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Das Köfferchen

Terroranschlag in Hamburg
(von unserem Korsopondenten Manfred Hugo)

Hamburg – dla* Am gestrigen den bereits in diese Richtung Ausland den Kampf gegen den
Abend ereignete sich auf dem laufen. Terror intensivieren. Zusätzlich
Hamburger Hauptbahnhof Der Hamburger Innensenator werde man die Bahn bei der
ein schockierender Bomben- erklärte in einer eiligst anbe- Verbesserung der Bahnhofssi-
anschlag. Während des Fei- raumten Pressekonferenz, dass cherheit mit allen zur Verfü-
erabendverkehrs explodierte man nicht eher ruhen werde, bis gung stehenden Kräften unter-
ein Sprengsatz neben einem die Täter gefasst und verurteilt stützen, auf jeden Fall werden
vollbesetzten Zug. Nach vor- sind. Gleichzeitig kündigte er mehr Bundespolizisten für die
läufigen Schätzungen gab es eine Novellierung des Polizei- Bahn abgestellt.
über 150 Tote und Verletzte. gesetzes an, um den Ermitt- Ein Sprecher der Deutschen
Das Attentat traf Hamburg wie lungsbehörden mehr Freiräume Bahn erklärte, dass man alles
ein Blitz. Der sicher geglaubte für ihre Arbeit zu schaffen. versuchen werde, die Sicherheit
Hauptbahnhof wurde Ziel eines Zusätzlich soll die Kamera- in Zukunft zu erhöhen. Der
Terroranschlages, wie ihn überwachung in der Stadt ver- Vorfall habe gezeigt, dass die
Deutschland noch nicht erlebt stärkt und es sollen häufiger als bisherigen Maßnahmen nicht
hat. Der oder die Täter brachten zuvor Personenkontrollen ausreichten. In Rücksprache
den Sprengsatz zu einem Zeit- durchgeführt werden. „Es kann mit dem Bundesinnenministeri-
punkt zur Explosion, an dem nicht angehen, dass Terroristen um werde man alle Bahnhöfe
ein voll besetzter Pendlerzug durch Gesetze geschützt wer- verstärkt mit Kameras ausstat-
im Bahnhof hielt. Der Zug den,“ erklärte der sichtlich auf- ten und in Zukunft nur noch
wurde durch die Wucht der gebrachte Senator. personalisierte Fahrscheine, die
Detonation zerrissen, aus den Aus der Bundesregierung ver- mit RFID-Chips ausgestattet
Überresten der Waggons wur- lautete, dass ein Gesetzentwurf sind, ausgeben. An den Bahn-
den über 50 Tote geborgen. erarbeitet werden soll, der die höfen sollen zusätzlich Sicher-
Durch die umher fliegenden Zusammenlegung von Polizei- heitsschleusen eingerichtet
Splitter wurden mehr als 100 und Geheimdiensterkenntnissen werden, die nur von den Inha-
weitere Fahrgäste teilweise ermöglichen soll, damit eine bern eines gültigen Tickets
schwer verletzt, 20 von ihnen bessere Übersicht über die Ge- passiert werden können.
schweben noch in Lebensge- fahrenlage entsteht. Gegebe- Der Bundespräsident erklärte in
fahr. Die Verletzten wurden in nenfalls soll das Grundgesetz einer Fernsehansprache den
die umliegenden Krankenhäu- der veränderten Lage angepasst Opfern und deren Angehörigen
ser gebracht, in denen die Ärzte werden. Das Attentat zeige, sein tiefes Mitgefühl und
um das Leben der Schwerstver- dass nur so Anschläge wie die- ordnete eine Staatstrauer für die
letzten kämpfen. ser verhindert werden können. nächsten 3 Tage am. Weiterhin
Die Hamburger Polizei nahm Ebenso soll unverzüglich eine rief er die Bürger dazu auf, die
unverzüglich die Ermittlungen Gesetzesvorlage zum Einsatz Sicherheitsbehörden zu unter-
auf, konkrete Ergebnisse liegen der Bundeswehr zur inneren stützen und jeden scheinbar
noch nicht vor. Ein Polizeispre- Sicherheit in den Bundestag noch so unwichtigen Vorfall zu
cher verkündete, man vermute eingebracht werden, eine Son- melden. Im Kampf gegen den
die Täter in islamistischen dersitzung wurde bereits anbe- Terrorismus muss die Bevölke-
Kreisen, die Ermittlungen wür- raumt. Auch werde man im rung zusammen halten.

„Sorry folks. Was only business, nothing personal,“ murmelte Alfons, als er im Flugzeug
nach Rio die Nachrichten verfolgte. „Terrorism in Hamburg“ war die Headline und die Be-
richte schilderten die Schrecken der Nachricht des Tages. Die Medien stürzten sich auf die
Story, auf das grausige Leid der Menschen. Alle paar Minuten wurde das Programm für neue
Berichte unterbrochen, auf allen Kanälen.
Alfons lehnte sich in seinen Sitz zurück und griff nach seinem Scotch. Der Auftrag war gut
verlaufen, seine Auftraggeber konnten zufrieden sein.
Ein Köfferchen, so wie der Spielzeugkoffer eines kleinen Mädchens, voller Sprengstoff, rich-
tig positioniert, das war sein Trick gewesen. Niemand schöpfte Verdacht, nahm das Köffer-
chen als Bedrohung wahr. Kleine Mädchen tun so etwas nicht. Nur große böse Männer, so
wie Alfons, der Profiterrorist.
Den Koffer auf dem Bahnsteig zu positionieren war einfach gewesen. Alfons mischte sich
einfach in das Gedränge auf dem Bahnsteig, setzte sich kurz an das Ende einer Bank und stell-
te den Koffer gleich neben sich auf den Boden. Die Menschenmassen, die an ihm vorbei lie-
fen, verdeckten ihn und machten die vielen Videokameras nutzlos. Die dicke, warme Klei-
dung, die alle an diesem kalten Wintertag trugen, tat das übrige, damit er sich verbergen
konnte. Nachdem er den Koffer abgestellt hatte, verließ Alfons seelenruhig mit der Menge
den Bahnsteig, holte sich noch einen Kaffee und ging zum Taxistand. Die Bombe tickte und
er wusste, dass sie bei Eintreffen des nächsten Pendlerzuges explodieren würde. Dann war er
bereits auf dem Weg zum Flughafen.
Die eine Million Franken hatte er sich damit verdient. Dass viele Opfer zu beklagen waren,
störte werder ihn noch diejenigen, die ihn für einen medienwirksamen Anschlag bezahlt hat-
ten. Hinter dem so gut zahlenden Mittelsmann stand ein Konsortium aus Unternehmen der
Sicherheitsindustrie, das von einigen Geheimdienstlern unterstützt wurde. Bevor er den Auf-
trag angenommen hatte, Alfons hatte etwas recherchiert. Wer sich was von dieser Aktion ver-
sprach, konnte er danach abschätzen und auch, wie groß sein eigenes Risiko bei dem Auftrag
war. Alfons bedeutete ein Leben nicht sonderlich viel, aber er war auch nicht lebensmüde.
In den Nachrichten folgten die Börsenwerte. Die Aktien von Unternehmen der Sicherheits-
branche und den Herstellern von RFID-Systemen sind sprunghaft um ein vielfaches angestie-
gen. So wie es nach all den Ankündigungen zu erwarten war.
„Bloody money,“ dachte Alfons und fragte sich, ob es nicht an der Zeit für ihn war, mit die-
sem Business aufzuhören.

*dla = die Lügen Agentur

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©2006 Dirk Schulte am Hülse


(www.dirksgeschichten.de)

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