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Die Ashtavakra Gita

– Ein Dialog zwischen dem Weisen Ashtavakra und König Janaka

Einleitung unterliefen. Ashtavakra, bereits spirituell weit


entwickelt, konnte es nicht ertragen, dass die
Es existiert eine uralte Abhandlung im Sanskrit, Veden so schlecht rezitiert wurden, und konnte
die Ashtavakra Gita – einige Gelehrte erachten sich daher nicht zurückhalten, sich im Schoß
sie für älter als die Bhagavad Gita. Sie besteht seiner Mutter zu winden und zu drehen. So wurde
aus einem Dialog zwischen dem Weisen Ashta- er an acht Stellen deformiert.
vakra und seinem Schüler König Janaka. Dieser
Es gibt eine andere Legende in der Mahabharata,
Dialog stellt ein außergewöhnliches Beispiel des
wonach Ashtavakras Vater Kahor, seiner Frau
göttlichen Elementes in der Beziehung zwischen
Sujata die Veden zu rezitieren pflegte, als ihr Kind
einem Selbstverwirklichten und einem überragend
in Sujatas Schoß war. Das Kind rief eines Tages
„reifen” Schüler dar, d.h. jemandem, der nur auf
plötzlich aus: „Durch Deine Gnade, mein lieber
jenen schnellen Funken der Initiation in die Wahr-
Vater, habe ich all die Veden gelernt, aber es ist
heit wartet, durch den plötzliche Erleuchtung
ein Jammer, dass Dir in Deiner Aussprache so
geschieht. Die Ashtavakra Gita stellt zur glei-
viele Fehler unterlaufen sind.” Kahor, ein großer
chen Zeit eine erstaunlich direkte, positive und
Gelehrter (entsprechend dieser Version) und
unmissverständliche Auslegung der Lehre der
berühmt für seine Gelehrsamkeit, konnte diese
Nicht-Dualität dar, vielleicht die beste, die je
Beleidigung von seinem ungeborenen Kind nicht
formuliert wurde.
ertragen, und verfluchte ihn, mit acht Höckern in
Die Ashtavakra Gita ist nicht annähernd so be- seinem Körper geboren zu werden, und so kam
kannt wie die Bhagavad Gita, denn sie ist so klar Ashtavakra „achthöckerig” zur Welt.
und unzweideutig, dass sie sich nicht zu den
Verdrehungen und Verwicklungen eignet, die Die Geschichte erzählt weiter, dass Ashtavakras
Vater Kahor zum Hof des König Janaka ging, um
manche Kommentatoren brauchen, um ihre
eigenen philosophischen Voreingenommenheiten ihn um eine Gefälligkeit zu bitten. Er wurde gebe-
ten, mit dem Hofschüler Vandin, der der Sohn des
oder spirituellen Neigungen zu rechtfertigen. Sie
enthält hervorragende fundamentale Aussagen Königs Varuna war, ein Streitgespräch über
spirituelle Dinge zu führen. Kahor wurde besiegt
und klare Feststellungen, die so offensichtlich auf
intuitiver Erfahrung und Überzeugung beruhen, und zur Strafe als Priester des religiösen Lebens
im Dienste von Varuna in die Unterwelt geschickt.
dass sie jede Bemühung von brillanter Auslegung
oder intellektueller Akrobatik strikt verneint und Als Ashtavakra zwölf Jahre alt war, hörte er von
seines Vaters Elend und ging zum Hof des König
unmöglich macht. Sie ist eine vergleichsweise
kleine Abhandlung, kompakt, gut formuliert und Janaka in der Absicht, an einer Debatte teilzu-
nehmen, zu der die berühmtesten Gelehrten
enthält ungefähr 300 Verse von jeweils zwei
Zeilen, die die Wahrheit, die ganze Wahrheit und eingeladen waren. Als die Versammlung Ashta-
vakra in den Hof watscheln sah, begannen alle
nichts als die Wahrheit vermitteln.
anwesenden Schüler zu lachen, und sogar der
Der Weise Ashtavakra wurde so genannt, weil er freundliche und gottesfürchtige König Janaka
acht Höcker oder Deformationen in seinem Körper konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Doch
hatte. Es gibt unterschiedliche Erklärungen für seine Belustigung verwandelte sich in Erstaunen,
diese Deformationen. Eine Legende berichtet als er sah, dass der junge Ashtavakra ebenso laut
folgendes: als Ashtavakra im Schoß seiner Mutter lachte wie jeder andere. Der König wandte sich an
war, rezitierte sein Vater jeden Tag die Veden, das kleine, verkrüppelte Wesen und sagte zu ihm:
und Ashtavakra hörte sie auf diese Art. Der Vater, „Junger Mann, ich kann verstehen, warum die
obwohl sehr fromm und gottesfürchtig, war kein anderen lachen, aber den Grund Deines Geläch-
gebildeter Mann. So geschah es, dass ihm eine ters kann ich nicht verstehen.” Ashtavakra wurde
Anzahl von Fehlern im Rezitieren der Veden plötzlich ernst und sagte zum König, dass er

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lache, weil er nicht verstehe, wie der König erwar- nicht schrie, sondern herzlich lachte, denn er
ten könne, die Wahrheit in einer Versammlung betrachtete das Leben als etwas, das man genie-
von Flickschustern zu finden. Der König wurde ßen soll (unter der Voraussetzung, andere nicht
ärgerlich und bat Ashtavakra sehr ernst, sich zu unglücklich zu machen). „Gute Gedanken, gute
erklären. Der junge Bursche antwortete ebenso Worte, gute Taten” war die Essenz seiner Lehre.
ernst: „Das ist sehr einfach, Eure Majestät. Alle Seine Religion ist die einzige, in der Fasten unter
diese verehrten Gäste sind nicht besser als Flick- normalen Umständen nicht nur nicht empfohlen,
schuster, weil sie nicht über die äußere Hülle sondern ganz bewusst verboten ist.
hinaussehen können. Sie können die Präsenz Lao Tzu soll achtzig Jahre alt gewesen sein, als
innerhalb des physischen Körpers nicht erkennen. er geboren wurde. Die offensichtliche Bedeutung
Wenn der irdene Topf zerbricht, zerbricht dann dieser Legende liegt nicht darin, dass er achtzig
auch der Raum innerhalb des Topfes? Wenn der Jahre lang im Schoß seiner Mutter war, sondern
Topf verformt ist, ist dann auch der Inhalt des dass er in Weisheit empfangen worden war und
Topfes verformt? Mein Körper mag deformiert weise und träge geboren wurde Seine Lehre, die
sein, aber 'Ich' bin unendlich und grenzenlos.” Der der Lehre von Nisargadatta Maharaj erstaunlich
König, bereits spirituell weit entwickelt, wusste ähnelt, beinhaltete keinerlei Übungen oder Diszip-
sofort, dass Ashtavakra eine vollkommen Selbst- linen. Er lehrte, dass es kein Ziel und keinen Weg
verwirklichte Seele war, und schon am nächsten gibt, und dass das tiefe und klare Verstehen der
Tag wurde er entsprechend seines eigenen Vollkommenheit, des Was-Ist, keine achtzig Jahre
Wunsches von Ashtavakra als Schüler ange- für seine Erfüllung braucht, sondern im Gegenteil,
nommen. eine plötzliche und augenblickliche Erleuchtung
Diese Geschichte Ashtavakras ist, wie ähnliche hervorbringen kann.
von anderen Weisen, Heiligen und Propheten, Aus diesem Grund sind die vielen Legenden und
offensichtlich nicht wörtlich zu verstehen. Aber es Mythen in den Religionen offensichtlich nicht
ist nicht schwierig, die wahre Aussage zu erken- wörtlich zu nehmen. Sie sollen die Bedeutung
nen, wie im Falle ähnlicher Geschichten von einer bestimmten Lehre in anschaulicher Weise
Weisen und Propheten wie Buddha, Lao Tzu und vermitteln. Sie sollen deutlich machen, dass der
Zarathustra. Im Falle Ashtavakras könnte die Same das Potential enthält, das im Samen nicht
Deformation des Körpers an acht Stellen einen sichtbar ist. Tatsächlich ist es für diejenigen
Bezug zum achtfachen Yogapfad haben. Ashta- schwierig, die jemanden als den „Samen”, als
vakra betont mit Nachdruck, dass Erleuchtung Kind oder jungen Mann gesehen haben, ihn im
nicht irgendwelche Übungen oder Disziplinen des späteren Leben als Weisen zu akzeptieren. Man
Körpers oder des Verstandes erfordert. Erleuch- wird oft hören: „Glaube mir, ich kenne ihn seit
tung kann plötzlich im Bruchteil einer Sekunde seiner Kindheit, aber von einem Weisen oder
geschehen, sobald die klare Erkenntnis vorhan- Heiligen war nichts zu sehen.” Viele Jahre lang
den ist (und nicht nur intellektuelles Verstehen), verweilte Ramana Maharshi, der Weise von
dass es niemals eine Gebundenheit für irgend Arunachala in Südindien ganz allein in einer
jemanden gegeben hat, dass man immer frei ist, Höhle. In der Zwischenzeit hatte seine Familie die
und dass die Freiheit schon immer jedermanns Suche nach ihm völlig aufgegeben. Als sein
Geburtsrecht war. Aufenthaltsort bekannt wurde, versuchte man, ihn
Es gibt eine Legende, dass Buddha von seiner nach Hause zurückzubringen, doch ohne Erfolg.
aufrecht stehenden Mutter geboren wurde, und er Als seine eigene Mutter schließlich zu ihm ging
selbst sofort auf seinen eigenen Füßen stand. und ihn bat, mit ihr nach Hause zurückzukehren,
Anstatt zu fallen, ging er sieben Schritte. Beim war er gezwungen, ihr zu sagen, dass er nicht
achten Schritt hielt er an und machte seine vier länger der Mann sei, der sein Zuhause verlassen
grundlegenden Aussagen: samsara heißt Un- hatte, dass dieser Mann nicht mehr existiere.
glücklichsein; es ist möglich, das Unglücklichsein
zu überwinden; es gibt einen Weg, über dies
Unglücklichsein hinauszugelangen; der Zustand
des Glücklichseins ist nirvana.
Von Zarathustra wird gesagt, dass er im Gegen- Der Dialog zwischen Ashtavakra und Janaka
satz zu allen anderen neugeborenen Kindern beginnt mit einer Frage…

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(1.) Janaka fragt: Nachdem Du das Dickicht der Unwissenheit mit
Wie kann Wissen erlangt werden? Wie kann dem Feuer der Überzeugung "Ich bin das Eine,
Befreiung erreicht werden? Wie kann Entsagung Reine Bewusstsein" niedergebrannt hast, lass
geschehen? allen Kummer gehen und sei glücklich.
(10.)
Du bist jenes Bewusstsein – höchste Glückselig-
(2.) Ashtavakra erklärt:
keit – in dem diese phänomenale Manifestation
Mein Kind, wenn Du Befreiung suchst, dann
erscheint, so wie die Illusion von der Schlange als
meide die Sinnesobjekte wie Gift; suche Verge-
Seil. Lebe glücklich.
bung, Ernsthaftigkeit, Freundlichkeit, Zufriedenheit
und Wahrheit wie Du Nektar suchen würdest. (11.)
Wer sich selbst für frei hält, ist in der Tat frei. Wer
(3.)
sich gefangen glaubt, bleibt gefangen. „Was man
Du bist weder Erde, noch Wasser, noch Feuer,
denkt, das wird man”, ist sicherlich ein wahrer
noch Luft, noch Raum. Du bist der Beobachter
Ausspruch.
dieser fünf Elemente als Bewusstsein. Dies zu
verstehen, ist Befreiung. (12.)
Atman ist der einige Zeuge, das alles durchdrin-
(4.)
gende, vollkommen freie Bewusstsein – tatenlos,
Wenn Du dich von der Identifikation mit dem
ungebunden, wunschlos und in Frieden mit sich
Körper befreist und entspannt in und als Bewusst-
selbst. Nur in der Illusion scheint er in samsara
sein verweilst, wirst Du in genau diesem Moment
verstrickt zu sein.
glücklich sein, in Frieden, frei von Bindung.
(13.)
(5.)
Gib die Illusion auf, ein individuelles Selbst zu
Du gehörst nicht irgendeiner Kaste an, wie der der
sein, zusammen mit allen äußeren und inneren
Brahmanen, noch bist du irgendeiner Lebensstufe
Selbst-Veränderungen, und meditiere über At-
zugehörig. Du bist nicht das Objekt irgendwelcher
man, das unveränderbare, nicht-duale Bewusst-
Sinne. Losgelöst und formlos bist Du der Beob-
sein.
achter des gesamten Universums. Wisse dies,
und sei glücklich. (14.)
Liebes Kind, lange warst Du in den Fesseln der
(6.)
Identifikation mit dem Körper gefangen. Durch-
Richtig und falsch, Glück und Sorgen sind Attribu-
schneide sie mit dem Schwert des Wissens und
te des Verstandes, und nicht die Deinen, oh alles
sei glücklich.
durchdringende Einheit. Du bist weder der Han-
delnde noch der Genießer, Du, der Du immer und (15.)
ewig frei von all diesen Verhaftungen gewesen Du bist ungebunden, aktionslos, von innen strah-
bist. lend, makellos. Tatsächlich ist es Deine Meditati-
on, die Deine Bindung erzeugt.
(7.)
Du bist der eine Beobachter und als solcher warst (16.)
Du in der Tat immer frei. Deine einzige Bindung Du bist es, der das gesamte Universum durch-
war, dass Du jemand anderen für den Beobachter dringt, und dieses Universum existiert in Dir.
hieltest. Deine wahre Natur ist das reine Bewusstsein. Sei
nicht kleinmütig.
(8.)
Du bist von der tödlichen, schwarzen Schlange (17.)
des Egos gebissen worden und glaubst deshalb Verweile in jenem Bewusstsein, das Du bist –
der Täter zu sein. Trinke den Nektar des Vertrau- unkonditioniert, unveränderlich, formlos, gelassen,
ens, dass Du nicht der Handelnde bist, und sei unerschütterlich, von unergründlicher Intelligenz.
glücklich.
(18.)
(9.) Wisse, dass das, was eine Form besitzt, nicht real
ist und dass das Formlose real ist. Wenn Du

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dieses Prinzip verstanden hast, gibt es keine Natur auf. So wie die Illusion des Seils als
Wiedergeburt mehr. Schlange allein durch Unwissenheit entstehen
(19.) kann, so löst sie sich nur auf, wenn das Seil als
solches erkannt wird.
So wie die Oberfläche eines Spiegels innerhalb
und außerhalb des reflektierten Bildes im Spiegel (28.)
existiert, so existiert das höchste Selbst sowohl Licht ist meine wahre Natur. Ich bin nichts als
innerhalb und außerhalb des Körpers. Licht. Wahrlich das „Ich” leuchtet, wenn sich das
(20.) Universum manifestiert.

So wie der alles-durchdringende Raum sowohl (29.)


innerhalb als auch außerhalb des Topfes ist, so ist Das Entstehen des phänomenalen Universums,
das ewige und alles durchdringende Bewusstsein das in Mir erscheint, vermittelt den Eindruck von
allen Wesen und Objekten innewohnend. Realität aufgrund der Unwissenheit, so wie Perl-
mutt als Silber erscheint, das Seil als Schlange
und die Strahlen der Sonne als Wasser in einer
(21.) Janaka erklärt:
Fata Morgana.
Ich bin wahrlich das fleckenlose, glasklare Be-
(30.)
wusstsein, völlig getrennt vom phänomenalen
Universum. Wie lange hat mich doch die Illusion So wie sich ein Topf in Ton auflöst, eine Welle in
unnötigerweise verwirrt Wasser oder ein Schmuckstück in Gold, so wird
sich auch das phänomenale Universum, das in
(22.)
Mir erschaffen wurde, sich in Mir auflösen.
So wie Ich selber diesen Körper erstrahlen lasse,
(31.)
so offenbare Ich auch das ganze Universum.
Daher ist das gesamte Universum allein Mein, Oh, welches Wunder Ich bin! Ich grüße Mich
oder nichts ist Mein. Selbst, der keinen Verfall kennt und selbst die
Zerstörung des gesamten Universums, vom
(23.)
Schöpfer Brahma bis zum kleinsten Grashalm,
Wird der Körper zusammen mit dem Rest der überlebt.
Manifestation aufgegeben, wird wie durch ein
(32.)
Wunder das höchste Selbst wahrgenommen.
Oh, welches Wunder Ich bin! Ich grüße Mich
(24.)
Selbst, der, obwohl mit einem Körper versehen,
So wie Wellen, Schaum und Blasen nichts ande- nirgendwo hingeht, von nirgendwo kommt, son-
res als das Wasser sind, so ist auch das phäno- dern immer in Ruhe verweilt, das Universum
menale Universum, das im Bewusstsein er- durchdringend.
scheint, nicht verschieden von diesem.
(33.)
(25.)
Oh, welches Wunder Ich bin! Ich grüße Mich
So wie ein Tuch nach einer Untersuchung nur aus Selbst. Niemand ist fähiger, die Last des gesam-
Fäden besteht, so wird eine intelligente Wahr- ten Universums zu tragen, ohne es auch nur mit
nehmung feststellen, dass die phänomenale seinem Körper zu berühren.
Manifestation des Universums nichts anderes als
(34.)
das Bewusstsein ist.
Oh, welches Wunder Ich bin! Ich grüße mich
(26.)
Selbst, nichts oder alles besitzend, das für Ge-
So wie der aus Zuckerrohrsaft gewonnene Zucker danken und Worte erreichbar ist.
völlig vom Zuckerrohrsaft durchdrungen ist, so
(35.)
wird auch das phänomenale Universum, das in
Mir entsteht, vollständig von Mir durchdrungen. Das Wissen, der Wissende und das Verstehen,
als Dreiklang, existieren nicht in der Realität. Ich
(27.)
bin jenes makellose Bewusstsein, in dem dieser
Die Unkenntnis des Atman lässt das phänomena- Dreiklang durch Unwissenheit erscheint.
le Universum real erscheinen. Diese Illusion löst
(36.)
sich in der Verwirklichung der eigenen, wahren

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Oh, die Wurzel des Elends liegt in der Tat im (45.)
Dualismus. Es gibt kein anderes Heilmittel als die Wie wunderbar In Mir, dem grenzenlosen Ozean,
Realisierung, dass alle Objekte unserer Erfahrun- erscheinen die Wellen der Individuen gemäß ihrer
gen unwirklich sind, dass Ich das eine, reine gegebenen Natur. Sie treffen sich, sie spielen für
Bewusstsein bin. eine gewisse Zeit miteinander und verschwinden
(37.) dann wieder.
Ich bin das reine Bewusstsein, doch durch Unwis-
senheit habe Ich mir Grenzen auferlegt. Mit dieser (46.) Ashtavakra erklärt:
ständigen Überzeugung verweile Ich ohne zu
Wie ist es möglich, dass Du, nachdem Du Deine
konzeptualisieren im Bewusstsein.
wahre Natur als das gelassene, unzerstörbare
(38.) Eine erkannt hast, weiterhin an der Anhäufung
Die Illusion von Bindung und Befreiung, ihrer von Reichtümern interessiert bist?
Grundlage (der Unwissenheit) entzogen, existiert (47.)
nicht länger. Oh, das Universum ist aus mir her-
Die Bindung an die illusorischen Sinnesobjekte
vorgegangen, aber es ist nicht in mir.
entsteht aus der Unkenntnis des Selbst, so wie
(39.) die Gier nach Silber aus der Illusion entsteht, die
Ich bin jetzt überzeugt, dass das gesamte Univer- das Perlmutt geschaffen hat.
sum, einschließlich dieses Körpers, ohne Sub- (48.)
stanz ist, und dass Ich reines Bewusstsein bin.
Warum läufst Du herum wie ein unglückliches
Wie kann die Konzeptualisierung jetzt noch eine
Wesen, obwohl Du erkannt hast, dass Du Das
Basis haben?
bist, in dem das phänomenale Universum er-
(40.) scheint, so wie die Wellen auf dem Ozean?
Körper, Himmel und Hölle, Bindung und Freiheit, (49.)
sogar Angst, all dies sind nur Konzepte. Was
Hat man einmal das Wissen um seine Identität mit
habe Ich damit zu tun, Ich, das reine Bewusst-
dem unvergleichlich schönen Noumen vernom-
sein?
men, wie kann man dann noch von Sinnesobjek-
(41.) ten angezogen werden und sich selbst erniedri-
Oh, es gibt absolut keinen Dualismus für mich. gen?
Sogar in einer Menschenmenge fühle Ich mich, (50.)
als sei Ich allein. An was sollte Ich mich binden?
Es ist wirklich seltsam, dass der Sinn des „Meins”
(42.) immer noch in einem Weisen vorherrscht, der das
Ich bin nicht dieser Körper, noch besitze Ich Selbst in allen Wesen und alle Wesen im Selbst
irgendeinen Körper, denn Ich bin kein getrenntes erkannt hat.
Individuum. Ich bin reines Bewusstsein. Meine (51.)
einzige Bindung war mein Hunger nach dem
Es ist wirklich seltsam, dass jemand, der in der
Leben.
höchsten transzendenten Nicht-Dualität verweilt
(43.) und nach Befreiung strebt, dem sinnlichen Ver-
Oh, die Bewegungen im Verstand haben in Mir, langen unterliegt und von amourösen Aktivitäten
dem grenzenlosen Ozean, die vielen Welten geschwächt wird.
geschaffen, so wie der Wind die Wellen auf dem (52.)
Ozean entstehen lässt.
Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass ein
(44.) Mann, physisch schwach und offensichtlich am
In Mir, dem grenzenlosen Ozean, versinkt das Ende seines Lebens angelangt, begierig nach
Schiff des konzeptuellen Universums, wenn der Sinneslust sein sollte, obwohl ihm klar ist, dass
Wind sich legt und der Verstand zur Ruhe kommt: sinnliche Begierden der Feind des Wissens sind.
Dies bedeutet Unglück für den Handlungsreisen- (53.)
den in Sachen individueller Personen.

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Es ist verwunderlich, dass jemand, von dem (62.)
angenommen wird, er habe Leidenschaftslosigkeit Das Herz des jnani wird nicht berührt von Tugend
gegenüber dieser Welt und der nächsten entwi- und Laster, so wie der Himmel nicht vom Rauch
ckelt, der angeblich fähig ist, zwischen dem berührt wird, auch wenn es so zu sein scheint.
Vergänglichen und dem Unvergänglichen zu
(63.)
unterscheiden und der auf der Suche nach Be-
freiung ist, sich trotzdem vor der Auflösung des Wer kann den Selbst-Verwirklichten, einen, der
Körpers fürchtet. die Einheit des unmanifestierten Noumenons und
der phänomenalen Manifestation erkannt hat,
(54.)
daran hindern, zu handeln, wie es ihm beliebt?
Ob er geehrt und gefeiert oder gequält und geär-
(64.)
gert wird, der Gelassene in der Erkenntnis des
Selbst ist weder verärgert noch erfreut. Vier Arten von Lebewesen (geboren aus dem
Mutterleib, geboren aus dem Ei, geboren aus dem
(55.)
Dampf oder aus der Feuchtigkeit, geboren aus
Der Weise beobachtet die Tätigkeiten seines dem Samen) sind erschaffen worden, von Brahma
eigenen Körpers, so wie er die eines anderen bis zum Grashalm, doch nur der Weise ist fähig,
Körpers beobachtet. Wie kann er also beeinflusst dem Verlangen und der Ablehnung zu entsagen.
werden von Lob oder Tadel?
(65.)
(56.)
Selten ist der, der das Noumen als das Eine ohne
Wie kann der Gelassene in seinem Wissen um ein Zweites erkennt, als den Herrscher des Uni-
das phänomenale Universum als eine Illusion und versums. Er vollbringt, was er für wert erachtet,
ohne Interesse an dieser Illusion von irgendeiner getan zu werden, frei von allen Ängsten.
Angst erfasst werden, selbst wenn der Tod naht?
(66.)
(57.)
Im Wissen, dass Du das reine ungebundene Sein
Mit wem können wir das höchste Sein verglei- bist, wie kann es da eine Frage Deines Verzichtes
chen, das im Bewusstsein verweilt, vollkommen auf irgend etwas geben? Alles, worauf es an-
zufrieden, nichts begehrend, nicht einmal Befrei- kommt ist die Disidentifikation mit dem psycho-
ung? somatischen Organismus und die Auflösung der
(58.) Illusion des Egos in das noumenale „Ich”.
Warum sollte der Gelassene, aller phänomenalen (67.)
Objekte gewahr, eine Vorliebe für Dinge als Im Wissen um das Universum in Dir selbst als
akzeptabel oder unakzeptabel haben? Bewusstsein, wie Wellen im Ozean, tritt ein in den
(59.) Zustand der Auflösung.
Der, der aufgehört hat zu konzeptualisieren und (68.)
daher frei ist von Bindungen an Sinnesobjekte, Im Wissen, dass die Erscheinung des phänome-
der jenseits von Gegensätzen und frei von Wün- nalen Universums eine Illusion ist, so wie die
schen ist, akzeptiert mit Gleichmut, was immer Schlange im Seil, und dass du es, obwohl es den
seinen Weg im täglichen Leben kreuzt. Sinnen als real erscheint, als reines Noumenon
(60.) vollkommen transzendierst, tritt ein in den Zu-
Oh, Hanta, Mann von Verständnis, der Du Deine stand der Auflösung.
wahre Natur kennst, der Du teilnimmst am Spiel (69.)
des Lebens, niemals kannst Du verglichen wer- Tritt ein in den Zustand der Auflösung im Be-
den mit den Tieren, die Lasten in ihrem Leben wusstsein Deiner Vollkommenheit, dem Potential
tragen. der Fülle des Plenums, Du, der Unwandelbare in
(61.) Jammer und Glückseligkeit, in Hoffnung wie
In jenem Zustand verweilend, nach dem sich Verzweiflung, Leben und Tod.
Indra und die anderen Götter wehmütig sehnen, (70.)
fühlt sich der Yogi nicht überlegen oder erhaben.

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Ich bin unendlich wie der Raum, während die (79.) Ashtavakra erklärt:
phänomenale Welt wie ein Topf ist. Dies ist wah- Es bedeutet Bindung, wenn der Verstand etwas
res Wissen. Daher gibt es keine Frage von Entsa- wünscht oder um etwas trauert, irgend etwas
gung, Akzeptieren oder Auflösung. zurückweist oder akzeptiert, sich freut oder sich
(71.) über irgend etwas ärgert.
Ich bin wie der Ozean, und das phänomenale (80.)
Universum ist wie eine Welle. Dies ist wahres Es bedeutet Befreiung, wenn der Verstand weder
Wissen. Daher gibt es keine Frage von Ableh- etwas wünscht noch bekümmert ist, weder an-
nung, Bejahung oder Auflösung. nimmt noch verweigert, sich weder glücklich noch
(72.) ärgerlich fühlt.
Ich bin wie Perlmutt, und die Illusion des Univer- (81.)
sums ist wie das Silber. Dies ist wahres Wissen. Es ist Bindung, wenn der Verstand an irgendwel-
Daher gibt es keine Frage von Entsagung, Akzep- che Erfahrungen der Sinne gebunden ist. Es
tieren oder Auflösung. bedeutet Befreiung, wenn der Verstand sich von
(73.) allen Sinneserfahrungen gelöst hat.
Ich bin in der Tat in allen Lebewesen, und alle (82.)
Lebewesen sind in Mir. Dies ist wahres Wissen. Wenn das Ego anwesend ist, ist dies Bindung,
Daher gibt es keine Frage von Entsagung, Akzep- wenn es abwesend ist, ist dies Befreiung. Wenn
tieren oder Auflösung. das verstanden wird, sollte es Dir leicht fallen,
(74.) Dich von jeglichem Akzeptieren oder Verweigern
In Mir, dem unbegrenzten Ozean, wird die Barke fernzuhalten.
des Universums von den Winden, der ihnen (83.)
innewohnenden Natur, hin und her geworfen. Ich Wen gehen die zwei Pole der Gegensätze, wie
werde davon nicht berührt. Pflichten, die erfüllt, und Taten, die vermieden
werden, etwas an? Wann enden diese und für
(75.) Janaka erklärt: wen enden sie? So forschend – durch Gleichgül-
tigkeit gegenüber der Welt – fahre fort ohne
In Mir, dem grenzenlosen Ozean, lass die Wellen
Verlangen und Wollen zu sein.
des Universums entstehen und dann vergehen,
(84.)
gemäß der ihnen innewohnenden Natur. Ich
erfahre weder ein Ausdehnen noch ein Zusam- Selten in der Tat, mein Kind, ist jene gesegnete
menziehen. Person, deren Verlangen nach Leben, Vergnügen
und Wissen, nur durch das Beobachten der Wege
(76.)
der Welt erloschen ist.
In Mir, dem unendlichen Ozean, schwimmt die
(85.)
Illusion des Universums. Formlos, wie ich bin,
bleibe Ich vollkommen gelassen. Dort werde Ich Ein Mensch von Weisheit wird gelassen, er er-
verweilen. kennt diese Welt als vergänglich und überschattet
vom dreifachen Elend [und zwar von a) dem
(77.)
eigenen Organismus, b) von anderen Organis-
Weder ist das subjektive Selbst im Objekt, noch men, c) den Geschehnissen in der Natur]; ohne
ist das Objekt im subjektiven Selbst, welches Substanz ist sie keiner Beachtung wert und zu
unendlich und makellos ist. Es ist frei von Verhaf- verwerfen.
tetsein, Verlangen und daher ruhig. Dort werde
(86.)
Ich verweilen.
Gibt es einen Zustand oder eine Zeit, in der
(78.)
Menschen nicht von Gegensätzen beeinflusst
In der Tat: „Was-Ich-Bin” ist reines Bewusstsein. wurden? Wer sich von diesem Einfluss löst und
Die Welt ist wie die Show eines Magiers. Wie zufrieden annimmt, was immer spontan des
kann es da die Frage der Ablehnung oder Akzep- Weges kommt, erlangt Vollkommenheit.
tanz für Mich geben?
(87.)

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Wie kann jemand nicht zur Gelassenheit gelan- Unwissenheit als solche existiert nicht. Warum
gen, der um die Verschiedenheit der Meinungen also verlangst du nach Wissen?
der vielen Seher, Heiligen und Yogis weiß, wie (96.)
sollte er nicht völlig gleichmütig werden?
Königreiche, Söhne, Frauen, Körper und Vergnü-
(88.) gungen der Sinne gingen dir Geburt um Geburt
Ist nicht er der wahre guru, der sich seiner Natur verloren, obwohl du an sie gebunden warst.
als reines Bewusstsein gewahr ist, der sich durch (97.)
Gelassenheit, Gleichmut und logisches Denken
Genug daher des Reichtums, der Wünsche und
von der Seelenwanderung des samsara gerettet
der guten Taten. Der Verstand fand keine Ruhe in
hat?
der trübseligen Wüste von samsara.
(89.)
(98.)
Erkennst Du einmal die verschiedenen Phänome-
Wie viele Leben lang hast du nicht harte,
ne des Universums als das, was sie wirklich sind,
schmerzhafte Arbeit mit diesem Körper, dem
d.h. verschiedene Muster und Kombinationen
Verstand und der Sprache geleistet? Lasse doch
derselben fünf Grundelemente, löst sich augen-
wenigstens jetzt davon ab.
blicklich Deine Bindung auf. Du verweilst in Dei-
nem wahren Selbst. (99.)
(90.) In der Überzeugung, dass fortwährender Wechsel
und endgültige Auflösung nach einer gewissen
Absichten sind die Wurzel von samsara. Daher
Zeitdauer die wahre Natur aller phänomenalen
bedeutet der Verzicht auf Pläne und Wollen
Erscheinungen ist, bleibt der Weise gelassen, frei
Leidenschaftslosigkeit gegenüber der Welt. Dann
von Elend und entspannt in seiner Haltung.
ist die Welt Dein zu Hause.
(100.)
(91.)
In der Überzeugung, dass die phänomenale
Gib das Verlangen auf, das der Feind ist, mate-
Manifestation nichts anderes ist als das Noumen,
riellen Wohlstand, der zu großem Schaden führt,
das allen Phänomenen innewohnt, bleibt der
und auch die Ausübung guter Taten mit dem Ziel,
Weise zufrieden und gelassen im Umgang mit
etwas zu erreichen, das die Ursache dieser Zwei
allen Wünschen. Er ist völlig in Frieden und unbe-
ist – sei losgelöst von allem.
rührt von allem, was geschieht.
(92.)
(101.)
Betrachte deine Freunde, Länder, Reichtum,
Die Überzeugung, dass Not und Wohlstand
Häuser, Frauen, Geschenke und alle anderen
aufgrund der Kausalität das Resultat vergangener
Dinge eines guten Schicksals als einen Traum
Taten sind, ist der Weise, mit seinen Sinnen in
oder die Show eines Magiers, die von kurzer
passiver Zurückhaltung, wunschlos, unbeküm-
Dauer ist.
mert.
(93.)
(102.)
Wisse, wo es Wünsche gibt, gibt es samsara.
In der Überzeugung, dass Unglück und Glück,
Gehe mit aufrichtiger, intensiver Leidenschaftslo-
Geburt und Tod Teile eines natürlichen Prozesses
sigkeit über alles Verlangen hinaus, und so sei
der Kausalität sind, bleibt der Weise ohne Verlan-
glücklich.
gen, etwas zu vollbringen. Frei von Ängsten
(94.) identifiziert er sich nicht mit dem, was er gerade
Im Verlangen liegt die Bindung. Befreiung liegt in tut.
der Vernichtung des Verlangens. Allein durch das (103.)
Nichtgebundensein an die phänomenale Welt
Die Überzeugung, dass die Angst und nichts
erreicht man die immerwährende Freude der
anderes die Ursache allen Elends dieser Welt ist,
Verwirklichung des Selbst.
lässt den Weisen, nachdem er alle Wünsche
(95.) ausgelöscht hat, frei von Angst, glücklich und
Du bist das reine Bewusstsein. Das phänomenale zufrieden sein.
Universum ist bewegungslos und illusorisch. Auch

8
(104.) Erkennend, dass meine Selbstbeschränkung auf
Die Überzeugung „Ich bin nicht der Körper, noch die Pflichten einer bestimmten Lebensrolle und
ist der Körper mein – Ich bin reines Bewusstsein”, die Ausübung der vorgeschriebenen Disziplinen
gibt dem Weisen Gelassenheit gegenüber allem, usw. Ablenkungen sind, verweile Ich in meinem
was erreicht wurde, und erreicht werden kann. Er natürlichen Zustand.
lebt in einem natürlichen Zustand von Wunschlo- (112.)
sigkeit, der dem noumenalen Zustand ähnelt. Die klare Erkenntnis, dass bewusste Untätigkeit
(105.) ebenso, wie willentliche Tätigkeit, das Ergebnis
Die Überzeugung „Ich bin allen phänomenalen von Unwissenheit ist, verweile Ich in meinem
Erscheinungen innewohnend, von Brahma bis zu natürlichen Zustand.
einem Grashalm” gibt dem Weisen Freiheit von (113.)
jeder Konzeptualisierung oder Objektivierung. Das Undenkbare zu denken ist nur ein anderer
Gleichgültig gegenüber Erreichtem oder Uner- Aspekt des Konzeptualisierens und des Objekti-
reichtem, bleibt er zufrieden und verweilt in Ruhe. vierens. In dieser Erkenntnis verweile Ich in
(106.) meinem natürlichen Zustand.
Die Überzeugung, dass das manifestierte Univer- (114.)
sum, so wundersam es in seiner Vielfältigkeit und Gesegnet ist der, der dies vollendet hat. Gesegnet
Verschiedenheit seiner Erscheinungen auch sein ist in der Tat der, dessen wahre Natur dies ist.
mag, in Wahrheit nur eine Illusion ist, gibt dem
(115.)
Weisen Wunschlosigkeit. Identifiziert mit dem
reinen Bewusstsein verweilt er im noumenalen Der Friede, der aus der Überzeugung erwächst,
Frieden. dass die gesamte Manifestation eine phänomena-
le Illusion ist, ist selten, sogar für jemanden, der
nur einen Lendenschurz besitzt. Daher verbleibe
(107.) Janaka erklärt: ich, nachdem ich das Konzept von Akzeptieren
Zuerst wurde Ich indifferent und losgelöst von und Entsagung aufgegeben habe, zufrieden in
physischer Aktion, dann von oberflächlichem meinem natürlichen Zustand.
Gerede und schließlich vom Konzeptualisieren (116.)
selbst. So verweile Ich in meinem natürlichen
Da ist die Ermüdung des Körpers, dort die Er-
Zustand.
schöpfung der Zunge, irgendwo anders der Kum-
(108.) mer des Verstandes. Daher verweile Ich glücklich,
Ohne irgendeine Bindung an Worte und sinnliche unberührt von allen Tätigkeiten und Anstrengun-
Objekte, im Wissen, dass das Selbst kein Objekt gen, in meinem natürlichen Zustand.
der Wahrnehmung ist, wurde mein Verstand von (117.)
Ablenkungen befreit und auf einen Punkt zentriert.
Im dem Verstehen, dass in Realität nichts wirklich
So verweile Ich in meinem natürlichen Zustand.
„getan” wird, verweile Ich festgegründet in mei-
(109.) nem natürlichen Zustand und bin der Beobachter
Indem mir klar wurde, dass Bemühungen wie dessen, was immer geschieht.
Meditationen, nur denen vorgeschrieben werden, (118.)
deren Verstand abgelenkt ist, verweile Ich in
Die spirituellen Sucher sind in Tätigkeiten und
meinem natürlichen Zustand.
Untätigkeiten verwickelt, denn sie sind immer
(110.) noch mit dem Körper identifiziert. Desinteressiert
Oh Brahman, ich habe die Unwirklichkeit der an Identität oder Nicht-Identität, lebe Ich glücklich
voneinander abhängigen Gegensätze, wie Ver- in meinem natürlichen Zustand.
gnügen und Schmerz, dem Akzeptierbaren und (119.)
Nichtakzeptierbaren, durchschaut. So verweile ich
Konsequenzen – gut oder schlecht – berühren
in meinem natürlichen Zustand.
mich nicht, weder in Bewegung noch in Ruhe.
(111.) Daher bin ich in meinem natürlichen Zustand

9
zufrieden, ob das Körper-Verstand-Werkzeug sich Die Abwesenheit von Bindung an Sinnesobjekte
in Ruhe, in Bewegung oder im Schlaf befindet. ist Freiheit. Leidenschaft für Sinnesobjekte ist
(120.) Verhaftetsein. Verstehe dies und dann handle,
wie es dir gefällt.
Ich verliere nichts, indem ich mich entspanne,
noch gewinne Ich etwas durch Bemühung. Alle (128.)
Konzepte von Gewinn und Verlust überschreitend, Die intuitive Wahrnehmung dieser Wahrheit
verweile ich glücklich in meinem natürlichen scheint einen beredten, klugen und aktiven Men-
Zustand. schen stumpf, teilnahmslos und träge zu machen.
(121.) Daher ist das Wissen um die Wahrheit nicht
begehrenswert für jene, die weiterhin die Freuden
Nachdem ich wiederholt die Unbeständigkeit der
dieser Welt genießen wollen.
verschiedenen Aspekte des Vergnügens in wech-
selnden Situationen beobachtet habe, bin Ich (129.)
gleichgültig gegenüber allen Erfahrungen und Du bist nicht der Körper, noch ist der Körper Dein.
verweile glücklich in meinem natürlichen Zustand. Du bist weder der Handelnde noch der Erfahren-
(122.) de. Du bist das Bewusstsein selbst, der ewige,
unpersönliche Beobachter. Lebe glücklich.
Der, dessen weltliches Erinnerungsvermögen
ausgelöscht wurde, der in Wirklichkeit im natürli- (130.)
chen, leeren Verstand verweilt, dessen Sinne auf Leidenschaft und Abneigungen sind Eigenschaf-
ihre Objekte ohne sichtbare Beteiligung des ten des Verstandes, Du selbst bist das Bewusst-
Willens reagieren, geht durch das Leben wie im sein, frei von allen Konflikten, unveränderlich.
Schlaf. Lebe glücklich
(123.) (131.)
Wenn meine Wünsche sich aufgelöst haben, wo Indem du das Selbst in allem und alles im Selbst
ist dann die Frage von Reichtum, Freunden oder erkennst und frei bist von den Gefühlen des Egos,
Dieben in der Form von Sinnesobjekten? Wo ist sei glücklich
die Frage nach heiligen Schriften oder gar Wis- (132.)
sen?
Oh Du reines Bewusstsein, Du bist wahrlich Das,
(124.) worin das phänomenale Universum wie Wellen
Nachdem ich meine Identität mit dem höchsten auf dem Ozean erscheint. Sei frei von den Be-
Absoluten, dem Beobachter, erkannt habe, gibt es schwerden des Verstandes
nur noch vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber (133.)
Bindung und Befreiung. Ich bin an nichts interes-
Habe Vertrauen, mein Sohn, habe Vertrauen.
siert, nicht einmal an der Erleuchtung.
Lass Dich nicht verwirren oder täuschen, Du bist
(125.) das Wissen selbst, Du bist der Herr, Du bist das
Der ungewöhnliche Zustand dessen, der frei ist Bewusstsein, das jeder Manifestation vorausgeht.
von allen möglichen Zweifeln, der lebt, als sei er (134.)
sich seiner Umgebung nicht gewahr, ohne Be-
Der Körper besteht aus fünf Elementen; er tritt in
schränkungen, kann nur von denen verstanden
die Existenz, verbleibt für eine Weile und vergeht.
werden, die so sind wie er.
Das Selbst kommt weder, noch geht es. Worin
liegt der Sinn, den Verlust des Körpers zu betrau-
(126.) Ashtavakra erklärt: ern?
Der Mensch mit einem scharfen Intellekt wird (135.)
sogar dann erleuchtet, wenn ihm die Anweisun- Ob der Körper bis in alle Ewigkeit besteht, oder in
gen beiläufig zuteil werden, während der unreife diesem Augenblick vergeht, was für einen Unter-
Sucher ohne diese Voraussetzung sogar nach schied macht dies für Dich, der Du reines Be-
einer Lebensspanne des Suchens fortfährt ver- wusstsein bist?
wirrt zu sein.
(136.)
(127.)

10
Lass die Wellen der Phänomenalität in Dir, der Du Oh, reines Bewusstsein, das Du bist Befasse dich
der grenzenlose Ozean bist, erscheinen und sich nicht mit Konzepten von Bejahung und Vernei-
ihrer Natur entsprechend wieder auflösen. Dies nung. Verweile in der Stille der ewigen Glückse-
kann weder Gewinn noch Verlust für Dich bedeu- ligkeit, die Du bist, und lebe glücklich.
ten. (145.)
(137.) Gib alles Konzeptualisieren auf. Hege keine
Oh, mein Sohn Du bist das eine Bewusstsein, in Glaubensbekenntnisse oder Konzepte irgendeiner
dem das phänomenale Universum erscheint, das Art. Du bist das ewigfreie Bewusstsein. Wie kann
nicht von dem, was Du bist, getrennt ist. Wie kann Dir Denken in irgendeiner Form helfen?
es da die Frage geben, ob etwas annehmbar oder (146.)
nicht annehmbar ist?
Du magst verschiedenen heiligen Schriften zuhö-
(138.) ren, oder sogar gelehrte Vorträge darüber halten,
Wie kann es für Dich, dem einen, unveränderli- aber das Verweilen im Selbst kann nicht gesche-
chen, gelassenen, makellosen, reinen Bewusst- hen, solange all dies nicht vergessen wurde.
sein, die Frage von Geburt oder Tätigkeit, oder (147.)
gar eines Ego-Konzeptes geben?
Du magst Dich mit Arbeit beschäftigen, Dich an
Vergnügungen dieser Welt erfreuen, oder Medita-
(139.) Ashtavakra fährt fort: tionen genießen, und doch wirst Du feststellen,
Was immer Du wahrnimmst, ist Deine eigene dass es einen inneren Drang hin zum ursprüngli-
Reflektion. Können die unterschiedlichen chen Zustand gibt, der aller Phänomenalität
Schmuckstücke wie Armringe, Amulette oder vorausgeht, in dem alles Verlangen nach phäno-
Fußketten etwas anderes sein als Gold? menalen Objekten ausgelöscht ist.

(140.) (148.)

Gib alle Unterscheidungen auf wie „Ich bin dies” Alle bemühen sich permanent um Glück und
und „Ich bin dies nicht”. Sei überzeugt, dass alles, bleiben doch unglücklich. Sie erkennen nicht,
was es gibt, Bewusstsein ist. Frei von allen Kon- dass es diese willentliche Anstrengung ist, die das
zepten, sei glücklich Unglücklichsein hervorbringt. Nur durch dieses
Verstehen erreicht der Gesegnete das Erwachen.
(141.)
(149.)
Nur aufgrund von Unwissenheit scheint das
Universum zu existieren. Außer Dir, als Bewusst- Glück gehört nur dem Meister der Untätigkeit, für
sein oder Realität, existiert nichts. Außer Dir gibt den sogar der natürliche Vorgang, die Augen zu
es weder ein individuelles noch irgendein trans- öffnen und zu schließen eine Anstrengung zu sein
zendentes Selbst. scheint.

(142.) (150.)

Wer aus tiefster Überzeugung verstanden hat, Ist der Verstand frei von den Paaren der Gegen-
dass das Universum nur eine Illusion ist, wird frei sätze wie „dies ist getan, aber jenes noch nicht”,
vom Verlangen. Durch die Überzeugung, dass es erreicht er einen Gleichmut gegenüber Recht-
nichts anderes als Bewusstsein gibt, tritt Friede schaffenheit, Besitz und Verlangen nach Sinnes-
und Gelassenheit ein. freuden sowie nach Befreiung.

(143.) (151.)

Sei überzeugt, dass dieser offenbare Ozean des Der, der eine Abneigung gegenüber Sinnesobjek-
manifestierten Universums in Wahrheit nichts ten empfindet, wird als Entsagender betrachtet,
anderes als Bewusstsein ist. Du bist wahrlich und wer sie begehrt, wird als sinnlich bezeichnet.
weder von Bindung noch von Befreiung betroffen. Aber der, der weder zurückweist noch begehrt,
Lebe frei und glücklich wird von ihnen nicht beeinflusst.

(144.) (152.)
Verlangen liegt an der Wurzel der Unwissenheit,
und solange Verlangen besteht, muss das Gefühl

11
für das Annehmbare und Nichtannehmbare, das Es ist leicht in dieser Welt jene zu finden, die sich
die Zweige und Knospen vom Baume des samsa- nach Sinnesfreuden sehnen und ebenso jene, die
ra sind, notwendigerweise weiter bestehen. nach Erleuchtung streben. Aber selten ist in der
(153.) Tat die große Seele, die sich nicht um materielle
Vergnügungen oder spirituelle Erleuchtung küm-
Aktivität erzeugt Bindung, Verweigerung von
mert.
Aktivität schafft Unlust. Befreit von der Bindung an
Gegensätze lebt der Weise verankert im Selbst (162.)
wie ein Kind. Nur der Weise ist wahrhaftig frei von Anziehung
(154.) und Abstoßung bezüglich von Religion,
Wohlstand und Sinnesvergnügen wie auch von
Wer sich an samsara gebunden fühlt, will es
Geburt und Tod.
aufgeben, um sich selbst vom Elend zu befreien.
Aber der, der ungebunden ist, fährt fort, in samsa- (163.)
ra zu sein und lebt doch glücklich. Der Weise sehnt sich nicht nach der Auflösung
(155.) des Universums, noch interessiert ihn dessen
Fortbestehen. Der Gesegnete lebt in vollkomme-
Wer als individueller Sucher nach Erleuchtung
nen Frieden mit allem, was das Leben bringt.
strebt und fortfährt, sich mit dem Körper zu identi-
fizieren, ist weder ein jnani noch ein yogi, er leidet (164.)
unter Trübsal. Als Folge dieses höchsten Verstehens und mit der
(156.) Heilung des getrennten Verstandes in seine
Ganzheit, lebt der Weise glücklich und zufrieden,
Bevor nicht alles vollkommen aufgegeben und
er sieht, hört, riecht und schmeckt.
vergessen wurde, kannst Du nicht im Selbst
verwurzelt sein, nicht einmal wenn Shiva, Vishnu (165.)
oder Brahma deine Lehrer sind. Er ist mit den Objekten dieser Welt weder verhaf-
tet, noch lehnt er sie ab und wird daher nicht im
Meer von samsara hin und her geworfen. Sein
(157.) Asthavakra fährt fort:
Verstand ist leer, seine Handlungen geschehen
Nur der Zufriedene, dessen Sinne nicht an ihre ohne persönliche Motivationen, und seine Sinne
Objekte verhaftet sind, der seine Einheit mit dem werden nicht von ihren Objekten angezogen.
Universum von ganzem Herzen genießt, nur
(166.)
dieser kann als jnani oder yogi bezeichnet wer-
den. Weder wacht noch schläft der Weise, seine Au-
gen sind weder geöffnet noch geschlossen. Die
(158.)
befreite Seele erfreut sich ihres Zustandes in allen
Oh Du, der um die Wahrheit weiß, erleidest nie- Lebenslagen.
mals Elend in dieser Welt, da das ganze Univer-
(167.)
sum von Dir selbst erfüllt ist.
Der Befreite verweilt immer im Selbst. Reinen
(159.)
Herzens lebt er in allen Umständen frei von jeder
Die Sinnesobjekte besitzen keine Anziehungskraft Konditionierung.
mehr für den, der im Selbst verweilt, so wie die
(168.)
bitteren Blätter des Neembaumes den Elefanten
nicht mehr erfreuen, der die Blätter des Sallaki- Die große Seele sieht, hört, berührt, riecht, akzep-
baumes genossen hat. tiert, geht, und ist frei von aller Anstrengung und
Nichtanstrengung. Sie ist wahrlich befreit.
(160.)
(169.)
Selten in dieser Welt ist der, bei dem die Erfah-
rungen keine Eindrücke hinterlassen, der sich Der Befreite klagt weder an noch lobt er. Er froh-
nicht mehr nach Erfahrungen, die noch zu genie- lockt nicht, noch ist er ärgerlich. Weder gibt er,
ßen sind, sehnt. noch empfängt er. Er ist frei von jeder Bindung an
Objekte.
(161.)
(170.)

12
Der Anblick einer verlockenden Frau oder des (179.)
nahenden Todes, lässt die große Seele, die im Wie kann der, dessen innerster Kern des Seins
Selbst ruht, gleichermaßen unerschüttert. Er ist von der Sonnenglut der Sorgen verbrannt wurde,
wahrlich befreit. entstiegen dem Gefühl der Schuldigkeiten, das
(171.) Glück genießen, ohne die fortgesetzten ambro-
Der Unerschütterliche, der überall das Gleiche sianischen Schauer der Wunschlosigkeit.
sieht, unterscheidet nicht zwischen Glück und (180.)
Elend, Mann und Frau, Wohlstand und Not. Dieses Universum ist nur ein Zustand des Be-
(172.) wusstseins. In Wahrheit ist es nichts. Die innere
In einem Weisen, dessen Bindungen an das Natur des Existierenden und Nicht-Existierenden
weltliche Leben ausgelöscht sind, findet man geht nie verloren.
weder Mitleid noch Gewalttätigkeit, weder Demut (181.)
noch Anmaßung, weder Erstaunen noch Erre- Das Selbst, das Absolute – mühelos, unveränder-
gung. lich, fleckenlos – ist weder entfernt, noch unter-
(173.) liegt es Begrenzungen. Es ist immer da, immer
Der Befreite verabscheut die Sinnesobjekte nicht, gegenwärtig.
noch begehrt er sie. Er erfreut sich aller Dinge, die (182.)
ihm begegnen, mit einem völlig unberührten Sobald sich die Illusion auflöst, ist das störende
Verstand. Hindernis für die klare Sicht beseitigt. Wenn das
(174.) reine Verstehen aufleuchtet, zerstreuen sich die
Immer im Selbst verweilend, konzeptualisiert der Sorgen.
Weise, ausgestattet mit dem leeren Verstand, (183.)
nicht länger die Gegensätze, wie richtig und Wissend, dass alles Sichtbare ein Produkt der
falsch, gut und böse. Phantasie ist, dass das Ewige und Unabhängige
(175.) das subjektive Selbst als Bewusstsein ist, kann
Frei vom Gefühl des Egos und des „mein”, wis- das erleuchtete Wesen da noch töricht handeln
send, aus fester Überzeugung, dass nichts wirk- wie ein Kind?
lich existiert und mit all seinen inneren Wünschen (184.)
zur Ruhe gekommen, handelt der Verstehende Mit der festen Überzeugung, dass die eigene,
nicht, obwohl es so scheinen mag. wahre Natur Bewusstsein ist, und Existenz und
(176.) Nicht-Existenz Einbildungen der Phantasie sind,
Der Zustand des Verstehenden ist unbeschreib- kann es da für den, der ohne Wunsch ist, noch
lich. Sein Verstand und die Konzepte haben sich irgend etwas zu denken, zu sagen oder zu tun
aufgelöst. Er ist völlig frei von Täuschungen, geben?
Träumen und Dumpfheit. (185.)
Für den yogi, der still geworden ist durch die klare
(177.) Ashtavakra fährt fort: Erkenntnis, dass nichts existiert außer Bewusst-
sein, werden alle Gedanken, wie „ich bin dies”
Gegrüßt sei das, was die Verkörperung der
oder „Ich bin nicht das”, ausgelöscht.
Glückseligkeit, der heiteren Gelassenheit des
Glanzes ist. Mit dem Aufgehen der Sonne des (186.)
Verstehens erscheint alle Täuschung wie ein Der yogi, der vollkommen in der Gelassenheit
Traum. ruht, kümmert sich weder um Ablenkung noch um
(178.) Konzentration, weder um Wissen noch um Unwis-
senheit, weder um Vergnügen noch um Elend.
Man kann eine große Anzahl von Vergnügungen
durch den Erwerb der manifestierten Sinnesobjek- (187.)
te erfahren. Trotzdem kann wahres Glück nur Einem yogi, dessen Konditionierung völlig abge-
durch den Verzicht auf all diese Dinge entstehen. fallen ist, sind Reichtum oder Armut, Gewinn oder

13
Verlust, die Gesellschaft von Menschen oder die (196.)
Einsamkeit des Waldes vollkommen gleichgültig. Der Weise führt in Zufriedenheit aus, was immer
(188.) unter den gegebenen Umständen von ihm ver-
Wie kann es für den yogi, der die Dualitäten wie langt wird, aber er ist in Wahrheit weder in das
„dies ist vollbracht” oder „jenes noch nicht” trans- Tun noch in das Nicht-Tun verwickelt.
zendiert hat, irgendeine Frage von Pflichten, (197.)
Wohlstand, Sinnesfreuden oder Diskriminierung Vorwärts getrieben von den Kräften der Kausalität
geben? im evolutionären Prozess, treibt der Körper-
(189.) Verstand-Organismus des wunschlosen, unab-
Für den befreiten Weisen gibt es weder Pflicht hängigen Wesens, frei von allen Bindungen im
noch Verhaftung. Alle seine Tätigkeiten sind Teil Leben, wie ein trockenes Blatt im Wind.
seiner vom Willen unbeeinflussten Art zu leben. (198.)
(190.) Es gibt weder Freude noch Sorgen für den, der
Wo kann es für den Weisen, der jenseits aller die weltliche Existenz transzendiert hat. Für
Konzeptualisierung ist, noch die Frage der Täu- immer von heiterer Gelassenheit lebt er in der
schung, des Universums oder dessen Entsagung Welt, als sei er ohne Körper.
oder das Thema der Befreiung geben? (199.)
(191.) Der Beständige, im Selbst verweilend, mit einem
Derjenige, der das Universum als Universum ruhigen und reinen Gemüt versehen, hat nichts
wahrnimmt, muss möglicherweise dessen Exis- aufzugeben. Kein Verlust, wie und wo auch im-
tenz verneinen, doch der, der ohne Konzepte ist, mer, berührt ihn.
kümmert sich nicht darum, nimmt es wahr und (200.)
sieht es dennoch nicht. Der Beständige, mit einem leeren Verstand,
(192.) natürlich und spontan lebend, nimmt das Leben,
Derjenige, der Brahman als etwas von ihm Ge- wie es kommt. Anders als der durchschnittliche
trenntes wahrnimmt, mag über das Prinzip „Ich Mensch, ist er unbeeinflusst durch Konzepte von
bin Brahman” meditieren. Doch derjenige, welcher Ehre und Schande.
alle Konzepte transzendiert hat und nichts ande- (201.)
res mehr als sich selbst sieht, hat nichts, über das Derjenige, welcher der festen Überzeugung ist,
er meditieren könnte. dass alles, was durch den Körper-Verstand Orga-
(193.) nismus geschieht, keine individuelle Tätigkeit ist,
Derjenige, welcher Verwirrung in sich entdeckt, tut nichts, obwohl er tätig zu sein scheint.
hält es für notwendig, diese zu kontrollieren. Doch (202.)
was gibt es für den Edelmütigen zu tun, der sich Der Erleuchtete lebt natürlich und spontan, daher
mit keinerlei Verwirrung identifiziert hat? werden seine Handlungen nicht von Eigeninteres-
(194.) sen bestimmt, und doch sind es nicht die Taten
Der Weise scheint wie jeder gewöhnliche Mensch eines Narren. Für ihn bedeutet in dieser Welt zu
zu leben, aber es gibt einen fundamentalen Un- sein das gleiche, wie nicht in dieser Welt zu sein.
terschied in ihren Auffassungen. Der Weise weiß, Er ist immer gelassen und zufrieden.
dass alles, was es gibt, Bewusstsein ist, und (203.)
kümmert sich daher weder um Konzentration Der Beständige, der nicht am Streit der Gedanken
noch um Ablenkung. und mentalen Tätigkeiten interessiert ist, ist frei
(195.) von Konzeptualisierung und daher immer in Ruhe.
Nachdem der verständige Mensch das relative Er hat das Denken, Wissen, Hören und Wahr-
Konzept der Existenz und Nichtexistenz transzen- nehmen transzendiert.
diert hat und zufrieden und frei von Wünschen ist, (204.)
tut er nichts mehr, obwohl er in den Augen der
Welt seinen Geschäften nachgeht.

14
Des Weisen Verstand wird nicht erregt oder von Liebe, Vollkommenheit, transzendent und frei von
Gedanken beunruhigt und daher hat er keinen jedem Schatten der Objektivität ist.
Anlass, zu meditieren. Die Frage der Bindung (212.)
oder Befreiung ist für ihn irrelevant. Mit der festen
Der Unwissende erlangt trotz verschiedener
Überzeugung, dass das offenbare, manifestierte
Disziplinen und Methoden, den Verstand zu
Universum ein Fantasiegebilde ist, existiert er als
kontrollieren, keine Befreiung. Der Gesegnete ist
das reine Bewusstsein selbst.
verankert im Selbst einzig und allein durch intuiti-
(205.) ves Verstehen.
Das identifizierte Individuum mit dem Gefühl des (213.)
freien Willens handelt, selbst wenn es untätig ist.
Der Unwissende erlangt Brahman, wonach er sich
Der Erleuchtete jedoch, ohne ein Gefühl von
sehnt, nicht, während der Weise die Natur des
persönlichem Handeln, handelt nicht, selbst wenn
höchsten Brahman verwirklicht, ohne danach zu
Handlungen geschehen.
streben.
(206.)
(214.)
Der Verstand des Erleuchteten ist weder erregt
Ohne die notwendige Unterstützung suchen die
noch ekstatisch. Er ist tatenlos, frei von Schwan-
Unwissenden weiterhin die Illusion der Erleuch-
kungen, ohne Verlangen. Der Verstand leuchtet
tung und füttern so die Illusion des manifestierten
ungehemmt von allen Zweifeln.
Universums von samsara. Der Weise zerstört das
(207.) Problem an der Wurzel.
Der Verstand des Erleuchteten beschäftigt sich (215.)
weder mit mentaler Tätigkeit noch mit anderen
Der Narr versucht, Gelassenheit durch persönli-
Aktivitäten. Wenn mentale Tätigkeiten oder ande-
che Bemühungen zu finden und scheitert. Der
re Aktivitäten geschehen, entstehen sie nicht aus
Weise nimmt die Wahrheit intuitiv wahr und ist für
einem Gefühl von Wollen oder einer persönlichen
immer gelassen.
Täterschaft heraus, sondern sind natürlich und
spontan. (216.)
(208.) Wie kann es ein Sehen der Selbst-Natur für den
geben, der lediglich dieses oder jenes Objekt
Nachdem eine dumpfe Person die Wahrheit
sieht, wenn er die phänomenale Manifestation
vernommen hat, wird sie noch verwirrter, während
wahrnimmt? Wenn der Weise die Manifestation
eine äußerst intelligente Person sich so sehr in
sieht, sieht er weder dieses noch jenes Objekt,
sich selbst zurückzieht, dass sie anderen geistig
sondern nur Bewusstsein, in dem diese erschie-
träge erscheint.
nen sind.
(209.)
(217.)
Die verwirrten und unwissenden Menschen sind
Wie kann der Getäuschte, der Kämpfende, den
permanent in Übungen mentaler Konzentration
Verstand kontrollieren? Für den Weisen, der tief
oder in Bemühungen, den Verstand zu kontrollie-
im Selbst ruht, benötigt der ganzheitliche
ren, verwickelt. Die Weisen andererseits sehen,
Verstand in seiner Spontaneität keine Kontrolle.
wie im tiefen Schlaf, keine Notwendigkeit, irgend
etwas zu tun. (218.)
(210.) Einige glauben an die Existenz der phänomenalen
Manifestation, andere glauben, dass die phäno-
Weder durch Tätigkeit noch durch Untätigkeit
menale Manifestation nicht existiert. Selten ist der,
erlangt die unwissende Person Ruhe. Der Weise
den solche Konzepte nicht interessieren und der
wird ruhig allein durch das Verstehen davon, was
daher immer gelassen ist.
Ruhe ist.
(219.)
(211.)
Jene mit unreifem Intellekt mögen glauben, dass
In dieser Welt können die, die sich diversen
der Atman rein und ohne ein Zweites ist. Trotz-
Übungen unterwerfen, nicht zur Erkenntnis ihrer
dem wollen sie Atman auf der phänomenalen
wahren Natur gelangen, die Reinheit, Intelligenz,

15
Ebene als ein unabhängiges Wesen erfahren, und (228.)
verbleiben daher unglücklich. Das nicht-willentliche, spontane, unbeschränkte
(220.) Verhalten des Weisen, ist durchsichtig, offen und
Der Intellekt eines Suchers, der nach Erleuchtung lauter. Doch es ist nicht die gekünstelte Ruhe, die
strebt, kann ohne ein Objekt als Stütze, auf das er von jemandem zur Schau gestellt wird, der immer
sich bezieht, nicht funktionieren. Der Intellekt des noch von persönlichen Motiven und Überlegungen
Befreiten ist unbegrenzt, uneingeschränkt von beherrscht wird.
irgendeinem Wunsch, sogar von dem nach Be- (229.)
freiung. Die Standhaften, völlig frei von aller Konzeptuali-
(221.) sierung und ledig aller Verhaftungen, sind mal in
Wenn er den Tigern der Sinnesobjekte begegnet, wohlhabender Umgebung und mal in Berghöhlen
sucht der geängstigte Sucher Schutz im Käfig des anzutreffen.
Verstandes und versucht mit verschiedenen (230.)
Methoden, den Verstand zu kontrollieren und zu Im Herzen des Standhaften ist völlige Losgelöst-
disziplinieren. heit, unter welchen Umständen, in welcher Ge-
(222.) sellschaft er auch immer sein mag – in Gegenwart
In der Begegnung mit dem wunschlosen Wesen, eines vedischen Gelehrten, der geehrt wird, oder
ausgestattet mit dem Mut eines Löwen, schlei- angebeteten Göttern, an einem heiligen Ort, oder
chen die Elefanten der Sinnesobjekte entweder in Gesellschaft eines Königs, einer Frau oder
leise davon, oder sie unterwerfen sich völlig wie eines geliebten Wesens.
dienerische Höflinge. (231.)
(223.) Der Yogi ist nicht beunruhigt, selbst wenn er von
Ist die Selbst-Verwirklichung vollkommen und Dienern, Söhnen, Frauen, Enkeln oder anderen
über jeden Zweifel erhaben, gibt es kein Bedürfnis Verwandten verachtet oder verspottet wird.
nach Zuflucht in irgendwelche Disziplinen oder (232.)
Praktiken als einem Mittel zur Befreiung. Der Obwohl erfreut, ist er nicht erfreut, obwohl mutlos,
Selbst-Verwirklichte sieht, hört, berührt, riecht, ist er nicht mutlos. Nur die, die selbst so sind wie
schmeckt und lebt glücklich. er, können diesen wunderbaren Zustand des
(224.) Seins verstehen.
Wenn der getrennte Verstand die Wahrheit ver- (233.)
nommen hat und in seine heilige Ganzheit geheilt Der Sinn für Pflichten, relevant nur in Bezug auf
wurde, ist der Weise in permanenter, völliger samsara, wird von den Weisen transzendiert, die
Gelassenheit, unberührt von der Richtigkeit jegli- ihre wahre Natur als all-durchdringend, formlos,
cher Handlung oder Nicht-Handlung. unveränderlich und makellos verwirklicht haben.
(225.) (234.)
Frei vom Gefühl der Täterschaft führt der Weise Wer noch nicht still geworden ist, wird immer von
aus, was immer getan werden muss, unberührt Ablenkungen erregt, selbst wenn er nichts tut; der
von der Richtigkeit der Taten. Sein Handeln ist Erfahrene verweilt völlig unbewegt, selbst wenn er
wie die Handlung eines Kindes. beschäftigt ist.
(226.) (235.)
Durch Freiheit entsteht Glück, durch Freiheit das Selbst im täglichen Leben ist der Weise gleichmü-
Beste; durch Freiheit Gelassenheit; durch Freiheit tig, immer glücklich, ob er sich entspannt, schläft,
wird der höchste Zustand erreicht. seinen gewöhnlichen Geschäften nachgeht,
(227.) spricht oder isst.
Wenn sich das Verstehen vertieft, schwächt sich (236.)
die Neigung des Verstandes, sich nach außen zu Wer seine wahre Natur erkannt hat, ist das voll-
richten, ab in der Erkenntnis, dass das Selbst kommene Vorbild für das Leben. Im Gegensatz
weder der Täter noch der Erfahrende ist.

16
zum durchschnittlichen Individuum lebt er seinen an jedem Ort.
Alltag gelassen und unberührt wie ein stiller, (245.)
großer See. Was gibt es für ihn noch zu tun, der selbst das
(237.) reine Bewusstsein ist? Er hat die manifestierte
Für den Verwirrten wird sogar der Rückzug in die Welt, deren Vielfältigkeit nur aus unterschiedli-
Stille zur Aktion. Der Standhafte erntet auch in chen Namen besteht, die mit Mahat (kosmische
andauernder Tätigkeit die Früchte des Zurückzie- Intelligenz) beginnen, völlig aufgegeben.
hens. (246.)
(238.) Der Reine weiß mit Gewissheit, dass dieses
Ein moodha (weltlicher Mensch) stellt oft Gleich- Universum ein Produkt der Illusion ist, dass nichts
gültigkeit gegenüber seinem Besitz zur Schau. wirklich existiert. Das unsichtbare Selbst ist ihm
Wo aber gibt es Verhaftet- oder Losgelöstsein für offenbart worden, und ganz natürlich genießt er
den, der die Identifikation mit dem Körper verloren die Stille.
hat? (247.)
(239.) Verhaltensregeln, Leidenschaftslosigkeit, Entsa-
Der moodha ist immer damit beschäftigt zu kon- gung und Kontrolle des Verstandes, all diese
zeptualisieren. Wer im gegenwärtigen Augenblick Bezeichnungen sind für den bedeutungslos,
verweilt, denkt bei seiner Arbeit, was notwendig dessen Natur der Reine Glanz ist und der keine
ist, und doch denkt er nicht. objektive Realität kennt.

(240.) (248.)

Der Mensch der Ruhe hat in allen Unternehmun- Wie können die Bezeichnungen Bindung und
gen, die stattfinden, kein persönliches Motiv oder Befreiung, Freude und Leid irgendeine Bedeutung
Ziel. Er lebt mit der Unschuld eines Kindes und ist haben für den, der wie das Unendliche strahlt,
an die Arbeiten, die er ausführt, nicht gebunden. sich selbst in endlosen Formen objektivierend, der
keine relative Existenz kennt.
(241.)
(249.)
Gesegnet ist der Verstehende, der den Verstand
transzendiert hat, der von allen Umständen unbe- Mit dem Geschehen der plötzlichen Erleuchtung
rührt ist, während er physisch fortfährt zu sehen, wird die Realität des Universums als eine Illusion
zu hören, zu fühlen, zu riechen oder zu schme- erkannt. Der Weise lebt ohne das Gefühl eines
cken. Egos oder „mein”, er ist völlig losgelöst von allem.

(242.) (250.)

Wie kann es für den Vollkommenen, der unverän- Wie kann der Weise, der das Selbst als unver-
derlich ist wie das All, samsara oder ihre Manifes- gänglich und frei von Sorgen intuitiv wahrgenom-
tation geben? Wie kann es da ein Ziel oder Mittel men hat, der ohne das Gefühl „Ich bin der Körper”
geben, dies zu erreichen? oder „der Körper gehört mir” lebt, jemals am
Universum oder an Wissen interessiert sein?
(243.)
(251.)
Glorreich ist für den das Sein, der von allen Wün-
schen frei ist. Er ist die Verkörperung der voll- Nicht eher gibt der Mensch von dumpfer Intelli-
kommenen Glückseligkeit, die seine wahre Natur genz seine Übungen der Disziplin und Verstan-
ist, er bleibt für immer spontan, versunken im des-Kontrolle auf, bevor er nicht noch einmal von
reinen Bewusstsein. den unterdrückten Wünschen und Konzepten
überfallen wird.
(244.)
(252.)
Was gibt es noch zu sagen? Die große Seele mit
dem vollkommenen Verständnis ist nicht nur frei Sogar nachdem er die Wahrheit vernommen hat,
von jedem Verlangen nach Sinnesfreuden, son- gibt der Mensch von niedrigem Intellekt seine
dern auch frei von der Freude an der Erleuchtung. Täuschung nicht auf. Durch Verdrängung mag er
Sie ist völlig frei von jeder Bindung, zu jeder Zeit, ruhig erscheinen, doch sein Verstand wird weiter-

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hin von Verlangen nach Sinnesobjekten beunru- von allem Verlangen nach Sinnesfreuden, den es
higt. nicht interessiert, ob der Körper existiert oder
(253.) nicht.

Der, dessen Gefühl für die persönliche Täter- (261.)


schaft durch die intuitive Ein-Sicht seiner wahren Zufriedenheit wohnt immer im Herzen des Stand-
Natur abgefallen ist, findet keinen Grund zu haften, der mit allem, was immer sein Los im
reden, oder irgend etwas zu tun, obwohl er in den Leben sein mag, zufrieden ist, der geht, wohin
Augen der durchschnittlichen Menschen ein das Leben ihn führt, unbekümmert darum, wo er
normales Arbeitsleben führt. am Ende des Tages sein wird.
(254.) (262.)
Wie kann es für den standhaften Weisen, der Ruhend auf dem Grund seines eigenen, wahren
immer unerschütterlich und angstfrei ist, die Frage Seins, und daher Geburt und Tod transzendie-
von Dunkelheit oder Licht geben, die Frage irgend rend, kümmert sich der Große nicht darum, ob
etwas zu verlieren? Für ihn gibt es nichts, das sein Körper dem Tod anheimfällt oder fortfährt zu
existiert. existieren.
(255.) (263.)
Für ihn, der keine eigene, persönliche Natur Gesegnet ist der Weise, der in seiner Unnahbar-
besitzt, und dessen Natur daher nicht in spezifi- keit an nichts gebunden und ohne Verlangen nach
schen Begriffen ausgedrückt werden kann, wie Besitz ist. Er hat die Gegensätze transzendiert,
kann es für ein solch selbstverwirklichtes Wesen und seine Zweifel sind vollkommen vernichtet
die Frage von Geduld, von Unterscheidung oder worden.
sogar von Angstlosigkeit geben? (264.)
(256.) Glorreich ist derjenige, der frei ist von dem Gefühl
In der Vorstellung des yogi gibt es weder Himmel des „mir” und „mein”, für den ein Klumpen Erde,
noch Hölle, nicht einmal die Voraussetzung von ein kostbarer Stein, ein Brocken Gold gleichwertig
jivan-mukti, der Befreiung im Leben. Tatsächlich sind, dessen Verknotungen des Herzens zerris-
gibt es im yogischen Bewusstsein nichts, kein sen wurden, und der von rajas (Erregtheit) und
Ding existiert. tamas (Dumpfheit) gereinigt wurde.
(257.) (265.)
Der Verstand des Standhaften sehnt sich nicht Wie kann es etwas Vergleichbares zu einem
nach Gewinn, noch trauert er um etwas nicht Befreiten geben, in dessen Herz es keine Spur
Erreichtes. Sein gelassener Verstand bleibt immer von Verlangen irgendwelcher Art mehr gibt, der
erfüllt von Nektar. zufrieden und völlig gleichgültig gegenüber allen
(258.) Objekten ist?

Der Unvoreingenommene hat weder Lob für (266.)


jemanden, der als gut gilt, noch Verurteilung für Kann es irgend jemand anderen geben, außer
jemanden, der als schlecht gilt. Zufrieden, gleich- demjenigen, der aller persönlichen Wünsche
mäßig und ausgewogen in Glück und Elend, gibt beraubt ist, der weiß und doch nicht weiß, der
es für ihn nichts zu erreichen. empfängt und doch nicht empfängt, der spricht
(259.) und dennoch nicht spricht?

Der Weise verabscheut weder samsara, noch (267.)


verlangt er nach nirvana. Frei von der Dualität, Sei er ein Bettler oder König, glorreich ist der, der
von Freude und Leid, ist er uninteressiert an völlig ungebunden und völlig frei von der konzep-
Leben oder Tod. tionellen Dualität der miteinander verbunden
(260.) Gegensätze von gut und schlecht ist.

Glorreich ist das Leben des Weisen, frei von allen (268.)
Erwartungen, frei von jeder Verhaftung an Frau, Für den yogi, der seine wahre Natur erkannt hat
Kindern oder irgend etwas anderem. Der ist frei und der daher die Verkörperung von Unschuld

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und Aufrichtigkeit ist, wo gibt es für ihn eine Frage (277.) Janaka erklärt:
von Zügellosigkeit oder Einschränkung; wo ist die Indem ich die Zangen der bewussten Wahrneh-
Frage einer Entscheidung zwischen dem, was mung der Wahrheit benutze, habe ich den
wahr ist und nicht? schmerzvollen Dorn der verschiedenen Meinun-
(269.) gen, Konzepte und Urteile aus den innersten
Wie und wem kann die innere Erfahrung desjeni- Schlupfwinkeln meines Herzens herausgerissen.
gen, der völlig wunschlos ist, der alle Sorgen (278.)
transzendiert hat, der fortwährend im Selbst Wo ist dharma (Gesetz), wo ist karma (Schicksal),
verweilt, beschrieben werden? wo ist artha (Pflicht)? Wo ist Gewissen und Unter-
(270.) scheidung? Wo ist Dualität – oder gar Nicht-
Der Selbst-Verwirklichte schläft nicht, selbst wenn Dualität – für Mich, der ich in meiner eigenen
er schläft, er liegt nicht, selbst wenn er träumt, er Herrlichkeit verweile?
ist nicht wach, selbst im Wachzustand. Dies ist (279.)
der Zustand dessen, der unter allen Gegebenhei- Wo ist die Vergangenheit, wo ist die Zukunft oder
ten zufrieden ist. sogar die Gegenwart? Wo ist Raum? Wo ist gar
(271.) Ewigkeit? – für Mich, der ich in meiner eigenen
Der Mensch-der-Weisheit ist ohne Gedanken, Herrlichkeit verweile?
selbst wenn er denkt; er ist ohne Sinnesorgane, (280.)
selbst wenn er sie benutzt; er ist ohne Intellekt, Wo ist das Selbst, und wo ist das Nicht-Selbst,
selbst wenn er mit diesem ausgestattet ist. Er ist und ebenso Gut und Böse? Wo ist Angst oder
ohne Ego, selbst wenn er es besitzt. Angstlosigkeit? – für Mich, der ich in meiner
(272.) eigenen Herrlichkeit verweile?
Der „Mensch der Weisheit” ist weder glücklich (281.)
noch unglücklich, weder verhaftet noch unverhaf- Wo ist das Träumen, wo der Tiefschlaf und der
tet, weder befreit noch ein Anwärter für die Befrei- Wachzustand? Wo ist der vierte Zustand? Wo ist
ung. Er ist weder dies noch das. gar Furcht für Mich, der ich in meiner eigenen
(273.) Herrlichkeit verweile?
Der Gesegnete ist nicht abgelenkt, selbst in der (282.)
Zerstreuung. Er ist in der Meditation nicht medita- Wo ist Entfernung, wo ist Nähe? Wo ist draußen,
tiv; er ist nicht lustlos selbst in Lustlosigkeit; er ist wo ist innen? Wo ist das Grobe und wo das
nicht gebildet, selbst wenn er Bildung besitzt. Feine? – Für Mich, der ich in meiner eigenen
(274.) Herrlichkeit verweile?
Der Befreite, der unter allen Bedingungen im (283.)
Selbst verweilt, der frei ist von den Konzepten der Wo ist Leben oder Tod, wo sind die Welten und
Taten und Pflichten, der völlig ohne jedes Verlan- die weltlichen Relationen? Wo ist laya und wo ist
gen ist, bleibt unberührt von allen Ereignissen, er samadhi für Mich, der ich in meiner eigenen
grübelt nicht über Geschehenes, oder Ungesche- Herrlichkeit verweile?
henes.
[Laya ist der Sprung des Verstandes in den
(275.) Schlaf, der traditionell als eines der vier Hinder-
Wenn er gelobt wird, ist der Weise nicht erfreut, nisse für samadhi gilt. Die anderen drei sind
wird er beschuldigt, ist er nicht verärgert. Weder vikshepa (Zerstreuung), kashaya (Trägheit) und
erfreut er sich des Lebens, noch fürchtet er den rasavada (Schwelgen in samadhi)]
Tod. (284.)
(276.) Über die drei Ziele des Lebens zu sprechen, ist
Der Losgelöste sucht bewusst weder die Menge sinnlos, über Yoga zu sprechen, ist zwecklos, und
noch die Wüste. Er ist derselbe überall und unter sogar das Reden über Weisheit ist irrelevant für
allen Umständen. Mich, der ich im Selbst verweile.

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(285.) Wo ist der „Wissende” und wo ist der „Weg zum
Wo sind die Elemente, wo ist der Körper, wo sind Wissen”? Wo ist das „Objekt des Wissens” und
die Organe, und wo ist der Verstand? Wo ist wo ist „objektives Wissen”? Was ist ein Etwas,
wirklich die Leere oder Verzweiflung für Mich, der und was ist kein Etwas – für Mich, der ewig rein
ich von Natur aus ohne den geringsten Makel bin? ist?

(286.) (293.)

Wo sind die Schriften und das Wissen um das Wie kann es je Ablenkung oder Konzentration,
Selbst? Wo ist der Verstand, gelöst von den Wissen oder Täuschung, Freude oder Schmerz
Sinnesobjekten, und wo ist Zufriedenheit? Wo ist geben für Mich, der immer tatenlos ist?
Wunschlosigkeit – für Mich, der die Dualität der (294.)
Gegensätze transzendiert hat? Wo ist das Relative oder das Absolute, Glück oder
(287.) Unglück für Mich, der immer jenseits aller Kon-
Wo ist Wissen und wo ist Unwissenheit? Wo ist zeptualisierung ist?
das Ich, und wo ist „dies ist mein”? Wo ist Bin- (295.)
dung und wo ist Befreiung? Wie kann es für Wo ist maya (Weltillusion), wo ist samsara, wo ist
meine Selbst-Natur irgendein Attribut geben? Verhaftung oder Losgelöstsein, wie kann es eine
(288.) Frage von Jiva (individueller Seele) oder Brahman
Wo ist prarabdah-karma? Wo ist die Frage der geben – für Mich, der ewig rein ist?
Befreiung, sei es im Leben oder Tod? – für Mich, (296.)
den ewig Undifferenzierten? Wo ist Tätigkeit oder Untätigkeit, wo ist Befreiung
(Prarabdha-karma ist die Tätigkeit, die durch oder Bindung für Mich, der immer unveränderlich,
einen Körper-Verstand-Organismus vor sich geht, unteilbar und im Selbst verankert ist?
die Folge vergangener Taten im Prozess der (297.)
Kausalität.)
Wo sind spirituelle Unterweisungen oder schriftli-
(289.) che Verbote? Wo ist der Schüler, und wo ist der
Wo ist der Täter oder der Genießer, wo ist die guru? Wo gibt es die Frage irgendwelcher Pflich-
Auflösung oder das Auftauchen von Gedanken? ten für Mich, dem subjektiven potentiellen Ple-
Wo ist die Frage von wahrer oder falscher Wahr- num, frei von allen Begrenzungen?
nehmung für Mich, der ich immer unpersönlich (298.)
bin?
Wo ist Existenz oder Nicht-Existenz? Wo ist
(290.) Einheit oder Dualität? Kurz, es ist unnötig mehr zu
Wo ist die Welt, und wo ist der Sucher, wo ist die sagen, außer dass in der Tat nichts von mir
Frage von Yoga als Wissen, wer verweilt in ausstrahlt.
Knechtschaft, oder wer ist befreit – für Mich,
dessen wahre Natur die Nicht-Dualität ist?
(291.)
Alle 298 Verse wurden dem Buch
Wo ist Erschaffung, und wo ist Zerstörung? Was „Duett der Einheit“ von Ramesh Balsekar in der
ist das Ende und wo ist der Weg dorthin? Wo ist Übersetzung von Heidrun Goeschel
die Frage von Suchen oder Erlangen für Mich, München/Bielefeld 1991
verweilend in meiner nicht-dualen Natur? J. Kamphausen Verlag entnommen
(292.) www.ashtavakra.de

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