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Zur Einführung 10
2.1.1 Zusammenfassung 37
3.2.1 Zwischenbemerkung 55
4.2 Wegetypen 64
5.2 Die Entwicklung des klassischen Stadtraumes als Grundlage der abendländischen Kultur 83
Mimesis198
Literaturverzeichnis 237
Abbildungsverzeichnis 245
In der Bibliothek der Lehr- und Forschungsanstalt fand ich Literatur über das Bauhaus. Aus dessen Prinzipien und
meiner neuen Auffassung der Natur entwickelte ich für mich eine Theorie, die ich in meiner Examensarbeit 1954
so zum Ausdruck brachte:
Unsere Raumvorstellung ist eine unendliche im Gegensatz zur antiken. Die moderne Architektur öff-
net sich deshalb nach außen. Sie umgrenzt keinen endlichen Raum mehr, sondern verkörpert die
Spannung zwischen dem „vernünftigen und dem kosmischen Prinzip“ zwischen Mensch und Natur.
War die klassische Raumvorstellung „statisch“, so ist die moderne „dynamisch“. Architektur und Natur
durchdringen sich gegenseitig, ohne ihr Sein und ihre eigenen Gesetze aufzugeben. ... Das moder-
ne Prinzip [ist] das Nebeneinander und das Ineinander von Natur und Kultur, von Architektur und
Landschaft.
Meine Neigung zu dieser radikalen Abkehr von der Konvention wurde sicher auch verstärkt durch das Erlebnis des
damals pulsierenden Berliner Kunstlebens, das durch Namen wie Karl Hofer, Karl Hartung, Bernhard Heiliger, E.
W. Nay und andere und durch die Auseinandersetzung zwischen gegenständlicher und abstrakter Kunst gekenn-
zeichnet war. Dank der in Dahlem durch Paul Mittelstädt propagierten „studentischen Freiheit“ konnte ich voll in
dieses spannende Geschehen eintauchen, und so ließ ich keinen Vortrag von Will Grohmann im Haus am Waldsee
und keine Kunstausstellung aus.
Nach dem Studium wurde schnell klar, dass in der damaligen prekären Arbeitswelt dieses ideale Leben nicht fortge-
setzt werden konnte. In einem bewussten ‚Kontrastprogramm’ dirigierte ich deshalb drei Jahre lang in einer großen
Erdbaufirma Bagger und Planierraupen.
In dem anschließenden Staatsdienst war ich dann, wie in den Jahren üblich, als Generalist tätig. Ein Schwerpunkt
war der Naturschutz, den ich ziemlich fundamentalistisch vertrat. Das änderte sich aber mit der Zeit, je mehr die
Naturschutzbewegung politischen Einfluss gewann und der Konflikt mit den anderen grünen Fakultäten zunahm.
Meine dadurch entstandene kritische Einstellung begründe ich in dieser Arbeit.
Ich habe mich seit meiner Jugend für die Philosophie interessiert; So lag es nahe, nach meiner Pensionierung die-
ser Neigung als Gasthörer an der Hamburger Universität zu folgen. Ich bin in den drei Jahren zwar kein Philosoph
geworden, aber ich kann mich seitdem ‚angstfrei’ in der philosophischen Literatur bewegen. Letztlich wurde ich
dadurch motiviert, diese Arbeit in Angriff zu nehmen.
Wesentliche Impulse erhielt ich von Lyotards Widerstreit und Gerhard Schulzes Soziologie der „Erlebnisgesellschaft“.
Einen entscheidenden Einfluss hatten aber die „Gesetze der Form“ von Spencer-Brown, die Niklas Luhmann in
Deutschland bekannt gemacht hatte. Sie sind das theoretische Werkzeug, mit dem ich meine Idee über das Verhältnis
zwischen Architektur- und Naturraum von 1954 weiter entwickelt habe.
Rückblickend sehe ich ein Versäumnis darin, dass ich erst spät versucht habe, an dem öffentlichen fach-
lichen Diskurs teilzunehmen. Ein Versuch vor etwa zehn Jahren, erste Grundgedanken dieser Arbeit
einem größeren Kollegenkreis zur Diskussion vorzulegen, blieb ohne Resonanz.
Zum akademischen Betrieb fehlt mir jegliche Verbindung, sodass ich mich darauf beschränken musste, die einschlä-
gige Literatur, darunter einige Dissertationen, zu studieren. Vielleicht war aber gerade die Tatsache, dass ich nicht
im normalen wissenschaftlichen Betrieb sozialisiert wurde, die Voraussetzung für ein unbefangenes Denken und
für die Entwicklung unkonventioneller Lösungen. Dass diese nicht ohne Widerspruch bleiben werden, ist mir klar.
Insofern nenne ich es bewusst eine Streitschrift. Denn in der Kunst und somit auch in der Gartenkunst gibt es kei-
nen Fortschritt ohne „Widerstreit“.
Die Reaktion auf den Eklektizismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts war die Reformarchitektur, die - von England
ausgehend - in Deutschland von Muthesius und anderen vertreten wurde. Diese Architekten fühlten sich auch
für den Garten zuständig und bezogen ihn in ihr funktionales Konzept ein, deklariert als „erweiterter Wohnraum.“
Nach anfänglichem Widerstand übernahmen auch Gartenarchitekten diesen Stil und fügten den Teil hinzu, den
die Architekten nicht beherrschten, nämlich eine entsprechende Verwendung der Pflanzen. Hierfür stehen die
Namen Willy Lange, Leberecht Migge und andere. Eine neue Dimension von Gartenbildern ermöglichten die
Staudenzüchtungen von Karl Förster. Vorrang hatte aber das funktionalistische Prinzip. Besonders die Welle der
Stadtparkplanungen bis Ende der 20er Jahre war auf die Erfüllung sozialhygienischer Funktionen ausgerichtet, wo-
bei die Gestaltung neobarocke Züge hatte.
Während Ende des 19. Jahrhunderts der Landschaftsgarten im reinen Manierismus erstarrte, erwachte in
Kreisen der Bevölkerung das Interesse für die eigentliche Landschaft. Aus dem Heimatschutz entwickelte sich die
Naturschutzbewegung. Die Ursache hierfür war die sprunghafte Zunahme der Industrialisierung, deren negative
Auswirkung auf die Natur immer deutlicher wurde. Gartenarchitekten gehörten zunächst nicht zu den Protagonisten
dieser Bewegung. Erst als es um fachliche Fragen, wie die Beseitigung oder Kaschierung von Folgeschäden ging,
entstand für diese ein neues Betätigungsfeld. Themen waren Haldenbegrünungen, Rekultivierung von Kiesgruben,
aber auch die landschaftliche Einbindung von Autobahnen und die Renaturierung verbauter Gewässer. Eine wich-
tige Hilfswissenschaft war die Pflanzensoziologie. Anstatt nur nach ‚rauchharten’ Gehölzen zu fragen, wurde die
Standortgerechtigkeit Kriterium der Planung.
In den ersten Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg bestand die Chance, beim Wiederaufbau der Städte die
Forderung der Charta von Athen nach Durchgrünung der Städte zu erfüllen. Diese Aufgabe war so groß, dass es
zunächst nur um Flächensicherung gehen konnte. In Hamburg z.B. gab es den Haushaltstitel „Einfachbegrünung“,
mit dessen Mitteln nur die Rasenansaat, einfache Wanderwege und Pflanzungen durchgeführt werden konnten.
An eine künstlerische Gestaltung war nicht zu denken. Auch die Vielfalt der Aufgaben nahm zu: Grünanlagen,
Siedlungsgrün, Straßenbegleitgrün, Kinderspielplätze, Sportanlagen, Außenanlagen an Schulen und Kindergärten
und vieles mehr waren zu planen. Die Gartenarchitekten waren in dieser Zeit - besonders im administrativen
Bereich - Generalisten, die in vielen Städten auch noch für den Naturschutz und die städtebauliche Grünplanung
zuständig waren. Die Gartenkunst war zu dieser Zeit explizit kein Thema.
Ein tief greifender Wandel, der in seiner Wirkung als gegenläufig bezeichnet werden kann, vollzog sich in der
Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Der Grund dazu war einerseits das Erstarken des
Umweltbewusstseins und andererseits die Bewegung der Postmoderne.
Nach der Propagierung des „blauen Himmels über der Ruhr“ fühlten sich viele junge Menschen berufen, an dieser
großen Aufgabe mitzuwirken. Die Biologie und die Geographie wurden beliebte Studienfächer. Da der behördli-
che Natur- und Umweltschutz viele dieser neu Ausgebildeten nicht aufnehmen konnte, bildeten sich ganz neue
Strukturen in der nichtstaatlichen Naturschutzbewegung aus, die zunehmend auch politischen Einfluss gewann.
In der Landschaftsarchitektur konnte man jetzt teilweise von einem ökologischen Funktionalismus sprechen. Wie
Jürgen Wenzel feststellte, reagierte die Profession „mit einem Wechsel ihres Objekts. Zu ihrer wichtigsten Aufgabe
erklärte sie nun den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. So wurde der Artenreichtum einer Grünfläche so-
gar zum Gradmesser ihrer Erholungseignung. ... Stadtplanung und Landschaftsarchitektur wurden zu Gegnern.“3
Diese Entwicklung und die Verunsicherung des Berufsfeldes schlug sich auch nieder in den Änderungen der
Berufsbezeichnung: Gartengestalter - Gartenarchitekt – Garten- und Landschaftsarchitekt – Landschaftsarchitekt.
In der Architektur vollzog sich ein Wandel, der in eine ganz andere Richtung ging: Die Entwicklung der Postmoderne.
Es war die Reaktion auf die ‚Kastenarchitektur’ der späten Moderne. Es entstand ein Stil, der sich ‚narrativ’ der
Versatzstücke vergangener Epochen bediente. Die Beachtung der Funktionen – ‚form follows funktion’ - wurde
sekundär. Die wichtigsten Apologeten waren Heinrich Klotz und Charles Jencks.4 Die Außenanlagen zu dieser
Architektur wurden aus Versatzstücken des Barocks zunächst von den Architekten mit ausgeführt.
Die Landschaftsarchitekten, die dem ökologischen Diktat nicht folgten und ihre Aufgabe weiterhin in einer krea-
tiven, ästhetischen Gestaltung sahen, saßen jetzt zwischen allen Stühlen. Nach Ulrich Eisel wurde ihnen nun die
Anerkennung „von zwei Seiten verweigert: Einerseits von denen, die – wie sie – für das Grün in der Gesellschaft
zuständig gemacht wurden, ... die Naturschützer und Umweltplaner. Andererseits aber auch von denen, die für
das Gegenteil zuständig sind, die Architekten ...“ 5 Dieses Spannungsverhältnis führte schließlich zu einer Spaltung
der grünen Profession. Zunächst im akademischen Bereich, in dem Landschaftsarchitekten sich der Fakultät der
Architekten anschlossen.
So ist jetzt eine Bewegung entstanden, die den Anspruch erhebt, wieder Gartenkunst zu sein. Ihre Motivation wird
treffend von Udo Weilacher dargestellt:
...von der Landschaftsarchitektur, einst unter der Bezeichnung Gartenkunst als eine der wichtigsten
und einflussreichsten Künste gefeiert, wird immer eindrücklicher gefordert, dass sie zu einer zeitge-
mäßen Aussagekraft im aktuellen Kontext finden müsse. Vor fast hundert Jahren ist der Anspruch
auf ästhetische Qualität , der an die Landschaftsarchitektur zu stellen wäre, zugunsten funktionaler
Nutzbarkeit und Erfüllung soziologischer und ökologischer Anforderungen stark in den Hintergrund
So orientiert man sich denn auch zunächst, wie die Architektur, an vergangenen Stilen: Achsiale, symmetrische
Gestaltungen, die nur gelegentlich durch Diagonale gebrochen werden, Hecken, Baumraster und Alleen bilden das
neue, ‚alte’ Vokabular.
Neuerdings spielt das Schlagwort ‚Dekonstruktivismus’ in Architektur und Landschaftsarchitektur eine große Rolle,
abgeleitet von der Theorie des französischen Philosophen Derrida. Der hat sich allerdings von dieser Verwendung
seines Schlüsselbegriffs distanziert. So überwiegt denn auch bei vielen Beispielen das Spektakuläre der äußeren
Form vor dem künstlerischen Gehalt.7
In dem Bestreben, den künstlerischen Anspruch der Landschaftsarchitektur zu untermauern, wird der Blick zuneh-
mend auch auf die Bildende Kunst gerichtet. So wie die Landschaftsmalerei als Vorbild für den Landschaftsgarten
galt, werden jetzt Vorbilder aus der modernen bildenden Kunst gesucht. So sieht man in manchen Entwürfen
Formen nach Art der russischen Suprematisten, Picassos, Piet Mondrians und anderer Künstler, die vor fast hundert
Jahren zur Avantgarde gehörten. – Noch größer ist die Affinität zur Landart. Hier kann man schon von einem flie-
ßenden Übergang sprechen, zumal auch viele bildende Künstler sich mit ‚Natur’ auseinander setzen.8
Abgesehen davon, dass es nach wie vor verbreitet eine konventionelle, pragmatische Gartengestaltung gibt, ist in
der Fachliteratur und besonders im Wettbewerbswesen eine Avantgarde Ton angebend, die mit betont künstleri-
schem Anspruch auftritt. Kennzeichnend ist eine - im Vergleich zu früheren Epochen - zurückhaltende Verwendung
von Pflanzen, besonders im innerstädtischen Bereich und ein geradezu idiosynkratisches Verhältnis zur Ökologie.
Das Interesse ist auf eine Formgebung gerichtet, die als vergleichbar mit der Architektur und der bildenden Kunst
angesehen wird.
Seit einigen Jahren gibt es aber auch eine Bewegung, deren öffentliche Wirkung weit stärker ist. Entwickelt von
Spezialisten, aber getragen von Nichtfachleuten – Dilettanten im klassischem Sinne - ist ein Gartenstil entstan-
den, in dem die Pflanzen wieder die Hauptrolle spielen. Verbreitet wird dieser Stil in zahllosen Gartenzeitschriften,
Hochglanzbroschüren, in speziellen Gartenschauen, die gerne von Gutsherrinnen veranstaltet werden und mit den
immer beliebter werdenden ‚Tagen der offenen Gartenpforte.’
6 Weilacher,(1999), 9
7 Krebs, (2002),
8 Weilacher (1999); Kunstforum, (1988), (1999a), (1999b).
Aber schon bei Dezallier d´Argenville, Autor eines anfangs des 18. Jahrhunderts weit verbreiteten Lehr- und
Musterbuches, lesen wir:
Beim Bau eines Gartens muss darauf geachtet werden, dass dieser der Natur mehr verdankt als der
Kunst; dieser darf er nur das entlehnen, was zur Hervorhebung der Natur dient. ... Die einzelnen Teile
des Gartens müssen so glücklich liegen, dass sie gleichsam vom Schöpfer der Natur gesetzt und be-
pflanzt zu sein scheinen.9
Das zeigt, dass die Schöpfer der Barockgärten durchaus ein bewusstes positives Verhältnis zur Natur hatten. Auch
bei Lucius Burckhardt erfahren wir eine ungewohnte spezielle Sicht des Barockgartens:
Der Park von Versailles sieht genau so nicht aus, wie er uns in der Geschichtsstunde beschrieben wur-
de: ... Dargestellt ist ... nicht die Macht des Sonnenkönigs, sondern vielmehr das Verhältnis des (da-
mals) Beherrschbaren zum Unbeherrschten, zum Gebiet des Abenteuers und der Jagd. ... Gleich einem
Musikstück zieht der Garten den plötzlichen Übergang vom Schloss in die Länge durch eine Folge von
verzögerten Motiven. ... Der Wald am Ende des Parks ist wahrlich der Urwald.10
Es wäre sicher falsch, im Renaissancegarten genauso wie im Barockgarten nur die Absicht, die Natur
zu „beherrschen“, sehen zu wollen; in beiden Gartenformen ging es um das Kennenlernen der Natur,
als Auseinandersetzung oder Wettstreit zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen Künstlichem
und Wilden, zwischen Mensch und Umwelt. Dass die Natur damals noch in vielfacher Hinsicht eine
„Bedrohung“ darstellte, erklärt nur sehr zum Teil ihre ästhetische Verarbeitung, denn gerade die un-
mittelbar Betroffenen, die der Naturgewalt oft wehrlos ausgeliefert waren, konnten sich keine idylli-
sche Betrachtung leisten.11
Und auch für den Kunsthistoriker Torsten O. Enge ist der französische Barockgarten eine
Landschaftsarchitektur, die „eine wesentliche Gestaltung der Idee der Natur leistet.“12
Ich betone diese ungewöhnliche Sicht auf den Barockgarten, um deutlich zu machen, dass das Naturverhältnis in
der Gartenkunst nicht in erster Linie eine formale Frage ist.
Wenn wir die weitere Entwicklung in großen Zügen verfolgen und von Details absehen, z. B. ob Pflanzen beschnit-
ten werden oder nicht, so ist der Übergang vom Barock- zum Landschaftsgarten, anders als es meist geschieht, nicht
als Bruch anzusehen. Wenn im Barockgarten, wie Lucius Burckhardt sagt, der Übergang vom Schloss, also vom
Architektonischen zum ‚Urwald,’ zur freien Natur inszeniert wird, so wird im Landschaftsgarten die ‚ganze Natur’
als solche inszeniert. So lesen wir bei Christian C. L. Hirschfeld, dem großen Theoretiker der Gartenkunst:
Die Natur ordnet alle Gegenstände in der Landschaft mit Freyheit und Ungezwungenheit an. Keine
symmetrische Gleichheit, keine künstliche Abzirkelung, keine Einförmigkeit im Umfang, in Gestalt
und Bildung der Tiefen, Anhöhen und Ebenen, der Pflanzen, Blumen, Stauden und Wälder, der Bäche
Uns ist natürlich bewusst, dass mit der ‚Schönen Natur’ das gemeint war, was Schiller die ‚Gefildenatur’ nannte, also
die weitgehend menschlich angeeignete Natur. - Eine andere Naturinszenierung beschreibt Rousseau in seinem
Roman der „Neuen Heloise“: Der Garten der Julie, der reine Natur darstellen sollte, sei keineswegs „allein durch
Vernachlässigung, durch Verunkrautung und das Walten-Lassen der Natur entstanden“ sondern „je natürlicher
der Garten sein soll, desto aufwendiger sei seine Pflege“14 Hier wird das Paradox der ‚künstlichen Natur’ in ihrer
Inszenierung besonders deutlich.
Der Landschaftsgarten entfernte sich im Laufe der Zeit immer weiter von der Naturinszenierung und erstarrte zu
einem leeren Formalismus. Bei Marie Luise Gothein lesen wir von dem englischen Architekten und Vertreter der
Reformarchitektur Blomfield, welcher feststellte, dass „der Landschaftsgarten in seinen Nachahmungen ebenso
künstlich [sei], wie der des alten Stils. Natur an sich habe weder mit geraden noch mit gekrümmten Linien etwas
zu tun, und es könne eine offene Frage bleiben, ob der natürliche Mensch einen geraden Weg einem gebogenen
vorziehen würde“ und „ ... was das eigentliche Wesen der Natur ... anbeträfe, so habe ein beschnittener Baum eben-
soviel Natürlichkeit wie ein Waldbaum, und es sei daher nicht unnatürlicher einen Baum zu beschneiden, als Gras
zu schneiden.“15
In den neuen Gärten der Reformarchitektur suchten nun einige Gartenarchitekten eine Synthese von Natürlichkeit
und Künstlichkeit, indem sie in den architektonischen Rahmen Naturmotive einfügten. Für Willy Lange z. B. be-
ruhte
jede Kunst auf Steigerung der Natur; als Künstler sucht sich der Mensch zu befreien von der Natur,
über sie hinaus zu gelangen; die Natur als Ganzes vermag er in seinen Werken nicht zu steigern, wohl
aber einzelne ihrer Wesenszüge; hier schafft sich der Mensch seine „Ideen“ ... und in diesen Idealen
sucht er in Kunstwerken ein Dasein zu geben, das höher, „edler“ ihm scheint, gesteigert im Vergleich
mit der Natur.16
Diese Steigerung der Natur meinte Lange zu erreichen, indem er die Bepflanzung der Gärten nicht nach ökologisch-
wissenschaftlichen sondern nach „physiognomisch-künstlerischen Grundsätzen“ vornahm. Noch 1957 wurde diese
Gegensätzlichkeit von namhaften Gartenarchitekten leidenschaftlich diskutiert.17 Doch allmählich setzte sich dann
der indifferente Begriff ‚Grün’ durch; es ging jetzt z. B. um ‚Hilfe durch Grün’ und um ‚Grünplanung.’
Erst mit der Spaltung der Profession in Gartenkünstler und Ökologen beginnt man wieder ‚Farbe zu bekennen.’
Viele Gartenkünstler bewegen sich jetzt in der Begriffswelt der bildenden Kunst. Die Darstellung von ‚Natur’ wird
diskriminiert als ‚Naturalismus,’ der mit Kunst nicht zu vereinbaren ist. Das Verhältnis zur Naturästhetik ist proble-
matisch. So sagte Dieter Kienast in einem Interview: „Den Begriff Schönheit will ich nicht ins Spiel bringen, weil
er mit dem Reizwort des Naturschönen verbunden ist, und dabei geht es immer um Lieblichkeit.“ 18 Entsprechend
wird denn auch das ‚Natürliche’ aus der Stadt verbannt. Stefanie Krebs schreibt im Anschluss an Adriaan Geuze:
Zweitens steht auch das Thema Landschaft unter der Spannung des Konfliktes zwischen Natur und menschlichem
Einfluss. Also nicht nur autonome Werke in einem begrenzten Raum, sondern der gesamte Raum mit allen seinen
gesellschaftlichen Belangen und Ansprüchen ist das Thema der theoretischen Erörterungen. Entsprechend komplex
und unübersichtlich ist es. So stellt Udo Weilacher fest:
Eine unter akutem Theoriedefizit leidende Profession [sieht sich] am Beginn des 21. Jahrhunderts
plötzlich mit neuen, sich vielerorts noch unscharf abzeichnenden Umweltentwicklungstendenzen kon-
frontiert, die auf scheinbar komplizierte und zugleich subtile Weise das Bild von Landschaft und Stadt
sowie die Naturwahrnehmung des Menschen und die Vorstellung von Lebenswelten außerordentlich
rasant und tief greifend verändern.20
Explizit mit der Landschaft auseinander gesetzt hat sich der Philosoph Joachim Ritter.21 Seine Kernaussage ist,
dass der städtische Mensch, der einer ursprünglichen „ganzen Natur“ entzweit ist, als Kompensation die ästhetische
Hinwendung zur Landschaft braucht. Aber:
Der Naturgenuss und die ästhetische Zuwendung zur Natur setzen ... die Freiheit und die gesellschaft-
liche Herrschaft über die Natur voraus. Wo die Natur zu der Gewalt wird, die ihre Ketten zerbricht
und den Menschen, den schutzlos gewordenen, fortreißt, da waltet im Furchtbaren der Schrecken, der
blind ist. Freiheit ist Dasein über der gebändigten Natur. Daher kann es Natur als Landschaft nur unter
der Bedingung der Freiheit auf dem Boden der modernen Gesellschaft geben.22
Ritter bezieht sich u. a. auf Schillers Elegie „Der Spaziergang“, in dem ein Mensch, „entflohen des Zimmers
Gefängnis“ die Natur erlebt: Den „Berg, mit dem rötlich schimmernden Gipfel“, „den grünenden Wald“, „die blü-
hende Au“. Er sieht das „glückliche Volk der Gefilde“, den Menschen, dessen Felder „friedlich sein ländliches Dach
umruhn“. Doch, abgelenkt durch „der Pappeln stolze Geschlechter“ die „in geordnetem Pomp vornehm und präch-
tig daherziehn“ denkt er an die Stadt und das städtische Leben in allen seinen Erscheinungen und Verwicklungen.
- Schließlich findet er sich in einer wilden Natur wieder, in der „jegliche Spur menschlicher Hände“ fehlt.
Sie wird erst für den Hinausgehenden zur Landschaft, die so zu der Stadt gehört, „die sich aus dem
felsigen Kern türmend erhebt.“ ... Schiller spricht zugleich aus, daß die notwendige und unaufhebbare
Bedingung der mit der Stadt gesetzten Freiheit des Menschen, die Verwandlung der „umruhenden“
Natur des ländlichen Daseins in die genutzte Natur als Objekt menschlicher Herrschaft wird.23
Diese ritterschen Thesen sind in letzter Zeit mehrfach kritisiert worden worden, unter anderen von Martin
Prominski.24 Der beruft sich auf Autoren, die den Landschaftsbegriff in der bisherigen Bedeutung infrage stellen.
So zum Beispiel auf Rainer Piepmeier, der
das Ende der ästhetischen Kategorie „Landschaft“ [konstatiert]. Die Argumentation Ritters nachzeich-
nend stellt er fest, dass der ästhetische Landschaftsbegriff notwendig des Korrelates der Stadt bzw.
der angeeigneten Natur bedarf und sich selbst auf das Gegenüber, die freie, umruhende Natur be-
zieht. Die Existenz dieses für ästhetischen Landschaftsbegriff konstitutiven Verhältnisses stellt er an-
gesichts der 1980 fast vollständig angeeigneten Natur in Frage: „Die ästhetische Funktion des ländli-
chen Gefildes als der freien Natur ist (...) vergangen, wenn das Gefilde Gegenwart wurde als flurbe-
reinigte Traktorenlandschaft oder auch als Erholungslandschaft, die ja bereits angeeignete Natur ist.
Damit ist prinzipiell die für Ritters Landschaftskonzept grundlegende Trennung von Stadt und Land
als Landschaft aufgehoben. Das Moment des ‚Hinausgehens’ hat die Möglichkeit seiner Realisation
verloren.“
Ohne Korrelat, ohne Gegenüber bricht die Statik des ästhetischen Landschaftsbegriffs auseinander.25
John Brinckerhoff Jackson wird zitiert: „Landschaft ist ... niemals nur ein natürlicher Raum ... sie ist immer
synthetisch, immer unvorhersehbaren Veränderungen unterworfen.“ Er nennt dies die „Landschaft Drei“ 26 - Und
nach Sieferle: „überzieht [ein] Industriealisierungs- und Modernisierungsprozess sowohl Stadt und Land, die al-
ten Bestandteile ‚verflüchtigen’ sich. Es entstehe ein homogener Landschaftstypus, die ‚Totale Landschaft.’“ Und
schließlich stellt Prominski zustimmend fest: „In der ‚Totalen Landschaft’ ist die alte Kulturlandschaft nur noch ein
künstliches Reservat. Dieser Artefaktcharakter betrifft nun alle Bestandteile der Landschaft – ob Naturschutzgebiete
oder Gewerbegebiete, alle sind Konstrukte.“ 27
Diese Analysen konstatieren also die Aufhebung der Unterscheidung von Stadt und Landschaft. Damit seien „dem
ästhetischen Landschaftsbegriff im Sinne von Ritter die zentralen Säulen geraubt, ohne die er zerbricht.“28 Die
neuen Begriffe, die „Landschaft Drei“ oder die „totale Landschaft“ sind jedoch nach meiner Auffassung negativ; sie
sagen nur, dass es die alte Landschaft nicht mehr gibt. Was an deren Stelle treten soll, ist nicht erkennbar. So sieht
denn auch Prominski ein Dilemma in dieser neuen Begriffsbestimmung: „Die ‚Landschaft Drei’ scheint den realen
Prozessen, wie der Verwischung der Gegensätze ‚natürlich / künstlich’ oder ‚Stadt / Landschaft’ zu entsprechen, ist
aber mit ihrer Weite und systemischen Charakter kaum greifbar,“ „ der Begriff scheint zu weit und zu unscharf“ 29
Selbst ein Philosoph wie Martin Seel tut sich schwer mit der Begriffsbestimmung von Natur und Landschaft. Er
schreibt:
... zur ästhetischen Wahrnehmung von Landschaft [braucht es] das Moment der Fremdheit ge-
genüber der Natur; die gesamte Natur ist keine insgesamt vertraute Natur. ... dieses befremdliche
[kann] fast jederzeit innerhalb der „vertraut gewordenen und eingebürgerten Landschaft’ hervortre-
ten. ... auch innerhalb der kultivierten Natur kann die gesamte Natur erscheinen. ... Die reineren
Naturzonen sind gleichsam für ihre landschaftliche Erfahrung da, während die ästhetische Präsenz von
Kulturlandschaften nur eine bestimmte Phase ihres sonstigen Gegebenseins ist. Die in einem starken
Sinn freie Natur konfrontiert uns ungeschützter mit ihrer landschaftlichen Erscheinung, weil hier das
lebensweltliche Gegebensein der Natur für uns ein landschaftliches Gegebensein ist. Die gesamte Natur
ist hier nicht eine Gegenwelt in der alltäglichen Welt, sie ist eine Gegenwelt zu dieser Welt. Die Freiheit
der ungestalteten Landschaft ist ein Extrem der Freiheit der (und in der) gestalteten Landschaft. ... Wo
Kulturlandschaft ist, kann striktere Naturlandschaft werden: als Steigerung der Freiheit in kultivierter
Landschaft.32 (Unterstreichung A.S.)
Natürlich kann man nachvollziehen, was Seel meint, besonders wenn ein Begriff von einem anderen unterschie-
den wird. Für sich gesehen stehen fast alle diese Attribute für den menschlichen Einfluss auf die Natur, aber eine
Definition ihrer Bedeutung ist schwierig. - Allgemein besteht die Auffassung, dass es eine unberührte Natur heute
kaum noch gibt. So sagt Peter Latz in einem Interview mit Udo Weilacher:
Was wir als so genannte Kulturlandschaft begreifen, ... ist in Wirklichkeit eine ganz brutale histori-
sche land- und forstwirtschaftliche Nutzlandschaft. ... ich möchte ziemlich radikal zwischen Natur und
Landschaft unterscheiden, denn sie haben im Prinzip nichts miteinander zu tun. Landschaft ist ein
kultureller Begriff, den eine Gesellschaft modifiziert im Kopf hütet. Natur ist eine Gesetzmäßigkeit, ein
Mythos.33
Nach dem Duden Fremdwörterlexikon ist „die (auch der) Hybride ein Bastard (aus Kreuzungen hervorgegan-
genes ... Individuum, dessen Eltern sich in mehreren erblichen Merkmalen unterscheiden.)“ Der metaphorische
Gebrauch des Begriffs Hybride will also darstellen, dass zwei verschiedene Einheiten zu einer neuen Einheit ‚ver-
schmelzen,’ zu einem Individuum, das heißt ein ‚Unteilbares.’ Es ist offenbar außerordentlich unbefriedigend, mit
der Unterscheidung zwischen menschlich beeinflusster und ‚reiner’ Natur zu leben. Adorno sprach in diesem
Zusammenhang von der „Negativen Dialektik.“ „einem Zustand, in dem die Kommunikation des Unterschiedenen
einen Misston in das Getriebe der auf Einheit drängenden Bewusstseinsformation brachte.“ 37 So erklärt sich, dass
die Avantgarde der Gartenkunst die Natur in der Unterscheidung Kunst / Natur weit gehend negiert, und die
Unterscheidung in der Diskussion über Landschaft aufgehoben wird in der ‚Synthese’ oder der ‚Totalen Landschaft.’
„Differenz“ ist das neue Stichwort, das in den Geisteswissenschaften immer größere Bedeutung gewinnt. S. J.
Schmidt beschreibt die Postmoderne „als definitiven Übergang vom identitätstheoretischem zum differenztheore-
tischem Denken“.39 Die Geschichte der Philosophie ist geprägt von der Auseinandersetzung über diese Denkweisen.
Etwa seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts liegen verschiedene Modelle des differenztheoretischen
Denkens vor. Die wichtigste Grundlage für meine Arbeit sind die „Laws of Form“ des englischen Mathematikers
George Spencer-Brown, die 1969 erschienen. In Deutschland hat sie Niklas Luhmann bekannt gemacht, und
auch ich verwende sie im Sinne Luhmanns, das heißt, wie Kritiker sagen, in einer vereinfachten Form.40 Bei den
theoretischen Ressourcen seiner Gesellschaftstheorie handelt es sich nach seinen Worten
Die am tiefsten eingreifende, für das Verständnis des Folgenden unentbehrliche Umstellung liegt
darin, dass nicht mehr vom Objekt die Rede ist, sondern von Unterscheidungen, und ferner, dass
Diese „Form der Unterscheidung mit zwei Seiten“ ist eng verwandt mit Derridas Différance „jene Bewegung
durch die sich die Sprache ... im Allgemeinen ... als Gewebe von Differenzen konstituiert.“ (Erstmals veröffentlicht
1968) 42 Dies erwähne ich, weil Derrida im gegenwärtigen Diskurs über die Gartenkunst eine Rolle spielt.43
Aus dem Jahr 1969 stammt eine Arbeit des chilenischen Biologen Umberto Maturana, die „Biologie der Kognition“,
die einen großen Einfluss auf andere Forschungsbereiche hatte, z. B. auf die Theorie des Radikalen Konstruktivismus
und auch auf die Arbeiten von Niklas Luhmann. Bemerkenswert ist, dass Maturana zur gleichen Zeit wie Derrida
und Spencer- Brown die Differenz oder Unterscheidung als Wahrnehmungsgrundlage erkennt:
Der Beobachter kann ... einen Gegenstand nur beschreiben, wenn es zumindest einen anderen
Gegenstand gibt, von dem er ihn unterscheiden kann. Dieser zweite Gegenstand, der als Bezugsgröße
für die Beschreibung dient, kann jeder beliebige Gegenstand sein. Die letztmögliche Bezugsgröße für
jede Beschreibung ist jedoch der Beobachter selbst.44
Damit kommt der Begriff des Beobachters der Unterscheidung ins Spiel, wodurch die klassische Dualität
Subjekt / Objekt ersetzt wird. Auslöser dieser neuen Denkweisen ist zweifellos die Revolution, die Anfang des
20. Jahrhunderts in der Physik das Denken verändert hat. Das klassische physikalische Weltbild war nicht mehr
haltbar, als in der Quantenphysik in verschiedenen Experimenten Elektronen einmal als Partikel und in einer an-
deren Versuchsanordnung als Welle erschienen. Nils Bohr hat dies Anfang der 30er Jahre als Komplementarität
beschrieben. Er hat dieses Prinzip auch auf andere Bereiche der Wissenschaft übertragen und eine allgemeine
Erkenntnislehre daraus entwickelt.45
In dieser Arbeit will ich versuchen, mit den Mitteln der neuen Denkweise, dem differenztheoretischen Denken, die
Grundlagen und Probleme der Gartenkunst zu erhellen und einer Lösung näher zu bringen. Das Hauptanliegen ist
die Unterscheidung von Natur und Menschenwerk aber auch zum Beispiel die Unterscheidung Form / Funktion.
Und letztlich wird sich ergeben, dass jede Begriffsbestimmung nur als Unterscheidung möglich ist. Die ‚Form der
Unterscheidung mit zwei Seiten’ ist deshalb das wichtigste Instrument meiner Theoriebildung. –
Es ist bisher schon deutlich geworden, dass das Verhältnis von Natur zu Gartenkunst und von Natur zu Landschaft
keine echten Unterscheidungen sind, weil die Begriffe unscharf sind. Um zu klaren Begriffen zu kommen, die eine
saubere Unterscheidung ermöglichen, halte ich mich an ein Verfahren Heideggers: So wie Elias von der ,anfangslo-
sen Synthese des Symbols Natur’ spricht, sieht Heidegger Begrifflichkeiten, „die durch eine Kette verschiedenartiger
überkommene ... Ausgelegtheit nach ihren verdeckten Motiven, unausdrücklichen Tendenzen und
Auslegungswegen aufzulockern und im abbauenden Rückgang zu den ursprünglichen Motivquellen
der Explikationen vorzudringen. Die Hermeneutik bewerkstelligt ihre Aufgabe nur auf dem Wege der
Destruktion. ... Die Destruktion ist ... der eigentliche Weg, auf dem sich die Gegenwart in ihren eige-
nen Grundbewegtheiten begegnen muss, und zwar so begegnen, dass ihr dabei aus der Geschichte
die ständige Frage entgegen springt, wie weit sie ( die Gegenwart ) selbst um Aneignungen radikaler
Grunderfahrungsmöglichkeiten und deren Auslegungsmöglichkeiten bekümmert ist.46
‚Destruktion’ verstehe ich dabei nicht als ‚Zerstörung’, sondern eher als ein ‚Auseinandernehmen’, so wie etwa
ein Junge einen alten Wecker auseinander nimmt, um dem Geheimnis seiner Mechanik auf die Spur zu kommen.
Diese Methode dürfte auch geeignet sein, den Begriff Natur und dessen Gegenbegriffe wie Kultur, Technik und
Gestaltung, die ebenfalls durch „ eine Kette verschiedenartiger Interpretationen hindurchgegangen sind“, zu „de-
struieren“, um so zu Begriffen zu kommen, die für die Diskussion über Gartenkunst besser geeignet sind. (Man kann
das auch – nach Derrida - dekonstruieren nennen.)
Ich ersetze deshalb den Begriff „Natur“, der durch zahllose romantische, mythologische und metaphysische
Konnotationen belastet ist, durch das griechischen Wort physis, das der Altphilologe Wolfgang Schadewaldt als
das „Urwort“ von Natur bezeichnet, als
die wohl genialste griechische Seinsvision, die auch den größten Erfolg in der Welt gehabt hat. ... Es
ist ... so durchsichtig in seiner Bildung, dass wir es deutlich verstehen können. Der Stamm ist phy , wie
in dem Verb phyo dazu die Endung –sis, die eine Aktion bezeichnet, gegenüber der auf –ma , die das
Einzelding meint. ... Die Grundbedeutung, die im Stamm steckt, ist soviel wie „wachsen lassen“ „her-
vor treiben“ , medial „wachsen“. Also ein Hervortreiben, wie ein Baum Blätter treibt oder ein Tierleib
Hörner. Die Bildung mit –sis ist nun wichtig, weil sie eine Tätigkeit bezeichnet, ein In-Funktion-Sein
. ... Wichtig ist ... , dass wir uns im Umgang mit dem Wort von etwas lösen, das erst bei uns hineinge-
kommen ist ... , nämlich dass die Natur etwas Gegebenes, Objektives, Festes, Statisches sei, von dem
man im Alltag spricht als von „der Natur da draußen“, als Kollektiv von all dem, was es da gibt. ... Diese
Vorstellung der Natur als etwas kollektiv Gegebenen, dem Menschen Gegenüberstehenden, des ganz
Anderen ... ist insofern geradezu verhängnisvoll, als diese so gefasste Natur denn auch zum Objekt
unseres Forschens wird, mit dem wir machen können, was wir wollen. ... Dem steht gegenüber die
ganz andere Bedeutung des Wortes physis, das schon durch seine Endung -sis niemals solch objektiven
Bereich umfassen kann, sondern ein Walten und Wesen darstellt, ... im Sinne eines Hervortreibens und
Wachsenlassens. 47
Wir können also, nach der Übersetzung Schadewaldts, physis verstehen als Wachsen, und zwar Wachsen als Prozess,
nicht als Zustand. Dazu gehören neben den Organismen Pflanzen und Tiere auch deren Wechselbeziehung unter-
einander und ihr Angewiesensein auf ihre jeweilige anorganische Umwelt, die vier Elemente des Empedokles: Feuer
(Sonnenlicht), Luft, Wasser und Erde. So verstanden, sind mit dem Wort physis alle wertenden Attribute,
die den Begriff Natur belasten, ausgeschlossen. Die Eiche im Wald, die Rose im Garten, die Rübe auf
dem Feld und der Grashalm in der Pflasterfuge sind alle als physis gleichwertig.
eine bestimmte Wissensart , ... zugeordnet dem poiein, „herstellen“. Man deutet es sich also am besten
als ‚herstellendes Wissen‘ oder doch auf ein Herstellen gerichtetes Wissen. Damit unterscheidet es sich
eindeutig von den anderen Wissensarten. istorie ist nichts anderes als ein Erkundethaben ... episteme ...
ist die höchste Weise des bewussten Wissens. Demgegenüber haben wir in techne eine ganz besonde-
re Wissensart, die so beschaffen ist, dass, wenn man sie anwendet, ein ganz bestimmter Prozess des
Entstehens, Werdens, Gestaltens, Schaffens in Gang gebracht wird. ...Man kann sagen, es ist eine Art
Fachwissens, immer im Hinblick darauf, dass etwas dann irgendwie entsteht, vollzogen wird. ... Ein
solches Wissen das man hat und kann, ist also die techne, und zwar ein auf das Herstellen, ein wirkliches
Tun, poiein, gerichtetes Wissen. 48
Mit dem Kunstgriff der Einführung der Begriffe physis und techne ist also eine klare Grundlage geschaffen für die
Analyse des Verhältnisses von Natur und menschlichem Einfluss. Physis ‚enthält’ keine techne und techne keine physis.
Beide sind in jedem Zustand unserer Lebenswelt genau zu unterscheiden. Um ihren speziellen Charakter als Termini
technici dieser Arbeit zu betonen, schreibe ich sie in kursiver Schrift.
Dies bedeutet nun keinesfalls, dass unser Naturverhältnis nicht auch mental und emotional bestimmt ist. Im Gegenteil:
die Klärung des Zusammenwirkens von physi und techne’ ist die Voraussetzung dafür, dass in der Gartenkunst unser
Naturverhältnis in der heutigen Lebenswelt zum Ausdruck kommt. „Die Anerkennung der Differenz von Natur und
Menschlicher Leistung ist das genaue Gegenteil jener Haltung der Indifferenz, in der die Natur als das bloße Material
praktischer Verfügung erscheint.“49
Ich werde im ersten Kapitel die Unterscheidung physis / techne als Beispiel bei der Einführung in die ‚Gesetze der
Form’ benutzen. Danach wird sich zeigen, dass diese ein Instrument sind, das alle Gegensatzpaare in einem neuen
Licht erscheinen lässt. Die ‚Blinden Flecke,’ die nicht nur den Diskurs der Gartenkunst verdunkeln, werden sich
entscheidend erhellen lassen.
Im zweiten Kapitel wird die Vegetation als Grundelement der Gartenkunst behandelt und zwar als Botanik im
Sinne Maturanas und als Ergebnis des Zusammenwirkens von physis und techne sowohl in der geschichtlichen
Entwicklung, wie auch in der heutigen Praxis. Als wichtiges Prinzip für die Gartenkunst sehe ich die Unterscheidung
von ‚Tun und Lassen’ an. Die Verschiebung zum ‚Lassen bestimmt die historische Entwicklung der Gartenkunst. Das
Thema wird vertieft durch eine Betrachtung von Heideggers Abhandlung ‚Der Ursprung des Kunstwerks’, in der ich
meine Idee des Physis-techne-Verhältnises wieder finde.
Die Unterscheidung von Funktion und Gestaltung als eines der Hauptthemen im Architektur-Diskurs wird im dritten
Kapitel behandelt. Durch einen Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung versuche ich, den Begriff ‚Ornament’
aus der üblichen verengten Sichtweise zu befreien.
Im vierten Kapitel wird dieselbe Unterscheidung angewendet bei einer Betrachtung der gartenarchitektonischen,
baulichen Elemente und ihre Bedeutung und Wirkung in der Gartenkunst. – Ich konzentriere mich dabei haupt-
sächlich auf die Wegesysteme der verschiedenen Stile. Da diese sowohl das Formgefühl, wie auch das Körpergefühl
beeinflussen, sehe ich eine Verbindung zu Schillers Theorie der Ästhetik, die er in den Briefen „Über die ästhetische
Eine weitere Gemeinsamkeit von Architektur und Gartenkunst und ein Kernthema dieser Arbeit ist der Raum als
Medium. Hier trifft nicht nur zu, dass Parallelen bestehen, sondern der Begriff des Raumkontinuums und des flie-
ßenden Raumes bedeutet, dass eine innige Verbindung zwischen moderner Architektur und Gartenkunst besteht;
ja, dies ist ein Musterfall einer Form der Unterscheidung mit zwei Seiten. Das ist Thema des fünften Kapitels.
Im 6. Kapitel geht es um Wahrnehmung im weitesten Sinne. Also nicht nur um Perzeption, sondern auch um
Bewusstseinsbildung und um Kunstproduktion und –rezeption. Besonders für die Gartenkunst ist die Rezeption
von besonderer Bedeutung, weil hierbei alle Sinne beteiligt sind, nicht nur der optische, wie in der bildenden Kunst.
Wahrnehmung der Natur – um die geht es letztendlich in der Gartenkunst – berührt tiefste Schichten menschlicher
Psyche. Deshalb setze ich mich mit Themen, wie dem kollektiven Gedächtnis, den Archetypen und mit morphoge-
netischen Feldern auseinander.
Als eine Ursache für die prekäre Situation der Gartenkunst sehe ich die Spaltung der Profession: einerseits in
den Anspruch, Kunst zu sein, andererseits in die Wissenschaft und die Ökologie. Die Folge ist ihre Hinwendung
zur bildenden Kunst. Geschichtlich ist dies schon vorgegeben mit der Unterordnung der Landschaftskunst un-
ter die Landschaftsmalerei. Eine emanzipierte Gartenkunst darf aber Ökologie und Planungswissenschaft nicht als
Gegensätze betrachten, sondern muss sie als Grundlagen mit einbeziehen. Im 7. Kapitel befasse ich mich deshalb
mit dem Verhältnis zwischen Gartenkunst und bildender Kunst.
Im 8. und 9. Kapitel unternehme ich den Versuch, Gesichtspunkte für eine Theorie der Gartenkunst aufzuzeigen,
die auf das Ziel gerichtet ist, die Welt als Garten zu sehen.
Ein kryptisches, schwer zu durchdringendes und noch schwerer zu fassendes Buch, zumindest auf die
zehn ersten Blicke. Das liegt an Spencer-Browns reduktionistischem Stil, an seiner vollkommen neuen
und andersartigen Notation gegenüber anderen logischen Kalkülen und an seiner teilweise eigentüm-
lichen Verwendung der englischen Begriffe.50
„Laws of Form“ ist sicher das Werk eines Genies; ich habe jedoch bis heute wenige Leute gefunden, die
seine Lektüre nicht schon auf Seite 2 entmutigt aufgaben.51
Dies klingt nun wiederum schlimmer, als es ist. Denn auf Grund seiner reduktionistischen Methode braucht Spencer-
Brown nur die Hälfte der ersten Seite, um den Kern seiner Theorie deutlich und verständlich darzustellen.52 Daran
anschließend entwickelt er seinen hochkomplexen Kalkül. Er verfährt nach einer injunktiven Methode, in der er
seine Leser z. B. auffordert, „dies und das“ zu lassen oder „dies-und-das so-und-so“zu nennen. Andererseits sagt er
seinem Leser aber auch, es sei
nicht nötig, dass er seine Illustrationen auf die Vorschläge des Textes beschränkt. Er mag nach Laune
abschweifen, seine eigenen Illustrationen erfinden, gleich ob diese mit den Befehlen des Textes konsi-
stent oder inkonsistent sind. Nur auf diese Weise, aufgrund seiner eigenen Entdeckungen, wird er die
Schranken oder Gesetze jener Welt erkennen, von der der Mathematiker spricht.53
Diese Möglichkeit werde ich in Anspruch nehmen. Doch zunächst folge ich den Anweisungen Spencer-Browns.
Sein Ausgangspunkt ist eine allgemeine Prämisse:
Wir nehmen die Idee der Unterscheidung und die Idee der Bezeichnung 54 als gegeben an, und dass
wir keine Bezeichnung vornehmen können, ohne eine Unterscheidung zu treffen. Wir nehmen daher
die Form der Unterscheidung für die Form. 55
Diese lapidare Feststellung ist nicht selbstverständlich. In der Alltagssprache verwenden wir für Gegenstände un-
serer Lebenswelt in der Regel Begriffe, die etwas Identisches bezeichnen. Wenn jemand ‚Haus’ oder ‚Baum’ sagt,
weißt jeder, der unsere Sprache spricht, unmittelbar, was gemeint ist. Wenn aber zum Beispiel Menschen aus der
Stadt in einem Mischwald auf Buchen hingewiesen werden, dann werden die meisten sagen, dass sie diese nicht
erkennen können. Erst wenn man zeigt, dass die Buchen sich durch ihre glatte Rinde z. B. von den Eichen mit der
rauen Rinde unterscheiden, können sie Buchen wahrnehmen und bezeichnen. So können wir also auch sagen,
Bei Spencer-Brown geht es aber nicht nur um einfaches Unterscheiden. Er definiert die „Form der Unterscheidung“
wie folgt:
Das heißt, eine Unterscheidung wird getroffen, indem eine Grenze mit getrennten Seiten so angeord-
net wird, dass ein Punkt auf der einen Seite die andere Seite nicht erreichen kann, ohne die Grenze zu
kreuzen. ...
Wenn einmal eine Unterscheidung getroffen wurde, können die Räume, Zustände oder Inhalte auf je-
der Seite der Grenze, indem sie unterschieden sind, bezeichnet werden. Es kann keine Unterscheidung
geben ohne Motiv, und es kann kein Motiv geben, wenn nicht Inhalte als unterschiedlich im Wert
angesehen werden.59
Diese Kernsätze enthalten ein „Universum an Bedeutungen.“ was in einer umfangreichen Sekundärliteratur viel-
fach erörtert wird. Eine besonders klare Darstellung finden wir bei Tatjana Schönwälder:
Die Form einer Unterscheidung besteht aus vier Aspekten, die simultan entstehen, wenn eine
Unterscheidung getroffen wird: Die Grenze, die [zwei] unterschiedenen Seiten, [und] der ‚Hintergrund’
oder Kontext, vor dem unterschieden wird. Damit bildet die Form eine Einheit, die aus einer Differenz
besteht: eine Form mit zwei verschiedenen Inhalten. Die Betonung liegt hier aber nicht auf der Frage,
inwiefern sich die zwei unterschiedenen Seiten unterscheiden, sondern darauf, dass es überhaupt eine
Ungleichheit gibt. Durch die Unterscheidung werden sie als verschieden voneinander zueinander in
Beziehung gesetzt und bilden als solche eine Einheit. Damit gehört zur Form jedes ‚Inhalts’ im wei-
testen Sinne immer auch das, was er nicht ist, die andere Seite seiner Form. In dieser Hinsicht unter-
scheidet sich der grundlegende Form-Begriff von Spencer-Brown wesentlich von anderen, philoso-
phiegeschichtlichen Gebräuchen, in denen beispielsweise die Form dem Inhalt oder der Materie oder
ähnlichem gegenübergestellt wird. In diesen Fällen bezeichnet die Form nur die eine, unterschiedene
Seite, nicht aber die simultan mit entstehenden anderen Aspekte.60
Der Ansatz Spencer-Browns reicht „von der radikalen Reduktion auf die Unterscheidung als einem einfachsten
Ausgangspunkt bis zu den mehrfachen Windungen der selbstreferentiellen, rekursiven Formen; von der mathemati-
schen Sprache des Calkulus of indications bis zu sprachkritisch-methodologischen Erläuterungen religiöser Sprachen.“
Reduktiv ist auch das Zeichen, das Spencer-Brown für den größten Teil seines Kalküls verwendet, der „Haken“
Er hat zwei Funktionen: einmal, mit dem waagerechten Balken, dient er als Hinweis auf die eine Seite der
Unterscheidung und als ihre Markierung (marked state) und andererseits, mit dem senkrechten Balken, als
Aufforderung, die Grenze zwischen den Seiten zu kreuzen. Etwas schwierig ist es, den Charakter der Außenseite,
des unmarkierten Zustandes (unmarked state) zu erfassen. Es scheint offen zu sein, von was die markierte Seite
unterschieden wird. Es kann etwas Bestimmtes sein, oder auch ‚alles Andere,’ Unbestimmte.
Ich habe deshalb für die Darstellung meiner Überlegungen, wie Spencer-Brown ausdrücklich anheim stellt, ein
abgewandeltes Zeichen gewählt, das beide Seiten der Unterscheidung ins Blickfeld stellt und auch das Motiv oder
den Kontext benennt:
Motiv, Kontext
Seite Seite
Dabei ist zu erinnern, dass die Grenze – symbolisiert durch den senkrechten Strich - für die Unterscheidungsoperation
das Wichtigste ist. Die ‚Grenze’ ist eine Metapher, also nichts räumlich oder zeitlich Konkretes, sondern sie steht
dafür, dass immer nur eine Seite der Unterscheidung gesehen und beschrieben werden kann, niemals beide gleich-
zeitig.
Ich erläutere das an einem beliebigen Beispiel, das hierfür besonders geeignet ist, das Biotop Trockenrasen.
Trockenrasen
physis techne
Unter physis sehen wir die Vegetation, den Artenreichtum, die Empfindlichkeit und Schutzbedürftigkeit, aber auch
die Nährstoffarmut und Trockenheit des Bodens und die sonnige Lage. Die andere Seite ist der menschliche Einfluss.
Das sind z. B. die extensive Nutzung, die Verhinderung der Verbuschung durch Beweidung oder Mahd und der
Verzicht auf Düngung. Das ist die Seite der techne.
An diesem Beispiel wird deutlich dass man nicht nur die beiden Seiten nicht gleichzeitig sehen kann, sondern dass
meistens auch nur die eine Seite, die Seite der physis, gesehen wird. Die andere Seite, die techne, ist dann der Blinde
Fleck der Unterscheidung. (Der menschliche Einfluss bleibt bei der Beschreibung der Trockenrasen meistens außen
vor.) ‚Blinder Fleck’ ist eine treffende Metapher, die nicht nur zum Ausdruck bringt, dass die andere Seite nicht
gesehen wird, sondern auch, dass der Blinde Fleck selbst, (wie der im Auge), nicht gesehen wird. Man kann von
fast allen Auseinandersetzungen, die ich bisher beschrieben habe sagen, dass die Vertreter einer Richtung für die
Gegenseite „mit Blindheit geschlagen waren.“ Zum Beispiel sah Hirschfeld im Barockgarten nur das ‚Künstliche’
und im Landschaftsgarten nur das ‚Natürliche.’ - Der Blinde Fleck wird uns in der weiteren Untersuchung immer
wieder auffallen.
61 Ebd.
Strukturell gesehen existiert die Zwei-Seiten-Form im Zeitmodus der Gleichzeitigkeit. Operativ gesehen
ist sie nur im Nacheinander der Operationen aktualisierbar, weil die Operation von der einen Seite aus,
die Operation von der anderen Seite ausschließt. Die Form ist die Gleichzeitigkeit des Nacheinander.62
Auf unser Beispiel bezogen heißt das, Im Zeitmodus der Gleichzeitigkeit sehen wir den Trockenrasen, und in der
Operation des Unterscheidens sehen wir physis und techne nacheinander. – An anderer Stelle drückt er dies so aus:
Die beiden Seiten sind gleichzeitig und in einem vorher / nachher Verhältnis gegeben. Als Unterscheidung
sind sie gleichzeitig aktuell, als Referenz einer Bezeichnung nur nacheinander.63
Um es noch einmal kurz zu sagen: Das Kreuzen über die Grenze benötigt Zeit, und das Operieren auf beiden Seiten
der Unterscheidung gleichzeitig ist nicht möglich. Gedanklich kann aber das hin-und-her-Kreuzen zwischen den
beiden Seiten sehr schnell erfolgen. Dirk Baecker nennt das Oszillation.
Oszillation heißt, dass immer dann, wenn der marked state bezeichnet wird, sofort anschließend der
unmarked state bezeichnet wird. Die Klingel funktioniert so.64
Schönwälder weist in diesem Zusammenhang noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hin:
Die oszillierende Gleichung ... stellt formal die Form in ihrer differenzierten Einheit dar. Sie ist für
Spencer-Brown der Schlüssel zum Verständnis von Paradoxien. Aus dieser Perspektive könnte gesagt
werden, dass Paradoxien entstehen, weil wir versuchen, auf die beiden Seiten einer Unterscheidung
zugleich hinzuweisen und nicht sehen, dass das nur abwechselnd nacheinander geht.65
In Bezug auf die Unterscheidung physis / techne und auf andere Unterscheidungen werden wir immer wieder auf
solche Paradoxien treffen. Zum Beispiel bei der ‚Totalen Landschaft’, in welcher Natur und menschlicher Einfluss,
also physis und techne nicht getrennt werden. Zu diesem Begriff, der ja wohl für die ganze Erdoberfläche gelten
soll, gibt es auch keine Unterscheidung. Nach dem Satz, dass wir keine Bezeichnung vornehmen Können, ohne eine
Unterscheidung zu treffen, wäre ‚Totale Landschaft’ also ein Paradoxon, ein Unwort.
Es besteht aus Schubladen-ähnlichen, radikal reduzierten Quadern, die übereinander an einer Wand befestigt sind.
Die Abstände sind so austariert, dass die Körper abwechselnd getrennt oder als Einheit gesehen werden können,
und dass man sowohl positiv die Körper und negativ die Zwischenräume und den umgebenden Raum wahrnimmt.
– Geradezu programmatisch sind die bekannten Zeichnungen von Escher, bei denen die Paradoxie in der Oszillation
der Betrachtung überdeutlich wird.
Unsere Natur bringt es mit sich, dass die Anschauung niemals anders als sinnlich sein kann, d.i. nur die
Art enthält, wie wir von Gegenständen affiziert werden. Dagegen ist das Vermögen, den Gegenstand
sinnlicher Anschauung zu denken, der Verstand. Keine dieser Eigenschaften ist der anderen vorzu-
ziehen. Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht
werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es
ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen, (d. i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung
beizufügen,) als seine Anschauungen sich verständlich zu machen (d. i. sie unter Begriffe zu bringen).
Beide Vermögen, oder Fähigkeiten, können auch ihre Funktionen nicht vertauschen. Der Verstand
vermag nichts anzuschauen, und die Sinne nichts zudenken. Nur daraus, dass sie sich vereinigen, kann
Erkenntnis entspringen. Deswegen darf man aber doch nicht ihren Anteil vermischen, sondern man
hat große Ursache, jedes von dem anderen abzusondern, und zu unterscheiden.66 (Hvh.: kursiv i. O.,
fett: A.S.)
Dies ist eine ganz klare Form der Unterscheidung mit zwei Seiten, die Kant generell als Grundlage für Erkenntnis
darstellt. Zwei Seiten, die zusammen gehören, die aber gleichzeitig unterschieden werden müssen:
Erkenntnis
Verstand Sinnlichkeit
Gedanken Inhalt
Begriffe Anschauung
Das Sein selbst ist nicht greifbar, alles das, was greifbar ist, ist lediglich Seiendes. „Sein ist jeweils das
Sein eines Seienden“. Aber es ist nicht darauf reduzierbar: „Das Sein des Seienden ‚ist’ nicht selbst ein
Seiendes.“ Das Sein ist also lediglich das, was das Seiende überhaupt erst als Seiendes erscheinen lässt.
... Einerseits können wir also sagen, daß Sein und Seiendes strikt voneinander geschieden
sind. Andererseits sind sie gar nicht voneinander zu trennen ... Einerseits haben wir die Absenz,
die Abwesenheit des Seins, andererseits die Präsenz des Seins im Seienden.68 (Hvh. A.S.)
Ausdrücklich auf Heidegger bezieht sich besonders Derrida, der sich ebenfalls intensiv und grundlegend mit der
Differenztheorie auseinander gesetzt hat. Er hat sie weiter entwickelt indem er nicht nur eine Unterscheidung
mit zwei Seiten sieht, sondern die Operationen der Unterscheidung „zu einem Bündel“ zusammenfasst, mit dem
„Charakter eines Einflechtens, eines Webens, eines Überkreuzens.“ 69 - Die Darstellung dieser komplexen Theorie
Derridas würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, und auch meine Kompetenz überstrapazieren. Ich beschränke
mich deshalb darauf, die Übereinstimmungen, die ich mit dem Kalkül Spencer-Browns erkenne, herauszustellen.
Derrida erfindet ein Wort, das genau so ausgesprochen wird wie différence, das er aber mit „a“ schreibt: différance.
Mit dieser Schreibweise will er die Bedeutung des Ausdrucks différence erweitern. Er bezieht sich auf das französi-
sche Verb différer, das zwei Bedeutungen hat. Einmal: „die eher gewöhnliche und identifizierbare: nicht identisch
sein, anders sein, erkennbar sein und so weiter.“ Die andere Bedeutung ist: „etwas auf später zu verschieben, sich
von der Zeit und den Kräften bei einer Operation Rechenschaft ablegen,“ .... „Différer in diesem Sinne heißt tempo-
risieren, heißt bewußt oder unbewußt auf die zeitliche und verzögernde Vermittlung eines Umwegs rekurrieren.“ 70
Dieses „Temporisieren“ hat eine große Ähnlichkeit, ich möchte sagen ist das Gleiche, wie das Kreuzen der Grenze
in Spencer-Browns Form, für das, wie wir gesehen haben, ebenfalls Zeit benötigt wird. An anderer Stelle wird die
Übereinstimmung noch deutlicher:
... die Philosophie [lebt] in und von der différance und [ist] blind gegen das Gleiche, das nicht identisch
ist. Das Gleiche ist gerade die différance (mit a) als aufgeschobener und doppeldeutiger Übergang von
einem Differenten zum anderen. Man könnte auf diese Weise alle Gegensatzpaare wieder aufgreifen,
auf denen die Philosophie aufbaut und von denen unser Diskurs lebt, um an ihnen nicht etwa das
Erlöschen des Gegensatzes zu sehen, sondern eine Notwendigkeit, die sich so ankündigt, dass einer der
Termini als différance des anderen erscheint, als der andere in der Ökonomie des Gleichen unterschie-
den / aufgeschoben ..., das Intelligible als von dem Sinnlichen sich unterscheidend ..., als aufgeschobe-
nes Sinnliches ...;71 ... die Kultur als unterschiedene / aufgeschobene – unterscheidende / aufschieben-
de Natur ...; jedes andere der Physis – techne, nomos, thesis, Gesellschaft, Freiheit, Geschichte, Geist
und so weiter – als aufgeschobene Physis ... oder als unterscheidende Physis. Physis in différance. ...
Von der Entfaltung dieses Gleichen als différance her kündet sich die Gleichheit der Verschiedenheit
und der Wiederholung in der ewigen Wiederkunft an,72
Derrida thematisiert aber noch einen Gesichtspunkt, der für meine Überlegungen wichtig ist. Er stellt der physis
mehrere Begriffe als Unterschiedenes gegenüber: Physis / techne, physis / nomos und so weiter. Wenn man die-
se Gegensatzpaare vergleicht, stellt man fest, dass sie in verschiedenen Kontexten stehen und dass physis seine
Bedeutung dabei mehr oder weniger verändert. Ich verwende die Unterscheidung physis / techne im Kontext ‚Garten’
(im weiten Sinne) als Unterscheidung von Wachsendem und dem menschlichen Einfluss darauf. Es geht also um
den Kontext ‚Vegetation im Garten’. Die Unterscheidung physis / nomos dagegen entspräche dem Kontext ‚Gesetze
der Natur.’ und dabei bezieht sich physis auf einen erweiterten Bereich. Ein anderes Beispiel wäre der Kontext
‚Gesundheit’ in dem physis für die physiologische Grundverfassung eines Menschen und techne für den Einfluss
der Medizin stände. Auch hier ist ein ‚Bündel’ zu sehen um den Begriff physis.
... „différer“ ... schließt so schon ein, was nach Derrida die Schriftzeichen leisten, den Aufschub in der
Zeit, der denn auch eine Verschiebung ihres Sinns in der Zeit mit sich bringt. Dies, die Verschiebung
einer Unterscheidung durch die Unterscheidung als solche, lässt sich nach Begriffen metaphysischer
Präsenz nicht fassen. „Différance“ ist darum kein definierbarer Begriff, sondern ihrerseits ein Zeichen,
Derridas Zeichen für die unsichtbare Verschiebung unterscheidender Zeichen in ihrem Gebrauch.
Danach haben wir es ... stets mit temporalisierten zerstreuten Ordnungen zu tun, mit Ordnungen nicht
aus definitiven und allgemeinen Begriffen, sondern aus letztlich individuell gebrauchten Zeichen für
individuelle Zusammenhänge.73
Wir werden im Folgenden sehen, dass sich in den Unterscheidungen ständig Überschneidungen ergeben. Was und
wie unterschieden wird, entscheidet der Beobachter.
Trotzdem müssen für eine saubere Gedankenführung die Kontexte oder Motive der Unterscheidungen und die davon
abhängigen Bedeutungsnuancen der unterschiedenen Begriffe klar definiert werden. Es muss dabei immer wieder
vergegenwärtigt werden, dass wir nicht über Zustände, über Identitäten reden, sondern über Unterscheidungen,
die ein Beobachter macht.
Ich werde, wie gesagt, die Form der Unterscheidung mit zwei Seiten in meiner Arbeit als wichtigstes Strukturelement
verwenden. Der Rückblick auf verwandte Theoreme und der Hinweis auf Derridas Différance soll nur die Bedeutung
Spencer-Browns für die moderne Erkenntnistheorie hervorheben. Aus dem gleichen Grund gehe ich auch noch
einmal auf die ‚klassischen’ Lehren ein, auf das, was Luhmann die „alteuropäische Tradition“ nennt.74
Hegels Philosophie zielt auf die Überwindung der „Entzweiung der Wirklichkeit,“ die durch Kants
Unterscheidung zwischen ... intelligibler Welt und Bereich des sinnlich Erfahrbaren eingetreten ist.
Hierzu setzt Hegel das Absolute ... als metaphysisches Vernunftprinzip, das die Identität von Subjekt und
Objekt garantiert, voraus. Dieses Absolute ... bestimmt er als „Identität der Identität und Nichtidentität“
... „Das Bewusstsein über die innere Form der Selbstbewegung“ des Absoluten ist die Dialektik des
Dreischritts These – Antithese – Synthese, „die absolute Methode des Erkennens“, ...
Die dialektisch – spekulative Darstellung, ... verläuft jeweils dreischrittig: 1.Der Verstand setzt einen
abstrakten begrifflichen Gegensatz, dessen Bestimmungen ... er als voneinander unabhängig begreift.
2. Die Dialektische Vernunft entwickelt „das eigene Sichaufheben solcher endlicher Bestimmungen
und ihr Übergehen in ihre entgegengesetzte“ d.h. den Widerspruch, der sich in dem Begriff selbst not-
wendig auftut, wenn man ihn als These abstrakt seiner Antithese gegenüberstellt. Denn jeder der
beiden Begriffe setzt den jeweils anderen zu seiner eigenen Bestimmung voraus. ... 3. Die
spekulative Vernunft hebt die Gegensatzbestimmungen als selbständige auf ... indem sie beide in einer
Synthese miteinander vermittelt und zu Momenten einer höheren Einheit („Identität der Identität
und Nichtidentität“) herabsetzt. 76 (Hervorh. A.S.)
Also auch Hegel – den Adorno kritisch den Identitätsphilosophen nennt - geht davon aus, dass jeder Begriff einer
Unterscheidung bedarf. Er geht aber über diese Unterscheidung hinaus, um in einer Synthese wieder zu etwas
Identischem zu kommen. Dagegen hält Spencer-Brown die Unterscheidung streng aufrecht durch die Errichtung
einer Grenze zwischen den beiden Seiten. Dieser scheinbar so geringe Unterschied ist aber tatsächlich so bedeutsam,
wie der zwischen klassischer und moderner Physik.
Einfache Unterscheidung
Eiche Buche
Baum Haus
Ein Problem sind die Seiten einer Unterscheidung, die als Form nicht zu trennen sind, wie um Beispiel die
Unterscheidung physis / techne im Kontext Gartenvegetation. Die Einwirkung von techne kann sehr intensiv sein,
zum Beispiel im Renaissancegarten, oder auch minimal im Naturgarten. Dazwischen kann man sich unendlich viele
Abstufungen vorstellen. Die Intensität der Einwirkung ist ‚skaliert’. Das ergibt die Form:
Skalierte Unterscheidung
physis techne
Um dies zu verdeutlichen, gebe ich ein anderes Beispiel aus der optischen Wahrnehmung: Die Farbmischung aus
Blau und Grün. In ihrer ‚reinen’ Form empfinden wir sie als zwei identische Farben. Sie können aber gemischt
Bekannt sind auch graphische Spielereien, die eine Metamorphose von einer Gestalt zu einer anderen darstellen,
zum Beispiel eine von Escher, in der sich ein Fisch in einen Vogel verwandelt. – Eine andere zeigen H. und M.
Haken: die Verwandlung eines Männergesichts in einen Mädchenakt.
Hysterese77 bei der visuellen Wahrnehmung. Fangen wir oben links an, so erkennen wir ein
Männergesicht, das auch in der zweiten Zeile noch gesehen wird und erst am Schluss in die
Wahrnehmung eines Mädchens umschlägt. Beginnen wir umgekehrt unten rechts und gehen dann in
der gleichen Zeile nach links, so erkennen wir ein Mädchen, das auch noch in der oberen Zeile erkannt
wird und erst am Schluss wieder in ein Männergesicht umschlägt.78
Wir sehen, dass auch hier der ‚Blinde Fleck’ im Spiel ist.
Mit dem Begriff der Skala entsteht eine neue Qualität des Erkennens. Es gibt nicht die Identität z. B. einer Hybride,
sondern jeder Punkt auf der Skala der Unterscheidung markiert nur eine kontingente Relation der je-
weiligen Unterscheidung.
Mir ist dies klar geworden bei der Lektüre von Martin Seels „Ästhetik der Natur“:
Freie Natur ... ist ein Skalenausdruck, dessen Bedeutung erlischt, sobald er die beiden Enden der Skala
berührt. Absolut frei wäre allein die Natur, zu der kein Mensch je die Distanz aufgebracht hätte, die
es zur ästhetischen Anschauung braucht. Absolut unfrei wäre die Natur, die technisch so zugerichtet
wäre, dass kein Mensch länger da wäre, der die lebenswichtige Distanz zur Natur aufbringen könnte.
Die vollkommen freie ist wie die vollkommen unfreie Natur eine Natur ohne Menschen, ... In diesem
Sinn ist ästhetische Natur immer schon eine vom Menschen beeinflusste Natur, ohne freilich immer
ein von ihm zurechtgemachter Raum zu sein – was eine weitere graduelle Bestimmung ist.79
77 Lt. Duden: „das Zurückbleiben einer Wirkung hinter dem jeweiligen Stand der sie bedingenden veränderlichen
Kraft.“
78 Haken (1994), 36.
79 Seel, (1991), 27.
Dem entspricht meine Auffassung des Verhältnisses von physis – techne als Form der Unterscheidung mit zwei Seiten.
Die Intensität der Einwirkung auf die physis ist skaliert. Solange die Enden der Skala nicht erreicht sind, bleibt die
Substanz der physis erhalten. Erst wenn ein Garten ganz aus Plastik hergestellt wird, ist das Ende der Skala erreicht.
Dann bleibt als Unterscheidung nur die Schaufensterdekoration. – Das andere Ende der Skala ist der Urwald. Die
Lebensweise seiner Bewohner lässt sich nicht als techne definieren. Also muss hier auch der Begriff „Welt als Garten“
halt machen. Das heißt ja nicht, das der Urwald nicht zu schützen sei; im Gegenteil: hier hat techne absolut fern zu
bleiben.
Die Kategorien natürlich – künstlich sind nicht unabhängig voneinander, sie sind nur in ihrem Verhältnis
zueinander zu verstehen: nicht entweder- oder, sondern weniger oder mehr. Die Aufmerksamkeit hat
sich verschoben vom „Objekt an sich,“ an das die Moderne geglaubt hatte, zum „Objekt in Beziehung
zu anderen,“ in einem System von Beziehungen.80 (Hvh. A.S.)
Dies zeigt, dass die Hysterese nicht ein besonderes Phänomen der Wahrnehmung ist, sondern ein allgemeines
der menschlichen Erkenntnis und Wahrnehmung überhaupt. Bei der skalierten Unterscheidung pysis / techne ist
das gut zu beobachten: Wer von der Seite der techne ausgeht, zum Beispiel von der ‚industriellen Landwirtschaft’,
sieht in jedem Landschaftsteil nur techne, und das führt dann zu dem Begriff ‚Totale Landschaft’. (siehe Anm. 26)
Ein engagierter Naturschützer findet dagegen schützenswerte Naturbestandteile auch in menschlich überformten
Landschaften
Ich erwähnte schon, dass in der Form der skalierten Unterscheidung oft die eine, unmarkierte Seite als Blinder Fleck
unsichtbar bleibt. An den Enden der Skala der Unterscheidung ist dieser Umstand besonders oft zu beobachten. So
ist im minimalistischen Garten die physis und im Ökogarten techne oft der Blinde Fleck.
Der Bereich innerhalb der Endpunkte der Skala ist das Feld der Gartenkunst. Das geht vom Heckenlabyrinth an ei-
nem Ende bis zum Ökogarten am anderen Ende. Diese Skalierung bedeutet für die Form der Unterscheidung physis
/techne, dass das Verhältnis zwischen beiden Seiten frei gewählt werden kann und entschieden werden muss. Es gibt
kein Rezept für ein ‚richtiges’ Verhältnis. Als ‚sichere’ Lösung wird dann oft der Bereich nahe den Endpunkten der
Skala gewählt wo die andere Seite ein Blinder Fleck ist: Die Ökologie oder der Minimalismus. Beide Enden aber ber-
gen immer die Gefahr des Fundamentalismus in sich. Das Fehlen fester Vorgaben darf jedoch auch nicht dazu füh-
ren, in Beliebigkeit zu verfallen, sondern die Kunst besteht darin, in diesem Horizont der Möglichkeiten eine in sich
schlüssige Idee zu verwirklichen. Dies erinnert an einen Satz von Karl Jaspers: „Der Sturz aus den Festigkeiten
... wird Schwebenkönnen – was Abgrund schien, wird Raum der Freiheit“ 81 Die ‚Festigkeiten’ sind das Identische.
‚Schweben können’ im Raum der Freiheit ist eines der Wesenszüge der modernen Kunst.
Den landläufigen Diskurs über das Verhältnis zwischen Natur und Gartenkunst könnte man in seiner ‚dialektischen’
Form kurz so darstellen: Zunächst stehen sich ‚Natur’ und ‚Kunst’ als These und Antithese antagonistisch gegen-
über. Die Naturgartenbewegung und der Naturschutz sehen nur die ‚reine’ Natur. Die Avantgarde der Gartenkunst
verbannt alles ‚Naturalistische’ aus ihren Werken. Als Synthese wird dann der Begriff Hybrid gebildet. Ähnlich
ist das Verhältnis Stadt / Landschaft zu sehen: Als These und Antithese. Nachdem die Grenzen zwischen Stadt
Was aus dieser Denkweise entsteht, ist die absolute Beliebigkeit, die dann auch in einer allgemeinen Verunsicherung
zu spüren ist. Totale Landschaft kann alles sein und ist deshalb auch nicht definierbar.
Die weiteren Untersuchungen werden zeigen, welche Erkenntnisse die Anwendung der ‚Form der Unterscheidung
mit zwei Seiten’ bringen. Entscheidend ist, dass die Spannung der beiden Seiten der Unterscheidung immer erhalten
bleibt.
Garten
Vegetation Architektur
Ich erinnere daran, dass ‚Garten’ bei diesen grundsätzlichen Überlegungen die ‚Landschaft’ mit einbezieht im Sinne
von: ‚Die Welt als Garten.’
Die Vegetation oder Pflanzenverwendung ist die eigentliche Substanz der Gartenkunst, die nur ihr ei-
gen ist.
Architektur in der Gartenkunst ist dagegen ein Teil, der sie mit anderen Kunstrichtungen verbindet und vergleichbar
macht, hauptsächlich mit der Baukunst und dem Städtebau. In der Avantgarde der gegenwärtigen Gartenkunst do-
miniert das Architektonische vor dem Gärtnerischen, auch deshalb ist es angebracht, die Unterschiede dieser beiden
Seiten zu untersuchen. Zunächst geht es also um die Vegetation, das Wachsende, Lebendige, um die Pflanzungen
als das Wesentliche der Gartenkunst, und zwar in dem Spannungsverhältnis des Wachsens unter dem Einfluss des
Menschen.
Vegetation
physis techne
Organismus
Organisation Struktur
Dieser Unterschied wird metaphorisch erläutert am Beispiel eines Stuhles (als zusammengesetzte Einheit): Beine,
Sitzfläche und Rückenlehne bestimmen die Organisation eines Stuhles. Wenn eines dieser Bestandteile fehlt, han-
delt es sich nicht mehr um einen Stuhl. Ob jedoch die Beine des Stuhls aus Stahl oder Holz, die Sitzfläche gepolstert
ist oder nicht, und ob er eine runde oder eckige Rückenlehne hat, ist für die Klassifizierung als Stuhl irrelevant. Dies
wird als Struktur des Stuhles bezeichnet. Die Struktur kann beliebig variieren, solange die Organisation aufrecht
erhalten bleibt. Wenn zum Beispiel die Beine zu dünn wären, würde die Organisation des Stuhles ‚zusammenbre-
chen’. 83
Die Organisation eines Organismus ist also das, was seine Klassenidentität bestimmt, während die Struktur je nach
Lebenslage variabel ist. „Eine dynamisch zusammengesetzte Einheit ist ... eine zusammengesetzte Einheit im Prozess
kontinuierlichen Strukturwandels, die gleichzeitig ihre Organisation aufrecht erhält.“ 84
Der Strukturwandel eines Organismus wird in seiner Ontogenese, zum Beispiel bei der Entwicklung einer Pflanze
vom Steckling bis zur erwachsenen Form, besonders deutlich sichtbar. Sofern die Pflanze ein entsprechendes
Regenerationsvermögen hat, wie zum Beispiel die Weide, bilden sich in den Blattachseln statt Blätter Wurzeln
und so aus den abgeschnittenen Trieben neue Pflanzen. – Wir werden sehen, dass in der Regel alle gärtnerische
Einwirkung ein Einwirken auf die Struktur ist, - direkt oder indirekt - und dass eine Veränderung der Organisation
das Absterben der Pflanze bedeutet.
Um diese Vorgänge zu verstehen, müssen die Einwirkungen auf die Struktur aber noch genauer betrachtet werden.
Dazu ist zunächst festzustellen, dass zu jedem Organismus essentiell seine Umgebung gehört. Maturana nennt den
Existenzbereich einer Einheit ihr Medium. Das geht zurück auf Üxkülls Lehre, nach der jeder Organismus seine
eigene Umwelt hat. Medien im Sinne Maturanas sind zum Beispiel der Wald, der See und das Feuchtgebiet.
Weiter ist wichtig, wie Maturana einen Organismus als lebendes System definiert: „Der Mechanismus, der Lebewesen
zu autonomen Systemen macht, [ist] die Autopoiese; sie kennzeichnet Lebewesen als autonom.“ (griech. autos =
selbst, poiein = machen)
... den Lebewesen ist eigentümlich, dass das einzige Produkt ihrer Organisation sie selbst sind, das
heißt, es gibt keine Trennung zwischen Erzeuger und Erzeugnis. Das Sein und das Tun einer autopoi-
etischen Einheit sind untrennbar, und dies bildet ihre spezifische Art von Organisation. 85
Eine weitere Feststellung ist, dass autopoietische Einheiten grundsätzlich geschlossene Systeme sind; sie bestimmen
ihre Ausdehnung, indem sie ihre Grenzen in „ihrem Bereich der Existenz [selbst] festlegen.“ 86 Geschlossenheit
bedeutet, dass sie nur solche Einflüsse zulassen, die mit ihrer Struktur vereinbar sind. „ Ein externes Agens, das mit
einer zusammengesetzten Einheit interagiert, löst ... in dieser einen Strukturwandel lediglich aus, kann diesen aber
nicht festlegen.“
Aber „ ... die Struktur einer zusammengesetzten Einheit [determiniert] auch, mit welchen strukturellen
Konfigurationen des Mediums sie überhaupt interagieren kann.“ 87 Maturana nennt die Interaktionen zwischen
Organismus und Medium, d. h. „ die Relationen der dynamischen strukturellen Übereinstimmung mit dem Medium,
durch die eine Einheit ihre Klassenidentität bewahrt“, strukturelle Kopplung oder auch Anpassung.88
Den „ Teil des Mediums, mit dem die Einheit strukturell gekoppelt ist,“ nennt er Nische.89 „Lebende Systeme ...
können ... nicht unabhängig von jenem Teil der Umgebung verstanden werden, mit dem sie interagieren: der
Vegetation
Pflanze Nische
Die Nische ist kein fester Teil des Mediums, sondern sie ändert sich korrelativ mit dem Organismus. So kann zum
Beispiel im Medium Wald ein junger Baum seine Nische dadurch verändern, dass er mit zunehmendem Alter den
Boden beschattet und mit seinem Laub eine Rohhumusdecke bildet. Oder eine Leguminose ‚gestaltet’ ihre Nische
durch die Bildung Stickstoff sammelnder Knöllchenbakterien. - Auch konkurrierende Pflanzen gehören zur Nische
eines Organismus. Vegetationen bestehen also nur aus Organismen und Nischen, d.h. jede Pflanze gehört zur Nische
der Nachbarpflanze und die Beziehungen zwischen beiden sind durch die strukturelle Kopplung bestimmt. Das
kann dazu führen, dass eine dominierende Art alle Nachbarn verdrängt, oder auch dass sich verschiedene Arten
‚vertragen,’ was dann ‚Pflanzengemeinschaft’ genannt wird. – Der wichtigste Teil der Nische ist aber der Boden, das
Substrat, in dem die Pflanze wurzelt und sich ernährt.
Als Beispiel für die Breitenwirkung Maturanas zitiere ich, wie Luhmann den Begriff „strukturelle Kopplung“ in
seiner Theorie verwendet:
Die strukturelle Kopplung ... bestimmt nicht, was im System geschieht, sie muss aber vorausgesetzt
werden, weil andernfalls die Autopoiese zum Erliegen käme, und das System aufhören würde zu exi-
stieren. Insofern ist jedes System immer schon angepasst an seine Umwelt.91
Auf die Vegetation bezogen, heißt das, die Autopoiese kann nur in einer für sie verträglichen Nische aufrechterhal-
ten werden.
Zwei Punkte aus Maturanas Theorie sind noch hervorzuheben: Der erste betrifft den Begriff ‚Determiniertheit.’
Der wird gerne mit ‚Gesetzmäßigkeit’ assoziiert und kommt der Vorstellung entgegen, dass alles nach ‚festen
Naturgesetzen’ abläuft. Dagegen sagt Maturana:
Die Struktur eines strukturdeterminierten Systems [wählt] zwar die Konfigurationen des Mediums
aus, mit denen es interagieren kann, alle seine Interaktionen mit von ihm unabhängigen Systemen
[entstehen] jedoch als Zufallsergebnisse [und können] nicht aus der Struktur des strukturdetermi-
nierten Systems allein vorhergesagt werden. 92 (Hvh. A.S.)
Man sieht heute (im Unterschied zu älteren Vorstellungen über „Naturgesetze“), dass die Stabilität von
Organismen ebenso wie von ökologischen „Gleichgewichten“ eine Vermeidung strikter Kopplungen
voraussetzt; oder mit anderen Worten: Robustheit beim Absorbieren von Störungen.93
Das Zufallsprinzip herrscht z. B. bei Brachflächen, die der Sukzession überlassen werden. Ihr Verlauf wird in erster
Linie von der Abundanz der natürlichen Fortpflanzung bestimmt, wenn unzählige Samen eine Nische finden oder
nicht finden, was zu jedem Zeitpunkt von den gerade herrschenden Verhältnissen unterschiedlichster Art abhängt.
Eine zusammengesetzte Einheit in ihrem Medium verhält sich wie ein Seiltänzer, der sich auf einem
Seil ... bewegt und sein Gleichgewicht erhält (seine Anpassung), indem er seine Gestalt (seine Struktur)
jeweils so verändert, dass sie mit den visuellen und den schwerkraftbedingten Interaktionen überein-
stimmt, die er beim Tanz auf dem Seil ausführen muss (während er seine Nische verwirklicht), und der
fällt, wenn dies nicht gelingt.94
Diese potentielle Labilität gilt es immer im Auge zu behalten, wenn wir mit Pflanzen umgehen.
2.1.1 Zusammenfassung
Die bisherige Betrachtung der biologischen Grundlagen führt in Bezug auf das Verhältnis von physis und techne zu
folgenden Feststellungen:
• Die Einwirkung von techne auf physis erfolgt überwiegend indirekt auf Medium und Nische der Organismen.
• Die Nische eines Organismus wird durch techne verändert. Das ist unschädlich, solange die strukturelle
Kopplung zwischen Nische und Organismus aufrechterhalten bleibt. Wenn dies nicht mehr der Fall ist, bricht
die Organisation des Organismus zusammen, d.h. er stirbt ab und andere siedeln sich in der so veränderten
Nische an.
• Solange die strukturelle Kopplung besteht, hat es für den Organismus keine essentielle Bedeutung, ob techne
auf die Nische einwirkt oder nicht. Die Pflanze ‚unterscheidet’ nicht, ob die Nährstoffe in der Nische originär
vorhanden waren oder ob sie ‚künstlich’ zugeführt wurden. Das Gleiche gilt zum Beispiel für das Wässern.
Für die Kartoffeln in der Lüneburger Heide ist es egal, ob das lebenswichtige Wasser vom Regen oder aus der
Bewässerungsanlage stammt.
• Es gibt also keine ‚künstliche’ Nische, sondern nur eine, mit der der strukturdeterminierte Organismus eine
optimale oder weniger optimale strukturelle Kopplung eingehen kann.
• In diesem Sinne ist also das Einwirken von techne auf physis grundsätzlich nicht ‚unnatürlich,’ solange die
Organisation der Organismen nicht beeinträchtigt wird.
• Da die Interaktionen zwischen Nische und Organismus dem Zufall unterliegen, sind auch die Folgen der
Einwirkung von techne dem Zufall unterworfen. Das erklärt die vielen Fehlschläge, die wir im Umgang mit
der ‚Natur’ erleben. Die Folgen unserer Eingriffe können wir zwar nach ihrer Wahrscheinlichkeit einschätzen
aber nicht als Gesetzmäßigkeit bestimmen.
• Für die einzelnen Organismen sind alle anderen, mit denen sie interagieren, Teil ihrer Nische, die durch diese
anderen positiv oder meistens negativ beeinflusst wird. ‚Pflanzengesellschaften’ oder ‚Ökosysteme’ sind also
keine „Zusammengesetzte Einheiten“ mit eigener Organisation und Struktur, sondern was so bezeichnet
wird, sind statistische Auffälligkeiten typischer Nischenbildung, die wie Gesetzmäßigkeiten erscheinen.
• Das heißt aber, dass „Natur“ heute immer als das Zusammenwirken von physis und techne zu sehen ist und
somit in unserer Verantwortung liegt. Das heißt aber auch, dass die Machbarkeit begrenzt ist und dass in der
Gartenkunst zum Wissen die Intuition, das Gefühl für das Nichtmachbare kommen muss.
Die erste ‚Manipulation’ der Natur vermutet Küster schon bei den Menschen der mittleren Steinzeit, die anscheinend
Haselnüsse in den Wäldern ausgesät haben. So „könnte man die so plötzliche und durchschlagende Ausbreitung
des Haselbusches in Mitteleuropa vor 9000 Jahren gut erklären.“ Das hieße, dass der Mensch bereits damals seine
Umwelt aktiv gestaltet hat „indem er ein Gehölz schonte, schützte oder gar pflanzte, weil er dadurch Nahrung ge-
winnen konnte,“ die auch im Winter zur Verfügung stand.97
Allgemein geht man in der Vorgeschichte davon aus, dass Die Lebensform der Jäger und Sammler in der „neoli-
thischen Revolution“ vom Ackerbau abgelöst wurde. Aber „es ist eines der größten Rätsel der Menschheits- und
Landschaftsgeschichte, wie sich dieser Wandel vollzog.“ Er hat „sich ... in Wirklichkeit nicht in einem revolutionären
Prozeß entwickelt, sondern Schritt für Schritt nach den Gesetzen der Evolution.“ 98
Nach meiner Auffassung dürfte der erste Schritt in dieser Evolution die Domestizierung von Wildtieren gewesen
sein. Vielleicht zuerst in den asiatischen Steppen, wo Nomaden ständig neue Weidegründe fanden. Hier hat sich
diese Lebensform der Hirten bis heute erhalten.
In den Waldgebieten Mitteleuropas war das Nahrungsangebot für die Herden wesentlich reicher als in den Steppen.
An den Rändern der Wälder boten Eicheln und Bucheckern ein nahrhaftes Futter für die Tiere. Gleichzeitig wei-
deten diese aber auch alles Laub von herunter hängenden Ästen, Büschen und Jungpflanzen ab. Das verhinderte
die natürliche Verjüngung der Wälder, die dadurch immer lichter wurden. Küster beschreibt eine weitere Form
der Waldnutzung, das „Schneiteln“. Dabei wurden im Sommer junge Zweige abgeschnitten, um sie im Winter
als Laubheu zu verfüttern.99 Auch durch die Entnahme von Nutzholz wurden die Wälder ausgelichtet. So ent-
standen „die typischen Hutewälder: lockere Bestände aus alten, sehr breitkronigen und grobästigen Eichen und
Buchen. Gerade die alten Bäume mit ihren großen Kronen lieferten aber eine besonders reiche Mast.“ 100 Diese
Wie kann sich ein evolutionärer Übergang zum Ackerbau vollzogen haben? Es liegt nahe, sich die vom Vieh gelich-
teten Wälder als Voraussetzung für die Anlage von Äckern vorzustellen. Ich habe kürzlich eine von Wildschweinen
aufgebrochene Waldblöße gesehen und war zuerst im Zweifel, ob hier nicht Maschinen am Werke waren. Die
Frauen in der Steinzeit werden beobachtet haben, dass auf solchen Flächen besonders üppige Kräuter wuchsen.
Sie begannen deshalb, in der Nähe ihrer Behausung den Boden mit den ersten primitiven Geräten zu lockern und
Kräuter auszusäen. Sie stellten auch fest, dass das Wachstum durch bestimmte Pflegemaßnahmen gefördert werden
konnte. So wurden die nicht nutzbaren konkurrierenden Kräuter – Unkräuter - entfernt und zu dicht stehende
Nutzpflanzen vereinzelt.
Die im Laufe der Zeit gesammelten Erfahrungen führten bald dazu, den Boden bei Trockenheit zu wässern und im
Frühjahr zu düngen. Vor allem aber mussten die Pflanzflächen mit Weidengeflecht eingefriedet werden, um sie vor
Wildfraß zu schützen. So war der ‚Urgarten’ entstanden! Diese techne der Vereinzelung von Pflanzen gehört neben
der Herstellung von Werkzeugen, dem Gebrauch des Feuers und der Domestizierung von Wildtieren zu den wich-
tigsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte.
Auch Marie Luise Gothein sieht die „Anfänge aller Gartenkultur ... mit der Seßhaftigkeit der Völker“ zusam-
menfallen; „sobald ... die erste Frucht, mit der Hacke bestellt, den Menschen zwingt, sich in festen Wohnplätzen
anzusiedeln, muß er seinen Fruchtplatz mit einem Zaun umgeben, ... . Wenn wir also diesen primitiven Garten
... im Gegensatz zu dem freien Feld ansehen, so ist der Garten das Frühere gegenüber der Bewirtschaftung des
Feldackers, die erst in einem Lande, in dem die allgemeine öffentliche Sicherheit schon die Fluren schützt, sich
entfalten kann.“101
Erst durch die Verbesserung der Geräte für die Bodenlockerung und durch erste Züchtungen von Getreidearten wird
sich der Ackerbau entwickelt haben. Die Waldweide und die darauf folgende Ausweitung der Ackerflächen war ein
dynamischer Prozess, der sich bis in die Neuzeit fortgesetzt hat. Noch eine vor 250 Jahren aufgenommene Flurkarte
einer Sachsenwaldgemeinde zeigt den zerfransten Übergang zwischen diesen unterschiedlichen Wirtschaftsflächen:
In jüngerer Zeit hat dann die überhand nehmende Entnahme von Nutzholz zur Bildung von Buschländern und
Heiden geführt. Die an manchen Stellen noch vorhandenen Hutewälder geben uns aber noch ein anschauliches Bild
von einer Landschaft, wie sie über Jahrtausende in Mitteleuropa bestanden hat.
In Dörfern, in denen der Wald schon weiter zurückgedrängt war, wurden Weiden hinter den Höfen angelegt, um
das Milchvieh zum Melken in der Nähe zu haben und ebenso Heuwiesen für das Winterfutter. So waren die vier
Grundelemente entstanden, aus denen unsere Landschaft bis heute besteht: Die Gärten, die Äcker, die Wiesen und
Weiden, und die Wälder, hervorgegangen aus den Hutewäldern und dem Urwald, der vorher da war.
Aus der bisherigen Darstellung ist nur erkennbar, dass der menschliche Einfluss auf die Natur – techne / physis – sehr
früh eingesetzt hat. Er war die Voraussetzung für die Evolution des modernen Menschen und ist zu seiner zweiten
Natur geworden. Insofern ist diese diachronische Betrachtung eine wichtige Grundlage für die Beurteilung unseres
heutigen Naturverhältnisses. Sie zeigt, dass die ‚Aneignung der Natur’ untrennbar zum Wesen der Spezies Mensch
gehört.
techne
Einwirkung auf die Pflanze Einwirkung auf die Nische
Die erste bezieht sich auf die direkte Manipulation der Struktur der Pflanzen. Die Wichtigste ist der Pflanzenschnitt.
Küster führt das Schneiden von Gehölzen in der Gartentechnik auf das Schneiteln zur Laubheugewinnung zurück.102
Es ist also auch eine uralte Technik. Es gibt Pflanzen, die jeden Schnitt ‚vertragen,’ aber auch andere, die nicht diese
Regenerationsfähigkeit haben, und deren Organisation zerbricht, wenn sie zu stark beschnitten werden. Bei Linden
z. B. sind der technische Vorgang und seine Folgen eindeutig. Die verbleibenden Knospen treiben wieder aus und
die Pflanze wächst weiter. Wenn sie nicht mehr beschnitten wird, entwickelt sich in der Folge ein normaler Baum,
Das Pflanzen und Schneiden von Hecken hatte zunächst als Beeteinfassung einen funktionellen Grund. Der
Pflanzenschnitt im Barock hat jedoch eine tiefere Bedeutung. Es ist nicht nur der Einfluss der Architektur und die
Gleichsetzung der Pflanze mit dem Stein als Material, sondern durch den Schnitt soll der Garten nicht altern. Der
Barockgarten ist ein Symbol für die Zeitlosigkeit. Eine Parallele besteht zu der kosmetischen Mode dieser Zeit, über
die der Kunsthistoriker Werner Kloos schreibt:
Puder wurde angewendet, weil er die Spuren des Älterwerdens, die Zeichen der Vergänglichkeit, die
grauen Haare zu verdecken vermochte. ...Nicht nur alternde Menschen puderten ihr Haar, sondern
auch die jungen Leute, sogar die Kinder. Da alle grau gepuderte Köpfe trugen, waren Altersunterschiede
nicht mehr genau wahrzunehmen. ... und die Greisinnen lächelten mit scheinbar faltenlosem Antlitz
und kirschroten Lippen.104
Genau so ewig jung war der Barockgarten, und so lässt er sich auch wieder rekonstruieren, was ihn zu einem be-
liebten Objekt der Gartendenkmalpflege macht. - So ein tieferer Sinn ist in der heutigen Mode des Pflanzenschnitts
wohl nicht zu erkennen. Der einzige Grund scheint zu sein, ‚Naturalismus’ zu vermeiden.
Der andere Einfluss der techne richtet sich auf das Medium oder die Nischen der Vegetation. Zur Nische gehören
einerseits der Boden, das Substrat und zum anderen die jeweiligen Konkurrenten.
Nische
Boden Konkurrenten
Die Bodenbearbeitung war die Voraussetzung für die Entstehung des Urgartens und ist immer noch wichtig-
ste Grundlage der Kulturlandschaft. - In den 40ger und 50ger Jahren war die Erhaltung der Bodengare und der
Wasserkapazität ein wichtiges Thema in der Bodenkunde. In der Praxis des Landschaftsbaus wurde dies mit dem
Einsatz immer schwererer Maschinen stark vernachlässigt. Es gewinnt aber wieder an Bedeutung, vor allem durch
die Naturgartenbewegung.
Andere Ziele verfolgt eine gegensätzliche Form dieses Einflusses: Die Schaffung von Extremstandorten. Dabei wird
z.B. mit hohem materiellen Aufwand Mutterboden abgeschoben, um Trockenrasen zu erzeugen, oder Wiesenflächen
künstlich vernässt, um Wiesenvogel-Biotope zu schaffen. – Eine extreme Art der Nischengestaltung ist auch die
Arbeitsweise von Le Roy, wenn er zum Beispiel Bauschutt in seine Anlagen einbringt
Ebenso zur Nische gehören auch die jeweiligen Konkurrenten. Die Reduzierung derselben ist eine wichtige
Nischen-Behandlung. Ob Rübenacker, Blumen- oder Staudenbeet: ihr Prinzip ist die Vereinzelung der Nutzpflanzen
und die Bekämpfung der Konkurrenten – des Unkrauts – oder in Staudenbeeten die Vermeidung von aggressiven
Ausläufer treibenden Stauden. - Auch durch Mulchen mit organischen und anorganischen Substraten wird die
Unkrautbekämpfung praktiziert, was gleichzeitig eine positive Wirkung auf die Bodengare hat. – Diese Art der
Kultivierung der Nutzpflanzen und das Prinzip der Optimierung durch Ausschaltung der Konkurrenten bestehen
ebenfalls seit der Erfindung des Urgartens, sind eine archetypische Prägung.
In der Natur ist der Konflikt ständig präsent. Sobald man anfängt, einen Garten zu bewirtschaften,
wird man feststellen, dass jedes kleine Pflänzchen ein Imperialist ist, der seinen Grund behaupten will.
Harmonie ist jene unsichere Balance zwischen verschiedenen Elementen.105
Interessante Beispiele für Pflanzungen, die - nach diesen Prinzipien ausgeführt -, eine ganz neue Gartenästhetik
kreieren, sind die von Wolfgang Oehme in Amerika und neuerdings auch in Sachsen oder die von Petra Pelzer
unter anderen in Magdeburg.106 Auch am Hermannshof in Weinheim wird seit den 80ger Jahren in dieser Richtung
experimentiert von Hans Lutz, Urs Walser und Richard Hansen, woraus sich der „German New Style“ ent-
wickelt hat. „Im Ausland wurde die Methode berühmt als ‚German Gardening.’ “ 107
Eine weitere Alternative zur Einzelpflanzung besteht darin, Konkurrenzstarke und langlebige Arten in Monokultur
zu verwenden, in der Praxis Bodendecker oder Rasenersatzpflanzen genannt. Das sind z. B. Pachysandra, Evonymus
radicans, manche Geranien und andere. Im Botanischen Garten in Berlin zeigte uns Jelitto 1953 eine Fläche mit
Waldsteinia ternata, die nach seiner Angabe seit 50 Jahren bestand. Es könnte sein, dass sie heute noch existiert.
Als Monokultur kann man auch die normalen Rasenflächen bezeichnen. Durch das ständige Mähen werden alle
Pflanzen außer den Gräsern unterdrückt und was den Messern der Mähmaschine entgeht, wie z. B. Bellis perennis,
wird notfalls mit Herbiziden beseitigt. Dies ist ein Beispiel für eine intensive techne.
Pflanzen
vereinzelt vergesellschaftet
Pflanzung
dynamisch statisch
Eine wichtige Unterscheidung für das Einwirken von techne ist, ob es sporadisch oder kontinuierlich erfolgt.
Kontinuierlich nenne ich die Eingriffe, die in regelmäßigen Zeitabständen erfolgen, zum Beispiel die Wiesen- und
Rasenmahd und die Pflege von Biotopen. Sie bewirken oft die Bildung scheinbar stabiler Pflanzengesellschaften, die
sich aber sofort verändern, wenn der Rhythmus der Pflege unterbrochen wird; ein Problem, mit dem der Naturschutz
ständig zu kämpfen hat. Gerade die kontinuierliche Einwirkung erzeugt Naturstücke, bei denen techne oft als Blinder
Fleck unerkannt bleibt. So ist in der Pflanzensoziologie, die sehr viel zum Naturverständnis beigetragen hat, von der
menschlichen Einwirkung, die eine Bildung bestimmter Pflanzengesellschaften erst ermöglicht, kaum die Rede. Mir
ist dies erst durch Gernot Böhmes Begriff der „sozial konstituierten Natur“ bewusst geworden.108
techne
kontinuierlich sporadisch
... das recht gedachte „Feststellen“ der Wahrheit [kann] keineswegs dem „Geschehenlassen“ zuwider-
laufen. Denn einmal ist dieses „Lassen“ keine Passivität, sondern höchstes Tun ... im Sinne der Thesis,
ein „Wirken“ und „Wollen“109
Und damit kommt eine neue Kategorie des Naturbewusstseins in den Blick, die in der Neuzeit immer mehr an
Bedeutung gewinnt, nachdem die Möglichkeiten der Menschheit, Natur zu verändern, extreme Formen angenom-
men haben. Neben dem Jahrtausende alten ‚Handlungszwang’, der von der Arbeit im ‚Urgarten’ bestimmt war und
ist, tritt als völlig neues Prinzip das ‚Lassen’. Als ‚Form der Unterscheidung’
techne
Tun Lassen
sind die beiden Seiten in allen Handlungskonzepten nicht zu trennen, sie sollten aber als Handlungsleitung immer
bewusst sein.
Schon der Übergang vom Französischen zum Englischen Garten war der geistige Wandel vom Tun zum Lassen. Das
„Zurück zur Natur“ hieße dann: Wachsen lassen oder: Mehr wachsen lassen, denn auch diese Unterscheidung ist
eine skalierte; auch hier bewegt man sich an den Endpunkten der Skala in fragwürdigen Extremen.
Ein markanter Vorgang des Lassens war, als wir Ende der 70ger Jahre einige Rasenflächen in Grünanlagen nur noch
zweimal im Jahr mähten. Als sich danach die ersten Bellis- und Veronika-Teppiche bildeten, war der Charakter
dieser Anlagen völlig verändert. Der Erfolg derartiger Versuche war aber nicht immer erfolgreich. Es braucht eben
immer techne, wissendes Handeln. - Protagonisten dieser Bewegung in der extremen Form waren manche Vertreter
der Naturgarten-Bewegung, wie Le Roy und andere. Entscheidendes ‚Lassen’ in Bezug auf die ‚Welt als Garten’ ist
die Schonung der Regenwälder.
Heute schlägt der Zeiger bei den tonangebenden Vertretern der Profession wieder stark auf die Tun-Seite aus. Aber
auch die meisten Maßnahmen des Naturschutzes sind motiviert vom Machen.
Hilfe finde ich in Heideggers Abhandlung „Der Ursprung des Kunstwerks“ aus dem Jahre 1935.110 Ich kann zwar die
Gedankengänge Heideggers nur oberflächlich nachzeichnen – letztlich muss man alles im Zusammenhang lesen,
um zum vollen Verständnis zu kommen – aber ich will versuchen, das heraus zu stellen, was für die Gartenkunst
wesentlich ist. Es wird sich zeigen, dass das was ich bisher etwas vordergründig und abstrakt dargestellt habe, bei
Heidegger an Tiefe und Substanz gewinnt.–.
Auch Heidegger entwickelt seine Erkenntnisse aus Unterscheidungen. So bezeichnet denn auch Oliver Jahraus
Heidegger als den „Vorläufer jener Differenzphilosophie von Dekonstruktion und Systemtheorie ..., die im späten
20. Jahrhundert wichtig wird.“ Also die von Adorno, Gadamer, Derrida, Luhmann und anderen.111
Der Baum und das Gras, der Adler und der Stier, die Schlange und die Grille gehen erst in ihre abge-
hobene Gestalt ein und kommen so als das zum Vorschein, was sie sind. Dieses Herauskommen und
Aufgehen selbst und im Ganzen nannten die Griechen frühzeitig die physis. (28) 112
Das entspricht der Übersetzung, die wir von Schadewald kennen. Den Begriff techne verwendet Heidegger dagegen
in einem engeren Sinne:
So üblich und einleuchtend der Hinweis auf die von den Griechen gepflogene Benennung von
Handwerk und Kunst mit demselben Wort techne auch sein mag, er bleibt doch schief und oberfläch-
lich; denn techne bedeutet weder Handwerk noch Kunst und vollends nicht das Technische im heutigen
Sinne, meint überhaupt niemals eine Art von praktischer Leistung.
Das Wort techne nennt vielmehr eine Weise des Wissens. Wissen heißt gesehen haben, in dem weiten
Sinne von sehen, der besagt: vernehmen des Anwesenden als eines solchen. Das Wesen des Wissens
beruht für das griechische Denken in der aletheia, d. h. in der Entbergung des Seienden. Die techne ist ...
insofern ein Hervorbringen des Seienden, als es das Anwesende als ein solches aus der Verborgenheit
her eigens in die Unverborgenheit seines Aussehens vor bringt; techne bedeutet nie die Tätigkeit eines
Machens. (46f)
An dieser Stelle ist weise ich auf eine Querverbindung zu Derrida hin, wodurch eine Verwandtschaft zwischen
techne und différance deutlich wird: Derrida stellt den „sekundären und vorläufigen Charakter des Zeichens infra-
ge,“ um ihm „eine ‚ursprüngliche’ différance entgegenzusetzen,“ was zur Folge hätte, dass man
die Autorität der Anwesenheit oder ihres einfachen Gegenteils, der Abwesenheit oder des Fehlens, in-
frage stellt. Erfragt wird somit die Grenze, die uns immer schon gezwungen hat, ... den Sinn von Sein
überhaupt als Anwesenheit oder Abwesenheit in den Kategorien des Seienden oder der Seiendheit ...
zu gestalten. Offenkundig ist die Frage, auf die wir damit zurückkommen, von Heideggerschem Typus,
und die différance scheint uns auf die ontisch-ontologische Differenz zurückzuführen.114
Derridas Abwesenheit und Anwesenheit „in den Kategorien des Seienden“ entspricht der Verborgenheit und
Unverborgenheit des Seienden bei Heidegger. –
Ich kehre zu Heidegger zurück: Dieser modifiziert im Weiteren die Bedeutung von physis und ersetzt es durch ein
anderes Wort:
Sie [die physis] lichtet zugleich jenes, worauf der Mensch sein Wohnen gründet. Wir nennen es die Erde.
Von dem, was das Wort hier sagt, ist sowohl die Vorstellung einer abgelagerten Stoffmasse als auch die
nur astronomische eines Planeten fernzuhalten. Erde ist das, wohin das Aufgehen alles Aufgehende
und zwar als ein solches zurückbirgt. Im Aufgehenden west die Erde als das Bergende. (28)
Im Gegensatz zu physis meint Erde also nichts Gegenständliches oder Stoffliches. Physis bezog sich auf den gesamten
Bereich der Vegetation, Garten, Landschaft, Biotop und so weiter. Erde bezieht Heidegger allein auf das Kunstwerk.
Der Begriff erscheint zunächst abstrakt und geheimnisvoll. Rüdiger Safranski deutet ihn als „die undurchdringli-
che, sich selbst genügende Natur.“115
‚Erde’ wird nun auch nicht, wie physis, von techne unterschieden, sondern ein anderes Wort eröffnet einen neuen
Horizont von Bedeutungen: Die Welt. Der Kontext oder das Medium dieser Unterscheidung ist das Kunstwerk,
Heidegger sagt kurz: „das Werk“. Wir können stattdessen auch jeweils „das Gartenkunstwerk“ sagen.
Werk
Erde Welt
Diese Unterscheidung hat durchaus Ähnlichkeit mit der Unterscheidung physis / techne im Kontext Vegetation. Aber
sie bezieht sich nur auf die Vegetation, die im Kunstwerk aufgeht. Es ist deshalb nicht äußerlich, dass Heidegger neue
Begriffe wählt. In diesen bleiben jedoch die Begriffe physis und techne als ‚Spur’ enthalten.
Dieses Begriffspaar Erde und Welt soll nun den „Ursprung des Kunstwerks“ erhellen:
113 Wenn ich bisher den Begriff ‚techne’ auch im Sinne von ‚poein’ gebraucht habe, dann bezog ich mich auf
die Deutung von Schadewald. (s. Anm. 44). Eine eindeutige Unterscheidung dieser beiden Begriffe ist wohl nicht
möglich.
114 Derrida, (2004), 120f.
115 Safranski (1995), 346.
Welt ist nicht die bloße Ansammlung der vorhandenen abzählbaren oder nicht abzählbaren, bekann-
ten und unbekannten Dinge. Welt ist aber auch nicht nur eingebildeter, zur Summe des Vorhandenen
hinzu vorgestellter Rahmen. Welt weltet und ist seiender als das Greifbare und Vernehmbare, worin wir
uns heimisch glauben. Welt ist nie ein Gegenstand, der vor uns steht und angeschaut werden kann.
Welt ist das immer Ungegenständliche, dem wir unterstehen, solange die Bahnen von Geburt und Tod,
Segen und Fluch uns in das Sein entrückt halten. (30f)
Das Werk, wie es vor uns steht, ist etwas Gegenständliches. Das was Heidegger „Welt“ nennt könnte missverstan-
den werden, denn Welt im üblichen Sinne ist alles, was uns umgibt. Deshalb grenzt er sie ab gegen „die bloße
Ansammlung“ der Dinge . „Welt ist das immer Ungegenständliche.“ Man kann sagen: das, was der Künstler aus-
drücken will und der Rezipient aufnimmt. Aber:
... indem [das Werk] eine Welt aufstellt, [läßt es] den Stoff nicht verschwinden, sondern allererst her-
vorkommen und zwar im Offenen der Welt des Werkes: der Fels kommt zum Tragen und Ruhen ...; die
Metalle kommen zum Blitzen und Schimmern, die Farben zum Leuchten ... (32)
Damit ist die Wirkung des Werkes beschrieben. Der Stoff verändert im Werk seinen Charakter, etwa im Unterschied
zu seiner Betrachtung im Alltag oder in der Wissenschaft.
Das Wesen des Werkes lässt sich aber nur im Zusammenwirken der unterschiedenen Seiten ‚Erde’ und ‚Welt’ ver-
stehen.
Wohin das Werk sich zurückstellt und was es in diesem Zurückstellen hervorkommen läßt, nannten
wir die Erde. Sie ist das Hervorkommend-Bergende. Die Erde ist das zu nichts gedrängte Mühelose-
Unermüdliche. Auf die Erde und in sie gründet der geschichtliche Mensch sein Wohnen in der Welt.
Indem das Werk eine Welt aufstellt, stellt es die Erde her. Das Herstellen ist hier im strengen Sinne des
Wortes zu denken. Das Werk rückt und hält die Erde selbst in das Offene einer Welt. Das Werk lässt die
Erde eine Erde sein. (32) ...
Diese Herstellung der Erde leistet das Werk, indem es sich selbst in die Erde zurückstellt. Das
Sichverschließen der Erde aber ist kein einförmiges, starres Verhangenbleiben, sondern es entfaltet
sich in eine unerschöpfliche Fülle einfacher Weisen und Gestalten. Zwar gebraucht der Bildhauer den
Stein so, wie nach seiner Art auch der Maurer mit ihm umgeht. Aber er verbraucht ihn nicht. Zwar
gebraucht auch der Maler den Farbstoff, jedoch so, dass die Farbe nicht verbraucht wird, sondern erst
zum Leuchten kommt. (34)
Und ich füge hinzu: „Zwar gebraucht der Gartenkünstler die Pflanze so, wie nach seiner Art auch der Gärtner mit
ihr umgeht, aber er verbraucht sie nicht, sondern bringt sie erst zum Blühen und Wirken.“
Nun ist klar, warum Heidegger ‚Erde’ statt ‚physis’ sagt: Physis umfasst alles, auch das, mit dem sich die Praxis
und die Wissenschaft befassen. Erde dagegen gehört zum Werk. Der Gärtner kultiviert Pflanzen, aber erst im
Gartenkunstwerk kommen sie zum Wirken.
Die Begriffe Erde und Welt gebrauchte schon Paul Klee 1916, als er die Wesensart seines Freundes Franz Marc mit
seiner eigenen verglich: „Marc ist menschlicher, ... wärmer, der Erdgedanke steht bei ihm vor dem Weltgedanken
und das Faustische ist ihm selbstverständlich. Sich selbst empfindet Klee im Gegensatz zu Marc als Neutralgeschöpf,
der Erdgedanke trete bei ihm vor dem Weltgedanken zurück, und das Faustische liege ihm fern. Er nehme ei-
nen entlegenen Schöpfungspunkt ein, wo er Formeln voraussetze für Mensch, Tier, Pflanze, Gestein und für die
Elemente, Kunst aber sei ein Schöpfungnsgleichnis.“ 116
Ich sehe hier eine große Ähnlichkeit mit den Gedanken Heideggers. Es ist auch ein Beispiel für bestehende innere
Zusammenhänge im Unterschied zu oberflächlichen Vergleichen zwischen einzelnen Kunstgattungen, zum Beispiel
Gartenkunst und bildender Kunst.
In seinem Buch „Wälder“ beschreibt Robert P. Harrison - offensichtlich von Heidegger beeinflusst - Frank Lloyd
Wrights ‚Haus am Wasserfall’, das uns daran erinnere,
daß die Erde dazu neigt, sich in sich zu verschließen oder sich in ihre Einschließung zurückzuziehen,
und daß die Erde kein Schutzraum werden kann, wenn sie nicht durch menschliche Aneignung entfal-
tet oder enthüllt wird. Mittlerweise ist klar geworden, dass Aneignung nicht Besitznahme oder Erwerb
bedeutet, sondern die Enthüllung von Freiheit im Raum des Wohnens.117
Ebenso lesen wir bei Heidegger: „Auf die Erde ... gründet der geschichtliche Mensch sein Wohnen in der Welt.“ (s.
o.)
Ich will nun versuchen, das Verhältnis von Erde und Welt konkret in Bezug auf die Gartenkunst nachzuzeichnen.
Ich gehe aus von ihrer Substanz, der Vegetation, der physis. Diese wurde eingangs biologisch, wissenschaftlich nach
Maturana beschrieben. Nun besteht wohl Einvernehmen darüber, dass bei allen Erkenntnissen der Wissenschaft
über die Funktionen der Organismen, das Geheimnis des Lebens selbst nicht bekannt ist, was auch Martin Seel
zum Ausdruck bringt: „soviel [der Mensch] mit dem Werden der Natur machen kann, er kann das Werden der Natur
nicht machen.“118
Hier setzt Heidegger an mit dem Begriff ‚Erde.’ Erde ist das uns Verborgene, Geheimnisvolle. - Für die Romantiker
war es das Suchen nach der ‚Blauen Blume.’ - Das Wesen der Kunst ist der Versuch, in dieses Geheimnis einzu-
dringen. Das geschieht, indem das Werk eine Welt aufstellt. Allgemein muss man wohl von ‚Welten’ sprechen.
Die Voraussetzung für die Welt der Gartenkunst ist zunächst alles, was wir bisher über sie wissen: die biologischen
Grundlagen der Vegetation, das Geschichtliche seit dem Urgarten, ihr Verhältnis zur Gesellschaft und zu den ande-
ren Künsten, die Bedingungen ihrer Wahrnehmung, ihre Wirkung auf unsere seelische Verfassung und so weiter.
Nur mit diesem Wissen kann es gelingen, in das Geheimnis der Erde einzudringen.
Wie kann dieses Eindringen geschehen? Erde und Welt, als die zwei Seiten einer Unterscheidung sind durch eine
Grenze getrennt, die man kreuzen muss, um von einer Seite auf die andere zu gelangen. Es gibt keine Vermischung,
Synthese oder Ähnliches. Und doch ist das Verhältnis zwischen beiden ein inniges. Heidegger hat dies auf seine
Weise anschaulich gemacht.
Die Welt, also die geistige Grundlage des Werkes, will also das Verschlossene der Erde in die Unverborgenheit, die
aletheia, die Wahrheit bringen.
Die Einrichtung der Wahrheit ins Werk ist das Hervorbringen eines solchen Seienden, das vorher noch
nicht war. ...Wo die Hervorbringung eigens die Offenheit des Seienden, die Wahrheit, bringt, ist das
Hervorgebrachte ein Werk. Solches Hervorbringen ist das Schaffen. (50)
Ein Hervorbringen dessen, ‚das vorher noch nicht war,’ heißt, dass ein Werk etwas enthält, das unser Bewusstsein
erweitert, unsere ‚Welt’ bereichert. Gartenkunst als ‚Werk’ soll so gesehen das Bewusstsein unseres
Verhältnisses zur Natur erweitern.
Wie geschieht nun aber die Einrichtung der Wahrheit ins Werk? Dies ist die Kernfrage:
Die Wahrheit richtet sich ins Werk. Wahrheit west nur als der Streit zwischen Lichtung und
Verbergung in der Gegenwendigkeit von Welt und Erde. Die Wahrheit will als dieser Streit
von Welt und Erde ins Werk gerichtet werden. Der Streit soll in einem eigens hervorzubringenden
Seienden nicht behoben, auch nicht bloß untergebracht, sondern aus diesem eröffnet werden. Dieses
Seiende muss daher in sich die Wesenszüge des Streites haben. In dem Streit wird die Einheit von
Welt und Erde erstritten. ... Die aufgehende Welt bringt das noch Unentschiedene und Maßlose zum
Vorschein und eröffnet so die verborgene Notwendigkeit von Maß und Entschiedenheit.
Indem aber eine Welt sich öffnet, kommt die Erde zum Ragen. Sie zeigt sich als das alles Tragende, als
das in sein Gesetz Geborgene und ständig sich Verschließende. Welt verlangt ihre Entschiedenheit und
ihr Maß und läßt das Seiende in die Offenheit ihrer Bahnen gelangen. Erde trachtet, tragend-aufragend
sich verschlossen zu halten und alles ihrem Gesetz anzuvertrauen. Der Streit ist kein Riß als das
Aufreißen einer bloßen Kluft, sondern der Streit ist die Innigkeit des sich Zugehörens der
Streitenden. Dieser Riß reißt die Gegenwendigen in die Herkunft ihrer Einheit aus dem einigen [!]
Grunde zusammen. Er ist Grundriß. Er ist Auf-riß, der die Grundzüge des Aufgehens der Lichtung
des Seienden zeichnet. Dieser Riß ... bringt die Gegenwendigen von Maß und Grenze in den einigen
Umriß. (50f)
Wenn man diese Gedankengänge mit dem abstrakten Kalkül Spencer-Browns vergleicht, ist es, als wenn dieser
plötzlich mit ‚Leben’ erfüllt wird. Die ‚gegenwendigen Erde und Welt’ sind die ‚zwei Seiten einer Unterscheidung.’
Das ‚Kreuzen der Grenze’ ist bei Heidegger ein ‚Streit’. Ich habe oben bereits auf den skalierten Charakter der
‚Unterscheidung mit zwei Seiten’ hingewiesen, und dass das Finden des ‚richtigen’ Punktes auf dieser Skala ent-
scheidend ist. Mit dem Begriff des Streites rührt Heidegger an das Wesen jeglicher Kunst. - Hier ist daran zu erin-
nern, dass auch die ‚Grenze’ Spencer-Browns keine Trennung bedeutet, sondern nur der Befehl ist , jeweils nur die
eine oder die andere Seite der Unterscheidung zu beobachten. Aber in der Kunst ist es mit dem Beobachten allein
nicht getan. Das ‚richtige’ Verhältnis der beiden Seiten zueinander muss erstritten werden. – Für Heidegger ist die
Grenze keine Kluft, sondern ein ‚Riss’. Dieser Riss reißt aber nichts auseinander, sondern er ist ein Umriss, der das
In der Gartenkunst geht dieser ‚Streit’ auch um die Eigenwüchsigkeit der Vegetation im Verhältnis zu ihrer
Dienlichkeit für den Menschen, um das Verhältnis von physis zu techne und vor allem um Tun und Lassen. Die
Geschichte der Gartenkunst ist die Entwicklung dieses Streites. Und je stärker sich der Mensch von der Natur eman-
zipiert hat, umso mehr braucht er die ‚Welt als Garten’ zur Kompensation seiner selbst vollzogenen Naturferne.
Die heutige tonangebende Gartenkunst hat in diesem Streit kapituliert und folgt nur dem ‚Tun-Prinzip’; das Prinzip
‚Lassen’ – Wachsen-Lassen – gilt als naturalistisch, als unkünstlerisch.
Auch Martin Seel sieht die Unterscheidung physis / techne als Grundlage unseres ästhetischen Naturverhältnisses:
Das Wissen, dass das, was wir als äußere Natur ansprechen, vielfach artifiziell geprägt ist, [hindert uns]
nicht daran, die Gegenstände dieser Natur vom bloßen Artefakt und das Geschehen dieser Natur vom
zielgerichteten Handeln zu unterscheiden. Unser ästhetischer Sinn für die Schönheit der Natur
basiert auf dieser Unterscheidung. ...
Ästhetisch interessant ... ist Natur wegen ihrer nicht vom Menschen bewirkten Prozessualität, we-
gen der Selbständigkeit und Veränderlichkeit ihrer Gestaltungen, wegen der ungelenkten Fülle der
Erscheinungen, die sie unseren Sinnen darbietet. ...
... Der Ästhetische Sinn für Natur ist ein Erzeugnis der menschlichen Lebensform, aber ein durchaus
paradoxes. Denn das Gefallen am Naturschönen ist ein Gefallen daran, dass nicht alles Menschenwerk,
nicht alles menschliche Formung, nicht alles sinnhafte Setzung ist. Die Erfahrung des Naturschönen ist
eine Erfahrung positiver Kontingenz.120 (Hvh. A.S.)
• Die Pflanze ist eine autopoietische Einheit in struktureller Kopplung mit ihrer Nische.
• Wie immer auch physis durch techne beeinflusst wird, sie bleibt immer physis,
• Diese Erkenntnis ist die Voraussetzung für die Anwendung der ‚Form der Unterscheidung mit zwei Seiten’:
physis / techne
• Der menschliche Einfluss auf die Natur ist Triebfeder der Evolution der Spezies Mensch.
• Die Intensität des Einflusses von techne auf physis ist skaliert. Welcher Punkt auf dieser Skala eingenommen
wird, ist nicht beliebig, sondern ist Teil der künstlerischen Entscheidung.
• In diesem Zusammenhang ist ein neues Paradigma unseres Natureinflusses zu sehen: das ‚Lassen.’
119 In der oberflächlichen Diskussion um den Dekonstruktivismus wird der ‚Riss’ eher als eine Spaltung, eine
Kluft gedeutet und ‚wörtlich’ genommen. - Siehe z. B.: Krebs, (2002), 2.
120 Seel, (1996), 228
• Die Bezugnahme auf Heideggers ‚Ursprung des Kunstwerks’ sollte die Besonderheit der Gartenkunst im
Vergleich zu den anderen Künsten herausstellen. Wenn Heidegger die Gartenkunst auch nicht explizit an-
spricht, so kann man doch jeden Satz direkt auf sie beziehen.
Artefakt
Funktion Schmuck
Ausnahmen sind autonome Kunstwerke die keine Funktion in diesem Sinne erfüllen. Für die Bau- und Gartenkunst
ist diese Unterscheidung dagegen essentiell.
In der Kunsttheorie wird sie hauptsächlich in Bezug auf die Architektur behandelt, weshalb ich diese als Grundlage
meiner ersten Betrachtung nehme. Zunächst geht es um eine Begriffsbestimmung.
Im Diskurs über moderne Architektur hat, in Bezug auf diese Unterscheidung der Satz: ‚form follows function’
Furore gemacht. Der Begriff ‚Form’ ist aber zu abstrakt, um die Problematik der Bau- und Gartenkunst zu behan-
deln; er könnte in dieser Arbeit auch mit der ‚Form’ Spencer-Browns verwechselt werden. Ich suche deshalb einen
anderen Begriff mit entsprechender Bedeutung.
Ich entnehme ihn einem anderen Satz, der im Architektur-Diskurs ebenso folgenreich war, dem Verdikt von Adolf
Loos: „Ornament ist Verbrechen.“ Das mag befremdlich klingen, ist doch der Begriff ‚Ornament’ hier absolut ne-
gativ besetzt. Deshalb soll die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs und ihre Pervertierung herausgestellt werden:
den Ursprung der Kunst ... im Ornament zu vermuten. Man könnte einen Vergleich wagen: Was für die
Evolution der Gesellschaft die Evolution von Sprache bedeutet, ist für die Evolution des Kunstsystems
die Evolution des Ornamentalen; in beiden Fällen langdauernde Vorarbeit mit dann schließlich erup-
tiven Konsequenzen, wenn einmal die Kommunikation so in sich selbst gesichert ist, dass Grenzen
erkennbar werden. Aber zunächst wird nicht die Differenz von Ding und Verzierung betont, sondern
gerade die Einheit, die Hervorhebung der Bedeutung. „Kosmos“ im griechischen Verständnis ist zu-
gleich Ordnung und Schmuck.121
Einen ähnlichen Ansatz finden wir bei Hans-Georg Gadamer, der zwar die Ausdrücke Dekoration und Schmuck
benutzt, was aber das Gleiche wie Ornament meint:
Der Begriff der Dekoration [muss] aus dem Gegensatz zu dem Begriff der Erlebniskunst herausgelöst
werden und in der ontologischen Struktur der Darstellung, die wir als die Seinsweise des Kunstwerks
herausgearbeitet haben, seinen Grund finden. Man hat sich nur dessen zu erinnern, dass das
Schmückende, das Dekorative, seinem ursprünglichen Sinne nach das Schöne schlechthin ist. ... Alles
was Schmuck ist und schmückt, ist in Bezug auf das, was es schmückt, auf das, woran es ist, auf das,
was sein Träger ist, bestimmt. Es besitzt nicht einen ästhetischen Eigengehalt, der erst nachträglich eine
einschränkende Bedingung durch den Bezug auf seinen Träger erhielte. ... Schmuck ist ... nicht erst
Beide Autoren betonen die grundsätzliche Zusammengehörigkeit von Ding und Ornament. Das Ding kann reiner
Kunstgegenstand sein, einer der zum Beispiel rituellen Zwecken dient, oder ein Gebrauchsgegenstand, der eine
bestimmte Funktion hat. Es ist ein ursprüngliches Bedürfnis des Menschen, die besondere Bedeutung von be-
stimmten Gegenständen durch Verzierung hervor zu heben. Archäologen bestimmen alte Kulturschichten nach den
Verzierungen der jeweiligen Tonerzeugnisse, zum Beispiel die der Schnur- oder Bandkeramiker. Aber auch in der
Architektur dient das Ornament seit Alters her dazu, die Bedeutung eines Bauwerkes hervorzuheben.
Kulturgegenstand
Funktion Ornament
Damit komme ich zurück auf das Verdikt von Adolf Loos, „Ornament ist Verbrechen.“ Um dies zu verstehen, muss
man auf den Niedergang der Architektur und der Gebrauchskunst im 19. Jahrhundert zurückgehen. Nach Sigfried
Giedion beginnt dieser schon mit dem Empirestil und dem damals herrschenden Geschmack, „der isolierte Formen
in den Vordergrund rückt und vor der zugrunde liegenden Realität des Dinges ausweicht.“ Und: „Was sich im
Empirestil ... abspielt, ist nichts anderes als eine Entwertung der Symbole. Wie Napoleon den Adel entwertet hat,
so hat er auch das Ornament entwertet.“ Eine wesentliche Ursache des weiteren Niederganges sieht Giedion in
der „Mechanisierung der Ausschmückung.“ Und er stellt fest: „Es gibt keine Periode in der Geschichte, in der der
Mensch den Instinkt, wie seine intimste Umgebung zu gestalten ist, so weit verloren hätte.“ Giedion zeigt viele
Beispiele, die diese Entwicklung belegen,123 z.B. dieses Möbel:
In der Architektur führt dies zu dem von Loos beklagten Zustand. Die Fassadenelemente werden fabrikmäßig herge-
stellt und – willkürlich ausgewählt – an die ‚Architekturkästen angeklebt.’ Es besteht kein genuiner Zusammenhang
mehr zwischen Gebäude und Fassade. – Das gleiche gilt nun auch für die Gartenkunst. Ein Zeichen für deren Verfall
war die so genannte Teppichgärtnerei:
Beete, die „malerisch“, d. h. ohne Ordnung und Plan auf den Rasen ausgestreut sind, bald als Füllhorn,
bald als Stern, bald als Blumenkorb oder Blumenpyramide, die nichts zu tun haben mit der Umgebung
und selbst die Blumen in ihrer Mischung und Zusammendrängung hässlich und kleinlich erscheinen
Auch Gothein fordert also, dass das Ornament zu seinem Träger, dem Park , eine Beziehung haben muss.
Die Reaktion auf den Niedergang des Ornaments war die so genannte Sachlichkeit. Doch auch diese Entwicklung
hatte einen negativen Grundzug: Das bloße Abschlagen der Stuckornamente hinterließ nur trostlose, formlose
Gebilde. Adorno benennt die Kehrseite der Sachlichkeit:
Bis zum bitteren Ende gedacht, wendet ... Sachlichkeit sich zum barbarisch Vorkünstlerischen. Noch die
ästhetisch hochgezüchtete Allergie gegen Kitsch, Ornament, Überflüssiges, dem Luxus sich Nähernden
hat auch den Aspekt von Barbarei, des nach Freuds Theorie destruktiven Unbehagens an der Kultur.125
Somit ist der Charakter des Ornaments als Schmuckelement in seiner positiven und negativen Erscheinung be-
schrieben. Negativ ist das Ornament in der Konnotation des rein Dinghaften, das nachträglich dem Träger angefügt
wird, ohne mit diesem in einer inneren Beziehung zu stehen. Positiv aufzufassen ist das Ornament – man auch
sagen: das Ornamentale - als Eigenschaft.
Hier wurde eine reine Zweckform (Funktion) durch das Eindrücken einer Schnur in den weichen Ton verziert.
Das Ornament wurde appliziert. Aber die Applikation war nicht beliebig, sondern diese Technik war in vielen
Generationen hindurch entstanden. Funktion und Ornament waren untrennbar.
Ein Krug der Etrusker aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. zeigt eine deutliche Weiterentwicklung:
Abb.3/4 Etruskerkrug
Sein Hersteller hat, wie seine Vorgänger, die Funktion des Aufbewahrungsgefäßes durch die bauchige Form gewahrt
und die Schmuckelemente in verfeinerter Weise eingebracht. Aber sein Krug hat eine ganz neue Qualität. Das wird
deutlich, wenn man sich die Verzierungen wegdenkt. Zunächst ist festzustellen, dass die funktionelle Eigenschaft
verbessert ist: Die obere Verengung des ‚Bauches’ schützt den Inhalt, die trichterartige Ausweitung dagegen er-
leichtert das Befüllen des Gefäßes. Diese Unterscheidung der beiden Funktionen wird betont durch den scharfen
Einschnitt zwischen Bauch und Trichter. Die Linienführung, mit der dies geformt ist, führt über die Funktion hinaus
und wird zum Ornament, oder wie man herkömmlich sagen würde, zur schönen Gestalt. Ornamental an diesem
Krug sind also seine Gestalt und seine Verzierung. Insgesamt haben wir einen Gebrauchsgegenstand vor uns, der in
seiner Vollendung und Ausdrucksstärke bis heute Vorbild für diesen Typ von Gefäßen ist. Die Unterscheidung ist:
Gebrauchsgegenstand
Funktion Ornament
Ornament
Applikation Gestalt
Diese Verwendung des Begriffs Ornament für die Applikation einer Verzierung wie auch für die ‚schöne Gestalt’ ist
ungewohnt. Sie ist aber sinnvoll, weil auch diese Unterscheidung eine skalierte ist. Es gibt immer Übergänge zwi-
schen diesen beiden Seiten der Unterscheidung. Ein Endpunkt dieser Skala zur ‚Guten Gestalt’ hin sind zum Beispiel
viele Gebrauchsgegenstände von Wilhelm Wagenfeld, die ohne Dekor, nur durch ihre Form wirken.
3.2.1 Zwischenbemerkung
Ich erinnere daran, dass es sich bei dem bisher Dargestellten immer um Beobachtungen handelt. Sie können sich
auf einzelne Aspekte beziehen, oder auch auf gemeinsame, wie das Beispiel des Etruskerkruges zeigt: Er ist Träger
eines applizierten Ornaments, aber auch seine Gestalt ist ‚ornamental’ und in ihm sind Funktion und Ornament
harmonisch vereint. Die Motive und Kontexte meiner bisher getroffenen Unterscheidungen waren: Architektur,
Gebrauchsgegenstand, Kulturgegenstand. Es handelt sich um unterschiedliche Bereiche, die als Kontexte gleiche
Unterscheidungen enthalten. Aber auch die von der Funktion unterschiedenen Seiten sind unterschiedlich be-
nannt: Schmuck, Verzierung, Ornament, Gestalt. – Und eine weitere Differenzierung ist dadurch gegeben, dass
eine Seite einer Unterscheidung Kontext einer weiteren Unterscheidung sein kann; hier: Applikation / Gestalt, im
Kontext Ornament. Diese Benennungen bezeichnen unterschiedliche Gegebenheiten, die jedoch gleiche oder auch
modifizierte Unterscheidungen generieren können. Hinzu kommt, dass die meisten Unterscheidungen skaliert sind;
es kann die Funktion dominieren oder das Ornament oder beide sind gleichwertig. Hierin zeigt sich die Komplexität
in der Anwendung der Zwei-Seiten-Unterscheidung.
Die Beziehungen überschneiden sich, sodass man von einem ‚Geflecht’ im Sinne Derridas sprechen kann. Jedoch ist
jede ‚Faser’ dieses Geflechtes durch einen eigenen Kontext oder ein eigenes Motiv bestimmt, und besteht als ‚Form
der Unterscheidung’ aus zwei Seiten, die durch eine Grenze voneinander getrennt sind. Graduelle Modifikationen
ergeben sich daraus, dass – wie wir gesehen haben – Unterscheidungen in verschiedenen Kontexten stehen kön-
nen und verschiedene Begriffe im gleichen Kontext gleiche Unterscheidungen bezeichnen können. Ich beschreibe
dies so ausführlich, um zu zeigen, dass mit dieser Denkmethode, oder besser Beobachtungsmethode es möglich ist,
komplexe Gegebenheiten zu analysieren.
Artefakt
Funktion Ornament
Dabei steht der Begriff ‚Ornament’ für alles Schmückende, Schöne, so wohl für die Applikation wie auch für die
schöne Gestalt.
... ein Ineinander von Erregung, wie keine bisherige Kunst sie erfahren hat, und einem exzessiven
Ornament, das die Erregung nicht stillt, sondern ihr gerecht wird. Das also ist der Gegensatz zur sanft-
organischen Regelmäßigkeit der Griechen, ... in der Gotik ist [das Ornament] die gebaute Auftriebs- und
Jubelsymbolik selber ... [die Gotik] zeigt radikal-organische Ordnung. Und diese wiederum bestimmt fast
alle Einzelheiten des Kirchengebäudes symbolisch in Richtung der Auferstehung und des Lebens,
dergestalt, dass gerade die Pflanzenornamente mystisch bezogen sind, auf einen Wundergarten der
Gottesmutter, im Sinne der transzendierenden Botanik, die im Spätmittelalter sich ausgebildet hatte.126
Eine andere Sicht der Gotik finden wir bei Otl Aicher:
Die Entstehung der gotischen Architektur ist in einer ähnlichen Weise konstruktionsmutig gewesen
wie die Entstehung des Industriebaus im 19. Jahrhundert. Diese Seite der Gotik bleibt natürlich den
Blicken mehr oder weniger versperrt, die ein Kreuzrippengewölbe nicht als eine brillante konstruk-
tive Leistung ablesen können, sondern als „Himmelsnetz“ verstehen. Eine [gotische] Kathedrale ist
eine blendende Organisation eines Systems von Kraftlinien, der Verteilung von Lasten, sodass sich
der dadurch entstehende Raum interpretieren lässt als Ergebnis von Bautechnik, wie die Bautechnik
sich umgekehrt als Einfall erwiest, bestimmte Raumaufgaben zu lösen. ... Die Gotik hat die Wand als
Konstruktionselement aufgelöst zugunsten der Struktur, Bögen, Rippen und Pfeilern. Es entstand ein
dreidimensionales Strukturgitter, als Raumabschluss diente vorwiegend Glas.127
Dies ist ein Beispiel für zwei unterschiedliche Sichtweisen einer ‚Form mit zwei Seiten,’ die jeweils einen Blinden
Fleck auf der entgegen gesetzten Seite haben. Bloch sieht in der gotischen Architektur das Ornamentale als Element
der sakralen Stimmung und zwar einmal die Gestalt als „Auftriebs- und Jubelsymbolik“ und zum anderen die ap-
plizierten Pflanzenornamente als „Wundergarten.“ Aicher sieht dagegen in erster Linie die bauliche Konstruktion
als ein System von Kraftlinien.
Auch im Barock hat das Ornamentale die gleiche Wirkung und Bedeutung. Adorno hat das beschrieben:
Auch der Begriff des Ornamentalen, gegen den Sachlichkeit revoltiert, hat seine Dialektik. Daß der
Barock dekorativ sei, sagt nicht alles, Er ist decorazione assoluta, als hätten diese von jedem Zweck,
auch dem theatralischen sich emanzipiert und ihr eigenes Formprinzip entwickelt. Sie schmückt nicht
länger etwas, sondern ist nichts anderes als Schmuck; dadurch schlägt sie der Kritik am Schmückenden
ein Schnippchen. Barocken Gebilden von hoher Dignität gegenüber haben die Einwände gegen das
Adorno sieht das applizierte Ornament im Vordergrund. Aber auch im Barock ist die konstruktive Form Grundlage
der Raumwirkung. Während der gotische Raum zweidimensional gen Himmel strebt, sieht der barocke Raum die
ganze dreidimensionale Welt und das Himmelsgewölbe. Durch „die gewellte Wand“ und den „flexiblen Grundriß
... tritt eine richtige Modellierung des Raumes auf, ein Anschwellen und Zurückweichen, die es dem Licht ermög-
lichen, ein plastisches Gewoge zu erzeugen.“129 Und weil das Auge diese Komplexität gar nicht im Ganzen fassen
kann, kommt die vierte Dimension noch dazu. Aber noch eine Besonderheit des Barock ist zu verzeichnen: Der
Raum verwandelt sich durch das Ornamentale in einen Illusionsraum. „Wand und Decke sollen hier als eines er-
scheinen, Die wirklichen Pilaster setzen sich als gemalte fort, ins Unendliche ragen gemalte Bauten, von unten ge-
sehen, mit krassester Verkürzung empor. Alle Mittel optischer Täuschung ... werden aufgeboten, um den Raum zu
steigern.“ 130 Hier kommen die Wirkungen der Ornamentik voll zum Ausdruck.
Ein geradezu modern wirkendes Beispiel der Klassizistik stellt die Zeichnung eines Werkes von Karl Friedrich
Schinkel dar: vom Schloss Charlottenhof im Park Sanssouci. Der Blick von innen nach außen zeigt eine Reihe
dorischer Säulen mit einem schlichten Architrav; über diesem ein Band von Arabesken, die in ihrer Dichte wie
eine Textur wirken und als oberen und unteren Abschluss eine schlichte Kasettendecke und ein ganz einfaches
Plattenmuster. Die Ausgewogenheit von Sachlichkeit und Ornament ist vorbildlich, wie auch die Unterscheidung
von tragenden und lastenden Teilen. In überraschender Weise modern ist die Einheit von Innen- und Außenraum,
was noch durch die innen und außen frei wachsende Vegetation betont wird. Dies ist ein schönes Beispiel für die
Ausgewogenheit von Gestalt und ornamentaler Applikation.
Ein Werk der modernen Architektur, das auf der Skala Funktion / Ornament in die Nähe der reinen Funktion rückt
und trotzdem ornamentalen Charakter hat beschreibt Adorno:
Funktionalismus ... hätte die Konstruktion so weit zu treiben, dass sie Expressionswert gewinnt durch
ihre Absage an traditionale und halbtraditionale Formen. Große Architektur empfängt ihre überfunk-
tionale Sprache, wo die, rein aus ihren Zwecken heraus, diese als ihren Gehalt mimetisch gleichsam
bekundet. Schön ist die Scharounsche Philharmonie, weil sie, um räumlich ideale Bedingungen für
Adorno hält hier streng die Unterscheidung von Funktion und Ausdruck in der Einheit des Werkes aufrecht und
unterscheidet ebenfalls Ornament als inneren Ausdruck oder als äußerliches ‚Fournier.’ - Ähnliches kann man von
Mies van der Rohes ‚Neuen Nationalgalerie’ in Berlin sagen. Auch sie ist von unverwechselbarer Gestalt, ein
„System aus Transparenz und Gravitas“, wie Fritz Neumeyer es ausdrückt,132 und bringt so ihre Multifunktionalität
zum Ausdruck.
Genau so spektakulär und unverwechselbar müssen auch Gebrauchsgegenstände wie Parfümflaschen, Möbel und
Modeartikel sein. Man spricht deshalb auch von Warenästhetik, die manchmal zur Dysfunktionalität führt. „Eitle
Konstruktionen, die keine Form mehr bewältigen, sondern sie nur ausdrücken wie eine Zitrone, bezeichnen“ - so
Neumeyer - „ das Dilemma der Selbstreferentialität, denn Form ist ohne Bezug auf ein Anderes, das zur Erscheinung
gebracht werden soll, nicht möglich.“135
Und ein historisches Beispiel für Ornament ohne Funktion bringt Adolf Max Vogt im Hinblick auf die
Revolutionsarchitekten Boullee und Ledoux: „Um den Urkörper der Geometrie artikulieren zu Können, haben
sie die Architektur an die Grenze des Absurden geführt oder gedrängt. Sie haben den Esprit de Géométrie so buch-
stäblich und so primär ernst genommen, dass darüber der Esprit d’Architecture tödlich erschöpft werden musste.“136
Das Problem des Ornaments ohne Funktion ist auch in der Gartenkunst gegenwärtig. Man sieht immer öfter
Entwürfe, die nur durch die Exzentrizität äußerlicher Formen Aufmerksamkeit erringen.
Ein besonderes Problem liegt vor, wenn bei der Planung neuer Anlagen historische Teile erhalten werden, deren
ursprüngliche Funktion kaum noch nachvollziehbar ist, zum Beispiel die breiten Pflasterstraßen neben dem Kanal
im Parc la Villette oder auch am Hakenufer auf Entenwärder in Hamburg. Die Flächen wirken auf die Besucher ab-
Ein Gegenbeispiel ist der Park Duisburg-Nord, in dem die Hochofenanlagen als Industriedenkmal bewusst sind und
Gefühle der Erhabenheit und Bewunderung wecken.
Andererseits gibt es Beispiele, wo Künstler ihren Werken, vor allem im öffentlichen Raum, ansatzweise eine
Funktionalität unterlegen, um so die Akzeptanz des Publikums zu erlangen. So sah man zum Beispiel 1987 in
‚SULPTUR PROJEKTE MÜNSTER’ etliche Werke dieser Art, zum Beispiel zwei Bänke, „Pair of Parc Benches“ von
Scott Burton.
In der Gartenkunst ist eine ähnliche Tendenz zu verzeichnen, wenn skulpturale Objekte zum Beispiel mit der
Funktion ‚Spielen’ eingesetzt werden.
Auch wenn Henry Moore sagte: „Wir werden dagegen kämpfen müssen, dass die Skulptur in der Landschaftsgärtnerei
zum Ornament reduziert wird,“137 sah er ein Problem gerade darin, seine Skulpturen mit der Landschaftsgärtnerei
in Verbindung zu bringen, weil sie hier zu bloßen Applikationen in einem anderen Kunstsytem würden. Dagegen
stellte er sie gerne in freier Landschaft auf oder in einem Kontrast zu einem modernen Bauwerk, zum Beispiel dem
ehemaligen Bundeskanzleramt in Bonn.
Diese Systemzugehörigkeit werde ich noch näher betrachten in Bezug auf die Unterscheidung der Gartenkunst
von der bildenden Kunst. Auf eine besondere Weise thematisiert Per Kirkeby dieses Problem, wenn er autono-
me Plastiken aus Klinkern mauern lässt, die durch den Charakter des Materials und dessen Verarbeitung mit der
Funktion ‚Gebäude’ assoziert werden. Auch diese Kunstwerke irritieren durch die Abwesenheit einer gewohnten
Funktion.138
Eine Aura wird wesentlich durch den Wert des Materials erzeugt. Ein Goldschmuck hat für seine Trägerin eine ande-
re Bedeutung, als ein Modeschmuck. Der Deutsche Pavillon in Barcelona beeindruckt auch durch die Verwendung
von Onyx, Marmor und Travertin. Der Carrara-Marmor hat ganze Kulturepochen beherrscht, sodass man sich heu-
te schwer vorstellen kann, dass die Griechen ihre Marmor-Plastiken bunt bemalt hatten.
Aber auch die Nachahmung von edlem Material war lange Zeit legitimiert, wie das Beispiel des Barocks zeigt, in
dem vergoldete Gipsornamente und gemalte Marmorsäulen das Bild prägten. Selbst die Ornamente aus Pappmaché
im mecklenburgischen Schloss Ludwigslust sind für uns nicht anstößig. Auch die Verwendung von Tapeten an-
stelle von Wandgemälden gehört zu dieser Art von Schmuck. - Erst die Massenproduktion von Gegenständen
aus Gips, Gusseisen und Kunststoff hat die Materialnachahmung in Verruf gebracht und die Forderung nach
Materialgerechtigkeit provoziert.
Besondere Probleme bereitet bis heute eine andere ‚Nachahmung’, die von Stein durch Beton. In der moder-
nen Architektur haben die neuen Baustoffe Stahl und Beton durch ihre nahezu unbegrenzten Möglichkeiten die
Entwicklung entscheidend bestimmt in positiver und negativer Hinsicht. Wenn sie nur nach funktionalen Prinzipien
eingesetzt werden, entsteht das, was uns heute in den Städten als Hässlichkeit entgegen tritt, gegenüber der die
Gründerzeitfassaden schon wieder einen eigenen Charme entwickeln.
Ornamentale Wirkung als Gestalt entwickelt Beton dort, wo extreme Anforderungen an statische Belastbarkeit gefor-
dert werden. Positive Beispiele gibt es schon vom Anfang des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel die Stahlbetonbrücken
Maillards.139 Und bis heute gibt es viele Beispiele von Brücken, bei denen höchste Anforderungen an die
Konstruktion mit beeindruckender Schönheit gepaart sind. Allgemein überzeugen auch Bauwerke, bei denen die
Eigenschaft des Stahlbetons sichtbar wird, große Spannweiten überbrücken zu können oder dünne Schalen zu bil-
den, wie zum Beispiel an der Oper in Sydney. Erst die exzessive Verwendung des Betons hat diesen mit der Zeit in
Verruf gebracht und ist inzwischen zum Synonym für alle negativen Bauentwicklungen geworden, zum Beispiel,
wenn von der ‚Zubetonierung der Landschaft’ gesprochen wird.
So ist es zu einer Qualitätsfrage der modernen Architektur geworden, wie weit in ihr Funktionalität und Ornamentales
vereinigt sind. Auch verschiedene Versuche, Beton durch Oberflächenbehandlung ‚erträglich’ zu machen, zum
Beispiel durch Sandstrahlung oder als Waschbeton, fruchten wenig. Geradezu peinlich sind die Nachahmungen
von Natursteinstrukturen durch Verwendung entsprechender Matrizen. Durchgesetzt hat sich eine ‚ornamentale
Applikation’ durch Verblendung mit Naturstein oder Klinker und anderes oder durch einen Vorsatzbeton, der aus
natürlichen Zuschlagstoffen besteht.
Eine besondere Problematik im Bestreben, Flächen – besonders Wege- und Platzflächen – aufzuwerten, besteht in
der Verwendung von Mustern als Verzierungen. In südlichen Ländern hat dies eine lange Tradition. Hier bei uns
wurde sie besonders mit der Verwendung der ‚Ersatzbaustoffe’ aktuell.
Man kann dabei unterscheiden die Bildung von Rastern, die geeignet sind große Flächen zu strukturieren oder
die Anwendung eines Musters in Form einer ‚engmaschigen’ Textur, die eine homogene Fläche erzeugt, wie der
Fußboden in Schinkels Architekturbild.
Garten
Vegetation Architektur
Zunächst war von der Vegetation die Rede und davon, wie sie durch techne für den Menschen nutzbar wurde.
Als Architektur bezeichne ich alles Gebaute, was in der Gartenpraxis als Platz- und Wegebau, Mauern und Treppen,
Einfriedigungen und so weiter bezeichnet wird. Dieser Teil ist direkt vergleichbar mit der Baukunst und wurde
in der Geschichte der Gartenkunst auch oft von Architekten besetzt. Die nähere Untersuchung wird zeigen, dass
das Wichtigste Element der Stilbildung die Gartenwege sind. Dafür blicke ich zunächst wieder zurück auf den
‚Urgarten’. – Diese Betrachtung ist natürlich nicht historisch, sondern nur typologisch zu sehen. -
Ich war ausgegangen von den ersten Pflanzungen und Aussaaten auf gelockertem Boden. Zunächst werden es nur
wenige Pflanzenarten gewesen sein, die kultiviert wurden. Die hierfür zuständigen Frauen stellten irgendwann fest,
dass die Unkrautbekämpfung einfacher ist, wenn die Pflanzen in geraden Reihen stehen. Und mit der Zunahme der
kultivierten Arten legten sie separate Beete an, die durch Wege voneinander getrennt sind. Damit hatten Frauen
ein wichtiges geometrisches Ordnungsprinzip kreiert, nach dem noch heute Gemüsegärten angelegt werden. Erste
Darstellungen hiervon findet man auf Zeichnungen ägyptischer Gärten.140
Ich distanziere mich hier von dem bei Kunsthistorikern vorherrschenden Topos des Paradieses als ersten Garten.141
Vielmehr war der ‚Urgarten,’ dessen Grundprinzip noch in jedem Garten fortlebt, die Grundlage für die menschliche
Vorstellung des Paradieses.
Dieser ‚Urgarten’ enthielt also schon die funktionale Grundstruktur: Vegetationsflächen, die durch Wege erschlos-
sen sind. Die erste Unterscheidung wird modifiziert zu:
Garten
Vegetation Erschließung
Im Laufe der kulturellen Entwicklung wurde das Pflanzensortiment immer reichhaltiger und die Ansprüche der ein-
zelnen Arten auch unterschiedlicher, zum Beispiel die von Gemüsesorten und die von mehrjährigen Gewürz- und
Heilkräutern. Für einige brauchte man große und für andere kleine Beete und das Ganze sollte in einer gewissen
Ordnung geschehen. Ein verbreitetes Muster einer solchen Ordnung ist der Klostergarten, in dem durch zwei sich
kreuzende Wege vier Teile entstehen, die manchmal symmetrisch aber auch unterschiedlich aufgeteilt werden.
Der Brunnen in der Mitte, der zur Bewässerung dient, ist das erste plastische Element im Garten. - Auch diese
Aufteilung des Klostergartens ist bis heute eine gebräuchliche Form geblieben.
Dieses wurde dann immer mehr verfeinert, die Beete mit Hecken oder Steinen eingefasst und die Wege mit Kies
bestreut und zu den Nutzpflanzen kamen irgendwann Blumen und Zierpflanzen. Aus dem Ordnungsprinzip
entstand der Schmuckgarten, der in dieser Form im Renaissance-Garten seine Vollendung fand. Es geht um die
Unterscheidung:
Wege
Funktion Ornament
4.2 Wegetypen
Somit habe ich die Wege als eine funktionale Grundstruktur des ‚Urgartens’ bestimmt und so sind die Gartenwege
auch bis heute in der Gartenkunst entscheidende Elemente der Stilbildung. Wenn wir zum Beispiel den Barock-
vom Landschaftsgarten unterscheiden, sehen wir – zumindest äußerlich - in erster Linie das Wegesystem und seine
Funktion. Es ist also angebracht, Gartenwege ausführlich zu betrachten im Hinblick auf Funktion und Ornament.
Die natürlichste Funktion der Wege ist die Verbindung von A nach B. Die ‚Naturform’ dieser Funktion ist der
Trampelpfad. Er ist nicht immer der Kürzeste Weg, weil er selten schnurgerade ist. Er umgeht kleinste Hindernisse
und Unebenheiten und ist dadurch der angenehmste Weg. Sein Merkmal ist also: bequemste Verbindung zweier
Punkte ohne technischen Aufwand.
Dieser wurde erstmals erforderlich bei den viel befahrenen Handelswegen, wenn zum Beispiel Hügelketten durch
das Graben von Hohlwegen überwunden wurden, und bei weichem Boden die Befestigung mit Holzbohlen oder
Steinpflaster das Einsinken der Wagenräder verhinderte. Diese Technik ist zu verfolgen von den Römerstraßen bis
zu den Autobahnen.
Aber gerade bei letzteren, bei deren Bau die moderne Technik jedes Hindernis, ob Berg oder Tal, überwinden konn-
te, kam erstmals eine ornamentale Komponente hinzu: Als man feststellte, dass die Autofahrer auf den schnurgera-
den Straßen schnell ermüdeten, passte man bei späteren Planungen die Trassenführung mehr den landschaftlichen
Gegebenheiten an, wofür dann erstmals Landschaftsarchitekten zuständig waren.
Die Funktion der Wege als Verbindung zweier Punkte ist in der Gartenkunst eher von untergeordneter Bedeutung.
Wege dienen hier in erster Linie der Erschließung eines bestimmten Raumes. Je nach Größe und Funktion der
Räume sind Struktur und Form der Wege verschieden. Bei dem Typ ‚Klostergarten’ dienen die Wege dazu, einzelne
Pflanzen oder Pflanzengruppen erreichen und betrachten zu können. Ich nenne sie ‚ordnende Wegesysteme.’
Heutige Beispiele derartiger Systeme sind Botanische Gärten, Rosen-, oder Staudengärten. Ihre Form ist sekun-
där, doch wird die orthogonale, rasterförmige die ursprüngliche gewesen sein. Schon die Ägypter legten ihre
Gemüsegärten und sogenannten Totengärten so an.142
Seitdem ist dieses Ordnungsprinzip fester Bestandteil menschlichen kreativen Schaffens geworden,
auch in der Architektur und in den bildenden Künsten, und ich möchte auch hier von einer archety-
pischen Prägung zu sprechen.
In der Gartenkunst war dieses Rastersystem im Renaissance-Garten am stärksten ausgeprägt. Innerhalb der quadra-
tischen Quartiere wurden hier hauptsächlich Schmuckformen aus Hecken in geometrischen und floralen Mustern
gebildet. Die Funktion der Nutzung war zweitrangig. Im Barockgarten entwickelte sich diese Schmuckform weiter
zu den Broderien und Bosketts. -
Gegenwärtig findet man diese ornamentale Gestaltungsform wieder, so zu sagen als postmoderne Wiederentdeckung.
Wie beim Hotel Kempinski in München-Erding, besteht ihre einzige Funktion darin, der Repräsentation und als
Zeichen der Firmenidentität zu dienen. Günter Mader stellt dazu fest: „Wie die meisten Parterregärten in der
Geschichte der Gartenkunst, ist auch dieser Garten mehr für die distanzierte Betrachtung angelegt als für den be-
schaulichen Rundgang.“ 143 Er ist wohl am besten aus den oberen Geschossen oder aus dem Flugzeug zu betrachten.
Auch im Städtebau finden wir dieses ‚ordnende Wegesystem’ im größeren Maßstab wieder, zum Beispiel schon
beim Bau der Stadt Milet. Die Griechen haben es offensichtlich von den Ägyptern übernommen. In der Barockzeit
wurden manche Städte danach geplant, zum Beispiel Mannheim und Karlsruhe, wodurch der Ordnungswille des
Die wichtigste Funktion der Gartenwege ist das, was man einmal ‚Lustwandeln’ nannte. Es ist immer noch die
intensivste Art des Naturgenusses. Sei es in Form des Spazierengehens im Park, mit der Komponente des ‚Sehens
und Gesehenwerdens,’ – man sagt auch Promenieren, Flanieren und Bummeln - oder das Wandern zu Fuß oder
mit dem Fahrrad.
Dieses Bedürfnis ist in der Menschheitsgeschichte relativ neu und ist abhängig von dem jeweiligen Naturverhältnis.
Erst ein entlastetes Verhältnis ermöglicht den Naturgenuss. Ansatzweise ist das wohl schon bei den freien Bürgern
im antiken Griechenland der Fall gewesen. Bei Platon lesen wir, wie Sokrates von seinem Freund Phaidros aus der
Stadt gelockt wird mit der Aussicht, von ihm die Rede des Lysias zu hören. Am Ziel angelangt, lobt Sokrates den
„schöne[n] Ruheplatz“ unter der Platane und den schönen „Wipfel des Keuschbaumes ... wie er gerade in vollster
Blüte steht, so daß er den Ort ganz mit seinem Duft erfüllt. Und die lieblichste Quelle, die unter der Platane fließt ...“
Doch als Phaidros ihm vorhält, dass er „ nie aus der Stadt über die Grenzen hinaus“ wandere, antwortet Sokrates:
„Die Fluren und die Bäume [wollen] mich nichts lehren, wohl aber in der Stadt die Menschen“145
Im Mittelalter bis in die Neuzeit war das Lustwandeln dann als Müßiggang verpönt. Das Gehen von einem Ort zum
anderen war Mühsal. Erst in der Romantik wird diese neue Form des Naturgenusses intensiv gepflegt, so wie es
Schiller beispielhaft in dem ‚Spaziergang’ beschreibt.
Aber schon im Barock ist ein Wandel des Naturverhältnisses zu verzeichnen. Wie wir bei Lucius Burckhardt gesehen
haben, stellt der Barockgarten auch die Spannung zwischen beherrschbarer und unbeherrschbarer Natur dar.146
Allerdings war seine primäre Funktion nicht der Naturgenuss sondern die Zerstreuung unter den strengen Gesetzen
des Hofes. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Wegesystem des Barockgartens zu betrachten.
Die Nutzungen waren sehr unterschiedlich. Es ging um das Promenieren der Hofleute oder um allerlei Spiele der
Gesellschaft. Die Wege mussten unterschiedlichen Zwecken genügen. Die Hauptpromenaden im Parterre mussten
breit genug sein, um die weiten Reifröcke der Damen aufnehmen zu können oder den Kutschen und Sänften, mit
denen man sich zur Jagd in den Waldpark begab, genügend Platz zu bieten.
Die Nebenwege zwischen und in den Bosketts, die Schäfer- und Versteckspielen dienten, konnten dagegen schmäler
sein. Schon durch diese unterschiedlichen Funktionen ergab sich ein spannungsreiches Bild des Wegesystems. Vor
allem aber durfte keine Langeweile beim Promenieren entstehen, deshalb die Unterbrechung der Hauptachse durch
Querachsen, Rondeels, Brunnenplätze, die Aufteilung in zwei Parallelwege und deren Zusammenführung und die
Schaffung von Blickpunkten. Und bei Hansmann lesen wir von den Grundregeln, die Dezallier d´Argenville
aufstellte:
Ein Garten darf seine Schönheiten nicht mit einem Male preisgeben, ... Ein Garten soll stets größer
erscheinen als er ist. ... Man kann ... das Auge über die wahre Größe im Unklaren lassen, wenn es
auf Elemente wie Hecken, Wandelgänge oder Durchblicke stößt. Sie verhindern willkommen völlige
Überschaubarkeit und lassen so an größere Dimensionen denken.147
Die reichen Verzierungen wie Statuen, Vasen und die Broderien. sind ausführlich beschrieben worden von Gothein,
Hennebo148, Hansmann149 u. a., so dass ich dies nicht näher auszuführen brauche.
Zeigen möchte ich aber, dass die Gartenarchitekten des Barocks Funktionen und Proportionen des Wegesystems
sehr bewusst beachtet haben nach Regeln, die noch heute gültig sind. Dies sehen wir in dem Lehr- und Musterbuch
des Dezallier d´Argenville, das seinerzeit in vielen Auflagen und Übersetzungen erschienen ist.150
Er schreibt: „Zum Exempel, eine Allée, so 100. Klaftern lang , und nur 2. bis 3. Klaftern breit wäre sehr mangelhaft
und allzu enge , da sie hingegen ein schönes Ansehen bekommt , wenn man sie 5. bis 6, Klaftern breit macht ... Also
müssen die Alléen so... 400. Klaftern lang, 10. bis 12. Klaftern breit sein.“ Das sind bei 800 m Länge, eine Breite
von 20 bis 24 m. Bei dieser Breite waren aber in der Regel nur die Seitenstreifen befestigt und der Mittelstreifen
als Rasen angelegt, „welche man oft mähen muss, damit man sie schön und rein erhalte“ Die Breite war gefordert,
„damit man zu Ende der Allée einen Theil von dem Vorder-Theil des Hauses sehen ... kann.“ 151 Generell soll sich
die Breite der Wege danach richten, wie viel Platz ein oder mehrere Menschen nebeneinander brauchen: „Die
Breite eines Raumes, welchen ein Mensch einnimmt ist ungefähr 3 Schuh, wenn nun die Allée ein Klafter breit ist,
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Wegesystem des Barockgartens - bei aller Funktionalität - in seinen
Proportionen, seiner Vielfalt, seiner Symmetrie und den bewussten Abweichungen von dieser, einen überzeugen-
den ornamentalen Charakter hat. Wie bei den Bauwerken des Barocks bilden ornamentale Gestalt und ornamentale
Applikationen eine Einheit. Zweifellos ist der Barock ein Höhepunkt in der Geschichte der Gartenkunst. So ist auch
zu erklären, dass bis in die Gegenwart Formen dieses Stils als Versatzstücke immer wieder Verwendung finden.
Der Übergang vom Barock- zum Landschaftsgarten ist in einer umfangreichen Literatur beschrieben, bezogen auf
die gesellschaftlichen Veränderungen, den Einfluss der Landschaftsmalerei und so weiter. Ich befasse mich hier nur
mit der formalen Frage der Wege, ihrer Funktion und Ornamentik. - In den ersten Gärten des Überganges waren
es rein formale Veränderungen. Es begann damit, dass man Teile, zum Beispiel Bosketts, mit regellos gekrümmten
Wegen versah. Es war eine Formspielerei, der keine Funktion zugrunde lag, wie es Gothein mit einem Plan des
Übergangsstils zeigt.
152 Ebd. 70
Änlich war die Wegeführung im Park Sanssouci, bevor Lenné die Gestaltung bestimmte. In Lennés „Verschönerungs
Plan“ sind die Wege dann offensichtlich mit Zirkel und Kurvenlineal gezeichnet, allerdings wohl in erster Linie, um
die Planung dem König schmackhaft zu machen:
Der aktuelle Übersichtsplan lässt vermuten, dass diese Formen nicht maßstäblich in die Wirklichkeit übertragen,
sondern die Wege draußen – in Anlehnung an den Plan - nach den örtlichen Gegebenheiten angelegt wurden:
Dieses Verfahren wurde schon von Hirschfeld gefordert in dem Abschnitt „von Wegen und Plätzen:“
Es ist ... widersinnig, wenn sich der Garten nach Gängen, die schon vor seiner völligen Einrichtung ent-
worfen sind, bequemen muß. Sie können erst als dann gehörig bestimmt und wohl angelegt werden,
wenn alle Theile und Scenen des Gartens ihre vollkommene Anpflanzung und Ausbildung erhalten
haben. ... die Gänge an sich [sind] zu unerhebliche Gegenstände, als daß sie verdienen, beson-
ders zur Schau ausgestellt zu werden.153 (Hvh. A.S.)
Für Hirschfeld ist also die Funktion das Primäre, dem sich die Form unter zu ordnen hat.
Von Sckell ist bekannt, dass er die Wegetrassen vor Ort mit einem extra angefertigten Stock voranschreitend in
den Boden eingezeichnet hat. „Er zeichnete in der Natur den ersten Weg, der vom Hofgarten zum Hirschangerfeld
hinführt. Ein Plan von der Hand Sckells ist aus dieser Gründungszeit leider nicht vorhanden.“ schreibt Hallbaum.154
Man kann wohl auch vermuten, dass er für diese erste Baustufe des Englischen Gartens in München gar keinen
Plan benötigt hat.
Hirschfeld setzt sich weiter mit der Funktion der Wege auseinander:
Die vornehmste Bestimmung der Gänge ist, daß sie, ohne zum Umkehren zu nötigen, zu allen merk-
würdigen Scenen herumführen ... [und] daß sie eine solche Wendung nehmen müssen, bei welcher
nicht allein überhaupt Abwechslung und Mannigfaltigkeit genossen wird, sondern auch die besten
Prospekte bald auf einmal, bald allmählig, in der vorteilhaftigsten Enthüllung erscheinen, hingegen der
Anblick misfälliger Auftritte ganz verdeckt bleibt.
...
Nach der Lage und Beschaffenheit nicht nur des Bodens, sondern auch der Gartenscenen selbst, müs-
sen die Wege bald in der Tiefe verweilen, bald mit den Anhöhen sich erheben, bald eine gerade Linie
... die gemeine reguläre Schlangenlinie enthält fast ebenso viele Einförmigkeit, als die gerade Linie.
Dagegen verdient die sich ohne Regelmäßigkeit frey krümmende und mit Abwechslung schlängeln-
de Manier unstreitig den Vorzug. Wir wollen sie die Naturlinie nennen, indem sie sowohl in den
Vorbildungen der Natur vor Augen liegt, als auch da, wo sie von der Hand des Menschen gezogen
wird, sich nach der Beschaffenheit des Bodens, und nach der Lage der natürlichen Gegenstände richtet.
(Hvh. A. S.)
Aber auch
Die gerade Linie ist nicht gegen die Natur, und sie wird auch nicht dadurch verwerflich, daß sie in der
alten Manier herrschte. Sie führt eine gewisse Art von Bequemlichkeit mit sich. Und es giebt Fälle, wo
sie ... mit Vortheil gebraucht werden kann.
dass bei den gekrümmten Wegen zuvörders jedes Kennzeichen der Kunst zu vermeiden [ist], Die
Wendungen müssen überall natürlich seyn; es muß keine Fortschreitung, keine Einbiegung, kein
Auslauf vorkommen, die nicht aus der Beschaffenheit des Bodens entsprungen scheinen, und mit der
Lage der Gegenstände, die sich auf ihm befinden, übereinstimmen.155
Wege sind die stummen Führer der Spazierengehenden und müssen selbst dazu dienen, ihn ohne
Zwang jeden Genuß auffinden zu lassen. [Die Wege sollen aber nicht in bloßen Schlangenlinien ge-
führt werden,] sondern nur mit Leichtigkeit und Zweckmäßigkeit die Biegungen machen, ... die nötig
sind um den Gegen- ständen zu folgen ...; aber auch ihre Biegungen unterliegen dennoch gewissen
malerischen Geschmacksregeln, und es müssen daher wohl zuweilen erst Hindernisse geschaffen wer-
den, wo sie fehlen, um die günstigste Linie auf natürlich scheinende Weise zu erhalten.156
Die ‚malerischen Geschmacksregeln’ bekamen aber mit der Zeit die Oberhand und wurden in der Königlichen
Gärtner-Lehranstalt zu Potsdam zu einem festen Regelwerk entwickelt.157 Das von Hirschfeld propagierte
Verfahren wurde umgekehrt: Zuerst war ein ornamentales Wegesystem zu zeichnen, für dessen gezirkelte Formen
und Verzweigungen es feste Normen gab, genau wie für die Baum- und Strauchpflanzungen. Die angehenden
Gartenkünstler mussten denn auch lernen, diese Formen im geodätischen Verfahren in die Wirklichkeit zu über-
tragen.
Diese Schematisierung führte dann nach und nach zum Niedergang der Gartenkunst mit den bereits erwähnten
maßstabslosen Brezelweggestaltungen. Auf der Skala Funktion / Ornament war die Funktion weit gehend elimi-
niert.
Es beginnt mit der Beschaffenheit der Wegeoberflächen. Die haptische Wirkung auf die Fußsohlen bestimmt das
Wohlgefühl. Es ist ein Unterschied, ob man auf rauem Pflaster, auf glattem Asphalt oder Platten, auf Grand oder
auf weichem Rindenmulch geht. Die Entscheidung für eine dieser Möglichkeiten wird bestimmt von der jeweiligen
Situation aber auch von den wirtschaftlichen Vorgaben bezüglich der laufenden Pflege. Asphalt hatte seine Boomzeit,
als immer mehr Grünanlagen in den Städten geschaffen wurden, aber die Unterhaltungsmittel knapp waren. Die
psychologische Wirkung war jedoch auf die Dauer so negativ, dass zum Beispiel Hamburgs Erster Bürgermeister
anordnete, die zahlreichen breiten Asphaltwege auf dem Gelände der Internationalen Gartenschau 1973 zurückzu-
bauen und in Grandwege umzuwandeln.
Erfreulicherweise hat die Forschung inzwischen wassergebundene Wegedecken entwickelt, die auch nach Regen
und Frost noch gut begehbar sind. – Problematisch sind Decken aus Kies oder gar aus grobem scharfkantigen Splitt,
die für Damen mit eleganten Schuhen unpassierbar sind.
Die Bedeutung dieser technischen Fragen sollte nicht unterschätzt werden, aber wichtiger sind die Wirkungen der
Wegeführung. Wir haben gesehen, dass sowohl beim Barockgarten wie auch beim Landschaftsgarten Abwechslung
und Mannigfaltigkeit gefordert war. Das hängt natürlich in erster Linie von den Inhalten und von der Raumbildung
der Gärten und Landschaftsteile ab, aber eben auch davon, wie diese durch die Wege erschlossen werden. Die
schönsten Landschaftsszenen können nicht wahrgenommen werden, wenn sie nicht durch Wege erschlossen sind
und sei es nur durch Trampelpfade. -
Bernhard Waldenfels hat dies untersucht und spricht von dem „gelebten Raum,“ der auf ein „leibliches Subjekt“
bezogen ist.
Je nach Art und Grad der leiblichen Beteiligung können wir unterscheiden zwischen einem
Stimmungsraum, der auf den so oder so befindlichen Leib, einem Handlungsraum, der auf den handeln-
den und hantierenden Leib, und einen Anschauungsraum, der auf den sinnlich anschauenden Leib
bezogen ist. Durch die Verflechtung dieser Verschiedenen Arten des Raumerlebens wird der
einseitigen Visualisierung der Umwelt ... ein Riegel vorgeschoben.158 (Hvh. A.S.)
besonderen Wert auf die Handlung als leibliche Bewegung, sei es als Fortbewegung oder als ein Aufenthalt,
der selbst noch als Anhalten einer Bewegung zu deuten ist. Die leibliche Bewegung ... ist in der Tat eine
Instanz, welche unmittelbar Raum generiert oder regeneriert.159
...
Dies alles gilt natürlich auch für Gärten, für die ‚Welt als Garten.’ Insbesondere ist unter diesen Aspekten die ge-
genwärtige „Achsenmode“ zu beurteilen, deren Wirkung man nur als „monotones Einerlei“ bezeichnen kann. -
Waldenfels hält abschließend ein „Plädoyer für das Gehen:“
Gemeint ist die erfahrene Selbstbewegung eines Gehenden, der – wie die ausgreifenden Gestalten
Giacomettis – Raum schafft und einnimmt, der eine Landschaft um sich verbreitet und sich um ihr
umtut und nicht nur ein Schauspiel vor Augen hat.
In dem Sinne des: „Ich bewege mich,“ das dem „ich denke“ innewohnt, es verleiblicht und verräum-
licht, ohne dass Denken und Gehen je über ein Vertrauensverhältnis hinauskommen.
...
Bei der Eigenbewegung ist zu unterscheiden zwischen zielgerichteten oder zielentlasteten oder ziellosen
Bewegungen wie dem Umherfahren, Umhergehen, Wandern, Spazieren und Flanieren. Nicht um-
sonst finden Spaziergänger und Flaneure ihre modernen Verfechter in Rousseau, Baudelaire oder
Walter Benjamin, ... . Die ziellose und zielentlastete Bewegung, ... umkreist den Stimmungsraum, der
unsere Handlungsfelder umtönt, ohne in ihnen aufzugehen. Sie verwandelt Umwege in Rundwege,
Seitenwege, ohne die Sehlust von der Gehlust abzulösen.161
Auch Lucius Burckhardt hat sich intensiv mit diesem Thema befasst und hat daraus seine „Spaziergangswissenschaft“
entwickelt. Ihn interessiert „der Spaziergang nicht als Darstellung, sondern ... als eine Wahrnehmung.“ Er stellt
fest, dass die Wahrnehmung weit gehend vorbestimmt ist durch das, was man schon kennt und deshalb erwar-
tet. „Zwischen den Spaziergänger und sein Betrachtungsfeld stellt sich ein System, das die Betrachtung steuert.“
162
Dabei können sich die unterschiedlichsten Dinge, wie Felder Wiesen, Dörfer usw. in der Erinnerung zu ei-
nem Gesamtbild zusammenfügen. „Diese Integrationsleistung wird ermöglicht durch den raffinierten Begriff der
Landschaft, mit welchem wir aus heterogenen Umgebungen eine Einheitlichkeit herauszufiltern vermögen, die nun
das Gesehene kommunizierbar macht.“ 163 Herausgefiltert werden, soweit wie möglich, alle „störenden“ Dinge. So
entsteht aber die Gefahr, dass nur das Gewohnte und Konventionelle als Landschaft angesehen wird: das Problem
von Assimilation und Akkommodation.
Ich halte Wegesysteme für die wichtigsten architektonischen Elemente in der Gartenkunst. Aber in Bezug auf die
Unterscheidung ‚Funktion / Ornament’ sind auch die vielfältigen Architekturen der Gärten zu betrachten, wie
Mauern, Terrassen, Wände, Wasserbecken und so weiter. Meine Kritik richtet sich hier gegen die zunehmende
Dominanz des Ornamentalen, das unter dem Begriff ‚Design’ das Entwurfsgeschehen bestimmt, in dem die Funktion
oftmals nur Vorwand für eine exaltierte Gestaltung ist.
• Wenn auf der Skala Funktion/Ornament eine Seite stark überwiegt, bedeutet das meistens einen Tiefstand
des Stils. („Ornament ist Verbrechen“ oder „Kastenarchitektur“)
• Ornament kann als Applikation oder als Gestalt (Schöne Form) auftreten.
• Das Ornament kann eine praktische Funktion als Ordnungsfaktor haben oder Auslöser von Stimmungen sein
oder eine rein geistige Wirkung im autonomen Kunstwerk haben.
• In der Gartenkunst spielen die Wege eine wichtige Rolle als Ornament. Ihre Funktion besteht darin, gemein-
sam mit der Vegetation das Raumerlebnis und die leibliche Gestimmtheit der Nutzer zu bestimmen.
• Allgemein gesehen bekommt gegenwärtig das Ornamentale oft das absolute Übergewicht vor der Funktion.
Als ‚Design’ entsteht eine Nähe zur Mode und zur Gestaltung von Parfümflaschen.
Für diese schreibe ich als ‚Form der Unterscheidung mit zwei Seiten’:
Schiller hat seine Theorie entwickelt in 27 Briefen, die an den (dänischen) Augustenburger Prinzen gerichtet waren.
Er befasst sich – über die Ästhetik im engeren Sinne hinaus – mit der gesellschaftlichen Entwicklung seiner Zeit
(1793), die durch die negativen Ereignisse in Frankreich nach der Revolution 1789 überschattet war.
Schiller betrachtet den Staat im ästhetischen Sinne als höchstes Kunstwerk und sein Ziel ist die Erziehung des
Menschen zum sittlichen Wollen. Sein Ausgangspunkt ist aber die Ästhetik in künstlerischer Hinsicht, und darauf
will ich mich konzentrieren. Die duale Struktur seiner Theorie ist so ausgeprägt und anschaulich, dass ich mich weit
gehend darauf beschränken kann, seine Unterscheidungen zu zitieren.
Im ersten Brief bemerkt er, „daß es größtenteils Kantische Grundsätze sind, auf denen [seine] nachfolgenden
Behauptungen ruhen werden.“ Und das ist in erster Linie Kants Satz: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen
ohne Begriffe sind blind.“
Im 6. Brief sagt er: „Die mannigfaltigen Anlagen im Menschen zu entwickeln, [ist] kein anderes Mittel, als sie ein-
ander entgegenzusetzen. Dieser Antagonism der Kräfte ist das große Instrument der Kultur.“ - Dieser Satz ist der
Anlass, die Verbindung zu den ‚Laws of Form’ herzustellen.
Schillers Grundunterscheidung ist: Die Welt der Sinne und die Welt des Denkens. Er spricht auch vom „sinnli-
chen Trieb“ oder „Stofftrieb“ im Unterschied zum „vernünftigen Trieb“ oder „Formtrieb“ Überhaupt verwendet
Schiller immer neue Begriffe, was für die feine Nuancierung seines Denkens spricht aber auch dafür, wie er mit der
Komplexität der Probleme ringt.
Erkenntnis
Begriffe Anschauung
Welt des Denkens Welt der Sinne
Schiller geht zunächst vom Menschen aus, von seinem Zustand und seiner Entwicklung. So im 11. Brief:
... die Abstraktion ... gelangt ... zu zwei letzten Begriffen, ... . Sie unterscheidet im Menschen et-
was, das bleibt, und etwas, das sich unaufhörlich verändert. Das Bleibende nennt sie seine Person, das
Wechselnde seinen Zustand. ... 165
Person und Zustand ... die wir uns in dem notwendigen Wesen als eins und dasselbe denken, sind ewig
zwei in dem endlichen. Bei aller Beharrung der Person wechselt der Zustand, bei allem Wechsel des
Zustands beharret die Person. ...
165 Diese Unterscheidung ist vergleichbar mit Maturanas Unterscheidung der zusammengesetzten Einheit in
Organisation und Struktur
Mensch
Person Zustand
Das Bleibende Das Wechselnde
Das absolute Sein Das Werden
Die Freiheit Die Zeit
[Der Mensch] ... unabhängig von allem sinnlichen Stoffe betrachtet, ist bloß die Anlage zu einer mög-
lichen unendlichen Äußerung; und solange er nicht anschaut und nicht empfindet, ist er noch weiter
nichts als Form ... . Seine Sinnlichkeit, für sich allein ... betrachtet, vermag weiter nichts, als daß sie
ihn, der ohne sie bloß Form ist, zur Materie macht ... . Solange er bloß empfindet, bloß begehrt, ... ist
er noch weiter nichts als Welt, [das heißt] formloser Inhalt der Zeit. ...
Um also nicht bloß Welt zu sein, muß er der Materie Form verleihen; um nicht bloß Form zu sein, muß
er der Anlage, die er in sich trägt, Wirklichkeit geben. Er verwirklicht die Form, wenn er die Zeit er-
schafft und dem Beharrlichen die Veränderung, der ewigen Einheit seines Ichs die Mannigfaltigkeit der
Welt gegenüberstellt; er formt die Materie, wenn er die Zeit wieder aufhebt, Beharrlichkeit im Wechsel
behauptet und die Mannigfaltigkeit der Welt der Einheit seines Ichs unterwürfig macht.
Schiller leitet aus diesen Sätzen „zwei entgegengesetzte Anforderungen an den Menschen“ ab,
die zwei Fundamentalgesetze der sinnlich-vernünftigen Natur. Das erste dringt auf absolute Realität:
er soll alles zur Welt machen, was bloß Form ist ... ; das zweite dringt auf absolute Formalität: er soll
alles in sich vertilgen, was bloß Welt ist ... ; mit anderen Worten: er soll alles Innre veräußern und alles
Äußere formen.
Mensch
Form Materie
Beharrlichkeit Veränderung
Einheit des Ichs Mannigfaltigkeit der Welt
Formalität Realität
Wenn man diese Sätze aufmerksam liest, stellt man fest, dass Schiller ständig die Seiten wechselt, entsprechend dem
Satz von Spencer-Brown: „Eine Grenze mit getrennten Seiten [wird] so angeordnet, dass ein Punkt auf der einen
Seite die andere Seite nicht erreichen kann, ohne die Grenze zu kreuzen.“ (s. Anm. 61)
Der sinnliche Trieb „geht aus von dem physischen Dasein des Menschen ... und ist beschäftigt, ihn in die Schranken
der Zeit zu setzen und zur Materie zu machen“ Materie heißt Veränderung in der Zeit und die „bloß erfüllte Zeit
heißt Empfindung.“ Der Formtrieb „geht aus von dem absoluten Dasein des Menschen oder von seiner vernünftigen
Natur und ist bestrebt, ihn in Freiheit zu setzen, Harmonie in die Verschiedenheit seines Erscheinens zu bringen und
bei allem Wechsel des Zustands seine Person zu behaupten.“ ... „Er umfaßt mithin die ganze Folge der Zeit“ das heißt
„er hebt die Veränderung auf; er will, daß das Wirkliche notwendig und ewig und daß das Ewige und Notwendige
wirklich sei. ...“ „Mit einem Wort:“ so endet er den 13. Brief, „den Stofftrieb muß die Persönlichkeit und den
Formtrieb muß die Empfänglichkeit oder die Natur in seinen gehörigen Schranken halten.“ (Hvh. A.S.)
Schiller hat also die Modi seiner Grundunterscheidung zusammengefasst in der Unterscheidung Formtrieb und
Stofftrieb. Nach dem Prinzip der ‚Form der Unterscheidung’ erhebt sich die Frage nach dem Motiv oder Kontext
der Unterscheidung, entsprechend dem Satz Spencer-Browns: „Es kann keine Unterscheidung geben ohne Motiv
...’ (s. Anm. 61)
Im 14. Brief stellt Schiller eine Verbindung her durch einen dritten Trieb, den er den Spieltrieb nennt. Ich folge
zunächst seinen Ausführungen:
Der sinnliche Trieb will, daß Veränderung sei, daß die Zeit einen Inhalt habe; der Formtrieb will, daß
die Zeit aufgehoben, daß keine Veränderung sei. Derjenige Trieb also, in welchem beide verbunden
wirken, ... Der Spieltrieb ... würde dahin gerichtet sein, die Zeit in der Zeit aufzuheben, Werden mit
absolutem Sein, Veränderung mit Identität zu vereinbaren. ...
Der Spieltrieb ... wird das Gemüt zugleich moralisch und physisch nötigen; er wird also, weil er alle
Zufälligkeit aufhebt, auch alle Nötigung aufheben und den Menschen sowohl physisch als moralisch
in Freiheit setzen. ...
Der Spieltrieb ... wird zugleich unsere formale und unsere materiale Beschaffenheit ... zufällig machen;
er wird also, eben weil er beide zufällig macht, ... die Zufälligkeit in beiden aufheben, mithin Form in
die Materie und Realität in die Form bringen.
Den Begriff ‚Zufälligkeit’ greife ich auf, um auch hier eine Verbindung herzustellen zu dem Prinzip der ‚Skala.’ Als
skaliert habe ich das Verhältnis zum Beispiel von physis und techne bezeichnet und festgestellt, dass dieses Verhältnis
frei gewählt werden könne und entschieden werden müsse und dass jeder Punkt auf dieser Skala nur eine kontin-
gente Relation der jeweiligen Unterscheidung markiere. Ich sehe eine Übereinstimmung zwischen dieser Kontingenz
und dem, was Schiller ‚Zufälligkeit’ nennt. Allerdings hatte ich bisher nicht geklärt, wie die freie Wahl eines ‚festen’
Punktes auf der Skala stattfindet. Hierzu bietet Schiller mit dem Spieltrieb eine Lösung.
Der Gegenstand des sinnlichen Triebes ... heißt Leben. ... Der Gegenstand des Formtriebes heißt Gestalt,
... ein Begriff, der alle formalen Beschaffenheiten der Dinge und alle Beziehungen derselben auf die
Denkkräfte unter sich fasst. Der Gegenstand des Spieltriebes ... wird also lebende Gestalt heißen können;
ein Begriff, der allen ästhetischen Beschaffenheiten der Erscheinungen und mit einem Worte dem was
man in weitester Bedeutung Schönheit nennt, zur Bezeichnung dient. (Hvh. A.S.)
Schönheit,
Formtrieb Sinnlicher Trieb
Und der Spieltrieb ist das Vermögen, den Punkt auf der Skala zu finden, an dem die künstlerische Idee verwirklicht
wird.
Bei Heidegger haben wir einen ähnlichen Ansatz gesehen: Ich vergleiche Heideggers Erde und Welt mit Schillers
sinnlichen Trieb und Formtrieb. Und was Schiller Spieltrieb nennt, ist bei Heidegger der Streit. Er sagt: „Wahrheit west
nur als der Streit zwischen Lichtung und Verbergung in der Gegenwendigkeit von Welt und Erde.“
Wahrheit
Welt Erde
Schiller sprach von der „Schönheit im weitesten Sinne“ und deshalb setze ich ‚Schönheit’ mit ‚Wahrheit’ gleich.
(Bei dieser Gelegenheit merke ich an, dass in der Weise, wie ich Spencer-Browns ‚Laws of Form’ verwende – so, wie
ich es von Luhmann und seinen Schülern übernommen habe – das skalierte Verhältnis der unterschiedenen Seiten
mit dem von mir entwickelten Symbol nicht darstellbar ist. Angesichts der Komplexität des Kalküls von Spencer-
Brown nehme ich an, dass dies mit dessen Symbolen möglich wäre. Meine mathematischen Kenntnisse reichen
aber nicht aus, das herauszufinden. Andererseits halte ich die Idee der Skalierung für so wichtig, dass ich mich mit
der verbalen Darstellung begnügen muss.)
Für Schiller ist der Spieltrieb – das heißt die Verankerung auf der Skala – sehr bedeutend:
... unter allen Zuständen des Menschen [ist es] gerade das Spiel und nur das Spiel, was ihn vollkommen
macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet. ...
Denn ... der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz
Mensch, wo er spielt.
Doch dann – im 16. Brief – entwickelt Schiller einen irritierenden Gedanken, Sein Schönheitsideal, das durch die
griechische Kunst, zum Beispiel durch „die Idealgestalten einer Venus, einer Juno, eines Apolls“ (15. Brief) geprägt
ist, sucht seine Verwirklichung in dem „möglichstvollkommensten [!] Bunde und Gleichgewicht der Realität und
der Form, ... Dieses Gleichgewicht bleibt aber immer nur Idee, die von der Wirklichkeit nie ganz erreicht werden
kann.“ In der Erfahrung „wird jederzeit, mehr oder weniger, das Übergewicht einen Mangel und der Mangel ein
Übergewicht begründen.“
In Schillers Gedanken ist hier ein statisches Element festzustellen, das wohl dem griechischen Schönheitsideal ge-
schuldet ist, das aber zu seinen bisherigen Ausführungen im Widerspruch steht. Ein „absolutes Gleichgewicht“ ist
mit dem Spielprinzip nicht zu vereinbaren.
Ich habe den Spieltrieb mit dem Skalenbegriff verglichen. Deshalb will ich an dieser Stelle einmal dessen Charakter am
Beispiel der bildenden Kunst beleuchten. Die bildende Kunst als autonome Kunst ist frei in ihren Ausdrucksweisen,
und gerade die Moderne ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Möglichkeiten auf der Skala der Unterscheidungen
Der 18. Brief bringt dann wieder Klarheit in das Verhältnis von Sinnlichkeit und Formalem, das eindeutig als ‚Form
der Unterscheidung mit zwei Seiten’ gesehen werden kann:
Durch die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet; durch die Schönheit
wird der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt wiedergegeben.
Aus diesem scheint zu folgen, daß es zwischen Materie und Form, zwischen Leiden und Tätigkeit einen
mittleren Zustand geben müsse und daß uns die Schönheit in diesen mittleren Zustand versetze. Diesen
Begriff bildet sich auch wirklich der größte Teil der Menschen von der Schönheit, sobald er angefangen
hat, über ihre Wirkungen zu reflektieren, und alle Erfahrungen weisen darauf hin.166 ... aber [nichts]
ist ungereimter und widersprechender als ein solcher Begriff, da der Abstand zwischen Materie und
Form, zwischen Leiden und Tätigkeit, zwischen Empfinden und Denken unendlich ist und schlechter-
dings durch nichts kann vermittelt werden. Wie heben wir nun diesen Widerspruch? Die Schönheit
verknüpft die zwei entgegengesetzten Zustände des Empfindens und des Denkens, und doch gibt es
schlechterdings kein Mittleres zwischen beiden, Jenes ist durch Erfahrung, dieses ist unmittelbar
durch Vernunft gewiß.
Dies ist der eigentliche Punkt, auf den zuletzt die ganze Frage über die Schönheit hinausläuft, und ge-
lingt es uns, dieses Problem befriedigend aufzulösen, so haben wir zugleich den Faden gefunden, der
uns durch das ganze Labyrinth der Ästhetik führt. (Hvh. A.S.)
Schiller benennt also explizit die Schönheit als verbindendes Element, als Kontext oder Motiv der Unterscheidung
von Form und Materie. Um diese für mich so wichtigen Kernsätze hervorzuheben, schreibe ich noch mal:
Schönheit
Form Materie
Im 19. Brief entwickelt Schiller einen Gedanken, von dem man annehmen könnte, dass Spencer-Brown unmit-
telbar von ihm angeregt worden sei: Er sieht in dem „Zustand des menschlichen Geistes vor aller Bestimmung, die
ihm durch Eindrücke der Sinne gegeben wird, ... eine Bestimmbarkeit ohne Grenzen. Das Endlose des Raumes
und der Zeit ist seiner Einbildungskraft zu freiem Gebrauch hingegeben, ... man ... [kann] diesen Zustand der
Bestimmungslosigkeit eine leere Unendlichkeit nennen ...“
Wie entsteht jetzt „aus der unendlichen Menge möglicher Bestimmungen ... eine einzelne Wirklichkeit, ... eine
Vorstellung“ ? - Schiller stellt fest:
Um eine Gestalt im Raum zu beschreiben, müssen wir den endlosen Raum begrenzen; um uns eine
Veränderung in der Zeit vorzustellen, müssen wir das Zeitganze teilen. Wir gelangen also nur durch
Schranken zur Realität, nur durch Negation oder Ausschließung zur Position oder wirklichen Setzung,
nur durch Aufhebung unserer freien Bestimmbarkeit zur Bestimmung.
166 Daraus entstehen, wie wir gesehen haben, Begriffe wie ‚Hybride’ oder ‚Synthese.’
Ehe wir im Raum einen Ort bestimmen, gibt es überhaupt keinen Raum für uns; aber ohne den abso-
luten Raum würden wir nimmermehr einen Ort bestimmen. ...
Wir gelangen also ... nur durch den Teil zum Ganzen, nur durch die Grenze zum unbegrenzten; aber
wir gelangen auch nur durch das Ganze zum Teil, nur durch das Unbegrenzte zur Grenze.
Schillers „endloser Raum“ ist bei Spencer-Brown der „unmarked state,“ den Luhmann „unmarked space“ nann-
te.167 In Kapitel 2 der Laws of Form heißt es: “Triff eine Unterscheidung ... Nenne den Raum, in dem sie getroffen
wird, den Raum der durch die Unterscheidung geteilt oder gespalten wird. Nenne die Teile des Raumes, der durch
die Teilung oder Spaltung gebildet wird, die Seiten der Unterscheidung oder wahlweise die Räume, Zustände oder
Inhalte, die durch die Unterscheidung unterschieden werden.“ - Und Schillers Aussage, dass keine Vorstellung
werden kann, „wenn nicht etwas wäre, von welchem ausgeschlossen wird,“ entspricht dem lapidaren Satz Spencer-
Browns: wir können „keine Bezeichnung vornehmen, ... ohne eine Unterscheidung zu treffen.“
Ich komme zurück auf den Ausgangspunkt dieser Betrachtung: Die Gestaltung und Wirkung der Gartenwege, wo-
bei ich das Formgefühl vom Körpergefühl unterschieden habe. Die Übereinstimmung mit Schillers Formtrieb und
Sinnlichem Trieb ist evident.
Die weiteren Überlegungen werden als Form der Unterscheidung immer wieder zeigen, dass Schillers
Grundunterscheidung allgemeine Gültigkeit besitzen.
Analog zum ‚Urgarten’ gehe ich zurück auf die ursprüngliche Entwicklung des Raumgefühls. Manche Autoren
sehen den Ursprung der menschlichen Prägung in den afrikanischen Savannen.168 Ich gehe nicht so weit zurück,
sondern sehe für die Menschen in Mitteleuropa den Wald als erste räumliche Umgebung, unterschieden von den
asiatischen Steppen oder afrikanischen Savannen.
... der größte Teil des von Menschen bewohnten Abendlandes war ... in der Vergangenheit mehr oder
weniger dicht bewaldet. ... die westliche Zivilisation rodete sich buchstäblich ihren Raum inmitten
von Wäldern. Ein dunkler Waldsaum definierte die Grenzen ihres Ackerbaus, die Ränder ihrer Städte,
die Begrenzungen ihres institutionellen Herrschaftsbereichs, aber auch die Ausschwei- fungen ihrer
Phantasie. ... die herrschenden Institutionen des Abendlandes – Religion, Recht, Familie, Stadt - [eta-
blierten sich] ursprünglich in Opposition zu den Wäldern, die in dieser Hinsicht die ersten und die
letzten Opfer der Ausdehnung der städtischen Welt geworden sind. (9)169
Einen „bemerkenswerten Ansatzpunkt“ für seine Ausführungen findet Harrison bei dem italienischen Philosophen
Giambattista Vico (1668 – 1744) und dessen „schöpferischen Archeologie der metaphorischen Ursprünge des
menschlichen Denkens.“ (22)
Vico beschreibt die ersten Bewohner der Wälder, die „Giganten“, die, „von den Müttern verlassen“, gesetzlos „in
tierischer Freiheit“ die Wälder durchstreiften. (17f) Sie sahen keinen Himmel und keine Götter, bis Vulkan, der
Gott des Feuers und der Technik, Lichtungen in die Wälder brannte. (24) Auf den Lichtungen konnten Familien
gegründet werden, deren Symbol der Stammbaum wurde. „Die Aneignung des Waldes“ war eine „Metapher für
menschliche Institutionen.“ „Vom Familienstammbaum zum Baum der Erkenntnis, vom Baum des Lebens zum
Baum der Erinnerung haben Wälder in der kulturellen Evolution der Menschheit einen unentbehrlichen Fundus
der Symbolisierung bereit gestellt, und dies so sehr, dass der Aufstieg des modernen wissenschaftlichen Denkens
losgelöst von der Vorgeschichte solcher metaphorischen Entlehnungen ganz undenkbar bleibt.“ (22)
Das geht zum Beispiel daraus hervor, wie Vico die Entwicklung des lateinischen Wortes „lex“ für „Gesetz“ erläutert:
Er schreibt, dass dieses Wort „anfangs das Einsammeln von Eicheln bedeutet haben muß, wonach ... die Steineiche
ilex ... genannt wurde. ... Alsdann bedeutete lex ‚das Einsammeln von Hülsenfrüchten’ wonach diese legumina ge-
nannt wurden. Später ... musste lex aus einer Notwendigkeit des Politischen‚Versammlung von Bürgern’ ... bedeu-
Ein anderes Beispiel einer Aneignung des Waldes beschreibt Harrison mit der Entstehung Roms. Es beginnt damit,
dass Romulus, im Wald mit seinem Bruder Remus ausgesetzt, von der Wölfin, „der mythischen Gestalt des Waldes,“
gesäugt und aufgezogen wurde. Zum Manne herangewachsen, gründete er „auf einer Lichtung auf dem Kapitol“ die
Stadt Rom. Sie wurde „Zufluchtstätte“ für „Waldvagabunden ... die in der Wildnis außerhalb der Grenzen häuslicher
Religion und ziviler Gesellschaft gelebt hatten.“ (68) „wer die Stadtgrenzen betrat, floh dorthin aus den Wäldern,
die zu einer Grenze oder einem Randstreifen wurden gegen den der städtische, in strengem Sinne institutionelle
Raum definiert wurde. ... Die Wälder wurden ... als locus neminis, ‚Niemandsland,’ bezeichnet. ... Stadt und Wald
waren somit strikt voneinander abgesetzt. ... Die res nullius stand der res publica auf solche Weise gegenüber, dass ein
Waldsaum dem städtischen Raum seine natürliche Grenze verlieh.“ (69)
Aber diese Grenze wurde immer weiter zurück gedrängt. Harrison beschreibt die Entwaldung des Mittelmeerraumes
durch die Griechen und Römer. Das Holz wurde für den Haus- und Schiffsbau benötigt und die gerodeten Flächen
für den Ackerbau. Einer fruchtbaren Zeit folgte die Erosion der Böden durch Regen und Wind bis zur Karst- und
Wüstenbildung.
Dass diese Handlungsweise nicht nur vom Nützlichkeitsdenken bestimmt wird, zeigt eine andere Legende, das
Gilgamesch-Epos, in dem das Verhältnis zum Wald durch Aggression bestimmt wird. Vico sah eine grundle-
gende Feindschaft religiösen Ursprungs zwischen den Institutionen der Menschheit und den am Rande liegenden
Wäldern. (29)
Gilgamesch wurde es als Heldentat angerechnet, dass er auf dem Berg der Zedern Huwawa, den Wächter des Waldes
erschlägt, um danach die Zedern zu fällen und in die Stadt zu bringen. (30) Er will „die Bäume das Schicksal derer
teilen lassen, die innerhalb der Mauern leben“ und sterben müssen. „Stämme werden die Kadaver werden“
Es ist eine bedauerliche Tatsache der Geschichte, dass die Menschen nie aufgehört haben, die Geste
Gilgameschs zu wiederholen. Der destruktive Impuls in Bezug auf die Natur hat nur zu oft psychische
Gründe, die über die Gier nach materiellen Ressourcen oder das Bedürfnis, eine Umwelt zu domestizie-
ren hinausgehen. Zu oft sind im Angriff auf die Natur und ihre Arten bewusste Wut und Rachsucht am
Werk, so als wollte man auf das Natürliche die unerträglichen Ängste der Endlichkeit projizieren.(34)
Auf diesen Grundzug menschlichen Verhaltens habe ich bereits in Bezug auf den Barockgarten hingewiesen: Das
Bewusstsein von Altern und der Endlichkeit sollte durch Kosmetik und durch Beschneiden der Pflanzen verdrängt
werden.
Ein jüngeres Beispiel für aggressives Verhalten gegenüber der Natur sind die Verwüstungen, die mit der
Flurbereinigung bis in die 70ger Jahre einhergingen. Dabei wurden nicht nur Flächen entwässert und Ackerschläge
vergrößert, um moderne Maschinen einsetzen zu können, was durchaus verständlich ist; sondern es wurde alles
Naturhafte beseitigt, wie kleine Feuchtbiotope und Gehölzgruppen am Rande, wo sie überhaupt nicht störten. Die
‚Bereinigung’ hatte absolut aggressive Züge.
In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, wie weit auch der zur Zeit modische Minimalismus, in dem alles
‚Naturalistische’ aus der Stadt verbannt wird, einen derartigen psychologischen Hintergrund hat. Das wird noch
näher zu erörtern sein.
Der Wald ist aber auch die Bühne unserer Mythen und Märchen, für die Elfen und Faune und damit der Gegensatz
von der Stadt, der Welt der Vernunft und der Technik. Diesem Gegensatzpaar gilt meine weitere Betrachtung
Den Charakter der Stadt als geistigen Raum in seiner Entstehung hat der spanische Philosoph Ortega y Gasset
(1883 – 1955) in seiner anschaulichen Sprache beschrieben, und ich erkenne darin manche Parallelen zu der
Darstellung Vicos, die wir bei Harrison gesehen haben:
Griechen und Römer sind, wenn sie in der Geschichte erscheinen, in Städten, urbs, polis, behaust,
... . Die Stadt ist eine letzte Gegebenheit von geheimnisvollem Ursprung. ; ... Allerdings gestatten
Ausgrabungen und archäologische Forschungen uns, etwas von dem zu erkennen, was auf atheni-
schem und römischem Boden geschah, ehe Athen und Rom bestanden. Aber der Übergang von jener
rein bäuerlichen, durch nichts ausgezeichneten Prähistorie zum Keim der Stadt ... bleibt dunkel; man
kennt nicht einmal den ethnischen Zusammenhang zwischen jenen vorgeschichtlichen Völkern und
diesem erstaunlichen Gemeinwesen, die das Repertoire der Menschheit um eine große Neuheit be-
reicherten, indem sie einen öffentlichen Platz und um ihn her eine gegen das Feld geschlossene Stadt
erbauten. ... die Stadt beginnt als Hohlraum, als Markplatz, forum, agora; und alles Weitere ist
Vorwand, um dies Hohl zu sichern. ... Die Polis ist ursprünglich nicht ein Haufe bewohnbarer Häuser,
sondern ein Ort des bürgerlichen Zusammentreffens, ein abgegrenzter Raum zu öffentlichen Zwecken.
... Man beachte, dass hiermit eine neue Gattung Raum konstruiert wurde, ... . Solange gab es
nur einen Raum, das Land, ... . Der Landmann ist noch pflanzenhaft. Sein Leben bewahrt, wenn er
denkt, fühlt, will, etwas von der bewußtlosen Dumpfheit des Vegetativen. ... aber der antike Mensch
löst sich entschlossen vom Land, von der Natur, von dem geobotanischen Kosmos ab. Wie ist das
möglich? ... Sehr einfach: er hegt ein Stück Land vermittels einiger Mauern ein und stellt dem ge-
staltlosen, unendlichen Raum den umschlossenen, endlichen gegenüber. So entsteht der Platz.
Er ist nicht wie das Haus ein nach oben hin geschlossenes Inneres, darin den Höhlen gleichend, die
es auf dem Felde gibt; er ist schlechthin die Verneinung des Feldes. Dank den Mauern, die ihn
umgeben, ist der Platz ein Stück Land, das dem Rest den Rücken dreht, von ihm absieht und sich ihm
entgegensetzt. Dieses rebellische Kleinland, das sich von der großen Mutter abgeschnürt hat und seine
Eigenrechte ihr gegenüber wahrt, ist als Land aufgehoben und darum ein Raum sui generis, völlig
neu, worin der Mensch, aus jeder Gemeinschaft mit Pflanze und Tier gelöst, ein in sich kreisen-
des, rein menschliches Reich schafft: den bürgerlichen Raum. Darum wird einst der große Städter...
Sokrates sagen: „Ich habe nichts mit den Bäumen auf dem Felde, ich habe nur mit den Menschen in
der Stadt zu tun.170 (Hvh. A. S.)
Hier werden natürlich keine historisch chronologischen Abläufe beschrieben, sondern jahrhunderte lange, histo-
risch erforschte Entwicklungen oder in Legenden bewahrte Erinnerungen. Man muss sich klar machen, dass dieser
endliche Raum, der aus dem unendlichen Raum ‚herausgeschnitten’ wurde, eine völlig neue Qualität hat. Harrison
In dem Maße, wie die Ordnung der menschlichen Dinge ihren Lauf nimmt, ... rücken die Wälder im-
mer weiter fort vom Mittelpunkt der Lichtungen. Im Mittelpunkt vergisst man schließlich, dass man
auf einer Lichtung wohnt. Der Mittelpunkt wird utopisch. Je größer der Kreis der Lichtung, desto mehr
ist der Mittelpunkt nirgends und desto mehr wird der logos reflektierend, abstrakt, universalistisch ...
.171
Aber das Zurückdrängen des Waldes war nicht der einzige Faktor, der den antiken Raum bestimmte; dazu kam eine
erste ökologische Katastrophe, die das antike Griechenland einschneidend veränderte. In Platons Bericht des Kritias
wird geschildert, wie früher, im „Athen der Vergangenheit“ die „Bürger, welche sich mit dem Gewerbe und mit
dem Gewinn der Früchte der Erde beschäftigten,“ getrennt von den Kriegern wohnten, und „dass an Fruchtbarkeit
die ganze Erde von unserem Land übertroffen wurde.“ Die Berge waren „mit Erde bedeckt,“ und es trug „vieles
Gehölz auf den Bergen.“ Und der reichlich vorhandene Fruchtboden sog den Regen ein „in einer Umschließung
von Tonerde“ und ließ ihn so in die „Tiefen hinabfließen“ und „bereitete so an allen Orten reichhaltige Quellen.“
Da nun aber „viele bedeutende Überschwemmungen ... Statt gefunden haben ... so [ist] die Erde ... in der Tiefe
verschwunden. So ist denn in dem gegenwärtigen [Lande] gleichsam wie von einem durch Krankheit dahinge-
schwundenen Körper nur noch die Knochen übrig geblieben, indem die Erde, soweit sie fett und weich war, rings-
um abgeflossen und nur das magere Gerippe des Landes zurückgelassen ist.“ 172
Was wir von Kritias nicht erfahren, ist die Ursache, die zu den „bedeutenden Überschwemmungen“ geführt hat,
nämlich die Abholzung der Wälder an den Berghängen, der zufolge das Wasser nach starken Regenfällen nicht mehr
zurück gehalten wurde, sondern in Sturzbächen den Boden mit zu Tal riss.
In dieser devastierten Landschaft konnte zwar noch Landwirtschaft betrieben werden, aber der Boden gab nicht
soviel her, dass die wachsende Bevölkerung damit ernährt werden konnte. Es musste zunehmend Getreide aus
anderen Mittelmeerländern eingeführt werden, wodurch ein reger Handel entstand und damit Verbindungen zu
anderen Kulturen. – Die eigene Landwirtschaft wurde überwiegend von Sklaven betrieben: „Im Athen des Perikles
kommen auf etwa 50.000 freie Bürger ungefähr 100.000 Sklaven“ 173
Erst diese Entwicklung im antiken Griechenland macht die Aussage Ortegas von dem städtischen Raum als „Land
aufgehoben“ und “Raum sui generis,“ in dem „der Mensch, aus jeder Gemeinschaft mit Pflanze und Tier gelöst, ein
in sich kreisendes, rein menschliches Reich schafft,“ verständlich.
Nur in diesem rein geistigen Raum konnten die Grundlagen der abendländischen Kultur entstehen, die der
Philosophie, der Wissenschaft und der Mathematik. Es ist anzunehmen, dass die Griechen ein erstes geometrisches
Denken von den Ägyptern übernommen haben, die es entwickelt hatten, weil sie nach jeder Überschwemmung des
Nils ihr Land neu vermessen mussten. - Die Pythagoräer bauten auf diesem Wissen auf und schufen ihre Zahlen-
und Symmetriegesetze, wodurch – wie Schadewald schreibt – „eine neue Wendung in das Denkgeschehen kommt,
ein neuer Seinsbereich eröffnet wird.“ 174 Davon war auch Platon beeinflusst, der im ‚Timaios’ eine Vorstellung
entwickelte, nach der sich die Welt aus fünf kleinsten Polyedern zusammensetzt, die wiederum aus zwei Arten von
In einer so aus geometrischen Körpern zusammen gesetzten Welt war der Mensch überzeugt, dass alles messbar,
berechenbar und kontrollierbar ist, und das war die Voraussetzung für die erfolgreiche Entwicklung der abendlän-
dischen Wissenschaft. Aber nicht nur die Erfolge der Wissenschaft faszinieren uns, sondern auch die Ästhetik der
geregelten und wie gesetzmäßig erscheinenden geometrischen Formen. Auch „Kants transzendentale Ästhetik be-
ruht auf der Annahme der universellen Gültigkeit der Euklidischen Geometrie.“ 176
Entwicklungsgeschichtlich ist anzumerken, dass dieses Denken im ‚dunklen Mittelalter’ weit zurück trat. Die mit-
telalterliche Stadt ist mit der antiken Polis nicht zu vergleichen. Der Marktplatz mit der Kirche inmitten der um-
mauerten Stadt und der verwinkelten Gassen unterscheidet sich Grund legend von der griechischen agora, genau
so, wie die Menschen in der engen geistigen Welt der Zünfte und Stände sich von den freien Bürgern Athens
unterscheiden. Erst in der Renaissance gewinnt das ‚klassische Denken’ wieder die Oberhand. Es folgt die Zeit der
Entdeckungen und Erfindungen.
Mit der Entdeckung der Perspektive änderte sich auch die Raumvorstellung des Mittelalters. Die Perspektive fordert
geradezu dazu auf, lange Fluchten von Fensterreihen, Arkaden oder Wegeachsen zu bilden. Die Geometrisierung
setzte sich immer mehr durch, auch in der Gartenkunst; hier allerdings in wechselnder Intensität. Auf den
Renaissance- und den Barockgarten folgte die Auflösung im frühen Landschaftsgarten, die aber – wie wir gesehen
haben - sehr schnell von der Geometrie des Zirkels abgelöst wurde. So ist auch der Landschaftsgarten in dieser
Sichtweise ein klassischer Raum. - Im 20. Jahrhundert traten die Stile im modischen Wechsel auf, oder sie wurden
individuell unterschiedlich angewendet. Heute wird die Gartenkunst wieder stark von der Geometrie beherrscht;
lange Wegeachsen, ‚harte Kanten,’ klassische Klarheit prägen das Bild, und „der Pappeln stolze Geschlechter ziehen
[wieder] in geordnetem Pomp vornehm daher. Regel wird alles und ... alles Bedeutung“ 177
Soweit die historische Entwicklung. Nun komme ich zu einem wesentlichen Thema dieser Arbeit:
Ich sehe die unterschiedlichen Raumvorstellungen als eine der wichtigsten Fragen der Gartenkunst an. Ich habe die
Lichtung als einen Urraum bezeichnet, denn der Wald ist kein Raum. Erst wenn eine Fläche des Waldes ‚geräumt’
ist, entsteht ein Raum, eine Lichtung. - Viele Flurbezeichnungen mit ‚ruhm’ oder ‚rade’ weisen noch auf diesen
Vorgang hin. - Der Wald ist also konstitutiv für die Lichtung. Und auch wenn der Wald weiter zurück gedrängt wird,
bleibt die Lichtung, und der Wald bleibt deren Grenze. Diese Feststellung ist für meine weiteren Überlegungen sehr
wichtig. – Der Raum dieser Lichtung trägt die Vegetation, von der die Ernährung der Menschheit abhängt; ich habe
ihn deshalb in einer früheren Arbeit auch den ‚Vegetativen Raum’ genannt, abgeleitet von Ortegas ‚Dumpfheit des
Vegetativen.’ Ich verwende im Folgenden die ‚Lichtung’ - in Bezug zum Raum - synonym mit dem ‚Vegetativen
Raum’ - bezogen auf den Inhalt.
Zunächst zum klassischen, geometrischen Raum: Er wird mathematisch definiert durch drei Achsen: Länge Breite
und Höhe. Durch diese lässt sich jeder Punkt in dem Raum bestimmen. Die Problematik dieser Raumanschauung
lässt sich am besten erklären durch die Betrachtung einer geometrischen, zweidimensionalen Fläche. Auch auf die-
ser können wir jeden Punkt bestimmen, wie wir gelernt haben, durch die X- und Y- Achse. Das funktioniert aber
nur, wenn die Fläche eben ist. Der Mathematiker Matthias Kreck spricht hier von der ‚Glattheitsforderung.’ 178
Nun ist die Erde aber nicht glatt, sondern als Kugeloberfläche gekrümmt und es gibt Berge und Täler. Die Darstellung
als glatte Fläche, als Landkarte gelang in befriedigender Weise erst dem berühmten Mathematiker Carl Friedrich
Gauß. Und in der Gartenkunst löste man das Problem, indem man die unebenen Flächen planierte und in Terrassen
umformte. Heute ist dieses Prinzip wieder modern; Hügel werden geometrisch geformt und Flächen in ‚Schollen’
aufgebrochen, mit dem Unterschied, dass statt des rechten Winkels überwiegend spitze Winkel das Bild bestimmen.
Die Glattheitsforderung gilt nach Kreck auch für den dreidimensionalen. nicht gekrümmten Raum. Dieser geo-
metrische Raum unterscheidet sich wesentlich von dem Vegetativen Raum und der ‚physis’. Eine Pflanze ist nicht
geometrisch zu beschreiben. Die Vegetation folgt zwar physikalischen Gesetzen wie Schwerkraft und Licht, aber
geometrische Formen spielen bei ihr keine Rolle. – Nur der Wald wurde vorübergehend, etwa ein gutes Jahrhundert
lang, der Geometrie unterworfen. Als die Forstwissenschaft den Waldbau rationalisierte, teilte sie den Wald in recht-
eckige Jagen ein, um die Bäume besser zählen zu können. Der Wald wurde zu einem „Buch mit Zahlen“, wie mir
einmal ein älterer Vermessungstechniker sagte, empört, weil ich einen Wanderweg, unabhängig von den Jagen,
durch einen Hamburger Wald plante. – Auch die in dieser Zeit praktizierte Monokultur im Wald hängt sicher mit
dieser materialistischen Haltung zusammen. – Dieser vorübergehende Irrweg im Waldbau ist nicht zu vergleichen
mit dem Ackerbau, dessen Formen sich über Jahrtausende entwickelten, wie ich dargestellt habe.
Für die Unterscheidung der Räume sehe ich noch ein weiteres Kriterium: die Zeit: Die Lichtung ist zeitlos. Selbst
wenn sie immer größer wird, verändert sie nicht ihren Charakter; die Vegetation wächst seit ewigen Zeiten im
Rhythmus der vier Jahreszeiten. Entsprechend verändern sich auch die Behausungen der Landleute nicht in ih-
rer Struktur. Sie unterliegen keiner Stilwandlung, sondern sind nur zweckmäßig in Bezug auf unterschiedliche
Klimabedingungen und Bewirtschaftungsformen. Der Klassische Raum dagegen ist zeitlich. Das Weltbild, die
Gesellschaftsformen, die Baustile verändern sich in der Zeit. Und selbst wenn man das Wachsen der Vegetation
oder das Werden und Vergehen des Lebens als zeitlich sehen will, unterscheidet es sich durch seine Irreversibilität
von der Reversibilität des Klassischen Raumes oder - wie man in diesem Fall sagen kann - der rationalen Welt der
Wissenschaft und Technik.
Ein weiteres Kriterium ist das für diese Betrachtung Entscheidende: In der Lichtung ist kein Innenraum von ei-
nem Außenraum zu unterscheiden, denn der Wald ist ja kein Raum. Dagegen ist für den Klassischen Raum die
Trennung von Innen- und Außenraum konstitutiv, so wie Ortega es beschrieben hat. Es ergeben sich nun die
Unterscheidungen:
Lebensraum
Lichtung, Vegetat. Raum Klassischer Raum
und
Wenn man diese beiden Unterscheidungen vergleicht, kann der Eindruck entstehen, dass die Lichtung zweimal
als Teil einer Unterscheidung erscheint. Das ist der Fall, wenn man die Lichtung als ‚Objekt’ betrachtet. Deshalb ist
immer wieder an die ‚Laws of Form’ zu erinnern, in denen es nicht um Objekte sondern um Beobachtungen geht.
Die Lichtung im Kontext ‚Lebensraum’ ist in der Beobachtung nicht identisch mit dem Außenraum im Kontext
‚Klassischer Raum.’
Diese Unterscheidung des vegetativen vom klassischen Raum ist schwer zu verstehen. Sie ist – was paradox er-
scheint – überhaupt nicht räumlich zu sehen, sondern nur gedanklich oder erkenntnismäßig. Das heißt, im vege-
tativen Raum sind die euklidischen Gesetze aufgehoben. Er ist bestimmt durch die stochastischen und irreversiblen
Vorgänge des Wachsens. Als vegetativer Raum enthält die Lichtung die Ernährungsgrundlage der Menschen, Äcker,
Wiesen und Gärten, aber auch das, was man bisher Ödland genannt hat. Im allgemeinen Bewusstsein ist dies alles
immer noch ‚die Natur,’ und diese besteht insgesamt aus ‚physis und techne.’ Neu ist das Bewusstsein, dass unsere
Handlungsmaxime verantwortlich vom ‚Tun und Lassen’ gesteuert sein muss. Darin sind alle ‚Naturen,’ die ‚freie,’
‚angeeignete’ und so weiter enthalten. In diesem Bewusstsein können die Ideen Naturschutz und ‚Welt als Garten’
vereint werden.
Der Wald behält auch – zumindest für den mitteleuropäischen Menschen – seinen geheimnisvollen Zauber, den
Schiller so eindrucksvoll beschreibt, wenn er auf seinem Spaziergang aus der freien Landschaft in den Wald tritt:
Mich umfängt ambrosische Nacht: in duftende Kühlung nimmt ein prächtiges Dach schattender
Buchen mich ein,
In des Waldes Geheimnis entflieht mir auf einmal die Landschaft, ...
Auch in anderer Hinsicht hat der Wald seinen ursprünglichen Charakter nicht verändert: Er ist im gewissen
Sinne ‚Locus nemisis,’ ‚Niemandsland’ geblieben: Alle Wälder - auch Privatwälder - sind bis heute mit großer
Selbstverständlichkeit und per Gesetz öffentlich zugänglich.
Ich insistiere hier so auf die Bedeutung des Waldes, weil dieser in der Profession bisher nur eine geringe Beachtung
gefunden hat: ‚Wald ist Sache der Förster.’ Das gilt auch besonders für den Naturschutz. Mir ist kein Fall bekannt,
in dem im Zuge der Eingriffsregelung eine Aufforstung als Ersatzmaßnahme gefordert wurde. Nur der Urwald ist
seit einiger Zeit in Deutschland interessant geworden, aber mit der Folge, dass er ‚Besitz’ der Wissenschaft und
Naturschutzverbände wurde und kein ‚Niemandsland’ mehr ist; der Mensch ist in ihm nicht erwünscht, höchstens
unter bestimmten Bedingungen. In der ‚Welt als Garten’ muss der Wald eine Schlüsselrolle spielen.
Die Unterscheidung des Klassischen vom Vegetativen Raum ist auch eine geographische Frage. Klärung bringen
hier neue theoretische Erkenntnisse. So die Untersuchungen an der Universität Stuttgart „über fraktale Gesetze im
Stadtwachstum181 und die Theorie von Thomas Sieverts von der „Zwischenstadt.“ 182
Von Humpert et al wurde die Struktur von 60 Metropolen untersucht. In der abstrakten Darstellung so genannter
Schwarzpläne zeigte sich, „dass sich diese Ballungsräume weltweit ähneln.“ Besonders die europäischen Metropolen
glichen sich in der „gleichmäßigen Zerfransung ihrer Ränder.“ Es zeigte sich, dass das Verhältnis der Länge der
Siedlungsränder zu den Siedlungsflächen immer annähernd gleich ist, das heißt, je größer die Fläche, um so länger
werden die Ränder, weil „diese Siedlungskörper immer mehr Rand produzieren. Die Abhängigkeit von Randlänge
und Fläche deutet auf fraktale Strukturen hin.“ 183
Das bedeutet auch, dass die Randdistanzen, das heißt die Entfernung der Siedlungsmitte von ihrem Rand sich nicht
signifikant unterscheiden, „und dass Ballungsräume – unabhängig von ihrer Größe und ihrer Lage – eine durch-
schnittliche maximale Randdistanz von 3,4 Kilometer aufweisen.“ 184
Besonders für die „verstädterten Zonen Europas“ gilt: „je entwickelter eine Stadt ist, desto differenzierter ist der
Aufbau der Größenkategorien, desto stärker ist sie also partikularisiert: neben dem großen Hauptzentrum gibt es
mittelgroße und kleinere Siedlungspartikel.“ 185
Die Forscher kommen zu der Erkenntnis, dass gerade die Siedlungsränder eine deutliche Präferenz haben. Deshalb
„sollten wir in großen Agglomerationen die Verteilung, Zerfransung und Verinselung positiv bewerten. Ein zerklüf-
teter Siedlungsraum besitzt viele Randlagen – und damit auch viele hochqualifizierte Standorte. Hier [muss] ein
Umdenken ... stattfinden. Der Rand darf nicht weiter das Privileg einiger weniger bleiben.“ 187
Zu einer ähnlichen, positiven Einstellung zur gegenwärtigen städtebaulichen Situation kommt Thomas Sieverts.
Auch er stellt fest, „dass ‚Stadt’ der Neuzeit auf der ganzen Welt auf ihr Umland ausgreift und dabei eigene Formen ei-
ner verstädterten Landschaft oder einer verlandschafteten Stadt ausbildet.“ Er nennt diese Gebilde „Zwischenstädte.“
„Sie breiten sich in großen Feldern aus, sie haben sowohl städtische wie landschaftliche Eigenschaften. Diese
Zwischenstadt steht zwischen ... der auch als Mythos noch sehr wirksamen Alten Stadt und der ebenfalls noch tief
in unseren Träumen verankerten Alten Kulturlandschaft.“ 188
Sieverts bezieht sich explizit auf die Forschungen der Stuttgarter Wissenschaftler, aber er geht über deren abstrak-
te und einseitige Betrachtung der Siedlungsflächen hinaus und kommt mit der Einbeziehung der Landschaft und
deren Unterscheidung von den Bauflächen zu einer ganzheitlichen Betrachtung. Diese Unterscheidung bringt ihm
aber auch einige kritische Bemerkungen Prominskis ein. Dieser lässt sie nicht gelten, weil – wie wir oben gesehen
haben – in seiner ‚Totalen Landschaft’ kein Raum für derartige Unterscheidungen ist. Die Bedeutung von Sieverts
‚Zwischenstadt’ ist aber so immens, dass es sich lohnt, sie näher zu betrachten und vermeintliche Widersprüche zu
klären. Ich wende wieder die Operation der Unterscheidung an. Dabei hebe ich die Begriffe im Text hervor, die auf
eine Unterscheidung hinweisen oder besonders wichtig sind. – Ich zitiere:
In allen Zwischenstädten haben sich kennzeichnende Muster der Durchdringung von Freiräumen und
Bebauung herausgebildet. ... Es ist die Suche nach der Vereinbarung der Gegensätze einer Teilhabe ...
am Stadtleben und der Teilhabe an der Natur. ...Dieses wird ... von unzähligen Bauherren in der tägli-
chen Praxis immer wieder betrieben und führt zu einer Maximierung der Randlänge zwischen Bebauung
und Freiraum. Die auch ökologisch besonders interessanten Grenzbereiche ... haben in den letzten
Jahren das Interesse der ‚Fraktalforscher’ gefunden, die versucht haben, diese Wachstumsprozesse der
Stadt mathematisch abzubilden, mit durchaus zum Nachdenken anregenden Ergebnissen: Sie zeigen,
... wie ‚selbstähnlich’ z.T. die Entwicklungen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen in der fein-
maschigen Durchdringung von Bebauung und Freiraum erscheinen.189 (Hvh. A.S.)
Die erste Unterscheidung ist also die von Freiraum und Bebauung im Kontext der Zwischenstadt:
186 ebd., 12
187 ebd., 13
188 Sieverts, (1999), 14.
189 ebd., 18f
Diese Unterscheidung ist noch sehr abstrakt: ‚Bebauung’ meint alles Gebaute im üblichen Sinne und nicht etwa den
Anbau von Gemüse oder Getreide. Und ‚Freiraum’ ist das Unbebaute. Eine ganz wichtige Aussage ist, dass diese bei-
den Zustände in allen Maßstabsebenen „selbstähnlich“ sind und sich „feinmaschig durchdringen“. Durchdringen
heißt nicht Vermischen! Hier gilt der Grundsatz der Differenztheorie: die Unterscheidung bleibt bestehen; vom
großen Siedlungskomplex bis zum kleinsten Hausgarten ist die Bebauung von dem Freiraum zu unterscheiden.
Die fraktale Grenze ist nicht nach den Gesetzen der euklidischen Geometrie zu beschreiben, da sie sich immer
feiner ‚selbstähnlich’ auflöst. Dennoch ist sie eine Grenze im Sinne Spencer-Browns, in der immer nur eine Seite
zur Zeit beobachtet werden kann. Und dies korrespondiert wiederum mit der oben entwickelten Unterscheidung
zwischen klassischem und vegetativen Raum; der klassische Raum wird quasi ‚aufgelöst.’ Dies ist der entscheidende
Unterschied zur ‚Totalen Landschaft’
Die Zwischenstadt kann eine beliebige Vielfalt von Siedlungs- und Bebauungsformen entwickeln, so-
lange sie insgesamt in ihrem Erschließungsnetz erlebbar und vor allem wie ein ‚Archipel’ in das
‚Meer’ einer zusammenhängend erlebbaren Landschaft eingebettet bleibt: Die Landschaft muss
zu dem eigentlichen Bindeelement der Zwischenstadt werden, ... der Freiraum [ist] immer als unver-
zichtbarer komplementärer Bestandteil jeglicher Art von Stadt zu betrachten, auch dort, wo sich
sein Charakter von der existenziell erforderlichen Ernährungsbasis zur ökologischen Ausgleichsfläche
und zum Erholungsraum gewandelt hat.190 (Hvh. A.S.)
Mit der Einführung des Landschaftsbegriffs bietet Sieverts nun eine Angriffsfläche der Kritik: Prominski sieht die
‚Landschaft’ bei Sieverts „fast bis zur Unkenntlichkeit“ verwischt, weil er sie „einmal als ‚Land’, ein anderes mal als
‚Natur’, ‚Freiraum’ oder ‚Kulturlandschaft’ [versteht], „was zu vielen Unklarheiten führt“ 191 - Wenn man dieses
Missverständnis klären will, muss man den Begriff ‚Landschaft’ von allen Konnotationen – vor allem den kunsthi-
storischen, wie ‚Arkadien’ oder ‚Alte Kulturlandschaft’ und so weiter – befreien und versuchen zu verstehen, in wel-
chem Sinne Sieverts diesen Begriff gebraucht. (Nach Wittgenstein bestimmt der Gebrauch den Sinn eines Wortes.)
– Ich verstehe Sieverts ‚Landschaft’ im Sinne der Begriffe, die ich oben angeführt habe: ‚Lichtung’, ‚Urraum’ und
‚Vegetativer Raum’. Ein Hauptkriterium einer so verstandenen Landschaft ist, dass eine Fläche mit Vegetation be-
deckt ist. Ein befestigter Platz ist keine Landschaft; die „Stadtlandschaft“ verliert ihren Sinn. So sind auch Sieverts
weiteren Ausführungen zu verstehen:
Es geht ... um eine möglichst verträgliche Einfügung der Stadt in die Naturkreisläufe. Ökologie ist mit
Recht zu dem übergreifenden Leitbegriff der Stadtentwicklung geworden, ...
Zwischen Landschaft und Stadt [besteht] das ökologische und kulturelle Kontinuum einer gebau-
ten Struktur. Diese ‚Cultura’ in der ursprünglichen lateinischen Bedeutung des Be- und Gebauten,
stellt sich z.B. als agrar-ökonomisch optimierte Feldflur, als Glashaus-Kultur, als Schrebergartenanlage,
als altes Einfamilienhausgebiet mit großen Grundstücken, als Siedlungskolonie, als ... mit grünen
Höfen ausgestattetes Stadtviertel des 19. Jahrhunderts und ebenso auch Hochhausquartier mit grünen
Dächern dar. Jedes dieser Strukturelemente, und nicht nur die von Gebäuden freien Bereiche, müssten
Auch hier könnte der Begriff ‚Cultura’ als ‚Be- und Gebautes’ missverstanden werden. ‚Cultura’ heißt Anbau im
Sinne von ‚Landwirtschaft’ und nicht ‚Gebautes’ im Sinne von ‚architektura’. Gemeint ist aber offensichtlich – wie
oben - die ökologische Durchdringung der Stadtarchitektur mit Vegetation.
Sieverts entwickelt in seiner Theorie ein umfassendes Modell von der Entwicklung der Zwischenstadt in architekto-
nischer, ökologischer und soziologischer Hinsicht, von denen ich nur einige Passagen zitiere, die für die Gartenkunst
relevant sind:
Stadt und Landschaft werden eine neue Symbiose eingehen müssen, polarisiert zwischen biotechni-
schen Anlagen in der Stadt und neuen Wildnissen in der Landschaft. Stadtökologie wird sich dabei
wandeln von einer vorwiegend der Analyse und dem Schutz vorhandener Landschaftsreste dienender
Wissenschaft zu einer Disziplin, die neue Formen von Stadt-Kulturlandschaften aktiv entwickelt.193
...
[Die] Entwurfsmethode [für die Zwischenstadt, A.S.] versucht eine Synthese aus Kernen stabi-
ler Permanenz und weiten Feldern weitgehender Unbestimmtheit. Unbestimmtheit bedeutet
aber nicht gestalterische Neutralität, sondern eine atmosphärisch gestimmte, durch Spielregeln be-
stimmte und durch den Grad an ‚Natürlichkeit’ beziehungsweise ‚Künstlichkeit’ definierte und ein-
gegrenzte Entwicklungsoffenheit. ... Das Entwerfen mit ‚Natur und Zeit’ überlagert die vorgenannten
Entwurfansätze.
Insbesondere im entwerferischen Umgang mit von der Natur überwucherten Industriebrachen wird
praktisch erfahren, dass es den alten Gegensatz zwischen Kultur und Natur nicht mehr gibt, und dass
der Kreislauf vom Bauen über Nutzungen zu Brachen sich vielfach auf nur ein bis zwei Generationen
verkürzt hat. Derartige Erfahrungen führen zu Experimenten in der Entwicklung von Baugebieten,
die zugleich hochwertige Biotope sind, in denen die Landschaft gebaut und das Gebaute Anteile von
Landschaftsqualitäten hat – als ein Kontinuum von technisch kontrollierten Naturanteilen bis zu weit-
gehend der Natur ‚frei’ überlassenen Bereichen. Der alte Gegensatz von Technik und Natur wird ‚auf-
gehoben’ in einem Dritten, das beide Qualitäten hat. [Und das ist nicht die ‚Totale Landschaft,’ sondern
die ‚Form der Unterscheidung mit zwei Seiten:’ physis und techne. A.S.]
Die Erfahrung mit Stadtbrachen und das Denken in unterschiedlichen Naturanteilen einer gebauten
Stadtwelt führen von selbst zum Denken in zeitlichen Veränderungen in Form von zeitlichen Zäsuren
und Kreisläufen. Diese Denkfiguren umfassen gleichermaßen das Denken in kulturellen und öko-
nomischen Nutzungszyklen, wie in Dimensionen einer Entwicklungsökologie, in der auch durch das
Bauen neue ökologische Chancen für Artenvielfalt geschaffen werden. Die noch unserer Gesetzgebung
zugrunde liegende Dichotomie von ‚Bösen Bauen’ und ‚Guter Natur’ wird tendenziell aufgehoben, als
ein Schritt in Richtung auf eine symbiotische Stadt.194
Anzumerken ist, dass „Ökologie“ in dieser Landschaft im weitesten Sinne zu verstehen ist. In ihr hat eine
Ruderalfläche genau so eine Berechtigung, wie eine Gartenschau.
Aber auch die verstreuten, mehr oder weniger umfangreichen Waldreste sind – topologisch gesehen – Grenzen
des vegetativen Raumes; selbst eine einzelne Baumgruppe hat noch diese Funktion. Erst die völlig ‚ausgeräumte’
Landschaft wird zur Steppe.
Verändert hat sich nach dem Ende der Waldweide seit dem 18. Jahrhundert nur der fraktale Charakter der Grenze
zwischen Acker und Wald. Es entstand ein fester Waldrand. In der Gefühlswelt der modernen Mitteleuropäer –
zumindest der meisten – ist der Wald aber noch immer ‚das Andere’ des freien Feldes, was Schiller so knapp und
eindrucksvoll im ‚Spaziergang’ ausgedrückt hat.
Die andere Grenze des vegetativen Raumes ist die Bebauung, die Stadt. Das völlig neue dieser Grenze ist ihr verän-
derter geometrischer Charakter, als Folge des fraktalen Wachstums. Diese Grenze ist nicht mehr linear zu beschrei-
ben, also als eine eindimensionale Linie, die eine zweidimensionale Fläche begrenzt, sondern ihre Dimension ist
‚gebrochen,’ ‚fraktal.’ Das heißt, ihre Formen sind vom mikroskopischen bis zum makroskopischen Bereich selb-
stähnlich.
Friedrich Cramer zeigt als ein Beispiel die ‚Kochschen Kurven’ an denen die Selbstähnlichkeit besonders deutlich
wird.195
Ein anderes Beispiel, das oft angeführt wird, ist die Meeresküste, deren Buchten im Mikrobereich bis auf die
Sandkörner ‚herabgerechnet’ werden können. – Auch der Aufbau eines Baumes ist fraktal; die Selbstähnlichkeit
seines Geästes ist schon vom Wachstum her zu erkennen. Die fraktale Struktur des vegetativen Raumes ist vom
makro- bis zum mikroskopischem Bereich zu verfolgen von den großen Flächen zwischen den Stadtteilen und
Siedlungen über Grünzüge, die sich immer mehr verästeln, bis zu den Freiflächen an den Gebäuden. Auch die
‚Löcher’ in der Stadt, die Parks, gehören zu den fraktalen Formen.
Es ist beachtlich, dass Hermann Mattern schon 1957 diese Idee der fraktalen Stadtgrenze darstellte mit seiner „Stadt
von morgen“ auf der Interbau Berlin.
An den Gebäudegrenzen endet aber zunächst die ‚feinmaschige Durchdringung von Bebauung und Freiraum.’ Doch
auch diese Grenzen zwischen Gebäude und Freiraum sind keine ‚harten Kanten,’ sondern auch sie haben im letz-
ten Jahrhundert einen Grund legenden Wandel erfahren, der zum ‚Raumkontinuum’ und zum ‚Fließenden Raum’
führte. Ihr Charakter und ihre Ausbildung sind eines der Kernthemen der modernen Architektur und Gartenkunst.
Ich habe die Lichtung als den Urraum bezeichnet. Der Urwohnraum ist die Höhle, die den ersten Menschen Schutz
vor Wetter und wilden Tieren bot. Wo keine Höhlen vorhanden waren, mussten sie durch Bauten ersetzt werden,
die sich aber von innen aus gesehen, nicht sehr von den Höhlen unterschieden. Solange es kein Fensterglas gab,
mussten die Öffnungen auf das Nötigste beschränkt sein; Licht kam wenig hinein.
Diese Raumform bestand bis in die Neuzeit. Ein Musterbeispiel dieses Typus ist die Villa ‚Rotonda,’ die wie „kein ande-
rer Villenbau Palladios ... in gleichem Maße die Bewunderung von Zeitgenossen und nachfolgenden Generationen
gefunden“ hat. Bei Manfred Wundram und Thomas Pape lesen wir über sie:
Von jeder Seite führt ein schmaler tonnengewölbter Gang in ein über kreisförmigen Grundriss errich-
teten Innenraum. ... Ohne jedes direkte Licht bleibt der Raum dunkel, notwendigerweise ziehen die
fast schachtartigen Korridore auf allen vier Seiten den Blick nach außen, in Richtung des Lichtes“ 196
Die Gänge führen auf Säulenportiken, (‚überdachte Sitzplätze’) von denen man einen Ausblick auf „die lieblich-
sten Hügel“ hat, wie „in ein riesiges Theater.“ (Palladio) – Die Autoren sehen hierin eine „enge Verschmelzung, ja
Durchdringung von Landschaft und Architektur.“ Mir scheint aber eher der Vergleich des Hauses mit einer Höhle
gerechtfertigt, aus der man ins Freie hinaustritt, zumal man erst zwanzig Stufen herabsteigen muss, um in die
Landschaft zu gelangen.
Palladios Werke waren stilbildend, so dass man von einem Palladianismus spricht. Besonderen Einfluss hatte er auf
die Bauten in den englischen Gärten.
Es geht also zunächst um die Belichtung der Wohnungen, und die ist tatsächlich von der Entwicklung der
Glasscheiben abhängig. Zuerst gab es nur die Butzenscheiben und danach lange Zeit nur kleine Formate, sodass die
Fenster mit vielen Sprossen unterteilt werden mussten. Erst die fortschreitende Technik der Glasherstellung ermög-
lichte große Fensterscheiben, die den freien Blick in die Landschaft ermöglichten; sie war die Voraussetzung aber
nicht die Ursache der neuen Raumidee.
Einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Raumidee in der Architektur hatte die Relativitätstheorie
Einsteins. So veröffentlichte „der russische Konstruktivist El Lissitzky ... 1925 einen umfangreichen Essay, der die
Ergebnisse seiner Auseinandersetzung mit Einsteins Relativitätstheorie zusammenfasste.“ 197 Lissitzky stand in
enger Verbindung mit anderen Künstlern und Architekten, so dass die Idee des Raum-Zeit-Kontinuums intensiv im
Archtekturdiskurs behandelt wurde. Einstein lehnte diese Vergleiche kategorisch ab. Aber in Wirklichkeit ging es
den Künstlern auch nicht um die physikalischen Gegebenheiten, sondern um eine Metapher für den architektoni-
schen Raum. Es ging um die Erkenntnis, dass die Raumvorstellung der modernen Architektur nur als Bewegung,
also als zeitlicher Ablauf zu beschreiben ist.198
Sigfried Giedion, der ein Protagonist dieser Entwicklung war, stellt sie so dar:
Um 1910 wurde man sich ... bewusst, dass die Ausdrucksmittel des Malers den Kontakt mit dem mo-
dernen Leben verloren hatten. Es war Paris, wo daraus folgende Bestrebungen – mit dem Kubismus
– erstmals ein sichtbares Resultat erreichten. Die Methode, räumliche Beziehungen darzustellen, wie
sie die Kubisten entwickelt hatten, führte zu plastischen Methoden der neuen Raumkonzeption. ...
Die vier Jahrhunderte alte Geflogenheit, die Außenwelt mit den Augen der Renaissance zu sehen, das
heißt in ihrer Dreidimensionalität, war so tief im menschlichen Geist verwurzelt, dass sie keine andere
Form der Perzeption zuließ. ...
Der dreidimensionale Raum ist der Raum der euklidischen Geometrie. ... Um die wahre Natur des
Raumes zu erfassen, muß der Beschauer sich selbst in ihm bewegen. In den eisernen Wendeltreppen
des Eiffelturmes ist wohl zuerst rein körperlich das Erlebnis einer Durchdringung von Außen- und
Innenraum möglich gewesen.199
Eine ‚Vorahnung’ des Raum-Zeit-Kontinuums hatte schon Novalis: er statuierte im „Allgemeinen Brouillon“ dass
„Zeit und Raum ( ) zugleich (entstehen) und ( ) also wohl Eins (sind). ... Raum ist beharrliche Zeit – Zeit ist fließen-
der, variabler Raum – Raum - Basis alles Beharrlichen – Zeit – Basis alles Veränderlichen.“ 200
Und schon in Bezug auf den Landschaftsgarten ist fest zu stellen, dass er nur im Durchschreiten, also im zeitlichen
Ablauf räumlich zu erfassen ist.
Wichtige theoretische Grundlagen der modernen Architektur entwickelte der holländische Maler und Architekt
Theo van Doesburg. Er „war mit einer besonderen Fähigkeit begabt, neue Entwicklungen bereits im Keim zu er-
kennen, zu assimilieren und zu radikalisieren. ... [Er] strebte eine Synthese von Kunst und Leben an, ein Ziel, das er
mit einer Reihe seiner Zeitgenossen teilte, darunter den Ungarn Lásló Maholy-Nagy, ... und den Russen Lissitzky.“
Daraus ist eine Verbindung zu Gropius abzuleiten. Dieser setzte bei der Planung von Serienhäusern ebenfalls ty-
pisierte geometrische Körper ein. Auch die berühmten Meisterhäuser in Dessau und das Haus Auerbach sind nach
diesem Formprinzip gebaut. Zwar schrieb Gropius über das Bauhaus-Gebäude:
Diese Transparenz sucht die Vorstellung eines fließenden Raumkontinuums zu erzeugen. Das Gebäude
scheint zu schweben und der Raum hindurchzuströmen. Ausschnitte des unendlichen Außenraumes
werden einbezogen in die architektonische Raumkomposition, die in die Umgebung hinausgreift. Der
Raum selbst scheint sich zu bewegen.202
Aber tatsächlich wirken diese Gebäude trotz der teilweise großen Fenster doch noch sehr geschlossen: ‚kubistisch.’
Ähnlich ist die Raumvorstellung Corbusiers zu sehen. Seine Villa Savoye zum Beispiel steht auf Säulen, vom
Boden abgehoben. Der Dachgarten ist ummauert und nur ein relativ kleines Fenster ermöglicht einen Blick auf die
Landschaft.
Ein besonderes Phänomen dieser frühen Entwicklung in der Architektur ist gekennzeichnet durch deren Verbindung
mit der Malerei. Die ist schon dadurch gegeben, dass van Doesburg wie auch Corbusiers Architekten und Maler
waren. Die Idee besonders van Doesburgs war, in der Malerei und Architektur alle Formen auf einfache geome-
trische Strukturen zu reduzieren und dadurch zu einem Gesamtkunstwerk zu kommen. Die Funktion und die
Raumwirkung der Architektur standen nicht im Mittelpunkt des Interesses.
Die Verwirklichung der Idee des fließenden Raumes ist Mies van der Rohe zuzuschreiben. Ullrich Müller schreibt
dazu:
Mit dem Entwurf des Landhauses in Backstein von 1923/24 konzipierte Mies van der Rohe erstmals
ein Bauwerk, dessen Raumgefüge aus der freien Disposition gliedernder Wandscheiben entstand, mit
dem bezwingenden Ergebnis, dass der entwickelte offene Grundriss das herkömmliche Prinzip der
allseitig umschlossenen Raumeinheiten überwand. Die Wohnräume des Landhauses, durch asymme-
trisch organisierte Mauerabschnitte unterschiedlicher Länge gefasst, durchdringen sich wechselseitig
und öffnen sich zum Außenraum durch raumhohe Glaswände. Zentrifugale Mauerzüge, die sich aus
der rechtwinkeligen Struktur des Baukomplexes lösen und in drei Himmelsrichtungen streichen, ver-
spannen das schwebende Gebilde aus Wandfeldern und Mauerwinkeln, indem sie über den vorgege-
benen Rahmen der Zeichnung hinausweisen.203
Die aus dem Inneren vorstoßenden Flächen machen nicht, wie noch bei van Doesburg, an den Grenzen
des Hauses halt. Windmühlenartig werden sie in den Außenraum weitergeführt. Gleichzeitig werden
die Flächenelemente zum Sammelpunkt von Strukturelementen: Die Transparenzwirkung durch-
gehender Fensterreihen, die schwebend horizontale Deckenplatte ... werden hier meisterhaft durch
künstlerische Kontrolle integriert.204
Der Entwurf für das ‚Landhaus in Backstein’ war kein konkretes Bauvorhaben, sondern er wurde angefertigt für
die ‚Große Berliner Kunstausstellung’ 1924 und hatte also nur programmatischen Charakter. Konstruktiv gesehen
verwendete Mies van der Rohe von den ‚geometrischen Grundformen’ nur die Mauerscheiben und die Platten für
Decken und Böden.
Hier wurde aber zum ersten Mal die Idee des fließenden Raumes konsequent dargestellt. Konkret verwirklichen
konnte Mies diese Idee erst 1929 mit dem Deutschen Pavillon in Barcelona.
Enthusiastisch hat 1931 Walter Riezler dieses neue Raumgefühl beschrieben, im Hinblick auf das Haus Tugendhat
von Mies:
Alles Statische, in sich Ruhende tritt zurück hinter der Dynamik dieser ineinander gleitenden Raumteile,
deren Rhythmus seine Lösung erst im Freien, im Einstwerden mit dem Allraum der Natur findet.
Der Raum ist, wenn man so will, ‚atonal’ oder ‚polytonal’ im Sinne der modernen Musik wie auch der
Malerei, und daher Ausdruck eines allgemeinsten Weltgefühls, in dem sich, wie in der Philosophie, ein
völlig neues Weltbild sich ankündigt.205 (Hvh. A.S.)
Mies van der Rohe hat verwirklicht, was bis dahin nur als abstrakte Raumidee vorhanden war, das Kontinuum von
Naturraum und Wohnraum. Ich präzisiere: Das Raumkontinuum, bestehend aus der Lichtung des Waldes,
dem fraktal die Stadt durchdringenden Vegetativen Raum, bis zum offenen Wohnraum.
Hier wird ein Problem deutlich, mit dem Mies van der Rohe bei der Ausführung seiner Wohnhäuser zu kämpfen
hatte. – Das ‚Landhaus in Backstein’ war reines ‚Ornament’, ‚Gestalt.’ Als funktionierendes Wohnhaus kann man es
sich schwer vorstellen. Der Barcelona-Pavillon ist ein Ausstellungsbau, ein Schaustück. Es wirkt durch seine Gestalt
und die edlen Materialien; nach einer Wohnfunktion ist nicht gefragt.
Bei den Häusern Esters und Lange in Krefeld musste Mies Kompromisse eingehen, obwohl Lange Sammler mo-
derner Kunst war. Mies verfolgte zunächst die Idee, „die Räume durch große Glaswände zu öffnen, was jedoch am
Einspruch des Bauherrn scheiterte, ein Veto, das ihm ... erhebliche Schwierigkeiten“ bereitete.207
Es scheint immer noch dem allgemeinen Lebensgefühl zu widersprechen, die Außenwelt ‚ungefiltert’ in den
Innenraum fließen zu lassen. Selbst Mies van der Rohe hat dies – bewusst oder unbewusst - nicht konsequent zuge-
lassen: Er stellte fast immer seine Wohngebäude auf einen Podest. Die Abbildung des Landhauses in Backstein zeigt
im Vordergrund eine niedrige Stützmauer. Auch der Garten mit dem Pool am Barcelona-Pavillon ist nur über eine
Treppe zu erreichen, und dem Haus Lange ist gar eine Ebene vorgelagert, die man mit einem Barockparterre verglei-
chen kann. Auch sie ist durch eine Stützmauer von cirka neunzig Zentimeter Höhe vom übrigen parkartigen Garten
getrennt. Das Farnsworth-Haus, in einem ebenen Garten gelegen, hat Mies auf Stelzen gestellt; das Haus scheint zu
schweben, ohne Verbindung mit dem Boden. Der Bezug zum Außenraum ähnelt hier dem des Tugendhat-Hauses,
das an einem Hang liegt und deshalb keine ebenerdige Verbindung zum Garten haben kann. - Eine fragwürdige
Auffassung zu diesem Phänomen äußert Ullrich Müller in Bezug auf das Landhaus in Backstein:
Unabhängig von der dem Bauwerk eingeschriebenen Bewegung und Plastizität dominiert der
Eindruck des Schwebens, der zweifellos durch die extreme Betonung der Horizontalen in Form der
Mauerfluchten zustande kommt, verstärkt durch die niedrige Futtermauer, die eine Geländekante auf-
Diese Auffassung widerspricht nun entschieden der Idee des Kontinuums: „ununterbrochener, gleichmäßiger
Fortgang von etwas, lückenloser Zusammenhang, durch Verbindung vieler Punkte entstehendes, fortlaufendes geo-
metrisches Gebilde“ (Duden). Wenn Müller den „künstlerischen Raum“ abgrenzen will, - gegen was? gegen das
Chaos? – dann entspricht das noch ganz den Denkgewohnheiten des ‚Klassischen Raumes.’
Mies van der Rohe hat dann 1935 seine Raumidee weiterentwickelt, wohl um dem Bedürfnis der Bauherren einer-
seits nach Geborgenheit und andererseits nach Offenheit zu entsprechen. Er schrieb über den Entwurf des Hauses
Hubbe in Magdeburg, der dann allerdings nicht verwirklicht wurde: Das Grundstück lag
... unter alten schönen Bäumen mit einem weiten Blick über die Elbe. Es war ein ungewöhnlich schö-
ner Platz zum Bauen. Nur die Sonnenlage bot Schwierigkeiten. Der schöne Blick ging nach Osten,
nach Süden war der Blick ganz reizlos, fast störend. ... Ich habe deshalb den Wohnteil des Hauses nach
Süden hin durch einen von Mauern umgrenzten Gartenhof erweitert und so diesen Blick aufgefangen
und doch die volle Besonnung freigehalten. Elbabwärts dagegen ist das Haus ganz geöffnet und geht
frei in den Garten über, ... einen schönen Wechsel stiller Abgeschlossenheit und offener Weite ...
209
(Hvh. A.S.)
Nach 1933 mussten die meisten Bauhaus-Künstler emigrieren, hauptsächlich nach Amerika, wo sie ihre Kunst
weiter entwickeln konnten. In Deutschland wurden ein Neoklassizismus und die ‚Blut-und-Boden-Architektur’
verordnet. Nur wenige Architekten versuchten, das neue Raumideal weiter zu verwirklichen, verbrämt mit dem
geforderten Giebeldach, so zum Beispiel Sep Ruf. Erst nach dem Kriege wurden die Bauhausideen wieder aufge-
griffen, allerdings meistens in einer angepassten Form. Das heißt, in Wohnhäusern mit konventionellem Grundriss
wurde mindestens der Hauptraum nach außen geöffnet, indem man die Außenwand durch eine Glaswand ersetzte.
Das entscheidende Kriterium, das sich weit gehend durchsetzte, war der stufenlose Übergang vom Wohnzimmer auf
eine Terrasse und weiter auf die Rasenfläche. Es zeigte sich, dass dies für das Gefühl des Raumkontinuums wichtiger
ist, als Raum begleitende Mauerscheiben, denn das Raumgefühl wird nicht allein optisch bestimmt, sondern viel
stärker durch das sich Bewegen zwischen innen und außen. Ich habe dies selbst bei der Gestaltung meines Gartens
erfahren. Auf der Südseite des Hauses musste ein größerer Höhenunterschied bewältigt werden. Dazu hatte ich
zwischen Wohnzimmer und Terrasse nach einem Podest drei Stufen eingebaut und weitere zwischen Terrasse und
Garten. Es zeigte sich, dass die Terrasse im täglichen Gebrauch so nicht genutzt wurde. Erst nach der Anhebung auf
das Wohnzimmerniveau konnte sie die Funktion als erweiterten Wohnraum übernehmen.
Dieses Gestaltungsprinzip verfolgte zum Beispiel auch Sep Ruf, der 1951 schrieb:
Das Einfamilienhaus konzipiert man heute schon so, dass man ein Differenziertes Wohnen hat, Ein
großes Fenster, einen großen Raum, einen Garten, der hineinfließt in den Innenraum und von dem
man wiederum auch das Draußen einbezieht, ja ständig mit ihm in Verbindung sein will. Das müssen
wir aber auch im sozialen Wohnungsbau den anderen, die es sich nicht leisten können, geben.210
208 Ebd. 82
209 Bergdoll, (2002), 104.
210 Nerdinger, (2008), 022.
[Sie bestand] nur aus schwebenden leichten Formen. Sämtliche Wände schienen entmaterialisiert,
die gesamte Anlage vermittelte den Eindruck von Transparenz und Leichtigkeit. Die Natur zog sich
durch die Anlage ... Innen und außen gingen ineinander über, Grenzen schienen aufgehoben und der
Besucher bewegte sich durch fließende Räume.211
Dieses Bauwerk hatte eine sehr spezielle Funktion als Ausstellungsgebäude und darüber hinaus als politisches
Symbol für ein gewandeltes Deutschland. – Die Außenanlagen wurden von Walter Rossow gestaltet.
Das Wohn- und Empfangsgebäude des Bundskanzlers in Bonn von Sep Ruf vereinigt die Funktionen des Wohnens
und der Repräsentation. Als Raumfolge hat er modellhaften Charakter. Er besteht aus
Wenn man den Grundriss dieses Gebäudes betrachtet, kann man ein ideales Raumkontinuum beschreiben: Der eine
Pol ist die ‚Höhle’ in Form des geschlossenen Atriums. An dieses schließen sich mehrere nach außen offene Räume
und der Übergang zu dem Hauptgebäude an. Dieses öffnet sich weit nach außen; seine Offenheit ist aber durch be-
wegliche Wände variabel. Der andere Pol des Raumkontinuums ist der stufenlos anschließende Park.
Weitere Beispiele sind die Siedlungen von Richard Neutra in Walldorf und Quickborn. Die beschreibt der Architekt
und Vorsitzende der Richard J. Neutra Gesellschaft Hilmer Goedeking, der selbst einen Neutra-Bungalow be-
wohnt:
Die Häuser ... weisen alle für Neutra typischen Merkmale auf, mittels derer sich Privatheit und
Offenheit und Großzügigkeit verbinden lassen: große Fenster, deren Rahmen aufs Äußerste reduziert
sind, Glasschiebetüren, die das Wohnzimmer mit den Terrassen verschmelzen lassen, und diagonal
organisierte Grundrisse die stets neue und andere Durchblicke erlauben, sowie das berühmte „spi-
der leg“ (eine Stütze für die weit auskragenden Dachüberstände), das eine sprossenfreie Glasecke im
Wohnraum ermöglicht. Die Grundrisse sind so gestaltet, dass sie sich eng mit den Gärten, den Bäumen
und der Umgebung verweben. Immer wieder werden lange Blicke über das eigene Grundstück hinaus
möglich, ohne dabei einen Einblick von außen zu gewähren.212
Die Unterscheidung von ‚Privatheit und Offenheit’ ist von großer Bedeutung. Anthropologisch gesehen ist die ar-
chetypische ‚Höhlenprägung’ immer noch wirksam, das Streben nach Schutz und Geborgenheit. Erst in der Neuzeit
ist durch die Entlastung und Entfremdung von der Natur (Ritter) die Zuwendung zu ihr entstanden.
Den Charakter der unterschiedlichen Raumformen soll abschließend diese schematische Darstellung zeigen:
Ich untersuche zunächst, ob und wie sich die Gartenkunst in Verbindung mit der neuen Architektur entwickelt hat.
Wie schon dargestellt, waren in der Reformarchitektur Haus und Garten funktional und formal eine Einheit auf
Grund des Primats der Architektur.
Auch in der Entwicklung des Bauhausstils war dies scheinbar der Fall. Zu dieser Auffassung kommt jedenfalls
Dorothea Fischer-Leonhardt in ihrer Untersuchung „Die Gärten des Bauhauses“ 214
Der maßgebliche Architekt der Bauhausgebäude war Walter Gropius. Seine Stilmittel sind, wie oben
bereits angedeutet, die Kuben, ähnlich wie die van Doesburgs. Große Fensteröffnungen stellen zwar
eine optische Verbindung zwischen Innen- und Außenraum her, aber eine physische innige Verbindung
ist nicht gegeben. Bei seinem eigenen Haus sind sieben Stufen zu überwinden, um in den Garten zu
gelangen; bei den übrigen Meisterhäusern sind es nur zwei, aber auch bei denen sind die Terrassen
durch massive Mauern vom Gartenraum getrennt.
Gropius [präsentiert] mit den am Bauhausgebäude geschaffenen gärtnerischen Anlagen einen völlig
neuen Ansatz innerhalb der Gartenkunstgeschichte, deren Purismus bis dahin beispiellos ist. Deshalb
ist das Umfeld des Bauhausgebäudes als eine Neuinterpretation der Gartenkunst durchaus positiv zu
bewerten. Seine aufgezwungene Zurückhaltung gegenüber dem Gebäude, die völlige Reduktion auf
Rasenflächen und Wege nach rein funktionalen Gesichtspunkten, ist gartenkünstlerisch allerdings
wenig spektakulär. Und auch der Nutzung des Außenraumes waren durch die sparsame Ausstattung
Grenzen gesetzt. Es ist wohl die stilvolle Kombination von großflächigen Rasenfeldern und geradför-
migen Wegeführungen und gezielt eingefügten Baumreihen, die bis heute ein stilistisch harmonisches
Gesamtbild ergibt. Der Freiraum aber unterliegt dabei deutlich der baulichen Dominanz einer
Architektur, die ohne diese qualitätsvolle und zurückhaltende Einrahmung womöglich bedeutend
weniger Aufmerksamkeit in der Baugeschichte erregt hätte. (Hvh. A.S.)
Diese Eloge auf Gropius ist wohl hauptsächlich dem großen Namen geschuldet; sie ist aber offensichtlich auch af-
firmativ beeinflusst von der zurzeit herrschenden Mode des Minimalismus in der Gartenkunst. Ich vermag in der
völligen Reduktion bei der Gestaltung der Außenanlagen keinen Ansatz einer künstlerischen Idee zu entdecken.
Gropius ging es offenbar, wie Fischer-Leonhardt es selbst bemerkt, um die „Dominanz der Architektur.“
Um Gropius aber gerecht zu werden, ist es sinnvoll, sein Naturverhältnis zu betrachten. Sein abstraktes
Raumverständnis habe ich oben schon erwähnt: (S. Anm. 205) nämlich die Idee des Raumkontinuums zwischen
Architektur und Natur. Diese Idee hat er verfolgt, indem er für die geplanten Meisterhäuser des Bauhauses ein mit
Kiefern bewachsenes Grundstück bestimmte. Wie der Blick aus dem Fenster des Gropius-Hauses zeigt, wird die
Stimmung des Außenraumes ganz und gar von diesen Bäumen bestimmt; die übrigen Gestaltungselemente wie
Wege und Rasenflächen kann man dagegen vernachlässigen.
Auch die Lebensweise der Bewohner dieser Häuser war von dieser Konzeption bestimmt: Ihr Leben im Außenraum
konzentrierte sich auf die Terrassen und Dachgärten. Auf einem Bild sieht man, dass sonnenbadende Personen so-
gar die Dachterrasse mit einer hohen Plane umgeben hatten, um sich vor fremden Blicken zu schützen. Der Garten
war also praktisch nicht nutzbar. „Wie sollte [er] auch genutzt werden? Verfügte er doch, so wie ihn sich Gropius
erdacht hatte, über keine wirklich funktionalen Möblierungen, die einen längeren Aufenthalt ermöglicht hätten.“
Gropius hat einmal konstatiert, dass die Kunstakademie herkömmlicher Ausrichtung „( )den verhängnisvollen
Irrtum der Identität der Begriffe Natur und Kunst (schuf), diese ( ) aber ihrem Ursprung nach Gegensätze sind.
Das Künstliche will das Natürliche überwinden, um den Gegensatz in einer neuen Einheit aufzulösen.“ 216 Das
Verhältnis von Architekturraum und Naturraum, wie Gropius es sieht, kann man also im gewissen Sinne als ‚Form
der Unterscheidung mit zwei Seiten’ sehen. Er kann diese Idee aber nur verwirklichen, wo und wenn er ‚Natur’
vorfindet. Er ist jedoch nicht in der Lage sie zu ‚installieren.’ Das wäre Aufgabe eines kongenialen Gartenarchitekten
gewesen, der ihm aber nicht zur Verfügung stand. So bleibt die Verbindung von Innen- und Außenraum bei Gropius
eine rein visuelle, genau wie bei Corbusier, der seine ‚Langfenster’ explizit als Rahmung des Landschaftsbildes sah.
Wie ist dagegen Mies van der Rohe mit dem Außenraum, mit der Vegetation umgegangen? Dies wurde lange Zeit
negativ beurteilt. Schuld daran ist Philip Johnson, der für eine Ausstellung im Museum of Modern Art 1932 die
Grundrisse dieser Gebäude neu zeichnen ließ.
Zu diesem Zweck wurden nur wenige Linien ... weggelassen, aber diese Auslassungen sollten in ganz
erheblichem Maße die Wahrnehmung und Deutung von Mies´ Werk beeinflussen. Die Tatsache, dass
der Weg zum mit Buschwerk bewachsenen Abhang hinter dem Deutschen Pavillon und die Umrisse
der Terrasse als Podium für die Gartenfassade des Hauses Tugendhat nicht mehr dargestellt wurden,
löste Mies´ Gebäude aus ihrer Umgebung heraus und vereinfachte die für sein Gestalten wesentli-
chen Schichtungen von Außen- und Innenräumen. ... Indem sie die Bäume aus den Lageplänen für
Barcelona und Brno tilgten, überlieferten sie einen autonomen, universalen Raum, der sich überall
verinnerlichen und reproduzieren ließ.217
In Wirklichkeit hatte Mies van der Rohe ein ausgeprägtes Verhältnis zum Garten und zum Außenraum als Naturraum,
wie nur wenige Architekten. Dabei war er souverän genug, auch mit Gartenfachleuten zusammen zu arbeiten, so
Barry Bergdoll geht bei seiner Untersuchung „Das Wesen des Raumes bei Mies van der Rohe“ von der Prämisse
aus, dass für Mies der Raum im architektonischen Sinne und die Vegetation zusammen gehörten. Bergdoll zeigt den
Ausgangspunkt der Entwicklung mit dem Reformgarten des Hauses Perl.219 Das Haus Riel war dann „das erste in
einer Reihe von Villen, bei denen Mies eine Gegenüberstellung von Nahsicht und weitem Ausblick in die Landschaft
inszenierte.“ 220 -
Interessant ist ein Zitat von 1923. Mies schreibt: „Eine Landschaft oder ein Wald besteht ... nicht aus formal gleichen
Gebilden, und ein Wacholderbusch steht sehr gut zu einem Rosenstrauch; wäre die Natur so langweilig wie unsere
architektonischen Gebilde, so wäre hier längst eine Revolution ausgebrochen.“ 221 Das zeigt, dass auch Mies klar
zwischen Gebilden der Natur und der Architektur unterscheidet.
In Bezug auf die Raumvorstellung Mies van der Rohes sieht Bergdoll allerdings immer noch affirmativ „die abrupte
Trennung zwischen der Geometrie des Gartens und der natürlichen Landschaft,“ die nach meiner Auffassung die
Idee des fließenden Raumes abschwächt. Andererseits hebt er an vielen Beispielen das harmonische Zusammenspiel
zwischen den „scharfkantigen, asymmetrischen Bauformen [und] der Natur“ hervor. So zum Beispiel beim Haus
Esters, wo Mies „sich die Hauswände von Blütenranken überwuchert vorstellt,“ 222 Und besonders beim Haus
Tugendhat zeigen viele Skizzen und Zeichnungen, welche Bedeutung Mies der Vegetation beimisst.
Typisch ist ein Projekt von 1952, das „50 mal 50 Haus.“ 223 Es wurde nicht ausgeführt; von ihm existieren nur der
Grundriss und ein Bild des Modells, das per Fotomontage in einen Park gestellt wurde.
Das Haus ist in seiner Offenheit mit dem kurz vorher fertig gestellten Farnsworth Haus zu vergleichen. Es steht aber
nicht wie dieses auf Stelzen, sondern ist ebenerdig in den mit Bäumen bestandenen Park gestellt. Keine Mauern
hemmen den Blick in die Natur und keine Stufe den Schritt in den Garten. Ich sehe hierin einen wichtigen Schritt
in der Entwicklung des fließenden Raumes und des Kontinuums von Innen- und Naturraum.
Auch die Natur sollte ihr eigenes Leben leben. Wir sollten uns hüten, sie mit der Farbigkeit unse-
rer Häuser und Inneneinrichtungen zu stören. Doch wir sollten uns bemühen, Natur, Häuser
und Menschen in einer höheren Einheit zusammenzubringen. Wenn Sie die Natur durch die
Glaswände des Farnsworth-Hauses sehen, bekommt sie eine tiefere Bedeutung, als wenn Sie draußen
stehen. Es wird so mehr von der Natur ausgesprochen – sie wird ein Teil eines größeren Ganzen.224
(Hvh. A.S.)
Wenn Mies van der Rohe sagt, man solle die Natur nicht durch die Farbigkeit der Häuser stören, dann steht dahinter
die Auffassung, dass Architektur und Vegetation sich gegenseitig beeinflussen. Während im Barock die künstlichen
floralen Ornamente den Übergang zwischen Schloss und ‚Urwald’ symbolisierten, treten jetzt die natürlichen
vegetabilen Formen in unmittelbare Beziehung zur Architektur und werden zum Ornament für sie!
Voraussetzung für diese ornamentale Wirkung ist aber, dass die Pflanzen in ihrer natürlichen Form mit den klaren
Linien der Architektur in einen Kontrast treten; jedes Formgehölz würde hier einen Stilbruch darstellen, denn
analog zum Kontinuum Innen / Außenraum ist mit dieser Raumvorstellung die Architektur mit den Naturformen
elementar verbunden. Die Kritik, die manchen modernen Gebäuden, die auf einer kahlen Rasenfläche stehen,
entgegengebracht wird, entzündet sich an ihrer kühlen Nacktheit. Erst eine komplementäre Vegetation ließe ihre
wahre Schönheit erscheinen, in der Spannung zwischen Architektur und Natur.
Verwirklichen konnte Mies den stufenlosen Übergang vom Haus in den Garten schon 1933 mit dem relativ beschei-
denen Haus Lemke in Berlin. Trotz der mit Sprossen versehenen Fenster ist hier das Raumideal, wie bei dem „50
mal 50 Haus“ verwirklicht. 225
224 Ebd., 63
225 Riley, (2002), 272ff.
Lemke beschloß, Foerster zur Gartengestaltung heranzuziehen, mit dem Mies seit seiner frühen
Bautätigkeit in Neubabelsberg nicht mehr zusammengearbeitet hatte. Obwohl sich Georg Gardner,
beratender Gartenarchitekt der Berliner Bauausstellung um den Auftrag beworben hatte, wandte
sich Lemke an Foersters Gärtnerei in Bornim, die Anfang der dreißiger Jahre bereits eine Abteilung
für Gartengestaltung unter der Leitung von Herta Hammerbacher und ihrem damaligen Ehemann
Hermann Mattern führte. An dem nicht aufeinander abgestimmten Entwurfsprozeß und an der
Uneinheitlichkeit von Haus- und Gartenplan – die wie aus zwei verschiedenen Welten zu stammen
scheinen – Läßt sich ablesen, wie weit Mies´ und Foersters Gartengestaltungen sich in 15 Jahren ausein-
anderentwickelt hatten. ... Die [von Hammerbacher entworfene] Gartengestaltung löste klare, gerade
Abgrenzungen auf, gab naturhaften, lockeren Blumen- und Buschgruppen gegenüber geometrischen
Beeten den Vorzug und folgte den gegebenen Geländekonturen, was in den dreißiger Jahren zum
Markenzeichen des sogenannten Bornimer Kreises um Foerster wurde. Einer Gartenbauschule, die
kongenial zur organischen Architektur Hans Scharouns passte, mit dem Hammerbacher und Mattern
auch häufig zusammenarbeiteten. /226
Bergdoll geht von der immer wieder vertretenen Auffassung aus, dass Gebäude und Gartenerschließung dem glei-
chen Formenkanon unterliegen; das kommt daher, dass in erster Linie von der Grafik des Grundrisses her geur-
teilt wird. Die zwei verschiedenen Welten, die Bergdoll sieht, sind aber nur die unterschiedlichen Funktionen der
Gebäudemauern und der Gartenwege und entsprechen der Komplementarität der beiden Seiten des fließenden
Raumes. - Sicherlich konnte man hier nicht von einer idealen Zusammenarbeit sprechen, aber ein Bild aus der
frühen Zeit des Gartens zeigt, das die Bepflanzung des Gartens sicher im Einklang mit der Vorstellung Mies van
der Rohe gestanden hätte. - Ob die „klare[n], gerade[n] Abgrenzungen“ der Architektur auch im Garten herrschen
müssen, ist bis heute strittig. Dieses Problem ist noch näher zu untersuchen.
5.8 Zusammenfassung
Dieses Kapitel ist überschrieben: Der Raum als Medium von Architektur und Gartenkunst. Mein Anliegen war, die
verschiedenen Raumauffassungen und ihren Einfluss auf Architektur und Gartenkunst zu analysieren. Ich habe den
‚Urraum,’ die Lichtung im Wald als ‚vegetativen Raum’ und die erste große Revolution in der Menschheitsgeschichte,
die Gründung der Städte und damit die Entstehung des ‚klassischen Raumes’ beschrieben. Gegenwärtig sind wir
mitten in einer Entwicklung, in der sich die alte Stadt, der klassische Raum auflösen. Dieser Vorgang wird überwie-
gend noch negativ als Zersiedelung angesehen. Entsprechend dramatisch sind die Verwerfungen in der Architektur
und Gartenkunst in den letzten Jahrzehnten.
Wie ein Gewitter kam die Postmoderne über uns. Sie war verursacht durch die Perversion der Moderne, die
ausschließliche Betonung der Funktion der so genannten Kastenarchitektur. Man suchte die Heilung in der
Rückbesinnung auf historische Vorbilder. Einer ihrer Protagonisten in Deutschland war Heinrich Klotz. Dessen
Kritik richtete sich aber nicht nur gegen die Auswüchse der modernen Architektur, sondern gerade gegen ihre
eigentlichen Grundsätze. So kritisiert er zum Beispiel das Bauhausgebäude von Gropius: „Der freie Grundriß, der
allseitig umgehbare Bau auf grüner Fläche, enthielt per se ein gerüttelt Maß an Stadtfeindlichkeit. Es sind die Folgen
eines solchen Planungsideals der Moderne, gegen das sich die Postmoderne wendet.“227
Rob Krier hat in einem demonstrativen Akt das gesamte Stadtzentrum Stuttgarts in einem Großmodell
rekonstruiert und sowohl die Struktur des 19. Jahrhunderts wiederzugewinnen gesucht als auch
im analogen Vorgehen dazu eine Block- und Platzbebauung ergänzt, so dass als ein Vorstellungsbild
... ein an der Geschichte orientiertes Handlungskonzept der Ergänzung und Wiedergewinnung des
Bestehenden und Gewesenen visuell veranschaulicht [wird.] 228
Das ist eine absolut rückwärts gewandte Anschauung. Das, was wir heute Zwischenstadt nennen, bleibt – im
Wortsinne – außen vor, und die Natur spielt in dieser Gedankenwelt überhaupt keine Rolle. Es geht ausschließlich
um die klassische Stadt, den klassischen Raum; nur die Stadtmauern fehlen.
Die Postmoderne ist genau so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Ihre einzige positive Wirkung war,
dass sie die Fehlentwicklungen in der modernen Architektur bewusst gemacht hat. Und so konnte Jürgen Habermas
im Jahr 2003 zu der Auffassung kommen:
Die moderne Architektur, die sich sowohl aus der organischen wie aus den rationalistischen Anfängen
eines Frank Lloyd Wright und eines Adolf Loos entwickelt hat und in den gelungensten Werken ei-
nes Gropius und Mies van der Rohe, eines Corbusier und Alvar Aalto zur Blüte gelangt ist, diese
Architektur ist immerhin der erste und einzige verbindliche, auch den Alltag prägende Stil seit den
Tagen des Klassizismus. Allein diese Baukunst ist dem Geist der Avantgarde entsprungen, ist der avant-
gardistischen Malerei, Musik und Literatur unseres Jahrhunderts ebenbürtig. Sie hat die Traditionslinie
okzidentalen Rationalismus fortgesetzt und war selbst kräftig genug, Vorbilder zu schaffen, das heißt
klassisch zu werden und eine Tradition zu begründen, die von Anbeginn nationale Grenzen überschrit-
ten hat.229
Tatsächlich hat sich diese Tradition weiter entwickelt; Die Idee der Offenheit, des Raumkontiuums ist lebendig und
setzt sich immer mehr durch. Neu ist die größere Variabilität und Individualität der Formen. Ein Indiz hierfür sind
bebilderte
Immobilienanzeigen in den Zeitungen, die immer mehr Gebäude mit weit geöffneten Räumen zeigen und explizit
mit dem „Bauhausstil“ werben. Der „designte“ Garten des gezeigten Beispieles entspricht allerdings nicht meinen
Vorstellungen.
Ich fasse dieses Kapitel „der Raum als Medium von Architektur und Gartenkunst“ zusammen als Formen der
Unterscheidung mit zwei Seiten:
Raumgrenzen
linear (Stadtkante) fraktal (Zwischenstadt)
Nach dieser Untersuchung der allgemeinen Raumcharaktere und speziell der Raumidee der modernen Architektur,
erhebt sich jetzt die Frage, wie sich die Gartenkunst zu dieser Entwicklung verhält.
Bevor ich aber zu diesem wichtigen Thema komme, ist noch eine weitere theoretische Grundfrage zu klären, die
psychischen Voraussetzungen der Produktion und Rezeption von Kunst und also auch der Gartenkunst.
Indem wir versuchen, ein Kunstwerk zu verstehen, unterstellen wir ... , in dem betreffenden Werk
manifestiere sich eine Mitteilung, die an keinen bestimmten Adressaten, sondern an jeden gerichtet ist,
der ihm als Rezipient seine Aufmerksamkeit schenkt. 231 –
Dieses Verstehen kann nun gelingen oder nicht. In der autonomen Kunst sind die Schwierigkeiten des Nichtverstehens
allgegenwärtig. Ein bekanntes Beispiel ist van Gogh, der zu Lebzeiten von der Kunstwelt unverstanden blieb. In der
Bau- und Gartenkunst ist das Nichtverstehen aber problematisch, weil mit der Ablehnung durch die Rezipienten
– die Nutzer, – auch die jeweilige Funktion nicht erfüllt wird. Ein Haus, in dem sich die Bewohner nicht wohl füh-
len oder eine Grünanlage, die kaum frequentiert wird, haben ihren Zweck verfehlt. Ein autonomes Kunstwerk im
Museum findet dagegen meistens Akzeptanz von Menschen, die ausdrücklich bemüht sind, zu verstehen. Das ist
einer der Unterschiede zwischen bildender Kunst und Gartenkunst.
jegliche Art der Kunstproduktion ein rezeptives Verhalten impliziert. ... Denn Kunstproduktion ist
immer schon Bezugnahme auf Vorfindliches, das sich der sinnlichen Wahrnehmung darbietet. Dieses
Vorfindliche können, müssen aber nicht unbedingt andere, in physischen Objekten sich manifestieren-
de Kunstwerke sein. 232
Das heißt also, dass der Produzent eines Kunstwerkes gleichzeitig Rezipient ist. Er rezipiert einerseits Vorbilder, an-
dererseits ständig die Ergebnisse seines Schaffens. Jeder, der kreativ tätig ist, kennt wohl das Gefühl des Erstaunens,
wenn plötzlich das Ergebnis einer ‚Eingebung’ vor einem liegt. Man kann deshalb davon ausgehen, dass sowohl die
Produktion, wie auch die Rezeption von Kunstwerken den gleichen psychologischen Vorgängen der Wahrnehmung
und Erkenntnis unterliegen. Die will ich näher untersuchen.
Piaget geht in seiner Theorie nicht nur auf die früheste Entwicklungsstufe menschlicher Individuen zurück, son-
dern bezieht auch niedere Organismen in seine Forschung ein. Er sieht „ein Entwicklungskontinuum ... zwischen
über alle Entwicklungsstufen gleich bleibende Grundfunktion der Adaptation, der notwendigen, im-
mer wieder neu zu leistenden Anpassung eines jeden Organismus jeder Entwicklungshöhe an seine
Umwelt.
Sieht man den Organismus als offenes System, das in dauerndem Austausch von Materie, Energie
und Information mit seiner Umgebung bestimmte offene Sollwerte oder Gleichgewichtszustände ...
innerhalb nicht zu überschreitender Toleranzwerte realisieren und aufrechterhalten muß, soll er nicht
zusammenbrechen, so ließe sich genau die Summe der organismischen Prozesse, die diese Sollwerte
oder Gleichgewichtszustände herstellen, mit dem Begriff der Adaptation bezeichnen. 234 Oder unter ei-
nem anderen Aspekt gesehen: Adaptation liegt dann vor, wenn die Interaktion oder Austauschprozesse
zwischen Organismus und Umwelt so gestaltet oder modifiziert werden, dass weitere, folgende
Austauschprozesse, die im Dienste der Erhaltung des jeweiligen Organismus stehen, begünstigt wer-
den.
Dabei lassen sich nach Piaget zwei, in der Realität immer zusammen vorkommende, aber dennoch
bei verschiedenen Adaptationsvorgängen verschieden stark akzentuierte und von daher begrifflich zu
unterscheidende Grundaspekte jeder Adaptation aufzeigen: Geschieht Adaptation primär so, dass
Elemente der Umwelt vorhandenen Strukturen oder Eigenschaften des Organismus ange-
paßt und diesem „einverleibt“ werden ... , so spricht Piaget von Assimilation ... .
Für Piaget ... hat Adaptation immer einen Doppelaspekt: sie ist immer sowohl Anpassung (und da-
mit Umgestaltung) der Umwelt an den Organismus als auch Anpassung des Organismus und seiner
Strukturen an die Umweltgegebenheiten. Hier zeigt sich die Auffassung Piagets vom Menschen, ... als
eines wesentlich aktiven, die Umwelt gestaltenden und nicht nur auf die Umwelt passiv reagierenden
und von ihr einseitig determinierten Wesens. ...
Adaptation ... wird für Piaget immer begleitet, weil erst ermöglicht, durch ein innerorganismisches
Geschehen, sozusagen die „innere Seite“ jeder Adaptation, durch das Phänomen der „Organisation.“
„Organisation“ bedeutet für die Tendenz aller Organismen, Strukturen und Aktivitäten zu systematisie-
ren, hierarchisch zu koordinieren, in immer höhere, komplexere, übergreifendere funktionale Systeme
zu integrieren, um so übergeordnetere immer umfassendere und komplexere Funktionen zu realisie-
ren.235 (Hvh.: kursiv im Original, fett A.S.)
Soweit Buggles Darstellung der Grundzüge von Piagets Theorie. Ich sehe dabei manches Verwandtes zu Maturanas
Theorie. Es ist aber ein scheinbarer Widerspruch zwischen Maturanas und Piagets Aussagen zu klären. Piagets spricht
vom Organismus, der sich als offenes System mit seiner Umwelt austauscht, jedoch innerhalb nicht zu überschrei-
tenden Toleranzgrenzen. Maturana beschreibt die Organismen als geschlossene Systeme, die ihre Grenzen selbst
festlegen. Geschlossenheit bedeutet nach Maturana, „dass sie nur solche Einflüsse zulassen, die mit ihrer Struktur
Die bisherige Beschreibung der Adaptation bezog sich vorwiegend auf die physische Seite der Organismen; denn
das Leitmotiv Piagets ist:
Erkenntnis aus ihren biologischen Ursprüngen heraus transparent zu machen und ein Kontinuum zwi-
schen ursprünglich-niedersten Lebensäußerungen und höchsten Erkenntnisprozessen aufzuzeigen. ...
Auch Erkenntnisprozesse ... werden von Piaget als Adaptationsvorgänge angesehen, durch die kognitive
Elemente der Umwelt aktiv an bestehende Erkenntnisstrukturen ... des jeweiligen Organismus assimi-
liert ... werden, wie andererseits dieselben instrumentellen Erkenntnisstrukturen ... sich im Vorgang
der Akkommodation den zu erkennenden Objekten und Relationen und deren strukturellen Merkmalen
... anpassen.“ 237
Piaget hat seine Theorie auf Grund von Beobachtungen der kindlichen Entwicklungsstufen aufgestellt. Zum
Verständnis kann auch ein Blick auf die neueren Ergebnisse der Hirnforschung beitragen, die Piagets Theorie bestä-
tigen. Der Hirnforscher Gerhard Roth beschreibt
Wahrnehmungsakte und Handlungen, die wir routinemäßig tun, nachdem wir sie immer und immer
wieder ausgeführt haben; wir können sie „wie im Schlaf“. Der Grund hierfür ist, dass im Gehirn für
diese Handlungen „fertige“ Nervennetze vorliegen, die aktiviert werden. Dabei ... sind die notwendigen
Anpassungen an kleinere Veränderungen der vorliegenden Situationen in den Netzen mit berücksich-
tigt. [Das ist Assimilation, A. S.] Wir geraten aber „aus dem Takt“, wenn die Veränderungen zu groß
werden. ...
Wird ... vom retikulären Überwachungs- und Bewertungssystem etwas als wichtig im Lichte vergange-
ner Erfahrung angesehen, so wird geprüft ... welche cortikalen Areale für dieses Problem „zuständig“
sind. ... [dann] wird vom retikulären System „untersucht“, ob dort ein Neuronennetzwerk vorhan-
den ist, das die Aufgabe „routinemäßig“ bewältigen kann. Wenn dies nicht der Fall ist, dann muß ein
Netzwerk neu angelegt bzw. ein vorhandenes „umverdrahtet“ werden. Die entsprechenden Areale
erhalten nun die Aufgabe, sich mit dem Problem zu befassen. Dabei kann es sich um das Erkennen
eines unbekannten Objekts, das Verstehen einer neuartigen Aussage, das Erlernen einer ungewohn-
ten Bewegung, das Lösen eines Problems oder das Vorstellen eines neuartigen Sachverhalts handeln.
Letzlich müssen immer neue Neuronenverknüpfungen angelegt werden, die in der Lage sind, ein
Verhalten zu steuern oder einen internen Zustand zu erzeugen, welcher vom Gehirn als Lösung des
Problems angesehen wird. Das geschieht mit allen Mitteln, die dem Gehirn zur Verfügung stehen, und
dies sind neben den aktuellen Sinnesdaten auch die Gedächtnisinhalte, die auf ihre mögliche Relevanz
hin geprüft werden müssen. [Das ist Akkommodation. A.S.] 238
Das psychische System nimmt nur das aus der Umwelt auf, was sich in das System integrieren lässt.
Was das ist, bestimmt sich aufgrund von Selbstreferenz. „Ein selbstreferenzielles System operiert stets
in der Form des Selbstkontaktes. Es nimmt Wirkungen aus der Umwelt auf und gibt Wirkungen an die
Umwelt ab in der Form von Aktivitäten, die sich jeweils intern abstimmen und insofern stets struktu-
rell Selektivität aufweisen.“ Niemand anders sagt dem System, was es aufnehmen soll. Das System ent-
scheidet auf der Basis seiner Selbstinterpretation, ob sich etwas aus der Umwelt assimilieren lässt
oder ob es sich selbst akkommodieren will. Wir können auch sagen, dass das System entscheidet,
ob die Aufnahme von Informationen aus der Umwelt für es selbst sinnvoll sind, ob sie Informationen
sind oder nur Rauschen.239 (Hvh. A.S.)
Der Begriff der Anpassung [hat] eine unabweisbare ... Prominenz, solange die System/Umwelt-Differenz
das Leitparadigma der Systemtheorie ist, denn diese Differenz kanalisiert die Informationsverarbeitung
des Systems ... durch die Alternative von Anpassung des Systems an die Umwelt oder Anpassung der
Umwelt an das System.240
Die Anwendung des Wissens beruht darauf, dass das kognitive Subjekt den Fluß der elementaren
Erfahrung durch Assimilation an vorhandene Begriffe segmentiert und, solange das in befriedigender
Weise funktioniert, dank dieser Begriffe zu einer kohärenten Wirklichkeit koordiniert.
Wo die Assimilation fehlgeht, das heißt, wo das Ergebnis der Erwartung nicht entspricht, werden
Handlungen oder Begriffe abgeändert (Akkommodation) was, wenn es erfolgreich ist, zur Erweiterung
des Wissens führt.241
Wenn man alle diese Aussagen auf ihren Kern zurückführt, erkennt man die ‚Form der Unterscheidung mit zwei
Seiten:’
Adaptation
Assimilation Akkommodation
Und besonders charakteristisch für diese Unterscheidung ist ihre Eigenschaft der Skalierung. Das wird deutlich,
wenn man die Extreme auf der Skala betrachtet: Das Individuum, das sich im Extrem der Assimilation bewegt, ist der
Mensch mit dem festen Weltbild, den festen Grundsätzen, der nur seine Meinung gelten lässt, der Fundamentalist.
- Das Individuum, das sich immer akkommodiert, unterliegt jedem Einfluss, der auf ihn einwirkt. Es ist der Mensch
ohne eigene Meinung, der Mitläufer. Und die absolute Einseitigkeit führt auf beiden Seiten zu Verblendung und im
Extrem zum Schwachsinn. Hieraus ist abzuleiten, dass die Ausgewogenheit zwischen diesen Extremen sehr wichtig
Nun kann das Ziel „eines inneren Gleichgewichts“ zu dem falschen Eindruck führen, dass es sich hier um einen
statischen Zustand handelt. Das ist absolut nicht der Fall. Wie schon gesagt, ist der Hauptgegenstand der Forschung
Piagets die kognitive Entwicklung des Individuums. Er beginnt mit der Beobachtung des frühesten Stadiums der
Neugeborenen, ihrer ersten Auseinandersetzung mit der Umwelt durch passive Reflexe. Es sind der Greif- und
der Saugreflex. Der Greifreflex entwickelt sich dann zum aktiven Greifen. Der Säugling greift nach allem, was in
seine Nähe kommt und führt es zum Munde, um es näher zu untersuchen. Dies ist der Anfang der menschlichen
Kognition, die schließlich zum Begreifen führt. Dieser körperliche Aspekt des Begreifens ist der Ausgangspunkt für
das noch zu behandelnde Thema der Synästhetik.
Der Antrieb dieser ganzen Entwicklung ist die Akkommodation. Das ganze Leben eines Individuums ist bestimmt
durch die ständige Erweiterung seines Weltbildes durch Akkommodation, und die Assimilation dient dabei der
Sicherung der erworbenen Erkenntnis oder Anschauung. Dies lässt sich in allen Bereichen der Kognition verfolgen,
zum Beispiel in der Entwicklung des Musikverständnisses. Es beginnt bei den meisten Menschen mit Kinderliedern
und Volksliedern und entwickelt sich - in einem entsprechenden kulturellen Umfeld - oft als Wiederholung der
Entwicklung der Musikstile, so dass man hier von einer Spiegelung der Phylogenese in der Ontogenese sprechen
kann: Vivaldi, Bach, Mozart, Beethoven, Brahms, Mahler, Strauß, Bartok. – Ein anderes Beispiel ist die Rezeption
der bildenden Kunst in der Gesellschaft. Van Gogh fand zu Lebzeiten keinerlei Anerkennung; heute hängen die
Reproduktionen seiner Bilder bei ‚Lieschen Müller’ über dem Sofa. - Ganz wichtig ist die Tatsache, dass jede
Akkommodation, jedes Vordringen in neue kognitive Bereiche mit Lustgewinn verbunden ist. Das kann
man besonders gut bei Kleinkindern beobachten, die begeistert sind, wenn sie etwas Neues gelernt haben, körper-
lich oder geistig. Wie bei Jonny, der zum erstenmal eine Treppe bezwingt.
Das gilt auch für die Entwicklung des produktiven und des rezeptiven Vermögens in der Kunst. Umberto Eco hat
dies am Beispiel der Musik deutlich gemacht:
242 Ebd.
Ich fasse zusammen: Das ‚Spiel’ der Kunst ist eine Form der Adaptation, eine ‚Form der Unterscheidung mit zwei
Seiten.’ Assimilation ist ein Filtern; nur was durch den Raster der Gewohnheit, der Voreingenommenheit passt,
wird assimiliert. – Akkommodation setzt Offenheit voraus. Im freien Spiel der Neugierde und Kreativität wird
ausprobiert, was ins Bild passt. Das Bild verändert, entwickelt sich. Hier besteht eine gedankliche Verbindung zu
Schillers Spieltrieb im 14. Brief. Und nach Umberto Eco gehört es
zu den Bedingungen unseres Weiterlebens als denkende Wesen, daß wir es verstehen, unse-
re Intelligenz und unsere Sensibilität so fortzuentwickeln, dass jede Erfahrung das System unserer
Assimilationsschemata bereichert und modifiziert. Dieses System muß sich organisch funktionstüchtig
erhalten, d. h. ohne Sprünge und Deformationen weiterwachsen. 244
Adaptation
Assimilation Akkommodation
Kognitionsschema:
Redundanz Rauschen
Eindeutigkeit Ambiguität
Ästhetik Anästhetik
Gestaltungsschema:
Gestalt Amorphie
Prägnanz Diffusion
Klarheit Unschärfe
Stereotypie Rhythmus
Codierung Beliebigkeit
Erlebnisschema:
Harmonie Dissonanz
Ruhe Erregung
Gewohntes Ungewohntes
Einfachheit Komplexität
Ordnung Spontaneität
Die Reihe kann sicher noch erweitert werden. Die Reihenfolge ist mehr oder weniger beliebig und die Glieder
sind teilweise austauschbar. Manche Bedeutungen überschneiden sich auch, wie die Ausführungen der einzelnen
Autoren zeigen, was auf die gemeinsame Wurzel der Adaptation zurückzuführen ist. -
Einige Beispiele sollen die Bedeutung dieser Unterscheidungen erläutern. Es wird sich zeigen, dass sie insgesamt die
Wahrnehmung und das Wesen der Gestaltung und der Kunst bestimmen.
6.3.1 Kognitionsschema
Die Unterscheidungen im kognitiven Schema: Redundanz / Rauschen sowie Eindeutigkeit / Ambiguität kann man
als eine Grundunterscheidung der Adaptation bezeichnen. Dies wird in der Darstellung Umberto Ecos deutlich:
Eine völlig zweideutige Botschaft erscheint als äußerst informativ, weil sie mich auf zahlreiche inter-
pretative Wahlen einstellt, aber sie kann an das Geräusch angrenzen, d.h. sie kann sich auf bloßes
Geräusch reduzieren. Eine produktive Ambiguität ist die, welche meine Aufmerksamkeit erregt und
mich zu einer Interpretationsanstrengung anspornt, mich aber dann Dekodierungserleichterungen
finden lässt, ja mich in dieser scheinbaren Unordnung als Nicht-Offensichtlichkeit eine viel besser
abgemessene Ordnung finden lässt, als es die Ordnung ist, die in redundanten Botschaften herrscht.
... Es ist dies das Problem der Kolorierung der Geräusche, d.h. des Minimums an Ordnung, das in die
Unordnung eingeführt werden muß, damit diese aufnehmbar wird.245 (Hvh. A.S.)
Wie für alle Unterscheidungen auf der Assimilationsseite, gilt auch für die Redundanz, dass sie nicht per se negativ
aufzufassen ist. Ein gewisses Maß an Redundanz – also Wiederholungen - ist immer notwendig, wenn komplizierte
Gegebenheiten verdeutlicht werden sollen. Der Begriff Eindeutigkeit impliziert dagegen oft Borniertheit, die wie-
derum Ambiguität als Wankelmütigheit ansieht.
Mit der Unterscheidung von Ästhetik und Anästhetik hat sich Wolfgang Welsch ausführlich befasst:
Ein ästhetisches Grundgesetz besagt, dass unsere Wahrnehmung nicht nur Belebung und Anregung,
sondern auch Verweilen, Ruhezonen und Unterbrechungen braucht. Dieses Gesetz verurteilt die der-
Auch hiernach gilt für jegliche Gestaltung, auf der Skala der Unterscheidung ein gutes Verhältnis zu finden.
6.3.2 Gestaltungsschema
Die ‚Gestalt’ als Begriff spielt in der allgemeinen Wahrnehmungstheorie eine prominente Rolle, so dass sie als
Gestaltpsychologie einen eigenen Wissenschaftsbereich bildet. Der Leitbegriff ist die „gute Form.“ „ ... das, was die
Gestaltpsychologen die ‚gute Form’ nennen, [ist] dasjenige unter allen Modellen, welches ‚die geringste Information
erfordert und die größte Redundanz besitzt.’“ 247
Zunächst ist festzustellen, dass Wahrnehmung immer Selektion ist. Nach den Erkenntnissen der Hirnforschung
nimmt ein Mensch nur einen winzigen Bruchteil der laufenden Sinneseindrücke wahr, und zwar nur das, was je-
weils für ihn und seine Existenz wichtig ist. Nach Wolfgang Welsch hat
die Gestaltpsychologie ... uns gelehrt, daß zu jedem Wahrnehmen nicht nur ein Nichtwahrnehmen
gehört, sondern daß solcher Ausschluß, solche Selektivität für das Wahrnehmenkönnen konstitutiv ist.
Neurophysiologische Untersuchungen haben diesen Zusammenhang inzwischen besser verständlich
gemacht: Kognitive Systeme können generell nur, weil sie selbstreferenziell geschlossen sind, um-
weltoffen operieren. Wir sehen nicht, weil wir nicht blind sind, sondern wir sehen, weil wir für das
Meiste blind sind; entsprechend heißt, etwas sichtbar zu machen, im gleichen Akt etwas anderes un-
sichtbar zu machen. – Keine aisthesis ohne anaisthesis - nicht einmal im einfachsten Wahrnehmen.248
Diesem Sichtbar- und Unsichtbarmachen entspricht der Leitbegriff der Gestaltpsychologie: ‚Figur und Grund.’
‚Figur’ ist das, was man wahrnimmt und ‚Grund’ ist das ‚Unsichtbare.’ Das Auge muss also etwas unterscheiden
können, zum Beispiel ein Haus in der Landschaft. Extrem ist der Blick auf eine Zielscheibe, bei dem man gar nichts
anderes sieht. Am stärksten wird eine Figur vom Grunde abgehoben, wenn sie fest umrissen ist. Eine andere Weise
ist die Unterscheidung durch einen Kontrast, beispielsweise durch hell / dunkel oder durch eine starke Farbwirkung,
wie die Signalfarbe Rot an Verkehrszeichen.
Im Zusammenhang hiermit ist ein anderer Wirkungsfaktor der Wahrnehmung zu sehen: die Prägnanz. Prägnant
sind die Dinge, die sich einprägen, das heißt, das was in der Erinnerung haften bleibt.
In der Gartenkunst sind die Gestaltungsschemata von größter Bedeutung. Auszugehen ist von der Tatsache, dass
die ‚natürliche Vegetation’ meistens ein diffuses Bild abgibt. Seit dem Urgarten ist der Mensch bestrebt, hierin
Ordnung zu schaffen. Das hat im Nutzgarten einen praktischen Grund, ist im Schmuckgarten aber ein ästheti-
sches Bedürfnis. Die Methode, Pflanzen zu beschneiden als Hecken oder in dekorative Formen entspringt einem
archetypischen Bedürfnis. Noch heute verwenden Laien, wenn ihren Garten bepflanzen, vornehmlich Koniferen
und kompakte Immergrüne, die eine fest umrissene Gestalt bilden. Frei wachsende Gehölze werden entweder als
Solitärs verwendet, die sich vom Hintergrund abheben, oder sie werden kugel- oder kastenförmig beschnitten, wie
im Barock. Eine artenreiche Strauchpflanzung wird als ‚Gestrüpp’ empfunden. In der professionellen Planung soll-
Ein Beispiel für Prägnanz, sehe ich in der Bildung starker Farbeindrücke. Die berühmten ‚100000 Tulpen’ be-
geistern immer wieder das Publikum. Rosen- oder Sommerblumenpflanzungen in einem grünen Rahmen haben
die gleiche Wirkung; jedoch sollten sie eine gewisse Differenzierung erfahren, um nicht langweilig zu wirken.
Schon die Rabatten der Barockgärten waren abwechslungsreich bepflanzt. Prägnanz ist auch zu erreichen durch
Großflächigkeit: eine ‚Blumenwiese’ wirkt erst in einer gewissen Größe; in einem Vorgarten wäre sie unangebracht.
6.3.3 Erlebnisschema
Das Gestalt- und Prägnanzprinzip beziehe ich hauptsächlich auf die Gestaltung der Pflanzung im Garten. Es hat
natürlich auch eine Bedeutung für die übrige Gartengestaltung: Raumbildung, Wegeformen und architektonische
Elemente. Wichtiger sind jedoch die weiteren Gestaltungsschemata, wie Klarheit, Symmetrie, Geometrie usw.
Ihr ausgewogenes Verhältnis zu ihren jeweiligen Gegensätzen bestimmt die psychologischen Bedingungen im
Erlebnisschema.
Die Betonung der einen Seite auf der Skala der Unterscheidung birgt immer eine Gefahr in sich: Klarheit steht für
Ordnung, Ruhe und Harmonie; wenn aber Spannung, Überraschung und Erregung nur wenig ausgeprägt sind, tritt
Langeweile ein. Gerade in vielen modernen Anlagen, in denen „Klarheit“ das oberste Gebot des Planungskonzeptes
ist, kann man diesen Effekt beobachten. Darauf werde ich noch näher eingehen. Umgekehrt ist es natürlich genau
so negativ zu sehen, wenn eine Gestaltung diffus, unscharf und nur aus unklaren freien Formen besteht. In der
Praxis ist es unerlässlich, die durchschnittliche Fähigkeit zur Akkommodation der zu erwartenden Rezipienten zu
berücksichtigen.
Wie schon mehrfach betont, kommt es bei den skalierten Unterscheidungen auf die Wahl des Punktes auf der Skala
an. Ein optimales Skalenverhältnis zeigt Michael Winter anhand eines historischen Beispiels:
Gegenüber der Forderung der klassischen Ästhetik in der Architektur des 17. Jahrhunderts, alle geo-
metrischen und symmetrischen Beziehungen einer Anlage auf den ersten Blick verstehen zu können,
... macht Versailles eine entscheidende Einschränkung. Das Ganze versteht nur der sofort, der den
Plan davon besitzt. Für die Körper, die sich ohne Plan in der Ebene bewegen, ist allein die Perspektive
entlang der Symmetrieachse in ihrer rationalen Struktur erfassbar. Rechts und links davon bleiben
Symmetrie und Geometrie, die Rationalität der Raumgestaltung zwar erhalten, entziehen sich in ih-
rer Gesamtheit jedoch der Einsicht des Betrachters. Er kann auf seinem Weg nur sukzessive partielle
Symmetrien wahrnehmen und ist unvorhersehbaren Aus- und Einblicken ausgeliefert. ... Le Notre
schuf einen Park voller Überraschungen. ... Nicht Statik, sondern Bewegung, nicht totale Übersicht,
sondern Überraschung, sind die ästhetischen Prinzipien von Versailles. Bewegung und Überraschung
sind aber nicht willkürlich, sondern genau berechnet und in die Gesamtsymmetrie einkalkuliert.249
Sehr aufschlussreich in diesem Zusammenhang sind die Forschungen eines niederländischen Teams von Psychologen
um Henk Staats über die emotionalen Qualitäten von Gestaltungen. Sie untersuchten die Wirkungen unter-
schiedlicher Waldzustände auf Versuchspersonen: ‚ordentliche’ gut erschlossene Waldpartien und unwegsame dich-
Es zeigte sich, dass es deutliche Unterschiede in der emotionalen Qualität gab, die von der Erschließung
und dem Waldtyp abhängig sind. Während die Erregung größer ist, wenn die Erschließung geringer
und der Wald dichter sind, verhielt es sich mit dem Vergnügen ganz anders. Bei hoher Erregung ist hier
das Vergnügen relativ gering, aber es ist im Maximum, wenn Erregung um einen Mittelwert
pendelt. Besonders beeindruckte uns, dass negative Erfahrungen während des Spaziergangs später
oft ganz unterschiedlich bewertet werden: der Gang durch den dichten und unzugänglichen Wald, der
in einigen Abschnitten die unruhigsten und am wenigsten angenehmen Erfahrungen brachte. Wurde
hinterher positiver bewertet als während des Spaziergangs.250 (Hvh. A.S.)
Diese Untersuchung zeigt also sehr deutlich, dass die Akzeptanz am größten ist, wenn zwischen Langeweile und
Spannung ein Mittelwert besteht; aber sie zeigt auch, dass dieser Mittelwert kein Festpunkt ist, sondern dass sich
die Versuchspersonen im Laufe der Zeit auch an den ‚wilden’ Zustand der dichteren Waldpartien akkommodieren
konnten. Die Autoren folgerten aus ihren Untersuchungen, „dass sich die emotionale Qualität von Entwürfen zu
einem gewissen Grade planen und manipulieren lässt.“
Sie zeigen in dem Aufsatz noch eine interessante „Typologie von Gefühlszuständen“, die James Russel entwickelt
hat: „erregt / hochgestimmt / froh / freundlich / entspannt / ruhig / schläfrig / gelangweilt / bedrückt / unzufrieden
/ erschreckt / angespannt.“ 251
Zur Verdeutlichung dieses Themas der Adaptation zitiere ich noch zwei einschlägige Auffassungen. Dezidiert die von
Friedrich Cramer:
Schönheit ist offenbar am ergreifendsten, am deutlichsten dort, wo sie an die Grenzen zum Chaos
vorstößt, wo sie ihre Ordnung freiwillig aufs Spiel setzt. Schönheit ist eine schmale Gratwanderung
zwischen dem Risiko zweier Abstürze: auf der einen Seite die Auflösung aller Ordnung in Chaos, auf
der anderen die Erstarrung in Symmetrie und Ordnung. Nur auf diesem gefährlichen Grat entsteht
Schönheit, wird Gestalt.252
Die Metapher der Gratwanderung ist aber missverständlich. Der Grat ist keine feste Größe; was für den einen schon
chaotisch erscheint, ist für den anderen gerade anregend.
Ein mittleres Ausmaß an Information (wird) als am schönsten empfunden. ... Schönheit zeigt sich
am ausgewogenen Verhältnis zwischen ordnenden und stimulierenden Elementen. Vermutlich wirken
besonders jene Strukturen als „schön“, die auf den ersten Blick klare Orientierung ermöglichen, auf
den zweiten Blick aber durch Vielfalt an Gestaltungselementen Neugierde und Explorationsverhalten
hervorrufen.253
In eindrucksvoller Weise hat sich jetzt Gerhard Richter mit diesem Phänomen auseinander gesetzt. In seinem
Buch „Wald“ zeigt er 270 ganzseitige Fotos, die alle in einem Laubwald aufgenommen sind. Der erste Eindruck ist
Richter hat sich in seinem sonstigen Werk nie auf Abstraktion oder Gegenständlichkeit festgelegt. Und so könnte
man in diesem Werk der Waldbilder eine Zwischenwelt sehen, die zu einer Gruppe seiner abstrakten Bilder führt,
die eine ähnliche Struktur haben. Ich füge dies hier ein, weil mich das Verhältnis der Gartenkunst zur bildenden
Kunst noch näher beschäftigen wird, aber auch, weil die Rezeption dieses Werkes, das kaum ordnende Elemente
enthält, ein hohes Maß an Akkommodation erfordert, genau wie derartige Szenen in der Natur. --
Ebenfalls zum Erlebnisschema gehören die beiden „Gegensatzpaare von Einfachheit und Komplexität sowie von
Ordnung und Spontaneität“ von Gerhard Schulze, der sie als „Die fundamentale Semantik“ und als „ein einfaches
Strukturgerüst“ bezeichnet, um das herum „die soziale Wirklichkeit ... aufgebaut ist“ 255 Dieses Modell, das Schulze
für die Beschreibung der sozialen Milieus entwickelt hat, ist auch für das Kunstsystem relevant.
Das Besondere dieser Darstellung ist, dass die Adaptation nicht nur aus einer eindimensionalen Skala besteht, son-
dern dass hier zwei Dimensionen zusammen wirken: Der Denkstil und der Handlungsstil. Schulze nennt das die
psychophysische Semantik. In Bezug auf die Adaptation ist festzustellen, dass die Pole Einfachheit und Ordnung
durch Assimilation bestimmt sind, die Pole Spontaneität und Komplexität durch Akkommodation.
Für die unübersehbar vielen Manifestationen des Erlebens stellt die psychophysische Semantik ein
einfaches Beschreibungsschema bereit. ... gegenwärtig [genügen] zwei Dimensionen, charakteri-
sierbar durch entgegengesetzte Erlebnishaltungen, für eine fundamentale Beschreibung. Die bei-
den Basisdimensionen haben zu tun mit der Dualität von Innen und Außen, von Kognition und
Aktion, von Denken und Handeln. ... In Erlebnissen fließen sowohl psychische (kognitive) wie
physische (körperliche) Empfindungsmodalitäten zu einem Gesamteindruck zusammen. Wohl sind
die Mischungsverhältnisse unterschiedlich, doch gibt es ebenso wenig völlig unkörperliche geistige
Erlebnisse wie völlig ungeistige körperliche Erlebnisse.256
Das entspricht dem Ausgangspunkt zu diesem Kapitel, der Feststellung, „dass in der Kunst immer eine Beziehung
zwischen Produktion und Rezeption besteht.“ 257 In der Kunstproduktion spielt der Handlungsstil eine größere Rolle
als in der Rezeption, der Denkstil bestimmt beide.
Zwei blackboxes bekommen es ... miteinander zu tun. Jede bestimmt ihr eigenes Verhalten durch
komplexe selbstreferenzielle Operationen innerhalb ihrer Grenzen. Das, was von ihr sichtbar wird, ist
deshalb notwendig Reduktion. Jede unterstellt das Gleiche der anderen. Deshalb bleiben die blackbo-
xes bei aller Bemühung und bei allem Zeitaufwand ... füreinander undurchsichtig.260
Solche ‚blackboxes’ sind also auch Kunstproduzent und –rezipient. Die doppelte Kontingenz besteht hier aus fol-
gender Gegebenheit: Kunst ist immer etwas Neues, eine Erweiterung eines bestimmten Weltbildes. Der Künstler
‚ringt’ damit, seine Ideen auszudrücken. Seine Ausdrucksweise ist kontingent. Der Rezipient kann das Neue des
Kunstwerkes nicht assimilieren; ob er sich aber akkommodieren kann oder nicht, ist ebenfalls kontingent. Diese
doppelte Kontingenz ist die Ursache für die Verständnisschwierigkeiten in der Kunstrezeption.
Was heißt es, von der Einheit von Inhalt und Form in einem gelungenen Werk zu sprechen, wenn
nicht, dass dasselbe strukturale Schema die verschiedenen Organisationsebenen beherrscht? Es etabliert sich
eine Art Netz von homologen Formen, das den besonderen Code dieses Werks bildet. Dieser ist die Regel der
Operationen, die daran gehen, den vorherstehenden Code zu zerstören, um die Ebenen der Botschaft
zweideutig zu machen. ... die ästhetische Botschaft [verwirklicht] sich im Verstoß gegen die Norm. ...
Dieser Verstoß gegen die Norm ist nichts anderes als die zweideutige Strukturation bezüglich des Codes.
Diese Regel, dieser Code des Werks ist von Rechts wegen ein Idiolekt (... der private und individuelle Code
eins einzigen Sprechers ...) Dieser Idiolekt erzeugt Nachahmung, Manier, stilistische Gewohnheit ... .261
(Hvh. i. O.)
Die Verknüpfung, die Kodierung von Zeichen muß einmal vom Sender und dann wieder vom
Empfänger vorgenommen werden, soll die Informationsübertragung zustande kommen. Die entschei-
dende Frage ist daher, wie sich Sender und Empfänger über den Kode verständigen. Das ist das Problem
von Kommunikation überhaupt. 262
Wir folgern also, dass der Code eines wahren Kunstwerks immer etwas Neues ist, das gegen das Hergebrachte ver-
stößt und dadurch irritiert. Durch Akkommodation entsteht neues Bewusstsein. Wenn andere Künstler diesen Code
weiter entwickeln, kann ein neuer Stil entstehen. Ein Beispiel aus der Kunstgeschichte ist der Pointillismus, aus
dessen Abwandlung van Gogh einen starken Idiolekt entwickelte, der dann den Übergang zum Expressionismus
einleitete.
Beispiele für die zahlreichen gegenwärtigen sehr ausgeprägten Idiolekte sind die Nagelbilder von Günther Uecker
oder die Steinblöcke von Rückriem. Sehr bekannt, weil ihr Code sehr eingängig ist, sind die Werke von Vasarely
und Hundertwasser. - Geprägt durch häufigen Wechsel ihres Codes sind das Lebenswerk Picassos und Paul
Klees.
In der Gartenkunst der Gegenwart sind individuelle Codes nicht sehr häufig. Eine erkennbare Handschrift hatten
unter anderen Mattern und Hammerbacher, und einen ausgeprägten Idiolekt sehe ich in dem Werk von Gustav
Lüttge, der seinen Stil in jeder Hinsicht perfektionierte.
Verbunden mit dem Wesen des Codes und des Idioleks ist die Gefahr der Nachahmung. Diese besteht kaum da, wo
sie gleich ins Auge springt; eine Verhüllung a la Christo würde sofort als Kitsch abgetan sein. Weniger auffällig sind
Codes, die an sich sehr ansprechend sind, aber auf die Dauer durch ständige Anwendung zu Klischees werden. Als
ein Beispiel in der Gartenkunst nenne ich nur das immer wiederkehrende Stereotyp des orthogonalen Rasters, der
von einer Diagonalen durchschnitten wird. Noch problematischer ist die Übernahme von Codes aus der bildenden
Kunst, was noch näher erörtert werden soll. - Wenn sich einmal eine Kritik der Gartenkunst etablieren würde, wäre
dies Problem der Nachahmung ein wichtiges Kriterium.
Die Erkenntnistheorie des Radikalen Konstruktivismus lässt sich kurz auf folgenden Nenner bringen:
Sie versteht sich als Kognitionstheorie ... Das soll heißen, sie ersetzt die traditionelle epistemologische
Frage nach Inhalten oder Gegenständen von Wahrnehmung und Bewusstsein durch die Frage nach
dem Wie und konzentriert sich auf den Erkenntnisvorgang, seine Wirkungen und Resultate. ...
Der sogenannte gesunde Menschenverstand ... [geht bei seinen] Überlegungen davon aus, dass wir
über unser Wahrnehmungssystem in direktem Kontakt mit der Welt stehen. ...
Sieht man dagegen das Wahrnehmungsproblem nicht vom Aspekt der Sinnesorgane sondern vom
Standpunkt des Gehirns aus, dann eröffnet sich eine völlig andere Perspektive. ... Wahrnehmung
[vollzieht] sich nicht in den Sinnesorganen, sondern in spezifischen sensorischen Hirnregionen: „So
sehen wir nicht mit dem Auge, sondern mit, oder besser in den visuellen Zentren des Gehirns ...
Wahrnehmung ist demnach Bedeutungszuweisung zu an sich bedeutungsfreien neuronalen Prozessen,
ist Konstruktion und Interpretation.“ (Roth) 264
Bei der Bedeutungszuweisung operiert das Gehirn auf der Grundlage früherer interner Erfahrung und stammesge-
schichtlicher Festlegungen: erst dann wird ein Wahrnehmungsinhalt bewusst. Das heißt aber, bewusst wird nur das,
was bereits gestaltet und geprägt ist. Was wir nur schwer einsehen können, ist dass jeder Mensch seine eigene Welt
konstruiert, so dass wir immer wieder erstaunt sind, wenn der Andere „die Sache ganz anders sieht.“
6.5.1 Synästhetik
Wenn wir die Grundlagen der Rezeption in den verschiedenen Kunstgattungen vergleichen, stellen wir erheb-
liche Unterschiede fest, die für die Charakterisierung der Gartenkunst von großer Bedeutung sind. Ich vergleiche:
Kurz gesagt: Nur die Erzeugnisse der Gartenkunst, wobei die ‚Welt als Garten,’ also die Landschaft, einbezogen ist,
affizieren alle Sinne. Diese Tatsache wird bei den weiteren Überlegungen noch sehr wichtig sein. Deshalb soll das
näher untersucht werden.
Und bei Alexandre Mitraux lesen wir, dass schon Rousseau sich mit den unterschiedlichen Formen der
Naturwahrnehmung beschäftigt hat in der „Form einer Abrechnung mit der Ästhetik des Blicks.“
In der ersten Form der Landschaftserfahrung zeigt sich die Natur dem Menschen aus der Distanz, ver-
mittelt sich ihm lediglich über den Gesichtssinn, verkümmert zum Panorama. ...
In der zweiten Form dagegen wird die Natur in mehreren Sinnesmodalitäten zugleich wahrgenom-
men. Sie affiziert aus der Nähe oder in unmittelbarer Berührung, vermittelt sich dem Menschen durch
dessen Tasten und Riechen und ist dann auch ein Medium der sinnlichen Vermittlung des Menschen
mit sich selbst. ... Das Berühren der Pflanzen ist unaufhebbar eine lustgefärbte Selbstberührung.266
Dieses Thema habe ich bereits oben im Zusammenhang mit der psychologischen Wirkung der Wegeführung und in
Bezug auf den fließenden Raum angeschnitten. Es soll hier weiter vertieft werden.
das Sich-Bewegen und das Bewusstsein davon ... unter dem Begriff der „Kinästhese“. ... Die
Erfahrung in einem Horizont von Möglichkeiten ist rückgekoppelt an das Bewusstsein, wie es sich
weitere Sinneseindrücke durch Aktivitäten des Körpers beschaffen könnte. Darin artikuliert sich das
Bewusstsein von unserem Körper als Wahrnehmungs- und Empfindungsorgan, das von uns willent-
lich bewegt wird. Husserl spricht in diesem Sinne von einem Leibbewusstsein. Der Leib wird zum
Wahrnehmungsorgan.267
Heinz Paetzold hat diesen Aspekt der Wahrnehmung ausführlich untersucht.268 Er sieht den „Leib als eine unhin-
tergehbare Voraussetzung aller sinnlichen Raumerfahrungen“269 und betrachtet die Bewegungsformen des Leibes
im Zusammenhang mit unterschiedlichen Raumqualitäten: Der gestimmte Raum
[wird] im ziellosen Gehen, im Wandern ... und vielleicht auch im städtischen Flanieren zugänglich. Im
ziellosen und nicht funktional bestimmten Gehen werde ich des gestimmten Raumes inne. Dazu trägt
bei die aufmerksamlose Bewegung des Leibes, die fließende Rhythmik des Schreitens. Der Leib öffnet
sich der Welt: Die Sinnesorgane spielen zusammen, ohne einem Ziel unterworfen zu sein. Das Auge
Wir erkennen in diesem gestimmten Raum unmittelbar alle Arten und Formen von Gärten und Landschaften. Als
negatives Beispiel sehe ich die grassierende Mode der unendlich langen ‚Achsen’, die nur einen missgestimmten
Raum erzeugen.
Damit ist diejenige Struktur von Räumlichkeit gemeint, die sich dem handelnden Leib erschießt. Handeln
ist hier zu interpretieren als zielgerichtetes Tun. Es schließt also Dinge ein, auf die sich das Handeln rich-
tet, und außerdem solche Dinge, mit denen Handlungen vollzogen werden. (Zum Beispiel Sportgeräte
A. S.) ... Ein wesentliches Merkmal des Aktionsraumes ist seine Gerichtetheit: Der handelnde Leib bildet
sein Zentrum.271 (Hvh. i. O.)
Die optische Wahrnehmung bezieht er auf den Anschauungsraum: darin ist der Leib
in seiner Eigendynamik qualitativ und quantitativ reduziert: Gliedmaßen und Rumpf sind in ihren
spezifischen lokomotorischen und aktionistischen Funktionen außer Kraft gesetzt. ... Sie sind lediglich
Träger der Sinne.272
Der Anschauungsraum ist ein ‚Fernraum’, der durch die Raumtiefe und die Perspektive bestimmt ist. Aber auch
diese optische Wahrnehmung ist nur möglich, wenn das wahrnehmende Subjekt sich die Fähigkeit dazu in sei-
ner ontogenetischen Entwicklung durch Bewegung erworben hat. - Der Anschauungsraum ist die Grundlage der
Landschaftsmalerei, was noch näher zu untersuchen ist.
Hiermit ist nicht nur der Tastsinn der Hände gemeint, sondern die Berührungen und das Spüren des ganzen Leibes
mit der Natur, mit Pflanzen, Wind und Wetter. Mich interessiert besonders die Bedeutung der haptischen Erfahrung
für die Entwicklung der Kinder. Auf die Anfänge im Säuglingsalter habe ich bereits hingewiesen. Für die weitere
Entwicklung ist die Berührung mit den ‚vier Elementen’ sehr wichtig. Erde, Wasser, Luft und Feuer waren nicht
ohne Grund die Urelemente der alten Griechen. Die Affinität zu ihnen scheint tief in der Psyche der Menschen
verwurzelt zu sein. Das wird deutlich, wenn Kinder beim Spielen beobachtet, beim ‚Matschen’ am Strand, beim
‚Kokeln’ oder in der Luft beim Schaukeln.
Ein eindruckvolles Erlebnis hatte ich, nachdem wir in den Sommerferien im Zuge einer Schulhofumgestaltung ei-
nen großen Sandhaufen aufgeschüttet hatten. Es war eine Schule in einem sozial benachteiligten Gebiet, in dem die
Kinder nicht viel aus ihrer Umgebung herauskamen. In der ersten großen Pause wurde der Sandberg gestürmt, was
eine unvermutete, an Ekstase grenzende Begeisterung auslöste.
Eine andere Beobachtung ist die, dass Kinder in einem bestimmten Alter einen gewissen Destruktionstrieb ausleben;
dabei werden zum Beispiel Zweige abgebrochen und als Waffe oder Peitsche benutzt. Ein falscher Ordnungssinn
sollte sie nicht daran hindern. – Man könnte diese Reihe fortsetzen; ich will nur folgern, dass bei der Gestaltung der
Ein Beispiel für das ‚Begreifen’ eines Kindes habe ich mit dem achtjährigen Enno erfahren. Er hatte mit seinem
Bruder in einer Knickeiche in tagelanger Arbeit ein Baumhaus gebaut, was bedeutet, dass er eine intensive hap-
tische Erfahrung in dem Baum hatte. Ohne eine bewusste Beziehung zu diesem Erlebnis malte er danach einen
Baum, der sich signifikant von Darstellungen Gleichaltriger unterschied.
Die Bedeutung der Berührung des Leibes mit der Natur, mit den vier Elementen, gilt genau so für Erwachsene. Auch
hier ist die Reihe von Beispielen eine unendliche. Ich beschränke mich auf wenige: Wandern durch Dünen oder
barfuß im Watt, Garten umgraben, Baden, Schwimmen, ‚Wind um die Ohren’ wehen lassen, Sitzen am Lagerfeuer
und – zum Element Erde gehörig - in der Vegetation: das Gehen durch hohes Gras, trockenes Laub, Walddickicht
und so fort.
Hierzu nenne ich nur einige Beispiele. Akustik: Singen der Vögel, Heulen des Windes; Olfaktorik: Duft von
Blumen oder trockenem Heu, Geruch des Waldbodens; Gustatorik: Geschmack von Walderdbeeren und so weiter.
Die Bedeutung dieser synästhetischen Wahrnehmungen für unser Naturverhältnis ist evident. Sie sind besonders
in naturnahen Grünflächen gegeben. Gerade im Umfeld der Großstädte sind diese deshalb von großer Bedeutung.
Hier macht sich nun zunehmend eine negative Tendenz bemerkbar: Damit keine Trampelpfade entstehen und ‚die
Menschen die Natur nicht stören,’ werden, abgehoben vom Boden, Holzstege gebaut. Dies ist eine Fehlentwicklung
im heutigen Naturschutz, nämlich die Menschen aus der Natur fern zu halten. Die Chance, Natur auf Dauer zu
erhalten, besteht aber nur darin, Menschen als Gesellschaft Natur wahrnehmen zu lassen, und das ist nur durch
synästhetische Wahrnehmung möglich. Nur mit allen Sinnen, das heißt durch körperliche Berührung ist Natur als
ganze erfahrbar. Die Wahrnehmung vom Holzsteg aus ist mit dem Erleben von Natur am Bildschirm vergleichbar,
es ist ein schwaches Surrugat.
6.5.5 Atmosphären
Es ist also festzustellen, dass die Natur dem Menschen nicht nur als Bild gegen über tritt. Der Mensch ist selbst Natur,
wenn er als Leib nicht nur Nahrung, sondern die unterschiedlichsten Einflüsse über alle seine Sinne aufnimmt. Von
der Hirnforschung wissen wir, dass durch die Wahrnehmung der Außenwelt auch die Physis des Menschen beein-
flusst wird. So bewirken äußere Reize die Bildung von Neurotransmittern und Endorphinen, die das Nervensystem
und damit die Homöostase, das heißt unterschiedlichste Funktionen des Leibes steuern. Sie können positive und
negative Gefühle erzeugen. So werden auch die oben beschriebenen Raumeindrücke gebildet.
Es geht darum, die emotionalen Anteile, d. h. die affektive Teilname am Wahrgenommenen wieder
in den Wahrnehmungsbegriff zu integrieren. Wenn Wahrnehmung das sinnliche Sichbefinden in
Umgebungen ist, dann stellt der Wahrnehmende nicht nur quasi aus außerweltlicher Position fest, was
in seiner Umgebung passiert, er wird vielmehr durch den Zustand seiner Umgebung affektiv betroffen
und wird einer so und so beschaffenen Umgebung in seiner eigenen Befindlichkeit bewusst. ...
Diese Feststellung führt dazu, der Umgebung quasi objektive Gefühlscharaktere zuzuschreiben. Sie
werden ... „Atmosphären“ genannt. Die sind als „quasi objektiv“ zu bezeichnen, insofern sie zwar nicht
wie Objekte vorfindlich, aber doch durch gegenständliche Arrangements praktisch erzeugbar
sind. In Atmosphären von Umgebungen , seien es nun Atmosphären von Landschaften, von Plätzen
oder Innenräumen, kann man „hineingeraten“. Atmosphären „hängen“ an Dingen und gehen von
Dingen und Menschen aus. Atmosphären sind zwar nicht „objektiv“, - und das heißt im Sinne neu-
zeitlicher Wissenschaft durch Apparate – feststellbar, aber es gibt gleichwohl darüber eine intersubjek-
tive Verständigung. ... [Man könnte also] die Ästhetik, auf die wir uns zubewegen, eine Theorie der
Atmosphären nennen. 273 (Hvh. A. S.)
Böhme ist sichtlich bemüht, seinen Begriff der Atmosphären gegen Missdeutungen zu schützen. Kritisiert wird er
zum Beispiel von Ruth und Dieter Groh. Diese wenden ein, „dass Wahrnehmung der menschlichen Natur als
Leib-Natur kein genuines Ziel ästhetischer Naturwahrnehmung ist. Diese richtet sich vielmehr auf schöne und
erhabene Gegenstände der Äußeren Natur.“ 274 (Hvh. A. S.) Dies ist die alte Ästhetik des Bildlichen, in erster Linie
optisch Wahrnehmbaren.
Dem entgegen steht eine Ansicht Adornos, wenn sie sich auch nicht ausdrücklich auf leibliche Wahrnehmung
bezieht: „Wer vom Naturschönen redet, begibt sich an den Rand der Afterpoesie. Einzig der Pedant vermißt sich,
in der Natur Schönes und Häßliches zu unterscheiden, aber ohne alle solche Unterscheidung würde der Begriff des
Naturschönen leer.“ 275 und an anderer Stelle sagt er, dass die „bewußtlose Wahrnehmung“ mehr von der Schönheit
der Natur weiß. „Je intensiver man Natur betrachtet, desto weniger wird man ihrer Schönheit inne, wenn sie einem
nicht schon unwillkürlich zuteil ward.“ 276 Diese Aussage wendet sich implizit gegen die Überbetonung des Visuellen
und die „bewusstlose Wahrnehmung“ meint das Gleiche, wie das „Sichbefinden“ und die „affektive Betroffenheit.“
Um den Charakter von Atmosphären zu verdeutlichen, will ich sie als ‚Form der Unterscheidung’ darstellen:
Atmosphäre
Naturaffekte Adaptation
Naturaffekte und Adaptation sind streng durch eine Grenze von einander getrennt und bilden als Form der
Unterscheidung zusammen die Atmosphäre.
Das bedeutet: Naturaffekte sind objektiv vorhanden, das sind zum Beispiel Wetterbedingungen, physischer Zustand
der Umgebung, wie Wiesental, Wald, Hügel, Berge und so weiter. Die andere Seite der Unterscheidung ist die
Adaptation durch ein Individuum, und die ist abhängig von dessen psychischen Verfasstheit.
Intensiv hat sich auch der Psychologe Reinhart Schober mit Atmosphären befasst, der sie – wie Böhme – für
planbar und herstellbar hält.277 Er stellt fest, „dass sich Menschen wie atmosphärisch ausgehungert in historischen
Gassen drängen“ und kritisiert „eine allzu rationale Planung,“ die durch „so weiträumige Worte wie ‚Aufwertung’,
‚Achsen’, ‚Akzente’, ‚Anbindung’“ bestimmt sind. Er fordert, „Atmosphäre als bewusste Planungsdimension einzu-
setzen.“ Als „Grundelement“ der Atmosphäre sieht er
Die innere Struktur eines Feldes muss sowohl eine Einheit darstellen wie auch in sich verschieden sein,
um nicht monoton zu wirken
• Langeweile, Depression,
Diese Begriffe gleichen meiner Liste der Unterscheidungen im Kontext der Adaptation oder ergänzen sie. Auch sie
bilden – zwischen Anregung und Angst - insgesamt eine Skala.
Zu bemerken ist, dass bei dem heute in der Gartenkunst vorherrschenden Minimalismus das Atmosphärische sich
in vielen Anlagen in der unteren Hälfte der Skala bewegt: Langeweile, Ärger.
Schober entwickelt dann eine „Erlebnisdramaturgie“ von der ich einige Auszüge stichwortartig wieder gebe:
Man kann feststellen, dass auch Schober das Prinzip der skalierten Unterscheidungen anwendet. Er stellt dies dar
in einem Schaubild mit zwei Achsen, deren senkrechte die Unterscheidung ‚Erregung / Ruhe’ und die waagerechte
die Unterscheidung ‚Vermeidung / Annäherung’ darstellt.
Abb.6/4
das starke Hinausströmen aus der Stadt an Wochenenden und im Urlaub und, dass durchgehend in
Tourismusstudien die schöne Landschaft auf Platz eins bei der Frage nach der gewünschten Kulisse
steht.
Sehnsucht nach Natur und Landschaft wird durch das Bewusstsein der schwindenden Natur genährt,
also von Leben, die tägliche Konfrontation mit Ozonloch und Klimakatastrophe ... Eine Ästhetik der
Kahlheit kann nicht allzu sehr erfreuen.
Setzen wir auf die überschwänglichen Elemente Wildheit und Pracht. Nicht indem wir einen Urwald
durch die Städte ziehen, sondern in einer feinen ornamentalen Art. Anregungen finden wir in der
fraktalen Formensprache aus der Chaostheorie. ...
In stilisierter oder halbstilisierter Form lassen sich Ableitungen für die Wiedergewinnung von
Ornamentik herstellen. Das Diktum von Adolf Loos, dass Ornament Verbrechen sei, heben wir auf.
Mit den konkreten Vorschlägen, die Schober macht, die zum Teil in Richtung Postmoderne gehen, stimme ich nicht
in allem überein. Aber seine strukturellen Kriterien für die Bildung von Atmosphären sind für die Gartenkunst
beachtenswert.
Bei der bisherigen Behandlung der synästhetischen Wahrnehmung ging es in erster Linie um emotionale
Zusammenhänge. Wahrnehmung wird aber auch von rein verstandesmäßigen Erkenntnissen beeinflusst.
„Fühlen und denken [wirken] in allen psychischen Leistungen untrennbar zusammen.“ Erkenntnisse der „ak-
tuellen Hirnforschung“ belegen, „dass es ein reines affektfreies Denken überhaupt nicht gibt und geben kann –
nicht einmal ... in der Wissenschaft und Mathematik.“ Affekte lassen sich „definieren als umfassende körperlich-
seelische Gestimmtheiten oder Befindlichkeiten von unterschiedlicher Qualität, Bewusstseinsnähe und Dauer. ... Affekte in die-
sem Sinn ‚affizieren’ grundsätzlich den gesamten Organismus; es handelt sich somit um typisch psychosomatische
Phänomene“ 279 Kognition definiert Ciompi im „scharfen Unterschied zum obigen Affektbegriff [als] die Fähigkeit
zur Wahrnehmung und weiteren Verarbeitung von sensorischen Unterschieden und Gemeinsamkeiten. ... Im Gegensatz zu
den Affekten „affizieren’ Kognitionen keineswegs den ganzen Organismus.“ Für Ciompi haben daher Affekte das
Übergewicht: „Denken und Handeln werden von Affekten nicht nur ständig begleitet, sondern auch geleitet.“ Und „in welcher
emotionalen Verfassung wir die Welt betrachten, so erscheint ... sie für uns – und gerade dies gilt ... in hohem Maß
ebenfalls für unsere Wahrnehmung der Natur.“ „Während wir die Natur in guter Stimmung zum Beispiel als schön,
erhaben oder lieblich erleben, wird sie uns in ängstlicher ... Verfassung als schrecklich oder unheimlich erscheinen,
und auf den in tiefer Trauer oder Depression versunkenen Menschen kann selbst die schönste Landschaft noch als
bedrückend oder gleichgültig wirken.“ 280 - Auch entwicklungsgeschichtlich gilt, dass Naturgenuss nur im entlaste-
ten Zustand möglich war und ist.
Ciompi bezieht sich ausdrücklich auf die ‚Form der Unterscheidung’ von Spencer-Brown. Das ergibt:
Wahrnehmung
Fühlen Denken
Nun ist das Verhältnis von Fühlen und Denken in Bezug auf die Wahrnehmung in der Gartenkunst zu erörtern,
wobei ich daran erinnere, dass Wahrnehmung sich sowohl auf die Produktion, wie auf die Rezeption bezieht.
An erster Stelle ist zu nennen der Einfluss der Ökologie auf die Profession. Ich sehe das durchaus positiv, denn
Ökologie bezieht sich auf den ‚Hauptwerkstoff’ der Gartenkunst, die Vegetation. So sollte es schon selbstverständlich
sein, den Garten auch als Lebensraum zu sehen, und zum Beispiel auch Pflanzen zu verwenden, die Tieren Nahrung
und Unterschlupf bieten. - Eindeutig ist, dass bei der Pflanzenverwendung ein Grundwissen über die Ansprüche der
Arten vorhanden sein muss. Das heißt nicht, dass Pflanzpläne streng nach pflanzensoziologischen Gesichtspunkten
aufzustellen sind. Aber einige Grundregeln sollten doch beachtet werden, zum Beispiel feuchtigkeits- und trocken-
heitsliebende Pflanzen nicht nebeneinander zu stellen, was Lucius Burckhardt oft beanstandete.
‚Fühlen und Denken’ in Einklang zu bringen ist im Prinzip für alle Arten der Kunstausübung wichtig; für die
Gartenkunst ist es eine der entscheidenden Fragen. Dabei ist die Behandlung der Vegetation als Affekt bestimmen-
des Element von eminenter Bedeutung. Es geht auch hierbei um die Hauptunterscheidung ‚physis und techne.’ in
der Deutung Heideggers.281
Der Begriff des Archetypus wurde vor allem von C. G. Jung eingeführt. Er unterscheidet das „persönliche
Unbewusste“ dessen Inhalt „in der Hauptsache die sogenannten gefühlsbetonten Komplexe“ sind, „welche die persön-
liche Intimität des seelischen Lebens ausmachen“, von dem „kollektiven Unbewussten, dessen Inhalt die sogenann-
ten Archetypen“ sind.
„Ein ... wohlbekannter Ausdruck der Archetypen ist der Mythus und das Märchen. ... hier handelt es sich um spezi-
fisch geprägte Formen, welche durch lange Zeiträume übermittelt wurden. Der Begriff Archetypus“ bezeichnet da-
gegen „nur jene psychischen Inhalte, welche noch keiner bewussten Bearbeitung unterworfen waren, mithin also
noch unmittelbare seelische Gegebenheit darstellen.“ ... Die unmittelbare Erscheinung der Archetypen, „wie sie uns
in Träumen und Visionen entgegentritt, ist viel individueller unverständlicher oder naiver als z.B. im Mythus.“ 282
Auch andere Autoren arbeiten mit vergleichbaren Begriffen. So zum Beispiel Gerhard Roth, der das phylogeneti-
sche vom ontogenetischem Gedächtnis unterscheidet 283 und Martin Seel, der von der „zugleich naturgegebenen
und kulturell ausgeformten Sensibilität“ spricht.284 Dabei ist sicher die naturgegebene Sensibilität mit dem phyloge-
netisch entstandenen Archetypus zu vergleichen.
Es ist offensichtlich, dass der Begriff rational nicht zu erklären ist, wie etwa ‚Gestalt’ oder sogar ‚Atmosphäre’. Aber
eben so sicher ist, dass es etwas Derartiges gibt, wodurch das Verhalten der Menschen beeinflusst wird. Es ist deshalb
sinnvoll, entsprechende individuelle Erfahrungen bewusst zu machen.
Ich hatte in dieser Hinsicht drei markante Erlebnissr: Das erste betrifft mich persönlich. Ich bin aufgewachsen in
einer Kleinstadt in Holstein in einer im landläufigen Sinne reizlosen Landschaft. Mit neun Jahren kam ich in ein
Kinderheim in Angeln an der Ostsee. Hier erlebte ich zum ersten Mal eine ‚Bilderbuchlandschaft’, die hügelige
Moränenlandschaft.
Unter anderem einen Laubwald, in dessen Mitte sich eine Lichtung von etwa 70 Meter Durchmesser befand. Dieser
Eindruck war so prägend, dass ich noch heute alle Einzelheiten vor Augen habe.
Die anderen Erlebnisse betreffen zwei meiner Söhne. Der eine fuhr als Dreijähriger(!) mit der Bahn von Stadthagen
ins Weserbergland und schaute aus dem Fenster auf die Landschaft. Nach einer gewissen Zeit sagte er spontan:
„Schön hier, nicht?“ - Von dem anderen Sohn habe ich eine entsprechende Wortschöpfung in Erinnerung. Als wir
an einem Sonntag einen Ausflug planten, schlug er vor, mal wieder zu der „gemütlichen Wiese“ zu fahren. Das war
eine Wiese, die von Wald und Knicks umgeben war, auf der wir vor einiger Zeit gespielt hatten.
Diese Erlebnisse spielten in einer Zeit, in der es bei uns keinen Fernseher und noch nicht die vielen Landschaftsbilder
auf Hochglanzpapier gab. Es waren also Erlebnisse, die spontan und ohne äußeren Einfluss entstanden. – Heute
wäre der Nachweis von ‚archetypischen’ Erlebnissen problematisch, weil Natureindrücke, die nicht von der heu-
tigen Bilderflut der Medien beeinflusst sind, kaum noch möglich sind. Das bedeutet aber nicht, dass archetypische
Prägungen nicht mehr wirksam sind.
Wenn man die Fälle betrachtet, - die ich bisher behandelt habe oder die noch zu finden sind - bei denen man von
Archetypen sprechen kann, so ist fest zu stellen, dass es Übergänge gibt zu den Einflüssen, die der Adaptation un-
terliegen. Das trifft zum Beispiel zu auf die atmosphärischen Wirkungen. Eine andere Unterscheidung sehe ich in
dem ‚Alter’ der Archetypen, das heißt in der Zeit ihrer Entstehung, bezogen auf die Entwicklungsgeschichte der
Menschheit, was man natürlich nur grob bestimmen kann. Es handelt sich wieder um skalierte Übergänge. – Unter
diesem Gesichtspunkt will ich einige Beispiele menschlichen Handelns und Fühlens aufführen, die ich als archety-
pisch ansehe:
• Die vier Elemente: Die Luft zum Atmen, Wasser und Erde – das was wir früher Mutterboden nannten – als
Grundlage des Lebens, und Feuer, dessen Beherrschung den Menschen vom Tier unterscheidet.
• Jagen und Sammeln, das in sublimierter Form immer noch ausgeübt wird; das Jagen in ritualisierter Weise
und das Sammeln in vielfältiger Verkleidung, sei es als Sammeln von Briefmarken oder von Kapital.
• Der Urgarten, das Beackern des Bodens. Dies wurde zum Beispiel 1945 deutlich, als jeder versuchte, ein
Stückchen bepflanzbaren Bodens zu finden.
Sehr anschaulich und aufschlussreich hat Bernd Lötsch diese Fragen behandelt unter dem Thema „Bauökologie
und Humanethologie.“ 285 Ich zitiere daraus zur Konkretisierung und Ergänzung meiner nüchternen Aufzählung:
Lötsch geht davon aus, dass der Mensch „die Spuren einer Jahrmillionen langen Evolution in sich [trägt], die im
Naturmilieu und in sozialen Kleinverbänden ablief. Seine angeborenen Verhaltenselemente sind seit mindestens
40.000 Jahren unverändert.“ Verhaltensbiologisch gesehen zeigt der Mensch eine „deutliche Ambivalenz ... gegen-
über Dichte: Er flieht sie und er sucht sie.“ Dichtes Zusammenleben wird durch Raumgliederung erträglich. Unter
anderen stellt Lötsch „planungsrelevante Verhaltenskonstanten zusammen“:
• Stimulation (Abwechslung, Ausblick, dichte Folge visueller Informationen, anregende Vielfalt im Umfeld,
Reiz des Urbanen)
• Zugang zu Wasser
• Freude am Elementaren
Besonders interessant ist Lötschs Feststellung bezüglich „Gestalt statt Raster, Rhythmus statt Stereotypie“:
Danach können Menschen fünf, sechs oder sieben Punkte unterscheiden, ohne zu zählen. Die Ansammlung glei-
cher Elemente über die Zahl neun hinaus erfordert nummerieren und zählen. „Die stereotype Wiederholung ...
führt zu Orientierungsverlust“ - „Die rhythmische Wiederholung gleicher (nicht identer) Teile ist ein wesentli-
ches Konstruktionsprinzip und Erkennungsmerkmal des Lebens – man denke an Zellstrukturen, an Raupen oder
Fiederblättchen – häufig wird rhythmische Wiederholung auch als visuelles Signal entwickelt, um aufzufallen. ...
Ein weiteres Indiz für das Vorhandensein archetypischer Prägungen lieferte die Untersuchung eines amerikani-
schen demoskopischen Instituts, das die „meistgeliebten und meistgehassten Bilder der Amerikaner“ erfragte.
„Sämtliche soziale Gruppen ..., Museumsgänger wie Bildungsignoranten bevorzugten ... mehrheitlich das gleiche:
als Lieblingsbild eine parkähnliche Landschaft ... unter weitem blauen Himmel.“ Und erstaunlicher Weise brachten
entsprechende Umfragen in allen anderen Kulturkreisen und Klimazonen die gleichen Ergebnisse.286
Angesichts solcher Erkenntnisse ist es schon absurd, wenn Sieferle fragt, warum angesichts der Tatsache, dass viele
Vögel „es längst erlernt [haben], Fernsehantennen als Ersatz für Äste zu nehmen,“ es „den Menschen nicht gelingen
[sollte], etwa die Hochspannungsmasten ... ebenso als ‚Wälder’ zu erleben, wie einst die jetzt Absterbenden Bäume.“
287
Ich sehe mich dagegen in der Sicht der Dinge bestätigt von Peter Latz:
Nicht als dekoratives, sondern als essentielles Element gehören der Reiz der Jahreszeiten, das Wetter
sowie Blühereignisse zum archetypischen Repertoire unseres Lebenszyklus. Und nicht nur erfreuli-
che Ereignisse, auch furchterregende wie Blitz und Donner oder die Gischt der reißenden Fluten. Bei
unseren Freiräumen liegen möglicherweise mehr Informationen außerhalb von Form und Gestalt als
innerhalb. Bereitet Gestaltung womöglich nur den Ort vor, jene Naturereignisse zu erleben? Sicherlich
gehört gerade der Schutz vor der Kraft der Natur, vor zuviel Wind, vor zuviel Sonne, vor zuviel Lärm,
vor allen möglichen Widrigkeiten zu unserem Repertoire. Was mich mehr daran interessiert, ist Dinge
zu erforschen, die man möglicherweise spontan verwendet wie das Unsichtbare in der Kommunikation
oder das nicht Sichtbare des Ästhetischen, und dies systematischer einzusetzen. 288
Selbstorganisierende Systeme aller Komplexitätsgrade – also Moleküle oder Kristalle ebenso wie
Zellen, Gewebe, Organismen und Gesellschaften von Organismen – von Feldern organisiert wer-
den, die ich „morphische Felder“ nenne. Morphogenetische Felder sind einfach eine bestimmte Art
von morphischen Feldern, nämlich solche, die für die physische Entwicklung und Erhaltung von
Organismen sorgen. Morphogenetische Felder organisieren auch die Entwicklung von Molekülen, also
etwa die Einfaltung der genetisch kodierten Aminosäurenketten zu den komplexen dreidimensionalen
Strukturen der Proteine. 289
Sheldrake sieht also in der Formbildung von Organismen ein Zusammenwirken der Gene mit morphogenetischen
Feldern:
von morphogenetischen Feldern gesteuert, denen eine „Erinnerung“ an frühere Kristalle der gleichen
Art innewohnt. Das würde bedeuten, daß eine Substanz wie zum Beispiel Penizillin nicht etwa un-
ter dem Einfluß zeitloser mathematischer Gesetze auf die für sie charakteristische Art kristallisiert,
sondern weil sie früher schon so kristallisierte: Sie folgt dabei einer durch Wiederholung gebildeten
Gewohnheit.
Das ist ... ein auf Ähnlichkeit beruhender Einfluß, der aber, anders als die in der Physik bekann-
ten Resonanzphänomene, unabhängig ist von Raum und Zeit. Morphische Resonanz wird
mit der Entfernung nicht schwächer, und sie kann aus der Vergangenheit auf die Gegenwart einwir-
ken. Übertragen wird hierbei nicht Energie, sondern Information. Diese Hypothese gibt uns
die Möglichkeit, die Regelmäßigkeiten in der Natur nicht mehr wie bisher auf ewige, nichtmaterielle
und nichtenergetische Gesetze zurückzuführen, sondern auf Gewohnheiten, die durch morphische
Resonanz vererbt werden.290 (Hvh. A. S.)
Auch das Gedächtnis und „die Vererbung von Instinkten und Verhaltensanlagen“ beruhen nach Sheldrakes Theorie
auf morphischer Resonanz.
Das individuelle Gedächtnis und die individuelle Lernfähigkeit sind vor dem Hintergrund eines kollek-
tiven Gedächtnisses zu sehen, das von früheren Individuen der Spezies durch morphische Resonanz
vererbt wird. Im bereich des Menschen existiert eine solche Vorstellung bereits in C. G. Jungs Theorie
vom kollektiven Unbewussten, das ich als eine Art erbliches kollektives Gedächtnis verstehe. Die
Hypothese der morphischen Resonanz lässt das kollektive Unbewusste als Aspekt eines viel allgemei-
neren Prozesses erscheinen: der Vererbung von Gewohnheiten in allen Bereichen der Natur.291
Dass diese Hypothesen, die weder physikalisch beweisbar noch messbar sind, in der Welt der Naturwissenschaften
abgelehnt werden oder zumindest umstritten sind, wundert nicht. Sehr deutlich kommt dieser Gegensatz bei
Friedrich Cramer zum Ausdruck. Der sieht den Formbildungsprozess von Organismen allein in der DNS festgelegt.
Diese enthält nach seiner Auffassung
nicht nur die räumlichen Strukturinformationen für den künftigen Organismus, sondern auch das exakte
zeitliche Programm seiner Entwicklung von der einen befruchteten Eizelle bis zum fertigen Lebewesen
mit vielen Milliarden hochdifferenzierten Zellen, die genau zur richtigen Zeit an den ihnen zugewie-
senen Plätzen entstehen und eingebaut werden. Ein kaum faßliches zeitlich-topologisches Problem! 292
Diese komplexen „biochemischen Mechanismen“ werden nach Cramer gesteuert durch „Zuckerstrukturen an den
Zelloberflächen, ... die von entsprechenden Erkennungsmolekülen gelesen werden. ... Dieses zeitliche Programm ist
in den Genen genau festgelegt; wird es gestört, kommt es zu Missbildungen.“
Ich habe das Thema Wahrnehmung so ausführlich behandelt, weil es von Grund legender Bedeutung sowohl für
die Produktion, wie auch die Rezeption von Kunst ist. Besonders das Zusammenwirken von Assimilation und
Akkommodation und die Beachtung der Skala zwischen diesen beiden Polen sind für die Kreation und Rezeption
entscheidend. Die Problematik, die das Verhältnis dieser beiden Seiten der Kunst belastet, ist die doppelte Kontingens,
die Fähigkeit des Produzenten, seine Idee zum Ausdruck zu bringen und die Möglichkeit des Rezipienten, sie zu
verstehen.
Das Besondere der Gartenkunst besteht darin, dass sie alle Sinne anspricht. Die Synästhetik unterscheidet sie von
allen anderen Künsten, besonders von der bildenden Kunst.
Weitere Grund legende Betrachtungen sind das Verhältnis von Funktion und Gestaltung, das alle Lebensbereiche
berührt, der Raum als Medium von Architektur und Gartenkunst, die Wahrnehmung und ihre Bedeutung für die
Produktion und Rezeption von Kunst.
Diese Fragen spielen im gegenwärtigen Diskurs über Gartenkunst kaum eine Rolle. Dieser ist, soweit es sich
um die geschichtliche Entwicklung handelt, weit gehend bestimmt vom Wissenschaftskanon der Literatur- und
Kunstgeschichte. Als Beispiel zitiere ich aus der Einleitung von Ehrenfried Kluckert zu dem großartigen Buch
über Gartenkunst in Europa. Für ihn liegt
Der Garten aller Gärten ... in der unerreichbaren Ferne eines Wunschtraumes, in dem die Sehnsüchte
und Hoffnungen, aber auch die Nöte der Menschen Zuflucht finden. Da die Erfüllung der letzten
Wünsche im Diesseits nicht zu erlangen ist, wird sie ... im Jenseits angesiedelt. Dessen Abbild wird aber
auf Erden ausgemalt und gestaltet, damit der Wunschtraum niemals vergessen würde: Die Rede ist
vom Goldenen Zeitalter, von den Elysischen Gefilden, von Arkadien und schließlich vom locus amoenus.
Der Garten oder das Paradies ist den uralten Vorstellungen von einer verlorenen, aber verheißungsvoll
zu erwartenden Glückseligkeit der Menschen gemeinsam.
Diese Projektionen haben in einer ganz entscheidenden Weise die Struktur und Thematik der abend-
ländischen Gartenkultur geprägt. Die Aussage gewinnt besonders dadurch an Bedeutung, dass die
Begriffe Garten und Paradies eine gemeinsame Sprachwurzel besitzen.293
Hier finden sich also fast alle literarischen Topoi, die in Abhandlungen über Gartenkunst immer wiederkehren.
Auch für Adrian von Buttlar zum Beispiel ist „ein Garten immer ein Wunschbild der Welt und zugleich eine
Rekonstruktion des ersten aller Gärten: des Paradieses.“ 294 - Diese Auffassung des Gartens als ‚Wunschbild’ hat aber
einen negativen Zug, als wenn es sich um eine unrealistische Utopie handelt, eine Flucht aus dem Alltag.
Um dem Wesen der Gartenkunst näher zu kommen, wie es für die Entwicklung der ‚Welt als Garten’ zu sehen ist,
ist es nützlich, das Verhältnis zu den anderen bildenden Künsten zu klären. Auch dies kann nur durch die Methode
der Unterscheidung erfolgen. Es gilt also, die Unterschiede aber auch die Gemeinsamkeiten heraus zu arbeiten. - Am
wichtigsten ist die Verbindung zur Landschaftsmalerei, die immer noch kritiklos als Vorbild des Landschaftsgartens
gilt.
Die „Malerkunst,“ die den „Sinnenschein künstlich mit Ideen verbunden darstellt,“ teilt er ein in die schöne
„Schilderung der Natur“ und die schöne „Zusammenstellung ihrer Produkte.“ Die erste ist die „eigentliche Malerei,
die zweite die Lustgärtnerei.“ 295
Am wichtigsten ist die erste Unterscheidung: Sinnenwahrheit und Sinnenschein. Sinnenwahrheit umfasst die
Bildhauerkunst und die Architektur, also so zu sagen das, was konkret, körperlich fassbar ist. Die Malerkunst ist
dagegen nur Sinnenschein, also wohl nur das, was das Auge wahrnehmen kann. Dass Kant auch die Gartenkunst
unter diesem Kriterium einordnet, ist eine folgenschwere Tatsache, die sich bis heute auswirkt.
Wie kommt Kant zu dieser Zuordnung? Er sieht in der Gartenkunst „nichts anders, als die Schmückung des Bodens
mit derselben Mannigfaltigkeit (Gräser, Blumen, Sträuchen und Bäumen, selbst Gewässern, Hügeln und Tälern),
womit ihn die Natur dem Anschauen darstellt, nur anders und angemessen gewissen Ideen, zusammengestellt.“
In einer Anmerkung grenzt er die Lustgärtnerei weiter gegen die Plastik und die Baukunst ab:
Daß die Lustgärtnerei als eine Art von Malerkunst betrachtet werden könne, ob sie zwar ihre Formen
körperlich darstellt, scheint befremdlich; da sie aber ihre Formen wirklich aus der Natur nimmt (die
Bäume, Gesträuche, Gräser und Blumen aus Wald und Feld ...), und insofern nicht, etwa wie die Plastik,
Kunst ist, auch keinen Begriff von dem Gegenstande und seinem Zwecke (wie etwa die Baukunst)
zur Bedingung ihrer Zusammenstellung hat, sondern bloß das freie Spiel der Einbildungskraft in der
Beschauung: so kommt sie mit der bloß ästhetischen Malerei, die kein bestimmtes Thema hat (Luft,
Land und Wasser durch Licht und Schatten unterhaltend zusammenstellt), sofern überein.296
Kant sieht also eine Übereinstimmung der ‚Lustgärtnerei’ mit der Landschaftsmalerei darin, dass sie zweckfrei das
‚freie Spiel der Einbildungskraft’ betreibt. Problematisch ist aber seine Ansicht, dass sie nicht wie die Plastik Kunst
sei, weil sie ‚ihre Formen wirklich aus der Natur nimmt.’ Den Unterschied zur Baukunst sieht er darin, dass sie kei-
nem Zweck dient, also keine Funktion hat, außer „der Beschauung.“
Damit ist im gewissen Maße der Grund gelegt für die heutigen Probleme der Gartenkunst: Die Fixierung auf die
Prinzipien der Malerei und die Furcht, naturalistisch zu gestalten. Für ‚Naturalismus’ steht heute ‚Ökologie’, was die
Hinwendung zur Architektur bewirkt hat. Ich stelle dem entgegen, was ich mit der ‚Form der Unterscheidung:’ phy-
sis / techne entwickelt habe; physis in Verbindung mit techne bleibt immer Natur. Naturalismus ist ein Spezialbegriff
der Kunsttheorie, der auf die Gartenkunst nicht angewendet werden kann.
Diese Ansichten Kants zählen sicher nicht zu seinen großen philosophischen Leistungen und sind wohl auch zeit-
bedingt. Aber sie wirken bis heute nach.
Fest verankert im kunsthistorischen Diskurs ist der Topos von dem Landschaftsgarten als dreidimensionales begeh-
bares Landschaftsbild.298 Als Beispiel aus der umfangreichen Literatur zitiere ich aus einer Arbeit Günter Herzogs
über den Maler Hubert Robert. Herzog gibt hier insgesamt einen sehr interessanten und informativen Abriss der
bildenden Kunst des 17. Jahrhunderts. Seine Ansicht über die Bedeutung der Landschaftsmalerei ist aber typisch
für einen Kunsthistoriker.
Er sieht als ein vordringlich zu untersuchendes Phänomen, „in dem sich die Beziehung zwischen Malerei und
Landschaftsgarten definiert, [das Bildhafte.]“ 299 An der Wiege des Landschaftsgartens steht nach seiner Ansicht
der „Ausspruch Alexander Popes aus dem Jahr 1734: Alle Gärtnerei ist Landschaftsmalerei.“ 300 Für diese
Grundauffassung kann Herzog natürlich viele Zeugen aufrufen, zum Beispiel den Marquis de Giradin, der den
Bauherren von Landschaftsgärten empfiehlt: „sich selbst ein Bild ihres Vorhabens zu machen oder sich eines ma-
chen zu lassen. ... das Bild einer Landschaft [kann] von keinem anderen Künstler erfunden, skizziert, gezeichnet,
koloriert, retuschiert werden als von einem Landschaftsmaler ...“ 301 Und Herzog stellt fest:
Das „Bildhafte“ ... wird zum alle Gattungen dominierenden Organisationsprinzip der Kunst in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und löst damit die Architektur als herrschende Ordnungsmacht
ab. Selbst Architektur wird als Assoziationen auslösendes Bild rezipiert und selbst Natur kann nur noch
im Bild wirklich und wirksam werden. 302
Herzog beschreibt das Wirken Hubert Roberts, der seine Lehrzeit natürlich in Italien absolvierte, und dessen „im-
mer wiederkehrende Lieblingsmotive die Felsen, die Wasserfälle und der Sibyllentempel von Tivoli“ waren. In
Frankreich entfaltet Robert eine fruchtbare Tätigkeit. Herzog erforscht am Beispiel des Gartens von Méréville akri-
bisch, wie weit sein bildnerisches Werk in konkrete Landschaftsgestaltung umgesetzt wurde. Demnach entwarf
Robert
einzelne vollständige Gartenbilder, bestimmte die Gestaltung der angemessenen Landschaft, entwarf
nach den Vorstellungen des Marquis und der Marquise ... die gewünschten Gebäude und sonstige
Fabriques, Denkmäler, Grotten und Felsen, aus denen diese Gartenbilder komponiert wurden. Er ver-
Dabei ist von 9 Fuß hohen und 6 Fuß breiten Bildern die Rede, die „für den kleinen Salon ... und das Billardzimmer“
angefertigt wurden.
Alles in allem entsteht der Eindruck, als wenn der Garten eine erweiterte Gemäldegalerie war, in die nacheinander
Gemälde (Gartenmotive) aufgehängt (eingebaut) wurden. Diese Vorgänge erscheinen uns heute eher als Kuriosum.
Für Herzog beweisen sie
eindeutig und erstmalig in der Geschichte der Gartenkunst, daß ... Gartenbilder tatsächlich nach
Gemälden gebaut worden sind, eine zweidimensionale Kunst in eine Raum-Zeit-Kunst übertragen
wurde.
Das ist die typische Sicht eines Kunsthistorikers. Er beschreibt aber eigentlich nur eine Kunstform, die in ihrem
dekorativen Charakter eher der Bühnenbildnerei zu zuordnen ist und in der insofern noch Elemente des Barocks
weiter wirken.
Dagegen hat bei Franz Hallbaum, der das klassische Standardwerk über den Landschaftsgarten geschrieben hat,
die Natur ein stärkeres Gewicht. Er sieht den „Garten in einer eigentümlichen Schwebe zwischen reiner Kunst
und reiner Natur.“ 304 - Das entspräche meiner Unterscheidung von physis und techne. – Doch Hallbaum sucht als
Kunsthistoriker nach Argumenten, um zur reinen Kunst zu kommen:
Zunächst wird innerhalb des Naturgegebenen eine Auswahl getroffen nach der Seite des Typischen und
nach der Seite des Bildfähigen, eine Idee der Auswahl, die von jeher zum Wesen aller klassischen Kunst
gehört hat. Als das Mittel dieser Fixierung einer idealen Naturschönheit gilt in erster Linie die Vedute,
Hallbaum sieht also die Auswahl des Bildfähigen als Kriterium der klassischen Kunst. Aber er behält noch die Natur
im Auge:
Der Landschaftsgarten arbeitet zwar mit Größen, die weniger meßbar sind und sich vielfach der
Gestaltung durch Menschenhand vollständig entziehen. Dafür kann er auf die Mitwirkung eines be-
freundeten Naturgeschehens rechnen. Der Formwille der Kunst und die Lebendigkeit der organischen
Natur sind bewußt zur Deckung gebracht. 306
Schließlich dominiert aber doch die Auffassung, dass wahre Gartenkunst nur unter dem Schirm der Malerei gedei-
hen kann:
In allen ... Äußerungen, mögen sie von Seiten der Dichter, Maler oder Gärtner stammen, wird die
ideale Zusammengehörigkeit der gärtnerischen Bilder mit Landschaftsgemälden als gegeben voraus-
gesetzt. Hier tritt ... die ordnende und verbindende Kraft der Vedute in ihre Rechte [!] ein. Denn
das gehört zum elementaren Wesen des Landschaftsgartens, daß seine Veduten mit gleichem Recht
aus der Natur wie auch aus der Landschaftsmalerei hergeleitet werden können. In dieser hatten die
Maler bereits eine Schönheitswahl getroffen und nach bestimmten Gesetzlichkeiten zum Bild gestal-
tet. Die Landschaftsmaler bieten also die prästabilisierten Bilder des Idealen und des Heroischen, die
der Landschaftsgärtner im Räumlichen realisiert. Daher die allgemein und emphatisch aufgestellte
Stilforderung, daß der Landschaftsgärtner sich mit den Ideen der großen Landschaftsmaler erfüllen ...
müsse, um sich nachschaffend dem idealen Urbild anzunähern. 307
Dieses Ideal sieht Hallbaum aber dadurch „gestört,“ dass Caspar David Friedrich anstelle der “idealen“ die „reale
Landschaft“ darstellte, und völlig ungeeignet als Vorbild für die Landschaftskunst empfindet er den Impressionismus
und hofft, dass nach der „absurden Unbildmäßigkeit der expressionistischen Malerei, ... in der Gartenkunst die
Hinneigung zum Bildmäßigen und somit zur Landschaftlichen Vedutenstilisierung sich wieder durchsetzt.“ 308
Hallbaum lebt also noch 1927 ganz in der Welt der vormodernen Kunst, in der Hoffnung, dass die Entwicklung
der modernen Malerei, in der alles aus der menschlichen Lebenswelt „bildfähig“ ist, nur eine vorübergehende
Fehlentwicklung sei.
Die Idee von der Vorbildfunktion der Landschaftsmalerei für die Gartenkunst hat aber auch schon früh ihre Kritiker
gefunden. Von Buttlar weist darauf hin, dass schon Schiller 1795 vom Scheitern des neuen Gartenstils sprach,
„weil man mit der Anlehnung an die Prinzipien der Malerei die Suche nach autonomer Form und Eigengesetzlichkeit
aufgegeben habe“ und er zitiert Schiller:
Aus der strengen Zucht des Architekts flüchtete sie sich in die Freiheit des Poeten, vertauschte plötzlich
die härteste Knechtschaft mit der regellosesten Lizenz und wollte nun von der Einbildungskraft allein
das Gesetz empfangen ... der neue Gartengeschmack scheiterte, weil er aus seinen Grenzen trat und
306 Ebd.
307 Ebd., 48.
308 Ebd., 52ff.
Und Ritter zitiert H. Lützeler, der darauf hinweist, daß „ die künstlerische Begegnung des Menschen mit der
Natur“ in Wahrheit alles andere als „natürlich“ sei und daß „unsere innere Nähe zur Landschaftsmalerei“ uns „de-
ren eigenartige Problematik“ gerade verdecke. 310
Eine frühe Kritik, die in der Interpretation von Eckard Lobsien geradezu modern erscheint, ist besonders treffend:
In seiner Akademierede vom 11. Dezember 1786 bemerkte Sir Joshua Reynolds, es sei nachgerade
unmöglich einen Landschaftsgarten zu malen. Die Landschaftskunst nämlich gestaltet die Natur nach
eigenen Gesetzen, sie transformiert das vorfindliche Terrain in ein geschlossenes System spezifischer
Künstlichkeit. Die Gartenkunst ist nur in dem Maße Kunst, wie sie sich in einer kohärenten Differenz
zur empirischen Wirklichkeit artikuliert. Dasselbe gilt auch für die Landschaftsmalerei: auch sie ist nur
Kunst als konsistente Künstlichkeit. Daraus folgt, daß die Natur entweder in einen Garten oder in ein
Gemälde transformiert werden kann, daß aber die Bezugnahme des einen Künstlichkeitssystem
auf das andere zu ganz und gar unverträglichen Interferenzen führen müsste. Jede Kunstform
vermag eben nur auf ihre spezifische Weise die Imagination anzusprechen, sie kann nur nach dem für
sie gültigen Regelsystem die particular natur zur general natur steigern. Denn das ist nach Reynolds der
eigentliche Zweck der Kunst: hinter den mangelhaften Kompromissen des faktisch gegebenen die ide-
ale Gestalt zu enthüllen, an die Stelle kontingenter Wirklichkeit deren Inbegriff (archetype) zu setzen.
311
(Hvh. fett, A. S.)
Diese Auffassung hat eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Systemtheorie Luhmanns, mit der ich mich noch näher
befassen werde. Ein Schlüsselwort für meine Kritik der modernen Gartenkunst ist der Begriff Interferenz: „Falsche
Analogie ... durch die Einwirkung eines ... Systems auf ein anderes, die durch Ähnlichkeit von Strukturen ... ent-
steht.“ 312
Bezeichnend für die Oberflächlichkeit diese Vorgänge und Ansichten ist eine oft beschriebene Mode jener Zeit:
„Zum Zwecke der Suche nach Bildern in der Natur benutzten die englischen Reisenden den ‚Claude-Spiegel’ ... .
Sie drehten der Landschaft ... den Rücken zu und betrachteten sie ... in einem leicht konvexen, getönten ... und
gerahmten Taschenspiegel, um sie, wie sie meinten, mit den Augen Claude Lorrains zu sehen.“ 313
Der Gemeinplatz von der Vorbildfunktion der Malerei für die Landschaftskunst ist seit jeher so dominant, dass noch
niemand gefragt hat, wie denn die Landschaftsmaler auf die Idee gekommen sind, Naturlandschaft zu malen. Die
Antwort ist einfach: Es war das allgemeine Erwachen des Interesses an Natur, die Hinwendung zu den Schönheiten
der Natur als Folge der Aufklärung. Und dieses Interesse richtete sich an das, was der Städter beim Heraustreten
aus der Stadt sah: die Gefildenatur. Besonders in Deutschland wurden die großen Parks dort angelegt, wo noch alte
Baumgruppen der Hutewälder vorhanden waren. Wirksam wurden also archetypische Bilder.
Hinzu kam das romantische Interesse an der Antike. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, sind die Gemälde
Lorrains keine Bilder von Wunschlandschaften, sondern narrative Darstellungen von Vorstellungen antiker Welten.
Erst Künstler wie Caspar David Friedrich malten ‚nach der Natur’, was Hallbaum folgerichtig beklagte.
Auch die gesellschaftliche Rolle der Landschaftsmaler ist zu beleuchten. Es ist wohl unbestreitbar, dass der Spiritus
rector immer der gebildete Adelige als Auftraggeber war. Dass der seinen Kutschenmaler nach Italien schickte, um
Motive für seine Parkschöpfung zu sammeln, ändert nichts an seiner eigentlichen Urheberschaft. Andererseits war
natürlich auch die Geschicklichkeit des Malers wichtig, und dessen Handschrift Teil des Künstlerischen Ergebnisses.
Aber ein Beweis für die Vorbildfunktion der Malerei ist daraus nicht abzuleiten. - Man kann eine Parallele zu der
heutigen Praxis ziehen, wenn Designer und Computer-Graphiker bei der Herstellung von Gartenplänen mitwirken,
was auch oft zu fragwürdigen Ergebnissen führt.
Ich bestreite allerdings nicht, dass die Landschaftsmalerei die Wahrnehmung von Natur beeinflusst hat. Sie hat
sicher bei den Italienreisenden das Interesse für die Schönheiten der Toskana geweckt. Insofern ist sie mit den
Bildern in den Prospekten der heutigen Reiseindustrie zu vergleichen. Entscheidend ist aber damals wie heute, ob
das geweckte Interesse in ein Naturerlebnis mündet, oder sich auf eine rein optische Wahrnehmung beschränkt. - Es
handelt sich auch hier um eine skalierte ‚Unterscheidung mit zwei Seiten,’ was ich im Prinzip schon in 6. Kapitel
behandelt habe:
Naturwahrnehmung
Direkte, leibliche Indirekte, bildliche
Und auch hier entscheidet der Blinde Fleck über die Wahrnehmung: Wer an einem sonnigen Frühlingsmorgen
durch eine Wiesenlandschaft oder durch einen ergrünenden Buchenwald oder durch einen erblühenden Park wan-
dert, der denkt sicher nicht an ein Gemälde von Lorrain, es sei denn, er ist ein Kunsthistoriker, der – seinerseits – nur
das wahrnimmt, was er mit irgendeinem Landschaftsgemälde vergleichen kann.
... bei dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühlings erwachen jene
dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjective zu völliger Selbstvergessenheit hinschwin-
det. ... Unter dem Zauber des Dionysischen ... [feiert] die entfremdete, feindliche oder unterjochte
Natur wieder ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenem Sohn, dem Menschen. ... Der Mensch ist nicht
Auch in diesen Sätzen erkennt man die Zwei-Seiten-Form: der leiblich affizierte Mensch und die „Kunstgewalt der
Natur.“
Es ist noch eine andere Form des Einflusses der Malerei zu erörtern: ihr Einfluss auf die grundsätzliche
Rezeptionsfähigkeit von Naturformen. Auch dies ist ein Thema der Wahrnehmungstheorie. Ich habe oben dar-
gestellt, dass die Adaptation bestimmt wird durch das Verhältnis von Assimilation und Akkommodation. Es ist of-
fensichtlich, dass die Wahrnehmung ungewohnter Formen - die Akkommodation - durch Kunstwerke beeinflusst
werden kann. Etwas übertrieben hat Oskar Wilde das beschrieben:
... was und wie wir sehen hängt von den Künsten ab, sie uns beeinflusst haben. ... das weiße flim-
mernde Sonnenlicht ... mit seinen seltsamen malvenfarbenen Klecksen und seinen unruhigen violet-
ten Schatten ist die letzte Schöpfung der Kunst ...315
Aber wenn er sagt, dass die Natur dies „ganz ausgezeichnet reproduziert,“ ist das natürlich missverständlich. Was
er beschreibt, ist die Tatsache, dass unser Gehirn seine Umwelt nach vorhandenen intrinsischen und extrinsischen
Vorbildern konstruiert.
Gottfried Boehm befasst sich ausführlich mit dieser Frage und stellt zum Beispiel fest:
Monet [begreift] die Natur nicht als einen festen Bestandteil von Dingen, mit einer eindeutigen räum-
lichen Gliederung, die im Ausschnitt des Bildes komponiert wird. Was er in der Natur sieht, ist nicht
das Faktische, sondern das Wirkende: das Licht, seine Dichte und Transparenz, in dem sich die Dinge
lösen, die Farbe ohne Formwert, die – vielfach überlagert – die Erscheinung der Natur bewerkstelligt.
Die Natur wird zu einem Ereignis des Auges.316
Boehm gibt eine ausführliche Darstellung der Entwicklung der modernen Malerei von Monet über Kandinsky,
Mondrian bis Pollock und fasst den Kern dieser Entwicklung zusammen mit dem berühmten Satz Paul Klees:
„Kunst gibt nicht Sichtbares wieder, sondern macht sichtbar.“
Ein Bild von Jackson Pollock nehme ich als Beispiel für einen Vergleich der Rezeption eines Kunstwerks mit der
eines Natur-‚Bildes’, der Abbildung eines Strauchgewirrs.
Pollock hat beim Malen sicher nicht an so etwas gedacht, sondern er trug „die Spannung seines körperlichen
Zustandes, entlang der Bewegungsspuren, der ekstatischen Drippings, ins Bild ein.“317 Mich erinnern aber derartige
chaotisch durcheinander wachsenden Zweige und Äste oft an Bilder von Pollock und andere und werden so zu äs-
thetischen Eindrücken. Pollock hat so die Schönheit eines ungewöhnlichen Naturbildes für mich ‚sichtbar’ gemacht
Ein Beispiel einer konkreten Darstellung ‚chaotischer’ Natur ist die „Traditional Landscape“ von Ian Mckeever. Das
Bild erinnert an Pollock aber auch an die „Waldbilder“ von Gerhard Richter. Chaos wird als Ästhetik wahrgenom-
men.318
Grundsätzlich lässt sich also sagen, dass Kunst in jeglicher Form dem Menschen immer neue Wahrnehmungsräume
erschließt, aber nicht durch einfache ‚Vor’-Bilder, die nachzuahmen sind, sondern durch Anregung des Vermögens
zu akkommodieren, was – wie gesagt – Kunstproduktion und -rezeption verbindet.
Diese Einbeziehung der modernen Malerei in die Überlegungen lassen den Topos von der Vorbildfunktion der
Landschaftsmalerei als überholt erscheinen. Die Vedutenmalerei war eine zwar bestimmende aber relativ kurze
Phase der Kunstgeschichte. Ihr Ende markiert den Anfang eines neuen Landschaftsgefühls, und die Assoziation des
Begriffs ‚Landschaft’ mit ‚Landschaftsmalerei’ ist insofern heute anachronistisch.
In diesem Zusammenhang sind noch zwei Topoi zu behandeln, die eine ähnliche Wirkung entfalten: Die Besteigung
des Mont Ventuox durch Petrarca und der viel strapazierte Begriff Arcadia.
Die Bergbesteigung Petrarcas 1336 wird in letzter Zeit oft als Erwachen des Landschaftsgefühls angesehen. Damit
wird dem kunsthistorischen Begriff Landschaft eine überzeitliche Bedeutung beigemessen. Die Hintergründe des
Briefes, in dem Petrarca die Besteigung schildert, wurden von Ruth und Dieter Groh erforscht. Sie haben festge-
stellt, dass der Brief nicht 1336, sondern erst zehn Jahre später, als der Adressat schon gestorben war, geschrieben
wurde. Über das Landschaftsgefühl, das darin zum Ausdruck kommt, schreiben sie:
Daß Petrarca seinem Brief-Ich im Text keinen Raum gibt, einer Ergriffenheit durch den Fernblick an-
gemessen Ausdruck zu verleihen, kann nur denjenigen verwundern, der den Brief über die Besteigung
des Mont Ventoux als Zeugnis einer frühmodernen Landschaftserfahrung lesen möchte. Wer dagegen
... die Bedeutung des Mont Ventoux nach der rhetorischen Rekonstruktion des Textes darin erkennt,
daß der Berg vor allem als Metapher für außernatürliche Signifikate dient, wird jenes Stummbleiben
ganz plausibel finden: auf Landschaftserfahrung ... kam es hier gar nicht an. ... Der fiktive Brief ... ist
vor allem die Allegorie einer Lebenskrise. 319 (Hvh. A. S. )
Und ein besonders schillernder Gemeinplatz ist „Arkadien“. Er gehört im Diskurs der modernen Gartenkunst zu den
negativ besetzten Begriffen wie auch Naturalismus, Naturschönheit und Landschaft. Seine Bedeutung hat Petra
Maisak so formuliert:
Im Kern heißt dies, dass ‚Arkadien’ ein unrealistisches Wunschbild sei. Um den Hintergrund dieser Vorstellung zu
erhellen, ist es sinnvoll, den Ursprung des Begriffes zu untersuchen: Es sind die griechischen Hirtengedichte, die uns
von Vergil überliefert sind und als deren ‚Erfinderin’ die Legendengestalt Daphnis gilt. Es handelt sich aber durchaus
um realistische Szenen aus dem Leben der Hirten mit ihren Sorgen und Leidenschaften und deren Beeinflussung
durch die antiken Götter. Geschildert wird ihre Lebenswelt, in der die Natur der selbstverständliche Hintergrund ist.
So werden die Naturszenen nicht als schmückender Rahmen dargestellt, sondern sie sind unmittelbarer Bestandteil
und Bezug des Hirtenlebens. So beginnt schon die erste Ekloge: „Du, Tityrus, lehnst dich zurück, beschirmt von
der weitverzweigten Buche, und übst auf feinem Schilfrohr ein ländliches Lied. Wir aber müssen den Heimatboden
verlassen, die lieblichen Gefilde.“ Derartige reale Naturbezüge sind Bestandteil des gesamten Werkes. Ich reihe im
Folgenden einige typische Sequenzen aneinander:
... hier zwischen deinen vertrauten Flüssen und den heiligen Quellen wirst du die schattige Kühle ge-
nießen. Vom nahen Grenzrain hier wird dich wie bisher die Hecke, deren blühendes Weidengebüsch
Bienen von Hybla abgrasen, oft mit sanftem Summen zum Schlummer laden. ... das mit Rasen be-
deckte Dach der armen Hütte ... blühenden Schneckenklee und bittere Salweiden ... Dornenhecken
bieten jetzt grünen Eidechsen Unterschlupf ... Honig möge ihm fließen und der rauhe Brombeerbusch
Balsamfrüchte tragen ... Büsche und niedrige Tamarisken erfreuen nicht alle. Wenn wir von Wäldern
singen, sollen es Wälder sein, die eines Konsuls würdig sind ... harte Eichen werden Honigseim aus-
schwitzen ... Warum setzen wir uns also nicht hier nieder, wo Haselsträucher zwischen Ulmen stehen
... hier säumt zartes Schilfrohr das grüne Ufer des Mincius, und aus der heiligen Eiche ertönt das
Summen der Bienen ... Hier ist purpurner Frühling, hier schüttet die Erde rings um den Fluß eine Fülle
bunter Blumen aus, hier überragt eine strahlende Pappel die Grotte, und geschmeidige Weinranken
weben eine schattige Laube ... Hier gibt es kühle Quellen, hier weichen Rasen, hier Wald: Hier möchte
ich mit dir in der Fülle des Lebens vergehen. 321
Hier geht es nicht um abstrakte Bilder und Phantasiegebilde oder Wunschbilder, sondern um intensiv empfunde-
ne konkrete Natureindrücke. Es ist keine Gegenwelt, sondern Lebenswelt. Diese hat von Albrecht aus der
Biographie Vergils gedeutet. So stellt er fest: „seine Liebe zur Landschaft Italiens [entspringt sicher] einer naturver-
bundenen Kindheit und nicht etwa nur der sentimentalischen Sehnsucht des Städters nach den Ursprüngen.“ Und
er spricht von der „geheimnisvolle[n] Koexistenz von Natur und Kultur in Vergils Genius“ Für mich am wichtigsten
ist aber die Ansicht,
... daß uns Vergil nicht nur in eine „geistige“ Landschaft führt (ein verklärtes Arcadien) oder eine
„literarische“ Landschaft (Theokrits Sizilien), sondern auch – und mit besonderer Liebe – in die reale
Landschaft Oberitaliens, seine Heimat ... . 322
Zur „geistigen Landschaft,“ zur „Metapher der glückseligen, naturverbundenen Hirtenidylle“ 323 ist das Arkadien
aber erst durch viele Generationen von Künstlern und Kunsthistorikern geworden, die selber der Natur entfremdet
waren. Die negative Konnotation, die viele Gartenkünstler mit dem Begriff verbinden, ist - sofern er denn über-
haupt noch in Verbindung mit der Gartenkunst relevant ist - unberechtigt.
Landschaft nach heutigem Empfinden zu definieren ist schwierig weil der Begriff, wie gesagt, meistens im kunsthi-
storischem Kontext verstanden wird. Wenn er weiter im Diskurs über Gartenkunst benutzt werden soll, muss seine
Konnotation geändert werden. Eine Voraussetzung dafür ist die Emanzipation vom Diskurs der Kunsthistoriker,
aber auch – wenn man die gegenwärtige Entwicklung betrachtet – die Abgrenzung von der Bildenden Kunst.
Das im vorigen Abschnitt untersuchte Verhältnis der Landschaftskunst zur Landschaftsmalerei konzentrierte sich,
generell gesehen, auf die Unterscheidung rein visueller von leiblicher Wahrnehmung. Bestimmt wird der Diskurs
über dieses Thema bisher von der Dominanz der Kunsthistoriker. Für eine Emanzipation der Gartenkunst von der
bildenden Kunst, ist eine weitere Unterscheidung zu treffen, und zwar auf dem Hintergrund ihrer gesellschaftlichen
Stellung. Als Grundlage nehme ich die Systemtheorie von Niklas Luhmann, und benutze hierzu die Einführungen
von Horster und Reese-Schäfer und Luhmanns letztes Werk: „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ 324
Luhmann ersetzt die konventionelle Theorie der gesellschaftlichen Stratifikation in Ober-, Mittel- und Unterschicht
durch die Theorie der sozialen Funktionssysteme, als „eine neuartige Form gesellschaftlicher Differenzierung“ 325.
Funktionssysteme sind zum Beispiel Wirtschaft, Politik. Erziehung, Gesundheit usw. Ein wesentlicher Unterschied
ist darin zu sehen, dass die Funktionssysteme nicht wie die sozialen Schichten aus Individuen sondern nur aus
Kommunikationen bestehen. Luhmann spricht deshalb auch von Kommunikationssystemen.
Im zweiten Kapitel ist schon gesagt, dass Luhmanns Theorie von Maturana beeinflusst ist. So benutzt er auch des-
sen Begriffe ‚Autopoiese’, ‚Geschlossene Systeme’ und ‚Strukturelle Kopplung’ in seinem Kontext. Und, wie schon
mehrfach klar geworden ist, basiert seine Theorie, wie die Maturanas auf der ‚Form der Unterscheidung.’ Insofern
ist die Struktur der von beiden getroffenen Unterscheidungen auch zu vergleichen:
Maturana:
Milieu
Pflanze Nische
Gesellschaft
System Umwelt
So wie zur Nische einer Pflanze alle benachbarten Pflanzen gehören, besteht die Umwelt eines Systems aus allen
anderen Systemen. Und umgekehrt ausgedrückt gehört jedes System zur Umwelt eines beliebigen anderen Systems.
Auch diese Homologie zeigt, wie grundlegend Maturanas Forschungen für die moderne Wissenschaftstheorien sind.
– Luhmann schreibt:
daß System und Umwelt als die zwei Seiten einer Form zwar getrennt [sind], aber nicht ohne die je-
weils andere Seite existieren können. Die Einheit der Form bleibt als Differenz vorausgesetzt; Aber die
Differenz selbst ist nicht Träger der Operationen. ... [die] sind nur als Operationen des Systems möglich,
also nur auf der Innenseite der Form. 326
Luhmann unterscheidet zunächst soziale Systeme von psychischen Systemen, die sich strukturell gleichen, weil
ja auch soziale Systeme aus psychischen Systemen bestehen, genauer gesagt aus Kommunikationen psychi-
scher Systeme. Dass soziale Systeme nicht aus Individuen bestehen, geht schon daraus hervor, dass ein einzel-
nes Individuum in verschiedenen Systemen operieren, das heißt kommunizieren kann. So muss zum Beispiel ein
frei schaffender Landschaftsarchitekt, wenn er überleben will, generell im System Wirtschaft operieren und als
Freiraumplaner in der Gartenkunst, und wenn er Landschaftspläne macht, in den Systemen Ökologie und Recht.
Und wenn er seinen Plan in Kommunalausschüssen vertreten muss, kommuniziert er zwangsläufig im System
Politik.
Ein Leitbegriff für die Entstehung von Systemen ist für Luhmann die Autopoiese:
Autopoietische Systeme sind Systeme, die nicht nur ihre Strukturen, sondern auch die Elemente, aus
denen sie bestehen, im Netzwerk eben dieser Elemente selbst erzeugen. Die Elemente (und zeitlich
gesehen sind das Operationen), aus denen autopoietische Systeme bestehen, haben keine unabhängige
Existenz ... Sie werden vielmehr erst im System erzeugt, und zwar dadurch, daß sie ... als Unterschiede
in Anspruch genommen werden. Elemente sind Informationen, sind Unterschiede, die im System ei-
nen Unterschied machen. Und insofern sind es Einheiten der Verwendung zur Produktion weiterer
Einheiten der Verwendung, für die es in der Umwelt des Systems keinerlei Entsprechung gibt.
...
Autopoiesis ist ... nicht als die Produktion einer bestimmten „Gestalt“ zu begreifen, entscheidend ist
vielmehr die Erzeugung einer Differenz zwischen System und Umwelt. Durch Abkoppelung
des Systems von dem, was dann als Umwelt übrig bleibt, entstehen intern Freiheitsräume, da die
Determination des Systems durch seine Umwelt entfällt.
...
Es gibt weder Input noch Output von Elementen in das System oder aus dem System. Das System
ist nicht nur auf struktureller, es ist auch auf operativer Ebene autonom. Das ist mit dem Begriff der
Autopoiesis gesagt. 327 (Hvh. A. S.)
326 Ebd. 63. ‚Innenseite’ bezieht sich auf den ‚Haken’ als Symbol der ‚Zwei-Seiten-Form’, siehe S. 27.
327 Ebd., 65ff.
Da aber auch die Umwelt des Systems aus sozialen Funktionssystemen besteht, gilt auch umgekehrt, dass das
System Einfluss auf andere Systeme nur unter den Bedingungen struktureller Kopplung ausüben kann. Und
wie die Systeme, besteht auch die strukturelle Kopplung nur aus Kommunikation. Dabei ist anzumerken, dass
Kommunikation keine einfache „Übertragung von Sinn“ ist,329 wie die konventionelle Metapher: „Sender, Kanal,
Empfänger“ glauben machte, sondern dass sie immer von den unterschiedlichen Strukturdeterminationen der be-
teiligten Systeme abhängt. – Nach Luhmann ist Kommunikation eine Einheit, „die aus den drei Komponenten
Information, Mitteilung und Verstehen besteht, die durch die Kommunikation erst erzeugt werden.“ 330 Und dieser
Vorgang unterliegt, wie ich oben schon dargestellt habe, der doppelten Kontingenz, was die Probleme mancher
Kommunikation erklärt. (Siehe Anm. 264.)
Soweit also die Bedingungen für die Entstehung von sozialen Systemen, ihr Verhältnis zur Umwelt und der Vergleich
mit Maturanas Theorie der lebenden Systeme. Auch Luhmanns weitere Beschreibung der Funktionen der Systeme
erinnert noch an Maturana. In den lebenden Systemen war die Organisation als das bestimmende und unveränder-
liche Prinzip definiert und die Struktur als der variante Bestandteil, der die Anpassung an das Milieu regelte.
Luhmanns Funktionssysteme sind komplexer aufgebaut. Ihr bestimmendes und unveränderliches Prinzip hängt „von
einem jeweils eigenen binären Schematismus ab, der für jedes System eine eigene Typik der Informationsverarbeitung
und damit auch eine eigene Realitätskonstruktion von dem unterscheidet, was sonst geschieht. Musterfälle sind
die Unterscheidung von wahr und unwahr im Wissenschaftssystem oder die Unterscheidung von Eigentum /
Nichteigentum ... in der Wirtschaft.“ 331 Diesen Schematismus nennt Luhmann allgemein den „binären Code“.
Alle Systeme unterscheiden sich durch ihre je eigenen Operationsweisen voneinander, die durch einen binären Code
strukturiert sind. Die soziale Funktion eines Systems besteht darin, sich durch eine spezifische Operationsweise von
seiner Umwelt abzugrenzen, und dadurch seine Grenze zu stabilisieren. Die Umwelt steuert keine Operationen bei,
sondern Störungen.332
Weitere Beispiele, die Luhmann anführt, sind in der Politik: Macht haben / nicht haben, im Rechtssytem: Recht /
Unrecht, in der Ausbildung: Prüfung bestehen / nicht bestehen, im Gesundheitssystem: Gesundheit / Krankheit. -
In dieser Zwei-Seiten-Form, die aus einem positiven und einem negativen Wert besteht, ist nur der positive Wert
anschlussfähig: wenn sich zum Beispiel in der Wissenschaft etwas als falsch herausstellt, muss neu angefangen
werden.
In der Praxis entsteht ... ein Bedarf für Entscheidungsregeln, die festlegen, unter welchen Bedingungen
der Wert bzw. der Gegenwert richtig oder falsch zugeordnet ist. Wir nennen solche Regeln Programme.
Die Unterscheidung von Codes und Programmen strukturiert ... die Autopoiesis der Funktionssysteme
in unverwechselbarer Weise ... und damit kommt ihre Ausdifferenzierung zustande.334
Zum Beispiel sind im Rechtssystem, mit dem Code Recht/Unrecht, die Programme: Verfassungen, Gesetze,
Verordnungen, Gerichtsentscheidungen usw., oder in der Wissenschaft: Experimente, die in der Wiederholung
überprüft werden, Testreihen, Messungen usw.
• Ein Funktionssystem und seine jeweilige Umwelt gehören als die zwei Seiten einer ‚Form der Unterscheidung’
zusammen und bilden so die Gesellschaft.
• Systeme entstehen durch Autopoiese, das heißt, sie bilden die Strukturen, aus denen sie bestehen selbst und
erzeugen eine Differenz zwischen sich und der Umwelt.
• Geschlossenheit bedeutet, dass das System alle seine Operationen selbst bestimmt.
• Einfluss der Umwelt auf ein System und – umgekehrt - des Systems auf die Umwelt ist nur mittels einer struk-
turellen Kopplung möglich. Dabei entscheidet nur das System welche Einflüsse zugelassen werden.
• Die Entstehung und die Erhaltung eines Systems wird durch einen binären Code ‚gesteuert’, dessen Seiten
bestimmen, was positiv oder negativ für das System ist.
• Der Code ist unveränderbar; wenn er geändert wird, entsteht ein neues System.
• Flexibel wird das System durch die Anwendung von ‚Programmen’, welche die Bedingungen festlegen, unter
denen entschieden wird, was positiv oder negativ für das System ist, die aber verändert werden können.
Im Folgenden bringe ich zum weiteren Verständnis der Systembildung ein Beispiel, das gleichzeitig zum eigentli-
chen Thema dieser Arbeit überleitet: eine kritische Darstellung der bildenden Kunst als soziales System von Hannes
Böhringer:
Kunst produziert nicht nur Kunstwerke, sondern mit ihnen zugleich produziert sie auch Erwartungen,
wie es mit der Kunstproduktion weitergehen könne, reizt auf diese Weise die Produktion von
Anschlusselementen an und ermöglicht so die ununterbrochene Reproduktion des Systems. Zu den
sich mit Kunstproduktion wandelnden Erwartungen gehört als Konstante immer auch die Erwartung
von Abwechslung, Überraschung, von etwas Neuem. Nur muß die Diskontinuität im Rahmen bleiben,
Das Neue immer noch anschlussfähig bleiben mit dem Alten, mit Stilrichtungen der Kunstgeschichte,
und als Ausdruck eines Zeitgeistes mit Gegenwärtigem. 335
Kunst / Nichtkunst.
Als Programm nennt er „die Erwartung von Abwechslung, Überraschung, von etwas Neuem.“ Ich sehe als weiteren
Programmpunkt die Akzeptanz im Kunsthandel, und in diesem Zusammenhang die Preisbildung. Der Preis demon-
striert die gegenwärtige Bedeutung eines Künstlers. Die Problematik dieser Programmierung ist offensichtlich.
Dies ist keineswegs eine Einzelmeinung: Auch nach Sven Behrisch ist „die Kunst längst zu einem geschlossenen
System mit eigener Logik geworden, in das wenig von außen eindringt und das auch kaum nach außen wirkt. ...
Museen machen Ausstellungen über Museen und werden durch ihre Architektur selbst zu Kunstwerken. Alles
reflektiert sich gegenseitig, es ist eine einzige größenwahnsinnige Selbstbespiegelung mit klaren Hierarchien.“ 336
Anzumerken ist, dass es natürlich auch Künstler gibt, die sich diesem System entziehen , oder die noch nicht von
ihm vereinnahmt sind. Man kann in dieser Art von Funktionssystemen auch gewisse Fehlentwicklungen sehen,
was übrigens Luhmann, soweit ich gesehen habe, nicht thematisiert hat. Kunst, die nachhaltig die gesellschaftliche
Entwicklung beeinflusst, wird es in diesem System oder unabhängig von ihm, nach wie vor geben. Welche Art von
Kunst das ist, wird die Geschichte entscheiden.
Ich habe dargestellt, wie sich das Berufsfeld der Landschaftsarchitekten in den letzten Jahrzehnten aufgelöst hat in
Gartenarchitektur, Landschaftsplanung und Ökologie. Im Zuge dieser Auflösung hat sich der Naturschutz als ein
typisches Funktionssystem herausgebildet. Ich beleuchte dies ausführlicher, weil der Naturschutz in der ‚Welt als
Garten’ eine wichtige Rolle spielen muss, die er in seiner jetzigen Form nicht erfüllen kann. Der heutige Naturschutz
ist ein Beispiel einer negativen Systembildung.
Die geschichtliche Entwicklung des Naturschutzes ist oft beschrieben worden: Der Ursprung war der Heimatschutz
als Reaktion auf die industrielle Revolution. Es ging also zunächst nicht um den Schutz der ‚freien Natur’, son-
dern um die ästhetisch empfundene bäuerliche Kulturlandschaft, also das romantische Motiv, das für die heutige
Schließlich ist – nach Ritter – „die Bewegung des Naturschutzes“ Folge „der Entzweiung zwischen der ‚objektiven’
Natur ... und der Natur als Lebenswelt. Zu dieser Entzweiung gehört in der modernen Gesellschaft die Bewegung des
Naturschutzes. Die ursprüngliche und freie Natur soll gegen die Einbeziehung in die objektive Natur der Nutzung
geschützt werden. Sie wird durch Gesetz dem Prozeß der ihrer nutzenden Objektivierung entzogen“ 337 Anzumerken
ist, dass Ritter mit der „ursprünglichen und freien“ natürlich nicht die ‚unberührte’ Natur meint.
Aber auch die Verankerung des Naturschutzes in Gesetzen brachte noch nicht die allgemeine Anerkennung in der
Gesellschaft. In der Aufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg musste der Landschaftsschutz ständig hinter dem
Flächenbedarf der Stadtplaner zurückstehen. Der Naturschutz musste sich auf den Kernbereich der Naturschutzgebiete
beschränken. Das vorherrschende Gefühl der Vertreter des Naturschutzes war das der Ohnmacht.
Das Bewusstsein der Gesellschaft änderte sich erst allmählich mit der Erkenntnis der Umweltgefahren, ausgelöst
von den Schlagworten: „Grenzen des Wachstums“, „Waldsterben“ und der daraus abgeleiteten Forderung nach dem
„blauen Himmel über der Ruhr“. Ebenso wandelten sich die Motive des Naturschutzes. Die ästhetische Sicht auf die
alte Kulturlandschaft war immer mehr verpönt, und wurde - im Gegensatz zu Ritters Aussage - von einer wissen-
schaftlichen Objektivierung abgelöst. Die Wissenschaft der Ökologie wurde zur Grundlage des Naturschutzes. Ein
Beispiel ist das Denkmodell von der Vernetzung in der Natur, deren Verletzung zur Zerstörung der Lebensgrundlagen
führen würde. Andere Leitbegriffe, die sich in der allgemeinen Kommunikation durchgesetzt haben, sind die
„Biologische Vielfalt“, das „Ökologisches Gleichgewicht“ oder die Gefahr der „Verinselung“.
Aber im Konkurrenzkampf der gesellschaftlichen Interessen musste der Naturschutz ein schlagkräftiges Argument
finden, das allgemeine Anerkennung finden konnte. So bildete sich mit der Zeit der binäre Code heraus:
wertvoll / wertlos
Die Frage nach dem Wert von Naturprodukten war schon immer wichtig für die Menschen. Die wichtigste ist:
essbar oder nicht essbar oder die Brauchbarkeit, zum Beispiel Holz für den Hausbau: haltbar und leicht zu bear-
beiten. In dem Maße, in dem die unmittelbare Überlebensfrage zurücktrat, richtete sich die Wertschätzung auf
die ländliche Idylle, auf die Schönheit der Natur. Erst in jüngster Zeit wird der Code wertvoll / wertlos wieder zur
Überlebensfrage erhoben. Mit der Durchsetzung dieses Codes in der gesellschaftlichen Kommunikation
hat sich der Naturschutz als soziales Funktionssystem etabliert.
Die Programme, nach denen entschieden werden kann was wertvoll ist oder was nicht, sind vielfältig. Das wichtigste
Kriterium ist die Seltenheit. Um dieses Kriterium zu objektivieren, wurde die Biotopkartierung zu einem umfang-
reichen Tätigkeitsfeld für Ökologen. Das Ergebnis sind die so genannten Roten Listen, in denen der Seltenheitsgrad
von „gefährdet“ bis „vom Aussterben bedroht“ festgelegt ist. Darauf baut sich der Artenschutz auf, der zum wich-
tigsten Instrument des Naturschutzes geworden ist. Fragwürdig ist dieses System dadurch, dass die Roten Listen
regional aufgestellt werden. So kann es vorkommen, dass zum Beispiel durch die Ausdehnung der Großstadt in den
letzten fünfzig Jahren eine Art innerhalb der Landesgrenzen Hamburgs selten geworden ist und auf die Rote Liste
kommt, während sie in Mecklenburg noch massenhaft vorkommt.
Global gesehen ergibt sich folgendes Bild: Es gibt auf der Erde geschätzte mehrere Millionen Arten. Abgesehen von
den Ubiquisten, hat jede Art ein begrenztes Ausbreitungsgebiet, in dem die Individuendichte von innen nach außen
Im scheinbaren Widerspruch zum Wert des Seltenen steht ein anderer Programmpunkt, die „Biodiversität“. Die ist
in Form der FHH- Richtlinie der EU ebenfalls zu einem wirkungsvollen Machtmittel des Naturschutzes geworden.
Wolfgang Haber unterzieht dies einer kritischen Betrachtung:
Biodiversität ist schlecht definierbar; nicht einmal in der Konvention ist dies wissenschaftlich ein-
wandfrei gelungen. Dies verführt, nach dem Vorbild der Roten Listen, zu ihrer Beschränkung auf die
(vermeintlich) leichter erfassbare Artenvielfalt, die ihrerseits noch auf reine Artenzahlen reduziert wird
– und die Irreführung verstärkt. Über zwei Drittel aller Arten entfallen auf Kleintiere sowie Algen und
Pilze, die nur wenige Spezialisten kennen. Viele weitere Organistengruppen ... sind einer Aufgliederung
in Arten gar nicht zugänglich. Davon abgesehen dürfen Arten als Indikatoren biologischer Vielfalt nicht
einfach mit Funktionsträgern im ‚Netz des Lebens’ verwechselt werden. 338
Generell hat der Begriff ‚Aussterben’ in der Kommunikation über Naturschutz immer mehr Gewicht bekommen.
Es hat zu einem Phänomen geführt, das Luhmann „Angstrhetorik“ nennt:
... die angstbezogene Kommunikation [ist] ein Resonanzprinzip, das Bestimmtes vergrößert und an-
deres abdunkelt. Diese Differenz wird nicht zuletzt durch eine gezielte öffentliche Rhetorik der Angst
gesteigert. ... In der öffentlichen Rhetorik wird die Angst zum Prinzip der Selbstbehauptung hochstili-
siert. Wer Angst hat, ist moralisch im Recht, besonders wenn er für andere Angst hat und seine Angst
einem anerkannten, nicht pathologischen Typus zugerechnet werden kann.339
Versuche, die komplizierte Struktur von Risiko- und Sicherheitssystemen unter wissenschaftlicher
Verantwortung aufzuklären, liefern der Angst nur neue Nahrung und Argumente. ... Angst ist also
von den Funktionssystemen aus nicht zu kontrollieren. ... Angst widersteht jeder Kritik der reinen
Vernunft.340
[Wo] Gefahren und Nöte, Krankheiten, Mühen und Unbequemlichkeiten ... gemindert oder erledigt
werden, stirbt gleichwohl die menschliche Angstbereitschaft ... nicht ab, sondern sie wird nur arbeits-
los und macht sich auf die Suche nach neuen Gelegenheiten, Angst zu haben; und sie findet sie auch,
selbst dann, wenn sie sie erfinden muß: nämlich in der modernen Kultur selber.341
Der Naturschutz, der Schutz der Natur, geht per se von der Gefährdung der Natur aus. Mit dem Begriff des ‚Aussterbens’
ist ein Symbol entstanden, das in der gesellschaftlichen Kommunikation von unübertroffener Durchschlagskraft ist.
Bourdieu zufolge vollziehen sich gesellschaftliche Legitimationsprozesse nicht, wie üblicher Weise un-
terstellt, (ausschließlich) im Modus einer expliziten, politisch motivierten und diskursiv artikulierten
Propaganda. Vielmehr handelt es sich dabei um alltägliche, stillschweigend und unbemerkt stattfin-
dende Vorgänge. Allgemein gesehen, wird eine Macht dann anerkannt, wenn diese in der Lage ist, mit
338 Haber, Wolfgang, Naturschutz und Kulturlandschaften im Widerspruch, Garten und Landschaft, 8/2007, 28.
339 Luhmann, (1988), 243f.
340 Ebd., 238ff.
341 Marquard, (1986)
Als geschlossenes System ist es dem Naturschutz gelungen, einerseits sich gegen alle anderen Belange der Gesellschaft,
vor allem den ökonomischen, abzuschotten, andererseits durch strukturelle Kopplung - sozusagen semipermeabel
- die eigenen Programme und Symbole in wichtigen Funktionssystemen der Gesellschaft zu verankern. In erster
Linie hat er sich auf die Politik ausgewirkt, die zunehmend seine Programme übernehmen musste, um Wähler zu
gewinnen. Über das politische gelang dann der Einfluss auf das Rechtssystem, bis in die europäische Gesetzgebung.
Eines der wichtigsten gesetzlichen Erfolge ist die Eingriffsregelung und in deren Rahmen die Ausgleichszahlungen,
die inzwischen in vielfacher Millionenhöhe in die Kassen des Naturschutzes fließen. Die Intention, Eingriffe in
die Natur zu verhindern, ist nicht immer eindeutig, sondern oft entsteht der Eindruck, dass ein Widerstand nur
aufgebaut wird, um eine hohe Ausgleichszahlung ‚herauszuschlagen’. Durch diesen ‚Ablaßhandel’ werden dann
„Naturschutzmaßnahmen“ möglich, die auf der Skala ‚Tun und Lassen’ als reines Tun erscheinen, und der symboli-
sche Code ‚wertvoll’ wird zum materiellen Wert. Ein groteskes Beispiel ist die Klage des BUND gegen ein wichtiges
Vorhaben für den Umweltschutz, den Bau des Pumpspeicherwerkes Goldisthal. Erst nach einer ‚Ablasszahlung’ von
3,5 Millionen Euro war der Verband bereit, die Klage zurück zu nehmen. 343 Pumpspeicherwerke sind sinnvoll zur
Regelung der Windkraftenergie und damit wichtig für eine ökologische Zukunft.
In diesem Zusammenhang ist eine Entwicklung zu sehen, die auf die Systembildung einen starken Einfluss hatte
und hat: Das wachsende Umweltbewusstsein in der Gesellschaft hatte zur Folge, dass immer mehr junge Leute
sich berufen fühlten, an der Rettung der Natur mitzuwirken und dazu entsprechende Studienfächer wie Biologie
oder Geographie wählten. Die Menge der Absolventen konnte dann im administrativen Naturschutz und in
den Lehrberufen nicht aufgenommen werden und fand dafür Betätigung in den Verbänden. Deren finanzielle
Entwicklung erlaubte zunehmend, viele der jungen Fachleute fest anzustellen. So hat sich eine politische Macht ent-
wickelt, die sich keinen demokratisch gewählten Gremien unterwerfen muss, im Unterschied zum administrativen
Naturschutz, der zudem deutlich weniger Ressourcen hat. Doch beide zusammen bilden das System Naturschutz.
Ein typisches Beispiel für dessen Wirken ist eine Planung im Zusammenhang mit dem Bau des neuen Münchener
Rangierbahnhofs. Es geht um Flächen, die „als Testgelände für schwere Lastwagen und Panzer benutzt wurde[n].
eine Nutzung, die Biotopstrukturen schuf, die von Seiten des Naturschutzes als äußerst wertvoll erachtet wur-
den.“ Deshalb hat man ein „naturschutzfachlich-ökologische[s] Konzept“ erarbeitet, auf dem die Planung beruht.
Deren Verfasser schreiben:
Im Sinne der Ökologie wollen wir zum einen Flächen offen halten, um darauf Rohbodenstandorte
zu schaffen – durch periodisches Abschieben mit der Planierraupe. Auf diesen Böden entste-
hen dieselben Biotope wie auf dem ehemaligen Panzertestgelände: Pioniervegetation in verschiede-
nen Sukzessionsstadien. ... Die ökologische Analyse weist dem Standort Rangierbahnhof trocken-
warme Sukzessionsstandorte zu. Sie sind auf kontinuierliche Veränderungen angewiesen: Was frü-
her das Hochwasser besorgte, soll heute die Parkpflege gewährleisten: Boden abschieben, Schneisen
in den Bestand schlagen, Gräben ausheben und Wälle aufschütten, Trichter ins Gelände sprengen,
Bauschuttdeponienanlegen, Moto-Cross-Landschaften ausweisen. ... An manchen Orten erinnern nur
Bezahlt werden soll dies kleine „Naturschutz-Disneyland“ aus „Ablösezahlungen für Ausgleichsmaßnahmen“. 344
Diese Planung wurde zwar von Landschaftsarchitekten aufgestellt, aber durchaus im Sinne gängiger Verfahrensweisen
des Naturschutzes. Zahlreiche ähnliche Maßnahmen werden - hauptsächlich von Naturschutzverbänden – durchge-
führt, wobei die Zielsetzungen sehr verschieden und oftmals widersprüchlich sind, je nach den Vorlieben des jewei-
ligen Verbandes. So haben zum Beispiel Hamburger Vogelschützer in den Vier- und Marschlanden großflächig tau-
sende Erlen gerodet, um ein Wiesenvogelbiotop zu schaffen. Ein über viele Jahrzehnte entstandenes Feuchtbiotop
war plötzlich ‚wertlos’ geworden. - Auch hier standen viele Millionen von Ausgleichszahlungen zur Verfügung.
Unter dieser „Willkürkomponente“ 345 werden immer öfter wichtige gesellschaftliche Projekte verhindert oder er-
schwert. Zweifelhafte Berühmtheit haben auf diese Weise neben dem Wachtelkönig wie auch der Feldhamster oder
die drei Millimeter große Bauchige Windelschnecke erlangt. Da die Organismen, die in den Fokus des Artenschutzes
geraten immer kleiner und somit immer zahlreicher werden, wird man bald an jedem Ort mehrere „aussterbende“
Arten nachweisen können.
Die Kritik an dieser Entwicklung nimmt zu. Die Frage ist, wie lange der symbolische Code ‚wertvoll’, also die
Unterscheidung zwischen wertvoller und wertloser Natur von der Gesellschaft anerkannt wird. Es ist anzunehmen,
dass die Beeinflussung der Gesellschaft durch die einseitige strukturelle Kopplung irgendwann nicht mehr gelingt.
Auch geschlossene Systeme können zusammenbrechen, wenn sie sich völlig von der Gesellschaft abschließen. Ein
Beispiel ist die gegenwärtige Wirtschaftskrise: Aus dem allgemeinen Wirtschaftssystem, das dem Code ‚Werte schaf-
fen’ folgte, hatte sich der Programmteil ‚Finanzen’ heraus gelöst und zu einem eigenen System entwickelt, das blind
dem Code ‚Profitmaximierung’ gefolgt ist, ohne Rücksicht auf gesamtgesellschaftliche Belange. Die Folge war der
Zusammenbruch des Finanzsystems mit der Folge einer ernsten Wirtschaftskrise.
Ein generelles Problem des Systems Naturschutz ist in seiner inneren Struktur begründet: Der Code und die
Programme unterliegen einem Absolutheitsanspruch. Eine Selbstkritik innerhalb des Systems ist nicht möglich,
weil die Voraussetzung hierfür eine demokratische Struktur wäre, die aber nicht vorhanden ist. Darin liegt ein
Unterschied zu politischen Parteien, in denen ständig um bessere Programme gerungen wird.
Von diesen Überlegungen ausgehend, ist ein Weg zu finden, den überaus wichtigen Naturschutz aus der antagoni-
stischen Haltung in ein übergreifendes System zu integrieren, in ‚die Welt als Garten’. In diesem System darf es
keine ‚wertlose Natur’ geben. Eine künftige Gartenkunst muss diese wichtige gesellschaftliche Aufgabe in ihr
Programm aufnehmen.
Davon sind wir gegenwärtig weit entfernt. Deshalb ist zunächst die Stellung der Gartenkunst in der gegenwärtigen
Gesellschaft insbesondere ihr Verhältnis zur Architektur und zur bildenden Kunst zu untersuchen.
Eine spezielle Entwicklung in der Gartenkunst, die ebenfalls zu einer Systembildung geführt hat, kann man als
Komplement zum Naturschutz sehen. Als die Dominanz der Ökologie in der Planung jede künstlerische Intention zu
ersticken drohte, führte dies, wie schon gesagt, fast zwangsläufig dazu, dass sich Gartenarchitekten an die Bereiche
Während in der ersten Aufbauphase nach dem Krieg die Gartenbauverwaltungen alles selber machten, wurden
- mit Zunahme der Aufgaben - immer öfter Planungsaufträge an freischaffende Gartenarchitekten vergeben, So
nahm deren Zahl entsprechend zu, und es kam im Laufe der Zeit zur Gründung größerer Planungsbüros. Zur
Qualitätssteigerung wurden immer öfter Projekte auf der Grundlage von Wettbewerben durchgeführt. Die Folge
war, dass das Wettbewerbswesen an Bedeutung gewann, und die Existenz der Freischaffenden hing zuneh-
mend von einer erfolgreichen Beteiligung an Wettbewerben ab. Das war der Keim für die Bildung des Systems
‚Wettbewerbswesen.’
Ich erinnere daran, dass ein Funktionssystem nicht aus Personen, sondern nur aus Kommunikation besteht. Im
Wettbewerbssystem kommunizieren Wettbewerbsteilnehmer mit einer Jury, und der binäre Code des Systems ist
gewinnen / verlieren
Die Autopoiese des Systems gründet sich unter anderem darauf, dass immer öfter die Preisträger eines Wettbewerbs
Juroren des nächsten werden.
Wer an Wettbewerben teilgenommen hat, weiß dass es nützlich ist, die Vorlieben der Ton angebenden Juroren zu
kennen. Man richtet sich danach, wenn man Erfolg haben will. Ebenso nützlich ist es, die Formensprache von eta-
blierten Preisträgern zu übernehmen. So entsteht in dem System Selbstreferenz.
Ein weiteres Kriterium ist die Geschlossenheit des Systems gegen seine Umwelt: die Auftrageber und die Nutzer.
Sie werden zwar durch die Sachpreisrichter vertreten; nach meiner Erfahrung in vielen Verfahren ist deren Einfluss
aber meistens zu gering, um das Ergebnis maßgeblich zu bestimmen. Sie werden dominiert von den Fachleuten und
sind oft nur das Alibi einer Referenz an die Nutzer.
Ein Beispiel von vielen ist der Liebefeld-Park im schweizerischen Könitz. Im Wettbewerbsprogramm der
Auftraggeberin war die Vorstellung nach einer „kleinteiligen, modellierten Fläche“ zum Ausdruck gebracht worden.
Die Jury zeichnete aber eine Arbeit aus, die dieser Vorstellung diametral entgegengesetzt war, „eine Volkswiese,, die
in „ihrer wohltuender Weite und Großzügigkeit ... als städtisches und ländliches Element zugleich gelesen werden
[kann].“ „Die schlichte Gestaltung gehört zur Philosophie [!] der Landschaftsarchitektin. Sie erschließt sich aber
nicht auf Anhieb den Besuchern.“ 346
Im Hinblick auf meine Unterscheidung ‚Funktion und Ornament’ tritt in diesem System die Funktion weit in den
Hintergrund. Die geringe Akzeptanz, die diese Anlagen dann in der Bevölkerung finden, wird nicht selten als
Zeichen künstlerischer Qualität gesehen. Hinter dieser Entwicklung steht sicher das Bestreben der Profession, der
Gartenkunst mehr Autonomie zu verleihen. Insofern trifft hier die Kritik Bourdieus einen Kern des Problems:
Die beharrliche Insistenz auf die Autonomie künstlerischer Intention führt zu einer besonderen
Gesinnungsethik. Sie tendiert dazu, die Werke nach der Reinheit der künstlerischen Intention zu be-
urteilen, und verkehrt sich damit bisweilen in eine Art Geschmacksterror: Wenn nämlich der Künstler
unter Hinweis auf seine Gesinnung bedingungslose Anerkennung für sein Werk fordert. So zeigt sich
seither das Streben nach Autonomie als ein bestimmendes Moment des intellektuellen Standes. Indem
der Künstler sich vom Publikum distanziert ... fördert er den Kultus einer sich selbst genügenden
Form ... und verlangt zugleich Bestätigung seines eigenen exklusiven und schlechthin unerklärli-
Die Programme, die gegenwärtig den Code ‚gewinnen’ bestimmen, sind vielfältig. Beherrschend sind die, welche
auf die Architektur und die bildende Kunst bezogen sind.
Der wichtigste Programmpunkt ist das Prinzip ‚Klarheit’. In fast keinem der Erläuterungsberichte zu
Wettbewerbsarbeiten und in den Beurteilungen der Juroren fehlt der Begriff ‚Klarheit.’ Er steht für die Grundhaltung,
die auf den Wettbewerbserfolg gerichtet ist. Schon die Prägnanz der Plangrafik, die den Wiedererkennungswert der
Arbeit gewährleistet, wenn die Jury eine große Anzahl von Arbeiten beurteilen soll, bestimmt oft den Erfolg. Diese
leichte Erkennbarkeit wird auch mit dem Modewort ‚Lesbarkeit’ bezeichnet. Erreicht wird die Prägnanz durch ‚klare
Formen’, wie Kreise, Ovale, lange Achsen und so weiter.
Erfolgreich ist auch der Blick zurück auf die Anfänge der Moderne. „Immer mehr Wettbewerbsbeiträge [besinnen
sich] auf die Moderne, beziehungsweise auf die konkret-abstrakte Formensprache der 20ger Jahre“ stellen Kienast
und Vogt fest, ohne dass klar wird, ob sie das affirmativ oder negativ sehen. 348
Ähnliche Wirkung hat der Bezug auf den „Dekonstruktivismus“, der allerdings weniger auf die Philosophie
Derridas als auf die Formenspielerei der einschlägigen Architekturen gerichtet ist. Beispiele sind dysfunktionale,
spitzwinklige Wegemuster, unmotivierte „Brüche“ oder die sinnlose Mode der Rasenschollen. Fritz Neumeyer
nennt sowas „Eitle Konstruktionen, die keine Form mehr bewältigen, sondern sie nur ausdrücken wie eine
Zitrone.“ Sie „bezeichnen das Dilemma der Selbstreferentialität, denn Form ist ohne Bezug auf ein Anderes, das zur
Erscheinung gebracht werden soll, nicht möglich.“ 349 Gefördert wird dieser neue Stil durch die Computer gestützte
Entwurfsmethode. Es gibt kaum Entwürfe, die nicht in mindestens drei „Schichten“ dargestellt werden, wodurch
Fragmentierung, Heterogenität und Zufall entstehen sollen.
Geradezu anachronistisch ist die Bemühung, sich gegen die fraktale Grenzziehung zwischen Stadt und Landschaft
zu stellen; der Topos ‚harte Kante’ ist programmatisch. Beispiele sind die Großsiedlung Heiterblick in Leipzig mit
einem „klar zur Landschaft abgegrenzten Parcous“, und einer „Terrasse Bürgerpark, die durch die Bäume eine klare
Kante zur Landschaft bildet“,350 und die Landesgartenschau Leverkusen, deren Kernbereich durch „harte Kanten
und gerade Linien“ gekennzeichnet sind. 351
Rätselhaft ist das Phänomen der ‚endlosen’ Achsen. Achsen waren auch im Barockgarten beherrschendes
Gestaltungsmerkmal. Aber die Barockachse hat Anfang und Ziel und ist gegliedert in unterschiedliche Abschnitte,
deren Form sich ständig ändert, so dass das Wandeln auf ihnen ein kurzweiliges Erlebnis ist. Durch Querachsen
ist sie in die Struktur des Gartens eingebunden. Es herrscht ein menschlicher Maßstab. Der Maßstab der heutigen
Achsen ist bestimmt durch die jeweilige längste Ausdehnung es zu beplanenden Geländes. Der Entwurfsprozess
scheint damit zu beginnen, erst einmal einen langen Strich zu ziehen. Es kann aber auch sein, dass am Ende
des Entwurfsprozesses das Ganze ‚durchgestrichen’ wird als ‚dekonstruktivistische’ Geste. Vorbild könnte auch die
„Linie von einer Meile Länge, durch die Wüste von Nevada gezogen“ von Michael Heizer sein.352 Das Sichbewegen
Diese Maßstabslosigkeit zeigt sich auch bei manchen architektonischen Elementen, wie endlosen Treppen und ab-
surd langen Bänken. Motiv ist das Spektakel, das um jeden Preis auffallen wollen, die Guinnessbuch-Mentalität. Zu
diesem System gehört auch die Zulieferindustrie. So wirbt ein Bankhersteller mit „Purismus und Stringenz“ und mit
Bänken in der Ausführung „endlos“, die für „jeden Ort geeignet sind“, (nur nicht zum bequemen Sitzen.)
Diese beschriebenen Programmpunkte beziehen sich alle auf formale Kriterien; auf der Skala der Unterscheidung
‚Funktion / Ornament’ dominiert das Ornamentale. Die Erbkrankheit dieses Systems besteht aber darin, dass die
Naturschönheit, die Telos der Gartenkunst sein sollte, negiert wird. Es ist ein Fehlschluss, den Naturalismus-Begriff
, der in der bildenden Kunst sinnvoll ist, in der Gartenkunst anzuwenden.
Zusammenfassend kann man das System darstellen anhand eines typischen Beispiels: dem Landschaftspark Riem in
München, den Lisa Diedrich so beschreibt:
Kein Weg schwingt, kein Waldsaum krümmt sich, alle Kanten laufen so gerade, wie die der Gebäude im
Stadtviertel. ... von Ost nach West fluchtet eine zwei Kilometer lange Terrasse genau zwischen Stadt und
Park hindurch. ... Eine nur 70 Zentimeter hohe, aber zwei Meter breite Mauer mit Granitbelag trennt
die Stadt vom Park, und sie würde zum Sitzen einladen, wenn sie nicht so pompös ins Nichts fluchten
würde. ... Seine Geometrie verdankt der Park dem Nordost-Südwest ausgerichteten Flurmuster, einer
rational, geradlinigen Ordnung. Konsequent pflanzte Vexlard darauf die Vegetation in Reihe, wie in der
Baumschule. ... Das hat sich noch keiner getraut. [!] 353
München-Riem ist in jeder Hinsicht typisch für die Programmbildung und die Autopoiese des Systems. Das ist einmal
die Innovation und Überraschung, also das noch nie Dagewesene des Entwurfes, die Programme des Gewinnercodes
und vor allem die Behandlung in den Fachmedien und die Preise, mit denen diese Arbeit ausgezeichnet wurde,
wodurch dieses Werk zum Prototyp wurde. So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass seine Formensprache
Nachahmung findet, zum Beispiel in dem prämierten Entwurf für den Seepark Zülpig – Landesgartenschau 2014 354
und vielen anderen.
Die bisherige Zustandsbeschreibung der Profession zeigt, dass wir weit von dem Ziel einer ‚Welt als Garten’ entfernt
sind. Eine Ursache ist das Nebeneinander und Gegeneinander von geschlossenen Systemen, in erster Linie von
Gartenkunst und Naturschutz. Ich will das anhand des Beispiels ‚Adlershof’ in Berlin verdeutlichen.
Es geht um die städtebauliche Nutzung des ehemaligen Flugplatzes Johannistal durch Einrichtungen für Wissenschaft,
Gewerbe und Wohnen. Da das Gelände über Jahrzehnte nicht genutzt war, befand es sich in einem naturhaften
Die Konfliktlösung war eine zwanghafte Abgrenzung der Interessengebiete, durch die „klaren Raumkanten“
zwischen Bebauung und Grünflächen. „Die 70 Hektar große zentrale Freifläche wurde ... für ein besonderes
Gutachterverfahren ausgespart.“ 355 Die Idee der oben beschriebenen Zwischenstadt - die Durchdringung von
Gebautem und Gewachsenem - hatte keine Chance
In der ausgesparten Freifläche stießen nun die beiden ‚Grünsysteme’ Naturschutz und Gartenkunst aufeinan-
der. „Der Naturschutz reklamierte aufgrund der ausgedehnten Vorkommen von wertvollen Trockenrasen und
Halbtrockenrasen mit fundierten faunistischen und vegetationskundlichen Gutachten weite Teile als Schutzgebiete.“
Andererseits sollten „für die Beschäftigten und Besucher des neuen Wirtschaftsstandortes große Areale [für Sport-
und Freizeiteinrichtungen] vorgehalten werden. Als Erholungsraum sollte der Park für die heutigen und zukünfti-
gen Bewohner des Stadtteils nutzbar und gleichzeitig als öffentlicher Raum Imageträger für den Technologiestandort
sein.“ In so einem Falle wird dann um jeden Hektar gerungen. „Der Park hätte dreimal so groß sein müssen. ... In
diesem Konflikt zwischen Ökoidyll, easy living mit Sport und Fun, High-Tech-Image sowie bewohnerorientierter
Freiraumplanung schloss sich ein Wettbewerb aus ... da die unterschiedlichen Vorstellungen nicht kompatibel wa-
ren.“ 356
In dem anstatt dessen durchgeführten Gutachterverfahren wurde dann ein Entwurfskonzept ausgewählt, das
„sich mit großer Klarheit am städtebaulichen Entwurf [orientiert] . Der Stadtkante werden Aktivbänder mit ver-
schieden großen Kammern vorgelagert ... Damit wird die Weite des ehemaligen Flugfeldes mit der Kernzone des
Naturschutzes ... freigehalten.“
Dieser Entwurf hat die typischen oben beschriebenen Merkmale des Systems: schematisch parallel zu den Stadtkanten
geführte schnurgerade Wege von zirka 800 Meter (gefühlten zwei Kilometer) Länge und additiv aneinander gereih-
ten Gartenräumen. Der Schematismus wird im Luftbild besonders deutlich.
Als symbolisch für das Systemverhalten kann man die Stege bezeichnen, die in einem Meter Höhe über die
Naturflächen geführt wurden. Von hohen Gittern gesäumt sollen Besucher die Natur genießen. Abgesehen
von den Kosten, die ein derartiges Bauwerk verursacht, (nach nur zehn Jahren sind schon jetzt umfangreiche
Reparaturarbeiten erforderlich), sind diese Stege auch ‚naturschutzfachlich’ unsinnig. Ohne sie würden sich zwar
hier und da Trampelpfade bilden. Durch die trittfesten Arten, die sich darauf ansiedeln, würde aber sogar eine
Bereicherung im Sinne der Artenvielfalt stattfinden.
Symbolisch sind diese Stege für beide Systeme: Der Naturschutz ist bestrebt, Menschen aus der Natur fern zu
halten, für die Gartenkunst ist Natur etwas ihr Fremdes. In Adlershof ist dieser Antagonismus Gestalt geworden. -
Bezeichnend ist auch die Mittelverteilung: „Das Investitionsvolumen für Ausgleichsmaßnahmen [belief] sich auf 18
Millionen DM, für die Anlage des Parks [standen] 15 Millionen zur Verfügung.“ 357 – Bei einem Besuch an einem
357 http://www.berlinews.de/wista/archiv/261.shtml
Die ersten bildnerischen Äußerungen der Menschheit, zum Beispiel die Höhlenmalereien, waren mythologische
Beschwörungen des Jagdglücks oder der Fruchtbarkeit. Lange Zeit war es dann Aufgabe der Malerei, die religiösen
Geschichten zu illustrieren und das Bild der Herrscher zu verherrlichen. Nach der Aufklärung ging es dann um die
Darstellung des allgemeinen Lebensgefühls und um die Beschreibung der bürgerlichen Welt. Erst in der Romantik
wandte sich das Interesse speziell der „Natur da draußen“ zu. Mit dem allgemeinen Niedergang der Kunst im 19.
Jahrhundert verflachte sich das bürgerliche Schönheitsideal bis zum Kitsch. - Symbolisch für die Wende ist das
bereits erwähnte Bild von Manet, „Das Frühstück im Freien.“ Danach machte der Impressionismus bewusst, dass
die Welt Gegenstand unterschiedlicher Wahrnehmung ist, während im Expressionismus durch Übersteigerung des
Ausdrucks die Darstellung von Gefühlen gelang. - Ein entscheidender Bruch in der Entwicklung war dann Anfang
des 20. Jahrhunderts der Verzicht auf jegliche Narration in der bildenden Kunst. In der abstrakten Kunst geht es nur
noch um reine Gefühlswerte von Farben und Formen, vergleichbar mit der Musik.
Diese kurze Darstellung der Entwicklung mag genügen, um den generellen Charakter der bildenden Kunst heraus
zu stellen, nämlich innere Zustände und Empfindungen bildhaft wahrnehmbar zu machen.
Die Entwicklung der Gartenkunst habe ich bereits in der Einleitung beschrieben; vom Urgarten über Barock- und
Landschaftsgarten bis zum modernen Gartenkunstwerk. Als Grundthema dieser Entwicklung habe ich das jeweilige
Verhältnis der Menschen zur Natur gesehen, was auch Lucius Burckhardt klar zum Ausdruck bringt:
Natur ist unsichtbar, aber: Gärten handeln immer von der Natur. Sie vermitteln das, was direkt nicht
wahrgenommen werden kann als Bild. Die Geschichte der Gartenkunst ist die Geschichte der Stellung
der Gesellschaft zur Natur. 358
Dieses Naturverhältnis ist zwar auch Thema der bildenden Kunst. Aber Natur ist in der bildenden Kunst im-
mer nur Abbild, Darstellung, Schein. In der Gartenkunst ist Natur dagegen immer Erscheinung. Wobei - mei-
Natur, als ein Schönes, [läßt sich nicht] abbilden. Denn das Naturschöne als Erscheinendes ist selber
Bild. Seine Abbildung hat etwas Tautologisches, das, indem es das Erscheinende vergegenständlicht,
zugleich es wegschafft. Die keineswegs esoterische Reaktion, welche die lila Heide oder gar das gemal-
te Matterhorn als Kitsch empfindet, reicht weit über derart exponierte Sujets hinaus: innerviert wird
darin die Unabbildbarkeit des Naturschönen schlechthin.359
Natur ist ein Lebenszusammenhang, Kunst steht über und in Zusammenhängen des Lebens. Wie sehr auch
Natur im ästhetischen Verhältnis zum Zeichen von Wirklichkeit werden mag, sie bleibt Element einer
selbständigen Sphäre des Lebens. Wie sehr auch Kunst zu einem Teil der Lebenswirklichkeit werden
kann, sie bleibt ein Medium, an dem sich die Wirklichkeit des Lebens bricht. Naturschönes ist eine
besondere Sphäre der lebensweltlichen Wirklichkeit, Kunst steht auf besondere Weise in dieser. An
beider Stellung zur menschlichen Geschichte wird dies evident. ... Kunst (und ihre Wahrnehmung)
kann nur gelingen, Wenn sie ... einen ästhetischen Bezug zum Naturschönen hat. 360 (Hvh. in fett: A.S.)
Es geht mir hier nicht darum, eine Rangstufung von Natur oder Kunst zu konstruieren; beide gehören zur Lebenswelt
des Menschen. Aber ebenso wende ich mich gegen einen Primat der Kunst vor der Natur und damit der bildenden
Kunst vor der Gartenkunst. Es geht vielmehr um eine Unterscheidung, in der die Gartenkunst als die ‚Form physis
und techne’ mit der bildenden Kunst verglichen wird. – Ich erinnere daran, dass ich am Anfang des 2. Kapitels die
Vegetation, also die Natur, als Substanz der Gartenkunst bezeichnet habe und dass das Architektonisch-Formale in
seiner dienenden Funktion mit der Baukunst zu vergleichen ist. Bei der Unterscheidung von der bildenden Kunst
geht es also um die Natur in diesem Sinne in der ‚Welt als Garten’.
Um die Unterscheidung der Gartenkunst von anderen Systemen zu verdeutlichen, greife ich auf ein weiteres
Theorem von Niklas Luhmann zurück, das in seinem Gesamtwerk eine wichtige Rolle spielt: Die Unterscheidung
von Medium und Form. Ich stütze mich auf seine Ausführungen in dem Buch ‚Die Kunst der Gesellschaft’ und in
seinem Hauptwerk ‚Die Gesellschaft der Gesellschaft.’ 361
Luhmann ersetzt mit dieser Unterscheidung die klassische Unterscheidung „Substanz/Akzidenz oder Ding/
Eigenschaften.“ Es geht nicht um die physikalischen Eigenschaften des Marmorblocks als Materie, aus dem der
Bildhauer die Statue schafft, sondern es geht um Wahrnehmung, sowohl in der Produktion, wie in der Rezeption.
„Die Differenz von Medium und Form ist eine Eigenleistung des wahrnehmenden Organismus“ (des Beobachters.)
Wahrnehmung
Medium Form
Medium und Form bestehen gemeinsam aus Elementen. Elemente sind keine „naturalen Konstanten“, sondern
Einheiten, „die von einem beobachtenden System konstruiert (unterschieden) werden, zum Beispiel ... die Töne
Medium Form
Weiter stellt Luhmann fest, dass „das Medium stabiler [ist] als die Form“, aber dass „das Medium nur an den Formen
und nicht als solches beobachtet werden kann“. Das Medium ‚Sprache’ zum Beispiel ist nur denkbar, wenn Wörter
(Elemente) zu Sätzen (Form) ‚geformt’ werden.
Die Unterscheidung ‚Medium und Form’ ist eine besondere Art von ‚Formen der Unterscheidung mit zwei Seiten’,
in der keine Seite ohne die andere denkbar ist. Die Seiten physis und techne zum Beispiel sind durchaus auch für
sich sinnvoll zu benutzen, Medium und Form dagegen nur zusammen.
Ich habe mehrfach betont, dass die Pflanze für mich die wichtigste Substanz der Gartenkunst ist. Ich kann mir einen
Garten ohne Wege, aber keinen Garten ohne Pflanzen vorstellen; das wäre ein Platz oder ein Environment. Wege
und Bauwerke bilden ein eigenes Medium. Und wenn wir unter ‚Garten’ ‚Die Welt als Garten’ verstehen, dann
gehören zu diesem System alle Wege und Plätze vom Gartenweg und –terrasse bis zur Autobahn und Stadtplatz
und von der Gartenlaube bis zum Stadtgebäude. - Betrachten wir nun die Pflanzung als ‚Medium und Form’: Die
Pflanzen nicht als botanische Entitäten, sondern als Gegenstände der Wahrnehmung.
In der Baumschule oder Staudengärtnerei sehen wir sie als einzelne Elemente in loser Kopplung. Sie bilden keine
Form. Erst in der gestalteten Zusammenstellung im Garten, in einer festen Kopplung, werden sie zur Form. Das
gilt für einen Barockgarten, wie auch für einen Landschaftsgarten. In vielen modernen Anlagen allerdings, wie
zum Beispiel in der Gartenschau München/Riem oder im Garten einer REHA-Klinik in Ostholstein, wird die lose
Kopplung beibehalten, wird diese zweifelhafte ‚Form der Formlosigkeit’ ein Gestaltungsmotiv. Fachkenntnisse wer-
den dafür nicht benötigt.
362 Luhmann benutzt den Begriff ‚Form’ etwas irritierend in unterschiedlicher Bedeutung. Die ‚Form der
Unterscheidung’ sowie ‚Medium und Form’ sind als unterschiedliche Termini zu denken, so wie es sich aus dem
Kontext ergibt.
Als Elemente in fester Kopplung, als ‚Form’, sind die Pflanzen in allen Epochen der Gartenkunst Stil bildende Mittel.
Ihre wichtigste Funktion sehe ich in der Raumbildung, entsprechend dem Archetypus ‚Lichtung’. Dazu dienen Baum-
oder Strauchgruppen aber auch Hecken, geschnitten oder frei wachsend. Im Zusammenhang mit der Raumbildung
ist die Entstehung von Atmosphären zu sehen, beeinflusst durch Frühlings- Sommer und Herbstfärbungen, durch
Blütenfarben und durch einen unterschiedlichen Habitus. Auch Solitärs sind in diesem Sinne Formen. Sie bilden
Schwerpunkte im Raum. – Generell kann man sagen, dass die Pflanze als Medium und Form den Eindruck aller
Gärten vom Urgarten bis zur Landschaft bestimmen. Wichtig ist, dass das Zusammenwirken von physis und techne
auf einem ausgeprägten Fachwissen beruht.
Im 4. Kapitel wurde die Architektur, speziell die Wege, in der Unterscheidung von Funktion und Ornament be-
handelt. Jetzt geht es nicht um Funktion, sondern um Garten-Architektur in ihrer Wahrnehmung als Medium und
Form.
Zunächst sind die Elemente dieser Form zu bestimmen. Das sind einmal die Wege im ‚Urgarten’, die funktionell in
loser Kopplung mehr oder weniger zufällig angeordnet waren. In Form gebracht, habe ich sie als Ordnungssysteme
bezeichnet. – Wichtiger sind die Elemente, die das Ornamentale, die Gestalt bilden. In loser Kopplung nehmen wir
wahr: Geraden, Kurven, rechte Winkel, spitze Winkel, Quadrate, Kreise, Ovale, Raster, Pyramiden, Hügel, Mauern,
Böschungen, Treppen, Rampen und so weiter. Diese Vielzahl der Elemente des Mediums lässt die Komplexität der
Formen erkennen, die in fester Kopplung möglich sind. Die Betrachtung dieser Elemente in loser Kopplung ist des-
halb wichtig, weil sie so auch im Medium der bildenden Kunst auftreten, zum Beispiel in den abstrakten Bildern
Kandinskys. In der festen Kopplung als Form werden sie die Unterschiede der Systeme bestimmen.
Das bedeutet aber auch, dass ‚Medium und Form’ eines Systems nicht ohne weiteres auf ein anderes System über-
tragen werden kann. Betrachten wir also das systeminterne Verhältnis dieser beiden Kunstformen:
Werke der bildenden, besonders der skulpturalen Kunst haben schon immer Eingang in Gärten gefunden. Besonders
im Barockgarten hatte sie einen wichtigen Anteil an der Gesamtgestaltung. Sie diente hauptsächlich der Bildung
von Schwerpunkten in der architektonischen Struktur der Anlagen. Ihr narrativer Gehalt war sekundär. – Im
Landschaftsgarten hatten die Statuen eine andere Bedeutung; sie waren Teil der ‚Erzählungen’ in den verschie-
denen Gartenszenerien und damit auch Stimmungsträger. Auch in modernen Gärten werden Bildwerke in unter-
schiedlicher Form zur Verschönerung und Bedeutungssteigerung aufgestellt. - Es ist verständlich, dass auf Grund
dieser Verhältnisse der Gedanke einer engen Verbindung oder gar einer Einheit von Bildkunst und Gartenkunst
entsteht. Dies ist zu hinterfragen.
Man braucht sich dazu nur die Gärten ohne jegliche Skulpturen oder Vasen vorzustellen, um zu erkennen, dass
Barockgärten immer Barockgärten und Landschaftsgärten immer Landschaftsgärten bleiben. Dafür spricht auch die
Annahme, dass nicht alle Bauherren in der Lage waren, einen teuren Schmuck für ihren Garten zu bezahlen. – Als
ich einen Barockgarten in Holstein zu restaurieren hatte, reichten die zur Verfügung stehenden Mittel gerade, um
die historische Planie und die Hauptalleen und –wege herzustellen. Es wurde dennoch von niemandem angezwei-
felt, dass hier ein Barockgarten wieder erstanden war.364 – Diese Überlegungen zeigen, dass in diesen historischen
Gärten Medium und Form der Systeme Gartenkunst und bildende Kunst zusammenwirken, ohne ein einheitliches
System zu bilden.
Dieses Verhältnis zwischen Systemen kann man auch verallgemeinern, und das spricht gegen die Möglichkeit, ein
‚Gesamtkunstwerk’ zu schaffen. Eine Oper von Wagner – dem Protagonisten der Gesamtkunstwerk-Idee – heute in
Kostümen und im Bühnenbild der Uraufführung zu spielen, ist schwer vorstellbar. Von den Systemen Kostümkunst,
Bühnenbildnerei, Sprache und Musik ist nur die Musik zeitlos; die Sprache ist schon problematisch. Das heißt nun
nicht, dass ein Werk, - zum Beispiel eine große Grünanlage - in dem mehrere Kunstarten zusammenwirken, nicht
aus einer gemeinsamen Idee hervorgehen kann, wenn Künstler der verschiedenen Sparten an einer gemeinsamen
Aufgabe arbeiten. Aber die jeweilige Systemreferenz bleibt bestehen.
Die Frage ist nun, wie man das Zusammenwirken der beiden Systeme – Gartenkunst / bildende Kunst - beschreiben
kann. Eine grundsätzliche Feststellung ist die, dass dem System Gartenkunst Elemente des Systems bildende Kunst
hinzugefügt, importiert werden können. Dabei kann zum Beispiel die Nachbildung einer antiken Statue in einem
Barockgarten oder im Landschaftsgarten und sogar in einem modernen Stadtpark stehen; das jeweilige System
wird dadurch nicht verändert und es entsteht auch kein neues System; wohl aber werden die Atmosphäre und die
Bedeutung verändert.
Man kann also generell feststellen, dass die Werke der bildenden Kunst – als Medium und Form - nur als ‚Importe’
in anderen Systemen auftauchen: An Bauwerken (ursprünglich an Tempeln, in der Gegenwart als ‚Kunst am Bau’),
in Museen, in der freien Landschaft und eben auch in Gärten. Dabei verändern sie durchaus ihren Charakter: Eine
moderne Plastik im Museum hat eine andere Aura als die in einer Fußgängerstraße oder in einem Park. So ist auch
die Aussage von Henry Moore zu verstehen, die ich oben (Anm. 142) zitiert habe: „Wir werden dagegen kämpfen
müssen, daß die Skulptur in der Landschaftsgärtnerei zum Ornament reduziert wird.“
Ich will dieses Prinzip an einem sehr bedeutsamen und bekannten Beispiel überprüfen: Ian Hamilton Finlays
„Little Sparta“. Dieser Garten hat schon viele Kritiker und Kunsthistoriker beschäftigt. In einer Veranstaltung
des Kunsthistorischen Seminars in Hamburg über Gartenkunst, an der ich als Gasthörer teilnahm, befasste
man sich in erster Linie mit diesem Garten. In der Diskussion ging es aber fast nur um das ‚System’ bildende
Kunst; das Feld ‚Landschaftsarchitektur’ war den Teilnehmern völlig fremd. So wurde zum Beispiel gefragt, was
Landschaftsarchitekten so machen und ob die wohl auch eine akademische Ausbildung hätten. (Ein Beispiel von
Selbstreferenz in der Universität.)
Little Sparta liegt ... in grandioser Einsamkeit. ... Schafweiden [umgeben] den Park; die Kunst scheint
sublimiert aus dem Landbau hervorzugehen, was dem konservativen Denken ... eines Künstlers ent-
spricht, der zunächst Schriftsteller war. ... Als selbstgelernter Gärtner hat er dies ehemalige Gehöft
geduldig in einen poetischen Raum verwandelt. Überall finden sich Stelen, Verse, Inschriften; ... Noch
das kleinste Eck und sogar die Trittsteine im Wasser sind mit Texten ... beschrieben ... . Man gerät von
einer Stimmung, einem Geisteszustand in den Anderen. Finlay, der das dichterische Wort kurz und
schlagfertig nach Art des Dadaismus ... handhabt, hat aus diesem Gelände einen Hain aus Metaphern
gemacht, die nach dem Modell des Emblems funktionieren, bei dem Wort und Bild untrennbare
Hälften einer visuellen Strategie sind. Embleme fassen das Überkommende und das Neue in ebenso
treffenden wie hermetischen Formeln zusammen. ... [In diesem Garten] haben das Martialische wie
das Totalitäre Genre Platz; ... Diese Kollage von Klassischem und Zeitgenössischem empfindet Finlay als
normal, wohnen doch Idylle und Schrecken für ihn immer zusammen. Als Beispiel nennt er das ET IN
ARKADIA EGO, das bekanntlich mitten im Hirtenparadies den Tod meint ... Weit vom Quietismus der
Idylle entfernt, stellt dieser Garten für den Künstler einen Kriegsschauplatz dar, auf dem widerstreiten-
de Tendenzen zusammenstoßen. 365
Auch dies ist die Beschreibung eines Kunstexperten, die wenig über das Verhältnis zwischen Kunst und Garten
aussagt. Das erfahren wir aber von Finlay selbst aus einem Interview, das Udo Weilacher mit ihm führte.366
Bezeichnend für sein Naturverständnis ist der Satz. „Der Hain ist für mich das Grundelement des Gartens, denn
er bietet einem viele gestalterische Möglichkeiten. Die Bäume sind ganz klar Natur aber der Hain ist keine Natur,
sondern Kultur.“ - Im Prinzip entspricht das meiner Unterscheidung von physis und techne. Die Bäume sind reine
physis und der Hain ist durch techne veränderte physis. – Im Allgemeinen wird Little Sparta als Gesamtkunstwerk
gesehen, und anscheinend auch von Finlay selbst: Er versteht „nicht etwa das Artefakt als Werk, sondern das Werk
ist der Garten als Komposition.“ 367 - Ich habe schon festgestellt, dass die Atmosphäre und die Bedeutung eines
Gartens durch Kunstwerke verändert werden. Das ist in Little Sparta extrem der Fall, so dass uns dieses Werk als
Einheit erscheint.
Trotzdem gilt die Feststellung, dass es sich hier um zwei unterschiedliche Systeme handelt: um den Garten eines
dilettierenden Gärtners, in dem Werke eines Künstlers ausgestellt sind. Es besteht kein wesentlicher Unterschied
zwischen den hier ausgestellten Kunstobjekten und denen, die Finlay für andere Orte, wie zum Beispiel für
das Kröller-Müller-Museum, die Dokumenta oder für Galerien angefertigt hat. Die Objekte, beschriftete Steine,
Modelle von Kriegschiffen, Handgranaten usw. sind Elemente – Medium und Form - des Systems bildende Kunst.
Die Systemunterscheidung geht auch aus der Bemerkung Finlays hervor, dass in seinem Garten „die Natur zum
Wenn Finlay ‚Natur’ sagt, meint er – wie wir gesehen haben – physis, beeinflusst durch techne. Im Garten ist dieser
Einfluss intensiv. In der ‚Welt als Garten’ ist der Einfluss von techne skaliert bis zu dem, was wir ‚unberührte Natur’
nennen. Dies ist das Feld der Land Art. Bei den Objekten der Land Art ist ihr Charakter als ‚Importe’ in die freie
Natur offensichtlich. Am Beispiel Richard Long wird es besonders deutlich.
Long ‚importiert’ aber nicht irgendein Artefakt in die Landschaft, sondern gewissermaßen nur die Idee eines
Artefakts, indem er das Material, das er in der Landschaft findet, zu einer geometrischen Figur ordnet. Dabei geht er
immer von dem Vorhandenen aus, dem er sich körperlich nähert: „Das Gehen ist für Long die Möglichkeit, sich dem
Charakter einer Landschaft zu nähern, sie in ihren spezifischen Details wahrzunehmen, sich ihren Gegebenheiten
und Bedingungen anzupassen. Allein in diesem ‚Dialog’ entstehen schließlich seine Arbeiten, im Einklang mit dem
Ort und seinem Material.“368 Dabei thematisieren seine Steinsetzungen in subtiler Weise das Verhältnis von physis
und techne. Sein Eingriff in die Landschaft durch das ‚Ordnen’ der Steine zu einem Kreis oder zu einer Linie ist
ein Eingriff – techne – in die unberührte Landschaft. Aber entscheidend ist, dass er, bezogen auf physis und tech-
ne als ‚Form der Unterscheidung mit zwei Seiten’, die physis als die eine Seite der Form nicht verändert; für das
Biotop ‚Schotterfeld’ ist es irrelevant, ob die Steine zerstreut oder im Kreis geordnet liegen; der Kreis ist nur von
der techne-Seite aus beobachtbar. Er selbst sagt: „mein ganzes Schaffen [steht] in einem ... Gleichgewicht zwi-
schen naturgegebenen Formen und dem Formalismus menschlicher Abstraktion wie Linien und Kreisen. Hier trifft
mein Menschsein auf die naturgegebenen Kräfte und Formen der Welt, und das ist das eigentliche Thema meines
Schaffens.“ 369
Typisch ist die Vergänglichkeit dieser Werke, die auf die Dauer nur in der Fotografie erhalten bleiben. Aber nicht
nur, denn Long transloziert sie oftmals in eine Galerie oder in ein Museum, wo er sie in gleicher Weise wieder aus-
legt. Die Werke des Systems ‚Land Art’ werden aus der Landschaft in das System ‚Ausstellung’ überführt. Medium
und Form bleiben unverändert aber die Aura ist eine andere; Ein Rezipient, der Longs Artefakte in der Landschaft
nicht kennt, sieht das Werk in der Ausstellung mit anderen Augen. Die Frage ist, ob so ein Objekt der Land Art in
einem Ausstellungsraum nicht ein Wesentliches seiner Aura verliert.
In diese Reihe gehört auch ein bekanntes Werk von Walter de Maria, das ‚Lightning Field’ in New Mexiko.
Vierhundert sechs Meter lange Stahlstäbe wurden auf einer ein Quadratkilometer großen Hochebene in einem
strengen Raster aufgestellt, und zwar so, dass die oberen Enden eine fiktive Ebene bilden. Diese Installation faszi-
niert nicht nur durch die Blitze, die in dieser gewitterreichen Gegend in sie einschlagen, sondern auch durch den
Kontrast zwischen Naturform und mathematischer Ordnung, zwischen Chaos und Ordnung.
Diesen Beispielen von vielen ist gemeinsam, dass die Künstler das Museum hinter sich ließen, um ihre Ideen in der
unberührten Natur zu verwirklichen. Deshalb sind sie auch hauptsächlich in den Wüstengebieten Nordamerikas
entstanden. Dieser extremen Art verwandt sind Werke, die in – meistens abgelegene – Kulturlandschaften impor-
tiert wurden.
Ein Beispiel, das mich besonders beeindruckt hat, ist Herman Priganns „Ring der Erinnerung“. Dieser wurde nach
der Wiedervereinigung im Harz auf der ehemaligen innerdeutschen Grenze errichtet. Auf einem Kreis von siebzig
Meter Durchmesser wurde ein Wall aus Totholz des umliegenden Waldes aufgeschichtet. Zur Erinnerung an die
deutsche Teilung ist der Kreis von den Resten des Grenzzaunes durchschnitten. Der Wall ist innen und außen durch
Findlinge markiert. An vier Öffnungen, die auf die Himmelsrichtungen hinweisen, und im Zentrum liegen Steine
mit den Inschriften Terra, Aqua, Aer, Flora, Fauna als Symbole des Naturbezuges.
Dieses Kunstwerk ist mehrfach codiert: Es steht für die ökologische Katastrophe des Waldsterbens, für die politische
Katastrophe der deutschen Teilung und für die Erinnerung, die als Spur bleibt, wenn auch das Totholz vermodert
und der Wall von Brombeeren überwuchert sein wird. Und es ist eine Auseinandersetzung mit der geschichtlichen
Dimension der Landschaft. - Mit dem Ring der Erinnerung wurde ein Kunstwerk von starker atmosphärischer
Noch zu nennen in dieser Reihe wäre in England Andy Goldsworthy, der in Schottland aus Steinen errichtete
Schafhürden nachbaut und aus Steinen und Totholz Artefakte in der Landschaft schafft, 372 und in Deutschland Tim
Ulrichs, Harald A. Finke, Doris Cordes-Vollert und viele andere. Letztere waren an dem „Projekt Schüberg –
Die Natur sprechen lassen“ beteiligt. (Der Schüberg ist ein bewaldeter Hügel im Osten Hamburgs.) Über das Motiv
dieses Projektes schreibt Hartmut Böhme:
[Wir wollen] sehen, in welcher Weise die Kunst heute im Umgang mit Natur uns wieder wahrneh-
mungsfähiger machen könnte – und welche Wege dabei Künstler gehen, die ihren ästhetischen Impuls
aus dem Schrecken über die menschengemachte Naturzerstörung beziehen und in ihren Arbeiten in
leiser Weise nach anderen Formen des Wahrnehmens, Denkens und Gestaltens von Natur suchen.373
Diesen Artefakten der Land Art ist gemeinsam, dass sie sich auf die‚freie Natur’ beziehen; sie wurden in die
freie Landschaft importiert (oder besser exportiert). Wenn man so will, handelt es sich um Fremdkörper, die ein
Spannungsverhältnis zur Landschaft erzeugen. Es geht um eine klare Unterscheidung:
Land Art
Artefakt Landschaft
Anders zu sehen ist aber das Beispiel einer ‚Grenzgängerin’, Kathrin Gustafson: „[Ihr] erster Auftrag für Kunst
am Bau ... ging schief. Ihr ‚Shadow Walk’ im Flughafen San Francisco blieb ein Schatten. Sie verließ die Sitzung der
Kunstkommission wortlos ... und blieb Landschaftsarchitektin.“ Vorher war sie längere Zeit Modedisignerin, bis ihr
Interesse für die Landschaftskunst erwachte. Die meisten ihrer Objekte sind auch der bildenden Kunst zuzuordnen,
zum Beispiel „ein Wasserreservoir im Freizeitpark von Morbras ... an dem sich bereits ihre typische Formensprache
zeigt: grasüberzogene Erdfalten, das Terrain als große Skulptur. Landart könnte man vermuten. Aber Gustafson zö-
gert: ‚Ich liebe es, Erdmassen zu bewegen. Aber ich liebe auch Dinge, die eine Funktion haben.’“ 374
Mit dieser lapidaren Äußerung unterscheidet Kathrin Gustafson präzise bildende Kunst von Landschaftskunst:
Erdplastiken, die sie nach Tonmodellen ausführen lässt, und Landschaftsparks, die zwar auch kunstvolle
Architekturelemente enthalten, die aber in erster Linie Erholungsfunktionen erfüllen. Hier werden bewusst zwei
Systeme unterschieden, in denen die Künstlerin jeweils operiert, die aus ähnlichen Elementen bestehen, die
in Medium und Form aber unterschieden sind. - Man könnte hierin auch eine Übergangsform sehen zwischen
Gartenkunst und bildender Kunst. Das wäre eine skalierte ‚Form der Unterscheidung mit zwei Seiten’. Das ändert
aber nichts an der Grundauffassung, dass es sich um die Unterscheidung zweier Systeme handelt, und dass das
Operieren auf der einen oder auf der anderen Seite jeweils das Überschreiten einer Grenze bedarf. Entscheidend
ist dabei, ob auf beiden Seiten die jeweilige künstlerische Kompetenz vorhanden ist.
Das war bei Ernst Cramer der Fall. Ich erinnere mich, wie fasziniert wir von seinem „Theatergarten“ auf der
IGA 1963 in Hamburg waren und an unsere Empörung, als dieser nach dem Ende der Ausstellung von ignoranten
Gartenbaubeamten ‚zurückgebaut’ wurde; ein „Vandalismus von oben“! 375 Auch Cramer war ein Grenzgänger
In diesem Zusammenhang ist auch der „Berggarten“ in Graz von Dieter Kienast zu erwähnen. - Kienast bezieht
sich ausdrücklich auf Cramer als sein Vorbild. – Der Berggarten ist eher eine große Erdplastik als ein Garten und als
solche sehr eindrucksvoll. Nach Ende der Gartenbauausstellung wurde er inzwischen in eine Ausstellungsfläche für
Plastiken im Freien umfunktioniert. –
Er ist im gewissen Sinne mit ‚Little Sparta’ zu vergleichen: Garten als Ausstellungsfläche für bildende Kunst. Aber
auf der Skala der Unterscheidung Gartenkunst / bildende Kunst ordne ich ihn der bildenden Kunst zu. Typologisch
kann man ihn mit dem Jüdischen Museum in Berlin vergleichen, das sich auf der Skala Architektur / Plastik bewegt.
Der Berggarten ist in seiner neuen Funktion sehr eindrucksvoll; richtungsweisend für die Gartenkunst ist er nicht.
Ein anderes Beispiel ist der„Garden of Cosmic Speculation“ von Charles Jencks. Ich kann ihn nur beurteilen aufgrund
der hervorragenden Aufnahmen von Udo Weilacher.376 Die zeigen eine Anlage von faszinierender Ornamentik und
bewundernswerter technischer Ausführung. Es mag auch manches darin „zu lesen“ sein. Als Implantat in der schot-
tischen Landschaft empfinde ich ihn als Fremdkörper, der kein Spannungsverhältnis zu dieser herstellt; man kann
ihn sich beliebig in jeder Landschaft vorstellen. Er ist eine Erdplastik, ein Werk der bildenden Kunst, kein Garten.
Ein besonderer Fall ist der UNESCO-Garten von Noguchi, den Udo Weilacher in seinem Buch über
Landschaftsarchitektur und Land Art beschreibt. Er charakterisiert Noguchi als einen Bildhauer, dem es „vor der
Land Art [gelang], die Auffassung von Skulptur so zu erweitern, daß der Landschaftsraum nicht mehr Hintergrund,
sondern eigentlicher Gegenstand künstlerischen Schaffens wurde.“ 377 Ich sehe für den UNESCO-Garten den
Landschaftsraum jedoch weder als Hintergrund noch als Gegenstand, sondern es handelt sich hier einfach um ein
Artefakt, das kaum Beziehung zu seinem Umfeld hat. - „Am Ende [überwog] der kühle, moderne Charakter des
Gartens mit seiner kontrollierten biomorphen Formen und kubistischen Körpern. Der Grundriß erinnert an ein sur-
Das alles macht nach meiner Auffassung klar, dass der UNESCO-Garten nicht zur Gartenkunst gehört. Weilacher
muss letztlich feststellen: „Trotz der Bedeutung des UNESCO-Gartens als Meilenstein in der Entwicklung der
modernen Gartenkunst [!] fand er weder in der landschaftsarchitektonischen noch in der Kunstpublizistik be-
sondere Würdigung. Die Kunstkritiker erachteten das Werk nicht als Kunst, sondern als Garten, während die
Landschaftsarchitekten dem Garten als Kunstobjekt kaum Beachtung schenkten. ... [Noguchi] nahm Pflanzen als
skulpturale Formen wahr und war nicht so sehr interessiert ... sie als wachsendes Material zu begreifen.“ 379
Auf Grund dieser Beispiele dürfte deutlich geworden sein, was die Land Art von anderen Kunststilen und von der
Gartenkunst unterscheidet.
„Künstler als Gärtner“ ist das Titel-Thema einer Ausgabe der Zeitschrift KUNSTFORUM INTERNATIONAL, das
sich mit dem Verhältnis zwischen Natur und heutiger bildender Kunst beschäftigt. In einer zweiten Nummer wird
dies durch ein so genanntes „Gartenarchiv“ ergänzt. 380
Schon eine oberflächliche Durchsicht dieser beiden Bände macht deutlich, dass es hier um Artefakte im System der
bildenden Kunst handelt, das von der Gartenkunst klar zu unterscheiden ist. Das geht schon aus wenigen Beispielen
hervor.
Die meisten entsprechen der Auffassung Mario Terzics, der „Garten und Landschaft als erweitertes Zeichenblatt“
sieht. Es geht ihm darum, „Kunststudenten ein reales Experimentierfeld anzubieten, auf dem deutlicher und kon-
sequenter als auf Papier essentielle Fähigkeiten erprobt werden können ... Gartenarbeit als Metapher für ein umfas-
sendes künstlerisches Agieren ...“ 381
Typische Beispiele sind der Tisch, den Geer Pouls mit der Schere in den Rasen zeichnet,382 oder Gary Rieveschl,
der einen „Kinderkreis“ mit Blumenzwiebeln zeichnet.383 Mit Beton zeichnet Alan Sonfist ein Wegeornament auf
eine Rasenfläche, gewissermaßen die Karikatur eines Landschaftsgartens. 384 Und ein „minimalistisches“ Rasenstück
verpflanzt Luc Wolf in einen verwilderten Garten.385
378 Ebd., 46
379 Ebd.
380 KUNSTFORUM, (1999a,b)
381 KUNSTFORUM, (1999b), 107.
382 Ebd., 204.
383 Ebd., 213.
384 Ebd., 221.
385 Ebd., 247.
Man muss nicht im Einzelnen die Intentionen der Künstler ergründen, um zu erkennen, dass diese Werke nichts
mit Gartenkunst zu tun haben. Es werden zwar auch hier Pflanzen als Elemente eines Mediums verwendet, aber
es ist evident, dass Medium und Form zum System bildende Kunst gehören. Es entstehen keine Gärten, sondern
Installationen mit Pflanzen.
Diese Systemreferenz wird auch durch Äußerungen von Künstlern deutlich. So antwortete Tobias Rehberger –
einer der bedeutenden Gegenwartskünstler, der 2009 den deutschen Pavillon auf der Bienale in Venedig gestaltete
- auf die Bitte, zu definieren, was ein Garten sei:
Ich glaube nicht, daß ich das kann ... im Endeffekt ist es für mich das gleiche wie ein Stuhl, für mich
geht es nicht eigentlich um einen Garten, sondern für mich ist das eine Skulptur. ... Ich bin kein Gärtner
oder Landschaftsarchitekt, sondern Künstler. Oder Skulpteur. Deswegen steht das Skulpturale an erster
Stelle. Daß es dann zufällig mit Pflanzen zu tun hat oder mit Garten, ist für mich fast eher zweitrangig.
Mit Garten meine ich immer eine Skulptur und nie einfach nur einen Garten.386
Ein Beispiel für Rehbergers Auffassung ist seine Installation „Within view of seeing“ von 1998, die aber offensicht-
lich schon Vorbild für manche Gartengestaltung geworden ist. 387
Ähnliches sagt Anette Weiß: „Mich interessiert das Prozessuale, das ‚Geheimnis des Lebens’, in künstlerischer
Hinsicht nicht so sehr. Ich glaube, man muß sehr aufpassen, nicht ins Esoterische abzugleiten, wenn man sich auf
die Eigendynamik des Mediums Pflanze einlässt.“ 388
Etwas anders liegen die Dinge bei dem „Schwarzen Garten“ in Nordhorn von Jenny Holzer.389 Es handelt sich um
eine Gedenkstätte für die Gefallenen der letzten Kriege. Was Jenny Holzer hier gestaltet hat, kann man schon im
weiteren Sinne als ‚Garten’ bezeichnen. Aber die Symbolik, die sie hinein legt, hat nichts mit Gartenkunst zu tun; sie
Ein berühmter Künstlergärtner war Burle Marx. Tatsächlich war er aber in erster Linie Maler, der seine Gemälde
wie auch seine Vorlagen für Platzgestaltungen und Blumenbeete nach den gleichen formalen Vorstellungen schuf.
Als Medium unterscheiden sich bei ihm Pflanzen nicht von Ölfarbe oder Pflastersteinen. - Nebenbei war er seit
Kindheitstagen leidenschaftlicher Pflanzensammler und insofern auch Gärtner, der sich als Gartenarchitekt betätig-
te. Aber seine großen Landschaftsgärten wirken - zumindest nach europäischen Vorstellungen - seltsam gekünstelt.
390
Alle diese Beispiele zeigen, dass die Deutung des Verhältnisses Gartenkunst / bildende Kunst von Kunsttheoretikern
und Kunsthistorikern beherrscht wird. Das sehen wir bei Paolo Bianchi, der den heutigen „Künstlergärtner“ in der
Tradition des Berufes des „Kunstgärtners“ sieht, der neben dem Gartenhandwerk auch die anderen Künste beherr-
schen musste. „Denn mit ihnen mußte sich das Gartenhandwerk verbinden, um selbst zu einer ‚bildenden Kunst’
aufzusteigen. [!] Künstlergärtner besinnen sich auf den modernen Begriff von Landschaft als dem Entwurf eines
einzelnen, welcher der Natur gegenübertritt und sie in individueller Weise auffasst.“ 391 (Hvh., A.S.) Das
ist die Auffassung einer autonomen Kunst, die auf die Gartenkunst angewendet, zur absoluten Beliebigkeit führen
würde.
Als Letztes zitiere ich Barbara Nemitz, die Initiatorin der „Künstlergärten in Weimar“: „Das nicht-intellektuelle
Medium Vegetation, das uns sonst in Garten, Park, in der Agrikultur oder ganz einfach in der Landschaft begegnet,
wird im Kunstkontext zu einem intellektuellen Medium, das zahlreiche Fragen aufwirft.“ Eine ihrer Fragen lau-
tet: „Inwieweit ist eine Pflanze heute überhaupt noch Natur?“ Auch sie grenzt das System, das sie „Kunstkontext“
nennt, gegen „Garten, Park“ usw. ab.
Das alles verführt mich dazu, diesen Abschnitt mit einem Kommentar Gernot Böhmes abzuschließen, den er in
Bezug auf das Verhältnis von Künstlern zur Ökologie verfasst hat, den man aber sinngemäß auch bezüglich ihres
Verhältnisses zur Gartenkunst anwenden könnte:
Künstler mögen zwar häufig besonders sensible Zeitgenossen sein, aber sie verstehen sich und man ver-
steht sie falsch, wenn man sie zu besseren Philosophen oder Naturforschern hochstilisiert. So sind die
Und die Beiträge der Künstler zur Gartenkunst sehe ich auf dem Niveau durchschnittlicher Kleingärtner. Für
Landschaftsarchitekten, die sich ihr Leben lang mit Pflanzen beschäftigen und sich mit der Frage: „Was heißt denn
schon Natur?“ 393 auseinandergesetzt haben, muten diese Versuche bildender Künstler, dem Wesen der Natur näher
zu kommen sehr naiv an. – Das kann man aber auch von den Gartenkünstlern sagen, die sich in dem System ‚bil-
dende Kunst’ bewegen, um die vermeintlichen Defizite an Modernität in der Gartenkunst zu beheben.
Durch diese Darstellungen dürfte deutlich geworden sein, dass Gartenkunst und bildende Kunst verschiedenen
Systemen angehören.
Kunst
Gartenkunst Bildende Kunst
Ich erinnere an dieser Stelle noch einmal an Spencer-Browns Maxime seiner Erkenntnistheorie: „Wir nehmen die
Idee der Unterscheidung und die Idee der Bezeichnung als gegeben an, und daß wir keine Bezeichnung vornehmen
können, ohne eine Unterscheidung zu treffen.“
Wie der Begriff der „Totalen Landschaft“, führt die Gleichsetzung von Gartenkunst und bildender Kunst zum
„Rauschen“, zur Beliebigkeit und schlimmstenfalls zu dem, was wir Kitsch nennen. Selbst wenn es Berührungspunkte
und vielleicht skalierte Übergänge gibt, ändert dies nichts an dem Grundsatz, dass Elemente der bildenden Kunst
keine Vorbilder für die Gartenkunst sind. Das soll im Folgenden noch vertieft werden.
Die Entwicklung der modernen bildenden Kunst im 20. Jahrhundert ist in einer schier unermesslichen Literatur
beschrieben und bewertet worden. „Moderne Kunst“ ist zu einem allgemein gebräuchlichen Begriff geworden,
dessen Konnotation eindeutig ist.
Das kann man von der Gartenkunst nicht sagen. Schon das oben beschriebene problematische Verhältnis zwischen
moderner Architektur und Gartenkunst ist bezeichnend. Es stellt sich also die Frage, welches die Gründe für die-
se Sonderstellung der Gartenkunst sind. Es sind die Entwicklungen, die ich in der Einleitung als eine wesentliche
Problemstellung beschrieben habe: die „Entzweiung“ der Menschen von der Natur (nach Richter) und als Folge für
die Profession: deren Aufspaltung in Ökologie und Kunst. Die Gartenkunst, deren Thema bis ins 19. Jahrhundert
selbstverständlich die Natur war, ist ‚heimatlos’ geworden, nachdem die Natur wissenschaftlich vereinnahmt und
unter dem Verdikt ‚Naturalismus’ aus der Gartenkunst verbannt wurde.
Das Ergebnis ist die Suche nach einer neuen Systemreferenz, die bisher eindeutig in Richtung bildende Kunst und
Baukunst geht. Nach den Grundsätzen der Systemtheorie ist aber schon voraus zu sagen, dass dieser Weg in die Irre
führt, zu Systeminterferenzen. Ich habe den Begriff ‚Interferenz’ schon im Zusammenhang des Verhältnisses der
Die krasseste Form einer „falschen Analogie“ ist die naive Übertragung von Elementen von der Malerei auf die
Gartenkunst. Die Formen kommen eigentlich nur auf dem Papier zur Geltung. In der Ausführung stehen sie mei-
stens für Dysfunktionalität. Die Beispiele hierfür sind zahllos. Als ein programmatisches Symbol kann man eine
Lithographie Kandinskys ansehen, die in Topos, Heft 2 kommentarlos abgebildet ist. Das Heft steht unter dem
Motto: „Leitbild der Moderne“.
Ich nehme als Beispiel aus dem gleichen Heft den Plan für den Park in Modena. Er ist nicht von einer abstrakten
Graphik zu unterscheiden. Er wurde zwar nicht ausgeführt, war aber immerhin in einem Wettbewerb preisgekrönt.
In dem Park Juan Carlos in Madrid ist wie bei Kandinsky der Kreis die Grundform, die von heterogenen Elementen
durchschnitten wird, und hier wie dort sind ringsherum graphische Formen verstreut. Als Versatzstück wurde eine
organoide Form eingefügt. 394
Ein krasses Beispiel ist der Park Nou Barris, an der Peripherie Barcelonas. „Kubistische Gemälde Picassos der Horta
de Sant Joan beeinflussten die Gestalter bei ihrem Entwurf. Die vorhandenen fragmentierten Freiräume sollten zu
einer geometrischen Landschaft verbunden werden.“396 Am Anfang der gestalterischen Überlegungen stand also
nicht der ‚Ort’, wie immer reklamiert wird, sondern ein abstraktes Gemälde.
Ein bedeutendes Thema der Gartenkunst in der ‚Welt als Garten’ ist der Einfluss auf die freie Landschaft. Die
Geometrie der Kulturlandschaft war bisher durch die Formen der Bewirtschaftung bestimmt; so war der rechteckige
Acker sinnvoll, um ihn in geraden Furchen pflügen zu können. Dieses Prinzip scheint mit der neuen Auffassung
einer „geometrischen Landschaft“ nicht vereinbar zu sein. Im Landschaftspark Wartenberg in Berlin wechseln will-
kürlich keilförmig geschnittene Grünflächen mit spitzwinkligen „sogenannten Waldfraktalen ab.397
Diese geometrischen Landschaften sind durch eine rationelle Landwirtschaft nicht zu unterhalten. Offensichtlich
denkt man daran, Landwirte als Pflegekräfte in Lohnarbeit heranzuziehen. Wenn sich dieses Prinzip weiter durch-
setzt, können Bauern am Rande der Großstädte sich künftig entscheiden, ob sie als Erfüllungsgehilfen für die
Ökologie oder für die Gartenkunst tätig werden wollen.
Ich charakterisiere abschließend diese Art der Interferenzen mit einem Zitat von Stefan Tischer. Der sieht die
Entwicklung vor allem im Hinblick auf spanische und französische Projekte der 80ger und frühen 90ger Jahre, die
aber auch Nachahmung in Deutschland fanden:
In recht vielen Beispielen verlor sich die Idee der neu interpretierten und fortgeschriebenen Moderne
im Styling von Ausstattung und Einzelelementen, in der Dekonstruktion als lustiges Formenspiel, im
wilden Splittern von Wegfragmenten und im Sprenkeln von Baumgrüppchen. ... oft ist nur ein forma-
les Klischee gegen ein neues ausgetauscht worden.399
Ein anderer Einfluss der bildenden Kunst auf die Gartenkunst besteht darin, dass einzelne Kunstwerke als Vorbild
oder Anregung genommen werden, was manchmal einem Plagiat nahe kommt. Das gilt für eine Installation Paul
Isenraths auf der Dokumenta 6 von 1977:
Zwei ... lange Wasserrinnen, rechtwinklich zueinander gesetzt, reflektierten als helle Wasserlinien in
der grünen Karlsaue zwar narzistisch den Himmel, jedoch bedeutend subtiler machten sie dem auf
Gleichgewicht bedachten Betrachter die spezifische Geländeneigung deutlich, von der unbewusst die
räumliche Orientierung und Umweltwahrnehmung beeinflusst wird. Das Wasser wird zum Medium,
„zum Mittel der Erkenntnis wie auch der die Sensibilität des Sehens schärfenden Irritation.“ 400
Eine der Rinnen wurde 1990 als „Maßkraft“ in der Ausstellung „Bis jetzt“ im Georgengarten Hannover gezeigt, wo
sie die gleiche subtile Wirkung erzeugte. Hier die Beschreibung von Lothar Romain:
Ich zitiere dies hier so ausführlich, weil die seitdem in vielen Gärten auftauchenden Wasserrinnen mit der künst-
lerischen Intention des Originals nichts mehr gemein haben. Sie sind eine einfache formale Zutat, etwa um eine
Achse zu betonen
Ebenso ‚befruchtend’ gewirkt hat ein Kunstobjekt von Pedro Cabrita Reis, das auf der Dokumenta IX, 1992 zu
sehen war: Ein schmaler Gang zwischen zwei Mauern. Auch dies ein beliebtes Motiv, das in Abwandlung oft er-
scheint, gerne in Cortenstahl.
Eine andere Anregung ist die Verwendung von überdimensionierten Versalien in Gärten, die in der modernen
Kunst als Elemente von Gemälden und Installationen eingesetzt werden, schon früh von Paul Klee und gegenwär-
tig zum Beispiel von Joseph Kosuth und Jenny Holzer.
Auch diese Verwendung der Schrift als Element im Medium der bildenden Kunst verleitet zu dem Versuch, auf die-
se Weise Gärten die Weihe von Kunst zu geben. Bekannt ist der Schriftzug in einem Garten von Kienast, der „das
Geländer eines Aussichtspunktes am Rande des Waldes“ bildet. 403 Dazu wurden mit den Bauherren „immer wieder
neue Schriftzüge erwogen,“ 404 bis der bedeutungsschwere Satz „Auch ich war in Arkadien“ Zustimmung fand, na-
türlich bildungsbürgerlich in Latein: ET IN ARCADIA EGO.
Der Systemunterschied ist offensichtlich. Versalien als Elemente in Medium und Form werden im System Garten
zur beliebigen Dekoration. Bezeichnend ist, dass man diesem Artefakt keine autonome Wirkung zutraute, und des-
halb zur Motivation noch einen Gartenzaum brauchte.
Ein weiteres Beispiel einer Systeminterferenz sind Verkleinerungen und Vergrößerungen. In der Bildenden Kunst
sind sie Elemente des Schaffens von Claes Oldenburg, die inzwischen einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt ha-
ben.
Er bildet Alltagsdinge ab, meistens in extremer Vergrößerung. Es geht ihm, wie er sagt, um Verfremdung, die eine
genaue Beobachtung ermöglicht. 405 Mir erscheint diese Erklärung jedoch etwas vordergründig. Ich sehe in seinen
Werken eine tiefenpsychologische Dimension, die an die Märchenwelt, an Riesen und Zwerge, an Däumling und
Gullivers Reisen erinnert. Oldenburg selbst sagt: „In unseren Träumen können wir uns alle Dinge in allen Größen
vorstellen.“ 406 - Bekannt sind auch die riesigen Figuren von Jonathan Borowsky in Frankfurt und Berlin.
Vergrößerungen und Verkleinerungen waren auch ein Motiv in den „Gärten der Potenzen“ in der BUGA München-
Riem. Sie waren aber nicht als solche erkennbar. Auch die schriftlichen Erklärungen waren nicht nachvollziehbar.
Für den unbefangenen Betrachter waren es einfach beliebige abstrakte Formen.
Die Interferenzen zur Landart haben sich schon im vorigen Artikel angezeigt. Die Übernahme ihrer Elemente ist
besonders verlockend. Das gilt zum Beispiel für die überall aus dem Boden wachsenden Erdpyramiden. Man könn-
te sagen, das sei das Gleiche, wie die in der Landschaftskunst üblichen Bodenmodellierungen. Es gibt aber einen
Unterschied: Die Bodenmodellierung dort dient zur Darstellung einer archetypischen Form der Raumbildung; gleich-
wohl besteht auch da die Gefahr der Bildung von Stereotypen. Die Verwendung der Erdpyramide als Versatzstück
ist von vornherein fragwürdig.
Einen großen Einfluss auf das Formempfinden der Gegenwart hat der Minimalismus ausgeübt. Sein Ursprung
ist schon im Reduktionismus der frühen Moderne zu sehen, als es um die Überwindung des sinnentleerten
Eklektizismus ging, um das Verdikt ‚Ornament ist Verbrechen’, in der Architektur zum Beispiel durch das Bauhaus.
daß die Bildideen, die zu Beginn dieses Jahrhunderts entstanden – so radikal ikonoklastisch und so
reduktionistisch sie auch waren – niemals einem Erkenntnisinteresse, einem bildnerischen Denken ab-
geschworen hatten. Malewitschs suprematistische Bilder, Kandinskys abstrakt-expressive Werke ...
Mondrians Kompositionen der dreißiger Jahre, auch noch Ad Reinhards letzten, die schwarzen Bilder,
die Werke Pollocks, Newmans, Rothkos u.v.a., ihnen allen geht es um eine souveräne Deutung der
Welt. Souverän deshalb, weil sie keineswegs darum bemüht ist, unser zivilisatorisches Alltagswissen
oder dasjenige der Wissenschaften zu bestätigen, sondern in der Malerei gründende, z. T. paradoxe
Auslegungen, vieldeutige Metaphern der Wirklichkeit zu geben. Bei allen genannten Malern lässt sich
dies bis ins Detail nachweisen, jedenfalls dann, wenn man die Bilder nicht auf ihre formalen Aspekte
reduziert. 407
Das gilt auch für die autonomen Kunstwerke, die man speziell dem Minimalismus zuordnet, wenn auch mit ihnen
die Formreduktion am weitesten getrieben wird. Sie
besitzen ein auf elementare stereometrische Gestaltung reduziertes Formenvokabular. Die einzelnen
Einheiten eines Werkes gliedern sich in einfache arithmetrischen Teilungen und Reihungen. Dabei
ist kein Element einem anderen über- oder untergeordnet. Die ... Kriterien der Komposition und
Hierarchisierung werden ... radikal aufgegeben. ... Inhaltlich verzichten [sie] auf jede Verweisfunktion,
... sie sind autonom und definieren sich ausschließlich durch ihr formales Verhältnis zum umgebenden
Raum.“ 408
Einer der Hauptvertreter des Minimals war Donald Judd, (wenn er sich auch stets gegen diese Vereinnahmung
gewehrt hat.) Eines seiner Hauptmotive war die Vermeidung jeglicher Illusion, die in der Malerei vorherrschte, zum
Beispiel die räumliche Darstellung im Tafelbild. So kam er zur Entwicklung seiner dreidimensionalen Installationen.
„Die Einfachheit der Formen [benutzte er,] um Farbe im Raum zu artikulieren, ohne daß dies durch komplexe
Formen abgelenkt würde.“ 409 Auf seine Raumkonzeption habe ich bereits im ersten Kapitel hingewiesen als Beispiel
einer ‚Form der Unterscheidung’ in der bildenden Kunst. „Judd gelingt es, im Sehakt Innen und Außen, Farbe und
Form so voneinander zu trennen, daß sie sich jeweils selbst behaupten, zugleich aber in einem übergeordneten
Ganzen erfahren werden.“ 410 Eine ‚Form der Unterscheidung’!
Carl Andre geht noch einen Schritt weiter in dem Verhältnis zwischen Objekt und Rezipient. „Er entkörpert die
Skulptur, ohne sie aufzugeben, bis zum schieren Bodenbelag. Dabei gibt er seiner Arbeit eine soziale ... Begründung:
Das standardisierte Material soll für alle käuflich, die Plastik für alle ausführbar sein.“ Das gilt auch für seine Objekte
aus sägerauen Holzbalken, die in viele identische Stücke zerteilt und in streng orthogonalen Formen ausgelegt
oder gestapelt sind. Andre hat Plastiken geschaffen „als ‚Ort’ und ‚Weg’, als Operationsfeld, das zur Begehung und
Erschließung herausfordert.“ 411
Wenn man einen Grundzug in der Entwicklung der modernen Kunst sucht, dann ist es das Ausloten der Darstellungs-
und Wahrnehmungsmöglichkeiten, oftmals bis zu extremen Positionen. Extrem war auch manche Formreduktion
der „Minimalisten, die ausschließlich auf die Definition von Raumverhältnissen ausgerichtet waren und sich jede
[sagte] die tautologische Identitätsformel minimalistischer Objekte ... vor allem ein „Ist“ aus, das ohne
Subjekt und ohne Inhalt blieb. „What you see is what you see“, wie es Stella 1964 formulierte. Wichtig
zu sehen, daß in ihrer eigenen Konsequenz eine Kunst nach der radikalsten Reduktion im Grunde gar
nicht denkbar war. Minimal- und Konzept-Kunst definierten sich als ein Finalstadium, bereiteten auf
diesem Wege die Postmoderne indirekt mit vor. 413
Die Finalität deutete sich schon in einigen Werken an. So bei den Betonskulpturen Judds, die nicht mehr die subtilen
Raumverhältnisse verkörpern, sondern eher an nicht fertig gewordenen Munitionsbunker oder Garagen erinnern.
Sie leiten über zum System Architektur; (Judd wollte ursprünglich Architekt werden.) Völlig verlässt er das System
bildende Kunst mit seinen Möbelentwürfen, die zwar ‚minimalistisch’ geformt sind, die aber ihre Funktion nicht
erfüllen; auf den Stühlen möchte man keine fünf Minuten sitzen. Sie sind ein typisches Beispiel einer Interferenz
zweier Systeme, der bildenden Kunst und des Möbeldesigns.
Die Werke Carl Andres tendieren zur Gebrauchskunst, was die Kehrseite ihres sozialen Aspektes ist. Ihre Faszination
liegt aber in ihrer Einfachheit und selbstverständlichen Präsenz. Vor allem: sie sind autonom, ohne Funktion. Und
das gilt im gleichen Sinne für die meisten Werke des Minimalismus. Donald Judd und andere haben sich denn auch
wiederholt auf die Gestaltpsychologie berufen, um die einfachen Formen zu begründen.414
Das erklärt wohl auch den enormen Einfluss, den der Minimalismus auf die Formgebung in unserer Alltagswelt
hatte und hat, zum Beispiel auf die Mode. So las man in einem Schweizer Modemagazin:
Minimalismus ist das große Wort der 90ger Jahre, in den USA repräsentiert von Calvin Klein ... In
Deutschland ist es Jil Sander, die eine pure, auf sich selbst konzentrierte durchdachte Mode entwirft.
Luxuriöse Zweckmode, die im Leben funktioniert. Einfache Silhouetten, die sich auf eine Recherche des
Materials konzentriert. Kein Schmuck keine Verzierungen, alles ist konzentriert auf das Wesentliche. 415
Ich zitiere dies, um auf den Unterschied zwischen Kunst und Mode hinzuweisen. Ich sehe in der Kunst als eines
ihrer Wesenszüge die Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit. Die Verwendung minimalistischer Formen in der
Mode ist dagegen Ausdruck eines vorübergehenden Lebensgefühls. Inzwischen sind schon andere, gegensätzliche
Wellen über die Modewelt hinweggegangen. Deshalb besteht keine Interferenz zwischen den Systemen Kunst und
Mode; Die Verwendung von Elementen fremder Medien und Formen ist der Mode systemimmanent. Das gilt auch
allgemein für das Design von Gebrauchsgegenständen.
Sicherlich ist auch die Gartenkunst, wie die Architektur, nicht frei von modischen Einflüssen. Das gilt besonders für
ephemere Werke, wie die Dekorationen in Ausstellungen wie die Chelsea Flower Show. Auffällig ist, dass immer
öfter von ‚Garten-Design’ gesprochen wird. Das Modische nimmt immer mehr überhand.
Aber eine Betrachtung, die sich mit der Gartenkunst befasst, muss klären, was zu deren Grundprinzipien gehört
oder was nur modische Einflüsse sind. Erkennbare Grundprinzipien können dann eventuell zur Definition eines
Als Protagonistin dieser Richtung hat sich Gabriele Kiefer in einem Essay mit diesen Fragen befasst.416 Auch sie
geht von Unterscheidungen aus, vom „dialektischen Prinzip.“ (Ihr Bezug auf die „coincidentia oppositorum“ ist
allerdings fragwürdig, denn Cusanus, von dem dieser Begriff stammt, sah die Gegensätze nur in der Unendlichkeit,
in Gott aufgelöst, und das ist reine Metaphysik.) Als Entgegensetzung sieht sie die „Reizüberflutung“ im öffentli-
chen Raum einerseits, gegen die „einschläfernde Einfallslosigkeit“ in den Produkten des „revolutionär-öko-sozio-
logischen Elans andererseits.“ - Zunächst rätselhaft ist ihr Begriff „Urbane Natur“, denn sie sagt nicht, wovon sie
ihn unterscheidet. Der Satz: „Eine Gestaltung, die sich der städtischen Natur widersetzt, bleibt eindimensional und
lebensfeindlich“ gibt keine Aufklärung. Klar ist nur die Aussage, dass ein Freiraum nur verstehbar sei, „wenn er
sich als charakteristische Einheit der Stadt begreift und dadurch selbst urbane Natur – in Wesen und Gestalt -
wird.“ (Hvh. A.S.) Die Unterscheidung ist also offensichtlich die zwischen städtischer und nicht-städtischer Natur.
Was das „Wesen“ dieser unterschiedenen Naturen sei, bleibt offen. Für mich erhebt sich die Frage, wie dieses
Denkmodell in der Realität der fraktal strukturierten Zwischenstadt funktionieren soll; wo hört die Stadt auf, wo
beginnt die nicht-städtische Natur? – Sehr fragwürdig ist ihre Auffassung von der Gartenkunst als „Gegenwelt,“
als eine „Welt, die im Kontrast zum Alltag steht.“ Das mag für die Vergangenheit gelten; vielleicht noch für die
Zeit der Volksparkbewegung. Als Modell für die Zukunft ist diese Auffassung nicht geeignet. Sie steht im absoluten
Gegensatz zu der Idee der „Cultura“ Thomas Sieverts´ (Siehe Anm. 197), beziehungsweise zu der Idee der „Welt als
Garten.“
Kiefer kommt schließlich – dialektisch gesehen – von der Reizüberflutung (These) und der „öko-soziologischen“
Langeweile (Antithese) zur Synthese, zur „Reduktion als Grundprinzip.“
Eine Gegenwelt zur heutigen, alltäglichen Reizüberflutung zu schaffen, kann nur auf Reduktion als
Grundprinzip basieren. ... Die Beschränkung auf wenige Elemente und die nicht-naturalistische
Funktion von Leere bietet dem Nutzer permutative Wahlfreiheit an interpretatorischen Möglichkeiten.
In der Stadt unterstützt ein minimalistischer Freiraum durch seine demonstrative Zurückhaltung und
Stille die persönliche Gedankenfreiheit. 417 (Hvh. A.S.)
Von der bildenden Kunst des Minimalismus übernimmt sie die „repetitiven Strukturen,“ die wir zum Beispiel von
Donald Judd kennen. Sie nennt das auch „serielle Landschaftsarchitektur ... die das Gestaltungsprinzip ihrer Teile
auf eine Formel bringt und somit größtmöglichen Zusammenhang schafft.“ Durch diese Formel wird jedoch „jede
Einzelheit der Komposition fest[gelegt],“ so dass „während des Entwurfsablaufs, der sozusagen ‚computerartig’ vor-
programmiert ist, kein[ ] willkürliche[r] Einfluß mehr“ genommen werden kann. Allerdings sind diese „Prinzipien
der Gestaltordnung ... für den nicht Eingeweihten aufgrund ihrer Vielschichtigkeit nicht erkennbar.“
Unter dem Gesichtspunkt ‚Medium und Form’ zeigt sich ganz klar, dass diese Gestaltungsrichtung nur darin be-
steht, die Elemente des Minimalismus zu übernehmen. Bei den Künstlern des Minimalismus, wie Judd, Sol Lewitt
und anderen war die Formreduktion die Voraussetzung für die eigentlichen künstlerischen Intentionen, wie die
abstrakte Darstellung der Raumverhältnisse und Farbwirkung. Dem System Gartenkunst wird diese Abstraktion
nicht gerecht.
Das gilt auch allgemein für minimalistische Grünanlagen. Leider ist bisher noch niemand auf den Gedanken gekom-
men, die Frequentierung von Anlagen im Hinblick auf ihre Gestaltung zu untersuchen. Ich habe zum Beispiel das
Gelände der Gartenschau in Wismar, dessen Gestaltungsform man als minimalistisch bezeichnen kann, während
der Ausstellung und in den Jahren danach mehrfach besucht und musste feststellen, dass die Besucherzahl bei vor-
bildlichem Pflegezustand der Anlagen bei bestem Wetter immer erstaunlich gering war. Ich konnte das immer leicht
feststellen, weil das Gelände vom erhöhten Eingangsbereich aus mit einem Blick überschaubar ist. - Mir ist klar, dass
die Frequentierung einer Anlage von mehreren Faktoren abhängt, zum Beispiel von der Nähe zu dicht besiedelten
Gebieten. Eine Untersuchung dieser Art müsste auch dies berücksichtigen.
Eine problematische Interferenz besteht auch darin, sich eins zu eins dem Formenvokabular der Architektur zu un-
terwerfen. Dabei geht jegliche Spannung verloren, von der zum Beispiel die Gartenkunst des Barocks lebte.
Der Tenor dieser gegenwärtig vorherrschenden Richtung in der Gartenkunst ist die Distinktion von allem was als
‚Naturalismus’ angesehen wird. Das gilt nicht nur für minimalistische Lösungen, sondern für alle beschriebenen
Interferenzen zwischen Gartenkunst und bildender Kunst. Dass diese Richtung nicht zukunftsfähig ist, wird inzwi-
schen zunehmend kritisch wahrgenommen.
Wo ... der Naturverweis negiert und allein die Freiheit der Kunst betont wird, entledigt sich die
Landschaftsarchitektur oftmals ihrer ursprünglichen Bedeutung, nämlich der Hinterfragung des
Unter dem Vorwand, nichts vorgeben, nichts dekorieren, nichts ausstatten zu wollen, wird ausschließ-
lich derjenige als künftiger Nutzer gesehen, der im minimalistischen Raum agiert, ihn belebt und so
im ästhetischen Sinn zum Gestaltungselement wird. Tragisch ist dies deshalb, weil einerseits völlig die
eigenen Wurzeln verkannt werden, die ... traditionell stark im Dekorativen liegen; andererseits wird
bei allem Glauben an Virtualität und eigene Motivationskraft die Fähigkeit potenzieller Akteure völlig
verkannt, die zunehmend Stimulanzien für die Aktion brauchen. Diese können gerade im öffentlichen
Raum nicht ausschließlich im bebauten Umfeld liegen, in der bloßen Hoffnung, dieses strahle genü-
gend auf den Freiraum aus. 419
Ich unterstelle, dass Tischer mit „Dekorativen“ das Gleiche meint, was ich im 3. Kapitel, ‚Funktion und Gestaltung’,
als Ornament zusammengefasst habe. – Ganz auf meiner Linie der Systemreferenz liegt Sven-Ingvar Anderson,
wenn er sagt:
[Es gibt] immer eine Beziehung zwischen den unterschiedlichen Künsten. Gartenkunst zählt ... zu den
bildenden Künsten. Sie sollte aber nicht versuchen, andere Künste zu imitieren. Genau das geschieht
zur Zeit: Man versucht um jeden Preis, künstlerisch zu arbeiten, versucht sich an Installationen, am
Minimalismus oder ähnlichem. Ich halte das für ausgesprochen falsch. ... Wenn Gartenkünstler ihren
Zugang zur Kunst über eine andere Kunst finden, dann geht ihnen etwas verloren.420
Dialektik zwischen Erfindung und Manier, die in der Geschichte der Kunst schon immer auftrat, wenn
ein Künstler eine neue formale Möglichkeit, die eine tiefgehende Veränderung der Fühlweise und
des Weltbildes implizierte, „erfand“ und sogleich ein Heer von Nachahmern diese Form, ohne die
Implikationen zu erfassen, als leere Form verwendete. 421
Eine „tiefgründige Beschreibung und damit eine kritische Auseinandersetzung mit Landschaft“ durch „poetisches
Zeichnen“ übernehme ich von Catharine Dee. Sie gründet ihre Kritik auf eine wenig geläufige Betrachtungsweise,
die innere Beziehung zwischen Wahrnehmung, Zeichnen und Gestalten. Dass Zeichentechnik Gestaltungsformen
beeinflusst, ist evident. Die alte Technik mit Reißbrett, Reißschiene und Winkel förderte offensichtlich eine ortho-
gonale Gestaltung, wenn auch meist unbewusst. Etwas mehr Freiheit brachte die Zeichenmaschine, die den „120°
Stil“ begünstigte. Und die Bedeutung des Computers für den Entwurf haben wir oben bei Gabriele Kiefer gesehen.
– Catharine Dee entwickelt eine subtile Theorie des Zeichnens, die jeder Gartenkünstler verinnerlichen sollte; ich
kann sie nur in ganz groben Zügen wiedergeben.
Es geht um die „poetische Zeichnung“, die als „dichte“ oder „dünne Beschreibung“ entstehen kann. „Die dünne
Beschreibung stellt wenig mehr als die oberflächliche Erscheinung dar und ignoriert dabei die Bedeutungsebene.
Dünne Landschaftsbeschreibungen entstehen auf unkritische Art (wenn zum Beispiel einfach graphische Stilmittel
Diese Zeichnungen verkörpern die Gleichzeitigkeit und Synästhesie der Landschaftserfahrung. Sie
sind phänomenologisch. Das körperliche Zeichnen sträubt sich gegen die Verwendung distanzierter,
panoptischer , orts- ungebundener, klinischer und minimalistischer Darstellungen, die schon seit lan-
gem unsere Visualisierung von Landschaft ... bestimmen. Diese Darstellungen haben schon immer,
das Körperliche und das menschliche Wohlbefinden, das Unsichtbare in der Landschaft, ignoriert. Die
Eleganz einer minimalistischen Darstellung kann zur Tortur des Körpers werden und uns dazu verlei-
ten, Orte zu gestalten, die nicht mehr dem Wohlbefinden dienen. 423
Das soll natürlich nicht heißen, dass Gartenkünstler nur mit dem 6B-Bleistift entwerfen dürfen; es genügt, wenn
sie sich des Einflusses des jeweiligen Darstellungsmittels bewusst sind und die Plangraphik nicht für das eigentliche
Artefakt halten.
An den Schluss dieser Betrachtung stelle ich ein Zitat Gottfried Boehms, das leider auch auf viele der beschriebenen
Interferenzen zutrifft:
Die mögliche Verwechselbarkeit zwischen formulierten und intendierten Gefühlen lässt einen bekann-
ten und selten gebetenen Begleiter der Moderne am Horizont auftauchen: den Kitsch ... die natürliche
Nachhut der Avantgarden. Er triumphiert, wo das Gemeinte und der Effekt sich gefühlvoll über mögli-
ches Gelingen erheben. 424
Ein Mittel gegen diese Interferenzen in der Gartenkunst wäre das Eindringen in das Wesen der modernen Kunst.
Das müsste schon im Lehrplan der Universität stärker vertreten sein. Wer sich nur an der Oberfläche dieses
Lebensbereiches bewegt, läuft als Gartenkünstler immer Gefahr, oberflächliche Formen als Kunst anzusehen.
Nach diesen vielfältigen Analysen der Gartenkunst, ihrer geschichtlichen Entwicklung, ihres Verhältnisses zur
Gesellschaft, zu den anderen Künsten, ihrer Funktion und den Bedingungen ihrer Wahrnehmung usw. will ich
jetzt Möglichkeiten einer künftigen Entwicklung nachgehen: der Welt als Garten.
422 Das erinnert an Heideggers Begriff des „Wohnens“, auf den ich noch zu sprechen komme.
423 Dee, (2004), 58ff.
424 Boehm, (1987), 236f.
Mit dem Begriff ‚Garten’ ist nicht nur das Stück Erde am Haus gemeint. Auch die Welt unterliegt wie
ein Garten den Naturkreisläufen. ... Im Garten kann der Mensch Natur erleben, Naturerkenntnisse
und -verständnis gewinnen, Natur gestalten. Ein Garten schafft Lebensräume für Tiere und Pflanzen,
gleichzeitig dient er den wirtschaftlichen Interessen der Menschen. Der Garten liefert damit ein Bild
für den Umgang mit Natur und Landschaft, er steht für die Harmonie von Umwelt und Kultur, für den
Verbund von Mensch und Natur. 425
Auf den ersten Blick kann der Eindruck entstehen, der Begriff „Garten“ stände hier nur als Metapher für ein ökolo-
gisches Bekenntnis. Es steckt aber mehr dahinter, was die Worte „Natur gestalten“ und „Harmonie von Umwelt und
Kultur“ ausdrücken. Es geht um ein Denken, in dem Ökologie und Gartenkunst keine Gegensätze sind, sondern
sich gegenseitig bedingen. Einfach ausgedrückt heißt das, dass wir die ganze Welt hegen und pflegen müssen, ganz
gleich, ob es sich um einen Rübenacker, ein Naturschutzgebiet, um einen Stadtpark oder eine Blumenwiese, um die
Regenwälder oder die afrikanischen Savannen handelt.
Und nach dem Leitsatz, „dass wir keine Bezeichnung vornehmen können, ohne eine Unterscheidung zu treffen,“
unterscheide ich den „Garten“ von der „Wüste“; dabei denke ich weniger an die Sahara und die Wüste Gobi, son-
dern an die Verwüstungen, die der Mensch seit der Antike bis heute zu verantworten hat.
Ich betone nochmals, dass diese säkulare Aufgabe nicht allein wissenschaftlich zu lösen ist, sondern auch künstle-
risch unter einem umfassenden Begriff der Naturschönheit. So wie die Gartenkunst immer Ausdruck des jeweiligen
Naturverhältnisses war, muss auch heute unsere Auffassung von Natur – bestimmt durch das Zusammenwirken von
physis und techne und Tun und Lassen – Grundlage der Gartenkunst sein.
Auf die Profession hat sich diese Idee bisher aber kaum ausgewirkt. Sie hat die Spaltung in Ökologie und Gartenkunst
noch nicht überwunden, wie ich in meinen bisherigen Ausführungen nachgewiesen habe. Um die Ursache hierfür
zu ergründen, muss deshalb die Entwicklung und Bedeutung des Begriffes „Garten“ erhellt werden. Ist er überhaupt
mit der „Welt“ in einen Zusammenhang zu bringen?
Ich gehe, wie schon mehrfach in meinen Erörterungen, auf den fiktiven Begriff des „Urgartens“ zurück: Seine
Entstehung beruhte auf der Entdeckung, dass Kräuter sich besser entwickelten, wenn man sie in gelockerten Boden
pflanzte oder säte. Um das zu praktizieren, mussten die Menschen sesshaft werden und sich feste Unterkünfte schaf-
fen. Um die kultivierten Pflanzen vor Wildverbiss zu schützen, mussten die Beete eingefriedet werden. So entstand
der Urgarten. Eine wichtige Erfindung hierfür war der Zaun, der aus Weiden-„gerten“ geflochten wurde. Diese
Bauweise diente aber nicht nur zur Einfriedigung des Gartens, sondern aus den „gewundenen“ Weiden wurden
auch die „Wände“ der Häuser hergestellt. Diese etymologischen Zusammenhänge sind seit langem Gegenstand der
Gartentheorie.
Das Symbol für den eingefriedeten Garten ist der Hortus conclusus, in dem der ursprüngliche Zweck des Gartens,
Nahrungspflanzen zu schützen, zurück tritt. Er wird in Dichtung und künstlerischer Darstellung zum Raum der
Kontemplation und damit zur „Gegenwelt“, mit der allerlei Phantasien und „Wunschbilder“ verbunden sind.
Übereinstimmung mit dem Urgarten besteht nur darin, dass auch in ihm die „wilde Natur“ ausgeschlossen ist.
Mit der Ausbreitung des Ackerbaus veränderte sich das Bild. Auf gleicher Fläche konnten immer mehr Menschen
ernährt werden. Durch verbesserte Jagdmethoden wurde der Wildbestand dezimiert. Die Äcker brauchten nicht
mehr eingefriedet zu werden. Die Kulturtechnik: Lockerung des Bodens, physis und techne, war die gleiche. Es ent-
stand die Gefildelandschaft. In dieser entwickelte sich dann die Idee des Landschaftsgartens, dessen Wesensmerkmal
der zaunlose Übergang zur freien Landschaft ist. Dies war der erste Schritt zu der ‚Welt als Garten’.
Dieser Rückblick auf den Urgarten zeigt, dass die Einfriedigung das Sekundäre war. Primär geht es um die Kultivierung
der Nutzpflanzen; und so können wir weiter vom Garten sprechen, auch wenn die Zäune fehlen. Der
Hortus conklusus ist ein Relikt, das nur noch in der Konvention von Literatur und Kunst am Leben erhalten wird.
Er ist aber die Ursache für die Spaltung der Profession in Kunst und Ökologie: Gartenkunst, wie sie von der heutigen
‚Avantgarde’ verstanden wird, schließt sich ab gegen die ‚Welt’ der Ökologie. Symbolisch gesprochen, müssen wir
also den ‚Gartenzaun’ in den Köpfen beseitigen, um zu einer ‚Welt als Garten’ zu kommen. Um es auf den Punkt zu
bringen: Die Ansicht, „der Garten [sei] das komprimierte Wunschbild der Welt, ... die Sehnsucht nach dem Paradies,
... der letzte Luxus unserer Tage“ 426 ist irreführend. Ich setze dagegen: Der Garten der Welt gehört wie die Wohnung
zu den Grundbedürfnissen der Menschen.
Die Idee, die Welt als Garten zu sehen, wird trotzdem immer in der Gefahr sein, missverstanden zu werden. Es ist
deshalb zu überlegen, welche praktischen und geistigen Voraussetzungen dieser Idee zugrunde zu legen sind. Man
muss sich von verschiedenen Seiten an diese Frage herantasten, um schließlich dieses Symbol mit Inhalt zu füllen.
Wichtige Methoden meiner bisherigen Überlegungen waren die Form der Unterscheidung nach Spencer-Brown
und Luhmanns Systemtheorie. Deshalb erhebt sich die Frage:
Schwieriger ist die Frage, ob und wie die Welt als Garten als ein System im Sinne Luhmanns zu sehen ist. Dazu
wäre ein Code zu finden, unter dem alle Kommunikation über den Begriff zusammen zu fassen ist. Nach dem bis-
her Gesagten könnte die „Sicherung der Lebensgrundlagen“ ein Code sein. Festzustellen ist aber, dass die Sorge um
die Erhaltung der Lebensgrundlagen bisher zu einer bedenkenlosen Ausbeutung der Naturressourcen geführt hat.
Neben diesem Code wären sicher auch viele Programme zu benennen, nach denen in diesem System operiert wer-
den kann und somit wären zwei Kriterien, die zu einer Systembildung nach Luhmann gehören, benannt. Aber die
wichtigsten Kriterien fehlen: die Selbstreferentialität, die Autopoiese und die Geschlossenheit. Die Welt als Garten
erzeugt sich nicht selbst, und sie muss offen sein für alle Belange der Gesellschaft. So können wir sie also nur bedingt
als ein System betrachten; besser ist es wohl, anstatt dessen von einer Idee zu sprechen.
Die Vielzahl der ‚Programme’ weist darauf hin, dass es sich dabei um ein sehr komplexes Thema handelt. Schon
die Frage, was zu den Lebensgrundlagen gehört, ist kompliziert. Es geht nicht nur um die Ernährung, was
schon schwierig genug zu beantworten ist, es geht zum Beispiel auch um seelische Befindlichkeiten, soweit die-
se durch das Verhältnis zur Natur beeinflusst sind. Im Grunde sind alle bisher von mir beschriebenen Probleme,
Gesichtspunkte und Unterscheidungen in irgendeiner Weise programmatisch unter diesem Code einzuordnen. Zur
Vergegenwärtigung zähle ich einige Punkte auf:
• Gartendenkmalschutz
• Nachwachsende Rohstoffe
Es ist deutlich, dass es sich bei diesen Themen nach bisherigem Verständnis um mehr oder weniger geschlossene,
selbstreferentielle Systeme handelt. Gartenkunst, Ökologie und Naturschutz operieren, wie ich gezeigt habe, jeweils
unter einem eigenen Code. Ihre Inkommensurabilität ist mehrfach beschrieben worden, zum Beispiel von Ulrich
Eisel (1997). In diesen Systemen herrscht ein eigenartiger Zwang, der die Kommunikation untereinander - die
strukturelle Kopplung - erschwert oder verhindert. Es ist aber evident, dass diese Systeme zu der übergeordne-
ten Idee ‚Welt als Garten’ gehören. Die Voraussetzung für ihre Einordnung ist deshalb, dass ihre Codes aufgelöst
werden. Aus den geschlossenen Systemen werden dann wichtige Grundlagen der ‚Welt als Garten’. Das hört sich
zwar einfach an, setzt aber tatsächlich ein grundlegendes Umdenken voraus. Wenn ich zum Beispiel im System
Naturschutz, also in der Kommunikation über Natur, den zweiwertigen Code wertvoll / wertlos auflöse indem
Im Prinzip haben sich schon Luhmann und Habermas mit diesem Problem im weitesten Sinne auseinandergesetzt;
Habermas in seiner Diskursethik mit dem Ideal einer ‚herrschaftsfreien Kommunikation’. Ich bin aber auf einen
Denker aufmerksam geworden, der eine für mich sehr einleuchtende Theorie und Denkmethode entwickelt, der
sich vor allem gegen das Überhandnehmen des wissenschaftlichen Denkens wendet und für eine Annäherung der
Wissenschaften an die Künste eintritt. Es ist der Philosoph Paul Feyerabend.
Der spricht nicht nur eine für Philosophen ungewöhnliche Sprache, sondern er liebt es auch, zu provozieren. So ist
seine Äußerung zu sehen:
Der Gedanke einer festgelegten Methode oder einer feststehenden Theorie der Vernünftigkeit [beruht]
auf einer allzu naiven Anschauung vom Menschen und seinen sozialen Verhältnissen. Wer sich dem
reichen, von der Geschichte gelieferten Material zuwendet und es nicht darauf abgesehen hat, es zu
verdünnen, um seine ... Sucht nach geistiger Sicherheit in Form von Klarheit, Präzision, „Objektivität“,
„Wahrheit“ [zu befriedigen], der wird einsehen, daß es nur einen Grundsatz gibt, der sich unter allen
Umständen und in allen Stadien der menschlichen Entwicklung vertreten lässt. Es ist der Grundsatz:
Anything goes.427
Wegen dieses Grundsatzes ist Feyerabend oft kritisiert worden, von Leuten, die aber die darin enthaltene Ironie
nicht erkannten. „Anything goes“ meint „Alles“ und deshalb „Nichts“; es ist eine Leerformel.428 Feyerabend will da-
mit ausdrücken, dass es eben keinen Grundsatz gibt, der sich unter allen Umständen vertreten lässt. Er vertritt keine
Beliebigkeit, sondern sein Grundsatz ist die Pluralität:
Eine einheitliche Meinung mag das Richtige sein für eine Kirche, für die eingeschüchterten oder gie-
rigen Opfer eines (alten oder neuen) Mythos ... Für die objektive Erkenntnis brauchen wir viele ver-
schiedene Ideen. Und eine Methode, die die Vielfalt fördert, ist auch als einzige mit einer humanisti-
schen Auffassung vereinbar.429
Feyerabend gründet seine Theorie auf umfangreiche wissenschaftshistorische Untersuchungen und setzt sich auch
kritisch mit der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie auseinander. Ihm ist deshalb auch der Vorwurf gemacht wor-
den, ein wissenschaftlicher Anarchist zu sein. Das ist aber nur die Folge seiner ungewöhnlichen Denkmethode,
deren Problematik ihm durchaus bewusst ist:
Grundlegender theoretischer Wandel setzt ... neue Weltauffassungen und neue Sprachen voraus, um
sie auszudrücken. Nun ist der Aufbau einer neuen Weltauffassung und einer entsprechenden neu-
en Sprache etwas recht Langwieriges in der Wissenschaft und in der Metawissenschaft. Die Begriffe
der neuen Sprache klären sich erst, wenn der Vorgang schon ziemlich weit fortgeschritten ist, der-
art, daß jedes einzelne Wort Knotenpunkt zahlreicher Verbindungen zu anderen Wörtern, Sätzen,
Gedankensplittern, Gesten ist, die zunächst widersinnig wirken, aber sich als völlig vernünftig her-
ausstellen, wenn die Verbindungen begriffen werden. ... Man [muß] lernen, mit unerklärten Begriffen zu
argumentieren und Sätze zu verwenden, für die noch keine klaren Gebrauchsregeln vorhanden sind.430
Wenn Feyerabend die „Sucht nach Klarheit und Präzision“ kritisiert, erinnert mich das an das oben beschriebene
System der „Wettbewerbs-Gartenkunst“. So ist es auch folgerichtig, dass Feyerabend Wissenschaften und Kunst
unter den gleichen erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten beurteilt:
Weder die Künste noch die Wissenschaften kennen stabile Randbedingungen, die die Tätigkeit ihrer
Adepten ein für alle mal einschränken und mit einer Autorität versehen, die hinausgeht über die
Autorität bloßer Meinungen; weder die Wissenschaften noch die Künste können uns auf eine wis-
senschaftlich oder künstlerisch einwandfreie Weise sagen, wohin eine bestimmte Idee oder Methode
führen wird. Fachleute machen natürlich fortwährend solche Voraussagungen, und zwar mit gro-
ßer Bestimmtheit, aber die Geschichte ihrer Fächer zeigt, daß sie sich nicht dabei an die tatsächliche
Prinzipien ihrer Fächer halten, sondern sie verwandeln diese Prinzipien in politische Schlagworte oder
Dogmen.431
Nach diesen Überlegungen und Erkenntnissen komme ich zu dem Schluss, dass ich die ‚Welt als Garten’ sinnvoller
weise nicht als System sehen kann. Jedoch bleiben die Unterscheidungen, die ich behandelt habe – ‚physis / techne’
und ‚Funktion / Form’ usw. – die Grundlage aller Operationen. Da diese Unterscheidungen skaliert sind, muss im-
mer der jeweilig optimale Punkt auf der Skala bestimmt werden. Diese Frage ist das Kernproblem der Gartenkunst.
Bei Heidegger wird die Einheit (die Form der Unterscheidung) „von Welt und Erde erstritten“.
Einen ähnlichen Ansatz finde ich bei Jean- Francois Lyotard.432 Seine Ideen haben große Ähnlichkeit mit
Luhmanns Systemtheorie, nur dass er sie nicht von der Soziologie sondern von der Linguistik her entwickelt. An
die Stelle von ‚System und Code’ treten bei ihm ‚Diskursart und Satzregelsystem’. Auch hierbei gilt, dass zu einer
Diskursart ein bestimmtes Satzregelsystem gehört. Ändert sich dieses, dann ändert sich auch die Diskursart. Das
Ganze sieht Lyotard aber etwas ‚lockerer’ als Luhmann. Anstelle des starren Prinzips der strukturellen Kopplung
kann auch nach Lyotard ein Standpunkt zwischen den Diskursarten und den Satzregelsystemen erstritten werden.
Das ist Lyotards Widerstreit.
Die Form der Unterscheidung: physis / techne kann ich also auch als zu zwei Diskursarten gehörig betrachten. Sie
gehören in unserer Lebenswelt untrennbar zusammen und bleiben dennoch strikt unterschieden. Wie ich oben
dargestellt habe, kann physis überwiegen und techne der blinde Fleck sein. Das ist der Diskurs über ‚Naturschutz’,
und umgekehrt, wenn techne überwiegt, der über ‚Eingriff’. Was nun im konkreten Fall überwiegen soll, ist zu
„erstreiten,“ ist ein „Widerstreit.“ Gleiches gilt für alle Unterscheidungen.
Bei diesem Streit geht es auch um „Fakten“, die Gegenstand wissenschaftlicher oder politischer Erwägungen sein
können, aber im tieferen Sinne geht es um „Nichtidentisches“. Und so sehe ich als wichtigstes Lösungsprinzip Schillers
„Spieltrieb“, das heißt die künstlerische Durchdringung aller Lebensfragen. Das wäre der Sinn der Gartenkunst in
der Welt als Garten.
Das unumgehbare Leitmotiv für die Welt als Garten ist: Die nachhaltige Sicherung der Lebensgrundlagen der
Menschheit. Die Grundlagen für dieses Leitmotiv sind wissenschaftliche ökologische Erkenntnisse aber auch ethi-
sche und künstlerische Prinzipien. Dem müssen sich alle Systeme der Welt unterwerfen.
Heidegger nähert sich diesem Thema, wie so oft, über die Sprache. Danach ist das Wort ‚bauen’ von dem althoch-
deutschen ‚buan’ abgeleitet, welches ‚wohnen’ bedeutet. „Die eigentliche Bedeutung des Zeitwortes bauen, nämlich
wohnen, ist uns verloren gegangen. Eine verdeckte Spur hat sich noch im Wort ‚Nachbar’ erhalten. Der Nachbar
ist der ‚Nachgebur’, ... derjenige, der in der Nähe wohnt.“ Im niederdeutschen ‚Nahber’ wird das noch deutlicher.
„Die Zeitwörter buri, büren, beuren, beuron, bedeuten alle das Wohnen, die Wohnstätte.“ (Zum Beispiel in den
Ortsnamen ‚Wesselburen’ oder ‚Ibbenbüren’). Doch Heidegger geht dem Bedeutungsursprung noch weiter nach:
Wo das Wort bauen noch ursprünglich spricht, sagt es zugleich, wie weit das Wesen des Wohnens
reicht. Bauen, buan, bhu, beo ist nämlich unser Wort „bin“ in den Wendungen: ich bin, du bist, die
Imperativform bis, sei. Was heißt dann: ich bin? Das alte Wort bauen, zu dem das „bin“ gehört, antwor-
tet: „ich bin“, „du bist“ besagt: ich wohne, du wohnst. Die Art, wie du bist und ich bin, die Weise, nach
der wir Menschen auf der Erde sind, ist das Buan, das Wohnen. Mensch sein heißt: als Sterblicher auf
der Erde sein, heißt: wohnen. Das alte Wort bauen, das sagt, der Mensch sei, insofern er wohne, dieses
Wort bauen bedeutet nun aber zugleich: hegen und pflegen, nämlich den Acker bauen, Reben bauen.
Solches Bauen hütet nur, nämlich das Wachstum, das von sich aus seine Früchte zeitigt.
Heidegger unterscheidet Bauen als Herstellen und Bauen als Pflegen. Beide sind „in das eigentliche Bauen, das
Wohnen, einbehalten.“
Das Bauen als Wohnen, d. h. auf der Erde sein, bleibt nun aber für die alltägliche Erfahrung des
Menschen das im vorhinein, wie die Sprache so schön sagt, „Gewohnte“ Darum tritt es hinter den
mannigfaltigen Weisen, in denen sich das Wohnen vollzieht, hinter den Tätigkeiten des Pflegens und
Errichtens zurück. Diese Tätigkeiten nehmen in der Folge den Namen bauen und damit die Sache des
Bauens für sich allein in Anspruch. Der eigentliche Sinn des Bauens, nämlich das Wohnen, gerät in die
Vergessenheit.
Er geht aber weiter der Sprache nach, um das Wesen des Wohnens zu erhellen und bezieht sich auf das gotische
Wort „wunian“, das „ebenso wie das alte Wort bauen das Bleiben, das Sich-Aufhalten“ bedeutet. Es heißt aber auch:
„zufrieden sein, zum Frieden gebracht, in ihm bleiben. Das Wort Friede meint das Freie, das Frye und fry bedeutet:
bewahrt vor Schaden und Bedrohung, bewahrt vor... d. h. geschont.“
Das Schonen selbst besteht nicht nur darin, daß wir dem Geschonten nichts antun. Das eigentliche
Schonen ist etwas Positives und geschieht dann, wenn wir etwas zum voraus in seinem Wesen belassen,
wenn wir etwas eigens in sein Wesen zurückbergen. ... Der Grundzug des Wohnens ist dieses Schonen. Er
durchzieht das Wohnen in seiner ganzen Weite. Sie zeigt sich uns, sobald wir daran denken, daß im
Wohnen das Menschsein beruht und zwar im Sinne des Aufenthalts der Sterblichen auf der Erde.
Zu der „Erde“ denkt Heidegger den „Himmel“ hinzu und zu den „Sterblichen“ die „Göttlichen“. Diese Vier bilden
eine „ursprüngliche Einheit“. Er erläutert diese Begriffe im Einzelnen:
Der Himmel ist der wölbende Sonnengang, der gestaltwechselnde Mondlauf, der wandernde Glanz der
Gestirne, die Zeiten des Jahres und ihre Wende, Licht und Dämmer des Tages, Dunkel und Helle der
Nacht, das Wirtliche und Unwirtliche der Wetter, Wolkenzug und blauende Tiefe des Äthers. ...
Die Göttlichen sind die winkenden Boten der Gottheit. Aus dem heiligen Walten dieser erscheint der
Gott in seine Gegenwart oder er entzieht sich in seine Verhüllung. ...
Die Sterblichen sind die Menschen. Sie heißen die Sterblichen, weil sie sterben können. Sterben heißt,
den Tod als Tod vermögen. Nur der Mensch stirbt und zwar fortwährend, solange er auf der Erde, unter
dem Himmel, vor den Göttlichen bleibt. ...
Jeder Absatz schließt mit der Bemerkung, dass wir mit jedem Begriff die anderen drei „mitdenken“. Heidegger kon-
struiert also hier eine Einheit – eine mit vier Seiten - er nennt sie „das Geviert“. „Die Sterblichen sind im Geviert,
indem sie wohnen.“
Ich sehe eine Übereinstimmung des „Gevierts“ mit Spencer-Browns „Form der Unterscheidung“, die knapp zwei
Jahrzehnte später entwickelt wurde. Auch das Geviert ist keine Form der Dialektik mit These und Antithese, son-
dern eine Form der Unterscheidung, aber eine mit vier Seiten. Das Motiv oder der Kontext dieser Unterscheidung
ist das Wohnen. Ich stelle diese Einheit so dar:
Alle vier Seiten gehören zum Wohnen. - Um nun die Verbindung zu der ‚Welt als Garten’ und zur ‚Gartenkunst’
herzustellen, will ich versuchen, die Intentionen Heideggers so zu interpretieren, dass sie zur tragenden Idee dieser
Arbeit beitragen: 434
Die „Erde“, die „dienend Tragende“ steht im Geviert als die allgemeine Lebensgrundlage des Menschen. Dazu ge-
hören die Äcker, die Wiesen, Wälder, Seen, die Meere und die Bodenschätze.
Auch der Himmel ist Voraussetzung des Lebens auf der Erde. Ohne die Sonne gäbe es keine Assimilation in den
Pflanzen, und diese könnten nicht wachsen, wenn das Wasser der Meere nicht verdunsten und als Regen das Leben
spendende Wasser bringen würde.
Was Heidegger mit dem Begriff „die Sterblichen“ meint, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Ich deute den
Satz: „Nur der Mensch stirbt ... fortwährend, solange er auf der Erde, unter dem Himmel, vor den Göttlichen bleibt“
so: Nur der Mensch hat – im Gegensatz zum Tier - das Bewusstsein, sterblich zu sein. Aber gerade dieses Bewusstsein
ist die Voraussetzung dafür, dass der Mensch ein Gefühl der Verantwortung für die folgenden Generationen entwic-
keln kann und deshalb die Erde „schont“. Statt „die Sterblichen“ können also wir auch „die Verantwortlichen“
434 Anzumerken ist, dass Heideggers Begriffe immer in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen sind; hier zum
Beispiel die „Erde“ im Kontext „Wohnen“ oder - siehe oben - im Kontext „Kunstwerk“.
Problematisch ist für mich der Begriff „die Göttlichen“, also das, was die Menschen seit jeher „hinter den Dingen“
gesehen haben, und was sie sich nur in einer personifizierten Form vorstellen konnten. Burkhard Biella nennt
dies eine „anthropomorphe Hypostasierung“ und schlägt vor, „statt dessen vom Unverfügbaren zu sprechen,“ 435
was aber auch nicht sehr verständlich ist. Seit der Aufklärung ist dieser Bereich menschlichen Denkens in viel-
facher Form und Blickrichtung behandelt worden in unterschiedlicher Begrifflichkeit. Für mein Vorhaben, die
‚Welt als Garten’ und die Gartenkunst mit Heideggers „Geviert“ in Verbindung zu bringen, wähle ich anstatt der
„Göttlichen“ einen Begriff der Brüder Böhme: „Das Andere der Vernunft“. 436 Einfach ausgedrückt heißt das,
dass wir Vorstellungen oder Empfindungen haben, die wir uns vernunftmäßig oder wissenschaftlich nicht erklären
können. Das hat sich zwar in der Menschheitsentwicklung ständig verändert. Die Blitze, die einst den Göttern zu-
geschrieben wurden, können wir uns heute physikalisch erklären. Gegenwärtig glauben die Mikrobiologen, mit der
Entschlüsselung der DNA dem Geheimnis des Lebens nahe zu kommen.437 Aber soweit auch die Wissenschaft fort-
schreitet, es bleibt immer etwas, das sich unserem begrifflichen Denken entzieht. Dem entspricht auch die Aussage
Martin Seels: „soviel [der Mensch] mit dem Werden der Natur machen kann, er kann das Werden der Natur nicht
machen.“ 438 Das ist jedoch nicht Ausdruck von Resignation, sondern im Gegenteil: Das Ergründen des ‚Anderen der
Vernunft’ – des Göttlichen - ist Wesensmerkmal des Menschen und gehört zum „Wohnen“.
Wie ist nun heute das „Wohnen“ im Sinne Heideggers zu sehen? Eine Bilanz ist eher negativ. Die Erde wird nicht
geschont, sondern bedenkenlos ausgebeutet, mit der Folge zunehmender Wüstenbildung. Die CO2 -Belastung wirkt
sich auf den „Himmel“ aus, wie Heidegger es nicht ahnen konnte. Diese Probleme sind heute allgemein so bewusst,
dass ich sie nicht näher erörtern muss. Sie sind auch, soweit die ‚Verantwortlichen’ zur Vernunft kommen, wissen-
schaftlich und politisch lösbar.
Wenn aber das „Wohnen“ im Sinne Heideggers in der Welt als Garten gelingen soll, dann muss das Viertel aus dem
Geviert, das „Göttliche“, das ich das „Andere der Vernunft“ nenne, mit zu Grunde gelegt werden.
Für viele ist der Weg dazu nach wie vor die Religion. Esoteriker haben verschiedene Methoden, den Zugang
zum Übersinnlichen zu finden. Seit der Aufklärung ist zunehmend die Philosophie die kompetente Instanz.
Ausdrucksmittel ist jedoch seit Urzeiten die Kunst und somit auch die Gartenkunst, wenn auch in wechselnden
Formen. Adorno sieht „das theologische Erbe der Kunst“ in der „Säkularisation von Offenbarung“ 439 und auch
Schmücker sieht in der Kunst ein „verdinglichtes Offenbarungsgeschehen.“ 440 Die Frage nach dem Wesen der
Gartenkunst muss also das „Andere der Vernunft“ mit einbeziehen.
• „erkennbare gültige Regeln [!] einer künstlerischen Gestaltung ... angewandt wurden“
Solche zirkulären Definitionen gibt es aber auch von anerkannten Experten wie Frank Sibley, dessen „überaus
einflussreiche[r] Essay über ‚Ästhetische Begriffe’“ von Karlheinz Lüdeking kritisch kommentiert wird: Nach
Sibley ist zur Beantwortung der Frage, was Kunst sei, Geschmack erforderlich.
Was aber ist unter Geschmack zu verstehen? Sibley sagt dazu zunächst nur, es sei nicht eine subjek-
tive Vorliebe (im Sinne von „Geschmacksache“) gemeint, sondern die Fähigkeit, „zu bemerken oder
zu sehen oder zu erkennen, daß Dinge bestimmte Qualitäten haben.“ Diese „bestimmten“ Qualitäten
der Dinge, die man mit Hilfe des Geschmacks feststellen kann, sind natürlich genau ihre ästhetischen
Qualitäten und damit wird die Definition zirkulär: Ästhetische Begriffe sind jene, zu deren Verwendung
Geschmack erforderlich ist, und Geschmack ist die Fähigkeit, die Qualitäten festzustellen, die mit ästhe-
tischen Begriffen bezeichnet werden. 442
Alle diese logischen Zirkel bringen das jeweilige subjektive Gefühl über das, was Kunst sei, zum Ausdruck. Sie zei-
gen aber auch, dass das Wesen der Kunst nicht logisch erklärbar ist.
Das heißt aber nicht, dass bestimmte Bedingungen der Kunstproduktion und –rezeption nicht formuliert werden
können. So muss ein Künstler selbstverständlich die Mittel seines Metiers beherrschen. Das sagt schon der Kalauer,
der in der Umfrage der DGGL auch gebracht wurde: „Kunst kommt von Können, wenn es von Wollen käme, hieße
es Wunst.“ - Und ebenso selbstverständlich ist es, dass ein Rezipient ein gewisses Interesse und Aufgeschlossenheit
für Kunst haben muss.
Wichtiger sind die Fragen und Bedingungen der Wahrnehmung, die ich im 6. Kapitel behandelt habe, als deren
Grundlage ich im Kontext der Adaptation die Unterscheidung von Assimilation und Akkommodation sehe. Diese
Formen der Wahrnehmung sind konstitutiv für Kunstschaffen und Kunstgenuss: sie erklären aber noch nicht das
eigentliche Wesen der Kunst.
Der Abschnitt „Fühlen und Denken“ bringt uns der Kernfrage näher. „Affekte“ als „umfassende körperlich-see-
lische Gestimmtheiten“ kann man auch als „das Andere der Vernunft“ sehen. 443 Martin Seel formuliert dies so:
In der Erfahrung vieler Kunstwerke – aber auch der erhabenen Natur – erleben wir Phasen eines aku-
stischen oder visuellen Rauschens, eines Geschehens ohne erkennbar Geschehendes, das zwar sinnlich
Wichtig ist die Unterscheidung der Kunst als Erkenntnisform. Wie Konrad Paul Liessman ausführlich referiert, un-
terscheidet schon Konrad Fiedler (1841 – 1895) „die Welt des Künstlers“ von der Welt „des diskursiven Denkens.“
Alle Kunst ist Entwicklung von Vorstellungen, sowie alles Denken Entwicklung von Begriffen ist.“
Beide dieser Verfahren dienen der Erkenntnis, ohne daß sie sich wechselseitig aufeinander beziehen
können. Unter diesem Gesichtspunkt ist Erkenntnis für Fiedler auch die entscheidende Bestimmung
für Kunst: „Nur wer die Kunst weder einem ästhetischen noch einem symbolischen Zwecke dienstbar
macht, wird ihr ganz gerecht werden können; denn sie ist mehr als ästhetisches Reizmittel und mehr
als Illustration, sie ist eine der Erkenntnis dienende Sprache. 445
Ein bedeutendes Werk der Kunsttheorie ist Adornos „Ästhetische Theorie.“ Sie enthält entscheidende Anregungen
in der Frage nach dem Wesen der Kunst.
Adornos Denkansatz ist ein differenztheoretischer. Er nennt ihn zwar dialektisch, er entspricht aber genau dem
Prinzip der ‚Form der Unterscheidung mit zwei Seiten.’ Seine wichtigsten Gegensatzpaare sind:
• Konstruktion / Mimesis
• Versöhntes / Unversöhntes
• Identisches / Nichtidentisches
Sie beziehen sich auf Kunst als Produktion und als Rezeption. Ihre Bedeutungen überlagern sich zum teil; auch sie
bilden ein „Gewebe.“
Mimesis
Adorno verwendet einen Begriff der alten Griechen als einen Schlüssel zu seiner Kunsttheorie, die Mimesis.
Mimesis heißt ursprünglich: Darstellen des Göttlichen im kultischen Tanz, als „sinnlichen Ausdruck dessen,
was unserer Wahrnehmung entgeht.“ 446 Durch Platon erfährt diese Bedeutung jedoch einen entscheidenden
Wandel. Platon sieht „die Künste als bloße Nachahmung dritten Ranges der Ideen: als Abbild von Abbildern.“ 447
Die Wirklichkeit ist für Platon nur ein Schatten der Ideen (siehe das Höhlengleichnis). Die Kunst ist deshalb für ihn
drittrangig.448 Erst in der Renaissance wird die getreue Abbildung der Natur wieder zur legitimen Aufgabe der Kunst,
bis sie in der Moderne als ‚Naturalismus’ endgültig in Verruf kam.
Adorno benutzt ‚Mimesis’ im Sinne des ‚Anderen der Vernunft’. Er betrachtet das Kunstwerk als Einheit aus der
Mimesis und dem Konstruktiven oder Rationalen. Danach ist „Konstruktion die ... einzig mögliche Gestalt des ra-
tionalen Moments im Kunstwerk, ... ist in der Monade des Kunstwerks ... der Statthalter von Logik und Kausalität
Die Sentimentalität und Schwächlichkeit fast der gesamten Tradition ästhetischer Besinnung rührt
daher, daß sie die der Kunst immanente Dialektik von Rationalität und Mimesis unterschlagen
hat. ... Fortlebende Mimesis, die nichtbegriffliche Affinität des subjektiv Hervorgebrachten zu sei-
nem Anderen, nicht Gesetzten, bestimmt Kunst als eine Gestalt der Erkenntnis, und in sofern ih-
rerseits als ‚rational’. Denn worauf das mimetische Verhalten anspricht, ist das Telos der Erkenntnis,
das sie durch ihre eigenen Kategorien zugleich blockiert. Kunst komplettiert Erkenntnis um das
von ihr Ausgeschlossene und beeinträchtigt dadurch wiederum den Erkenntnischarakter, ihre
Eindeutigkeit,“ 450 (Hvh. A.S.)
Mimesis ist in der Kunst das Vorgeistige, dem Geist Konträre und wiederum das, woran er entflammt.
In den Kunstwerken ist der Geist zu ihrem Konstruktionsprinzip geworden, aber genügt seinem Telos
nur dort, wo er aus dem zu Konstruierenden, den mimetischen Impulsen, aufsteigt, ihnen sich an-
schmiegt, anstatt daß er ihnen souverän zudiktiert würde. 451
Es dürfte klar sein, dass es hier um das eigentliche Wesen der Kunst geht. Zur Verdeutlichung zitiere ich, was
Friedrich Tomberg im Anschluss an Adorno schreibt:
Echte Mimesis bezieht sich auf das, was an den Dingen mehr ist als ihr vorweg bekanntes Dasein,
auf das Nichtidentische an ihnen. Sie ist ungegenständliche Nachahmung und damit nicht Imitation
eines Wirklichen, sondern Vorwegnahme eines Ansichseins, das noch gar nicht ist. Diese Möglichkeit
schreibt Adorno der Kunst zu, sofern sie nur auf sich selbst als Schöpfung und nicht auf Geschaffenes
bezogen ist und in dieser Formimmanenz zum Gleichnis des Absoluten, als des Nichtbedingten, gegen-
ständlich Unnachahmlichen wird. – Mimesis bedeutet nach Adorno ursprünglich die „dem Lebendigen
tief einwohnende Tendenz, deren Überwindung das Kennzeichen alles Lebendigen ist: ...dem Hang
sich gehen zu lassen, zurückzusinken in Natur.“ 452 (Hvh. A.S.)
Mimesis und Konstruktion gehören also im Kunstwerk zusammen, und doch ist „die Divergenz des Konstruktiven
und des Mimetischen von keinem Kunstwerk zu schlichten.“ Es ist eine Form der Unterscheidung mit zwei Seiten.
Adorno stellt auch fest, dass das Verhältnis der beiden Seiten dieser Unterscheidung ein skaliertes ist: „... die fraglose
Polarität des Mimetischen und Konstruktiven [ist] nicht ... auf eine invariante Formel zu reduzieren.“ 453
Ein weiteres Begriffspaar, dessen Divergenz „nicht zu schlichten“ ist, und das wie ‚Mimesis’ in der ‚Ästhetischen
Theorie’ immer wieder erörtert wird, ist das Versöhnte und das Unversöhnte. Während die Konstruktion
und die Mimesis sich auf das Schöpferische in der Kunst und das Identische und Nichtidentische sich auf die
Erkenntnismöglichkeit beziehen, ist die Unterscheidung von Versöhntem und Unversöhntem Adornos Schlüssel für
die Rezeption von Kunst.
Diesen Zustand kann man nach Adorno als den unversöhnten bezeichnen. Der Gegenpol dieser Unterscheidung
ist die „Versöhnung als Gewalttat“ im „formalistischen Klassizismus.“ 454 Kunstrezeption ist also sozusagen das
Spannungsfeld zwischen Versöhntem und Unversöhntem. Versöhnung heißt Annäherung an das Mimetische, heißt
aber nicht dass dieses zum Identischen wird. Versöhnung ist die
Verhaltensweise, die des Nichtidentischen inne wird. ... Versöhnung als Verhaltensweise ... wird
heute gerade dort verübt, wo die Kunst der Idee von Versöhnung absagt, in Werken, deren Form
ihre Unerbittlichkeit diktiert. Noch solche unversöhnliche Versöhnung in der Form jedoch hat zur
Bedingung die Unwirklichkeit der Kunst. 455 (Hvh. A. S.)
Die Bedeutung dieser Begriffe changiert in eigentümlicher Weise bis zur Paradoxie. Dem entspricht aber das Wesen
der Kunstproduktion und –rezeption. Die klassische Kunstauffassung war bestimmt durch das, was Kant das „all-
gemeine Gefallen“ nannte, das aber – wie wir gesehen haben – von Experten mit „Geschmack“ definiert war.
Hierüber gab es keinen Streit; diese Kunst war das absolut Versöhnte. Die moderne Kunst ist dagegen der Streit
zwischen Versöhntem und Unversöhntem. Ich sehe hier eine enge gedankliche Beziehung zu Heidegger, der über
das Verhältnis von „Erde“ und „Welt“ sagt: „Der Streit ist kein Riß als das Aufbrechen einer bloßen Kluft, sondern
der Streit ist die Innigkeit des sich Zugehörens der Streitenden.“ 456 Dabei steht „Erde“ für das Verborgene, das
Nichtidentische, das Unversöhnte und „Welt“ für das Offene, das Identische, das Versöhnte. Alle diese Begriffspaare
gehören zusammen, jeweils als ‚Form der Unterscheidung mit zwei Seiten’.
Diese hat aber hier einen besonderen Charakter. Die Unterscheidung physis / techne zum Beispiel ist eindeutig,
beide Seiten lassen sich genau bestimmen, was ich ausführlich beschrieben habe. Das Wesen des Kunsterlebnisses
besteht aber darin, dass durch Innewerden des Unversöhnten dieses sich in Versöhnung wandelt. Adorno sieht dar-
in einen „Prozeß“ des „ästhetischen Verhaltens“, der im „Verhältnis des Einzelnen zur Kunst“ stattfindet. „Am Ende
wäre das ästhetische Verhalten zu definieren als die Fähigkeit, irgend zu erschauern, so als wäre die Gänsehaut das
erste ästhetische Bild.“ 457
Zur weiteren Klärung füge ich ein Zitat Martin Seels an. Dabei sehe ich zwischen der „Beherrschbarkeit“ und
„Unbeherrschbarkeit“ Seels und dem „Versöhnten“ und „Unversöhnten“ Adornos eine deutliche Übereinstimmung:
Nicht die Bestimmbarkeit - und damit letztendlich die Beherrschbarkeit - , sondern vielmehr die
Unbestimmbarkeit und letztendliche Unbeherrschbarkeit des Wirklichen ist die Quelle der ästheti-
schen Lust. Im ästhetischen Zustand überwinden wir den Glauben an die Möglichkeit und den Sinn
einer vollständigen Bestimmbarkeit des Gegebenen. Die ästhetische Lust ist von einem Interesse am
Unbekannten geleitet; entsprechend hat die spielerische Selbstgewinnung in der freien ästhetischen
Betrachtung als Kehrseite eine ekstatische Selbstpreisgabe. ... In der Erfahrung vieler Kunstwerke –
aber auch der erhabenen Natur – erleben wir Phasen eines akustischen oder visuellen Rauschens,
eines Geschehens ohne erkennbar Geschehendes, das zwar sinnlich verfolgt, aber nicht kognitiv er-
Konkret lässt sich das prozessuale Verhältnis zwischen ‚Versöhntem’ und ‚Unversöhntem’ am Beispiel des
Musikverständnisses darstellen. Jemand, der die klassische Musik – etwa bis Brahms – verinnerlicht hat und zum
ersten Mal zum Beispiel die fünfte Sinfonie von Mahler hört, wird manches zunächst als ‚Rauschen’ empfinden.
Durch Akkommodation kann aber dann beim Hören des vierten Satzes, des Adagiettos, das eintreten, was Adorno
den „Schauer“ nennt, das „Gänsehaut“-Erlebnis.459 Das ist der Punkt der Versöhnung. Bei wiederholtem Hören wird
diese Musik immer noch besondere Empfindungen auslösen, etwa bei einer besonders eindringlichen Interpretation.
Der Schauer wird sich seltener einstellen. Das Versöhnte wird zum Bestand der musikalischen Erlebniswelt und der
Musikliebhaber wird sich vielleicht mit Richard Strauss und Schönberg auseinander setzen. - Problematisch wird es,
wenn zum Beispiel das Thema aus dem Schlusssatz von Beethovens 9. Sinfonie von der Schlagerindustrie verein-
nahmt wird. Dadurch kann der Zugang zu dem mimetischen Gehalt des Kunstwerkes sehr gestört werden. Das gilt
im gewissen Maße auch für die massenhafte Darstellung der Natur in Hochglanzbildern und Film. Dadurch kann
die originäre Wahrnehmung eher behindert werden.
Dadurch komme ich noch zu einem anderen Gesichtspunkt der Kunstausübung, die Interpretation von Musik und
Dichtung und im Zusammenhang damit zu der kollektiven Wirkung von Kunst. Ein Orchesterwerk gelingt nur,
wenn die Musiker und der Dirigent gemeinsam auf eine Idee der Interpretation eingestimmt sind. Das Besondere
dieser Kunstgattung ist, dass dieses Gestimmte - im gelungenen Fall - sich auf die Hörer überträgt. Das gilt auch für
die Schauspielkunst. Man kann vom festlichen Charakter eines Kunsterlebnisses sprechen, wenn dieses in einer
Gemeinschaft von Gleichgestimmten stattfindet. Deutlich konnte man das in der Menge spüren, die staunend vor
Christos verhülltem Reichstag stand. - Ich erwähne dies, weil ich eine gleiche Wirkung in der Gartenkunst sehe,
nämlich zum Beispiel in einer gelungenen Gartenschau, wo man schon mal von einem Gartenfest sprechen kann,
in dem die Besucher durchaus in einem Gemeinschaftsgefühl für die Naturschönheit aufgeschlossen sind. Ich sehe
hierin übrigens auch eine Wirkung der oben beschriebenen ‚Morphischen Resonanz’.
Adorno spricht in einem anderen Fall von „falscher Versöhnung“, wenn „radikal abstrakte[ ] Malerei ... zum
Wandschmuck des neuen Wohlstands“ wird.460 Und er sieht noch eine anderen Aspekt in der Entwicklung: „In der
Geschichte der bildenden Kunst und Literatur [wurden] stets neue Schichten der äußeren Welt sichtbar, entdeckt
und assimiliert, während andere abstarben, ihre Kunstfähigkeit verloren.“ 461 Das heißt aber nicht, dass alle alten
Werke nun für uns keine Kunst mehr sind; im Gegenteil, das jeweilige, für seine Zeit Rationale und Konstruktive,
bleibt Gegenstand unserer Bewunderung genau so wie das, was wir als das Mimetische jener Zeit erkennen. So ist
zum Beispiel ein Barockgarten für uns hohe Gartenkunst, wenn er auch unserem heutigen Naturverständnis nicht
mehr entspricht, und bei manchen großen Kunstwerken, wie Friedrichs „Mönch am Meer“ spüren wir auch heute
noch den mimetischen Gehalt.
Diese Prozesshaftigkeit relativiert also nicht den Erkenntnischarakter der Kunst. In jedem gelungenen Kunstwerk ist
ein Überschuss enthalten, der sich der Vernunft entzieht und das Bewusstsein seiner Zeit erweitert. Als Konstante
bleibt immer die Mimesis erhalten, das Suchen nach dem Anderen der Vernunft und – so Heidegger – nach dem
Göttlichen.
Ich habe schon in der Einleitung auf das Problem hingewiesen, das die heutigen Gartenkünstler mit dem Begriff
des Naturschönen haben. (Siehe Anm. 17) Dieser Begriff wird ständig mit ‚Naturalismus’ in Verbindung gebracht,
was der Dominanz des Kunsthistorischen im Diskurs über Gartenkunst geschuldet ist. Alle meine bisherigen
Überlegungen zielten auf den Grundgedanken, dass das Naturschöne das eigentliche Motiv der Gartenkunst ist. Die
Unmittelbarkeit der Naturwahrnehmung unterscheidet die Gartenkunst von der bildenden Kunst.
Die Klärung dieser Frage ist unerlässlich, wenn wir dem Ideal der ‚Welt als Garten’ näher kommen wollen. Es geht
also um das Verhältnis zwischen Natur und Kunst oder speziell um die Unterschiede deren Wahrnehmung und
Rezeption.
Ich habe im 6. Kapitel dargelegt, dass in der Kunst Produktion und Rezeption eng aufeinander verwiesen sind;
Kunst zu verstehen ist eine geistige Leistung. Dasselbe gilt für die Naturwahrnehmung, deren psychologischen
Bedingungen ebenfalls beschrieben wurden. (Siehe Anm. 258 – 262). Es geht in beiden Fällen um die Spannung
zwischen Assimilation und Akkommodation. Aber das Empfinden des Naturschönen ist mit wahrnehmungspsycho-
logischen Kriterien allein nicht zu erklären. Ich folge deshalb weiter den Ausführungen Adornos, seinen berühmten
Sätzen:
Das Naturschöne ist die Spur des Nichtidentischen an den Dingen im Bann universa-
ler Identität. Solange er waltet, ist kein Nichtidentisches positiv da. Daher bleibt das
Naturschöne so versprengt und ungewiß [so] wie das, was von ihm versprochen wird, alles
Innermenschliche überflügelt. 462
Ein Kern dieser Aussage ist der „Bann universaler Identität.“ Das heißt, dass wir im Allgemeinen die Erscheinungen
der Natur im begrifflichen Sinne als schön empfinden. Wenn wir zum Beispiel die botanischen Merkmale von Rosen
oder ihr gesundes Laub, die schöne Farbe und die gute Verzweigung beschreiben, oder wenn der Förster die gute
Bestockung seines Waldes hervorhebt, dann sind das identische Aussagen. Und nur in einer besonderen Stimmung
oder unter besonderen Bedingungen fühlen – ‚erkennen’ - wir „die Spur des Nichtidentischen“, das Naturschöne.
Dieses ‚Erkennen’ ist aber begrifflich nicht zu fassen. Nur Dichter vermögen dies in gelingenden Werken. Es erinnert
mich an Martin Seels Kontemplation. 463- Adorno führt den Gedanken unter Einbeziehung der Kunst fort:
Das Lückenlose, Gefügte, in sich Ruhende der Kunstwerke ist Nachbild des Schweigens, aus wel-
chem allein Natur redet. Das Schöne an der Natur ist gegen herrschendes Prinzip wie gegen diffuses
Auseinander ein Anderes; ihm gliche das Versöhnte. 464 (Hvh. A.S.)
Diese Gedanken rühren an das Wesen des Naturempfindens und der Kunst und besonders also auch der Gartenkunst.
Wir erfahren sie in ähnlicher Form auch bei anderen Philosophen. So bei Lyotard, der im Hinblick auf seine
Auffassung der Postmoderne schreibt:
[Diese] wäre dasjenige, das im Modernen in der Darstellung selbst auf ein Nichtdarstellbares anspielt;
das sich dem Trost der guten Formen verweigert; ... das sich auf die Suche nach neuen Darstellungen
begibt, jedoch nicht um sich an deren Genuß zu verzehren, sondern um das Gefühl dafür zu schärfen,
daß es ein Undarstellbares gibt.465
Seit Heidegger dem Zuhandenen und Vorhandenen das Sein gegenübergestellt und Adorno das
Zauberwort vom ‚Nichtidentischen’ in die Welt gesetzt hat, ist eine Positivierung des Unwahrscheinlichen,
Irregulären, Nichtverfügbaren im Gange, die man für theologisch halten könnte, wenn sie nicht ein-
fach realistisch wäre.
Und im Zusammenhang hiermit zitiert er Lyotards „Darstellung des Undarstellbaren“ und fragt, „was aus diesen
unbestreitbaren Grenzen der Darstellbarkeit eigentlich folgt“
Es folgt, daß in jeder Darstellung vieles nicht dargestellt bleibt. Je mehr und genauer dargestellt
wird, jedes Mal wiederholt sich das Verhältnis von Dargestelltem und (in der jeweiligen Darstellung)
Undargestelltem. Es ist unmöglich, eine Brücke oder Blume oder sonst einen Wahrnehmungsgegenstand
vollständig darzustellen. Es ist aber keineswegs unmöglich, eine Blume oder Brücke zutreffend zu
identifizieren und zu charakterisieren. Erst in der Darstellbarkeit, heißt das, tritt Undarstellbarkeit
auf. ... Dieses Undarstellbare ist aber nichts außerhalb des Darstellbaren, es ist ein Verhältnis des
Darstellenkönnens selbst. 466
Somit sind einige wichtige Grundsätze der Produktion und Rezeption von Kunst und Gartenkunst umschrieben.
Heideggers Paradigma vom Wohnen kann als Rahmen für die Idee der ‚Welt als Garten’ dienen und Adornos ästheti-
sche Theorie kann als Zugang zu dem Viertel des Gevierts, dem „Göttlichen“ gelten. Das sind sicher keine „Rezepte“,
nach denen man Kunst „machen“ kann. Aber die Formen der Unterscheidung: Konstruktion / Mimesis, Versöhntes
/ Unversöhntes und Identisches / Nichtidentisches sind Maßstäbe der Überprüfung in Fragen der Kunst und der
Gartenkunst. In Bezug auf die heutige Situation stelle ich fest, dass Gartenkunst nicht nur darin bestehen kann, ex-
zentrische Formen – zumal aus der bildenden Kunst entlehnt – zu verwenden. Das Nichtidentische, Nichtdarstellbare
kann in jeder Blume, in jeder Atmosphäre, in jedem gestalteten Freiraum aufscheinen. Die Grundlage ist immer
unser Verhältnis zur Natur, das Wirken von techne auf physis und die Abwägung zwischen Tun und Lassen. Das ist
das originäre Thema der Gartenkunst.
Mit dieser soziologischen Frage setzt sich Wolfram Höfer ausführlich auseinander und kommt zu Ergebnissen, die
auf mich zum Teil recht befremdlich wirken, und zu meiner obigen Systemkritik passen.468 Höfer erörtert mit Bezug
auf das Werk des französischen Soziologen Bourdieu, „Der feine Unterschied“, 469 „[die] Funktion [des ästhetischen
Urteils] im Kampf um gesellschaftliche Positionen, ... denn die Verschärfung dieses Kampfes ist ein wesentliches
Merkmal gesellschaftlicher Flexibilisierung: Eine ererbte [!] oder erworbene Position muß immer wieder gegenüber
Konkurrenten verteidigt werden.“ 470
Er bezieht sich auf Kant und stellt fest, dass das reine ästhetische Urteil „nicht von allen Menschen in gleicher
Weise“ gefällt werden kann. Grundsätzlich trüge „zwar jeder die Möglichkeit zum ästhetischen Urteil in sich,“ aber
nur derjenige sei tatsächlich zu diesem Urteil fähig, „der sich selbst in Richtung der individuellen Vollkommenheit
gebildet hat. Von einer moralischen Position aus können diese Menschen dann zu einer ‚Elite’ gezählt werden. Die
Zugehörigkeit zu einer Elite ... [ist] durch die Kennerschaft, wie sie sich im Urteil über das Kunstschöne ausdrückt
[bestimmt].“ 471
Zu diesem „kulturellen Kapital“ zählt Höfer auch den Naturgenuss, der nach seiner Auffassung „ähnlich wie der
Kulturgenuß, weitreichende Kenntnisse voraussetzt.“ 472 Und er beschreibt auch, „welche Rolle“ nach seiner
Auffassung „das Geschmacksurteil als Merkmal der gesellschaftlichen Distinktion beim gestalterischen Umgang mit
Natur in der Landschaftsarchitektur einnimmt.“
Ich will die tief gehenden aber zum Teil sehr kritisch zu sehenden Gedankengänge Höfers, die neben Bourdieu und
der gegenläufigen Theorie der ‚Erlebnisgesellschft’ Gerhard Schulzes auch Kants ‚Kritik der Urteilskraft’ einbezie-
hen, nicht im einzelnen referieren, sondern ich zitiere, was für mich wesentlich ist, seine affirmative Beschreibung
des Wettbewerbswesens, die meine obige Systembeschreibung bestätigt:
Es geht also, wie oben beschrieben, um ‚gewinnen / nicht gewinnen.’ Eine Beurteilung dieser Anschauung muss
schon bei Kant ansetzen, dessen Begriff des ‚reinen Geschmacks’ ihr zugrunde liegt. Ich übernehme eine entspre-
chende Kritik von Thomas Hecken:
Da der Sinnengeschmack nach Kant ausschließlich die „negativen“ Effekte hervorbringt, definiert
Kant, daß die Schönheit nur von einer interesselosen Anschauung erkannt werden kann: ein typischer
Umkehrschluß. Anstatt zu folgern: Ich betrachte die Genüsse der anderen als vulgär, also habe ich
von ihnen verschiedene, sagen wir intellektuellere Genüsse, schließt er: Die Genüsse der anderen sind
vulgär, also sind Genüsse an sich vulgär, deshalb können meine Anschauungen nicht durch Genüsse
Die Zirkularität der Definition des ‚Geschmacks’ habe ich oben schon angesprochen. (Siehe Anm. 440) Kurz kann
man sagen: Geschmackvoll ist das, was ein Mensch, der Geschmack hat als geschmackvoll empfindet. Bestenfalls
kann man sagen, dass die Feststellung, was Geschmack sei, immer nur die Übereinkunft einer bestimmten
Menschengruppe ist.
Es ist offensichtlich, dass die hier beschriebenen Anschauungen gegenwärtig Gegenstand einer allgemeinen gesell-
schaftlichen Auseinandersetzung sind. Der lange verpönte Begriff der Elitenbildung ist wieder hoffähig geworden
und die Unterscheidung von Ober-, Mittel- und Unterschicht hat wieder Eingang in den politischen Diskurs gefun-
den. Grob gesagt geht es um die Frage, ob die Gesellschaft vertikal hierarchisch oder horizontal egalitär zu sehen ist.
Die zweite Form haben wir schon bei Niklas Luhmann kennen gelernt. Luhmanns soziale Systeme bestehen gleich
berechtig nebeneinander. Sie werden aber, wie oben beschrieben, nicht aus Individuen gebildet, sondern sie sind
Formen der Kommunikation.
Auch Gerhard Schulze sieht einen Wandel der Gesellschaftsstruktur, begründet durch „Verschwinden traditionel-
ler Großgruppen, Auflösung proletarischer Milieus, Bedeutungsverlust sozialer Hierarchien, Individualisierung als
Zerfaserung altgewohnter Sozialtypen.“ Er teilt die Gesellschaft ein in Gruppen von Menschen mit gleichen kultu-
rellen Ambitionen. Die nennt er Milieus, deren Entstehung auch er durch eine „erhöhte Binnenkommunikation“
bedingt sieht.475 Von seiner komplexen Analyse der „Erlebnisgesellschaft“ gebe ich nur einige Bruchstücke wieder,
die für meine Überlegungen von Bedeutung sind.
Schulze teilt die Gesellschaft in fünf Milieus ein, die er zunächst in zwei Altersgruppen gliedert: Über 40 Jahre
sind die Mitglieder des Niveaumilieus, des Integrationsmilieus und des Harmoniemilieus; unter 40 Jahre die des
Selbstverwirklichungsmilieus und des Unterhaltungsmilieus. Ich gebe nur einige typische Merkmale der einzelnen
Milieus wieder und zwar solche, die Schulze unter den Kategorien „Alltagsästhetik“ und „Lebensphilosophie“ an-
führt:
Niveaumilieu:
• Präferenzen: Klassische Musik, Oper, Theater, überregionale Zeitungen, Sprachen lernen, Schreiben u.a.
• Distanzierungen: Basteln, Auto pflegen, Volksfestszene, Trivialmusik und –literatur, Fernsehshows u.a.
• Lebensphilosophie: Perfektion.
Harmoniemilieu:
• Präferenzen: Volksmusik, Fernsehshows, Heimatfilme, deutsche Schlager, Auto pflegen, Wohnung verschö-
nern, Bildzeitung, Goldenes Blatt u.a.
Integrationsmilieu:
• Präferenzen wie auch Distanzierungen kommen vor, wie die im Niveau- und Harmoniemilieu, mit unter-
schiedlichen Gewichtungen. Man kann von einem Aufsteigermilieu sprechen.
Selbstverwirklichungsmilieu:
• Präferenzen: Neue Kulturszene, Sport, Sachbücher, Suche nach Abwechslung, Kneipenszene, Pop, Rock,
Folk, überregionale Zeitungen, Ausstellungen, klassische Musik, Schauspiel u. a.
• Disanzierungen: Talkshows, Naturfilme, lokale Sendungen, Volksmusik, Trivialliteratur, Goldenes Blatt u.a.
Unterhaltungsmilieu:
• Präferenzen: Auto fahren und pflegen, Vergnügungsviertel, Sportszene, Science-fiktion, Pop, Rock, Folk,
deutsche Schlager, Kino, Kneipenszene, Trivialliteratur, Goldenes Blatt u. a.
• Distanzierungen: Politische Diskussionen im Fernsehen, Theater, Oper, Konzert, gehobene Literatur, überre-
gionale Zeitungen u. a.
• Lebensphilosophie: Narzisßmus.
Ich lasse es dahingestellt, ob Schulzes Beschreibung der Milieus, die er vor knapp zwanzig Jahren publiziert hat und
die er nach den seinerzeitigen Altersgruppen gegliedert hat, noch in jeder Hinsicht aktuell ist. Manche Angehörige
des Selbstverwirklichungsmilieus gehören vielleicht heute dem Niveaumilieu an. Man kann wohl auch von einem
neuen Milieu sprechen, dem der Neureichen, deren Präferenzen Haute Couture, Haute Cuisine, Porsche fahren
und andere sind und deren Lebensphilosophie Reichtum-mehren ist. Es handelt sich dabei um eine besondere Art
der ‚Eliten’.
Gültig bleibt das Grundprinzip von Schulzes Gesellschaftsmodell, dass es unterschiedliche Milieus gibt, die bei einer
gewissen Abgeschlossenheit gleich berechtigt nebeneinander bestehen. Schulze distanziert sich denn auch aus-
drücklich von Bourdieu:
Nicht Bourdieus, sondern unser Fehler ist es, wenn wir uns durch seine Analyse den Blick für die sozi-
ale Realität in der deutschen Gesellschaft der Gegenwart verstellen lassen. Dieses Risiko ist umso höher,
als Bourdieus Diagnose durch Vertrautheit besticht. Er schildert das Frankreich des 20. Jahrhunderts so,
daß wir das Deutschland des 19. Jahrhunderts wiederzuerkennen glauben. Die symbolische Distinktion
zwischen Gruppen gleicher Lage im dimensionalen Raum der Kapitalarten (ökonomisches Kapital,
kulturelles Kapital, soziales Kapital) erscheint als Kulturkampf zwischen Oberschicht, Kleinbürgertum
und Proleten, ausgefochten innerhalb einer Hierachie des Geschmacks, die von oben nach unten
Ich lege auf diese soziologischen Fragen einen so großen Wert, weil die ‚Welt als Garten’ nur mit einem ent-
sprechenden Gesellschaftsmodell denkbar ist. Eine Gartenkunst als Gesamtkunstwerk im Sinne des Barocks oder
Landschaftsgartens ist nicht mehr denkbar, weil es einen Auftraggeber wie den absoluten Herrscher nicht mehr
gibt, sondern Nutzer und Auftraggeber kann nur eine demokratisch verfasste Gesellschaft sein. Hierbei geht es nicht
vordergründig um politische Tagesfragen, sondern um die Grundsatzfrage gesellschaftlicher Solidarität, um
Schon Adorno hat diese Auffassung vertreten: „Die lebendigen Menschen, noch die zurückgebliebensten und kon-
ventionell befangensten, haben ein Recht auf die Erfüllung ihrer sei’s auch falschen Bedürfnisse.“ „Sogar im fal-
schen Bedürfnis der Lebendigen regt sich etwas von Freiheit.“ 477
Während Adorno aus seiner Sicht noch vom „falschen Bedürfnis“ spricht, hält Martin Seel ein leidenschaftliches
Plädoyer für eine gesellschaftliche Solidarität:
„Eine Theorie sozialer Integration schließt ein Verständnis des Wohlergehens sozialer Gemeinschaften ... mit ein.“
Grundlegend für alles existentielles Gelingen ist, „daß sich menschliches Leben auf eine nicht-zwangshafte Weise
als ein selbstbestimmtes vollzieht.“
Um der Individualität von Lebensformen und Lebensläufen willen sind allgemeine Grundsätze der
sozialen und politischen Anerkennung geboten. Daher schließt unverzerrte soziale Rücksicht im-
mer eine spezifische Wahrnehmungsfähigkeit mit ein: die Fähigkeit wahrzunehmen, was für die
jeweils Betroffenen Bedingungen eines für sie gelingenden Lebens sind; die Fähigkeit wahrzunehmen,
wie es Betroffenen unter vermeintlich günstigen oder ungünstigen Bedingungen tatsächlich ergeht; die
Fähigkeit wahrzunehmen, in welchen zahllosen Formen sich ein gutes menschliches Leben realisie-
ren kann; die Fähigkeit wahrzunehmen, wie hartnäckig gerade moderne Gesellschaften vielen
ihrer Mitglieder den Zugang zu einem für sie guten Lebens versperren; wie wenig die eigene
partikulare Vorstellung von einem guten Leben von anderen geteilt wird; wie sehr es allen anderen
ebenso wie mir selbst um ein für sie gutes Leben geht; wie sehr wir alle der Zerbrechlichkeit unseres
Wohlergehens ausgesetzt sind; wie eine individuell durchgehaltene, sozial gestützte und recht-
lich gesicherte Wahrnehmung der Interessen anderer die gemeinsamen Aussichten auf ein
gelingendes Leben bessern kann; die Fähigkeit wahrzunehmen, wie sehr die Wechselseitigkeit die-
ser Wahrnehmungen einen sozialen Raum der freizügigen Realisierung individueller und kollektiver
Lebensprojekte konstituiert und erhält.
Eine Wahrnehmungsfähigkeit dieser Art ... ist eine wesentliche Wurzel gesellschaftlicher Solidarität;
... Sie basiert nicht auf einer mit anderen geteilten Konzeption des Guten, sondern auf einer sozialen
Aufmerksamkeit für die formal verstandene Möglichkeit eines guten Lebens. 478 (Hvh. fett: A. S.)
Schon an anderer Stelle hat sich Martin Seel gemeinsam mit Angela Kepler mit diesem Thema unter einem et-
was anderen Aspekt befasst:
Vertikal 479 ... , als offene Koexistenz und Konkurrenz der ästhetischen Bereiche. Erst dieses verti-
kale Verständnis ... nimmt den Gedanken einer demokratischen Kultur ernst. Denn die politische
Gemeinschaft grundsätzlich Freier und Gleicher schließt ein Zusammenleben des subtilen und subli-
men mit dem banalen und trivialen Geschmack notwendiger Weise mit ein. Zur Idee einer demokrati-
schen Kultur gehört weder die Erwartung, daß sich das Subtile in the long run durchsetzen werde, noch
der Glaube, daß die ästhetische Kultur der politischen prinzipiell entgegengesetzt sei. Zum Begriff
einer demokratischen Kultur – in dem die ästhetische als ein wichtiger Teil des politischen
erkannt ist – gehört vielmehr die Norm einer ungezügelten Koexistenz des Elitären und
Populären. 480 (Hvh. A. S.)
In diesem Zusammenhang ist auf ein Schlagwort einzugehen, das seit den 80ger Jahren diskutiert wird, der Begriff
„Aneignung“. Es wurde als revolutionäre Idee angesehen, dass die „sterilen“ Grünanlagen von der Bevölkerung
in Besitz genommen würden. Das war im Ansatz eine Reaktion auf das allgegenwärtige: „Betreten des Rasens
verboten“. Eine generelle Aneignung wäre aber nur möglich, wenn es sich um eine homogene Nutzergruppe han-
deln würde. Tatsächlich stehen jedoch die verschiedenen Milieus in Konkurrenz zueinander mit unterschiedlichen
Interessen, so dass die Aneignung durch eine dominierende Gruppe eher zu einer Privatisierung führt. In der
Praxis ist deshalb eine Trennung der Funktionen sinnvoll. So wird zum Beispiel das Harmoniemilieu immer nach
Schaugärten mit vielen Blumen, den symbolischen „10.000 Tulpen“ verlangen.
Soweit also der Grundsatz einer gesellschaftlichen Solidarität, den ich als eine Voraussetzung für eine ‚Welt als
Garten’ ansehe. An dieser Stelle ist aber eine Kritik des bisher Beschriebenen nötig. Ich nehme den obigen Begriff
„Koexistenz“ als Stichwort. Er ist bezeichnend für eine Grundeinstellung, die ich auch bei Schulze sehe, nämlich
eine überwiegend synchrone Betrachtung der gesellschaftlichen Zustände. Sie ist kein falscher Blickwinkel, weil
Solidarität ein übergeordnetes Kriterium ist. In einer diachronen Betrachtung ist aber zu fragen, ob die Kunst im
weitesten Sinne sich verändern und damit die Gesellschaft verändern kann; und besonders erhebt sich die Frage,
kann sie einen „neuen Menschen“ formen? Vordergründig muss man das verneinen, wie eine bedeutende hi-
storische Entwicklung gezeigt hat: der „Bauhausstil“. Die Künstler des Bauhauses waren durchdrungen von der
Vorstellung eines „neuen Menschen.“ Sie wollten eine Bau- und Wohnkultur schaffen, indem durch eine funk-
tionelle Planung und rationelle Fertigung preiswerte Produkte für einen größeren Konsumentenkreis bereitge-
stellt wurden. Trotz entsprechenden soziologischen Untersuchungen wurde der angestrebte Nutzerkreis aber nicht
erreicht. In den Arbeiterwohnungen hielt das ‚Gelsenkirchener Barock’ Einzug, und die Bauhaus-Möbel blieben
einem exklusiven potenten Käuferkreis vorbehalten. Das implizit verfolgte Ziel, die Menschen zur „guten Form“ zu
erziehen, schlug fehl.
Nun kann man aber doch feststellen, dass sich gegenwärtig die „Neue Form“ immer mehr durchsetzt. Bei techni-
schen Geräten ist sie selbstverständlich geworden und in Inseraten für Immobilien werden immer öfter Häuser „im
Bauhausstil“ angeboten. Es bewegt sich also doch etwas. Wie das vor sich geht, ist näher zu untersuchen. Dabei ist
die Entwicklung in der Architektur und Gestaltung mit der in der bildenden Kunst vergleichbar.
Einer der wenigen Künstler, die sich intensiv mit der Kunsttheorie befasst haben war – neben Paul Klee – Wassily
Kandinsky. Er beschreibt die Entwicklung mit einem Symbol:
479 Mit ‚vertikal’ ist hier sicher keine wertende hierarchische Ordnung gemeint.
480 Kepler, Seel, (1991), 878.
Das ganze Dreieck bewegt sich langsam ... aufwärts, und wo „heute“ die höchste Spitze war, ist „mor-
gen“ die nächste Abteilung, d.h. was heute nur der obersten Spitze verständlich ist, ... wird morgen
zum sinn- und gefühlvollen Inhalt des Lebens der zweiten Abteilung.
An der Spitze der obersten Spitze steht manchmal allein nur ein Mensch. ... Und die ihm am nächsten
stehen, verstehen ihn nicht. Entrüstet nennen sie ihn Schwindler und Irrenhauskandidaten. ...
In allen Abteilungen des Dreiecks sind Künstler zu finden. Jeder von denselben, der über die Grenzen
der Abteilung hinausblicken kann, ... hilft der Bewegung. ... Wenn er aber nicht dieses scharfe Auge
besitzt, ... dann wird er von allen seine Abteilungsgenossen ... verstanden und gefeiert. Je größer diese
Abteilung ist, ... desto größer ist die Menge, der des Künstlers Rede verständlich ist.481
Kandinsky beschreibt Vorgänge, die uns durchaus geläufig sind. Er denkt dabei sicher an Monet, Cezanne, van Gogh
und natürlich an sich selbst. Alle diese Künstler sind zu ihren Lebzeiten kaum verstanden worden. Erst spät wur-
den sie anerkannt und zu Vorbildern von Nachfolgern und Nachahmern. Kandinsky bezieht in sein Dreieck sowohl
Künstler wie auch „die Menge, der des Künstlers Rede verständlich ist“ mit ein.
Aber erst im Rückblick zeigt sich der Vorgang so, wie ihn Kandinsky beschreibt. Danach könnte man ja geradezu
eine Gesetzmäßigkeit darin sehen, dass an der Spitze immer ein verkanntes Genie steht, das die Aufwärtsbewegung
des Dreiecks bestimmt, das aber von der Masse nicht erkannt wird. In der Realität sehen die Verhältnisse dagegen
ganz anders aus. Nicht jede revolutionäre Idee hat bleibenden Erfolg. Neu ist zwar die Erscheinung, dass heute auf
besonders radikale und ausgefallene Künstler „gewettet“ wird; das heißt, ihre Werke bringen es im Kunsthandel oft
zu Spitzenpreisen. Wer will aber voraussagen, ob Künstler wie Jonathan Meese oder Daniel Richter oder ob nicht
ganz andere, heute weniger bekannte, dereinst als die Spitzen der Kunstbewegung ihrer Zeit gesehen werden?
Es geht also, mit anderen Worten, um das Verhältnis der „Avantgarde“ zu dem „Gros“, das selbstverständlich auch in
der Gartenkunst relevant ist. Ich stütze meine Überlegungen dazu auf eine Untersuchung der Literaturwissenschaftler
Bettina Clausen und Karsten Singelmann. 482
Die gehen aus von der ursprünglichen militärischen Konnotation des Begriffs, die „noch unmittelbar am Vorbild des
grenzüberschreitenden, geländesichernden Vortrupps älterer Marschordnungen orientiert war ... am Muster jener
ebenso hochmotivierten wie gefährdeten ‚Vorhut’, die dem ‚Gros’ erst den Weg bahnt.“ In dieser Bedeutung kann
der Begriff in der Kunsttheorie aber keine Geltung haben,
denn: es setzte dies jenen dreifach falschen Glaubenssatz voraus, nach dem es, erstens, in den Künsten
ähnlich wie in den vorangetriebenen Prozessen einer technopolitisch-naturwissenschaftlichen
Entwicklung stets ‚voran’ gehe; daß, zweitens, in der Kunstentwicklung ein ‚Vorn’ stets auszumitteln
wäre, und drittens, daß, qualitativ gesehen, ‚Spitzenkünstler’ stets der sei, der erkennbar in der ‚ersten
Reihe’ produziere – unhaltbare Prämissen durchweg. 483
... die Forderungen an eine [Kunst] der Avantgarde [hätten] über die normativen Forderungen an eine
[Kunst] der Moderne erkennbar hinauszureichen. Das heißt, wo sich Modernität‚ bestimmt durch die
Übereinkunft, daß sich der je ‚moderne’ [künstlerische] Sinnverständigungsprozeß auf der „Höhe der
Zeit“ ... befinde und diesen Zeitgeist des Gros mit den je verfügbaren Mitteln objektiviere - dort hätte
‚Avantgarde’ sich ihrerseits darüber zu definieren eben diesen „Geist der Zeit“ in den Formen seiner
temporären Erstarrung zu verlassen und das in ihm reduzierte bis unterdrückte Potenzial nichtkonfor-
mer (Überschuß-)Wahrneh mungen zu befreien.
Avantgarde hätte also Erkenntnis-Überschüsse hervorzubringen, und dies, indem sie ihre äs-
thetischen Aktionen sowohl auf das gesellschaftlich Reale als auch auf den aktuellen Stand
der kunstinternen Ausdrucksmittel verpflichtet. An diese „doppelte Referentialität“ ist das
Überschuß-Handeln von ‚Avantgarde’ genauso gebunden, wie das [künstlerische] Handeln des ‚Gros
im [Kunstsystem]’; die vom Gros nicht abgetrennt denkbare Avantgarde impliziert damit durchaus
eine strukturale ‚Ähnlichkeit’ beider Handlungskonzeptionen im Symbolsystem der [Kunst]. nicht
jedoch deren ... vielfach antagonistisch verstandene, substantielle ‚Anders-artigkeit’.“
... Ästhetische Operationen, die diese „doppelte Bezüglichkeit“ verweigern, ... wären nicht mehr sinn-
voll in dies Konzept von ‚Avantgarde’ integrierbar. ... Weder also programmatische Negierungen des
„Ästhetizismus“, [Anm.: des pur Artistischen] noch betont-artistische Formen des ‚Sinnentzuges’,
demonstrative Effekte von ‚Unverständlichkeit’ oder gar forcierte Signalisierung des unbedingt
‚Neuen’ ergäben für sich allein Kriterien für die Bestimmung von Avantgarde-Leistungen.“ 486 (Hvh.
A.S.)
Wichtig ist die Auffassung, dass Leistungen, die den „Geist der Zeit“ aufbrechen, nicht äußerlich erkennbar sind. Sie
können sich „von Seiten des Rezipienten vielmehr nur über den Weg der eigenen, gleichfalls doppelten referenti-
ellen Einsicht erschließen.“
Die Autoren kritisieren auch das ständige „Vorantreiben amimetischer Darstellungsweisen, [das] Zurücktreten
von Dargestelltem überhaupt zugunsten des Verweises auf die Mittel der Darstellung“, eine Kritik, die man
auch gegen die „Wettbewerbs-Gartenkunst“ richten kann, die das Mimetische zugunsten effektvoller graphischer
Darstellungsweisen vernachlässigt.
Abschließend wird fest gestellt, dass es bei der Avantgarde nicht „um die Diktatur der jeweils ‚brandneuen’
Einstellung unserer Optiken geht, ... sondern um die Offerierung unerschlossener Bewusstseinsräume, die zu
begehen dem [Rezipienten] anheimgestellt werden.“ Es geht um „eine stets auf Erfüllung des Utopischen – und
nicht auf dessen unablässige Perpetuierung – bedachte Kunstanstrengung.“ 487 (Hvh. fett: A. S.)
Voraus zu schicken ist, dass die Gartenkunst nicht autonom ist. Sie hat eine sozialhygienische Funktion für die
Erholung der Menschen im weitesten Sinne, zum Beispiel durch körperliche Betätigung in der Natur oder durch
Naturgenuss an sich. Deshalb muss die „Theorie sozialer Integration“ nach Seel ein Leitmotiv der Gartenkunst sein.
Das heißt, dass öffentliche Anlagen unterschiedliche Bewusstseinslagen und Wahrnehmungsfähigkeiten berück-
sichtigen müssen. Als ein positives Beispiel, in dem dieses Prinzip verwirklicht wurde, nenne ich die IGA Rostock,
die ein Angebot an unterschiedliche Milieus und Vorlieben brachte. Aber auch andere Ausstellungen und Anlagen
wären zu nennen, die in der Regel auch die höchsten Besucherfrequenzen aufweisen
Das heißt natürlich nicht, dass es hier nur um Konventionalität geht, sondern es geht um Vielfalt, man könn-
te auch sagen, es geht um Mehrfachcodierung. Und es geht auch um die „Vorwärts-Bewegung“ der Avantgarde
der Gartenkunst. Dabei erhebt sich nun die Frage: wohin soll es denn gehen? Wo ist „Vorne“? Die gegenwärtig
herrschende oben beschriebene Wettbewerbs-Gartenkunst, kann man sicher nicht als Avantgarde bezeichnen, da
sie sich völlig vom Gros getrennt hat. Um im Bild der militärischen Konnotation zu bleiben: ich sehe sie eher als
Marketenderin, welche die „Eroberungen“ der Avantgarde der bildenden Kunst aus dem vorigen Jahrhundert: die
äußerlichen Formen des Suprematismus, des Konstruktivismus und Minimalismus wohlfeil als Gartenkunst ver-
kauft.
Wenn man überhaupt eine Richtung für die Avantgarde der Gartenkunst vorgeben kann, in die „Erkenntnis-
Überschüsse“ führen sollten, dann ist es die Entwicklung des Mensch-Natur-Verhältnisses; - ich wiederhole: um das
Verhältnis von physis und techne, Tun und Lassen, Denken und Fühlen. Und ob es sich dann um Kunst handelt,
zeigt sich nur dadurch, ob hinter dem „Identischen die Spur des Nichtidentischen als das Naturschöne“ aufscheint.
Eine Avantgarde der Gartenkunst hätte vor allem den Gegensatz von Ökologie und Naturästhetik aufzulösen in eine
‚Form der Unterscheidung mit zwei Seiten’:
Gartenkunst
Naturästhetik Ökologie
Das heißt, dass weder die reine Naturgartenbewegung eines Le Roys oder Urs Schwarz noch die modische
Verwendung der Pflanzen zur Bildung ornamentaler Formen eine zukunftsweisende Richtung sein kann. Die „dop-
pelte Referentialität“ auf das „gesellschaftlich Reale“ und die aktuellen „kunstinternen Ausdrucksmittel“ sehe ich
gegeben einmal in Gartenbeispielen wie man sie in vielen Gartenzeitschriften sieht, in denen sich die Tendenz zur
naturhaften Gestaltung zeigt und ebenso in den zunehmend erfolgreichen Versuchen der Profession, zum Beispiel
standortgerechte Blumenwiesen herzustellen, worin durchaus eine neue Naturästhetik einer Avantgarde zu erken-
nen ist. Peter Latz sieht das ähnlich:
Ökologie müsste Symbol für Natur und Kultur zugleich sein, muss also auch Kunst sein. ... Das Bild
von Natur kann eine Struktur des „Belassenen“ und des „Gebauten“ sein. Die Akzeptanz der fragmen-
tarischen Welt verzichtet auf die Ganzheiten des Großbildes und im Gewebe der Anordnungsmuster
bleibt Platz für den Zufall Natur.488
Ein übergeordnetes Telos einer Avantgarde muss sein, sich mit den tief greifenden globalen Veränderungen unserer
Zeit auseinander zu setzen, mit den Problemen des Klimas, des Bevölkerungswachstums und der Schonung der
natürlichen Ressourcen. Es ist zwar richtig, dass zu der Lösung dieser Probleme politische und wissenschaftliche
Bevor ich nun zu konkreten Themen der Gartenwelt und Gartenkunst komme, ist noch ein anderer soziologischer
Begriff zu klären, der in letzter Zeit Hochkonjunktur hat, die Frage:
Urbanität ist ein Modewort, das zu eindimensionalem Denken sowohl bei Stadtplanern, wie auch bei
Landschaftsarchitekten führt. Ich habe zwei Beispiele, die das belegen; das erste betrifft die Stadtplanung:
Nach dem Kriege erfolgte der Wiederaufbau der Städte überwiegend nach den Grundsätzen der Charta von Athen.
Anstelle der ungesunden Stadtviertel der Gründerzeit entstanden in den Außenbereichen durchgrünte Gartenstädte,
in Hamburg zum Beispiel die Siedlungen von Reichow: Hohnerkamp und Farmsen oder in Bielefeld die Sennestadt.
In den Innenstädten trat anstelle der Straßenrandbebaung der Zeilenbau, eingebettet in Grünflächen, die dann spä-
ter abschätzig ‚Abstandsgrün’ genannt wurden.
Anfang der 60ger Jahre kam dann zunehmend Kritik auf wegen fehlender ‚Urbanität’ dieser Stadtteile. Ich erinnere
mich an Diskussionen im Städtebauseminar in der Hamburger Baubehörde in jener Zeit mit Hebebrand und den
Planern der Neuen Heimat. Man schaute auf die Innenstadtviertel, wie Eppendorf, die weniger im Bombenkrieg
gelitten hatten und in die wieder ‚urbanes Leben’ eingekehrt war. Die Erkenntnis die man daraus zog war einfach:
Man verglich die Bebauungsdichte, gemessen an der Geschossflächenzahl, die in den Zeilenbaugebieten 0,4 bis 0,6
betrug und in den alten Stadtteilen über 2,0. Also wurde über Dichten von GFZ 2,0 und höher diskutiert. Extrem
war der Vorschlag der Neuen Heimat für die Sanierung St. Georgs mit dem so genannten Alsterzentrum. Ausgeführt
wurden dann aber ‚verdichtete’ Siedlungen, wie der Osdorfer Born in Hamburg oder die Gropiusstadt in Berlin.
Bezeichnenderweise waren am Osdorfer Born keine öffentlichen Grünanlagen vorgesehen, weil man den Begriff
Urbanität nicht mit Grünflächen assoziierte. Diese wurden erst später angelegt, nachdem sich die Siedlung zum so-
zialen Brennpunkt entwickelt hatte. Die erhoffte Urbanität hatte sich nicht eingestellt. – Nebenbei ist zu erwähnen,
dass einige Grünplaner dem Schematismus der Geschossflächenzahl mit dem Schematismus einer ‚Grünmassenzahl’
begegnen wollten, Grün in Kubikmetern gemessen!
In meinem zweiten Beispiel, in der gegenwärtigen Gartenkunst, hat der Begriff eine ganz andere Bedeutung, die
aber genau so eindimensional ist. Danach wird ‚Urbanität’ mit architektonischer Gestaltung gleichgesetzt. Der Begriff
‚urban’ wird also im Grunde synonym für ‚architektonisch’ benutzt. Es geht nur um formalistische Fragen. Eine
Parallele zur Stadtplanung besteht nur darin, dass in der Innenstadt kein Grün geduldet wird, und wenn ja, dann
nur in Reih und Glied und in Form geschnitten. Diese Gestaltungsform garantiert aber eben nicht, dass Urbanität
entsteht. Es ist wohl kein Zufall, dass auf den meisten Abbildungen derartiger Plätze kaum Menschen zu sehen sind.
Urbanität ist von anderen Faktoren abhängig.
Was bedeutet also nun ‚Urbanität’ in der Zwischenstadt, in der ‚Gartenwelt’? „Das Adjektiv [urban] wurde in 18.
Jh. aus lat. urbanus ‚fein vornehm, gebildet’ entlehnt. Dies ist von lat. urbs ‚Stadt’ abgeleitet und bedeutet eigentlich
‚zur Stadt gehörend’. Das Adjektiv wurde zunächst nur im Sinne von ‚gebildet und weltgewandt’ gebraucht, im 20.
Jh. ... dann im Sinne von ‚städtisch, für städtisches Leben charakteristisch’“.489
Nun wird wohl niemand behaupten, dass heute ‚gebildete’ Menschen nur in der Stadt leben und auf dem Lande das
glückliche „Volk der Gefilde“, das noch nicht „zur Freiheit erwachet“ ist. (Schiller) Das hat vielleicht noch vor hun-
dert Jahren gegolten. Die Voraussetzung dafür war der Bürgerliche Bildungskanon, der längst irrelevant geworden
Es gibt auch eine ständige Fluktuation. Junge Familien mit Kindern ziehen von der Stadt aufs Land und wenn die
Kinder groß sind, zieht es sie wieder in die Stadt.
Aber viele Menschen stehen der Technik immer noch feindlich gegenüber und sehen in ihr den unvereinba-
ren Gegensatz zur Natur. Dagegen steht die Ansicht von Karl Jaspers, in der auch das Wesen von Urbanität zum
Ausdruck kommt:
Die technische Welt scheint die Natur zu zerstören. Man klagt, das Dasein werde unnatürlich. Die
künstliche Technik, welche auf ihrem Wege Häßlichkeit und Naturferne in Kauf nehmen muß, könn-
te aber am Ende einen intensiveren Zugang zu aller Natur ermöglichen. Der moderne Mensch vermag
mit neuer Bewusstheit Sonne und Elemente zu erfahren. Technik bringt die Voraussetzungen, um
ein Leben im Ganzen der geographischen Welt, in der Weiträumigkeit von Licht und Luft und aller
Weisen ihrer Erscheinung zu führen. Indem alles nahe und erreichbar wird, wird die Heimat weit. In
dieser Natureroberung erwächst dann die eigentliche Lust an der unberührten Natur, die ich einsam in
sinnlicher Gegenwart an diesem Orte durch die Tätigkeit meines Leibes in ihr mir zur Wahrnehmung
bringe und entdecke. Nur indem ich diese Entdeckbarkeit in meiner jeweils unmittelbaren Umwelt
erweitere und mich nicht vom Boden löse, vielmehr diese Lösung nur als eines der technischen Mittel,
den Boden mir nahezubringen ergreife, kann ich die Chiffre der Natur in den künstlich geschaffenen
Möglichkeiten490 ... tiefer erblicken.
Mit der Technisierung ist ein Weg beschritten, der weitergegangen werden muß. Ihn rückgängig zu
machen hieße das Dasein bis zur Unmöglichkeit erschweren. Es hilft nicht zu schmähen sondern zu
überwinden. Dazu muß das Technische das Selbstverständliche sein, das in der Ausübung fast außer-
halb des Feldes ausdrücklicher Aufmerksamkeit liegt. Gegenüber der Notwendigkeit, daß jede Tätigkeit
zu besserem Gelingen technisch unterbaut sein muß, ist dann das Bewußtsein für das Nichtmechanisierbare
bis zur Untrüglichkeit zu schärfen. Eine Verabsolutierung der Technik wäre vernichtend für das Selbstsein;
ihm muß jeder Leistungssinn von einem anderen Sinn durchdrungen bleiben.491
Für mich beschreiben diese Sätze einen wesentlichen Aspekt des heutigen urbanen Lebens. Das ist auch eine Absage
an alles sektenhafte ‚Naturleben’. Natürlichkeit und Technik, physis und techne gehören zum Leben. Der „andere
Sinn“ bezieht sich dann auf alle anderen geistigen Inhalte des Lebens.
Soweit also die Bedeutung des Begriffes ‚Urbanität’ im Hinblick auf das Bewusstsein der Gesellschaft. Er hat aber
auch eine Relevanz in Bezug auf die Planung. Aber wie gesagt, hat das weder etwas mit Dichte noch mit irgendwel-
chen formalistischen Fragen zu tun, seien es orthogonale oder ‚dekonstruktivistische’ Formen. Urbanität entsteht
nur durch Vielfalt, durch Überlagerungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Funktionen. Diese sind in alten ge-
490 Unter „künstlich geschaffen“ verstehe ich nach meinem Leitmotiv: physis, durch techne beeinflusst
491 Jaspers, (1931), 184f.
Sofern wir von Urbanität in der Gartenkunst reden wollen, ist auch dazu nur zu unterscheiden zwischen Vielfalt
und Einfalt. Die Erzeugnisse der Wettbewerbs-Gartenkunst, die unter dem Diktum von „Klarheit und Lesbarkeit“
stehen, erzeugen keine Urbanität. Klarheit bedeutet Überschaubarkeit auf einen Blick; der zweite Blick erzeugt
schon Langeweile. Das Schlagwort „Lesbarkeit“ müsste doch eigentlich narrative Vielfalt bedeuten; davon kann
aber selten die Rede sein. - Für Urbanität stehen immer noch Grünanlagen wie der Palmengarten in Frankfurt oder
Planten un Blomen in Hamburg. Das ist aber wie gesagt, nicht die Frage nach modernen oder konventionellen
Formen, sondern es geht allein um die Pluralität der Funktionen, wie auch Weilacher schreibt:
Die Raumgefüge der Zukunft müssen ... komplett genug für den Gebrauch, unvollständig genug für die
subjektive Aneignung, auch komplex und damit antizipationsfähig genug sein, um auf den ständigen
Wandel reagieren zu können. 492
Das gilt für alle Räume, nicht nur für die städtischen. Der Begriff Urbanität ist nicht mehr relevant als Planungsbegriff
für Gestaltungsformen, sondern vielleicht noch für unterschiedliche Lebensformen, die mehr naturnah, ‚ländlich’
oder naturferner, ‚städtisch’ sein können. Er steht für eine besondere Atmosphäre, die aber nicht formalistisch zu
bestimmen ist.
Festzustellen ist jedoch, dass der Begriff immer noch Hochkonjunktur hat. So spricht man von „urbaner Wildnis“
oder auch vom „urbanen Wald“. 493 Urbane Wildnis sieht man vor allem im Zusammenhang mit aufgelassenen
Industrieflächen, zum Beispiel im Emscherpark. Hier sehe ich eine starke romantische Komponente darin, dass
Ruinengelände von der „Natur“ zurück erobert werden, ein Reiz, der offensichtlich viele Menschen beeindruckt.
Nach meinen Grundunterscheidungen ‚physis / techne’ und ‚Tun und Lassen’ überwiegen hier physis und Lassen.
Mit ‚Urbanität’ hat dies wenig zu tun.
„Urbaner Wald“ ist im Gespräch in Verbindung mit dem „Rückbau“ in der Stadt. Das ist im Hinblick auf die demo-
graphische Entwicklung von großer Bedeutung. Beachtlich ist, dass hier an Aufforstung gedacht wird, was bisher in
der Profession kaum ein Thema war, weder bei Landschaftsplanern noch bei Naturschützern. Wald war allein Sache
des geschlossenen Systems Forstwirtschaft. So erklärt sich auch, dass nicht von Aufforstung die Rede ist sondern
von „Wald etablieren“ und dass man das „Urbanen Wald“ nennt, und nicht der seit Jahrzehnten eingeführte Begriff
„Erholungswald“ verwendet wird. Es wird Zeit, diesen kleinlichen Dissens zwischen den Fakultäten zu überwinden,
und konsequenterweise sollte hier auch das Fachwissen der Förster einbezogen werden.
Dieses neue Konzept wird hauptsächlich ökonomisch begründet, weil es langfristig gesehen geringe Pflegekosten
erfordert. Ich sehe aber die grundsätzliche Bedeutung darin, dass Wald überhaupt Gegenstand der Planung wird.
Zur ‚Hochform’ gelangt der Begriff dann mit der „Urbanen Landschaft“. Darunter wird das „gesamte
Raumgeschehen“ verstanden „mit Gebäuden, Freiräumen, Infrastruktur, naturräumlichen und kultur-
räumlichen Bedingungen, Menschen, Tieren und Pflanzen und den Wechselbeziehungen von Natur und
Kultur“.494
Die immer noch vertretene Forderung nach Verdichtung der Innenstädte, um der ‚Zersiedelung’ entgegen zu wir-
ken, ist ein kontraproduktiver Anachronismus. Die Begründungen, die in dem Zusammenhang angeführt werden,
sind haltlos; die entsprechenden Zahlen sind irreführend: Wenn zwei Hektar Ackerfläche mit Einfamilienhäusern
bebaut werden, heißt das nicht, dass zwei Hektar versiegelt werden sondern höchstens ein fünftel davon. Und auch
dies kann noch durch ein entsprechendes Regenwasser-Management weit gehend kompensiert werden. Und auch
ökologisch gesehen, ist ein Gebiet mit Hausgärten wertvoller als ein Maisacker.
Auch das Problem der Verkehrswege ist durch die Verdichtung der Städte nicht zu verbessern. Die Entfernungen zu
den Gewerbegebieten, die sich meistens in den Randgebieten befinden oder gar in den Gemeinden außerhalb der
Städte, sind kaum in irgendeiner Weise zu optimieren, zumal der Wohnungswechsel den meisten Menschen bei
uns, im Gegensatz zu den Amerikanern, schwerer fällt als der Wechsel des Arbeitsplatzes.
Die Struktur der räumlichen Durchdringung kann sehr unterschiedlich sein. Wichtig ist, wie gesagt, die Möglichkeit
des Wohnens ‚Innen’ und ‚Außen’. Überholt sind jedoch Modelle städtebaulicher Großformen wie Grünzüge,
Grünachsen oder grüne Ringe. Das stellt auch Lucius Burckhardt fest in seiner „Spaziergangswissenschaft“:
Der Spaziergang zum Stadtrand dient auch der Kritik der plötzlich wieder auflebenden Grün-
Großkonzepte. In einer Zeit, wo städtebaulich wenig zu machen ist, redet man plötzlich wieder von
Grünschneisen und einem Grünring um die Stadt. Das angestrebte Ziel ist der Spaziergänger, der von
seiner Wohnung zur nächsten Grünschneise strebt, dort radial zum Stadtrand wandert und schließlich,
aber es ist so lächerlich, daß man sich schämt, es niederzuschreiben, auf dem Grünring um die Stadt
läuft oder radelt.495
Deshalb muß Grünplanung gerade nicht auf die Kontinuität der Schneisen und Ringe tendieren, sondern
auf ihre Unterbrechung. Jedem bewohnten Stadtteil sollte ein kurzer Spaziergang zum Stadtrand oder
zu einem innerstädtischen Freiraum zugeteilt sein, in bevorzugten Städten kann dieses ein Flußraum
sein, dort aber sollte nicht nur gärtnerische Gestaltung, sondern auch das Spiel der Baulücken ... für
Abwechslung sorgen.497
Dem muss auch die Wegeplanung folgen im Zusammenwirken der Stadt- und Grünplanung. Es sind spezielle
Wegesysteme für Fußgänger und Radfahrer zu schaffen. Die Grundform sollten Rundwege in verschiedenen Längen
sein.
Eine besondere Bedeutung für die räumliche Struktur der Stadt haben Sieverts „Felder weitgehender Unbestimmtheit“
in letzter Zeit mit dem Brachfallen städtischer Bauflächen und den dadurch entstehenden Baulücken erlangt.498
Diese erfordern ganz neue Ansätze von Gestaltungsformen. Die Anlagen, obwohl sie zeitlich begrenzt sind, können
für die verbliebenen Bewohner, besonders für Kinder, ganze Lebensabschnitte bestimmen. In diesen Fällen ist eine
intensive Mitwirkung der Anlieger angebracht, wobei die zeitliche Unbestimmtheit immer bewusst bleiben muss.
Wir kommen also zu einer neuen Unterscheidung, die unserem bisherigen Denken fremd war, die zwischen dau-
erhaften Anlagen, die mit zunehmendem Alter immer schöner werden und ephemeren Grünflächen, die dynami-
schen Veränderungen unterliegen.
Zur Vegetation gehören, wie gesagt, die Pflanzen und ihr Substrat, der Boden. Ein Hauptproblem für die Gartenwelt
ist die rapide Abnahme kulturfähiger Böden weltweit bis zur Wüstenbildung, und das ist nicht nur ein Problem der
Entwicklungsländer. Die Ursachenforschung beschäftigt sich vorwiegend mit dem Klimawandel, was aber hier nicht
zu behandeln ist. Mein Thema sind die biologischen Ursachen, und zwar die Vernachlässigung des Bodenlebens, was
seit der Antike zur Verkarstung der Landschaften geführt hat. Ich habe oben bereits angedeutet, wie wichtig ein ge-
sundes Edaphon für die nachhaltige Fruchtbarkeit des Bodens ist. Es geht um die Fähigkeit der Nährstoffspeicherung
und vor allem um die Optimierung der Wasserkapazität der Böden, wodurch die Wüstenbildung verhindert wer-
den kann. Und nicht nur die Wüstenbildung, auch die weltweit zunehmenden Überschwemmungen haben eine
Ursache in der mangelnden Bodengesundheit.
Ich habe keinen Einblick, welche Rolle die Bodenkunde heute im Studienplan angehender Landschaftsarchitekten
spielt. Lehrreich ist jedenfalls ein Blick ins Internet unter den Stichworten Bodenkunde und Bodenfruchtbarkeit. –
Natürlich spielen auch weltwirtschaftliche Fragen und die negativen Wirkungen von fehlgeleiteten Subventionen,
die nur die Bodenspekulation fördern, eine Rolle, was hier aber nicht zu erörtern ist.
Die sich anbahnende weltweite Ölverknappung hat eine Entwicklung ausgelöst, deren Tragweite nicht überschätzt
werden kann. Es geht um den Anbau „nachwachsender Rohstoffe“. Gegenwärtig bahnt sich eine Besorgnis erre-
gende Entwicklung an, indem großmaßstäblich Erdöl durch Pflanzenöl oder durch aus Zuckerrohr gewonnenen
Alkohol ersetzt wird, weit gehend auf gerodeten Regenwaldflächen. Eben so negativ ist die bei uns subventionierte
Stromgewinnung aus Mais zu sehen, auch im Hinblick auf die Bodenverschlechterung. Fragwürdig ist diese Methode
schon aufgrund der geringen Effizienz, das heißt, dass der Energieaufwand für die Kultur – Bodenbearbeitung,
Düngung, Aussaat, Schädlingsbekämpfung, Ernte – fast so groß ist, wie die gewonnene Energie.
Zu beurteilen ist der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion auch unter
dem Gesichtspunkt, dass Millionen Menschen in der Welt verhungern.
Es ist deshalb dringend zu fordern, Kulturformen für nachwachsende Rohstoffe zu entwickeln, die nicht oder mög-
lichst wenig die Nahrungsmittelproduktion beeinträchtigen. Dafür bieten sich zunächst Grenzböden an, auf denen
der Mitteleinsatz für normale Landwirtschaftliche Kulturen höher ist als der Ertrag. Weiter kämen Flächen infrage,
die aus anderen Gründen nicht oder vermindert kulturfähig sind, wie Restflächen oder Hangflächen.
Ich schlage als Beispiel ein Modell vor, das von den norddeutschen Wallhecken, Knicks, inspiriert ist. Die Knicks
hatten (und haben) mehrere Funktionen. Sie dienten einerseits als Einfriedigung und Windschutz und lieferten
andererseits Heizmaterial für den bäuerlichen Herd. Die Knickpflanzen waren heimische Gehölze, die aus den
Wäldern geholt wurden.
Eine moderne Form könnte so aussehen: Auf einem großen Ackerschlag werden in Abständen von 100 bis 150
Metern parallele Gehölzreihen gepflanzt. Davon wird jedes Jahr, je nach Pflanzenart, ein Siebentel bis ein Zehntel
abgeerntet, so dass ein sieben- bis zehnjähriger Umtrieb stattfindet. Diese Kulturform kann genossenschaftlich
organisiert werden, in einem Umfang, der den Betrieb eines Kleinkraftwerkes ermöglicht. – Als Voraussetzung
wäre zu erforschen, welche Gehölze am besten geeignet sind, d. h. welche den größten Zuwachs bei geringer
Wurzelkonkurrenz bringen. Im Prinzip werden es tief wurzelnde Pflanzen sein. Zweitens sind der optimale Abstand
und die Richtung der Reihen zu ermitteln, so dass Windschutz und eine geringe Verschattung optimiert werden und
der Einsatz von großen Landmaschinen nicht behindert wird.
daß in Teilen des Landes, wo die Rationalisierung sich als unrentabel erweist, die Landwirtschaft auf-
hört, das Landschaftsbild verwildert und zerstört wird, und daß damit ebenso sehr die Kennzeichen
des „lieblichen Ortes“ verloren gehen wie bei der übermäßigen Nutzung. Die totale Ausbeutung – oder
andernorts die Nichtbewirtschaftung – des Bodens hebt den Gegensatz von Natur und Garten auf. So
wird zur Notwendigkeit, was zu Beginn des Industriezeitalters ein Vergnügen großer Herren war: die
Gestaltung der Landschaft.499
Eine Nichtbewirtschaftung wird es bald nicht mehr geben, aber die Gestaltung der Landschaft unter veränderten
Bedingungen ist die Aufgabe der Zukunft.
Zu den fundamentalen Lebensbedürfnissen des Menschen [gehört] nicht nur das Bedürfnis nach einer
schönen Umgebung überhaupt, sondern das Bedürfnis nach Natur: nämlich daß da etwas ist, das von
selbst da ist und ihn durch sein selbsttätiges Dasein berührt. Der Mensch hat ein tiefes Bedürfnis nach
dem anderen seiner selbst. ...
Die ökologische Naturästhetik darf ... weder qua Ökologie nur ein Machen von Umwelt sein, noch
qua Ästhetik ein bloßes Hinnehmen von Natur. Wie dieses Paradox zu lösen ist, dafür gibt die Theorie
und Praxis des Landschaftsgartens ... ein Beispiel. Als konkrete Naturpoetik war sie eine Kunst, der es
darum ging, gerade Natur als Natur hervorzubringen. Sie arrangierte Natur, damit die um so deutlicher
von sich her auf den Menschen zukäme. ... Die Theorie der Landschaftsgärtnerei [erweist sich] als
Paradigma für eine künftige ökologische Naturästhetik. 500
Böhme ist wegen dieser Ansichten oft kritisiert und missverstanden worden, besonders auch von Gerhard Hard,
der den Begriff ‚Landschaft’ immer mit dem Bild eines Schnitzels assoziiert. Gernot Böhme denkt natürlich nicht an
Landschaftsgärten, wie sie vor 200 Jahren entstanden sind, sondern es geht ihm um das Prinzip, das er ein Paradox
nennt, nämlich dass Nutzen und Schönheit in der „sozial konstituierten Natur“ zusammen gehören.
Ein positives Beispiel ist die Einbindung der Autobahnen in die Landschaft durch Landschaftsarchitekten. Dies
kann als Vorbild dienen für die Lösung gegenwärtiger Probleme. Ich denke an den zunehmenden Widerstand der
Bevölkerung gegen die Windenergie-Parks und die in Verbindung damit notwendigen neuen Überlandleitungen.
Durch eine entsprechende Landschaftsplanung könnten die Beeinträchtigungen gemindert und die Akzeptanz ge-
Dabei geht es nicht in erster Linie um ein Kaschieren der technischen Elemente, sondern um die Schaffung eines
Gegengewichtes durch eine robuste und gezielt eingesetzte Vegetation. Ich stelle mir eine relativ kleinräumige
Gliederung der Landschaft in diesen Bereichen vor, wodurch der Blick abgelenkt wird. Entsprechende Pflanzungen
könnten als nachwachsende Rohstoffe dienen. Die Raumbildung muss aber im Übrigen die Belange einer rationalen
Landwirtschaft berücksichtigen, also grundsätzlich orthogonal sein. Das führt zum nächsten Thema:
Im klassischen Sinne ist der Begriff ‚Landschaft’ unmittelbar mit der ‚Gefildenatur’, das heißt mit der landwirtschaft-
lich genutzten Natur verbunden, was man auch ‚Kulturlandschaft’ nennt. Dieses Landschaftsbild hat sich kollektiv
fest etabliert, obwohl die Landwirtschaft auch schon in der Vergangenheit große Wandlungen durchgemacht hat,
zum Beispiel durch die Verkoppelung im 18. Jahrhundert welche die Gewannflur und Almende ablöste. Als Störung
des gewohnten Bildes wurde erst die Wandlung durch die Flurbereinigung empfunden. Gegenwärtig stehen sich
das Ideal einer kleinräumlich strukturierten Landschaft und die Realität der ‚industriellen Landwirtschaft’ unver-
söhnlich gegenüber.
Es erhebt sich die Frage, wie soll eine Landwirtschaft aussehen, die sich in das Ideal einer Gartenwelt einfügt?
Kann man das Landschaftsbild überhaupt planerisch beeinflussen, und gäbe es ein Leitbild dafür? Oder sollte man
die Entwicklung sich selbst überlassen? Schließlich ist die klassische Landschaft, die Gefildelandschaft, doch auch
‚natürlich’ entstanden.
Ich bin überzeugt, dass eine Steuerung unverzichtbar ist. Ich sage bewusst nicht ‚Planung’, weil damit leicht die
Herstellung von fertigen Bildern assoziiert wird. Wenn man aber die Entwicklung den Spezialisten überlässt, werden
wir eine Landschaft bekommen, die der ähnelt, die im 19. Jahrhundert durch die Monokultur der Kiefernwälder
entstanden war. Ansätze sind schon in Gegenden zu erkennen, die durch Maisfelder geprägt sind. Eine derartige
Fehlentwicklung kann aber nur durch die Zusammenarbeit von Land- und Forstwirten, Bodenkundlern, Ökologen
und nicht zuletzt von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten vermieden werden. - Dass auch ökonomische
und politische Faktoren eine beherrschende Rolle spielen, zum Beispiel durch das Subventionswesen, ist evident,
kann jedoch hier nicht weiter erörtert werden.
Als fiktives Beispiel einer gemeinschaftlichen Problemlösung nehme ich den obigen Vorschlag einer Streifenkultur
von Energiepflanzen. Wissenschaftlich ist die Auswahl optimaler Pflanzen zu erforschen. Agraringenieure hätten
den Reihenabstand und die rationellste Erntemethode zu klären. Als Faktor, der das Landschaftsbild beeinflusst,
müssten Landschaftsarchitekten den Ernterhythmus bestimmen, was die folgende schematische Skizze veranschau-
licht. Zugrunde gelegt ist ein siebenjähriger Umtrieb. Der Rhythmus der Abschnitte ist unregelmäßig, wodurch ein
abwechslungsreiches Bild entsteht. (Der Höhenmaßstab ist stark überhöht).
Zu berücksichtigen ist aber auch die Bedeutung der Agrarlandschaft als Erholungsraum, zum Beispiel im Hinblick
auf das Thema ‚Urlaub auf dem Bauernhof’. So liegt etwa die Erschließung schöner Landschaftsteile durch
Wanderwege auch im Interesse der Landwirte, ebenso wie die Renaturierung von Bachtälern, die außerdem auch
dem Hochwasserschutz dienen würde. Also auch die Wasserbauer gehören mit ins Boot, schon um die Schäden zu
beseitigen, die sie in der Vergangenheit angerichtet haben.
Nachwachsende Rohstoffe können selbstverständlich unter bestimmten Bedingungen auch flächig angebaut
werden. Auch hier besteht die Möglichkeit, Erholungsfunktionen einzufügen, zum Beispiel Labyrinthe und
Spieleinrichtungen auf Lichtungen.
Als eine besondere Möglichkeit, Landschaftsbilder und damit den Erholungswert zu verbessern, sehe ich – be-
sonders in Norddeutschland – darin, durch Bauernwälder Raumwirkungen zu optimieren. Beispiele sind in der
Lüneburger Heide zu finden. Problematisch sind hier nur die Monokulturen der Kiefernwälder, die besonders durch
Waldbrände gefährdet sind. Bei der Umwandlung in Mischwälder sollten auch gezielt Wildsträucher mit einge-
bracht werden, zur Förderung der Artenvielfalt von Flora und Fauna. Und die Förster sollten sich dazu durchringen,
in große Wälder Lichtungen einzufügen, mit unterschiedlichen Nutzungen.
Anders liegen die Verhältnisse in Gegenden, die seit jeher wegen ihrer Schönheit eine große Anziehungskraft für
die Menschen haben. Das gilt für die deutschen Mittelgebirge und für die so genannten „Schweizen“, von der
Holsteinischen bis zur Sächsischen Schweiz. Ein Blick auf Satellitenbilder zeigt, dass diese Landschaften durch den
Wechsel von Wald und Lichtung geprägt sind. Bewaldet sind die Hänge und gelichtet die Talsohlen. Diese archety-
pische Raumstruktur und das ausgeprägte Relief machen offensichtlich den Erholungswert dieser Landschaften aus.
Aber oft sind sie der Grund für die Schwierigkeiten einer rationellen Bewirtschaftung. Hier muss die Gesellschaft
den Landwirten helfen. Anstelle der Förderung der Großbetriebe in den fruchtbaren Ebenen, sind hier nachhalti-
ge Subventionen sinnvoll. Das heißt aber nicht, dass die Landwirte fremd bestimmt, etwa von Naturschützern, zu
Landschaftspflegern degradiert werden; die Priorität hat auch hier die landwirtschaftliche Produktion. Ein beson-
derer Wert muss hier aber auch auf die Schaffung einer optimalen Infrastruktur für die Erholungsfunktion gelegt
werden, was die Aufgabe von Landschaftsarchitekten wäre.
Das Ziel ist also die Entwicklung einer neuen Kulturlandschaft - ‚Gefildelandschaft’ - die sowohl die Belange einer
modernen Landwirtschaft wie auch die Erholungsfunktion erfüllt. Erreicht werden kann das, wie gesagt, nur durch
eine enge Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen, am besten durch die Schaffung interdisziplinär struk-
turierter Behörden. – Abschließend sei noch einmal Lucius Burckhardt zitiert, der sich intensiv mit dem Thema
Landschaft in seiner Spaziergangswissenschaft befasst hat:
Kulturlandschaft kann ... aktuell, gegenwärtig, fortschrittlich sein. Nur heute ist das nicht mehr gestat-
tet. ... Kulturlandschaft ist die Landschaft, in die man zu spät kommt, deren Reiz darin besteht, daß
man darin gerade noch lesen kann, wie es einmal war. Und wie es einmal war, das ist für uns so, wie
es „eigentlich“ sein müsste. ...
Die Kulturlandschaft als solche existiert ... nicht. Sie ist immer ein Unterwegs, unterwegs von der
Vergangenheit in die Zukunft und damit die Momentaufnahme der Gegenwart – und unterwegs von
der Stadt in den Urwald ... .
Eine künftige Kulturlandschaft muss die Belange des technisch ökonomischen Landbaus genau so wie ökologische
Anforderungen: Nachhaltigkeit, Schadstofffreiheit und Umweltverträglichkeit in sich vereinen. Dadurch kann sich
durchaus ein Landschaftsbild entwickeln, das auch naturästhetisch wahrgenommen werden kann.
Im 7. Kapitel habe ich die Entwicklung des Naturschutzes zu einem geschlossenen sozialen System beschrieben,
das auf dem zweiwertigen Code ‚wertvoll / wertlos’ beruht und das durch die Angstrhetorik über den Begriff des
Aussterbens in der gesellschaftlichen Kommunikation fest etabliert ist. Als wertvoll wird in erster Linie das einge-
stuft, was selten ist. Das sind diejenigen Arten, die in den jeweiligen Roten Listen als „vom Aussterben bedroht“ ge-
führt werden. Das heißt, komplexe ökologische Zusammenhänge werden reduziert auf das Vorhandensein seltener
Arten. Das alles gilt es kritisch zu hinterfragen, um die Stellung des Naturschutzes in der Gartenwelt zu bestimmen.
Das System Naturschutz beruft sich auf wissenschaftliche Theorien, die aber zunehmend kritisiert werden. (Siehe
Anm. 101) Ich beziehe mich auf die viel beachtete leidenschaftliche Darstellung von Jürgen Dahl, „Verteidigung des
Federgeistchens“. Darin relativiert er viele Aussagen der Wissenschaft, zum Beispiel das ‚ökologische Gleichgewicht’
als statisches Symbol, das Prinzip der ‚Vernetzung’ oder die Bedeutung der ‚Artenvielfalt’. Er folgert:
Die Ökologie beschreibt weder das Paradies noch die Richtung in der es liegt, ... Sie beschreibt ein
subtiles Zusammenspiel zwischen den Lebewesen, aber sie beschreibt auch die brutale Verdrängung
einer raren Spezies durch einen Allerweltsrüpel. Sie kündet von einigen heilen Weltecken, aber die
Verkündigung ist untermalt vom Lärm der ökologischen Katastrophen, auch solcher, die die Natur sich
selbst bereitet, ganz ohne Zutun des Menschen.
Die Ökologie ist keine Gesetzessammlung, die sich zu einer Umwelt-Ethik umformen ließe. Alles,
was sich unter dem Etikett der Ökologie an Vorschlägen und Vorschriften, an Empfehlungen und
Mahnungen, an Verboten und Geboten annonciert wird, beruft sich zwar auf nachgewiesene ökologi-
sche Zusammenhänge – aber die Wertung dessen, was als unerwünscht und erlaubt ... zu gelten hat,
liegt außerhalb der Ökologie.502
Es geht auch Jürgen Dahl um eine Wertung, und scheinbar ist auch für ihn die Seltenheit ein Kriterium. Als Beispiel
betrachtet er einen seltenen Falter, das Federgeistchen. Das Einzigartige dieser Art besteht darin, dass bei ihr die
Hinterflügel aus federartigen Gebilden bestehen, die nur während des Fluges zu sehen sind, weil sie, sobald sich der
Schmetterling niederlässt, in einer Tasche verschwinden.
Für Dahl besteht aber der Wert dieser Art für uns allein in seiner Schönheit. Für die Ökologie sei es unerheblich,
ob sie, so selten wie sie vorkommt, erhalten bleibt oder nicht. Er rekurriert also auf ein Kriterium, das für den
heutigen Naturschutz nebensächlich ist: die Ästhetik der Natur, und nicht nur auf der Seltenheit, sondern auch auf
der Vielfalt gründet sich für Dahl das ästhetische Empfinden. Aber diese Vielfalt „ist nicht mehr jene zweckmäßige
Diversität, von der die Ökologen künden, sondern ein Reichtum weit jenseits aller Zweckmäßigkeit.“ 503 Letztlich
Wir müssen den Garten der Welt bestellen, wenn wir darin überleben wollen. Und selbst wenn wir
bescheiden sind und, anders als alle anderen Lebewesen, nicht rücksichtslos und selbstsüchtig nur auf
die eigene Vermehrung und Verbreitung aus sind, müssen wir doch unablässig gegen „natürliche“
Zusammenhänge handeln. Wir müssen durch Eingriffe aller Art immer wieder irgendwas zu verhin-
dern trachten, was die „Natur“ von sich aus praktizieren möchte, und wir müssen immer wieder ver-
suchen, ihr etwas abzuverlangen, was sie von sich aus gar nicht gäbe.504
So sieht er auch die Naturgartenbewegung, die nur vom „Lassen“ bestimmt ist, kritisch „als subtile[n] Luxus ...
von geringem Erkenntniswert.“ Denn „aus Le Roys vielgelobten Wildwuchsanlagen [ist] schließlich doch nur die
platte Einsicht mitzunehmen, daß da, wo man was wachsen lässt, immer etwas wächst.“ 505 Das entspricht der
Feststellung, dass jede offene Nische bald wieder von einem Organismus besetzt wird, mehr oder weniger zufällig.
(Siehe Anm. 99).
Die Ansichten Dahls sind zum Teil nicht einfach zu interpretieren und in mancher Hinsicht missverständlich. Auch
seine Prognose, dass die Entwicklung auf eine Katastrophe zuläuft, nach der die Welt „gerade eben am Untergang
vorbei, in namenlose Armut versinkt“, ist ein Pessimismus, der heute – dreißig Jahre später – nicht mehr ange-
bracht ist. Man kann doch ein allmähliches, wenn auch unendlich langsames Umdenken und ein Gegensteuern in
der Gesellschaft feststellen. Aber davon abgesehen, enthalten Dahls Ausführungen wichtige Ansätze, die eine neue
Rolle des Naturschutzes in der Welt als Garten begründen können.
Überholte Symbole
Seine kritische Ansicht über manche Symbole im ökologischen Diskurs, wie „ökologisches Gleichgewicht“ und
„Vernetzung“ werden heute von vielen Wissenschaftlern geteilt, wenn auch in der öffentlichen Diskussion diese
Symbole immer noch eine bestimmende Rolle spielen. Nach dem Philosophen Dieter Birnbacher lädt ein Begriff wie
der des Gleichgewichts „zu einem naturalistischen Fehlschluß ein, der an sich rein deskriptiv funktioniert, aber ...
nur allzu leicht normativ gedeutet wird, so als wäre ‚Gleichgewicht’ eo ipso der einzig wünschenswerte, schlechthin
optimale Zustand eins Systems, den es nur möglichst lange aufrecht zu erhalten ... gilt.“ 506
Auch der Begriff der Vernetzung wird noch immer von Naturschützern zur Begründung ihrer Flächenansprüche
ins Feld geführt. Ein Beispiel, das als eine Vernetzung angesehen werden könnte, ist der Kleine Moorbläuling,
der sowohl auf eine bestimmte Wirtspflanze angewiesen ist, den Lungenenzian, von dem sich seine Raupen er-
nähren, wie auch auf die Knotenameise, in deren Nestern die Raupen überwintern. Nach Maturana (Siehe Anm.
94 bis 96) ist dies aber nur eine besonders exotische Nischenbildung, die nichts mit Vernetzung zu tun hat; das
Moor bleibt bestehen, auch wenn der Lungenenzian und damit der Moorbläuling nicht vorhanden sind. Diese
interessante Nischenbildung ist im Laufe der Evolution entstanden durch das, was Maturana „natürliches Driften“
nennt. Dieses Driften ist nicht teleologisch - zweck- und zielgerichtet - bestimmt, sondern unterliegt rein dem
Zufall.507 Diese Zufälligkeit ist aber die Ursache für den ungeheuren Artenreichtum, der im Laufe der Evolution
durch lauter Verzweigungen entstanden ist. Dies erklärt auch die Entstehung von manchen exotischen Formen und
Eigenschaften, die für das Überleben der jeweiligen Art ohne Bedeutung sind.
Das heißt aber nicht, dass die Artenvielfalt nicht erhalten werden muss. Dabei geht es zum Beispiel gar nicht so sehr
um das Argument, dass in den Regenwäldern noch ungehobene Schätze an Heilpflanzen vorhanden sind. Es geht
um die Ästhetik unserer Lebensräume, und diese Ästhetik ist eine essentielle Grundlage menschlichen Lebens. Die
Frage, 5 oder 10 Prozent des Landes unter Naturschutz zu stellen sind, ist ökologisch nicht zu entscheiden. Sie wird
willkürlich nach der politischen Durchsetzbarkeit entschieden.
Dies alles zeigt, dass die Ökologie keine Wertung erlaubt. Sie ist eine beschreibende aber keine vorschreibende
Wissenschaft. Für unser Naturverhältnis und Naturverständnis ist sie trotzdem von großer Bedeutung. Ich habe
das schon in dem Abschnitt „Denken und Fühlen“ begründet. Danach haben ökologische Erkenntnisse Einfluss
auf unsere ‚gefühlte’ ästhetische Wahrnehmung. Ein Beispiel ist die veränderte Einstellung zum ‚Unkraut’: Vom
Urgarten bis zum heutigen Gemüsegarten ist das Unkraut nicht tolerierbar. Außerhalb dieser Gärten wird jedoch aus
‚Unkraut’ infolge ökologischer Erkenntnis ‚Wildkraut’ geworden. Beispielsweise wurden noch in den 70ger Jahren
in einem Hamburger Naturschutzgebiet ausgedehnte Bennnesselbestände mit Herbiziden behandelt. Erst nach der
Aufklärung durch Ökologen, wonach Brennnesseln wichtige Wirtspflanzen für viele Tiere sind, veränderte sich die
Wahrnehmung und damit die Einstellung zu diesem ‚Unkraut’. Das gilt auch für die Entdeckung der Stadtbiotope.
Auch die wurden (und werden von ‚ordnungsliebenden’ Hausbesitzern noch heute) rigoros bekämpft.
Ökologische Erkenntnisse beeinflussen also unsere Wahrnehmung. Ich habe die Frage der Wahrnehmung im 6.
Kapitel so ausführlich behandelt, weil sie eine Grundlage unseres Naturverständnisses ist. Durch die Wahrnehmung
wird die Konstruktion unseres Weltbildes bestimmt. Wahrnehmung – griechisch: Aisthesis – ist im weitesten Sinne
Ästhetik. Das heißt, Ästhetik ist nicht nur „Augenschmaus“, und es nehmen nicht nur alle Sinne an der ästhe-
tischen Wahrnehmung teil, sondern auch rationale Erkenntnisse beeinflussen das ästhetische Empfinden. Die
Naturerscheinungen, die uns so beeindrucken sind also ‚wertvoll’ in diesem ästhetischen Sinne. Das
unterscheidet sich kategorisch von dem Wert des binären Codes „wertvoll / wertlos“ im Naturschutz-
System.
Die Frage dieses Wertes ist noch näher zu untersuchen. Jürgen Dahls Auffassung dass die Ökologie wertfrei operiert;
gipfelt in der Feststellung, dass selbst in einer Welt aus heißer Schwefelsäure eine bestimmte einzellige Alge „nach
allen Regeln der Ökologie“ sich wohl fühlen würde. Damit ist der ökologische Wert an sich absolut relativiert.
Schwieriger ist die Wertbestimmung aufgrund der Seltenheit, was an tiefenpsychologische Fragen rührt. Warum
empfinden wir das Seltene als kostbar? Es ist phylogenetisch erklärbar: Auch der gegenwärtige Mensch ist immer noch
Wenn nun mehrere Konkurrenten so ein seltenes Exemplar haben wollen, dann steigt der materielle Wert des-
selben, so dass man bei Briefmarken-, Münz- und Kunstsammlern offen von Wertanlagen spricht. Ein materieller
Wert entsteht aber nur dadurch, dass von irgendjemandem der Besitz des seltenen Gegenstandes angestrebt wird.
Damit ist klar, dass der Wert einer seltenen Tier- oder Pflanzenart nicht materiell bestimmt werden kann, denn sie
kann normalerweise nicht in Besitz genommen werden. Allerdings kann man in der Haltung und in dem Verständnis
der Naturschutzverbände durchaus ein Besitzstreben feststellen: Wenn ein Naturschutzgebiet ausgewiesen und ei-
nem Naturschutzverband zur ‚Pflege’ anvertraut wird, zeigt dieser typische Verhaltensweisen eines Besitzers. So
werden Regeln für das Verhalten der Nichtmitglieder aufgestellt, und am liebsten das Betreten „besonders wertvol-
ler“ Bereiche ganz verboten. Gerne wird vom Tabu gesprochen. (Tabu: „etwas, das sich dem ... Zugriff aus Gründen
moralischer, religiöser od. konventioneller Scheu entzieht; [wovon] nicht gesprochen werden [darf].“ 510)
Aber auch eine materielle Wertbestimmung spielt im Naturschutz eine immer größere Rolle: In der Eingriffsregelung
bei Großvorhaben wird die Lösung meistens durch eine Ausgleichszahlung gesucht. Für die administrative Abwicklung
solcher Verfahren wurde eine Wertskala entwickelt, vom Acker über Wiesen, Feuchtgebieten, Trockenrasen bis zu
Hochmooren, die am „teuersten“ sind. Bei einem Eingriff muss dann eine Fläche an anderer Stelle entsprechend
„höhergestuft“ werden. So wurde tatsächlich schon (vergeblich) versucht, künstlich eine Trockenrasenfläche zu
schaffen durch das Abschieben von Mutterboden. Ein anderes Beispiel solchen „Planierraupen-Naturschutzes“ habe
ich im Kapitel 7 angeführt.
Das selbstreferentielle System Naturschutz ist so fest in der Gesellschaft verankert, dass qualitative Änderungen als
utopisch erscheinen müssen. Trotzdem will ich der Frage nachgehen, unter welchen Bedingungen und Grundsätzen
eine Änderung möglich sein kann.
Als Prämisse stelle ich fest, dass jede Theorie und jede Ideologie anthropozentrisch ist; eine Erkenntnis, die sich
immer mehr durchsetzt. Auch der Naturschützer vertritt seine eigenen Interessen bis zum Besitzstreben. Tatsache
ist zudem, dass das System Naturschutz nur in wohlhabenden Gesellschaften bestehen kann. In Ländern, in de-
nen Hungersnöte herrschen, ist an eine derartige Form des Naturschutzes nicht zu denken. Daraus ergibt sich
ein Ansatz, was künftig in erster Linie Gegenstand eines anderen Naturschutzes sein muss: die globale Erhaltung
der Bodenfruchtbarkeit und das Aufhalten der Wüstenbildung in den subtropischen Gebieten durch Förderung
der heimischen Landwirtschaft. Das ist eine ökologische und ethische Frage und bedeutet für die wohlhabenden
Länder zum Beispiel den Verzicht auf die subventionierten Getreideexporte in Entwicklungsländer einerseits und
der Import von billiger Soja andererseits. Grundsätzlich müssen die eigenen Ressourcen der Lebensmittelproduktion
voll aktiviert werden. Das kann aber nur durch eine allgemeine Bewusstheitsänderung erreicht werden, die durch
das System Naturschutz eher behindert wird.
Das heißt nun nicht, dass dadurch die Pflege der Natur bei uns zweitrangig würde. Im Gegenteil: Naturverständnis und
Naturliebe sind eine Voraussetzung für die seelische Hygiene der Gesellschaft. Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass
510 Fremdwörterlexikon
Die Aufgabe der Landschaftsarchitekten muss sein, in allen Bereichen und Zusammenhängen die Schönheit der
Natur durch ‚Tun und Lassen’ zu fördern. Eine Naturästhetik im weitesten Sinne muss das Leitbild sein. Das
schließt selbstverständlich ein, das die Reste ursprünglicher Natur, wie Moore und Urwälder erhalten werden müs-
sen. Zu dem ist der Begriff des Naturdenkmals zu reaktivieren. Dazu gehören alle Biotope, die infolge speziel-
ler Bewirtschaftungsformen entstanden sind; eigentlich handelt es sich um ‚Kulturdenkmale’. Und, um auf den
Ausgangspunkt zurück zu kommen, selbstverständlich müssen das Federgeistchen und der Lungenenzian im Sinne
der Artenvielfalt erhalten werden. Aber das ist eine Frage der Naturästhetik und damit die Frage einer des Menschen
würdigen Kultur. Nicht hinnehmbar ist, dass immer wieder gesellschaftlich wichtige Maßnahmen aufgrund nicht
überprüfbaren Gefährdungsszenarien behindert oder nur durch hohe Ablasszahlungen ermöglicht werden.
Der hier reklamierte Bewusstseinswandel wird sich nur unter großen Schwierigkeiten einstellen. Die vielen
Probleme konnten hier nur angedeutet werden. Der wichtigste Grundsatz des Naturschutzgesetzes, dass die Natur
als „Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen ... zu schützen“ sei, muss aus dem gegenwärtigen lokalen
und ideologischen Bezug auf die globale Idee einer Welt als Garten erweitert werden.
Wenn ich mich jetzt Aspekten der Gartenkunst im engeren Sinne zuwende, dann geht es nicht um etwas
Gegensätzliches, sondern – ich wiederhole es immer wieder – es geht um Formen der Unterscheidung mit zwei
Seiten, die schon behandelt wurden:
Gartenkunst
Identisches Nichtidentisches
Versöhntes Unversöhntes
Denken Fühlen
Darstellbares Nichtdarstellbares
Fragen der Kunst richten sich hauptsächlich an die rechte Seite der Unterscheidungen, jedoch ist die linke Seite
immer mit zu denken. Dabei sind immer die bisher entwickelten theoretischen Grundlagen zu berücksichtigen. In
Bezug auf die Vegetation geht es um das Verhältnis von physis und techne, Pflanze und Nische, Vereinzelung oder
Vergesellschaftung der Pflanzen, Dynamik oder Statik der Pflanzungen und in Bezug auf die Gartenarchitektur
vor allem um das Verhältnis von Funktion und Ornament. Und zur Erinnerung: Alle diese Unterscheidungen sind
skaliert, und den angemessenen Punkt auf der Skala zu finden, ist ein Kriterium der Kunst. Unter dieser Prämisse
wende ich mich den einzelnen Themen zu:
Ich gehe zurück auf die im 7. Kapitel behandelte Unterscheidung „Medium und Form.“ Danach sind Pflanzen im
Medium Vegetation als Elemente in „loser Kopplung“ vergleichbar mit Wörtern in lexikalischer Anordnung im
Medium Sprache oder mit Tönen auf der Tonleiter im Medium Musik. So nehmen wir sie wahr, wenn sie wie auf
Gärtnereibeeten angeordnet sind. Und so wie Wörter erst in „fester Kopplung“ als „Form“, das heißt in Sätzen,
und so wie Töne erst in einem Musikstück einen Sinn ergeben, so erscheinen Pflanzen in fester Kopplung, als
„Form“ erst in einem bestimmten Arrangement.
Der Vergleich mit den Medien Sprache und Musik lassen aber auch einen deutlichen Unterschied erkennen: Die
Gartenkunst unterscheidet sich von allen anderen bildenden Künsten dadurch, dass ihr Medium, die Pflanze, einen
ästhetischen ‚Eigenwert’ hat, was man so etwa von der Farbe oder einem Marmorblock nicht sagen kann. Diese
Bedeutung der Pflanze für die Gartenkunst ist näher zu untersuchen.
Ich habe oben die Kulturtechnik der Vereinzelung im Urgarten als entscheidenden Schritt in der
Menschheitsentwicklung beschrieben. Diese Technik diente zunächst der Erzeugung von Nahrungspflanzen. Als
wichtigen Schritt in der Kulturentwicklung wird aber die Pflanze auch schon bald eine Bedeutung als Schmuck
erlangt haben. Das Schmücken mit Blumen ist eine archetypische Prägung. Viele Symbole hierfür finden wir schon
in der Kunst frühester Zeiten. Ein bekanntes ist das „Paradiesgärtlein mit der Himmelskönigin,“ in dem Blumen in
ihrer individuellen Schönheit dargestellt sind. In der Heraldik spielen Blumen eine große Rolle. Eine frühe literari-
sche Darstellung finden wir in Vergils Hirtengedichten. Darin ist die Rede vom „purpurnen Frühling“, in dem „die
Erde rings um den Fluß eine Fülle bunter Blumen“ ausschüttet. Aber auch die Schönheit unscheinbarer Pflanzen
wurden Gegenstand künstlerischer Betrachtung, wie Dürers kleines Rasenstück oder das Veilchen in der Romantik
als Symbol einer Schönheit im Verborgenen. Im Gegensatz dazu steht die Steigerung der Schönheit durch Auslese,
also durch Züchtung, die schon früh praktiziert wurde, dargestellt zum Beispiel in den barocken holländischen
Blumenstilleben. Das Arrangement einer festen Kopplung kann also für den Beobachter die Pflanzung im Garten
aber auch die Blume auf der Wiese sein.
Allen diesen Erscheinungsformen der Vegetation ist gemeinsam, dass in ihnen das Naturschöne als „Nichtidentisches“
erscheinen kann, unabhängig von dem skalierten Verhältnis zwischen physis und techne. Unter diesem Gesichtspunkt
will ich die verschiedenen Verwendungsformen der Pflanzen betrachten.
Pflanzen in Einzelstellung
In der Einzelstellung sehen wir die Pflanze als Individuum. In reiner Form ist dies verwirklicht in den so genannten
Sondergärten, wie Rosen-, Dahlien-, Irisgärten und so weiter. Wie tief diese Gärten ein fundamentales Bedürfnis
der Menschen befriedigt, kann man zum Beispiel im Dahliengarten in Altona beobachten, wenn an einem schö-
ne Septembertag an die tausend junge und alte Besucher den Garten bevölkern und sich an der Schönheit dieser
Prachtblumen erfreuen, viele mit dem Fotoapparat bewaffnet. Eine lange Tradition haben auch die Rosengärten,
nach denen sich Städte mit dem Prädikat „Rosenstadt“ schmücken. Bei der Rose kommt hinzu, dass sie einen hohen
Symbolwert hat.
Die Motivation für diese Art der Pflanzenpräsentation ist auch das Bestreben, durch Züchtung bestimmte Eigenschaften
der Pflanzen zu verbessern. Das kann die Widerstandskraft gegen Krankheiten aber auch das Erscheinungsbild be-
treffen. Letzteres unterliegt oft der Mode und damit auch der Gefahr der Entartung, zum Beispiel wenn immer
größere Blüten angestrebt werden. Bei dem Rosensortiment lässt sich der Geschmackswandel gut beobachten. Vor
etwa 50 Jahren waren einfach blühende Sorten sehr beliebt, die an Wildrosen erinnerten; ich erinnere mich an die
Einzelstellung bedeutet, wie ich gezeigt habe, dass Pflanzen in ihrer Nische nicht unter Konkurrenzdruck durch
andere Pflanzen stehen. Das erzeugt eine gewisse Statik in derartigen Pflanzungen. Das hat sicher auch prakti-
sche Gründe. Pflegekräfte mit geringerer fachlicher Ausbildung können so leichter zwischen Kulturpflanzen und
Unkraut unterscheiden.
Aber auch diese konventionelle Kulturform kann schon ganz verschiedene Bilder erzeugen. Die einfachste Form
sind Massenpflanzungen, wie die berühmten 10.000 Tulpen. Lebendiger sind schon Pflanzungen in unterschiedlich
großen Gruppen verschiedener Arten bis zu Mischungen nach unterschiedlichen Kriterien. Die Tendenz geht also
zu Bildern, die sich dem in der Natur herrschenden Zufallsprinzip annähern.
Alle diese Gestaltungsformen verfolgen das Ziel, die Pflanzen in ihrer Schönheit zu präsentieren. Dazu werden je-
weils, zum Beispiel in Sondergärten die passenden Rahmen geschaffen. Die Elemente sind in „fester Kopplung“. Das
ist nicht zu vergleichen mit der heute üblichen lustlosen Darbietung auf langweiligen Beeten, in „loser Kopplung“.
Pflanzen in Vergesellschaftung
Bedeutend anspruchsvoller sind dynamische Pflanzungen, in denen sich einzelne Arten durch Aussaat oder
Ausläufer ausbreiten können. Hier werden Pflanzen, wie oben beschrieben, jeweils zur Nische ihrer Nachbarn.
Diesen Konkurrenzkampf zu steuern erfordert gute Pflanzenkenntnisse und ständige Entscheidungen zwischen
‚Tun und Lassen’: Lässt man die Sämlinge oder Ausläufer wachsen, oder muss man konkurrenzstarke Arten ein-
dämmen.
Tatsächlich sind auf diesem Gebiet unseres Faches in letzter Zeit eindrucksvolle Fortschritte erzielt worden, maßgeb-
lich beeinflusst unter anderen von Wolfgang Oehme und Petra Pelzer, von Cassian Schmidt am Hermannshof
in Weinheim und Heiner Lutz. Im Internet findet man unter den Suchwörtern ‚Präriestauden’ und ‚Blumenwiesen’
zahllose gute Beispiele aber auch manche problematische. Insgesamt tut sich hier ein neues Feld der Gartenkunst
auf, das zum einen ein profundes Wissen und ebenso eine positive Einstellung zur Naturästhetik erfordert. Heiner
Lutz hat hierzu wichtige Grundsätze unter dem Leitbegriff „Aspektbildner“ aufgestellt:
Pflanzenverwendung, die sich am Gestalterischen orientiert, hat ... die natürlichen Standortsverhältnisse
ebenso zu beachten wie rein gärtnerisches Wissen über die Ansprüche von Pflanzen und deren
Entwicklung. Als Landschaftsarchitekt denke ich aber nicht nur an Aspekte des Standortes und der
Vegetationskunde; das gestalterische Moment mit dem Erscheinungsbild der Vegetation spielt eine gleich
berechtigte Rolle. ... Pflanzenverwendung hat ... immer mit Gestaltung zu tun. Also ist es notwendig,
bei der Pflanzenauswahl auf die Gastaltbildung zu achten. Ein erster Schritt ist dabei die Beschäftigung
mit Wahrnehmungsprozessen und Gestaltgesetzen. Die Gestaltlehre spricht bei Dominanz weniger
Elemente von Klarheit, Einfachheit und Prägnanz. Die wichtigste Gestaltregel heißt: Einheitlichkeit
im Großen und Vielfalt im Kleinen. Sie definiert Vielfalt aus Variation und / oder wechselnder
Kombination weniger gestaltbildender Elemente und ganz bewusst nicht als simple Addition möglichst
vieler und verschiedener Elemente. ... Pflanzenverwendung braucht eine Ordnung unter räumlichen
Gesichtspunkten wie auch nach rein ästhetischen Kriterien. 511 (Hvh. A.S.)
Ich teile mit Lutz auch die Auffassung, dass Stauden und Sträucher kombiniert werden sollten und dass gärtne-
risch kultivierte und heimische Arten im Prinzip gleich berechtigt nebeneinander verwendet werden können. Eine
Zusammenfassend stelle ich fest, dass die Pflanze als Medium das wichtigste Thema der Gartenkunst ist. Der Garten
im weiten Sinne ist das Symbol unseres Naturverhältnisses. Das künstlerische Ziel muss sein, das Naturschöne als
Nichtidentisches spürbar zu machen. Um es zu erreichen, müssen die Bedingungen der Wahrnehmung berück-
sichtigt werden, die ich im 6. Kapitel deshalb so ausführlich behandelt habe. Konkret geht es um die Spannweite
zwischen der prägnanten Schönheit einer Einzelpflanze, wie der hoch gezüchteten Rose im Rosengarten und der
Impression einer Blütenwiese.
Peter Latz hat hierzu ähnliche, noch tiefer greifende Gedanken geäußert:
Nicht als dekoratives, sondern essentielles Element gehören der Reiz der Jahreszeiten, das Wetter so-
wie Blühereignisse zum archetypischen Repertoire unseres Lebenszyklus. ... Bei unseren Freiräumen
liegen möglicherweise mehr Informationen außerhalb von Form und Gestalt, als innerhalb. Bereitet
Gestaltung womöglich nur den Ort vor, jene Naturereignisse zu erleben? Was mich ... interessiert, ist
Dinge zu erforschen, die man möglicherweise spontan verwendet wie das Unsichtbare in der visuellen
Kommunikation oder das Nichtsichtbare des Ästhetischen, und dies systematischer einzusetzen. 512
Das „Nichtsichtbare“ ist gleich bedeutend mit dem „Nichtidentischem.“ - Peter Latz schreibt dann am Schluss:
„ ... mit leichter Trauer stellen wir fest, dass wir uns immer weniger denen verbunden fühlen, die Tulpen und
Narzissen, Rosen uns Rittersporn züchten.“ Diese resignative Auffassung teile ich allerdings nicht, denn auch die
Pflanzenzüchtung gehört zu unserem „archetypischen Repertoire.“ Es entspricht dem Grundsatz dieser Arbeit: Auch
die durch Züchtung (durch techne) veränderte Pflanze bleibt physis, ‚reine’ Natur.
Ich verzichte bewusst darauf, dieses Pflanzenthema zu illustrieren. Es gibt eine Fülle hervorragender
Veröffentlichungen. Zum Beispiel verweise ich auf das Buch der englischen Gartenarchitektin und Gartenjournalistin
Heidi Howcroft: „Blumengärten – Klassisch, ländlich und Modern“, in dem sie einen Querschnitt heutigen gärtneri-
schen Könnens darstellt. Auch sie bringt den Skalencharakter der Lösungen zwischen physis und techne und Tun und
Lassen zum Ausdruck und distanziert sich deutlich von dem „für das neue Millennium typische[n] minimalistischen
Gartenstil“, dessen Gärten man „als die hochgezüchteten Pudel der Gartenwelt bezeichnen könnte.“513
Im 4. Kapitel habe ich die Gartenarchitektur unter dem Gesichtspunkt von Funktion und Ornament behandelt,
hauptsächlich in Bezug auf die Wegesysteme und deren psychologischen Wirkungen. Und im 7. Kapitel wurde die
Überbetonung des Designs unter Vernachlässigung der Funktion kritisiert. Eine wichtige Frage ist nun noch, wie
sich die Gestaltung der Gartenarchitektur und die der Pflanzung zueinander verhalten.
Festzustellen ist zunächst, dass fast immer Pflanzung und Architektur nach den gleichen formalen Grundsätzen be-
handelt werden. Sind die Wege orthogonal gestaltet, müssen auch die Pflanzen in Reih und Glied aufmarschieren;
ist die Gestaltung mehr ‚dekonstruktivistisch’, werden auch die Pflanzbeete nach Vorbildern der abstrakten Malerei
geformt, oder die Perversion der Formgehölze kommt zum Zuge und die Rasenflächen werden zu ‚Schollen’ auf-
Die Ursache für dieses herrschende Prinzip ist wieder das einheitliche Denken, das nicht in der Lage ist,
Unterscheidungen zu treffen: in der Gartenkunst muss alles ‚künstlich’ sein und im Naturgarten alles ‚natürlich’. Es
ist also bewusst zu machen, dass Vegetation und Architektur im Garten zwar eine Einheit bilden, dass aber beide
unterschiedlichen Gesetzen unterliegen. Konkret bedeutet dies, dass eine naturhafte Pflanzung durchaus mit stren-
gen architektonischen Formen kombiniert werden kann, wenn die Funktion dies nahe legt.
Meine Grundüberzeugung ist aber, dass in diesem Verhältnis die Vegetation im Prinzip die Priorität haben muss.
Das heißt, in der Planung ist von dem Bild, von der räumlichen und atmosphärischen Wirkung der Vegetation
auszugehen. Aufgabe der Erschließung ist dann, dieses erlebbar zu machen. Vorbild ist also das oben beschrie-
bene Gestaltungsprinzip der frühen Landschaftsgärten. In der gegenwärtigen tonangebenden Gartenkunst ist das
Verhältnis umgekehrt.
Im 5. Kapitel habe ich ausführlich die Charaktere des Raumes als Medium von Architektur und Gartenkunst
dargestellt. Wesentlich ist der Übergang vom ‚klassischen Raum’, dem die geschlossene Stadt entspricht, zum
‚Raumkontinuum’, das sowohl in der ‚Zwischenstadt’, wie auch im ‚fließenden Raum’ zum Ausdruck kommt.
Diese Entwicklung ist nicht zu vergleichen mit einer Änderung eines Stils, wie zum Beispiel dem Übergang vom
Rokoko zum Klassizismus. Sie ist nur mit anthropologischen Kriterien zu beschreiben, etwa wie der Übergang von
der Jäger- und Sammler- zur Ackerbaugesellschaft. Entsprechend problematisch und schwierig vollzieht sich der
Übergang im Bewusstsein der Gesellschaft. So wird die Zwischenstadt nach wie vor als Zersiedelung gebrandmarkt,
die Gartenkunst schützt sich mit ‚harten Kanten’ gegen den fließenden Raum und noch immer werden Häuser mit
Fachwerk und Butzenscheiben gebaut.
Wie ich schon feststellte, setzt sich aber in der Architektur immer mehr ein weiter entwickelter Bauhausstil durch.
Dabei ist zu beobachten, dass eine Richtung – von Gropius beeinflusst – mehr die kubische Form betont, die an-
dere – in Anlehnung an Mies van der Rohe – mehr den Übergang zum Außenraum. Abgesehen von diesem klei-
nen Unterschied wird ein Baustil dominant, der sich sowohl von der Postmoderne, wie auch vom so genannten
Dekonstruktivismus distanziert.
Erhalten bleibt das Problem, das schon zu Bauhauszeiten bestand, dass in der Gartenkunst keine adäquate
Entwicklung erkennbar ist. An vielen Beispielen sieht man, dass als Antwort auf eine eindrucksvolle Architektur,
der Außenraum als nackte Rasenfläche nur mit einigen albernen Buxuskugeln oder Blumenkübeln dekoriert wird.
Diese unbefriedigende Tatsache führt dazu, dass zum Beispiel Meinhard von Gerkan ein Wohnhaus in Finnland
in einen Kiefernwald stellt, um die Architektur zur Geltung zubringen, und die Spannung zwischen Innen- und
Außenraum wirksam werden zu lassen so wie es Gropius mit den Meisterhäusern in Dessau tat. 514
Ein ideales Beispiel ist der Bundeskanzlerbungalow in Bonn von Sep Ruf, der in einem Park gebaut wurde. Hier
besteht ein stufenloser Übergang zwischen Innen und Außen, der nicht nur optisch erlebbar ist. Aber auch hier ist
keine adäquate Gartengestaltung vorhanden. Aber der Raum ist bestimmt durch den alten Baumbestand. 515 (S.
Abb. oben)
Ein weiterer Grundsatz ist, dass auf eine starke Architektur mit einer ebenbürtigen Vegetation zu reagieren ist. Die
klaren Flächen der Architektur müssen mit den vegetabilen Formen kontrastieren. Das wird nur erreicht durch
eine lebendige, reich strukturierte Pflanzung mit Einzelbäumen als Akzentuierung. Je klarer die Architektur, umso
spannungsreicher und vielgestaltiger muss die Pflanzung sein. Eine starke Architektur, die von innen her räumlich
entwickelt wird, verträgt es nicht nur, außen von einer vitalen Vegetation eingefasst zu werden, sie fordert geradezu
dazu auf.
Die architektonischen Elemente des Außenraumes, wie überdachte Sitzplätze oder ähnliche, sollten mit der klaren
Formensprache der Gebäude harmonieren.
Schließlich ist noch das Bewusstsein zu entwickeln, dass jeder Garten, jede Grünanlage Teil der Zwischenstadt ist.
Das ist nicht die Forderung nach Einheitlichkeit, sondern der Appell, ein zeitgemäßes Verhältnis zwischen Mensch
und Natur bei jeder Gestaltung zu Grunde zu legen.
Ich sehe ein Grunddefizit der heutigen Gartenkunst in ihrem gestörten Verhältnis zur Vegetation. Die Ursache liegt,
wie ich dargestellt habe, in dem Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Ökologie. Eine weitere Ursache für diese
Entwicklung ist aber auch in einem Umstand zu sehen, den Peter Wirtz beklagt:
den kontinuierlichen Verlust von handwerklichem Grundwissen. ... Selbst ein Grundkonsens darüber,
was Landschaftsarchitektur ist oder sein sollte, lässt sich nicht mehr erkennen. ... Pflanzen werden nur
aufgrund ihrer graphischen Qualitäten ausgesucht. ... Der zeitliche Aspekt ... wird negiert, ... Der Mangel
an praktischem Wissen, an Pflanzenkenntnis, an dreidimensionaler Denkweise, an Bodenkunde, an
Wissen über die Zusammenhänge zwischen Boden und Baum oder den Gartenbau in urbanem Umfeld
wird immer gravierender. ... Durch die Abstraktion auf dem Papier oder am Computer entfernen sich
die Planer noch weiter von der Realität. 516
Auch Peter Latz beklagt den vernachlässigten „Umgang mit der Pflanze.“517 Ich sehe hierin einen Tiefpunkt
der Gartenkunst, der mit deren Zustand am Anfang des 20. Jahrhunderts zu vergleichen ist, als Brezelwege und
Teppichbeete das Bild beherrschten. Ich denke, dass es sich hierbei, wie ich schon sagte, nur um ein vorüberge-
hendes Phänomen handelt, das mit der Postmoderne in der Architektur zu vergleichen ist, die auch nur wenige
Jahrzehnte gedauert hat. Aber das Thema ist zu wichtig um nur als modische Frage behandelt zu werden. Es geht
um die Frage des Mensch-Natur-Verhältnisses, um archetypische Prägungen, um Naturästhetik und um sozialhy-
gienische Fragen.
Die grüne Fakultät schlug einen ganz anderen Weg ein und folgte dem Leitbild ‚Ökologie’. Die Reaktion auf diese
einseitige Entwicklung war die Spaltung der Profession. Gartenarchitekten, die in der Ökologie nicht die alleini-
ge Grundlage ihres Wirkens sehen wollten, suchten nach neuen Formen der Gartenkunst. Sie fanden sie in der
Anlehnung an die Entwicklung in der Architektur und bildenden Kunst.
Damit entbrannte der alte Streit, der seit der Einführung des Landschaftsgartens die Stilbildung in der Gartenkunst
beherrschte, der Streit über das Verhältnis zwischen Kunst und Natur. Dieser Konflikt ist ungeschlichtet; die
Gartenkünstler lehnen alles ab, was sie als Naturalismus ansehen, die Ökologen wollen möglichst jeden Eingriff in
die Natur vermeiden. Dem wird entgegengehalten, dass es reine Natur ja gar nicht mehr gebe. Besonders umstrit-
ten ist der Landschaftsbegriff. Die Erkenntnis, dass die Landschaft überall unter einem menschlichen Einfluss steht,
führte zu dem Begriff „Totale Landschaft“.
Dieses Dilemma ist in der alten Unterscheidung von Naturlandschaft und Kulturlandschaft begründet und
zwar durch die Erkenntnis, dass auch die Kulturlandschaft Natur enthält, während die Tatsache, dass auch die
Naturlandschaft unter menschlichem Einfluss steht, erst in neuerer Zeit bewusst geworden ist. Um mit dieser un-
klaren Bewusstseinslage fertig zu werden, wird gerne der Begriff Hybride benutzt, was aber auch wenig befriedigt.
Eine Möglichkeit, diesem semantischen Chaos zu entkommen, sehe ich in den „Laws of Form“ von Spencer-Brown
gegeben, die ich in Anlehnung an Luhmann als „Form der Unterscheidung mit zwei Seiten“ bezeichne. Der Kernsatz
dieses Gesetzes besagt, dass „wir keine Bezeichnung vornehmen können, ohne eine Unterscheidung zu treffen“. Die
beiden Seiten der Unterscheidung bilden die „Form“. Der Unterschied zu dem Begriff des Hybriden besteht darin,
dass die beiden Seiten der Form zwar zusammen gehören, aber immer getrennt bleiben. Das heißt, dass immer nur
eine Seite zurzeit beobachtet werden kann. Wenn man die andere Seite beobachten will, muss man eine Grenze
überschreiten. Wenn man nur eine Seite sieht, scheinbar ohne ein Unterschiedenes, dann ist dieses durch einen
„blinden Fleck“ verdeckt.
Um nun zu einer gedanklichen Klarheit zu kommen und die vielen verwirrenden Konnotationen zu vermeiden,
verwende ich anstelle von „Natur“ und „Kultur“ neue Be-griffe, die eine konsistente Unterscheidung ermögli-
chen. Norbert Elias hat „Natur“ als ein „Symbol einer anfangslosen Synthese“ bezeichnet, das heißt, dass unzählige
Generationen den Begriff mit allen möglichen Gedankenverbindungen angereichert haben. Wenn man diese „ein-
klammert“, bleibt da eine Bedeutung, die man bezeichnen kann als etwas „Wachsendes“, das aus sich selbst entsteht
und sich fortpflanzt. Um deutlich zu machen, dass hier durch Reduktion eine besondere Bedeutung entstanden ist,
ersetze ich „Natur“ durch das griechischen Wort „physis“, und für jeglichen menschlichen Einfluss wähle ich das
Wort „techne“. Techne bedeutet nach Schadewald etwa: wissendes Handeln. Mit diesen beiden Begriffen steht eine
‚Form der Unterscheidung’ und damit eine neue Sicht zur Verfügung auf die alle Motive und Kontexte, wie Garten,
Landschaft, Kultur und so weiter zurückgeführt werden können. Jeder Zustand, der in irgendeiner Weise mit
‚Natur’ in Verbindung steht, ist zu beobachten als ein Zusammenwirken von physis und techne.
Im Hinblick auf unser heutiges Naturverhältnis kommt aber noch ein ganz wichtiger Aspekt hinzu: die Unterscheidung
von Tun und Lassen. Das bewusste ‚Lassen’ ist eine neue Verhaltensweise, und so können wir unter ‚techne’ auch
ein ‚wissendes Verhalten’ verstehen.
Die Intensität des Einflusses von techne auf physis ist nun sehr unterschiedlich, von der ‚reinen’ Natur bis zur
Kulturlandschaft. Diese Unterschiedlichkeit trifft übrigens für die meisten Unterscheidungen zu. Ich habe dies als
Skalierung bezeichnet. Für die Gartenkunst hat diese eine außerordentliche Bedeutung. Für die Entwicklung
vom Renaissancegarten bis zur modernen Landschaftsgestaltung ist die Intensität des Einflusses von techne auf phy-
sis wesensbestimmend. So gilt also auch für die moderne Gartenkunst, den ‚richtigen’ Punkt auf der Skala der
Unterscheidung zu treffen. Schiller hat die Fähigkeit hierzu den „Spieltrieb“ genannt und nach Heidegger ist der
Punkt auf der Skala nur im „Streit“ zu finden. Daraus folgt die grundsätzliche Kontingenz künstlerischen Schaffens,
für dessen Gelingen es kein ‚Rezept’ gibt. Für die Gartenkunst ist allerdings fest zu stellen, dass das Operieren an
den Enden der Skala, - minimalistisch einerseits und naturalistisch andererseits - problematisch ist. Das ist ein ent-
scheidender Unterschied zu der autonomen bildenden Kunst der Avantgarde, in der alle Bereiche nach allen Seiten
ausgelotet wurden bis in die Sackgassen der Extreme.
Ein weiterer Unterschied besteht in Bezug auf das wichtigste Medium der Gartenkunst, die Vegetation. Sie kann als
‚Material’ aufgefasst werden, mit dem bestimmte formale Vorstellungen verwirklicht werden, oder als ein Medium,
in dem unser Naturverhältnis zum Ausdruck kommt. Diese Unterscheidung ist sicherlich das heikelste Problem in
der Theorie der Gartenkunst. Sie ist auch die Ursache für die Spaltung der Profession. Es geht um die Frage, ist die
Pflanze in ihrer ökologischen Bedeutung oder als Teil eines bestimmten Bildes zu sehen, und es geht damit um die
Vereinbarkeit von Naturschutz und Gartenkunst in der ‚Welt als Garten’.
Ein Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Theorie von Humberto Maturana. Danach ist jeder Organismus,
also jede Pflanze, ein geschlossenes autopoietisches System, das mit seiner Umwelt nur durch eine „strukturelle
Kopplung“ in Wechselbeziehung steht, aber nicht ohne seine Nische bestehen kann. Diese Theorie steht in ei-
nem gewissen Gegensatz zu landläufigen Denkmodellen, wie Ökosystem, Biotop, Vernetzungen und so weiter.
Diese beruhen auf Beobachtungen von „Lebensgemeinschaften“ auf meist extremen Standorten. Die Limnologen
waren die ersten, die in Gewässern, zum Beispiel in Teichen Zusammenhänge entdeckten, die sie als feste, quasi
gesetzmäßige Abläufe ansahen. Die Pflanzensoziologen entwickelten daraus eine Wissenschaft, die eine Systematik
in die Vielfalt der Natur bringen sollte. Dazu musste aber die Gliederung immer weiter aufgefächert wurde in
Ordnungen, Verbände, Hauptassoziationen, Haupt-Subassoziationen und Assoziationen. So kamen einige hundert
Pflanzengesellschaften zusammen, wobei Übergangsformen nicht berücksichtigt sind. Nicht thematisiert wurden
der menschliche Einfluss und die Vielzahl der Ubiquisten.
Nach Maturana kann man diesen Sachverhalt reduzieren auf die Feststellung, dass jedes Milieu und jede Nische von
Organismen besetzt wird, die dazu ‚passen’. Wichtig ist die Feststellung, dass hierbei Wechselbeziehungen bestehen,
dass also Milieu und Nischen durch die Besiedelung verändert werden. Dabei spielen der Zufall und besonders der
menschliche Einfluss oft eine Rolle. Ein negativer Einfluss kann durch aggressive Neophyten entstehen, wenn diese
eine gewohnte Vielfalt heimischer Pflanzen stören.
Das führt unmittelbar zu der Frage, die in der Vergangenheit schon leidenschaftlich diskutiert wurde: Das Verhältnis
heimischer zu ‚fremdländischen’ Pflanzen. Auch hierin ist eine Skala zu sehen, von einem ideologischen Purismus
bis zur absoluten Beliebigkeit.
Der Wesenskern dieser Ästhetik ist das Naturschöne im Sinne Adornos als „Nichtidentisches im Banne univer-
saler Identität“. Das ist unabhängig vom Einwirken der techne auf die physis. Das Naturschöne wird zwar beein-
flusst durch die Bedingungen der Wahrnehmung, aber es ist das eigentliche Telos der Gartenkunst.
Unter diesem Gesichtspunk ist auch der Naturschutz zu sehen. Wie Jürgen Dahl es am Beispiel des Federgeistchens
gezeigt hat, ist auch der Naturschutz nicht rein wissenschaftlich – also identisch – zu begründen, sondern letztlich
im Sinne des Nichtidentischen im Naturschönen. Auch der Schutz eines Biotops ist nur im Zusammenwirken von
physis und techne und durch Tun und Lassen möglich. Die Frage, ob die Natur als Lebensgrundlage funktioniert,
hängt nicht davon ab, ob 5 oder 10 Prozent der Landflächen unter Schutz gestellt werden, sondern nur davon, ob
die globale Naturnutzung nachhaltig ist. Diese Erkenntnis wird auf die Dauer für den Schutz der Natur wirkungs-
voller sein als die heute geschürte Angstrhetorik.
Der Begriff des ‚Naturschönen’ muss aber noch näher untersucht werden. Er kann nicht definiert werden, denn
dann währe es ja etwas ‚Identisches’. Das Schöne ist auch nicht dasjenige, das nur von solchen Menschen zu beur-
teilen ist, die ‚Geschmack’ haben, wie von Philosophen von Baumgarten bis Bourdieu behauptet wird.
Ich habe mich deshalb ausführlich mit Fragen der Wahrnehmung befasst, um zu sehen, wie die Rezeption von
Kunst und Naturschönheit begründet ist. Man kann das zusammenfassen einmal von Seiten der Rezipienten als
das Verhältnis von Assimilation zu Akkommodation, und von Seiten der Objekte als das Verhältnis zwischen Chaos
und Ordnung. Meine Folgerung ist, dass jeder Mensch im Rahmen seiner Wahrnehmungsfähigkeit in der Lage ist,
Kunst- und Naturschönheit zu empfinden und diese Fähigkeit in seiner Ontogenese auch weiter zu entwickeln.
Wichtig sind in diesem Zusammenhang archetypische Prägungen, zum Beispiel das Raumgefühl der ‚Lichtung’, die
das ästhetische Empfinden beeinflussen.
Die Gartenkunst in der Welt als Garten muss diese Tatsachen berücksichtigen, denn sie ist, wie die Baukunst, nicht
autonom. Sie muss das „Wohnen“ der Gesellschaft, im Sinne Heideggers, mit seinen unterschiedlichen Funktionen
und Ansprüchen als Grundlage nehmen. Das Ziel einer Avantgarde muss dabei die Entwicklung und Verfeinerung
des Naturverhältnisses der Gesellschaft sein. Dabei darf aber die Verbindung zum Gros nie abreißen.
Konkret heißt das, dass eine Vielfalt der Gestaltungsformen zu entwickeln ist. Tatsächlich gibt es hierfür schon
viele Beispiele, die nur nicht immer recht gewürdigt werden. Als vorbildlich habe ich die Gartenschau in Rostock
angesehen, die von geschickt gestalteten Sommerblumen- und Staudenpflanzungen bis zu reinen Naturflächen ein
reiches Angebot enthielt. Richtungsweisend sind auch Anlagen, in denen das Prinzip „Lassen“ vorherrscht, wie zum
Beispiel der Landschaftspark Duisburg Nord oder der Naturpark Südgelände in Berlin.
So will ich noch einmal als oberstes globales Prinzip herausstellen: die verantwortungsvolle Steuerung des
Verhältnisses der techne auf die physis. Ebenso global zu sehen ist das Raumkontinuum zwischen Stadt und Land.
Die fraktale Struktur ist keine Fehlentwicklung, sondern die Chance, allen Menschen den Zugang zu einem Stück
Natur zu ermöglichen.
Für die Gartenkunst im engeren Sinne besteht die wichtigste Aufgabe darin, sich von der bildenden Kunst zu eman-
zipieren und die Komplementarität zwischen Garten- und Baukunst zu kultivieren. Dabei kommt der Vegetation die
Meine Kritik an der heutigen Gartenkunst richtet sich gegen die Vernachlässigung des Mediums Pflanze und gegen
das Grundprinzip „Klarheit“ das immer wieder betont wird. Klarheit drückt das Identische aus und bleibt deshalb an
der Oberfläche. Das Nichtidentische, das Telos der Kunst, ist nur im Unbestimmten der skalierten Unterscheidungen
zu finden. Die wichtigste Skala in der Gartenkunst ist die zwischen Tun und Lassen in der Unterscheidung physis /
techne. Wo jeweils der „Punkt“ auf dieser Skala getroffen wird, ist kontingent aber nicht beliebig, sondern Gegenstand
der künstlerischen Entscheidung.
Und damit schließe ich meinen Versuch, die Idee der „Welt als Garten“ mit einigen theoretischen Überlegungen zu
unterfüttern.
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7/20 Paul Isenrath. „Maßkraft“, Bis jetzt, Plastik im Außenraum der Bundesrepublik, Stiftung Niedersachsen, 1990.
1
1
Vorwort11
Zur Einführung 14
Der Begriff und die Profession 14
3
2.3 Das Verhältnis physis/techne in der heutigen Praxis 75
4 4
4.4.2 Die psychologische Wirkung der Wegeführung 132
5.2 Die Entwicklung des klassischen Stadtraumes als Grundlage der abendländi-
schen Kultur 153
5
6.2 Entwicklungspsychologie - Die Grundlage von Wahrnehmung 207
6 6
7.2.5 Die Unvereinbarkeit geschlossener Systeme 301
7
8.5.5 Avantgarde und Gros 397
8.5.6 Folgerungen für die Gartenkunst 399
8.5.7 Was ist Urbanität? 402
Literaturverzeichnis451
Kapitel 12 Abbildungsverzeichnis 465
12.1 Abbildungsverzeichnis 465
Abbildungsverzeichnis465
8 8
9
10 10
Vorwort
Diese Arbeit kann man als Bilanz eines langen Berufslebens bezeichnen. Ich
war in den unterschiedlichsten Berufsfeldern tätig, aber immer bestrebt, je-
weils hinter den praktischen Alltagsfragen die theoretischen Grundlagen zu
erkennen. Am Anfang bewegte sich mein Denken oft in Extremen. So hatte
ich mir in der Lehrzeit in der zu ihrer Zeit größten Sortimentsbaumschule
immense Pflanzenkenntnisse angeeignet. Die kamen mir aber im Laufe des
späteren Studiums bald als unnützer Ballast vor, weil ich mich immer mehr
der ‚heimischen’ Natur zuwandte. Diese hatte sich in der Nachkriegszeit in
Berlin wegen der mangelnden ‚Pflege’ die Straßen zurückerobert. Ich war auf
meinem täglichen Weg von Steglitz nach Dahlem immer wieder fasziniert,
wenn ich in den Pflasterritzen eine neue Pflanze entdeckte, wie zum Beispiel
die Wegwarte oder den Steinsamen, die weit verbreitet waren. Ich stellte fest,
dass ‚Natur’ und ‚Stadt’ kein Widerspruch sein muss und entdeckte so eine
für mich neue Ästhetik, die dazu führte, dass ich meine Entwürfe nur noch
nach rein pflanzensoziologischen Prinzipien ausführte, eine zu der Zeit extre-
me Haltung.
In der Bibliothek der Lehr- und Forschungsanstalt fand ich Literatur über
das Bauhaus. Aus dessen Prinzipien und meiner neuen Auffassung der Natur
entwickelte ich für mich eine Theorie, die ich in meiner Examensarbeit 1954
so zum Ausdruck brachte:
Unsere Raumvorstellung ist eine unendliche im Gegensatz zur anti-
ken. Die moderne Architektur öffnet sich deshalb nach außen. Sie um-
grenzt keinen endlichen Raum mehr, sondern verkörpert die Spannung
zwischen dem „vernünftigen und dem kosmischen Prinzip“ zwischen
Mensch und Natur. War die klassische Raumvorstellung „statisch“, so
ist die moderne „dynamisch“. Architektur und Natur durchdringen
sich gegenseitig, ohne ihr Sein und ihre eigenen Gesetze aufzugeben. ...
11
Das moderne Prinzip [ist] das Nebeneinander und das Ineinander von
Natur und Kultur, von Architektur und Landschaft.
Meine Neigung zu dieser radikalen Abkehr von der Konvention wurde si-
cher auch verstärkt durch das Erlebnis des damals pulsierenden Berliner
Kunstlebens, das durch Namen wie Karl Hofer, Karl Hartung, Bernhard Heiliger,
E. W. Nay, Ernst Schumacher und andere und durch die Auseinandersetzung
zwischen gegenständlicher und abstrakter Kunst gekennzeichnet war. Dank
der in Dahlem durch Paul Mittelstädt propagierten „studentischen Freiheit“
konnte ich voll in dieses spannende Geschehen eintauchen, und so ließ
ich keinen Vortrag von Will Grohmann im Haus am Waldsee und keine
Kunstausstellung aus.
Nach dem Studium wurde schnell klar, dass in der damaligen prekären
Arbeitswelt dieses ideale Leben nicht fortgesetzt werden konnte. In einem
bewussten ‚Kontrastprogramm’ dirigierte ich deshalb drei Jahre lang in einer
großen Erdbaufirma Bagger und Planierraupen.
In dem anschließenden Staatsdienst war ich dann, wie in den Jahren üblich,
als Generalist tätig. Ein Schwerpunkt war der Naturschutz, den ich ziemlich
fundamentalistisch vertrat. Das änderte sich aber mit der Zeit, je mehr die
Naturschutzbewegung politischen Einfluss gewann und der Konflikt mit
den anderen grünen Fakultäten zunahm. Meine dadurch entstandene kriti-
sche Einstellung begründe ich in dieser Arbeit.
Ich habe mich seit meiner Jugend für die Philosophie interessiert; So lag
es nahe, nach meiner Pensionierung dieser Neigung als Gasthörer an
der Hamburger Universität zu folgen. Ich bin in den drei Jahren zwar kein
Philosoph geworden, aber ich kann mich seitdem ‚angstfrei’ in der philo-
sophischen Literatur bewegen. Letztlich wurde ich dadurch motiviert, diese
Arbeit in Angriff zu nehmen.
12 12
Bewegt hatte mich auch die kritische Auseinandersetzung mit der post-
modernen Architektur und im Zusammenhang damit die Kritik des
Oberbaudirektors Egbert Kossak, der den Vorwurf erhoben hatte, dass die
Gartenarchitekten nicht auf der Höhe der Zeit seien.1
Wesentliche Impulse erhielt ich von Lyotards Widerstreit und Gerhard
Schulzes Soziologie der „Erlebnisgesellschaft“. Einen entscheidenden Einfluss
hatten aber die „Gesetze der Form“ von Spencer-Brown, die Niklas Luhmann
in Deutschland bekannt gemacht hatte. Sie sind das theoretische Werkzeug,
mit dem ich meine Idee über das Verhältnis zwischen Architektur- und
Naturraum von 1954 weiter entwickelt habe.
Rückblickend sehe ich ein Versäumnis darin, dass ich erst spät versucht
habe, an dem öffentlichen fachlichen Diskurs teilzunehmen. Ein Versuch
vor etwa zehn Jahren, erste Grundgedanken dieser Arbeit einem größeren
Kollegenkreis zur Diskussion vorzulegen, blieb ohne Resonanz.
Zum akademischen Betrieb fehlt mir jegliche Verbindung, sodass ich mich
darauf beschränken musste, die einschlägige Literatur, darunter einige
Dissertationen, zu studieren. Vielleicht war aber gerade die Tatsache, dass
ich nicht im normalen wissenschaftlichen Betrieb sozialisiert wurde, die
Voraussetzung für ein unbefangenes Denken und für die Entwicklung un-
konventioneller Lösungen. Dass diese nicht ohne Widerspruch bleiben wer-
den, ist mir klar. Insofern nenne ich es bewusst eine Streitschrift. Denn in der
Kunst und somit auch in der Gartenkunst gibt es keinen Fortschritt ohne
„Widerstreit“.
13
Zur Einführung
14 14
nämlich eine entsprechende Verwendung der Pflanzen. Hierfür stehen die
Namen Willy Lange, Leberecht Migge und andere. Eine neue Dimension
von Gartenbildern ermöglichten die Staudenzüchtungen von Karl Förster.
Vorrang hatte aber das funktionalistische Prinzip. Besonders die Welle der
Stadtparkplanungen bis Ende der 20er Jahre war auf die Erfüllung sozialhy-
gienischer Funktionen ausgerichtet, wobei die Gestaltung neobarocke Züge
hatte.
Während Ende des 19. Jahrhunderts der Landschaftsgarten im reinen
Manierismus erstarrte, erwachte in Kreisen der Bevölkerung das Interesse
für die eigentliche Landschaft. Aus dem Heimatschutz entwickelte sich die
Naturschutzbewegung. Die Ursache hierfür war die sprunghafte Zunahme
der Industrialisierung, deren negative Auswirkung auf die Natur immer
deutlicher wurde. Gartenarchitekten gehörten zunächst nicht zu den
Protagonisten dieser Bewegung. Erst als es um fachliche Fragen, wie die
Beseitigung oder Kaschierung von Folgeschäden ging, entstand für diese ein
neues Betätigungsfeld. Themen waren Haldenbegrünungen, Rekultivierung
von Kiesgruben, aber auch die landschaftliche Einbindung von Autobahnen
und die Renaturierung verbauter Gewässer. Eine wichtige Hilfswissenschaft
war die Pflanzensoziologie. Anstatt nur nach ‚rauchharten’ Gehölzen zu fra-
gen, wurde die Standortgerechtigkeit Kriterium der Planung.
In den ersten Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg bestand die Chance,
beim Wiederaufbau der Städte die Forderung der Charta von Athen nach
Durchgrünung der Städte zu erfüllen. Diese Aufgabe war so groß, dass es zu-
nächst nur um Flächensicherung gehen konnte. In Hamburg z.B. gab es den
Haushaltstitel „Einfachbegrünung“, mit dessen Mitteln nur die Rasenansaat,
einfache Wanderwege und Pflanzungen durchgeführt werden konnten.
An eine künstlerische Gestaltung war nicht zu denken. Auch die Vielfalt
der Aufgaben nahm zu: Grünanlagen, Siedlungsgrün, Straßenbegleitgrün,
Kinderspielplätze, Sportanlagen, Außenanlagen an Schulen und Kindergärten
15
und vieles mehr waren zu planen. Die Gartenarchitekten waren in dieser Zeit
- besonders im administrativen Bereich - Generalisten, die in vielen Städten
auch noch für den Naturschutz und die städtebauliche Grünplanung zu-
ständig waren. Die Gartenkunst war zu dieser Zeit explizit kein Thema.
Das bedeutet natürlich nicht, dass es unter dem herrschenden
Funktionalismus nicht auch hervorragende künstlerische Leistungen gab von
Gartenarchitekten wie Mattern, Hammerbacher, Reich, Lüdtge, Plomin und
andere. Aber es gab kaum Diskussionen oder gar Streit über dieses Thema
und auch keine Prinzipien, die man als stilbildend bezeichnen könnte.
Ein tief greifender Wandel, der in seiner Wirkung als gegenläufig bezeich-
net werden kann, vollzog sich in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten
des vorigen Jahrhunderts. Der Grund dazu war einerseits das Erstarken des
Umweltbewusstseins und andererseits die Bewegung der Postmoderne.
Nach der Propagierung des „blauen Himmels über der Ruhr“ fühlten sich
viele junge Menschen berufen, an dieser großen Aufgabe mitzuwirken. Die
Biologie und die Geographie wurden beliebte Studienfächer. Da der be-
hördliche Natur- und Umweltschutz viele dieser neu Ausgebildeten nicht
aufnehmen konnte, bildeten sich ganz neue Strukturen in der nichtstaatli-
chen Naturschutzbewegung aus, die zunehmend auch politischen Einfluss
gewann.
In der Landschaftsarchitektur konnte man jetzt teilweise von einem öko-
logischen Funktionalismus sprechen. Wie Jürgen Wenzel feststellte, reagier-
te die Profession „mit einem Wechsel ihres Objekts. Zu ihrer wichtigsten
Aufgabe erklärte sie nun den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.
So wurde der Artenreichtum einer Grünfläche sogar zum Gradmesser ih-
rer Erholungseignung. ... Stadtplanung und Landschaftsarchitektur wurden
zu Gegnern.“3 Diese Entwicklung und die Verunsicherung des Berufsfeldes
16 16
schlug sich auch nieder in den Änderungen der Berufsbezeichnung:
Gartengestalter - Gartenarchitekt – Garten- und Landschaftsarchitekt –
Landschaftsarchitekt.
In der Architektur vollzog sich ein Wandel, der in eine ganz andere Richtung
ging: Die Entwicklung der Postmoderne. Es war die Reaktion auf die
‚Kastenarchitektur’ der späten Moderne. Es entstand ein Stil, der sich ‚nar-
rativ’ der Versatzstücke vergangener Epochen bediente. Die Beachtung der
Funktionen – ‚form follows funktion’ - wurde sekundär. Die wichtigsten
Apologeten waren Heinrich Klotz und Charles Jencks.4 Die Außenanlagen zu
dieser Architektur wurden aus Versatzstücken des Barocks zunächst von den
Architekten mit ausgeführt.
Die Landschaftsarchitekten, die dem ökologischen Diktat nicht folgten und
ihre Aufgabe weiterhin in einer kreativen, ästhetischen Gestaltung sahen, sa-
ßen jetzt zwischen allen Stühlen. Nach Ulrich Eisel wurde ihnen nun die
Anerkennung „von zwei Seiten verweigert: Einerseits von denen, die – wie
sie – für das Grün in der Gesellschaft zuständig gemacht wurden, ... die
Naturschützer und Umweltplaner. Andererseits aber auch von denen, die für
das Gegenteil zuständig sind, die Architekten ...“ 5 Dieses Spannungsverhältnis
führte schließlich zu einer Spaltung der grünen Profession. Zunächst im aka-
demischen Bereich, in dem Landschaftsarchitekten sich der Fakultät der
Architekten anschlossen.
So ist jetzt eine Bewegung entstanden, die den Anspruch erhebt, wieder
Gartenkunst zu sein. Ihre Motivation wird treffend von Udo Weilacher dar-
gestellt:
...von der Landschaftsarchitektur, einst unter der Bezeichnung
Gartenkunst als eine der wichtigsten und einflussreichsten Künste
17
gefeiert, wird immer eindrücklicher gefordert, dass sie zu einer zeit-
gemäßen Aussagekraft im aktuellen Kontext finden müsse. Vor
fast hundert Jahren ist der Anspruch auf ästhetische Qualität , der
an die Landschaftsarchitektur zu stellen wäre, zugunsten funktio-
naler Nutzbarkeit und Erfüllung soziologischer und ökologischer
Anforderungen stark in den Hintergrund gedrängt worden. Der damit
verbundene Verlust an Ausdrucks- und gesellschaftlicher Impulskraft
war gravierend und leitete eine Entwicklung ein, die zu regelrechter
Sprachlosigkeit führte.6
So orientiert man sich denn auch zunächst, wie die Architektur, an vergange-
nen Stilen: Achsiale, symmetrische Gestaltungen, die nur gelegentlich durch
Diagonale gebrochen werden, Hecken, Baumraster und Alleen bilden das
neue, ‚alte’ Vokabular.
Neuerdings spielt das Schlagwort ‚Dekonstruktivismus’ in Architektur
und Landschaftsarchitektur eine große Rolle, abgeleitet von der Theorie
des französischen Philosophen Derrida. Der hat sich allerdings von dieser
Verwendung seines Schlüsselbegriffs distanziert. So überwiegt denn auch
bei vielen Beispielen das Spektakuläre der äußeren Form vor dem künstleri-
schen Gehalt.7
In dem Bestreben, den künstlerischen Anspruch der Landschaftsarchitektur
zu untermauern, wird der Blick zunehmend auch auf die Bildende Kunst ge-
richtet. So wie die Landschaftsmalerei als Vorbild für den Landschaftsgarten
galt, werden jetzt Vorbilder aus der modernen bildenden Kunst gesucht.
So sieht man in manchen Entwürfen Formen nach Art der russischen
Suprematisten, Picassos, Piet Mondrians und anderer Künstler, die vor fast
hundert Jahren zur Avantgarde gehörten. – Noch größer ist die Affinität zur
6 Weilacher,(1999), 9
7 Krebs, (2002),
18 18
Landart. Hier kann man schon von einem fließenden Übergang sprechen,
zumal auch viele bildende Künstler sich mit ‚Natur’ auseinander setzen.8
Abgesehen davon, dass es nach wie vor verbreitet eine konventionelle, prag-
matische Gartengestaltung gibt, ist in der Fachliteratur und besonders im
Wettbewerbswesen eine Avantgarde Ton angebend, die mit betont künst-
lerischem Anspruch auftritt. Kennzeichnend ist eine - im Vergleich zu frü-
heren Epochen - zurückhaltende Verwendung von Pflanzen, besonders im
innerstädtischen Bereich und ein geradezu idiosynkratisches Verhältnis zur
Ökologie. Das Interesse ist auf eine Formgebung gerichtet, die als vergleich-
bar mit der Architektur und der bildenden Kunst angesehen wird.
Seit einigen Jahren gibt es aber auch eine Bewegung, deren öffentliche
Wirkung weit stärker ist. Entwickelt von Spezialisten, aber getragen von
Nichtfachleuten – Dilettanten im klassischem Sinne - ist ein Gartenstil ent-
standen, in dem die Pflanzen wieder die Hauptrolle spielen. Verbreitet wird
dieser Stil in zahllosen Gartenzeitschriften, Hochglanzbroschüren, in speziel-
len Gartenschauen, die gerne von Gutsherrinnen veranstaltet werden und
mit den immer beliebter werdenden ‚Tagen der offenen Gartenpforte.’
19
storische Entwicklung sinnvoll. Ich gehe weit zurück auf das, was ich den
Urgarten nenne: ein Stück Land, in dem die lebenswichtigen Nutzpflanzen
durch eine Einfriedigung gegen die ‚wilde Natur’ beschützt waren. Dieses
Prinzip gilt heute noch in vielen Nutzgärten. Es galt auch für alle historischen
Gärten bis zur Renaissance. Im Zuge der Aufklärung, mit der Entwicklung
des Barockgartens trat dann ein grundlegender Wandel ein. Dieser bestand
darin, dass sich der Garten zur Natur hin öffnete. War der Urgarten schlecht-
hin Negation der Natur, so trat der Barockgarten in ein Spannungsverhältnis
zu ihr. Das mag ungewohnt klingen nach der vorherrschenden Lesart, die
immer die Naturfeindlichkeit des Barocks betont.
Aber schon bei Dezallier d´Argenville, Autor eines anfangs des 18.
Jahrhunderts weit verbreiteten Lehr- und Musterbuches, lesen wir:
Beim Bau eines Gartens muss darauf geachtet werden, dass dieser
der Natur mehr verdankt als der Kunst; dieser darf er nur das entleh-
nen, was zur Hervorhebung der Natur dient. ... Die einzelnen Teile des
Gartens müssen so glücklich liegen, dass sie gleichsam vom Schöpfer
der Natur gesetzt und bepflanzt zu sein scheinen.9
Das zeigt, dass die Schöpfer der Barockgärten durchaus ein bewusstes posi-
tives Verhältnis zur Natur hatten. Auch bei Lucius Burckhardt erfahren wir
eine ungewohnte spezielle Sicht des Barockgartens:
Der Park von Versailles sieht genau so nicht aus, wie er uns in der
Geschichtsstunde beschrieben wurde: ... Dargestellt ist ... nicht die
Macht des Sonnenkönigs, sondern vielmehr das Verhältnis des
(damals) Beherrschbaren zum Unbeherrschten, zum Gebiet des
Abenteuers und der Jagd. ... Gleich einem Musikstück zieht der Garten
den plötzlichen Übergang vom Schloss in die Länge durch eine Folge
20 20
von verzögerten Motiven. ... Der Wald am Ende des Parks ist wahrlich
der Urwald.10
Ähnlich sieht es der Kunsthistoriker und Gartendenkmalpfleger Géza Hajós:
Es wäre sicher falsch, im Renaissancegarten genauso wie im
Barockgarten nur die Absicht, die Natur zu „beherrschen“, sehen zu
wollen; in beiden Gartenformen ging es um das Kennenlernen der
Natur, als Auseinandersetzung oder Wettstreit zwischen Ordnung
und Unordnung, zwischen Künstlichem und Wilden, zwischen
Mensch und Umwelt. Dass die Natur damals noch in vielfacher
Hinsicht eine „Bedrohung“ darstellte, erklärt nur sehr zum Teil ihre äs-
thetische Verarbeitung, denn gerade die unmittelbar Betroffenen, die
der Naturgewalt oft wehrlos ausgeliefert waren, konnten sich keine
idyllische Betrachtung leisten.11
Und auch für den Kunsthistoriker Torsten O. Enge ist der französische
Barockgarten eine Landschaftsarchitektur, die „eine wesentliche Gestaltung
der Idee der Natur leistet.“12
Ich betone diese ungewöhnliche Sicht auf den Barockgarten, um deutlich
zu machen, dass das Naturverhältnis in der Gartenkunst nicht in erster Linie
eine formale Frage ist.
Wenn wir die weitere Entwicklung in großen Zügen verfolgen und von
Details absehen, z. B. ob Pflanzen beschnitten werden oder nicht, so ist der
Übergang vom Barock- zum Landschaftsgarten, anders als es meist geschieht,
nicht als Bruch anzusehen. Wenn im Barockgarten, wie Lucius Burckhardt
sagt, der Übergang vom Schloss, also vom Architektonischen zum ‚Urwald,’
21
zur freien Natur inszeniert wird, so wird im Landschaftsgarten die ‚ganze
Natur’ als solche inszeniert. So lesen wir bei Christian C. L. Hirschfeld, dem
großen Theoretiker der Gartenkunst:
Die Natur ordnet alle Gegenstände in der Landschaft mit Freyheit
und Ungezwungenheit an. Keine symmetrische Gleichheit, keine
künstliche Abzirkelung, keine Einförmigkeit im Umfang, in Gestalt
und Bildung der Tiefen, Anhöhen und Ebenen, der Pflanzen, Blumen,
Stauden und Wälder, der Bäche und Seen. Alles erscheint in einer
ganz freien Anordnung, mit der größten Abwechslung, mit einer Art
von angenehmer Nachlässigkeit und Zerstreuung, die mehr wert ist
als die sorgfältigste Genauigkeit. Dieses Vorbild stellt die Natur dem
Gartenkünstler zur Nachahmung vor Augen. ... Ein schöner Garten
ist kein anderer, als der nach der schönen Natur mit Geschmack und
Beurteilung angelegt ist.13
Uns ist natürlich bewusst, dass mit der ‚Schönen Natur’ das gemeint war, was
Schiller die ‚Gefildenatur’ nannte, also die weitgehend menschlich angeeig-
nete Natur. - Eine andere Naturinszenierung beschreibt Rousseau in seinem
Roman der „Neuen Heloise“: Der Garten der Julie, der reine Natur darstellen
sollte, sei keineswegs „allein durch Vernachlässigung, durch Verunkrautung
und das Walten-Lassen der Natur entstanden“ sondern „je natürlicher der
Garten sein soll, desto aufwendiger sei seine Pflege“14 Hier wird das Paradox
der ‚künstlichen Natur’ in ihrer Inszenierung besonders deutlich.
Der Landschaftsgarten entfernte sich im Laufe der Zeit immer weiter von
der Naturinszenierung und erstarrte zu einem leeren Formalismus. Bei Marie
Luise Gothein lesen wir von dem englischen Architekten und Vertreter der
Reformarchitektur Blomfield, welcher feststellte, dass „der Landschaftsgarten
22 22
in seinen Nachahmungen ebenso künstlich [sei], wie der des alten Stils. Natur
an sich habe weder mit geraden noch mit gekrümmten Linien etwas zu tun,
und es könne eine offene Frage bleiben, ob der natürliche Mensch einen ge-
raden Weg einem gebogenen vorziehen würde“ und „ ... was das eigentliche
Wesen der Natur ... anbeträfe, so habe ein beschnittener Baum ebensoviel
Natürlichkeit wie ein Waldbaum, und es sei daher nicht unnatürlicher einen
Baum zu beschneiden, als Gras zu schneiden.“15
In den neuen Gärten der Reformarchitektur suchten nun einige
Gartenarchitekten eine Synthese von Natürlichkeit und Künstlichkeit, in-
dem sie in den architektonischen Rahmen Naturmotive einfügten. Für Willy
Lange z. B. beruhte
jede Kunst auf Steigerung der Natur; als Künstler sucht sich der Mensch
zu befreien von der Natur, über sie hinaus zu gelangen; die Natur als
Ganzes vermag er in seinen Werken nicht zu steigern, wohl aber ein-
zelne ihrer Wesenszüge; hier schafft sich der Mensch seine „Ideen“ ...
und in diesen Idealen sucht er in Kunstwerken ein Dasein zu geben,
das höher, „edler“ ihm scheint, gesteigert im Vergleich mit der Natur.16
Diese Steigerung der Natur meinte Lange zu erreichen, indem er die
Bepflanzung der Gärten nicht nach ökologisch- wissenschaftlichen son-
dern nach „physiognomisch-künstlerischen Grundsätzen“ vornahm. Noch
1957 wurde diese Gegensätzlichkeit von namhaften Gartenarchitekten
leidenschaftlich diskutiert.17 Doch allmählich setzte sich dann der indiffe-
rente Begriff ‚Grün’ durch; es ging jetzt z. B. um ‚Hilfe durch Grün’ und um
‚Grünplanung.’
23
Erst mit der Spaltung der Profession in Gartenkünstler und Ökologen be-
ginnt man wieder ‚Farbe zu bekennen.’ Viele Gartenkünstler bewegen sich
jetzt in der Begriffswelt der bildenden Kunst. Die Darstellung von ‚Natur’ wird
diskriminiert als ‚Naturalismus,’ der mit Kunst nicht zu vereinbaren ist. Das
Verhältnis zur Naturästhetik ist problematisch. So sagte Dieter Kienast in
einem Interview: „Den Begriff Schönheit will ich nicht ins Spiel bringen, weil
er mit dem Reizwort des Naturschönen verbunden ist, und dabei geht es
immer um Lieblichkeit.“ 18 Entsprechend wird denn auch das ‚Natürliche’ aus
der Stadt verbannt. Stefanie Krebs schreibt im Anschluss an Adriaan Geuze:
„Weil die alten Gegensätze von Natur und Stadt nicht mehr gelten, - Natur
wird künstlich erzeugt, Stadt wird in ihren unkontrollierten Wucherungen
bisweilen wie ein Naturereignis wahrgenommen – sollten wir ... heute auch
nicht mehr wie im 19.Jahrhundert versuchen, mit Parks die Illusion von
Natur in die Stadt zu holen.“ 19 Das Verhältnis Natur / Gartenkunst ist zum
Antagonismus geworden
24 24
symbolisiert die Forderung, die Natur in allen Bereichen der Welt so pfleglich
zu nutzen, dass sie in ihrer Substanz für spätere Generationen erhalten bleibt.
Als ‚Garten’ kann man aber auch die Landschaft unter einem künstlerischem
Gesichtspunkt sehen.
Zweitens steht auch das Thema Landschaft unter der Spannung des
Konfliktes zwischen Natur und menschlichem Einfluss. Also nicht nur au-
tonome Werke in einem begrenzten Raum, sondern der gesamte Raum mit
allen seinen gesellschaftlichen Belangen und Ansprüchen ist das Thema der
theoretischen Erörterungen. Entsprechend komplex und unübersichtlich ist
es. So stellt Udo Weilacher fest:
Eine unter akutem Theoriedefizit leidende Profession [sieht sich] am
Beginn des 21. Jahrhunderts plötzlich mit neuen, sich vielerorts noch
unscharf abzeichnenden Umweltentwicklungstendenzen konfron-
tiert, die auf scheinbar komplizierte und zugleich subtile Weise das
Bild von Landschaft und Stadt sowie die Naturwahrnehmung des
Menschen und die Vorstellung von Lebenswelten außerordentlich ra-
sant und tief greifend verändern.20
Explizit mit der Landschaft auseinander gesetzt hat sich der Philosoph
Joachim Ritter.21 Seine Kernaussage ist, dass der städtische Mensch, der einer
ursprünglichen „ganzen Natur“ entzweit ist, als Kompensation die ästheti-
sche Hinwendung zur Landschaft braucht. Aber:
Der Naturgenuss und die ästhetische Zuwendung zur Natur setzen ...
die Freiheit und die gesellschaftliche Herrschaft über die Natur vor-
aus. Wo die Natur zu der Gewalt wird, die ihre Ketten zerbricht und
den Menschen, den schutzlos gewordenen, fortreißt, da waltet im
Furchtbaren der Schrecken, der blind ist. Freiheit ist Dasein über der
25
gebändigten Natur. Daher kann es Natur als Landschaft nur unter der
Bedingung der Freiheit auf dem Boden der modernen Gesellschaft ge-
ben.22
Ritter bezieht sich u. a. auf Schillers Elegie „Der Spaziergang“, in dem ein
Mensch, „entflohen des Zimmers Gefängnis“ die Natur erlebt: Den „Berg, mit
dem rötlich schimmernden Gipfel“, „den grünenden Wald“, „die blühende
Au“. Er sieht das „glückliche Volk der Gefilde“, den Menschen, dessen Felder
„friedlich sein ländliches Dach umruhn“. Doch, abgelenkt durch „der Pappeln
stolze Geschlechter“ die „in geordnetem Pomp vornehm und prächtig da-
herziehn“ denkt er an die Stadt und das städtische Leben in allen seinen
Erscheinungen und Verwicklungen. - Schließlich findet er sich in einer wilden
Natur wieder, in der „jegliche Spur menschlicher Hände“ fehlt.
Wie Schiller, sieht auch Ritter den Gegensatz zwischen Stadt und freier
Natur, die er, abgeleitet von Schiller, die „umruhende Natur“ nennt. Diese
umfasst für ihn offensichtlich sowohl die bäuerliche „Gefildenatur“, wie auch
den Wald und die unberührte „wilde“ Natur. Die umruhende Natur ist also
die Natur, in die man hinausgeht.
Sie wird erst für den Hinausgehenden zur Landschaft, die so zu der
Stadt gehört, „die sich aus dem felsigen Kern türmend erhebt.“ ...
Schiller spricht zugleich aus, daß die notwendige und unaufhebba-
re Bedingung der mit der Stadt gesetzten Freiheit des Menschen, die
Verwandlung der „umruhenden“ Natur des ländlichen Daseins in die
genutzte Natur als Objekt menschlicher Herrschaft wird.23
Diese ritterschen Thesen sind in letzter Zeit mehrfach kritisiert worden wor-
den, unter anderen von Martin Prominski.24 Der beruft sich auf Autoren, die
26 26
den Landschaftsbegriff in der bisherigen Bedeutung infrage stellen. So zum
Beispiel auf Rainer Piepmeier, der
das Ende der ästhetischen Kategorie „Landschaft“ [konstatiert]. Die
Argumentation Ritters nachzeichnend stellt er fest, dass der ästhe-
tische Landschaftsbegriff notwendig des Korrelates der Stadt bzw.
der angeeigneten Natur bedarf und sich selbst auf das Gegenüber,
die freie, umruhende Natur bezieht. Die Existenz dieses für ästheti-
schen Landschaftsbegriff konstitutiven Verhältnisses stellt er an-
gesichts der 1980 fast vollständig angeeigneten Natur in Frage: „Die
ästhetische Funktion des ländlichen Gefildes als der freien Natur
ist (...) vergangen, wenn das Gefilde Gegenwart wurde als flurberei-
nigte Traktorenlandschaft oder auch als Erholungslandschaft, die
ja bereits angeeignete Natur ist. Damit ist prinzipiell die für Ritters
Landschaftskonzept grundlegende Trennung von Stadt und Land
als Landschaft aufgehoben. Das Moment des ‚Hinausgehens’ hat die
Möglichkeit seiner Realisation verloren.“
Ohne Korrelat, ohne Gegenüber bricht die Statik des ästhetischen
Landschaftsbegriffs auseinander.25
John Brinckerhoff Jackson wird zitiert: „Landschaft ist ... niemals nur ein
natürlicher Raum ... sie ist immer synthetisch, immer unvorhersehbaren
Veränderungen unterworfen.“ Er nennt dies die „Landschaft Drei“ 26 - Und nach
Sieferle: „überzieht [ein] Industriealisierungs- und Modernisierungsprozess
sowohl Stadt und Land, die alten Bestandteile ‚verflüchtigen’ sich. Es entste-
he ein homogener Landschaftstypus, die ‚Totale Landschaft.’“ Und schließ-
lich stellt Prominski zustimmend fest: „In der ‚Totalen Landschaft’ ist die alte
Kulturlandschaft nur noch ein künstliches Reservat. Dieser Artefaktcharakter
25 ebd., 57
26 ebd., 58.
27
betrifft nun alle Bestandteile der Landschaft – ob Naturschutzgebiete oder
Gewerbegebiete, alle sind Konstrukte.“ 27
Diese Analysen konstatieren also die Aufhebung der Unterscheidung von
Stadt und Landschaft. Damit seien „dem ästhetischen Landschaftsbegriff im
Sinne von Ritter die zentralen Säulen geraubt, ohne die er zerbricht.“28 Die
neuen Begriffe, die „Landschaft Drei“ oder die „totale Landschaft“ sind jedoch
nach meiner Auffassung negativ; sie sagen nur, dass es die alte Landschaft
nicht mehr gibt. Was an deren Stelle treten soll, ist nicht erkennbar. So sieht
denn auch Prominski ein Dilemma in dieser neuen Begriffsbestimmung: „Die
‚Landschaft Drei’ scheint den realen Prozessen, wie der Verwischung der
Gegensätze ‚natürlich / künstlich’ oder ‚Stadt / Landschaft’ zu entsprechen,
ist aber mit ihrer Weite und systemischen Charakter kaum greifbar,“ „ der
Begriff scheint zu weit und zu unscharf“ 29
Wenn man alle diese Aussagen wörtlich nimmt, erscheinen sie insofern
radikal, als sie faktisch die ‚Natur’ aus der Landschaft getilgt sehen. „Alle
Bestandteile der Landschaft sind Konstrukte!“ So zeigt sich eine Parallele zur
Gartenkunst. Hier wie dort ist die Natur, so wie man sie heute versteht, ausge-
blendet. Für den größten Flächenanteil der mitteleuropäischen Landschaft,
den agrarischen, fehlt bisher ein kreativer Ansatz, der über die ökonomischen
und ökologischen Belange hinaus, eine künstlerische Gestaltung verfolgt. Zu
bedenken bleibt, dass der Topos ‚Hinaus ins Grüne’ – in die Natur - immer
noch ein Grundbedürfnis der heutigen Gesellschaft bezeichnet. Es geht also
um den Naturbegriff, um die Frage: „Was heißt denn schon Natur“ 30
27 ebd., 61
28 ebd., 59
29 ebd., 71
30 Schäfer, (1993).
28 28
Die Problematik des Naturbegriffs
Norbert Elias beschreibt den Naturbegriff als „die anfangslose Synthese eines
Symbols“ 31 In ihm ist also alles enthalten, was in der Menschheitsgeschichte
über Natur gedacht und gefühlt wurde. Dies wird schon deutlich, wenn man
sich die Attribute vor Augen führt, die in den bisherigen Erörterungen der
‚Natur’ beigefügt wurden. So ist die Natur: die ganze, die wilde, die freie, die
unberührte, die reine, die umruhende, die schöne, die erhabene, die kultivier-
te, die gesteigerte, die künstliche, die genutzte, die angeeignete, die syntheti-
sche Natur. Alle diese Begriffe sind relativ; so kann z. B. die umruhende Natur
als die reine, schöne aber auch als die genutzte oder angeeignete Natur an-
gesehen werden. Je nach Sichtweise wird das Natürliche oder das Künstliche
bezeichnet.
Selbst ein Philosoph wie Martin Seel tut sich schwer mit der
Begriffsbestimmung von Natur und Landschaft. Er schreibt:
... zur ästhetischen Wahrnehmung von Landschaft [braucht es] das
Moment der Fremdheit gegenüber der Natur; die gesamte Natur ist
keine insgesamt vertraute Natur. ... dieses befremdliche [kann] fast
jederzeit innerhalb der „vertraut gewordenen und eingebürgerten
Landschaft’ hervortreten. ... auch innerhalb der kultivierten Natur
kann die gesamte Natur erscheinen. ... Die reineren Naturzonen sind
gleichsam für ihre landschaftliche Erfahrung da, während die ästheti-
sche Präsenz von Kulturlandschaften nur eine bestimmte Phase ihres
sonstigen Gegebenseins ist. Die in einem starken Sinn freie Natur kon-
frontiert uns ungeschützter mit ihrer landschaftlichen Erscheinung,
weil hier das lebensweltliche Gegebensein der Natur für uns ein land-
schaftliches Gegebensein ist. Die gesamte Natur ist hier nicht eine
Gegenwelt in der alltäglichen Welt, sie ist eine Gegenwelt zu dieser
29
Welt. Die Freiheit der ungestalteten Landschaft ist ein Extrem der
Freiheit der (und in der) gestalteten Landschaft. ... Wo Kulturlandschaft
ist, kann striktere Naturlandschaft werden: als Steigerung der Freiheit
in kultivierter Landschaft.32 (Unterstreichung A.S.)
Natürlich kann man nachvollziehen, was Seel meint, besonders wenn ein
Begriff von einem anderen unterschieden wird. Für sich gesehen stehen fast
alle diese Attribute für den menschlichen Einfluss auf die Natur, aber eine
Definition ihrer Bedeutung ist schwierig. - Allgemein besteht die Auffassung,
dass es eine unberührte Natur heute kaum noch gibt. So sagt Peter Latz in
einem Interview mit Udo Weilacher:
Was wir als so genannte Kulturlandschaft begreifen, ... ist in
Wirklichkeit eine ganz brutale historische land- und forstwirtschaft-
liche Nutzlandschaft. ... ich möchte ziemlich radikal zwischen Natur
und Landschaft unterscheiden, denn sie haben im Prinzip nichts
miteinander zu tun. Landschaft ist ein kultureller Begriff, den eine
Gesellschaft modifiziert im Kopf hütet. Natur ist eine Gesetzmäßigkeit,
ein Mythos.33
Diese weit verbreitete Ansicht ist die Ursache für das Hauptproblem in
dem Diskurs über Gartenkunst und Landschaft. Wenn es ‚Die Natur’ nicht
mehr gibt, was tritt dann an ihre Stelle? Immer öfter ist von Hybriden und
Hybridisierung die Rede, als „Auflösung des Natur-Kultur-Gegensatzes.“ 34
Meistens ist der Begriff negativ besetzt: Hybride an Stelle der schönen rei-
nen Natur. Prominski meint, „der hybride Charakter ihres Gegenstandes
‚Landschaft’ [habe] es der Landschaftsarchitektur bisher schwer gemacht,
30 30
sich zu verorten.“ 35 Und auch in den Diskurs der bildenden Kunst hat der
Begriff Eingang gefunden: „Gewissermaßen im Doppelpack machten wir uns
daran zu beobachten, wie das ursprüngliche Gegensatzpaar Natur / Kultur
in eine hybride Form übergeht, die aus gesellschaftlichen, organisch / natürli-
chen wie technologischen Aspekten gleichermaßen genährt wird.“ 36
Nach dem Duden Fremdwörterlexikon ist „die (auch der) Hybride ein
Bastard (aus Kreuzungen hervorgegangenes ... Individuum, dessen Eltern
sich in mehreren erblichen Merkmalen unterscheiden.)“ Der metaphorische
Gebrauch des Begriffs Hybride will also darstellen, dass zwei verschiede-
ne Einheiten zu einer neuen Einheit ‚verschmelzen,’ zu einem Individuum,
das heißt ein ‚Unteilbares.’ Es ist offenbar außerordentlich unbefriedigend,
mit der Unterscheidung zwischen menschlich beeinflusster und ‚rei-
ner’ Natur zu leben. Adorno sprach in diesem Zusammenhang von der
„Negativen Dialektik.“ „einem Zustand, in dem die Kommunikation des
Unterschiedenen einen Misston in das Getriebe der auf Einheit drängenden
Bewusstseinsformation brachte.“ 37 So erklärt sich, dass die Avantgarde der
Gartenkunst die Natur in der Unterscheidung Kunst / Natur weit gehend
negiert, und die Unterscheidung in der Diskussion über Landschaft aufgeho-
ben wird in der ‚Synthese’ oder der ‚Totalen Landschaft.’
31
Vermischung eintreten. „Vermischung würde das Ganze in Indifferenz absac-
ken lassen.“ 38
„Differenz“ ist das neue Stichwort, das in den Geisteswissenschaften im-
mer größere Bedeutung gewinnt. S. J. Schmidt beschreibt die Postmoderne
„als definitiven Übergang vom identitätstheoretischem zum differenztheo-
retischem Denken“.39 Die Geschichte der Philosophie ist geprägt von der
Auseinandersetzung über diese Denkweisen. Etwa seit den sechziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts liegen verschiedene Modelle des differenztheo-
retischen Denkens vor. Die wichtigste Grundlage für meine Arbeit sind die
„Laws of Form“ des englischen Mathematikers George Spencer-Brown, die
1969 erschienen. In Deutschland hat sie Niklas Luhmann bekannt gemacht,
und auch ich verwende sie im Sinne Luhmanns, das heißt, wie Kritiker sa-
gen, in einer vereinfachten Form.40 Bei den theoretischen Ressourcen seiner
Gesellschaftstheorie handelt es sich nach seinen Worten
um interdisziplinäre Diskussionszusammenhänge, die ... einen
Prozess radikaler Veränderung durchlaufen haben und mit der
Systembegrifflichkeit der 50ger und frühen 60ger Jahre kaum
noch etwas gemein haben. Es sind ganz neue faszinierende in-
tellektuelle Entwicklungen, die es erstmals ermöglichen, die alten
Gegenüberstellungen von Natur- und Geisteswissenschaften ... zu un-
terlaufen.
Die am tiefsten eingreifende, für das Verständnis des Folgenden un-
entbehrliche Umstellung liegt darin, dass nicht mehr vom Objekt
die Rede ist, sondern von Unterscheidungen, und ferner, dass
Unterscheidungen nicht als vorhandene Sachverhalte (Unterschiede)
32 32
begriffen werden, sondern dass sie auf eine Aufforderung zurückge-
hen, sie zu vollziehen, weil man andernfalls nichts bezeichnen könnte,
also nichts zu beobachten bekäme. ... Man kann dies mit Hilfe des
Formbegriffs verdeutlichen, den George Spencer-Brown seinen Laws
of Form zu Grunde legt. Formen sind danach nicht länger als (mehr
oder weniger) schöne Gestalten zu sehen, sondern als Grenzlinien, als
Markierungen einer Differenz, die dazu zwingt, klarzustellen, auf wel-
cher Seite man sich befindet und wo man dementsprechend für wei-
tere Operationen anzusetzen hat. Die andere Seite der Grenzlinie (der
„Form“) ist gleichzeitig mitgegeben. Jede Seite der Form ist die andere
Seite der anderen Seite. Keine Seite ist etwas für sich selbst. Man aktua-
lisiert sie nur dadurch, dass man sie und nicht die andere bezeichnet.41
Diese „Form der Unterscheidung mit zwei Seiten“ ist eng verwandt mit
Derridas Différance „jene Bewegung durch die sich die Sprache ... im
Allgemeinen ... als Gewebe von Differenzen konstituiert.“ (Erstmals veröffent-
licht 1968) 42 Dies erwähne ich, weil Derrida im gegenwärtigen Diskurs über
die Gartenkunst eine Rolle spielt.43
Aus dem Jahr 1969 stammt eine Arbeit des chilenischen Biologen Umberto
Maturana, die „Biologie der Kognition“, die einen großen Einfluss auf andere
Forschungsbereiche hatte, z. B. auf die Theorie des Radikalen Konstruktivismus
und auch auf die Arbeiten von Niklas Luhmann. Bemerkenswert ist, dass
Maturana zur gleichen Zeit wie Derrida und Spencer- Brown die Differenz
oder Unterscheidung als Wahrnehmungsgrundlage erkennt:
Der Beobachter kann ... einen Gegenstand nur beschreiben, wenn
es zumindest einen anderen Gegenstand gibt, von dem er ihn un-
33
terscheiden kann. Dieser zweite Gegenstand, der als Bezugsgröße
für die Beschreibung dient, kann jeder beliebige Gegenstand sein.
Die letztmögliche Bezugsgröße für jede Beschreibung ist jedoch der
Beobachter selbst.44
Damit kommt der Begriff des Beobachters der Unterscheidung ins Spiel,
wodurch die klassische Dualität Subjekt / Objekt ersetzt wird. Auslöser
dieser neuen Denkweisen ist zweifellos die Revolution, die Anfang des 20.
Jahrhunderts in der Physik das Denken verändert hat. Das klassische physika-
lische Weltbild war nicht mehr haltbar, als in der Quantenphysik in verschie-
denen Experimenten Elektronen einmal als Partikel und in einer anderen
Versuchsanordnung als Welle erschienen. Nils Bohr hat dies Anfang der 30er
Jahre als Komplementarität beschrieben. Er hat dieses Prinzip auch auf ande-
re Bereiche der Wissenschaft übertragen und eine allgemeine Erkenntnislehre
daraus entwickelt.45
In dieser Arbeit will ich versuchen, mit den Mitteln der neuen Denkweise,
dem differenztheoretischen Denken, die Grundlagen und Probleme
der Gartenkunst zu erhellen und einer Lösung näher zu bringen. Das
Hauptanliegen ist die Unterscheidung von Natur und Menschenwerk aber
auch zum Beispiel die Unterscheidung Form / Funktion. Und letztlich wird
sich ergeben, dass jede Begriffsbestimmung nur als Unterscheidung möglich
ist. Die ‚Form der Unterscheidung mit zwei Seiten’ ist deshalb das wichtig-
ste Instrument meiner Theoriebildung. –
Es ist bisher schon deutlich geworden, dass das Verhältnis von Natur zu
Gartenkunst und von Natur zu Landschaft keine echten Unterscheidungen
sind, weil die Begriffe unscharf sind. Um zu klaren Begriffen zu kommen, die
eine saubere Unterscheidung ermöglichen, halte ich mich an ein Verfahren
34 34
Heideggers: So wie Elias von der ,anfangslosen Synthese des Symbols Natur’
spricht, sieht Heidegger Begrifflichkeiten, „die durch eine Kette verschieden-
artiger Interpretationen hindurchgegangen“ sind. „die Grundbegriffe haben
ihre ursprünglichen ... Ausdrucksfunktionen eingebüßt.“ Er sieht die Aufgabe
der „phänomenologische[n] Hermeneutik“ darin, die
überkommene ... Ausgelegtheit nach ihren verdeckten Motiven, un-
ausdrücklichen Tendenzen und Auslegungswegen aufzulockern und
im abbauenden Rückgang zu den ursprünglichen Motivquellen der
Explikationen vorzudringen. Die Hermeneutik bewerkstelligt ihre
Aufgabe nur auf dem Wege der Destruktion. ... Die Destruktion ist
... der eigentliche Weg, auf dem sich die Gegenwart in ihren eigenen
Grundbewegtheiten begegnen muss, und zwar so begegnen, dass
ihr dabei aus der Geschichte die ständige Frage entgegen springt,
wie weit sie ( die Gegenwart ) selbst um Aneignungen radikaler
Grunderfahrungsmöglichkeiten und deren Auslegungsmöglichkeiten
bekümmert ist.46
‚Destruktion’ verstehe ich dabei nicht als ‚Zerstörung’, sondern eher als ein
‚Auseinandernehmen’, so wie etwa ein Junge einen alten Wecker auseinan-
der nimmt, um dem Geheimnis seiner Mechanik auf die Spur zu kommen.
Diese Methode dürfte auch geeignet sein, den Begriff Natur und dessen
Gegenbegriffe wie Kultur, Technik und Gestaltung, die ebenfalls durch „
eine Kette verschiedenartiger Interpretationen hindurchgegangen sind“, zu
„destruieren“, um so zu Begriffen zu kommen, die für die Diskussion über
Gartenkunst besser geeignet sind. (Man kann das auch – nach Derrida - de-
konstruieren nennen.)
Ich ersetze deshalb den Begriff „Natur“, der durch zahllose romantische, my-
thologische und metaphysische Konnotationen belastet ist, durch das grie-
35
chischen Wort physis, das der Altphilologe Wolfgang Schadewaldt als das
„Urwort“ von Natur bezeichnet, als
die wohl genialste griechische Seinsvision, die auch den größten Erfolg
in der Welt gehabt hat. ... Es ist ... so durchsichtig in seiner Bildung, dass
wir es deutlich verstehen können. Der Stamm ist phy , wie in dem Verb
phyo dazu die Endung –sis, die eine Aktion bezeichnet, gegenüber der
auf –ma , die das Einzelding meint. ... Die Grundbedeutung, die im
Stamm steckt, ist soviel wie „wachsen lassen“ „hervor treiben“ , medial
„wachsen“. Also ein Hervortreiben, wie ein Baum Blätter treibt oder
ein Tierleib Hörner. Die Bildung mit –sis ist nun wichtig, weil sie eine
Tätigkeit bezeichnet, ein In-Funktion-Sein . ... Wichtig ist ... , dass wir uns
im Umgang mit dem Wort von etwas lösen, das erst bei uns hineinge-
kommen ist ... , nämlich dass die Natur etwas Gegebenes, Objektives,
Festes, Statisches sei, von dem man im Alltag spricht als von „der
Natur da draußen“, als Kollektiv von all dem, was es da gibt. ... Diese
Vorstellung der Natur als etwas kollektiv Gegebenen, dem Menschen
Gegenüberstehenden, des ganz Anderen ... ist insofern geradezu ver-
hängnisvoll, als diese so gefasste Natur denn auch zum Objekt unseres
Forschens wird, mit dem wir machen können, was wir wollen. ... Dem
steht gegenüber die ganz andere Bedeutung des Wortes physis, das
schon durch seine Endung -sis niemals solch objektiven Bereich um-
fassen kann, sondern ein Walten und Wesen darstellt, ... im Sinne eines
Hervortreibens und Wachsenlassens. 47
Wir können also, nach der Übersetzung Schadewaldts, physis verstehen als
Wachsen, und zwar Wachsen als Prozess, nicht als Zustand. Dazu gehören
neben den Organismen Pflanzen und Tiere auch deren Wechselbeziehung
untereinander und ihr Angewiesensein auf ihre jeweilige anorganische
Umwelt, die vier Elemente des Empedokles: Feuer (Sonnenlicht), Luft,
36 36
Wasser und Erde. So verstanden, sind mit dem Wort physis alle werten-
den Attribute, die den Begriff Natur belasten, ausgeschlossen. Die Eiche
im Wald, die Rose im Garten, die Rübe auf dem Feld und der Grashalm in
der Pflasterfuge sind alle als physis gleichwertig.
Unterschiedlich sind jedoch die Beziehungen, die wir Menschen zu den
Pflanzen, zu der Vegetation, zur physis haben. Es geht um den Einfluss, den
wir auf sie ausüben. Den fasse ich unter dem griechischen Wort techne zu-
sammen. Nach Schadewald bezeichnet es bei den Griechen
eine bestimmte Wissensart , ... zugeordnet dem poiein, „herstellen“.
Man deutet es sich also am besten als ‚herstellendes Wissen‘ oder
doch auf ein Herstellen gerichtetes Wissen. Damit unterscheidet es
sich eindeutig von den anderen Wissensarten. istorie ist nichts anderes
als ein Erkundethaben ... episteme ... ist die höchste Weise des bewus-
sten Wissens. Demgegenüber haben wir in techne eine ganz beson-
dere Wissensart, die so beschaffen ist, dass, wenn man sie anwendet,
ein ganz bestimmter Prozess des Entstehens, Werdens, Gestaltens,
Schaffens in Gang gebracht wird. ...Man kann sagen, es ist eine Art
Fachwissens, immer im Hinblick darauf, dass etwas dann irgendwie
entsteht, vollzogen wird. ... Ein solches Wissen das man hat und kann,
ist also die techne, und zwar ein auf das Herstellen, ein wirkliches Tun,
poiein, gerichtetes Wissen. 48
Mit dem Kunstgriff der Einführung der Begriffe physis und techne ist also
eine klare Grundlage geschaffen für die Analyse des Verhältnisses von Natur
und menschlichem Einfluss. Physis ‚enthält’ keine techne und techne keine
physis. Beide sind in jedem Zustand unserer Lebenswelt genau zu unter-
scheiden. Um ihren speziellen Charakter als Termini technici dieser Arbeit zu
betonen, schreibe ich sie in kursiver Schrift.
37
Dies bedeutet nun keinesfalls, dass unser Naturverhältnis nicht auch mental
und emotional bestimmt ist. Im Gegenteil: die Klärung des Zusammenwirkens
von physi und techne’ ist die Voraussetzung dafür, dass in der Gartenkunst
unser Naturverhältnis in der heutigen Lebenswelt zum Ausdruck kommt.
„Die Anerkennung der Differenz von Natur und Menschlicher Leistung ist
das genaue Gegenteil jener Haltung der Indifferenz, in der die Natur als das
bloße Material praktischer Verfügung erscheint.“49
Ich werde im ersten Kapitel die Unterscheidung physis / techne als Beispiel
bei der Einführung in die ‚Gesetze der Form’ benutzen. Danach wird sich
zeigen, dass diese ein Instrument sind, das alle Gegensatzpaare in einem neu-
en Licht erscheinen lässt. Die ‚Blinden Flecke,’ die nicht nur den Diskurs der
Gartenkunst verdunkeln, werden sich entscheidend erhellen lassen.
Im zweiten Kapitel wird die Vegetation als Grundelement der Gartenkunst
behandelt und zwar als Botanik im Sinne Maturanas und als Ergebnis
des Zusammenwirkens von physis und techne sowohl in der geschicht-
lichen Entwicklung, wie auch in der heutigen Praxis. Als wichtiges Prinzip
für die Gartenkunst sehe ich die Unterscheidung von ‚Tun und Lassen’
an. Die Verschiebung zum ‚Lassen bestimmt die historische Entwicklung
der Gartenkunst. Das Thema wird vertieft durch eine Betrachtung von
Heideggers Abhandlung ‚Der Ursprung des Kunstwerks’, in der ich meine
Idee des Physis-techne-Verhältnises wieder finde.
Die Unterscheidung von Funktion und Gestaltung als eines der Hauptthemen
im Architektur-Diskurs wird im dritten Kapitel behandelt. Durch einen
Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung versuche ich, den Begriff
‚Ornament’ aus der üblichen verengten Sichtweise zu befreien.
Im vierten Kapitel wird dieselbe Unterscheidung angewendet bei einer
Betrachtung der gartenarchitektonischen, baulichen Elemente und ihre
38 38
Bedeutung und Wirkung in der Gartenkunst. – Ich konzentriere mich dabei
hauptsächlich auf die Wegesysteme der verschiedenen Stile. Da diese so-
wohl das Formgefühl, wie auch das Körpergefühl beeinflussen, sehe ich eine
Verbindung zu Schillers Theorie der Ästhetik, die er in den Briefen „Über die
ästhetische Erziehung des Menschen“ entwickelte. Fasziniert bin ich von der
Struktur seiner Theorie, die den Gesetzen der Form Spencer-Browns frappie-
rend ähneln. Auch andere Ideen meiner Arbeit finde ich bei Schiller wieder.
Eine weitere Gemeinsamkeit von Architektur und Gartenkunst und ein
Kernthema dieser Arbeit ist der Raum als Medium. Hier trifft nicht nur zu,
dass Parallelen bestehen, sondern der Begriff des Raumkontinuums und des
fließenden Raumes bedeutet, dass eine innige Verbindung zwischen moder-
ner Architektur und Gartenkunst besteht; ja, dies ist ein Musterfall einer Form
der Unterscheidung mit zwei Seiten. Das ist Thema des fünften Kapitels.
Im 6. Kapitel geht es um Wahrnehmung im weitesten Sinne. Also nicht
nur um Perzeption, sondern auch um Bewusstseinsbildung und um
Kunstproduktion und –rezeption. Besonders für die Gartenkunst ist die
Rezeption von besonderer Bedeutung, weil hierbei alle Sinne beteiligt sind,
nicht nur der optische, wie in der bildenden Kunst. Wahrnehmung der
Natur – um die geht es letztendlich in der Gartenkunst – berührt tiefste
Schichten menschlicher Psyche. Deshalb setze ich mich mit Themen, wie
dem kollektiven Gedächtnis, den Archetypen und mit morphogenetischen
Feldern auseinander.
Als eine Ursache für die prekäre Situation der Gartenkunst sehe ich die
Spaltung der Profession: einerseits in den Anspruch, Kunst zu sein, anderer-
seits in die Wissenschaft und die Ökologie. Die Folge ist ihre Hinwendung
zur bildenden Kunst. Geschichtlich ist dies schon vorgegeben mit der
Unterordnung der Landschaftskunst unter die Landschaftsmalerei. Eine
emanzipierte Gartenkunst darf aber Ökologie und Planungswissenschaft
nicht als Gegensätze betrachten, sondern muss sie als Grundlagen mit einbe-
39
ziehen. Im 7. Kapitel befasse ich mich deshalb mit dem Verhältnis zwischen
Gartenkunst und bildender Kunst.
Im 8. und 9. Kapitel unternehme ich den Versuch, Gesichtspunkte für eine
Theorie der Gartenkunst aufzuzeigen, die auf das Ziel gerichtet ist, die Welt
als Garten zu sehen.
40 40
Kapitel 1 Die Differenztheorie
53 ebd., 69
54 im Original: „indication“, von Schönwälder übersetzt als „Hinweis“
55 Spencer-Brown, (1999) 1
Er hat zwei Funktionen: einmal, mit dem waagerechten Balken, dient er als
Hinweis auf die eine Seite der Unterscheidung und als ihre Markierung (mar-
ked state) und andererseits, mit dem senkrechten Balken, als Aufforderung,
die Grenze zwischen den Seiten zu kreuzen. Etwas schwierig ist es, den
Charakter der Außenseite, des unmarkierten Zustandes (unmarked state) zu
erfassen. Es scheint offen zu sein, von was die markierte Seite unterschieden
wird. Es kann etwas Bestimmtes sein, oder auch ‚alles Andere,’ Unbestimmte.
Ich habe deshalb für die Darstellung meiner Überlegungen, wie Spencer-
Brown ausdrücklich anheim stellt, ein abgewandeltes Zeichen gewählt, das
beide Seiten der Unterscheidung ins Blickfeld stellt und auch das Motiv oder
den Kontext benennt:
Motiv, Kontext
Seite Seite
Dabei ist zu erinnern, dass die Grenze – symbolisiert durch den senkrechten
Strich - für die Unterscheidungsoperation das Wichtigste ist. Die ‚Grenze’
ist eine Metapher, also nichts räumlich oder zeitlich Konkretes, sondern sie
steht dafür, dass immer nur eine Seite der Unterscheidung gesehen und be-
schrieben werden kann, niemals beide gleichzeitig.
Trockenrasen
physis techne
Unter physis sehen wir die Vegetation, den Artenreichtum, die Empfindlichkeit
und Schutzbedürftigkeit, aber auch die Nährstoffarmut und Trockenheit des
Bodens und die sonnige Lage. Die andere Seite ist der menschliche Einfluss.
Das sind z. B. die extensive Nutzung, die Verhinderung der Verbuschung
durch Beweidung oder Mahd und der Verzicht auf Düngung. Das ist die
Seite der techne.
An diesem Beispiel wird deutlich dass man nicht nur die beiden Seiten nicht
gleichzeitig sehen kann, sondern dass meistens auch nur die eine Seite, die
Seite der physis, gesehen wird. Die andere Seite, die techne, ist dann der
Blinde Fleck der Unterscheidung. (Der menschliche Einfluss bleibt bei der
Beschreibung der Trockenrasen meistens außen vor.) ‚Blinder Fleck’ ist eine
treffende Metapher, die nicht nur zum Ausdruck bringt, dass die andere Seite
nicht gesehen wird, sondern auch, dass der Blinde Fleck selbst, (wie der im
Auge), nicht gesehen wird. Man kann von fast allen Auseinandersetzungen,
die ich bisher beschrieben habe sagen, dass die Vertreter einer Richtung für
die Gegenseite „mit Blindheit geschlagen waren.“ Zum Beispiel sah Hirschfeld
im Barockgarten nur das ‚Künstliche’ und im Landschaftsgarten nur das
‚Natürliche.’ - Der Blinde Fleck wird uns in der weiteren Untersuchung im-
mer wieder auffallen.
Auf einen besonderen Aspekt weist Niklas Luhmann hin:
Strukturell gesehen existiert die Zwei-Seiten-Form im Zeitmodus der
Gleichzeitigkeit. Operativ gesehen ist sie nur im Nacheinander der
Operationen aktualisierbar, weil die Operation von der einen Seite
Erkenntnis
Verstand Sinnlichkeit
Gedanken Inhalt
Begriffe Anschauung
Einfache Unterscheidung
Eiche Buche
Baum Haus
Ein Problem sind die Seiten einer Unterscheidung, die als Form nicht zu tren-
nen sind, wie um Beispiel die Unterscheidung physis / techne im Kontext
Gartenvegetation. Die Einwirkung von techne kann sehr intensiv sein,
zum Beispiel im Renaissancegarten, oder auch minimal im Naturgarten.
Dazwischen kann man sich unendlich viele Abstufungen vorstellen. Die
Intensität der Einwirkung ist ‚skaliert’. Das ergibt die Form:
Skalierte Unterscheidung
physis techne
77 Lt. Duden: „das Zurückbleiben einer Wirkung hinter dem jeweiligen
Stand der sie bedingenden veränderlichen Kraft.“
Garten
Vegetation Architektur
Vegetation
physis techne
Organismus
Organisation Struktur
Vegetation
Pflanze Nische
2.1.1 Zusammenfassung
Die bisherige Betrachtung der biologischen Grundlagen führt in Bezug auf
das Verhältnis von physis und techne zu folgenden Feststellungen:
• Die Einwirkung von techne auf physis erfolgt überwiegend indirekt auf
Medium und Nische der Organismen.
• Die Nische eines Organismus wird durch techne verändert. Das ist un-
schädlich, solange die strukturelle Kopplung zwischen Nische und
Organismus aufrechterhalten bleibt. Wenn dies nicht mehr der Fall ist,
bricht die Organisation des Organismus zusammen, d.h. er stirbt ab und
andere siedeln sich in der so veränderten Nische an.
• Solange die strukturelle Kopplung besteht, hat es für den Organismus
keine essentielle Bedeutung, ob techne auf die Nische einwirkt oder nicht.
Die Pflanze ‚unterscheidet’ nicht, ob die Nährstoffe in der Nische originär
vorhanden waren oder ob sie ‚künstlich’ zugeführt wurden. Das Gleiche
gilt zum Beispiel für das Wässern. Für die Kartoffeln in der Lüneburger
Heide ist es egal, ob das lebenswichtige Wasser vom Regen oder aus der
Bewässerungsanlage stammt.
• Es gibt also keine ‚künstliche’ Nische, sondern nur eine, mit der der struk-
turdeterminierte Organismus eine optimale oder weniger optimale struk-
turelle Kopplung eingehen kann.
techne
Einwirkung auf die Pflanze Einwirkung auf die Nische
Die erste bezieht sich auf die direkte Manipulation der Struktur der Pflanzen.
Die Wichtigste ist der Pflanzenschnitt. Küster führt das Schneiden von
Gehölzen in der Gartentechnik auf das Schneiteln zur Laubheugewinnung
zurück.102 Es ist also auch eine uralte Technik. Es gibt Pflanzen, die jeden
Schnitt ‚vertragen,’ aber auch andere, die nicht diese Regenerationsfähigkeit
haben, und deren Organisation zerbricht, wenn sie zu stark beschnitten wer-
den. Bei Linden z. B. sind der technische Vorgang und seine Folgen eindeutig.
Die verbleibenden Knospen treiben wieder aus und die Pflanze wächst weiter.
Wenn sie nicht mehr beschnitten wird, entwickelt sich in der Folge ein nor-
maler Baum, wie man in alten Anlagen oft beobachten kann. Dieser Vorgang
ist das Gleiche – von der physis aus betrachtet, - als wenn der Baum in seiner
Jugend vom Wild verbissen worden wäre. Es ist deshalb verständlich, dass
Blomfield den Pflanzenschnitt als Beispiel anführt, um die „Natürlichkeit“ des
architektonischen Stils zu reklamieren. 103
102 Küster, (1998), 172.
103 Gotheim, (s. Anm. 13.)
Nische
Boden Konkurrenten
Pflanzen
vereinzelt vergesellschaftet
Pflanzung
dynamisch statisch
Eine wichtige Unterscheidung für das Einwirken von techne ist, ob es spo-
radisch oder kontinuierlich erfolgt. Kontinuierlich nenne ich die Eingriffe,
die in regelmäßigen Zeitabständen erfolgen, zum Beispiel die Wiesen- und
Rasenmahd und die Pflege von Biotopen. Sie bewirken oft die Bildung
scheinbar stabiler Pflanzengesellschaften, die sich aber sofort verändern,
wenn der Rhythmus der Pflege unterbrochen wird; ein Problem, mit dem der
Naturschutz ständig zu kämpfen hat. Gerade die kontinuierliche Einwirkung
erzeugt Naturstücke, bei denen techne oft als Blinder Fleck unerkannt bleibt.
So ist in der Pflanzensoziologie, die sehr viel zum Naturverständnis beige-
tragen hat, von der menschlichen Einwirkung, die eine Bildung bestimm-
ter Pflanzengesellschaften erst ermöglicht, kaum die Rede. Mir ist dies erst
durch Gernot Böhmes Begriff der „sozial konstituierten Natur“ bewusst ge-
worden.108
Sporadische und akute Eingriffe sind zum Beispiel das Roden von Flächen
oder das Umbrechen von Wiesen und Neuansaaten. Als Unterscheidung
sehen wir:
techne
Tun Lassen
113 Wenn ich bisher den Begriff ‚techne’ auch im Sinne von ‚poein’ ge-
braucht habe, dann bezog ich mich auf die Deutung von Schadewald. (s.
Anm. 44). Eine eindeutige Unterscheidung dieser beiden Begriffe ist wohl
nicht möglich.
Werk
Erde Welt
Artefakt
Funktion Schmuck
Kulturgegenstand
Funktion Ornament
Damit komme ich zurück auf das Verdikt von Adolf Loos, „Ornament ist
Verbrechen.“ Um dies zu verstehen, muss man auf den Niedergang der
Architektur und der Gebrauchskunst im 19. Jahrhundert zurückgehen. Nach
Sigfried Giedion beginnt dieser schon mit dem Empirestil und dem da-
mals herrschenden Geschmack, „der isolierte Formen in den Vordergrund
rückt und vor der zugrunde liegenden Realität des Dinges ausweicht.“ Und:
„Was sich im Empirestil ... abspielt, ist nichts anderes als eine Entwertung
der Symbole. Wie Napoleon den Adel entwertet hat, so hat er auch das
Ornament entwertet.“ Eine wesentliche Ursache des weiteren Niederganges
sieht Giedion in der „Mechanisierung der Ausschmückung.“ Und er stellt fest:
„Es gibt keine Periode in der Geschichte, in der der Mensch den Instinkt, wie
seine intimste Umgebung zu gestalten ist, so weit verloren hätte.“ Giedion
zeigt viele Beispiele, die diese Entwicklung belegen,123 z.B. dieses Möbel:
Abb.3/3 Schnurkeramik
Hier wurde eine reine Zweckform (Funktion) durch das Eindrücken einer
Schnur in den weichen Ton verziert. Das Ornament wurde appliziert. Aber
die Applikation war nicht beliebig, sondern diese Technik war in vielen
Generationen hindurch entstanden. Funktion und Ornament waren un-
trennbar.
Ein Krug der Etrusker aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. zeigt eine deutliche
Weiterentwicklung:
Ornament
Applikation Gestalt
Diese Verwendung des Begriffs Ornament für die Applikation einer Verzierung
wie auch für die ‚schöne Gestalt’ ist ungewohnt. Sie ist aber sinnvoll, weil
auch diese Unterscheidung eine skalierte ist. Es gibt immer Übergänge zwi-
schen diesen beiden Seiten der Unterscheidung. Ein Endpunkt dieser Skala
zur ‚Guten Gestalt’ hin sind zum Beispiel viele Gebrauchsgegenstände von
Wilhelm Wagenfeld, die ohne Dekor, nur durch ihre Form wirken.
3.2.1 Zwischenbemerkung
Ich erinnere daran, dass es sich bei dem bisher Dargestellten immer um
Beobachtungen handelt. Sie können sich auf einzelne Aspekte beziehen,
Artefakt
Funktion Ornament
Dabei steht der Begriff ‚Ornament’ für alles Schmückende, Schöne, so wohl
für die Applikation wie auch für die schöne Gestalt.
Garten
Vegetation Architektur
Zunächst war von der Vegetation die Rede und davon, wie sie durch techne
für den Menschen nutzbar wurde.
Als Architektur bezeichne ich alles Gebaute, was in der Gartenpraxis als
Platz- und Wegebau, Mauern und Treppen, Einfriedigungen und so weiter
bezeichnet wird. Dieser Teil ist direkt vergleichbar mit der Baukunst und
wurde in der Geschichte der Gartenkunst auch oft von Architekten besetzt.
Die nähere Untersuchung wird zeigen, dass das Wichtigste Element der
Stilbildung die Gartenwege sind. Dafür blicke ich zunächst wieder zurück
auf den ‚Urgarten’. – Diese Betrachtung ist natürlich nicht historisch, sondern
nur typologisch zu sehen. -
Ich war ausgegangen von den ersten Pflanzungen und Aussaaten auf geloc-
kertem Boden. Zunächst werden es nur wenige Pflanzenarten gewesen sein,
die kultiviert wurden. Die hierfür zuständigen Frauen stellten irgendwann
fest, dass die Unkrautbekämpfung einfacher ist, wenn die Pflanzen in gera-
den Reihen stehen. Und mit der Zunahme der kultivierten Arten legten sie
separate Beete an, die durch Wege voneinander getrennt sind. Damit hat-
ten Frauen ein wichtiges geometrisches Ordnungsprinzip kreiert, nach dem
Garten
Vegetation Erschließung
Wege
Funktion Ornament
4.2 Wegetypen
Somit habe ich die Wege als eine funktionale Grundstruktur des ‚Urgartens’
bestimmt und so sind die Gartenwege auch bis heute in der Gartenkunst
entscheidende Elemente der Stilbildung. Wenn wir zum Beispiel den Barock-
vom Landschaftsgarten unterscheiden, sehen wir – zumindest äußerlich -
in erster Linie das Wegesystem und seine Funktion. Es ist also angebracht,
Gartenwege ausführlich zu betrachten im Hinblick auf Funktion und
Ornament.
Die natürlichste Funktion der Wege ist die Verbindung von A nach B. Die
‚Naturform’ dieser Funktion ist der Trampelpfad. Er ist nicht immer der
Kürzeste Weg, weil er selten schnurgerade ist. Er umgeht kleinste Hindernisse
und Unebenheiten und ist dadurch der angenehmste Weg. Sein Merkmal
ist also: bequemste Verbindung zweier Punkte ohne technischen Aufwand.
Dieser wurde erstmals erforderlich bei den viel befahrenen Handelswegen,
wenn zum Beispiel Hügelketten durch das Graben von Hohlwegen über-
Wegetypen 117
wunden wurden, und bei weichem Boden die Befestigung mit Holzbohlen
oder Steinpflaster das Einsinken der Wagenräder verhinderte. Diese Technik
ist zu verfolgen von den Römerstraßen bis zu den Autobahnen.
Aber gerade bei letzteren, bei deren Bau die moderne Technik jedes
Hindernis, ob Berg oder Tal, überwinden konnte, kam erstmals eine orna-
mentale Komponente hinzu: Als man feststellte, dass die Autofahrer auf
den schnurgeraden Straßen schnell ermüdeten, passte man bei späteren
Planungen die Trassenführung mehr den landschaftlichen Gegebenheiten
an, wofür dann erstmals Landschaftsarchitekten zuständig waren.
Wegetypen 119
Abb. 4/2 Modernes Gartenraster
Auch im Städtebau finden wir dieses ‚ordnende Wegesystem’ im größeren
Maßstab wieder, zum Beispiel schon beim Bau der Stadt Milet. Die Griechen
haben es offensichtlich von den Ägyptern übernommen. In der Barockzeit
wurden manche Städte danach geplant, zum Beispiel Mannheim und
Karlsruhe, wodurch der Ordnungswille des Herrschers Ausdruck fand. Und
auch gegenwärtig - ebenfalls als postmoderne Wiederentdeckung - taucht
es in der Stadtplanung auf, so in der „Architektur Olympiade Hamburg 2006,“
- ausgezeichnet mit einer Goldmedaille.144
Wegetypen 121
en Bürgern im antiken Griechenland der Fall gewesen. Bei Platon lesen wir,
wie Sokrates von seinem Freund Phaidros aus der Stadt gelockt wird mit
der Aussicht, von ihm die Rede des Lysias zu hören. Am Ziel angelangt, lobt
Sokrates den „schöne[n] Ruheplatz“ unter der Platane und den schönen
„Wipfel des Keuschbaumes ... wie er gerade in vollster Blüte steht, so daß er
den Ort ganz mit seinem Duft erfüllt. Und die lieblichste Quelle, die unter
der Platane fließt ...“ Doch als Phaidros ihm vorhält, dass er „ nie aus der Stadt
über die Grenzen hinaus“ wandere, antwortet Sokrates: „Die Fluren und die
Bäume [wollen] mich nichts lehren, wohl aber in der Stadt die Menschen“145
Im Mittelalter bis in die Neuzeit war das Lustwandeln dann als Müßiggang
verpönt. Das Gehen von einem Ort zum anderen war Mühsal. Erst in der
Romantik wird diese neue Form des Naturgenusses intensiv gepflegt, so wie
es Schiller beispielhaft in dem ‚Spaziergang’ beschreibt.
Das ist eine Unterscheidung, die – neben der Unterscheidung Tun und
Lassen - für die Gartenkunst von spezieller Bedeutung ist. Ich untersuche sie
auf der Grundlage der faszinierenden philosophischen Arbeit von Friedrich
Schiller: „Über die ästhetische Erziehung des Menschen.“ Interessant ist sie
für mich aus mehreren Gründen: Sie ist dualistisch strukturiert, so dass man
in ihr ‚Formen der Unterscheidung mit zwei Seiten’ sehen kann, sie ist kom-
plex in den Variationen ihrer Grundunterscheidung, und vor allem, sie bietet
einen Schlüssel für die Handhabung ihrer Unterscheidungen auf einer Skala
und vor allem, sie erhellt die Frage: was ist Kunst.
Schiller hat seine Theorie entwickelt in 27 Briefen, die an den (dänischen)
Augustenburger Prinzen gerichtet waren. Er befasst sich – über die Ästhetik
im engeren Sinne hinaus – mit der gesellschaftlichen Entwicklung seiner Zeit
(1793), die durch die negativen Ereignisse in Frankreich nach der Revolution
1789 überschattet war.
Schiller betrachtet den Staat im ästhetischen Sinne als höchstes Kunstwerk
und sein Ziel ist die Erziehung des Menschen zum sittlichen Wollen. Sein
Ausgangspunkt ist aber die Ästhetik in künstlerischer Hinsicht, und darauf
will ich mich konzentrieren. Die duale Struktur seiner Theorie ist so ausge-
Erkenntnis
Begriffe Anschauung
Welt des Denkens Welt der Sinne
Schiller geht zunächst vom Menschen aus, von seinem Zustand und seiner
Entwicklung. So im 11. Brief:
... die Abstraktion ... gelangt ... zu zwei letzten Begriffen, ... . Sie unter-
scheidet im Menschen etwas, das bleibt, und etwas, das sich unaufhör-
Mensch
Person Zustand
Das Bleibende Das Wechselnde
Das absolute Sein Das Werden
Die Freiheit Die Zeit
Mensch
Form Materie
Beharrlichkeit Veränderung
Einheit des Ichs Mannigfaltigkeit der Welt
Formalität Realität
Wenn man diese Sätze aufmerksam liest, stellt man fest, dass Schiller stän-
dig die Seiten wechselt, entsprechend dem Satz von Spencer-Brown: „Eine
Schönheit,
Formtrieb Sinnlicher Trieb
Und der Spieltrieb ist das Vermögen, den Punkt auf der Skala zu finden, an
dem die künstlerische Idee verwirklicht wird.
Bei Heidegger haben wir einen ähnlichen Ansatz gesehen: Ich vergleiche
Heideggers Erde und Welt mit Schillers sinnlichen Trieb und Formtrieb.
Und was Schiller Spieltrieb nennt, ist bei Heidegger der Streit. Er sagt:
„Wahrheit west nur als der Streit zwischen Lichtung und Verbergung in der
Gegenwendigkeit von Welt und Erde.“
Wahrheit
Welt Erde
Schiller sprach von der „Schönheit im weitesten Sinne“ und deshalb setze ich
‚Schönheit’ mit ‚Wahrheit’ gleich.
(Bei dieser Gelegenheit merke ich an, dass in der Weise, wie ich Spencer-
Browns ‚Laws of Form’ verwende – so, wie ich es von Luhmann und seinen
Schülern übernommen habe – das skalierte Verhältnis der unterschiedenen
166 Daraus entstehen, wie wir gesehen haben, Begriffe wie ‚Hybride’ oder
‚Synthese.’
Schönheit
Form Materie
Im 19. Brief entwickelt Schiller einen Gedanken, von dem man annehmen
könnte, dass Spencer-Brown unmittelbar von ihm angeregt worden sei: Er
sieht in dem „Zustand des menschlichen Geistes vor aller Bestimmung, die
ihm durch Eindrücke der Sinne gegeben wird, ... eine Bestimmbarkeit ohne
Grenzen. Das Endlose des Raumes und der Zeit ist seiner Einbildungskraft
zu freiem Gebrauch hingegeben, ... man ... [kann] diesen Zustand der
Bestimmungslosigkeit eine leere Unendlichkeit nennen ...“
Wie entsteht jetzt „aus der unendlichen Menge möglicher Bestimmungen ...
eine einzelne Wirklichkeit, ... eine Vorstellung“ ? - Schiller stellt fest:
Um eine Gestalt im Raum zu beschreiben, müssen wir den endlo-
sen Raum begrenzen; um uns eine Veränderung in der Zeit vorzu-
stellen, müssen wir das Zeitganze teilen. Wir gelangen also nur durch
169 Harrison, (1992), Ich setze anstatt einer Fußnote die Seitenzahl in
Klammern.
DieEntwicklungdesklassischenStadtraumesalsGrundlagederabendländischenKultur 153
dunkel; man kennt nicht einmal den ethnischen Zusammenhang zwi-
schen jenen vorgeschichtlichen Völkern und diesem erstaunlichen
Gemeinwesen, die das Repertoire der Menschheit um eine große
Neuheit bereicherten, indem sie einen öffentlichen Platz und um ihn
her eine gegen das Feld geschlossene Stadt erbauten. ... die Stadt be-
ginnt als Hohlraum, als Markplatz, forum, agora; und alles Weitere ist
Vorwand, um dies Hohl zu sichern. ... Die Polis ist ursprünglich nicht
ein Haufe bewohnbarer Häuser, sondern ein Ort des bürgerlichen
Zusammentreffens, ein abgegrenzter Raum zu öffentlichen Zwecken.
... Man beachte, dass hiermit eine neue Gattung Raum konstruiert
wurde, ... . Solange gab es nur einen Raum, das Land, ... . Der Landmann
ist noch pflanzenhaft. Sein Leben bewahrt, wenn er denkt, fühlt, will,
etwas von der bewußtlosen Dumpfheit des Vegetativen. ... aber der
antike Mensch löst sich entschlossen vom Land, von der Natur, von
dem geobotanischen Kosmos ab. Wie ist das möglich? ... Sehr einfach:
er hegt ein Stück Land vermittels einiger Mauern ein und stellt dem
gestaltlosen, unendlichen Raum den umschlossenen, endlichen ge-
genüber. So entsteht der Platz. Er ist nicht wie das Haus ein nach oben
hin geschlossenes Inneres, darin den Höhlen gleichend, die es auf dem
Felde gibt; er ist schlechthin die Verneinung des Feldes. Dank den
Mauern, die ihn umgeben, ist der Platz ein Stück Land, das dem Rest
den Rücken dreht, von ihm absieht und sich ihm entgegensetzt. Dieses
rebellische Kleinland, das sich von der großen Mutter abgeschnürt hat
und seine Eigenrechte ihr gegenüber wahrt, ist als Land aufgehoben
und darum ein Raum sui generis, völlig neu, worin der Mensch, aus
jeder Gemeinschaft mit Pflanze und Tier gelöst, ein in sich kreisen-
des, rein menschliches Reich schafft: den bürgerlichen Raum. Darum
wird einst der große Städter... Sokrates sagen: „Ich habe nichts mit den
DieEntwicklungdesklassischenStadtraumesalsGrundlagederabendländischenKultur 155
Umschließung von Tonerde“ und ließ ihn so in die „Tiefen hinabfließen“ und
„bereitete so an allen Orten reichhaltige Quellen.“
Da nun aber „viele bedeutende Überschwemmungen ... Statt gefunden
haben ... so [ist] die Erde ... in der Tiefe verschwunden. So ist denn in dem
gegenwärtigen [Lande] gleichsam wie von einem durch Krankheit dahin-
geschwundenen Körper nur noch die Knochen übrig geblieben, indem die
Erde, soweit sie fett und weich war, ringsum abgeflossen und nur das magere
Gerippe des Landes zurückgelassen ist.“ 172
Was wir von Kritias nicht erfahren, ist die Ursache, die zu den „bedeuten-
den Überschwemmungen“ geführt hat, nämlich die Abholzung der Wälder
an den Berghängen, der zufolge das Wasser nach starken Regenfällen nicht
mehr zurück gehalten wurde, sondern in Sturzbächen den Boden mit zu Tal
riss.
In dieser devastierten Landschaft konnte zwar noch Landwirtschaft be-
trieben werden, aber der Boden gab nicht soviel her, dass die wachsende
Bevölkerung damit ernährt werden konnte. Es musste zunehmend Getreide
aus anderen Mittelmeerländern eingeführt werden, wodurch ein reger
Handel entstand und damit Verbindungen zu anderen Kulturen. – Die ei-
gene Landwirtschaft wurde überwiegend von Sklaven betrieben: „Im Athen
des Perikles kommen auf etwa 50.000 freie Bürger ungefähr 100.000 Sklaven“
173
DieEntwicklungdesklassischenStadtraumesalsGrundlagederabendländischenKultur 157
legend von der griechischen agora, genau so, wie die Menschen in der engen
geistigen Welt der Zünfte und Stände sich von den freien Bürgern Athens
unterscheiden. Erst in der Renaissance gewinnt das ‚klassische Denken’ wie-
der die Oberhand. Es folgt die Zeit der Entdeckungen und Erfindungen.
Mit der Entdeckung der Perspektive änderte sich auch die Raumvorstellung
des Mittelalters. Die Perspektive fordert geradezu dazu auf, lange Fluchten von
Fensterreihen, Arkaden oder Wegeachsen zu bilden. Die Geometrisierung
setzte sich immer mehr durch, auch in der Gartenkunst; hier allerdings in
wechselnder Intensität. Auf den Renaissance- und den Barockgarten folg-
te die Auflösung im frühen Landschaftsgarten, die aber – wie wir gesehen
haben - sehr schnell von der Geometrie des Zirkels abgelöst wurde. So ist
auch der Landschaftsgarten in dieser Sichtweise ein klassischer Raum. - Im
20. Jahrhundert traten die Stile im modischen Wechsel auf, oder sie wurden
individuell unterschiedlich angewendet. Heute wird die Gartenkunst wieder
stark von der Geometrie beherrscht; lange Wegeachsen, ‚harte Kanten,’ klas-
sische Klarheit prägen das Bild, und „der Pappeln stolze Geschlechter ziehen
[wieder] in geordnetem Pomp vornehm daher. Regel wird alles und ... alles
Bedeutung“ 177
Soweit die historische Entwicklung. Nun komme ich zu einem wesentlichen
Thema dieser Arbeit:
Lebensraum
Lichtung, Vegetat. Raum Klassischer Raum
und
Klassischer Raum
Innenraum Außenraum
187 ebd., 13
188 Sieverts, (1999), 14.
Zwischenstadt
Freiraum Bebauung
Diese Unterscheidung ist noch sehr abstrakt: ‚Bebauung’ meint alles Gebaute
im üblichen Sinne und nicht etwa den Anbau von Gemüse oder Getreide.
Und ‚Freiraum’ ist das Unbebaute. Eine ganz wichtige Aussage ist, dass diese
beiden Zustände in allen Maßstabsebenen „selbstähnlich“ sind und sich „fein-
maschig durchdringen“. Durchdringen heißt nicht Vermischen! Hier gilt der
Grundsatz der Differenztheorie: die Unterscheidung bleibt bestehen; vom
großen Siedlungskomplex bis zum kleinsten Hausgarten ist die Bebauung
von dem Freiraum zu unterscheiden. Die fraktale Grenze ist nicht nach den
Gesetzen der euklidischen Geometrie zu beschreiben, da sie sich immer fei-
193 Ebd., 55
208 Ebd. 82
Kombinierter Raum
224 Ebd., 63
5.8 Zusammenfassung
Dieses Kapitel ist überschrieben: Der Raum als Medium von Architektur und
Gartenkunst. Mein Anliegen war, die verschiedenen Raumauffassungen und
ihren Einfluss auf Architektur und Gartenkunst zu analysieren. Ich habe den
Zusammenfassung 201
‚Urraum,’ die Lichtung im Wald als ‚vegetativen Raum’ und die erste große
Revolution in der Menschheitsgeschichte, die Gründung der Städte und
damit die Entstehung des ‚klassischen Raumes’ beschrieben. Gegenwärtig
sind wir mitten in einer Entwicklung, in der sich die alte Stadt, der klassi-
sche Raum auflösen. Dieser Vorgang wird überwiegend noch negativ als
Zersiedelung angesehen. Entsprechend dramatisch sind die Verwerfungen
in der Architektur und Gartenkunst in den letzten Jahrzehnten.
Wie ein Gewitter kam die Postmoderne über uns. Sie war verursacht
durch die Perversion der Moderne, die ausschließliche Betonung der
Funktion der so genannten Kastenarchitektur. Man suchte die Heilung in
der Rückbesinnung auf historische Vorbilder. Einer ihrer Protagonisten in
Deutschland war Heinrich Klotz. Dessen Kritik richtete sich aber nicht nur
gegen die Auswüchse der modernen Architektur, sondern gerade gegen ihre
eigentlichen Grundsätze. So kritisiert er zum Beispiel das Bauhausgebäude
von Gropius: „Der freie Grundriß, der allseitig umgehbare Bau auf grü-
ner Fläche, enthielt per se ein gerüttelt Maß an Stadtfeindlichkeit. Es sind
die Folgen eines solchen Planungsideals der Moderne, gegen das sich die
Postmoderne wendet.“227
Und an anderer Stelle kommt seine Gegenposition so zum Ausdruck:
Rob Krier hat in einem demonstrativen Akt das gesamte Stadtzentrum
Stuttgarts in einem Großmodell rekonstruiert und sowohl die
Struktur des 19. Jahrhunderts wiederzugewinnen gesucht als auch
im analogen Vorgehen dazu eine Block- und Platzbebauung ergänzt,
so dass als ein Vorstellungsbild ... ein an der Geschichte orientier-
tes Handlungskonzept der Ergänzung und Wiedergewinnung des
Bestehenden und Gewesenen visuell veranschaulicht [wird.] 228
Zusammenfassung 203
Abb. 5/15 Wohnhaus im Bauhausstil, 2011
Immobilienanzeigen in den Zeitungen, die immer mehr Gebäude mit weit
geöffneten Räumen zeigen und explizit mit dem „Bauhausstil“ werben. Der
„designte“ Garten des gezeigten Beispieles entspricht allerdings nicht meinen
Vorstellungen.
Ich fasse dieses Kapitel „der Raum als Medium von Architektur und
Gartenkunst“ zusammen als Formen der Unterscheidung mit zwei Seiten:
Raum
Wald/Lichtung Steppe/Fläche
geschlossener Raum offener Raum
‚klassischer’ Raum Raumkontinuum
statischer Raum fließender Raum
perspektivischer Raum Bewegungsraum
Raumgrenzen
linear (Stadtkante) fraktal (Zwischenstadt)
Zusammenfassung 205
Kapitel 6 Über Wahrnehmung und Kunst
Adaptation
Assimilation Akkommodation
Adaptation
Assimilation Akkommodation
Kognitionsschema:
Redundanz Rauschen
Eindeutigkeit Ambiguität
6.3.1 Kognitionsschema
Die Unterscheidungen im kognitiven Schema: Redundanz / Rauschen so-
wie Eindeutigkeit / Ambiguität kann man als eine Grundunterscheidung der
Adaptation bezeichnen. Dies wird in der Darstellung Umberto Ecos deutlich:
Eine völlig zweideutige Botschaft erscheint als äußerst informativ, weil
sie mich auf zahlreiche interpretative Wahlen einstellt, aber sie kann
an das Geräusch angrenzen, d.h. sie kann sich auf bloßes Geräusch
reduzieren. Eine produktive Ambiguität ist die, welche meine
Aufmerksamkeit erregt und mich zu einer Interpretationsanstrengung
anspornt, mich aber dann Dekodierungserleichterungen finden lässt,
ja mich in dieser scheinbaren Unordnung als Nicht-Offensichtlichkeit
eine viel besser abgemessene Ordnung finden lässt, als es die Ordnung
ist, die in redundanten Botschaften herrscht. ... Es ist dies das Problem
der Kolorierung der Geräusche, d.h. des Minimums an Ordnung, das
in die Unordnung eingeführt werden muß, damit diese aufnehmbar
wird.245 (Hvh. A.S.)
Wie für alle Unterscheidungen auf der Assimilationsseite, gilt auch für
die Redundanz, dass sie nicht per se negativ aufzufassen ist. Ein gewis-
ses Maß an Redundanz – also Wiederholungen - ist immer notwendig,
wenn komplizierte Gegebenheiten verdeutlicht werden sollen. Der Begriff
Eindeutigkeit impliziert dagegen oft Borniertheit, die wiederum Ambiguität
als Wankelmütigheit ansieht.
6.3.2 Gestaltungsschema
Die ‚Gestalt’ als Begriff spielt in der allgemeinen Wahrnehmungstheorie
eine prominente Rolle, so dass sie als Gestaltpsychologie einen eigenen
Wissenschaftsbereich bildet. Der Leitbegriff ist die „gute Form.“ „ ... das, was
die Gestaltpsychologen die ‚gute Form’ nennen, [ist] dasjenige unter al-
len Modellen, welches ‚die geringste Information erfordert und die größte
Redundanz besitzt.’“ 247
Zunächst ist festzustellen, dass Wahrnehmung immer Selektion ist. Nach
den Erkenntnissen der Hirnforschung nimmt ein Mensch nur einen winzigen
Bruchteil der laufenden Sinneseindrücke wahr, und zwar nur das, was jeweils
für ihn und seine Existenz wichtig ist. Nach Wolfgang Welsch hat
6.3.3 Erlebnisschema
Das Gestalt- und Prägnanzprinzip beziehe ich hauptsächlich auf die
Gestaltung der Pflanzung im Garten. Es hat natürlich auch eine Bedeutung
für die übrige Gartengestaltung: Raumbildung, Wegeformen und architekto-
6.5.1 Synästhetik
Wenn wir die Grundlagen der Rezeption in den verschiedenen
Kunstgattungen vergleichen, stellen wir erhebliche Unterschiede fest, die für
die Charakterisierung der Gartenkunst von großer Bedeutung sind. Ich ver-
gleiche:
Malerei: Die Wahrnehmung ist optisch.
6.5.5 Atmosphären
Es ist also festzustellen, dass die Natur dem Menschen nicht nur als Bild
gegen über tritt. Der Mensch ist selbst Natur, wenn er als Leib nicht nur
Nahrung, sondern die unterschiedlichsten Einflüsse über alle seine Sinne
aufnimmt. Von der Hirnforschung wissen wir, dass durch die Wahrnehmung
der Außenwelt auch die Physis des Menschen beeinflusst wird. So bewir-
ken äußere Reize die Bildung von Neurotransmittern und Endorphinen, die
das Nervensystem und damit die Homöostase, das heißt unterschiedlichste
Atmosphäre
Naturaffekte Adaptation
Naturaffekte und Adaptation sind streng durch eine Grenze von einander ge-
trennt und bilden als Form der Unterscheidung zusammen die Atmosphäre.
Abb.6/4
Schober registriert schließlich, .
das starke Hinausströmen aus der Stadt an Wochenenden und im
Urlaub und, dass durchgehend in Tourismusstudien die schöne
Landschaft auf Platz eins bei der Frage nach der gewünschten Kulisse
steht.
Sehnsucht nach Natur und Landschaft wird durch das Bewusstsein
der schwindenden Natur genährt, also von Leben, die tägliche
Wahrnehmung
Fühlen Denken
Nun ist das Verhältnis von Fühlen und Denken in Bezug auf die Wahrnehmung
in der Gartenkunst zu erörtern, wobei ich daran erinnere, dass Wahrnehmung
sich sowohl auf die Produktion, wie auf die Rezeption bezieht.
6.6 Archetypen
Archetypen habe ich bisher schon in verschiedenen Zusammenhängen
thematisiert, ohne näher auf diesen Begriff einzugehen. Wenn ich sie
hier unter dem Hauptthema ‚Wahrnehmung’ behandle, so ist doch
eine Unterscheidung zu machen: Alle bisher beschriebenen Formen der
Wahrnehmung sind Adaptationen äußerer Einflüsse durch Assimilation und
Akkommodation von Individuen. Archetypen sind keine äußeren Einflüsse,
sondern vererbte, also genetisch bestimmte Prägungen. Sie sind also keine
Wahrnehmungen im engeren Sinne, sondern psychische Phänomene, die
Archetypen 245
man konstatieren aber bisher nicht erklären kann. Am ehesten ist wohl der
Vergleich mit Instinkten angebracht.
Der Begriff des Archetypus wurde vor allem von C. G. Jung eingeführt. Er un-
terscheidet das „persönliche Unbewusste“ dessen Inhalt „in der Hauptsache
die sogenannten gefühlsbetonten Komplexe“ sind, „welche die persön-
liche Intimität des seelischen Lebens ausmachen“, von dem „kollektiven
Unbewussten, dessen Inhalt die sogenannten Archetypen“ sind.
„Ein ... wohlbekannter Ausdruck der Archetypen ist der Mythus und das
Märchen. ... hier handelt es sich um spezifisch geprägte Formen, welche
durch lange Zeiträume übermittelt wurden. Der Begriff Archetypus“ bezeich-
net dagegen „nur jene psychischen Inhalte, welche noch keiner bewussten
Bearbeitung unterworfen waren, mithin also noch unmittelbare seelische
Gegebenheit darstellen.“ ... Die unmittelbare Erscheinung der Archetypen,
„wie sie uns in Träumen und Visionen entgegentritt, ist viel individueller un-
verständlicher oder naiver als z.B. im Mythus.“ 282
Auch andere Autoren arbeiten mit vergleichbaren Begriffen. So zum Beispiel
Gerhard Roth, der das phylogenetische vom ontogenetischem Gedächtnis
unterscheidet 283 und Martin Seel, der von der „zugleich naturgegebenen
und kulturell ausgeformten Sensibilität“ spricht.284 Dabei ist sicher die natur-
gegebene Sensibilität mit dem phylogenetisch entstandenen Archetypus zu
vergleichen.
Es ist offensichtlich, dass der Begriff rational nicht zu erklären ist, wie etwa
‚Gestalt’ oder sogar ‚Atmosphäre’. Aber eben so sicher ist, dass es etwas
Derartiges gibt, wodurch das Verhalten der Menschen beeinflusst wird. Es
Archetypen 247
aus dem Fenster auf die Landschaft. Nach einer gewissen Zeit sagte er spon-
tan: „Schön hier, nicht?“ - Von dem anderen Sohn habe ich eine entsprechen-
de Wortschöpfung in Erinnerung. Als wir an einem Sonntag einen Ausflug
planten, schlug er vor, mal wieder zu der „gemütlichen Wiese“ zu fahren.
Das war eine Wiese, die von Wald und Knicks umgeben war, auf der wir vor
einiger Zeit gespielt hatten.
Diese Erlebnisse spielten in einer Zeit, in der es bei uns keinen Fernseher und
noch nicht die vielen Landschaftsbilder auf Hochglanzpapier gab. Es waren
also Erlebnisse, die spontan und ohne äußeren Einfluss entstanden. – Heute
wäre der Nachweis von ‚archetypischen’ Erlebnissen problematisch, weil
Natureindrücke, die nicht von der heutigen Bilderflut der Medien beeinflusst
sind, kaum noch möglich sind. Das bedeutet aber nicht, dass archetypische
Prägungen nicht mehr wirksam sind.
Wenn man die Fälle betrachtet, - die ich bisher behandelt habe oder die
noch zu finden sind - bei denen man von Archetypen sprechen kann, so ist
fest zu stellen, dass es Übergänge gibt zu den Einflüssen, die der Adaptation
unterliegen. Das trifft zum Beispiel zu auf die atmosphärischen Wirkungen.
Eine andere Unterscheidung sehe ich in dem ‚Alter’ der Archetypen, das
heißt in der Zeit ihrer Entstehung, bezogen auf die Entwicklungsgeschichte
der Menschheit, was man natürlich nur grob bestimmen kann. Es handelt
sich wieder um skalierte Übergänge. – Unter diesem Gesichtspunkt will ich
einige Beispiele menschlichen Handelns und Fühlens aufführen, die ich als
archetypisch ansehe:
• Die vier Elemente: Die Luft zum Atmen, Wasser und Erde – das was wir
früher Mutterboden nannten – als Grundlage des Lebens, und Feuer, des-
sen Beherrschung den Menschen vom Tier unterscheidet.
Archetypen 249
• Wahrung von Individualabstand, Einzel- und Gruppenterritorium
• Stimulation (Abwechslung, Ausblick, dichte Folge visueller Informationen,
anregende Vielfalt im Umfeld, Reiz des Urbanen)
• Sicherheit, (Schutz gegen Fremdblick)
• Wunsch nach Orientierung, nach unverwechselbaren , identitätsfördern-
den Strukturen
• Wunsch nach Naturkontakt, „Phytophilie“
• Zugang zu Wasser
• Freude am Elementaren
• Präferenz für Saumbiotope (Ufer, Waldrand, Steppenhabitate mit
Gehölzgruppen)
Besonders interessant ist Lötschs Feststellung bezüglich „Gestalt statt Raster,
Rhythmus statt Stereotypie“: Danach können Menschen fünf, sechs oder
sieben Punkte unterscheiden, ohne zu zählen. Die Ansammlung gleicher
Elemente über die Zahl neun hinaus erfordert nummerieren und zäh-
len. „Die stereotype Wiederholung ... führt zu Orientierungsverlust“ - „Die
rhythmische Wiederholung gleicher (nicht identer) Teile ist ein wesent-
liches Konstruktionsprinzip und Erkennungsmerkmal des Lebens – man
denke an Zellstrukturen, an Raupen oder Fiederblättchen – häufig wird
rhythmische Wiederholung auch als visuelles Signal entwickelt, um aufzu-
fallen. ... deshalb sprechen Tier und Mensch auf solche Strukturen positiv
an, wurde Wiederholung zum Gestaltungsprinzip dekorativer Kunst, von der
Perlenkette bis zum klassischen Ornament.“ – Soweit Lötsch.
Ein weiteres Indiz für das Vorhandensein archetypischer Prägungen liefer-
te die Untersuchung eines amerikanischen demoskopischen Instituts, das
die „meistgeliebten und meistgehassten Bilder der Amerikaner“ erfragte.
Archetypen 251
6.7 Morphische Felder
Abschließend zu diesem Kapitel möchte ich – ungeschützt – eine Idee ein-
bringen, die den Charakter der Archetypen, der bisher von Niemandem erklärt
wurde, erhellen kann. Es ist Rupert Sheldrakes Theorie der „Morphischen
Felder.“ Sie besagt dass
Selbstorganisierende Systeme aller Komplexitätsgrade – also
Moleküle oder Kristalle ebenso wie Zellen, Gewebe, Organismen und
Gesellschaften von Organismen – von Feldern organisiert werden, die
ich „morphische Felder“ nenne. Morphogenetische Felder sind ein-
fach eine bestimmte Art von morphischen Feldern, nämlich solche,
die für die physische Entwicklung und Erhaltung von Organismen
sorgen. Morphogenetische Felder organisieren auch die Entwicklung
von Molekülen, also etwa die Einfaltung der genetisch kodierten
Aminosäurenketten zu den komplexen dreidimensionalen Strukturen
der Proteine. 289
Sheldrake sieht also in der Formbildung von Organismen ein Zusammenwirken
der Gene mit morphogenetischen Feldern:
301 Ebd.
302 Ebd., 125.
303 Ebd., 104.
306 Ebd.
Naturwahrnehmung
Direkte, leibliche Indirekte, bildliche
Und auch hier entscheidet der Blinde Fleck über die Wahrnehmung: Wer an
einem sonnigen Frühlingsmorgen durch eine Wiesenlandschaft oder durch
einen ergrünenden Buchenwald oder durch einen erblühenden Park wan-
dert, der denkt sicher nicht an ein Gemälde von Lorrain, es sei denn, er ist ein
Kunsthistoriker, der – seinerseits – nur das wahrnimmt, was er mit irgendei-
nem Landschaftsgemälde vergleichen kann.
Milieu
Pflanze Nische
Luhmann:
Gesellschaft
System Umwelt
326 Ebd. 63. ‚Innenseite’ bezieht sich auf den ‚Haken’ als Symbol der ‚Zwei-
Seiten-Form’, siehe S. 27.
357 http://www.berlinews.de/wista/archiv/261.shtml
Wahrnehmung
Medium Form
Medium und Form bestehen gemeinsam aus Elementen. Elemente sind kei-
ne „naturalen Konstanten“, sondern Einheiten, „die von einem beobachten-
den System konstruiert (unterschieden) werden, zum Beispiel ... die Töne in
der Musik.“ Diese Elemente sind aber nicht als Einzelteile zu denken, sondern
nur in einer Verbindung, die Luhmann „Kopplung“ nennt. Die Kopplung der
Elemente bestimmt die ‚Form der Unterscheidung’ von ‚Medium und Form.’
362
Luhmann unterscheidet die „lose Kopplung“ von der „festen Kopplung.“
Ein Medium ist eine lose Kopplung von Elementen, „eine offene Mehrheit
361 Luhmann, (1999, 166 bis 171, und Ders., (1997), 195 bis 201. Ich ver-
zichte bei den folgenden Zitaten auf eine genaue Stellenangabe.
362 Luhmann benutzt den Begriff ‚Form’ etwas irritierend in unterschied-
licher Bedeutung. Die ‚Form der Unterscheidung’ sowie ‚Medium und Form’
Medium Form
Weiter stellt Luhmann fest, dass „das Medium stabiler [ist] als die Form“, aber
dass „das Medium nur an den Formen und nicht als solches beobachtet wer-
den kann“. Das Medium ‚Sprache’ zum Beispiel ist nur denkbar, wenn Wörter
(Elemente) zu Sätzen (Form) ‚geformt’ werden.
Die Unterscheidung ‚Medium und Form’ ist eine besondere Art von ‚Formen
der Unterscheidung mit zwei Seiten’, in der keine Seite ohne die andere denk-
bar ist. Die Seiten physis und techne zum Beispiel sind durchaus auch für sich
sinnvoll zu benutzen, Medium und Form dagegen nur zusammen.
sind als unterschiedliche Termini zu denken, so wie es sich aus dem Kontext
ergibt.
Land Art
Artefakt Landschaft
In keinem Fall geht es um Landschaftsgestaltung.
Anders zu sehen ist aber das Beispiel einer ‚Grenzgängerin’, Kathrin
Gustafson: „[Ihr] erster Auftrag für Kunst am Bau ... ging schief. Ihr ‚Shadow
Walk’ im Flughafen San Francisco blieb ein Schatten. Sie verließ die Sitzung
der Kunstkommission wortlos ... und blieb Landschaftsarchitektin.“ Vorher
war sie längere Zeit Modedisignerin, bis ihr Interesse für die Landschaftskunst
erwachte. Die meisten ihrer Objekte sind auch der bildenden Kunst zuzuord-
nen, zum Beispiel „ein Wasserreservoir im Freizeitpark von Morbras ... an dem
sich bereits ihre typische Formensprache zeigt: grasüberzogene Erdfalten, das
Terrain als große Skulptur. Landart könnte man vermuten. Aber Gustafson
379 Ebd.
380 KUNSTFORUM, (1999a,b)
381 KUNSTFORUM, (1999b), 107.
382 Ebd., 204.
Kunst
Gartenkunst Bildende Kunst
409 Ebd.
410 Honisch, (1996), 157.
411 Schneckenburger, (1998), 528f.
412 Romain, (1990), 20.
417 Ebd.
422 Das erinnert an Heideggers Begriff des „Wohnens“, auf den ich noch
zu sprechen komme.
423 Dee, (2004), 58ff.
485 Die Autoren befassen sich mit Literatur. Ihre Aussagen lassen sich aber
allgemein auf die Kunst anwenden. Ich ersetze deshalb das Wort „Literatur“
und seine Ableitungen im Original jeweils durch das Wort „[Kunst]“ und
seine Ableitungen.
Das heißt, dass weder die reine Naturgartenbewegung eines Le Roys oder
Urs Schwarz noch die modische Verwendung der Pflanzen zur Bildung orna-
mentaler Formen eine zukunftsweisende Richtung sein kann. Die „doppelte
Referentialität“ auf das „gesellschaftlich Reale“ und die aktuellen „kunstin-
ternen Ausdrucksmittel“ sehe ich gegeben einmal in Gartenbeispielen wie
man sie in vielen Gartenzeitschriften sieht, in denen sich die Tendenz zur
naturhaften Gestaltung zeigt und ebenso in den zunehmend erfolgreichen
Versuchen der Profession, zum Beispiel standortgerechte Blumenwiesen her-
zustellen, worin durchaus eine neue Naturästhetik einer Avantgarde zu er-
kennen ist. Peter Latz sieht das ähnlich:
Ökologie müsste Symbol für Natur und Kultur zugleich sein, muss
also auch Kunst sein. ... Das Bild von Natur kann eine Struktur des
„Belassenen“ und des „Gebauten“ sein. Die Akzeptanz der fragmen-
tarischen Welt verzichtet auf die Ganzheiten des Großbildes und im
Gewebe der Anordnungsmuster bleibt Platz für den Zufall Natur.488
Ein übergeordnetes Telos einer Avantgarde muss sein, sich mit den tief grei-
fenden globalen Veränderungen unserer Zeit auseinander zu setzen, mit
den Problemen des Klimas, des Bevölkerungswachstums und der Schonung
der natürlichen Ressourcen. Es ist zwar richtig, dass zu der Lösung dieser
Probleme politische und wissenschaftliche Anstrengungen unternommen
werden müssen, aber nachhaltige Lösungen sind nur denkbar, wenn die Idee
der ‚Welt als Garten’ auch als ästhetisches Bewusstsein wirksam wird.
Böhme ist wegen dieser Ansichten oft kritisiert und missverstanden worden,
besonders auch von Gerhard Hard, der den Begriff ‚Landschaft’ immer mit
dem Bild eines Schnitzels assoziiert. Gernot Böhme denkt natürlich nicht an
Landschaftsgärten, wie sie vor 200 Jahren entstanden sind, sondern es geht
ihm um das Prinzip, das er ein Paradox nennt, nämlich dass Nutzen und
Schönheit in der „sozial konstituierten Natur“ zusammen gehören.
Ein positives Beispiel ist die Einbindung der Autobahnen in die Landschaft
durch Landschaftsarchitekten. Dies kann als Vorbild dienen für die Lösung
gegenwärtiger Probleme. Ich denke an den zunehmenden Widerstand
der Bevölkerung gegen die Windenergie-Parks und die in Verbindung da-
mit notwendigen neuen Überlandleitungen. Durch eine entsprechende
Landschaftsplanung könnten die Beeinträchtigungen gemindert und die
Akzeptanz gefördert werden. Dazu müssten in den Planfeststellungsverfahren
verbindliche Landschaftsbegleitpläne aufgestellt werden.
Dabei geht es nicht in erster Linie um ein Kaschieren der technischen
Elemente, sondern um die Schaffung eines Gegengewichtes durch eine ro-
buste und gezielt eingesetzte Vegetation. Ich stelle mir eine relativ kleinräu-
mige Gliederung der Landschaft in diesen Bereichen vor, wodurch der Blick
abgelenkt wird. Entsprechende Pflanzungen könnten als nachwachsende
Rohstoffe dienen. Die Raumbildung muss aber im Übrigen die Belange einer
rationalen Landwirtschaft berücksichtigen, also grundsätzlich orthogonal
sein. Das führt zum nächsten Thema:
Entscheidend ist, dass bei einer Planung alle relevanten Belange berücksich-
tigt werden. Ein Negativbeispiel ist die bereits erwähnte Flurbereinigung, der
ein typisches eindimensionales Denken zugrunde lag. – Andererseits gibt es
heute aber auch Vorschläge von Landschaftsplanern, die nur ökologische
Belange berücksichtigen, aber aus Sicht der Landwirtschaft untragbar sind.
Zu berücksichtigen ist aber auch die Bedeutung der Agrarlandschaft als
Erholungsraum, zum Beispiel im Hinblick auf das Thema ‚Urlaub auf dem
Bauernhof’. So liegt etwa die Erschließung schöner Landschaftsteile durch
Wanderwege auch im Interesse der Landwirte, ebenso wie die Renaturierung
von Bachtälern, die außerdem auch dem Hochwasserschutz dienen würde.
Also auch die Wasserbauer gehören mit ins Boot, schon um die Schäden zu
beseitigen, die sie in der Vergangenheit angerichtet haben.
510 Fremdwörterlexikon
Gartenkunst
Identisches Nichtidentisches
Versöhntes Unversöhntes
Denken Fühlen
Darstellbares Nichtdarstellbares
Fragen der Kunst richten sich hauptsächlich an die rechte Seite der
Unterscheidungen, jedoch ist die linke Seite immer mit zu denken. Dabei
sind immer die bisher entwickelten theoretischen Grundlagen zu berück-
sichtigen. In Bezug auf die Vegetation geht es um das Verhältnis von phy-
sis und techne, Pflanze und Nische, Vereinzelung oder Vergesellschaftung
der Pflanzen, Dynamik oder Statik der Pflanzungen und in Bezug auf die
Gartenarchitektur vor allem um das Verhältnis von Funktion und Ornament.
Und zur Erinnerung: Alle diese Unterscheidungen sind skaliert, und den an-
444 Zusammenfassung
Kultur und so weiter zurückgeführt werden können. Jeder Zustand, der in
irgendeiner Weise mit ‚Natur’ in Verbindung steht, ist zu beobachten als
ein Zusammenwirken von physis und techne.
Während der Begriff physis eindeutig ist, muss der Begriff ‚techne’ näher er-
läutert werden. Er hat in unserem Kontext wenig zu tun mit dem, was heu-
te als Technik bezeichnet wird. Als ‚wissendes Handeln’ beinhaltet er alles
Erfahrungswissen und alle wissenschaftlichen Erkenntnisse der Menschheit
in Bezug auf ihr Naturverhältnis.
Im Hinblick auf unser heutiges Naturverhältnis kommt aber noch ein ganz
wichtiger Aspekt hinzu: die Unterscheidung von Tun und Lassen. Das be-
wusste ‚Lassen’ ist eine neue Verhaltensweise, und so können wir unter ‚tech-
ne’ auch ein ‚wissendes Verhalten’ verstehen.
Die Intensität des Einflusses von techne auf physis ist nun sehr unterschied-
lich, von der ‚reinen’ Natur bis zur Kulturlandschaft. Diese Unterschiedlichkeit
trifft übrigens für die meisten Unterscheidungen zu. Ich habe dies als
Skalierung bezeichnet. Für die Gartenkunst hat diese eine außerordentliche
Bedeutung. Für die Entwicklung vom Renaissancegarten bis zur modernen
Landschaftsgestaltung ist die Intensität des Einflusses von techne auf phy-
sis wesensbestimmend. So gilt also auch für die moderne Gartenkunst, den
‚richtigen’ Punkt auf der Skala der Unterscheidung zu treffen. Schiller hat
die Fähigkeit hierzu den „Spieltrieb“ genannt und nach Heidegger ist der
Punkt auf der Skala nur im „Streit“ zu finden. Daraus folgt die grundsätzliche
Kontingenz künstlerischen Schaffens, für dessen Gelingen es kein ‚Rezept’
gibt. Für die Gartenkunst ist allerdings fest zu stellen, dass das Operieren an
den Enden der Skala, - minimalistisch einerseits und naturalistisch anderer-
seits - problematisch ist. Das ist ein entscheidender Unterschied zu der au-
tonomen bildenden Kunst der Avantgarde, in der alle Bereiche nach allen
Seiten ausgelotet wurden bis in die Sackgassen der Extreme.
446 Zusammenfassung
Dabei spielen der Zufall und besonders der menschliche Einfluss oft eine
Rolle. Ein negativer Einfluss kann durch aggressive Neophyten entstehen,
wenn diese eine gewohnte Vielfalt heimischer Pflanzen stören.
Das führt unmittelbar zu der Frage, die in der Vergangenheit schon leiden-
schaftlich diskutiert wurde: Das Verhältnis heimischer zu ‚fremdländischen’
Pflanzen. Auch hierin ist eine Skala zu sehen, von einem ideologischen
Purismus bis zur absoluten Beliebigkeit.
Mein Schlüsselbegriff zur Behandlung dieses Problemfeldes ist die Ästhetik
in weitester Bedeutung. Das ist zum einen die Ästhetik im Sinne von ‚Denken
und Fühlen’, wenn ich zum Beispiel das Zusammenwirken von Fauna und
Flora in einem Biotop als ein sinnhaftes Naturschauspiel erkenne und fühle.
Der andere Pol ästhetischen Empfindens ist die reine Freude an der Schönheit
etwa einer Rose, unabhängig davon, ob diese gezüchtet wurde oder eine hei-
mische Wildrose ist.
Der Wesenskern dieser Ästhetik ist das Naturschöne im Sinne Adornos als
„Nichtidentisches im Banne universaler Identität“. Das ist unabhängig vom
Einwirken der techne auf die physis. Das Naturschöne wird zwar beeinflusst
durch die Bedingungen der Wahrnehmung, aber es ist das eigentliche Telos
der Gartenkunst.
Unter diesem Gesichtspunk ist auch der Naturschutz zu sehen. Wie Jürgen
Dahl es am Beispiel des Federgeistchens gezeigt hat, ist auch der Naturschutz
nicht rein wissenschaftlich – also identisch – zu begründen, sondern letzt-
lich im Sinne des Nichtidentischen im Naturschönen. Auch der Schutz eines
Biotops ist nur im Zusammenwirken von physis und techne und durch Tun
und Lassen möglich. Die Frage, ob die Natur als Lebensgrundlage funktio-
niert, hängt nicht davon ab, ob 5 oder 10 Prozent der Landflächen unter
Schutz gestellt werden, sondern nur davon, ob die globale Naturnutzung
448 Zusammenfassung
hielt. Richtungsweisend sind auch Anlagen, in denen das Prinzip „Lassen“
vorherrscht, wie zum Beispiel der Landschaftspark Duisburg Nord oder der
Naturpark Südgelände in Berlin.
So will ich noch einmal als oberstes globales Prinzip herausstellen: die verant-
wortungsvolle Steuerung des Verhältnisses der techne auf die physis. Ebenso
global zu sehen ist das Raumkontinuum zwischen Stadt und Land. Die frak-
tale Struktur ist keine Fehlentwicklung, sondern die Chance, allen Menschen
den Zugang zu einem Stück Natur zu ermöglichen.
Für die Gartenkunst im engeren Sinne besteht die wichtigste Aufgabe darin,
sich von der bildenden Kunst zu emanzipieren und die Komplementarität
zwischen Garten- und Baukunst zu kultivieren. Dabei kommt der Vegetation
die größte Bedeutung zu. Auf der Skala der Unterscheidung Funktion /
Ornament ist der Funktion mehr Raum zu geben; das was gegenwärtig mo-
disch als Design und Dekonstruktivismus angeboten wird, ist kritisch zu hin-
terfragen.
Meine Kritik an der heutigen Gartenkunst richtet sich gegen die
Vernachlässigung des Mediums Pflanze und gegen das Grundprinzip
„Klarheit“ das immer wieder betont wird. Klarheit drückt das Identische aus
und bleibt deshalb an der Oberfläche. Das Nichtidentische, das Telos der
Kunst, ist nur im Unbestimmten der skalierten Unterscheidungen zu finden.
Die wichtigste Skala in der Gartenkunst ist die zwischen Tun und Lassen in
der Unterscheidung physis / techne. Wo jeweils der „Punkt“ auf dieser Skala
getroffen wird, ist kontingent aber nicht beliebig, sondern Gegenstand der
künstlerischen Entscheidung.
Und damit schließe ich meinen Versuch, die Idee der „Welt als Garten“ mit
einigen theoretischen Überlegungen zu unterfüttern.
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5/14 wie vor.
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7/10 Berggarten Graz, Eigene Aufnahme
7/20 Paul Isenrath. „Maßkraft“, Bis jetzt, Plastik im Außenraum der Bundesrepublik, Stiftung
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