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Nazimode umgedreht: Freiwillig komisch - taz.

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21.05.2010 | 2 Kommentare
NAZIMODE UMGEDREHT

Freiwillig komisch
Das T-Shirt-Label Storch Heinar veralbert Nazimode und benutzt
dafür deren eigene Symbole. Mediatex, der Betreiber vom
Original "Thor Steinar", hat dagegen geklagt. VON KIRSTEN MENZEL

Der Web-Shop "Storch Heinar" vertreibt seit 2008 T-Shirts mit veralberten
Nazimotiven. Foto: screenshot storchheinar.de

Ein kleiner, missratener Storch mit Seitenscheitel, Hitlerbärtchen und


schwerer Kindheit will die Mode-Weltherrschaft an sich reißen und
den Fashion Victims zeigen, wo der Frosch die Locken hat: Storch
Heinar. Der gleichnamige Web-Shop vertreibt seit Dezember 2008
Textilien mit Storchenwappen im Kampf gegen Rechtsextremismus.
Die Betreiberfirma der Marke "Thor Steinar", die Mediatex GmbH,
findet das nicht lustig. Sie klagt gegen den Projektleiter, den
mecklenburgischen SPD-Landtagsabgeordneten Mathias Brodkorb,
wegen Verletzung und Verunglimpfung ihrer Marke.

In seinem Büro im Schweriner Schloss trägt Mathias Brodkorb kein


Storchen-Shirt, stattdessen Anzug und Hemd. "Im Parlament wären
die T-Shirts vermutlich verboten", sagt der 33-Jährige. Ausprobiert
hat er es noch nicht. Das Tragen von Thor-Steinar-T-Shirts ist
verboten.

Das Projekt "Storch Heinar" ist für Mathias Brodkorb das


Spaßtüpfelchen in der Auseinandersetzung mit rechts. Seit die NPD
2006 in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einzog,
dokumentieren, analysieren und kommentieren Mathias Brodkorb
und seine Kollegen akribisch die Arbeit der sechs Abgeordneten.

Nach zwei Jahren war die Zeit reif für Satire. Den Ausschlag gab die
Eröffnung eines Klamottenladens in der Rostocker Innenstadt, der
Marken wie Thor Steinar verkaufte, die in der rechten Szene beliebt
sind. Während die Rostocker demonstrierten, eröffnete der NPD-

http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/freiwillig-komisch/ 21.05.2010
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Abgeordnete Birger Lüssow


demonstrativ sein Wahlkreisbüro
im selben Gebäude.

"Endstation Rechts", das


Informationsportal über Nazis
und die NPD-Fraktionen in den
Landtagen von Mecklenburg-
Dieser Text stammt aus Vorpommern und Sachsen,
der sonntaz vom 22. Mai 2010 – wollte etwas tun. "Was liegt
ab Sonnabend zusammen mit der näher, als ein eigenes Nazi-
taz am Kiosk. Foto: taz
Modelabel zu machen", sagt
Foto:
Mathias Brodkorb. Schließlich
soll die Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus auch Spaß machen.

In einer Rotweinrunde entstand als Grundidee die Geschichte um


den modeverrückten Führerstorch, dem sein geliebtes, heiliges,
einziges Ei geklaut wird und der deshalb in den Krieg zieht. "Wir
waren nicht betrunken", betont Brodkorb.

Inzwischen ist der Klamottenladen in Rostock dicht – der T-Shirtshop


im Netz nicht. Fünf Leute teilen sich die ehrenamtliche Arbeit. Als
Quelle für immer neue Motive dient die rechte Szene selbst. Als etwa
der NPD-Abgeordnete Birger Lüssow in einer Landtagsrede vom
"großen Dichter Franz Grillpanzer" sprach, war das die Vorlage für
das Grillpanzer-Shirt: ein Stehgrill mit integriertem Kanonenrohr.

Rechte Symbole werden neu besetzt

"Unfreiwillig komisch" findet Brodkorb diese "lächerlichen Gestalten,


die keinen grammatikalisch korrekten Satz zustande kriegen, aber
den Anspruch haben, Gesellschaft und Staat zu gestalten". Er will
ihre Symbole neu besetzen. Der in der rechten Szene als Märtyrer
verehrte Rudolf Hess taucht nun als debiler Storch Rudolf auf. Er war
es, der in Meiland beim Eilympischen Eierlauf gegen Benito
Storcholini das Ei von Führerstorch Heinar stahl – und daraus
Eierlikör mischte.

"Früher fand ich das Thema Rechtsextremismus todlangweilig", sagt


Brodkorb. Heute ist er Experte. Sein Erweckungserlebnis war ein
Wortwechsel im Jahr 1997. Der 20-jährige Brodkorb, Abiturient mit
guter Note in Geschichte, sprach den damaligen NPD-
Landesvorsitzenden Ronny Grubert an, wollte ihn argumentativ
"fertigmachen".

Kriegsverbrechen, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit – jeder Vorwurf


prallte an Grubert ab. Er habe nichts gegen andere Völker,
antwortete er, er glaube nicht, dass die Deutschen höherwertig seien,
und ja, Hitler sei ein Verbrecher gewesen. Brodkorb war mit seinem
Anti-Nazi-Latein am Ende. "Da ist mir aufgegangen, dass
Rechtsextremismus nicht dasselbe ist wie Nationalsozialismus". Es
war seine erste Begegnung mit dem Ethnopluralismus, der Ideologie
der Neuen Rechten.

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Brodkorb studierte Philosophie und Altgriechisch, schrieb seine


Abschlussarbeit über Ethnopluralismus. Heute kennt er die
Argumente der intellektuellen Neuen Rechten besser als so mancher
NPDler selbst. Bei dieser Strömung geht es um die Theorie der
"Vielfalt der Völker". Die erklärt keine Nation oder Kultur als höher-
oder minderwertig, sondern jede einzelne für schützenswert. Um sie
zu erhalten, gilt es sie zu trennen.

Der rechte Ethnopluralismus

Brodkorb stellt "zwischen dem rechten Ethnopluralismus und dem


linken Multikulturalismus ungewollt Schnittmengen" fest. Während
Multikulturalisten "abstrakt eine ,Vielfalt der Kulturen'" preisten, lüden
Ethnopluralisten diesen postmodernen Relativismus völkisch auf.
"Böse gesagt: Der Ethnopluralismus ist so gesehen paradoxerweise
vielfach Multikuturalismus plus."

Brodkorb ärgert sich nicht über die NPD im Landtag, er erforscht sie.

"Storch Heinar" befasst sich nicht mit dem Ethnopluralismus. Satire,


erklärt Brodkorb, funktioniert nur bei Verfremdung von Bekanntem.
Hitlerbart und Wehrmachtshelm lassen sich persiflieren, die
philosophischen Grundlagen der Neuen Rechten nicht. "So bleibt
Storch Heinar intellektuell weit hinter dem zurück, was wir sonst tun",
sagt Brodkorb.

Sein Engagement hat sich auf die Aufklärung über die Neue Rechte
verlagert, hier sieht er eine "Riesenbildungslücke" und eine Gefahr:
"Wir sind alle auf Neonazis fixiert und sehen oft nicht, dass es
subtilere Möglichkeiten gibt, rechtsextrem und menschenverachtend
zu sein." Viele Stunden widmet er der Lektüre neuer Publikationen
und der Jungen Freiheit. Brodkorb kämpft mit Argumenten,
erkenntnistheoretischen, anthropologischen, und plädiert für eine
Menschenrechtspädagogik an den Schulen. "Ansonsten haben wir
keine überzeugten Demokraten, sondern konditionierte Menschen."

Prozessbeginn Ende Juni

Am 23. Juni beginnt der Markenprozess am Gericht Nürnberg-Fürth.


Brodkorbs Anwälte haben der Firma Mediatex als Güteangebot eine
Zusammenarbeit vorgeschlagen, mit der sie sich von der rechten
Szene distanzieren könne, erzählt Brodkorb. Darauf sei die Firma
bisher nicht eingegangen.

Brodkorb ist optimistisch. Er sieht keine Verwechslungsgefahr


zwischen einem weißen Storch auf rotem Grund und einem weißen
Kreuz auf grauem Grund, der eingetragenen Wort-Bild-Marke von
Thor Steinar. Außerdem hat Mediatex ein ähnliches Verfahren in
Nordrhein-Westfalen in zwei Instanzen verloren. "Das Gericht
entschied, dass das ,Torten-Schneider-T-Shirt' erkennbar satirisch
und eine politische Meinungsäußerung sei", sagt Brodkorb. Er hofft
auf eine ähnliche Einschätzung der bayerischen Richter.

Ein Erfolg ist schon jetzt der Verkauf des Retter-Shirts, das er vom
Fußballverein St. Pauli – mit Einverständnis – abgekupfert hat. Damit

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werden Spenden für mögliche Prozesskosten gesammelt. Der


Aufdruck: Weltkriegsverliererbesieger.

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