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Leserbrief zu: „Die Frau des Heilands“ (E. Finger) [ZEIT No.12 2018, S.

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Dieser Beitrag entstand aus einem tiefen Unbehagen an dem theologisch-


religionsphilosophischen Reflexionsniveau, das allenthalben die deutschen Debatten
beherrscht. Er versteht sich explizit nicht als Filmkritik und zielt vielmehr auf die die Analyse
Evelyn Fingers leitenden Hintergrundannahmen.

Von der Ressortleiterin der Sparte „Glaube und Zweifeln“ der ZEIT glaubt man, Basiswissen
zu Grundeinsichten der reflexiven Durchdringung religiöser Bestände, sprich Theologie,
erwarten zu können. Jedoch lässt der Komplexitätsgrad ihrer Analyse des Films „Maria
Magdalena“ deutlich zu wünschen übrig. Der Beitrag stellt sich weder als Filmbesprechung
noch als Darstellung der persönlichen Frömmigkeit der Autorin dar, sondern als ein
großformatiges Amalgam aus Kuschelreligiosität und pseudoaufklärerischem Gestus. Dabei
gehen die verschiedenen Ebenen des Fiktionalen des Films, des Fiktionalen der Narrative der
Evangelien und der in Erzählungen eingebetteten zu erschließenden „Fakten“ der historischen
Analyse wild durcheinander. Dies wird durch die ungeklärte Verwendung der
Reflexionstermini „wirklich“ und „tatsächlich“ nahe gelegt, wenn es bspw. „dieses Motiv aus
dem Lukas-Evangelium wird im Film endlich entlarvt.“ oder: „Es ist aber ein ergreifendes und
kluges Epos über die Liebe und was Jesus mit dem Wort wirklich gemeint hat“ heißt.

Man möchte Frau Finger gerne fragen, woher sie, ohne sich die Mühe einer historischen
Analyse der Umgebung Jesu und der kulturellen Praktiken des ersten Jahrhunderts zu machen,
und ohne Zugriff auf die Debatten der Religionswissenschaft und Theologie ihren
Wirklichkeitsanspruch bezieht.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Frau Finger steht es völlig frei, „ihren“ Jesus zu
konstruieren, wenngleich der liberal-moralische Frauenversteher wahrlich nicht zu den
spekulativ anspruchsvollsten ersonnenen Bilder zu zählen sein dürfte. (Verkörpert dieser doch
„die unwahrscheinliche Hoffnung, dass es eine bessere Welt gibt“). Nur dieses Jesusbild, oder
theologisch gesprochen, diese Christologie, als die aufgeklärte und von
Konstruktionsleistungen befreite auszugeben und gleichzeitig den klassischen dogmatischen
Christusbildern eine Täuschungsabsicht oder voraufgeklärte Verzerrung vorzuwerfen, kommt
einer teilweisen Amnesie gleich. Wäre die Einsicht in die produktive Einbildungskraft
menschlicher Geschichtsdarstellungen in Bezug auf die Eigene nicht unkritisch unterschlagen
worden, wäre gegen das Vorgehen der Autorin nichts einzuwenden. Der Autorin sei daher
abschließend ein Blick in Albert Schweitzers „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ ans Herz
gelegt.

Von einer, vielleicht der großen deutschen Wochenzeitung, die es sich dankenswerterweise
bewahrt hat, religiöse Themen in aufgeklärter Absicht in einer eigenen Sparte zu behandeln, ist
wahrhaft mehr zu erwarten. Jedoch  und das sei der ZEIT und ihrer Ressortchefin zu Gute
gehalten  ist dieser Mangel an philosophisch-theologischer Bildung kein Einzelfall, sondern
Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Zustands: In Bezug auf Religion und deren
theoretische Durchdringung fehlt uns flächendeckend basales Wissen. Für eine Zeit, in der
Religionsdebatten ebenso wie deren Reflexionsobjekt zurück in die Öffentlichkeit drängen,
wahrlich kein gutes Omen.

Andreas Eder, München

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