Cross« (Einer, der das Kreuz liebt). Bedauerlicherweise habe ich niemals eine Kopie dieses
Buches zu sehen bekommen.
stellen, dass es meiner Ansicht nach höchste Zeit ist, die »Akte Sun- 5 In einem Brief Stephen Neills an den Verfasser vom 17. April 1975 heißt es dazu: »Meine
dar Singh« wieder zu öffnen, vor allem auch angesichts von eini- eigene Auffassung ist, dass der Sadhu sicherlich ein ehrenwerter Mann war, dass er aber
gen oberflächlichen und auch törichten Dingen, die über ihn in den die Trennlinie zwischen Fakten und Phantasie kaum ziehen konnte. Ich glaube nicht,
letzten Jahren11 geschrieben worden sind. Er verdient es, bekannt dass er überhaupt jemals in Tibet war, aber ich bin sicher, dass er fest davon überzeugt
war, dort gewesen zu sein. Er hatte eine sehr lebhafte Phantasie und stellte sich oft vor,
gemacht zu werden, so wie er war, aber nicht im Halbdunkel ro- Dinge erlebt zu haben, die tatsächlich nur die Früchte seiner eigenen Phantasie waren.
mantischer Frömmigkeit. Vielleicht wird man die ganze Geschichte Ich glaube, dass so etwas nicht selten das Ergebnis des Fastens ist.«
nie erzählen können, aber in den Teilen, die nachvollzogen werden 6 Was diese Diskussion betrifft, die ich hier nicht führen kann, verweise ich auf Sharpe,
können, wird die Neue Kirche eine weitaus wichtigere Rolle zu spie- »Sadhu Sundar Singh and his Critics« (Sadhu Sundar Singh und seine Kritiker), das schon
in Fußnote 1 angesprochen worden ist.
len haben, als es früher je anerkannt worden ist. 7 Aus dem Brief Streeters an Sundar Singh vom 8. März 1929: »Ich habe das Gefühl, dass
Aus: Studia Swedenborgiana, Volume 5, January 1984, Number 2. in mir ein neues Licht entzündet worden ist über die Bedeutung verschiedener Dinge
im Neuen Testament, und zwar durch das Gespräch mit Ihnen und durch das Lesen des
Buchs von Mrs. Parker.« Was diese »Dinge« waren, kann man von Streeters Buch »The
Anmerkungen Four Gospels: A Study of Origins«, London, 1924, Seiten 191-195 (Die vier Evangelien:
1 Soweit mir bekannt ist, befindet sich die vollständigste Bibliographie über Sundar Singh in Eine Untersuchung ihrer Ursprünge) ableiten. Sie befassten sich mit der Art, wie die
Paul Gable: Sadhu Sundar Singh (Leipzig, 1937), Seiten 173-189. Die einzige akzeptable Inhalte des Evangeliums mündlich weiter vermittelt worden waren.
moderne Biographie ist von A. J. Appasamy, Sundar Singh, A Biography (London 1958, 8 Die Korrespondenz mit Goddard findet sich in voller Länge in Appasamy’s Biografie, nach-
Madras 1966). Ich habe einige Aspekte seiner Arbeit in drei Artikeln dargestellt, und zwar in dem sie vorher in The Helper (zitiert bei Appasamy, Seiten 215-219) erschienen war. Erst
»Sadhu Sundar Singh and his crincs, an episode in the meaning of East and West« (Sadhu kürzlich ist eine deutsche Übersetzung von Appasamy in Offene Tore 5/1983, Seiten 195-
Sundar Singh und seine Besonderheiten: Eine Episode mit Bedeutung für den Osten und den 200 veröffentlicht worden. Übrigens hält Appasamy die Fiktion aufrecht, dass Sundar Singh
Westen« in Religion VI/I; Frühjahr 1976, Seiten 48-66); »Christian Mysticism in Theory and vor der Veröffentlichung seines Werks »Visions of the Spiritual World« keinerlei Kenntnis
Practice: Nathan Söderblom and Sadhu Sundar Singh,« (Christliche Mystik in Theorie und der Werke Swedenborgs und auch keinen Kontakt mit Swedenborgianern gehabt habe.
Praxis: Nathan Söderblom und Sadhu Sundar Singh) in Religious Traditions 4/1 (1981), Sei- 9 Ich habe in meinen Visionen ihren ehrenwerten Landsmann Swedenborg gesehen. Er ist
ten 19-37; und »Nathan Soderblom, Sadhu Sundar Singh and Emanuel Swedenborg,« in E. eine höchst wunderbare Persönlichkeit und er hat mir verschiedene interessante Fakten
J. Sharpe and A. Hultgard (eds.), Nathan Soderblom and his Contribution to the Study of Reli- vermittelt. Meinen Sie, dass es nützlich sein könnte, wenn ich meine Unterredungen mit
gion (Nathan Söderblom und sein Beitrag zum Studium der Religionen, unveröffentlicht). ihm in Buchform niederlegte?
2 Einige frühere Übersetzer haben übermäßige Aufmerksamkeit darauf verwandt, dass Sun- 10 Für diesen Hinweis danke ich Pastor Olle Hjern aus Stockholm.
dar Singh eine Sikh-Herkunft habe, wie zum Beispiel Friedrich Heiler in »Sadhu Sundar 11 Die jüngste Literatur über Sundar Singh fällt in die Kategorie des frommen Taschenbuchs
Singh – Ein Apostel des Ostens und des Westens«, 4. Auflage, München 1926, Seiten 4- und bezieht sich ausschließlich auf die unkritische Literatur der 1910er und 1920er Jahre. In
19. Sundar Singh scheint niemals die Sikh-Schrift »Guru Granth Sahib« erwähnt zu haben, diese Sparte gehört auch der Teil über Sundar Singh in Robin Boyd’s Buch »An Introduction
dagegen hat er behauptet, die Bhagavad Gita als Kind auswendig gelernt zu haben. to Indian Christian Theology« (Einführung in die christliche Theologie Indiens; Madras,
3 S. E. Stokes, »Interpreting Christ to India: a new departure in missionary work,« (Christus 1969). Darin wird er zwar als »zentrale und höchst wichtige Persönlichkeit der indischen
den Indern vermitteln: Ein Neubeginn in der missionarischen Arbeit) in The East and the Christenheit« bezeichnet, aber die Frage wird zu stark unter ausschließlich theologischen
West (1908), Seiten 121-138. Im Jahre 1919 veröffentliche Stokes auch ein Kinderbuch Kategorien behandelt, während die visionäre Komponente in der Spiritualität des Sadhu
mit dem Titel: Arjun, the life-story of an Indian boy (Arjun, die Lebensgeschichte eines auf ein Minimum reduziert wird. Es wäre schade, wenn frühere Bücher über den Sadhu
indischen Jungen; 2. Auflage London, 1911), in dem ein indischer Evangelist Kathar einfach wieder aufgelegt würden, ohne eine genauere Betrachtung über Hintergründe
Singh auftritt, in dem wahrscheinlich mindestens teilweise Sundar Singhs Leben darge- und Zusammenhänge seines Lebens. Ein deutliches Zeichen ist auch, dass Boyd völlig
stellt wurde. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die erzählten Geschichten Sun- uninformiert ist über die Verbindungen zwischen dem Sadhu und der Neuen Kirche.
W ahrlich: ein Buch über Gott und die Welt! Eines für alle und
keinen. Ein Sammelsurium und eine Wunderkammer des
Geistes bestimmt für den täglichen Hausgebrauch. Die Rede ist von
Aufklärerische, kritisch-rationale Auseinandersetzung interes-
sierte den späten Strindberg nur bedingt. Eher im Gegenteil: Im Ra-
tionalismus erkannte er sein Feindbild. Seine Sicht der Naturdinge
einer Spätschrift August Strindbergs und von einem Opus, das sei- war geschult an Vorbildern wie Francis Bacon oder dem schwedi-
nesgleichen sucht. Dieses schwer klassifizierbare Etwas, das Strind- schen Chemiker Jöns Jacob Berzelius und ihrer Art der Naturbeo-
berg »Ein Blaues Buch« nannte, stellt mit seinen knapp 1200 Seiten bachtung. Das Grundmuster seiner Texte, den fortgesetzten Dia-
so etwas wie ein Vermächtnis dar. Begonnen im Jahr 1906, erschien log zwischen Lehrmeister und Schüler, dürfte Strindberg allerdings
der vierte und letzte Band tatsächlich wenige Wochen vor Strind- nicht von Swedenborg, sondern eher aus biblischen Vorbildern so-
bergs Tod im April 1912. wie aus Platos Dialogen geschöpft haben.
Im »Blauen Buch« finden alle möglichen Gegenstände Platz, Man kann das »Blaue Buch« an beliebiger Stelle aufschlagen.
und auch die unmöglichen. Hier ein Auszug aus dem Katalog der Systematiker und Motivforscher beginnen die Lektüre am besten
Dinge, über die Strindberg handelt: über den Wiedehopf, über auf Seite 115. Da gibt der Autor Auskunft über »Die Geschichte
Zola, über Verdauung (schlechte), über Schallwellen (das Telefon, des Blauen Buches«. Bei Goethe habe er gelesen, gesteht Strind-
die Telepathie, den universalen Kontakt), über Vorzeichen, über berg, dass dieser ein Breviarium Universale hatte verfassen wollen,
den Vogelflug, über die Sündflut, über Röntgenstrahlen, über Kälte- ein Erbauungsbüchlein für Bekenner aller Religionen. Das wollte er
ströme, über die Gestalt der Wolken und was sich dahinter verbirgt, auch, ein Wort der Weisheit für jeden Tag des Jahres. Strindberg las
über Bayreuth, über die Oberklasse, über Lears Weib, über Chladnis die heiligen Schriften, aber »siehe da, die Bücher verweigerten sich!
Klangfiguren, über Goethes Okkultismus, über die Windungen des Veda, Zend Avesta waren geschlossen und gaben mir keine Spra-
Gehirns. che; nur der Koran gab eine, aber einen Löwen!«
So nahmen Strindbergs Pläne ihre eigene Richtung. Bald
Alle Freiheiten schwebte ihm ein konfessionsloses »Herbarium Humane« vorrein
Strindberg nimmt sich alle Freiheiten des arrivierten literarischen weltliche Weisheiten über den Menschen sollte es enthalten. Dann
Souveränsund das heißt auch: keine Rücksicht, weder auf den Leser kam der 15. Juni 1906und an diesem Tag eine Strassenbahn mit der
noch auf lebende oder tote Personen. Seine Gedankenspiele folgen Nummer 365. Strindberg, spätestens seit seinem Aufenthalt in Paris
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Mitte der 1890er Jahre und der sogenannten »Inferno«-Krise (wenn teorologie, der Physik und der Sprachgeschichte. Er durchstreift sie
es denn eine Krise war) ein Semiotiker im Alltäglichen, nahm es mit aufs Geratewohl, er wildert darin. Vieles, schreibt die Herausgeberin
Zahlen und Zeichen sehr genau und jene als Hinweis auf die Tage Angelika Gundlach, erwiese sich bei näherer Überprüfung als »haar-
des Jahres und die Anzahl der Texte, die er zu schreiben gedachte sträubender Unsinn«. Und ein Problem des selbsternannten Polyhis-
(es wurden schließlich »nur« 328 im ersten »Blauen Buch«). Weitere tors besteht in einer Fehleinschätzung des Publikums: Für den Laien
Zeichen folgten, die auch im »Okkulten Tagebuch« vermerkt wur- behandelte sein Buch zu avancierte Gegenstände, für den Fach-
den. Diese seit über zehn Jahren geführten Aufzeichnungen dienten mann enthielt es zu viele Mängel.
Strindberg zudem als Fundgrube und Ideenreservoir für das nun
zu schreibende Buch. Viele der naturwissenschaftlichen Beobach- Neues Genre
tungen und Spekulationen, Strindberg nannte sie »Entdeckungen«, Als August Strindberg im Sommer 1906 mit der Niederschrift zu
dürften auf solche Notate zurückgehen. »Ein Blaues Buch« begann, ging es ihm nicht zuletzt darum, ein
Es war nicht das erste Mal, dass sich Strindberg mit den Natur- neues Genre auszuprobieren. Die meisten seiner nach 1900 ge-
wissenschaften befasste. Vor allem die erste Hälfte der 1890er Jahre schriebenen Dramen lagen ungespielt herum, und falls doch ein-
erlebten den Schriftsteller als Konvertiten, der sich von der Litera- mal eines aufgeführt wurde, endete es in einem Fiasko, wie sein
tur ab- und den seiner Meinung nach »seriösen« Wissenschaften »Engelbrecht« oder »Mittsommer«. Und den 1904 fertiggestellten
zuwandte. In dieser Zeit entstanden kaum nennenswerte literari- Schlüsselroman »Schwarze Fahnen«, eine in jeder Hinsicht unver-
sche Texte. Stattdessen kleinere und größere Schriften, über Farb- blümte Abrechnung mit der schwedischen Kultur- und Geisteselite,
fotografie und den Zufall, über die Nerven der Pflanzen, über den hatte zunächst kein einziger Verlag zu drucken gewagt. Strindberg
Blick zum Weltraum und die Spektralanalyse. Einem Gebiet freilich fühlte sich nicht zum ersten Malumgeben von Feinden und ging
widmete Strindberg viel Zeit und Aufmerksamkeit: der Chemie und zum Angriff über.
ihrer esoterischen Seite, der Alchemie. Mit Ernst Haeckel als Leits- So sind die Charakterstudien im »Blauen Buch« nichts anderes
tern und dessen Formulierung eines evolutionären Monismus, mit als Karikaturen-Porträts und ganz unzweifelhaft persönlich gemeint.
Prouts Hypothese über den Wasserstoff und der Idee eines Urele- Seinem »schlimmsten Feind«das war der Schriftsteller, Kritiker und
ments wollte Strindberg die herrschende Elementelehre erschüt- frühere Freund Gustaf af Geijerstamwidmet er gleich zwei Einträge
tern, wie überhaupt seine Wissenschaft immer den (künstlerischen) ins Schadensbuch, darunter den wunderbar spitzen »Der Klebrige«,
Stachel der Provokation enthielt. Das hinderte ihn nicht, Kontakt der so beginnt: »Es gibt klebrige Menschen, unzureichend, leer, die
zu jenen Autoritäten zu suchen, die er kritisierte, und ihnen seine nicht auf der eigenen Wurzel leben können, sondern auf dem Ast
Schriften zuzusenden, dem Chemiker Marcelin Berthelot etwa oder eines anderen sitzen müssen, ganz wie die Mistel, die ja so klebrig
dem Astronomen Camille Flammarion. Mit mäßiger Resonanz: Man ist, dass man Vogelleim aus ihr kochen kann.« Scharfzüngig, pole-
blieb höflich dem berühmten Schriftsteller gegenüber, aber man misch, manchmal bitter, manchmal bösartigem Umgang mit der
nahm ihn wohl auch nicht ganz ernst. Feder war Strindberg stets bildstark, aber eines gewiss nicht: ein
Erst spekulieren, dann experimentieren, lautete Strindbergs Pro- Evangelist. Die christliche Versöhnungslehre erschien ihm schwer
gramm. Diese Grundhaltung erkennt man im »Blauen Buch« wie- erklärlich. Wenn er schrieb, zeigte sich Strindberg von seiner alttes-
der. Neben allgemeinen philosophischen und psychologischen Be- tamentarischen Seite, sein Impuls hieß nicht selten: Rache. Ob für
trachtungen widmet sich Strindberg den Feldern der Astronomie, erlittenes Unrecht oder für bloß eingebildetes, lässt sich heute kaum
der Biologie, der Chemie, der Mathematik, der Medizin, der Me- mehr unterscheiden.
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Es steht außer Frage, dass Strindberg seit dem Bekenntnisro-
man »Inferno« (1897) eine gläubige Haltung vertritt. Weggefährten
Spirituelle Lebenshilfe
haben diese religiöse Wende im Werk des Autors teils scharf kriti- Geistiges Heilen in erweitertem Sinn
siert, teils verständnislos kommentiert. Der Herausgeber der schwe- Zu der gleichnamigen Buchveröffentlichung von Gertrud Emde1
dischen Ausgabe des »Blauen Buches«, Gunnar Ollén, brachte es von Heinrich Beck
auf den Punkt: »Er war Theist, gottgläubig, auf eine alttestamentari-
sche Weise, aber kaum auf eine christliche.« D iese Schrift stellt sehr lebendig eine Aufgabe und Möglichkeit
des Christen vor, die gewöhnlich viel zu wenig beachtet wird,
obwohl sie eine zentrale Dimension des Lebens betrifft: die Beru-
Ein Wanderer auf dem Weg
fung und Kompetenz, aus geistigen Quellen Hilfe und Heilung in
Es war ein langer Weg vom Atheismus der 1880er Jahre über den menschlicher Not und Krankheit zu vermitteln. Darin liegt ein spezi-
wissenschaftlichen Monismus des folgenden Jahrzehnts zu dem fischer Bezug zur »Ganzheit« des Menschen. Die Verfasserin berich-
selbstgestrickten Theismus, den Strindberg im neuen Jahrhundert tet aus ihrem eigenen Werdegang als sensitiv besonders begabte
vertrat und in Stücken wie »Ein Traumspiel«, »Nach Damaskus« Persönlichkeit und aus ihrem konkreten Umgang mit leidenden
oder seinem Epilog »Die große Landstrasse« auch auf der Bühne und hilfesuchenden Menschen. An eindrucksvollen Beispielen ent-
durchscheinen ließ. Ein Naturalist im Sinne Zolas war Strindberg wickelt sie Prinzipien des Heilens, die jeder Christ und religiös en-
wohl nie wirklich gewesen, eher ein Opponent gegen jede Rich- gagierte Mensch zu praktizieren und »einzuüben« versuchen sollte.
tung, die gerade in Mode war, ein Wanderer auf seinem eigenen Der Band dokumentiert in überarbeiteter Fassung vier Vor-
Weg, und nicht zufällig sind die genannten Stücke durchweg Stati- träge: Der erste: »Christliches Heilen« handelt von der »Fähigkeit
onendramen. So ist auch das »Blaue Buch« das Fahrten- und Traum- und Pflicht eines jeden Christen, einem Kranken in Notfällen spiri-
buch eines lebenslang Ruhelosen. tuell heilend beizustehen«. Der zweite: »Wie können wir geistiges
Die meisten Texte sind kurz und prägnant, zwischen einer hal- Heilen verstehen und anwenden?« handelt über den »Sinn von
ben und zwei Druckseiten, nur wenige gehen darüber hinaus. Aus Krankheiten und Schicksalen« und die »Aspekte, auf die es demzu-
folge bei der geistigen Heilung ankommt«. Der dritte: »Spirituelle
den insgesamt 650 Stücken hat Angelika Gundlach, die bereits die
Lebensberatung«
große, leider mittendrin stillgelegte Frankfurter Strindberg-Ausgabe
erörtert »Möglichkeiten zur Befreiung von negativen geistigen Ein-
des Insel-Verlags betreut hatte, eine kluge Auswahl getroffen und
flüssen und zur psychischen Heilung«. Den zusammenfassenden
mit einem vorzüglichen Anmerkungsapparat versehen. Dabei hält
und vertiefenden Abschluss bildet ein vierter Vortrag: »Grundlagen
Gundlach sich an die Strindbergsche Abfolge. Franz Greno besorgte geistigen Heilens«, der im Rahmen einer Ringvorlesung zum Thema:
die bibliophile Ausstattung ganz in Blau: blauer Samteinband, blau- »Geist, Heilung, Energie im Spannungsfeld von Wissenschaft, Re-
toniges Papier, blaue Schrift. Das Buch hat es verdient: Man hält ligion und Geschäft« an der Universität Bayreuth gehalten wurde.
das himmlisch-wolkige Blau des samtenen Einbands in Händen und Bereits das »Vorwort« stellt klar: »Unter ›geistigem Heilen‹
freut sich über all das Blaue vom Himmel darin. wird in diesem Buch nicht die medizinische Behandlung von
Geisteskrankheiten verstanden, sondern vielmehr die Vermitt-
August Strindberg: Das Blaue Buch. Ausgewählt und übersetzt von lung von Hilfen zur Gesundung aus einem immateriellen, ›geis-
Angelika Gundlach. Die andere Bibliothek Band 248. Eichborn- tigen‹ Seinsbereich« das heißt zutiefst aus der Liebe Gottes zu
Verlag, Frankfurt am Main 2005. 420 S., Fr. 54.–. seiner Schöpfung. Diese Vermittlung geschieht durch Segnun-
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gen bzw. vertrauensvolle Fürbitten. Sie tritt darum nicht in Kon- gelangt zu seinen »Früchten« nicht ohne die »Reben«; aber die
kurrenz zu einer medizinischen Behandlung durch den Arzt, son- »Früchte« sind letztlich nicht Produkte der »Reben«, sondern
dern ist eher als deren Ergänzung oder wirksame Grundlage des »Weinstocks«.
zu betrachten. Dabei geht es stets um mehr als um bloße Be- 2. Die Grundlage einer Heilung auf Seiten des Heilsuchenden ist
freiung von gesundheitlichen Beschwerden. Diese werden viel- gleichfalls eine Selbstprüfung: nun in bezug auf die Motive des
mehr in einem übergreifenden Lebens- und Schicksalszusam- Heilwerdenwollens, wobei das eindringliche Gespräch mit dem
menhang »geortet«, so dass eine »Vermittlung von Heilung aus Heiler bzw. der Heilerin helfen kann, sich ihrer bewusst zu wer-
geistigen Quellen« von vornherein auf das »Heil des ganzen den. Hier leitet die wesentliche Frage: Ist der Beweggrund rein
Menschen« abzielt und damit in der Perspektive des umfassen- vordergründig und »egozentrisch« oder der Wunsch nach ei-
den Ganzheitsbezugs einer »spirituellen Lebenshilfe« geschieht. nem Leben, das der göttlichen Sinnordnung entspricht? Hinzu
So verstandene »Geistheilung« könnte grundsätzlich im muss die Bereitschaft kommen, sich von falschen Verhaftungen
Rahmen jeder Religion stattfinden, in der »Gott« als »lieben- zu lösen und ggf. die Lebensführung zu ändern. Z.B. würden
der schöpferischer Grund der Welt« verehrt wird, also z.B. auch eine ungeordnete Konsumhaltung wie schlechte Eßgewohn-
im Islam oder im Hinduismus. Das spezifisch Christliche der heiten den Leib, der nach Paulus ein »Tempel des hl. Geistes«
von der Verfasserin vorgetragenen Heilweise besteht in der Be- sein sollte, zu einem »Mülleimer« degradieren, in den Leben
ziehung auf Jesus Christus und der durch ihn uns zugesproche- aus göttlicher Quelle kaum einfließen könnte.
nen besonderen Berufung und Vollmacht als »Kinder Gottes«. 3. Auf der Basis dieser beiden Voraussetzungen muss als erster und
Ich möchte nun versuchen, diese Heilweise im Sinne der grundlegender Akt sowohl vom Heilvermittelnden als auch vom
Verfasserin darzustellen. Dabei gliedere ich sie in verschiedene Heilsuchenden eine bewusste und völlige Hingabe an den Willen
»Schritte«, die weniger als eine zeitliche Folge, sondern als die »in- Gottes vollzogen werden: »Vater, nicht mein, sondern Dein Wille
nere Aufbauordnung« des heilenden Handelns aufzufassen sind. geschehe!« Eine solche Hingabe basiert auf dem Glaubensbe-
wusstsein, dass Gott in seinem Wesen reine Liebe ist und stets das
1. Die Grundlage auf Seiten des Heilers bzw. der Heilerin ist eine Beste für seine Geschöpfe will. Wenn daher nach seiner allweisen
Selbstprüfung in bezug auf die Motive des Heilens und ggf. die Vorsehung ein bestimmtes Leiden für den betreffenden Men-
Reinigung von rein irdischen Interessen (wie vielleicht dem Be- schen ein sinnvoller Weg zum Heil ist, indem dieser Mensch in
dürfnis, durch das Heilen eigene »Macht« oder öffentliche Be- der Auseinandersetzung mit sich selbst und durch die Annahme
wunderung zu erleben oder auch wirtschaftlichen Gewinn zu seiner Situation etwas lernen soll, das zu seiner Reifung unbe-
erzielen). Dies geschieht im Zuge der Entscheidung, sich als dingt notwendig ist (was u. U. gar nicht leicht zu erkennen ist),
»reiner Kanal« völlig selbstlos der göttlichen heilenden Liebe so kann ihm von der Liebe Gottes her das Leiden nicht erspart
zur Verfügung zu stellen in der Nachfolge Jesu Christi und werden. Andererseits aber ist es wohl auch denkbar, dass sich
im Bewusstsein seines ausdrücklichen Auftrags. Dieser ist im der Leidende geistig und seelisch so umstellt, dass der Sinn, um
Neuen Testament klar ausgedrückt, wie etwa mit den Worten dessentwillen das Leiden von der Vorsehung zugelassen ist, auch
Jesu: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben«: Das Heil das er ohne das faktische Leiden erreicht werden kann. So erscheint es
bringen wollte und darin integriert auch die Heilung von allen stets als das Beste und ist es für jede Bitte um eine konkrete Hei-
möglichen Krankheiten –, eben die »Früchte des Weinstocks«, lung grundlegend, sich der Weisheit und dem Willen Gottes be-
sollen durch unsere Vermittlung, durch die »Umsetzungsarbeit dingungslos anzuvertrauen und vollkommen zu überlassen, mit
der Reben«, immer weiter hervorkommen. Der »Weinstock« der ausdrücklichen Gebetshingabe: »Dein Wille geschehe!«2
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4. Wenn dies geschehen ist und erst dann! kann in einem zwei- haltung und Sanierung seiner sichtbaren Schöpfung gedacht
ten Akt eine direkte Bitte um Heilung einsetzen. Dies bedeu- sind. Ihre Anrufung und Bitte um Mitwirkung erscheint insbe-
tet eine mitfühlende Hinwendung des Heilers bzw. der Heilerin sondere dann sinnvoll, wenn das Leiden eines Menschen deut-
zum Heilsuchenden, eine tiefe Hingabe an den notleidenden liche Anzeichen einer Belastung durch zerstörerische geistige
Menschen in seiner Not, indem der Heiler diese, zusammen mit Einflüsse trägt, die in die Richtung des »Dämonischen« weisen;
dem Kranken selbst! Gott hinhält: »Vater, schau Dir diesen Men- denn dazu dürfte eine »Mobilisierung« von positiven geistigen
schen, der Dein Kind ist, an! Hab' Erbarmen und wende seine »Mächten und Gewalten« in der angemessenen Proportion ste-
Not!« Je vertrauensvoller diese Bitte ausgesprochen wird, desto hen. »Heilung« bedeutet dann an der Wurzel die Befreiung von
gewisser darf man auf Erhörung hoffen. Wenn der Heiler so vor entsprechenden Abhängigkeiten, wobei selbstverständlich die
Gott für den Heilsuchenden hintritt und mit aller Entschieden- beharrliche Mitarbeit der betroffenen Person unerlässlich ist.
heit für ihn eintritt, sollte er sich ausdrücklich auf die Worte Jesu Diese Zusammenhänge werden vor allem in dem bereits ein-
berufen: »Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen gangs erwähnten 3. Beitrag des Buches: »Spirituelle Lebens-
sind, da bin ich mitten unter ihnen!« und in der Gewissheit der beratung Möglichkeiten zur Befreiung von negativen geistigen
Nähe und Begleitung Jesu seine weiteren Worte beherzigen: Einflüssen und zur psychischen Heilung« angesprochen.
»Wer bittet, dem wird gegeben!«, »wer anklopft, dem wird auf- Die Verfasserin schließt auch die Möglichkeit von »Selbsthei-
getan!«, »bittet um was immer ihr wollt, glaubet nur, dass ihr lung« nicht aus (vgl. z.B. S. 90 f.). Dabei ist das was über den Hei-
es erhalten habt, und ihr werdet es erfahren« und: »Wenn euer ler bzw. die Heilerin (in den Punkten 1, 3 und 4) und was über
Glaube nur so groß ist wie ein Senfkorn, kann er Berge verset- den Heilsuchenden (in Punkt 2) gesagt wurde, in entsprechender
zen«. Dementsprechend sollten sich beide, Heilvermittelnder Weise auf dieselbe Person zu beziehen. Die Übung von »Selbsthei-
wie Heilsuchenderden heilen Zustand bereits möglichst leben- lung« als einer besonderen Fähigkeit und Aufgabe des Christen im
dig vorstellen und sich in ihn freudig und vertrauensvoll geistig Umgang mit sich selbst ist immer angebracht; jedoch dürfte sie
»hineinbewegen«in dem Bewusstsein, dabei in Jesu Sinn und bei »schweren Fällen« in der Regel allein nicht ausreichen.
Auftrag zu handeln, der sich gerade im Hinblick auf die gege- So bedeutet das Buch von Gertrud Emde eine wichtige Anre-
bene Situation konkretisiert. Aufgrund der liebenden Einheit gung, sich dessen mehr bewusst zu werden, was man als Christ
und Gemeinschaft mit Jesus Christus kann die gläubige Bitte um und »Kind Gottes« eigentlich ist!
konkrete Heilung nicht etwa als eine »Selbstüberforderung des
Anmerkungen
Heilers« oder als ein »Vergewaltigungsversuch Gottes« empfun-
1 Schriftenreihe DONATA, Bd. 5, Verlag Dr. Günter Emde, Pittenhart:2003 (99 Seiten),
den werden. Sie erfolgt ja in absoluter Unterordnung unter den
ISBN 3-923637-57-8
Willen Gottes und in völliger Hingabe an ihn (siehe Schritt 3). 2 Eine ganz andere Voraussetzung ist gegeben, wenn der Leidende in der Nach-
5. Die bisher beschriebenen Schritte bzw. Gliedelemente der folge Christi die Krankheit als stellvertretendes Leiden für Andere trägt – sei es,
»geistigen Heilung« als »spiritueller Lebenshilfe« erscheinen in dass er sich in Liebe freiwillig Gott dafür angeboten hat, oder dass es ihm in der
Teilhabe an der »Einheit der Schöpfung« und am »mystischen Leib Christi« auf-
deren Sinnstruktur schlechthin konstitutiv und unbedingt not- erlegt ist. Aber auch dann ist die Hingabe an den unverfügbaren Willen Gottes
wendig. Als eine äußerst hilfreiche und wirksame Ergänzung das Entscheidende. Denn, wie es bei Paulus heißt, »selbst wenn ich meinen Leib
kann aber noch der Einbezug von »unsichtbaren Helfern«, näm- zum Verbrennen hingäbe, hätte aber die Liebe nicht – es nützte mir nichts!«
lich von Engelwesen erfahren werden, die als personale geistige
Energien des Lichtes und der Liebe von Gott geschaffen und
gewissermaßen als seine »Assistenten« bei der Entfaltung, Er-
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Zur Erinnerung an Berufslosigkeit waren der Grün-
Wilhelm Schläppi dung einer Familie nicht förder-
lich, aber es fehlte wohl auch die
Wilhelm Schläppi, geboren am Bestimmung dazu. Mittlerweile
23.2.1914, ist am 31.10.2005 in über 30 vollzog ich den Wechsel
die geistige Welt eingegangen. Der von der Landwirtschaft in die In-
eine oder andere Leser dieser Zeit- dustrie und wurde Fabrikarbeiter.
schrift wird noch Druckausgaben Doch mein eher unbewusstes Su-
der Werke Emanuel Swdenborgs chen nach dem Schatz im Acker
in seinem Bücherregal haben, die veranlasste mich, alles andere zu
»Willi« Schläppi hergestellt hat. Er verkaufen, um denselben zu er-
gehörte zu den stillen Dienern, die werben und führte mich ins Taxi-
ohne Aufsehen zu erregen einen gewerbe nach Zürich. Damit war
wichtigen Beitrag für eine große endlich die Möglichkeit gegeben,
Sache leisten. Aus der nachfolgen- im großen Angebot von religiösen
den Lebensbeschreibung, die er Vorträgen und Veranstaltungen zu
selbst niedergeschrieben hat, wird sichten, was dann mit einem Vor-
seine tiefe Verbundenheit mit der trag über das Leben nach dem
Theologie Swedenborgs ersichtlich. Tod, gehalten von Pfr. Dr. Friede-
mann Horn, endlich ans Ziel führ-
»Aufgewachsen bin ich im schö- te. Anschließend folgte eifriges
nen Berneroberland. Das Noma- Studium der Swedenborgschriften
denleben, der ständige Wechsel bis zur Gründung unserer Haus-
von Alp- und Talwirtschaft ver- druckerei im Gemeindeheim an
unmöglichte mir den Besuch, der der Apollostraße. Nun folgte der
zum Erlernen eines Berufes erfor- Wechsel vom Lesen zur Mitarbeit
derlichen Sekundarschule. Doch im Verlag, bis es dann 1972 zu
Bücher übten immer schon eine einer ganztägigen Anstellung im
grosse Anziehungskraft auf mich Swedenborg Verlag kam, dem ich
aus, so z.B. Biographien außer- bis 1988 – meinem 75. Lebensjahr
gewöhnlicher Menschen, Okkul- – meine Treue hielt. Ich bin dem
tismus, Spiritismus, Hypnose und Herrn unendlich dankbar, dass er
bald auch Bücher religiöser Art. mich zur Neuen Kirche geführt
Mein religiöses Leben hielt sich hat, denn nur durch die inneren
über Jahrzehnte im Hintergrund. Wahrheiten des göttlichen Wor-
Die Wirtschaftskrise der 30er Jah- tes konnten bei mir auch die äu-
re, nachfolgender Aktivdienst und ßeren richtig lebendig werden.«
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