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WORT UND WISSEN

Bibelwissenschaft und Glaube


Rezension von Reinhard Junker*

Siegfried Zimmer: Schadet die Bibelwissenschaft Gott und die Bibel


dem Glauben? Klärung eines Konflikts. Göttingen: Im dritten Kapitel beschäftigt sich Zimmer mit der
Vandenhoeck & Ruprecht, 2007 Unterscheidung von Gott und der Bibel. Er versteht die
Unterscheidung zwischen der Autorität der Bibel und
„Wir können uns als Christen darauf verlassen, dass der Autorität Gottes differenzierend, nicht abgrenzend,
Gott durch die Bibel das bewirken wird, was er sich das heißt nicht sich gegenseitig ausschließend. Nach
vorgenommen hat. Dieses Vertrauen eint alle Chri- Zimmers Auffassung missverstehen „fundamentalisti-
sten“ (19). Diese Wirkungseinheit zwischen Gott und sche“ Christen diese Unterscheidung als abgrenzend
der Bibel ist unbestritten (20). Mit diesen verbindenden (31).
Worten beginnt Siegfried Zimmer die Darstellung der Nicht die Bibel, sondern Gott sei der Bezugspunkt
Kontroverse im Bibelverständnis unter den Christen. des Glaubens (44ff.). Nie werde im NT von einem Glau-
Die Spaltung entsteht in der Frage, in welchem Verhält- ben an die Bibel gesprochen, nur davon, dass der Bibel
nis die Autorität der Bibel zur Autorität Gottes steht geglaubt wird. „Damit macht das Neue Testament selbst
(20). Sogenannte „fundamentalisti- einen deutlichen (kategorialen) Un-
sche“ Christen sehen hier keinen Un- terschied zwischen Gott bzw. Jesus
terschied, während „nichtfundament- Christus einerseits und der Bibel an-
alistische“ Christen die Autorität der dererseits“ (47). Dies werde von der
Bibel gegenüber der Autorität Gottes „fundamentalistischen“ Theologie
relativieren; das sei aber keine Ab- nicht beachtet und hier sei sie nicht
wertung der Bibel, sondern um der „bibeltreu“. Die Bibel sei ein Werk-
einzigartigen Würde Gottes willen (22) zeug Gottes und es gebe einen kate-
und um der Ehre Gottes willen (35) gorialen Unterschied zu dem, der es
notwendig. Dies herauszustellen ist benutzt: Gott.
beherrschendes Thema der ersten Die angebliche Missachtung die-
beiden Kapitel von Zimmers Buch. ses Unterschiedes erscheint mir als
Doch was wissen wir nach christ- Unterstellung. Natürlich glauben
lichem Verständnis von Gott außer auch die sogenannten „fundament-
den Dingen, die wir durch die Heili- alistischen“ Christen an Gott. Aber
ge Schrift empfangen? Natürlich ist woher wissen sie und andere Chri-
der größer, der die Schrift gegeben sten etwas über ihn, um an ihn glau-
hat als seine Gabe. Aber wenn hier ben zu können? Aus dem in der Bi-
ein Autoritätsunterschied gemacht bel überlieferten Wort Gottes (siehe
wird, stellt sich die Frage, wie sich oben).
dieser Unterschied konkret äußert Zimmer weist auf den Grundzug
und mit welchen Kriterien wir ihn fest- Gottes hin, durch Schwachheit zu
stellen. Wir landen dann bei ganz wirken. „Es wäre sehr merkwürdig,
anderen Fragen, nämlich bei denen, um die es eigent- wenn er für die Bibel selbst nicht gelten würde“ (53, kur-
lich geht: „In welchem Verhältnis steht die Autorität der siv im Orig.). Daher müssten wir die Schwachheiten der
Bibel zur Autorität der Wissenschaft, zur Autorität der Bibel nicht zudecken oder leugnen. „Eine fehlerlose
Vernunft, zur Autorität der Kirche und zur Erfahrung und vollkommene Bibel würde Gottes Wirken auf eine
des Menschen?“ (20) Diese Fragen müssen anhand Weise demonstrierbar und vorzeigbar machen, die zum
konkreter Beispiele behandelt werden und es wird sich verborgenen Gott und zum ‚Wort vom Kreuz’ nicht passt“
zeigen, dass hier die Spaltungen auftreten, nicht in der
Frage der Relativierung der Autorität der Bibel gegen- * Kommentierende Ausführungen sind dunkelblau hervorge-
über der Autorität Gottes. hoben.
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(54, kursiv im Orig.). „Man kann die Qualität der Bibel Bibel (58). Ob man das überhaupt unter „Unvollkom-
nicht auf weltliche Weise ‚demonstrieren’“ (54). menheit“ subsummieren sollte? Gehören auch sachli-
Ich stimme den letzten beiden Zitaten Zimmers zu, che Fehler dazu?
aber Schwachheit der Bibel muss sich keinesfalls in Zimmer versichert, dass „die Bibel uns in den heils-
Fehlerhaftigkeit äußern. Diese implizite Gleichsetzung entscheidenen [sic] Aspekten“ zuverlässig leitet. Die Bibel
ist durch nichts begründet. Es stimmt, man kann die brauche dagegen keinen „frommen Schutz“, dahinter
Qualität der Bibel nicht demonstrieren, aber woran steckten meistens Angst und Kleinglaube (59). Was zu
liegt das? Nicht daran, dass sie sachliche Fehler be- unserem Heil wichtig ist, trete in der Bibel deutlich
inhaltet, sondern daran, dass sie Aussagen macht, die genug zutage, ein Fixiertsein auf absolute Fehlerlosig-
bestritten werden können, von der Schöpfung ange- keit der Bibel sei daher unnötig. In der Bibel gehe es um
fangen bis zu den Taten Jesu. Man kann Argumente die Gottesbeziehung, „nicht um Unterricht in Geogra-
dafür aufbieten, dass die Bibel in ihren teilweise nach- phie oder Physik“ (59).
prüfbaren Aussagen falsch ist und man kann diese Die Frage bleibt aber, wie die Glaubwürdigkeit der
Argumente oft nicht im strengen Sinne widerlegen, Bibel bewahrt werden kann, wenn sie fehlerhaft ist.
sondern nur mit Plausibilitäten argumentieren (zum Und vor allem stellt sich die Frage, welcher Art die
Beispiel im Bereich der biblischen Archäologie). Weil Fehler sind. Zwischen einem fehlerhaften Ortsnamen
Gott auf unserer Erde konkret gehandelt hat und die und beispielsweise der Behauptung, Jericho sei nie
Bibel darüber berichtet und ihre Schilderungen mit den von den Israeliten eingenommen, oder Paulus habe
Methoden der historischen Wissenschaften hinterfragt sich geirrt, wenn er von einem ersten Menschen spricht
werden können, ist die Bibel der „Schwachheit“ unter- (Röm 5,12; Apg 17,26), spannt sich ein breiter Bogen.
worfen. Zimmer lässt seine Leser im Unklaren darüber, welche
Zimmer hält demgemäß nichts davon, die Voll- Fehler er meint, die heilsrelevante Aspekte nicht be-
kommenheit Gottes auch auf sein Wort zu übertragen rühren. Natürlich ist es richtig, dass es um die Gottes-
(54ff.). Es gebe keine biblische Grundlage dafür, dass beziehung geht, aber diese ist nicht losgelöst von der
die Bibel vollkommen sei (56). Wo in der Bibel von der Frage, ob sich die Dinge so verhalten haben, wie sie die
Vollkommenheit des Wortes Gottes gesprochen wird, Bibel schildert. Der Hinweis, es gehe nicht um Geogra-
sei Vollständigkeit und Gesundheit gemeint (57f.). Aber phie oder Physik grenzt schon an Polemik und lenkt
passen dazu sachliche Fehler? Meines Erachtens kommt von den eigentlichen Fragen ab. Das gilt erst recht für
auf Seite 58 ein deutlicher argumentativer Sprung: „Die Zimmers rhetorische Frage, ob sich Gott nach unseren
Behauptung, die Bibel sei vollkommen, ist Ausdruck Wünschen betreffs der Fehlerlosigkeit der Bibel zu rich-
eines Wunschdenkens. Man kann nicht erwarten, oder ten habe (59). Ebenso geht es an der Sache vorbei, wenn
sogar verlangen, dass die Bibelwissenschaft dieses Zimmer fragt, ob Christen mehr von der Fehlerlosig-
Wunschdenken mitmacht“ (58). Die Forschung habe keit der Bibel leben oder von den Wirkungen, die Gott
gezeigt, dass dieser Wunsch nicht der Realität entspricht. der Bibel verleiht (59). Das sind doch keine Alternati-
Jetzt wird plötzlich die Wissenschaft zum Schiedsrich- ven! Wer der Bibel misstraut, wird von ihr wenig erwar-
ter! Wissenschaft ist aber kein objektives Unterneh- ten mit der Folge, dass das biblische Wort seine Wir-
men, sondern in Konventionen und kulturelle Rah- kung weniger entfalten kann. Wer wird sich überhaupt
mengegebenheiten eingebunden. Wissenschaft kann existentiell auf die biblischen Texte einlassen, wenn er
keinen Absolutheitsanspruch erheben. Daher ist es sich nicht auf ihre Aussagen verlassen kann? Und bei
wirklich so: Die eigentliche Frage ist: „In welchem demjenigen, der sich nicht (mehr) mit der Bibel be-
Verhältnis steht die Autorität der Bibel zur Autorität der schäftigt, wird sie keine Wirkung erzielen können. Diese
Wissenschaft …“ (20). Hier steht nun tatsächlich unver- Frage zu stellen ist auch kein Schreckgespenst, wie
sehens die Autorität der Wissenschaft gegen die Auto- Zimmer meint, sondern folgerichtig. Denn darin steckt
rität der Bibel. Da geht es nicht mehr um den katego- die Frage, nach welchen Kriterien welche Aussagen
rialen Unterschied zwischen Gott und der Bibel. der Bibel als glaubwürdig eingestuft werden und wel-
Interessant wären an dieser Stelle konkrete Bei- che nicht. Dann sind wir wieder ganz schnell bei der
spiele dafür gewesen, an welche Unvollkommenhei- Frage: „In welchem Verhältnis steht die Autorität der
ten der Bibel hier gedacht ist. „Unvollkommenheit“ ist Bibel zur Autorität der Wissenschaft …“ (20).
ein sehr dehnbarer Begriff. Zimmer nennt unterschied- Angst und Kleinglaube als Motiv zu behaupten (s. o.,
liche Perspektiven und Interessen der Schreiber der auch auf S. 62 und 99 sowie 127 „Gefühl der Bedro-
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hung“) ist unschön, denn wer will schon ein Angsthase tont Zimmer den Unterschied zwischen Jesus Christus
und kleingläubig sein? Auch das lenkt nur von der ei- und der Bibel, aber es ist nicht klar, was dieser Unter-
gentlichen Problematik ab. Denn biblischer Glaube schied konkret austrägt. Zum Beispiel schreibt Zim-
gründet auf Tatsachen, die Gott durch sein Wirken mer, Jesus sage an keiner Stelle: „Wer mich liebt, der
gesetzt hat. Wenn sich diese Tatsachen als falsch er- wird die Worte der Heiligen Schrift halten“ (77). Ja, er
weisen würden, wäre der Glaube folgerichtig gefährdet wird natürlich Jesu Wort halten. Und wo finden wir
und die Angst wäre begründet. Nur ein Glaube ohne heute dieses Wort? Ausschließlich in der Heiligen Schrift.
Realitätsbezug braucht diese Befürchtungen nicht zu Schließlich kommt Zimmer im Abschnitt 4.4 genau
haben, aber ein solcher Glaube wäre inhaltsleer und auf diesen Punkt selbst zu sprechen: „Wie wird diese
damit belanglos. Offenbarung den Menschen bekannt gemacht?“ (83).
Im Fazit des dritten Kapitels schreibt Zimmer: „Je Neue Aspekte kommen in diesem Abschnitt aber nicht
mehr ich meinen Glauben auf Gott konzentriere, desto zur Sprache. Vieles ist Wiederholung des zuvor Gesag-
lernfähiger werde ich in Bezug auf die Bibel“ (62). Wieder ten. Ein Beispiel: „Wenn jemand auf Widersprüche
stellt sich die Frage, worauf der Glaube gründet. Natür- oder Fehler in den neutestamentlichen Texten hin-
lich auf das geschriebene Wort, denn nur dieses ver- weist, bedeutet das nicht, dass er die Offenbarung Gottes
mittelt Wissen über Gott, auf das sich der Glaube bezie- in Jesus Christus für fehlerhaft oder widersprüchlich
hen kann. Zimmer befürchtet, dass die Lernbereitschaft hält“ (90). Nur, was macht das für einen Unterschied?
in Bezug auf die Bibel nachlässt oder ganz verloren Uns steht nun einmal nur dieses Wort zur Verfügung.
geht und dass der Glaube bildungsfeindlich werde, wenn Wir können keinen Vergleich zwischen der eigentli-
man sich auf die Fehlerlosigkeit der Bibel fixiert (62). chen Offenbarung und dem geschriebenen Wort zie-
Dies mag eine reale Gefahr sein, aber sie resultiert hen, oder auf andere Weise die eigentlichen Offenba-
nicht aus dem „fundamentalistischen“ Bibelverständ- rung erschließen. Oder doch? Dann stellt sich wieder
nis und sie sie bedroht Christen mit unterschiedlichen die Frage nach den Kriterien. Das sind dann die inter-
Haltungen zur Bibel. Die „fundamentalistisch“ den- essanten und entscheidenden Fragen, aber sie werden
kenden Christen müssen am Ende des dritten Kapitels von Zimmer nicht gestellt.
einiges an unerfreulichen Einschätzungen über ihre Zimmer fragt dann erneut in Abschnitt 4.5: „Wie
Haltung ertragen. kann Jesus Christus einen höheren Rang als die Bibel
haben, wenn wir doch alles Wichtige über Jesus Chri-
Jesus Christus und die Bibel stus allein aus der Bibel wissen?“ (91) Das ist genau der
Das vierte Kapitel ist ähnlich wie das dritte. Nun geht Punkt. Natürlich gäbe es ohne Jesus Christus auch kei-
es um die Unterscheidung von Jesus Christus und der ne Bibel und natürlich hat Jesus Christus eine Vorrang-
Bibel. Jesus Christus hat einen höheren Rang als die stellung vor der Bibel. Doch das an sich hat keine prak-
Bibel (64), Jesus hat eine himmlische Herkunft, nicht tische Konsequenz. Die entscheidende Frage wäre doch
die Bibel (65); die Bibel ist kein Teil des Glaubensbe- gewesen: Mit welchen Kriterien finde ich den Unter-
kenntnisses (69); Jesus Christus ist die entscheidende schied heraus zwischen dem, was Jesus Christus tat-
Offenbarung, nicht die Heilige Schrift (73) usw. sächlich verkörpert und dem, was in der Bibel über ihn
Das ist alles richtig, aber wieder gilt: Wir Heutige steht? Offensichtlich können die biblischen Texte sel-
wissen alles das nur durch die Bibel. Daran ändert auch ber hier keinen Schlüssel bieten, weil sie praktisch die
der Hinweis von Zimmer nichts, dass in der Bibel an einzige Information über Jesus Christus bereithalten.
keiner Stelle mit dem Wort „offenbaren“ eine bestimmte Genau diese Frage behandelt Zimmer nicht und ver-
Schrift gemeint sei (75). Dies trifft außerdem nicht ganz fehlt damit den Untertitel seines Buches „Klärung ei-
zu, denn in Jer 25,13 heißt es: „Und ich werde bringen nes Konflikts“. Eine entscheidende Frage des Kon-
über jenes Land alle meine Worte, die ich geredet habe flikts bleibt also ungeklärt.
gegen es, all das Geschriebene in dieser Rolle, das pro- Auch die in Abschnitt 4.6 zurecht herausgestellte
phezeit hat Jeremia gegen alle Nationen“; vgl. auch Tatsache, dass Jesus Christus die Mitte und der Maß-
2Thess 2,15: „Steht fest und haltet die Überlieferungen, stab der christlichen Bibelauslegung ist (93ff.), eignet
die ihr gelehrt worden seid, sei es durch Wort oder sich aus demselben Grund nicht als Kriterium. Wenn
durch unseren Brief“. Die Bibel ist trotz Zimmers Hin- Zimmer schreibt, es sei angebracht zu fragen, was Je-
weis das Medium, durch das wir heute Kenntnis von sus zu bestimmten Bibeltexten gesagt hätte, stellt sich
der Offenbarung bekommen: Wieder und wieder be- die Frage: Wie sollen wir darauf antworten, wenn wir
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uns doch nur an die Bibel halten können, weil wir nur Gott in der Welt in ganz weltlich-diesseitiger Gestalt,
in ihr Dinge über Jesus erfahren können? Zimmer so nimmt der Mensch auch Anstoß daran, dass ein
meint, wir könnten nicht mehr alle Geschehnisse, die menschliches, geschichtliches Wort Gottes Wort sein
in den biblischen Texten auf Gott zurückgeführt wer- soll. Der Charakter der Schrift als Wort Gottes ergibt
den, tatsächlich auf Gott zurückführen, weil Jesus die sich aus der Theopneustie. Muss Gott, wenn er in
Dinge anders sehen würde. Denn Jesus hätte z. B. nicht Menschenworten redet, zwangsläufig Fehler und Irrtü-
alle erstgeborenen Söhne der ägyptischen Bevölke- mer in Kauf nehmen, die die Menschen nun einmal
rung erwürgt, weil der Pharao verstockt war (94). Wo- teilen? Oder kann er mit dem menschlichen Wort in
her weiß Zimmer das? Hier betreibt er plötzlich Sach- seinem Mund den Nebel des Irrtums spalten?
kritik an der Bibel, die er nicht biblisch begründen kann,
auch nicht durch die Vorrangstellung Jesu und seine Die Bibel und Gottes Wort
zentrale Bedeutung, sondern nur durch seine subjekti- Dass Jesus Christus Mitte und Maßstab der Bibel ist, ist
ve Meinung, was Jesus wohl getan oder nicht getan dennoch wichtig, aber das erlaubt nur eine Unterschei-
hätte. Wenn man dazu bedenkt, dass Jesus das AT nie dung zwischen wichtig und weniger wichtig, nicht aber
kritisiert hat, wird dies erst recht deutlich. Zimmer hat zwischen richtig und falsch. Das muss auch die Antwort
recht, wenn er sagt, dass kein Satz der Bibel an Jesus auf das in Kapitel 5 Gesagte sein, in dem Zimmer fragt,
Christus vorbei Autorität erhalten darf (94). Jesus hat inwiefern die Bibel Gottes Wort ist. Ja, Gottes Wort ist
aber die Autorität des AT grundsätzlich bejaht (vgl. John selbstverständlich umfassender als die Bibel. „Die Bi-
Wenham: „Jesus und die Bibel“, Hänssler 2000; Armin bel relativiert sich selbst gegenüber dem Wort Gottes“
D. Baum: „Das Schriftverständnis Jesu: Ein exegeti- (107; kursiv im Orig.) – aber inwiefern? Ist die Bibel eine
sches Mosaik.“ Jahrbuch für evangelikale Theologie Teilmenge von Gottes Wort oder umgekehrt oder gibt
16, S. 13-32). es eine nichtleere Schnittmenge von Bibel und Gottes
Interessant wäre hier zu erfahren, wie sich Zimmer Wort? Diese entscheidende Frage bleibt soweit ich sehen
zu einem Brennpunkt des „Konflikts“ äußert: zu Jesus kann in Zimmers Buch unbeantwortet. „Zum lebendi-
Bestätigung dessen, was in dem ersten beiden Kapi- gen Wort gehört der Tonfall der Stimme, gehören Gestik,
teln der Bibel über die Erschaffung von Mann und Frau Mimik und Körperhaltung“ (110). Dieses Wort hatten
und über das Hartherzig-Werden des Menschen gesagt so aber nur die Zeitgenossen Jesu. Da wir das münd-
wird (Mt 19,3-8). Der Satz „Jesus Christus treu zu sein liche Wort Gottes, das einst durch Propheten und Apo-
ist wichtiger, als der Bibel treu zu sein“ (96) ist daher stel ausgerichtet wurde, nicht mehr haben, sind wir
eine Scheinalternative. „Nur dort, wo wir Jesus Chri- allein auf ihr schriftlich vorliegendes Gotteswort ange-
stus treu bleiben können, dürfen wir auch der Bibel treu wiesen.
bleiben“ (96), meint Zimmer. Nein, es gilt anders her-
um: Wenn wir Jesus Christus treu bleiben wollen, wer- Die Inspiration der Bibel
den wir wie er auch der Bibel treu bleiben. Kapitel 6 handelt von der Inspiration der Bibel. Hier
Zimmer bringt dann auf den Seiten 97-99 einige geht es Zimmer darum, Inspiration nicht mit Fehler-
Stellen aus dem NT, die den Vorrang Jesu vor der Bibel freiheit gleichzusetzen (129). Nach Ausführungen über
beinhalten (z. B. Mk 9,2-10; Mt 11,27: Mt 28,16-20; Joh das Inspirationsverständnis der Alten Kirche und der
14,26; Phil 3,16ff.; Kol 1,17-19; Eph 1,22f.; Hebr 1,3). protestantischen Orthodoxie kommt er auf das Inspi-
Doch alle diese Stellen erlauben es nicht, einen Maß- rationsverständnis des protestantischen Fundament-
stab zur Unterscheidung von Richtigem und Falschem alismus zu sprechen und vergleicht dieses mit dem
in der Bibel zu begründen. So gesehen gehen alle Aus- Schriftverständnis des Islam. Er sieht hier strukturelle
führungen zur Vorrangstellung Gottes oder Jesu vor Gemeinsamkeiten: Ablehnung jeder Relativierung der
der Bibel am eigentlichen Konflikt (was ist falsch in der Heiligen Schrift, die Heilige Schrift als entscheidende
Bibel und warum?) vorbei. Offenbarung, bedingungsloser Gehorsam gegenüber
der Schrift und Ablehnung einer wissenschaftlichen
Im Zusammenhang des Verhältnisses von Jesus Erforschung (133). Diese Gemeinsamkeiten sprächen
Christus und der Bibel kann man noch auf eine mög- für sich (134), schreibt Zimmer, ohne das genauer zu
liche Parallelität zwischen Christus und der Schrift hin- erläutern. Auf S. 136 wirft der Autor die Frage auf, ob
weisen. So wie die Juden daran Anstoß nahmen, dass jeder Erzählung, weil sie in der Vergangenheitsform
Jesus den Anspruch erhob, Gottes Sohn zu sein, also erzählt ist, auch geschichtlich gemeint sei. Er selbst gibt
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zuvor die Antwort: „Diese Frage kann nur die Bibel störe sich in der wissenschaftlichen Theologie nie-
selbst beantworten“ (135). Hier wären wieder verschie- mand mehr. Dieser Tatbestand ändere nicht an der
dene Beispiele wünschenswert gewesen, um einschät- Qualität der Bibel und der Glaubwürdigkeit ihrer heils-
zen zu können, was das konkret bedeutet. Zimmer bringt geschichtlichen Aussagen (156). Das aber scheint mir
später dazu das Beispiel des Hiobbuchs, wo er eine ein irrationaler Sprung zu sein, denn selbstverständ-
Reihe von Beobachtungen am Text nennt, die dafür lich kratzen Fehler an der Qualität und Glaubwürdig-
sprechen, dass das Buch Hiob literarisch und nicht keit. Und wieder muss man die Frage stellen, an wel-
geschichtlich zu verstehen sei (Teil II, Kapitel 1). Es gibt che Art von Fehlern Zimmer denkt. Er nennt „histori-
dazu auch Gegenargumente. Angesichts der Tatsache, sche und geographische“ Angaben (156), aber um wel-
dass die Historizität weiter Teile der Heiligen Schrift che Dimension handelt es sich dabei? Ein fehlerhafter
mit bibelwissenschaftlichen Argumenten bestritten wird, Ortname ist doch von einem ganz anderen Kaliber als
wäre es auch hier wieder wünschenswert gewesen, die „Feststellung“, Paulus habe sich im Römerbrief
anhand verschiedener Beispiele vorgeführt zu bekom- (5,12ff.) und auf dem Areopag in Athen (Apg 17,26)
men, warum bestimmte Texte der Bibel, die den deut- geirrt, als er von einem ersten Menschen sprach.
lichen Anschein erwecken, sie seien historisch gemeint, Durch die unkonkrete, allgemein formulierte Be-
in Wirklichkeit nicht historisch gemeint sein sollen. hauptung, Fehler seien tolerierbar, bleibt es dem Leser
Was ist mit der Urgeschichte, mit der Vätergeschichte, überlassen, wo er Grenzen ziehen möchte. Könnte es
mit Israels Zeit in Ägypten usw. bis zum Kommen Jesu, nicht sein, dass die Behauptungen von Fehlern in der
seinen Wundertaten und seiner Auferstehung und mit Bibel kritisch zu hinterfragen wären, auch wenn solche
der Geschichte der jungen Gemeinde? Immerhin stellt Behauptungen plausibel erscheinen? Wird man mit der
Zimmer fest (138): „Der Bezug der biblischen Botschaft Auffassung, Fehler seien nicht weiter problematisch,
zur Geschichte ist grundlegend und unaufhebbar.“ Oft die Kraft aufbringen, eine Kritik der Kritik anzugehen?
wird der historische Charakter der Texte aber gar nicht
mit Beobachtungen an den Texten bestritten, sondern Das Buch schließt mit dem kürzeren Teil II – „Ausge-
anhand anderer Kriterien. Hier liegt der Kernpunkt der wählte Brennpunkte“: dem biblischen Beispiel des
Kontroverse. Buches Hiob, biographischen Aspekten in der Ausein-
andersetzung um die Bibelwissenschaft sowie mit der
Vielfalt der Sprachformen Frage, wie wichtig es sei, was Christen im Blick auf die
Das 7. Kapitel widmet sich der Vielfalt der biblischen Bibel eint.
Sprachformen und Textsorten, das 8. der Entstehung
und Entwicklung der modernen Bibelwissenschaft.
Darin erläutert der Autor den Wandel im historischen Fazit
Denken im Laufe der Jahrhunderte. „Der bibelwissen- Der Titel des Buches lautet „Schadet die Bibelwissen-
schaftliche Exeget versteht sich als Anwalt des Bibel- schaft dem Glauben?“ Die Antwort kann nur sein: Es
textes gegenüber allen sachfremden Interessen“ (153). kommt darauf an, wie sie betrieben wird. Die „Wissen-
Dazu müsse zuerst die Bibel aus ihrer Zeit heraus ver- schaft“, so wie sie in Zimmers Buch dargestellt wird,
standen werden. Auf die Bibel müssten normale welt- gefährdet den Glauben insofern, als das, worauf er sich
liche Methoden angewendet werden (154). Zimmer führt verlässt, nicht eindeutig ist. Und was ist, wenn sich
zur Frage hin, ob man inhaltliche Kritik an der Bibel Ergebnisse bibelwissenschaftlicher Forschung und hi-
üben dürfe. Das sei in der Tat möglich, aber nur von der storische Schilderungen der Bibel widersprechen? Wie
Autorität Jesu her, die der Bibel übergeordnet ist (155). geht man damit dann um? Das ist Teil des wirklichen
Die damit verbundenen Fragen wurden weiter oben Konflikts, nicht der Unterschied zwischen der Autorität
bereits angesprochen. Zimmer kommt zu eigenartigen Jesu und der Autorität der Bibel. Da dieser eigentliche
Schlussfolgerungen: Die Feststellung von historischen Konflikt in Zimmers Buch allenfalls am Rande thema-
Fehlern in der Bibel sei keine Kritik an der Bibel, son- tisiert wird, trifft der Untertitel „Klärung eines Kon-
dern nur eine Feststellung. An Fehlern in der Bibel flikts“ den Inhalt des Buches nicht.

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