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Die Begriffe ,,.Feind“ und ,,Freund“ im Werk von Carl Schmitt. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der Weimarer Republil: Radek Sobéhart Carl Schmitt (1888-1985) gehért zu den bedeutendsten, aber auch kontroversesten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Die Bewertungen seiner Person durch seine Zeitgenossen und Erklirer bewegen sich zwischen zwei Extremen. Die einen hielten ihn fiir ,den Totengrdber der Weimarer Republik’, fiir den ,Kronjuristen des Dritten Reiches“ oder sogar fiir den Zuhiilter der Macht“ Die anderen stellten ihn Thomas Hobbes oder Niccolé Machiavelli gleich und nannten ihn den ,,jiingsten Klassiker des politischen Denkens*.} Das Interesse am Werk Schmitts besteht bis heute. Er gilt immerhin als einer der bedeutendsten Intellektuellen der Weimarer Republik. Die Forscher beschiftigen sich primar mit dem Thema des Untergangs der Weimarer Demokratie und dem Anteil Schmitts an der Konstituierung des nationalsozialistischen Regimes. Geforscht wird auch "Der Beitrag entstand im Rahmen des Projekts ,Analyza vchodnt polit hodnimu bloku v letech 1966-1974. Proména némecké obdobi détente", GAUK 7/2006/R (Analyse der Ostpolitik Willy B Ostblock 1966-1974. Die Ver‘inderung der deutschen AuBenpoli Détente). = Henning OTTMANN, Carl Schmitt. In: Politicka Ballestrem und Hennig Ottmann, Praha 1993, 8. 59. 3 Diese Bezeichnung, die eine sehr negative Reaktion hervorrief, kommt von Bernard Willms, vgl. Bernard WILLMS, Carl Schmitt - jiingster Klas sr des politischen Denkens, in: Comlexio Oppositorium. Uber Carl Schmitt, hrsg. von Helmut Quaritsch, Berlin 1988, S. 595; Bernard WILLMS, Politics as Politics. Carl Schmitts Concept of th e Political’ and the Tr ‘cadtion of European Polit dts gegentiber dem ik in der Zeit der filosofie 20. stoleti, hrsg. von Karl Bewertung, sondern er bemiite sich aut die Tatsache aufmerksani au machen, dass viele Biicher und einige Sammelbiinde iiber Schmitt, cine lange Reihe von Fachstudien in den wichtigsten Weltsprachen und seine Werke herausgegeben, in weitere Sprachen iibersetzt_ werden und einige Fachzeitschriften und Fachleute sich auf sein Werk spezialisieren, In dieser Hinsicht kann also dem zugestimmt werden, dass Schmitt zum Klassiker der politischen Philosophie des nicht bedeutet, dass sein Erbe positiv und immer lohnenswert ist, vgl. Hans-Christof KRAUS, Carl Schmitt (1888-1985). In: Die Weimarer Republik. Portrait einer Epoche in Biographii r 4 Ginter MASCHKE, Carl Schmitt in den Hainden der Nicht-Juristen. Zur neueren Literatur, in: Der Staat 34, 1995, S. 104120; Reinhard MEHRING, Rekonstruktion und Zur “neueren Carl Schmitt-Forschung, in: Zeitschrift fiir nschaft 49, 2001, H. 11, 8. 1000-1011. 312 dek Sobéhart liber seine Stellung in der deutschen Rechtsgeschichte, seine Ansichten zur Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen sowie seine Arbeiten zur politischen Philosophie, insbesondere seine Definition des Staates und seine Kritik an Liberalismus und Demokratie. In meinem Beitrag méchte ich mich mit einem seines essentiellen Begriffspaars - den Begriffen ,Feind“ und ,Freund* auseinandersetzen. Diese Begriffe scheinen zwar klar zu sein, Schmitt versuchte jedoch ihren »wahren Inhalt“ zu finden, der sich oft davon unterschied, wie er in der ersten Hilfte des 20. Jahrhunderts benutzt wurde.5 Ich méchte vor allem folgende Fragen beantworten: Welche Bedeutung hatte diese Wortdicho- tomie in der politischen Philosophie Schmitts? Wer war dieser Feind? Und wer der Freund? Ist es Schmitt gelungen, den ,wahren Inhalt“ dieser Begriffe zu finden? Schmitt erwihnt die Begriffe Freund“ und ,,Feind“ im Zusammen- hang mit der Krise des Politischen, als es dem Liberalismus gelang, das Politische yom Staat zu trennen. In diesem Zusammenhang war es wiederum notwendig, wie Schmitt behauptete, Kriterien des Politischen festzustellen, denn ,,das Politische hat néimlich seine eigenen Kriterien, die gegeniiber den verschiedenen, relativ selbsttindigen Sachgebieten menschli- chen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Asthetischen, Okonomischen auf eigenartiger Weise wirksam werden“.° Und das Haupt- kriterium, von dem aus sich die ganze Verhandlung im Rahmen des Politischen abwickelte, ,,ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt eine Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als erschépfende Definition oder Inhaltsangabe. Insofern sie nicht aus anderen Kriterien ableitbar ist, entspricht sie fiir das Politische den relativ selbstéindigen Kriterien anderer Gegensétze: Gut und Bése im Morali- schen; Schén und Haiplich im Asthetischen usw.‘7 Und gerade die Fihigkeit des Staats, den Feind zu definieren, bewahrt seine Fahigkeit, eine selbststindige 5 Wolfgang MANTL, Carl Schmitt und die liberal-rechtsstaatliche Demokratie. In: Geschichte und Recht. Festschrift fiir Gerald Stourzh zum 70. Geburtstag, hrsg. von Thomas Angerer, Wien, Kéln, Weimar 1999, S. 120; Martin GRALHER, Antinomi Denken und dilemmatische Kontrastdialektik. Warum Carl Schmitt kein Liberaler si konnte. In: Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, hrsg. von Klaus Hansen, Hans Lietzmann, Opladen 1988, S. 88; ael GROSS, Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre, Frankfurt am Main 2000, 8. 7. 6 Carl SCHMITT, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1994, S. 7 SCHMITT, (wie Anm. 6), 8. 26-27; Wolfram PYTA, Schmitts Begriffsbestimmung im politischen Kontext, in: Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen. Ein kooperativer Kommentar, hrsg. von Reinhard Mehring, Berlin 2003, 8. 222; Julien FREUND, Schmitt's Political Thought, in: Telos 102, 1995, S. 15. Die Begriffe ,,Feind“ und ,,Freund“ im Werk von Carl Schmitt 313 und souveriine Entscheidung zu treffen.§ Schmitt warf dem Liberalismus vor, fiir universelle moralische Werte zu schwirmen, womit er den Staat oder die Gesellschaft daran hinderte, einen eigenen Feind zu definieren, denn er hob die Grenzen zwischen Staaten, Kulturen, Nationen oder Gemeinschaften auf. Gerade die Méglichkeit, einen Feind zu definieren, stellte einen der wichtigsten Werte des Staates dar, fiir die er von der politischen Einheit, d.h. dem Volk beauftragt wurde. Schmitt zufolge wird das Leben erst dann sinnvoll, wenn wir unseren Lebensfeind erkennen. Nur die Unterscheidung zwischen ,wir* und ,sie*, in der es um unser physisches Uberleben geht, gibt dem Politischen seinen Glanz, formt richtige Manner und erméglicht politisch engagierten Menschen, sich von der Oberflichlichkeit ihres Alltags zu erheben.1? Wer ist also dieses Feind? ,,Der politische Feind braucht nicht moralisch bése, er braucht nicht dsthetisch héflich zu sein; er muB nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschéifte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es geniigt zu seinem Wesen, daf er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daf im extremen Fall Konflikte mit ihm méglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‘unbeteiligten' und daher ‘unparteiischen' Dritten entschieden werden kénnen“." Aus Schmitts Worten ist zu folgern, dass der Feind weder von der Moral, Asthetik noch von der Okonomie bestimmt oder definiert sein muss. Es geniigt, dass er fremd ist. Schmitt fihrt jedoch fort: ,,Feind ist also nicht der Konkurrent oder der Gegner im allgemeinen. Feind ist auch nicht der private Gegner, den man unter Antipathiegefiihlen hapt. Feind ist nur eine wenigstens eventuell, d. h. der realen Méglichkeit nach kimpfender Ge- samtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegeniibersteht. 8 Joseph W. BENDERSKY, Carl Schmitt. Theorist for the Reich, Princeton 1983, 8. 90; Andreas HERBERT-ROTHE, Hannah Arendt und Carl Schmitt — ,,Vermittlung* von Freund und Feind, in: Der Staat 43, 2004, H. 1, 8. 42. Es ist auch zu erwihnen, dass dieses Freund-Feind-Verhiiltnis eine rein irrationelle iberlegung ist, die durch eine Diskussion, Moral oder ein Gesetz nicht zu rechtfertigen ist. Felix GROSSHEUTSCHI, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, Berlin 1996, S. 110; SCHMITT, (wie Anm. 6), S. 56; Andrew NORRIS, Carl Schmitt on Friends, Enemies and the Political, in: Telos 112, 1998, S. 68. © Stephen HOLMES, Die Anatomie des Antiliberalismus, Hamburg 1995, 8. 81; Bernd LADWIG, Die Unterscheidung von Freund und Feind als Kriterium des Politischen (26— 28). In: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Ein kooperativer Kommentar, hrsg. von. Reinhard Mehring, Berlin 2003, S. 50. 4 SCHMITT, (wie Anm. 6), 8. 27. 314 Radek Sobzhart Feind ist nur der 6ffentliche Feind, weil alles, was auf eine solche Gesamt- heit von Menschen, insbesondere auf ein ganzes Volk Bezug hat, dadurch Gffentlich wird... Den Feind im politischen Sinne braucht man nicht persénlich zu hassen, und erst in der Sphdre des Privaten hat es einen Sinn, seinen 'Feind', d. h. seinen Gegner, zu lieben“? Schmitt schrankte seine Definition ein, indem es sich jedenfalls um einen 6ffentlichen Feind handeln muss, es sollte also nicht ein Einzelner sein, immer nur eine Gruppe. Deshalb kann man seinen persénlichen Rivalen nicht als politischen Feind bezeichnen. Der politische Feind ist ebenfalls kein Krimineller, dieser ver- letzte zwar ein Gesetz, gefiihrde jedoch keinesfalls den Staat oder das Volk.'3 Auch spiter kam er auf seine Definition des Feindes zuriick, ohne sic irgendwie zu spezifizieren. Er sprach von einer ,totalen Feindschaft*, von einem ,konventionellen* und ,absoluten“ Feind, und in seinem Werk »Theorie des Partisanen* steht: ,Erst die Ableugnung der wirklichen Feindschaft macht die Bahn frei fiir das Vernichtungswerk einer absoluten Feindschaft+ Meiner Meinung nach ist eine solche Herangehensweise Schmitts, in der er einen Begriff nicht klar definiert, recht bezeichnend. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass versucht werden sollte, nach einer Antwort auf die oben gestellte Frage zu suchen, wer fiir Schmitt den existentiellen Feind darstellte, denn sollte er einen solchen gehabt haben, wire es seine Aufgabe, den Gegner um jeden Preis zu vernichten.'s Die Forscher, die sich mit dem Werk Schmitts beschiftigen, sehen meistens zwei Méglichkeiten. Die jiing- CHMITT, (wie Anm. 6), S. 29. 's GROSSHEUTSCHI, (wie Anm. 9), S. 111; Stephan LAHREM, Olaf WEISBACH, Grenzen des Politischen. Philosophische Grundlagen fiir ein neues politisches Denken, Darmstadt 2000, 8. 69; Norbert CAMPAGNA, Carl Schmitt. Eine Einfithrung, Berlin 2004, S. 90. 8 Carl SCHMITT, Theorie der Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1975, S. 96. Nicht einmal hier stellte er Klar fest, wer der eigentliche oder sogar absolute Feind ist, vel. Hasso HOFMANN, Feindschaft - Grundbegriff des Politischen?, In: ders., Recht-Politik-Verfassung. Studien zur Geschichte der pol Philosophie, Frankfurt am Main 1986, S. 220-221. ‘6 Kurt LENK, Giinter MEUTER, Henrique Ricardo OTTEN, Intensitdt des Politischen: Carl Schmitt. In: dieselb., Vordenker der Neuen Rechten, Frankfurt am Main 1997, 8. 84. Die Begriffe ,,Feind“ und ,,Freund“ im Werk von Carl Schmitt 315 ste Forschung sieht seinen existentiellen Feind in den Juden.© Schmitt gehérte zu Vertretern des sog. Kulturantisemitismus,'7 in dem die Juden als Kultur, die Deutschland angeblich schiidigte und fiir dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich war, gelten. Schmitt bemithte sich nach 1933, die deutsche juristische Schule nicht nur von jiidischen Juristen, sondern auch von ihren Biichern, die aus den Bibliotheken verschwinden sollten, zu ,reinigen“.® Als zweite Méglichkeit wird der Liberalismus erwihnt. Also eine Ideologie, die den Staat und das Politische trennte, womit sie die Ara eines starken souveriinen Staates beendete.'9 Zudem hat- ten die Staaten mit liberal-demokratischer Ordnung das Deutsche Kaiser- reich im Ersten Weltkrieg besiegt, womit der Traum vieler Deutscher von einem eigenen Imperium geplatzt war. Auferdem wurde die Liberaldemo- kratie zum politischen System, das nach 1918 den ,schmachvollen* Vertrag von Versailles unterzeichnete und eine Spaltung der deutschen Gesellschaft nicht verhindern konnte. Es ist jedoch auch notwendig, sich dem zweiten Begriff des Freund- Feind-Antagonismus zu widmen. Wer war der Freund? Wie ist er zu definieren? Im Unterschied zum Begriff Feind, den Schmitt umfangreich definierte, gibt es keine Definition des Begriffs. In seiner Theorie gab es keinen Platz fiir den Begriff ,Freund“. Er versuchte zwar ein paar Jahre spiter, sich zu diesem Problem zu auBern, das Ergebnis waren ae nur schwammige Worte davon, dass ein Freund _,blutsverwandt*, ein + Schmitt hatte zu Juden ein ambivalentes Verhiiltnis, Antisemiten. Er will Juden gegeniiber immer nur ,,..kr7 hatte er viele Freunde unter den Juden, und einigen war e 133 bei der Emigration behilflich, andererseits begriiBte er die MaBnahmen gegen dic jiidische Bevélkerung in Hitler-Deutschland, vgl. Raphael GROSS, Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre, Frankfurt am Main 2000, S. 10; Lutz NIETHAMMER, Die polemische Anstrengung des Begriffs. Uber die exemplarische Faszination Carl Schmitts, in: Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften. Bd. 2. Leitbegriffe - Deutungsmuster = Paradigmenkiimpfe. Erfahrungen und Transformationen im Exil. Hrsg. von Helmut LEHMANN, Otto Gerhard OEXLE, Géttingen 2004, S. 65. ” HOLMES, (wie Anm. 10), 8.97. 8 Dirk van LAAK, Carl Schmitt, ein Widergéinger Weimars?, in: Intellektuelle im Nationalsozialismus. Hrsg. von Wolfgang BIALAS und Manfred GANGL, Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Wien, Oxford 2000, S. 72; GROOS, (wie Anm. 16), S. 2; Stephan LOOS, Carl Schmitt. Ein deutsches Trauerspiel. Dezision und politische Souveranitat in der Politischen Theologie, in: Leben, Tod und Entscheidung. Studien zur Geistesgeschichte der Weimarer Republik, hrsg. von Stephan Loos, Holger Zaborowski, Berlin 2003, 8. 182. ‘© Kurt SONTHEIMER, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, Miinchen 1994, S. 146; CAMPAGNA, (wie Anm. 13), S. 90; Alexander DEMANDT, Staatsform und Feindbild bei Carl Schmitt In: Der Staat 27, 1988, H. 1, 8.27. Ibst hielt sich nicht fiir einen ich gewesen sein". Ei 316 Jek Sobéhart Familienmitglied sein muss.*° Ich bin der Meinung, dass das Weglassen des Begriffs Freund’ einen der wichtigsten Vorwiirfe gegeniiber der Konzeption Schmitts darstellt. Schmitt zeigte in diesem Fall eher eine Unkonzeptionali- tat und Unkonsequenz als eine durchdachte politische Theorie.*! Als hiitte er sich hinter der Behauptung versteckt, die Definition des Begriffs ,Freund“ habe keine lange Tradition, womit er gleichwohl Platon und Aristoteles ignorierte, die die Grundlagen der Philosophie der Freundschaft schufen.** In diesem Zusammenhang ist die Frage, ob die Definition des Begriffs Freund“ nicht vorrangig und wichtiger sei als die Suche nach einem Feind, sicher berechtigt. Schmitt begniigte sich jedoch nicht nur mit der Teilung der Gesell- schaft in Feinde und Freunde, er spitzte die Situation noch zu, indem er die Beziehung als die auBerste Grenze der menschlichen Existenz klassifizierte. Mit seiner Freund-Feind-Auffassung stellte er den Menschen bewusst in eine extreme Lebenssituation. Zwischen den zwei Polen gibt es keine dritte MOglichkeit,23 der Mensch miisse sich Schmitt zufolge entscheiden, auf welcher Seite er stehen werde. Und diesen ,,..extremen Konfliktsfall kinnen nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekémpft wird, um die eigene, seinsmdapige Art von Leben zu bewahren.“4 Ich méchte in diesem Zusammenhang das Verb ,kmpft* betonen. Das Wort Kampf,,... bedeutet nicht Konkurrenz, nicht den 'rein geistigen' Kampf der Diskussion, nicht das symbolische 'Ringen', das schlieflich jeder Mensch 20 Carl SCHMITT, Corollarien ber das Verhiiltnis der Begriffe Krieg und Feind (2938), in: Schmitt, (wie Anm. 6), S. 104; Eric HOERL, Die Privatisierung des Politischen bei Carl Schmitt, in: Gegen den Ausnahmezustand. Zur Kritik an Carl Schmitt. Politische Philosophie und Okonomie, hrsg. von Wolfgang Pircher, Wien 1999, S. 102. Einige Interpreten erkliiren dies mit seinen Misserfolgen im Privatleben, wo er weder cine feste Bezichung noch eine dauerhafte Freundschaft gekniipft hatte, vgl. NIETHAMMER, (wie Anm. 16), S. 79-81. 22 Jacques DERRIDA, Die Politik der Freundschaft, in: Philosophie der Freundschaft, hrsg. von Klaus-Dieter Bichler, Leipzig 1999, S. 195; Jorg PANNIER, Das Vexierbild des Politischen. Dolf Sternberger als polit “3 SCHMITT, (wie Anm. 6), S. 27; Friedrich BALKE, Sehmitts, in: Die Autonomie des Politis Carl Schmitts Kampf um einen beschiidigten Begriff, lirsg. von Hans-Georg Flickinger, Weinheim 1990, 8. 40; Ulrich K. PREUB, Carl Schmitt. Die Biindigung oder die Entfesselung des Politischen?, in: Mythus Stat. Carl Schmitts Staatverstiindnis, Hrsg. von Riidiger VOIGT, Baden-Baden 2001, 8. 145. #4 SCHMITT, (wie Anm. 6), 8. 27; CAMPAGNA, (wie Anm. 13), S. 81-82. , Zur politischen Anthropologie Carl Die Begriffe ,,Feind* und ,,Freund* im Werk von Carl Schmitt 317 irgendwie immer vollfithrt, weil nun einmal das ganze menschliche Leben ein ‘Kampf und jeder Mensch ein 'Ktimpfer' ist. Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Méglichkeit der physischen Tétung Bezug haben und behalten. Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn diese ist seinsméfige Negierung eines anderen Seins. Krieg ist nur die Guferste Realisierung der Feindschaft. Er braucht nichts Alltégliches, nichts Normales zu sein, auch nicht als etwas Ideales oder Wiinschenswertes empfunden zu werden, wohl aber muf er als reale Méglichkeit vorhanden bleiben, solange der Begriff des Feindes seinen Sinn hat..."25 Schmitt spricht hier vom Krieg ganz klar als von einer méglichen politischen Methode, nicht von einer ,,Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, sondern als von einer der vielen Méglich- keiten, den politischen Kampf zu fiihren.2¢ Dem Staat kam in der Entscheidung iiber den Krieg und Frieden eine wichtige Bedeutung zu, denn er war das einzige Subjekt, das von seinen Biirgern verlangen konnte, fiir ihn zu téten oder zu sterben.2” Die Loyalitit sowie die Einigkeit des Volks und die Tatsache, dass der Staat und das Politische identisch sind, spiegelten sich in der Méglichkeit, einen Krieg zu 25 SCHMITT, (wie Aum. 6), S. 33; GROSSHEUTSCHI, (wie Anm. 9), S. 111; Wilfried NIPPEL, Krieg als Erscheinungsform der Feindschajt (28-37), in: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Ein kooperativer Kommentar, hrsg. von Reinhard Mehring, Berlin 2003, S. 61. 26 Er selbst versuchte dem Krieg einen bestimmten Schein von Existenzialismus 2u geben: ,Denn erst im wirklichen Kampf zeigt sich die duferste Konsequenz der politischen Gruppierung von Freund und Feind. Von dieser extremsten Méglichkeit her gewinnt das Leben der Menschen seine spezifisch politische Spannung." SCHMITT, (wie ‘Anm. 6), 8. 35. 27 SCHMITT, (wie Anm. 6), S. 46, 70; Ginter MEUTER, Ginter; Henrique Ricardo OTTEN, Das Recht der Neuzeit. Carl Schmitts Geschichtsbild als Instrumentarium der Krisenanalyse, in: Alteuropa oder Friihe Moderne. Deutungsmuster fiir das 16. bis 18. Jahrhundert aus dem Krisenbewubtsein der Weimarer Republik in Theologie-, Rechts- und Geschichtswissenschaft, hrsg. von Luise Schorn-Schiitte, Berlin, 1999, 8. 161. 318 Radek Sobéhart fiihren, wider.28 Und wenn er sich entscheiden sollte, einen Krieg zwischen zwei Staaten oder einen Krieg innerhalb des Staats zu fiihren, galt fiir ihn der Krieg in der Gesellschaft als die auferste Alternative, denn ein »Biirgerkrieg" bedeutete eine grundsitzliche Gefihrdung der Souveriinitat und Staatseinheit, deswegen war seine Prioritat, jedwede Situation zu verhindern, die in einen Biirgerkrieg ausufern konnte. 29 Warum legte Schmitt so viel Wert auf die Begriffe ,Feind* und »Krieg"? Einige Erklérer erliutern dies mit seiner anthropologischen Einstellung zum Menschen. Er ging von der These aus, dass ,,... alle echten politischen Theorien den Menschen als ‘bése’ voraussetzen, d. h. als kei- neswegs unproblematisches, sondern als ‘gefthrliches’ und dynamisches Wesen betrachten“° Nicht einmal hier entwickelte Schmitt diesen Gedanken weiter und blieb nur bei einer allgemeinen Feststellung, was seine Erklirung problematischer macht. Meiner Meinung nach sind jene Au- toren einer richtigen Erklarung niher, die Schmitts Thesen als eine Wieder- belebung des Kriegserlebnisses aus dem Ersten Weltkrieg betrachten. Gerade in den 1920er Jahren setzte sich in der deutschen Gesellschaft eine heldenhafte Darstellung des ,GroBen Kriegs“ durch, die eine militirische Lebensfiihrung, Soldatensprache und -denken, ,echte“ Kameradschaft und # Schmitt ging es nicht um die Anzahl der Kriegssituationen, sondern um die alltiigliche Méglichkeit einen Krieg zu fiihren. Der Staat konnte sich dieses Arguments zur permanenten Mobilisierung und Aktivierung der Bevélkerung bedienen. Falls die Bevélkerung in Angst oder mit der Méglichkeit eines Kriegsausbruchs lebt, wird sie keine Zeit haben, iiber das Wesen oder sogar die Legitimitit des Staats nachzudenken, der von ihr verlangt, ihr Leben zu opfern. Dies beeinflusste auch Schmitts Einstellung zur Frage, was der Krieg eigentlich sei. Er antwortete: alles, was kein Frieden ist. Vgl. Carl SCHMITT, Corollarien 2: Uber das Verhiiltnis der Begriffe Krieg und Feind (1938), i Schmitt, (wie Anm. 6), S. 104. Im Grunde genommen rechnete er gar nicht mit dem Frieden, denn Frieden stellte fiir ihn keine Lisung dar. AuBerdem lieB er die Alternativen ischen Krieg und Frieden, wie Waffenstillstand, Interim, Ubereinkommen usw. Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen. Ein Kooperativer Kommentar, hrsg. von Reinhard Mehring, Berlin 2003, S. 215; Henrique Ricardo OTTEN, Wie Realpolitik in den Mythos umschlégt. Die ,Sachlichkeit" des Politischen bei Carl Schmitt, in: Mythus Stat. Carl Schmitts Staatsverstiindnis. Hrsg. von Riidiger VOIGT, Baden-Baden 2001, 8. 182. 29 Schmitts Betonung der Gefahr eines Biirgerkriegs und der Pflicht des Staats, gegen den internen Feind hart voraugehen, zeigte sich vielen seiner Kritiker zufolge nach 1933 Klar, indem er die MaBnahmen des Nazi-Deutschlands gegen die Juden aktiv unterstiitate. GROSSHEUTSCHI, (wie Anm. 9), 8. 114. 2° SCHMITT, (wie Anm, 6), S. 61. . . 31 BALKE, (wie Anm, 23), S, 37-38; Ernst-Wolfgang BOCKENFORDE, Was kennzeichnet das Politische und was ist sein Grund? Bemerkung zu einer Kommentierung von Carl Schmitts ,Begriff des Politischen”. In: Der Stat 44, 2005, H. 4, 8. 604. Die Begriffe ,,Feind* und ,,Freund* im Werk von Carl Schmitt 319 cin intensives Militirerlebnis hervorhob. Ich stimme der Meinung zu, dass Schmitt dem Kriegsmythos unterlag und den Kampf als die einzige Méglich- keit sah, um die Verhiiltnisse in der Weimarer Republik zu verdindern.? Meines Erachtens blieb Schmitt ideologisch vor dem Jahr 1918 stehen und sein Ideal war immer noch der militirische, nationale und hierarchische deutsche Staat von vor dem Ersten Weltkrieg.%» Damit méchte ich zwar seine Bedeutung als einen der wichtigsten Kritiker der Weimarer Republik nicht abwerten, aus seinen Worten kann man jedoch Angst, Furcht und Panik vor der neuen Ordnung nach 1918 spiiren. Und die Begriffe ,Feind* und , Freund“ sind nur Klare Beweise seiner ,Begriffsmagie", der er keinen Klaren Inhalt zu geben vermochte. # Richard BESSEL, Germany after the First World War, Oxford 1993, 8. 265; Stefan BREUER, Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1993, 8. 38; HOLMES, (wie Anm. 10), 8. 84. ss BREUER, (wie Anm. 32), 8. 41.

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