Sie sind auf Seite 1von 15

TOD - TABU

Umgang mit dem Tod in der modernen Gesellschaft -


und die Auswirkung auf das Leben.

WBR-Arbeit der Höheren Fachschule für Sozialpädagogik Luzern

Luzern, 11. Dezember 2009

Marco Ziegler
BI08 A
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung....................................................................................................................4
2 Beschreibung des Todes ...........................................................................................4
2.1 Alltägliches Verständnis von Tod.........................................................................4
2.2 Medizinische Definition von Tod..........................................................................4
2.2.1 Scheintod.....................................................................................................4
2.2.2 Klinischer Tod...............................................................................................4
2.2.3 Biologischer Tod...........................................................................................5
2.3 Juristische Definition von Tod.............................................................................5
3 Das Sterben im Laufe der Geschichte.......................................................................5
3.1 Der Neandertaler und der Tod.............................................................................6
3.2 Der Tod in der archaischen Gesellschaft............................................................6
3.2.1 Tod als Anfang und Übergang.....................................................................7
3.3 Die christliche Todesvorstellung im Mittelalter....................................................7
3.4 Der Tod als Gleichmacher...................................................................................8
3.5 Der Tod in der Moderne......................................................................................8
4 Praxisbezug..............................................................................................................10
4.1 Anders leben lernen..........................................................................................10
4.2 Anders sterben lernen.......................................................................................12
5 Auswertung...............................................................................................................13
6 Anhang......................................................................................................................15

Marco Ziegler, BI08A 2/15


„Da der Tod Verlust bedeutet, widerspricht er dem
Drang des neuzeitlichen Menschen,
Verlust zu vermeiden.
Um mit diesen Widersprüchen klar zu kommen,
muss der Tod für den modernen Menschen
aus dem Leben verschwinden.“
(Joachim-Meyer, S. 86)

Marco Ziegler, BI08A 3/15


1 Einleitung
Der Tod, ständiger Begleiter oder Schreckgespenst der Menschheit? Ob wir ihn
leben, ihn annehmen oder verdrängen, er hat die Menschheit durch die Geschichte
begleitet, unser Leben beeinflusst und er wird es auch in Zukunft tun. Gilt er als
bedrohliches Ende oder im Krankheitsfall als herbeigesehnte Erlösung? Was sind
Gründe, welche uns dazu bewegen so verschieden mit dem Thema Sterben und Tod
umzugehen, in den verschiedenen Epochen, Kulturen aber auch individuell? Welche
Erfahrungen nehmen wir mit und wie integrieren wir diese in unser Leben?

2 Beschreibung des Todes


Wann reden wir von Tod? Ist es möglich, eine einzige und einfache Definition von Tod
zu finden? Die Definition von Tod muss differenzierter betrachtet werden, so ist sie
juristisch gesehen anders als im medizinischen und nochmals ganz anders in
unserem alltäglichen Gebrauch.

2.1 Alltägliches Verständnis von Tod


In Fachbüchern habe ich vergeblich danach gesucht, eine Alltagsdefinition vom Tod
zu finden. So habe ich mich kurzerhand dazu entschlossen, in meinem
Bekanntenkreis danach zu fragen. „Wänn Pumpi ufhört z'schlah“, „Erst wen ein
Mensch vergessen wird, ist er gestorben“, „Wenn man die Radieschen von unten
anguckt“, sind Antworten, die ich auf die Frage „Wann ist ein Mensch tod?“ erhalten
habe.

2.2 Medizinische Definition von Tod


Die Schwierigkeit einer Definition zeigt sich auch in der Medizin. Es wird daher
unterteilt in Scheintod, klinischer Tod und biologischer Tod (Hirntod)

2.2.1 Scheintod
Der Scheintod kommt im medizinischen Alltag nur relativ selten vor, dabei sind
wichtige Lebensäusserungen, nämlich Atmung, Puls, Körperwärme, Reflexe nicht
mehr wahrnehmbar.

2.2.2 Klinischer Tod


Nach Hans Küng lässt sich der klinische Tod folgendermassen definieren:
„Sterbeforscher erklären, dass Menschen, an denen die Sterbeerlebnisse verifiziert
werden konnten, »klinisch tot (medically dead)« gewesen seien. Was heisst das?
Das heisst: Sie waren in einem Zustand, in welchem zwar die Atmung, die
Herztätigkeit, die Gehirnreaktion, ja, vielleicht selbst die nur im
Elektronenzephalogramm feststellbare Hirnstromaktivität ausgesetzt hatten (»Null-
Linien-EEG«), in welchem aber eine Wiederbelebung – etwa durch künstliche
Beatmung oder Herzmassage – doch noch möglich war. Solche Reanimation muss
im Normalfall innerhalb von fünf Minuten, kann in extremen Fällen wie Unterkühlung
noch innerhalb von 30 Minuten erfolgen, wenn das Gehirn nicht durch

Marco Ziegler, BI08A 4/15


Sauerstoffmangel irreparabel geschädigt werden soll. Diese Patienten also waren
klinisch und nur klinisch tot.“ (Jens/Küng 2009, S. 31)

2.2.3 Biologischer Tod


Der Biologische Tod unterscheidet sich darin zum Klinischen Tod, dass er
unwiderruflich ist. Hans Küng beschreibt weiter: „Denn biologisch tot heisst, dass
zumindest das Gehirn (anders vielleicht die noch transplantierbare Niere) seine
Funktionen vollständig und unwiderruflich eingestellt hat und nicht mehr
wiederbelebbar ist. Der biologische Tod ist nicht nur ein Organtod oder Partialtod,
sondern ein Hirntod (der »zentrale Tod«) und schliesslich der Tod des gesamten
Organismus (der »totale Tod«). Nur wer nicht nur medizinisch, sonder biologisch
gestorben ist, hat den endgültigen, allgemeinen Tod erfahren, und das ist: der
unwiderrufliche Verlust der Lebensfunktionen mit der Folge des Untergangs aller
Organe und Gewebe!“ (Jens/Küng 2009, S. 31-32)

2.3 Juristische Definition von Tod


Am 12. September 2001 wurde der Entwurf für ein Bundesgesetz über die
Transplantation von Organen, Geweben und Zellen vom Bundesrat verabschiedet. In
diesem ist der Tod folgendermassen gesetzlich definiert:
Art. 9 Todeskriterium und Feststellung des Todes
1. 1 Der Mensch ist tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschliesslich des
Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind.
2. 2 Der Bundesrat erlässt Vorschriften über die Feststellung des Todes. Er legt
insbesondere fest:
a) welche klinischen Zeichen vorliegen müssen, damit auf den irreversiblen
Ausfall der Funktionen von Hirn und Hirnstamm geschlossen werden darf;
b) die Anforderungen an die Ärztinnen oder Ärzte, die den Tod feststellen.
(URL http://www.admin.ch/ch/d/ff/2002/247.pdf. [Stand 14.11.2009])

3 Das Sterben im Laufe der Geschichte


Die Menschheit wurde immer von Einstellungen zum Tod, wie z.B. Magie, Glauben
an ein Weiterleben nach dem Tode oder der Wiedergeburt, durch die ganze
Menschheitsgeschichte begleitet. Diese Einstellungen sind heute noch erkennbar.
„Der Mensch hat offenbar das starke Bedürfnis, sich selbst zu überdauern. Lediglich
die Formen dieses Strebens nach Unsterblichkeit ändern sich im Laufe der
Geschichte“ (Joachim-Meyer 2004, S. 33). Von archaischen bis hin zu modernen
Gesellschaften findet sich Verbindendes, aber auch Trennendes im Umgang mit dem
Tod. „Gleichwohl ist anzumerken, dass der Mensch zwar aller Zivilisierung zum
Trotze angesichts des Todes auf sich selbst zurückgeworfen wird, dem
Unausweichlichen immer noch mit Angst begegnet, er aber im Laufe der Geschichte
neue Methoden zur Bewältigung geschaffen hat (Vermeidung des Anblicks von
Toten/Verlagerung des Sterbeprozesses hinter die Kulissen)“. (Joachim-Meyer 2004,
S. 33)

Marco Ziegler, BI08A 5/15


3.1 Der Neandertaler und der Tod
Mangels Überlieferung ist es schwierig, ein Bild des Umgangs von Neandertaler mit
dem Tod herauszuarbeiten. Durch Ausgrabungen und archäologische Funde lassen
sich Hinweise auf Bestattungsriten erkennen, die einen Umgang mit dem Tod zeigen.
Die Vermächtnisse aus der Frühzeit sind zwar sehr vage, jedoch kann eine
Interpretation der Funde nicht ausbleiben. Es ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass
der Neandertaler kein direkter Vorfahre des „homo sapiens“ ist, sondern eine eigene
Spezies, und trotzdem soll er uns durch seine biologische Nähe als Beispiel dienen,
um den ursprünglichen Umgang mit dem Tod zu dokumentieren. „Es ist davon
auszugehen, dass der Neandertaler mit dem Tod sehr vertraut war: Hunger, Kälte,
Gewalt bedrohten den Einzelnen fortwährend. Angesichts immer währender
Gefahren kann darauf geschlossen werden, dass die Gemeinschaft enger
zusammenrückte, um die Gruppe zu sichern und sich gegenseitig Schutz zu geben“
(Joachim-Meyer 2004, S. 34). Es zeigte sich durch Grabfunde, dass bereits der
Neandertaler seine Bestattungsrituale pflegte. Beispielsweise wurden in vielen
Ruhestätten Feuersteine, Waffen oder Speisen gefunden oder der Tote wurde in
einer bestimmten Stellung begraben. „So wurden die Toten mitunter in einer Stellung
begraben, die der des Kindes im Mutterleib oder eines schlafenden Menschen
ähnlich sieht.“ (Joachim-Meyer 2004, S. 35)

3.2 Der Tod in der archaischen Gesellschaft


In der archaischen Gesellschaft erfüllte jedes Mitglied eine Funktion in der Gruppe.
Deshalb zeichnet sie sich vor allem durch den Zusammenhalt ihrer Mitglieder aus.
Starb ein Mitglied der Gruppe, löste dies grosse Verunsicherung aus. Die Einheit der
Gruppe, wie auch ihr Fortbestand, schien in Frage gestellt. Dies traf vor allem zu,
wenn ein Führer gestorben war. Der zweite wesentliche Aspekt war, dass das
erreichte Lebensalter in diesen Gesellschaften durch mangelnde medizinische
Versorgung, Krieg und Streit weit unter dem Durchschnitt der Mitglieder moderner
Gesellschaften lag. Man starb so zu sagen „in der Blüte des Lebens“, als
produktives und nützliches Mitglied. Ein Todesfall raubte der Gruppe einen Teil ihrer
Substanz. Trauer, Begräbnisse und Religion sind der Versuch, die Solidarität der
Gruppe zu retten, indem man aus einem natürlichen Ereignis ein soziales macht.
„Um den Substanzverlust auszugleichen, wird der Zusammenhalt der Gruppe durch
Riten und Zeremonien wieder hergestellt.“ (Joachim-Meyer 2004, S. 37) Zu beachten
ist, dass durch die Aufgaben, die jedes Mitglied in der Gruppe inne hat, der Tod der
Mitglieder eine andere Wertigkeit erhält. Ein Kind, dass noch nicht durch Hilfe von
Initiationsriten in die Gruppe integriert ist, löst demzufolge keine Beunruhigung in der
Gruppe aus. Dies galt auch bei Sklaven oder Frauen. Interessant ist, das in der
archaischen Gesellschaft der Tod ein von aussen hereinbrechender, durch Gewalt
herbeigeführter Zustand ist. Es wird also immer eine Persönlichkeit für den Tod
verantwortlich gemacht. Zauberer, böse Menschen, ja sogar der Geist eines
Verstorbenen müssen hier als Sinnbilder hinhalten. „,in jedem Fall .... ist der Tod
Mord, verübt von welcher sozialen oder imaginär-sozialen Macht auch immer.'“
(Fuchs zit. nach Joachim-Meyer 2004, S. 38)

Marco Ziegler, BI08A 6/15


3.2.1 Tod als Anfang und Übergang
„Nach dem Verständnis der vorindustriellen Kulturen bildet der Tod einen Übergang
in ein neues Leben. Tod wird hier also als Übergang verstanden und bedeutet nicht
das Ende, sondern ein neuer Anfang.“ (Joachim-Meyer 2004, S. 39)
Ein Glaube an ein Leben nach dem irdischen findet sich in vielen Kulturen und
Religionen. Man denke nur an die Wiedergeburt im Buddhismus, das Paradies im
Christentum, die „Ewigen Jagdgründe“ bei den Indianern oder der Übergang ins
Totenreich der alten Ägypter, wo man sich durch den Bau von Pyramiden bereits zu
Lebzeiten darauf vorbereitete. Was bedeutet dies nun für den Menschen? Sein
Leben reduziert sich nicht auf die kurze irdische Zeit, sondern wird für ihn zu einem
ewigen Leben, da der Tod immer wieder einem Neuanfang gleichzusetzen ist.

3.3 Die christliche Todesvorstellung im Mittelalter


Im Mittelalter wird der Einfluss des Christentums auf das Todesverständnis der
Menschen deutlich, da es vollkommen von ihm geprägt war. Der einzelne war dem
anderen durch das nahe Zusammenleben sehr nahe. Dadurch, dass mehrere
Generationen unter einem Dach lebten, erlebten bereits Kinder den Tod eines
Angehörigen aufgrund der räumlichen Nähe mit. Der Tod war omnipräsent. Das
Christentum prägte das Todesbild dieser Epoche durch den Jenseitsglauben, was
sich nicht sonderlich vom Glauben der archaischen Gesellschaften unterscheidet. So
wird im Christentum, ebenfalls wie in archaischen Gesellschaften, der Tod durch eine
übergeordnete Kraft ausgelöst – in diesem Fall Gott. Der Mensch hatte jedoch schon
im Diesseits die Möglichkeit sein Schicksal zu bestimmen; das Leben nach dem Tod
durch Seelenheil (Stiftungen etc.) zu seinen Gunsten zu beeinflussen. „Demnach
hatte das Todesbild, das von der Kirche bestimmt wurde, soziale Gültigkeit und
diente zur Unterwerfung der Menschen unter die Kirche.“ (Joachim-Meyer 2004, S.
42/43) Ein deutlicher Individualisierungsschub ist ab dem 12. Jahrhundert erkennbar.
Obwohl die Einordnung ins Kollektiv immer noch sehr stark war, wurde ein
Individualisierungsprozess in Gang gesetzt, welcher die Sorge um das eigene
Schicksal verstärkte. Das „Jüngste Gericht“, das im Moment über den weiteren Weg
der Seele entscheidet, wird immer präsenter, rückt in greifbare Nähe des
Sterbenden, an sein Sterbebett. So hat der Sterbende in den letzten Stunden die
Möglichkeit, durch Reue seine Lebensgeschichte umzuwerten. Die Angst vor einem
plötzlichen Tod, ohne die Hilfe der Kirche im Kampf zwischen Gut und Böse um die
eigene Seele, war allgegenwärtig.
Das herrschende Todesbild änderte sich im Spätmittelalter durch den Ausbruch der
Pest, welche die Menschen massenhaft dahinsiechen liess. „Der Tod wurde zum
Gleichmacher, Priester wie Ackermann starben“ (Joachim-Meyer 2004, S. 43). Die
Pest überstieg die Dimension des Verstandes wie des Gefühls: „Im Krieg gab es
einen bestimmten Feind, dem sich der Hass zu wandte. Besiegte man ihn war die
Notzeit meist zu ende. Völlig anders war die Situation bei der Pest. Hier gab es
keinen konkreten Gegner, den man vernichten konnte“ (Bergdolt 1994, S. 107).
Durch das Aufkommen von künstlerischen Darstellungen, wie dem Totentanz (siehe
Anhang, Abbildung 1), wurde dem Menschen seine Vergänglichkeit vor Augen
geführt, so dass die Transzendenz, das Grauen vor dem Ende, nicht mehr zu
überdecken vermochte. Die Menschen sahen es als wahrscheinlich an, dass Gott sie
mit der Pest bestrafen wollte.

Marco Ziegler, BI08A 7/15


3.4 Der Tod als Gleichmacher
„Der Tod als Gleichmacher, als Schritt in ein neues Leben: Der Glaube an
Auferstehung, an die Unsterblichkeit der Seele, charakterisiert das christliche
Todesbild. Religion hat dadurch das Unerklärbare erklärbar gemacht. So gesehen
hat die Religion ihre Rolle als Sinnträger seinerzeit voll ausgefüllt. Der Ausbruch der
Pest in Europa markiert einen Wendepunkt im Vertrauen auf Gott. Plötzlich war das
Sterben allgegenwärtig. (...) Man stellte sich die Pest als riesige Naturkatastrophe
vor. Wie stark muss dann das Gefühl der Ohnmacht bei den Menschen gewesen
sein“ (Joachim-Meyer 2004, S. 54). Durch wissenschaftlichen Fortschritt und
bahnbrechende Entdeckungen rückte die Natur zusätzlich in den Mittelpunkt. Sie
wurde sogar erklärbar. An die Stelle, die zuvor die Religion inne hatte, rückte
langsam die Illusion der Naturbeherrschung. Das mittelalterliche Individuum musste
sich keine Gedanken über Sinn und Unsinn seiner irdischen Existenz machen – denn
er war als Mikrokosmos Repräsentant des Makrokosmos. Plötzlich aber sieht sich
das Individuum in der fortschreitenden Individualisierung gezwungen, seinem
Dasein einen Sinn zu vermitteln. Wie Max Weber das anmerkt, endet dies jedoch in
einem Dilemma für das Individuum: „,Wo immer aber rational-empirisches Erkennen
die Entzauberung der Welt und deren Verwandlung in einen kausalen Mechanismus
konsequent vollzogen hat, tritt die Spannung gegen die Ansprüche des ethischen
Postulats: dass die Welt ein gottgeordneter, also irgendwie ethisch
s i n n v o l l orientierter Kosmos sei, endgültig hervor. Denn die empirische und
vollends die mathematisch orientierte Weltbetrachtung entwickelt prinzipiell die
Ablehnung jeder Betrachtungsweise, welche überhaupt nach einem 'Sinn' des
innerweltlichen Geschehens fragt'“ (Weber zit. nach Joachim-Meyer 2004, S. 54/55).
Das Leben – geprägt von der christlichen Religion – hatte für den einzelnen noch
einen Sinn. Durch Naturwissenschaften hat sich der Mensch glaubenlos gemacht
und sich bewusst in seinen geistigen Schwingen beschnitten. Dies hat sich stark auf
das Bewusstsein der Menschen vom Tode und auf das Todesbild ausgewirkt.

3.5 Der Tod in der Moderne


„Wo die Naturwissenschaften die Welt erklären, sie vorhersehbar machen, muss
auch der Tod erklärbar, ja, beherrschbar sein“ (Joachim-Meyer 2004, S. 56). Der Tod
ist nunmehr erklärbar, er hat das Göttliche verloren. Diese durch
Naturwissenschaften, Entzauberung der Welt, bewirkt den Drang, auch eine
Verfügungsgewalt über den Tod zu haben. So verlängern wie heute durch
Transplantationen, Genentschlüsselungen und bessere medizinische Versorgung
das durchschnittliche Lebensalter 30 – 40 Jahre. Aber diese Verlängerung der
irdischen Phase bedeutet zugleich eine Verkürzung des Lebens – denn was sind die
gewonnen Jahre irdischen Lebens gegen den Verlust der Ewigkeit? Die Religion gab
dem Menschen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem 'sinnhaften' Ganzen. Diese
Sinnwelten haben die Aufgabe, dem menschlichen Leben Sinn und Bedeutung über
den jeweiligen lebensweltlichen Zusammenhang zu verleihen. Eine allumfassende
symbolische Sinnwelt hat der moderne Mensch jedoch verloren. Doch waren es nicht
gerade diese, durch die religiösen Institutionen vermittelten symbolischen
Sinnwelten, welche den Menschen vor dem absoluten Grauen schützen und
entlasten? Heute werden diese Ansprüche an die Teilsysteme der modernen
Gesellschaft gestellt – jedoch sind diese nicht in der Lage, diesen Sinn zu

Marco Ziegler, BI08A 8/15


konstruieren. Die Sinnerfüllung ist schlussendlich auf die subjektive Ebene verlagert
worden. Der Mensch versinkt in der Anonymität der Produktionsgesellschaft. Der
Mensch als 'Arbeiter' erlebt sich als auswechselbar und funktional, wie die
Wirklichkeit in der er sich bewegt. Diese Wirklichkeit wird eingeteilt in verschiedene,
in sich abgeschlossene Einheiten, die beliebig austauschbar sind. Nicht mehr die
Persönlichkeit ist relevant, sondern die Rolle, die in der Situation eingenommen wird.
Das Individuum hat sich an die Rollen gebundenen Regeln zu halten und zu
unterwerfen. Um den geregelten Ablauf nicht zu stören, muss das Verhalten
kontrolliert werden. Dies führt zu einem Selbstzwang, welcher durch den
gesellschaftlichen Apparat aufgezwungen wird. Der einzelne wird dazu gezwungen,
sich selbst zu spielen und sich mit den zugewiesenen Rollen zu identifizieren. „Die
innere Selbstkontrolle wacht auch über das Verhalten beispielsweise bei einem
Trauerfall. Statt starker Gefühlsregungen in der Öffentlichkeit bleibt oft nur ein Gefühl
von Peinlichkeit. Das erwartete Verhalten wird vom Individuum vorweggenommen,
nämlich Fassung zu bewahren“ (Joachim-Meyer 2004, S. 64). Dieser bürokratische
Denkstil beinhaltet somit eine Affektminderung. Früher wurden durch die Religion
einheitliche Lebenswelten vermittelt – heute jedoch muss der einzelne die
verschiedenen Lebenswelt-Elemente alleine zu einer Wirklichkeit organisieren.
„Durch die hohe Komplexität der Gesellschaft sind auch die Rollenzuweisungen an
die Alltagshandelnden gestiegen“ (Joachim-Meyer 2004, S. 65). Das Individuum fühlt
sich in der Pluralität der Gesellschaft und durch die revisionsbedürftige moderne
Identität verunsichert. Die Dominanz des Alltages verarmt die kulturelle Wertsphäre
und verbannt alle so verstandenen 'Irrationalitäten' in die Privatsphäre. Was als
rational angesehen wird, bestimmt aber die Gesellschaft. „, (..) folgerichtig ist die
soziale Verdrängung des Todes nichts anderes als die stillschweigende Umdeutung
des den Menschen grundlegend bedrohenden 'Topos' von einer gesellschaftlichen zu
einer privaten und individuellen Realität ohne intersubjektive Bezüge'“
(Nassehi;Weber zit. nach Joachim-Meyer 2004, S. 77). Die Privatisierung des Todes
kann als Grund zu dessen Verleugnung gesehen werden. In archaischen Gruppen
war das Sterben eines Mitgliedes eine öffentliche Angelegenheit. Die Familie oder die
Primärgruppe umfasst heute jedoch nur noch wenige Menschen. Die Gesellschaft
hat keine Zeit für Pausen bei Todesfällen. Der Erfahrungsmangel der
Gesellschaftsmitglieder ist ein zweites Argument, das für eine Verdrängung spricht.
Aufgrund der langen Lebensdauer, erlebt der einzelne das Sterben von
Bezugspersonen selten in jungen Jahren mit. Der Mangel an 'Toedeserfahrungen'
kann zu einer Abwendung gegenüber dem Sterbenden führen. „Es entsteht ein
Erfahrungsdefizit, dass zur Abwendung von Sterbenden oder Begräbnissen führen
kann. Auch Kinder werden vielfach von Sterbenden oder Begräbnissen ferngehalten“
(Joachim-Meyer 2004, S. 77). Gedanken an das eigene Sterben sind einem meist
unangenehm. Der Tod wird zum Problem von älteren Menschen erklärt. So höre ich
doch immer wieder in der Praxis von geistig Behinderten Jugendlichen, dass man
erst stirbt wenn man alt ist. Krankheit und Unfall, so scheint es, werden als
Todesursache zu einem 'viel zu frühen Zeitpunkt' gänzlich ausgeschlossen. Ist es
doch so, dass durch die Verdammnis in ein rein irdisches Leben, die Lebenszeit der
primäre Faktor ist. Möglichst alles zu erleben, um erfüllt zu gehen, basiert nur auf
einem Konstrukt in unseren Köpfen, worüber wir ein erfülltes Leben definieren. Die
Quantität steht über der Qualität.

Marco Ziegler, BI08A 9/15


4 Praxisbezug
Namen im Praxisbezug wurden aus Persönlichkeits Gründen anonymisiert.

4.1 Anders leben lernen


Das Wesentliche was auffällt, wenn man das moderne Todesbild mit dem aus
früheren Gesellschaften vergleicht, ist die Tatsache, das uns das 'ewige Leben'
genommen wurde. Unser Leben wird weg vom Jenseits auf das Diesseits reduziert.
So scheint es nur logisch, dass all unsere Bestrebungen ein erfülltes Leben zu
führen, auf unser irdisches Dasein fokussiert bleiben. Die Versuche der
Lebensverlängerung durch moderne Technik und gesundes Leben, weisen
zumindest darauf hin. Der moderne Typ Mensch schont seiner Ansicht nach seine
Gesundheit, um eben die Arbeit noch besser bewältigen zu können, noch mehr zu
leisten, noch besser funktionieren zu können. „Er reproduziert seine Arbeitskraft in
ebenso extremer Form. Ob dies jedoch zum Ziel führt ist fraglich“ (Joachim-Meyer
2004, S. 81). Man bedenke nur der Kraftanstrengung, der es bedarf, um durch
Gesundheit ein langes Leben führen zu können. Doch durch diese Handlungen
entspricht der moderne Mensch den Anforderungen der Gesellschaft. Durch die
Wichtigkeit des eigenen und einzigen Lebens, muss innerhalb kürzester Zeit alles
erreicht, alles entdeckt werden. Das Leben wird bewertet anhand der Kriterien, 'was
geschafft und absolviert' wurde. Der moderne Mensch kann nicht mehr
'lebensgesättigt' sondern nur noch 'lebensmüde' sterben. Das Individuum in früheren
Gesellschaften hatte noch die Möglichkeit neues zu entdecken; wir aber scheitern
heute an der Vielfalt der Möglichkeiten. Hierzu ein Beispiel: „Der „Mikrokosmos“
eines Bauern in früherer Gesellschaft reichte, überspitzt ausgedrückt, gerade bis
zum Kirchturm im nächstgelegenen Dorf. Eingebettet in eine festgelegte soziale
Struktur, erlebte er das, was unmittelbar vorhanden war. Er konnte gar nicht mehr
erleben, auch wenn er wollte. Wahrscheinlich wollte er aber gar nicht, weil er nicht
viel mehr kannte. Sein Dasein hat sich erfüllt“ (Joachim-Meyer 2004, S. 82). Durch
die Mannigfaltigkeit der Kulturgüter ist es dem modernen Menschen versagt alles
Erlebbare zu erleben.
Was aber heisst das konkret für meine Arbeit mit geistig behinderten Jugendlichen?
Unter welchen Kriterien finden unsere Förderplanungen statt? Getrieben vom Auftrag
der modernen Gesellschaft, unserem Klientel eine möglichst umfängliche
Wiedereingliederung zu ermöglichen, schreiten wir mit guten Absichten zur Tat.
Obwohl wir stets bemüht sind, unseren Jugendlichen das Leben erlebbar zu machen,
muss ich feststellen, dass sich die definierten Förderplanziele hauptsächlich um den
Aspekt drehen, die Jugendlichen in die Gesellschaft und den damit verbundenen
Arbeitsmarkt zu integrieren. Welche Anstrengungen müssen erbracht werden um
einem Arbeitsmarkt, auch wenn er geschützt ist, gerecht zu werden? Wie viel
Energie wird in Bahnen geleitet, welche wir mit einem erfüllten Leben gleichstellen?
Gilt es nicht primär, z.B. einem Jugendlichen mit Wahrnehmungsstörung, das Leben
grundsätzlich erlebbar zu machen? Genügt es in diesem Beispiel, dem Jugendlichen
den Sinn seines Daseins über Arbeit zu vermitteln? Ich glaub nicht. In erster Linie
müssten wir Sozialpädagogen Möglichkeiten finden, ihm das Gefühl von Leben zu
vermitteln, es spürbar zu machen. Es geht mir nicht darum Arbeitsintegration und
Therapien in Frage zu stellen, da sie durch die Eingliederung in die Gesellschaft

Marco Ziegler, BI08A 10/15


auch einen sozialen Teil erfüllen. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, wie oft
wir doch unsere eigenen Definitionen von einem erfüllten Leben in unsere Arbeit
einfliessen lassen. Wie schon erwähnt scheitern auch wir nicht Behinderten in der
Mannigfaltigkeit der Kulturgüter und ich bezweifle schwer, dass wir damit glücklich
sind. Wieso also sollte der Bauer aus dem Beispiel, seinen erlebbaren Mikrokosmos
zu Gunsten eines Makrokosmos aufgeben, in dem er durch die 'Unlebbarkeit' der
Vielfalt nur zum scheitern verurteilt sein kann. Ein Leben kann nie als solches
angenommen werden, wenn es für mich unerreichbar scheint. Gelingt es aber, den
Blickwinkel zu ändern, das Leben unter neuen Kritikpunkten zu sehen und zu
erleben, so kann das Sterben und auch der darauf folgende Tod als Bestandteil von
etwas Grossem und Ganzen gesehen werden.
Bin ich durch diese Erkenntnis nun ein besserer oder sogar ein guter
Sozialpädagoge? Ist dieses 'gut' nicht wieder durch die moderne Gesellschaft
geprägt und gewertet? Ich empfinde es als viel wichtiger Sozialpädagoge zu sein, frei
von gut und schlecht, aber dafür BIN ich es. Die Veränderung muss zuerst in mir
stattfinden. Ich bin immer Modell, daher kann ich nichts vermitteln, was ich nicht
selber vorlebe. Näher bei mir und meinem Leben zu sein, ist das Erstrebenswerte.
So kann schlussendlich auch die von Erik H. Erikson genannte Integrität erreicht
werden. Mein Leben als solches akzeptieren zu können und den bevorstehenden
Tod frei von Verzweiflung als Bestandteil des Lebens zu sehen. Das erlebte Glück,
aber auch die Fehler als Teil meines Lebens anzunehmen.
Beispiel:
Ich hatte einen Samstag-Abenddienst. Unter anderem war an diesem Samstag
Abend eine Disco auf unserer Wohngruppe geplant. Dies bedeutete, dass mein
Dienst bis um 22.00 Uhr dauern würde und nicht wie geplant bis um 20.00 Uhr. Ich
spürte Widerstände gegenüber diesem Discoabend. Was waren die Gründe? Unter
anderem fand an diesem Abend ein Polterabend eines Freundes statt. Zum anderen
war es Samstag-Abend und ich hatte das Gefühl, dass mein Privatleben durch
diverse Schularbeiten und Prüfungen etwas zu kurz kam. Jedoch merkte ich bereits
in den Vorbereitungen, dass meine Widerstände zu schwinden begannen. Die
Leidenschaft und Freude in den Augen der Jugendlichen, während den
Vorbereitungen, berührten mich. Die 'Angst' am Samstag-Abend etwas verpassen zu
können verlor sich. Mir wurde bewusst, dass es nur ein Gefühl war, welches mir
versuchte einzureden, ich könnte in meinem Leben etwas verpassen. Ich spürte,
dass ich in diesem Moment gerade dabei war, einfach zu leben, ohne den Druck
unbedingt überall dabei sein zu müssen, nein, sondern einfach zu erleben und Teil
eines wundervollen Moments zu sein. Ich fühlte mich glücklich an einem solch
freudigen Moment teil nehmen zu dürfen und darin integriert zu sein. Ausgeglichen
sass ich nach dem Arbeitsende im Zug und genoss meine Zufriedenheit. Ich machte
die Erfahrung, etwas frei von Druck erleben zu dürfen und befreite mich dabei vom
Druck, etwas erleben zu müssen. So kam es dann auch, dass ich an meinem
Wohnort angekommen, der Polterabendgruppe zufällig über den Weg lief. Zufällig?
Das Leben schreibt sich doch irgendwie von alleine, man muss einfach lernen es zu
zulassen.

Marco Ziegler, BI08A 11/15


4.2 Anders sterben lernen
Wenn über den Tod gesprochen wird, heisst dies noch lange nicht, dass unser
Umgang mit dem Sterben normal ist. Wesentlicher ist, in welcher Form er zum
Thema gemacht wird. Ich habe im Rahmen dieser Arbeit mit den geistig behinderten
Jugendlichen aus meiner Wohngruppe versucht, die Themen Sterben und Tod zu
diskutieren. Als ich darüber informierte, dass wir dieses Thema besprechen würden,
ging eine spürbare Reaktion durch den Raum. Diese reichte von interessiertem
Hingucken, zu Verdrängen, bis hin zu angstvollen Äusserungen. In der
Gesprächsrunde stellte sich dann heraus, dass jeder bereits einmal einen Todesfall
im engeren Umfeld erlebt hat. Jedoch merkte ich schnell, wie unterschiedlich die
Strategien der einzelnen Jugendlichen waren, sich mit den Themen Sterben und Tod
auseinander zu setzen.
Lisa 18 Jahre war nicht in der Lage ihre Gefühle gegenüber dem Sterben und dem
Tod zu benennen. Auf die Frage wie und ob sie in der Familie diese Situation
thematisiert hätten, konnte ich nur Angst und Hilflosigkeit in ihren Augen erkennen.
Vreni 18 Jahre antwortete auf die Frage „was sie über das Sterben wisse“ mit der
Antwort: „Man stirbt, wenn man alt ist.“ Als ich sie darüber aufklärte, dass dies ohne
besondere Vorkommnisse, im Leben angenommen werden kann, es aber auch
Unfälle und Krankheiten gibt und Menschen dadurch auch in jungen Jahren sterben
können, wirkte sie wie versteinert.
Heidi 18 Jahre konnte mir sehr genau erzählen wie sie den Tod einer Freundin,
welche in jungen Jahren starb, ritualisiert hatte. Sie zündet beispielsweise immer
eine Kerze an, wenn sie an ihre verstorbene Freundin denkt. Ebenso konnte sie
benennen, das sie der Tod traurig macht, da sie einen Menschen, den sie gerne
mochte, verloren hatte.
Manuel 17 Jahre erzählte, dass wenn ein Mensch stirbt, ein anderer an seiner Stelle
wieder geboren wird.
Melanie 18 Jahre ist der Überzeugung, dass der Mensch nach dem Tod in den
Himmel kommt. Es ist zu vermerken, dass sie aus einer Familie mit freikirchlichem
Glauben stammt.
José 17 Jahre ist Spanier und erzählte, dass die ganze Familie an der Trauerfeier
dabei war. Es wurde viel geweint und danach gingen alle an ein grosses Fest.
Sechs unterschiedliche Aussagen von sechs Jugendlichen. Vier von ihnen hatten die
erlebten Todesfälle in einer Form thematisiert. Bei den anderen zwei gehe ich davon
aus, dass die Themen Sterben und Tod von ihnen ferngehalten wurden. Sei es aus
Schutz, eigener Überforderung oder weil man gerade geistig behinderten Menschen
oft nicht zutraut, den Begriff Tod zu verstehen. Ich sehe es jedoch nicht als
grundlegend wichtig, ob der Begriff Tod verstanden wird oder nicht. An primärer
Stelle steht die Begleitung im Erleiden eines Verlustes und die folgende Trauer über
diesen Verlust. Mit der Zeit kann eventuell ein Verständnis für den Tod entwickelt
werden. Wenn z.B. erkannt wird, dass der geliebte Mensch nicht wieder kommt und
der Tod endgültig ist – eine Auffassung, die vielleicht noch nicht vorhanden war als
sie dem Tod zum ersten Mal begegneten.

Marco Ziegler, BI08A 12/15


Die sechs verschiedenen Meinungen zeigen, dass jeder Mensch seine individuelle
Geschichte mit sich trägt – den Umgang mit dem Tod nicht ausgeschlossen. Die
individuelle Ritualisierung und der Umgang mit dem Tod sollte akzeptiert und auch in
der Gruppe thematisiert werden. Ich war überrascht, wie rücksichtsvoll die
Jugendlichen bei diesem Thema miteinander umgegangen sind. Man hat sich
zugehört und nicht ein einziges Mal etwas in Frage gestellt oder ins Lächerliche
gezogen.
Es geht mir in diesem Teil nicht darum zu beschreiben wie ich Jugendliche im
Trauerprozess begleiten kann. Vielmehr lege ich den Fokus darauf, das Sterben und
den Tod grundsätzlich mit den Jugendlichen zu thematisieren. Nicht selten genug
verspürt man das Gefühl, vom Tod überrascht worden zu sein, weil man ihn viel zu
lange verdrängte. Wir leben nicht mehr im Angesicht des Todes. Die
Sozialgeschichte des Todes zeigt uns wie in früheren Gesellschaften ein einheitliches
Todesbild vorherrschte, welches uns im Zuge der Individualisierung aber verloren
ging. Unsere eigene Endlichkeit wird uns aber dann wieder ins Bewusstsein gerufen
und überwältigt uns, wenn ein von uns geliebter Mensch stirbt. Deshalb erachte ich
es als wichtig, den Tod als natürlichen Prozess zu sehen und ihn auch als solchen zu
vermitteln. Dass er nicht als das unbekannte Bedrohliche in unseren Köpfen umher
geistert, weit weg von unserer Realität, verdrängt in Institutionen und Hospize. Damit
ich aber mit meinem Klientel in einem unverkrampften Rahmen darüber diskutieren
kann, ist es für mich nötig, eine gesunde Einstellung gegenüber dem Tod zu
entwickeln. Ich selber muss meine Ängste erkennen und lernen darüber zu
sprechen. Erst wenn ich selber gelernt habe, den Tod nicht zu verdrängen, kann ich
die Fragen beantworten, welche in der Diskussion kommen werden. Ich muss den
Tod aus der Verdrängung ein Stück zurück in mein Leben holen – nicht als
drohendes Ende, sondern als etwas natürliches.

5 Auswertung
Ich war der Überzeugung, dass ich ein aufgeschlossenes Verhältnis zum Thema Tod
hatte, als ich mich damals für dieses Thema entschied. Ich musste aber im Verlauf
der Arbeit immer wieder feststellen, dass auch ich meine Verdrängungsmechanismen
habe. Schliesslich bin auch ich ein vergesellschafteter Mensch. Das Thema warf bei
mir viele Fragen auf wie: Möchte ich wissen ob ich todkrank bin? Was wäre dann,
wenn ich es wüsste? Müsste ich auch noch einiges nachholen? usw.
Genau diese Fragen aber sind es, die ich als wichtig erachte, um mich mit meinem
Leben und schliesslich mit meinem Tod auseinander zu setzten. Leben und Tod sind
für mich untrennbar miteinander verbunden. Dies erklärt auch warum ich mich im
Praxisbezug auf die Themen „Anders leben lernen“ und „Anders sterben lernen“
entschieden habe. Ich habe für mich erkannt, dass diese beiden Themen in einer
Wechselwirkung zueinander stehen. Wer sein Leben als solches annehmen kann
und frei von einer Lebenscheckliste leben kann, wird auch einen natürlicheren
Umgang mit seinem Tod finden. Kann ich wiederum meinen Tod als etwas
natürliches und als einen Bestandteil meines Lebens akzeptieren, so werde ich wohl
auch mein Leben druckfreier wahrnehmen. Ich habe in meinem Praxisbezug erst gar
nicht versucht, eine Anleitung zu erstellen, wie dies einem gelingen mag. Die
Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und dem Tod muss jeder persönlich
durchlaufen. Das „WIE“ scheint mir auch nicht das wichtigste zu sein, sondern dass

Marco Ziegler, BI08A 13/15


es überhaupt geschieht. Ich glaube auch nicht daran, dass wir uns als Mitglieder der
Gesellschaft gänzlich vom Druck der 'Lebenscheckliste' lösen können, aber dass wir
immer wieder in gewissen Momenten versuchen inne zu halten und in uns zu kehren.
Vergessen wir doch hin und wieder einfach mal die fixe Idee, das Leben zu
beherrschen und versuchen zu verstehen, dass wir durch die Erlebbarkeit bereits ein
grosses Geschenk erhalten haben.

Tausch/BickelLuchterhand/MurphyFässler-WeibelRaimbaultFinzen

Marco Ziegler, BI08A 14/15


6 Anhang

Abbildung 1, Basler Totentanz, Wandgemälde an der


Predigerkirche
Foto: AKG

Literaturverzeichnis
• Bergdolt: Bergolt, Klaus, Der Schwarze Tod in Europa, München, Beck'sche
Verlagsbuchhandlung, 1994
• Fässler-Weibel: Fässler-Weibel, Peter, Trauma und Tod in der Schule, Freiburg
Schweiz, Paulusverlag, 2005
• Finzen: Finzen, Asmus, Das Sterben der anderen. Sterbehilfe in der Diskussion,
Bonn, BALANCE buch + medien verlag GmbH & Co. KG, 2009
• Jens/Küng: Jens, Walter; Küng Hans, Menschenwürdig sterben, München, Piper
Verlag GmbH, 2009, Erweiterte und aktualisierte Neuasgabe
• Joachim-Meyer: Joachim-Meier, Sandra, Sinnbilder von Leben und Tod, Marburg,
Tectum Verlag, 2004, Erstausgabe
• Luchterhand/Murphy: Luchterhand Charlene, Murphy Nacy, Wenn Menschen mit
geistiger Behinderung trauern, Weinheim und Basel, Beltz Verlag, 2001,
• Raimbault: Raimbault Ginette, Kinder sprechen vom Tod. Klinische Probleme der
Trauer, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag, 1981, 2. Auflage
• Tausch/Bickel: Tausch-Flammer Daniela, BIckel Lis, Wenn Kinder nach dem
Sterben fragen, Freiburg im Breisgau, Verlag Heder GmbH, 1998, 11. Auflage
2009
• URL http://www.admin.ch/ch/d/ff/2002/247.pdf: Bundesversammlung der
Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bundesgesetz Entwurf über die
Transplantation von Organen,Geweben und Zellen, Online unter
http://www.admin.ch/ch/d/ff/2002/247.pdf, Stand 14.11.2009

Marco Ziegler, BI08A 15/15

Das könnte Ihnen auch gefallen