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Carl Braun

Kritische Theorie versus Kritizismus

W]
DE
G
Kantstudien

Ergänzungshefte
im Auftrage der Kant-Gesellschaft
in Verbindung mit Ingeborg Heidemann
herausgegeben von
Gerhard Funke und Joachim Kopper

115

Walter de Gruyter · Berlin · New York


1983
Carl Braun

Kritische Theorie
versus
Kritizismus

Zur Kant-Kritik Theodor W. Adornos

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1983
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Braun, Carl :
Kritische Theorie versus Kritizismus : zur
Kant-Kritik Theodor W. Adornos / Carl Braun.
Berlin ; New York : de Gruyter, 1983.
(Kantstudien : Erg.-H.; 115)
ISBN 3-11-009541-6
NE: Kantstudien / Ergänzungshefte

Copyright 1982 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung—


J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.,
Berlin 30 — Printed in Germany — Alle Rechte der Übersetzung, des Nachdrucks, der photo-
mechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — auch auszugsweise —
vorbehalten.
Druck: Saladruck, Berlin 36
Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61
MEINEN ELTERN
VORWORT

Die vorliegende Arbeit ist im Herbst 1981 von der Philosophischen Fakultät
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation ange-
nommen worden.
Meinem akademischen Lehrer Professor Dr. W. Ritzel f ü h l e ich mich in be-
sonderer Weise für die Anregung und Betreuung dieser Arbeit zu Dank ver-
p f l i c h t e t . Professor Dr. P. Baumanns möchte ich für die kenntnisreiche und
kritische E i n f ü h r u n g in die Philosophie des Deutschen I d e a l i s m u s und die
langjährige Teilnahme an seinen Seminaren danken, Professor Dr. Fr. Borden
für seine Anregungen und die Übernahme des Korreferats.
Den Professoren Dr. G. Funke und Dr. J. Kopper gilt mein Dank für die
Aufnahme dieser Arbeit in die Kant-Studien, Professor Dr. H. Wenzel für
das großzügige Entgegenkommen des Verlages Walter de Gruyter, ohne das die
Arbeit nicht hätte erscheinen können.
N i c h t zuletzt möchte ich Herrn H.-G. Küppers, Frau I. Luckenbach, Herrn
K. Niemann und Frau I. Schumacher für ihre bereitwillige H i l f e bei der Er-
s t e l l u n g des Typoskripts, Herrn H. Grenzhäuser für das Schreiben der Druck-
vorlage danken.

Bonn, im September 1982 Carl Braun


INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG 1
2 DAS VERHÄLTNIS VON BESONDEREM UND ALLGEMEINEM 5
2.1 Der systematisch philosophische Aspekt 6
2.2 Der geschichtsphilosophische Grund 11
2.3 Die Losung der Problematik: Das Prinzip der "negativen
Dialektik" 25
2.3.1 Absetzung der negativen von der positiven Dialektik.
Zur Hegelkri ti k Adornos 28
2.3.2 Positive Konkretisierung der negativen Dialektik:
Ihre Hauptkategorien 36
2.3.3 Das Verhältnis der negativen Dialektik zur Kunst 42
2.3.4 Das doppelte Scheitern der negativen Dialektik 47
2.3.4.1 Das Problem der Negativität 47
2.3.4.2 Das Problem der Dialektik 54
2.4 Zusammenfassung der Überlegungen. Adornos Stellung zu Kant
und Hegel 61
3 ADORNOS KRITIK DER ERKENNTNISTHEORIE KANTS 65
3.1 Der ontologische Interpretationsansatz Adornos 67
3.2 Die Kantische Fragestellung 70
3.3 Unmittelbare Folgen des ontologischen Interpretations-
ansatzes (Problem des Dinges an sich und der Affektion) ... 73
3.4 Die Kantischen Dualismen 76
3.4.1 Dualismus von Form und Inhalt 76
3.4.2 Dualismus von Rezeptivitä't und Spontaneität 81
3.4.3 Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand 85
3.4.3.1 Die Transzendentale Ästhetik 85
3.4.3.1.1 Allgemeine Einwände 86
3.4.3.1.2 Die einzelnen Raum- und Zeitargumente 95
3.4.3.1.3 Adornos Entwicklungsversuch einer Raum- und Zeitlehre 100
3.4.3.2 Die Analytik der Begriffe 100
3.4.3.2.1 Allgemeines (Kategorien, Synthesis) 101
3.4.3.2.2 Die metaphysische und die transzendentale Deduktion 104
X Inhaltsverzeichnis

3.4.4 Die Kantischen Vermittlungsversuche nach Adorno 115


3.4.4.1 Die Lehre von der Apprehension 115
3.4.4.2 Die Lehre vom Schematismus 118
3.5 Die Transzendentale D i a l e k t i k 121
3.6 Zusammenfassung der Überlegungen und die Bedeutung der
Subjektstheorie 124
4 ADORNOS KRITIK DER ETHIK KANTS 129
4.1 Vorwurf der Repressiv!tat 130
4.1.1 Ethik als Herrschaftsinstrument 130
4.1.2 Repressivität des Moralprinzips (Unfreiheit der
Sinnlichkeit) 133
4.1.2.1 Darstellung 134
4.1.2.2 Herleitung 135
4.1.2.3 Fehler 137
4.1.3 Kausalität und Gesetzlichkeit (Unfreiheit der Freiheit) 143
4.1.3.1 Freiheit und Kausalität 143
4.1.3.2 Freiheit als Autonomie 145
4.1.4 Weitere Aspekte: Glück, Mitleid, repressive Ausdrücke,
"Strafbedürfnis" 147
4.2 Vorwurf der I r r a t i o n a l i t ä t 154
4.2.1 Irrationalität der Begründung 154
4.2.2 Irrationalität der Konsequenzen 160
4.2.2.1 Das Verhältnis der Vernunft zu ihrem Gegenstand 160
4.2.2.2 Das Fatum des i n t e l l i g i b l e n Charakters 166
4.3 Vorwurf der Abstraktion 172
4.3.1 Aspekte der Abstraktion 172
4.3.2 Die Psychologisierung und Soziologisierung der kritischen
Ethik 176
4.4 Zusammenfassung der Überlegungen und die Bedeutung der
Subjektstheorie 182
5 ADORNOS KRITIK DER SUBJEKTSTHEORIE KANTS 187
5.1 Das transzendentale Selbstbewußtseinsprinzip 189
5.1.1 Deutung des "ich denke" , 189
5.1.2 K r i t i k des "ich denke": Das Problem von Konstituens und
Konstitutum 210
5.2 Das noumenale Selbst 225
5.2.1 Die Bestimmung des noumenalen Selbst 225
Inhaltsverzeichnis XI

5.2.2 Die subjektstheoretischen Dualismen 228


5.3 Zusammenfassung der Überlegungen 237
6 ADORNOS SUBJEKTSTHEORIE 239
6.1 Kritische Rekonstruktion 240
6.1.1 Das Verhältnis von Subjekt und Objekt: Die Prä'ponderanz des
Objekts 240
6.1.2 Die innere Struktur des Subjekts: Das Problem der Identität 259
6.1.2.1 Darlegung des Reduktionismus 259
6.1.2.2 Das Scheitern des Reduktionismus 260
6.2 Konsequenzen 274
6.2.1 Die geltungstheoretische Problematik 274
6.2.2 Das Problem von Theorie und Praxis 277
6.3 Zusammenfassung der Überlegungen 287
7 ERGEBNIS 291
LITERATURVERZEICHNIS 293
NAMENVERZEICHNIS 309
1 EINLEITUNG

Waren in den fünfziger Jahren Namen wie Adorno, Horkheimer, Marcuse und mit
ihnen der Begriff einer "Kritischen Theorie" weitgehend unbekannt, so änder-
te sich dieses B i l d in den sechziger Jahren grundlegend: Die Kritische Theo-
rie eroberte das Forum der Öffentlichkeit und stand vielfach im Brennpunkt
heftiger gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Auch wenn sich die
Diskussion um die Frankfurter Schule a l l m ä h l i c h versachlicht hat, scheinen
Namen wie Adorno noch immer von der selbständigen Anstrengung des Begriffs
zu befreien: F ä l l i g e Begründungen werden nicht selten durch Zitate aus sei-
nem umfangreichen Werk ersetzt. Auch begnügt sich die in den letzten Jahren
erschienene V i e l z a h l philosophischer Arbeiten über Adorno zumeist mit einer
Darstellung seiner Konzeption und der Problematisierung einzelner Punkte.
Eine grundsätzliche K r i t i k seiner Theorie steht noch aus.
Wie Th. Baumeister in einem neueren Literaturbericht feststellt, ist Ador-
nos "Defizit an theoretischer Artikulation" auch dadurch verursacht, daß er
" ( . . . ) die Geschichte der Philosophie weitgehend nur als Beweisstück für sei-
ne Katastrophentheorie der Geschichte der Rationalität benutzt und sich so-
mit den Zugang zu den Artikulationsmöglichkeiten versperrt, die in der Ge-
2
schichte des Denkens entwickelt worden s i n d . " Diese Beobachtung soll im
folgenden konkretisiert werden: Insbesondere die Philosophie Kants wird sich
als geeignet erweisen, die inneren Schwierigkeiten der Konzeption Adornos
zu überwinden. Derart ist eine Analyse des Verhältnisses von Kritischer
Theorie und Kritizismus von zentraler systematischer Bedeutung.

Generalanmerkung
Die Zahlen in Klammern hinter dem Namen des Autors bezeichnen den jeweili-
gen Titel des zitierten Werkes und beziehen sich auf das entsprechend auf-
geschlüsselte Literaturverzeichnis.
Die 'Kritik der reinen Vernunft' wird nach den Originalausgaben 1781 (A)
und 1787 (B) zitiert. Kants übrige Schriften werden nach der Akademieaus-
gabe gezählt. Dabei wird der Text der Weischedel-Ausgabe zugrundegelegt.
1 Über die historische Entstehung des Namens kritische Theorie vgl. Sohn-
Rethel ( 2 6 8 ) , S. 132. Zum Zusammenhang des zugrundeliegenden Kritikbegriffs
mit Marxens 'Kritik der politischen Ökonomie' vgl. Dubiel ( 5 1 ) , S. 78 f.
Zur Absetzung der kritischen Theorie von der traditionellen Theorie vgl.
Horkheimer ( 1 2 3 ) und dazu Theunissen ( 2 7 6 ) , S. 4 - 12.
2 Baumeister ( 2 5 ) , S. 25
2 Einleitung

Die Arbeit geht in fünf Schritten vor, denen sich jeweils eine These zu-
ordnen läßt:
1. These: Das Grundproblem Adornos (Verhältnis von Besonderem und Allgemei-
nem)wirft sowohl von seiner geschichtstheoretischen Begründung als
auch von seiner vorgeschlagenen Lösung her die Frage nach dem Sub-
jekt auf. Dies führt auf die Betrachtung der Kantkritik Adornos.
2. These: Die Überprüfung der K r i t i k Adornos an der Kantischen Erkenntnis-
theorie zeigt, daß seine Einwände dem Anspruch einer immanenten
Kritik nicht genügen und eine Entscheidung zwischen beiden Posi-
tionen eine Klärung der Subjektstheorie verlangt.
3. These: Adornos Kritik der Kantischen Ethik ist ebenfalls nicht immanent
und setzt eine von Kant abweichende Subjektstheorie voraus.
4. These: Die Einwände gegen die systematisch zentrale Subjektstheorie Kants
beruhen auf ontologischen Mißverständnissen. Durch diesen Nachweis
wird die Möglichkeit der Kantischen Konzeption sichergestellt.
5. These: Die alternative Subjektstheorie Adornos scheitert nicht nur an im-
manenten Schwierigkeiten, sondern auch an ihren weiteren Konsequen-
zen. Derart wird indirekt die Notwendigkeit einer transzendental -
philosophischen Subjektskonzeption dargelegt.
3
Im folgenden ist es uns nicht um die Person Adornos und ihre Erfahrungen
zu t u n , sondern ausschließlich um die von ihm vertretene Theorie und deren
Stichhaltigkeit. Der mögliche Vorwurf, hier werde versucht, mit inadäquaten,
sogenannten "konsequenzlogischen" Mitteln den Gehalt der Theorie Adornos zu
erschließen, vergißt dessen Anspruch, unmittelbare Erfahrungen durch immanen-
te K r i t i k und damit Stringenz explikativ zu verifizieren. Auch wenn "Philoso-
phie wesentlich nicht referierbar' sein mag, so müssen doch ihre Argumente
referierbar sein - und um diese wird es gehen. Grundsätzlich verfehlt wäre
es daher, unserer K r i t i k etwa mit dem lediglich peinlich berührenden Hinweis
auf Adornos "Sensibilität ( . . . ) , die die Grobheit demonstriert, an der sie

3 Zur Person Adornos vgl. Haselberg (94); Pettazzi (217)


4 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 29, 39 - 42, 52, 55. Nach Adorno bildet die Intuition
"kein(en) einfachen Gegensatz zur Logik". Vielmehr " ( . . . ) verhalten die
Intuitionen die Vernunft dazu, auf sich selbst als bloße Reflexionsform
von Willkür zu reflektieren, um der Willkür ein Ende zu bereiten." [Ador-
no ( 1 4 ) , S. 54]. Nicht die Intuition selbst ist zu überprüfen - dies ver-
bietet sich definitionsgemäß -, sondern nur die von ihr initiierte Refle-
xion.
5 Adorno ( 7 ) , S. 44
Einleitung 3

leidet" , begegnen zu w o l l e n . Die Person Adornos kann nur dann gebührend ge-
achtet werden, wenn seine Theorie ernstgenommen wird. Dies wird im folgenden
geschehen.
Auch ist es nicht die Unkenntnis der von Adorno bezeichneten drohenden Ge-
fahren für den Wert und die Freiheit des einzelnen in einer von anonymen
Machtapparaten beherrschten Welt, sondern gerade deren Kenntnis, die zu ei-
ner Auseinandersetzung mit seiner Philosophie nötigt.
Dieses Unternehmen wird dadurch erschwert, daß wir auf keine überzeugend
ausgeführte Alternative hinzuweisen vermögen. In diesem Sinne verharren wir
nicht anders als Adorno in der Negativitä't. Auch wenn wir die Kritische Theo-
rie mit dem K r i t i z i s m u s kontrastieren und einen grundsätzlichen Reflexions-
vorsprung Kants vor Adorno erblicken, sind ebenso gegen eine vorbehaltlose
Übernahme der Kantischen Konzeption Bedenken geltend zu machen. Dennoch dürf-
te zu erkennen sein, daß das kritische Werk Kants auch zur Lösung gegenwärti-
ger Problemstellungen als Grundlage dienen k a n n .

6 Schweppenhäuser ( 2 6 5 ) , S. 97
2 DAS VERHÄLTNIS VON BESONDEREM UND ALLGEMEINEM

Eine Darstellung der Philosophie Adornos ist mit einem nahezu unlösbaren
Problem konfrontiert,weil sich diese Theorie e x p l i z i t und auch in ihrer
p
publizierten Form, dem Essay , einer jedweden Systematik entzieht. Die Viel-
zahl der Einzelanalysen ist zu keinem überschaubaren System zusammengefügt
worden, von dem her ihr jeweiliger Stellenwert eindeutig bestimmbar wäre.
Insofern mutet jede Behauptung, den zentralen Gedanken erfaßt zu haben, zu-
nächst w i l l k ü r l i c h an. Eine Entscheidung kann sich nur im Nachhinein legi-
timieren, indem der von ihr herausgestellte Kernpunkt sich als geeignet er-
weist, die Einzelanalysen sinnvoll zu integrieren.
Unter diesem Vorbehalt kann das Hauptanliegen Adornos als das Problem der
Individualität und Freiheit des Einzelnen bestimmt wenden.Dieser Kerngedanke
zieht sich durch nahezu a l l e philosophischen, ästhetischen, pädagogischen,
soziologischen, psychologischen und geschichtstheoretisehen Schriften. Am
bekanntesten ist dieses Problem unter Begriffen wie "Kulturindustrie", "ver-
waltete Welt", "verdinglichtes Bewußtsein" u.a. Diese Gedankenkomplexe sind
jedoch nur Phänomene einer tieferliegenden Problematik, die unter dem Ge-
sichtspunkt des Verhältnisses von Besonderem und Allgemeinem auf ihren ab-
straktesten Ausdruck gebracht werden kann . Obwohl sich dieses Problem in
wechselnden Gestalten in die verschiedenen angegebenen Dimensionen erstreckt
und die Kritische Theorie entgegen der ursprünglichen Bedeutung von "kri-
tisch" gerade die Grenzen zwischen den einzelnen Wissenschaftszweigen aufhe-
ben w i l l , soll im folgenden der philosophische Aspekt im Vordergrund stehen.
Diese auf den ersten Blick inadäquate Vorgehensweise ist deshalb berechtigt,
weil nur so - wie sich zeigen wird - die genuin philosophischen Probleme an-
gemessen beurteilt werden können. Bestimmte Fragestellungen der Philosophie
können in ihrer grundlegenden Bedeutung aus der z.B. soziologischen oder
psychologischen Perspektive nicht erfaßt werden.

1 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 31 - 38
2 Vgl. Adorno ( 8 ) , S. 9 - 33. Vgl. auch Kudszus (164), S. 29 f.
3 So auch z.B. Oehler ( 2 1 0 ) , S. 151 und Tichy. Dabei ist das Problem von
Besonderem und Allgemeinem eng mit dem von Subjekt und Objekt verknüpft.
Vgl. Tichy ( 2 7 7 ) , S. 29. Vgl. zu Tichy die Kritik von Baumeister ( 2 5 ) ,
S. 2 - 5.
2.1 Der systematisch philosophische Aspekt

Das Bemühen Adornos geht dahin, in der heutigen "verwalteten" und vielfach
szientistisch ausgerichteten Welt die (menschliche und d i n g l i c h e ) Indivi-
dualität zu retten, sie vor der drohenden Mediatisierung zum numerierten Be-
fehlsempfänger bzw. Exemplar eines Allgemeinen zu bewahren.
Der Hauptangriffspunkt Adornos l i e g t in der Vorherrschaft des begrifflichen
Denkens, des Begriffs qua conceptus communis . Der Begriff und mit ihm die
von Aristoteles geprägte herrschende Logik subsumierten das Besondere unter
das Allgemeine mittels allgemeiner Bestimmungen (genus proximum, differentia
specifica). Dadurch werde das I n d i v i d u e l l e in dem, was es gerade zum I n d i v i -
duellen mache, das I n d i v i d u e l l e als I n d i v i d u e l l e s e l i m i n i e r t , weil das
schlechthin Besondere und Einmalige tlurch allgemeine Bestimmungen nicht
adäquat ausgedrückt werden könne: "Befriedigt schiebt b e g r i f f l i c h e Ordnung
sich vor das, was Denken begreifen w.ill. 8
Ideengeschichtlich betrachtet verweist dieses zentrale Motiv auf die le-
bensphilosophischen Einflüsse im Denken Adornos: Schon Nietzsche, sein gro-
ßer Gewährsmann in Fragen der P h i l o s o p h i e , stellt fest, daß der (im Interes-
se der Selbsterhaltung gebildete) Begriff auf dem "übersehen des I n d i v i d u e l -
len und W i r k l i c h e n " 9 beruht. Verbindungen lassen sich auch zum Neukantianis-
mus der Südwestdeutschen Schule ziehen, die angesichts des Problems der In-
d i v i d u a l i t ä t die "Bevorzugung der nomothetischen Denkformen" kritisch ex-

4 Der Begriff "verwaltete Welt" wurde von Adorno und Horkheimer geprägt.
Vgl. Adorno ( 4 ) , S. 67
5 Der Begriff der Individualität wird von Adorno durchaus mehrdeutig ge-
braucht: Zum einen soll er eine "geistige Reflexionsform"[Adorno ( 7 ) ,
S. 358]bezeichnen, zum anderen spricht Adorno auch von einer "individuel-
len Sache"[Adorno ( 7 ) , S. 164}.Vgl. auch Kap. 2 . 4 . 4 . 1 .
6 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 38
7 Der Unterschied von Allgemeinbegriff und Inbegriff wird von Adorno nicht
thematisiert. Die Denkform des Inbegriffs widerspricht dem von ihm be-
haupteten Ineins von Denken, Identifizieren und Begriff [vgl. Adorno ( 7 ) ,
S. 151] und bietet so die Möglichkeit, eine alternative Denkform zu ent-
wickeln, die den Schwierigkeiten einer "negativen Dialektik" entgeht. Zur
Theoiie des Inbegriffs vgl. Ritzel ( 2 3 4 ) , S. 139 - 153; ( 2 3 0 ) , S. 173-181.
8 Adorno ( 7 ) , S. 17
9 Nietzsche ( 2 0 8 ) , S. 313. Zum Verhältnis Adorno - Nietzsche vgl. Pütz ( 2 2 0 ) ;
( 2 2 1 ) , S. 15 f f . ; Bolz ( 3 5 ) ; Schmidt ( 2 5 4 ) , S. 6 7 2 .
10 Windelband ( 2 8 7 ) , S. 366
Der systematisch philosophische Aspekt 7

poniert und sich bemüht, die "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffs-


bildung" zu ziehen.
Die Herrschaft des B e g r i f f l i c h e n zeigt sich nach Adorno näher sowohl in
dem rationalistischen (Spinoza) und positivistischen Glauben an den besonde-
ren Wert von Definitionen 1 1 als auch in der bei Descartes 12 anhebenden Quan-
tifizierungstendenz der Neuzeit , die das I n d i v i d u e l l e zum bloß Zählbaren
degradiere: "Der A u f k l ä r u n g wird zum Schein, was in Zahlen, zuletzt in der
E i n s , nicht aufgeht" 1 4 .
Dennoch verbleibe immer ein Rest, der sich der Subsumtion unter das Allge-
meine wesensmäßig entziehe. Das I n d i v i d u e l l e ist für Adorno in Aufnahme ei-
nes säkularisierten Topos (der gewöhnlich der mittelalterlichen Philosophie
4r 4c
zugeschrieben wird ) das " I n d i v i d u u m ineffabile" . Dieses sei zwar auch
ein Allgemeines und nicht ohne das Allgemeine bestimmbar - hier setzt
Adornos Kritik der Romantik 18 an -, aber entscheidend sei, daß es ebenso
mehr als das sei. Dieses "Mehr", das sich aus dem Blickwinkel des sogenann-
ten "Konsequenzdenkens' als "quantite negligeable" darstelle, verdiene
besondere Aufmerksamkeit.
Da dieses nicht unter den Begriff Subsumierbare nicht mit dem Allgemeinen
identifizierbar sei, nennt Adorno es vorwiegend das "Nichtidentische" 21 . Er
bezeichnet es auch als das "Metalogische"22 , weil es sich dem Zugriff der
vorherrschenden Logik entziehe. Unter ästhetischem Aspekt zeigt sich nach
Adorno dieser Gegensatz zwischen nicht begreifbarer Besonderheit und begrei-
fend-begriffliehen Allgemeinen im "Rätselcharakter" 23 der Kunst. Näher wird

11 In seiner Skepsis gegenüber Definitionen steht Adorno in einer Linie mit


so unterschiedlichen Denkern wie Kant [ ( 1 4 7 ) , B 755 - 760; ( 1 5 4 ) , S. 281
- 284], Hegel [ ( 1 0 3 ) , Bd. II, S. 513] und Nietzsche [ ( 2 0 9 ) , S. 820]. Zu
Adornos Stellung zum Problem der Definition vgl. ( 7 ) , S. 164; ( 1 0 ) , S.
9 - 12; ( 1 0 ) , S. 20 - 29; ( 1 3 ) , S. 54 - 70.
12 Vgl. Descartes ( 4 3 ) , Bd. VI, S. 10; ( 4 4 ) , Bd. II, S. 6
13 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 53 f
14 Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 24
15 Zur Problematik dieser Zuordnung vgl. Oeing-Hanhoff ( 2 1 1 ) , S. 309
16 Adorno ( 7 ) , S. 148. Vgl. auch die zentrale Bedeutung der These ("Indivi-
duum est ineffabile.") für Dilthey. Vgl. Dilthey ( 4 7 ) , S. 330
17 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 175; ( 7 ) , S. 199 f; ( 3 ) , S. 113
18 Hier folgt Adorno der Romantikkritik Hegels. Vgl. jedoch auch zu Adornos
Affinität zur Frühromantik: Hörisch (118).
19 Adorno ( 1 0 ) , S. 184
20 Adorno ( 7 ) , S. 20
21 Adorno ( 7 ) , S. 164
22 Adorno ( 7 ) , S. 162
23 Adorno ( 1 ) , S. 182
8 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

das "Naturschöne" als die "Spur des Nichtidentischen an den Dingen im Bann
universaler Identität" 24 bestimmt.
Das Prinzip des Begriffs erblickt Adorno ähnlich Nietzsche, der vom "Gleich-
setzen des Nichtgleichen" 25 spricht, in der Identität. Diese sei die "Urform
oc
von Ideologie" . Das "Identifikationsprinzip" habe "sein gesellschaftliches
Modell" - hier ist an die Unterscheidung zwischen Gebrauchs- und Tauschwert
zu erinnern, die bei Marx eine zentrale Rolle spielt - am "Tausch" 27 . Der
Begriff identifiziere (subsumierej das Besondere mit dem Allgemeinen (unter
das Allgemeine), er abstrahiere vom jeweils Besonderen.
Das Identitätsdenken - für Adorno p r i n z i p i e l l idealistisch 28 - sei zur
Selbstbesinnung anzuhalten 29 , auf daß es seine abstrakte Negation des
schlechthin I n d i v i d u e l l e n erkenne und diesem sein Recht widerfahren lasse.
Erst dadurch werde "Versöhnung" möglich, die bisher der unreflektierte Herr-
schaftsanspruch des begrifflich-identifizierenden Denkens vereitelt habe. Al-
lerdings könne die Identifikation nicht restlos überwunden werden: Die Selbst-
reflexion " ( . . . ) vermag das Identitätsprinzip noch zu durchschauen, nicht
aber kann ohne Identifikation gedacht werden, jede Bestimmung ist Identifika-
tion." "Denken heißt Identifizieren." Solcherart sei die Philosophie mit
der paradoxen Anstrengung konfrontiert, " ( . . . ) über den Begriff durch den Be-
griff hinauszugelangen." 32 Die Philosophie wird damit zur "Sisyphusarbeit" 33
und ihr Ziel verflüchtigt sich zur Utopie: "Die Utopie der Erkenntnis wäre,
das Begrifflose mit Begriffen a u f z u t u n , ohne es ihnen gleichzumachen." 34
24 Adorno ( 1 ) , S. 114. Zur Stellung des Naturschönen in der Ästhetik Adornos
vgl. Baumeister/Kulenkampff ( 2 6 ) , S. 84 - 96; Figal ( 6 7 ) . Vgl. zu Figal:
Baumeister ( 2 5 ) , S. 9 - 14.
25 Nietzsche ( 2 0 8 ) , S. 313
26 Adorno ( 7 ) , S. 151. Gegen Adorno zu Wenden ist die Tatsache, daß allen-
falls eine falsche Identität ideologisch ist.
27 Adorno ( 7 ) , S. 149. Vgl. ( 1 2 ) , S. 209. Zur Bedeutung des Tauschprinzips
bei Adorno vgl. Rath ( 2 2 3 ) , S. 52 - 57.
28 Adorno ( 1 1 ) , S. 80 f. Diese Terminologie ist insofern verwirrend, als der-
art auch der Materialismus idealistisch sein kann [vgl. Adorno ( 1 1 ) , S.
85]. Der wahre Materialismus jedoch - so Adorno - " ( . . . ) präsentiert dem
Geist die Rechnung, indem er ihn seiner eigenen Naturwüchsigkeit über-
führt und schließlich den Ursprung des Geistes und noch in seiner äußer-
sten Sublimierungen (!) in der Lebensnot sucht."[Adorno ( 1 1 ) , S. 173]
29 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 16; ( 7 ) , S. 41; ( 7 ) , S. 156 u.ö.
30 Adorno ( 7 ) , S. 152. Vgl. ( 1 4 ) , S. 336
31 Adorno ( 7 ) , S. 17
32 Adorno ( 7 ) , S. 27. Diese These hält Adorno gegen Wittgensteins Satz:
"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen." [Wittgen-
stein ( 2 8 8 ) , S. 132][Vgl. Adorno ( 1 0 ) , S. 55 f; ( 1 1 ) , S. 183].
33 Adorno ( 1 ) , S. 382
34 Adorno ( 7 ) , S. 21. Vgl. ( 7 ) , S. 66, 153; ( 1 0 ) , S. 56
Der systematisch philosophische Aspekt 9

Bevor Adornos Lösungsvorschlag dieser Paradoxie in der Idee einer "negati-


ven D i a l e k t i k " skizziert werden kann, muß ihrem Grund nachgefragt werden.
Dabei ist zunächst zu klären, welcher Art die Ursache dafür ist, daß auch
durch Selbstbesinnung der dem Besonderen gegenüber repressive Charakter des
Denkens nur bedingt aufgehoben werden kann. Die zugrundeliegende Vorstellung
Adornos kann auf folgenden Syllogismus gebracht werden:
Maior: "Denken heißt Identifizieren."
Minor: Das Identifizieren ist eine Negation des I n d i v i d u e l l e n , weil sein
Mittel, der Begriff, dem "unterdrückenden Prinzip" gleichzuset-
zen ist.
Conclusio: Denken ist eine Negation des I n d i v i d u e l l e n .
Indessen ist der maior insofern problematisch, als der Begriff des identi-
fizierens äquivok ist:Identifizieren kann zum einen heißen: "etwas mit etwas
identifizieren", das Besondere mit dem Allgemeinen, dem B e g r i f f » i d e n t i f i z i e -
ren, so daß jenes hinter diesem verschwindet, das I n d i v i d u e l l e nicht aner-
kannt wird. In diesem Sinne versteht Adorno den Begriff des Identifizierens:
"Befriedigt schiebt begriffliche Ordnung sich vor das, was Denken begreifen
w i l l . " Identifizieren kann aber zum anderen bedeuten:"etwas als etwas iden-
tifizieren." In diesem Falle verdeckt das Allgemeine nicht das Besondere,
es bedarf nicht der von Adorno geforderten Leistung des Enthüll ens. Das In-
dividuelle wird nicht auf ein bloßes Exemplar des Allgemeinen reduziert.
Daraus folgt, daß begriffliches Bestimmen nicht eo ipso schlecht identifi-
zierend ist und das I n d i v i d u e l l e negiert. Vielmehr ist es wesentlich in das
Belieben des Denkenden gestellt, inwieweit dieser das Besondere neben dem
Allgemeinen gelten läßt. Dies konvergiert mit der Erkenntnis H. Rickerts,
der auf der Grundlage der Differenzierung zwischen einem naturwissenschaft-
lich-generalisierenden und einem geschieht!ich-individualisierenden Verfah-
ren der Begriffsbildung feststellt:"Beziehe ich also eine i n d i v i d u e l l e Wirk-
l i c h k e i t auf einen allgemeinen Wert, so wird sie dadurch nicht zum cattungs-
exempiar eines allgemeinen Begriffs, sondern sie bleibt in ihrer Individuali-
tät bedeutsam als i n d i v i d u e l l e r Träger eines i n d i v i d u e l l e n Sinngebildes.'

35 Adorno ( 7 ) , S. 57
36 Rickert ( 2 2 5 ) , S. 97. Vgl. auch die weiterführenden Überlegungen zum Be-
g r i f f des Identifizierens (von etwas als etwas) bei Strawson ( 2 7 4 ) , bes.
S. 17 - 37. Kritik an Strawson übt Tugendhat ( 2 7 9 ) , S. 391 - 425.
10 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Die von Adorno verwischte Differenz aber zwischen der Identifikation von
etwas mit etwas und der Identifikation von etwas als etwas reduziert nicht
nur das individualisierende Verfahren auf das generalisierende, sondern be-
zeichnet auch genau den Unterschied zwischen einer logischen Notwendigkeit
und einer (im weitesten Sinne) psychologischen Nötigung. Da der Versuch,
die Unterdrückung des Besonderen als logisch notwendig aus dem Begriff des
allgemeinbegrifflichen Denkens abzuleiten, scheitert, muß Adorno auf psy-
chologische Vorstellungen ausweichen. Von hierher wird seine Geschichtstheo-
rie für das Problem des Allgemeinen und Besonderen systematisch bedeutsam.
2.2 Der geschichtsphilosophische Grund

1. Die Entwicklung der Geschichtskonzeption der Kritischen Theorie ist als


Versuch einer neuen Deutung der geschichtlichen Entwicklung angesichts der
Ereignisse des 20. Jahrhunderts zu lesen. Folgt die frühe Kritische Theorie
weitgehend dem orthodox marxistischen Geschichtsverständnis, so erweist sich
dieses bald als revisionsbedürftig : Die Erfahrungen von Faschismus, Stali-
nismus und amerikanischer K u l t u r i n d u s t r i e als Ausdruck einer drohenden "Ent-
oo
Wicklung zur totalen Integration" , einer "falsche(n) Identität von Allge-
meinem und Besonderem" 39 , lassen sich nicht mehr a l l e i n mit den Marxschen Ka-
tegorien angemessen fassen. In dieser Situation wächst den Vertretern der K r i -
tischen Theorie die Aufgabe zu, ihre Position als kritische neu zu definieren.
Erstmals wird dies in umfassender Weise von Horkheimer und Adorno im Rahmen
einer Deutung der abendländischen Geschichte mit dem Grundgedanken einer
"Dialektik der Aufklärung" (wobei Aufklärung "nicht bloß als geistesgeschicht-
l i c h sondern real" , d . h . umfassend als okzidentale Rationalisierung verstan-
den w i r d ) , einer D i a l e k t i k von Naturunterdrückung und Naturverfallenheit ver-
sucht. 41
Dieser Idee zufolge ist " ( . . . ) die Katastrophe der Gegenwart nichts ande-
res ( . . . ) als die Erscheinung der innersten Beschaffenheit der bisherigen Ge-
schichte, ihr katastrophischer Kern."
Als Ursprung der Geschichte vermutet Adorno - Kant würde ergänzen: "auf den
Flügeln der Einbildungskraft"43 - irgendeine "irrationale Katastrophe in den
Anfängen" , die in "archaischen W i l l k ü r a k t e n der Machtergreifung" beste-
he. Hierdurch breche der Mensch den Bann der Natur, schwinge sich zur Herr-
schaft über die Natur a u f . Subjektivität und Macht seien f o l g l i c h eng mit-

37 Zur Entwicklung der GeschiehtsvorStellung der frühen Kritischen Theorie


vgl. Geyer (78), S. 62 f; Theunissen ( 2 7 6 ) , S. 14 f; Düver ( 5 2 ) , S. 32.
38 Adorno ( 2 ) , S. 10
39 Adorno ( 2 ) , S. 141. Vgl. auch Horkheimer ( 1 2 4 ) , S. 119
40 Adorno ( 2 ) , S. 14. Vgl. ( 2 ) , S. 63
41 Dieses Motiv läßt sich zurückverfolgen bis zu Adornoa Arbeit über Kierke-
gaard. Vgl. Adorno ( 3 ) , S. 156, 221, 262
42 Kaiser (134), S. 93
43 Kant (150), S. 109 f
44 Adorno ( 7 ) , S. 317
45 Adorno ( 7 ) , S. 315. Vgl. ( 2 ) , S. 69
12 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

einander verbunden: "Das Erwachen des Subjekts wird erkauft durch die Aner-
kennung der Macht als des Prinzips aller Beziehungen."
Derart aber verändere sich entgegen dem ersten Anschein nichts: Vor und
nach dem "Erwachen des Subjekts" herrsche das Machtprinzip. Natur sei nicht
w i r k l i c h überwunden, sondern setze sich gleichsam - Adorno scheint den Gedan-
ken einer "List der Vernunft" in den einer List der Natur zu wenden - hinter
dem Rücken der Subjekte durch: "So führt Zivilisation als auf ihr letztes Er-
gebnis auf die furchtbare Natur zurück." Auch sei noch " ( . . . ) die ganze
ausgetüftelte Maschinerie moderner Industriegesellschaft bloß Natur, die sich
zerfleischt." 4 8
Geschichte ist damit für Adorno nicht vernünftig: Sie sei noch Vor- oder
"Naturgeschichte" . Gegen ihre "Vergottung" bei Hegel , Marx und Engels
setzt er die These, Geschichte sei der Prozeß "von der Steinschleuder zur

46 Adorno ( 2 ) , S. 25
47 Adorno ( 2 ) , S. 134. Vgl. ( 2 ) , S. 254
48 Adorno ( 2 ) , S. 291
49 Adorno ( 7 ) , S. 347 u.ö. Zum Begriff der "Naturgeschichte" vgl. Düver ( 5 2 ) ,
S. 161 - 167.
50 Für Hegel gilt, " ( . . . ) daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also
auch in der Weltgeschichte vernünftig augegangen sei." [Hegel (101), S. 20]
Die philosophische Betrachtung der Weltgeschichte sei "eine Theodizee, ei-
ne Rechtfertigung Gottes", die die "Aussöhnung" des denkenden Geistes mit
dem Negativen anstrebe (a.a.O., S. 28). Inhaltlich bestimmt Hegel die Welt-
geschichte als "Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit" (a.a.O., S. 3 2 ) .
Adorno hingegen erblickt eine fortschreitende Liquidierung menschlicher
Freiheit.
51 Wie Hegel deutet Marx mittels seiner Konzeption einer notwendigen Aufhe-
bung der antagonistischen Klassengesellschaft Geschichte ebenfalls positiv.
Nicht nur diese Teleologie, sondern auch die Marxsche Identifizierung der
Adressaten einer revolutionären Theorie und seine Bestimmung der Ursache
der geschichtlichen Übel sind Adorno fragwürdig geworden: Richtete sich
Marxens Kritik noch gegen bestimmte Formen der Eigentumsordnung, so grei-
fen Adorno und Horkheimer die gesamte abendländische Vernunfttradition an
[Vgl. dazu Wellmer ( 2 8 5 ) , S. 138]. Noch Marx habe " ( . . . ) das Programm ab-
soluter Naturbeherrschung, ein Urbürgerliches, unterschrieben." [Adorno
( 7 ) , S. 242] Damit bestehe die "zentrale Differenz von Marx und Adorno"
in der "These von der Dominanz der Herrschaft über den Tauschprozeß"
[Schmucker (256), S. 58], d.h. in der Rückbindung ökonomischer Klassenver-
hältnisse an metaökonomische Herrschaftsverhältnisse. "Vor dem histori-
schen Materialismus liegt die Kritik der instrumenteilen Vernunft und
der sich mit ihr bildenden repressiven Identitätsformen des Subjekts."
[Habermeier ( 9 1 ) , S. 181] Fragwürdig ist für Adorno auch die "These, alle
Geschichte sei die von Klassenkämpfen." [Adorno ( 1 ) , S. 378] Vgl. zur Kri-
tik der "Dialektik der Aufklärung 1 an der Marxßchen GeSchichtskonzeption
auch Lindner/Lüdke ( 1 7 4 ) , S. 19 f, 128 ff; Lüdke ( 1 7 7 ) , S. 138 ff. Vom
Standpunkt des orthodoxen Marxismus allerdings stellt sich "Horkheimers
Der geschichtsphilosophische Grund 13

Megabombe", eine "permanente Katastrophe" 52


a) Unter formalem Gesichtspunkt ist diese Geschichtsdeutung so lange unzu-
l ä n g l i c h , wie kein Kriterium für R a t i o n a l i t ä t bzw. Irrationalität expliziert
wird. Auch ist die einzige Alternative zu einer "Vergottung" der Geschichte
nicht ihre Verteufelung. Fruchtbar erscheint hier immer noch die Konzeption
Kants, Geschichte und die "Tendenz zum continuierenden Fortschritt des Men-
schengeschlechts zum Besseren" unter "eine moralisch-praktische Vernunft-
co
idee" zu stellen. Dadurch wird sowohl die Gefahr vermieden, eine metaphy-
sisch teleologische E i n h e i t der Geschichte 54 zu postulieren, als auch wird
ein s i n n v o l l e r Bezugsrahmen gegeben, auf den hin das geschichtliche Material
rekonstruktiv geordnet werden kann.
b) Die erkenntniskritisch nicht abgesicherte, abstrakt-einseitige These
Adornos steht sodann inhaltlich mit einer zweiten These in einem Spannungs-
v e r h ä l t n i s , wenn er durch die erreichte "Steigerung der wirtschaftlichen
Produktivität" die Möglichkeit gewährleistet sieht, " ( . . . ) alles Elend
dauernd abzuschaffen."
c) Die Vereinigung beider Thesen f ü h r t konsequenterweise zu der Verwendung
zweier Fortschrittsbegriffe: "Fortschritt heißt: aus dem Bann heraustreten,

und Adornos Geschichtskonzeption" als ein "Regress, ein Rückfall in vor-


marxistische, idealistische Geschichtstheorien" [Jopke ( 1 3 3 ) , S. 52] dar.
Bemerkenswert ist die Affinität zwischen Adornos und Heideggers Geschichts-
deutung: vgl. Rohrmoser ( 2 3 8 ) , S. 37 - 44; Gedö ( 7 6 ) , S. 14 f. Vgl. zum
Verhältnis Heidegger - Adorno die großangelegte Arbeit von H. Horchen
( 1 9 7 ) . Horchen weist detailliert nach, daß " ( . . . ) Adornos Verwendung der
Zitate (Heideggers, B.) nicht als faire Wiedergabe einer fremden Mei-
nung und als sachgerechte Auseinandersetzung mit ihr hingenommen wer-
den kann. " (197, S. 133) "Die Verblendung seiner Polemik, die Unhaltbar-
keit zahlreicher Textdeutungen ist unverkennbar" (197, S. 2 8 4 ) . Bei der
"Frage nach den Motiven" der Verweigerung eines echten Dialogs sei "Ador-
nos verdrängte Bindung an Heidegger, als das vermutlich entscheidende"
zu nennen.
52 Adorno ( 7 ) , S. 314 f. Vgl. ( 2 ) , S. 253 f; ( 5 ) , S. 620; ( 1 0 ) , S. 170. Hier
unterscheidet sich Adornos Geschichtskonzeption auch wesentlich von dem
metaphysischen Entwurf Blochs,der eine dem Subjektiv-Utopischen korrespon-
dierende Tendenz des Objektiv-Realen geltend macht [vgl. Bloch ( 3 3 ) , S.
224 - 257]. Zu Adornos Kritik an Bloch vgl. Adorno ( 8 ) , S. 233- 250.
53 Kant ( 1 4 4 ) , S. 611. Über methodologische Verwandtschaft der Geschichts-
philosophie bei Kant und Adorno vgl. Düver ( 5 2 ) , S. 159 f.
54 In der Ablehnung einer solchen teleologischen Einheit konvergiert Adorno
mit der strukturalistischen Kritik der Geschichtsphilosophie (Althusser,
M. Foucault). Zu den Beziehungen zwischen Adorno und dem Strukturalismus
vgl. Bauch ( 1 9 ) , bes. S. 95 u. 100.
55 Adorno ( 2 ) , S. 14
56 Adorno ( 2 ) , S. 56
14 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

auch aus dem des Fortschritts, der selber Natur ist, indem die Menschheit
ihrer eigenen Naturwüchsigkeit innewird und der Herrschaft E i n h a l t gebietet,
die sie über Natur ausübt und durch welche die Natur sich fortsetzt. Insofern
ließe sich sagen, der Fortschritt ereigne sich dort, wo er endet."
d) Dieser paradoxen Theoriero eines Fortschritts nach bzw. vor dem Fort-
schritt, eines dialektischen (?)Charakters des Verhältnisses von Fortschritt
und Rückschritt (Stagnation) korrespondiert ein doppelter Naturbegriff: Die
(subjektslose) N a t u r , der sich nach Adorno die Vernunft entringt, ist eine
andere als die (schon Subjekte voraussetzende) Naturwüchsigkeit, in die sie
münden oder in der sie gar verbleiben soll. Läßt sich Adornos D i a l e k t i k
von Natur und Geschichte an dieser Stelle als begriffliche Ungenauigkeit
auflösen (die durch die These sich selbst negierender Subjekte zusätzlich
verwirrt w i r d ) , so a f f i z i e r t dies auch das Verhältnis von Fortschritt und
Rückschritt: Ist "Natur" doppeldeutig, dann können Fortschritt und Rück-
schritt nicht in einer Dimension liegen, sondern sie müssen spezifisch be-
stimmt werden. Die Herausarbeitung zweier Ebenen würde die Zwangsläufigkeit
aufheben, der bisherige Fortschritt der Menschheit sei z u g l e i c h ein Rück-
schritt 6 (bzw. eine Stagnation), die menschliche Geschichte setze "die be-
wußtlose der Natur" 6 1 fort. Die Geschichtskonzeption Adornos/rpverlangt der-
art aufgrund immanenter Schwierigkeiten nach einer Revision.
Indessen ist nicht nur der unmittelbare Umschlag von Geschichte in Natur-
geschichte, von Fortschritt in Regression in der von Adorno exponierten Form

57 Adorno ( 5 ) , S. 625
58 Adorno ( 5 ) , S. 627
59 Beachtet man den von Adorno selbst unkenntlich gemachten Doppelsinn von
"Natur" nicht, dann ergeben sich Mißverständnisse. So meint z.B. U. Sonne-
mann, daß die Vernunft " ( . . . ) noch zu wenig sie selber (ist), solange sie
sich mißversteht als Herrschaft über Naturwüchsigkeit" [Sonnemann (269) ,
S. 135]. Vielmehr ist nach Adorno die Vernunft gerade dann nicht bloß par-
tikular, sondern verwirklicht, wenn sie ihre Naturwüchsigkeit beherrscht,
nicht mehr naturwüchsig ist. Vgl. zu den Äquivokationen des Naturbegriffs
Rath ( 2 2 3 ) , S. 118
60 Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 53
61 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 348 f
62 Diese Revision ist inzwischen von Habermas in Angriff genommen worden.
Ist nach Adorno die "Naturverfallenheit des Menschen heute" nicht "vom
gesellschaftlichen Fortschritt (...) abzulösen" [Adorno ( 2 ) , S. 14],
"besteht" Naturverfallenheit "in der Naturbeherrschung" [Adorno ( 2 ) , S.
57], so schränkt Habermas auf der Grundlage der Differenzierung zwischen
Arbeit und Interaktion diese These derart ein, daß die Produktivkräfte
als Ausdruck der technischen Herrschaft über Natur nicht " ( . . . ) unter
allen Umständen ein Potential der Befreiung zu sein und emanzipatorische
Bewegungen auszulösen (scheinen)" [Habermas (88), S. 92].
Der geschichtsphilosophische Grund 15

revisionsbedürftig. Zugleich ist es problematisch, ob die Geschichtskonzep-


tion das systematisch von ihr Verlangte leistet,zu begründen weshalb die be-
g r i f f l i c h e Identifikation das Nichtidentische e l i m i n i e r t . Um hierüber Klar-
heit zu gewinnen, muß die Geschichtstheorie näher betrachtet werden.
2. Die Deutung des bisherigen Geschichtsverlaufs steht bei Adorno unter
der zentralen Kategorie der Selbsterhaltung. Dieses besonders für die Phi-
losophie der Neuzeit wichtige P r i n z i p - Spinoza etwa erblickt in ihm "die
erste und einzige Grundlage der Tugend" - wird als konstitutiv für das Ver-
ständnis der bisherigen Geschichte überhaupt betrachtet: Es sei "wahrhaft Na-
turgesetz alles Lebendigen."
Des näheren lassen sich bei Adorno zwei Formen der Selbsterhaltung fest-
machen, die als mlmetische und usurpatorische Naturbewältigung gekennzeichnet
werden können. Diesen zwei Formen lassen sich zwei (allerdings zeitlich
nicht eindeutig bestimmbare) Phasen der Geschichte zuordnen:
Erste phase: In der ersten Zeit, in der das erwachte Subjekt noch schwach
ist, könne es sich nicht offen gegen die übermächtige Natur zur Wehr setzen.
Deshalb müsse es sich dieser angleichen. So ist der "erste Schritt zur Kon-
go
stituierung des Subjekts" für Adorno das "mimetische Verhalten" : "Nur die
bewußt gehandhabte Anpassung an die Natur bringt diese unter die Gewalt des
physisch Schwächeren."
Dieses auf Nietzsche verweisende Schema einer "Anähnelung an den Naturzu-
stand als Mittel der Naturbeherrschung" sei in der Odyssee - dem "Grundtext
der europäischen Z i v i l i s a t i o n " 72 - im Abenteuer des Odysseus mit Polyphem

63 Vgl. Baumeister/Kulenkampff (26) , S. 80


64 Vgl. Blumenberg ( 3 4 )
65 Spinoza ( 2 7 1 ) , Teil IV, 22. Lehrsatz, Folgesatz, S. 103
66 Adorno ( 7 ) , S. 342
67 Diese Unterscheidung zwischen einer mimetischen und usurpatorischen Form
von Selbsterhaltung wird dadurch unkenntlich gemacht, daß Adorno die usur-
patorische ebenfalls als mimetische nachzuweisen versucht. Allerdings ver-
langt dies die Einführung eines zweiten Mimesisbegriffs [vg'l; Adorno (2) ,
S. 75 f ], so daß der sachliche Ertrag dieses Versuchs nicht inefir einsich-
tig ist. Es ist keineswegs so, daß sich "Mimesie ale die individuelle
Selbsterhaltung" lediglich - wie Zenk meint - "zu ihrer rationalen Form,
der gesellschaftlichen Herrschaft gesteigert" [Zenk (.290), S. 93; Hervor-
hebung, B.] hat.
68 Scheible ( 2 4 5 ) , S. 103
69 Adorno ( 2 ) , S. 75
70 Nietzsche ( 2 0 4 ) , S. 999
71 Adorno ( 2 ) , S. 87
72 Adorno ( 2 ) , S. 63
16 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

dargestellt. Der "tolpatschige Riese",in dessen Höhle Odysseus mit seinen


Gefährten eingesperrt ist, repräsentiere "einen Bewußtseinsstand, dem noch
keine feste Identität sich auskristallisiert hat". Indem nun Odysseus sich
Niemand nenne, mache er sich Polyphem gleich, der noch "kein Selbst" sei,
und könne so entkommen: "In Wahrheit verleugnet das Subjekt Odysseus die ei-
gene Identität, die es zum Subjekt macht,und erhält sich am Leben durch die
Mimikry ans Amorphe." Jedoch -sei "seine Selbstbehauptung l...), wie in al-
ler Zivilisation, Selbstverleugnung. Damit gerät das Selbst in eben den
zwanghaften Zirkel des Naturzusammenhanges, dem es durch Angleichung zu ent-
rinnen trachtet."
zweite Phase: Wichtiger für das systematische Ausgangsproblem aber ist die
usurpatorische Phase. Mit dem Erstarken des Subjekts ändere sich die Form
seiner Selbsterhaltung: "Zivilisation hat anstelle der organischen Anschmie-
gung ans Andere, anstelle des eigentlich mimetischen Verhaltens, (...)
schließlich (...) die rationale Praxis, die Arbeit gesetzt." "Natur soll
nicht mehr durch Angleichung beeinflußt, sondern durch Arbeit beherrscht
werden." Neben der Arbeit dient nach Adorno als Mittel der Naturbeherr-
schung wesentlich das begriffliche Denken: Das Denken sei "Organ der Herr-
schaft", der Begriff ein " i d e e l l e ( s ) Werkzeug" 7 8 . Mit H i l f e der Vernunft, dem
Prinzip menschlicher Herrschaft und a l s ihr "Instrument" allererst "entstan-
den" 79 , bestimme das Subjekt nach der Regel der Identität die Welt auf sich
und seinen Herrschaftswillen h i n , es mache das dem Begriff Andere dem Begriff
homogen: "Was anders wäre, wird gleichgemacht." 80 Des näheren lassen sich
drei systematische Aspekte unterscheiden, die von Adorno zusammengedacht
werden:
Aspekt a) Das b e g r i f f l i c h e Denken erkenne nicht, daß die äußere Natur we-
sentlich ein Nichtidentisches sei, das nicht restlos unter das Identitätsprin-
zip subsumiert werden könne. Das Andere des Denkens verliere für dasselbe den
Charakter des Anderen, dieser erscheine bedeutungslos. "Was die Herrschaft
des Identitätsprinzips am Nichtidentischen toleriert, ist seinerseits ver-
mittelt vom Identitätszwang, schaler Rest, nachdem die Identifizierung ihr
73 Vgl. Odyssee, 9. Gesang
74 Adorno (2) S. 86
75 Adorno (2) S. 87
76 Adorno ( 2 ) S. 205
77 Adorno (2) S. 35
78 Adorno (2) S. 57 f
79 Adorno (5) S. 775. Vgl. ( 2 ) , S. 125
80 Adorno (2) S. 28
Der geschichtsphilosophische Grund 17
Stück sich weggeschnitten hat." 81 Die fortschreitenden Erfolge der Naturwis-
senschaften hinsichtlich technischer Machbarkeit und Auflösung von Qualität
in Quantität 82 unterstützten diese herrschaftliche Tendenz 83 , die schließlich
irrational werde, weil der (nur mimetisch zu erfassende) "Halt an der Be-
stimmtheit der Objekte" 84 verlorengehe. Enthalte die "Welt der Magie" noch
85
"Unterschiede" und verfahre sie nach dem Prinzip der "Verwandtschaft" , so
werden jene von der modernen Wissenschaft vollkommen getilgt und dieses wer-
de durch das Prinzip des Zeichens ersetzt. Die Dominanz des Identitätsprin-
zips, die Abstraktion des begrifflichen Denkens vom Nichtidentischen und da-
mit nach Adorno potentiell
n/·
Neuen bedinge, daß die Welt auf ein "gigantisches
analytisches Urteil" reduziert werde. Dies finde in der Philosophie Hegels
seinen Ausdruck. 87
Aspekt b) Die Problematik werde dadurch verschärft, daß nicht nur die nicht
menschliche Natur, sondern auch die Menschen dem Identitätsprinzip unterwor-
fen würden: "Die Herrschaft über die Natur reproduziert sich innerhalb der
Menschheit." 88 "Die B l i n d h e i t der Herrschaft der äußeren Natur, die nicht
danach fragt, was dieser angetan wird, geht über auf die Organisation als
Beherrschung von Menschen, und es schwindet das Bewußtsein dafür, daß die
Objekte der Organisation selber Menschen, also identisch mit den vorgefall-
en
chen Subjekten der Organisation sind, die sie zusammenfaßt." Der Mitmensch
wird unter den Begriff subsumiert, als unverwechselbares Individuum l i q u i -
QQ
diert. Der einzelne werde gleich-gültig , bloßes Mittel sowohl des Begriffs
als auch des mit ihm verbundenen gesellschaftlichen Allgemeinen. Er sei nicht

81 Adorno ( 7 ) , S. 340
82 Adorno ( 2 ) , S. 53
83 Wesentlich differenzierter als Adorno betrachtet Th. Litt die Beherrschung
der Natur: "Von dem Willen zur 'Beherrschung 1 ist nämlich zu sagen, daß er
genau in dem Maße der Verwerflichkeit ermangelt, wie die jeweils in Be-
tracht kommende Seinsstufe der Berechnung Raum gibt und demnach zur Be-
herrschung einlädt" [Litt (176), S. 117],
84 Adorno ( 5 ) , S. 776
85 Adorno ( 2 ) , S. 26 f
86 Adorno ( 2 ) , S. 44
87 Vgl. Adorno ( 1 1 ) , S. 72
88 Adorno ( 2 ) , S. 130. Vgl. auch Horkheimer (124),S. 104. Zu Recht hebt Ar-
nason hervor, daß "der Zusammenhang zwischen Naturbeherrschung und Klas-
senherrschaft außerordentlich verkürzt" [Arnason ( 1 7 ) , S. 116] ist und in
dieser Form nicht überzeugen kann. Vgl. auch die These Guzzonis, " ( . . . )
daß der Grundsatz der Selbsterhaltung zugleich für den Einen selbst und
für den Anderen - also keineswegs notwendig gegen alle Anderen - formu-
liert werden kann." [Guzzoni ( 8 4 ) , S. 342, Anm. 27]
89 Adorno ( 1 2 ) , S. 445. Vgl. ( 1 0 ) , S. 157; ( 1 1 ) , S. 37
90 Adorno ( 7 ) , S. 355
18 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

mehr Zweck an sich. Dadurch aber entstehe eine absurde Situation: "Da (...)
der Produktionsapparat nur um der Menschen w i l l e n da sein soll und zu seinem
Zweck deren Befreiung, nämlich von überflüssiger Arbeit hat, so wohnt dem
Verfall von Individualität zugleich ein Widerspruchsvolles, wahrhaft Absurdes
inne." Die Individuen seien " ( . . . ) zu bloßen Ausführungsorganen des Allge-
meinen relegiert" 92 . Diese Mediatisierung der Menschen bedinge ihre Entfrem-
dung untereinander: "Nicht bloß mit der Entfremdung der Menschen von den be-
herrschten Objekten wird für die Herrschaft bezahlt: mit der Versachlichung
des Geistes werden die Beziehungen der Menschen selber verhext" 93
Aspekt c) Entscheidend sei jedoch, daß der einzelne nicht nur die nichtiden
tische Natur vergewaltige und von anderen beherrscht werde, sondern daß er
sich selbstt um zu herrschen, einer neuen Knechtschaft unterwerfen müsse. Er
stelle "den Primat der Identität auch gegen sich selbst" 94 her. Da auch :h ddas
Subjekt wesentlich Natur, d . h . ein Nichtidentisches und "Zerstreute(s)M.9S
1

sei, müsse der sich über die Natur aufschwingende Mensch sich selbst Gewalt
antun. Um die äußer-menschliche Natur zu beherrschen, müsse die innermenschli-
che Natur, das eigene Selbst unterdrückt werden. Die "Geschichte der Zivi-
lisation" ist für Adorno derart,unter Rückgriff auf die Freudsche Deutung der
Kultur als aufbauend auf einem "Triebverzicht" ,die "Geschichte der Entsa-
gung" . Diese Erkenntnis sei ebenfalls schon in der Odyssee dichterisch ge-
staltet - so z.B. in der Erzählung von den Lotophagen und dem Verbot, die
Lotosfrüchte zu essen. 99
Durch die Entsagung trete eine Entfremdung "jedes einzelnen zu sich" ein:
"Er schrumpft zum Knotenpunkt konventioneller Reaktionen und Funktionsweisen
zusammen, die sachlich von ihm erwartet werden." Die durch Selbstbeherr-
schung im Interesse der Selbsterhaltung bedingte Selbstentfremdung mani-
festiere sich besonders im n e u z e i t l i c h gebrochenen "Verhältnis zum Körper",
102
in seiner Behandlung als " ( . . . ) Ding, das man besitzen kann" . Die Natur

91 Adorno ( 8 ) , S. 592
92 Adorno ( 7 ) , S. 336
93 Adorno ( 2 ) , S. 45
94 Adorno ( 7 ) , S. 151
95 Adorno (11), S. 257
96 Vgl. Adorno ( 1 1 ) , S. 28, 157. Vgl. auch Horkheimer ( 1 2 4 ) , S. 94
97 Freud ( 7 2 ) , S. 227
98 Adorno ( 2 ) , S. 73. Vgl. ( 2 ) , S. 163
99 Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 76, 81 ff
100 Adorno ( 2 ) , S. 45. Vgl. auch ( 2 ) , S. 177
101 Adorno ( 2 ) , S. 47
102 Adorno ( 2 ) , S. 265
Der geschichtsphilosophische Grund 19

räche sich jedoch dafür, " ( · · · ) daß der Mensch sie zum Gegenstand der Herr-
schaft, zum Rohmaterial erniedrigt hat." Ähnlich der Freudschen Gedanken-
figur einer Wiederkehr des Verdrängten deutet Adorno dann Erscheinungen
wie Auschwitz als "Rebellion der Natur"
über Freud wesentlich hinaus geht jedoch die entscheidende Wendung, daß
" ( . . . ) mit der Verleugnung der Natur im Menschen (...) nicht bloß das Telos
der auswendigen Naturbeherrschung sondern das Telos des eigenen Lebens ver-
wirrt und undurchsichtig (wird). In dem Augenblick, in dem der Mensch das Be-
wußtsein seiner selbst als Natur sich abschneidet, werden alle die Zwecke,
für die er sich am Leben erhält, der gesellschaftliche Fortschritt, die
Steigerung aller materiellen und geistigen Kräfte, ja Bewußtsein selber,
nichtig" . Das Selbst werde so das Mittel der Erhaltung des eigentlichen
Mittels der Erhaltung. 1 0 7 Herrschaft werde zum "Selbstzweck" und verhinde-
re auf diese Weise das Entwerfen vernünftiger Zwecke, d.h. solcher Zwecke,
die im Dienste der "Versöhnung" stehen. Hier allerdings versagt Adornos Ver-
such, seine Theorie der abendländischen Geschichte an der Odyssee, die s.E.
" ( . . . ) insgesamt Zeugnis ab(legt) von der D i a l e k t i k der Aufklärung" 109 , der
"Verschlungenheit von Aufklärung und Mythos" , zu exemplifizieren: Odysseus
verliert trotz der von ihm geleisteten Selbstbeschränkung (Unterdrückung der
inwendigen Natur) sein Ziel nicht aus den Augen, in die Heimat zu Penelope
zurückzukehren.
Die Verselbständigung der Mittel, wie sie sich paradigmatisch in der moder-
nen Bürokratie niederschlage, ist indessen für Adorno keine bloße "(...) Ent-
artungserscheinung, wie es dem bürgerlichen Selbstverständnis benagt.
Die "Beherrschung innerer und äußerer Natur" 11? bedeute zugleich die Sub-

103 Adorno ( 2 ) , S. 266


104 Freud ( 7 2 ) , S. 217. "Die Phylogenese europäischer Geschichte konstruiert
Adorno als 'Wiederkehr des Verdrängten 1 ." [Wohlfahrt (289), S. 316]
105 Adorno ( 2 ) , S. 269
106 Adorno ( 2 ) , S. 73. Voraussetzung dieser These ist die Deutung der "Natur
im Subjekt als Ursprung der konkreten Zweck- und Zielsetzungen des Lebens
und Handelns überhaupt und gleichzeitig als deren Zielpunkt selbst"
[Schwarz (261), S. 450]. Ist jedoch die Natur dar Ursprung von Zweckset-
zungen, dann ist Vernunft auf instrumenteile Vernunft verkürzt.
107 Adorno ( 7 ) , S. 342
108 Adorno ( 2 ) , S. 124. Vgl. ( 2 ) , S. 73
109 Adorno ( 2 ) , S. 61
110 Adorno ( 2 ) , S. 63
111 Adorno ( 5 ) , S. 776
112 Adorno ( 1 2 ) , S. 235. Vgl. ( 7 ) , S. 314
20 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

jektslosigkeit der Geschichte. In Anlehnung an Marx bezeichnet Adorno


den gesamten bisherigen Geschichtsverlauf als vorgeschichtlich , da sein
angeblicher Fortschritt unter den statischen Kategorien "Herrschaft, Unfrei-
heit, Leiden" und "Allgegenwart der Katastrophe" stehe. Derart sei auch
die gängige "Antithesis von Natur und Geschichte" nur teilweise richtig: Wahr
sei sie, " ( . . . ) soweit sie ausspricht, was dem Naturmoment widerfuhr; falsch,
soweit sie die Verdeckung der Naturwüchsigkeit der Geschichte durch sie
selber vermöge ihrer begrifflichen Nachkonstruktion apologetisch wieder-
holt." Die praktizierte "Unterdrückung der Natur zu menschlichen Zwecken"
sei selber nur "ein bloßes Naturverhältnis" 118 . Es reproduziere sich ledig-
119
l i e h der"ausweglose Bann der Tierwelt" .
Da Adorno die Ursache dieser fatalen Entwicklung (genauer: Stagnation) da-
rin erblickt, daß der Mensch sich als selbst ein Stück Natur verleugne - dies
pervertiere das Ziel der Selbsterhaltung -, fordert er auch nicht in erster
Linie eine Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern ein "Einge-
denken der Natur im Subjekt" 120 . Erst dann könne an die Stelle von Herr-
schaft, die notwendig Knechtschaft sei, "Versöhnung" treten.
3. Die skizzierte Geschichtstheorie Adornos soll nicht im einzelnen disku-
tiert werden. Nur zwei Punkte seien kritisch angemerkt:
a) Zunächst ist zu fragen, inwieweit die bei der systematischen Betrachtung
des Problems vom Allgemeinen und Besonderen aufgeworfene Frage beantwortet
wird, weshalb das Individuelle notwendig eliminiert wird. Da dies nicht im be-
grifflichen Denken selbst, dem Mittel der Herrschaft,begründet ist, muß die
Ursache in einer falschen Anwendung des Begriffs gesucht werden. Die einzel-
nen dargestellten Aspekte können zugunsten des Problems ausgeklammert werden,
weshalb der einzelne im Interesse seiner Selbsterhaltung alles Nichtidentische

113 Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 15; ( 1 2 ) , S. 237


114 Vgl. Marx ( 1 9 2 ) , S. 9. In gleicher Weise verweist Adornos Deutung der
Geschichte als Naturgeschichte auf Marx [vgl. Marx (188), Bd. I, S. 15
u. 23; (189), S. 72]. Allerdings ist die Unterscheidung von Geschichte
und Vorgeschichte nicht auf Marx zurückzuführen, wie Th. Mirbach irrtüm-
lich [vgl. Mirbach (195), S. 47] meint, sondern auf Hegel [vgl. Hegel
(101), S . 8 2 £ f ] .
115 Vgl. Adorno ( 1 2 ) , S. 374 u. 233
116 Adorno (12) , S. 234
1J7 Adorno ( 7 ) , S. 351
118 Adorno ( 7 ) , S. 181
119 Adorno ( 1 2 ) , S. 349. Vgl. Adorno ( 1 2 ) , S. 96
120 Adorno ( 2 ) , S. 58. Vgl. ( 2 ) , S. 292. Vgl. kritisch dazu Schmucker (256),
S. 66
Der geschichtsphilosophische Grund 21

dem identifizierenden Herrschaftsprinzip unterwerfen miß. Dabei ist es nicht


hinreichend, pauschal auf eine Bedrohung des Subjekts durch das Nichtidenti-
sche hinzuweisen. Dies könnte a l l e n f a l l s einsichtig machen, daß einiges
Nichtidentische eliminiert wird, nicht aber, daß das Subjekt einem totalen
Herrschaftszwang unterworfen ist. Die hierfür von Adorno gegebene Begründung
zielt darauf, daß sich das Subjekt vom Nichtidentischen bedroht fühlt. Sein
Erklärungsprinzip ist eine "Angst des Menschen" 121 - und zwar nicht die
Furcht vor konkreten Geschehnissen, sondern die nicht weiter abgeleitete,
"(...) das Selbst zu verlieren und mit dem Selbst die Grenze zwischen sich
1 22
und anderem Leben aufzuheben, die Scheu vor Tod und Destruktivität" .
Da jedoch das Prinzip der Selbsterhaltung als solches, der bloße Widerstand
dagegen, die bezeichnete "Grenze aufzuheben", der reine Wunsch des Sich-von-
der-Natur-witeröcheidens nicht eine Unterdrückung der Natur, des Nichtidenti-
123
sehen, impliziert , postuliert Adorno eine "radikal gewordene, mythische
Angst" vor jeglichem Unbekannten, eine "Dauerpanik angesichts des Todes",
125
die nur "durch dessen Verdrängung" zu beschwichtigen sei. Natur als Gegen-
begriff der Vernunft verflüchtigt sich damit zum schlechtin Unbestimmten und
126
Unbestimmbaren überhaupt. Geschichtsphilosophie wird zu einer abstrakten
"Theorie der unbewältigten Endlichkeit, der unverwundenen Todesangst"
Entsprechend dieser Psychologisierung ist es für Adorno eine Art krankhaf-
1 28 1 ?Q
ter "Wunschtraum der Jahrtausende", "grenzenlos Natur zu beherrschen" .
Er spricht zwar von einem "unentrinnbaren Zwang zur gesellschaftlichen Herr-
schaft über die Natur" und bindet damit die Naturbeherrschung an die ra-
tionale Kategorie des Oberlebenskampfes der menschlichen Gattung zurück, je-
doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß die behauptete Unentrinnbar-
barkeit des Zwanges (nicht die Notwendigkeit, überhaupt Herrschaft auszuüben)

121 Adorno ( 2 ) , S. 31
122 Adorno (2) , S. 51
123 Da Guzzoni dies übersieht, indem sie im Anschluß an Überlegrungen Adornos
die identifizierende Form von Selbsterhaltung zur einzig möglichen Selbst-
erhaltung aufwertet, kann sie irrtümlich eine "Negation des Prinzips der
Selbäterhaltung selbst" [Guzzoni (84), S. 332] fordern. Durch diesen Re-
duktionismus aber stellt sich ihr konsequenterweise nicht explizit die
Frage, weshalb Selbsterhaltung notwendig mit Herrschaft verbunden ist.
124 Adorno (2) , S. 32
125 Adorno ( 7 ) , S. 363
126 Vgl. Adorno ( 1 ) , S. 113 u. Baumeister/Kulenkampff ( 2 6 ) , S. 84
127 Baumeister/Kulenkampff ( 2 6 ) , S. 97. Vgl. ( 2 6 ) , S. 8l ff
128 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 174
129 Adorno (2) , S. 285
130 Adorno ( 2 ) , S. 52. Vgl. ( 2 ) , S. 49
22 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
mit einem psychologischen Wahnsystem begründet wird. Diesem psychologischen
Erklärungsprinzip entspricht Adornos Lösungsvorschlag: eine Art Therapie der
Menschheit durch den Therapeuten der Kritischen Theorie. Aktives gesell-
schaftsbezogenes Handeln wird demgegenüber sekundär.
Angesichts der logischen Tatsache aber, daß mit der Abstraktheit des Erklä-
rungsprinzips sein Erklärüngswert umgekehrt proportional abnimmt, erklärt der
geschichtsphilosophische Ansatz Adornos alles und das heißt nichts: Wenn so-
wohl die "Ticketmentalität überhaupt" als auch der Faschismus im allgemei-
132
nen als auch die "Demütigung des Häftlings im Konzentrationslager" 133 im
besonderen auf eine - vermittelt über den Gedanken des kompensierenden Herr-
schaftszwanges - "radikal gewordene, mythische Angst" oder eine "Rebellion
der verpönten Natur" zurückgeführt werden, dann wird nichts erklärt. Die Ge-
schichtstheorie Adornos verfällt selbst der von ihr angeprangerten Identifi-
zierung. Sie scheitert damit an der Aufgabe, den Grund des schlecht identi-
fizierenden Denkens aufzuhellen.
b) Zudem wirft die Geschichtsdeutung das Problem der ihr zugrundeliegenden
subjektstheoretischen Konzeption a u f . Adornos Absicht ist es, die Geschichte
O/l
als Naturgeschichte nachzuweisen, in ihr den "Bann der Tierwelt" aufzudek-
ken. Der kritische Impetus seines Denkens setzt gerade voraus, daß es noch
kein menschliches Subjekt gibt. Die "Emanzipation der Gesellschaft von der
Vorherrschaft der Produktionsverhältnisse" strebe allererst "die reale Her-
135
Stellung des Subjekts, welche die Verhältnisse bislang verhindert haben" ,
an.
Dabei weist B. W i l l m s zu Recht auf die "antihumane, ja terroristische Kom-
ponente" derartiger Formulierungen "vom 'erst herzustellenden Menschen" 1 h i n ,
ihre Affinität "mit den utopischen Zukunftsvisionen vom technisch manipulier-
ten Menschen" 136 .
Jedoch ist davon vorerst abzusehen. Auch ist die sich aufdrängende Frage
später zu beantworten, ob diese und ähnliche Wendungen bloße Formulierungs-
schwächen das Autors sind, der von der Philosophie eine "idiosynkratische
Genauigkeit in der Wahl der Worte" fordert, oder möglicherweise durch

131 Adorno ( 2 ) , S. 233


132 Adorno ( 2 ) , S. 265
133 Adorno ( 2 ) , S. 269
134 Adorno ( 1 2 ) , S. 349
135 Adorno ( 1 ) , S. 178
136 Willms (286), S. 73
137 Adorno ( 7 ) , S. 58
Der geschichtsphilosophische Grund 23

eine bestimmte subjektstheoretische Konzeption bedingt sind. Zunächst wichti-


ger und systematisch bedeutsamer ist die Auflösung der paradoxen These, daß
die Selbstbehauptung des menschlichen Subjekts seine Selbstnegation bedeute
- und zwar in der Form sowohl der mimetischen als auch der usurpatorischen
Selbsterhaltung. Zusammengefaßt wird dies Paradoxon in der Behauptung, daß
" ( . . . ) a l l e in ihrem Selbst eingesperrt sind und dadurch abgesperrt noch von
ihrem Selbst." 138
Diese These wirft nicht weniger als drei subjektstheoretische Fragen auf:
aa) Was ist das "Selbst", in dem "alle" "eingesperrt" sind ?
bb) Was ist das "Selbst", von dem "alle" "abgesperrt" sind ?
cc) Wer aber sind die "alle", die in irgendeinem "Selbst eingesperrt"
sind und zugleich von irgendeinem logisch notwendig anderen "Selbst"
"abgesperrt" sind und die sich wiederum logisch notwendig von beiden
"Selbsten" als ein drittes "Selbst" unterscheiden müssen ?
Von der Beantwortung dieser Fragen wird abhängen, inwiefern die Geschich-
te sinnvoll als Naturgeschichte gedeutet werden kann. Zugleich verweist die
sich hier ankündigende Problematik auf eine Theoriedimension, die außerhalb
der Grenzen der von Adorno praktizierten Betrachtungsweise liegt. -
Die bisherige Gedankenbewegung kann wie folgt rekapituliert werden: Das
Hauptanliegen Adornos geht auf eine Rettung der Individualität und Freiheit
des einzelnen. Dieses Problem kann unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses
vom Besonderen und Allgemeinen auf seinen abstraktesten Ausdruck gebracht
werden. Der Hauptangriffspunkt liegt dabei in der Vorherrschaft des allge-
meinbegrifflichen Denkens, da dieses mittels des Identitätsprinzips das In-
dividuelle eliminiere. Der Grund für diese Liquidierung und für das Implikat
einer Deutung der philosophischen Aufgabe als paradox ist jedoch nicht - wie
Adorno darzulegen sucht - logisch-systematischer, sondern psychologisch-ge-
schichtstheoretischer Natur. Die geschichtsphilosophische Konzeption kreist
um den Gedanken einer "Dialektik der Aufklärung": Geschichte soll als Natur-
geschichte, Fortschritt als Regression dechiffriert werden. Diese Idee ist
aber sowohl in formaler (fehlendes Kriterium für Rationalität bzw. Irratio-
nalität; Aufstellen einer abstrakten Alternative) als auch inhaltlicher
(zwei Fortschritts- und Naturbegriffe) Hinsicht unzulänglich. Des näheren
versucht Adorno im Rückgriff auf psychologische Vorstellungen die abendlän-
dische Geschichte unter der Kategorie der Selbsterhaltung zu begreifen.
138 Adorno ( 7 ) , S. 293
24 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Selbsterhaltung nehme entweder die Form der mimetischen (1. Phase) oder usur-
patorischen (2. Phase) Naturbewältigung an. In beiden Fällen jedoch gelinge
es dem Menschen nicht, den Naturzusammenhang, den "Bann der Tierwelt" zu bre-
chen. Das Herrschaftsmittel der usurpatorischen Form der Selbsterhaltung sei
das begriffliche Denken, das das Nichtidentische gleichmache. Die Frage in-
dessen, weshalb der Mensch dem Zwang einer totalen Identifizierung des Nicht-
identischen unterworfen sei, führt lediglich auf das abstrakte Erklärungs-
prinzip einer "radikal gewordenen, mythischen Angst". Damit bleibt die vom
systematischen Aspekt her formulierte Frage nach dem Grund der psychologi-
schen Nötigung einer begrifflichen Eliminierung des Nichtidentischen unbeant-
wortet. Zugleich wirft die Geschichtsphilosophie das neue Problem der zugrun-
deliegenden subjektstheoretischen Konzeption auf.
Von hierher rückt nun die Philosophie Kants als des Begründers eines trans-
zendentalen außerempirischen Subjektsbegriffs in das Zentrum des systemati-
schen Interesses. Mit der Philosophie Kants wird in einem Adornos Kritik der-
selben thematisch. Bevor jedoch dieser Problemkomplex erörtert werden kann,
ist Adornos Vorschlag zur Lösung des Problems des Allgemeinen und Besonderen
in der Idee einer "negativen Dialektik" zu prüfen.
2.3 Die Lösung der Problematik: Das Prinzip der "negativen D i a l e k t i k "

Adorno w i l l nicht nur auf das Nichtidentische in seiner Differenz vom Allge-
meinen hinweisen, sondern dasselbe auch fassen, um so den Zustand der "Ver-
söhnung" herbeizuführen.
Zielt der Begriff der "Versöhnung" bei Hegel noch auf eine Vollendung der
Herrschaft des Subjektiven in der begrifflichen Durchdringung des Objekti-
ven, auf eine Vernichtung des Äußerlichen und Fremden des Bewußtseins durch
das Erkennen 139 , so bestimmt Adorno "Versöhnung" entsprechend seiner Deutung
der bisherigen Geschichte und des begrifflichen Identitätsprinzips als Ober-
windung von Herrschaft, als ein "Miteinander des Verschiedenen" . Auch
meint "Versöhnung" nicht nur - so noch die frühe Kritische Theorie - einen
idealen zwischenmenschlichen Zustand, etwa im Sinne einer Aufhebung ökono-
misch determinierter Klassenantagonismen in einer rational organisierten
klassenlosen Gesellschaft -, sondern bezieht die Natur wesentlich mit ein.
Sei nämlich in der bisherigen Geschichte die Natur unterdrückt worden und
sei Geschichte gerade deshalb (?) noch Naturgeschichte,so sei eine Versöhnung
mit der Natur erforderlich, damit dadurch (?) Geschichte im eigentlichen
Sinne beginne. Das angestrebte "Phantasma" der Vernunft sei die "Versöhnung
von Geist und Natur" . Dies sei ein Stand, " ( . . . ) der so wenig blinde Natur
wäre wie unterdrückte." "Der versöhnte Zustand annektierte nicht mit phi-
losophischem Imperialismus das Fremde, sondern hätte sein Glück daran, daß
es in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des he-
terogenen wie des eigenen." 143
Dabei weigert sich Adorno, diesen "versöhnte(n) Zustand" - er spricht von
ihm vorwiegend nur im Konjunktiv - konkret zu bestimmen, ihn "auszumalen"
oder "auszupinseln" 145 .
139 Vgl. Hegel (101), S. 391
140 Adorno (7) S. 153
141 Adorno (7) S. 228
142 Adorno (7) S. 228
143 Adorno (7) S. 192
144 Adorno (7) S. 207
145 Adorno (10), S. 195. Bemerkenswert ist, daß Adorno im Zustand der "Ver-
söhnung" offensichtlich an die "Möglichkeit einer Abschaffung des Todes"
[Adorno ( 7 ) , S. 505; vgl. ( 7 ) , S. 361 f.] denkt. Dies entspricht der von
ihm angegebenen Ursache einer bisher fehlenden Versöhnung einer unbe-
26 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Aufkömmende Bedenken etwa derart, daß nicht ein "Auspinseln", sondern nur
eine konsistente Bestimmung verlangt sei, werden mit dem alttestamentli-
chen Theologoumenon beschwichtigt: "Solche Bilderlosigkeit konvergiert mit
dem theologischen Bilderverbot." Dieser Transzendierung von Kritischer
Theorie, die sich ursprünglich als kritische Gesellschaftstheorie verstand,147
zu theologischen Vorstellungen - man denke auch an Adornos theologische Deu-
tung der Kunst 148 und an den späten Horkheimer 149 - entspricht die ideenge-
schichtliche Herkunft des Motivs einer "Versöhnung von Geist und Natur".
Das ursprünglich biblische Motiv eines Falls der Natur und ihrer Erlösung 150
beeinflußte über den schwäbischen Pietismus die Philosophie Schellings. Es
findet sich beim frühen Marx wieder, der in den 'Pariser Manuskripten 1 (1844)
den kommunistischen Endzustand als "vollendete Wesenseinheit des Menschen mit
der Natur", als "wahre Ressurrektion der Natur" charakterisiert. Auch wenn
Marx in der Entwicklung seines Denkens diese Vorstellung fallen läßt und im
'Kapital 1 (1867) erkennt, daß das "wahre Reich der Freiheit" nicht das "Reich
der Notwendigkeit" aufheben, sondern "nur" auf diesem "(...) als seiner Ba-
sis aufblühen kann" 1 ?, wird das ursprüngliche Motiv von unorthodoxen Marxi-
sten wie Benjamin und Bloch erneuert. Von hierher findet die dann spä-
ter von Habermas als "grundlos" verworfene "Idee der universalen Versöh*
nung" Eingang in die Konzeption der Kritischen Theorie Horkheimers und
Adornos.
Jedoch nicht nur diese Idee und die Weigerung ihrer Bestimmung lassen sich
lediglich in theologischen Kategorien fassen. Gleiches gilt für den von Ador-
no und Horkheimer formulierten Zweifel, ob die Vernunft den naturgeschicht-
wältigten Todesangst, die durch einen identifizierenden Herrschaftszwang
kompensiert werde. Vgl. auch Scheible ( 2 4 5 ) , S. 116
146 Adorno ( 7 ) , S. 207. Vgl. ( 2 ) , S. 40. Vgl. dazu auch Jay ( 1 3 2 ) , S. 79 f
147 Vgl. Horkheimer ( 1 2 2 ) , S. 163
148 Vgl. Adorno ( 1 ) , S. 17. Zum Verhältnis von Kunst und Theologie bei Ador-
no vgl. Rohrmoser ( 2 3 9 ) , S. 13 f.
149 Vgl. Horkheimer ( 1 2 0 ) , S. 56 f f . , 60 f f . , 67 f f . , 77, 88 f.; ( 1 2 4 ) , S.
229 - 233. Vgl. zu Horkheimers Theologierezeption Geyer ( 7 8 ) , S. 70 - 82.
150 Vgl. Gen. 3, 17; Jesaja 11, 6 - 9; Offb. 21, 1; 2 Petr. 3, 13; Rom. 8,
21 f
151 Marx (190), S. 538
152 Marx (188), Bd. III, S. 828
153 Vgl. Benjamin ( 3 1 ) , S. 256 f.
154 Vgl. Bloch ( 3 3 ) , S. 327
155 Habermas ( 8 9 ) , S. 197. Vgl. Habermas ( 8 7 ) , S. 45. Vgl. auch Lüdke, der
in dieser Idee zu Recht eine "fragwürdige Radikalität" [Lüdke ( 1 7 7 ) , S.
147] entdeckt.
156 Vgl. zu dieser Motiventwicklung auch Habermas (88), S. 54
Die Lösung der Problematik: "negative Dialektik" 27

liehen Bann der universalen Herrschaft von sich aus brechen kann: "Das erste
Aufleuchten der Vernunft, das in solchem Trieb (nach Ausdruck und Licht, B.)
sich meldet und im erinnernden Denken des Menschen widerscheint, trifft auch
am glücklichsten Tage seinen unaufhebbaren Widerspruch: das Verhängnis, das
Vernunft allein nicht wenden kann."
Wird damit die Aufhebung der geschichtlichen Verstrickung auf das Prinzip
der Gnade verwiesen, so entspricht dem die Bindung von Philosophie und Er-
kenntnis an den Gedanken der Erlösung: "Philosophie (...) wäre der Versuch,
alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich dar-
stellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die
Welt scheint" 158 .
Aber auch wenn die Kritische Theorie derart in der Bestimmung ihres Zieles,
der "Versöhnung", auf zum Teil mystische Vorstellungen ausweicht, die den Rah-
men möglicher philosophischer Argumentation sprengen, versucht Adorno die Er-
füllung des Eschatons an Rationalität als (wenn auch nicht hinreichende, so
doch) notwendige Bedingung zu knüpfen. Dies festgehaltene Moment von Rationa-
lität, das die Aufklärung vor ihrer Selbstzerstörung bewahren soll, ist we-
sentlich das der geforderten Selbstbesinnung 159 . Ihr Prinzip ist die negative
Dialektik, die Adorno als Alternative zur herrschenden Denkmethode des be-
grifflichen Identifizierens zu entwickeln sucht.
Zielt diese auf die Identität ab, so soll jene auf die Nichtidentität gehen:
"Insgeheim ist Nichtidentität das Telos der Identifikation, das an ihr zu
Rettende, der Fehler des traditionellen Denkens, daß es die Identität für
sein Ziel hält." Bemüht sich dieses, die Positivität (positive Deckung
von zu Begreifendem und Begriff) zu erlangen, so will Adorno gerade die Nega-
tivität (Differenz von zu Begreifendem und Begriff) herausstellen. Die ei-
gentliche Aufgabe der Erkenntnis sei es, " ( . . . ) der Inadäquanz von Gedanke
und Sache nachzugehen, sie an der Sache zu erfahren."
Begriffsgeschichtlich gesehen übernimmt Adorno den Ausdruck "negative Dia-
lektik" von Hegel, der so die Dialektikkonzeption des überwiegenden Teils der
1 fi?
platonischen Dialoge charakterisiert. Negativ ist nach Hegel diese Dialek-

157 Adorno ( 2 ) , S. 256


158 Adorno ( 6 ) , Aphorismus Nr. 153
159 Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 13, 15, 57 ff
160 Adorno ( 7 ) , S. 152
161 Adorno ( 7 ) , S. 156
162 Vgl. Hegel (100), Bd. II, S. 69
28 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
163
tik, weil sie nicht wie die "wahrhafte" oder "spekulative" Dialektik
"(...) die Vereinigung der Gegensätze auf(zeigt), die sich vernichtet haben",
sondern "oft bloß räsonierend, von einzelnen Gesichtspunkten ausgehend" ist:
"Oft hat sie nur ein negatives Resultat, oft ist sie ohne Resultat."
"Zwecke, Vorstellungen, Meinungen oder Individuen werden verwirrt, um Bedürf-
nis nach Erkenntnis zu erwecken. Dies läßt uns unbefriedigt, weil die Konfu-
sion das Letzte ist. Konkrete Vorstellungen, nicht reine Gedanken werden be-
handelt." 1 6 5
Damit charakterisiert Hegel treffend das Wesentliche der "negativen Dialek-
tik" Adornos. Nur - und das ist entscheidend - wendet dieser die einzelnen Be-
wertungen in ihr Gegenteil: Aus der "Vereinigung der Gegensätze" wird die
Idealisierung realer Antagonismen, das fehlende oder "negative Resultat" wird
zur Offenheit für das Nichtidentische, die "Konfusion" wird zum Aufbrechen
eingefahrener Denkschemata.
Im folgenden ist 1. Adornos Dialektikkonzeption negativ von der Hegels ab-
zusetzen, 2. die negative Dialektik positiv zu bestimmen, 3. ihr Verhältnis
zur Kunst zu klären und 4. ihre Stichhaltigkeit zu prüfen.

2.3.1 Absetzung der negativen von der positiven Dialektik.


Zur Hegelkritik Adornos

1. Die von Adorno entwickelte negative D i a l e k t i k ist von der positiven oder
spekulativen Dialektik Hegels zu unterscheiden, indem sie zwar "(...) eine
Aufbewahrung des Widerspruchs im Resultat, nicht aber die Erhöhung des Resul-
tats zur Aufhebung bejahen kann." Die Kritik an Hegel - für Adorno ein
"Identitätsphilosoph" - und damit die Rückwendung der positiven Dialektik
zu einer negativen erklärt Adorno aus seiner intention, das Nichtidentische
freizusetzen. Einerseits sei Hegel (besonders in den Frühschriften) "dicht
bis ans Bewußtsein vom negativen Wesen der von ihm ausgeführten dialektischen
1fifi
Logik" gelangt und habe das sogenannte starre Reflexions- und Verstandes-
163 Hegel (100), Bd. II, S. 62
164 Hegel (100), Bd. II, S. 65
165 Hegel ( 1 0 0 ) , Bd. II, S. 69
166 Müller-Strömsdörfer (198), S. 81
167 Adorno ( 1 3 ) , S. 161. Adornos SelbstVerständnis in seinem Verhältnis zu
Hegel wird von Schweppenhäuser (264) reproduziert. Zur unterschiedlichen
kritischen Rezeption Hegels durch die Vertreter der Kritischen Theorie
vgl. Schmidt ( 2 5 5 ) . Vgl. zu Adornos Kritik der Hegeischen Dialektik auch
Düver ( 5 2 ) , S. 63 - 71
168 Adorno ( 7 ) , S. 159
Absetzung der negativen von der positiven Dialektik 29

denken eines Kant überwunden, indem er auf die (Selbst-)Bewegung des Be-
griffs abgehoben habe. Andererseits aber habe er am Schluß wieder das Nicht-
identische liquidiert, weil er das eigentliche Interesse der Philosophie
verkannt habe: "Philosophie hat ( . . . ) ihr wahres Interesse dort, wo Hegel,
einig mit der Tradition, sein Desinteresse bekundete, was seit Platon als
vergänglich und unerheblich abgefertigt wurde und worauf Hegel das Etikett
der faulen Existenz klebte." 169 Zum einen sei es ein Verdienst Hegels, das
Ungenügen des Begriffs erahnt zu haben, dessen Unfähigkeit, das zu Begrei-
fende adäquat zu erfassen, folglich das Obersichhinausweisen des einzelnen
Begriffs (und Urteils) zutreffend gekennzeichnet zu haben. Zum anderen je-
doch sei Hegel "parteiisch für die Einheit" ge esen und habe die Nicht-
171
identität bloß als "Leiden" gedeutet.
Seine Absicht, eine Philosophie des Absoluten zu entwickeln, habe ihn um
seine ursprüngliche Einsicht betrogen. "Am Schluß ist das Hegeische Denken
(...) trotz all seiner Widerstände gegen die Verdinglichung und Verabsolu-
tierung von einzelnen Bestimmungen ein abschlußhaftes Denken und kommt
darauf hinaus, daß der absolute Geist, der bei ihm die metaphysische Sub-
stanz ist, eben sich doch enthüllt als eine gigantische Projektion der ab-
17?
soluten Immanenz." Seine berechtigte Kritik an der Positivität sei im
Grunde dadurch aufgehoben worden, daß er von der Positivität des Absoluten
ausgegangen sei. "Die Gleichsetzung der Negation der Negation mit der Posi-
tivität ist die Quintessenz des Identifizierens, das formale Prinzip auf
seine reinste Form gebracht." 173
Durch diesen Fehler, dessen höchster Ausdruck sich im Prinzip der Totalität
manifestiere, gewinne bei Hegel "das antidialektische Prinzip die Ober-
h a n d " . Finde der Begriff bei Hegel auf dem Gang zur Vollendung der Idee
an keiner Systemstelle seine Ruhe,werde er immer weiter über sich hinausge-
trieben,so erlange er im sich selbst wissenden Geist seinen Stillstand.Das
Ganze sei in sich bewegt,negativ,als Ganzes aber auch absolute Ruhe.posi-
tiv. 1 7 5
169 Adorno ( 7 ) , S. 19 f
170 Adorno ( 7 ) , S. 160
171 Adorno (13), S. 162.Gegen Hegel macht Adorno geltend:"Das Differenzierte
erscheint so lange divergent,dissonant,negativ,wie das Bewußtsein der
eigenen Formation nach auf Einheit drängen muß:solange es,was nicht mit
ihm identisch ist,an seinem Totalitätsanspruch miBt."[Adorno ( 7 ) , S. 17]
172 Adorno (13), S. 164. Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 41
173 Adorno ( 7 ) , S. 161
174 Adorno ( 7 ) , S. 161
175 Vgl. Adorno (14), S. 375
30 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Die Vollendung der Hegeischen Philosophie zum geschlossen-einheitlichen


Vernunftsystem hat nach Adorno Auswirkungen auf das Nichtidentische:
Das (nichtbegriffliche) Besondere werde auf die (begriffliche) Besonder-
heit reduziert. 1 7 6
Indem Adorno entgegen Hegel den Gedanken der Synthesis, einer Aufhebung
der Gegensätze verabschiedet, gewinnt das Moment des Widerspruchs eine zen-
trale Funktion: nämlich "nicht bloß als Durchgangseiement zur Synthesis be-
jahenden Dialektik" . Damit rückt Adorno zugleich in die Nähe Kierkegaards
und seiner antisystematischen Konzeption des Paradoxon, wie dieser sie in
178
ethischer Hinsicht paradigmatisch an der Gestalt Abrahams entwickelt hat.
Er unterscheidet sich jedoch von dem "religiösen Schriftsteller" wesentlich
dadurch, daß er den Sprung des credo qua absurdum verweigert.
2. Im engen Zusammenhang mit der nach Adorno verfehlten Intention der Phi-
losophie Hegels ist der Vorwurf einer ungenügenden Einsicht in das Wesen des
Begriffs zu sehen. Den Begriff charakterisiere ein Doppeltes, das sich kon-
179
trär zueinander verhalte: a) die Beziehung auf ein Nichtbegriffliches :
"Denken widerspräche schon seinem eigenen Begriff ohne Gedachtes und dies
Gedachte deutet vorweg auf Seiendes, wie es vom absoluten Denken doch erst
gesetzt werden soll." 1 8 0 b) die Tendenz, " ( . . . ) als abstrakte Einheit der
181
unter ihm befaßten Onta vom Ontisehen sich zu entfernen."
Hegel habe das zweite Moment auf Kosten des ersten einseitig akzentuiert:
"Die Wissenschaft von der Logik ist ihrerseits abstrakt im einfachsten Sinn;
die Reduktion auf die allgemeinen Begriffe merzt vorweg schon deren Wider-
spiel aus, jenes Konkrete, das die idealistische D i a l e k t i k in sich zu tragen
1 ß?
und zu entfalten rühmt." Dies zeige sich näher darin, daß Hegel " ( . . . )
auf das Verhältnis des Begriffs zu seinem I n h a l t , dem Nichtbegrifflichen,

176 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 175, 322, 328


177 Müller-Strömsdörfer (198), S. 104
178 Vgl. Kierkegaard (160), S. 29; (160), S. 61. Vgl. zur Nähe Adornos zu
Kierkegaard: Müller-Strömsdörfer (198), S. 104 f.
179 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 24
180 Adorno ( 7 ) , S. 139
181 Adorno ( 7 ) , S. 24
182 Adorno ( 7 ) , S. 49. Gegen Adorno ist einzuwenden, daß Hegels Logik in der
Tat zunächst abstrakt ist, wie er selbst geltend macht [vgl. Hegel ( 9 6 ) ,
Bd. I, S. 67, § 19], und gerade deshalb des von ihm geforderten Fortgangs
bedarf: "Erst aus der tieferen Kenntnis der anderen Wissenschaften erhebt
sich für den subjektiven Geist das Logische als ein nicht nur abstraktes
Absetzung der negativen von der positiven Dialektik 31

selber nur allgemein reflektiert" habe, so daß sein Beweis zugunsten der
183
"Absolutheit des Begriffs" zirkulär sei. Dieser Vorwurf einer Abstraktion
vom Nichtidentischen führt auf den Einwand, Hegel handhabe Dialektik als
4 n Ift^
bloße "Methode" , obwohl er dies - wie Adorno - von sich zurückweist.
Aufgrund der mangelnden Berücksichtigung des Wesens des Begriffs, seiner
Selbsttranszendenz auf Nichtbegriffliches h i n , habe Hegel den Begriff (das
Allgemeine, die Einheit) als Ziel der Erkenntnis postuliert und es nicht
1ftfi
"beim Begriffslosen, Einzelnen und Besonderen" angesetzt. Der Begriff je-
doch - so Adorno - " ( . . . ) bildet kein positives Telos, in dem Erkenntnis sich
stillte." 1R7 Deshalb müsse sich Dialektik auf ihren falschen "Immanenzzusam-
menhang" besinnen. Andernfalls " ( . . . ) bliebe Kants Rechtsanspruch gegen He-
gel unverjährt. Solche Dialektik ist negativ. Ihre Idee nennt die Differenz
von Hegel." 188 Das "Scharnier negativer D i a l e k t i k " liege darin, die Rich-
tung 189 der Begrifflichkeit auf sich selbst von sich dem Nichtidentischen zu-
zuwenden. Dabei sei nur die Richtung des Begriffs zu ändern, auf den Begriff
selbst aber nicht zu verzichten: Die bloß "intuitive Verhaltensweise" 190
Bergsons sei - hier rezipiert Adorno die Bergson-Kritik Diltheys 191 unzu-
länglich.
Die Kritik Adornos, Hegel habe das selbsttranszendente Wesen des Begriffs
verkannt, kristallisiert sich in seiner Wendung gegen die Idee einer "Identi-
1Q9
tat von Identität und Nichtidentität" i y i aus.
Indessen beruht diese Kritik offensichtlich auf einer problematischen Prä-
misse: der Reduktion des spekulativen Begriffs auf den abstrakten Allgemein-
begriff. Erst so wird es möglich, als Erkenntnisziel entweder das "Begriffs-
lose, Einzelne und Besondere" oder alternativ den Begriff, das Allgemeine zu
bestimmen und dies dann kritisch gegen Hegel zu wenden.
Diese Voraussetzung widerstreitet jedoch Hegels Begriff des Begriffs 1Q3 :
Allgemeines, sondern als das den Reichtum des Besondern in sich fassende
Allgemeine." [Hegel (103), Bd. I, S. 54]
183 Adorno ( 7 ) , S. 49. Vgl. auch ( 7 ) , S. 19
184 Adorno ( 7 ) , S. 148
185 Vgl. Hegel (103), Bd. l, S. 48 f.; (96), Bd. III, S. 392, § 243
186 Adorno ( 7 ) , S. 20
187 Adorno ( 7 ) , S. 57
188 Adorno ( 7 ) , S. 145
189 Adorno ( 7 ) , S. 24
190 Adorno ( 7 ) , S. 20. Vgl. Adorno (14), S. 54
191 Vgl. Cüppers ( 4 1 ) , S. 97 ff.
192 Adorno ( 7 ) , S. 19
193 Vgl. dazu Hegel (103), Bd. II, S. 245 - 301. Vgl. zur Unterscheidung
32 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Ausdrücklich warnt er davor, das "bloß Gemeinschaftliche" der abstrakten Be-


griffe, die er nicht anders als Adorno als "bloße Schemen und Schatten" cha-
rakterisiert, mit dem "wahrhaft Allgemeinen" des spekulativen Begriffs zu ver-
wechseln - ein Irrtum, den Hegel dem "Standpunkt des Gefühls"
194 zurechnet.
Das, was Adorno als Begriffsloses dem Begriff kontrastiert, das Einzelne und
Besondere, ist genau das, was Hegels spekulativer Begriff als konkret Allge-
meines (zumindest dem Anspruch nach) umfaßt und in der unendlichen Bewegung
des Systems zu erfüllen sucht.
Die Vorstellungen aber, die Adorno ausschließlich als Begriffe versteht,
sind für Hegel "(...) Abstraktionen, die vom Begriffe nur das Moment der A l l -
gemeinheit nehmen und die Besonderheit und Einzelheit weglassen, so nicht an
ihnen entwickelt sind und damit gerade vom Begriff abstrahieren."
Anders ausgedrückt: Nur indem Adorno die Idee einer Identität der Identität
und Nichtidentität auf die einer Identität der Nichtidentität verkürzt, kann
er überhaupt sinnvoll die "Nichtidentität von Besonderem und Begriff" be-
tonen, die Idee einer Nichtidentität der Identität und Nichtidentität konzi-
pieren.
Diese Idee läßt Adorno das wahre Erkennen als ein Enthüllen deuten. Indes-
sen g i l t , was Ritzel kritisch darlegt: "Das Erkennen als ein Enthüllen - so
stellte es die Aufklärung dar; der durch Kant initiierten philosophischen Be-
wegung ergab sich, daß es mit der Enthüllung nicht getan ist: das Enthüllte
muß ins rechte Licht gerückt werden, ins Licht der Idee. Nichts charakteri-
siert Adorno besser, als daß er 1 s mit der E n t h ü l l u n g gut sein läßt und der
1Q7
Idee entraten w i l l " ' .
3. Die Festschreibung eines enthüllenden Erkennens in Absetzung zur Konzep-
tion eines systematisch bestimmenden Erkennens impliziert Adornos Kritik an
der Systemidee. Diese Kritik verweist auf Einflüsse Kierkegaards und Nietz-
sches, der in dem " W i l l e ( n ) zum System" einen "Mangel an Rechtschaffenheit"
198
erblickt.
zwischen dem spekulativen Begriff und dem abstrakten Allgemeinbegriff:
Hegel (96), Bd. I, S. 53, § 9. Da Adorno diese Differenz verkennt, ist
sein Vergleich zwischen Gesellschaft und Geist falschi "Der Vergleich
von Gesellschaft und Geist, wie ihn Hegel versteht, ist problematisch,
weil die Allgemeinheit des Geistes seinem Begriff nach konkret sein
soll" [Tichy ( 2 7 7 ) , S. 46].
194 Hegel ( 9 6 ) , Bd. I, S. 312
195 Hegel ( 9 6 ) , Bd. I, S. 315
196 Adorno ( 7 ) , S. 149
197 Ritzel ( 2 3 6 ) , S. 261
198 Nietzsche (204), S. 946. Vgl. dazu Adorno (14), S. 181 f, S. 35 f
Absetzung der negativen von der positiven Dialektik 33

Die negative Dialektik w i l l das Besondere nicht mit dem Allgemeinen identi-
fizieren, sondern "die vom Allgemeinen diktierte Differenz des Besonderen vom
Allgemeinen" 1QQ entfalten. Die Dialektik, die als Ausdruck ihrer Selbsttrans-
zendenz und Berücksichtigung des Nichtidentischen wesentlich durch das Moment
des Widerspruchs gekennzeichnet sei , solle nicht wie bei Hegel positiv wer-
den, indem sie das Negative im Begriff der Totalität aufhebe und damit der ab-
strakten Vernunft w i l l f ä h r i g sei: "Das Negierte ist negativ, bis es verging.
Das trennt uns entscheidend von Hegel. Den dialektischen Widerspruch, Aus-
druck des unauflöslich Nichtidentischen, wiederum durch Identität glätten
heißt soviel wie ignorieren, was er besagt, in reines Konsequenzdenken sich
zurückbegeben." 201 Eine solche Glättung habe in der Aufstellung philosophi-
scher Systeme statt, denen Adorno eine "Logik des Zerfalls" 202 entgegensetzt.
Die Hegeische Bestimmung des Wahren als des Ganzen203 sei zu korrigieren:
"Das Ganze ist das Unwahre." 204 Da das "Telos der Philosophie" 2 0 5 das Nicht-
identische sei, widerstreite diese dem Anspruch des Systems.
Eine Analyse hat zwischen a) Adornos Einwänden, b) der Konsequenz einer Ab-
lehnung des Systemgedankens und c) seiner mangelnden Konsistenz im Denken
Adornos zu unterscheiden.
a) Des näheren ist zwischen zwei Einwänden Adornos zu differenzieren:
aa) Die Divergenz von wahrer Philosophie und System ergebe sich aus seinem
206
antinomischen Charakter und "notwendigen Widersinn". Dieser bestehe in der
Unvereinbarkeit von "System und Dynamik" 207 , der "Antinomie von Totalität und
199 Adorno ( 7 ) , S. 18
200 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 17
201 Adorno ( 7 ) , S. 162. Vgl. ( 7 ) , S. 145. Beyer erkennt hier zu Recht eine
auch Marx zuwiderlaufende Dialektikkonzeption Adornos [vgl. Beyer ( 3 2 ) ,
S. 175]. Vgl. auch Clemenz (39), S. 189 f. Zur Marxschen Dialektikkonzep-
tion besonders in Absetzung zur Hegeischen vgl. Lenk (169).
202 Adorno ( 7 ) , S. 148
203 Vgl. Hegel (98), S. 24
204 Adorno ( 6 ) , Aphorismus Nr. 29. Vgl. ( 7 ) , S. 145; (13), S. 270; (14), S.
324 f. Schwerlich handelt es sich hier um einen "Fortschritt der Erkennt-
nis" [Grenz (80), S. 133], wie Grenz meint, beruht doch dieser "Fort-
schritt" auf der Umdeutung des Wahren als des Ganzen in die des Ganzen
(Grenz: "der gesellschaftlichen Praxis") als des Wahren. Ahnlich auch
Willms (286), S. 71 f . Lindner bezieht Adornos These vom unwahren Ganzen
nicht nur auf Hegel, sondern auch auf Lukäcs [vgl. Lindner (173), S. 282].
Fetscher hingegen sieht mit dieser These " ( . . . ) den Gegensatz Marx - He-
gel auf den prägnanten Begriff gebracht." [Fetscher (59), S. 259] Vgl.
auch Liebrucks (171).
205 Adorno ( 7 ) , S. 31
206 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 32
207 Adorno ( 7 ) , S. 38
34 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Unendlichkeit" 2 0 8 , d.h. Offenheit für das Nichtidentische: "Soll das System


tatsächlich geschlossen sein, nichts außerhalb seines Bannkreises dulden,
so wird es, sei es noch so dynamisch konzipiert, als positive Unendlichkeit
209
endlich, statisch. (...) Geschlossene Systeme müssen (...) fertig sein."
Dieser Argumentation liegt indessen eine Verzerrung des systemgedankens
zugrunde: Zunächst ist an das von H. Rickert konzipierte "Ideal eines offe-
nen Systems" zu erinnern, "(...) das noch Platz für wissenschaftliche Erga'n-
zungen und Vervollständigungen läßt." ?10 Auch bedeutet die von Hegel präten-
dierte Geschlossenheit seines Systems nicht, daß es die unendliche Fülle des
Besonderen in sich entfaltet haben müßte, diesem gegenüber ^erschlossen wä-
re. Hegels Anspruch einer Vollständigkeit seines Systems beschränkt sich auf
die der wesentlichen Prinzipien. Daneben räumt er sehr wohl - was Adorno
leugnet 211 - ein begrifflich nicht ableitbares Zufälliges und Besonderes ein
und faßt es systematisch als "Ohnmacht der Natur"712 . Zu erinnern ist hier
an die Krugsche Schreibfeder. Das Ansinnen, "(...) von dem Begriffe zu
verlangen, er solle dergleichen Zufälligkeiten begreifen - und, wie es ge-
nannt worden, konstruieren, deduzieren" , lehnt Hegel allerdings ab.
Der überzogenen Systemvorstellung Adornos entspricht aufs genaueste, daß
er in den Fällen, in denen er das Nichtidentische berücksichtigt vermeint,
ein eigentliches System leugnen muß. In diesem Sinne spricht er der Kanti-
?15
sehen Philosophie nur bedingt systematischen Charakter zu. Gleichfalls
sieht er sich dazu genötigt, bei Marx den Entwurf eines Systems zu leugnen,
diesem einen "ironischen und gebrochenen Charakter" Zlß zu attestieren.
bb) Dem zweiten Einwand Adornos zufolge wird das Nichtidentische durch die
Konstituierung eines Systems l i q u i d i e r t , weil dieses nur für allgemeine Be-
Stimmungen ausreiche, "virtuell alle qualitativen Bestimmungen" 217 negiere,
das Besondere "in seinen allgemeineren Oberbegriff" 218 verflüchtige.

208 Adorno ( 7 ) , S. 37
209 Adorno ( 7 ) , S. 37 f
210 Rickert (226), S. 54
211 Vgl. Adorno (12), S. 289
212 Hegel ( 9 6 ) , Bd. II, S. 34 f, § 250. Zum Problem des Zufalls in der He-
gelschen Philosophie vgl. Henrich ( 1 1 2 ) , bes. S. 159
213 Vgl. Hegel ( 1 0 2 ) , S. 194 - 197; (96), Bd. 11, S. 35 Anm., § 250
214 Hegel (96), Bd. II, S. 35, § 250
215 Vgl. Adorno (13), S. 228 f
216 Adorno (11), S. 264
217 Adorno ( 7 ) , S. 32
218 Adorno ( 7 ) , S. 39
Absetzung der negativen von der positiven Dialektik 35

Dieses Argument kann jedoch mit nicht weniger Recht in sein Gegenteil ver-
kehrt werden: Gerade weil die Einheit des Systems zunächst nur auf allgemeine
Bestimmungen ( P r i n z i p i e n ) bezogen ist, läßt es das Nichtidentische frei, for-
dert dies geradezu.
So verlangt nach Kant die Ableitung der "Mannigfaltigkeit" der Dinge von
den "Grundeigenschaften",deren systematische Einheit er postuliert,eine "neh-
219
rare Bestimmung" . Von hierher fordert er weiter ein "Gesetz der Spezifika-
tion", um die "Einfalt" des Systems durch seine "Ausbreitung" regulativ zu
ergänzen. Dieses Prinzip legt dem Verstande a u f , " ( . . . ) unter jeder Art, die
uns vorkommt, Unterarten, und zu jeder Verschiedenheit kleinere Verschieden-
heiten zu suchen." ?20 Adornos Forderung nach einer Berücksichtigung des Be-
sonderen ist also in der Kantischen Systemidee, die von Hegel weiterentwik-
kelt wird, positiv aufgehoben.
Die Einwände treffen damit nicht den Systemgedanken, sondern lediglich sei-
ne Karikatur. Nicht im System selbst liegt es begründet, wenn es die "(...)
221
Darstellungsform einer Totalität, der nichts extern bleibt" , wird, sondern
a l l e n f a l l s im überzogenen Anspruch eines verblendeten Systematikers, dem He-
gel (entsprechend dem Kantischen "Gesetz der Spezifikation") durch die Be-
222
Stimmung der Idee als "wesentlich Prozeß" vorzubeugen sucht.
b) Die Konsequenz der Ablehnung des Systemgedankens besteht darin, daß ohne
Anstrengung zum System der dem Nichtidentischen zukommende Wahrheitswert nicht
ausgemacht werden kann. Das jeweils Besondere besitzt immer nur einen relati-
ven Mahrheitswert, der außer mit Blick auf das Ganze, die Idee, nicht ange-
messen beurteilt werden kann. 223 Ohne Beziehung auf die entweder regulativ
(Kant) oder konstitutiv (Hegel) gedeutete Idee verharrt das Nichtidentische
nicht nur in Zufälligkeit, sondern in absoluter Zufälligkeit: Es bleibt ten-
denziell qualitätslos und damit nichtig, weil seine Qualitäten nicht ausrei-
chend bestimmt werden können. Mit Kants Worten: Die Verstandeserkenntnis
904.
bleibt derart "bloß ein zufälliges Aggregat" und ermangelt eines "probier-
225
steinfs; der Wahrheit der Regeln" .

Der skizzierten Gefahr scheint Adorno vorzubeugen, indem er den Systemge-


219 Kant ( 1 4 7 ) , B 680
220 Kant ( 1 4 7 ) , B 683
221 Adorno ( 7 ) , S. 35
222 Hegel (96), Bd. III, S. 372, § 215. Vgl. (103), Bd. II, S. 267 f
223 Vgl. Kant ( 1 4 7 ) , B 860
224 Kant ( 1 4 7 ) , B 673
225 Kant ( 1 4 7 ) , B 675
36 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

danken durch die Konzeption eines "Ensemble von Modellanalysen" ersetzt:


"Die Forderung nach Verbindlichkeit ohne System ist die nach Denkmodellen.
(...) Das Modell t r i f f t das Spezifische, ohne es in seinen allgemeineren
opc
Oberbegriff zu verflüchtigen."
Indessen verzerrt dieser Einwand nicht nur den Systemgedanken und auch ver-
schiebt er nicht nur das dargelegte Problem (zu einer Kontingenz des Modells),
sondern er bestätigt gerade unsere Überlegungen: die positive Aufhebung des
Adornoschen Interesses in der von Kant ausgehenden Bewegung: Die Forderung,
das "Spezifische" im "Modell" zu treffen, wird (bis in die Wortwahl hinein)
durch Kants "Gesetz der Spezifikation" erfüllt und durch die Prinzipien der
?27
"Homogenität" und "Kontinuität" im Rahmen einer Systemidee erweitert.
c) Mit der Ablehnung des Systemgedankens aber unvereinbar ist es, wenn
Adorno z.B. dem Mathematiker vorwirft, "sein 'Sachgebiet 1 als Moment des
ppQ
Ganzen" nicht zu bestimmen. Ist das Wahre also doch das Ganze l
Die Zurückweisung des Systemgedankens ist also nicht nur a) unzulänglich
begründet und b) in ihrer Konsequenz problematisch, sondern auch c) im Den-
ken Adornos inkonsistent.
Damit ist nun das Prinzip der negativen Dialektik ex negative bestimmt
worden, indem es hinsichtlich 1. der Intention von Philosophie, 2. der Deu-
tung des Wesens des Begriffs und 3. der Stellung zum System von der speku-
lativen Dialektik Hegels abgesetzt worden ist. Im folgenden ist das alter-
native Denkmittel Adornos positiv zu konkretisieren.

2.3.2 Positive Konkretisierung der negativen Dialektik:


Ihre Hauptkategorien

Die negative D i a l e k t i k soll "die vom Allgemeinen diktierte Differenz des Be-
sonderen vom Allgemeinen" 229 entfalten. Zur Kennzeichnung des alternativen
Denkverfahrens verwendet Adorno die Begriffe Konstellation, Mimesis, Aus-
druck, Darstellung u.a., die als Kategorien der negativen Dialektik betrach-
tet werden können. Zunächst sind diese Kategorien zu erläutern. Im Anschluß
ist Adornos Forderung nach einem "Mehr an Subjekt" 230 zu prüfen, weil dieses

226 Adorno ( 7 ) , S. 39
227 Kant (147), B 686
228 Adorno ( 1 4 ) , S. 62
229 Adorno ( 7 ) , S. 18
230 Adorno ( 7 ) , S. 50
Positive Konkretisierung der negativen D i a l e k t i k 37

Theorem die Kategorien und ihr problematisches Verhältnis zueinander Begrün-


den sol 1.
1. Wie oben dargelegt soll im Erkenntnisvollzug keineswegs auf Begriffe
verzichtet werden; nur gelte es, sie anders zu verwenden. Die herrschende
Logik bemühe sich, mittels eines identifizierend-subsumierenden Verfahrens,
das dem des Stufengangs vergleichbar sei, das Nichtidentische zu erkennen.
Dieser Konstruktionsvorgang sei durch den einer "Konstellation" abzulösen,
in der das " ( . . . ) einigende Moment überlebt, ohne Negation der Negation, doch
auch ohne der Abstraktion als oberstem Prinzip sich zu überantworten" 231 .
Die Konstellation, hinsichtlich derer sich Adorno mit Kierkegaard einig
pop
weiß , sei der Versuch, " ( . . . ) durch die Versammlung von Begriffen um den
gesuchten auszudrücken, worauf er geht, anstatt ihn für operative Zwecke zu
umreißen." Daher werde der Konstellation das Darstellungsmoment wesent-
lich: Die "Darstellung" diene " ( . . . ) der Intention des Begriffs, das Gemeinte
?1
ganz auszudrücken." Sie sei der Idee der Philosophie "immanent" .
Kritisch zu fragen ist jedoch, ob nicht das Zentrum der Konstellation schon
begrifflich fixiert sein muß, da andernfalls dem Verfahren ein Auswahlprinzip
fehlt. Muß ich nicht schon einen Begriff von der auszudrückenden Sache haben,
um die adäquaten Begriffe mittels der Konstellation angemessen um dieselbe
zentrieren zu können ? 236
Das fehlende Auswahlprinzip wird bei Adorno durch das "mimetische Moment"
vertreten, einer von ihm nur vage bestimmten "Wahlverwandtschaft von Erken-
nendem und Erkanntem"237 . Mimesis, dieses aller Philosophie, aber nicht nur
ihr wesentliche "ästhetische Moment" 238,sei das subjektive Vermögen, auf die
Sache (nicht den Begriff der Sache) zu reagieren. In der menschheitsgeschicht
lieh vorherrschend gewordenen "Konzeption rationaler Erkenntnis" sei dieses
231 Adorno ( 7 ) , S. 62, 164
232 Vgl. Adorno ( 3 ) , S. 132. Vgl. zum Begriff der Konstellation auch Rath
(223), S. 97 - 102
233 Adorno ( 7 ) , S. 168. Vgl. ( 1 4 ) , S. 342; (10), S. 55
234 Adorno ( 7 ) , S. 164. Vgl. auch (10), S. 56, 63. Vgl. zur Problematik die-
ser These Düver ( 5 2 ) , S. 108 ff
235 Adorno ( 7 ) , S. 29. Vgl. auch ( 5 ) , S. 606
236 Ritzel (236), S. 257
237 Adorno ( 7 ) , S. 55. Zum Verhältnis von Adornos Mimesis-Begriff zum tradi-
tionellen vgl. Bubner (36), S. 124. Zu Adornos ästhetischem Mimesis-Be-
griff in Absetzung zu Lukäcs vgl. Kliche (161), S. 234 - 243. Zum Doppel-
charakter von Adornos Mimesis-Bestimmung als einerseits "Anschmiegung",
andererseits "Instrument der Beherrschung der Objekte" vgl. Lüdke C178),
S. 426
238 Adorno ( 7 ) , S. 26
38 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Vermögen auf ein bloßes "Tasten nach jener Konkordanz" zurückgedrängt worden:
"Wäre dies Moment gänzlich getilgt, so würde ( . . . ) die losgelassene ( d . h . von
der Sache losgelassene, B.) Rationalität irrational" 239 und Erkenntnis durch
den "absolut" vollzogenen "Bruch von Subjekt und Objekt (...) unmöglich" .
Um dieser Gefahr zu begegnen, sei das verschüttete mimetische Vermögen zu
reaktivieren.
Dabei stellt Adorno durchaus in Rechnung, daß so der Erkenntnis ein nicht
auszutilgendes Moment an "Zufälligkeit" eigen werde. Weit davon entfernt,
dies verbannen zu wollen, erblickt er in ihm "das kritische Moment" 242 , das
die Philosophie gegen die Vorherrschaft partikularer Vernunft im Szientismus
und sog. positivistischen Wissenschaftsbetrieb erneuern müsse.
Das von Adorno im "Gegensatz zum üblichen Wissenschaftsideal" geforderte
"Mehr an Subjekt" 243 (Mimesis, "unmittelbare Erfahrung") bedarf seines Erach-
tens aber auch des komplementären Moments: Erkenntnismäßige Differenziertheit
werde erst durch die beiden Komponenten des subjektiv-mimetischen Reaktions-
vermögens und des objektiv-logischen "Organ(s) fürs Verhältnis von Genus,
Species und differentia specifica" 244 erreicht. Mittels der Mimesis bemüht
sich Adorno dem Anspruch des Besonderen zu genügen, mittels der logischen Be-
grifflichkeit dem des Allgemeinen.
Diesem Verhältnis entspricht die für die Philosophie geforderte Synthese
von subjektivem "Ausdruck" und objektiver "Stringenz" . Durch die Verabso-
lutierung des Ausdrucksmoments gleite das Denken in bloße "Weltanschauung"
ab, durch die ausschließliche Orientierung an dem Ideal von Stringenz entarte
es - dies konvergiert mit der Auffassung Heideggers - zur positivistischen
"Wissenschaft". Ausdruck und Stringenz " ( . . . ) bedürfen einander, keines ist
ohne das andere" 248 .
239 Adorno ( 7 ) , S. 55. Vgl. ( D , S. 489
240 Adorno ( 1 4 ) , S. 148 Anm.
241 Adorno ( 7 ) , S. 55
242 Adorno ( 7 ) , S. 55
243 Adorno ( 7 ) , S. 50. Vgl. ( 7 ) , S. 54, 57, 173, 189; (10), S. 82
244 Adorno ( 7 ) , S. 55. Vgl. (10), S. 91 £. Zur Spaltung des Bewußtseins in
mimetische und begriffliche Tätigkeit vgl. Adorno (10), S. 81
245 Adorno ( 7 ) , S. 29
246 Adorno ( 7 ) , S. 29. Vgl. ( 1 0 ) , S. 92, 118 - 121
247 Vgl. Heidegger (106), S. 133. Vgl. zur unterschiedlichen Motivation der
konvergierenden Wissenschaftskritik bei Adorno und Heidegger: Horchen
(197), S. 518. Vgl. zur Kritik der "Behauptung der Wissenschaft als der
einzig möglichen Erkenntnisform" auch Horkheimer (119), S. 86 - 89.
248 Adorno ( 7 ) , S. 29. Andererseits kennt Adorno auch den Begriff einer "em-
phatische (n) Wissenschaft?1 [Adorno ( 1 2 ) , S. 299], der nicht unter sein
Positive Konkretisierung der negativen Dialektik 39

Der Versuch Adornos indessen, seine Idee von Philosophie vor ihrer Auflö-
sung in Weltanschauung zu bewahren, kann schwerlich beanspruchen, ernsthaft
diskutiert zu werden: Bemüht sich Dilthey noch, den Relativismus der Weltan-
schauungen in einer als "Philosophie der Philosophie" konzipierten "Weltan-
schauungslehre" 249 zu überwinden, so hat Adorno den Ausweg bei der Hand, der
Weltanschauung die Forderung nach "Stringenz" als Moment zur Seite zu stel-
len, damit jene keine mehr sei. Weiterhin ist nicht nur zu fragen, wie Mime-
sis und Logik, Subjektivität und Objektivität, Ausdruck und Stringenz in ih-
rem Zusammenspiel zu denken sind, sondern insbesondere, weshalb philosophi-
sche Stringenz nach Ausdruck verlangen soll.
2. Den Versuch, diese Frage zu beantworten und damit seine Idee von eigent-
licher Philosophie zu begründen, stellt Adornos Theorem eines geforderten
250
"Mehr an Subjekt" bzw. die Kritik der "Residualtheorie der Wahrheit" dar.

a) Ein "Mehr an Subjekt" verlangt Adorno insbesondere für die Philosophie,


die er nicht allein in einen "Gegensatz zu den positiven", sondern "auch zu
251
den Geisteswissenschaften" rückt. Der These, daß die Philosophie nicht
"der Wissenschaft angeglichen" 252 werden dürfe, entspricht die einer anderen
Stellung des Subjekts in ihr als "in den objektivierten und objektivierenden
Einzelwissenschaften" 253 . Das mimetische Ausdrucksmoment in seiner implizier-
ten "Affinität zur Kunst" werde konstitutiv. Hinter dem Ausdruck stehe der
"Ausdrucksdrang des Subjekts", den Adorno näher bestimmt als "(...) Bedürf-
255
nis, Leiden beredt werden zu lassen" , um " ( . . . ) den Schmerz in das Medium
256
des Begriffs zu übersetzen." Dabei handle es sich jedoch nicht um ein
"Leiden" an bloß individuell persönlichen Problemen. Vielmehr sei das, was
das Subjekt " ( . . . ) als sein Subjektivstes erfährt, sein Ausdruck, (...) ob-
jektiv vermittelt." 257 Stehe also hinter dem "Ausdruck" der "Ausdrucksdrang",
so antworte dieser wiederum objektiven Verhältnissen, die der abstrakt be-
sein Verdikt fällt. M. Puder greift in seinem Buch 'Kant. Stringenz und
Ausdruck' das Motiv der Einheit von Stringenz und Ausdruck auf und belegt
dadurch unfreiwillig, wohin der Versuch führt, auf Kosten des polemisch
verworfenen "Stringenzideals" [Puder ( 2 1 9 ) , S. 11] dem Ausdrucksdrang
stattzugeben.
249 Vgl. Dilthey (50)
250 Adorno ( 1 2 ) , S. 211 u.ö.
251 Adorno ( 1 0 ) , S. 80
252 Adorno ( 7 ) , S. 29
253 Adorno (10), S. 82
254 Adorno (10), S. 87
255 Adorno ( 7 ) , S. 29
256 Adorno ( 1 0 ) , S. 83
257 Adorno ( 7 ) , S. 29
40 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

grifflichen Erkenntnis nicht zugänglich seien: "Leiden, auf den Begriff ge-
bracht, bleibt stumm und konsequenzlos"
258 . Von hierher wird dann für Ador-
no die Kunst zum "Bewußtsein von Nöten" 259
Die K r i t i k der "Residualtheorie der Wahrheit" hat nun die systematische
Funktion, das Ausdrucksmoment erkenntniskritisch abzusichern. Die Argumenta-
tion läßt sich wie folgt rekonstruieren: Aufgrund ihrer Unangemessenheit an
das nichtidentische besondere Objekt implizierten die vom Subjekt verwendeten
allgemeinen Begriffe eine Versubjektivierung der Erkenntnis: Das Objekt in
seiner qualitativen Totalität werde durch die quantifizierenden Begriffe ver-
stellt. Es sei gerade auf die "subjektiven Reaktionsweisen"260 , das mime-
tisch-unbegriffliche Verhalten angewiesen, denn: "Sich dem Objekt überlas-
sen", es nicht durch Begriffe zurichten, "(...) ist soviel wie dessen quali-
tativen Momenten gerecht werden." 261 Demnach seien Kunstwerke "weniger sub-
jektiv als die diskursive Erkenntnis" und zwar gerade "durch die Freiheit des
OCO
Subjekts in ihnen." Diesen Überlegungen aber widerspreche "(...) jener Re-
sidualbegriff der Wahrheit, den alle bürgerliche Philosophie, mit Ausnahme
von Hegel und Nietzsche, gemeinsam hat. Wahrheit erscheint diesem Denken
als das, was 'übrig bleibt', nachdem man (...) das weggelassen hat, was
schließlich in der Vulgärsprache dem dem Positivistnus überantworteten Wissen-
263
schaft die 'subjektiven Faktoren 1 heißt." Gerade auch "im Bereich der so-
genannten Gesellschaftswissenschaften" bedürfe eine fruchtbare Erkenntnis
nicht der "Ausschaltung des Subjekts", sondern "dessen höchster Anstrengung",
"all seine(r) Innervationen und Erfahrungen" . Die an dem "Residualbegriff"
von Wahrheit ausgerichtete Erkenntnis sei nämlich subjektiv, weil das zu sei-
ner adäquaten Erkenntnis auf das ganze Subjekt angewiesene Objekt nur par-
tiell erfaßt werde. "In schroffem Gegensatz zum üblichen Wissenschaftsideal"
verlange deshalb "die Objektivität dialektischer Erkenntnis nicht eines Weni-
pc C
ger sondern eines Mehr an Subjekt" . Durch diese Aktualisierung des ganzen
Subjekts zur Aufnahme des Objekts in seiner qualitativen Totalität arbeite
das "erfahrene Subjekt" darauf hin, in dem Objekt "zu verschwinden" .
266

258 Adorno ( 1 ) , S. 35
259 Adorno (1), S. 35. Vgl. zu diesem Topoe des "Bewußtseins von Nöten",
den Adorno irrtümlich Hegel zuspricht: Trabant (278).
260 Adorno ( 7 ) , S. 57
261 Adorno ( 7 ) , S. 53
262 Adorno ( 1 ) , S. 191
263 Adorno ( 1 4 ) , S. 76 f
264 Adorno (14), S. 256. Vgl. ( 1 2 ) , S. 211
265 Adorno ( 7 ) , S. 50. Vgl. ( 7 ) , S. 172 £
266 Adorno ( 7 ) , S. 189 f
Positive Konkretisierung der negativen Dialektik 41

Der Kern der Argumentation kann auf folgenden Syllogismus reduziert werden:
Maior: Erkenntnis strebt Objektivität an.
Minor: Die Objektivität wird durch die diskursive Erkenntnis aufgrund
ihrer subjektiven Begriffe verstellt.
Conclusio: Objektive Erkenntnis verlangt die Oberwindung der diskursiven
Erkenntnis.
b) Die Argumentation stellt offensichtlich eine quaternio terminorum dar,
weil die Begriffe objektiv bzw. subjektiv äquivok sind: Ein "Mehr an Subjekt"
kann zwar unter Umständen das Objekt umfassender aufnehmen als es dem quanti-
fizierenden Verfahren einer rein begrifflichen und abstrahierenden, an allge-
meinen Gesetzen interessierten Erkenntnis möglich ist. Jedoch ist eine Er-
kenntnis noch nicht dann wahrer, wenn quantitativ mehr Objektives erfaßt
wird, sondern sie kann erst wahr genannt werden, wenn das Objektive auch ob-
jektiv erfaßt wird. Dem steht aber das geforderte "Mehr an Subjekt" dann ent-
gegen, wenn das Subjektive bloß subjektiv ist. Die K r i t i k der "Residualtheo-
rie" verwechselt also eine Erkenntnis das Objektiven mit einer objektiven Er-
kenntnis, eine ontologische mit einer geltungstheoretischen Frage.

Motivgeschichtlich betrachtet verweist diese irrtümliche Kritik der "Resi-


dualtheorie" auf Nietzsches Theorie des perspektivischen Erkennens: "(...)
und je mehr Affekte wir über eine Sache zu Wort kommen lassen, je mehr Augen
(...) wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird
/*fi7
unser 'Begriff dieser Sache, unsere Objektivität 1 sein." Das sachlich
zugrundeliegende Problem konkretisiert Dilthey dann im Rahmen einer Begrün-
dung der Geisteswissenschaften zu der Frage, ob und wie "(...) das Verständ-
nis des Singulären zur Allgemeingültigkeit erhoben werden kann" 268 . Dieses
Problem indessen umgeht Adorno durch die Ausnutzung einer doppelten Äquivo-
kation.
Damit reduziert sich seine K r i t i k der "Residualtheorie" auf den Appell,
bei der Feststellung objektiver Gültigkeit nicht zu vergessen, daß das Ob-
jekt nicht in den Aussagen aufgeht, die mit streng objektiver Gültigkeit ge-
troffen werden können. Dies ist jedoch (genauso wie das Problem vom Allge-
meinen und Besonderen) weniger ein Problem der Philosophie als der Psycholo-
gie. Entsprechend argumentiert Adorno teilweise psychologist!seh: Die Ver-

267 Nietzsche ,(209), S. 861


268 Dilthey (47), S. 317
42 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

treter des als bürgerlich (?) und positivistisch (?) verworfenen Wissen-
schaftsideals wendeten sich gegen das "Mehr an Subjekt", weil das dadurch
geforderte Moment "philosophischer Erfahrung" das "Vorrecht" einiger weniger
"Individuen" sei; sie argumentierten, es "(...) als Bedingung von Erkenntnis
zu verlangen, sei elitär und undemokratisch." 26Q
Indessen geht es lediglich darum, die Auffassung eines Mehrs an Objektivem
(durch ein "Mehr an Subjekt") nicht mit der objektiveren Auffassung dieses
Objektiven zu verwechseln, die qualitative Gültigkeit der Erkenntnis nicht
an der Quantität des Rezipierten zu messen.
Zudem erliegt Adorno im Gegenzug der Gefahr, ein neues einseitiges Wahr-
heitsideal aufzurichten, wenn er als "Bedingung aller Wahrheit" das mit dem
"Ausdrucksdrang des Subjekts" verbundene "Bedürfnis" bestimmt, " ( . . . ) Leiden
270
beredt werden zu lassen."
Wendet man aber ein, Adorno fordere doch ebenso "Stringenz", das fragliche
Bedürfnis sei nur "Bedingung aller Wahrheit", so ändert dies nichts an der
Tatsache, daß das Ausdrucksmoment erkenntniskritisch nicht abgesichert ist.
Vielmehr bestätigt der Hinweis auf die Notwendigkeit von Stringenz, daß der
subjektive Ausdruck nur nach Maßgabe derselben Geltung beanspruchen kann -
solange Adorno nicht überzeugend nachzuweisen vermag, inwiefern die Stringenz
nach dem Ausdrucksmoment verlangt.
Diese Überlegungen berühren notwendig die oben angedeutete These Adornos
?71
einer "Affinität der Philosophie zur K u n s t 1 " ' .

2.3.3 Das Verhältnis von negativer Dialektik zur Kunst

Die Bestimmung wahrer philosophischer Erkenntnis als Einheit von Begriff und
Mimesis, Stringenz und Ausdruck, führt auf die These eines dialektischen
Verhältnisses von Philosophie und Kunst. Des näheren ist zu unterscheiden
zwischen 1. dem Verweisungscharakter von Philosophie auf Kunst, 2. dem von
Kunst auf Philosophie und 3. ihrem Wechsel Verhältnis selbst.
1. Da nach Adorno Philosophie - wobei nun der traditionelle und nicht der
geforderte, mit der Kunst in ihrem Wahrheitsgehalt konvergierende 272 - Be-

269 Adorno ( 7 ) , S. 50 f
270 Adorno ( 7 ) , S. 29.(Hervorhebung B.)
271 Adorno ( 7 ) , S. 26. Vgl. ( 1 0 ) , S. 87
272 Vgl. Adorno ( 1 ) , S. 197; ( 1 ) , S. 507. Vgl. auch Grenz (81), S. 120 f.
Das Verhältnis der negativen D i a l e k t i k zur Kunst 43

griff von Philosophie zugrundegelegt wird - "nur Begriffe zur Verfügung hat"
und insofern an einer "idealistischen Vorentscheidung" 273 leidet, bedarf sie
der Korrektur. Diese Aufgabe f a l l e der Kunst zu: "Kunst berichtigt die be-
griffliche Erkenntnis, weil sie, abgespalten, vollbringt, was jene von der un-
bildlichen Subjekt-Objekt-Relation vergebens erwartet: daß durch subjektive
Leistung ein Objektives sich enthüllt. Jene Leistung vertagt sie nicht ins
Unendliche. Sie verlangt sie ihrer eigenen Endlichkeit ab, um den Preis ih-
rer Scheinhaftigkeit." 2 7 4
Im Gegensatz zur erkennend-begrifflichen Herrschaft ergreife die Kunst in
der Funktion "bewußtloser Geschichtsschreibung", als "Anamnesis des Unterlege-
O7C
nen, Verdrängten, vielleicht Möglichen" die "Partei für die unterdrückte
Natur" 276 - und zwar sowohl für die in- als auch auswendige. Dies sei möglich,
weil sich die Kunst im Unterschied zur bisherigen Geschichte qua Naturge-
schichte "von den Zwecken der Selbsterhaltung" ?77 lossage. Schlage Aufklärung
durch ihre einseitig selbstvergessene Ausrichtung am begrifflich faßbaren
Allgemeinen "in Mythologie zurück" ?7R , so halte Kunst "der Aufklärung (genau-
er: ihrer Intention, B.) die T r e u 279
e " . Dabei wirke sie zwar nicht unmittel-
bar praktisch, wohl aber mittelbar, indem sie an das nicht mit dem Begriff
pon
Identifizierbare erinnere. Kunst diene derart dem Telos der "Versöhnung",
und zwar - hier weist sich Adorno als Vertreter der Moderne aus - durch die
281
"unversöhnliche Absage an den Schein von Versöhnung" im Bestehenden.
Ist die Philosophie in ihrer traditionellen Konzeption wesentlich auf
Stringenz verpflichtet, so erblickt Adorno im "Ausdruck" ein wesentliches
ooo
"Moment von Kunst", das "qualitativ dem Begriff konträr" sei. Kunst ist
?R3
für ihn in Umdeutung der Kantischen Bestimmung des Schönen ( a l s eines
?fi4
"ohne Begriff allgemein" Gefallenden) begrifflose Erkenntnis. Der sich
nicht a b b i l d l i c h , sondern "mimetisch" 2R5 verhaltende Ausdruck offenbare die

273 Adorno (1) , S. 382


274 Adorno ( 1 ) , S. 173
275 Adorno (1), S. 384
276 Adorno ( 1 ) , S. 428. Vgl. ( 1 ) , S. 198
277 Adorno ( 1 ) , S. 103
278 Adorno ( 2 ) , S. 16
279 Adorno ( 1 ) , S. 130
280 Adorno ( 1 ) , S. 359 f
281 Adorno ( 1 ) , S. 55
282 Adorno ( 1 ) , S. 170
283 Vgl. dazu Zenk ( 2 9 0 ) , S. 100 f
284 Kant (148), S. 219
285 Adorno ( 1 ) , S. 169
44 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

"Unwahrheit des gesellschaftlichen Zustandes"


2. Diene die Kunst derart als Korrektiv der Philosophie (insofern diese
als rein begrifflich-identifizierende Erkenntnisform verstanden wird), so sei
umgekehrt die Kunst auch auf die Philosophie angewiesen: "Jedes Kunstwerk be-
darf, um ganz erfahren werden zu können, des Gedankens und damit der Philoso-
phie, die nichts anderes ist als der Gedanke, der sich nicht abbremsen
läßt." 287 Eine "volle Erfahrung" sei erst dann gegeben, wenn sie nicht nur
das fehlbare "Moment" des "ErlebnisUes)" beinhalte, sondern auch mit dem
"Urteil über das urteilslose Werk" abschließe, zu dem "Entscheidung" und "Be-
griff" gehörten. 288 Das Verstehen künstlerischer Produkte sei "eins mit Kri-
tik": "Die Fähigkeit des Verstehens" sei "(...) keine andere als die, wahr
und falsch (...) zu unterscheiden, wie sehr auch diese Unterscheidung abwei-
000
chen muß vom Verfahren der gewöhnlichen Logik." Die Differenz zu diesem
liege darin, daß nicht "unter den abstrakten Begriff" subsumiert werde. Die
Ästhetik sei vielmehr an solche Begriffe gebunden, " ( . . . ) deren Telos das Be-
290
sondere ist." Dies verweist genau auf die konstellative Methode einer so-
genannten wahren, am Nichtidentischen interessierten Philosophie.
3. Philosophie und Kunst seien derart wechselseitig aufeinander angewiesen.
Beide zielten zwar auf das Nichtidentische, jedoch von verschiedenen, für sich
genommen einseitigen und daher ergänzungsbedürftigen Seiten: die Philosophie
mittels Begriff und Stringenz, die Kunst mittels Mimesis und Ausdruck. Beide
stimmten a l s o " ( . . . ) nicht in Form oder gestaltendem Verfahren, sondern in ei-
291
ner Verhaltensweise, welche Pseudomorphose verbietet" , überein. Philosophie
und Kunst erreichten jedoch nicht unabhängig voneinander, sondern nur in ge-
meinsamer Anstrengung ihr Ziel. Dabei bringe die eine Seite genau das der an-
deren zur Erfüllung der Aufgabe abgehende Moment ein - denn: "Unverhüllt ist
das Wahre der diskursiven Erkenntnis, aber dafür hat sie es nicht; die Er-
292
kenntnis, welche Kunst ist, hat es, aber als ein ihr Inkommensurables."
Das heißt: Zufolge ihrer bewußt angewendeten Begrifflichkeit sei der Phi-
losophie das Wahre "unverhüllt", zugleich aber habe "sie es nicht", weil es
286 Adorno ( 1 ) , S. 353
287 Adorno (1) , S. 391. Vgl. ( 1 ) , S. 113
288 Adorno ( 1 ) , S. 364. Vgl. auch den Versuch, verschiedene "Stufen der
ästhetischen Erfahrung" herauszuarbeiten: Fontaine (69), S. 5 5 - 6 3
289 Adorno ( 1 ) , S. 391
290 Adorno ( 1 ) , S. 521
291 Adorno ( 7 ) , S. 26
292 Adorno ( 1 ) , S. 191. Vgl. auch ( 1 ) , S. 87. Zur wechselseitigen Angewieeen-
heit von Kunst und Philosophie vgl. auch Scheible (245), S. 102 ff
Das Verhältnis der negativen Dialektik zur Kunst 45

ihr entgleite, insofern die begriffliche Bestimmung einseitig identifizie-


rend sei. Demgegenüber habe die Kunst zwar aufgrund ihrer Begriffslosigkeit
2Q3
als "fortlebende Mimesis" das "Wahre", aber eben "als ein ihr Inkommen-
surables", weil sie es nicht bestimmen könne, so daß es ihr verhüllt sei:
Sie sei lediglich "bewußtlose Geschichtsschreibung" 294 .
Damit steht entsprechend des (irrtümlich) konstruierten Paradoxons der
Philosophie, "(...) über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen" 295 ,
die Kunst vor der von Adorno wie folgt bezeichneten Schwierigkeit: "In ihrer
Bewegung auf Wahrheit hin bedürfen die Kunstwerke eben des Begriffs, den sie
um ihrer Wahrheit willen von sich fernhalten." 296
Zusammengefaßt bedeutet dies: Kunst und Philosophie treffen sich in ihrer
Bemühung um das Nichtidentische (konvergieren in ihrem Wahrheitsgehalt),
schließen sich aber notwendig aus (weil sie sich konträrer Methoden bedie-
nen), sind jedoch auch aufeinander angewiesen (weil jede Methode für sich
einseitig ist).
Diese Konzeption ist indessen (abgesehen von der problematischen Deutung
begrifflicher Erkenntnis) in dreierlei Hinsicht fragwürdig:
a) Die erste Schwierigkeit deckt sich mit der oben bezeichneten in Ador-
nos Idee einer wahren Philosophie, der das "ästhetische Moment" 297 wesent-
lich sei:
Wenn aa) die Idee einer wahren Philosophie aufgrund ihrer divergierenden
Momente problematisch ist, und bb) diese Momente sich auf Kunst und Philoso-
phie (in ihrem traditionellen Begriff) beziehen lassen, dann ist cc) die ge-
forderte Einheit von Kunst und Philosophie ebenfalls fragwürdig. Das Problem,
wie die Einheit von Mimesis und Begriff, Ausdruck und Stringenz in der Idee
einer wahren Philosophie zu denken ist, bezeichnet also genau die Schwierig-
keit im Verhältnis von Kunst und Philosophie.
b) Das Problem aber, weshalb die Forderung nach Stringenz die nach Aus-
druck impliziert, ist dem parallel, weshalb Philosophie auf Kunst angewie-
sen ist. Auch hier steht die Kritik der "Residualtheorie der Wahrheit" im

293 Adorno (1), S. 86


294 Adorno (1), S. 384 (Hervorhebung B . ) . Vgl. ( 1 ) , S. 272
295 Adorno (7), S. 27
296 Adorno (1), S. 201. Vgl. ( 1 ) , S. 521
297 Adorno (7), S. 26
46 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Zentrum der Argumentation, wenn Adorno feststellt: Die Philosophie bedürfe


gerade um ihrer Objektivität w i l l e n der Kunst, weil die "Kunstwerke (...),
durch die Freiheit des Subjekts in ihnen, weniger subjektiv als die diskur-
sive Erkenntnis" 298 seien. Das Argument gegen die Deutung der "Objektivität
von Kunstwerken" als "Residualbestimmung" und zugunsten des "betrachtende(n)
Subjekt(s), in seiner Fehlbarkeit und Schwäche", ist keineswegs "durchschla-
gend", wie vorgegeben wird: " ( . . . ) sonst wäre der Kunstfremde, der Banause,
der als beziehungslose tabula rasa das Kunstwerk auf sich wirken läßt, der
Qualifizierteste es zu verstehen und zu beurteilen; der Unmusikalischste der
beste Kritiker von Musik." 2 9 9
Keiner dürfte bestreiten, daß das Verstehen von Kunstwerken ein ausgebil-
detes subjektives Sensorium erfordert, daß ohne dieses "keine Objektivität
sichtbar" wird. Indessen geht es gar nicht darum: Entscheidend ist nicht,
daß "Objektivität sichtbar" wird, sondern daß sie objektiv "sichtbar" wird.
c) Zum dritten ist Adornos Konzeption aporetisah: Wenn die Kunstwerke "we-
niger subjektiv als die diskursive Erkenntnis sind", Theorie in diesem Sinne
ästhetisch werden muß, dann widerspricht diese These ihrer eigenen Voraus-
setzung - ist es doch nicht die Kunst, sondern die Theorie, die diese These
aufstellt und für sie objektive Wahrheit beansprucht. R. Bubner formuliert
das Dilemma wie folgt: "Die Philosophie verbirgt vor sich selber, daß sie es
war, deren Interpretationsleistung Kunst erst in den Rang der Gleichberech-
3 1
tigung erhob." g i Dieses systematische Problem läßt sich auf die geistesge-
schichtliche Bewegung des deutschen Idealismus projizieren und bezeichnet
3D?
dann den Fortschritt Hegels gegenüber Sehe!ling , dem Theoretiker der Ro-
mantik. Die Kritische Theorie Adornos fordert zwar nachdrücklich die Selbst-
besinnung; indessen fehlt ihr die Besinnung auf ihre eigenen Voraussetzun-
gen.
Zur positiven Konkretisierung der Kategorien der negativen D i a l e k t i k ist
zusammenfassend festzuhalten: Adorno konzipiert seine alternative Denkmetho-
de wesentlich als Einheit von Ausdruck und Stringenz, Mimesis und Begriff
vermittels der Idee der Konstellation. Dieser fehlt jedoch nicht nur ein
Auswahlprinzip, sondern es bleibt auch offen, wie die Einheit der divergie-
renden Momente zu denken ist. Die Frage, weshalb die Forderung nach Stringenz
298 Adorno ( 1 ) , S. 191
299 Adorno ( 1 ) , S. 260 f
300 Adorno ( 1 ) , S. 261
301 Bubner (36) , S. 133
302 Über die Beziehung Adornos zu Schelling vgl. Figal (67), S. 99 ff
Das Problem der Negativität 47

die nach Ausdruck impliziert, versucht Adorno durch die Kritik der "Residual-
theorie der Wahrheit" zu begründen. Das zentrale Argument enthüllt sich je-
doch als quaternio terminorum, die durch eine doppelte Äquivokation verdeckt
ist. Dieser problematischen Bestimmung der Kategorien der negativen Dialektik
entspricht die behauptete Affinität wahrer Philosophie zur Kunst: Weder kann
Adorno zeigen, wie der Fluchtpunkt einer ästhetisch-philosophischen Einheit
zu denken ist, noch kann er überzeugend begründen, weshalb die Philosophie
im Interesse ihrer Objektivität der Kunst bedarf. Zudem verstrickt er sich
in eine Aporie, die die mangelnde Selbstbesinnung seiner Idee einer "Kriti-
schen Theorie" belegt.

2.3.4 Das doppelte Scheitern der negativen Dialektik

Nach dieser kritischen Darstellung der Kategorien der negativen Dialektik und
ihrer Beziehung zur Kunst muß das Prinzip salbst betrachtet werden. Die nega-
tive Dialektik wolle das erfassen, was außerhalb des Begriffs liege, sie sei
folglich, obwohl (auch) Bewegung des Begriffs,dieselbe transzendierend. We-
sentliches Konstitutionsmoment der negativen Dialektik sei also ihre Selbst-
transzendenz. Reduziere sich Dialektik wie bei Hegel auf die bloße Selbstbe-
wegung des Begriffs und entarte sie auf diese Weise zur bloßen Methode ,
so sei negative Dialektik mehr: nämlich auch eine reale Kategorie. Dialektik
soll einerseits keine bloße Methode sein, d.h. sich nicht nur im Denken ab-
spielen, sondern über es hinausgehen, weil Denken immer Denken von etwas sei;
andererseits soll sie aber keine bloß reale Kategorie sein, da Widersprüch-
lichkeit als Wesenszug von Dialektik eine Reflexionskategorie, also an das
Denken gebunden sei. Paradox formuliert: Adornos Begriff der negativen
Dialektik ist kein Begriff.
Bei einer kritischen Betrachtung d'ieses alternativen Denkmittels ist zwi-
schen seinen beiden Bestandteilen: Negativität und Dialektik zu unterscheiden.

2.3.4.1 Das Problem der Negativität

Die Bestimmung Adornos, Dialektik sei keine bloße Methode, bezeichnet .den
Ansatzpunkt für die Herausarbeitung einer prinzipiellen Verlegenheit seiner
Theorie: die fehlende Legitimation der Negativität der negativen D i a l e k t i k ,
303 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 148
304 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 148. Vgl. (11), S. -215. Dialektik ist nach Adorno
48 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

d.h. ihr Unvermögen, Individualität (Nichtidentität) als Wert zu begründen.


Die Kritische Theorie Adornos beansprucht,Selbstbesinnung des begrifflichen
Denkens zu sein. Erst die negative Dialektik werde der Tatsache gerecht, daß
Denken immer auch Denken von etwas sei, daß es im Wesen des Begriffs liege,
auf Nichtidentisches gerichtet zu sein: "Denken widerspräche schon seinem
eigenen Begriff ohne G e d a c h t e s " . "In Wahrheit gehen alle Begriffe, auch
die philosophischen, auf Nichtbegriffliches" . Aufgrund dieser Selbsttrans-
zendenz des Begriffs kann Adorno schreiben: "Als er selbst ist er gar nicht
nur er selbst." 307
Diese Begriffstheorie ist aber schon im Ansatz fragwürdig, weil nicht Be-
griffe auf Nichtbegriffliches "gehen", sondern vielmehr das erkennende Sub-
jekt sich mittels Begriffen auf Nichtbegriffliches bezieht. Diese Unterschla-
gung des Subjekts ist allerdings von Adorno insofern konsequent, als er die
Existenz von Subjektivität leugnet.
Ebenfalls ist diese Theorie mehrfach problematisch, wenn Adorno über die
Konstruktion eines immanenten Widerspruchs des abstrakt Allgemeinen das Be-
sondere und Nichtidentische indirekt zu begründen versucht 30fi : "Indem der Be-
griff sich als mit sich unidentisch und in sich bewegt erfährt, führt er,
nicht länger bloß er selber, auf sein nach Hegelscher Terminologie Anderes,
ohne es aufzusaugen."309 Durch die Selbstreflexion seines Widerparts soll
also das Besondere vor der Eliminierung bewahrt werden.
Diese These, die an Hegels Herr-und-Knecht-Problematik erinnert, beruht
auf mehreren, nicht offen gelegten Prämissen:
1. Zunächst ist vorausgesetzt, daß der Begriff, die Identität, zur eigenen
Bedingung seiner Möglichkeit des ihm Anderen notwendig bedarf. In diesem Sin-
ne formuliert Adorno einen Widerspruch der abstrakten Identität: "Identitäts-
denken war die Geschichte hindurch ein Tödliches, das alles Verschlingende.
(...) Die Identität jedoch, die mit nichts mehr identisch wäre als mit sich
selber, vernichtet sich selbst; geht sie gar nicht mehr auf ein Anderes, ist
weder ein methodisches noch ein ontologisches Prinzip: vgl. Adorno (14),
S. 258. Vgl. auch die Kritik Müller-Strömdörfera: "Adornos Dialektik will
keine Methodologie und keine Ontologie sein und zahlt dafür den Preis,
beides zu sein." [Müller-Strömsdröfer (198), S. 100]
305 Adorno ( 7 ) , S. 139. Vgl. (11), S. 139
306 Adorno ( 7 ) , S. 23. Vgl. ( 5 ) , S. 466
307 Adorno ( 7 ) , S. 159
308 Eine Reproduktion des "Widerspruchs" des abstrakt Allgemeinen findet sich
bei Tichy ( 2 7 7 ) , S. 77 - 83.
309 Adorno ( 7 ) , S. 159
Das Problem der Negativität 49

sie nicht Identität von etwas, so ist sie, wie Hegel durchschaute, überhaupt
nicht." 3 1 0
Die Folgerung ist voreilig: Wenn a) Identität immer Identität von etwas ist,
und b) die Identität das ihr Andere liquidiert hat, sie nur noch mit sich
selbst identisch ist, kann man c) nicht schließen, daß sie sich selbst voll-
kommen vernichtet: Sie gibt sich nur als Identität auf und verändert sich
q u a l i t a t i v , aber sie ist dann nicht "überhaupt nicht". Auch dies hat Hegel
durchschaut.
Entsprechendes g i l t für die Argumentation h i n s i c h t l i c h einer Selbstvernich-
tung des abstrakt Allgemeinen: "Das Allgemeine, von welchem das Besondere wie
von einem Folterinstrument zusammengepreßt wird, bis es zersplittert, arbei-
tet gegen sich selbst, weil es seine Substanz hat am Leben des Besonderen;
311
ohne es sinkt es zur abstrakten, getrennten und tilgbaren Form herab."
Diese These ist insofern nicht überzeugend, als durch die Unterdrückung
des Besonderen zwar das Allgemeine gegen sich selbst arbeiten mag, aber nur
gegen sich als Allgemeines. Solcherart sinkt es auch nicht zur "tilgbaren
Form herab", weil es, wenn es den Charakter des Allgemeinen, ebenso den der
Form aufgibt, und dies wiederum - was entscheidend ist - nicht, weil es als
bloße Form nichtig wird, sondern weil es selbst zum Inhalt geworden ist.
Durch die Liquidierung des Besonderen sinkt das Allgemeine nicht zum bloß
Allgemeinen, Nichtigen herab, sondern es wird zum Absoluten, und durch diese
Steigerung verliert es den Charakter des Nur-Allgemeinen. Das Allgemeine be-
darf des Besonderen lediglich, soweit es ein Nur-All gemeines ist und noch
nicht total geworden ist. Dies hat Anwendung auf die Problematik des Begriffs:
Angenommen der Begriff erkennt seinen Verweisungscharakter, weil er nur als
Begreifender sinnvoll gedacht werden kann, so bedeutet das zwar, daß er eines
Nichtbegrifflichen bedarf, aber nicht, daß er dieses als Anderes und von ihm
Verschiedenes achten muß. Der Begriff ist auf das Andere angewiesen, da er
andernfalls leer wäre; aber er ist nicht auf das Andere als Anderes angewie-

310 Adorno ( 7 ) , S. 506


311 Adorno ( 7 ) , S. 339. Zufolge F. W. Schmidt i.st " ( . . . ) diese Dialektik
( . . . ) an den sich bekämpfenden Machtapparaten des Faschismus gewonnen,
einer Totalität, die in der Tat mit den Individuen ihre eigene Existenz
zerstörte." [Schmidt (255), S. 61] Dabei bezeichnet er genau die von uns
abstrakt herausgestellte Problematik im Konkreten: So wie das Allgemeine
sich durch seine absolute Steigerung nur als Allgemeines negiert, indem
es total wird, so gilt im gesellschaftlichen Bereich: "Inzwischen hat
der Kapitalismus gelernt, das 'Besondere' so zu traktieren, daß diesem
seine Verwertung als Karriere erscheint." (ebd.)
50 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

sen. Das heißt: Das Andere muß außer den unter dem Begriff subsumierten Ei-
genschaften nicht noch weitere Qualitäten besitzen und erst recht nicht vom
Begriff in diesen anerkannt werden. Bedarf der Begriff als ein Allgemeines
eines Nichtbegrifflichen, so muß dieses nicht als nicht-subsumierbares Be-
sonderes qualifiziert sein. Kann der Begriff vielmehr das Nichtbegriffliche
vollkommen "aufsaugen", so erreicht er seine Vollendung, weil er in diesem
Falle angemessen ist. Aus dem Verweisungscharakter des Begriffs folgt ledig-
lich, daß das Verwiesene nichtbegrifflich sein muß. Die Selbsterkenntnis des
Begriffs als eines notwendig Verweisenden impliziert also nicht, daß er auf
sein Anderes führt, " ( . . . ) ohne es aufzusaugen" , insofern dies heißen
soll, daß das Andere als ein Besonderes in seinen nicht-subsumierbaren Eigen-
schaften berücksichtigt wird. Der Versuch, das Nichtidentische indirekt mit-
tels einer Analyse des Begriffscharakters zu legitimieren, scheitert also an
der fehlenden Unterscheidung zwischen Nichtbegrifflichem und Besonderem
Nichtbegriffl icheai.
Die Ursache für diesen Fehler ist vermutlich in einer sprachlichen Ungenau-
igkeit zu sehen. Der Begriff fordert ein Nichtbegriffliches (maior), der Be-
griff ist das Allgemeine (minor), also fordert das Allgemeine das Nicht-All-
gemeine, d.h. das Besondere (conclusio). Der Irrtum liegt im minor: Der Be-
griff ist nicht das Allgemeine - dies wäre eine unzulässige Verdinglichung -,
sondern er ist allgemein. Der Träger einer Eigenschaft ist nicht mit der Ei-
genschaft selbst zu verwechseln.
Ähnliches g i l t für folgende These: "Das Verwiesensein von Identität auf
Nichtidentisches (...) ist der Einspruch gegen alle Identitätsphilosophie."
"Identität" steht hier für Allgemeinbegriff, "Nichtidentisches" für Nichtbe-
griffliches. Solange man streng bei diesen Deutungen bleibt, ist gegen die
These nichts einzuwenden - nur: Sie erreicht ihr Beweisziel nicht. Unter der
Hand jedoch wird der ursprünglich rein negativ konzipierte Begriff des Nicht-
identischen qua Nichtidentifizierbaren (Besonderen) umgedeutet. Nur durch
diese Begriffsverschiebung kann es zu einem "Einspruch gegen a l l e Identitäts-
philosophie" kommen. Zufolge der ersten Bedeutung des Nichtidentischen be-
darf der Begriff eines mit ihm Nicht-Identischen. Das heißt aber nicht, daß
das Nichtidentische in dieser Bedeutung noch andere Merkmale besitzen muß
außer dem, nichtbegrifflich (nicht-identisch = nicht mit dem Begriff iden-
tisch) zu sein. Hieraus folgt jedoch kein Argument gegen die Identitäts-
312 Adorno ( 7 ) , S. 159
313 Adorno ( 7 ) , S. 126 f
Das Problem der Negativität 51

Philosophie. Ein solches fordert vielmehr, daß das Nicht-Identische zugleich


ein Besonderes und Nichtidentifizierbares ist. Erst jetzt scheitert die Iden-
titätsphilosophie insofern, als die Subsumtion (Identifikation) nicht voll-
kommen sein kann.
(Genau genommen verlangt das Beweisziel noch einen weiteren Schritt: Aus
dem Scheitern der Identitätsphilosophie resultiert nicht zugleich seine Be-
rechtigung, die notwendig wäre, um dasselbe als "Einspruch gegen alle Iden-
titätsphilosophie" zu deuten.)
Als erstes Ergebnis ist festzuhalten: Der Versuch, Nichtidentität durch die
Konstruktion eines immanenten Widerspruch des abstrakt Allgemeinen, durch den
Hinweis auf das Wesen des Begriffs zu begründen, setzt Nichtbegriffliches und
besonderes Nichtbegriffliches gleich. Verdeckt wird dies durch die Ausnutzung
verschiedener Äquivokationen.
2. Zugunsten der intendierten Legitimation des Nichtidentischen muß ein
zweiter nicht gedeckter Schritt vollzogen werden: Es soll nicht nur die Not-
wendigkeit eines besonderen Nichtbegrifflichen, sondern seine notwendige Rea-
lität bewiesen werden. Wenn im Begriff des Denkens ein Gedachtes involviert
ist, heißt das nicht zugleich, daß das Gedachte auch real sein muß. Diese
Differenz verkennt Adorno: "Denken widerspräche schon seinem eigenen Begriff
ohne Gedachtes und dies Gedachte deutet vorweg auf Seiendes, wie es vom ab-
soluten Denken doch erst gesetzt werden soll." Nehmen wir als Gedachtes
einen Kentauren, so folgt daraus nicht, daß er auf einen seienden Kentauren
verweist. Zu erinnern ist hier auch an Kants Widerlegung des ontologischen
Gottesbeweises.
3. Des weiteren: Angenommen, der Begriff verweise wesensmäßig auf ein be-
sonderes Nichtbegriffliches und dieses müsse notwendig auf Seiendes deuten,
so heißt das immer noch nicht, daß das Nichtidentische auch anerkannt werden
soll. Aus der Analyse des Faktischen (Wesen des Begriffs bzw. Widerspruch des
abstrakt Allgemeinen) kann unmöglich ein Sollensanspruch und ein Wertpostu-
lat herausdestilliert werden.
Die scheinbar so einfache Antwort auf die Frage, weshalb der Begriff und
das Abstrakt-Allgemeine ihr Anderes nicht eliminieren sollen - weil sie des
Anderen bedürfen, um selbst zu sein -, verschiebt lediglich das Problem.
Denn nun muß nach der Rechtfertigung des Begriffs und Abstrakt-Allgemeinen
gefragt werden, um die Sollensdimension einzuholen.
314 Adorno ( 7 ) , S. 139. Vgl. (8), S. 17
52 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

4. Adornos Schwierigkeiten spitzen sich damit auf ein Paradoxon zu: Ur-
sprünglich sollte das Recht des Besonderen und Individuellen begründet wer-
den. Nun aber zeigt sich, daß in Adornos Argumentation der Begriff, das A l l -
gemeine, legitimiert ist und deshalb auch das Nichtbegriffliche, Besondere,
Individualität ist also bei Adorno - wenn überhaupt - nur als Mittel des
Allgemeinen gerechtfertigt. Dies verweist auf die Legitimationsfrage seiner
Philosophie: Wie begründet sie - will sie nicht in einen irrationalen Intui-
tionismus münden - die Forderung, das Nichtidentische gelten zu lassen?
Dieses Sollen, diese verlangte Umkehr der Richtung des Begriffs (und ana-
log des gesellschaftlichen Abstrakt-Allgemeinen) läßt sich nicht aus der
bloßen Erkenntnis der Unterdrückung des Metalogischen ableiten, so wie aus
einem Scheitern der Identitätsphilosophie nicht folgt, daß sie nicht sein
soll. Der Versuch, die Dimension des Seins zu der des Sollens zu erhöhen,
der zudem das Individuelle mediatisiert, ist die Kehrseite dessen, daß für
Adorno a l l e moralischen Bestimmungen (der idealistischen Ethik) aus der
" ( . . . ) Materie herausgepreßt" 316 sind.
5. Die Ursache für diesen Fehler ist in der Auflösung von Geltung in Gene-
sis, des quid iuris in das quid facti zu suchen. Und dieser Reduktion (derzu-
folge Bewußtsein auf "abgezweigte Triebenergie 1 317 zurückgeführt wird) liegt
eine schon im Ansatz verfehlte Subjektstheorie zugrunde, die Sich als Empiri-
sierung und Naturalisierung des gesamten Subjekts, als Negation transzenden-
tal begründeter überempirischer Subjektivität umreißen läßt. Die Objektivie-
rung des Subjekts ("Präponderanz des Objekts") involviert den naturalisti-
sehen Fehlschluß 318 , aus der bloßen Tatsache des Nichtidentischen und Indi-
viduellen bzw. ihrer abstrakten Negation die Forderung ihrer Berücksichti-
gung bzw. einer Umkehr der Begriffsrichtung "abzuleiten". Individualität ist
im Rahmen der Philosophie Adornos nicht begründbar, weil ihre Fundierung in
einer angemessenen Subjektstheorie fehlt. Damit wird zugleich der Sollensan-
spruch h i n f ä l l i g : Die Forderung nach Negativität der als alternatives Denk-
mittel vorgeschlagenen negativen Dialektik fällt in eich zusammen.
6. Dies hat Konsequenzen für die Begründungsstruktur der Adornoschen Theo-
rie: Die Legitimationsproblematik impliziert eine petitio

313 Adorno ( 7 ) , S. 126


316 Adorno ( 7 ) , S. 214
317 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 262
318 Vgl. Moore (196), bes. S. 82 ff.
Das Problem der Negativität 53

Adorno w i l l die Individualität retten, aber - und das ist bezeichnend für die
•51Q
von ihm geforderte "reductio hominis" - nicht nur die der Menschen,sondern
auch die der Dinge. So spricht er an einigen Stellen nicht nur jenen, sondern
auch diesen I n d i v i d u a l i t ä t zu320 - ganz im Gegensatz zur gewöhnlichen Auffas-
sung, für die das Ding nur ein Besonderes, jedoch kein Individuelles ist: Dem
entspricht aufs genaueste Adornos Forderung nach einer "Liebe zu den Din-
gen» 321 .
Entscheidend ist allerdings seine Begründung: Eine Mediatisierung der Dinge
sei deshalb abzulehnen, weil eine solche "(...) Humanität abtragen half." 3??
Die Ausweitung des Begriffs der Liebe kann nur unter der Voraussetzung einer
prinzipiellen Wesensgleichheit von Mensch und Natur überzeugen. Eine solche
nimmt Adorno in der Tat an: Der Mensch sei wesentlich Natur, ihr Verhältnis
opo
zueinander sei das der "Affinität" . Das Geistige und die Vernunft seien
lediglich "modifiziert leibhafter Impuls" . Derart ist für Adorno eine Un-
terdrückung der nicht-menschlichen Natur der der menschlichen äquivalent und
hängt mit dieser eng zusammen.
Die Verstrickung dieser Konzeption wird evident: Die Forderung, auch den
Dingen ihre Besonderheit oder gar Individualität zu belassen, sie nicht mit
dem Begriff zu identifizieren (sie nicht nur nach dem abstrakten Tauschwert
zu bemessen), legitimiert sich (- f a l l s überhaupt -) letztlich aus dem Wert
der Menschlichen Individualität und der Affinität zwischen Natur und Mensch.
Die menschliche Individualität aber kann Adorno aufgrund der naturalistischen
Deutung des Menschen, der behaupteten fatalen, weil ursprünglich totalen Affi-
nität nicht begründen. Das jedoch bedeutet - und hier schließt sich die peti-
tio principii -, daß der Wert der dinglichen Besonderheit schon vorausgesetzt
ist. Als Grund müßte sich das menschliche Subjekt in spezifischer Weise von
den Dingen unterscheiden, denn Begründendes und Begründetes dürfen nicht zu-
3?5
sammenfallen. Die Identifizierung des Menschen mit der Natur läßt jedoch
kein Begründungsverhältnis aufkommen. Der Zielpunkt einer grundsätzlichen
Kritik an Adorno kristallisiert sich damit heraus: der Mangel einer überzeu-
genden Subjektstheorie.

319 Adorno ( 7 ) , S. 187


320 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 164
321 Adorno ( 7 ) , S. 191
322 Adorno ( 7 ) , S. 192
323 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 266 f
324 Adorno ( 7 ) , S. 202
325 Vgl. Hegel (103), Bd. II, S. 102 - 109
54 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Als Ergebnis der Überlegungen zur Negativität der negativen Dialektik ist
festzuhalten: Die Schwierigkeiten Adornos, die Negativität des alternativen
Denkmittels zu legitimieren, kulminieren ungeachtet mehrerer argumentativ
nicht gedeckter Schritte in dem Paradoxon, Besonderheit und Individualität
mediatisieren zu müssen. Dies Paradoxon kristallisiert sich in einer zirkulä-
ren Begründungsstruktur aus. Von hierher rückt abermals die Philosophie Kants
als des Begründers eines transzendentalen, empirisch nicht faßbaren Subjekts-
begriffs in das Zentrum des systematischen Interesses.

2.3.4.2 Das Problem der Dialektik

Bevor das Verhältnis von Kritischer Theorie und Kritizismus erläutert werden
kann, ist die zweite Komponente der negativen Dialektik zu prüfen: ihr dia-
lektischer Charakter. Dabei ist zu unterscheiden zwischen 1. Adornos Dialek-
tikverstandnis, 2. seiner Begründung des dialektischen Wesens der alternati-
ven Denkweise und 3. ihrer Konsequenz.
1. Der Dialektikkonzeption sowohl Hegels als auch Adornos ist der Charakter
des Widerspruchs, d . h . die Oberwindung des formallogischen Satzes vom ausge-
schlossenen Widerspruch, gemeinsam. Ist für Aristoteles das Widerspruchs-
prinzip (- "daß dasselbe demselben nicht zugleich und in derselben Hinsicht
[...] zukommen und nicht zukommen kann" -) das "sicherste unter allen Prin-
OOC
zipien" und ist es noch für Kant "ein allgemeines, obzwar negatives Kri-
terium aller Wahrheit" 327 , so erblickt Hegel hingegen im Widerspruch "die
•39Q
rein formale Erscheinung des Absoluten" : "Er ist ( . . . ) nicht bloß als ei-
ne Abnormität zu nehmen, die nur hier und da vorkäme, sondern ist das Nega-
tive in seiner wesenhaften Bestimmung, das P r i n z i p aller Selbstbewegung, die
in nichts weiter besteht als in einer Darstellung desselben." 329 Dialektik
hat sich nach Hegel zwar an das principium contradictionis zu halten, darf
es aber nicht verabsolutieren. Vielmehr muß sie es in der dialektischen Bewe-
gung der bestimmten Negation positiv aufheben. Der Widerspruch ist für
Hegel die "Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit" , so daß er ihn nicht
bloß wie Aristoteles und Kant logisch-kontradiktorisch, sondern auch real-
326 Aristoteles ( 1 6 ) , IV, 3. 1005 b 19 f. Vgl. ( 1 6 ) , IV, 6. 1011
b 13 f
327 Kant ( 1 4 7 ) , B 190
328 Hegel ( 9 5 ) , S. 41
329 Hegel (103), Bd. II, S. 76
330 Hegel (103), Bd. I, S. 35 - 56
331 Hegel (103), Bd. II, S. 75
Das Problem der Dialektik 55
332
konträr faßt. Die Grenze zwischen Widersprüchen einerseits und Gegensät-
zen, Antagonismen etc. andererseits wird damit verwischt.
Die Begriffskonfusion setzt sich vielfach im dialektischen Materialismus
fort. So etwa wenn Marx "Gegensatz" und "Widerspruch" entweder vollkommen syn-
onym verwendet oder diesen als einen "gesteigerte(n)" Gegensatz ver-
335
steht und derart "Widersprüche" der kapitalistischen Produktionsweise dia-
gnostiziert. Entsprechend g i l t als Methode zur Oberwindung von Widersprüchen
nicht nur die logische Analyse, sondern auch die gesellschaftliche System-
veränderung.
Engeis geht dann in seinem 'Antidühring' so weit, den Gegensatz oder Wider-
streit, d.h. "den dialektischen Widerspruch ausdrücklich als logische Kontra-
diktion" zu formulieren.
Nietzsche schließlich bringt einen neuen Aspekt in die Problematik ein. Er
sieht in der Logik kein "Kriterium der Wahrheit", sondern lediglich ein Mit-
tel "zum Zurechtmachen der Welt zu Nützlichkeits-Zwecken (also, ' p r i n z i p i e l l ' ,
zu einer nützlichen Fälschung}" 337 . Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch
wird demnach als "imperativ über das, was als wahr gelten soll", dechiffriert
und als ein Herrschaftsmittel bestimmt, als ein "Mittel zur Setzung und Zu-
• 330
rechtmachung einer Welt, die uns wahr heißen aoil."
Das Dialektikverständnis Adornos nun, der die Undefinierbarkeit seiner Dia-
lektik geradezu zu ihrem definiens erhebt 339 , versammelt die oben bezeichne-
ten Motive. Wie Hegel will Adorno die "Gültigkeit der formalen Logik" nicht
einfach bestreiten oder schlicht " ( . . . ) den Satz vom Widerspruch ausstrei-
chen." Allerdings sei das principium contradictionis nicht zu verabsolu-
tieren. Gleich Marx nimmt er eine "Widersprüchlichkeit" 342 der objektiven
Verhältnisse an und betrachtet - hierin ähnlich Engels - den logischen Wi-

332 Vgl. zur Kritik der Hegeischen Fassung des Widerspruchs Patzig (216) ,
S. 1698.
333 Marx (188), Bd. I, S. 128
334 Marx (188), Bd. I, S. 152. Vgl. auch z.B. (190), S. 533
333 Marx (188), Bd. I, S. 526
336 Simon-Schäfer (266), S. 75
337 Nietzsche (201), S. 726
338 Nietzsche (201), S. 537 f
339 Adorno ( 1 2 ) , S. 288
340 Adorno ( 7 ) , S. 50
341 Adorno (14), S. 309
342 Adorno ( 1 2 ) , S. 297
56 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

derspruch als angemessenen Ausdruck von "realen Antagonismen" . Folglich


darf man nach Adorno "logische Widersprüche" in Sözialwissenschaften "(...)
nicht als bloße Inkonzinnitäten des wissenschaftlichen Denkens wegschaffen,
344
wo sie doch nur durch Veränderung der Realität beseitigt werden könnten."
Entsprechend sei die These vom "Vorrang" der Logik und ihres zentralen Satzes
vom ausgeschlossenen Widerspruch das "Kernstück der positivistischen oder
(...) szientistisehen Auffassung von jeglicher Wissenschaft". Die dialekti-
sche Position hingegen vertrete die "kritische SeTbstreflexion des Primats
der L o g i k " . In der Nachfolge Nietzsches schließlich glaubt er die aus-
schließliche Geltung der logischen Gesetze in "dem Zwangscharakter der Selbst-
erhaltung" begründet. Die verabsolutierte Logik sei "Ideologie" , ihre
"Unangreifbarkeit" d e r "vergeistigt gesellschaftliche B a n n " .
2. Systematisch interessanter als Adornos recht unbestimmtes Verständnis
von D i a l e k t i k ist seine Begründung des dialektischen Charakters der negativen
Dialektik. Er kritisiert a) den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, b) den
Satz vom ausgeschlossenen Dritten.
a) Hegeis Auffassung zufolge verwickelt sich der bloß reflektierende und
trennende Verstand in E r f ü l l u n g seiner unendlichen Aufgabe aufgrund seiner
Endlichkeit zwangsläufig in Widersprüche. Durch die "Einsicht von dem notwen-
3
digen widerstreite der Bestimmungen des Verstandes mit sich selbst" , d.h.
indem der Verstand sich das "Gesetz der Selbstzerstörung" gibt, erhebt er
sich zur spekulativen und unendlichen Vernunft. In Absetzung zu Adorno ist
relevant, daß der Widerspruch sich als Resultat der "elgene(n) Fortbestimmung
des Begriffs" darstellt: "Das, wodurch sich der Begriff selbst weiterleitet,
ist das vorhin angegebene Negative, das er in sich selbst hat; dies macht das
wahrhaft Dialektische aus." Diese Deutung des Widerspruchs gründet in der
352
von Hegel beanspruchten Oberwindung dessen, was er als Bewußtseinsgegensatz
kennzeichnet, des Gegensatzes von Subjektivem und Objektivem, Denken und Sein.
Adorno nun kritisiert gerade diesen identitätsphilosophischen Ansatz und
343 Adorno (12) , S. 308
344 Adorno ( 1 2 ) , S. 305 f
345 Adorno (12) , S. 282
346 Adorno ( 2 ) , S. 47
347 Adorno (12) , S. 310
348 Adorno ( 1 2 ) , S. 302
349 Hegel (103), Bd. I, S. 39
350 Hegel ( 9 5 ) , S. 28
351 Hegel (103), Bd. I, S. 51 (1., 2. und 4. Hervorhebung B.)
352 Vgl. Hegel (103), Bd. I, S. 43
Das Problem der Dialektik 57
verteidigt in diesem Punkt Kant gegen Hegel (indem er das Ding an sich als
Positivum restituiert ). Derart muß er den von ihm reklamierten dialekti-
schen Charakter des alternativen Denkmittels in von Hegel abweichender Weise
deuten und begründen. Dabei lassen sich zwei Argumentationen unterscheiden:
aa) Der Widerspruch resultiert bei Adorno nicht aus der progressiven Selbst-
bestimmung des Begriffs, kann aufgrund der verschiedenen Prämissen gar nicht
daraus folgen, sondern soll sich aus dem von ihm aufrecht erhaltenen Gegensatz
des Begriffs und Nichtbegrifflichen ergeben: "Der Gegensatz des Denkens zu
seinem Heterogenen reproduziert sich im Denken selbst als dessen immanenter
Widerspruch." 3 Diese These ist eindeutig. Jedoch ist zu fragen, weshalb die
Intention, das Nichtidentische vor der Mediatisierung zu bewahren, die Not-
wendigkeit eines Denkens in Widersprüchen, einer negativen Dialektik bedingt.
Der Obergang von Nichtidentität zu Dialektik (in Adornos Sinne) wird ledig-
lich durch die Ausnutzung der Homonymie des Wortes "Widerspruch" möglich. Die-
se läßt sich wie folgt feststellen: Das Nichtidentische widersetze sich der
identifizierenden Verbegrifflichung, es behaupte "Widerstand des Anderen gegen
•iCC
die Identität , d.h. es lege Widerspruch gegen seine restlose Subsumtion
unter das Allgemeine ein: Dialektik " ( . . . ) sagt zunächst nichts weiter, als
daß die Gegenstände in ihrem Begriff nicht aufgehen, daß diese in Widerspruch
geraten mit der hergebrachten Norm der adaequatio." Widerspruch wird also
hier als widerstand verstanden.
Damit ist jedoch nicht die Notwendigkeit des Denkens in Widersprüchen aufge-
wiesen: "Dialektik als Verfahren heißt, um des einmal an der Sache erfahrenen
Widerspruchs willen und gegen ihn in Widersprüchen zu denken." Es gilt,
die Brücke vom Widerspruch qua Widerstand zum Widerspruch qua widersprüchlich-
keit zu schlagen. Weshalb soll das Nichtidentische, das eine eigene Identität
besitzt 358 , nur in widersprüchlichen Bestimmungen adäquat gefaßt sein ? Wieso
soll das Verfahren, das sich dem Nichtidentischen mittels positiver Bestim-
mungen annähert, die immer enger und genauer werden, je näher sie dem zu Be-
stimmenden rücken, schließlich widersprüchlich werden ? Aus einem Widerspruch

353 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 286 Anm.


354 Adorno ( 7 ) , S. 149. Vgl. (10), S. 88; (11), S. 197
355 Adorno ( 7 ) , S. 163
356 Adorno ( 7 ) , S. 16 f
357 Adorno ( 7 ) , S. 143. Sowohl wenig sinnvoll als auch mit dem Text unverein-
bar ist es, wenn H. Kaiser den "dialektische(n) Widerspruch" einfach als
"Differenz zwischen Begriff und Sache" [Kaiser (136), S. 161] bestimmt.
358 Adorno ( 7 ) , S. 164
58 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

(qua Widerstand) des Metalogischen folgt schwerlich seine ausschließliche


Faßbarkeit mittels des Widerspruchs (qua logischer Widersprüchlichkeit) und
damit die Notwendigkeit (obzwar die reine Möglichkeit nicht ausgeschlossen
werden kann) des dialektischen Charakters der gegen die herrschende Denkwei-
se zu entwickelnden Alternative.
bb) Die zweite Argumentation zugunsten der Aufhebung des Satzes vom ausge-
schlossenen Widerspruch spielte im "Positivismusstreit der deutschen Soziolo-
gie" (der vornehmlich zwischen Adorno und Habermas einerseits und Popper und
Albert andererseits in den sechziger Jahren ausgetragen wurde ) eine ent-
scheidende Rolle. Die weitschweifig vorgetragene Argumentation Adornos läßt
sich auf folgenden Syllogismus reduzieren:
Maior: Die Methoden haben sich der Sache anzugleichen.
Minor: Die Sache, d.h. die Gesellschaft, ist widersprüchlich.
Conclusio: Die Methode muß auch widersprüchlich werden, d.h. das principium
362
contradictionis aufheben.
Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht problematisch: Das Postulat
des fiiaior einer Anähnelung der Methoden an die Sache ist einseitig und um die
36?
schon von Schelling ausgesprochene und u.a. von Dilthey, Windelband,
Rickert, Cassirer und Litt fruchtbar gemachte Erkenntnis zu erweitern, daß
die Sache erst durch die Methode konstituiert wird. Der minor verwendet einen
fragwürdigen Begriff des Widerspruchs: Im Interesse begrifflicher Genauigkeit
sollte man statt von gesellschaftlichen Widersprüchen von gesellschaftlichen
Spannungen, Gegensätzen und Antagonismen sprechen. Die condusio schließ-
lich beruht auf einer simplen (in der Literatur über Adorno jedoch häufig
wiederholten ) quaternio terminorum unter Ausnutzung der Mehrdeutigkeit
von Widerspruch. Dieses Ergebnis wird durch den Nachweis 0. Schwemmers be-
stätigt, daß die von Adorno formulierten logischen Widersprüche als vorgeb-
licher Ausdruck widersprüchlicher Verhältnisse lediglich "in widersprüchli-
ehe Form gebrachte Xquivokationen" 366 sind.

359 Vgl. dazu den Sammelband: Adorno u.a. (15)


360 Adorno ( 1 2 ) , S. 552, 557
361 Vgl. Adorno ( 1 2 ) , S. 548, 551 f, 562, 564
362 Vgl. Adorno ( 1 2 ) , S. 305 f, 308, 548 f, 551, 558; ( 8 ) , S. 25
363 Vgl. Schelling (250),' 3. Vorlesung, S. 35; 4. Vorlesung, S. 43
364 Vgl. auch O. Schwemmer, der Adornos Rede von "Widersprüchen in der Sa-
che" als These der "Sinnverkehrungen von Institutionen und Regeln im all-
gemeinen" rational rekonstruiert [Schwemmer ( 2 6 3 ) , S. 276].
365 Vgl. z.B. van Reijen ( 2 2 4 ) , S. 38 f
366 Schwemtner ( 2 6 3 ) , S. 270
Problem der D i a l e k t i k 59

b) Adornos "dialektische" K r i t i k der herrschenden Logik richtet sich nicht


nur gegen das p r i n c i p i u m contradictionis, sondern auch gegen den Satz vom
ausgeschlossenen Dritten. Das zentrale Argument seines Einwandes läßt sich
wie folgt aufschlüsseln:
Maior: Die undialektische Logik eliminiert das Nichtidentische.
Minor: Die undialektische Logik geht wesentlich nach dem Satz vom aus-
geschlossenen Dritten vor.
Conclusio: Die Anerkennung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten verhin-
dert die Berücksichtigung des Nichtidentischen.
Von hierher folgert Adorno dann weiter auf einen dialektischen Charakter
der alternativen Denkweise. Indessen - soll dieser bewiesen werden - so ist
die Argumentation z i r k u l ä r (oder reduziert sich auf die Wiederholung der The-
se), weil der maior das wesentliche demonstrandum enthält. Hinsichtlich der
angestrebten Aufhebung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten aber gilt:
Der minor ist insofern falsch, als - wie R. Simon-Schäfer feststellt - es
Adorno "(...) unbekannt zu sein (scheint), daß der Satz vom ausgeschlossenen
OCQ
Dritten in mehrwertigen Systemen des Aussagenkalküls nicht g i l t . °°Zudem ist
die Vermutung nicht ganz abwegig, daß Adorno den Satz vom ausgeschlossenen
Dritten, den er als "Kern" der undialektischen Logik bezeichnet, mit dem
Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch verwechselt, der gewöhnlich als ober-
stes P r i n z i p angesehen wird. Darauf verweisen ebenfalls die These, daß alles,
was dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten "nicht sich einfügt", die "Signatur
des Widerspruchs" annehme, und die Tatsache, daß Adorno direkt im Anschluß
den "Primat des Widerspruchsprinzips kritisiert. Die condusio schließ-
l i c h beruht auf einer unzulässigen Umkehr eines Implikationsverhältnisses:
Wenn sich die undialektische und (nach Adorno) identifizierende Logik nach
dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten (?) richtet, so bedeutet das nicht,
daß sich alles, was sich nach dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten (?) rich-
tet, der undialektischen und identifizierenden Logik gleichzusetzen ist.
Damit ist zugleich die Möglichkeit einer Logik sichergestellt, die.obzwar
sie den Satz vom ausgeschlossenen Dritten bzw. Widerspruch anerkennt, das In-
dividuelle keineswegs zwangsläufig eliminiert.
3. Von Adornos Dialektikverständnis und seinem Versuch, den notwendig dia-

367 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 17


368 Simon-Schäfer ( 2 6 6 ) , S. 59 Anm.
369 Adorno ( 7 ) , S. 17
370 Adorno ( 7 ) , S. 17
60 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

lektischen Charakter des alternativen Denkmittels zu begründen, ist die Kon-


sequenz zu unterscheiden, die seine Konzeption impliziert: Wird das Wider-
spruchsprinzip nicht mehr als - wie es bei Kant heißt - "ein allgemeines, ob-
zwar negatives Kriterium aller Wahrheit" 371 anerkannt, dann kann Adorno auch
unseren Widerspruch gegenüber seiner Theorie nicht mehr zurückweisen. Er muß
ihn ebenso wie seine Widersprüche als Ausdruck des Nichtidentischen gelten
lassen. Denn: "Der Widerspruch ist das Nichtidentische unter dem Aspekt der
Identität" 372 .
Damit endet die negative Dialektik entweder aporetisch - man braucht sie
nicht mehr zu widerlegen - oder sie muß sich in offenen Mystizismus flüchten
- man kann sie grundsätzlich nicht widerlegen: Das Kriterium von Wahrheit,
d.h. der Rechtsgrund dafür, unseren Widerspruch nicht anzuerkennen, kann nur
noch die "geheime Lichtquelle" sein, ohne die - so Adorno - "(...) die Nega-
373
tive Dialektik nicht zu verstehen (wäre)." Diese Transzendierung zum My-
stizismus aber spiegelt sich genau in der Schwierigkeit, die Einheit der di-
vergierenden Momente von Mimesis und Begriff, Ausdruck und Stringenz, Kunst
und Philosophie zu leisten.
Dies bedeutet zusammenfassend ein doppeltes Scheitern des Prinzips der ne-
gativen D i a l e k t i k als der vorgeblich einzig möglichen legitimen Denkweise:
Adornos Schwierigkeiten, ihre Negativität zu begründen, laufen (- abgesehen
von den Problemen fehlender Unterscheidungen zwischen Nichtbegrifflichem, Be-
sonderem und realem Besonderen und der Ableitung eines Sollens aus dem Sein -)
auf das Paradoxon hinaus, das Individuelle, das gerade gegenüber dem Allge-
meinen wertmäßig ausgezeichnet werden sollte, zu mediatisieren. Das Paradoxon
kristallisiert sich in einer zirkulären BegrUndungsstruktur aus. Adornos Ver-
such, den notwendig dialektischen Charakter der alternativen Denkweise dar-
zulegen, geht nicht nur von einem vagen Dialektikverständnis aus, einem Kon-
glomerat von Hegel, Marx, Engels und Nietzsche, sondern scheitert auch in
seiner Begründung. Diese leidet an einer doppelten Äquivokation (drei Begrif-
fe von Widerspruch), einer quaternio terminorum und der unzulässigen Umkehr
eines Implikationsverhältnisses. In ihrer Konsequenz schließlich endet die
negative Dialektik entweder aporetisch oder transzendiert zum offenen My-
stizismus. Der Versuch, das Eschaton der "Versöhnung" mittels des Prinzips
der negativen Dialektik an Rationalität zu binden, scheitert damit.
371 Kant ( 1 4 7 ) , B 190
372 Adorno ( 7 ) , S. 17
373 So eine mündliche Äußerung Adornos im Frankfurter Seminar am 22.5.1969.
Zitiert nach Holl ( 1 1 6 ) , S. 86, Anm. 382.
2.4 Zusammenfassung der Überlegungen. Adornos Stellung zu Kant und Hegel

1. Das Zentrum der theoretischen Bemühungen Adornos bildet das Problem des
"Nichtidentischen", das sich unter dem Aspekt des Verhältnisses von Allge-
meinem und Besonderem auf seinen abstraktesten Ausdruck bringen läßt. Der
Hauptangriffspunkt liegt dabei in der Vorherrschaft des allgemeinbegriffli-
ehen Denkens, da dieses mittels des Identitätsprinzips das Individuelle eli-
miniere. Der Grund dafür ist jedoch nicht - wie Adorno darzulegen sucht -
logisch-systematischer (doppelter Begriff des Identifizierens), sondern psy-
chologisch-geschichtstheoretischer Natur.
2. Die Geschichtsphilosophie will mittels des Gedankens einer "Dialektik
der Aufklärung" Fortschritt als Regression, Geschichte als Naturgeschichte
dechiffrieren. Dies scheitert jedoch sowohl an formalen (fehlendes Kriterium
für Rationalität bzw. Irrationalität; Aufstellen einer abstrakten Alternati-
ve) als auch inhaltlichen (zwei Fortschritts- und Naturbegriffe) Mängeln.
Näher begreift Adorno die Geschichte unter der Kategorie der entweder mime-
tisch oder Usurpatori seh gedeuteten Selbsterhaltung. Das Herrschaftsmittel
der usurpatorischen Form der Selbsterhaltung sei das begriffliche Denken,
das das Nichtidentische gleichmache. Die vom systematischen Aspekt her for-
mulierte Frage jedoch nach dem Grund der psychologischen Nötigung einer be-
grifflichen Eliminierung des Nichtidentischen bleibt im wesentlichen unbeant-
wortet, weil lediglich auf das abstrakte Erklärungsprinzip einer "radikal
gewordenen, mythischen Angst" verwiesen wird. Zugleich wirft die Geschichts-
philosophie das neue Problem der zugrundeliegenden subjektstheoretischen
Konzeption auf. Von hierher rückt die Philosophie Kants in das Zentrum des
systematischen Interesses.
3. Adornos Versuch, den (der Möglichkeit einer philosophischen Argumenta-
tion sich entziehenden) Zustand der "Versöhnung" zu erreichen, läßt ihn das
Prinzip der negativen Dialektik entwickeln. Als Ausdruck der geforderten
Selbstbesinnung sei diese die einzig legitime Denkweise. Sie differiert von
der positiven D i a l e k t i k Hegels hinsichtlich a) der Intention von Philosophie,
b) der Deutung des Wesens des Begriffs, c) der Stellung zum Systemgedanken.
Adornos Kritik der spekulativen Dialektik ist dabei mehrfach fragwürdig.
Positiv konkretisiert Adorno die negative Dialektik als Einheit der diver-
62 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

gierenden Kategorien von Ausdruck und Stringenz, Mimesis und Begriff mittels
der Idee der Konstellation. Dieser jedoch fehlt nicht nur ein Auswahlprinzip,
sondern es bleibt auch offen, wie die Einheit der verschiedenen Momente zu
denken ist. Die Begründung, weshalb die Forderung nach Stringenz die nach
Ausdruck impliziert, scheitert in der K r i t i k der "Residualtheorie der Wahr-
heit" an einer quaternio terminorum. Dieser problematischen Bestimmung der
Kategorien der negativen Dialektik entspricht die Fragwürdigkeit der behaup-
teten Affinität wahrer Philosophie zur Kunst. Dabei offenbart sich die man-
gelnde Selbstbesinnung der Adornoschen Idee einer "Kritischen Theorie".
Die Überprüfung des Prinzips der negativen Dialektik selbst anhand ihrer
beiden Komponenten zeigt zweierlei: Die Forderung nach Negativität f ä l l t in
sich zusammen, weil Individualität im Rahmen der Philosophie Adornos nicht
zu begründen ist, sogar mediatisiert wird. Es drängt sich die Vermutung a u f ,
daß die Ursache in einer schon im Ansatz verfehlten Subjektstheorie zu suchen
ist. Der Versuch, Individualität mittels der Konstruktion eines Widerspruchs
des Abstrakt-Allgemeinen zu legitimieren, scheitert an mehreren Mängeln.
Die These eines notwendig dialektischen Charakters der alternativen Denk-
weise ist h i n s i c h t l i c h des zugrundeliegenden Dialektikverständnisses, der
Begründung und der Konsequenz problematisch. Die negative Dialektik endet
entweder aporetisch oder mystizistisch. Derart scheitert der Versuch, das
Eschaton der "Versöhnung" an Rationalität als Bedingung zu binden.
Damit führen sowohl die geschichtsphilosophische Problematik als auch die
Schwierigkeiten der Negativität der negativen Dialektik, der Begründungsdimen-
sion der Philosophie Adornos, auf die frage nach dem Subjekt. Von hierher wird
die Philosophie Kants, des Vertreters eines transzendental begründeten, em-
pirisch nicht faßbaren Subjektsbegriffs, systematisch zentral. Mit der Philo-
sophie Kants wird zugleich Adornos Kritik derselben thematisch. Das Verhält-
nis von Kritischer Theorie und Kritizismus Wird relevant.
Die Notwendigkeit, die Beziehung zwischen Kant und Adorno zu betrachten,
folgt jedoch nicht nur aus der Problematik von Besonderem und Allgemeinem,
sondern ebenso aus dem Anspruch Adornos, die Philosophie Kants und Hegels
1*1
in seiner Version einer Kritischen Theorie zu vermitteln. Entgegen dem
orthodoxen Marxismus, der nach Marxens Wort in Hegel "unbedingt das letzte
Wort aller Philosophie" 3 erblickt, bemüht sich Adorno (wie Max Horkhei-
374 Vgl. Holl (116), S. 89; Puder (219), S. 7; Figal (67), bes. S. 107 u.
109 f; Düver ( 5 2 ) , S. 64; Adorno (1), S. 528
375 Marx (187), S. 561 (Brief an Lassalle vom 31.5.1858)
Zusammenfassung 63

mer ), auch den Kritizismus Kants zur Geltung zu bringen.


An Hegel hebt er positiv seine "Widerstände gegen die Verdinglichung und
378
Verabsolutierung von einzelnen Bestimmungen" , seine Erkenntnis der dialek-
tisch vermittelten Einheit von Subjekt und Objekt und die Inhaltlichkeit sei-
nes Philosophierens hervor. 379 Er kritisiert jedoch die Ausweitung seiner Phi-
losophie zu einer Theorie des Absoluten, der das kritische Potential verloren-
gehe, weil sie W i r k l i c h k e i t nur noch als eine prinzipiell vernünftige deuten
38 G
könne : "Hat Hegel, vermöge seiner Kantkritik, das kritische Philosophieren
großartig über das formale Bereich hinaus erweitert, so hat er in eins damit
das oberste kritische Moment, die Kritik an der Totalität, am abschlußhaft
gegebenen Unendlichen eskamotiert. Selbstherrlich hat er dann doch den Block
weggeräumt, jenes fürs Bewußtsein Unauflösliche, an dem Kants transzendenta-
le Philosophie ihre innerste Erfahrung hat, und eine vermöge ihrer Brüche
bruchlose Obereinstimmung der Erkenntnis stipuliert, der etwas vom mythischen
Blendwerk eignet. Die Differenz von Bedingtem und Absolutem hat er wegge-
dacht, dem Bedingten den Schein des Unbedingten verliehen. Damit hat er
381
schließlich doch der Erfahrung Unrecht getan, von der er zehrt."
In der Frage der Nichtidentität und damit des kritischen Potentials komme
OQO
also "Kant gegenüber Hegel zu Ehren" . Trotz einer "wechselseitige(n) Auf-
383
einanderbezogenheit von Subjekt und Objekt" müsse auch an der von Kant her-
ausgestellten "Unterschiedenheit" festgehalten werden, der Unauflöslich-
keit des objektiv Nichtidentischen im subjektiven Begriff. Demgegenüber eli-
miniere in Hegels Totalitätsgedanken das Subjektive die Nichtidentität des
Objektiven. 385
376 Vgl. Skuhra ( 2 6 7 ) , S. 25 ff
377 Vgl. zu Adornos biographischen Hintergründen seiner Kantlektüre schon in
der Schulzeit mit seinem Freund Kracauerj Adorno ( 8 ) , S. 388 f
378 Adorno ( 1 3 ) , S. 164
379 Adorno (11), S. 70
380 Vgl. Adorno ( 1 1 ) , S. 75 ff; ( 1 4 ) , S. 322 f. Hier folgt Adorno einer pro-
blematischen Hegelkritik Marxens: Schon Marx folgerte aus der idealisti-
schen Konzeption von Dialektik [nach der " ( . . . ) der Denkprozeß ( . . . ) der
Demiurg des Wirklichen (ist), das nur seine äußere Erscheinung bildet"
(Marx [188], Bd. I, S. 2 7 ) ] ihre Wirklichkeit verklärende Funktion. Die-
se Kritik scheitert jedoch an Hegels Unterscheidung zwischen "zufälli-
ge(r) Existenz" und "Wirklichkeit" [Hegel ( 9 6 ) , Bd. I, S. 48, § 6], die
auf das bekannte Diktum Bezug nimmt: "Was vernünftig ist, das ist wirk-
lich; und was wirklich ist, das ist vernünftig." [Hegel (97), S. 24]
381 Adorno ( 1 4 ) , S. 323 f
382 Adorno ( 1 3 ) , S. 168. Vgl. Düver ( 5 2 ) , S. 76
383 Adorno ( 1 3 ) , S. 151
384 Adorno (13), S. 152, 263, 274 f
385 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 162; ( 1 4 ) , S. 259, 261
64 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem

Im Prinzip der negativen Dialektik treffen sich beide Momente: Vereinfacht


könnte man sagen, daß die Komponente der Dialektik auf Hegel, die der Negati-
vität auf Kant verweist.
Nachdem oben die Beziehung Adorno - Hegel skizziert worden ist, sol! im
folgenden das Verhältnis zwischen Kant und Adorno, Kritizismus und Kritischer
Theorie erörtert werden. Dabei stellen sich zwei Aufgaben: 1. eine systemati-
sche Rekonstruktion der Kant-Kritik Adornos, 2. ihre Revision. Diese doppelte
Aufgabe wird unter drei Aspekten angegangen: 1. dem erkenntnistheoretischen,
2. dem ethischen, 3. dem subjeJctstheoretischen. Unter sich sind diese drei
Aspekte durch den Nachweis verbunden, daß die erkenntnistheoretische und die
ethische Frage jeweils auf die subjektstheoretische Problematik verweisen.
In dieser liegt auch das Scheitern der Kritischen Theorie und die prinzipiel-
le Überlegenheit des Kantischen Kritizismus begründet.
3 ADORNOS KRITIK DER ERKENNTNISTHEORIE KANTS

Die folgende Rekonstruktion und Revision der Kritik Adornos an der Kantischen
Erkenntnistheorie versteht sich nicht in erster Linie als Beitrag zur Kant-
Forschung, sondern als Kritik der Philosophie Adornos. Allerdings muß auch
auf Schwierigkeiten der Kantischen Epistemologie aufmerksam gemacht werden.
Gemäß seiner Konzeption der abendländischen Geschichte als einer der Unter-
drückung deutet Adorno die Erkenntnistheorie Kants ebenso wie seine Ethik als
Ausdruck von Herrschaft. Dies zeige sich darin, " ( . . . ) daß sie eigentlich nur
am Machtbereich wissenschaftlicher Sätze sich interessiert. Die Einschränkung
der Kantischen Fragestellung auf die organisierte naturwissenschaftliche Er-
fahrung, die Orientierung an der Gültigkeit und der erkenntnistheoretische
Subjektivismus sind derart ineinander, daß das eine ohne das andere nicht
sein könnte. Solange die subjektive Rückfrage die Probe auf Gültigkeit sein
soll, solange sind nicht wissenschaftlich sanktionierte, nämlich nicht-not-
wendige und nicht-allgemeine Erkenntnisse minderwertig ( . . . ) . Innnerhalb des
identifizierenden Ansatzes läßt sich nicht ergänzend nachholen, was jener
dem eigenen Wesen nach eliminiert; a l l e n f a l l s der Ansatz ist aus der Erkennt-
nis seiner Unzulänglichkeit heraus zu entwickeln." Diese "Unzulänglichkeit"
bestehe darin, daß Kant "der lebendigen Erfahrung" nicht "gerecht" werde.
Index der "Falschheit" des Kantischen Ansatzes sei "(...) das Unvermögen,
zu leisten, was er sich vorsetzt, nämlich Erfahrung zu begründen" .
Adornos These, Kant habe die subjektiven Momente und Erkenntnisse aus sei-
ner Theorie "eliminiert", braucht hier nicht erörtert zu werden - sie wider-
spricht 2 den Lehren von den Wahrnehmungsurteilen 3 und der subjektiven Ein-
4
heit . Gleiches g i l t für den Vorwurf, Kants Theorie sei der "lebendigen Er-

1 Adorno ( 7 ) , S. 380
2 Allerdings ist die Integration der Theorie der Wahrnehmungsurteile,wie sie
in den 'Prolegomena1 entworfen ist, in das Ergebnis der transzendentalen
Deduktion problematisch: Nach den 'Prolegomena 1 sind Wahrnehmungsurteile
bloß subjektiv gültige Urteile, die "keines reinen Verstandesbegriffs"
[Kant (151), S. 298] bedürfen. Dies aber widerspricht dem Resultat der
transzendentalen Deduktion, nach dem " ( . . . ) alle Synthesis, wodurch selbst
Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien" [Kant ( 1 4 7 ) , B 161] steht.
Vgl. auch Zocher ( 2 9 1 ) , S. 52 f
3 Vgl. Kant ( 1 5 1 ) , S. 297 - 301
4 Vgl. Kant (147) , B 139 f
66 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

fahrung" inadäquat: Kant w i l l Erfahrungsprinzipien herausarbeiten und weder


eine "Physiologie des menschlichen Verstandes" noch eine "empirische Psy-
chologie" geben. Von Interesse ist dieser Vorwurf lediglich insofern, als
er auf den lebensphilosophischen Hintergrund verweist. Di l they etwa bringt
in Wendung gegen Kant und den Neukantianismus den "Grundgedanke(n)" seiner
Philosophie auf den Ausdruck, " ( . . . ) daß bisher noch niemals die ganze, vol-
le, unverstümmelte Erfahrung dem Philosophieren zugrunde gelegt worden ist,
mithin noch niemals die ganze und volle Wirklichkeit."
Von Bedeutung für das Weitere ist der Anspruch Adornos, in immanenter Kri-
Q

tik dem Idealismus " ( . . . ) seine 'eigene Melodie 1 vorzuspielen." Damit setzt
er einen Maßstab, an dem er gemessen werden w i l l .
Im folgenden ist 1. der Interpretationsansatz Adornos herauszuarbeiten,
2. seine K r i t i k der Kantischen Fragestellung zu überprüfen, 3. die unmittel-
baren Folgen seines Interpretationsansatzes und 4. das Scheitern seiner Dua-
lismuskritik nachzuweisen. Im Anschluß soll 5. auf seine Interpretation der
Transzendentalen Dialektik eingegangen und 6. die entscheidende Bedeutung
der subjektstheoretischen Frage skizziert werden.

5 Kant (147), A IX
6 Kant (151), S. 304
7 Dilthey ( 5 0 ) , S. 171. Vgl. auch Adornos Klage darüber, daß die bisherigen
Erkenntnistheorien "der lebendig vollzogenen Erkenntnis ( . . . ) vielfach un-
angemessen (blieben)" [Adorno ( 1 2 ) , S. 454].
8 Adorno ( 7 ) , S. 183
3.1 Der ontologische Interpretationsansatz Adornos

Allgemein geistesgeschichtlich ordnet Adorno die Erkenntnistheorie Kants in


die neuzeitlichen Bemühungen e i n , die durch den Verlust des theologisch be-
stimmten mittelalterlichen ordo "auseinandergetretenen Bereiche der Subjek-
tivität und Objektivität" 9 wieder zu vereinen. Das Besondere und Neuartige
an Kant bestehe darin, die Objektivität nicht einfach wie die rationalisti-
schen und empiristischen Vorgänger auf Subjektivität zu reduzieren , son-
dern Objektivität "durch Subjektivität hindurch" zu begründen. Dabei ver-
mittle Kant zugleich ansatzweise die beiden Bereiche des Subjektiven und Ob-
jektiven. 12
Die These, Kant versuche " ( . . . ) durch die Analyse von Subjektivität den
Begriff von Objektivität überhaupt zu begründen" , ist zu konkretisieren.
"Rettung der Objektivität" besitzt bei Adorno zwei Bedeutungen, die in ih-
rer Differenz weder festgehalten noch dargelegt werden. Zum einen verwendet
er den Objektivitätsbegriff im Sinne einer "Verbindlichkeit von Erkenntnis"
Damit trifft er die primäre, insbesondere vom Neukantianismus hervorgehobe-
ne Kantische Bedeutung, derzufolge "objektive Gültigkeit und notwendige A l l -
gemeingültigkeit (vor jedermann) Wechsel begriffe" sind. Dem entspricht ei-
ne (interpretativ nicht realisierte) Äußerung Adornos, in der ' K r i t i k der
reinen Vernunft' gehe es primär um die "Frage der Gültigkeit" . Jedoch in
demselben Kontext wird neben dem geltungstheoretischen Objektivitätsbegriff
ein zweiter thematisch, wenn Adorno von ontologischen Momenten ("vor allem
im Ansatz der Kategorien und der reinen Formen" 1ft ) spricht. Dieser ontoiogi-
sehe Objektivitätsbegriff bestimmt Adornos Interpretation entscheidend. 19
In diesem Sinne setzt er "Rettung der Objektivität" mit "Rettung der Onto-
9 Adorno ( 1 3 ) , S. 155
10 Vgl. Adorno (13) , S. 193
11 Adorno ( 1 3 ) , S. 154. Vgl. ( 7 ) , S. 104, 196; ( 1 1 ) , S. 48 f., 57
12 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 155; ( 1 1 ) , S. 50
13 Adorno (13) , S. 193, 199
14 Adorno ( 1 3 ) , S. 154
15 Adorno ( 1 3 ) , S. 197
16 Kant (151), S. 298
17 Adorno ( 1 3 ) , B. 236. Vgl. ( 1 1 ) , S. 49, 131 f.
18 Adorno (13) , S. 236
19 Ebenso beruht Adornos Husserl-Kritik auf einem ontologischen Objektivi-
68 Adornos K r i t i k der Erkenntnistheorie Kants

logie" 20 gleich und redet von einer "Verlegung der Ontologie, der Ordnung des
Seins in die Innerlichkeit" 21 . Das ehemals metaphysisch Transzendente werde
durch die transzendentalen Bedingungen möglicher Erfahrung ersetzt. 22 Die
Kantische Erkenntnistheorie sei metaphysisch, weil sie eine "Wendung ( z ) u m
Subjekt als dem Seinsgrund" darstelle. Damit stehe Kant in der Tradition der
Neuzeit, die die "metaphysische Priorität an das Subjekt zediert hat" 23 . Zwar
erkennt Adorno, daß "Kants Kritik" eine solche "der alten Ontologie" ist,
pr
1
mißversteht sie aber als eine neue, nämlich eine "Bewußtseinsontoiogie .
p/-
Nur konsequent ist es, wenn er in Kant einen Vorläufer Heideggers erblickt.
Dies kommt zwar durchaus der Auffassung Heideggers nahe - insbesondere sei-
ner Kantdeutung in 'Kant und das Problem der Metaphysik' 27 -, schwerlich aber
der Kants, der V i e l m e h r als Überwinder der ontologischen Fragestellung ZU
00
gelten hat . Während nach Heidegger in der ' K r i t i k der reinen Vernunft 1 als
einer (abgebrochenen) Fundamentalontologie die Explikation von Metaphysik
stattfindet, w i l l Kant allererst den Grund von Metaphysik (und nicht bloß der
modernen Naturwissenschaften) legen.
Op
Kant setzt zwar die Transzendentalphilosophie mit der "ontologia gleich,
was für die Auffassung Adornos zu sprechen scheint, jedoch muß diese Äußerung
tätsbegriffs: vgl. Adorno ( 1 4 ) , S. 95. Vgl. zu Adornos Husserl-Kritik
Eley ( 5 6 ) .
20 Adorno ( 1 3 ) , S. 154. Vgl. ( 1 3 ) , S. 194, 197, 199
21 Adorno ( 1 3 ) , S. 202
22 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 153 f, 156
23 Adorno ( 1 3 ) , S. 159. Vgl. ( 1 0 ) , S. 75
24 Adorno ( 9 ) , S. 114 (Hervorhebung, B.)
25 Adorno ( 9 ) , S. 117 (Hervorhebung, B.)
26 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 199 f; ( 1 4 ) , S. 278. Andererseits erkennt Adorno, daß
die "Kritik des Kritizismus" im Sinne der Ontologie des 20. Jahrhunderts
"vorkritisch"[Adorno ( 7 ) , S. 70] ist. Dies hindert ihn aber nicht, die Le-
gitimität des ontologischen Bedürfnisses gegenüber der Kantischen Erkennt-
niskritik zu erklären [vgl. Adorno ( 7 ) , S. 80 f ] . Zur Problematik dieser
These vgl. Düver ( 5 2 ) , S. 81.
27 Vgl. Heidegger ( 1 0 4 ) . Zu Heidegger vgl. Cassirer (38)
28 "Heideggers Fundamental-Ontologie, die in der Auffassung der Sorge als
"Sein des Daseins' gründet, und die in der 'Grundbefindlichkeit der Angst'
eine 'ausgezeichnete Erschlossenheit des Daseins' sieht, mußte alle Be-
griffe Kants, so sehr sie auch ihrem rein logischen Sinn gerecht zu wer-
den suchte, von Anfang an in eine veränderte geistige Atmosphäre verset-
zen und sie gewissermaßen einhüllen." [Cassirer ( 3 8 ) , S. 23]
29 Vgl. Heidegger (104), S. 13
30 Vgl. Heidegger ( 1 0 4 ) , S. 19 - 26
31 Ist Heideggers Philosophie eine Grundlegung als Explikation eines voronto-
logischen Seinsverständnisses, so will Kant dön Grund der Grundlegung le-
gen: Bei Heidegger wird der Grund nicht gelegt, sondern vorausgesetzt. Me-
taphysik ist nach Kant zwar eine "Naturanlage" [Kant ( 1 4 7 ) , B 22], Heideg-
ger jedoch deutet dies um: Für Kant ist nur das Fragen, für Heidegger aber
Der ontologische Interpretationsansatz 69
im Zusammenhang mit dem Kantischen Ontologiebegriff gesehen werden. Diesem
Begriff zufolge muß " ( . . . ) der stolze Name einer (vorkritischen, B.) Ontolo-
gie, welche sich anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a
priori in einer systematischen Doktrin zu geben ( z . E . den Grundsatz der Kau-
salität), ( . . . ) dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstan-
des, Platz machen" 33 .
Ein zweiter möglicher Einwand ist schwerwiegender: Kant überwindet zwar
die ontologische Betrachtungsweise, jedoch ist diese schöpferische Leistung
nicht von ontologischen Relikten frei. Diese teilweise nicht scharf genug
gezogene Trennungslinie zwischen der transzendentalphilosophischen und der
ontologischen (d.h., insbesondere für die ' K r i t i k der reinen Vernunft', der
anthropologischen) Fragestellung macht die besondere Schwierigkeit der Kan-
tischen Erkenntnistheorie aus. Sie kündigt sich schon eingangs an, wenn Kant
etwa von der "Natur der Vernunft" spricht. Dennoch rechtfertigt es das sy-
stematische Interesse an einer konsistenten Theorie, das Kantische Werk von
den ontologischen Relikten weitgehend zu reinigen. Allerdings ist derart der
Anspruch aufzugeben, "(...) den 'ganzen Kant 1 zu vergegenwärtigen" 36 .

das Wissen eine Naturanlage [vgl. Heidegger ( 1 0 4 ) , S. 197], d.h. ein vor-
ontologisches Wissen, das in der Philosophie bloß entfaltet werden müßte.
Indem Heidegger die erkenntniskritische Dimension Kants ausblendet, über-
sieht er, daß Kant allererst die Berechtigung des bei ihm als legitim vor-
ausgesetzten Fragens erfragt.
32 Kant (147), B 873
33 Kant ( 1 4 7 ) , B 303
34 Vgl. Zocher (291), S. 147; Natorp (199), S. 193 f
35 Kant (147), A VII. Vgl. zur Problematik: Ritzel ( 2 2 8 ) , S. 144, 159
36 Ritzel (229), S. 392
3.2 Die Kantische Fragestellung

Kant läßt die "eigentliche Aufgabe der reinen Vernunft" in der Frage kulmi-
nieren: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich ?" Gegen diese
Fragestellung wendet Adorno zweierlei ein:
1. Der Begriff des synthetischen Urteils a priori sei h i n f ä l l i g , denn -
wie es in der 'Vorlesung zur Einleitung in die Erkenntnistheorie 1 heißt -
es sei " ( . . . ) nicht schwer, und die Wissenschaftstheoretiker haben sich da-
mit gütlich getan, nachzuweisen, daß es solche theoretischen Urteile a
oo
priori eigentlich nicht gebe." Indessen ist nicht nur die Berufung auf
die nicht näher genannten Wissenschaftstheoretiker problematisch - hat doch
W. Stegmüller nachgewiesen, "(...) daß die moderne Logik nicht imstande ist,
die These zu stützen, daß es keine synthetischen Urteile a priori geben
könne" 39 .
Zudem fehlt der Nachweis in der genannten Schrift. Dennoch aber läßt sich
vermuten, was Adorno mit der bezeichneten Schwierigkeit meint: In einer Stu-
die zu Hegel macht er folgendes gegen die Idee des synthetischen Urteils a
priori geltend: "Die synthetischen Urteile a priori sind aber von einem tie-
fen Widerspruch durchfurcht. Wären sie im strengen Kantischen Sinne a prio-
ri, dann hätten sie keinerlei Inhalt, wären Form in der Tat, rein logische
Sätze, Tautologien, in denen Erkenntnis sich selbst nichts Neues, nichts an-
deres hinzufügte. Sind sie jedoch synthetisch, also im Ernst Erkenntnisse,
nicht bloße Selbstverdoppelungen des Subjekts, dann bedürfen sie jener In-
halte, die Kant als z u f ä l l i g und bloß empirisch aus ihrer Sphäre verbannen
wollte." 40
Die Argumentation beruht auf einem doppelten Mißverständnis:
a) Das synthetische Urteil a priori ist synthetisch, weil es über das Ur-
teilssubjekt etwas aussagt, was nicht in seinem Begriff analytisch beschlos-
sen liegt. Das neu Hinzukommende sind die in den synthetischen Urteilen
a priori formulierten Bedingungen möglicher Erfahrung. Adorno jedoch bezieht
37 Kant ( 1 4 7 ) , B 19, 73
38 Adorno (13) , S. 175
39 Stegmüller ( 2 7 2 ) , S. 561, 538 £. 562 f
40 Adorno (14) , S. 306
Die Kantische Fragestellung 71

die Synthetizität nicht auf das Urteilssubjekt, sondern auf das Erkenntnis-
subjekt, das urteilende Subjekt: Die synthetischen Urteile a priori seien
Tautologien, weil das Erkenntnissubjekt in ihnen unabhängig von Erfahrung
nicht Neues erkenne. Das Mißverständnis wird dadurch verdeckt, daß Adorno
einfach vom Subjekt spricht.
b) Das synthetische Urteil a priori ist a priori, weil es im Gegensatz zum
synthetischen Urteil a posteriori auf dem Prinzip der von der empirischen
Anschauung zu unterscheidenden reinen Anschauung beruht. Gerade dieses
Prinzip ermöglicht reine Mathematik und Naturwissenschaft. Nur indem Adorno
dieses zentrale Theorem ausklammert, kann er Apriorität und Tautologizität
ineinssetzen.
2. Zum zweiten moniert Adorno an der Kantischen Zentralfrage, die ihm ein-
gestandenermaßen "große Schwierigkeiten" bereitet,"(...) daß die Erkenntnis-
theorie, die sich ja ihrerseits die Begründung der Wissenschaft zur Aufgabe
setzt, (...) die Gültigkeit dieser Wissenschaften eigentlich voraussetzt." 42
Die Fragestellung zeige, a) daß Kant überhaupt nicht die Möglichkeit des
theoretischen Urteils a priori thematisiert habe, sondern daß er "von der
Annahme der objektiven Geltung von Wissenschaften" ausgegangen sei, b) daß
die Begründung gegenständlicher Erkenntnis eben diese Gegenständlichkeit vor-
aussetze. Diese weitergehende Folgerung kehrt dann in der gegen Kant ge-
richteten These Adornos eines gleichwertig reziproken Bedingungsverhältnis-
ses von constituens und constitutum wieder. 45
ad a) Mit dem ersten Punkt nimmt Adorno eine schon von Salomon Maimon in
seinen 'Streifereien im Gebiete der Philosophie' formulierte Kritik auf,
die seitdem ständig in der Kantliteratur anzutreffen ist. In dreifacher
Hinsicht trifft diese Kritik zu: aa) Die Kantische Fragestellung ist zwei-
felsohne ungenau, bb) Kant nimmt in der Tat synthetische Urteile a priori
in der reinen Mathematik, der reinen Geometrie und der "allgemeinen Natur-
Wissenschaft" 4ft an. cc) Kant geht in den 'Prolegomena 1 vom Faktum syntheti-
scher Urteile a priori aus.
41 Vgl. Kant (147), B 146 f
42 Adorno (13), S. 187
43 Adorno ( 1 3 ) , S. 187. Vgl. ( 1 0 ) , S. 89; ( 1 3 ) , S. 194
44 Vgl. Adorno (13), S. 187 f
45 Vgl. Adorno (13), S. 273 f
46 Vgl. Maimon (179), S. 73
47 Vgl. z.B. Kroner (163), S. 73 f
48 Vgl. Kant (147), B 4 f., 40 f . , 128
49 Vgl. Kant (151), S. 276
72 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

Diese Tatsachen rechtfertigen indessen keineswegs den Vorwurf einer peti-


tio principii, denn: aa) Kants Überzeugung vom Faktum synthetischer Urteile
a priori impliziert nicht ihre zirkuläre Voraussetzung im eigentlichen Ar-
gumentationsgang. So ist z.B. eine Interpretation der transzendentalen De-
duktion (besonders von 1787) möglich, die von diesem Faktum unabhängig ist,
wenn man sie als regressiven Aufweis der Möglichkeitsbedingungen des Faktums
der ursprünglichen Apperzeption versteht. bb) Zum anderen ist auf die un-
terschiedliche Methode zu achten, die Kant in den 'Prolegomena' und der
' K r i t i k der reinen Vernunft 1 verwendet: Ist sie dort analytisch, d.h. geht
sie vom Faktum synthetischer Urteile a priori aus, so ist sie hier synthe-
tisch, d.h. sie setzt dieses Faktum nicht voraus. Dieser Unterschied ist
52
gerechtfertigt, weil die 'Prolegomena' "nur als Vorübungen" zur 'Kritik
der reinen Vernunft' gedacht sind. Insofern muß Adornos Vorwurf einer zirku-
lären Fragestellung und Ausgangsposition zurückgewiesen bzw. auf den einer
sprachlichen Ungenauigkeit Kants eingeschränkt werden.
ad b) Von hierher ist Adornos weiterreichende Folgerung auf ein gleichwer-
tig reziprokes Bedingungsverhältnis von constituens und constitutum schon
von ihrer Voraussetzung her h i n f ä l l i g . Aber auch unabhängig davon ist sie
nicht zwingend: Selbst wenn man eine Zirkularität in bezug auf die Legitima-
tion synthetischer Urteile a priori einräumt, resultiert aus dieser keines-
wegs zwangsläufig die von Adorno gefolgerte Zirkularität der Konstituierung
von Gegenständlichkeit überhaupt.
Damit hat sich die Berechtigung der Kantischen Fragestellung gegenüber den
Einwänden Adornos bewährt. Es kann nunmehr zu seiner Kritik der Kantischen
Erkenntnistheorie selbst übergegangen werden.

50 Vgl. Ebbinghaus (54) und Wagner (283). Vgl. dazu auch die kritische Ar-
beit von Hossenfeider (125)
51 Vgl. Kant (151), S. 263, 274 f., 276 Anm. Zum Verhältnis von analytischer
und synthetischer Methode vgl. Martin (186), S. 249 - 254.
52 Kant (151), S. 261
3.3 Unmittelbare Folgen des ontologischen Interpretationsansatzes
(Problem des Dinges an sich und der Affektion)

Der ontologische Interpretationsansatz Adornos impliziert unmittelbar Fehl-


deutungen der Ich-Lehre, der Ding-an-sich-Aüffassung und des Problems der
Affektion.
1. In diesem Sinne redet er von dem "ich denke" als von einem "an sich
seienden, der Erkenntnis substantiell vorgeordneten" Ich. Kant habe die
"Substantialität des Ichs" trotz seiner Paralogismenkritik vorausgesetzt
und zwar "in aller Unschuld" . Diese problematische Deutung der Kantischen
Subjektstheorie und ihr Zusammenhang mit Adornos Ontologismus soll jedoch
nicht hier, sondern in Kapitel 5 gesondert behandelt werden.
2. Der ontologische Ansatz Adornos affiziert ebenso seine Ding-an-sich-Auf-
fassung: Das Kantische Ding an sich sei "dem alten naturalistischen Ding"
gleich, der Begriff "des Dinges an sich" sei "von Kant positiv ontologisch
gewandt" und dieses Ding nehme er so, daß es unser Gemüt affiziere.
Bei Zugrundelegung dieses realistischen Denk- und Deutungsmodeiis entdeckt
Adorno einen wahren "Rattenkönig von Problemen": "Denn wenn ich tatsächlich
versuche, die Dinge aufzubauen aufgrund der mir gegebenen Phänomene und ihres
gesetzmäßigen Zusammenhanges und ihrer subjektiv gestifteten Synthesis, woher
nehme ich dann eigentlich das Recht, von Dingen zu reden, die unabhängig von
allen diesen Mechanismen existieren wollen, ferner.woher nehme ich das Recht,
wenn ich die Kausalität als eine Kategorie,also als eine Form meiner Vernunft
bestimme, die Kausalität nun plötzlich einem unabhängig von meiner Vernunft
Seienden, nämlich diesen transzendenten Dingen an sich zuzuschreiben"
CQ
Hiermit nimmt Adorno eine K r i t i k a u f , die schon früh von Jacobi , Aenesi-
demus-Schulze und Fichte formuliert worden ist. Unbestreitbar ist die
53 Adorno ( 1 3 ) , S. 240
54 Adorno ( 1 3 ) , S. 2 4 2 . Eine angemessene Deutung gibt Adorno in ( 1 1 ) , S. 68
55 Adorno ( 1 3 ) , S. 242
56 Adorno ( 9 ) , S. 109
57 Adorno ( 1 3 ) , S. 2 4 2 . Vgl. ( 1 1 ) , S. 40
58 Vgl. Jacobi (130), S. 304
59 Vgl. Schulze (259), S. 294 - 299 (Zählung nach der Originalpaginierung).
60 Vgl. Fichte ( 6 0 ) , S. 57; ( 6 5 ) , S. 243. Anders in der früher erschienenen
'Zurückforderung der Denkfreiheit' [ ( 6 6 ) , S. 179], wo er noch vollständig
74 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

Tatsache, daß Kant in der 'Kritik der reinen Vernunft 1 oftmals vom Ding an
sich redet, das mein Gemüt (kausal) affiziert. Obereilt jedoch wäre es, des-
halb auf eine mangelnde Konsistenz der Kantischen Theorie zu schließen.
Den Begriff des Dinges an sich bezeichnet Kant als "problematisch", als
einen bloßen " ( . . . ) Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzu-
schränken, und also nur von negativem Gebrauche. Er ist aber gleichwohl nicht
w i l l k ü r l i c h erdichtet, sondern hängt mit der Einschränkung der Sinnlichkeit
zusammen, ohne jedoch etwas Positives außer dem Umfange derselben setzen zu
können." 6 1 Nach A 251 f Anm. und B 306 ist die Notwendigkeit einer Rede vom
Ding an sich begriffslogischer Art: Die Diskursivität unseres Verstandes,
seine Bindung an das Reflexionsgesetz des Bestimmens von etwas durch Entge-
gensetzung, fordert, daß wir zu dem Begriff der Erscheinung den Begriff des
Dinges an sich bilden. Eine naturalistisch ontologische Deutung des Dinges
ß?
an sich verfehlt also den Ansatz der Kantischen Lehre.
3. Ähnliches g i l t für Adornos K r i t i k des Affektionsproblems , der vorgeblich
"naturalistische(n) Annahme einer wirkenden Kausalität der transzendenten
Dinge an sich auf das Bewußtsein" .
Den Begriff einer "Affektion" hätte Kant genauer und streng transzendental-
idealistischer durch den einer "Modifikation unserer Sinnlichkeit" ersetzt:
Dies ist nach Kant " ( . . . ) die einzige Art, wie uns Gegenstände gegeben wer-
den"64. Daß auf eine so verstandene "Affektion" aufgrund der Ausblendung des
transzendenten Bereiches die Kausalitätskategorie nicht angewendet werden
kann, ist evident und spricht gegen Adorno.
Die Begriffe Ding an sich und Affektion sind Unwissenheitsausdrücke im
Kantischen System. Sie bezeichnen die Schwierigkeit Kants, sich einer alten
(ontologischen) und anschaulichen Terminologie bedienen zu müssen, um den
neuen (transzendentalphilosophischen) und unanschaulichen Gedanken ausdrük-
ken zu können. Dies berechtigt aber nicht, terminologische Mängel zu iso-
lieren und zu verabsolutieren, um dann die Erkenntnistheorie Kants auf das
Denkmodell einer realistischen Ontologie zu verpflichten.

auf dem Boden der Kantischen Erkenntnistheorie steht. Zur Entwicklung des
Denkens von Kant bis Fichte vgl. Baumanns ( 2 2 ) , S. 15 - 98.
61 Kant ( 1 4 7 ) , B 310 f. Deshalb kann das Ding an sich " ( . . . ) weder als Größe,
noch als Realität, noch als Substanz etc.gedacht werden"[Kant (147) B 344].
62 So Adorno selbst in ( 7 ) , S. 286 Anm.
63 Adorno (9) , S. 111
64 Kant (147) , B 178
65 Vgl. Zocher ( 2 9 1 ) , S. 30
Ding an sich und Affektion 75

Die Unzulänglichkeit des Adornoschen Denk- und Deutungsmodells wird eben-


f a l l s in der These deutlich, Ding an sich und Erscheinung, Affektion des Din-
ges an sich und Kausalität in der Erscheinungswelt, "ich denke" und empiri-
sches Ich seien für Kant jeweils "ein im Grunde identisch Gemeintes". Es er-
gäben sich "auf Schritt und Tritt Widersprüche und Komplikationen", weil von
ein und derselben Sache " ( . . . ) ihrem ontologischen Stellenwert nach vollkom-
men verschiedene Bestimmungen gegeben werden"
Die erste Behauptung einer jeweiligen Identität der einzelnen Paarglieder
ist schwerlich mit dem Kantischen Text in E i n k l a n g zu bringen. Berechtigt
ist allerdings Adornos These insofern, als Kant keine ontologischen Distink-
tionen platonischer Provenienz trifft. Da Adorno dies einerseits zu erkennen
scheint, er andererseits an das ontologische Denkmodell gebunden bleibt, wie
seine zweite These eines ontologischen Charakters der Kantischen Bestimmun-
gen zeigt, entsteht die merkwürdige Aussagenkonstellation, Kant meine das-
selbe und doch Verschiedenes, kommt es dazu, daß er "auf Schritt und Tritt
Widersprüche und Komplikationen" sehen muß.
Adornos ontologischer Interpretationsansatz bedingt also unmittelbar Fehl-
deutungen der Lehre vom Ding-an-sich und seiner Affektion. Die von ihm auf-
gezeigten Schwierigkeiten aber sind Folgen dieses Deutungsansatzes.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, daß Adorno die Ding-
an-sich-Problematik auch positiv (gegen Hegel und einige Tendenzen des Neu-
kantianismus) zu wenden versucht: Das Ding an sich sei Ausdruck der von Kant
berücksichtigten Resistenz des Nichtidentischen, " ( . . . ) dessen, was der ka-
tegorialen Identifizierung entschlüpft." Allerdings schränkt Adorno dieses
Urteil - vermutlich angesichts der Tatsache, daß das Kantische Ding an sich
vollkommen qualitätslos ist, also gerade nicht das, was er als Nichtidenti-
sches verstehen will - auf eine bloß "formale Anerkennung von Nichtidenti-
schem" ein.

66 Adorno (139),S. 243


67 Adorno ( 7 ) , S. 286 Anm. Vgl. auch ( 5 ) , S. 752 f
68 Adorno ( 7 ) , S. 37
3.4 Die Kantischen Dualismen

Im Zentrum der Kritik des Dialektikers Adorno stehen die Kantischen Dualis-
men. Ihre Vermittlung sei als Erbe des bei Descartes anhebenden psychophysi-
schen Dualismus" das "perennierende Problem" . Des näheren sind drei Dua-
lismen zu unterscheiden, die Adorno durch immanente Kritik überwinden
will:1. Form/Inhalt, 2. Rezeptivi tat/Spontanei tat, 3. Sinnlichkeit/Verstand.
Dabei bietet es sich an, zunächst seine Einwände gegen die Dualismen im ein-
zelnen und dann die von ihm aufgezeigten Kantischen Vermittlungsversuche
kritisch nachzuzeichnen.

3.4.1 Dualismus von Form und Inhalt

Der Dualismus von Form und Inhalt ist schon von Fichte 71 und Hegel 7? kriti-
siert worden. Auch Adorno mißt ihm besondere Bedeutung bei. Kant habe die
beiden Seiten dieses Dualismus nur sehr bedingt vermittelt. Auf der logi-
schen Ebene sei " ( . . . ) die Frage der Vermittlung, die Frage der Verbindung
zwischen dem sogenannten Material und der sogenannten Form außer Acht ge-
blieben." Dies bedinge mehrere Theorieverlegenheiten:
1. Es sei nicht einzusehen, wie die beiden Erkenntniszweige "miteinander in
Kommunikation" träten. Als Folge des Form-Inhalt-Dualismus müsse man sich
die "gesamte Ordnung als eine dem Material gewissermaßen w i l l k ü r l i c h von au-
ßen aufgestülpte vorstellen, als ein "Oberspinnen des Inhalts mit der
78
Form" .
Diese konkret anschauliche Charakterisierung Adornos verrät die ontologi-
sche Einstellung eines vorkritischen Realismus, der von zwei eigenständigen
Seinssphären ausgeht und derart der Kantischen Fragestellung unangemessen
69 Vgl. Adorno ( 1 0 ) , S. 218; ( 1 3 ) , S. 88
70 Adorno (13) , S. 239
71 Vgl. Fichte ( 6 5 ) , S. 202
72 Vgl. Hegel (99), S. 97, 175
73 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 213 ff
74 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 230, 236 f
75 Adorno (13) , S. 232
76 Adorno (13) , S. 230
77 Adorno ( 1 3 ) , S. 233. Vgl. ( 1 3 ) , S. 234
78 Adorno ( 1 3 ) , S. 238. Vgl. ( 1 4 ) , S. 144
Dualismus von Form und Inhalt 77

ist. Zudem bedingt sie den Irrtum, W i l l k ü r l i c h k e i t in der Kategorienanwendung


und Erfahrungskonstitution 79 anzunehmen, so daß gerade das Konstitutionsmoment
der formalen Leistungen des Erkenntnissubjekts verkannt wird. Darüberhinaus
ist Adornos ontologische Deutung und Kritik in sich widersprüchlich, weil er
zum anderen gerade die Entqualifizierung des Materials beklagt: Einem Entqua-
lifizierten kann aber nichts "aufgestülpt" werden, und genauso sinnlos ist
es, dann noch so etwas wie W i l l k ü r l i c h k e i t der kategorialen Synthesis zu be-
haupten. Woran sollte eine solche festgemacht werden können ?
2. Der Form-Inhalt-Dualismus führe auf eine "Paradoxie": Trenne man Form
und Inhalt, dann sei sowohl die Form "(...) eines jeglichen spezifischen In-
halts eigentlich entleert" und damit ein "Nichts" als auch der Inhalt "eben-
80
f a l l s etwas v ö l l i g Unbestimmtes", d.h. auch ein "Nichts" . Die "innerste Pa-
radoxie" der Kantischen Erkenntnistheorie liege nun darin, daß "(...) die Ad-
01
dition eines Nichts mit einem Nichts ein Etwas ergibt.
Die K r i t i k mit ihrer offenkundig ontologischen Argumentationsbasis ist in
doppelter Hinsicht problematisch: a) Der Beweis ist in sich nicht überzeugend,
es sei denn, man identifiziert die Eigenschaft der Formlosigkeit (Formnichtig-
keit) mit dem Nichts des Trägers dieser Eigenschaft, b) Der Kritikpunkt ist
nicht mit dem ersten in Einklang zu bringen: Man müßte - durch Einsetzung der
Formulierung des zweiten Einwandes in die des ersten - der Rede von einem
"überspinnen des Nichts mit dem Nichts" Sinn abgewinnen können. 82
3. Folgen wir Adorno, dann herrscht ein wechselseitiges Bedingungsverhält-
nis von Form und Inhalt. 83 Dies ergebe sich unter anderem aus einer dritten
"tiefgreifende(n) Schwierigkeit" der Kantischen Philosophie: Zum einen soll-
ten unsere Bewußtseinsformen als konstitutive Bedingungen der Erfahrung von
allem Inhalt derselben unabhängig sein, zum anderen sollten sie nur als Er-
fahrungskonstituenten gelten und seien "(...) insofern von Material, von et-
was, was sie nicht selbst sind, abhängig. Die transzendental logischen Be-
stimmungen sollen als solche Bestimmungen überhaupt erst Erfahrung ermögli-
chen, ohne selber von ihnen abhängig zu sein, und müssen andererseits not-
wendig auf einen Erfahrungsstoff bezogen werden." Dies zeige, daß Form und
79 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 106; ( 1 1 ) , S. 67 f
80 Adorno ( 1 3 ) , S. 215. Auch in ( 1 1 ) , S. 71 folgert Adorno von der Unbestimmt-
heit des Materials auf seine Nichtigkeit.
81 Adorno ( 1 3 ) , S. 215
82 In gleicher Weise dürfte man sich unter der Kommunikation "zweier Nicht-
se" schwerlich etwas vorstellen können.
83 Vgl. Adorno ( 1 1 ) , S. 99 f
78 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

Inhalt "(...) reziprok aufeinander verwiesen" blieben.


Dieser Einwand scheitert daran, daß unsere Bewußtseinsformen nicht als sol-
che "(...) notwendig auf einen Erfahrungsstoff bezogen" sind, sondern nur
dann, wenn sie Erkenntnisse ermöglichen sollen. Dies aber müssen sie nicht,
OC
denn Kant kennt auch ihren bloßen ßen*gebrauch. Ebenso folgt ein wechsel-
seitiges Bedingungsverhältnis von Form und Inhalt nicht aus der Tatsache, daß
die Begriffe Form und Inhalt aufeinander verweisen.
4. Ausdruck des Form-Inhalt-Dualismus ist das Theorem der Mannigfaltigkeit
86
des Gegebenen , das Adorno ebenfalls kritisiert: "Das bloße Chaos, zu dem
der reflektierende Geist die Welt der eigenen Allmacht zuliebe entqualifi-
ziert, ist ebenso ein Produkt wie der Kosmos, den er aufrichtet, um ihn zu
87 fift
verehren." Die psychologische Gestalttheorie (Wertheimer, Köhler, Gelb)
jedoch habe dieses Theorem f a l s i f i z i e r t , da das unmittelbar Wahrgenommene
Oft
"selber bereits eine bestimmte Strukturiertheit" besitze. Dies widerlege
die idealistische Erkenntnistheorie, denn sie könne nur "(...) ihre Lehre von
dem Bewußtsein als der konstitutiven Bedingung aller wirklich formenden, ar-
tikulierenden Erkenntnis durchhalten (...), wenn sie nicht konzedieren muß,
90
daß das primär Gegebene ein bereits in irgendeiner Weise Geformtes ist."
Die Fragwlirdigkeit dieses Einwandes wird daran deutlich, daß Adorno in der
Konsequenz - verwendet man die Kantische Terminologie - eine Erkenntnis des
Dinges an sich beansprucht.
Die K r i t i k verweist wiederum auf den lebensphilosophischen Hintergrund des
Adornoschen Denkens, da sich die Gestaltpsychologie zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts im Anschluß an Dilthey und seinen Strukturbegriff als Reaktion auf
die naturwissenschaftlich ausgerichtete Assoziationspsychologie (0. M i l l ,
J. St. M i l l , H. Spencer, Fechner) entwickelt hat. Des näheren beruht der
Einwand auf folgendem zentralen Gedanken: Wenn das "primär Gegebene" geformt
ist, dann kann das Bewußtsein nicht die "konstitutive Bedingung aller wirk-

84 Adorno (11), S. 98 f. Vgl. ( 7 ) , S. 141


85 Vgl. Kant ( 1 4 7 ) , B 146
86 Das Prinzip der Mannigfaltigkeit ist allerdings bei Kant eine Vorausset-
zung, die erst bei Fichte abgeleitet wird [Fichte ( 6 3 ) , S. 208].
87 Adorno ( 1 4 ) , S. 27. Vgl. ( 7 ) , S. 188
88 Zu Adornos Kritik der Gestaltpsychologie vgl. Adorno ( 1 4 ) , S . 163 f, 253 f,
299
89 Adorno ( 1 3 ) , S. 104. Ebenfalls gegen Husserl Wendet sich Adorno unter
Rekurs auf die Gestaltpsychologie: vgl. Adorno (14), S. 100
90 Adorno ( 1 3 ) , S. 105
Dualismus von Form und Inhalt 79

lieh formenden (...) Erkenntnis" sein. Diese Folgerung ist jedoch nicht zwin-
gend: Wenn das Bewußtsein die "(constitutive Bedingung aller wirklich formen-
den (...) Erkenntnis" ist, dann besagt dies weder, daß es die hinreichende,
sondern nur, daß es eine notwendige Bedingung ist, noch, daß das Bewußtsein
für alle Formen (qua Bestimmtheiten) aufkommt, sondern nur für die Formen
der Erkenntnis. Sofern Erkenntnisformen (qua Bestimmtheiten unserer Erkennt-
nisgegenstände) angenommen werden, ist das Bewußtsein für diese eine notwen-
dige, aber nicht hinreichende Bedingung. Dieses Bedingungsverhä'ltnis in der
Kantischen Erkenntnistheorie darf nicht so verstanden werden, daß das Bewußt-
sein für alle Bestimmtheit aufkommt. Es ist zwar Bedingung aller erkenntnis-
mäßigen Bestimmtheit, insofern es Bedingung von Erfahrung ist, aber es kommt
nicht selbst für alle erkenntnismäßige Bestimmtheit auf.Notwendige und hinrei-
chende Bedingung ist es nur für die erkenntnismäßige Bestimmtheit, die aus
aligemeinen Gesetzen besteht: "Auf mehrere Gesetze aber, als die, auf denen
eine Natur überhaupt, als Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit
beruht, reicht auch das reine Verstandesvermögen nicht zu, durch bloße Kate-
gorien den Erscheinungen a priori Gesetze vorzuschreiben. Besondere Gesetze,
weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen, können davon nicht
vollständig abgeleitet werden, ob sie gleich allesamt unter jenen stehen." 91
Damit wird Adornos Irrtum offenkundig: Nicht, weil das Bewußtsein für alle
Formen aufkommt, ist eine außerbewußtseinsmäßige Geformtheit qua Bestimmt-
heit auszuschließen, sondern, weil das Bewußtsein nur für alle Formen auf-
kommt, ist gerade auf die Geformtheit qua Bestimmtheit des Materials zu re-
kurrieren. Allerdings - und das ist entscheidend - können wir über diese
nichts ausmachen, weil das Bewußtsein ebenso Bedingung aller in der Erfah-
rung gegebenen Formen ist. Kant bestreitet nicht die (ontologische) Geformt-
heit qua Bestimmtheit des ursprünglichen (qua erfahrungsvorgängigen) Mate-
rials - eine solche metaphysische Aussage wird jedoch von Adorno angenommen.
Vielmehr stellt er die Erkennbarkeit der Geformtheit qua Bestimmtheit des
ursprünglichen Materials - weil Erkenntnis nur durch Erfahrung möglich ist -
und seine geltungstheoretische Relevanz in Abrede. Kants Erkenntnistheorie
ist eine transzendentalphilosophische Erkenntnistheorie und keine Ontologie
im vorkritischen Sinne. Nur gegen diese kann sich der gestaltpsychologische
Einwand richten: Kant aber fragt nach den epistemologischen Bedingungen der
Gestaltpsychologie.

9l Kant (147), B 165. Vgl. auch ( 1 4 7 ) , B 263


80 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

Dieses Verhältnis wird dadurch zusätzlich undurchsichtig, daß Adorno eine


Doppeldeutigkeit im Begriff der Form ausnutzt: Form bedeutet für Kant "nur
Form" 92 , wobei diese die Bedingung der empirisch bestimmten Bestimmtheit der
Erkenntnis ist. Adorno jedoch ersetzt in seiner Argumentation diesen Formbe-
griff qua "nur Form" durch einen weiteren Formbegriff, der Form mit Bestimmt-
heit überhaupt (nicht bloß qua "nur-Form-Bestimmtheit", sondern auch qua em-
pirisch bestimmter Bestimmtheit) identifiziert. Form in dieser zweiten Bedeu-
tung ist nicht nur Bedingung empirisch bestimmter Bestimmtheit der Erkennt-
nis, sondern selbst ihre empirisch bestimmte Bestimmtheit. Diese mangelnde
begriffliche Sorgfalt ist um so a u f f ä l l i g e r , als gerade Adorno ständig auf
die Verschiedenartigkeit des unter einen Begriff Fallenden hinweist.
5. Ein letzter Einwand bezieht sich auf den Form-Inhalt-Dualismus: Da das
Mannigfaltige keine "inhaltliche Bestimmung für die Erkenntnis" abgeben kön-
ne, sei nur eine Selbsterkenntnis des Subjekts möglich. "Das Datum ist das
absolut Unbestimmte, sobald es von der Kategorie losgerissen ist. Die Kate-
gorie aber ist nichts anderes als Subjekt. Also was erkennt dann das Subjekt
eigentlich ? Das Datum erkennt es nicht, denn das Datum ist ja ein Nichts,
das nur vom Subjekt aus eigentlich bestimmt wird, und die Bestimmung, die es
findet, ist das Subjekt selber, also erkennt das Subjekt eigentlich immer
nur sich selbst." 93
Die Argumentation vereinigt nahezu a l l e bisher erwähnten Mißverständnisse:
a) Die Identifizierung von "Datum" und "Nichts" ist oben kritisch erörtert
worden, b) Im Gegensatz zum zweiten Einwand soll hier die vom Mannigfaltigen
getrennte Kategorie kein Nichts sein, c) Das Datum ist nicht im Sinne einer
metaphysisch-ontologisehen Aussage unbestimmt, sondern seine absolute Unbe-
bestimmtheit besitzt nur erkenntniskritische Bedeutung (Verwechslung von
transzendentalphilosophischer Erkenntnistheorie und Ontologie !). d) Das Da-
tum wird nicht " ( . . . ) vom Subjekt aus eigentlich bestimmt", sondern das Sub-
jekt ist nur Bedingung der erkenntnismäßigen Bestimmtheit des Datums in der
Erfahrung, es selbst bestimmt das Datum nur hinsichtlich seiner allgemeinen
Gesetze. Dieser Irrtum beruht auf dem doppelten Formbegriff.
Zusammenfassend heißt dies: Adornos Einwände gegen den Form-Inhalt-Dualis-
mus beruhen auf grundsätzlichen Mißverständnissen, die primär durch den on-
92 Vgl. Kant ( 1 4 7 ) , B 150 u. (146), S. 65. Ein anderer Formbegriff (qua spe-
zifischer Bestimmtheit) liegt allerdings der Amphibolie der Reflexionsbe-
griffe zugrunde: vgl. Kant (147), B 322.
93 Adorno (13), S. 182. Vgl. auch ( 1 4 ) , S. 178
Dualismus von Rezeptivität und Spontaneität 81
tologischen Charakter des Interpretationsansatzes bedingt sind.Ihre suggesti-
ve Überzeugungskraft verdanken sie zum Teil einer undifferenzierten Begriff-
lichkeit. Adornos alternative Konzeption einer Form-Inhalt-Dialektik beruht
damit nicht auf einer immanenten Kritik Kants, sondern lediglich auf einer
äußeren Konfrontation.
94 Hier kann auch der Hinweis auf
jf Hegels - so Adorno -
"Beweis" einer Form-Inhalt-Dialektik nicht überzeugen.'95

3.4.2 Dualismus von Rezeptivität und Spontaneität

Die "zweite kardinale Disjunktion" ist der Dualismus von Rezeptivität und
Spontaneität. Dieses von Kant gegen die "Leibniz-Wolffiscne-Philosophie" ge-
richtete Theorem eines nicht bloß graduellen "Unterschied(es) der Sinnlich-
keit vom Intellektuellen" erregte schon früh die Aufmerksamkeit der Kriti-
ker. Beck 98 und Maimon 99 sprachen sich für eine abermalige Vermischung der
beiden Erkenntniszweige bzw. eine Quantifizierung ihrer Differenz hinsicht-
lich ihrer Bewußtseinsgrade aus. Von ihnen beeinflußt deutete dann Fichte die
Rezeptivität (genauer: ihre Vorstellung) als notwendiges Implikat des An-
schauungsmoments im Akt des Sich-für-sich Setzens, d.h. als gehemmte und un-
bewußte Verstandestätigkeit. Dieser Gedanke wurde von Schelling aufgegrif-
fen und in modifizierter Form vom Neukantianismus insbesondere der Marbur-
ger Schule rezipiert. 102
Gegen diesen Dualismus wendet Adorno zweierlei ein:
1. Das erste von Dilthey in seinem Entwurf einer "beschreibenden Psycholo-
gie" vorgeprägte
103 Argument kann man phänomenoiogisch nennen. Kant vertrete
die "etwas primitive Ansicht" ( ! ) , a l l e i n dem Denken Spontaneität und allein
der Anschauung Passivität zuzuordnen. Dabei rekurriert Adorno darauf, "was
so gewöhnlich Anschauung heißt" . Die Annahme einer spontaneitätslosen An-
schauung sei unhaltbar, weil " ( . . . ) schon die reine Wahrnehmung einer Land-
schaft, etwa durch einen Bauern, durch einen Reisenden ( . . . ) oder durch ei-
94 So deutlich in Adorno ( 7 ) , S. 178
95 Vgl. z.B. Adorno ( 1 3 ) , S. 12
96 Adorno (13), S. 216
97 Kant ( 1 4 7 ) , B 61
98 Vgl. Vaihinger (280), Bd. II, S. 22 £
99 Vgl. Mairaon (180), S. 203
100 Vgl. Fichte (65), S. 242 f
101 Vgl. Schelling ( 2 4 8 ) , S. 66 - 72
102 Vgl. Natorp (199), S. 201
103 Dilthey (49), S. 149
104 Adorno ( 1 3 ) , S. 251
82 Adornos K r i t i k der Erkenntnistheorie Kants

nen Landvermesser oder etwa durch einen Maler schon phänomenal etwas v o l l -
kommen anderes sei, weil in diese reine Wahrnehmung des Objektes bereits al-
le jene Vermittlungskategorien eingehen, die nach herkömmlicher Rede jeden-
f a l l s erst dem Verstand zuzuschreiben sind" . Die durchaus problematische
Identität von Anschauung und Wahrnehmung im Interesse Adornos vorausgesetzt,
f ä l l t zunächst auf, daß im Gegensatz zu seinem Kritiker, der Anschauung phä-
nomenologisch ("phänomenal") durch den unmittelbaren Bezug auf ein bestimmtes
Objekt (mit-)definiert, Kant diesen Objektbezug ausschließt. Es ist geradezu
der zentrale Gedanke seiner Erkenntnistheorie, daß Anschauung als solche
nicht auf ein bestimmtes Objekt bezogen ist: "Wenn ich alles Denken (durch
Kategorien) aus einer empirischen Erkenntnis wegnehme, so bleibt gar keine
Erkenntnis irgend eines Gegenstandes übrig, denn durch bloße Anschauung wird
gar nicht gedacht, und, daß diese Affektion der Sinnlichkeit in mir ist,
macht gar ke,ine Beziehung von der gleichen Vorstellung auf irgendein Objekt
aus." Die Kantische Anschauung schaut zwar an, aber sie schaut nicht et-
was an: "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind
blind." Das Anschauungsvermögen ist ein bloß relationales Vermögen.Trennen
wir Verstand und S i n n l i c h k e i t , so haben wir lediglich eine "(...) Vorstel-
1G8
lung, die wir auf keinen bestimmten Gegenstand beziehen können." Dies ist
transzendentalphilosophisch dadurch begründet, daß ein Objekt das ist, "(...)
in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt
10Q
ist." Das Vermögen der Synthesis und Spontaneität ist der Verstand. Der
Bezug auf einen bestimmten Gegenstand fordert also den "Actus der Spontanei-
tät" des Verstandes bzw. der produktiven Einbildungskraft.
Das bedeutet hinsichtlich der Kritik Adornos zweierlei:
a) Seine These einer Verstandesbeteiligung bei der Wahrnehmung bestimmter
Objekte ("Landschaft") konvergiert mit Kants Auffassung einer notwendigen
Verbindung von Verstand und S i n n l i c h k e i t , wenn eine bestimmte Gegenständlich-
keit konstituiert werden soll. Angesichts dieser Tatsache ist der kritische
Impetus des Adornoschen Einwandes nicht einsichtig.
b) Indessen macht dies gerade offenkundig, daß Adorno die transzendental-
philosophische Fragestellung verkennt. Geht diese auf eine Analyse der Be-
105 Adorno (13), S. 253 (Hervorhebung B . ) . Vgl. auch (11), S. 67
106 Kant (147), B 309
107 Kant (147), B 75
108 Kant (147), B 314
109 Kant (147), B 137
110 Kant (147), B 130
Dualismus von Rezeptivität und Spontaneität 83

dingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt und ihren Gegenständen und
kommt so zu der Trennung von Spontaneität und Rezeptivität, so begnügt sich
Adorno mit einer Beschreibung des Faktischen, d.h. mit der Feststellung einer
empirisch aufgewiesenen Verknüpfung von Rezeptivität und Spontaneität im Er-
kenntnisvorgang. Solange Adorno nicht über diese Bescheidung auf das Empi-
risch-Faktische und den common sense ("was so gewöhnlich Anschauung heißt")
hinausgeht, ist ihm nichts vorzuwerfen, wohl aber, wenn er die Tatsächlich-
keit des Empirisch-Bedingten gegen die Frage nach der Bedingung des Empiri-
schen wenden will. Adorno kritisiert den transzendentalphilosophischen Ansatz
also nicht immanent, sondern bleibt vor seiner Fragestellung stehen. Indem
die realistische Phänomenologie Adornos das als gegeben ansieht, was der
Transzendentalphilosophie allererst frag-würdig ist, offenbart sich ein
prinzipieller Reflexionsvorsprung Kants.
2. Das zweite Argument Adornos kann man als das logische bezeichnen. Der
schon ähnlich vom Marburger Neukantianismus formulierte Einwand bezieht
sich auf den Spontaneitätscharakter der Anschauungen Raum und Zeit: Die An-
schauung und mit ihr die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit sollten voll-
kommen passiv sein. Dennoch sei Kant gezwungen, " ( . . . ) , da,wo es sich schein-
bar um reine Gegebenheiten handelt" 112 .Tätigkeit anzunehmen. Verifiziert wer-
de dies durch den "Beweis" der "Axiomen der Anschauung": "Alle Erscheinungen
enthalten, der Form nach, eine Anschauung von Raum und Zeit, welche ihnen ins-
gesamt a priori zum Grunde liegt. Sie können also nicht anders apprehendiert,
d.i. ins empirische Bewußtsein aufgenommen werden, als durch die Synthesis des
Mannigfaltigen, wodurch die Vorstellungen eines bestimmten Raumes oder Zeit
erzeugt werden, d.i. durch die Zusammensetzung der Gleichartigen und das Be-
wußtsein der synthetischen Einheit dieses Mannigfaltigen (Gleichartigen)."
Hieraus folgert Adorno: "Also schon da, wo ich mich scheinbar im Sinn der
Generalthesis der ' K r i t i k der reinen Vernunft 1 ganz passiv verhalte, schon
an dieser Stelle verhalte ich mich Kant zufolge in einer gewissen Weise auch
aktiv" . "Der Gedanke steckt also, dieser Lehre zufolge, bereits in der An-
schauung drin,und es ist nur ein Schritt von dieser Erkenntnis Kants zu der
Kritik an seiner grundsätzlichen Scheidung von Rezeptivität und Spontaneität,
auf der ja die ganze Vernunftkritik beruht."

111 Vgl. Natorp (199), S. 201 ff


112 Adorno (13) , S. 234
113 Kant (147) , B 202 £.
114 Adorno (13), S. 234
115 Adorno ( 1 3 ) , S. 235
84 Adornos K r i t i k der Erkenntnistheorie Kants

Abgesehen davon, daß auf diese Weise a l l e n f a l l s die Spontaneität der Sinn-
lichkeit, nicht aber die Passivität des Verstandes dargetan werden könnte,
irrt Adorno insofern, als er nicht zwischen formaler Anschauung und Form der
Anschauung unterscheidet. Die Axiome der Anschauung betreffen nicht die Form
der Anschauung, sondern die formale Anschauung, die in der Tat nach Kants
Theorie eine "Zusammenfassung des Mannigfaltigen" enthält und damit syn-
thetisch ist. Insofern wäre Adorno beizupflichten, daß "bereits in der An-
schauung" (qua anschaulicher Vorstellung) Tätigkeit involviert sei. Jedoch
affiziert dies nicht den Dualismus von Rezeptivität und Spontaneität, weil
sich die Charakterisierung als passiv nicht auf die formale Anschauung, son-
dern auf die Anschauungsform Raum und Zeit bezieht. Spricht Kant jener (auch)
Spontaneität zu, so nicht diesen. Ebenso dürfen die Formen der passiven Re-
zeptivität, die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit, nicht als Formungen
(zu bestimmten Vorstellungen) verstanden werden, weil sie solcherart Spon-
taneitätscharakter besäßen. Vielmehr meint Kant mit den passiven Anschauungs-
formen das, was ermöglicht, daß mir etwas räumlich oder zeitlich bestimmt
erscheint. Die Anschauungsformen Raum und Zeit sind so etwas wie die Raum-
und Zeitwurzel qua Möglichkeitsbedingung räumlicher und zeitlicher Bestim-
mungen.
Angesichts dieses Irrtums ist Adornos Fazit, "(...) daß hier der Gedanke
der Vermittlung gewissermaßen gegen den Willen des Kantischen Systems auf-
taucht" , schwerlich überzeugend.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß Adornos Kritik des Dualis-
mus von Rezeptivität und Spontaneität keineswegs eine in seinem Sinne "dia-
lektische Erkenntnistheorie" zu begründen vermag. Das phänomenologische Ar-
gument verkennt die transzendental philosophische Fragestellung, offenbart
einen Rückfall in den vorkritischen Realismus. Das logische Argument ver-
dankt sich der fehlenden Beachtung wesentlicher Kantischer Unterscheidun-
gen. Der Anspruch einer immanenten Kritik wird also in beiden Fällen nicht
erfüllt.

116 Kant (147), B 160 Anm.


117 Adorno (13), S. 235
Die Transzendentale Ästhetik 85

3.4.3 Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand

Der Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand ist eng verwandt mit dem von Re-
zeptivität und Spontaneität, f ä l l t aber nicht mit ihm zusammen. Zunächst ist
ein beide Seiten dieses Dualismus umspannender Einwand Adornos zu betrach-
ten: Kant habe "(...) an einer Stelle der Kritik der reinen Vernunft gerade-
zu formuliert, daß die beiden Hauptstämme der Erkenntnis, mit denen er es
zu tun hat, Sinnlichkeit und Verstand, Rezeptivität und Spontaneität eben
schließlich doch auf ein letztes Gemeinsamens zurückdatieren müßten." 118
Die angesprochene Stelle bezieht sich vermutlich - Adorno gibt keinen ge-
nauen Verweis - auf B 29. Hier aber schreibt Kant: "Nur soviel scheint zur
Einleitung, oder Vorerinnerung, nötig zu sein, daß es zwei Stämme der mensch-
lichen Erkenntnis gebe, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen Wurzel
entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Ge-
genstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden." Adorno liest al-
so eine eindeutig hypothetische (und agnostische) Aussage Kants positiv as-
sertorisch. Die Trennung von Verstand und Sinnlichkeit ist aber nicht will-
kürlich, sondern in der endlichen Erkenntnisstruktur des Menschen gegründet
und die Kehrseite der Kantischen Zurückweisung eines anschauenden Verstan-
des bzw. einer intellektuellen Anschauung.
Im folgenden soll Adornos Deutung der beiden Seiten des Dualismus von
Sinnlichkeit und Verstand, d.h. seine Kritik der Transzendentalen Ästhetik
und der Analytik der Begriffe, betrachtet werden.

119
3.4.3.1 Die Transzendentale Ästhetik

Es ist zu unterscheiden zwischen 1. Adornos allgemeiner Einschätzung der


Transzendentalen Ästhetik, 2. seinen Einwänden gegen die Raum- bzw. Zeitar-
gumente und 3. seinem konstruktiven Versuch der Entwicklung einer Raum- und
Zeitlehre.

118 Adorno (13), S. 219


119 Vgl. zur Transzendentalen Ästhetik auch den nach Fertigstellung dieser
Arbeit erschienenen kritischen Aufsatz von Baumanns, P.: Anschauung,Raum
und Zeit bei Kant. In: Heidemann, I./Ritzel, W. (Hrsg.): Beiträge zur
Kritik der reinen Vernunft:1781 - 1981. Berlin/New York 1981, S. 69-125
86 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

3.4.3.1.1 Allgemeine Einwände

1. Kants Raum- und Zeitlehre steht nach Adorno in der "metaphysischen Tra-
dition", da " ( . . . ) in gewisser Weise der platonische Unterschied von Reali-
tät und bloßer Erscheinungswelt (...) in aufgeklärter Gestalt wieder her-
gestellt worden sei". Demnach sei zufolge Kant " ( . . . ) das Wahre uns ver-
hängt" 120 .
Dieser sich noch in der neueren Kantliteratur findende Vorwurf einer Ir-
121
realisierung der Realität scheint auf den ersten Blick angesichts eini-
1 ?2
ger Stellen der 'Kritik der reinen Vernunft 1 plausibel. Dennoch trifft
Adornos Kritik nicht: In der dritten Allgemeinen Anmerkung zur Transzenden-
talen Ästhetik 123 und der dritten Anmerkung zu § 13 der 'Prolegomena' 1 2 4
entkräftet Kant diesen Einwand, indem er auf den Unterschied zwischen Schein
und Erscheinung aufmerksam macht. Entsprechend der Koinzidenz von empiri-
1 ?R
scher Realität und transzendentaler Idealität von Raum und Zeit ist unse-
re Erfahrungswelt ("Erscheinungswelt") kein bloßer Schein: "Wenn ich sage im
Raum und der Zeit stellt die Anschauung, so wohl der äußeren Objekte, als
auch die Selbstanschauung des Gemüts, beides vor, so wie es unsere Sinne
affiziert, d.i. wie es erscheint: so w i l l das nicht sagen, daß diese Gegen-
126
stände ein bloßer schein wären."
Nicht nur die mangelnde Unterscheidung zwischen Schein und Erscheinung
erklärt sich aus Adornos ontologischer Perspektive, sondern auch seine The-
se, Kant zufolge sei " ( . . . ) das Wahre uns verhängt". Indessen entspricht
die erkenntniskritische Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung
nicht der zwischen Wahrheit und Falschheit, wie Adorno implizite voraus-
setzt. Der Kantische Wahrheitsbegriff ist anders gelagert: "Noch weniger
dürfen Erscheinung und schein für einerlei gehalten werden. Denn Wahrheit
oder Schein sind nicht im Gegenstande, so fern er angeschaut wird, sondern
im Urteile über denselben, so fern er gedacht wird. Daher sind Wahrheit
sowohl als Irrtum, mithin auch der Schein, als die Verleitung zum letzteren,

120 Adorno (13), S. 285 f


121 Vgl. z.B. Strawson (273), S. 21 f , 250
122 Kant (147), B 59
123 Vgl. Kant (147), B 69 ff
124 Vgl. Kant (151), S. 290 - 293
125 Vgl. Kant (147), B 44, 52
126 Kant (147), B 69
Allgemeine Einwände 87

nur im Urteile, d.i. nur im Verhältnisse des Gegenstandes zu unserem Verstan-


1?7
de anzutreffen." Kant und Adorno verwenden entsprechend ihrer differieren-
128
den Objektivitätsbegriffe zwei verschiedene Wahrheitsbegriffe, dieser einen
ontologischan (Wahrheit im Gegenstande), jener einen erkenntniskritischen
(Wahrheit im Urteil über den Gegenstand). Adornos Kritik aber beruht auf der
129
Ersetzung des Kantischen Wahrheitsbegriffes durch seinen eigenen.

Exkurs: Adornos ontologischer Wahrheitsbegriff


Man könnte einwenden, Kant und Adorno verträten in der Tat verschiedene Wahr-
heitstheorien und insofern treffe zwar Adornos Kritik nicht zu, wohl aber sei
sein Wahrheitsbegriff überzeugender. Hierüber kann nur anhand der von Adorno
gegebenen Begründung seiner Wahrheitstheorie entschieden werden, in der Wahr-
heit als ontologischer Prozeß gedeutet wird: "Indem aber in jedem einzelnen
Urteil die Sache, der es gilt, mit ihrem Begriff konfrontiert wird und indem
darüber jedes einzelne endliche Urteil als unwahr zergeht, führt die subjekti-
ve Tätigkeit der Reflexion Wahrheit über den traditionellen Begriff der Anpas-
sung des Gedankens an den Sachverhalt hinaus: Wahrheit läßt sich nicht länger
als Qualität von Urteilen dingfest machen. (...) Weil aber kein endliches Ur-
teil jene Übereinstimmung je erreicht, wird der Wahrheitsbegriff der prädika-
tiven Logik entrissen und in die Dialektik als ganze verlegt. (...) Die Kri-
tik an der starren Trennung der Momente des Urteils schmilzt die Wahrheit,
soweit sie als bloßes Resultat aufgefaßt wird, ein in den Prozeß." 130 Sol-
cherart leuchte "eine Platonische Idee von der Wahrheit" 131 auf.
Dieser Beweis zugunsten sowohl der Ontologizität als auch der Prozessuali-
tät von Wahrheit kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen.
Die Insuffizienz des einzelnen Urteils dem zu Beurteilenden gegenüber soll
zur Unhaltbarkeit des Urteilscharakters von Wahrheit, d.h. zu ihrer ontoiogi-
zität führen. Hier also folgert Adorno voreilig aus der - im übrigen ledig-
lich vorausgesetzten und durchaus problematischen - prinzipiellen Unvollkom-
menheit des einzelnen Urteils auf die fehlende Wahrheitsträchtigkeit von Ur-
teilen überhaupt und sodann von diesem negativen Ergebnis auf das keineswegs
notwendige positive Ergebnis eines ontologischön Charakters der Wahrheit.
Die im Unterschied zur statischen Ontologie Heideggers angenommene prozes-
suaiität der Wahrheit, soll ebenfalls in der Inadaquanz des einzelnen Urteils
gründen. Diese (insbesondere Gedanken Nietzsches aufnehmende 132) Folgerung
127 Kant (147), B 349 f
128 Vgl. Kap. 3.1
129 Vgl. auch z.B. Adorno (10), S. 211
130 Adorno (14), S. 284 f
131 Adorno (14), S. 284
132 Vgl. Nietzsche (206), S. 448. Vgl. zur Darstellung und Kritik der Wahr-
heitstheorie Nietzsches: Barth (18), S. 213 - 237. Auch wenn Adorno wie
Nietzsche den Gedanken zeitloser Wahrheit preisgibt und in der Deutung
des Erkennens (als eines begrifflichen Gleichmachens des Ungleichen im
Interesse der Selbsterhaltung) stark von ihm beeinflußt ist, hält er doch
im Unterschied zu ihm, der Wahrheit auf "Nützlichkeit" [Nietzsche ( 2 0 1 ) ,
S. 556; ( 2 0 1 ) , S. 726] reduziert, an der Idee objektiver Wahrheit fest
[vgl. Adorno ( 7 ) , S. 197 f ] . Haberraaa wird Adorno hierin folgen, indem
er Nietzsche ein vom positivistischen Wissenschaftsbegriff affiziertes
88 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

zugunsten eines "Zeitkerns"133 von Wahrheit ist insofern problematisch, als


Adorno von der zeitlichen Bedingtheit des einzelnen Urteils auf die Zeitlich-
keit der Wahrheit selbst schließt. Auch wenn das einzelne Urteil zeitlich be-
dingt ist und die Wahrheit im Urteil (nicht außerhalb desselben) ihren Ort
hat, so folgt daraus nicht die Zeitlichkeit der Wahrheit. Urteil und Wahr-
heit sind nicht identisch, sondern das einzelne Urteil erhebt Wahrheitsan-
spruch, wie umgekehrt die (nicht ontologisch zu verstehende) Idee zeitloser
Wahrheit sich nur im konkreten Urteil verwirklichen kann. Als notwendiges
Gegenstück einer Deutung von Wahrheit als "Prozeß" aber wird sich eine sol-
che Subjektstheorie erweisen, die Bestimmungen wie Akt, personale Identität
und Zurechenbarkeit nicht (oder nur ungenügend) kennt, d.h. eine naturali-
stische Sübjektstheorie.
Ein weiteres prinzipielles Bedenken drängt sich gegen Adornos Konzeption
auf: Ist das Urteil über den Zeitkern der Wahrheit auch nur zeitlich be-
dingt ?
Adornos Wahrheitstheorie ist also nicht nur unzulänglich begründet, son-
dern auch in sich widersprüchlich. Derart ist sie schwerlich der Kantischen
Konzeption 134 überlegen.135
2. Kant beansprucht, die Vollständigkeit und Notwendigkeit der beiden
Anschauungsformen Raum und Zeit gezeigt zu haben. Hiergegen macht Adorno gel-
Too
tend, Kant habe weder die Vollständigkeit noch Notwendigkeit "abgeleitet11 .
Wird Ableitung im strengen Sinne verstanden als Deduktion aus einem Prinzip,
so ist Adorno beizupflichten. Genau dieses Desiderat versucht Fichte in sei-
ner Wissenschaftslehre zu füllen. 139 Problematisch jedoch wird Adornos Kritik
mit der weiterreichenden These, Raum und Zeit fielen aufgrund der fehlenden
Deduktion unter den "Begriff des kontingenten a priori", nach dem Notwendig-
keit und Zufälligkeit " ( . . . ) unmittelbar ineinander übergehen."
naturalistisches Mißverständnis dee erkenntnisleitenden Interesses vor-
wirft [Habermas (87), S. 363].
133 Adorno ( 2 ) , S. 9. Vgl. ( 1 ) , S. 12
134 Zur Kantischen Wahrheitstheorie vgl. Prauaa (218). Rath fuhrt den Begriff
des "Zeitkerns" der Wahrheit auf Benjamin zurück [vgl. Rath (223),S. 26].
135 Einerseits soll sich - wie dargestellt - Wahrheit ihrer Subjektivität ent-
äußern; andererseits gilt: "Gerade die Objektivität der Wahrheit bedarf
des Subjekts" und damit der "Beziehung des Urteils auf Sachverhalte"
[Adorno (14), S. 78]. Diese beiden Momente werden nur mühsam mittels der
prozessualen Wahrheitsbestimmung zusammengehalten: Wahrheit nicht als
übergegangene,sondern als "übergehende" {Adorno.(14),-S. 284j..:DeuLient-
spricht Adornos Bestimmung der Wahrheit als "Kraftfeld" [Adorno (14), S.
79]. Die Verknüpfung zweier Wahrheitsbegriffe, des erkenntniskritisehen
und des ontologischen, deren Differenz durch die Ausnutzung von Xquivo-
kationen (Subjektivität, Objektivität) verdeckt wird, führt also zur
Konstruktion des "Kraftfeldes".
136 Vgl. Kant (147), B 58
137 Vgl. Kant (147), B 69
138 Adorno (13), S. 298. Vgl. auch (13), S. 289 f
139 Die Kritik einer fehlenden Ableitung von Raum und Zeit formulierte schon
Fichte (65), S. 230.
140 Adorno (13), S. 298 f
Allgemeine Einwände 89

a) Die Problematik dieser These ist zunächst hinsichtlich der Notwendigkeit


von Raum und Zeit zu zeigen. Kant schränkt die Gültigkeit der beiden Anschau-
ungsformen auf die spezifisch menschliche Sinnlichkeit ein. Die Kategorien
hingegen werden (dem Anspruch nach) aus einem Prinzip, der ursprünglich syn-
thetischen Einheit der Apperzeption, deduziert, - und zwar als gültig für je-
den endlichen Verstand, d.h. für einen solchen, "(...) durch dessen reine Ap-
perzeption in der Vorstellung: Ich b i n , noch gar nichts Mannigfaltiges gege-
ben ist." Versteht Adorno unter der fehlenden Notwendigkeit der beiden An-
schauungsformen lediglich ihre nicht bewiesene Universalität, so steht dies
also im Einklang mit der Kantischen Theorie.
Adorno zielt jedoch mit dem Begriff des "Kontingenten a priori" auf etwas
anderes, wenn er im Zusammenhang mit der Feststellung einer fehlenden Deduk-
tion schreibt: "Mir könnten im Prinzip genauso gut andere Formen der Anschau-
1AO
ung haben, wie Raum und Zeit" . Zum einen gibt das nicht die Kantische Auf-
fassung wieder, wie Adorno beansprucht, weil nach der Transzendentalen Ästhe-
tik wir keine anderen Formen besitzen können, für uns die Notwendigkeit von
Raum und Zeit gilt, denn die Notwendigkeit von Raum und Zeit wird - so Kant -
durch das von ihm angenommene Faktum der reinen Mathematik und Geometrie le-
gitimiert. Zum anderen ist die Folgerung Adornos nicht mit seiner eigenen
Feststellung in Einklang zu bringen, der Raum sei notwendig "als Bedingung
aller möglichen Gegenstände überhaupt" , eine unraumliche Gegenständlich-
keit sei undenkbar. Zwar sollen Notwendigkeit und Zufälligkeit "(...) wahr-
scheinlich in einem tiefsten Sinne miteinander vermittelt" sein, jedoch
müßte diese Vermittlung nicht nur abstrakt behauptet, sondern konkret darge-
legt werden, und zwar als Vermittlung. Adornos kritische Kantdeutung trifft
also nur bedingt zu, mit seiner Folgerung widerspricht er sich selbst.
b) Auch die Vollständigkeit der beiden Anschauungsformen beweist Kant nicht
im Sinne einer strengen Deduktion, wie schön Schell ing kritisch anmerkte. 147
Wohl aber gibt Kant einen indirekten Vollständigkeitserweis, der darauf be-
ruht, daß " ( . . . ) a l l e andere zur Sinnlichkeit gehörige Begriffe (...) etwas
Empirisches voraussetzen." 148 Das Kantische Theorem wird also erst durch den
141 Vgl. Kant ( 1 4 7 ) , B 42, 51, 59, 72
142 Kant (147), B 138
143 Adorno (13), S. 289
144 Vgl. Kant (147), B 40 f, 47 ff
145 Adorno (13), S. 294
146 Adorno (13), S. 297
147 Vgl. Schelling (249), S. 154
148 Kant (147), B 58
90 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants
Nachweis eines weiteren Rezeptivitätselements, das nichts Empirisches voraus-
setzt, widerlegt.
Adorno scheint dieser Forderung zu genügen: Die Gestaltpsychologie habe aus-
geführt, "(...) daß es ( . . . ) noch eine weitere apriorische Bedingung einer
jeglichen Anschauung überhaupt gibt, nämlich daß ( . . . ) in der reinen Anschau-
ung, also unabhängig von a l l e n intellektuellen Momenten nicht etwa die ein-
zelnen Bestandteile dieser Anschauung atomistisch nebeneinanderliegen (...),
sondern daß sie unmittelbar bereits strukturiert sind, und diese unmittelba-
re Strukturiertheit alles Anschaulichen, von der würde man (...) wohl sagen
müssen, daß sie ebenso eine Form der Anschauung sei wie es Raum und Zeit
selber auch sind." 149
Die Argumentation kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen: aa) Zunächst
ist es nicht einsichtig, weshalb die unmittelbare Strukturiertheit apriorisch
sein soll. Eher würde man doch ihre Empirizität vermuten. Im Zusammenhang da-
mit steht, daß bb) Adorno Reinheit ("reine Anschauung") offensichtlich mit
nicht-verstandesmäßig ("unabhängig von a l l e n intellektuellen Momenten") iden-
tifiziert. Kant aber versteht unter "rein" nicht-empirisch. Wenn etwas
nicht vom Verstand bestimmt ist, ist es nicht notwendig rein im Kantischen
Sinne, wie Adorno voraussetzt. Vielmehr ist die verstandesmäßige Bestim-
mung rein, und das nicht vom Verstand Bestimmte kann rein sein, cc) Zudem
ist es nicht evident, inwiefern das (mögliche) Faktum dieser Strukturiert-
heit die "Bedingung" einer jeden Anschauung ausmachen soll. So bezeichnet
Adorno es an einer anderen Stelle angemessener als "überall vorliegende Be-
1 ?
Stimmung des unmittelbar Gegebenen" . dd) Auch ist es nicht zu verstehen,
daß die "unmittelbare Strukturiertheit alles Anschaulichen" eine Anschauungs-
form wie Raum und Zeit sein soll. Hier nutzt Adorno eine Ambiguität des An-
schauungsbegriffes aus: Versteht Kant Anschauung subjektiv als Anschauen
(ohne etwas anzuschauen), so Adorno (phänomenologisch) objektiv als Anschau-
liches (oder auch Angeschautes). Der Schritt von der Strukturiertheit des An-
geschauten zu ihrer Subjektivität als Anschauungsfora im Kantischen Sinne ist
nicht begründet. Sollte dies aber dennoch dargelegt werden können, dann be-
deutet ee) - nimmt man die Identität von Struktur und Form an, wie Adorno
dies teilweise tut - der Nachweis einer notwendigen Struktur (Form) kei-

149 Adorno (13), S. 290


150 Vgl. Kant (147), B 34
151 Eine angemessen« Deutung von "rein" gibt Adorno in (10) , S. 177.
152 Adorno *9), S. 156
153 Vgl. Adorno (13), S. 300
Allgemeine Einwände 91
neswegs den einer Notwendigkeit weiterer Formen neben Raum und Zeit. Eine
Geformtheit der Anschauung qua Anschaulichem (formale Anschauung) stellt
auch Kant heraus und nennt als Spezifizierungen dieser Form die Formen Raum
und Zeit. Der Beweis einer Geformtheit (genus proximum) kann aber unmöglich
den Aufweis weiterer Formen (differentia specified) neben Raum und Zeit be-
deuten. Betrachtet man hingegen Struktur als differentia specifica des genus
proximum Form, dann ist zwar dieser Einwand unzutreffend, verstößt aber statt
dessen ff) gegen das Prinzip der Mannigfaltigkeit: Das specificum von Struk-
tur bestünde in der inneren Beziehung der einzelnen Elemente des Gegebenen.
So spricht Adorno von einer fehlenden Atomistik. Diese Deutung von Struk-
tur ist aber mit dem Prinzip der Mannigfaltigkeit unvereinbar, weil sie -
streng genommen - einen konstituierten Komplex von Mannigfaltigkeiten voraus-
setzt. Da sich jedoch Adornos gestaltpsychologische K r i t i k dieses Prinzips
als unhaltbar erwiesen hat, kann auch der Rekurs auf die Strukturiertheit des
Gegebenen (unabhängig von den Übrigen Mängeln) Kants Vollständigkeitsthese in
bezug auf Raum und Zeit nicht widerlegen. Der Einwand, die "Wahrnehmung des
Gestaitzusanaenhangs" sei "eben eine transzendentale Funktion" verweist
vielmehr auf ein problematisches Verständnis dessen, was Transzendental Philo-
sophie meint - ist er doch nur vom Boden einer phänomenologisch um den ent-
scheidenden Konstitutionsgedanken reduzierten "Transzendentalphilosophie" aus
verständlich.
Zusammenfassend bedeutet dies, daß zwar die Transzendentale Ästhetik inso-
fern unzulänglich ist, als Vollständigkeit und Notwendigkeit der Anschauungs-
formen nicht streng deduziert werden» Adornos Gegenthese eines "kontingenten
a priori" aber noch weniger überzeugend ist.
3. Der dritte allgemeine Einwand Adornos geht auf die "Paradoxie einer er-
fahrungsfreien E r f a h r u n g " . Sie beruhe darauf, daß die Anschauungsformen
einerseits als bloße Anschauungen "(...) etwas Selbsterfahrenes sein sollen",
andererseits " ( . . . ) als ein Apriorisches der Erfahrung schlechterdings ent-
hoben sein wollen". Derart werde " ( . . . ) etwas unmittelbar Kontradiktorisches
prädiziert" 157 . Den Ausgangspunkt dieser Schwierigkeit bilde die Tatsache,
daß Kant "nicht ausdrücklich zwischen reinen Formen der Anschauung und rei-

154 Vgl. Adorno (13), S. 290


155 Adorno ( 9 ) , S. 155
156 Adorno (13), S. 302; vgl. auch (14), S. 151 f
157 Adorno (13), S. 302. In (11), S. 99 will Adorno aus diesem Problemkomplex
die Unmöglichkeit einer Trennung von Form und Inhalt folgern.
92 Adornos K r i t i k der Erkenntnistheorie Kants
158
nen Anschauungen" unterscheide. Damit nimmt Adorno vermutlich auf B 34 f
Bezug: "Diese reine Form der Sinnlichkeit wird aber auch selber reine An-
icg
schauung heißen."
Auch diese Kritik Adornos ist ansatzweise berechtigt, da Kant in der Tat
Form der Anschauung und reine Anschauung in sorgloser Weise identifiziert.
Jedoch muß in Rechnung gestellt werden, daß Kant in der zweiten Fassung der
transzendentalen Deduktion der Kategorien sehr wohl genau unterscheidet. Hier
setzt er die "bloße Form der Anschauung", die nur unvereinheitlichtes Mannig-
faltiges gibt, von der "formale(n) Anschauung ab, die eine Zusammenfassung·
des Mannigfaltigen, nach der Form der Sinnlichkeit Gegebenen, in eine an-
schauliche Vorstellung" ist. Insofern ist Adornos Ausgangspunkt nur par-
tiell richtig. Das bedeutet aber zugleich - macht man die Kantische Distink-
tion gegen Kant geltend -, daß gar nicht "(...) etwas unmittelbar Kontradik-
torisches pradiziert" wird, eben weil Anschauungsform und formale Anschauung
nicht identisch sind.
Zum zweiten scheitert Adornos Argumentation daran, daß er nicht zwischen
sinnlich und ewpirisch differenziert: Erfahrung im strengen Sinne ist bei
Kant definiert als "(...) ein empirisches Erkenntnis, d.i. ein Erkenntnis,
162
das durch Wahrnehmungen ein Objekt bestimmt." Wenn die reine Anschauung
Adorno zufolge "etwas Selbsterfahrenes" ist, dann ist sie seines Erachtens
Objekt einer empirischen Erkenntnis. Dies widerspricht aber Kants Auffassung:
Eine reine Anschauung ist zwar s i n n l i c h , nicht jedoch empirisch sinnlich:
"Sinnliche Anschauung ist entweder reine Anschauung (Raum und Zelt) oder
empirische Anschauung desjenigen, was im Raum und der Zeit unmittelbar als
163
wirklich, durch Empfindung, vorgestellt wird." Erst durch die sinnliche
und reine Anschauung können wir "(...) Erkenntnisse a priori von Gegenstän-
den (in der Mathematik) bekommen" 164 . Bei der Konstruktion der "Paradoxie
einer erfahrungsfreien Erfahrung" aber reduziert Adorno die sinnliche An-
schauung auf die empirisch sinnliche. Es hat also durchaus seine Gründe, wenn
diese Paradoxie - wie er schreibt - "(...) wahrscheinlich in dieser Schärfe
überhaupt gar nicht genügend beachtet worden ist" . Etwas anderes aber ist
158 Adorno (13), S. 300
159 Vgl. Kant (147), B 60
160 Vgl. Vaihinger (280), Bd. II, S. 107
161 Kant (147), B 160, Anm.
162 Kant (147), B 218
163 Kant (147), B 146 f
164 Kant (147), B 147
165 Adorno (13), S. 302
Allgemeine Einwände 93

es, das Prinzip der reinen Anschauung selbst zu problematisieren. Dies je-
doch steht bei Adorno aus.
4. Mit dem Erörterten ist ein weiteres Problem der Kantischen Erkenntnis-
theorie eng verbunden: ihre vorgebliche Unvereinbarkeit mit den mathematischen
und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des 19. und 20. Jahrhunderts. Wie
viele andere bezieht sich Adorno auf die (spezielle) Relativitätstheorie Ein-
steins mit ihrer Aufhebung der absoluten Raum-Zeit-Theorie Newtons und der
von der klassischen Physik anerkannten zeitlichen Universalität und Einheit.
Die Relativitätstheorie habe dargelegt, "(...) daß Raum und Zeit nicht unend-
liche und voneinander unabhängige Größen seien, sondern daß sie endlich sind
und sich gegenseitig durcheinander bedingen". Dadurch werde "(...) die Lehre
von der Apriorität aufgehoben" .
Dieser Einwand (und ein analoger, der sich auf die nicht-euklidische Geo-
metrie Riemanns stützt) berührt jedoch die Grundlage der Kantischen Lehre
nicht. Allerdings ist die historische Fassung der Transzendentalen Ästhetik
zu revidieren, da nur so der transzendentale Idealismus unter systematischen
Gesichtspunkt aufrechterhalten werden kann. Bei diesem Vorhaben muß die Un-
terschiedung zwischen Form der Anschauung und formaler Anschauung fruchtbar
gemacht werden, die Kant zwar in der zweiten Fassung der transzendentalen De-
duktion trifft, die allerdings noch nicht in der Fassung der Transzendentalen
Ästhetik von 1787 zum Tragen kommt. Wie 1781 identifiziert er auch hier noch
Form der Anschauung und reine Anschauung (formale Anschauung) . Diese In-
differenz wirft die Frage auf, ob die Transzendentale Ästhetik von der Form
der Anschauung oder der formalen Anschauung handelt. Es ist die Rede von ei-
ner immer zugrundeliegenden Raumvorstellung, der Einzigkeit und Einheit des
168
Raumes und seiner Unendlichkeit. Dies alles sind Bestimmungen, die sich
nicht auf die bloße Form der Anschauung beziehen, sondern auf das, was Kant
eine "anschauliche Vorstellung" nennt. Die Transzendentale Ästhetik hat
es also nicht mit der Form der Anschauung zu tun, wie es zunächst scheint
und wie es sein müßte, sondern mit der formalen Anschauung.

166 Adorno (13), S. 306. Vgl. auch (13), S. 40


167 Vgl. Kant (147), B 34
168 Vgl. Kant (147), B 38 ff
169 Vgl. Kant (147), B 160, Anm.
170 Der biographische Grund für den Bezug der transzendentalen Ästhetik auf
die formale Anschauung liegt vermutlich darin, daß wesentliche Teile na-
hezu wörtlich aus 'De mundi' (1770) übernommen sind [vgl. Kant (139),
S. 398, 402, 404].
94 Adornos K r i t i k der Erkenntnistheorie Kants

Diese Einsicht spricht auch Kant indirekt an der Stelle aus, an der er die
Differenzierung vornimmt. In bezug auf die formale Anschauung stellt er fest:
"Diese Einheit hatte ich in der Ästhetik bloß zur Sinnlichkeit gezählt,um nur
zu bemerken, daß sie vor allem Begriffe vorhergehe, ob sie zwar eine Synthe-
sis, die nicht den Sinnen angehört, durch welche aber a l l e Begriffe von Raum
und Zeit erst möglich werden, voraussetzt." Da die Transzendentale Ästhe-
tik nicht zwischen Form der Anschauung und formaler Anschauung unterscheidet,
bedeutet dies notwendig, daß sie gar nicht das thematisiert, was sie eigent-
lich ansprechen müßte: die Form der Anschauung. Diese kann man als Raum- bzw.
Zeitwurzel umschreiben, als Wurzel räumlicher und zeitlicher Bestimmungen,
wie sie in der formalen Anschauung vorliegen.
Da nun die Raum- und Zeitinterpretationen der nicht-euklidischen Geometrie
und (speziellen) Relativitätstheorie auf konkrete qua formal bestimmte Raum-
und Zeitvorstellungen gehen, nicht aber auf Raum und Zeit qua Formen der An-
schauung (qua Raum- und Zeitwurzel), berühren sie a l l e n f a l l s die vorliegende
Form der Transzendentalen Ästhetik, eine von ihrer Anlage her nicht zureichen-
de Fassung der transzendental ideal istischen Position und ihrer Aprioritäts-
these hinsichtlich Raum und Zeit.
Derart kann Adornos These nicht überzeugen, die mathematischen Theorien und
naturwissenschaftlichen Erkenntnisse hätten "(...) die Lehre von der Apriori-
172
tat aufgehoben" . Nicht die Lehre selbst ist unzulänglich, sondern nur die
Begründung Kants, die unter Rückgriff auf seine eigene Differenzierung in ei-
ner systematisch zureichenden Konzeption des transzendentalen Idealismus er-
setzt werden müßte.
Weder die ontologisch-platonisierende Kritik einer Irreal isierung der Reali-
tät mit dem ihr zugrundeliegenden problematischen Wahrheitsbegriff, noch die
Einwände gegen die Vollständigkeit und Notwendigkeit der beiden Anschauungs-
formen Raum und Zeit, noch die Konstruktion der "Paraduxie einer erfahrungs-
freien Erfahrung" widerlegen also die transzendentalphilosophische Grundpo-
sition. Da Adorno den Unterschied zwischen formaler Anschauung und Form der
Anschauung nicht beachtet, kann er das Verhältnis der Kantischen Transzenden-
talphilosophie zur modernen Naturwissenschaft und Mathematik nicht angemes-
sen einschätzen.
171 Kant (147), B 160 £ Anm.
172 Adorno (13), S. 306. Vgl. auch I. Strohmeyer, die - allerdings im Unter-
schied zu uns von einer positiven Wertung der Transzendentalen Ästhetik
ausgehend Cvgl. Strohmeyer (275), S. 2 8 - 3 8 ] - die "Vereinbarkeit von
Die einzelnen Raum- und Zeltargumente 95

3.4.3.1.2 Die einzelnen Raum- und Zeitargumente

Von den allgemeinen Einwänden Adornos gegen die Transzendentale Ästhetik ist
seine Kritik der einzelnen Raum- und Zeitargumente zu unterschieden. Dabei
soll im folgenden nur die Kritik der Raumargumente erörtert werden, weil die
der Zeitargumente analog ist.
1. Erstes Äatanarsruoent: Ziel des ersten Arguments ist der Beweis der Aprio-
rität des Raumes. Das Argument selbst kann man mit G. Martin als "plato-
nisch" charakterisieren: Die Identifikation von etwas "als außer und ne-
ben" präsupponiert eine schon zugrundeliegende Raumvorstellung, woraus
die Apriorität des Raumes folgt (folgen soll ?).
Adorno deutet die "positive Seite" des Satzes, daß Raum und Zeit "(...)
keine abgezogenen empirischen Begriffe sind", derart,"(...) daß alle anderen
Versuche, Raum und Zeit durch anderes zu erläutern, zu definieren, selber im-
mer wieder auf die Vorstellungen von Raum und Zeit notwendig zurückführen
müssen" 176 .
Dieses Verständnis ist in doppelter Weise problematisch: a) Kant w i l l an
dieser Stelle nicht die Zirkularität einer faunaeflnition, sondern die Aprio-
rität des Raumes zeigen, b) Damit hängt zusammen, daß Adorno das Beweisthema
(Apriorität) mit dem Beweisgrund (platonisches Argument) verwechselt: Die
Apriorität des Raumes folgt nach Kant aus dem notwendigen Präzedens hinsicht-
lich einer Identifikation von etwas "als außer und neben" (nicht: hinsicht-
lich einer Definition des Raumes selbst), aber die Notwendigkeit der Priori-
tät (Präzedens) ist nicht identisch mit der Apriorität, sondern diese liegt
vielmehr in jener begründet. Anders ausgedrückt: Bedingt a) durch den Irrtum,
daß es im Argument selbst (Beweisgrund) statt um die Identifikation von et-
was als räumlich bestimmt um die Definition des Raumes selbst geht, und b)
durch die Vernachlässigung der Differenz von Beweisgrund (Argument) und Be-
weisthema gelangt Adorno zu der Auffassung, daß die "positive Seite" des Sat-

transzendentalphilosophischer und relativistischer Raum-Zeit-Lehre"


(275, S. 173) herausarbeitet und den Kantischen Apriorismus bestätigt.
173 Vgl. Martin (186), S. 36
174 Kant ( 1 4 7 ) , B 38
175 Vgl. zum ersten Raumargument die Kritik von Strawson ( 2 7 3 ) , S. 59 und
Hossenfelder (125), S. 28 - 37, 56 - 60.
176 Adorno (13), S. 293
96 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

zes von der Apriorität des Raumes seine Undefinierbarkeit (d.h. bloß zirkulä-
re Definierbarkeit) sei. Diese "Wahrheit" ist nicht nur "nicht die ganze
Wahrheit" , wie Adorno mit Blick auf die von Kant vertretene und von ihm
abgelehnte Subjektivität des Raumes (negative Seite des Satzes) konzediert,
sondern sie ist insofern überhaupt keine Wahrheit, als das von ihm Herausge-
stellte im ersten Raumargutnent nicht angeschnitten wird.
178
2. zweites Raumargument: Ziel dieses gegen Leibniz gerichteten "aristo-
17Q
telischen" Arguments ist abermals die Apriorität des Raumes. Der Beweis-
grund liegt in der von Kant hervorgehobenen Möglichkeit, die Gegenstände des
Raumes hinwegdenken zu können (was ihre Zufälligkeit involviert) und der Un-
180
möglichkeit der Vorstellung, "(...) daß kein Raum sei" (woraus seine Not-
wendigkeit folgt).
Abgesehen davon, daß Adorno dieses Argument ebenfalls irrtümlich im Zusam-
menhang mit der Definitionsmöglichkeit des Raumes sieht, macht er geltend,
181
daß uns die "Vorstellung eines absolut leeren Raumes" verwehrt sei. Aus
der Undurchführbarkeit einer "absolute(n) und radikale(n) Trennung von Raum
IfiP
und Räumlichem" folge die Unmöglichkeit einer transzendentalen Ursprungs-
philosophie, weil "(...) also in der Sphäre der Subjekt-Objekt-Beziehung auch
auf dem Niveau ( . . . ) der sogenannten unmittelbaren Gegebenheit ein absolut
1R3
Erstes sich gar nicht finden kann." Positiv sei das Verhältnis zwischen
dem Raum und seinen Gegenständen derart, "(...) daß ebenso der Raum den Ge-
genständen inhäriert, wie umgekehrt der Raum die Bedingung aller möglichen
Gegenstände überhaupt ist." 184
Der Einwand Adornos scheint unwiderlegbar zu sein, da es sich hier um den
Konflikt zweier Grundüberzeugungen handelt, der mit den vorgetragenen Argu-
menten nicht entschieden werden kann: Der Apriorismus Kants beansprucht so
etwas wie eine transzendentale Wesensschau (Vorsteil barkeit eines absolut
leeren Raumes), der Empirismus Adornos bestreitet sie (Unvorstellbarkeit ei-
nes absolut leeren Raumes). Diese Unentschiedenheit (Unentscheidbarkeit ?)
ist aber insofern von Bedeutung, als sich Adornos Widerlegung des transzen-
177 Adorno (13), S. 293
178 Vgl. zur Raumtheorie von Leibniz (166), S. 135, 192, 206
179 Vgl. Martin (186), S. 36. Zum Verhältnis des ersten und zweiten Raumar-
guments vgl. Vaihinger (280) , Bd. II, S. 196 f.
180 Kant (147), B 38
181 Adorno (13), S. 293
182 Adorno (13), S. 296. Vgl. auch ( 7 ) , S. 325 f
183 Adorno (13), S. 295
184 Adorno (13), S. 294. Vgl. ( 7 ) , S. 326
Die einzelnen Raum- und Zeitargumente 97

dentalphilosophischen Ansatzes auf eine bloße Behauptung reduziert: Der Idea-


lismus Kants wird nicht immanent kritisiert, sondern äußerlich mit einem an-
deren Ansatz konfrontiert. Diese bloß äußerliche Gegenüberstellung bedingt
1fi5
auch, daß Adorno zwar eine Reziprozität von Raum und Räumlichem behauptet,
aber nicht erklären kann, wie dieselbe zu denken sei, weil dies die ausste-
hende immanente Kritik voraussetzte.
Der Einwand Adornos ist aber für den transzendental philosophischen Ansatz
deshalb nicht entscheidend, weil das zweite Raumargument gar nicht die An-
schauungsform, sondern lediglich die formale Anschauung des Raumes (absolut
leerer Raum) betrifft. Insofern greift Adornos Einwand zu kurz, weil die feh-
lende Apriorität der formalen Anschauung nicht die der Anschauungsform impli-
ziert. Auch wenn bestimmte Raum- und Zeitvorstellungen (z.B. das dreidimen-
sionale Auffassen des Raumes) empirisch bedingt sind, so schließt das nicht
eine apriorische Raum- und Zeitwurzel, d.h. den Ursprung der Räumlichkeit
und Zeitlichkeit von Vorstellungen im Erkenntnissubjekt, aus.
3. Drittes Raumaxgument (nach B): Sollen die beiden ersten Argumente die
Apriorität des Raumes zeigen, so soll nun die Art dieser Vorstellung (An-
186
schauung oder Begriff) dargetan werden. Im dritten Raumargument rekurriert
Kant auf die E i n z i g k e i t und Einheit des Raumes, die seine Deutung als Begriff
ausschließen und die als Anschauung erzwingen (sollen ?).
Die "Beweisführung" zählt für Adorno "(...) ohne Fragen zu den genialsten
und scharfsinnigsten Leistungen, die die Kantische Vernunftkritik überhaupt
187
enthält." Aber dennoch liege hier zugleich ein schwerwiegendes "(...)
Problem der Raum- und Zeitlehre verborgen", nämlich dasjenige, "{...) wie
diese reinen Anschauungen nun eigentlich zu dem Material, zu den sogenannten
Empfindungen sich verhalten." Von dieser Vermittlungsschwierigkeit her kom-
me " ( . . . ) Kant ganz folgerecht zu dem Begriff einer reinen Anschauung, (...)
einem Etwas, was zwar nicht begrifflich sein soll (...), was aber auf der
anderen Seite uns auch nicht mit der Z u f ä l l i g k e i t der von außen an uns quasi
herankommenden Empfindung innewohnt, sondern was selber aller solcher Empfin-
18R
düngen eigentlich vorangeht." Dies impliziere dann die "Paradoxie einer
erfahrungsfreien Erfahrung."

185 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 294, 296, 303


186 Vgl. Paton (213), Bd. I, S. 114
187 Adorno (13), S. 299
188 Adorno (13), S. 300 f
189 Adorno (13), S. 302
98 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

Weder ist a) diese "Paradoxie" überzeugend - wie Oben gezeigt worden ist -,
noch läßt sich b) die vorgeblich Kantische Gedankenbewegung textlich verifi-
zieren: Kants Aussagen zufolge ist es wahrscheinlicher, daß die Einführung
des Begriffs der formalen Anschauung (reine Anschauung) in Absetzung zu dem
der Anschauungsform nicht durch den Form-Inhalt-Dualismus, sondern durch sei-
ne Mathematik- und Geometrieauffassung bedingt ist, denn: "Der Raum, als Ge-
genstand vorgestellt (wie man es wirklich in der Geometrie bedarf), enthält
mehr als bloße Form der Anschauung, nämlich Zusammenfassung des Mannigfalti-
gen (...) in eine anschauliche Vorstellung" 190 . Zudem ist c) der Problemge-
halt der Ausgangsschwierigkeit fragwürdig, da hier eine ontologische Verding-
lichung der "reinen Anschauungen" und "sogenannten Empfindungen" vorzuliegen
scheint.
4. viertes Rawnargument (nach B): Wie das dritte Raumargument, so dient
auch das vierte dem Beweis des Anschauungscharakters des Raumes. Hinsichtlich
des Beweisgrundes jedoch differieren sie: Rekurriert jenes auf die Einzigkeit
und Einheit, so dieses auf die Unendlichkeit des Raumes (qua In-Sich-Enthal-
ten einer unendlichen Menge von Vorstellungen). Dies impliziert den Anschau-
ungscharakter des Raumes, weil das Kriterium der so gefaßten Unendlichkeit
1Q1
für den Begriff nicht zutrifft. 1
Adorno deutet dieses Argument als "These von ihrer (d.h. Raum und Zeit, B.)
unendlichen Gegebenheit." 192 Die Annahme dieser These als Beweisthema wider-
spricht jedoch der conclusio Kants: "Also ist die ursprüngliche Vorstellung
193
vom Räume a priori, und nicht Begriff." Der erste Satz des Arguments, auf
den sich Adorno vermutlich bezieht, exponiert nicht - wie in den anderen Ar-
gumenten - die "zu beweisende These", sondern "(...) ein Factum das als Grund-
194
läge des Beweisgrundes dienen soll." Gegen den irrtümlich als Beweisthema
angenommenen mittelbaren Beweisgrund wendet Adorno zweierlei ein: Zum einen
bestreitet er analog seiner Kritik des zweiten Raumarguments in bloß äußerer
195
Konfrontation die Möglichkeit, ein "positives Unendliches" sich vorstel-
len zu können. Zum anderen weist Adorno auf den Widerspruch Kants hin, daß
dieser "(...) in der transzendentalen Ästhetik etwas behauptet und prädi-
ziert, was im Sinne des zweiten Teils der transzendentalen Logik, nämlich

190 Kant (147), B. 161 Anm.


191 Vgl. Paton (213), Bd. I, S. 115
192 Adorno (13), S. 302
193 Kant (147), B 40
194 Vaihinger (280), Bd. II, S. 254. Vgl. (280), Bd. II, S. 222, 243
195 Adorno (13), S. 303
Die einzelnen Raum- und Zeitarg unten te 99

der transzendentalen Dialektik, geradezu als Kardinalsünde angeprangert wird,


196
daß einem na'mlich ein positiv Unendliches als solches gegeben sein s o l l " .
197
Mit diesem oftmals gegen Kant gewendeten Widerspruch bezeichnet Adorno in
der Tat eine Schwierigkeit. Das vierte Raumargument ist zudem nicht mit der
in der ' K r i t i k der Urteilskraft' vertretenen Auffassung in Einklang zu brin-
gen: "Das gegebene Unendliche aber dennoch ohne Widerspruch auch nur denken
zu können, dazu wird ein Vermögen, das selbst übersinnlich ist, im menschli-
chen Gemüt erfordert." 198
Die oben geforderte Revision der Transzendentalen Ästhetik indessen würde
diese Schwierigkeit überwinden, weil sich der Widerspruch auf die formale An-
schauung - und die von Kant verwendete Unendlichkeitsvorstellung geht auf
199
diese - bezieht, nicht aber auf die Form der Anschauung.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Adornos Kritik der Transzendentalen
Ästhetik vielfach der Kantischen Auffassung nicht gerecht wird. Dies ist
teilweise durch den ontologischen Interpretationsansatz, teilweise durch ein
unzulängliches Erfassen Kantischer Differenzierungen (sinnlich/empirisch,
Form der Anschauung/formale Anschauung) und grundlegender Gedankengänge be-
dingt. Eine Analyse seiner K r i t i k der einzelnen Raum- bzw. Zeitargumente
zeigt, daß Adorno im ersten und vierten Argument Beweisthema und Beweisgrund
verwechselt, die Kritik des zweiten (und vierten) Raumarguments nicht imma-
nent ist, sondern äußerlich zwei Ansprüche (Apriorismus, Empirismus) konfron-
tiert. In bezug auf das dritte Raumargument ist weder die exponierte Pro-
blemstellung, noch sein Implikat einer "Paradoxie", noch die Herleitung zu
demselben überzeugend. Die berechtigten Einwände Adornos jedoch berühren
nicht die transzendentalphilosophische Grundposition, sondern nur seine un-
zulängliche Fassung. Dabei bietet sich gerade Kantisches Gedankengut zur
Oberwindung dieser Schwierigkeiten an.

196 Adorno (13), S. 303 f


197 Vgl. Vaihinger (230), Bd. II, S. 254 - 261
198 Kant (148), S. 254
199 Es ist sogar problematisch, ob sich die Unendlichkeitsvorstellung über-
haupt auf die formale Anschauung beziehen kann. Keinesfalls ist jedoch
sie der Form der Anschauung zuzuordnen.
100 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

3.4.3.1.3 Adornos Entwicklungsversuch einer Raum- und Zeitlehre

Dieses trotz seiner Vielfältigkeit einheitliche Ergebnis fordert zur Skepsis


gegenüber Adornos konstruktiver Raum- und Zeitlehre auf, die er gegen die
"Vorstellung der reinen Aprioritä't" setzt. Dabei greift er auf die soziolo-
gischen Forschungen Emile Durkheims zurück. Diesen zufolge hätten sich die
Zeitvorstellungen " ( . . . ) an bestimmten Generationsverhältnissen und an der
Ordnung des zu vererbenden Eigentums gebildet", und "die Vorstellung der
räumlichen Objektivität" sei "an dem Bedürfnis' der seßhaft gewordenen Men-
schen, ihre Besitzverhältnisse von einander abzugrenzen" , erwachsen.
Indessen werden hier zwei verschiedene Perspektiven und Fragestellungen
miteinander konfundiert: die transzendentalphilosophische und die soziologi-
sche. Fragt die Transzendentalphilosophie nach dem Ursprung von Raum und Zeit
überhaupt, so die Soziologie nach der Genese bestimmter Raum- und Zeitvorstei-
lunsren. Da aber die Empirizität bestimmter Raum- und Zei Herstellungen nicht
die Apriorität der Anschauungsformen Raum und Zeit ausschließt, kann Adornos
Versuch nicht überzeugen, die Soziologie gegen die Transzendentalphilosophie
zu wenden. Was a l l e n f a l l s bleibt, ist statt einer Kritik die Konfrontation.
Mehrfach aber deutete sich schon an, daß sich die Konfrontation zugunsten
einer Überlegenheit des Kritizismus aufzulösen beginnt. Gerade eine revidier-
te Fassung der transzendental philosophischen Raum- und Zeitlehre könnte die
soziologische Theorie begründend integrieren,indem sie etwa die Notwendigkeit
und Vollständigkeit der Anschauungsformen Raum und Zeit darlegt.

3.4.3.2 Die Analytik der Begriffe

Nachdem nun Adornos Kritik der Transzendentalen Ästhetik analysiert worden


ist, soll im folgenden seine Deutung der Analytik der Begriffe besprochen
werden. Dabei ist zunächst seine allgemeine Einschätzung dieses Systemteils
und sodann die spezielle Problematik des Verhältnisses von metaphysischer
und transzendentaler Deduktion zu behandeln. Adornos Interpretation der
transzendentalen Apperzeption wird erst in 5.1 erörtert.

200 A4orno (13), S. 309


Allgemeines 101

3.4.3.2.1 Allgemeines (Kategorien, Synthesis)

Auch in der Interpretation der Analytik der Begriffe ist Adornos ontologi-
scher Ansatz bestimmend. Seinem "metakritisch" gegen Kant gerichteten Denk-
modell, demzufolge wir die bestimmte Struktur des Gegebenen "(...) nicht
einfach brechen können, die wir nicht einfach mit der Gewalt unserer Kate-
201
gorisierungen nach Belieben in unsere Ordnungsschemata übersetzen können" ,
liegt ein ontologischer Realismus zugrunde: Reaiismue, weil dieser nach
Adorno den erkenntnistheoretischen Ansatz des Idealismus und seiner Rückfra-
202
ge beim Subjekt überwindet , indem er den Konstitutionscharakter des Kon-
stituens aufdecke. Ontologisch, weil Adorno nicht wie die Transzendentalphi-
losophie an der Begründung objektiv gültiger Erfahrung, sondern primär am
Objektiven interessiert ist - unbekümmert darum, daß gültige Aussagen über
das Objektive die Frage nach der Objektivität als beantwortet voraussetzen.
Adorno hält das Problem des Objektiven einerseits und das der Objektivität
andererseits nicht auseinander, wie seine Kritik der sogenannten "Residual-
203
theorie" der Wahrheit gezeigt hat. Das ontologisch realistische Denkmo-
dell wird nicht durch immanente Kritik begründet, sondern lediglich dem Kan-
tischen Ansatz konfrontiert. Dies bedingt sowohl eine wenig überzeugende
Argumentation als auch ein Mißverständnis der synthetischen Leistung des
Verstandes.
1. Adorno kann sein ontologisches Denkmodell nur dann erfolgreich gegen
den transzendentalphilosophischen Ansatz ausspielen, wenn es ihm gelingt,
Kant ebenfalls eine notwendig onto!ogisehe Betrachtungsart nachzuweisen.
So bemüht er sich, den Seinscharakter der Kategorien zu beweisen: "An' einer
der zentralsten Stellen der ' K r i t i k der reinen Vernunft' (...) findet sich
der Satz: 'Von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes aber nur vermittels
der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit
der Apperzeption a priori zustandezubringen, läßt sich eben so wenig ferner
ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine anderen Funktionen
zu Urteilen haben, oder warum Raum und Zeit die einzigen Formen unserer mög-
lichen Anschauung sind."' Diese Stelle erläutert Adorno folgendermaßen:
"Mit anderen Worten also, es werden bei Kant selber die (...) Formen des

201 Adorno (13), S. 106


202 Vgl. Adorno (11), S. 125, 137, 169
203 Vgl. Kap. 2.3.2
102 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

Bewußtseins selbst als etwas schlechterdings Gegebenes, als etwas schlech-


terdings Daseiendes angesetzt,als etwas also,worüber das Denken seinerseits
keine Macht hat als ein Stück Sein,und damit als ein Stück Metaphysik."
Es trifft zu, daß Kant die Kategorien nicht einzeln deduziert und sie in-
sofern "als etwas schlechterdings Gegebenes" ansieht.Dennoch aber werden sie
in der transzendentalphilosophischen Reflexion begründet, indem Kant sie als
Weisen der Vermeinigung des Gegebenen,d.h. als nachgängige Bedingung der ur-
sprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption, aufzeigt. Schon Adornos
Rede von einer fehlenden "Macht" des Denkens über die Bewußtseinsformen wird
dem Problem nicht gerecht, denn Kant ist nicht an der Macht-, sondern an der
Legitimations- und Gültigkeitsfrage des Denkens interessiert. Weiterhin ist
es nicht einsichtig, inwiefern die These einer Unhinterfragbarkeit der Gel-
tung bestimmter Kategorien ihren Seinscharakter implizieren.die transzenden-
talphilosophische Fragestellung derart in "Metaphysik" münden soll. Schließ-
lich widerspricht die Ontologisierung der Kategorien ihrer konstituierenden
Bedeutung als Meisen der Synthesis. Derart um das Konstitutionsmoment ver-
kürzt, ist es verständlich, daß für Adorno das, "(...) was bei Kant Formung
205
heißt, wesentlich Deformation" ist. Die franezandentaiphUosophie wird
so zur fhaorie der Macht uminterpretiert.
2. Verweist dies auf den Ontologismus Adornos, so bedingt der Realismus
seines Denkmodells ein weiteres Mißverständnis.
Das Hauptthema der Begriffsanalytik ist die "Spontaneität der Begriffe" 20 ?
der Verstand mit seinen Funktionen der Synthesis gegebener Mannigfaltigkeit.
Der Verstand ist nach Adorno nichts anderes als das "(...) Vermögen, Einheit
in der Mannigfaltigkeit zu stiften, und zwar nach Gesetzen." Dies bedeute
auf dem "(...) vergleichsweise schlichten Kantischen Niveau (...), dasselbe
im Verschiedenen festzuhalten, und dadurch, daß Verschiedenes unter dasselbe
gebracht oder daß dasselbe an Verschiedenem bestimmt wird,in das Verschiede-
ne, das zunächst als ein Chaotisches und ganz Unqualifiziertes dargestellt
wird, so etwas wie Ordnung zu bringen." 207
Adornos Irrtum ist bezeichnend: die Verwechslung von synthetischer und
analytischer Verstandesleistung. Ursprüngliche Aufgabe des Verstandes ist

204 Adorno (13), S. 171. Vgl. (13), S. 236 und (14), S. 37 f. Die zitierte
Kantfltelle let Kant (147), B 145 f
205 Adorno (S), S. 752
206 Kant (147), B 74
207 Adorno (11), S. 131
Allgemeines 103

die Synthetisierung des Mannigfaltigen, seine Konstituierung zu Objekten


(Vorstellungskomplexen). Diese ursprünglich in der synthetischen Einheit
der transzendentalen Apperzeption gründende Verstandeshandlung ist die not-
wendige Bedingung des von Adorno beschriebenen Identifikationsvollzuges,
"(...) dasselbe im Verschiedenen festzuhalten." Der Identifikationsakt ist
analytischer Natur, indem er das Verschiedene auf seine Merkmale bzw. Merk-
malskomplexe hin zerlegt, und so ermöglicht, daß etwas als etwas mit Hilfe
des analysierten Merkmals qualifiziert, d.h. identifiziert werden kann.
Derart aber setzt diese Identifikation die synthetische Konstituierung des
Verschiedenen voraus. Kant begründet die Ursprünglichkeit der synthetischen
Einheit der Apperzeption vor der analytischen Einheit des Bewußtseins, der
bezeichneten Durchgängigkeit eines Teilgedankens durch einen komplexeren,
in der Anmerkung zu § 16: "Die analytische Einheit des Bewußtseins hängt
allen gemeinsamen Begriffen, als solchen, an, z.B. wenn ich mir rot über-
haupt denke, so stelle ich mir dadurch eine Beschaffenheit vor, die (als
Merkmal) irgendworan angetroffen, oder mit anderen Vorstellungen verbunden
sein kann; also vermöge einer vorausgedachten möglichen synthetischen Ein-
heit kann ich mir die analytische vorstellen. Eine Vorstellung, die als
verschiedenen gemein gedacht werden soll, wird als zu solchen gehörig ange-
sehen, die außer ihr noch etwas verschiedene* an sich haben, folglich muß
sie in synthetischer Einheit mit anderen (...) vorher gedacht werden, ehe
ich die analytische Einheit des Bewußtseins, welche sie zum conceptus com-
munis macht, an ihr denken kann." 2flft Diese analytische Einheit des Bewußt-
seins darf nicht mit der analytischen Einheit des Selbstbewußtseins, d.h.
der konstitutiven Anwesenheit des "ich denke" in allen meinen Vorstellungen,
verwechselt werden. Die analytische Einheit des Bewußtseins ist das Medium,
in dem die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption die analyti-
sche Einheit des Selbstbewußtseins ermöglicht. Indem Adorno vom Verschiede-
nen, das er nur verbal und in sich widersprüchlich als "Unqualifiziertes" -
ein Verschiedenes ist immer schon qualifiziert - bestimmt, ausgeht, muß er
die Leistung des Verstandes als, analytischen Identifikationsakt nehmen.
Wenn Adorno damit die entscheidende Dimension der synthetischen Konstituie-
rung von Objekten ausblendet, so hat dies seinen Grund in einer vom Realis-
mus nicht gelösten Denkeinstellung: Der erkenntnistheoretische Realismus
wird nicht etwa auf einer höheren Stufe wiederhergestellt, sondern der
transzendental philosophischen Reflexion entgegengesetzt.

208 Kant (147), B 133 f Anm.


104 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants
Adorno deutet also aufgrund seines ontologischen Realismus 1. die Kategorien
als Seinsweisen ("Stück Sein") und reduziert 2. die Verstandesfunktion auf
die analytische Identifikation. Dabei ist das Verhältnis zwischen dieser Re-
duktion und der Ontologisierung der um ihr Konstitutionsmoment verkürzten
Kategorien streng korrelativ und verweist auf ein problematisches Verständnis
des transzendentalphilosophischen Grundgedankens.

3.4.3.2.2 Die metaphysische und die transzendentale Deduktion

Der Ontologismus Adornos setzt sich in seiner Funktions- und Verhältnisdeu-


tung der metaphysischen und transzendentalen Deduktion der Kategorien fort
und zeigt sich weiter in seinem reduktionistisehen Verständnis von Transzen-
dentalphilosophie.
1. Kant gehe "von zwei Seiten" die Kategoriendeduktion an: einer logisch
(-induktiven) und einer psychologisch-deduktiven. Bei der logisch (-indukti-
ven) Vorgehensweise nehme er die Kategorien "(...) als gleichsam Urgegeben-
heiten hin, die die Autorität der unmittelbaren Evidenz haben sollen, nimmt
aber diese Gegebenheiten ihrerseits aus der formalen Logik." Diesen Weg
schlage Kant ein, um "(...) die Rückversicherung des unmittelbar Gegebenen
(zu) haben, dessen, was da ist und woran ich mit meiner Vernünftelei gar
?1
nicht rütteln kann" . Im Gegensatz dazu stehe die psychologisch-deduktive
Vorgehensweise der "transzendentalen Deduktion". Diese deduziere aus der
zeitlichen Einheit des "ich denke" die "(...) einzelnen kategorialen Formen
(...), die nun die obersten Begriffe der Vernunft sein sollen." 211 Hierdurch
wolle Kant "die Stringenz des deduktiven Systems" erreichen. Die beiden Vor-
gehensweisen seien aber nicht nur einfach parallel, sondern stünden im "Wi-
?1 ?
derspruch" zueinander.
Diese kritische Interpretation verdankt sich mehreren Irrtümern:
a) Mit dem logisch-induktiven Weg meint Adorno vermutlich die metaphysische
Deduktion der Kategorien, obwohl er den Begriff nicht verwendet. Diese hat
nach Kant die Aufgabe, den "Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch
ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des
213
Denkens" darzutun. Ihre systematische Stellung läßt sich durch Kants Un-
209 Adorno (13), S. 225
210 Adorno (13), S. 226
211 Adorno (13), S. 224
212 Adorno (13), S. 226
213 Kant (147), B 159
Die metaphysische und die transzendentale Deduktion 105

terscheidung des quid iuris und quid facti verdeutlichen.Beantwortet die me-
taphysische Deduktion die quaestio facti, so die transzendentale die quaestio
iuris. Geht es jener um den Aufwels der einzelnen Kategorien (und den Nach-
weis der Vollständigkeit der Kategorientafel) , so dieser um den objekti-
215
ven Gültigkeitsbeweis der reinen Verstandesbegriffe , den Beweis ihrer
21ß
"Rechtmäßigkeit" als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung über-
217
haupt.
In der metaphysischen Deduktion nimmt Kant auf die als vollständig und (hy-
?1ft
pothetisch ) gültig vorausgesetzte formale Logik Bezug. Die aus dieser ab-
geleitete Urteilstafel dient als "Leitfaden" zur Aufstellung der Kategorien-
tafel. Denn: "Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in
einem urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener
Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der
reine Verstandesbegriff heißt." 219 G i l t dieser Zusammenhang - die Entspre-
chung von Urteilsform und Kategorie ist nach Kant fast durchgängig "in die
Augen fallend" -, dann folgt: "Die Funktionen des Verstandes können also ins-
gesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen
vollständig darstellen kann."
2?o Da diese Bedingung nach Kant durch den Rück-
griff auf die formale Logik erfüllt ist, "(...) entspringen gerade so viel
reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung
überhaupt gehen, als es in der vorigen Tafel (der Urteilstafel, B.) logische
Funktionen in allen möglichen Urteilen gab: denn der Verstand ist durch ge-
dachte Funktionen v ö l l i g erschöpft, und sein Vermögen dadurch gänzlich aus-
221
gemessen." Nachdem Kant so die Kategorien aufgewiesen und ihre Vollstän-
222
digkeit nachgewiesen hat (nachweisen wollte ? ), beweist er im "zweiten
Hauptstück", der transzendentalen Deduktion, ihre objektive Gültigkeit,
Adorno stellt nun zu Recht fest, daß Kant auf die formale Logik rekurriert.
Problematisch ist indessen seine Deutung, Kant intendiere "die Rückversiche-

214 Vgl. Kant ( 1 4 7 ) , B 89, 92


215 Vgl. Kant ( 1 4 7 ) , B 122
216 Kant ( 1 4 7 ) , B 114
217 Vgl. Kant (147), B 126
218 Hypothetisch, weil Kant auch die formale Logik deduzieren will [vgl.
Kant ( 1 4 7 ) , B 134 Anm.], wie Fichte dies dann in der 'Grundlage' ver-
sucht hat. Vgl. Fichte ( 6 2 ) , S. 255, 261, 267; ( 6 4 ) , S. 138 f
219 Kant ( 1 4 7 ) , B 104 f
220 Kant ( 1 4 7 ) , B 94
221 Kant (147), B 105
222 Wie schon Fichte [ ( 6 5 ) , S. 201] herausgestellt hat, geht Kant hier bloß
empirisch vor, kann also nicht Vollständigkeit beanspruchen.
106 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

rung des unmittelbar Gegebenen". Kant geht es in der metaphysischen Deduktion


nicht um eine "Rückversicherung", die quaestio iuris, sondern lediglich um
die quaestio facti, um die Bestandsaufnahme dessen, was ist, aber nicht um
die Begründung von etwas (den Kategorien) mittels dessen, was ist. Falsch
ist deshalb auch Adornos These, Kant nehme die Kategorien hier "(...) als
gleichsam Urgegebenheiten h i n , die die Autorität der unmittelbaren Evidenz
OOi
haben sollen" : Die Frage der auctoritas ist an dieser Stelle noch gar
nicht thematisch.
Das Mißverständnis der systematischen Bedeutung der metaphysischen Deduk-
tion hat seine Ursache darin, daß Adorno nicht zwischen dem quid facti und
dem quid iuris unterscheidet, das quid facti ihm zum quid iuris wird. In die-
sem Sinne bestimmt er in den zwanziger Jahren, als er sich noch auf dem Boden
ooyi
der "transzendentalen Phänomene!ogie" seines Lehrers Hans Cornelius weiß,
als "fiechtsausweis für die Bestimmung" der transzendentalen Bedingungen "al-
lemal und ausschließlich" den "Rekurs auf das Erlebnismaterial, das 'untnit-
telbar Gegebene'. Es sei "von dem unmittelbar Gegebenen als letzter Rechts-
quelle der Erkenntnis" auszugehen und "Einsicht in die transzendentale Appara-
/
tur durch Abstraktion vom tatsächlichen Erlebniszusammenhang" zu gewinnen.
Diese Überlegungen weisen nicht nur auf W. Di l they zurück, für den das Er-
007
leben zum Geltungsgrund wird, weil es "immer seiner selbst gewiß" sei. Sie
scheitern zudem an der Forderung Kants nach einem .objektiven "Principium" des
Rechtsgrundes: Sieht Kant die "objektive Gültigkeit der Kategorien" nur da-
durch gewährleistet, "(...) daß durch sie allein Erfahrung (der Form des Den-
kens nach) möglich sei", "(...) daß sie als Bedingungen der Möglichkeit der
Erfahrung erkannt werden mlissen" 228 , so sind für Adorno apriorische Trans-
zendentalbedingungen schon solche, "(...) ohne die ein Bewußtseinszusammen-
229
hang nicht gedacht werden kann."
Usurpiert derart die metaphysische Deduktion das quid iuris, so berührt
dies zugleich notwendig das Verständnis der transzendentalen Deduktion.

223 Adorno (13), S. 225


224 Zur Charakterisierung von Hans Cornelius, der auch Max Horkheimers aka-
demischer Lehrer gewesen ist, vgl. Gumniar/Ringguth (82), S. 22; Jay
(132), S. 67 f
225 Adorno (9), S. 87
226 Adorno (9), S. 177
227 Dilthey (45), S. 26
228 Kant (147), B 125 (Hervorhebung B.)
229 Adorno (9), S. 177 (Hervorhebung B . ) . Vgl. auch (9), S. 137
Die metaphysische und die transzendentale Deduktion 107

b) Die transzendentale Deduktion der Kategorien, das Herzstück der theore-


tischen Philosophie Kants, geht auf die quaestio iuris, den objektiven Gültig-
keitsbeweis der reinen Verstandesbegriffe. In der zweiten Auflage der 'Kritik
der reinen Vernunft 1 , die aufgrund ihrer größeren Klarheit und Deutlichkeit
hier ausschließlich herangezogen werden soll, nimmt der Beweis - soweit er
für das vorliegende Problem von Bedeutung ist - folgenden Gang :
230 Unsere Deutung der Struktur der transzendentalen Deduktion sei negativ
durch Absetzung von drei miteinander konkurrierenden Interpretationen
kurz begründet:
1. Benno Erdmann deutet die transzendentale Deduktion (B) mittels der Un-
terscheidung zwiier Beweisketten, die voneinander unabhängig seien und
entgegengesetzte Ausgangspunkte hätten [vgl. Erdtnann ( 5 7 ) , S. 230 f ] :
Der erste Beweisgang (§§ 15 - 21) gehe von oben vor (Ausgang von der Syn-
thesis als einer ursprünglich einheitlichen Verstandeshandlung), der
zweite (§ 26) von unten (Ausgang der empirischen Mannigfaltigkeit). Dies
ist problematisch: Erdmanns Interpretation des § 26 beruht darauf, daß
Raum und Zeit neben ihrem Charakter als Anschauungeformen selbst als for-
male Anschauungen bestimmt werden können, also Einheit enthalten, weil
Einheit für Vorstellungen konstitutiv ist. Das empirische Mannigfaltige
soll, vermittels seiner Gemäßheit den Anschauungsformen Raum und Zeit,
dieser Einheit entsprechen müssen, folglich unter den Kategorien ste-
hen. Dies supponiert jedoch eine von Erdmann nicht dargelegte Prämisse:
Raum und Zeit müssen jederzeit und apriorisch Einheit implizieren. Diese
Notwendigkeit kann aber lediglich durch den Rekurs auf die § § 1 5 - 2 0
begründet werden, in denen Kant beweist, daß Anschauungsmannigfaltiges,
um für mich zu sein, notwendig mittels der ursprünglich synthetischen
Einheit der Apperzeption der kategorialen Vereinheitlichung bedarf. Die
transzendentale Deduktion kann also nicht aus zwei isolierten Beweisgän-
gen aufgebaut sein.
2. Im Gegensatz zu Erdmann sieht Dieter Henrieh einen Beweisgang in zwei
Schritten. Der erste Schritt (bis zum § 20) beweise eine lediglich einge-
schränkte Gültigkeit der Kategorien, nämlich nur hinsichtlich der Anschau-
ungen, die " ( . . . ) bereits Einheit enthalten." [Henrieh (111), S. 93] Der
zweite Beweisschritt (§ 26) zeige, daß alle Anschauungen Einheit besit-
zen, woraus unter Zuhilfenahme des ersten Beweisschrittes die universale
Gültigkeit der Kategorien folge. Die Prämisse dieser Deutung ist die Mög-
lichkeit verstandesunabhängiger Gegenstandsvorstellungen, von der Kant
(147 , B 122 f)spricht. Damit muß die mögliche Inadäquanz von Verstand
und Gegebenem in Rechnung gestellt werden. Nur: Die Adäguanz von Verstand
und Gegebenem wird weder in § 26 bewiesen, noch kann sie eigentlich be-
wiesen werden, sondern sie ist eine nicht einholbare Voraussetzung [vgl.
Baumanns ( 2 4 ) , S. 64]. Und genau dem entspricht das ebenfalls vorausge-
gesetzte Prinzip der Mannigfaltigkeit. Was vielmehr in § 26 geleistet
wird, ist die Anwendung der Kategorien auf unsere Sinnlichkeit und ihre
Anschauungsformen Raum und Zeit. Dahingegen bezieht sich der § 20 zufolge
seiner Überschrift auf "ALLE SINNLICHEN ANSCHAUUNGEN".
3. Dieser Unterschied zwischen den §§ 20 und 26 wird von Paton gesehen
[vgl. Paton (213), Bd. I, S. 501; (214), S. 63] und dient ihm zur Unter-
teilung in eine objektive und subjektive Deduktion. Mit dieser Interpre-
tation verbinden sich jedoch andere, weniger einsichtige Momente: Die
objektive Seite der transzendentalen Deduktion soll vollständig auf der
metaphysischen Deduktion beruhen, d.h. auf ihrer Identifizierung von Ur-
108 Adornos K r i t i k der Erkenntnistheorie Kants

Der § 15 problematisiert die Verbindung (qua Verbundenheit) des Mannigfalti-


gen und stellt fest, daß eine spontane Verstandesleistung, die Synthesis, er-
forderlich ist: "Verbindung ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Man-
pol
nigfaltigen." Der Paragraph schließt mit der Frage nach der qualitativen
Einheit des Verstandes und seiner Synthesis, die im § 16 mittels des Prinzips
der "ursprüngliche(n), synthetische(n) Einheit der Apperzeption"232 beantwor-
tet wird. Dieser zentrale Paragraph beginnt mit dem Faktum der Apperzeption,
dessen regressive Möglichkeitsbedingungen Kant in der Folge aufsucht. Das
Vorgehen kann man als apperzeptionsanalytisch charakterisieren. Ausgangspunkt
ist das Selbstbewußtsein des "ich denke", das "(;..) alle meine Vorstellungen
begleiten können" 233 muß, ein Prinzip, das rein (Aktus der Spontaneität) und
ursprünglich (Nicht-Weiter-Deduzierbarkeit) ist. Dieses "ich denke" ist auch
nacht zeitlichen Wesens, weil in ihm "(...) die Vorstellung der Zeit ursprüng-
lich ihren Grund hat" 234 : Es ist ceitungsursprung. Aus dem Faktum der ur-
sprünglichen Apperzeption versucht Kant im § 16 mittels einer regressiven
Analyse Einheit (konstitutive Durchgängigkeit des "ich denke" durch alle Vor-
stellungskomplexe) und Synthesis (abstrakte Kategorialität als bisher inhalt-
lich noch nicht konkretisiertes Prinzip der Weisen der Vermeinigung des Ge-
gebenen) als Bedingungsmomente zu deduzieren. Die Analyse flihrt auf die ur-
sprünglich synthetische Einheit der Apperzeption als dem "(...) höchste(n)
Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach
235
ihr, die Transzendentalphilosophie heften muß" . Der § 17 formuliert das
Ergebnis in Form eines obersten Grundsatzes und deduziert zusammen mit § 18
als weiteres Apperzeptionsimplikat ihre Objektivität. Der § 19 nimmt auf den
Urteilscharakter der apperzeptiven Synthesis Bezug 236 , um mittels dieses Zwi-
teil und Synthesis [vgl. Paton (214), S. 59l. Demzufolge analysiere der
§ 15 nicht diö "Möglichkeit einer Verbindung überhaupt" [Kant (147), B
129], sondern lediglich das Urteil [vgl. Paton (213), Bd. I, S. 204],
In Wahrheit jedoch wird das Urteil erst im § 19 thematisch, so daß der
erste Teil der transzendentalen Deduktion (bis zum § 18) nicht auf der
metaphysischen Deduktion aufbaut. Dar § 16 zeigt vielmehr einen gedank-
lichen Neubeginn: das auf seine regressive KondifcionalitSt hin zu analy-
sierende Faktum der Apperzeption. Der Urteilscharakter der Synthesis soll
idealtypisch erst im § 19 aufgezeigt werden. Dadurch würde die Leitfaden-
problematik, d.h. die in der metaphysischen Deduktion bloß behauptete
Identität von Urteil und Synthesis, begründet.
231 Kant (147), B 130 f
232 Kant (147), B 135
233 Kant (147), B 131 f
234 Kant (147), B 422
235 Kant (147), B 134 Anm.
236 Nach Benrich muß die 'Kritik der reinen Vernunft' das Urteil "(...) als
Grundfaktum neben dem des Regelbewußtseins anerkennen*, um nicht nur die
Die metaphysische und die transzendentale Deduktion 109
schengliedes im § 20 die bisher abstrakt gebliebene Kategorialität durch Re-
kurs auf die in der metaphysischen Deduktion aufgewiesenen einzelnen Katego-
237
rien inhaltlich zu bestimmen. Das Verhältnis der transzendentalen Deduk-
tion zur metaphysischen ist also derart, daß jene die objektive Gültigkeit
der Kategorien beweist (indem sie die Kategorialität als notwendige Bedin-
gung des Faktums der Apperzeption deduziert), diese durch Einsetzung der auf-
gewiesenen Kategorien in den Argumentationsgang der transzendentalen Deduk-
tion das bloß abstrakt abgeleitete Prinzip der Kategorialität inhaltlich kon-
kretisiert. Umgekehrt begründet die transzendentale Deduktion auf diese Weise
die metaphysische Deduktion.
Problematisch ist nun Adornos These, die transzendentale Deduktion sei psy-
OOQ
chologischer Natur , weil derart die geltungstheoretische Fragestellung
Kants verdeckt wird. Die Psycho!ogisierung der Apperzeption bedingt ihre irr-
tümliche Verzeitlichung: Die Einheit des "ich denke" sei temporal zu VerSte-
p'JO
hen. In doppelter Hinsicht fragwürdig ist die These, nur so gelinge es
Kant, " ( . . . ) die einzelnen kategorialen Formen zu deduzieren" : Weder ist
der Zusammenhang zwischen der Ableitung einzelner Kategorien und der Notwen-
digkeit einer zeitlich gedeuteten Apperzeption evident, noch leitet Kant über-
haupt einzelne Kategorien in der transzendentalen Deduktion ab. Er beweist
nur das Prinzip der Kategorialität als notwendiges Implikat der Apperzeption.
Die Tatsache, daß Kant keine einzelnen Kategorien aus dem "ich denke" dedu-
ziert, ist gerade von Fichte und seinen Nachfolgern moniert und als "halbe(r)
Kriticismus beanstandet worden.
Adornos Mißverständnis, auch die transzendentale Deduktion sei auf einzelne
Kategorien bezogen, wird einzig dadurch plausibel, daß er nicht hinreichend
die jeweilige Funktion der metaphysischen und transzendentalen Deduktion im
System der Kantischen Erkenntnistheorie bestimmt, er die beiden Deduktionen
parallelisiert, nicht aber integriert. Diese Parallelisierung ist wiederum
auf die fehlende Differenzierung zwischen der quaestio facti und der quae-
Bedingungen eines Regelsystems, sondern um Regeln selbst angeben zu kön-
nen, " ( . . . ) die den Zusammenhang unserer Synthesis wirklich bestimmen"
[Henrich (113), S. 105]. Zu einer möglichen Deduktion des Urteils vgl.
Baumanns ( 2 4 ) , S. 45 ff.
237 Vgl. Kant (147), B 143
238 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 224
239 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 330. Anders jedoch in ( 5 ) , S. 754, wo Adorno die
Atemporalität der Apperzeption herausstellt und diese - aufgrund seiner
psychologischen Perspektive - als unmöglich kritisiert.
240 Adorno (13), S. 224. Vgl. ( 9 ) , S. 99
241 Fichte ( 6 5 ) , S. 203
110 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

stio iuris zurückzuführen.


Verleitet durch diese Funktionsparallelisierung sieht Adorno einen "Wider-
spruch" zwischen beiden Deduktionen: "Daß es sich hier in der Tat um einen
Widerspruch handelt, daß ich nicht auf der einen Seite sagen kann, (...) daß
diese Formen aus einem obersten Prinzip zu deduzieren sind, aber auf der an-
deren Seite,daß ich sie beschreibe als etwas, was einfach da, was durch die
nicht weiter abzuleitenden logischen Formen mir gegeben ist." 242 Kants Unter-
scheidung zwischen dem quid facti und dem quid iuris hätte diesen "Wider-
spruch" gelbst.
Fragwürdig ist auch die abschließende Wendung, die Adorno diesem Gedanken
zu geben versucht: Der (konstruierte) "Widerspruch" sei Folge der Rücksicht
auf das "Moment der Nichtidentität": Fehlende Konsistenz - Adorno nennt sie
"Brüche" - als Ausdruck des Nichtidentischen.
2. Die fehlende Unterscheidung zwischen der quaestio facti und der quaestio
iuris und die dadurch bedingte unzulängliche Bestimmung der metaphysischen und
transzendentalen Deduktion in ihrer Differenz weist zurück auf Adornos "vor-
kritische" Phase, in der er noch "vorbehaltlos" die "Version des transzenden-
talen Idealismus" seines Lehrers Hans Cornelius vertreten hat. Diese Phase
ist besonders durch seine Dissertation über 'Die Transzendenz des Dinglichen
und Noematischen in Husserls Pha'nomenologie 1 (1924) und die erste (auf Anraten
seines Lehrers jedoch zurückgezogene ) Habilitationsschrift 'Der Begriff
des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre 1 (1927) repräsentiert.
Auch wenn diese beiden Schriften vom Herausgeber R. Tiedemann nicht zu "Ador-
nos authentischem Werk" gerechnet werden und dieser Ende der Zwanziger
Jahre die Wende zu Benjamin, Hegel und Marx vollzogen hat, geben sie doch
Aufschluß Über Adornos Verständnis von Transzendentalphilosophie, das für
die spätere Zeit - abgesehen vom Bewertungswandel - bestimmend geblieben ist.
In seiner ersten Habilitationsschrift parallelisiert Adorno nicht nur die
metaphysische und transzendentale Deduktion, sondern lehnt unter dem deut-
lichen E i n f l u ß Husserls und der Phänomenologie den Gedanken einer Deduktion
der Kategorien ab. Der Begriff der Deduktion wird zwar nicht näher erläutert
oder gar differenziert, jedoch ist zu vermuten, daß Adorno darunter vornehm-

242 Adorno (13), S. 226


243 Adorno (13), S. 227. Vgl. (14), S. 259
244 Adorno ( 9 ) , S. 382. Vgl. ( 9 ) , S. 11, 81, 148
245 Vgl. Pettazzi (217), S. 32
246 Adorno ( 9 ) , S. 381
Die metaphysische und die transzendentale Deduktion 111
lieh die transzendentale Deduktion versteht. Die von Ihm zu dieser Zelt noch
vertretene "Transzendentalphilosophie" bestimmt er als "(...) Analyse des Be-
wußtseinszusammenhangs, aus der sich ihr die letzten und unableitbaren Bedin-
gungen einer jeden Erfahrung - die 'transzendentalen Faktoren 1 - ergeben." 247
Es gelte: "Die Grundbegriffe, in die eine Analyse des Bewußtsei nszusammenhan-
ges jene Einheit (des Bewußtseins, B.) auflöst, sind als Bedingungen der Mög-
lichkeit von Erfahrung nicht, wie Kant annahm, zu 'deduzieren', sondern Ein-
heit ist nichts anderes als der Inbegriff jener Gesetzmäßigkeiten. Alle jene
Begriffe verifizieren sich in gleicher, nicht reduzibler Weise: durch den Re-
?4fi
kurs auf die unmittelbare Gegebenheit." Statt einer Deduktion der soge-
nannten "transzendentalen Faktoren", der "elementare(n) Formen unseres Be-
wußtseinszusammenhanges, auf die sich alle anderen Formen zurückführen las-
sen"249, schlägt Adorno vor, "ihre reale Gültigkeit auf zuweisen"250, d . h . um
mit Kant zu sprechen: lediglich die quaestio facti zu beantworten.
Dieser Reduktion des Gültigkeitsbeweises auf den Faktizitätsaufweis, den
Adorno zum "«echtsaufweis"251 aufwertet, entspricht sowohl die Bestimmung der
252
"Transzendentalphilosophie" als "empirische Bewußtseinsanalyse" (- die
253
"Empirie" sei "prinzipiell unüberschreitbar" -) als auch. die Umdeutung
des Begriffs der Apriorität: Begründen nach Kant synthetische Urteile a prio-
ri die Erfahrung, so sind sie nach Adorno "in Erfahrung gegründet" , wobei
ihre Apriorizität die "Gültigkeit von Erkenntnissen für a l l e zukünftige Er-
255
fahrung" bezeichne.
Indessen wirft dies das Problem auf, wie die transzendentalen Bedingungen,
OCC
die "allesamt einer Analyse des empirischen Bewußtseinsverlaufs entstammen"
und durch "empirische Forschung" herausgearbeitet werden sollen, dennoch
9CQ
"für alle zukünftige Erfahrung gültig"" sein können. An dieser Schwierig-
keit muß Adorno notwendig scheitern: Seines Erachtens "gelangen" wir von den
bloß empirischen Urteilen "(...) weiter zu objektiv gültigen Aussagen (...),

247 Adorno (9), S. 87


248 Adorno (9), S. 155
249 Adorno (9), S. 152
250 Adorno (9), S. 255
251 Adorno (9), s. 87
252 Adorno (9), s. 307
253 Adorno (9), s. 172
254 Adorno (9), s. 179 (Hervorhebung B.)
255 Adorno (9), s. 274
256 Adorno (9), s. 153
257 Adorno (9), s. 138
258 Adorno (9) , S. 174
112 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

wenn wir die empirisch gewonnenen Merkmale eines Gegenstandes zu einer Defi-
nition zusammenfassen, die dann für alle Gegenstände gilt, die die unter der
pro
Definition namentlich befaßten Merkmale enthalten." Derart würden die em-
pirischen Urteile "(...) für alle zukünftige Erfahrung gültig (...), weil,
bei festgehaltenen Bedeutungen, nur die Tatbestände mit dem definierten Na-
men benannt werden, die sämtliche in der Definition aufgeführten Merkmale
enthalten." 260
Die Argumentation verwechselt Realitätsaussagen mit Definitionen. Diese
gelten in der Tat für alle Erfahrung, aber nicht deshalb, weil das Definier-
te in jeder Erfahrung vorkommt - wie es sein müßte, soll es eine transzen-
dentale Bedingung sein -, sondern weil sie durch Erfahrung weder bestätigt
noch widerlegt werden und damit auch leer sein können.
Der bezeichneten Aporie verfällt eine solche Theorie notwendig, die einer-
seits den transzendentalphilosophischen Anspruch erhebt, "Grundbedingungen
261
aller möglichen Erkenntnis" zu formulieren, andererseits sich aber als
?fi?
empirisch verfahrende "Phänomenologie" versteht: Die Wahrheit von Urtei-
len gründe "(...) letztlich in den Phänomenen und muß sich auf sie zurück-
führen lassen." 263
Diese Konfusion von genuiner Transzendentalphilosophie und Phänomenologie,
die geistesgeschichtlich auf Husserl zurückverweist, der für seine Phänomeno-
logie das epitheton ornans "transzendental" reklamiert und sie als "trans-
act
zendentalen Idealismus" bezeichnet, manifestiert sich in der Unvereinbar-
keit von Aussagen wie folgender: Einerseits soll gelten: "Der Zusammenhang
des Gegebenen konstituiert sich durch die Einheit des persönlichen Bewußt*
?ftfl
seins." Andererseits wird die "Aufgabe" der "Phänomenologie" bestimmt als

259 Adorno ( 9 ) , S. 179


260 Adorno (9), S. 280
261 Adorno (9), S. 88 (Hervorhebung B.)
262 Adorno ( 9 ) , S. 311
263 Adorno ( 9 ) , S. 56
264 Vgl. Husserl (126), S. 181
265 Huseerl (126), S. 33, 118. Vgl. zum Husserlschen Verständnis von "trans-
zendental": Hueserl (128), S. 100 £ und Fink (68), S. 376 f. Vgl. zur
Problematik der Hueserlschen Phänomenologie als transzendental: Baumanns,
(21), S. 229 ff. Im Unterschied zu Baumanns differenzieren wir hier nicht
zwischen verschiedenen Arten der Phänomenologie und lassen daher auch ei-
nen möglicherweise phänomenologisehen Aspekt der Transzendentalphiloso-
phie unberücksichtigt, über die Beziehung zwiechen Husserl und Kant re-
feriert die Arbeit von Iso Kern (159) ausführlich. Vgl. zu diesem Pro-
blem auch Ehrlich (55), S. 113 - 165.
266 Adorno ( 9 ) , S. 65
Die metaphysische und die transzendentale Deduktion 113
267
"Deskription der Gesetze des Zusammenhanges unserer Erfahrung" . Eine de·
skriptive Phänomenologie indessen kann an das transzendentalphilosophische
jconstitutionsthema grundsätzlich nicht heranreichen.
Die unterschiedliche Radikalität der Problemstellung wird sprachlich bei
Adorno dadurch verdeckt, daß er den empirisch aufgewiesenen sogenannten
pßo
"transzendentalen Faktoren" eine "konstitutive Bedeutung" für den Bewußt-
sei nszusammenhang zuspricht.Abgesehen davon, daß Adorno-anders als Kant kein
objektives Prinzip des Rechtsausweises nennt, sondern lediglich an die sub-
jektive Vorstellungsfä'higkeit appelliert,liegt die von ihm übersehene Diffe-
renz zur transzendental philosophischen Theorie Kants darin, daß zufolge die-
ser die Kategorien nicht nur "konstitutive", sondern "konstituierende" Bedeu-
tung besitzen. Die Kategorien sind nicht nur "Bewußtseinstatsachen" 269 oder
"elementare Formen unseres Bewußtseinszusammenhanges" 270 , sondern wesentlich
seine Produktionsbedingungen. 271 Dem Unterschied von konstitutiv und konsti-
tuierend entspricht dabei genau die Modifikation des strengen Aprioritätsbe-
979
griffes, die auch durch Husserls Phänomenologie eingeleitet worden ist.
Mit diesem Rückgriff auf den frühen Adorno ist ein Doppeltes erreicht:
a) In Biographischer Hinsicht konnte Adornos problematisches Verständnis
dessen, was Transzendentalphilosophie meint, bis in seine philosophischen,
phä'noroenologisch bestimmten Anfänge zurückverfolgt werden. Entscheidend ist
dabei, daß er den grundlegenden Unterschied zwischen einer "transzendentalen
Phänomenologie" einerseits und der kritizistischen.im strengen Sinne konsti-
tutionstheoretisch ausgerichteten Transzendentalphilosophie andererseits,den
Unterschied zwischen Husserl und Kant nicht erfaßt,diesen aus der Perspekti-
ve der Phänomenologie reduktionistisch interpretiert.
267 Adorno ( 9 ) , S. 36
268 Adorno ( 9 ) , S. 137
269 Adorno ( 9 ) , S. 130
270 Adorno ( 9 ) , S. 158
271 Im Unterschied zu Adorno reduziert Hueserl zwar dag Konstituierende nicht
auf das Konstitutive,aber auch für ihn ist in Abechwächung des Konstitu-
tionsgedankens die Weltkonstitution im Gegensatz zu Kant und Fichte
"nicht das eigene Werk der transzendentalen Subjektivität" [Kern (159),
S. 298], so daß er über die "Frage nach dem 'Grunde'" auf die "Existenz
eines außerweltlichen 'göttlichen' Seins" [Husserl (129), S. 139; vgl.
(129), S. 121 £] folgert.
272 Ist das Apriori für Kant erfahrungsunabhängig und wesentlich (wenn auch
nicht ausschließlich) formal, so für Husserl ein durch Ideation zu er-
fassendes "materiales Apriori", das seinen "Ursprung letztlich in der
Erfahrung" [Kern (159), S. 57 f; vgl. dazu Husserl ( 1 2 7 ) , S. 51 f] hat.
Vgl. auch Busserls "Idee eines universalen rein lebensweltlichen Aprio-
ri" [Husserl (128), S. 143 f ] .
114 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

b) Bedeutender aber ist der systematische Aspekt dieser Beziehung, da sich


nun der Zusammenhang zwischen Ontologie und Phänomene!ogie erhellt: Das Miß-
verständnis des Kantischen Objektivitätsbegriffes, der Theorie des Dinges an
sich und seiner Affektion, die Dualismuskritik mit ihrer Argumentation von
der konkreten Anschauungsebene her, ihrem Rekurs auf die Gestaltpsychologie
und die Tatsächlichkeit des Empirisch-Bedingten, die Deutung der Kategorien
als Seinsbestand, die Reduktion der Verstandesleistung auf die analytische
Identifikation und der quaestio iuris auf die quaestio facti und anderes fü-
gen sich zu einer konsequenten und grundlegenden Fehldeutung der radikal
transzendentalphilosophischen Reflexion zusammen. Dieses Mißverständnis läßt
sich vom gegenstandstheoretischen Aspekt her als ontologistisch, vom methodi-
?73
sehen her als phänomenoiogisch (im weitesten Sinne) charakterisieren. Der
ontologischen Frage nach dem, was ist, entspricht die Haltung der Phänomeno-
logie, die (ungeachtet möglicher methodischer Reduktionen) das beschreibt,
was ist.
Man könnte einwenden wollen, Adorno sei doch gerade derjenige, der sich ge-
gen jede Ontologie ausspreche. Dies ist zwar richtig, jedoch muß gefragt wer-
den, was Adorno an der Ontologie kritisiert: Dies ist nicht der Blick auf das
Seiende, sondern die Festsetzung eines vom Seienden unabhängigen Seins, die
Annahme eines "ontologischen Vorrang(s) des Seins schlechthin, vor allem On-
tischen, Realen" . Demgegenüber gelte: "Kein Sein ohne Seiendes." Es sei
"die Not der Ontologie, ohne das ihr Entgegengesetzte, ohne Ontisches nicht
auszukommen" ?7ß . Näher wendet sich Adorno gegen die Annahme eines ersten
?77
Seins: "Dialektische Kritik gebührt dem Begriff des ersten Seins selber."
Sie zielt also nicht - so ist zu ergänzen - auf den Begriff des Seienden.
Auch will Adorno in Wendung gegen Husserl " ( . . . ) das höchste Abstraktionsni-
veau, das erreicht worden ist in der Logik" nicht "einfach ontologisch" in-
terpretieren als "Sein an sich" 278 . Im Gegensatz dazu aber problematisiert
der Kritizismus nicht nur den Begriff eines solchen "Seins an sich", sondern
auch den des Ontischen, vor dem Adornos Analyse haltmacht.
273 Auch wenn Adornos Methode als im weiteren Sinne phänomenoiogisch bestimmt
werden kann, darf sie nicht mit der phanomenologischen Methode Busserls
verwechselt werden. Vgl. dazu Adornos Kritik, dieser Methode: Düver ( 5 2 ) ,
S. 94 ff.
274 Adorno ( 7 ) , S. 74
275 Adorno ( 7 ) , S. 139
276 Adorno ( 7 ) , S. 122
277 Adorno ( 7 ) , S. 127
278 Adorno (13), S. 51
279 Adorno betont zwar in seiner ersten Habilitationsschrift: "Unsere Methode
Die Lehre von der Apprehension 115

3.4.4 Die Kantischen Vermittlungsversuche nach Adorno

Nachdem nun die drei von Adorno herausgestellten Dualismen und seine Kritik
ihrer beiden Seiten (Transzendentale Ästhetik und Analytik der Begriffe) be-
sprochen worden sind, sollen im folgenden die von ihm aufgezeigten Vermitt-
lungsversuche Kants dargelegt werden: die Lehren von der Apprehension und
280
vom Schematismus. Als ein "noch nicht zu sich selbst gekommener Hegel"
habe Kant zwar die starre Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt im Ansatz
aufgelöst, dennoch aber die Vermittlung nicht weit genug getrieben. In der
Apprehensionstheorie versuche er die Anschauung durch das Denken, im Schema-
281
tismus das Denken durch die Anschauung zu vermitteln.

3.4.4.1 Die Lehre von der Apprehension

In der Lehre von der Apprehension werte Kant die "Entdeckung" aus, "(...) daß
bereits die Anschauungen in der Gestalt, in der sie uns unmittelbar gegeben
sind, nicht bloß bestimmt sind durch Raum und Zeit, sondern daß sie verbun-
den sind, daß sie in sich ein Moment der Identität und Einheitlichkeit eben
2fi?
haben" . Damit sei "(...) nichts anderes gemeint, als daß bereits, wenn
wir etwas bloß anschaulich, als vermeintlich bloß passiv, bloß im Sinne un-
serer Rezeptivität gegeben haben, daß da eigentlich schon so etwas wie Tätig-
keit ( . . . ) drinsteckt." Zufolge seiner phänomenoiogisehen Redlichkeit über-
trage Kant auf die Anschauungsform eine "intellektive Funktion", weil er an-
ders die Strukturiertheit "im Bereich des unmittelbar Gegebenen" nicht deu-
ten könne. Auf diese Weise komme es " ( . . . ) zu der Konstruktion, daß wir ge-
284
wissermaßen dort schon denken, wo wir eigentlich noch gar nicht denken"

ist transzendental, nicht ontologisch; Wir haben es mit den konstitutiven


(also nicht mit den konstituierenden, B . ) Elementen des Bewußtseins,
nicht mit bewußtseinsunabhängigen Seinsweisen und deren spekulativer Be-
stimmung zu tun." [Adorno ( 9 ) , S. 177] Aber dabei reduziert er Ontologi-
zität auf Bewußteeinsunabhängigkeit, ohne in Rechnung zu stellen, daß
eine Theorie des Bewußtseins nicht eo ipso transzendental, sondern sehr
wohl auch ontologisch sein kann.
280 Adorno (13), S. 155
281 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 315
282 Adorno ( 1 3 ) , S. 313. Vgl. zur Apprehensionslehre auch Adorno ( 1 4 ) , S.
159; (11) , S. 142 f.
283 Adorno (13), S. 313
284 Adorno (13), S. 314
116 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

Diese Interpretation birgt mehrere Schwierigkeiten in sich:


1. Der aufgezeigte Grund der Apprehensionslehre - eine phänomenologische
Einsicht Kants in die Strukturiertheit des unmittelbar Gegebenen - ist zwar
von Adornos Mißverständnis des transzendentalen Gedankens her konsequent und
bestätigt die obigen Ausführungen. Indessen argumentiert Kant nicht phänome-
nologisch, sondern transzendental philosophisch: "Jede Anschauung enthält ein
Mannigfaltiges in sich, welches doch nicht als ein solches vorgestellt wer-
den würde, wenn das Gemüt nicht die Zeit, in der Folge der Eindrücke auf
einander unterschiede: denn, als in einem Augenblick enthalten, kann jede
Vorstellung niemals etwas anderes, als absolute Einheit sein. Damit nun aus
diesem Mannigfaltigen Einheit der Anschauung werde ( . . « ) » so ist erstlich
das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und dann die Zusammennehmung desselben
285
notwendig, welche Handlung ich die Synthesis der Apprehension nenne"
Nicht eine pha'nomenologische Beobachtung führt auf die Notwendigkeit der
Apprehensionslehre, sondern die transzendentalphilosophische Konstellation
einer qualitätslosen Mannigfaltigkeit einerseits und der unendlichen Sukzes-
sivität unserer Rezeptivität andererseits: Diese beiden Theoreme erfordern
die Synthesis der Apprehension, damit so etwas wie eine Anschauungseinheit
Zustandekommen kann.
Da sich eine phänomenologische Einsicht Kants am Text nicht belegen lä'ßt,
ist auch Adornos These fragwürdig, "(...) daß Kant die Entdeckung macht, daß
bereits die Anschauungen in der Gestalt, in der sie uns unmittelbar gegeben
sind", ein Einheitsmoment besitzen. Das unmittelbar Gegebene 1st einheitslos,
und gerade deshalb muß es in der Synthesis der Apprehension durchlaufen und
zusammengefaßt werden - so das textlich Verifizierbare und transzendental -
philosophisch Evidente. Das unmittelbar Gegebene besitzt Einheit, darf aber
keine Einheit besitzen, folglich muß ich die Synthesis der Apprehension
konstruieren - so Adornos weder textlich verifizierbare noch transzendental-
philosophisch einsichtige Deutung.
Der Irrtum Adornos ist abermals durch seine Befangenheit im ontologisch-
realistischen Denkmodell verursacht: Geht Adorno davon aus, daß uns etwas
gegeben wird, so w i l l Kant das Etwas (Objektsein) allererst erkia'ren. Dem
vorkritischen Realismus Adornos entspricht der Rekurs auf die Phänomene!o-
gie, die transzendentalphilosophische Fragestellung Kants jedoch transzen-

285 Kant (147), A 99


Die Lehre von der Apprehension 117
diert die realistische Phänomene!ogle. Adornos Deutung der Apprehenslonslehre
setzt voraus, daß Kant sich über sein eigentliches Programm, den naturlichen
Realitätsglauben zu erklären, nicht im klaren war: Nur so ist die These ein-
sichtig, Kant sei durch die realistisch-phänomenologische Wahrnehmung des fak-
tisch Hingenommenen genötigt gewesen, die Lehre von der Apprehension ein-
286
zuführen.
2. Schlicht falsch ist Adornos These, mit der Apprehension in der Anschau-
ung sei nichts "anderes gemeint, als daß bereits" im passiv Gegebenen "(...)
pay
so etwas wie Tätigkeit (...) drinsteckt." Kant zufolge ist es die Sponta-
neität der (produktiven) Einbildungskraft, die in der Synthesis der Apprehen-
288
sion "(...) Verbindung in das Mannigfaltige der Anschauung hineinbringt"
und die nicht schon "drinsteckt".
3. Falsch ist auch die Behauptung, Kant übertrage "auf die Formen der An-
289
schauung eine intellektive Funktion" . Vielmehr muß die Synthesis der Ap-
prehension diesen Formen gemäß sein: "Wir haben Formen der äußeren sowohl als
inneren Anschauung a priori an den Vorstellungen von Raum und Zeit, und die-
sen muß die Synthesis der Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung je-
290
derzeit gemäß sein, weil sie selbst nur nach dieser Form geschehen kann."
Die "intellektive Funktion", die Adorno der Anschauungsform zuspricht, rech-
291
net Kant vielmehr der Einbildungskraft zu.
Damit wird zwangsläufig die Funktion der Apprehensionslehre problematisch:
292
Sie vermittle die Anschauung "durch das Denken" . Dieser (dialektische ?)
Vermittlungsbegriff qua Vermittlung von etwas durch etwas, oder - wie es bei
OQO
Adorno vorwiegend heißt - Vermittlung "durch die Extreme hindurch" ist un-
angemessen: Die Apprehensionslehre vermittelt zwar Anschauung und Denken,
nicht aber in der Weise, daß die Anschauung durch das Denken vermittelt wird
286 Kant sah die Position des transzendentalen Realismus "nur im Bereich
des natürlichen Bewußtseins als berechtigt an; wir nehmen ihn als Angehö-
rige der Lebenswelt/ in der wir existieren, handeln/ denken, auch Wissen-
schaft treiben, selbstverständlich ein. Von diesem Standpunkt aus 'glau-
ben' wir fraglos an die Realität der Außenwelt und ihre Dinge. Der Phi-
losoph nimmt aber den Standpunkt des 'transzendentalen Idealismus' in An-
spruch, wenn er es als seine Aufgabe ansieht, den Realitätsglauben über-
haupt erst zu rechtfertigen" [Gerhardt/Kaulbach ( 7 7 ) , S. 3.8],
287 Adorno ( 1 3 ) , S. 313
288 Kant (147), B 163 Anm.
289 Adorno ( 1 3 ) , S. 314
290 Kant (147) , B 160
291 Vgl. Kant (147), B 163 Anm.
292 Adorno (13) , S. 315
293 Vgl. z.B. Adorno ( 1 1 ) , S. 38
118 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

(im passiv Gegebenen Tätigkeit ist), sondern jene wird mit diesem vermittelt.
Die Lehre von der Apprehension hat die Funktion, den Übergang von der An-
schauung zum Denken, Einheit in der Differenz zu ermöglichen, nicht aber die
Differenz zu negieren, wie es von Adorno dargestellt wird: Die Rezeptivita't
ist auf Spontaneität, die Anschauung auf Denken bezogen, diese(s) "steckt"
aber nicht in jener "drin".

3.4.4.2 Die Lehre vom Schematismus

Problematisch ist auch die Anwendung des Adornoschen Vermittlungsbegriffs


auf den Schematismus, der "das Denken selber in sich, seinem eigenen Sinnge-
halt nach" durch Anschauung vermittle. Kant mache im Schematismuskapitel
"(...) den abgründig tiefen Versuch, gewissermaßen nun in die Struktur des
oge
Denkens selber als dessen eigene Bedingung die Zeit hereinzubringen."
Er hebe darauf ab, daß die Zeit "(...) eigentlich die Bedingung von Denken
überhaupt sei" 296
1. Kant geht es in dieser "Doktrin" d a r u m , " ( . . . ) die Möglichkeit zu zeigen,
wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden
007
können". Insofern w i l l er in der Tat die reinen Verstandesbegriffe und
die sinnlichen Anschauungen miteinander vermitteln. Entscheidend aber ist,
wie er Vermittlung versteht: "Nun ist klar, daß es ein Drittes geben müsse,
was einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleich-
artigkeit stehen muß, und die Anwendung der ersteren auf die letztere mög-
lich macht." 298
Vermittlung bedeutet in diesem Zusammenhang also Vermittlung von etwas mit
etwas mittels eines Dritten (transzendentales Schema) und nicht - wie Adorno
interpretiert - Vermittlung von etwas (Denken) durch etwas (Anschauung).
Dieser Irrtum des Dialektikers Adorno ist um so auffälliger, als gerade He-
gel in seinen 'Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie 1 kritisch

294 Adorno (13), S. 315. Genau entgegengesetzt in (14), S. 152.


295 Adorno (13), S. 315
296 Adorno (13), S. 314
297 Kant (147), B 177
298 Kant (147) , 177
Die Lehre vom Schematismus 119

feststellt, daß In Kants Schematismuslehre Denken und Sinnlichkeit nur auf


sogenannte "(...) äußerliche, oberflächliche Meise verbunden werden, wie ein
299
Holz und ein Bein durch einen Strick."
2. Adornos Mißverständnis ist nicht ohne Folgen: Indem er das Dreierver-
hältnis (Anschauung, transzendentales Schema, Kategorie) auf eine Zweierre-
lation reduziert (Anschauung = Zeit» Kategorie) verliert er notwendig die
Problemstellung Kants aus dem Blickwinkel, die der Anwendung der Kategorie
auf die Anschauung, weil er nur noch die Beziehung Zeit - Kategorie betrach-
tet. Auf diese Weise blendet er das Moment der Anschauung aus, so daß er die
Frage der Kategorienanwendung auf dieselbe nicht mehr stellen kann. Dadurch
wird aber zugleich die wichtige Unterscheidung zwischen Denken und Erkennen
h i n f ä l l i g , weil dieses den Anschauungsbezug voraussetzt.
Dadurch kommt Adorno nun zu dem Irrtum, im Schematismuskapitel gehe es um
die Möglichkeit des Denkens und nicht um die des Erkennens. Die Zeit wird
nicht als Bedingung des Denkens eruiert, wie Adorno vermutet, sondern als
Bedingung des Erkennens, der Anwendung der kategorialen Denkfunktionen auf
die Anschauung. Die "Schemata der Sinnlichkeit" realisieren zwar die Ka-
tegorien, aber sie sind nicht innere Bedingungen ihrer Möglichkeit: "In der
Tat bleibt den reinen Verstandesbegriffen allerdings, auch nach Absonderung
aller sinnlichen Bedingungen, eine, aber nur logische Bedeutung der bloßen
Einheit der Vorstellungen, denen aber kein Gegenstand, mithin auch keine Be-
deutung gegeben wird, die einen Begriff vom Objekt abgeben könnte." 302
Weder also geht es um die Möglichkeit des Denkens, sondern um die seiner
Anwendung, noch ist die Vermittlung des Denkens durch Anschauung themati-
siert, sondern die des Denkens mit der Anschauung.
Das Ergebnis hat weiterreichende Folgen: Wenn Adorno sowohl die Apprehen-
sions- als auch die SchematIsmusl ehre mißversteht, weil in ihnen gar nicht
die Vermittlung der Anschauung durch das Denken bzw. des Denkens durch die
Anschauung thematisch ist, dann verbietet es sich, die Epistemologie Kants
auf das Modell einer in Adornos Sinne "dialektisch konzipierten Erkenntnis-

299 Hegel (100), Bd. III, S. 348


300 Vgl. Kant (147), B 146
301 Kant ( 1 4 7 ) , B 185
302 Kant (147), B 186. Vgl. auch (147), B 166 Anm.
120 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants
303
theorie hin zu entwerfen. So scheitert sein Versuch, sich zugunsten sei-
ner eigenen Auffassung von Denken und Anschauung, Spontaneität und Rezepti-
vität auf Kant zu berufen: Die " ( . . . ) unvermittelte Antithese von Rezeptivi-
tät und Spontaneität, von Sinnlichkeit und Verstand ist im Gefolge der Kan-
tischen Analyse eigentlich selber bereits aufgehoben, und Kant hat damit,
wenn ich das ohne allzugroße Unbescheidenheit sagen darf, gleichsam den spe-
kulativen Erwägungen ein gewisses Plazet erteilt, die ich nun angestellt
\
habe" . Dieses "Plazet" dürfte Kant mit Sicherheit verweigert haben.

303 Adorno (13), S. 313


304 Adorno (13) , S. 315 f
3.5 Die Transzendentale Dialektik

Nachdem im vorigen Adornos Kritik der Kantischen Fragestellung, des Dinges


an sich und seiner Affektion, der Dualismen und der Vermittlungen behandelt
worden ist, sei zum Abschluß noch kurz seine Deutung der Transzendentalen
Dialektik betrachtet. Auch hier sieht er die Vorstufe einer (in seinem
Sinne) dialektisch konzipierten Erkenntnistheorie entworfen. Die Philosophie
Kants sei "ein noch nicht auf der Stufe seines Selbstbewußtseins erhobener
Standpunkt der• Dialektik"
Dial . Entsprechend sei Hegel "der zu sich selbst
,„306
gekommene Kant"
Kant versteht unter Dialektik ähnlich wie Descartes eine "Logik des
308
Scheins" . Die Transzendentale Dialektik erfüllt die Aufgabe, "(...) den
Schein transzendenter Urteile aufzudecken und zugleich zu verhüten, daß er
onq
nicht betrüge" .
Obwohl Adorno dies durchaus in Rechnung stellt, erblickt er in der 'Vor-
lesung zur Einleitung in die Erkenntnistheorie* keinen schlichten Gegensatz
zwischen der Transzendentalen Dialektik und der Dialektikkonzeption Hegels:
Vielmehr sei jene "eine Art Vorschule der Dialektik" , "auch eine positi-
ve Logik" . Diese These begründet Adorno in der Aufnahme eines Hegeischen
o -| p o 4o
Gedankens mit der (von Fichte kritisierten ) Behauptung Kants, die Ver-
wicklungen der Vernunft bei ihrem transzendentalen Gebrauche beruhten auf
"einer natürlichen und unvermeidlichen illusion" : "Es sind Sophistifika-
tionen, nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen
selbst der weiseste unter allen Menschen sich nicht losmachen, und viel-
leicht zwar nach vieler Bemühung den Irrtum verhüten, den Schein aber, der
ihn unaufhörlich zwackt und äfft, niemals v ö l l i g los werden kann."
305 Adorno (13), S. 155
306 Adorno (11), S. 299. Vgl. ( 1 4 ) , S. 255
307 Vgl. Descartes ( 4 4 ) , Regula X 4 f., S. 67
308 Kant (147), B 86. Vgl. (147), B 170, 349
309 Kant ( 1 4 7 ) , B 354
310 Adorno (13), 319
311 Adorno (13), 322
312 Vgl. Hegel (103), Bd. I, S. 52
313 Vgl. Fichte (65), S. 264
314 Kant (147) , B.354
315 Kant (147), B 397
122 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants
Damit reduziert sich für Adorno die "ganze Differenz" zwischen Kant und ei-
ner in seinem Sinne dialektischen Philosophie darauf, daß jener "durch eine
Art denkpraktischer Anweisung" dem transzendentalen Vernunftgebrauch Einhalt
geboten habe. Indessen sei dies nicht einsichtig: "Aber es ist natürlich gar
nicht einzusehen, warum, wenn in der Tat dieser Fortgang, und darin hat er
fraglos richtig gesehen, im Denken selber drinsteckt, wenn das Denken nicht
ohne W i l l k ü r sistiert werden kann, warum ich (...) hier aufhören soll." 316
Vielmehr zeige die Unvermeidlichkeit der Widersprüche, daß "es Überhaupt
gar keinen Weg zur Wahrheit (gibt), als den, der durch diese Widersprüche
hindurchführt" 3 1 7 .
Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß Kants "denkpraktische Anweisung"
dadurch begründet ist, daß ein transzendenter Vernunftgebrauch über die Gren-
zen möglicher Erfahrung hinaus zu unentscheidbaren und widersprüchlichen Aus-
sagen führt. Adorno scheint mittels eines naturalistischen Fehlschlusses 318
aus der Natürlichkeit des Vernunfthanges zu Widersprüchen auf ihre Legitima-
tion, ja sogar auf ihre Dignität zu folgern. Vollends überzogen mutet die Aus
schließ!ichkeitsthese an, mit der der widerspruchsvolle Weg zum einzigen "Weg
zur Wahrheit" erklärt wird. Und dies ist um so widersinniger, als Adorno an
anderer Stelle gerade die von Kant behauptete Notwendigkeit dessen bestrei-
tet, daß sich die erfahrungstranszendent gebrauchte Vernunft in Widersprüche
•?1Q
verwickelt. Jiy
Nicht genug damit: Wenn Adorno die Notwendigkeit einer Selbstbeschränkung
der menschlich-endlichen Vernunft "(...) gar nicht einzusehen" vermag, wenn
er also den transzendentalen Vernunftgebrauch als legitim erachtet, und wenn
weiter gilt, daß es Adorno primär um die Sache und ihre Nichtidentität zu
tun ist, dann läuft dies auf die Aporie hinaus, die empirische Sache außer-
halb der Grenzen möglicher Erfahrung suchen zu wollen.
Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es verständlich, daß Adorno in der
'Negativen Dialektik 1 diese Deutung der transzendentalen Dialektik revidiert:
Kants "(...) Verdikt ist nicht überholt von Hegels Anstrengung, die Logik

316 Adorno (13), S. 322


317 Adorno (13), S. 322. Vgl. ( 7 ) , S. 238, 244
318 Vgl. Moore (196), S. 77 - 84
319 Vgl. Adorno (9), S. 136 Anm.; ( 9 ) , S. 164
Die Transzendentale Dialektik 123

des Scheins als die der Wahrheit zu vindlzieren." Dennoch fordert Adorno
weiterhin eine "Rettung des Scheins", nämlich als "Gegenstand der Ästhe-
3?0
tik" . Damit jedoch wird das Gebiet der Erkenntniskritik verlassen und
der Anspruch einer argumentativen Einlösung der Theorie aufgegeben.

320 Adorno ( 7 ) , S. 386


3.6 Zusammenfassung der Überlegungen und die Bedeutung der Subjektstheorie

Die eingangs skizzierten Schwierigkeiten des Adornoschen Ansatzes werfen die


Frage nach dem Verhältnis Kant-Adorno auf, das unter drei Aspekten zu be-
trachten ist, dem erkenntnistheoretischen, ethischen und subjektstheoreti-
schen. Eine kritische Rekonstruktion der Einwände Adornos gegen die Kanti-
sche Erkenntnistheorie zeigt, daß sie p r i n z i p i e l l - z u kurz greifen und der-
art keine in seinem Sinne realistisch-dialektische Erkenntnistheorie zu be-
gründen vermögen. Auch wenn Adorno im Problemkomplex der Transzendentalen
Ästhetik einige schon früh bemerkte Schwierigkeiten der Kantischen Theorie
anspricht, so berühren diese weder die transzendental philosophische Grund-
position, noch deuten sie positiv auf eine realistisch-dialektische Erkennt-
nistheorie. Die intendierte immanente Kritik schrumpft auf eine äußerliche
Konfrontation zusammen, die nach Adornos eigener Einschätzung "unfrucht-
004
bar" ist: "Transzendente Kritik weicht vorweg der Erfahrung dessen aus,
was anders ist als ihr eigenes Bewußtsein. Sie, nicht die immanente, mach-
te sich auf jenem Standpunkt fest, gegen dessen Starrheit und W i l l k ü r Phi-
losophie gleichermaßen sich kehrt. Sie sympathisiert schon der bloßen Form
nach mit Autorität, ehe nur ein Inhalt ausgesprochen wird: die Form selbst
hat ihr inhaltliches Moment." 322
Des näheren ist festzuhalten: 1. Adornos Kantinterpretation schließt sich
der ontologischen Interpretation an, obwohl Kant derjenige ist, der die on-
tologische Perspektive zumindest im Ansatz Überwunden hat 323. Der Gegensatz
wird besonders deutlich in den zwischen Kant und Adorno differenten Verwen-
dungen der Objektivitäts- und Wahrheitsbegriffe.
2. Adornos Kritik der Kantischen Fragestellung und der damit verbundene
Vorwurf einer petitio principii hinsichtlich der Begründung wissenschaftli-
cher Objektivität und der Konstituierung gegenständlicher Erfahrung Uber-

321 Adorno (11), S. 316


322 Adorno ( 1 4 ) , S. 374
323 Damit bestätigt sich das Urteil von Gerhardt/Kaulbach über die ontologi-
schen Kant-Interpretationen, daß diese in der Gefahr atehen, " ( . . . ) den
kritischen lupule der Transzendentalphilosophie ale sekundär anzusehen."
[Gerhardt/Kaulbach ( 7 7 ) , S. 13]
Zusammenfassung 125

haupt verdanken sich einem Mißverständnis der Synthetizität und Apriorität


des synthetischen Urteils a priori. Zudem wird eine bloß sprachliche Unge-
nau igkei t überbewertet.
3. Unmittelbar evoziert der ontologische Interpretationsansatz eine nicht
berechtigte Kritik der Kantischen Lehre vom Ding an sich und seiner Affek-
tion.
4. Die zentrale Dualismuskritik Adornos ist dreifach:
a) Die Kritik des Form-inhait-Duaiismua beruht auf ontologischen Vergegen-
ständlichungen, die weder stringent noch konsistent sind, verkennt das Kon-
stitutionsmoment der formalen Leistungen des Erkenntnissubjekts und identi-
fiziert Denken und Erkennen. Der Rückgriff auf die Gestaltpsychologie, um
das Prinzip des Mannigfaltigen zu widerlegen, operiert mit einem doppelten
Formbegriff und versucht, die vorkritisch-realistische Perspektive gegen
den transzendentalphilosophischen Kritizismus zu wenden.
b) Adornos Kritik des Dualismus von Rezeptivität und Spontaneität bestä-
tigt sein vorkritisch-realistisches Denkmodell (das phänomenologisch die Be-
schreibung gegen die Analyse der Bedingungen des Beschriebenen ausspielen
w i l l ) und unterscheidet nicht zwischen Form der Anschauung und formaler An-
schauung.
c) Bei seiner Kritik des Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand deutet
Adorno eine agnostisch-hypothetische Aussage Kants in eine positiv-asserto-
rische um. aa) Seine Einwände gegen die eine Seite dieses Dualismus, die
Transzendentale Ästhetik, verdanken sich neben schon erwähnten (zum Teil
durch den Ontologismus bedingten) Mängeln den fehlenden Unterscheidungen
zwischen Erscheinung/Schein, subjektive Anschauung/objektiv Angeschautes,
sinnlich/empirisch, einem Mißverständnis des Kantischen Begriffs von "rein"
und der falschen Bestimmung des Verhältnisses der Transzendentalphilosophie
zur modernen Naturwissenschaft und Mathematik. Die Kritik der einzelnen Raum-
und Zeitargumente verwechselt zweimal Beweisthema und Beweisgrund und er-
f ü l l t nicht den Anspruch der immanenten K r i t i k , bb) In bezug auf die andere
Seite des Dualismus, die Analytik der Begriffe, deutet Adorno aufgrund sei-
nes ontologischen Realismus die Kategorien als "Stück Sein" und reduziert
die ursprünglich synthetische Verstandestätigkeit auf die analytische Iden-
tifikation. Die fehlende Berücksichtigung der Differenz zwischen der quae-
stio iuris und der quaestio facti läßt Adorno statt des wahren Verhältnis-
ses zwischen der metaphysischen und der transzendentalen Deduktion einen
126 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants

"Widerspruch" zwischen ihnen erblicken. Die Betrachtung der Frühschriften


Adornos erhellt sowohl den biographischen Grund seines grundsätzlichen Miß-
verständnisses der transzendentalen Reflexion als auch den systematischen
Zusammenhang zwischen dem Ontologismus (in gegenstandstheoretischer Hin-
sicht) und der im weitesten Sinne phänomenologischen Einstellung (in metho-
discher Hinsicht).
d) Adornos Versuch, die Apprehensions- und Sahenatismislehre auf eine in
seinem Sinne dialektische Erkenntnistheorie hin zu entwerfen, unterstellt
einen Kant unangemessenen Vermittlungsbegriff. Er verkennt zudem die Funk-
tion der produktiven Einbildungskraft, verwechselt Adäquatheit mit Identi-
tät, reduziert die Dreierrelation Anschauung - transzendentales Schema - Ka-
tegorie auf die Zweierbeziehung Anschaung * Zeit - Kategorie, beachtet den
Unterschied zwischen Denken und Erkennen nicht und bestätigt die Befangen-
heit im Denkmodell eines realistisch-phänomenologischen Ontologismus.
5. Nur durch einen naturalistischen Fehlschluß und eine Aporie gelingt es
Adorno, in der transzendentalen Dialektik eine "Vorschule der Dialektik" in
seinem Sinne zu erblicken.
Ungeachtet dieses vielfältigen und dennoch einheitlichen Ergebnisses wäre
es verfrüht, sich schon jetzt endgültig zugunsten des Kantischen Kritizismus
und gegen die Kritische Theorie zu entscheiden, weil bisher ein wesentlicher
Punkt ausgeklammert worden ist: die subjektatheoretische Problematik. Die
Erkenntnistheorie Kants ist eng mit der Lehre einer transzendentalen Subjek-
tivität verknüpft. Die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption
ist "(...) der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst
die ganze Logik, und nach ihr, die Transzendentalphilosophie heften muß" 324
Gegen dieses entscheidende Theorem aber erhebt Adorno mehrere Einwände: Der
notwendige Verweis des Geistigen auf empirische Faktizität sei der " ( . . . )
Kerneinwand (...) gegen eine jegliche und sei es noch so konsequente und
325
noch so weit fortgebildete idealistische Erkenntnistheorie überhaupt" .
Die Konstitutionsprobleme seien - wie Hegel gegen Kant geltend gemacht ha-
326
be - nur durch den Rekurs auf das Konstitutum zu lösen. Darin liege
"die entscheidende Frage über die Wahrheit einer Transzendentalphilosophie
327
überhaupt" beschlossen.

324 Kant (147), B 134, Anm.


325 Adorno (13) , S. 91
326 Adorno (14), S. 258
327 Adorno (13), S. 257. Vgl. (10), S. 176; (11), S. 19 ff, 61 f
Zusammenfassung 127

In der Tat: Ist das Prinzip transzendentaler Subjektivität nur eine ver-
kürzte Abstraktionsansicht gesellschaftlicher Prozesse, kann das Transzen-
dentale als gesellschaftlicher Zusammenhang dechiffriert werden, dann ist
die Möglichkeit einer neben der Soziologie eigenständigen Transzendental-
philosophie aufzugeben. Die Berechtigung des transzendentalphilosophischen
Ansatzes ist derart also noch nicht endgültig sichergestellt. Mas z.B. soll
die Rede von einem Konstituens, wenn dieses wesentlich ein Konstitutum ist ?
Was sollen reine Verstandesbegriffe sein, wenn das intellektuelle Vermögen
3?fi
auf abgezweigte Triebenergie zurückgeführt werden kann ?
Zwar zeichnete sich in den bisherigen Erörterungen eine grundsätzliche
Überlegenheit des Kantischen Ansatzes ab, aber dieser Reflexionsvorsprung
muß sich erst noch in der Diskussion um die Möglichkeit eines transzenden-
talphilosophischen Subjektsbegriffs bewähren. Bevor dies jedoch geschehen
kann, ist das Verhältnis zwischen Kritizismus und Kritischer Theorie unter
ethischem Aspekt zu klären. Auch hier wird sich die Bedeutung eines unter-
schiedlichen subjektstheoretischen Ansatzes zeigen.

328 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 229, 285


4 ADORNOS KRITIK DER ETHIK KANTS

So wie Adorno die Erkenntnistheorie Kants vorwiegend in ihrem Verhältnis zum


Nichtidentischen analysiert, sie in dieser Hinsicht der Philosophie Hegels
vorzieht, kann ebenso im folgenden die Frage nach der Berücksichtigung des
Nichtidentischen als Anhalt dienen. Ähnlich wie die Erkenntnistheorie bewer-
tet Adorno die Ehtik Kants grundsätzlich ambivalent. Jedoch ist er dieser
gegenüber wesentlich zurückhaltender eingestellt als in bezug auf jene, weil
er analog und im Unterschied zum Ding an sich dem i n t e l l i g i b l e n Charakter
nur sehr vage positive Seiten hinsichtlich eines Ausdrucks des Nichtidenti-
schen abgewinnen kann.
Adornos Vorwürfe lassen sich auf drei Punkte zurückführen: Kants Ethik
sei: 1. repressiv, 2. irrational, 3. abstrakt. Diesen Einwänden ist der
Vorwurf gemeinsam, die praktische Philosophie Kants berücksichtige das Nicht-
identische nicht hinreichend.

l Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 293 f


4.1 Vorwurf der Repressiv!tat

Die Repressivität der Ethik Kants erblickt Adorno in dreifacher Hinsicht:


zum einen in ihrer Funktion als Herrschaftsinstrument, zum anderen im idea-
listischen Moralprinzip selbst, und zwar dies sowohl in bezug auf das Ver-
hältnis von Vernunftfreiheit und Sinnlichkeit als auch in bezug auf die in-
nere Struktur des Freiheitsbegriffs.

4.1.1 Ethik als Herrschafts instrument

In ähnlicher Weise wie für die Erkenntnistheorie skizziert Adorno für die
Ethik Kants grob deren geschichtlichen Stellenwert: Sowohl die Erkenntnis-
theorie als auch die Ethik träten das Erbe der Religion an, indem sie deren
Aufgabe im bürgerlichen Zeitalter übernähmen: jene die einer Restituierung
der Objektivität, diese die einer ideologischen Absicherung des bürgerlichen
Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das dem einzelnen das versprochene
Glück für seine Mühen vorenthalte: "Die Morallehren der Aufklärung zeugen
von dem hoffnungslosen Streben, anstelle der geschwächten Religion einen
intellektuellen Grund dafür zu finden, in der Gesellschaft auszuhalten, wenn
das Interesse versagt." Diese Lehren seien entweder " ( . . . ) propagandistisch
und sentimental, wo sie auch rigoristisch klingen, oder (...) Gewaltstreiche
aus dem Bewußtsein der Unableitbarkeit eben der Moral wie Kants Rekurs auf
2
die sittlichen Kräfte als Tatsache."
Näher betrachtet sei Kants Ethik " ( . . . ) der übliche Versuch des bürgerli-
chen Denkens, die Rücksicht, ohne welche Z i v i l i s a t i o n nicht existieren kann,
anders zu begründen als durch materielles Interesse und Gewalt, sublim und
paradox wie keiner vorher, und ephemer wie sie alle." Im Fluchtpunkt dieser
funktionalen Deutung liegt die These einer "Allianz von Freiheitslehre und
repressiver Praxis". Dabei schließt Adorno ähnlich wie z.B. H. Marcuse zwei
von Kant kritisch getrennte Problemstellungen kurz: "Die i n t e l l i g i b l e Frei-
heit der Individuen wird gepriesen, damit man die empirischen hemmungsloser
zur Verantwortung ziehen, sie mit der Aussicht auf metaphysisch gerechtfer-

2 Adorno ( 2 ) , S. 104
3 Adorno ( 2 ) , S. 104 f
4 Vgl. Marcuse (182), S. 95
Ethik als Herrschaftsinstrument 131

tigte Strafe besser an der Kandare halten kann." Der zentrale Begriff der
kritischen Ethik, die Freiheit, sei nicht im Vollsinn des Wortes zu nehmen:
"Daß Kant Freiheit eilends als Gesetz denkt, verrät, daß er es so wenig
streng mit ihr nimmt wie je seine Klasse."
Erscheint nach diesen Stellen Kant als Handlanger eines "repressiven" Ge-
sellschaftssystems, so widerspricht dem eine.Äußerung, nach der Kant sein Op-
fer sei: In der sich von der W i r k l i c h k e i t zurückziehenden Gesinnungsethik ma-
nifestiere sich - hier folgt Adorno der Marxschen Bewertung der kritischen
Ethik 7 - "die Ohnmacht des Subjekts in einer verhärtet ihm gegenüberstehenden
Welt." 8 Dann aber stellt Adorno zum dritten eine "Selbsterhöhung" des Subjekts
g
fest und deutet sie nun als "Reaktion auf die Erfahrung seiner Ohnmacht."
Die inneren Uneindeutigkeiten in bezug auf die vorgebliche Einheit von Frei-
heitslehre und repressiver Praxis sind bezeichnend. Zur Richtigstellung sei
darauf hingewiesen, daß Kant als "die höchste Aufgabe der Natur für die Men-
schengattung" die Herstellung einer Gesellschaft betrachtet, "(...) in welcher
Freiheit unter äußeren Gesetzen im größtmöglichen Grade mit unwiderstehlicher
Gewalt verbunden angetroffen wird." Die grundlegende Bedeutung der Idee der
Freiheit als "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" erhellt
sich ebenfalls daraus, daß sie für Kant das "einzige, ursprüngliche, jedem
Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht" ist. Die Forderung nach
Universalisierbarkeit dieses Rechts, nach der die Freiheit des Einzelnen
"(...) mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen be-
stehen" können muß, begünstigt keine repressive Praxis, sondern ist die ent-
schiedene Absage an eine solche.
Diese allgemeinen Überlegungen Kants konkretisieren sich in der "fast durch-
gängig positive(n) Färbung seiner Bezugnahmen auf die französische Revolu-
tion" 12 und der Bejahung ihrer "wesentliche(n) Errungenschaften"13 .
5 Adorno ( 7 ) , S. 214. Vgl. ( 7 ) , S. 290
6 Adorno ( 7 ) , S. 248. Vgl. ( 7 ) , S. 213 f
7 Vgl. Marx (189), S. 176 f
8 Adorno (13) , S. 203
9 Adorno ( 7 ) , S. 181
10 Kant (145), S. 22. Vgl. auch (147), B 373. Vorländer erblickt "in dem Be-
griff des gleichen Rechts und der Freiheit" zu Recht das "Zentrum" der Kan-
tischen "Staats- und Rechtsphilosophie", die " ( . . . ) vor allem gegen den ab-
solutistischen Pölizeistaat und die ständische Gesellschaftsordnung seiner
eigenen Zeit und seines eigenen Landes gerichtet war." [Vorländer (281),
S. 310]
11 Kant (140), S. 237
12 Fetscher (58), S. 178. Vgl. dort die entsprechenden Belege.
13 Fetscher (58), S. 193
132 Adornos Kritik der Ethik Kants
Nicht nur für die damalige Zeit fortschrittlich - man denke etwa an das Zen-
surschreiben Friedrich Wilhelms II. und des preußischen Kulturministers WÖ11-
ner vom 1.1.1794 -, sondern auch heute noch aktuell ist die Forderung Kants,
jedem Glied des Staates die Möglichkeit zu gewähren, die "Stufe eines Standes"
zu erreichen, "(...) wozu ihn sein Talent, sein Fleiß und sein Glück hinbrin-
gen können" . In diesem Sinne sei sicherzustellen, daß die ungleichen Vermö-
gensverhä'ltnisse es nicht verhindern, daß die sozial benachteiligten Perso-
nen, "(...) wenn ihr Talent, ihr Fleiß und ihr Glück es ihnen möglich macht,
sich nicht zu gleichen Umständen zu erheben befugt wären." Auch wenn Kants
Rechtsdenken nicht durchweg die heutige Liberalität und demokratische Grund-
legung des Staatsrechts kennt, was z.B, in der häufig kritisierten Einschrän
kung des Widerstandsrechts und in der Unterscheidung zwischen (geforderter
republikanischer) "Regierungsart" und (skeptisch beurteilter demokratischer)
"Staatsform" 18 manifest wird, so sind doch Adornos Verzerrungen des Kanti-
schen Gedankengutes zurückzuweisen. Sie sind nicht nur ungenau, sondern zu-
dem weitgehend ungeschichtlich.
Mit diesen kurzen Hinweisen seien die wenig fruchtbaren, auch von Adorno
kritisch beurteilten wissenssoziologischen Erörterungen abgeschlossen. Inter-
essanter erscheint der Vorwurf einer Repressiv!tat des idealistischen Frei-
heitsprinzips selbst: Der Zwangscharakter der kritischen Ethik liege nicht
a l l e i n in ihrer gesellschaftlichen Funktion als Herrschaftsmittel, sondern
in ihrem Prinzip selbst begründet: "Noch vor aller gesellschaftlicher Kon-
trolle, vor aller Anpassung an Herrschaftsverhältnisse wäre ihrer reinen
Form, der logischen Stringenz, Unfreiheit nachzuweisen. Zwang, dem Gedachten

14 Kant (152), S. 292. Zur Aktualität dieser Gedanken vgl. Ritzel (235),
S. 75 - 78
15 Kant (152), S. 293
16 Die ersten Kritiker der Kantischen Konzeption des Widerstandsrechts waren
Christian Garve und Ludwig Heinrich Jacobs.
17 Kant (152), S. 299 f. Vgl. dazu Henrich (114), Spaemann (270). A. Gurwitch
(83),bes. S. 342 sieht eine Konsistenz der Ablehnung des Widerstands-
rechts mit Kants ethisch(-politischen) Prinzipien. Zur Kritik an Kants
Fassung des Widerstandsrechts vgl. Mandt (181)
18 Kant (156), S. 351 ff. Vgl. zur Problematik Baumanns (20), S. 129 Anm. 24.
Wir stellen nicht die Problematik der von Kant aus der Idee reiner recht-
lich-praktischer Vernunft gezogenen realpolitischen Konsequenzen in Abrede,
sondern nur ihren notwendigen Zusammenhang mit dieser Idee.
19 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 197 f; (5), S. 584 f; (13), S. 267. Zur Problematik
der Adornoschen Kritik an der Wissenssoziologie vgl. Hansen (92), S. 68.
Vgl. zu dem Problemkomplex von Wissenssoziologie und Kritischer Theorie
auch Bubner (37), S. 178 f; Wagner (282), S. 468 - 471; Massing (193),
S. 43 f.
Repressivität des Moralprinzips 133

gegenüber wie dem Denkenden, der es erst durch Konzentration sich antun
20
muß." Die von der "bürgerlichen Klasse" geforderte Freiheit münde in eine
Aporie: "Es geht gegen die alte Unterdrückung und befördert die neue, wel-
?1
ehe im rationalen Prinzip steckt."

4.1.2 Repressivität des Moralprinzips (Unfreiheit der Sinnlichkeit)

Zunächst sei Kants Idee von Freiheit, die wesentlich eine solche der Vernunft
ist, in ihrem Verhältnis zur menschlichen Sinnlichkeit betrachtet. Im An-
schluß soll ihre innere Struktur auf ihre vorgebliche Repressivität hin un-
tersucht werden.
Die Hauptschwierigkeit der Ethik Kants sei die Dialektik ihres Freiheits-
begriffs, sein Umschlag in Unfreiheit. Diese Kritik ist - allerdings ohne
daß Adorno darauf hinweist - im Prinzip schon von Schiller formuliert wor-
den und findet ihren Ausdruck in dem bekannten Distichon:
"Gern dien' ich den Freunden, doch thu ich es leider mit Neigung,
Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft b i n .
Da ist kein anderer Rat, du mußt suchen sie zu verachten,
22
Und mit Abscheu alsdann thun, wie die Pflicht dir gebeut."
Diese Kritik mit dem ihr zugrundeliegenden Mißverständnis eines vorgeblich
von der kritischen Ethik geforderten Gegensatzes von Pflicht und Neigung wie-
derholt Schiller noch andeutungsweise in Ober Anmut und Würde': Kant zufolge
sei die sinnliche Natur im Sittlichen "immer nur die Unterdrückte und nie die
mitwirkende Partei". Das Verhältnis zwischen Sinnlichkeit ("Empfindungen")
23
und Moralgesetz sei durch "Mißtrauen" und "Herrschaft" gekennzeichnet und
insofern von der idealen Einheit der "schönen Seele ( . . . ) , wo Sinnlichkeit
und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren" , entfernt. Dieser von Schii-
oc
ler initiierte Vorwurf ist später von Nietzsche aufgenommen worden. Er ver-
kennt, "(...) daß Kants viel beredeter Rigorismus primär ein denkerischer Ri-
gorismus ist" 26 . Auch hat Kant schon in der zweiten Auflage der 'Religion in-

20 Adorno ( 7 ) , S. 232
21 Adorno ( 7 ) , S. 213
22 Schiller (253), 'Die Philosophen1
23 Schiller (251), S. 286
24 Schiller (251), S. 288
25 Vgl. Nietzsche (207), S. 1201, 1104
26 Ritzel (231), S. 12
134 Adornos Kritik der Ethik Kants

nerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 1 auf ihn geantwortet. Adorno jedoch
erneuert diesen Vorwurf in veränderter Form, indem er den Begriffen Pflicht
und Neigung Identität und Nichtidentisches zuordnet.

4.1.2.1 Darstellung

Da Kant die Freiheit ausschließlich an das Prinzip der Ratio binde, unterwer-
28
fe er sie notwendig dem abstrakten Identitätsprinzip , so daß sie zwanghaft
werde. Autonomie schlage damit in Heteronomie um, idealistische Vernunftfrei-
heit koinzidiere mit Unfreiheit: "Die (...) absolute Autonomie des Willens
2Q
wäre soviel wie absolute Herrschaft über die innere Natur." Die Reinheit
der Freiheit bedeute für die konkret empirische Person Unfreiheit, weil Kant
die "Unterordnung jeglicher Regung unter die logische Einheit, ihren Primat
über das Diffuse der Natur, ja über alle Vielfalt des Nichtidentischen" for-
dere. Diese Unterordnung bestimmt Adorno näher als Unterdrückung: Kants Ethik
" ( . . . ) vermag, gemäß der Gesamtkonzeption, den Begriff der Freiheit einzig
als Unterdrückung vorzustellen. Sämtliche Konkretisierungen der Moral tragen
bei Kant repressive Züge. (...) Daher der Kantische Rigorismus." Die Per-
sönlichkeit als allgemeine logische Vernunfteinheit - schon Goethe sah sie
31
keineswegs vorbehaltlos als "höchstes Glück der Erdenkinder" - unterwerfe
•50
die Person als besonderes Insgesamt der Natur und sei insofern die "Kari-
katur von Freiheit" 33 . Das Kantische Freiheitsprinzip, dessen wahrer Gehalt
sich im Phänomen der "Neurose" offenbare , sei die " ( . . . ) Identität, die al-
les Nichtidentische annektiert hat" 35 : "Im Innersten koinzidieren die (The-
se, ß.) vom Determinismus und die von der Freiheit. Beide proklamieren Iden-
tität." Im Gegensatz zum Idealismus müsse Freiheit positiv als "Möglich-
keit von Nichtidentität" gedeutet werden.
Um diese K r i t i k beurteilen zu können, nach der sich in der Kantischen Ethik
das ungelöste Problem von Besonderem und Allgemeinem, Nichtidentischem (Natur)

27 Vgl. Kant (141), S. 23 f Anm.


28 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 214, 232
29 Adorno ( 7 ) , S. 253. Vgl. ( 7 ) , S. 221; ( 7 ) , S. 248
30 Adorno ( 7 ) , S. 253
31 Goethe ( 7 8 ) , S. 162
32 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 273 f, 288
33 Adorno (7) , S. 294
34 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 221
35 Adorno ( 7 ) , S. 248
36 Adorno ( 7 ) , S. 261
37 Adorno ( 7 ) , S. 266
Herleitung 135

und Identität (Vernunft) ausdrückt, muß zunächst ihre bei Adorno fehlende
Herleitung nachgeholt werden.

4.1.2.2 Herleitung

3ft
Kant will eine wissenschaftliche Ethik begründen ° und sucht deshalb nach dem
Prinzip der Sittlichkeit. Dieses muß nach seinen Überlegungen ein einziges
sein, da eine Mehrzahl ethischer Prinzipien sich selbst aufheben würde ,
d.h. es muß nicht bloß Generalität, sondern Universalität besitzen. Die
verlangte Universalität impliziert zunächst ein Abgehen von der Gefühlsethik,
der Kant in seiner vorkritischen Zeit teilweise verhaftet war. Sodann bedeu
tet sie die Zurückweisung einer material en, weil eo ipso für Kant (im Unter-
schied zu Max Scheler und Nicolai Hartmann ) empirischen Bestimmung des
Prinzips, was die Ablehnung einer aristotelisch-eudämonistischen Grundlegung
der Ethik bedingt. Da eine materiale Charakterisierung des ethischen Prinzips
für Kant ausgeschlossen ist, und außer der Materie nur die Form verbleibt,
muß das gesuchte Prinzip durch einen formalistischen Grundzug gekennzeichnet
sein: "Da ich den Willen aller (empirisch-materialen, B.) Antriebe beraubt
habe, die ihm aus der Befolgung irgend eines Gesetzes entspringen könnten, so
bleibt nichts als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt üb-
rig, welche allein dem W i l l e n zum Prinzip dienen soll, d . i . ich soll niemals
anders Verfahren, als SO, daß ich auch vollen könne, meine Maxime solle ein
44
allgemeines Gesetz sein."

Das Bewußtsein des Sittengesetzes, das Kant in jedem Menschen kraft seiner
Vernünftigkeit voraussetzt - so daß die Ethik den Menschen nur über sein ihm
inhärentes sittliches Sollen aufklären kann - wirkt nötigend, da der Mensch
aufgrund seiner Endlichkeit, d.h. grundsätzlichen Neigungsaffiziertheit, kein
"heiliges Wesen" ist, in dem Wollen und Sollen koinzidieren.

38 Vgl. Kant (143), S. 388


39 Vgl. Kant (142), S. 31 ff
40 Vgl. Kant (146), S. 36
41 Vertritt Kant in den 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erha-
benen1 noch eine Gefühlsethik [vgl. Kant (138, S. 217], so zeigt sich in
der 'Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze1 aus dem gleichen
Jahre eine Unsicherheit [vgl. Kant (154), S. 300].
42 Vgl. Scheler (246), S. 73 ff
43 Vgl. HartmamT (93), S. 107 - 111
44 Kant (143), S. 402. Vgl. (146), S. 27
45 Vgl. Kant (143), S. 397
46 Vgl. Kant (143), S. 414
136 Adornos Kritik der Ethik Kants

Die Bestimmung des menschlichen Willens durch die Vernunft charakterisiert


Kant als "Nötigung". "Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es
für einen Willen nötigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft) und die For-
mel des Gebots heißt imperativ." Als sittlicher Imperativ, der absolut,
unbedingt, universal und notwendig gebietet, ist er ein kategorischer Impe-
rativ (apodiktischer Imperativ der Sittlichkeit in der Dimension des Morali-
schen) und vom hypothetischen Imperativ (problematischer Imperativ der Ge-
schicklichkeit in der Dimension des Technischen oder assertorischer Impera-
tiv der Klugheit in der Dimension des Pragmatischen ), unterschieden, weil
dieser auf material-neigungsbestimmte Zwecke bezogen ist. 49 Die Endlichkeit
des Menschen, sein Wesen als "Bürger zweier Welten", manifestiert sich in
dem möglichen Widerstreit zwischen der im kategorischen Imperativ gebotenen
Pflicht und der im hypothetischen Imperativ formulierten Neigung. In diesem
Verhältnis zwischen Pflicht und Neigung, Vernunft und Natur (Sinnlichkeit)
sind primär drei Fälle zu unterscheiden:
1. Geschieht das Handeln aus Pflicht, so kommt ihm Moraiität zu.
2. Ist es der P f l i c h t gemäß, SO besitzt es Legalität.
3. Ein Handeln schließlich entgegen der Pflicht ist unsittlich.
Schillers Kritik beruht auf der irrtümlichen Annahme, die sich bei Adorno
unter komplizierteren Voraussetzungen wiederholt, daß eine moralische Hand-
lung notwendig der Neigung entgegenstehen müsse. Kants Auffassung aber geht
vielmehr dahin, daß in diesem Falle nur die Erkennbarkeit der Moraiität re-
lativ leicht ist. Wenn hingegen Pflicht und Neigung nicht in anschauliche;"
Weise entgegengesetzt sind, das Handeln aber der Neigung gemäß ist, muß es
co
offenbleiben, ob ihm Moraiität oder lediglich Legalität zukommt. Moraiität
als solche impliziert nicht "Selbstverleugnung" oder "Selbstzwang", sondern
nur dann, wenn die Neigung dem "Gesetze zuwider" 53 ist.
Mit dem in der ' K r i t i k der praktischen Vernunft 1 vorausgesetzten Faktum des
(Bewußtseins des) Sittengesetzes ist unabdingbar die Freiheit verbunden :
47 Kant (143), S. 413. Vgl. (146), S. 32
48 Vgl. Kant (143), S. 414 - 419
49 Zum Unterschied des kategorischen und hypothetischen Imperativs vgl. Pat-
zig (215).
50 Vgl. Kant (143), S. 397 f.; (146), S. 71, 81, 118
51 Aber selbst in einem solchen Fall kann nach Kant keine unbedingte "Ge-
wißheit" [Kant (143), S. 407] über die bestimmende Motivation erreicht
werden.
52 Vgl. Kant (143), S. 397. Vgl. dazu Paton ( 2 1 2 ) , S. 41 ff
53 Kant (146), S. 72
54 Vgl. Vgl. Kant (146), S. 29
Fehler 137

In der ratio essendi impliziert die Freiheit das Sittengesetz, in der ratio
cognoscendi das Sittengesetz die Freiheit.Diese ist weder die bloß negativ-
transzendentale Freiheit, deren Möglichkeit in der 'Kritik der reinen Ver-
nunft 1 sichergestellt wurde , noch die gesetzlose Willkürfreiheit, sondern
sie bestimmt sich als vernünftige Autonomie, positiv praktische Vernunft .
Ist der kategorische Imperativ mit dem Prinzip der Autonomie verbunden, so
der hypothetische mit dem der neteronaaie, nach der die Vernunft nicht sich
selbst ein Gesetz ist, sondern dem Grundsatz folgt: "ich soll etwas tun da-
rum, weil ich etwas anderes w i l l . "
Die im Sittengesetz begründete Autonomie kann durchaus mit einer möglichen
Einschränkung (Unfreiheit) der sinnlich-neigungsaffizierten Seite des Men-
schen einhergehen. Weil die.Autonomie des Menschen in seiner endlich-unendli-
chen Doppel Struktur verhaftet ist, ist sie nicht verwirklicht, sondern of-
fenbart sich als Sollen. Das moralische "Wollen" wird vom Menschen "(...)
als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt be-
trachtet." 58

4.1.2.3 Fehler

1. Von hierher erscheint Adornos Vorwurf einer Koinzidenz des idealistischen


Freiheitsprinzips mit Unfreiheit berechtigt. Spricht doch Kant z.B. von
"(...) einem unvermeidlichen Zwange, der allen Neigungen, aber nur durch ei-
gene Vernunft angetan wird" , oder bestimmt er die Tugend als "moralische
Gesinnung im Kampfe" , wonach sie notwendig mit einem "Selbstzwang" ver-
bunden ist.
Indessen muß gefragt werden, ob diese Ausführungen Kants notwendig aus den
Voraussetzungen der kritischen Ethik folgen. Dabei zeigt sich, daß diese
Äußerungen Kants nur als "denkerischer Rigorismus" zu verstehen sind. Sein
Bemühen, die Pflicht in ihrem Unbedingtheitsanspruch scharf und ein-
deutig herauszustellen, führt dann teilweise zu Formulierungen, die von ih-
ren Prämissen her nicht gedeckt sind.
55 Vgl. Kant (147), B 585 f
56 Vgl. Kant (146), S. 33; (143), S. 446 f
57 Kant (143), S. 441
58 Kant (143) , S. 455
59 Kant (146), S. 80
60 Kant (146), S. 84
61 Kant (146), S. 83
62 Ritzel (231) , S. 12
138 Adornos K r i t i k der Ethik Kants

Der im kategorischen Imperativ implizierten Sollensstruktur ist zwar jeder


Mensch unterworfen, jedoch bedeutet dies nicht notwendig, daß seine Natur un-
frei ist. Die Sollensstruktur wird nur dann zur Unfreiheit für die sinnliche
Seite, wenn die Neigungen dem Pflichtgebot entgegengesetzt sind. Stimmen
Pflicht und Neigung überein, d . h . handelt der Mensch aus Pflicht und sind die-
ser die Neigungen nicht konträr, obzwar sie nicht als Bestimmungsgrund gelten,
dann ist unabhängig von der in der Endlichkeit des Menschen begründeten Sol-
lensstruktur im konkreten Fall auch die natürlich-sinnliche Seite frei. Ador-
nos Behauptung, Kant könne sich "Freiheit einzig als Unfreiheit" und dies
CO
vorgeblich "gemäß der Gesamtkonzeption" vorstellen, trifft also nicht zu.
Dieselbe Problematik, die Schiller unter der von ihm irrtümlich angenomme-
nen Forderung der kritischen Ethik nach einem Gegensatz von Pflicht und Nei-
gung herausstellt, thematisiert Adorno unter dem Aspekt einer vorgeblichen
Koinzidenz von Freiheit und Unfreiheit.
Soweit also der Mensch aus Pflicht handelt, was durchaus seinen Neigungen
gemäß, nur nicht neigungsbestimmt sein darf, ist er frei und darüberhinaus
sittlich. Freiheit der Sinnlichkeit und Sittlichkeit sind in der kritischen
Ethik durchaus vereinbar.
2. Die Liberalität der Moralphilosophie Kants geht indes noch weiter: Die
natürlich sinnliche Seite des Menschen ist nicht nur frei, wenn aus Pflicht
und der Neigung gemäß, sondern auch dann, wenn bloß der Pflicht gemäß gehan-
delt wird. Aus der Perspektive der Vernunft ist der Mensch dann zwar nicht
aktualiter autonom, aus der Perspektive der Natur aber frei. Dies müßte für
Adorno, den Anwalt des Nichtidentischen, entscheidend sein. Die einzige "Ein-
schränkung" eines neigungsbestimmten, aber pflichtgemäßen Handelns liegt da-
rin, daß es nicht sittlich, sondern sittlich-indifferent (nicht-sittlich) ist.
Adorno indessen klammert aus den drei möglichen Handlungsbewertungen "sitt-
lich" (Moralität), "nicht-sittlich" (Legalität) und "unsittlich" die mittle-
re aus. Derart kann er die in der kritischen Ethik gewährleistete Ungebun-
denheit der natürlichen Seite kategorial nicht bestimmen und muß zufolge
dieser fehlenden Differenzierung Repressivität feststellen: "Jede menschli-
che Regung widerspricht der Einheit dessen, der sie hegt".
63 Adorno ( 7 ) , S. 253
64 Später wird dieser Gegensatz von Pflicht und Neigung bei Schiller zu dem
Widerstreit von Form- und Stofftrieb.Vgl. Schiller ( 2 5 2 ) , 12. Brief
65 Vgl. zu dem diesen Erörterungen zugrundeliegenden Tugendbegriff Beck ( 2 9 ) r
S. 214 f.
66 Adorno ( 7 ) , S. 273
Fehler 139

Damit wird das von Adorno zugrundegelegte Herrachaftsuodeii, das schon


seine Deutung der Kantischen Erkenntnistheorie bestimmte, vollends inadäquat:
Statt von einer "Unterdrückung" der Natur durch die Vernunft ist es ange-
messener, von einer Einschränkung des Spielraums der natürlichen W i l l k ü r zu
reden, weil die Freiheit der sinnlichen Seite des Menschen gewahrt bleibt -
allerdings im Rahmen der von der Vernunft abgesteckten allgemeinen Gesetze.
Innerhalb dieses Rahmens der Legalität kann der Mensch durchaus seinen na-
türlichen Neigungen folgen und ist hinsichtlich derselben frei. In der "For-
mal isierung der Vernunft" liegt keineswegs - so Adorno - das "Verdict über
die Gefühle" beschlossen, weil Kant im Gegensatz etwa zu Fichte morali-
sche Adiaphora einräumt.
3. Die Aufdeckung dieses Sachverhalts wird zusätzlich dadurch erschwert,
daß Adorno die schillernden Begriffe Identität und Nichtidentisches in die
Problematik einführt: Der Gegensatz von Pflicht und Neigung ist weder dem
von Freiheit und Unfreiheit (obwohl partiell kongruent und auf dasselbe Pro-
blem beziehbar), noch dem der Begriffe von Identität und Nichtidentisches
gleichzusetzen.
Die idealistische Vernunftfreiheit sei nicht nur repressiv, sondern affi-
ziere auch das Problem von Besonderem und Allgemeinem, das Individualitäts-
problem, das Adorno mit den Begriffen des Nichtidentischen und der Identität
zu fassen versucht. Das Kantische Freiheitsprinzip stelle sich als "(...)
Identität, die alles Nichtidentische annektiert hat" , dar. Die kritische
Ethik verhindere die Ausbildung menschlicher Individualität, in ihr manife-
stiere sich eine "Wut aufs Nichtidentische" 7 1 : Die Abstraktion der Kantischen
Ethik "(...) ist inhaltlich, weil sie vom Subjekt ausscheidet, was seinem
7?
reinen Begriff nicht entspricht."
Indessen kann diese Argumentation nicht überzeugen: Abgesehen von der feh-
lenden Voraussetzung eines notwendigen Gegensatzes von Pflicht und Neigung
ist es fraglich, ob Identität und Nichtidentisches grundsätzlich konträr zu-
einander stehen. Nur weil Adorno davon ausgeht, kann er die Verhinderung von
Individualität feststellen, denn so wird die direkt nicht gegebene Prämisse

67 Adorno ( 7 ) , S. 253
68 Adorno ( 2 ) , S. 111
69 Vgl. Fichte (61), S. 145 f
70 Adorno ( 7 ) , S. 248
71 Adorno ( 7 ) , S. 34
72 Adorno ( 7 ) , S. 253
140 Adornos Kritik der Ethik Kants

eines notwendigen Widerstreits von Pflicht und Neigung durch die Einkleidung
in eine veränderte Terminologie, nämlich Identität und Nichtidentisches in-
direkt hergestellt.
Zweifelsohne sind die Begriffe Identität und Nichtidentisches entgegenge-
setzt. Aber das bedeutet nicht, daß sich das, was mit ihnen begriffen wird,
zwangsläufig konträr zueinander verhält, Homogenität ausgeschlossen ist, und
zwar deshalb, weil "Nichtidentisches" doppeldeutig ist. Sofern Identität für
Vernunft steht und Nichtidentisches für Natur qua Nicht-Identisches (qua
Nicht-mit-der-Vernunft-Identisches) sind die Überlegungen Adornos einsich-
tig. Jedoch ist hieraus keine Verhinderung von Individualität ableitbar.
Dies wird erst möglich, wenn die Natur qua Nicht-Identisches als Nichtiden-
tisches qua Nichtidentifizierbares (qua Besonderes) verstanden wird. Indem
das Nicht-Identische als ein prinzipiell Nichtidentifizierbares gedeutet
wird, entsteht der Schein eines notwendigen Widerstreites von Pflicht und
Neigung. Die Begriffsverschiebung ermöglicht die verlangte Prämisse und da-
mit den Schluß auf eine Individualitätsfeindschaft Kants. Die doppelte Be-
deutung von "Nichtidentität" entspricht dabei genau der fehlenden Differen-
zierung Adornos zwischen "nicht-sittlich" und "unsittlich".
4. Zudem gilt es zu fragen, ob die Vernunftfreiheit Kants w i r k l i c h die
gescholtene "(...) Identität, die alles Nichtidentische annektiert hat" ,
ist und Moralität demnach in der Herstellung abstrakter Identität besteht,
das "Böse" aber im Mißlingen der "formalen Einheit" .
Diese. Interpretation beruht auf einer doppelten Vereinfachung, der sich
schon Nietzsche schuldig machte, indem er den kategorischen Imperativ als
Forderung auffaßte, daß "(...) alle Menschen gleich handeln" sollen. Das
Sittengesetz ist zwar identisch, insofern es formal ist, aber deshalb werden
nicht die konkreten Handlungen gleichförmig gemacht, identifiziert, insofern
sie sittlich sein sollen. Die Unterordnung der konkreten Handlungen unter
den Anspruch des identischen Sittengesetzes läßt sich nicht als ihre Identi-
fizierung fassen, eben weil die Vielfalt der empirischen Handlungen selbst
gar nicht universal isierbar sein soll. Einzig die (allgemeinen) Maximen,
die jeder Handlung - ob ausgesprochen oder unausgesprochen - zugrundeliegen,
müssen der Forderung nach Universalisierbarkeit und damit in einem gewissen
Sinne nach Identifizierbarkeit genügen, nicht aber die auf einen begrenzten
73 Adorno ( 7 ) , S. 248
74 Adorno ( 7 ) , S. 289
75 Nietzsche (206), S. 466
Fehler 141

Handlungskreis bezogenen Regeln oder gar die Handlungen selbst (auch wenn
dies dem Wortlaut der "Typik" teilweise widerspricht). Grundsätze (Maximen
und Gesetze) sind nicht mit Regeln identisch, vielmehr enthalten jene zufol-
ge Kant "mehrere praktische Regeln unter sich" .
Adorno gelingt es einzig durch die Anwendung der undifferenzierten Identifi-
kationsbegrifflichkeit, seine K r i t i k zu formulieren, weil mittels dieser Ter-
minologie die beiden kategorialen Bestimmungen von Maxime und Regel, die Kant
zwischen das Sittengesetz und die Handlung selbst schaltet, nicht zu fassen
sind. Aus dem Zusammen dieser doppelten Vereinfachung und der Ambivalenz des
Begriffs des Nichtidentischen, die die verzerrte Deutung des Verhältnisses
von Pflicht und Neigung verschleiert, bauen sich die Vorwürfe der Repressi-
vität und Individualitätsfeindschaft a u f .
5. Ein weiterer Grund scheint Adorno zu diesen Vorwürfen verleitet zu haben:
Kant unterscheidet in seiner Ethik zwischen "Preis" und "Würde": "Im Reiche
der Zwecke hat entweder alles einen preis, oder eine würde. Was einen Preis
hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, ein Äquivalent, gesetzt wer-
den; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent ver-
stattet, das hat eine Würde."
Der Mensch als "Bürger zweier Welten" besitzt sowohl einen Preis als auch
eine Würde. Dem, was sich auf seine natürliche Seite bezieht ("Neigungen und
Bedürfnisse") kommt lediglich ein Preis zu. "Allein der Mensch als Person be-
trachtet, d.i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über al-
len Preis erhaben; denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als
Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck
an sich selbst zu schätzen, d.i. er besitzt eine würde (einen absoluten inne-
ren Wert), wodurch er allen anderen vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn
abnötigt" . Allein dem Menschen als Vernunftwesen kommt also ein absoluter
Wert zu, der Mensch als besonderes empirisches Naturwesen hingegen ist gleich-
gültig, äquivalent. Die je individuellen Ausgestaltungen der Person sind also
bei Kant nicht wertmaßig ausgzeichnet. Indessen darf nicht gefolgert werden,

76 Kant (146), S. 19. In Übereinstimmung mit dieser Differenzierung zwischen


Maxime und Regel stellt Kant einen "Spielraum der Anwendung" [Kant (140),
S. 433 Anm.] von Tugendpflichten fest. Zum Verhältnis von Maxime und Re-
gel vgl. Hoffe (115), S. 91 - 96
77 Kant (143), S. 434
78 Kant (140), S. 434 f
142 Adornos Kritik der Ethik Kants

daß Kant individualtitätsfeindlich ist und das menschliche Subjekt auf sei-
nen "reinen Begriff" 79
79
,reduziert. Individualität ist zugelassen, aber nicht
kritisch legitimiert. 80

Bevor nicht nachgewiesen wird, daß ohne den Wert des Prinzips der Indivi-
dualität die moral philosophische Konzeption in sich scheitert, kann das Fak-
tum einer bloßen Konzession des Individuellen nicht kritisch gewendet werden.
Die von Schiller erkannte Problematik der kritischen Ethik liegt in diesem Zu-
sammenhang in der sich an die philosophische Grundlegung anschließenden Dimen-
sion des Pädagogischen , der Vereinigung von Kontinuität (Stetigkeit) und
Diskontinuität (Unstetigkeit). Dieser Problemkomplex wird von Adorno jedoch
nicht thematisiert.
6. In geradezu ironischer Weise offenbart sich Adornos Mißverständnis, wenn
er dem Kantischen Freiheitsbegriff die "Idee von Freiheit als Möglichkeit von
Nichtidentität" entgegensetzt:Die "Möglichkeit von Nichtidentität" ist auch
bei Kant gewährleistet.
Demnach kann der Unterschied zwischen Kant und Adorno nur darin bestehen,
daß Kant neben dieser Möglichkeit auch überindividuelle Ansprüche kennt und
in Rechnung stellt, Adorno hingegen das Gefühl von jeglicher Bindung an Ver-
nunft lossprechen w i l l . Manifest wird dies in seiner Ablehnung von Rationali-
sierungen ethisch-relevanter Impulse. 83 Dem aber ist entgegenzuhalten, daß
das Gefühl allererst durch die Vernunft legitimiert werden muß, so daß diese
notwendig das letzte Wort behält. In dieser Erkenntnis liegt gerade ein Fort-
schritt Kants gegenüber Rousseau.
7. Abschließend ist festzuhalten, daß Adornos Repressivitätsvorwurf gegen-
über der Freiheitskonzeption Kants unbegründet ist. Er beruht auf einem mehr-
fachen Mangel an gedanklichen Differenzierungen (Verkürzung des Verhältnis-
ses von Pflicht und Neigung; Außerachtlassung der Funktionen von Maxime und
Regel) und sprachlicher Klarheit (doppelter Begriff des "Nichtidentischen").
Auch wenn Kant I n d i v i d u a l i t ä t wertmäßig nicht auszeichnet, ist daraus weder
eine "Unterdrückung" des Natürlichen und Individuellen noch eine Reduktion
der konkreten Person auf die abstrakte Persönlichkeit abzuleiten. Auch hier
79 Adorno ( 7 ) , S. 253
80 Vgl. Ritzel ( 2 3 3 ) , S. 95
81 Vgl. dazu Ritzel (233) und Derbolav ( 4 2 ) , bes. S. 531 - 534
82 Adorno ( 7 ) , S. 66. Vgl. ( 7 ) , S. 212
83 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 281
84 Vgl. zur Problematik der Rousseauschen Moralkonzeption Ritzel ( 2 3 2 ) , S.
61 f, 77
Freiheit und Kausalität 143

schrumpft Adornos Kritik auf eine bloße Konfrontation zusammen: Der allgemei-
nen Vernunft und ihrer Bindung des Handelns werden die je besondere Indivi-
dualität und die Loslösung des Handelns von allgemeinen Ansprüchen entgegen-
85
gesetzt, ohne daß aber der Wert der Individualität legitimiert worden wäre.
Schon jetzt drängt sich die Frage a u f , wie Adorno diesen allgemeinen Erfor-
dernissen der Einschränkung des Handlungsspielraums durch die Ansprüche des
überindividuellen entsprechen w i l l . Gelingt ihm die Synthese von Vernunft und
I n d i v i d u a l i t ä t , wie er sie auch - im Gegensatz zu seiner Ablehnung von Ratio-
nalisierungen ethisch relevanter Impulse - in der "Versöhnung von Geist und
Natur" fordert und wie sie schon vor ihm von Schiller gefordert worden ist ?
Zugleich deutet sich hier die unterschiedliche Auffassung der menschlichen
87
Subjektivität an: Bei Kant macht die Vernunft das "eigentliche Selbst" aus,
und in Obereinstimmung damit ist die Freiheit als Autonomie auf die Vernunft
bezogen. Bei Adorno steht die Natur in ihrer jeweiligen Besonderheit im Zen-
trum, und Freiheit wird (zumindest teilweise) als ungehinderte Entfaltung des
Natürlichen gedeutet.

4.1.3 Kausalität und Gesetzlichkeit (Unfreiheit der Freiheit)

Nachdem oben die Kantische Vernunftfreiheit in ihrem äußeren Verhältnis zur


natürlichen Seite des Menschen betrachtet worden ist, soll im folgenden ihre
innere Struktur, ihr Zusammenhang mit Kausalität und Gesetzlichkeit erörtert
werden.

4.1.3.1 Freiheit und Kausalität

Die Repressivität des Begriffs einer Vernunftfreiheit reigt sich nach Adorno
auch darin, daß Kant Freiheit als "Spezialfall von Kausalität" 88 konstruiere.
Oft
Dadurch nehme er sie, indem er sie setze, zurück. Nicht nur die phänomena-
len Konstituta seien dem Kausalprinzip unterworfen,sondern ebenso - entgegen
Kants Selbstverständnis - die noumenalen Konstituentien: "Unterliegt bereits
die Konstitution der Kausalität durch die reine Vernunft, die doch bereits
ihrerseits Freiheit sein soll, der Kausalität, so ist Freiheit vorweg so kom-

85 Vgl. Kap. 2.3.3


86 Adorno ( 7 ) , S. 228
87 Kant (143), S. 457
88 Adorno ( 7 ) , S. 248
89 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 252
144 Adornos Kritik der Ethik Kants

promittiert, daß sie kaum einen anderen Ort hat als die Gefügigkeit des Be-
wußtseins dem Gesetze gegenüber." 90
In der Tat bezeichnet Kant das moralische Gesetz als "ein Gesetz der Kausa-
lität durch Freiheit" 9 und bestimmt Freiheit als "Kausalität nach unwandel-
qy
baren Gesetzen" . Was aber kann das für eine Freiheit sein, die mit Kausali-
tät zusammenfällt ?
Das Problem löst sich dadurch, daß Kant einen doppelten Kausalitäts-
begriff verwendet: "Man kann sich nur zweierlei Kausalität in Ansehung dessen,
was geschieht denken, entweder nach der Natur oder aus Freiheit." Freiheit
f ä l l t also nicht mit Naturkausalität zusammen, sondern ist (in ihrer negati-
ven transzendentalen Bedeutung) "(...) das Vermögen, einen Zustand von selbst
QO
anzufangen" . Kausalität ist bei Kant nicht nur Naturkausalität, sondern
auch das Vermögen, Wirkungen hervorzubringen. Ein solches Vermögen ist der
menschliche W i l l e , "(...) und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser
Kausalität sein, da sie unabhängig von fremden, sie bestimmenden Ursachen
wirkend sein kann" 94 .
Versteht man Kausalität als Vermögen, Wirkungen hervorzubringen, und Frei-
heit als Vermögen, ursprünglich zu wirken, so ist diese Freiheit durchaus ein
"Spezialfall von Kausalität". Indessen meint Adorno mit der Bestimmung noch
ein anderes: Freiheit sei aufgrund ihrer Kausalität "Gefügigkeit des Bewußt-
95
seins dem Gesetze gegenüber" : "Kausalität aus Freiheit korrumpiert diese
in Gehorsam." 96
Diese Kritik ist aber insofern problematisch, als Adorno die beiden Kausa-
litätsbegriffe identifiziert. Die Ineinssetzung läßt sich genau verfolgen:
In bezug auf Kant heißt es: "Vernunft ihrerseits aber ist ihm nichts anderes
als das gesetzgebende Vermögen. Darum muß er Freiheit von Anbeginn als 'beson-
dere Art von Causalität' vorstellen." 97 Die Kausalität von Vernunft und Frei-
heit besteht also darin, Wirkungen hervorzubringen, Gesetze zu geben. Daran
schließt sich folgender Satz direkt an: "Indem er sie (die Freiheit, B.)
setzt, nimmt er sie zurück." Nun wird also die Kausalität der Freiheit als
Freiheit unter Kausalität (qua Naturkausalität, Fremdbestimmtheit) verstanden.
90 Adorno (7) S. 246
91 Kant (146) S. 47
92 Kant (143) S. 446
93 Kant (147) S. 560 f. Vgl. dazu Paton ( 2 1 2 ) , S. 258 f
94 Kant (143) S. 446
95 Adorno (7) S. 246
96 Adorno (7) S. 231
97 Adorno (7) S. 252
Freiheit als Autonomie 145

Die Begriffsverschiebung wird zusätzlich durch eine weitere Argumentation


unkenntlich gemacht, mit deren Hilfe Adorno die (Natur-)Kausalität der Frei-
heit dartun w i l l : "Aber indem laut Kant das Subjekt kausal denken muß, folgt
auch er in der Analyse der Konstituentien, nach dem Wortsinn von Müssen, dem
Kausalgesetz,dem er erst die Konstituta unterwerfen dürfte.Unterliegt bereits
die Konstitution der Kausalität durch die reine Vernunft, die doch ihrerseits
die Freiheit sein soll, der Kausalität, so ist Freiheit vorweg (...) kompro-
mittiert" 98 .
Adorno verwechselt hier die Objektebene mit ihrer Metaebene: Das kausale
Denken eines Sachverhalts impliziert nicht die Kausalität des Sachverhalts
- auch wenn der Sachverhalt die Kausalkonstitution selbst sein sollte."
Diese doppelte Konfusion ist möglicherweise durch Kants Bestimmung der
Freiheit als Autonomie verursacht, wobei Adorno zwischen Gesetzlichkeit und
Kausalität nicht hinreichend differenziert.

4.1.3.2 Freiheit als Autonomie

Kant weist im Bereich des Sittlichen die Willkürfreiheit zurück und bestimmt
die positiv praktische Freiheit (auf der Grundlage der negativ transzendenta-
len Freiheit) als Autonomie. Diesen Schritt begründet er in der 'Grundle-
1
gung zur Metaphysik der Sitten durch eine Bezugnahme auf die Kausalität der
Freiheit insofern, als seines Erachtens der Begriff der Kausalität den Be-
griff des Gesetzes in sich enthält: Die Freiheit "(...) muß (...) eine Kau-
salität nach unwandelbaren Gesetzen, aber von besonderer Art, sein; denn
sonst wäre ja ein freier W i l l e ein Unding."
Indessen berechtigt auch dies nicht dazu, von einer Korrumpierung der
Freiheit in "Gehorsam" und "Gefügigkeit" 102 zu sprechen. Kant weist aus-
drücklich darauf h i n , daß das Gesetz positiv praktischer Freiheit "von be-
sonderer Art" ist: Es ist autonom. "Der W i l l e wird also nicht lediglich dem
Gesetze unterworfen, sondern so unterworfen, daß er auch als seibstgesetz-

98 Adorno ( 7 ) , S. 246
99 Schon Beier stellt die "Konfundierung von Objekt- und metatheoretischer
Ebene" als "eine zentrale, für die Theorie folgenreiche Zwiespältigkeit
bei Adorno" [Beier ( 3 0 ) , S. 63] heraus.
100 Vgl. Kant (143), S. 433
101 Kant ( 1 4 3 ) , S. 446. Vgl. ( 1 4 6 ) , S. 89; ( 1 4 1 ) , S. 35. Vgl. zu einer ande-
ren Begründung Paton ( 2 1 2 ) , S. 262.
102 Adorno ( 7 ) , S. 246
146 Adornos Kritik der Ethik Kants

gebend, und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er selbst sich als
Urheber betrachten kann) unterworfen, angesehen werden muß." Die sich hier
aufdrängende Vermutung, daß Adorno dem Autonomie-Gedanken nicht gerecht wird,
bestätigt sich durch Aussagen wie die, daß Kant "(...) Freiheit ohne Zwang
nicht ertragen" könne. Adorno sieht deshalb die sittliche Freiheit Kants "in
Gehorsam (korrumpiert)" , weil er dem Unterschied zweier Gesetzestypen,
Autonomie und Heteronomie, nicht Rechnung trägt und so das Entscheidende der
kritischen Ethik verkennt. 105
Nur konsequent ist es, daß Adorno wie schon vor ihm Schopenhauer und
Nietzsche die Nötigung des Sittengesetzes als "Säkularisierung der Glau-
tno IflO
bensautorität" deutet (obwohl Kant gleich Lessing die Religion umgekehrt
an die Ethik bindet 110 ) und die komplexe Bedeutung des zentralen Begriffs der
Achtung reduziert: Bei Kant ein "selbstgewirktes Gefühl" , wird sie bei
Adorno zum "Respekt" .
Durchaus auf Adorno beziehbar - obwohl eigentlich auf vorkantische Philoso-
phen gemünzt - ist Kants Feststellung: "Man sähe den Menschen durch seine
Pflicht an Gesetze gebunden, man ließ es sich aber nicht einfallen, daß er
nur seiner eigenen und dennoch allgemeinen Gesetzgebung unterworfen sei, und
daß er nur verbunden sei, seinem eigenen, dem Naturzwecke nach aber allgemein
gesetzgebenden, W i l l e n gemäß zu handeln. Denn wenn man sich ihn nur als einem
Gesetz ( . . . ) unterworfen dachte: so mußte dieses irgend ein Interesse als
Reiz oder Zwang bei sich führen, weil es nicht als Gesetz aus seinem W i l l e n
entsprang, sondern dieser gesetzmäßig von etwas anderem genötigt wurde, auf
gewisse Weise zu handeln. Durch diese ganz notwendige Folgerung aber war a l l e
Arbeit, einen obersten Grund der Pflicht zu finden, unwiederbringlich verlo-
ren. Denn man bekam niemals Pflicht, sondern Notwendigkeit der Handlung aus
einem gewissen Interesse heraus." Dieses Interesse ist bei Adorno eudämo-

103 Kant (143), S. 431


.104 Adorno (7) , S. 231
105 Ideengeschichtlich betrachtet wird der Kantische Autonomiegedanke durch
die Staatsvertragakonzeption Rousseaus vorbereitet. Vgl. Rousseau (241),
Bd. I 8, S. 49
106 Vgl. Schopenhauer ( 2 5 7 ) , S. 22 f, 33, 66 f, 83
107 Vgl. Nietzsche ( 2 0 2 ) , S. 195 f
108 Adorno ( 5 ) , S. 613
109 Vgl. Lessing ( 1 7 0 ) , §§ 4, 70 ff, 76, 80, 85
110 Vgl. Kant ( 1 4 l ) , S. 5
111 Kant (143), S. 401 Anm. Vgl. (146), S. 75
112 Adorno ( 2 ) , S. 113
113 Kant (143) , S. 432 f
Weitere Aspekte 147

nistisch, genauer hedonistisch, zielt doch seines Erachtens "alles Glück auf
sinnliche Erfüllung" ab.
Die Überlegungen zum Kausal itäts-und Autonomiegedanken der Freiheit zusam-
mengefaßt .bedeutet dies,daß Adorno 1. den doppelten Kausalitätsbegriff Kants
nicht berücksichtigt,2. Ebene und Metaebene verwechselt,3. nicht hinreichend
zwischen Autonomie und Heteronomie unterscheidet.

4.1.4 Weitere Aspekte: Glück, Mitleid, repressive Ausdrücke, "Strafbedürfnis"

Zum Abschluß seien noch weitere Aspekte des Repress i vitä'tsvorwurf es kurz er-
örtert: die Probleme der Stellung Kants zu Glück und M i t l e i d , die Verwendung
repressiver Ausdrücke und sein sogenanntes "Strafbedürfnis" .
i. Problem des Glücks: Eines der Grundanliegen der Kritischen Theorie, das
sich schon in Schillers Forderung nach einer "vollständigen anthropologischen
Schätzung" ausdrückt, ist ihr Eintreten für den Wert der menschlichen Sinn-
lichkeit, die nicht zugunsten einer abstrakten Vernunft geopfert werden dür-
fe. Dabei greift sie insbesondere Gedanken Nietzsches auf, der in seiner
"Streitschrift" 'Zur Genealogie der Moral 1 das asketische Ideal als Aus-
druck der "Krankhaftigkeit im bisherigen Typus des Menschen" dem "schutz-
and Heil-Instinkte eines degenerierten Lebens" 118 entsprungen sieht. Die Ver-
treter der Kritischen Theorie entmystifizieren nun über Nietzsche kritisch
hinausgehend diese Polemik historisch-gesellschaftspolitisch.
So versucht M. Horkheimer die "Notwendigkeit der idealistischen Moral", die
i tg
wesentlich repressiv sei, "aus der wirtschaftlichen Lage des Bürgertums"
abzuleiten. Die "dem moralisch vermittelten Zwang zur Askese" entsprechen-
de "Verdammung des Egoismus, ja des Genusses überhaupt", wie sie sich in den
121
"anthropologischen Anschauungen des Bürgertums 1 manifestiere, sei ein
"Herrschaftsmittel", das "stets größeres Gewicht" im Interesse der "Domesti-
122
zierung der Massen" gewonnen habe. Das ehemals offene "Herrschaftsverhält-

114 Adorno ( 7 ) , S. 202


115 Adorno ( 7 ) , S. 257
116 Schiller (252), 4. Brief
117 Nietzsche (209), S. 761
118 Nietzsche ( 2 0 9 ) , S. 861 f
119 Horkheimer (121), S. 100
120 Horkheimer (121), S. 150
121 Horkheimer ( 1 2 1 ) , S. 98
122 Horkheimer (121), S. 102 £
148 Adornos Kritik der Ethik Kants

nis" werde in der Neuzeit "durch Bändigen und Ertöten der Lustansprüche ver-
innerlicht." 1 2 3
Ähnlich sieht auch H. Marcuse das "Interesse der Kritischen Theorie" inso-
fern mit dem "Hedonismus" verbunden, als in seinem "(...) materialistischen
Protest (...) ein sonst verfemtes Stück menschlicher Befreiung aufbewahrt
ist" . Die "Abwertung des Genusses" sei durch die ökonomisch bestimmte ge-
sellschaftliche Aufwertung der Arbeit bedingt: "Die Legitimierung der Lust
1 ?*5
als Wert würde in der Tat alles auf den Kopf stellen" .
Vor diesem Hintergrund ist auch Adornos Beurteilung der Stellung Kants zur
Frage des Glücks zu sehen:In seiner Haltung zum menschlichen Glück sei Kant
126
"so ambivalent wie der bürgerliche Geist insgesamt" . Die "Ambivalenz" stei-
gere sich "bis zum Zerreißen": "Einerseits verteidigt er es (das Glück, B.)im
Begriff der Glückswürdigkeit,andererseits verunglimpft er es als heteronom".
Dabei seien Kants "Modifikationen seiner Stellung zum Glück im Fortgang der
Kritik der praktischen Vernunft (...) keine nachlässigen Konzessionen an die
Tradition der Güterethik; vielmehr, vor ttegel, Modell einer Bewegung des Be-
127
griffs." Dies werde "aktenkundig" in der ersten Anmerkung zum vierten Lehr-
satz der ' K r i t i k der praktischen Vernunft 1 , in der Kant die Beförderung der
Glückseligkeit (seiner eigenen als auch der anderer Menschen) zwar nicht als
Bestimmungsgrund sittlicher Handlungen gelten läßt, sie wohl aber als ihre
Materie konzediert, sofern " ( . . . ) die Form der Allgemeinheit, die die Ver-
128
nunft als Bedingung bedarf" , motivierend ist. Dadurch wird - so Adorno -
1?Q
die Unabhängigkeit des Sittengesetzes "suspendiert" .
Zunächst ist daran zu erinnern, daß Kant das menschliche Streben nach Glück
durchaus als faktisch und subjektiv notwendig anerkennt. Allerdings ver-
131
neint er, daß das eudämonistische Prinzip einen direkten Bestimmungsgrund
sittlicher Handlungen abgeben kann. Zugleich ist Kant weit davon entfernt,

123 Horkheimer (121), S. 105


124 Marcuse (184), S. 131
125 Marcuse (184), S. 135 f
126 Adorno ( 7 ) , S. 254. Adorno wirft nicht nur Kant, sondern auch Hegel
[vgl. Adorno ( 7 ) , S. 346] und Marx [vgl. Adorno (11), S. 254] eine re-
pressive Haltung zum Glück vor.
127 Adorno ( 7 ) , S. 256
128 Kant (146), S. 34
129 Adorno ( 7 ) , S. 257
130 Kant (143), S. 415. Vgl. (146), S. 25
131 Wohl aber macht Kant - was Adorno nicht beachtet - eine indirekte Pflicht
geltend, die "eigene Glückseligkeit" zu sichern [Kant (143), S. 399].
Dies wird auch von Marcuse [(184), S. 149] übersehen.
Weitere Aspekte 149

dieses dem Menschen natürliche Streben als unsittlich zu verwerfen. Hier


ist die kritische Ethik durchaus einheitlich und auch eindeutig.
Uenn dann Kant in der ersten Anmerkung zum vierten Lehrsatz der ' K r i t i k der
praktischen Vernunft 1 das Glücksverlangen als Materie sittlicher Handlungen
zuläßt, so liegt darin keine - wie Adorno behauptet - "Modifikation" seiner
Auffassung, sondern eine im Rahmen der kritischen Ethik konsistente Differen-
zierung. Die Moral philosophic Kants ist in diesem Punkt nicht "ambivalent",
sondern eindeutig und differenziert. Die Rede von einer notwendigen "Bewegung
des Begriffs" ist sowohl außerhalb eines Identitätssystems unverständlich als
auch schlicht falsch. Ebensowenig ist es evident, inwiefern diese Diffe-
renzierung die Unabhängigkeit des Sittengesetzes "suspendieren" soll.
2. Problem des Mitleids·. Auch an Kants Stellung zum Problem des Mitleids
versucht Adorno, der kritischen Ethik Repressivität nachzuweisen. Sowohl in
der 'Dialektik der A u f k l ä r u n g '
134 als auch in der 'Negativen Dialektik 1 zieht
er eine direkte Verbindungslinie zwischen Kant und Nietzsche: "In der Verach-
tung fürs Mitleid stimmt die reine praktische Vernunft mit dem Werdet hart
135
des Antipoden Nietzsche zusammen." Indessen scheint Adorno den beiden bei-
zupflichten, ist doch " ( . . . ) die Fähigkeit, im Zuschauen sich zu distanzie-
ren und zu erheben, ( . . . ) am Ende eben das Humane, dessen Ideologen sich da-
gegen sträuben." Jedoch gilt es zu differenzieren, denn in allen drei Fäl-
len ist das gleich erscheinende Ergebnis anders begründet.
Kant lehnt zwar - ganz im Gegensatz etwa zu Schopenhauer - das Gefühl
des Mitleids als Bestimmungsgrund sittlicher Handlungen ab, entscheidend aber
ist die Begründung: Das Mitleid als ein prinzipiell subjektives Gefühl genügt
dem Postulat der Universal isierbarkei t der Maximen ethischer Handlungen
nicht und birgt die Gefahr in sich, eine vernünftige Leitung der W i l l k ü r zu

132 Vgl. Kant (146), S. 93


133 Allerdings verhält es sich mit der in der 'Dialektik der reinen prakti-
schen Vernunft' konzipierten Lehre des summum bonum anders. "Die Existenz
oder auch nur die Möglichkeit des höchsten Guts kann ( . . . ) nicht in Kon-
sistenz mit Kants übrigen, wohl begründeten Lehren, als ein logisch oder
ethisch notwendiges Motiv echter Sittlichkeit behauptet werden. Die Hoff-
nung auf ein höchstes Gut kann höchstens ( . . . ) psychologisch notwendig
sein"[Beck ( 2 9 ) , S. 226]. Dies bedeutet aber allenfalls eine Inkonsistenz
von 'Analytik' und 'Dialektik', nicht aber die "Kritik" [Adorno ( 7 ) ,
S. 272] des Grundansatzes der kritischen Ethik.
134 Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 121 f
135 Adorno ( 7 ) , S. 257 f
136 Adorno ( 7 ) , S. 356. Vgl. auch ( 2 ) , S. 140
137 Vgl. Schopenhauer (257), S. 105 f
150 Adornos Kritik der Ethik Kants

verhindern und damit gegen andere höhere Pflichten zu verstoßen. Schon in der
vorkritischen Schrift 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabe-
nen 1 findet sich folgende Überlegung: "Denn setzet: diese Empfindung bewege
euch, mit eurem Aufwande einem Notleidenden aufzuhelfen, allein ihr seid ei-
nem anderen schuldig und setzt euch dadurch außer Stand, die strenge Pflicht
der Gerechtigkeit zu erfüllen, so kann offenbar die Handlung aus keinem tu-
gendhaften Vorsatze entspringen, denn ein solcher könnte euch unmöglich an-
reizen, eine höhere Verpflichtung dieser blinden Verzauberung aufzuopfern."
Auch wenn das Mitleid als solches in der kritischen Ethik zu den Adiaphora
zählt, erkennt Kant die Gefahr, daß dieses Gefühl - wird es isoliert - leicht
dem von der Pflicht Gebotenen abträglich ist. Aus diesem Grunde bindet er das
Mitleid an Grundsätze: in der vorkritischen Zeit an den Grundsatz der "allge-
meine(n) Wohlgewogenheit gegen das menschliche Geschlecht" 138 , im Spätwerk an
den der "Menschlichkeit": "Ob zwar aber Mitleid (...) mit anderen zu haben an
sich selbst nicht Pflicht ist, so ist es doch tätige Teilnehmung an ihrem
Schicksale und zu dem Ende also indirekte Pflicht, die mitleidige natürliche
(ästhetische) Gefühle in uns zu kultivieren, und sie, als so viele Mittel zur
Teilnehmung aus moralischen Grundsätzen und dem ihren gemäßen Gefühl zu be-
nutzen." 139
Von einer "Verachtung fürs Mitleid" kann bei Kant keine Rede sein. Vielmehr
bezeichnet er dieses Gefühl als "schön und liebenswürdig" - allerdings zu-
gleich aus den angegebenen Gründen als "gleichwohl schwach und jederzeit
blind" . Adorno aber klammert sowohl den Gedanken einer aus Pflicht gebote-
nen "tätige(n) Teilnehmung" als auch die systematische Begründung Kant* für
seine skeptische Einstellung zur Positivität des Mitleids aus. Statt dessen
unterstellt er Kant im Zuge seiner Umdeutung der kritischen Philosophie in
eine Proklamation von Macht und Herrschaft, dieser lehne das Mitleid ab, weil
es eine "'gewisse Weichmütigkeit"' 1 4 1 an sich habe. Derart doppelt reduziert
und entstellt, wird Kant mit Nietzsche vergleichbar, die Ablehnung des Mit-
leids erscheint als Verherrlichung des als Selbstzweck gesetzten Obermenschen.
Nietzsche sieht durch das Mitleid gerade die Ausnahmestellung des großen
Menschen bedroht. "Ich werfe den Mitleidigen vor, daß ihnen die Scham, die
Ehrfurcht, das Zartgefühl vor Distanzen leicht abhanden kommt, daß Mitlei-
den im Handumdrehen nach Pöbel riecht und schlechten Manieren zum Verwech-
138 Kant (138), S. 216
139 Kant (140), S. 456 f
140 Kant (138), S. 215 f
141 Adorno ( 2 ) , S. 122
Weitere Aspekte 151

sein ähnlich sieht - daß mitleidige Hände unter Umständen geradezu zerstöre-
risch in ein großes Schicksal, in eine Vereinsamung unter Wunden, in ein
Vorrecht auf schwere Schuld hineingreifen können. Die Oberwindung des Mit-
leids rechne ich unter die vornehmen Tugenden."
Schränkt Kant also den Wert und Handlungsspielraum menschlichen Mitleids
im Interesse einer optimalen Erfüllung moralischer Pflichten ein, so disqua-
l i f i z i e r t Nietzsche demgegenüber gerade deshalb das Mitleid als "Sünde" ,
weil es im Bereich der christlichen "Sklavenmoral" liegt, in der er den
"Willen gegen das Leben"144 verkörpert sieht. Beurteilt Kant das Gefühl des
Mitleids skeptisch, weil es allzu leicht in Konflikt mit der überindividuel-
len Norm der Moral gerät, so lehnt Nietzsche es ab, weil es moralisch ist,
d.h. den einsamen Herrenmenschen in Versuchung führt. In diesem Sinne heißt
es im letzten Teil des 'Zarathustra 1 bei der Begegnung Zarathustras mit dem
Wahrsager: "'Du schlimmer Verkündiger 1 , sprach endlich Zarathustra, 'das ist
ein Notschrei und der Schrei eines Menschen; der mag wohl aus einem schwar-
zen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Not an l Meine letzte Sünde,
die mir aufgespart blieb, weißt du wohl, wie sie heißt ?' 'Mitleiden l ' ant-
wortete der Wahrsager" . Demgegenüber macht Kant die "tätige Teilnehmung"
zur Pflicht.
Eine angemessene Auseinandersetzung mit der kritischen Ethik müßte sich auf
die Käntische Argumentation selbst einlassen und dürfte nicht nur wie Adorno
vom (zuletzt falsch gedeuteten) Ergebnis her subjektives Unbehagen formulie-
ren.
nun spricht sich ebenfalls gegen das Mitleid aus. Jedoch versucht
er dies als Kritiker von Herrschaft nicht mit der - wie er es Kant unter-
stellt - "Weichheit", sondern mit dem "Beschränkende(n) am Mitleid" zu be-
gründen: "(...) es ist immer zu wenig." Es bestätige sogar "(...) die Regel
der Unmenschlichkeit durch die Ausnahme, die es praktiziert." Es nehme
"(...) das Gesetz der universalen Entfremdung, die es mildern möchte, als
unabänderlich hin", weil es "(...) die Aufhebung des Unrechts der Nächsten-
liebe in ihrer Zufälligkeit vorbehält" 146 .

142 Nietzsche (203), S. 1075


143 Nietzsche ( 2 0 2 ) , S. 32
144 Nietzsche (209), S. 767
145 Nietzsche (200), S. 481
146 Adorno ( 2 ) , S. 123
152 Adornos Kritik der Ethik Kants

Indessen erklärt Adorno nicht, wie ein "Gesetz der universalen Entfrem-
dung" mit der wenn auch nur individuell zufallen "Aufhebung des Unrechts"
zusammengedacht werden kann, inwiefern zugestandene "Ausnahmen" die "Regel
der Unmenschlichkeit" bestätigen sollen und nicht vielmehr widerlegen, wes-
halb ein "zu wenig" offensichtlich fragwürdiger sein soll als ein Nichts.
3. Problem der repressiven Ausdrücke: Einen weiteren Vorbehalt macht Ador-
no gegen Kants Ethik geltend: "Sämtliche Begriffe, welche in der Kritik der
praktischen Vernunft, zu Ehren von Freiheit, die Kluft zwischen dem Impera-
tiv und dem Menschen ausfüllen sollen, sind repressiv: Gesetz, Nötigung,
Achtung, Pflicht." 1 4 8
Der Einwand übergeht das Entscheidende der kritischen Ethik und ihres Au-
tonomiegedankens: Die Scheidelinie läuft nicht - wie vorausgesetzt - zwischen
dem Menschen und einem ihm fremden Imperativ, sondern die nötigende Sollens-
struktur ist Ausdruck des unendlich-endlichen (vernünftig-natürlichen) Dop-
pelwesens des Menschen. Auch ist Kant diesem Einwand schon im Grundsätzli-
chen begegnet: "Man kann aus dem kurz Vorhergehenden sich jetzt es sich
leicht erklären, wie es zugehe: daß, ob wir gleich unter dem Begriffe von
Pflicht uns eine Unterwürfigkeit unter dem Gesetze denken, wir uns zugleich
dadurch eine gewisse Erhabenheit und würde an derjenigen Person vorstellen,
die alle ihre Pflichten e r f ü l l t . Denn so fern ist zwar keine Erhabenheit an
ihr, als sie dem moralischen Gesetz unterworfen ist, wohl aber, so fern sie
in Ansehung eben desselben zugleich gesetzgebend und nur darum ihm unterge-
149
ordnet ist." Pflicht und verwandte Begriffe besitzen also einen zweifa-
chen Aspekt , der in der Doppel Struktur des Menschen beschlossen liegt,
von Adorno aber einseitig verkürzt wird.
4. Kants "Strafbedürfnis": Zum Abschluß sei Adornos These noch erwähnt,
daß der repressive Aspekt der Ethik Kants "(...) ungemindert im Strafbedürf-
nis (triumphiert)." Weder ist aus der von Adorno als Beweis zitierten
Stelle der ' K r i t i k der praktischen Vernunft 1 auch nur etwas einem "Strafbe-
dürfnis" ähnliches herauszulesen, noch scheint er sich auf diese These fest-

147 Ähnliche Probleme wirft auch Adornos Kritik der christlichen Idee der
Nächstenliebe auf. Vgl. Adorno ( 3 ) , S. 224 ff
148 Adorno ( 7 ) , S. 231
149 Kant (143), S. 439 f
150 Der Begriff der Achtung drückt für Kant sowohl "Unterwerfung'1 als auch
"Erhebung" [Kant (146), S. 80] aus.
151 Adorno ( 7 ) , S. 257
Weitere Aspekte 153

legen zu wollen, denn hinsichtlich der 'Kritik der reinen Vernunft 1 konze-
diert er - allerdings nur in einer Anmerkung -, daß deren "Tenor" 152 anders
laute. Ganz im Gegensatz zu Adornos These heißt es vielmehr in der stark von
Rousseau beeinflußten Vorlesung Ober Pädagogik 1 , daß die moralische Strafe
(Achtungs- und Liebesentzug) die "zweckmäßigste" sei, und die physischen
Strafen, sofern sie nicht negativ seien, "(...) mit Behutsamkeit ausgeübt
werden (müssen) .
Als Ergebnis der Erörterungen des Repressiv!tätsvorwurfes ist festzuhal-
ten: 1. Kants Ethik begründet keine "Allianz von Freiheitslehre und repres-
siver Praxis". Sie ist als Herrschaftsmittel im Dienste einer bestimmten Ge-
sell Schaftsschicht denkbar ungeeignet. 2. Die von ihr postulierte Vernunft-
freiheit koinzidiert keineswegs mit einer Unfreiheit der natürlichen Seite
des Menschen. Der Vorwurf einer Individualitätsfeindschaft Kants beruht auf
dem mehrfachen Mangel grundlegender Differenzierungen. 3. Die innere Struk-
tur der idealistischen Vernunftfreiheit selbst wird verkannt und insbesonde-
re dem Gedanken der Autonomie nicht Rechnung getragen. 4. Die Probleme der
Stellung Kants zu Glück und Mitleid, der Verwendung repressiver Ausdrücke
und eines sogenannten "Strafbedürfnis(ses) M werden entweder fehlgedeutet
oder verzerrt.

152 Adorno ( 7 ) , S. 257 Anm.


153 Kant (153), S. 482
4.2 Vorwurf der Irrationalität

Die einseitige Bindung der Freiheit an Rationalität bedeutet fUr Adorno nicht
nur den oben beschriebenen Umschlag in Unfreiheit, Repressivität und Kausali-
tät, sondern auch den in Irrationalität. Diese erblickt Adorno sowohl in der
Begründung der Ethik, als auch in ihren Konsequenzen.

4.2.1 Irrationalität der Begründung

Die Irrationalität der Begründung der kritischen Ethik macht Adorno an dem
Gedanken des Faktums der reinen Vernunft fest. "Sie müssen davon ausgehen,
daß Kant in der 'Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 1 und dann auch in der
'Kritik der praktischen Vernunft' redet von dem Faktum, der Tatsache, der
Gegebenheit des Sittengesetzes. (...) Ich habe mit dieser Gegebenheit des
Sittengesetzes ganz genauso zu rechnen ( . . . ) , wie ich im Bereich der sinn-
lichen Erfahrung mit der Gegebenheit von Empfindungen zu rechnen habe."
Die Thes_e von der "Gegebenheit des Sittengesetzes" sei "heteronom und auto-
ritär" . "Die Nötigung, die laut Kant vom kategorischen Imperativ ausgeht,
widerspricht der Freiheit, die in ihm als ihrer obersten Bedeutung sich zu-
sammenfassen soll. Nicht zuletzt darum wird der aller Empirie entäußerte Im-
perativ als ein keiner Prüfung durch die Vernunft bedürftiges 'Factum 1 vor-
geführt, trotz des Chorismos zwischen Faktizität und Idee. Die Antinonrik der
Kantischen Freiheitslehre spitzt sich darin zu, daß ihr das Sittengesetz un-
mittelbar für vernünftig g i l t und für nicht vernünftig; vernünftig, weil es
sich auf reine logische Vernunft ohne Inhalte reduziert; nicht vernünftig,
weil es in reiner Gegebenheit zu akzeptieren, nicht weiter zu analysieren
sei (...).. Diese Antinomik ist nicht dem Philosophen aufzubürden: die reine
Konsequenzlogik, w i l l f ä h r i g der Selbsterhaltung ohne Selbstbesinnung, ist
an sich verblendet, unvernünftig. (...) Ratio wird zur irrationalen Autori-
tät." Soweit die wichtigsten Aussagen Adornos zu diesem Problem.

154 Adorno (11), S. 301


155 Adorno ( 7 ) , S. 240
156 Adorno ( 7 ) , S. 258. Vgl. ( 7 ) , S. 235, 358
Irrationalität der Begründung 155

Es sei davon abgesehen, daß Adorno das Faktum des Sittengesetzes schon in
der 'Grundlegung zur Metaphysik der Sitten' ausgesprochen sehen w i l l - damit
verkennt er den gedanklichen Fortschritt, den Kant in der drei Jahre später
publizierten ' K r i t i k der praktischen Vernunft 1 erreicht. Vielmehr sind
fünf wesentliche Bestimmungen der zitierten Äußerungen zu betrachten:
Faktum ist 1. das Sittengesetz, das 2. "autoritär und heteronom" ist, 3. als
keiner Prüfung bedürftig dargestellt wird, 4. in eine "Antinomik" hinein-
führt, 5. als empirisch zu charakterisieren ist.
ad 1) In den ersten fünf Paragraphen der ' K r i t i k der praktischen Vernunft 1
arbeitet Kant (analog den ersten beiden Abschnitten der 'Grundlegung zur Me-
taphysik der Sitten') analytisch die Gestalt des sittlichen Gesetzes heraus,
die die Vernunft haben muß, wenn sie praktisch sein kann. Die Hypothetizität
des Ergebnisses hebt nun Kant durch den Gedanken des "Faktums der reinen
Vernunft" auf. Dieses Faktum läßt sich anhand des Kantischen Textes durch
zwei Bestimmungen identifizieren: Als Faktum gilt a) das Sittengesetz
selbst158, b) das Bewußtsein des Sittengesetzes . Kant muß beweisen, daß
das im kategorischen Imperativ formulierte Sittengesetz kein "leerer Wahn
und chimärischer Begriff" ist. Dazu genügt es nicht, auf das als Faktum
zuzugebende Bewußtsein des Sittengesetzes zu rekurrieren. Dies bewiese noch
nicht die zweifelhafte Realität des Sittengesetzes selbst, dessen Objekti-
vität gerade dargetan werden muß. Soll ein theoretischer Fortschritt er-
reicht werden, muß also ein Zusammenhang zwischen den beiden Fakta aufge-
deckt werden.
L. W. Beck macht hier auf die wichtige Unterscheidung zwischen "fact of
reason" und "fact for reason" aufmerksam. Beide Bedeutungen liegen im
Ausdruck "Faktum der reinen Vernunft" beschlossen. Ist das Sittengesetz ein
Faktum für die Vernunft, so ist es Gegenstand einer besonderen und in sei-
ner Wahrheit durchaus anzweifelbaren Intuition. Um ein Faktum für die Ver-
nunft zu sein, das den Erfordernissen genügt, muß das Gesetz ein von der
Vernunft selber gegebenes Gesetz sein, weil nur ein solches a priori und
direkt von der Vernunft erkannt werden kann. Ein solches Gesetz ist zugleich

157 Vgl. zum Unterschied der 'Grundlegung' von der 'Kritik der praktischen
Vernunft 1 Henrich (110), S. 245 f.
158 Vgl. Kant (146), S. 31, 47
159 Vgl. Kant (146), S. 31
160 Kant (143), S. 402
161 Vgl. zum folgenden Beck (29), S. 161 ff; ( 2 7 ) , S. 279 ff. Vgl. auch Hen-
rich (110), S. 239 - 249
156 Adornos Kritik der Ethik Kants

ein Faktum der Vernunft. Ausdruck der Autonomie der Vernunft ist aber das
moralische Gesetz, also das geforderte Faktum flir die Vernunft, insofern es
das Faktum der Vernunft ausdrückt, die Praktizität reiner Vernunft. "Deswe-
gen ist das moralische Gesetz das einzige Faktum für die Vernunft, denn es
162
drückt nur das einzige Faktum der Vernunft aus." Obwohl also das morali-
sche Bewußtsein, das ein unbestreitbares Faktum ist, weil die Leugnung mora-
lischer Ansprüche selbst moralische Gründe voraussetzt, zunächst nicht zu-
reicht, die Realität des Sittengesetzes zu beweisen, so doch dann, wenn man
das moralische Gesetz qua Faktum für die Vernunft als Gesetzgebung der Ver-
nunft selbst (Autonomie) deutet. In diesem Fall nämlich spiegelt sich im
Faktum für die Vernunft nur das Faktum der Vernunft. Dabei berührt die Tat-
sache eines möglichen Irrtums hinsichtlich material bestimmter Pflichten des
moralischen Bewußtseins diese Überlegungen nicht, wie sich umgekehrt aus ih-
nen selbstverständlich nicht die Richtigkeit eines material bestimmten
Pflichtbewußtseins ableiten läßt. Dazu bedürfte es weiterer Überlegungen.
Adorno nun bezieht a) das Faktum der reinen Vernunft auf das Sittengesetz
und nicht das Bewußtsein des Sittengesetzes und identifiziert b) das Sitten-
gesetz als Faktum nicht der Vernunft, sondern für die Vernunft.
Die Bezugnahme auf das Sittengesetz und nicht sein Bewußtsein liegt zu-
nächst durchaus im Rahmen des Interpretationsmöglichen. Problematisch aber
wird der Sachverhalt, wenn Adorno das Sittengesetz mit dem Faktum für die
Vernunft identifiziert 1 6 3 : Faktum für die Vernunft ist primär das Bewußtsein
des Sittengesetzes, wohingegen das Sittengesetz selbst das Faktumjter Ver-
nunft ist. In Hinsicht auf das Sittengesetz selbst formuliert Kant, daß die-
ses " ( . . . ) das einzige Faktum der reinen Vernunft sei, die sich dadurch als
ursprünglich gesetzgebend ( . . . ) ankündigt." Die Deutung des Sittengeset-
zes als Faktum für die Vernunft ist hier ausgeschlossen. Dies weist auf ein
grundlegendes Mißverständnis h i n , das im folgenden deutlich wird.
ad 2) Kants These von "der Gegebenheit des Sittengesetzes" sei "heteronom
und autoritär". Voraussetzung dieses Einwandes ist die Interpretation des

162 Beck ( 2 7 ) , S. 280


163 Es kann zunächst so scheinen, als ob Adorno neben der Deutung des Sit-
tengesetzes als Faktum für die Vernunft auch die als Faktum der Vernunft
kennt [vgl. Adorno ( 7 ) , S. 258]. Jedoch kommt dieser Gedanke nicht zum
Tragen, weil Adornos Kritik auf der Interpretation des Sittengesetzes
als eines Faktums für die Vernunft beruht.
164 Kant (146), S. 31
Irrationalität der Begründung 157

Sittengesetzes als Faktum fUr die Vernunft, die Trennung von Sittengesetz
und Vernunft. Indessen wird nach Kant der reinen Vernunft kein Gesetz gege-
ben (und insofern ist sie nicht heteronom bestimmt), sondern sie "(.··) gibt
(dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nen-
nen." Insofern trifft gleichfalls Hegels Diktum nur bedingt zu, die "kal-
te Pflicht" sei "der letzte unverdaute Klotz im Magen, die Offenbarung ge-
geben der Vernunft." Der Heteronomievorwurf zeigt, daß Adorno auch hier
den Autonomiegedanken der kritischen Ethik nicht berücksichtigt.
ad 3) Ähnliches g i l t für einen Einwand, zu dem Adorno den Heteronomievor-
wurf zuspitzt: Das Sittengesetz sei nicht nur "autoritär", sondern darüber-
hinaus nach Kant "ein keiner Prüfung durch die Vernunft bedürftiges 'Fac-
tum 1 " 1 . Abgesehen davon, daß Adorno keine Belegstelle für seine These
nennt, werden hier abermals Vernunft und Sittengesetz voneinander getrennt,
die Vernunft wird auf die Funktion reduziert, etwas Gegebenes blind zu ak-
zeptieren, das Sittengesetz als etwas in sich gerechtfertigtes Außervernünf-
tiges hingestellt.
Kants Ausführungen sind dem entgegengesetzt: Zwar hebt er ausdrücklich
hervor, daß "(...) die objektive Realität des moralischen Gesetzes durch kei-
ne Deduktion, durch alle Anstrengungen der theoretischen, spekulativen oder
empirisch unterstützten Vernunft bewiesen und also, wenn man auch auf die
apodiktische Gewißheit Verzicht tun wollte, durch Erfahrung bestätigt und
so a posteriori bewiesen werden" 16ß kann, aber das impliziert für ihn nicht,
daß das Sittengesetz w i l l k ü r l i c h ist. Das "Kreditiv des moralischen Gesetzes"
liegt vielmehr darin begründet, daß es Deduktionsprinzip der Freiheit ist.
Es bestimmt die Kausalität durch Freiheit positiv, deren Möglichkeit die
theoretische Vernunft nur negativ darlegen konnte. Die praktische und theo-
retische Vernunft (genauer: die philosophischen Ausgestaltungen der einen
Vernunft in theoretischer und praktischer Hinsicht) sind nicht nur konsi-
stent, sondern tragen sich wechselseitig: Diese eröffnet (besonders in der
Antinomienlehre) die Möglichkeit, neben der Naturkausalität Kausalität durch
Freiheit anzunehmen und legt durch diesen Gedanken einer negativ transzen-
dentalen Freiheit das Fundament für die praktische Philosophie.

165 Kant (146), S. 31 (Hervorhebung B.)


166 Hegel (100), Bd. III, S. 369
167 Adorno ( 7 ) , S. 258
168 Kant (146), S. 47. In der 'Grundlegung 1 scheint Kant noch eine "Deduk-
tion des obersten Prinzips der Moralität"[Kant ( 1 4 3 ) , S. 463; vgl. (143),
S. 454] als möglich oder sogar als geleistet anzusehen.
158 Adornos Kritik der Ethik Kants

Jene hingegen legitimiert sich dadurch, daß sie "zu Ergänzung eines Bedürf-
nisses" der theoretischen Vernunft dient, indem sie die negativ transzenden-
tale Freiheit als positiv praktische Freiheit konkretisiert: "Denn das mora-
lische Gesetz beweiset seine Realität dadurch auch für die Kritik der speku-
lativen Vernunft genugtuend, daß es einer bloß negativ gedachten Kausalität,
deren Möglichkeit jener unbegreiflich und dennoch sie anzunehmen nötig war,
positive Bestimmung, nämlich den Begriff einer den Willen unmittelbar (...)
bestimmenden Vernunft hinzufügt, und so der Vernunft, die mit ihren Ideen,
wenn sie spekulativ verfahren wollte, immer überschwenglich wurde, zum er-
sten Mal objektive, obgleich nur praktische Realität zu geben vermag und ih-
ren transzendenten Gebrauch in einen immanenten (...) verwandelt."
Damit trifft also der Vorwurf nicht zu,Kant repräsentiere das Sittengesetz
als "ein keiner Prüfung durch die Vernunft bedürftiges 'Factum'", das - so
Adorno - "(...) keine Stütze in der K r i t i k (findet)" . Zudem gibt Kant eine
im Ansatz befriedigende Antwort auf ein mögliches Legitimationsbedürfnis
durch die wechselseitige Integration von theoretischer und praktischer Ver-
nunft. Ober Kant hinaus geht dann Fichte, der die objektive Realität der rei-
nen praktischen Vernunft dadurch zu beweisen sucht, daß die Vernunft nicht
theoretisch sein könne, ohne praktisch zu sein. Grundsätzlich aber ist
Kants Lösung einem Rückgriff auf unbestimmte Intuitionen ("unmittelbare Er-
fahrungen") oder gar dem Appell Adornos an die Wahrheit ethischer Impulse 172
überlegen. Kant bemüht sich gerade, die darin beschlossene Problematik zu
überwinden.
ad 4) Von dem skizzierten Begründungsansatz Kants her ist auch der Einwand
zu revidieren, die kritische Ethik spitze sich auf eine "Antinonvik" zu, weil
"(...) ihr das Sittengesetz unmittelbar für vernünftig gilt und für nicht
vernünftig, vernünftig, weil es sich nur auf reine logische Vernunft ohne
Inhalt reduziert, nicht vernunftig, weil es in seiner Gegebenheit zu akzep-
tieren, nicht weiter zu analysieren ist."
Zwei Gründe lassen die Argumentation scheitern:
a) Analysiert man diese prononciert vorgetragene Argumentation, und er-
setzt man "Sittengesetz'1 durch "Vernunft",weil ja beides nach Kant identisch

169 Kant (146), S. 48


170 Adorno ( 2 ) , S. 104
171 Vgl. Fichte (62), S. 286
172 Vgl. Adorno (7), S. 281
173 Adorno ( 7 ) , S. 258
Irrationalität der Begründung 159

ist, so ergeben sich zwei Aussagen: 1) Die Vernunft gilt für vernünftig,weil
die Vernunft Vernunft ist.2) Die Vernunft g i l t für unvernünftig,weil die Ver-
nunft in ihrer "Gegebenheit zu akzeptieren" ist, weil sie als etwas Gegebenes
"(...) nicht weiter zu analysieren ist." Indessen ist diese Aussage schlicht
widersinnig: Akzeptiert die Vernunft etwas Gegebenes, ohne es auf seine
Rechtsgründe hin zu befragen, so handelt sie in der Tat unvernünftig. Akzep-
tiert aber die Vernunft sich seiist, weil ihre "Gegebenheit" in Wahrheit -
was Adorno verkennt - eine sei&stgegebenheit ist, dann handelt sie keines-
wegs unvernünftig. Vielmehr wäre es unvernünftig, wenn sie hinter sich als
notwendiges anhypotheton zurückgehen wollte. Damit jedoch entfällt die "An-
tinomik".
b) Ferner ist angesichts der Alternative Adornos keine disqualifizierende
Unvernünftigkeit darin zu erblicken, daß die reine praktische Vernunft nicht
im strikten Sinne bewiesen werden kann. Ist es nicht weit irrationaler, ethi-
sche Wahrheit im nicht-vernünftigen Impuls verankern zu wollen ? Und sich
zusätzlich in eine methodische Schwierigkeit zu verwickeln, weil die Inthro-
nisierung der Irrationalität selbst Rational i tat beansprucht ? Angesichts
dessen ist Kants Versuch überzeugender, die ethische Konzeption durch die
wechselseitige Integration von theoretischer und praktischer Vernunft zu
stützen. Wenn das Problem der Letztbegründung praktischer Vernunft Kant
t r i f f t , so a fortiori Adorno.
ad 5) Die bisherigen Einwände Adornos lassen sich auf die Reduktion des
komplexen Ausdrucks "Faktum der reinen Vernunft" auf die untergeordnete Teil-
bedeutung eines "Faktums für die Vernunft" zurückführen. Gleiches gilt für
die Bemerkung, das Sittengesetz sei ein empirisches, und damit zufälliges
Faktum für die Vernunft: "Tatsachen gelten aber dort nichts, wo sie nicht
174
vorhanden sind."
Demgegenüber ist an Kants Überlegungen zu erinnern, daß das Faktum der
Vernunft qua Bewußtsein des Sittengesetzes weder auf der "(...) reinen noch
empirischen Anschauung gegründet ist." Das Sittengesetz ist "(...) kein em-
pirisches, sondern das einzige Faktum der Vernunft ( . . . ) , die sich dadurch
als ursprünglich gesetzgebend (...) ankündigt." Die Einzigkeit dieses
Faktums der Vernunft liegt aber darin begründet, daß es kein bloßes Faktum
für die Vernunft ist, obzwar es sich auch als ein solches widerspiegelt.

174 Adorno ( 2 ) , S. 113


175 Kant (146), S. 31
160 Adornos Kritik der Ethik Kants

Adornos Gleichsetzung der Gegebenheit des Sittengesetzes mit der "Gegebenheit


von Empfindungen" verkennt jedoch diese Einzigkeit.
Als Ergebnis des Einwandes, die Begründung der MoraI philosophic Kants sei
irrational, ist festzuhalten, daß Adorno das Verhältnis von Vernunft und
Sittengesetz grundsätzlich mißversteht. Für Kant ist das Sittengesetz ein
autonomes und apriorisches (einziges) Faktum der Vernunft, dessen Problema-
tik der Letztbegründung durch eine wechselseitige Integration von theoreti-
scher und praktischer Vernunft zumindest entschärft, wenn nicht gar im An-
satz überwunden wird. Adorno hingegen deutet es als ein heteronomes und em-
pirisches (zufälliges) Faktum für die Vernunft, das in eine "Antinomik" mün-
de und als keiner Begründung bedürftig dargestellt werde. Auch wenn Bedenken
bezüglich einer vollendeten Absicherung des Faktums der reinen Vernunft nicht
gänzlich zurückgewiesen werden können, so treffen diese a fortiori Adorno.

4.2.2 Irrationalität der Konsequenzen

Nicht nur die Begründung, sondern auch die Konsequenzen der kritischen Ethik
sind für Adorno irrational und zwar in Hinsicht 1. des Verhältnisses der
Vernunft zum Gegenstand, und 2. der bestimmenden Funktion des intelligiblen
Charakters.

4.2.2.1 Das Verhältnis der Vernunft zu ihrem Gegenstand

Die fatale Rationalität der Freiheit wird nach Adorno bei Kant nicht refle-
xiv gebrochen, sondern vielmehr in der These von der systematischen Einheit
der Vernunft, der logischen Einheit von der Widerspruchslosigkeit konsoli-
diert. Vernunft spezifiziere sich bei Kant nicht entsprechend den diffe-
rierenden Gegenstandsbereichen. Sind aber - so Adorno - Vernunft und Frei-
heit invariant und gleichgültig gegenüber dem Anderen, ist das Andere, auf
das der W i l l e sich bezieht, tatsächlich lediglich bloßes Material ohne je-
den Eigenwert, dann können die Menschen "nur als Mittel, nicht auch als
Zweck" behandelt werden. Freiheit qua invariante Sichselbstgleichheit der
17ft
Vernunft ("Formalismus" ) impliziere den Umschlag des Willens aus totaler

176 Adorno (11), S. 301


177 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 233
178 Adorno ( 7 ) , S. 234
Das Verhältnis der Vernunft zu Ihrem Gegenstand 161

Rationalität in (willkürliche, weil nicht an den Menschen und die Sache als
Wert gebundene) Irrationalität. "Da sie (die Vernunft, B.) inhaltliche
Ziele als Macht der Natur über den Geist, als Beeinträchtigung ihrer Selbst-
gesetzgebung entlarvt, steht sie, formal wie sie ist, jedem natürlichen In-
4 on
teresse zur Verfügung." Es sei lediglich apologetische Ideologie "des Bür-
gertums", "(...) daß die formalistische Vernunft in einem engeren Zusammen-
181
hang mit der Moral als der Unmoral stünde." Von hierher werden de Sade
und Nietzsche zu Vollendern der kritischen Ethik: "Das Werk de Sades, wie
dasjenige Nietzsches bildet ( . . . ) die intransigente Kritik der praktischen
182
Vernunft." Der Faschismus aber werde zu ihrem Vollstrecker: Er behandle
"im Einklang mit der reinen Vernunft ( . . . ) die Menschen als Dinge, Zentren
1ft1?
von Verhaltensweisen" .
Zunächst zu Adornos Irrationalismusvorwurf im allgemeinen und sodann zum
Verhältnis Kants zu de Sade und Nietzsche im besonderen.
1. Adornos These, zufolge der formalistischen Vernunftkonzeption Kants
könnten die Menschen "nur als Mittel, nicht auch als Zweck" behandelt wer-
den, spielt auf die Menschheit-Zweck-Formel des kategorischen Imperativs an.
Der Einwand setzt die Trennung von Vernunft und Mensch voraus. Aus dem For-
malismus der Vernunft, ihrer von Kant geforderten Unabhängigkeit von mate-
rialer Bestimmtheit folgt nicht, daß der W i l l e seine gesamte Materie als
184
bloßes Mittel betrachten muß. Die formalistische Konzeption drückt viel-
mehr aus, daß die Materie des Willens, insofern sie vernünftig ist, zugleich
als Zweck an sich behandelt werden muß. In diesem Falle ist sie "ein Gegen-
185
stand der Achtung" und schränkt "mithin so fern alle W i l l k ü r " e i n . Im Ge-
gensatz zu den vernunftlosen Wesen und Gegenständen, denen nur ein relativer
Wert als Mittel zukommt, besitzen der Mensch und a l l e anderen vernünftigen
Wesen einen absoluten Wert als Zweck an sich. Diese besondere Auszeichnung
des Menschen ist darin begründet, daß er a l l e i n vermöge seiner Vernunft
Zwecke zu setzen vermag, Zwecke nur kraft seiner Setzung existieren.
179 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 235 f
180 Adorno ( 2 ) , S. 106
181 Adorno ( 2 ) , S. 139
182 Adorno ( 2 ) , S. 113
183 Adorno ( 2 ) , S. 105. Es wird zwar von Horkheimer und Adorno konzediert,
dies geschehe"entgegen dem kategorischen imperativ" (ebd.); was aber,wenn
der kategorische Imperativ Implikat der reinen praktischen Vernunft ist?
184 Nach Adorno soll sich die Vernunft "in sich nach ihren Gegenständen"
[Adorno ( 7 ) , S. 234; Hervorhebung B.] differenzieren. Damit scheint er
"Vernünfte" oder Teile von Vernunft annehmen zu wollen.
185 Kant (143), S. 428. Vgl. ( 1 4 3 ) , S. 430 f; (146), S. 87
162 Adornos Kritik der Ethik Kants

Als Zweck setzendes Wesen aber muß der Mensch Über alle beliebigen Zwecke
186
als Zweck an sich vorausgesetzt werden. Dieser Gedanke des Zwecks an sich
ist zentral für die kritische Ethik: Der Mensch als absoluter Wert ist un-
trennbar mit dem kategorischen Imperativ verknüpft - vermittelt über den Ge-
187
danken des notwendigen Zweckcharakters von Handlungen , d.h. des Implikats
eines absoluten Zweckes bei sittlichen und eines relativen Zweckes bei nei-
gungsbestimmten Handlungen: "Wenn es denn also ein oberstes praktisches Prin-
zip, und, in Ansehung des menschlichen W i l l e n s , einen kategorischen Impera-
tiv geben soll, so muß es ein solches sein,das aus der Vorstellung dessen,was
notwendig für jedermann Zweck ist, weil es Zweck an eich selbst ist, ein ob-
jektives Prinzip des Willens ausmacht, mithin zum allgemeinen praktischen
Gesetz dienen kann. Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur
188
existiert als Zweck an sich selbst."

Die invariante und formalistische Einheit der Vernunft reduziert zwar das
Nichtvernünftige auf ein bloßes Mittel, der Mensch als Vernunftwesen nötigt
ihr jedoch Achtung ab.Somit wird auch die W i l l k ü r der Freiheit eingeschränkt,
ohne daß sich die Vernunft - wie von Adorno gefordert - in sich nach ihren
bestimmten Gegenständen differenzieren müßte. Der W i l l e schlägt also keines-
189
wegs "kraft seiner totalen Rationalität" in Irrationalität um. Gilt der
kritischen Ethik zwar die individuelle Ausgestaltung des Menschen als - wie
190
Adorno sagen würde - "Material" , demgegenüber die Vernunft sich indiffe-
rent verhält, so doch nicht der Mensch. Auch drückt sich im Formalismus des
Vernunftprinzips der Kantischen Ethik keineswegs bloß "die Idee der Egali-
tät" aus, die "den Mißbrauch i n h a l t l i c h qualitativer Differenzen zugunsten
191
des Privilegs und der Ideologie" verhindere, sondern positiv die Achtung
vor der Verkörperung der Menschheit in der einzelnen Person.
Der Zusammenhang zwischen der formalistischen Vernunftkonzeptton und dem
Prinzip der Menschheit ist von K. Vorländer im Sinne einer ethischen Fundie-
rung sozialistischer Ideen hervorgehoben192 und vom späten Horkheimer aner-

186 Vgl. Ebbinghaus (53), S. 280


187 Vgl. Kant (143), S. 427 f
188 Kant (143), 8. 428 £
189 Adorno ( 7 ) , S. 236
190 Adorno ( 7 ) , S. 234
191 Adorno ( 7 ) , S. 235
192 Vgl. Vorländer (281), S. 327 f, 337, 348. Allerdinge stößt Vorländer
bei den Vertretern eines orthodoxen Marxismus auf wenig Verständnis für
seinen Versuch, den Sozialismus im Rückgriff auf Kant ethisch zu legi-
timieren. Vgl. z.B. Mehring (194), S. 357 f
Das Verhältnis der Vernunft zu ihrem Gegenstand 163

kannt 193 worden. Zugleich wird dadurch der von Adorno bestrittene "engere Zu-
194
sammenhang (der Vernunft, B.) mit der Moral als mit der Unmoral" bestä-
tigt. In ähnlicher Meise schließt Adorno kurz, wenn er aus der Inhaltslosig-
keit des obersten Prinzips der kritischen Ethik folgert, sie stehe "jedem
naturlichen Interesse zur Verfügung." Auch wenn das im kategorischen Impera-
tiv formulierte Sittengesetz in sich keine inhaltlich bestimmten Pflichten
enthält, so bedeutet das nicht, daß es sich gegen jedwedes Interesse neutral
195
verhält. Vielmehr unterwirft es als negatives Kriterium die zugrundelie-
gende Maxime der Forderung nach Universalisierbarkeit. Adorno leugnet diese
Struktur des formalistischen Vernunftprinzips, um die These einer in sich
dialektischen Aufklärung, eines Zusammenhanges zwischen Kant und Auschwitz,
zu stützen. Zudem widerspricht sich Adorno mit dieser These selbst: Setzt
der Irrationalismusvorwurf die Leugnung der Gesetzlichkeit des obersten
Prinzips voraus, so hebt der Repressivitätsvorwurf (in bezug auf das Verhält-
nis von Vernunftfreiheit und Sinnlichkeit) gerade auf die Gesetzlichkeit ab,
verzerrt sie zu einer überdimensionalen Heteronomie. Beide Vorwürfe haben
nicht nur kein fundamentum in re, sondern schließen sich gegenseitig aus.
19fi
Eine andere nicht von Adorno, aber von Hegel angeschnittene Frage ist
es, ob der kategorische Imperativ nicht noch weiterer Prinzipien bedarf, um
im Interesse der Praktikabilität konkrete Normen begründen zu können. 197
Jedoch auch wenn die in den verschiedenen Formulierungen des kategorischen
Imperativs angegebenen Anwendungsregeln unzulänglich sind, gilt die Forde-
rung nach einer Universalisierbarkeit der einer Handlung zugrundeliegenden
Maxime.
2. Der Irrationalismusvorwurf konkretisiert sich in der These Adornos (und
des frühen Horkheimer), de Sade und Nietzsche hätten die Konsequenzen aus
198
der kritischen Ethik gezogen und seien insofern ihre Vollender . Durch die
Formal isierung der Vernunft werde die Zweckdimension ausgeblendet und damit
die freigesetzte Vernunft irrational. Ihre Funktion werde auf die einer op-
timalen Bewältigung von Problemen in der Mitteldimension verkürzt. Von die-
sem Mißverständnis her ist der Satz zu verstehen, der auf Kants berühmten

193 Vgl. Horkheimer ( 1 2 4 ) , S. 124


194 Adorno (2) , S. 139
195 Vgl. Hoffe (115), S. 103
196 Vgl. Hegel (100), Bd. III, S. 368 f
197 Vgl. Schwemmer (262)
198 Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 113
164 Adornos Kritik der Ethik Kants
199
Aufsatz 'Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung ?' anspielt: "Das Werk
des Marquis de Sade zeigt den 'Verstand ohne Leitung eines anderen 1 , das
heißt, das von Bevormundung befreite bürgerliche Subjekt."
Die Verwandtschaft zwischen Kant und de Sade reicht nach Adorno noch wei-
ter: Kants Forderung, sich nicht von den Neigungen beherrschen zu lassen,
sei identisch mit der bei de Sade geschilderten Notwendigkeit für einen Ver-
brecher, '"größtmögliche Kaltblütigkeit 1 " zu erwerben. Dieser Ratschlag ver-
201
halte sich zu Kants Gebot "wie die spezielle Anwendung zum Grundsatz"
Der Vorwurf ist nur zu verstehen, wenn man keinen Unterschied zwischen
einerseits der Einschränkung unsittlicher Neigungen zugunsten des allgemein-
verbindlichen und die Allgemeinheit berücksichtigenden Sittengesetzes und
andererseits der Beherrschung sämtlicher Gefühle zugunsten eines partikula-
ren und die Allgemeinheit schädigenden Interesses zu erblicken vermag.
Eine weitere Identifizierung bereitet ähnliche Schwierigkeiten: Genauso
wie de Sade, der es in der Person der Clairwil ablehne, " ' ( . . . ) Empfindsam-
keit der glücklichen Apathie ( . . . ) vorzuziehen'", weise auch Kant den Enthu-
siasmus zurück und sehe lediglich in "Ruhe und Entschlußkraft" die "Stärke
2fl?
der Tugend" . Dabei beziehen sich Adorno und Horkheimer auf den X V I . Ab-
schnitt der ' E i n l e i t u n g zur Tugendlehre 1 , in dem Kant diese beiden Eigen-
Schäften zum "Zustand der Gesundheit im moralischen Leben" 203 zählt. Jedoch
ist entgegen der weitverbreiteten Reduktion der Kantischen Ethik auf einen
204
Stoizismus, wie sie sich auch bei Adorno und dem frühen Horkheimer zeigt ,
205
auf das komplementäre, epikureische Moment aufmerksam zu machen . Denn eben
die "Gesundheit" der "moralischen Asketik" bezeichnet Kant als "nur ein ne-
gatives Wohlbefinden": "Es muß etwas dazukommen, was einen angenehmen Le-
bensgenuß gewährt und doch bloß moralisch ist. Das ist das jederzeit fröhli-
20(5
ehe Herz in der Idee des tugendhaften Epikurs." Bezeichnet, wie Adorno
207
herausstellt, de Sade die Apathie als "glücklich" , so bewertet Kant sie
als bloß "negativ" und ergänzungsbedürftig.

199 Vgl. Kant (137), S. 35


200 Adorno ( 2 ) , S. 106
201 Adorno ( 2 ) , S. 114 f
202 Adorno ( 2 ) , S. 115 f
203 Kant (140), S. 409
204 Adorno ( 2 ) , S. 116
205 Auch in der Fassung des summum bonum bevorzugt Kant weder den Stoizis-
mus noch den Epikureismus einseitig [Ritzel ( 2 2 7 ) , S. 120].
206 Kant (140), 3. 485
207 Adorno ( 2 ) , S. 116
Das Verhältnis der Vernunft zu Ihrem Gegenstand 165

In gleicher Weise muß eine Verwandtschaft zwischen der kritischen Ethik


und dem Irrationalismus Nietzsches, des zufolge Adorno "konsequenteste(n)
Aufklärer(s)" 208 , zurückgewiesen werden: Nicht nur in der Frage des Mitleids
stimmten Kant und Nietzsche überein - diese These ist oben erörtert worden.
Auch sei in der vorgeblich irrationalen Autonomie-Formel des kategorischen
Imperativs das "Geheimnis des Obermenschen" ausgesprochen: "Sein M i l l e ist
nicht weniger despotisch als der kategorische Imperativ. Beide Prinzipien
zielen auf die Unabhängigkeit von äußeren Mächten, auf die als Wesen der
?OQ
Aufklärung bestimmte unbedingte Mündigkeit."
Indessen verhindert der kategorische Imperativ durch sein Implikat einer
geforderten allgemeinen Gesetzgebung gerade eine w i l l k ü r l i c h e despotische
Machtausübung des einzelnen Obermenschen. Die These ist umso unverständli-
cher, als Adorno und Horkheimer die Autonomie-Formel mit ihrer Forderung nach
210
einer allgemeinen Gesetzgebung sogar als Beweis zitieren !
Besser jedoch kennt Nietzsche selbst seinen Abstand zu Kant: "Und nun rede
mir nicht vom kategorischen Imperativ, mein Freund ! - dies Wort kitzelt
mein Ohr und ich muß lachen, trotz deiner so ernsthaften Gegenwart: ich ge-
denke dabei des alten Kant, der, zur Strafe dafür, daß er 'das Ding an sich'
- auch eine sehr lächerliche Sache ! - sich erschlichen hatte, vom 'katego-
rischen Imperativ 1 beschlichen wurde und mit ihm im Herzen wieder zu 'Gott 1 ,
'Seele', 'Freiheit 1 und 'Unsterblichkeit' zurückverirrte". Im Gegensatz zu
Adorno und Horkheimer erkennt Nietzsche sehr wohl, daß der kategorische Im-
perativ ein "Allgemeingesetz" ist. Er führt ihn auf "eine blinde, kleinliche
und anspruchslose Selbstsucht" derjenigen zurück, die sich " ( . . . ) noch kein
211
eigenes, eigenstes Ideal geschaffen" haben. Er versteht ihn also gerade
nicht als Ausdruck des Obermenschen, kann ihn so nicht verstehen, weil sei-
212
nes Erachtens "(...) die höhere Natur (...) ein singuläres Wertmaß (hat)."
Zusammenfassend heißt dies: Nicht nur der Vorwurf, in der Rationalität des
Willens gründe eine Irrationalität der Handlungsweise, muß zurückgewiesen
werden, sondern ebenso die These einer Verwandtschaft zwischen der kritischen
Ethik und de Sade/Nietzsche.

208 Adorno ( 1 ) , S. 418


209 Adorno ( 2 ) , S. 135
210 Vgl. Kant (143), S. 432
211 Nietzsche ( 2 0 2 ) , S. 195 f
212 Nietzsche ( 2 0 2 ) , S. 38
166 Adornos Kritik der Ethik Kants

4.2.2.2 Das Fatum des intelligiblen Charakters

Der Umschlag der kritischen Ethik aus totaler Rationalität in Irrationalität


zeigt sich nach Adorno ebenfalls im Hinblick auf den intelligiblen Charakter,
die Frage, weshalb der Mensch bisweilen Verfehlungen erlegen ist und die Her-
stellung "formale(r) Einheit" scheitert. Den i n t e l l i g i b l e n Charakter habe
sich Kant "als starkes Ich" vorgestellt, "(...) das a l l e seine Regungen ver-
nünftig kontrolliert". Er sei vollkommen unbestimmt, so daß seine "unfrei-
willige Irrationalität" eine säkularisierte Fassung der "theologische(n) Leh-
re von der Irrationalität der Gnadenwahl" sei. Er verkörpere ein "blinde(s)
Schicksal", weil er als außerempirisches, reines "Ansichsein des Menschen"
kein begründetes Urteil darüber zulasse, "(...) warum es hier gelungen sei,
dort gescheitert." 213 Der intelligible Charakter sei insofern mit der Idee
der Freiheit unvereinbar.
1. Adornos Mißverständnis ist als kritische Wendung der Schopenhauerschen
Deutung des intelligiblen Charakters zu lesen. Bevor es herausgearbeitet
werden kann, muß Kants Theorie des intelligiblen Charakters skizziert wer-
den: Der intelligible Charakter ist der überempirische Aspekt des Menschen,
zufolge dessen er aus Freiheit in der Erscheinungswelt Wirkungen hervorru-
fen kann. Unterstehen zwar diese Wirkungen den Bedingungen der Erscheinungs-
welt, d.h. insbesondere dem Gesetz der durchgängigen Naturkausal i tat, so
doch der intelligible Charakter selbst nicht. Insofern unterscheidet er sich
vom empirischen Charakter, durch den die Handlungen des Subjekts "(...) als
Erscheinungen, durch und durch mit anderen Erscheinungen nach beständigen
Naturgesetzen im Zusammenhange ständen, und von ihnen, als ihren Bedingun-
gen, abgeleitet werden könnten, und also, mit diesen in Verbindung, Glieder
einer einzigen Reihe der Naturordnung ausmachten." 215 Im intelligiblen Cha-
216
rakter gilt "kein vorher, oder Nachher" , er untersteht im Gegensatz zum
empirischen keiner Zeitbestimmung, so daß er auch nicht empirisch erkannt
werden kann. 217
Als Ausdruck menschlicher Freiheit und noumenaler Bestimmungsgrund mensch-
1 icher Handlungen auf der phänomenalen Ebene ist der intelligible Charakter
213 Adorno ( 7 ) , S. 289 f
214 Vgl. Schopenhauer ( 2 5 7 ) , S. 72 - 78
215 Kant (147), B 567
216 Kant (147), B 581
217 Vgl. Kant (147), B 568
Das Fatum des intelligiblen Charakters 167

entweder gut oder böse - je nachdem welche ursprüngliche Maxime In Freiheit


angenommen worden ist. Von dieser den weiteren Handlungsverlauf bestimmen-
218
den Maxime "(...) muß nun nicht weiter gefragt werden können, was der
subjektive Grund ihrer Annehmung, und nicht vielmehr der entgegengesetzten
219
Maxime, im Menschen sei." Da diese Maxime frei gewählt worden ist, ist
"der erste subjektive Grund der Annehmung moralischer Maximen unerforsch-
220
lieh" . Dies bedeutet aber nicht - wie Kant ausdrücklich hervorhebt -,
daß er außerhalb meiner liegt. Der Mensch ist der "Urheber" 221 seines intel-
l i g i b l e n Charakters, auch wenn diese Wahl nicht in der Zeit geschehen ist
und wir sie der Natur zuschreiben: "weil wir also diese Gesinnung, oder viel-
mehr ihren obersten Grund nicht von irgend einem Zeit-Actus der WillkUr ab-
leiten können, so nennen wir sie eine Beschaffenheit der W i l l k ü r , die ihr
222
(ob sie gleich in der Tat der Freiheit gegründet ist) von Natur zukömmt."
Die Unerforschlichkeit dieses Grundes bedeutet zugleich, daß wir niemals
wissen können, ob wir gut oder böse sind.
Der handlungsbestimmende Einfluß des entweder guten oder bösen intelligib-
len Charakters ist nach Kant weder ein Anlaß zum Pharisäismus noch zum Fa-
talismus. Gibt es in bezug auf den empirischen Charakter eine Reform der Sit-
ten, so .hinsichtlich des (bösen) intelligiblen Charakters "eine Revolution
in der Gesinnung des Menschen". Diese durch eigene Kräfte zu erreichende
"Herzensänderung" ist von der P f l i c h t gefordert, so daß sie - ungeachtet
dessen, daß wir ihre Ausführbarkeit nicht einzusehen vermögen - "(...) daher
22^
auch dem Menschen möglich sein muß." Es verbleibt dem Menschen nur die
Hoffnung, "die Umwandlung der Gesinnung des bösen in die eines guten Menschen"
durch "eigene Kraftanstrengung" 224 zu erreichen.
2. Die Theorie des intelligiblen Charakters wird von Adorno in mehrfacher
Hinsicht mißverstanden:
a) Seiner Auffassung zufolge führt Kant den bestimmten intelligiblen Cha-
225
rakter "auf eine Handlung in der Zeit" zurück. Da dies den Ausführungen
Kants widerspricht, ist es nicht verwunderlich, daß die im Anschluß an die
These - vermutlich zum Beweis - zitierte Passage aus der 'Kritik der prakti-
218 Vgl. Kant (141), S. 25
219 Kant (141), S. 21
220 Kant (141), S. 21 Anm.
221 Kant (141), S. 21
222 Kant ( 1 4 1 ) , S. 25
223 Kant (141), S. 47
224 Kant (141), S. 51
225 Adorno ( 7 ) , S. 286
168 Adornos Kritik der Ethik Kants

sehen Vernunft 1 diese Behauptung nicht stützt.


b) Adorno rückt den intelligiblen Charakter in die Nähe des Begriffs der
"Persönlichkeit". Deren Aufgabe bestimmt er als "formale Leistung der Inte-
gration", die er - gemäß seines oben skizzierten Mißverständnisses hinsicht-
lich des Verhältnisses von Vernunft und Sinnlichkeit - als "Beherrschung der
inneren Natur" konkretisiert. Wird der intelligible Charakter als solcher
schon derart eingeengt, so ist es nur konsequent von Adorno "(...) zu fra-
gen, ob bei Kant ein böser intelligibler Charakter denkmöglich sei; ob er
das Böse nicht darin sucht, daß die formale Einheit mißlang." Diesem Mißver-
ständnis entsprechend bestimmt er den intelligiblen Charakter positiv "(...)
226
als starkes Ich (...), das alle seine Regungen vernünftig kontrolliert"
Für die Reduktion des intelligiblen Charakters auf den guten intelligiblen
Charakter gibt es bei Kant keine Anhaltspunkte. Genaugenommen charakterisiert
er noch nicht einmal den guten intelligiblen Charakter als "Beherrschung der
inneren Natur". Derselbe wäre vielmehr als ein solcher zu fassen, der zufol-
ge seiner ursprünglich angenommenen Maxime nur aus Pflicht handelte und sei-
ne Neigungsbestimmtheit überwunden hätte, nicht aber unbedingt seine sinnli-
che Seite unterdrückte.
An dieser Stelle wird die psychologische Argumentationsebene Adornos aber-
mals deutlich, indem er den intelligiblen Charakter durch die Projektion
Freudscher Vorstellungen zu fassen versucht. Zeichnet sich nach Adorno der
intelligible Charakter durch die "Leistung der Integration" und die "Beherr-
schung der inneren Natur" aus, so entspricht dies der Ich-Theorie Freuds,
der das Ich als "Zusammenfassung und Vereinheitlichung" seelischer Vorgänge
mit der Aufgabe der "Triebbeherrschung" 227 bestimmt. Das Versagen dieser Ka-
tegorien ist aber zugleich ein index falsi der Adornoschen Subjektstheorie.
c) Ebenfalls ist es unangemessen, den intelligiblen Charakter auf die
theologische Vorstellung der "Gnadenwahl" zu beziehen: Hier reduziert Ador-
no nicht nur den i n t e l l i g i b l e n Charakter auf den guten intelligiblen Charak-
ter (Gnadenwahl), sondern klammert zudem das Moment seiner Eigenständigkeit
und Freiheit aus. Zwar kennt auch die theologische Gnadenlehre den freien
Menschen und bemüht sich in den verschiedenen Gnadensystemen, das Wirken ei-
nes Gottes mit der Freiheit des Menschen zu vereinen, jedoch bestimmt sie
die Gnade als freies Geschenk eben dieses Gottes dem Menschen gegenüber

226 Adorno ( 7 ) , S. 288 f


227 Freud ( 7 3 ) , S. 513
Das Fatum des intelligiblen Charakters 169

(Gnadenwahl). Demgegenüber stellt Kant den Menschen wesentlich In die eigene


Verantwortung: Der Mensch muß "(...) hoffen können, durch eigene Kraftanwen-
OOQ

düng (zu der Revolution der Denkungsart, B.) zu gelangen."


Der Intelligible Charakter verliert dann voll koninen sein Freiheitsmoment,
OpQ
wenn Adorno ihn mit dem Begriff des "blinde(n) Schicksal(s)" identifi-
ziert: Dies widerspricht nicht nur der von der Pflicht geforderten und durch
sie gewährleisteten Möglichkeit einer eigenständigen "Revolution in der Ge-
sinnung 11 230 , sondern auch dem Theorem einer freien Wahl des bestimmten intel-
ligiblen Charakters. Adorno scheint hier von der Unerklärlichkeit ("Irratio-
231
nalität" ) der ursprünglichen Annahme einer guten oder bösen Maxime auf
eine außersubjektive Determination zu folgern. Anstatt Kant hier einen fata-
listischen Determinismus zu unterstellen, wäre es sinnvoller gewesen darzu-
legen, wie eine freie Handlung in ihrem letzten Grund soll erklärt werden
können: "Eben dieses 'Moment' des Bestimmens kann, da es 'intellectuell' ist,
nicht in Erklärungen (Kausalerklärungen) menschlicher Handlungen einbezogen,
es kann grundsätzlich 'nicht wahrgenommen1, 'nicht beobachtet1, 'nicht er-
fahren 1 , werden."232
d) Bezeichnend für den zugrundeliegenden Psychologismus ist es, wenn Ador-
no die Theorie des intelligiblen Charakters durch die psychologischen Er-
kenntnisse in bezug auf die Genese des empirischen Charakters berührt
233
sieht. Zudem impliziert dieses grundsätzliche Mißverständnis einen Selbst-
widerspruch: Wenn Adorno den intelligiblen Charakter mit dem empirischen in
Verbindung bringt, diesen ( - übrigens durchaus mit Kant übereinstimmend 234-)
als kausal determiniert bestimmt, dann kann er, weil dies auch für den in-
telligiblen Charakter gelten muß, diesem keine unbestimmte Irrationalität
vorwerfen.
Der intelligible Charakter ist zwar "irrational", insofern er intelligi-
bel ist. Er ist aber nicht in dem Sinne irrational, daß er den Menschen ei-
ner außersubjektiven Schicksalsherrschaft überantwortet und so zum "Bündnis
der Idee von Freiheit mit der realen Unfreiheit" beiträgt. Nicht gegen die

228 Kant (141), S. 51. Vgl. zur soziologischen Deutung der Lehre von der
Gnadenwahl auch Horkheimer (121), S. 131, 148
229 Adorno ( 7 ) , S. 290
230 Kant (141), S. 47
231 Adorno ( 7 ) , S. 290
232 Beimsoeth (107), S. 295
233 Vgl. Adorno (5), S. 548 f
234 Vgl. Kant (147), B 581
170 Adornos Kritik der Ethik Kants

Irrationalität des intelligiblen Charakters erhebt "die Idee der Freiheit


Einspruch" 235 , wie Adorno glaubt, sondern die Idee der Freiheit fordert ge-
rade diese "Irrationalität". -
Zum Irrational ismusvorwurf sei abschließend festgehalten:
1. Der Einwand, die Begründung der kritischen Ethik sei irrational, beruht
im wesentlichen auf der Fehldeutung des Sittengesetzes als eines heterono-
tnen und empirischen (zufälligen) Faktums für die Vernunft. Zudem läßt Adorno
außer acht, daß die Problematik einer Nichtdeduzierbarkeit des Sittengesetzes
von Kant durch die wechselseitige Integration von theoretischer und prakti-
scher Vernunft zumindest entschärft, wenn nicht sogar im Ansatz überwunden
wird.
2. Der Vorwurf, die kritische Ethik sei in ihren Konsequenzen irrational,
ist zweifacher Art: a) Die Kritik hinsichtlich des Verhältnisses von Ver-
nunft und Gegenstand, d.h. einer notwendig irrationalen Handlungsweise des
W i l l e n s , verkennt die Beschränkung der W i l l k ü r durch den im kategorischen
Imperativ beschlossenen absoluten Wert des Menschen. Dabei offenbart sich
die Unvereinbarkeit dieses Vorwurfs mit dem der Repressivität in bezug auf
das Verhältnis von Vernunft und Sinnlichkeit. Die These einer Verwandtschaft
zwischen Kant und de Sade/Nietzsche hält der näheren Betrachtung nicht stand,
b) Der Vorwurf einer irrationalen Schicksalsmächtigkeit des intelligiblen
Charakters läßt nicht nur den Gedanken einer Revolution der Denkungsart un-
berücksichtigt, verwandelt nicht nur die a-temporal zu verstehende Eigenbe-
stimmung des intelligiblen Charakters in eine zeitliche Fremdbestimmung, ver-
wendet nicht nur unangemessene psychologische Ichvorstellungen und reduziert
nicht nur derart den intelligiblen Charakter auf den guten intelligiblen Cha-
rakter. Er vernachlässigt zudem die Grenze zum empirischen Charakter und ver-
kennt grundsätzlich die Bedeutung der Freiheit: Die "Irrationalität" des in-
telligiblen Charakters steht nicht im Widerspruch zur Freiheit, sondern ist
ihr Ausdruck. Damit zergeht Adornos Anspruch einer immanenten Kritik.
Statt dessen ist der Irrationalismusvorwurf gegen Adorno selbst zu wenden:
Wenn Adorno die Wahrheit ethischer Sätze im nichtrationalisierten Impuls
verankert 236 , dann ergibt sich eine Schwierigkeit, die M. Clemenz wie folgt
herausstellt: "Als ' I m p u l s ' wäre etwa auch der Satz berechtigt: es soll nie-

235 Adorno ( 7 ) , S. 290


236 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 281 f
Das Fatum des intelligiblen Charakters 171

mand eingesperrt werden. Als solcher steht er jenseits von Gerechtigkeit,


Validität hätte er einzig in der utopisch realisierten, konfliktlosen Gesell-
schaft. 'Gerechtigkeit 1 (von Recht ganz zu schweigen) erfordert den Bezug
aufs Material. Der allgemeine Satz also: es soll niemand eingesperrt werden,
müßte, etwa auf sadistische Verbrecher bezogen, modifiziert werden. Mit der
fälligen Begründung aber wäre bereits die 'schlechte Unendlichkeit' von 'Ab-
leitung und Gültigkeit 1 , 'Rationalisierung 1 betreten, die Sätze hätten so-
mit ihre 'Wahrheit' verloren. Soll irgendetwas auf dieser Welt zum Besseren
gewendet werden, dann ist es unumgänglich, Recht gegen Unrecht, Freiheit ge-
gen notwendigen Zwang abzuwägen. Wem dieses Dilemma unerträglich, diese Last
zu groß ist, der hat sich der Irrationalität des Bestehenden bereits ge-
beugt." 237
Auch wenn Adornos Kritik an Kant nicht immanent und der Irrationalismus-
vorwurf gegen ihn selbst zu wenden ist, ist der Ansatz der kritischen Ethik
noch nicht positiv gerechtfertigt, da er an eine subjektstheoretische Vor-
aussetzung gebunden ist: Sind Vernunft und menschliche Subjektivität auf Na-
tur zurückführbar, so ist es unmöglich, von einem reinen Faktum der Vernunft
zu reden, zugunsten eines im kategorischen Imperativs beschlossenen absolu-
ten Werts des Menschen zu argumentieren, von hierher ethische Regeln zu er-
arbeiten, oder einen intelligiblen Charakter anzunehmen. Bevor also die sub-
jektstheoretische Grundfrage nicht geklärt ist, wäre eine endgültige Ent-
scheidung zugunsten Kants oder Adornos voreilig.

237 Clemenz (39), S. 193


4.3 Vorwurf der Abstraktion

Die Bedeutung der Subjektstheorie wird durch Adornos Abstraktionsvorwurf un-


terstrichen: Der fehlende Bezug der Kantischen Vernunft und Freiheit auf das
"irrationale" Moment bedinge die Irrationalität der totalen Rationalität.
Die ausstehende Selbstbesinnung des begrifflichen Denkens verdecke seinen
wesentlichen Bezug auf ein Anderes, Nichtidentisches, so daß das Denken nur
mit sich selbst beschäftigt sei. Das reine Denken aber, die reine Rationa-
lität der Freiheit beruhe auf einer Abstraktion vom Richtrationalen und Be-
dingend-Empirischen.
Zunächst sind die verschiedenen Aspekte des Abstraktionsvorwurfes zu skiz-
zieren. Sodann soll dargestellt werden, wie die kritische Ethik von der
Grundlage dessen her erscheint, von dem sie vorgeblich abstrahiert worden
ist, d.h. wie sie sich aus psychologischem und soziologischem Gesichtspunkt
darstellt.

4.3.1 Aspekte der Abstraktion

Kant ordnet die Freiheit als "(...) Vermögen, einen Zustand von selbst an-
zufangen" 238 , dem intelligiblen Bereich zu und schließt sie von der durch-
gängig kausal determinierten phänomenalen Gegenstandswelt aus. 239 Die Auf-
lösung der dritten Antinomie, These (Freiheit) und Antithese (Naturkausali-
tät) auf verschiedene Anwendungsbereiche zu beziehen, beruht auf dem Dualis-
mus des Phänomenalen und Intelligiblen. Die Restriktion des menschlichen
Wissens in der 'Kritik der reinen Vernunft' und die damit einhergehende Be-
reitstellung der Möglichkeit, Freiheit anzunehmen, ist entscheidend für den
Ansatz der kritischen Ethik.
Die an den Dualismus anknüpfende Verankerung der Freiheit 1m Intelligiblen
reduziert sich für Adorno jedoch auf eine bloße "Abstraktion" 24 , eine Ab-
straktion vom Konkret-Empirischen. Die Bestimmung des Kantischen Freiheits-
begriffs als eines Abstraktionsproduktes setzt eine Kritik des noumenalen
Subjekts (des transzendentalen "Ich denke" ?) voraus: Es "(...) ist das em-
238 Kant (147), B 561
239 Kant (147), B 564 f
240 Adorno (7), S. 213, 227 f
Aspekte der Abstraktion 173

pirische Subjekt, das jene (d.h. die freien, B.) Entscheidungen fällt - und
nur ein empirisches kann sie fällen, das transzendental reine Ich denke wä-
re keines Impulses fähig -, selbst Moment der räum-zeitlichen 'auswendigen'
Welt und hat von ihr keine ontologische Priorität; darum scheitert der Ver-
y| A

such, die Frage nach der Willensfreiheit in ihm zu lokalisieren." Die Kan
tische Freiheit, die sich zum "Jenseits der Natur" verflüchtige, sei eine
"Selbsttäuschung" 242 . Sie übe in der bürgerlichen Gesellschaft eine ideolo-
*)/!
gische Funktion aus. Index der Problematik dieser "abstrakt-subjektiv"
(und nicht konkret gesellschaftlich) konzipierten Idee der Freiheit seien
die "Experimente crucis" , d.h. die Tatsache, daß Kant trotz seiner Forde-
rung nach Reinheit empirische Beispiele gibt.
Es sei davon abgesehen, daß Kant seinen ethischen Entwurf nicht durch Bei-
spiele "begründen" will - wie Adorno glaubt -, sondern ihn lediglich ver-
deutlichen w i l l . Des näheren lassen sich im wesentlichen vier Aspekte des
Abstraktionsvorwurfes unterscheiden:
1. Kant abstrahiere von den gesellschaftlichen Bedingungen einer jeden als
frei deklarierten Entscheidung und behaupte deren "Autarkie". Vielmehr je-
doch - so Adorno - "(...) gehen in die mit Wille und Freiheit designierten
Entscheidungen ungezählte Momente der auswendigen, zumal gesellschaftlichen
Realität ein." 247
Die zweifelsohne richtige Feststellung Adornos berührt indessen den Ansatz
der kritischen Ethik in keiner Weise, da dieser den Aspekt der außersubjek-
tiven Bedingtheit der freien Willensentscheidungen umfaßt: Das der empiri-
schen Seite zugeordnete Prinzip der Sinnlichkeit deckt dieses Problem im
Grundsätzlichen ab. Allerdings erachtet es Kant - zu Recht - im Rahmen der
"rationalen" Ethik als sekundär, die Sinnlichkeit in biologische, psycholo-
gische, gesellschaftliche und andere Momente zu spezifizieren. Diese Aufgabe
fällt dem sich an den rationalen Teil der "Metaphysik der Sitten" anschlie-
ßenden Teil einer "praktische(n) Anthropologie" 248 zu. Der Vorwurf Adornos
aber beleuchtet schlagartig sein defizientes Argumentationsniveau gegenüber
Kant.
241 Adorno ( 7 ) , S. 213
242 Adorno ( 7 ) , S. 219
243 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 218
244 Adorno ( 7 ) , S. 215
245 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 222 - 225
246 Adorno ( 7 ) , S. 224
247 Adorno ( 7 ) , S. 212
248 Kant (143), S. 388
174 Adornos Kritik der Ethik Kants

2. Es sei Kant nicht "bei gekommen", daß nicht nur das Bewußtsein der Frei-
heit, sondern die "Freiheit selbst, ihm ewige Idee, geschichtlichen Wesens"
sei. Unfreien Gesellschaften und Epochen könne die Freiheit nicht "als ob-
jektives An sich" zugesprochen werden. Dies sei mit dem "Prinzip des Trans-
zendentalen" unvereinbar, " ( . . . ) das im subjektiven Bewußtsein fundiert sein
soll, und unhaltbar wäre, wofern es, das vermeintliche Bewußtsein überhaupt,
irgendeinem Lebendigen gänzlich abginge." 249
Auch hier ist daran zu erinnern, daß Kant der Gedanke eines zeitlichen We-
sens der Freiheit durchaus "bei gekommen" ist, wie seine Schriften zeigen,
250
nur daß er ihn in der Ethik abgelehnt hat. Im übrigen weist Adornos Ar-
gumentation drei Schwächen auf:
a) Es ist zwar zutreffend, daß das transzendentale Prinzip auf das subjek-
tive Bewußtsein bezogen ist, unzutreffend aber, es - wie hier - privat-sub-
jektiv zu deuten. Dies ist umso unverständlicher, weil Adorno an anderen
Stellen gerade in kritischer Absicht betont, daß die transzendentale Be-
251
wußtseinsstruktur nicht empirisch-personal zu verstehen ist.
b) Wenn das Transzendentale im Bewußtsein fundiert ist, so bedeutet das
nicht, daß es bewußt sein muß. Das fehlende Bewußtsein der Kausalitätskate-
gorie z.B. berührt in keiner Weise die Tatsache, daß diese Kategorie im Be-
wußtsein fundiert ist. Adorno argumentiert also mit einem doppelten Bewußt-
seinsbegriff, der schon in seiner ersten Habilitationsschrift zu der un-
glücklichen Gegenüberstellung der Transzendentalphilosophie als einer Philo-
sophie des Bewußtseins zur Theorie des Unbewußten (zur Psychoanalyse) führ-
te.252
c) Schließlich ist der Schluß von einem mangelnden Freiheitsbewußtsein auf
die Irrealität der Freiheit im Kantischen Sinne nicht begründet. Er wird le-
diglich durch die undifferenzierte Verwendung des Begriffs "Bewußtsein"
249 Adorno ( 7 ) , S. 217 (Hervorhebung B.)
250 Vgl. Kant (141), S. 40. Die Annahme unzeitlich transzendentaler Freiheit
ist selbstverständlich nicht mit der Annahme gleichbedeutend, daß die
politisch-gesellschaftliche Freiheit gegeben sei, oder daß, weil jene
sei, diese nicht hergestellt zu werden brauchte. Gegenüber einer solchen
neben Adorno z.B. auch von H. Marcuse [(182, S. 94 ff] formulierten Kri-
tik ist auf die Rechts- und Staatslehre Kants (vgl. bes. Kant, 'Meta-
physik der Sitten1, Einleitung in die Rechtslehre) und seine geschichts-
philosophischen Schriften [vgl. z.B. Kant (145), S. 22] hinzuweisen.
Vgl. auch den Versuch von Krings, das Verhältnis von transzendentaler
und politischer Freiheit zu bestimmen: Krings (162), S. 508 f
251 Vgl. z.B. Adorno ( 7 ) , S. 272
252 Vgl. Adorno ( 9 ) , S. 87 f. Vgl. auch (13), S. 109 - 112
Aspekte der Abstraktion 175

plausibel. Bewußtsein 1st entweder hauptthematisch, d.h. aktualisiert, oder


nebenthematisch. In diesem Fall 1st es mit einem niedrigen Bewußtseinsgrad,
der bis Ins Unbewußte gehen kann, ausgezeichnet, aber prinzipiell ins Haupt-
thematische verwandelbar. Von dem in politisch unfreien Gesellschaften mög-
licherweise nicht aktualisierten, fehlenden hauptthematisehen Freiheitste-
wufitsein auf die Irrealität der von Kant SUppOnierten transzendentalen
Freiheit zu schließen, ist doppelt uneinsichtig. Selbstverständlich kann nur
bei einem Wesen von Freiheit gesprochen werden, das durch selbstreflexive
Einheit ausgezeichnet ist, wie Adorno hervorhebt. 253 Das heißt aber nicht,
daß diese Einheit bewußtseinsmäßig hauptthematisch sein muß oder nur dann
ist.
3. Als dritten Aspekt stellt Adorno heraus, daß der auf "reine praktische
Vernunft gebrachte Wille eine Abstraktion" sei. Das primär somatische Wesen
des Willens spiegele sich nur noch schwach in dem idealistischen Begriff der
"intramental gedeuten Spontaneität". Es gelte der von Kant pervertierte
Sachverhalt: "(...) wäre die motorische Reaktionsform ganz liquidiert, zuck-
te nicht mehr die Hand, so wäre kein W i l l e . "
Der Einwand zielt auf die Zentralfrage der 'Kritik der praktischen Ver-
n u n f t ' : Wie kann reine Vernunft praktisch sein ? Wie kann der objektive Be-
stimmungsgrund zur Triebfeder des Handelns werden ? Diese Frage aber kann
Kant eingestandenermaßen nur zum Teil beantworten mittels des mit dem mora-
lischen Gesetz verbundenen Prinzips der Achtung. Unbeantwortet bleibt je-
doch die Frage, "(...) wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungs-
grund des W i l l e n s sein könne (welches doch das Wesentliche aller Moralita't
ist)". Dies ist nach Kant "(...) ein für die menschliche Vernunft unauflös-
bares Problem, und mit dem einerlei, wie ein freier W i l l e möglich sei." 255
Unlösbar ist dieses Problem, weil " ( . . . ) alsdenn ( . . . ) die Vernunft alle
ihre Gesetze überschreiten (würde)" 256 . Hier bekundet sich nicht nur die
erkenntniskritische Vorsicht Kants, sondern es muß auch gefragt werden,
ob dieses Problem nur die kritische Ethik trifft: Wie begründet Adorno die
Tatsache, daß der Mensch nicht nur seinem ungebändigten somatischen Impuls
folgen muß, sondern diesen im Falle der Unsittlichkeit durch Vernunft ein-
schränken kann ? Seine Antwort, die auf eine Art ethischer AffeJcteniehre

253 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 218


254 Adorno ( 7 ) , S. 228 f (Hervorhebungen B.)
255 Kant (146), S. 72
256 Kajit (143) , S. 458
176 Adornos Kritik der Ethik Kants

verweist, leidet an dem Mangel, Vernunft im eigentlichen Sinne zu leugnen.


Sieht er das Problem einer Handlungsbestimmung durch Vernunft dadurch ge-
löst, daß sich die Vernunft "genetisch aus der Triebenergie als deren Dif-
9C7
ferenzierung" entwickelt hat, so kann die Bestimmung der somatischen Im-
pulse durch die "Vernunft" nichts anderes bedeuten als die Bestimmung durch
einen sublimierten, vom ursprünglichen Triebziel abgelenkten Impuls. Indes-
sen wirft dies keineswegs geringere Schwierigkeiten auf als die Unbeantwort-
barkeit der Frage, wie reine Vernunft praktisch sein kann - werden doch we-
sentliche ethische Momente wie Freiheit, Verantwortung und Verpflichtbarkeit
problematisch, wenn nicht gar unmöglich.
4. In entscheidender Weise zielt der Abstraktionsvorwurf schließlich auf
die Kantische subjektakonzeption selbst: "Das vermeintlich ansichseiende
Subjekt ist in sich wesentlich vermittelt durch das, wovon es sich scheidet,
den Zusammenhang aller Subjekte. Durch die Vermittlung wird es selber das,
258
was es seinem Freiheitsbewußtsein nach nicht sein w i l l , heteronom."
Träfe dieser Einwand zu, dann wären in der Tat die freie Intelligenz und
die reine praktische Vernunft nichts anderes als Hypostasierungen, verzerr-
te Ansichten des empirisch Natürlichen. Die anderen Aspekte des Abstrak-
tionsvorwurfes wären in diesem Falle zwar nicht gerechtfertigt, wohl aber
unsere kritischen Erörterungen sekundär. Sind die freie Intelligenz und die
reine praktische Vernunft Hypostasierungen und Abstraktionsprodukte, so muß
die Freiheit selbst zwangsläufig geschichtlichen Wesens sein und der reine
praktische W i l l e reduziert sich - ungeachtet der problematischen Implikatio-
nen - auf abgezweigte libidinöse Triebenergie. Indessen muß dieser Vorwurf
begründet werden. Bevor Adornos Argumente kritisch nachgezeichnet werden,
ist zu prüfen, wie die kritische Ethik gedeutet werden müßte, falls der Ab-
straktionsvorwurf zu Recht bestünde. Ethik fiele wesentlich in den Zustän-
digkeitsbereich von Psychologie und Soziologie.

4.3.2 Die Psychologisierung und Soziologisierung der kritischen Ethik

Da für Adorno der intelligible Bereich keine oder nur eine "reale" Größe
darstellt, muß er die reinen Bestimmungen der kritischen Ethik in die empi-
rische Dimension transponieren, ihren wesensmäßig empirischen Charakter nach-

257 Adorno ( 7 ) , S. 229


258 Adorno ( 7 ) , S. 213
Psychologlsierung und Soziologisierung 177

weisen, will er Ihnen nicht jeden Wahrheitsgehalt absprechen. Die intelligib-


len Bestimmungen müssen in empirische "rückübersetzt" werden. Dabei rekur-
riert Adorno auf psychoanalytische und soziologische Vorstellungen.
Die Einbeziehung dieser Vorstellungskreise entspricht der interdisziplinä-
ren Forschungskonzeption der Kritischen Theorie: "Die Arbeitsteilung zwischen
Disziplinen wie Philosophie, Soziologie, Psychologie und Geschichte liegt
nicht in ihrem Gegenstand, sondern ist diesem von außen aufgezwungen." 259
Fraglich ist es jedoch, ob die verschiedenen Ebenen beliebig austauschbar
sind.260
Schon bei den erkenntnistheoretischen Erörterungen traten verschiedentlich
Bedenken auf. Analoge sind auch hier schon ob der Überlegung zu artikulie-
ren, daß Psychologie und Soziologie deakxiptive Wissenschaften sind, dahin-
gegen die Ethik primär präskriptiv ist. Die vorab zu vermutende Inkommensu-
rabilität von Wissenschaften, die das beschreiben, was ist, mit einer sol-
chen, die vorschreibt, was sein soll, muß konkret nachgewiesen werden.
i. Psychoiogisierung: Die Freiheitslehre Kants darf Adornos Auffassung zu-
folge nicht von der Psychologie getrennt werden. Das Apriori müsse vielmehr
psychologisch erklärt werden. 261 Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen be-
ruhe die Kantische Freiheitskonzeption auf dem Phänomenalen: Die Gegebenheit
des Sittengesetzes lasse sich hier als ein Daseiendes beobachten. Gegebenheit
262
heißt für Adorno: "nackter Zwang, ausgeübt in Raum und Z e i t " . Das Faktum
des Sittengesetzes ziehe aus dem psychologischen Tatbestand des Gewissens
seine Oberzeugungskraft. Die vom Sittengesetz ausgehende Nötigung interpre-
oco 264
tiert Adorno - ähnlich wie vor ihm Freud - als "realen Gewissenszwang"
Die Faktizität sei durch das empirisch faßbare und bedingte Oberich verbürgt.
Da Kant jedoch keine empirischen Motivationen zulassen dürfe, habe er das
"genetische Moment" 265 durch die Konstruktion des intelligiblen Charakters
259 Adorno ( 5 ) , S. 373. Vgl. zum Programm einer interdisziplinären Sozialfor-
schung der frühen Kritischen Theorie Dubiel ( 5 1 ) , S. 135 - 211
260 Vgl. auch Beier, die auf die "Vermischung" [ ( 3 0 ) , S. 15 u. 143] verschie-
dener Ebenen, insbesondere der soziologischen mit der philosophischen,
die Schwäche der Adornoschen Gesellschaftstheorie zurückführt. Diese
leide an der " ( . . . ) Aporie, mit den Mitteln philosophischer Reflexion
philosophische Denkformen zu relativieren"(30, S. 4 5 ) , an der Schwierig-
keit, die traditionell philosophischen Kategorien nicht konsequent genug
durch sozialwissenschaftliche abzulösen [vgl. ( 3 0 ) , S. 23 f, 51, 67, 71].
261 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 214, 231. Im Gegensatz dazu Kant (143), S. 390
262 Adorno ( 7 ) , S. 252 f
263 Vgl. Freud ( 7 3 ) , S. 500 f; ( 7 1 ) , S. 351; ( 7 4 ) , S. 292
264 Adorno ( 7 ) , S. 267. Vgl. ( 1 1 ) , S. 302
265 Adorno ( 7 ) , S. 268
178 Adornos Kritik der Ethik Kants

ersetzen müssen. Konstitutives Moment des reinen Sittengesetzes bleibe aber


das Empirisch-Faktische.
Es ist evident, daß diese psychologische Deutung des Sittengesetzes auf dem
oben aufgezeigten Mißverständnis des Faktums der reinen Vernunft beruht. Zu-
dem stellt sich das Problem, daß das psychologisch faßbare Gewissen doch ma-
terial spezifische Inhalte kennt, wohingegen das Sittengesetz formal unspe-
zifisch ist. Die Brüchigkeit versucht Adorno durch die nicht weiter begrün-
dete These zu beseitigen, daß "noch in seiner äußersten Abstraktion (...)
das Gesetz ein Gewordenes (ist), das Schmerzhafte seiner Abstraktheit sedi-
mentierter Inhalt, Herrschaft auf ihre Normal form gebracht, die von Identi-
tat." ?fiß In einem dritten Punkt kann die psychologische Betrachtungsweise
nicht zufriedenstellen: Nach Kant liegt sittliches -Handeln dann vor, wenn
es aus Pflicht geschieht. Wird aber als tatsächliche Triebfeder des Sittli-
chen ein verschleiertes Oberich geltend gemacht, d.h. eine im Grunde eudämo-
nistische Motivation (Vermeidung von Sanktionen), so mag das zwar möglicher-
weise eine adäquate Deutung der realen Bestimmungsgründe faktisch pflichtge-
mäßen Handelns sein, verfehlt aber gerade das Genuine der Kantischen Morali-
tätskonzeption und ihrer Forderung eines Handelns aus Pflicht. Der Autono-
miegedanke ist in psychologischen Kategorien nicht zu fassen, da mittels
derselben a l l e n f a l l s nachgewiesen werden kann, daß das wirkliche Handeln
nicht aus Pflicht geschieht, sondern eudämonistisch motiviert ist. Wie Kant
267
schon dargelegt hat , berührt diese mögliche Tatsache keinesfalls die Ob-
jektivität der kritischen Ethik.
Adorno schließt nicht nur das Sittengesetz mit dem Oberich kurz. Zudem
identifiziert er die sich im Sittengesetz aussprechende Nötigung des Über-
ichs im Zuge einer teilweisen Revision des psychoanalytischen Ansatzes Freuds
OiJQ
als Verinnerlichung der gesellschaftlichen Repression , die sich im Ich-
prinzip niederschlage. Dabei ist es in diesem Zusammenhang entscheidend, daß
Adorno ähnlich wie Herbert Marcuse 26 Q das von Freud formulierte Realitäts-
prinzip des Ichs als illegitim und repressiv bestimmt und in der Folge die
Trennung von Ich und Oberich aufhebt: "Denn die unreflektierte Herrschaft
der Vernunft, die des Ichs über das Es, ist identisch mit dem repressiven

266 Adorno (7), S. 268


267 Vgl. Kant (143), S. 407 f
268 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 269
269 Vgl. Marcuse (183), S. 129 - 139. Zur Differenzierung zwischen Adornos
und Marcuses Freud-Rezeption vgl. Düver (52), S. 151 - 154.
Psychologisierung und Soziologisierung 179

Prinzip, das die Psychoanalyse, deren Kritik vorm Realitätsprinzip des Ichs
270
verstummt, in dessen unbewußtes Walten verschob." Konsequenterweise liest
er aus der Freudschen Theorie eine "bürgerliche Verachtung des Triebs" 271
heraus. Da sich das Ich mittels des Realitätsprinzips an die irrationale To-
talität der Gesellschaft anpasse, in der erst partikulare Vernunft herrsche,
272
sei der "Triumph des Ichs" ein Sieg "der Verblendung durchs Partikulare" .
"Der Mechanismus der Anpassung an die verhärteten Verhältnisse ist zugleich
einer der Verhärtung des Subjekts in sich: je realitätsgerechter es wird,
desto mehr wird es sich selbst zum Ding, desto weniger lebt es überhaupt
noch, desto unsinniger wird sein ganzer 'Realismus 1 , der all das zerstört,
um dessentwillen eigentlich die selbsterhaltene Vernunft ins Spiel kam, und
der in der Konsequenz noch das nackte Leben bedroht." 273 Die sich vorgeblich
bei Kant findende unreflektierte Unterdrückung der Sinnlichkeit durch die
Vernunft (Identitätsprinzip) stellt sich in Adornos Version der Psychoanaly-
se als die des Es durch das Ich/Oberich dar. Dabei gelte, daß "(...) der dem
Individuum gesellschaftlich zugemutete Triebverzicht sich weder objektiv in
seiner Wahrheit und Notwendigkeit legitimiert, noch dem Subjekt das vertag-
te Triebziel später verschafft."
Die Deutung läuft auf das von Adorno nicht ausgesprochene Ergebnis hinaus,
die von Kant geforderte Einschränkung der W i l l k ü r ("Es") durch den Gedanken
eines allgemein gesetzgebenden Willens und der Heilighaltung der Menschheit
in jeder einzelnen Person als nicht legitimierten "Triebverzicht" verstehen
zu müssen. Damit zeigt sich wie schon zuvor in bezug auf die Deutung des in-
275
telligiblen Charakters die Unmöglichkeit, die kritische Ethik mit psycho-
logischen Kategorien zu fassen. Zudem ist Adornos Freudkritik problematisch.
In seiner Kritik des Realitätsprinzips deutet er die von Freud geschilderte
Ersetzung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip in der Entwicklung des
Ichs "zum Heil des Es"
27ß als einen einseitigen Vorgang der "Anpassung an
277
die Realität" und deren Fixierung. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen,
daß Freud mit der Konstituierung des Realitätsprinzips lediglich fordert,

270 Adorno ( 7 ) , S. 269


271 Adorno ( 6 ) , Aphorismus Nr. 37
272 Adorno ( 1 2 ) , S. 57
273 Adorno ( 1 2 ) , S. 60
274 Adorno ( 1 2 ) , S. 68
275 Vgl. Kap. 4 . 2 . 2 . 2
276 Freud ( 7 3 ) , S. 512
277 Adorno ( 1 ) , S. 21
180 Adornos Kritik der Ethik Kants
278
daß "Rücksicht auf die Realität" genommen wird. Das dem Realitätsprinzip
folgende Ich versucht, die verschiedenen "(...) Ansprüche und Forderungen in
Einklang miteinander zu bringen"279 , "(...) das Es der Welt gefügig zu ma-
chen und die Welt mittels seiner Muskelaktionen dem Es-Wunsch gerecht (zu;
280
machen" , nicht aber die Ansprüche der einen Seite zugunsten der anderen
aufzugeben.
Zum Abschluß deutet Adorno auf der psychologischen Ebene Kants Prinzip der
Autonomie in Heteronomie um: Konstitutiv für die Verselbstä'ndigung des Gewis-
sens (Sittengesetz) sei das Vergessen seines Ursprungs; als Vergessenes aber
sei das Gewissen ichfremd, heteronom. Die Kritik des als Oberich "entlarvten"
Sittengesetzes impliziert nach Adorno die Kritik der Gesellschaft, weil die-
se der Urheber des Gewissens sei. In der Erkenntnis des Gewissens und Sitten-
gesetzes als "Verinnerlichung gesellschaftlichen Zwanges" 281 liege zugleich
ein Potential der Freiheit, das es zu aktualisieren gelte.
2. soziaiogisierung: Wie sich zeigt, ist der Übergang von der Psychologie
zur Soziologie fließend, diese bewahrt nach Adorno die Psychologie davor,
wie Freud gesellschaftliche Bestimmungen des Menschen als naturhaft zu ver-
klären. 282 Wie zwischen Philosophie und Psychologie keine feste Grenze zu
ziehen sei, so auch nicht zwischen Philosophie und Soziologie. Entsprechend
bemüht sich Adorno, die Ethik Kants auch soziologisch zu fassen:
Mache Kant Freiheit und Moral "an der Person wie an einem unzerstörbaren
Gut" 283 fest, so seien beide in Wahrheit - weil das Individuum wesentlich
durch das Allgemeine, die Gesellschaft, vermittelt sei - nicht nur auf die
Person, sondern ebenso auf die Gesellschaft zu beziehen. Das Ichprinzip zei-
ge sich unter soziologischer Betrachtungsweise als Wiederholung der gesell-
schaftlichen Herrschaft über das Individuelle, als Identifizierung des Nicht-
identischen. Damit drücke sich im scheinbar Besonderen, dem Inneren des Men-
schen, das Allgemeine aus. Das Prinzip der Persönlichkeit "(...) wiederholt
?84
trotzig im Subjekt die Herrschaft." "Das vereinzelte Individuum, das reine

278 Freud (75), S. 349


279 Freud (73), S. 514
280 Freud (70) , S. 322
281 Adorno ( 7 ) , S. 271
282 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie vgl. Adorno (12), bes.
S. 56 f. Vgl. dazu Düver (52), S. 138 - 146.
283 Adorno (7), S. 272
284 Adorno ( 7 ) , S. 273
Psychologisierung urid Soziologisierung 181

Subjekt der Selbsterhaltung, verkörpert im absoluten Gegensatz zur Gesell-


OQC
schaft deren innerstes Prinzip." Zwar fühlen sich die Menschen "in der
Stärke ihres Ich", seiner festen Einheit, am ehesten von der Gesellschaft
frei, aber genau dieses Herrschaftsprinzip (Persönlichkeitsprinzip) sei ih-
nen "von der Gesellschaft eingepflanzt" worden, "(...) und sie honoriert
es, obwohl sie es eindämmt. 1 286 Die kritische Ethik indessen habe diesen
Sachverhalt nicht erfaßt.
Die soziologische Deutung ist nicht nur problematisch, weil Adorno ohne
Begründung eine vage Analogie in eine kausale Folge umdeutet. Zwar kann man
leicht zu der Auffassung gelangen, daß das Prinzip der Persönlichkeit, das
bei Kant der Ausdruck eines Allgemeinen ist (weil es der von Vernunft ist)
mit der Herrschaft des Allgemeinen in der "verwalteten Welt" zusammenhängt,
jedoch regen sich bei näherer Betrachtung Bedenken: Kants Persönlichkeits-
prinzip geht nicht mit einer Herrschaft des Allgemeinen im Sinne einer Li-
quidierung des Individuellen einher, wie sie nach Adorno in der "verwalteten
Welt" statt hat. Die Forderung nach einer Universalisierbarkeit der jedem
Handeln zugrundeliegenden Maxime bedeutet nicht die nach einer Gleichförmig-
287
keit der konkreten Handlungen. Die Maxime, anderen in der Not zu helfen,
bestimmt nicht die Art und Weise, wie dies zu geschehen hat. Im Hintergrund
dieser soziologischen Kant-Kritik steht wiederum das von Adorno verwendete
Kategoriensystem (Identität, Nichtidentisches, Identifizierung etc.), das
sich schon oben als unangemessen erwiesen hat.
Weder die psychologische noch die soziologische Kritik der Ethik Kants,
wie sie Adorno auf der Grundlage des Abstraktionsvorwurfs entwirft, ist al-
so überzeugend. Das indiziert zugleich die Problematik dieses Vorwurfs, weil
sich die aus ihm notwendig folgende Zuständigkeit von Psychologie und Sozio-
logie für die ethische Konzeption Kants nicht bewahrheiten konnte.

285 Adorno (12), S. 55


286 Adorno ( 7 ) , S. 292
287 Vgl. Kap. 4.1.2.3
4.4 Zusammenfassung der Überlegungen und die Bedeutung der Subjektstheorie

Entsprechend dem Ergebnis der erkenntnistheoretischen Überlegungen ist zu


Adornos Kritik der Kantischen Ethik abschließend festzuhalten: Der Anspruch
einer immanenten Kritik wird nicht erfüllt, weil die Ausführungen Adornos al-
lenfalls zu einer Konfrontation der eigenen Anschauungen mit denen Kants zu-
reichen. Ungeachtet dessen, daß einige Abänderungen und Ergänzungen der kri-
tischen Ethik erforderlich sind, ist es bei dem augenblicklichen Stand der
Überlegungen nicht notwendig, ihren Grundansatz aufzugeben.
Die Einwände Adornos lassen sich in drei Hauptvorwürfe einteilen: Die Ethik
Kants sei repressiv, irrational und abstrakt.
1. Der erste Aspekt des Repressivitätsvorwirfa, der sich auf die Moralphi-
losophie Kants im ganzen bezieht und sie als klassengebundenes Herrschafts-
instrument deutet, verkennt - abgesehen von den inneren Uneindeutigkeiten -,
daß der im Zentrum stehende Begriff der Freiheit und der universalistische
Grundansatz der kritischen Ethik denkbar ungeeignet sind, soziale und poli-
tische Vorrechte zu legitimieren. Die zweite Ausformung dieses Vorwurfs, das
Verhältnis der Vernunft zur Sinnlichkeit sei repressiv, Freiheit bedeute für
Kant zwangsläufig Unfreiheit des Natürlichen, nimmt in modifizierter Form
die Rigorismuskritik Schillers auf. Sie scheitert aufgrund einer vereinfach-
ten Deutung des Verhältnisses von Pflicht und Neigung und der Reduktion einer
möglichen dreifachen Handlungsbewertung (moralisch, nicht-sittlich, unsitt-
lich) auf eine strenge Alternative. Der Vorwurf einer Individualitätsfeind-
schaft Kants verdankt sich dem mehrfachen Mangel an gedanklicher Differen-
zierung (Verkürzung des Verhältnisses von Pflicht und Neigung; Außerachtlas-
sung der Bedeutung von Maxime und Regel), einer sprachlichen Ambivalenz
(von "Nichtidentisches") und der Anwendung eines inadäquaten (weil zu simp-
len) Kategoriensystems (Identität, Nichtidentisches, Identifikation). Der
dritte Aspekt dieses Vorwurfs, das Prinzip der Vernunftfreiheit selbst sei
repressiv, verkennt sowohl den explizit doppelten Kausalitätsbegriff Kants
(Kausalität als Wirkvermögen, Naturkausalität), als auch die unterschiedli-
che Bedeutung des Moments der Gesetzlichkeit bei einer Autonomie und Hetero-
nomie. Ein von Adorno formuliertes Zusatzargument leidet an der Verwechslung
Zusammenfassung 183

von Objektebene und Metaebene. Der Vorwurf, Kants Einstellung zum Glück sei
ambivalent, unterscheidet nicht zwischen Ambivalenz und dem Ineins von Ein-
deutigkeit und Differenziertheit. Die Identifizierung der Kantischen Bewer-
tung des Mitleids als sittlich-neutral mit Nietzsches Ablehnung desselben re-
duziert sich auf blanke Polemik, geht es doch dort um die optimale Erfüllung
allgemeinverbindlicher Moral, hier aber um ihre Oberwindung zugunsten einer
Privat-"moral" des Obermenschen. Der Einwand, schon Kants Terminologie indi-
ziere die Repressivität seiner Ethik, verkürzt - soweit er nicht auf einer
vereinfachten Deutung des Verhältnisses von Vernunft und Sinnlichkeit beruht
- den Autonomiegedanken.
2. Der irrationallsausvorwurf in bezug auf die Begründung der kritischen
Ethik setzt ein mehrfaches Mißverständnis voraus: Ist das Sittengesetz nach
Kant ein autonomes und apriorisches (einziges) Faktum der Vernunft, so faßt
Adorno es als heteronomes und empirisches (zufälliges) Faktum für die Ver-
nunft. Die Problematik einer Nichtdeduzierbarkeit dieses Faktums wird dabei
von Kant zumindest entschärft, wenn nicht gar durch den Vorgriff auf ein Sy-
stem der Vernunft, die wechselseitige Integration von theoretischer und prak-
tischer Vernunft, im Ansatz überwunden. Auf keinen Fall aber ist diesem An-
satz die Alternative Adornos, sein Rekurs auf unmittelbare Erfahrungen und
die Wahrheit nichtrationalisierter Impulse überlegen. Der zweite Aspekt des
Irrationalismusvorwurfs, die formalistische Konzeption der Vernunft bedinge,
daß diese jedem Interesse zur Verfügung stehe, übersieht, daß der kategori-
sche Imperativ wesentlich Ausdruck der absoluten Würde (wenn auch nicht des
Individuums, so doch) des Menschen als Verkörperung der Menschheit ist. Zu-
dem leidet dieser Vorwurf in empfindlicher Weise daran, daß er mit dem zwei-
ten Repressivitätsvorwurf nicht vereinbar ist. Die philosophiegeschichtli-
che Konkretisierung dieser Seite des Irrationalismusvorwurfs, die Behauptung
einer Affinität der kritischen Ethik zu den Theorien de Sades und Nietzsches
ist nicht haltbar. Der dritte Aspekt der Irrationalismuskritik, das Prinzip
des intelligiblen Charakters verkörpere eine irrationale Schicksalshörigkeit,
reduziert den intelligiblen Charakter auf den guten intelligiblen Charakter,
läßt den Gedanken einer Revolution der Denkungsart außer acht, versteht die
Bestimmung des intelligiblen Charakters entgegen Kants Ausführungen zeitlich
und vernachlässigt auf diese Weise den Unterschied zum empirischen Charak-
ter. Zudem wird das Moment der freien Wahl des intelligiblen Charakters aus-
geklammert und unangemessene psychologische Ichvorstellungen werden zugrun-
degelegt. Schließlich wird verkannt, daß die "Irrationalität" des intelli-
184 Adornos Kritik der Ethik Kants

giblen Charakters genauer Ausdruck der menschlichen Freiheit ist und ihr
nicht entgegensteht. Damit scheitert nicht nur Adornos Anspruch einer imma-
nenten Kritik der Kantischen Ethik, sondern zudem ist der Irrationalismus-
vorwurf gegen ihn selbst zu wenden.
3. Den wesentlichen Grund für die vorgebliche Irrationalität der kriti-
schen Ethik erblickt Adorno in ihrer Abstraktion vom Empirisch-Bedingenden.
Das Intelligible sei nichts als ein idealistisches Abstraktionsprodukt. Der
erste Aspekt des Abstraktionsvormrfs, Kant sehe von den gesellschaftlichen
Bedingungen einer jeden als frei deklarierten Entscheidung ab, verkennt, daß
dieses Problem im Prinzip der Sinnlichkeit und Neigungsaffiziertheit berück-
sichtigt ist. Adornos Einwand, das Wesen der Freiheit selbst sei geschicht-
lich, folgt nicht aus einer immanenten K r i t i k (vorgebliche Unvereinbarkeit
mit dem Prinzip des Transzendentalen), sondern stellt zunächst nur eine Be-
hauptung dar. Deren Begründung durch den Rekurs auf das empirisch mögliche
Faktum eines nicht notwendig aktualisierten politischen Freiheitsbewußtseins
überzeugt nicht. Der dritte Aspekt des Abstraktionsvorwurfs, das Prinzip rei-
ner praktischer Vernunft sei ein Abstraktionsprodukt, thematisiert die kri-
tische Frage, wie reine Vernunft praktisch sein kann. Abgesehen davon, daß
Kant aus erkenntnistheoretischen Gründen diese Frage überhaupt nicht beant-
worten kann, wirft Adornos Vorschlag einer triebenergetischen Deutung des
gesamten Willens nicht geringe Probleme auf, da wesentliche Momente wie Frei-
heit, Verantwortung und Verpflichtbarkeit unmöglich werden. In entscheiden-
der Weise jedoch richtet sich der Abstraktionsvorwurf gegen die ursprungs-
philosophische Konzeption des Subjekts: Das ansichseiende Subjekt der kri-
tischen Ethik sei in Wahrheit wesentlich in sich vermittelt. Falls dies zu-
träfe, fiele Ethik wesentlich in den Zuständigkeitsbereich von Psychologie
und Soziologie. Die kritische Rekonstruktion der von Adorno formulierten
psychologischen und soziologischen Deutungsansätze der Moral Philosophie Kants
läßt aber Bedenken aufkommen, ob diese Wissenschaften der ethischen Frage-
stellung angemessen sind, und führt so indirekt zum Zweifel an der Stichhal-
tigkeit dieses zentralen Abstraktionsvorwurfs.
Die Beantwortung der subjektstheoretischen Frage trägt somit wesentlich
die Entscheidung zugunsten des Ansatzes von Kritizismus oder Kritischer
Theorie. Ist auch den einzelnen Kritikpunkten Adornos an der moral philoso-
phischen Konzeption Kants nicht zuzustimmen, so muß dennoch der Ansatz der
kritischen Ethik aufgegeben werden, f a l l s eine transempirische Subjekts-
theorie an - so Adornos These - immanenten Schwierigkeiten scheitert.
Zusammenfassung 185

Was ist der intelligible Charakter anderes als ein Gedankengespinst, wenn
menschliche Subjektivität im empirisch Faßbaren aufgeht ? Kann es überhaupt
noch ein Sittengesetz als ein autonomes und apriorisches Faktum der Vernunft
geben, wenn die Vernunft im Dienste der Selbsterhaltung steht 288 und sie we-
sentlich empirisch-somatischer Natur ist ? Kann das Wesen der Freiheit an-
ders als geschichtlich sein, wenn der Mensch im ganzen der geschichtlich-
zeitlichen Prozessualität unterworfen ist ? Was aber endlich soll die Rede
von reiner praktischer Vernunft bedeuten, wenn sie als abgezweigte Triebener-
gie dechiffriert werden kann ?
Die Frage einer Entscheidung zugunsten des Kritizismus oder der Kritischen
Theorie führt damit nicht nur aus erkenntnistheoretischer, sondern auch aus
ethischer Perspektive unausweichlich auf die Frage nach dem Subjekt. Ohne
eine abgesicherte subjektstheoretische Argumentation können weder Kritizis-
mus noch Kritische Theorie beanspruchen, sich ernsthaft miteinander auseinan-
derzusetzen. Die subjektstheoretischen Prämissen müssen argumentativ einge-
holt werden.

288 Stünde die Vernunft einzig im Dienste der Natur, d.h. wäre reine prak-
tische Vernunft ausgeschlossen, dann würde sich der Mensch - wie Kant
herausstellt - nicht "über die bloße Tierheit" [Kant (146), S. 61] er-
heben.
5 ADORNOS KRITIK DER SUBJEKTSTHEORIE KANTS

Sowohl die Frage nach der Möglichkeit von Transzendentalphilosophie als auch
die nach den Grundlagen der kritischen Ethik führen auf das Problem des Sub-
jekts. Dieser Komplex ist in zwei Schritten anzugehen: Zunächst müssen die
Einwände Adornos gegen die Subjektstheorie Kants kritisch dargelegt werden.
Auf diese Weise wird die Möglichkeit der Kantischen Konzeption sichergestellt.
Sodann ist die subjektstheoretische Alternative Adornos systematisch zu re-
konstruieren. Ihre Schwierigkeiten werden indirekt die Notwendigkeit der Kan-
tischen Konzeption zeigen.
Zwar treibt seit einigen Jahren die analytische Philosophie nach ihrem
Selbstverständnis Transzendentalphilosophie, jedoch darf der grundsätzliche
Unterschied zum Kantischen Programm nicht vernachlässigt werden. Geht dieses
auf eine systematische Untersuchung der Bedingungen a priori der Möglichkeit
von Erfahrung , so versehen die Vertreter der analytischen Philosophie schon
eine logisch-semantische Analyse der minimalen begrifflichen Struktur einer
p
als kohärent erachteten Erfahrung mit dem epithetbn ornans "transzendental" .
Einhergehend mit der radikalen Abschwächung des Apriorismus verzichten sie
dabei weitgehend auf das Prinzip transzendentaler Subjektivität, den nach
Kant "höchste(n) Punkt" 3 .
Vorsichtiger in der Verwendung des Begriffs "transzendental" ist Habermas.
In Absetzung von Apels "transzendentaler Hermeneutik oder transzendentaler
Pragmatik" wendet er sich zur Kennzeichnung seines universal pragmatischen
Unternehmens gegen den Begriff "transzendental", um 1. den Unterschied zwi-
schen der Generierung von Äußerungen und der Konstituierung von Erfahrungen
und 2. "den inzwischen vollzogenen Bruch mit dem Apriorismus 1 hervortreten
zu lassen. Aber auch er gibt "den Begriff des transzendentalen Subjekts
preis", weil Kant den "Bildungsprozeß des Erkenntnissubjekts nicht beach-
tet habe.

1 Vgl. Kant (147), B 25


2 Vgl. z.B. Strawson ( 2 7 3 ) , S. 18
3 Kant (147), B 134 Anm.
4 Habermas (90), S. 201
5 Habermas ( 9 0 ) , S. 203
6 Habermas (90), S. 200. Vgl. ( 8 7 ) , S. 25 ff
188 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
Adorno kommt nun das Verdienst zu, sich mit der Subjektstheorie Kants zwar
nicht systematisch, aber doch wiederholt auseinandergesetzt zu haben. Ebenso
wie die Erkenntnistheorie und Ethik Kants erfülle auch sie eine "ideologische
Funktion": "Je mehr die einzelnen Menschen real zu Funktionen der gesell-
schaftlichen Totalität durch deren Verknüpfung zum System herabgesetzt wer-
den, desto mehr wird der Mensch schlechthin, als Prinzip, mit dem Attribut
des Schöpferischen, dem absoluter Herrschaft, vom Geist tröstlich erhöht."
Das Prinzip transzendentaler Subjektivität sei ideologiekritisch auf die
Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit zu beziehen: "Seitdem die
geistige Arbeit von der körperlichen sich schied im Zeichen der Herrschaft
des Geistes, der Rechtfertigung des Privilegs, mußte der abgespaltene Geist
mit der Obertreibung schlechten Gewissens eben jenen Herrschaftsanspruch vin-
dizieren, den er aus der These folgert, er sei das Erste und Ursprüngliche,
und darum angestrengt vergessen, woher sein Anspruch kommt, wenn er nicht
verfallen soll." 8
Indessen ist diesem Vorwurf entgegenzuhalten, daß die transzendentale Subjek-
tivität das Prinzip eines jeden endlichen Vernunftwesens ist. Von hierher ist
es zur "Rechtfertigung des Privilegs" der bloß geistig Arbeitenden denkbar
ungeeignet.
Interessanter als diese ideologiekritische Beurteilung ist Adornos direkte
Kritik einer Theorie transzendentaler Subjektivität. Allerdings zeigt sich
schon zu Beginn eine grundsätzliche Schwierigkeit, da Adorno nicht zwischen
dem transzendentalen Bewußtseinsprinzip des "ich denke" und dem reinen Ich
(in Absetzung zum phänomenal-empirischen Ich) unterscheidet. Dies wird unter
anderem an der These offenkundig, Kant versuche die "Frage nach der Willens-
freiheit" in dem "transzendental reine(n) Ich denke" zu "lokalisieren" .
Die mangelnde Differenzierung zwischen dem "ich denke" und dem reinen Ich
verweist auf die zu erwartende Unangemessenheit des von Adorno kritisch Re-
produzierten: die Übertragung der Charakterisierungen des "ich denke" auf
das reine Ich, die Wendung der Bestimmungen des "ich denke" in solche eines
hypostasierten reinen Ichs.
Die Unterscheidung des "ich denke" vom reinen Ich bedingt eine Trennung
der Vorgehensweise. Es sind zu prüfen 1. Adornos Kritik des "ich denke",
2. seine Einwände gegen die Idee des reinen Ichs.
7 Adorno ( 5 ) , S. 744
8 Adorno ( 7 ) , S. 179
9 Adorno ( 7 ) , S. 213
Deutung des "ich denke" 189

5.1 Das transzendentale Selbstbewußtseinsprinzip

Zunächst ist Adornos Deutung des transzendentalen Selbstbewußtseinsprinzips


kritisch darzulegen. Im AnschluB sollen <seine einzelnen Einwände, die durch
die zuvor skizzierten Mißverständnisse bedingt sind, zurückgewiesen werden.

5.1.1 Deutung des "ich denke"

Im folgenden soll die These entfaltet werden, daß Adorno nicht zwischen dem
"ich denke" und dem reinen Ich unterscheidet, insbesondere die transzenden-
talen Bestimmungen des "ich denke" in ontologische eines hypostasierten rei-
nen Ichs wendet. Dadurch verkennt er die Bedeutung des transzendentalen
Selbstbewußtseinsprinzips und widerspricht auch hinsichtlich der Deutung des
reinen Ichs (und seines Verhältnisses zum empirischen Ich) der Lehre Kants.
Die bezeichnete mangelnde Unterscheidung Adornos läßt sich erkenntnistheo-
retisch näher bestimmen als die zwischen dem "ich danke" und dem (objekti-
vierten) "ich, das denkt". Sowohl von dem ."ich denke" als auch von dem "Ich,
das denkt" ist das "Ich, das denkt, daß es denkt", d.h. das reflexive "Ich,
das denkt", zu unterscheiden. Systematisch deckt sich die Differenz zwischen
dem "ich denke" und dem "Ich, das denkt" mit der zwischen einer transzenden-
talphilosophischen und einer ökologischen Perspektive. Diesen Unterschied
gilt es inhaltlich zu füllen.
1. Als index für Adornos unbestimmtes und auch teilweise widersprüchliches
Verständnis des "ich denke" kann die Tatsache gelten, daß er es fast durch-
gängig nur ungenau wiedergibt. Kant handelt vom "Ich denke", das " ( . . . ) alle
meine Vorstellungen begleiten können (muß)" . Adorno weicht hiervon in drei-
erlei Hinsicht ab: Das "ich denke" sei ein solches, das a) "(...) alle meine
Vorstellungen begleitet" 12 , b) "(...) alle meine Vorstellungen begleiten
soll" , c) - so durchgängig in der 'Negativen Dialektik 1 - "(...) alle mei-
ne Vorstellungen soll begleiten können" .
10 Vgl. Baumanns ( 2 4 ) , S. 44. Im folgenden lehnen wir uns an Baumanns' Inter-
pretation an, ohne dies in jedem Fall besonders kenntlich zu machen.
11 Kant (147), B 131
12 Adorno (9), S. 98, 270; ( 1 3 ) , S. 213, 222 f, 255, 323
13 Adorno (10), S. 178; (13), S. 324
14 Adorno ( 7 ) , S. 145 Anm., 184. Vgl. kritisch Ritzel (228), S. 26
190 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
Widersprüchlich sind auch die Aussagen, in denen Adorno den systematischen
Ort des "ich denke" bestimmt: Einerseits erkennt er, daß "(...) bei Kant die
synthetische Einheit der Apperzeption unablösbar ist vom System der reinen
Vernunft" , daß es sich hier um "das innerste Prinzip" handelt. Anderer-
seits soll Kant die ursprüngliche Apperzeption " ( . . . ) als einen systemfremden
Bestandteil eigentlich eingeführt" haben. Derart sei "(...) vor einer Inter-
pretation gerade der Kantischen oder der Transzendentalphilosophie überhaupt,
die diesen Begriff nun in den Mittelpunkt setzt" , zu warnen.
Diese sowohl in sich widersprüchlichen als auch (teilweise) der Kantischen
Lehre widersprechenden Bestimmungen gründen in Adornos Mißverständnis der
transzendentalen Apperzeption.
2. Die "crundschicht" der ursprünglichen Einheit der Apperzeption sei das
Prinzip der "vnvertretbarkeit" bestimmter Bewußtseinsinhalte: "Die Einheit
des Bewußtseins nämlich (...) läßt sich am elementarsten und schlichtesten
so beschreiben, daß alle Tatsachen meines Bewußtseins (...) durch die Quali-
tät charakterisiert sind, Tatsachen meines Bewußtseins und nicht Tatsachen
des Bewußtseins eines anderen zu sein. (...) Man kann das auch so ausdrücken,
daß die Bewußtseinsinhalte eines jeglichen (...) individuellen Bewußtseins
nicht substituierbar durch die Bewußtseinsinhalte eines anderen sind." 18
Die Einheit der Apperzeption "(...) ist einfach die Bewußtseinseinheit, die
darin besteht, daß alle Bewußtseinsinhalte eines bestimmten Subjekts durch
ihren Zusammenhang eben als die diesem und keinem anderen zugehörenden charak-
terisiert werden" . Das oberste Prinzip der Kantischen Transzendentalphilo-
sophie bedeute demnach konkret: "Niemand kann den Schmerz eines anderen in
der eigenen Einbildungskraft reproduzieren. Darauf läuft die transzendentale
Apperzeption hinaus." 20
Das hier als "Grundschicht" Bezeichnete ist mehrfach problematisch:
a) Die (im weitesten Sinne) phänomenologische Methode Adornos ("beschrei-
ben") entspricht zwar seinem (in Kapitel 3 herausgearbeiteten) reduktionisti-
schen Verständnis von Transzendentalphilosophie, ist jedoch der Kantischen
Fragestellung prinzipiell unangemessen.

15 Adorno (14), S. 181


16 Adorno (11), S. 120
17 Adorno (13), S. 256. Vgl. ( 1 3 ) , S. 248
18 Adorno (11), S. 140 f (Hervorhebung B.)
19 Adorno (10), S. 178. Vgl. (13), S. 223
20 Adorno ( 5 ) , S. 600
Deutung des "Ich denke" 191

b) Kant handelt nicht von Erlebnisjnnalten ("Schmerz"), sondern von trans-


zendentalen Bedingungen meiner Vorstellungen.
c) Auch bezieht er sich nicht auf ein bestimmtes ich, dem bestimmte Vor-
stellungsinhalte zugehören, sondern auf das "ich denke". Er w i l l die "Bedin-
gung" angeben, der meine Vorstellungen gemäß sein müssen, und "(...) unter
der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können,
21
weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden."
d) Nicht nur die beiden Relate (Erlebnisinhalte contra Vorstellungsbedin-
gungen; bestimmtes Ich contra allgemeines Selbstbewußtsein) - auch die Rela-
tion selbst wird zwangsläufig falsch gesehen: Es geht nicht um die (beschreib-
bare) Tatsache der Zugehörigkeit bestimmter Vorstellungsinhalte zu einem be-
stimmten Ich, um die triviale psychologische Erkenntnis, daß "niemand ( . . . )
den Schmerz eines anderen in der eigenen Einbildungskraft reproduzieren
(kann)". Vielmehr geht es um das, was allererst Zugehörigkeit ermöglicht,
produziert. Dies ist die grundsätzliche Möglichkeit ("können muß") der Aktua-
lisierung des mein Weltbewußtsein begleitenden Selbstbewußtseins "ich denke".
Adornos Mißverständnis des transzendentalen Selbstbewußtseinsprinzips ent-
spricht dabei genau seiner falschen Zitation: Da Vorstellungsinhalte immer
einem Ich zugehören, und er das "ich denke" zum "Ich, das denkt" ontologi-
siert, wird ihm das "ich denke" zu einem solchen, das "(...) alle meine Vor-
op
Stellungen begleitet" . Demgegenüber betont Kant, daß die ßegleitfunktion
des expliziten, hauptthematischen "ich denke" eine grundsätzliche Möglichkeit,
aber nicht eine je schon voll aktualisierte Möglichkeit ist.
3. Zufolge der Reduktion des Selbstbewußtseins "ich denke" auf das objekti-
vierte Ich, auf das bestimmte Vorstellungsinhalte bezogen sind, aber nicht
sein müssen, deutet Adorno die ursprüngliche Apperzeption als getrennt vom
"Material": Zwischen dem "Subjekt als reine(r) Spontaneität, ursprü'ngliche(r)
23
Apperzeption" und "jeglichem Material" herrsche ein "Chorismos" .
Nicht nur der Begriff des "Chorismos" verweist auf einen ontologisch-pla-
tonischen Vorstellungskreis. Auch widerspricht der Deutung Adornos der aus
der Monadologie Leibnizens übernommene Begriff der Apperzeption (= ad per-
ceptiones), der wesentlich mit einem genitivus objectivus (Apperzeption von
Anschauungen) verbunden ist. Dem objektivierten Ich hingegen fehlt dieser

21 Kant (147), B 132 (1. u. 2. Hervorhebung B.)


22 Vgl. Anm. 12
23 Adorno ( 5 ) , S. 753
192 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

Bezug. Das "ich denke", das "(...) alle meine Vorstellungen begleiten können
(muß)", meint nicht ein Ich, das Vorstellungen denkt oder auch nicht denkt,
sondern die begleitende (und auch geleitende) Funktion des nebenthematischen,
aber auch hauptthematisierbaren Selbstbewußtseins. Dieses ist seiner Struktur
nach wesentlich ein "Auf-sich-Beziehen von ..." .
4. Das Mißverständnis evoziert Adornos Kritik der vorgeblichen Getrenntheit
von Bewußtseinseinheit und -inhalt: "Die Einheit des Selbstbewußtseins setzt
psychologisch-faktische Bewußtseinsinhalte nicht nur genetisch, sondern ihrer
eigenen reinen Möglichkeit nach voraus. (...) Humes Kritik am Ich glitt dar
rüber hinweg, daß Bewußtseinstatsachen nicht vorhanden wären, ohne daß sie
innerhalb eines einzelnen Bewußtseins, nicht eines beliebigen anderen sich
bestimmten. Kant berichtigt i h n , vernachlässigt jedoch seinerseits die Rezi-
prozität: seiner Kritik an Hume ist Persönlichkeit zum Prinzip jenseits der
Einzelpersonen, zu deren Rahmen erstarrt. Er faßt die Bewußtseinseinheit un-
abhängig von jeglicher Erfahrung." 25
Die Kritik ist schon insofern problematisch, als Adorno hier "Bewußtseins-
einheit" und "Persönlichkeit" gleichsetzt, obwohl dieser Begriff nicht in der
Erkenntnistheorie, sondern erst in der Ethik thematisch wird. Auch ist "Per-"
sönlichkeit" nicht ein "Prinzip jenseits der Einzelpersonen" - Adorno scheint
hier an eine Art ontologische Differenz zu denken -, sondern eines der "Ein-
zelpersonen". Zudem ist es nicht einzusehen, wie die Behauptung einer Ent-
stehung der Bewußtseinseinheit aus ihren Inhalten mit der ihrer Reziprozität
vereinbar ist. Der Vorwurf schließlich, Kant habe den "Rahmen" der "Bewußt-
seinseinheit unabhängig von jeglicher Erfahrung" konzipiert, unterstellt eine
durchgängige Einheit der Apperzeption ohne Perzeptionen. Kant erklärt aus-
drücklich, daß diese Einheit synthetisch ist, " ( . . . ) eine Synthesis der Vor-
stellungen (enthält), und ( . . . ) nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis
?fi
möglich (ist)." Adornos Kritik geht also auf das eigene Mißverständnis,
das auf der Verwechslung des "ich denke" mit dem "Ich, das denkt" beruht.
Man könnte einwenden, Kant schreibe, das alles Weltbewußtsein begleitende
Selbstbewußtsein der Apperzeption könne "(...) von keiner (Vorstellung, B.)
weiter begleitet werden" 27 , weil es "(...) aller Erfahrung v o r h e r g e h28
t".

24 Baumanns (24) , S. 45
25 Adorno ( 7 ) , S. 288
26 Kant ( 1 4 7 ) , B 133
27 Kant (147), B 132
28 Kant (147), A 107
Deutung des "ich denke" 193
Demnach verstehe Kant die Einheit der Apperzeption sehr wohl erfahrungsunab-
hängig und verkenne die "Reziprozität" von Bewußtseinseinheit und -inhalt.
Man könnte weiter fragen: Ist ein begleitendes, aber nicht zu begleitendes
Selbstbewußtsein nicht eine contradictio in adiecto, ein Selbstbewußtsein,
das Weltbewußtsein (konstitutiv) begleitet, jedoch nicht reziprok von diesem
begleitet werden kann ?
Indessen meint Kant lediglich, daß die Apperzeption nicht weiter vorgängig
begründet werden kann, daß sie ursprünglich ist. Auch ist die Funktion des Be-
gleitens in durchaus unterschiedlicher Bedeutung genommen:im schwächeren Sin-
on
ne des einfachen Begleitens und im stärkeren des geleitenden Begleitens.
Die Vorgängigkeit der apperzeptiven Einheit vor aller bestimmten Erfahrung
- und·so ist ihre Unabhängigkeit zu verstehen - drückt genau ihren transzen-
dentalen Ursprungscharakter aus. Dieser aber widerspricht so wenig ihrer Syn-
thetizität, wie eine Reziprozität zweier Glieder den Primat eines Gliedes
(z.B. in der Relation Prinzip - Prinzipiiertes) ausschließt. So gedeutet
beruht Adornos Kritik zwar nicht auf einem unmittelbaren Mißverständnis, wohl
aber auf der verkürzten Sichtweise des Verhältnisses der Reziprozität. Diese
Deutung führt mittelbar zu demselben Ergebnis: einer Ad-perzeption ohne Per-
zeption.

Exkurs: Die transzendentale Kategorie des Ursprungs


Unsere Argumentation setzt die transzendental philosophische Unterscheidung
zwischen Ursprung und Anfang voraus.30 Die Kategorie des Ursprungs aber
- so könnte ein weiteres Bedenken formuliert werden - kritisiere Adorno als
"herrschaftlich" und "seinerseits ideologisches Prinzip"31. Die "Problematik
des Begriffs eines schlechterdings Ersten und Voraussetzungslosen"32 sei ge-
rade die entscheidende Schwierigkeit einer jeden idealistischen Erkenntnis-
theorie.
1. Zur These, die Kategorie des Ursprungs sei "herrschaftlich": Dabei ist
nach Adorno die "Frage nach dem Ersten als solchem" bedeutsamer als die nach
dem "(...) Inhalt dessen, was als Erstes behauptet wird". Entscheidend sei,
daß mit der Annahme eines Ersten, Ursprünglichen "Identität" gesetzt werde:
"In dem als philosophisch Ersten behaupteten soll schlechterdings alles auf-
gehen, gleichgültig, ob dieses Prinzip Sein heißt oder Denken, Subjekt oder
Objekt, Wesen oder Faktizität."33 "Indem das Erste der Philosophie immer
schon alles enthalten soll, beschlagnahmt der Geist, was ihm nicht gleicht,
macht es gleich, zum Besitz." Dies gelte auch für die "synthetische Einheit
der Apperzeption"34.
29 Vgl. Baumanns ( 2 4 ) , S. 45
30 Vgl. Kant (147), B l
31 Adorno ( 7 ) , S. 158
32 Adorno (13), S. 34
33 Adorno (14), S. 15. Vgl. ( 7 ) , S. 50
34 Adorno ( 1 4 ) , S. 17 f. Vgl. (14), S. 29
194 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

Indessen setzt diese These einer "Identität von Ursprünglichkeit und Herr-
schaft1^ voraus, daß die Annahme eines Ursprung!ich-Ersten zugleich die sei-
ner Einzigkeit und damit Absolutheit bedeutet. Es trifft zwar zu, daß das aus
dem Ursprung!ich-Ersten Abgeleitete das Zweite ist, aber dies darf weder da-
mit verwechselt werden, daß alles außer diesem Ursprünglich-Ersten ein abge-
leitetes Zweites ist, noch damit, daß dieses notwendig in dem Ersten "enthal-
ten" ist, das Erste das Andere "beschlagnahmt". Der transzendental philosophi-
sche Begriff des Ursprünglichen unterstellt dieses nicht als einzig-absolut,
sondern lediglich als nicht weiter vorgängig begründbar. Als ein solches aber
ist das Ursprüngliche nicht notwendig totalitär.
Auf Kant gewendet heißt dies: Das Ursprünglich-Erste, der "höchste Punkt"36,
ist die synthetische Einheit der Apperzeption, die als Ableitungsprinzip der
Kategorien dient. Aber obwohl die apperzeptive Einheit nach Kant nicht aus
einem höheren Prinzip begründet werden kann und in diesem Sinne das Erste
ist, ist sie dennoch nicht allumfassend, totalitär: Nicht alles Andere außer
ihr muß in ihr beschlossen liegen. Als synthetisches Prinzip ist dieses Ur-
sprüngl ich-Erste - anders als beim anschauenden Verstand - vielmehr derart
konzipiert, daß es das Angewiesensein auf außersubjektive Mannigfaltigkeit
wesentlich in sich enthält. Damit zergeht die behauptete Identität von Ur-
sprung und herrschaftlicher Identität.
Dies löst zugleich das Problem, weshalb Adorno die systematische Stelle der
apperzeptiven Einheit widersprüchlich bestimmt: Einerseits ist er an den Kan-
tischen Text gebunden und muß die zentrale Bedeutung dieser ursprünglichen
Einheit anerkennen* Andererseits aber mißversteht er sie wie die Kategorie
des Ursprungs überhaupt als totalitär und "herrschaftlich". Derart muß er
- um Kant gegen den "Identitätsphilosophen"37 Hegel wenden zu können - diese
Einheit, die der wesentliche Ausgangspunkt der Überlegungen des Deutschen
Idealismus ist, als "systemfremd"38 beurteilen.
2. Die Kategorie des Ursprungs sei aber nicht nur "herrschaftlich", sondern
auch "ideologisch"39. Der gesell schaftskritische Aspekt der These, der von
der Polemik gegen Heideggers Fundamental onto!ogie her zu begreifen ist, ist
recht uninteressant: "Der Faschismus suchte die Ursprungsphilosophie zu ver-
wirklichen. Das Älteste, das was am längsten da ist, sollte unmittelbar,
buchstäblich herrschen. Damit rückte das Usurpatorische am Ersten grell ins
Licht. Blut und Boden, die faschistisch konkretisierten und in der modernen
Industriegesell Schaft ganz schimärischen Ursprungsmächte wurden selbst schon
in Hitlers Deutschland zum Kinderspott. Die Identität von Ursprünglichkeit
und Herrschaft lief darauf hinaus, daß wer die Macht hat, nicht bloß der Er-
ste, sondern auch der Ursprüngliche sein sollte. Als politisches Programm
geht die absolute Identität über in die absolute Ideologie, die keiner mehr
glaubt."40
Bedeutsamer ist der philosophische Kern dieses Ideologievorwurfes, der die
innere Unmöglichkeit des Ursprungsprinzips, die Vermittlung des Unmittelbaren
darlegen w i l l : "Das Erste der Philosophen erhebt totalen Anspruch: es sei un-
vermittelt, unmittelbar. Damit es dem eigenen Begriff genüge, wären immer
erst Vermittlungen gleichsam als Zutaten des Gedankens zu beseitigen und das
Erste als irreduktibles An sich herauszuschälen. Aber ein jegliches Prinzip,

35 Adorno (14), S. 28
36 Kant (147), B 134 Anm.
37 Adorno (13), S. 161
38 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 256, 316 f
39 Adorno ( 7 ) , S. 158
40 Adorno ( 1 4 ) , S. 28. Vgl. zu Adornos Kritik der Ursprungsphilosophie Hei-
deggers :Mörchen (197), S. 364 - 390.
Deutung des "ich denke" 195

auf welches Philosophie als auf ihr erstes reflektieren kann, muß allgemein
sein, wenn es nicht seiner Zufälligkeit überführt werden w i l l . Und ein jeg-
liches allgemeines Prinzip eines Ersten ( . . . ) enthält in sich Abstraktion.
(...) Als Begriff ist das Erste und Unmittelbare allemal vermittelt und da-
rum nicht das Erste. Keine Unmittelbarkeit ( . . . ) , in dem der philosophische
Gedanke der Vermittlung durch sich selbst zu entrinnen hofft, wird der den-
kenden Reflexion anders zuteil denn durch den Gedanken."41
Auch diese als Kritik der prima philosophia vorgetragene Argumentation dis-
kreditiert die These eines Unmittelbaren als "totalen Anspruch". Zudem drän-
gen sich drei weitere Bedenken auf:
a) Es ist nicht einzusehen, weshalb lediglich ein solches Prinzip nicht zu-
f ä l l i g sein soll, das auch allgemein ist.
b) Dennoch angenommen, das Erste müßte allgemein sein, so bedeutet das
nicht zugleich, daß es "(...) in sich Abstraktion (enthält)". Aus der Tatsa-
che, daß der Philosophierende vom Besonderen abstrahieren muß, um das Allge-
meine als solches zu erfassen, folgt nicht, daß das Allgemeine selbst auf
Abstraktion beruht und insofern nicht ursprünglich ist. Diese Folgerung wäre
nur möglich, wenn man nicht zwischen Begriff und Begriffenem unterschiede.
Eine Vermittlung des Begriffs ist nicht identisch mit der Vermittlung des Be-
griffenen, die Art des Erfassens des Ursprungsprinzips durch Abstraktion nicht
mit der Art des Ursprungsprinzips selbst als Abstraktionsprodukt.
o) Man könnte geltend machen, dieser Einwand treffe lediglich eine gedank-
liche Ungenauigkeit Adornos. Es komme darauf an, daß das Unmittelbare und Ur-
sprüngliche "der denkenden Reflexion" nicht "anders zuteil denn durch den Ge-
danken", also vermittelt zuteil werde. Jedoch auch so gewendet trifft die
Kritik nicht das transzendental philosophische Ursprungsprinzip. Die Tatsache,
daß "das Erste und Unmittelbare allemal vermittelt und darum nicht das Erste"
sei, läßt nur eine solche Suche nach dem Unmittelbaren scheitern, die in der
intentio recta das Unmittelbare außerhalb der denkenden Vermittlung finden
w i l l . Dies berührt aber nicht die transzendental philosophische Suche nach dem
Unmittelbaren und Ersten, weil diese in der vollzogenen intentio obliqua ge-
rade das vermittelnde als das Erste begreift. Bemüht sich die ontologische
intentio recta vergeblich um ein Erstes außerhalb der denkenden Vermittlung,
so findet es die transzendentalphilosophische intentio obliqua in dem Vermit-
telnden. Dies bezeichnet die Differenz zwischen der ontologischen und der
transzendental philosophischen Ursprungsfrage. Die Tatsache aber, daß Adorno
über diesen Unterschied hinwegsieht, er im Sinne der Phänomenologie die "Ur-
sprungsfrage als eine des Wesens"42 bestimmt, bestätigt seine Ontologisie-
rung der Transzendentalphilosophie.
Derart entfällt die Notwendigkeit, die Kategorie des Ursprungs in einer
von Adorno geforderten "dialektischen" Philosophie aufzugeben, d.h. in einer
Philosophie, die den erkenntniskritischen Ansatz "metakritisch" aufzuheben
beansprucht.43

41 Adorno (14), S. 15 f
42 Adorno ( 1 ) , S. 11. über die phänomenologische Erkenntnis als Wesenser-
kenntnis ygl. z.B. Busserl (127), S. 51.
43 Näher soll die angestrebte "Metakritik" derart aussehen, daß sie statt
auf die "Zurückführung auf ein erstes Prinzip" auf die " ( — ) Konstella-
tionen von Elementen (geht, B . ) , die sie aufzulösen hat in ihre einzelnen
Momente, aber zugleich doch wieder in ihrer Aufeinanderbezogenheit zu
fassen" hat [Adorno (13), S. 274].
196 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

5. Die Verwechslung des "ich denke" mit dem objektivierten "Ich, das denkt"
erhellt zugleich eine weitere These Adornos: Die ursprüngliche Apperzeption
sei "(...) nicht weniger verdinglicht als die nach dem Modell der Naturwissen-
schaften konstituierte Dingwelt." Dieser These einer dinglichen Apperzep-
tion entspricht die ihrer Passivität: "Mit dieser Bestimmung durch bloße Zu-
gehörigkeit (der bestimmten Vorstellungsinhalte zu einem bestimmten Ich, B.)
wird das Ich denke selber bereits zu einem Passivischen, völlig unterschie-
den von der aktiven Reflexion auf ein 'Mein'."
Hier sei lediglich an die Ausführungen Kants erinnert, denen zufolge die
Apperzeption einen "Actus der Spontaneität" darstellt. Ober die Ursachen
von Adornos Mißverständnis können nur Vermutungen angestellt werden. Insbe-
sondere eine Überlegung scheint seines Erachtens dafür zu sprechen, die Ap-
perzeption dinglich zu deuten: Es müsse "(...) die anscheinend schlechter-
dings antidingliche, lebendige Substanz dieser Philosophie, die Subjektivität
selber eigentlich erst einmal verdinglicht, zu einer statischen, allgemeinen,
generellen Bestimmung nach dem Muster des Dinges zugerichtet werden ( . . . ) ,
damit sie überhaupt das leisten kann, was sie leisten soll, nämlich die Be-
Stimmung des Dinges als eines Bleibenden, dem stetigen Wechsel Enzogenen." 47
Die Argumentation wirft mindestens drei Bedenken auf:
a) Adorno setzt "statisch" und "allgemein" gleich - als ob ein Allgemeines
notwendig statisch sein müßte.
b) Entsprechend seinem Mißverständnis des synthetischen Konstitutionscha-
rakters der kategorialen Funktion 48 reduziert er die Aufgabe der Apperzeption
auf eine empirische Reidentifikation ("Bestimmung des Dinges als eines Blei-
benden" ).
c) Es ist nicht einsichtig, inwiefern diese Aufgabe nur von einem statisch
Dinggleichen erfüllt werden kann. Um ein Ding als bleibend zu bestimmen,
d.h. eine bestimmte Vorstellung in sich verändernden Vorstellungskomplexen
des Bewußtseinsstromes wiederzuerkennen, bedarf es zunächst eines Zusammen-
hang und Durchgängigkeit ermöglichenden und selbst durchgängigen Prinzips im
Weltbewußtsein: des be- und geleitenden Selbstbewußtseins der ursprünglichen
Apperzeption. Zwar ist auch etwas Beharrliches, Statisches erforderlich, um
44 Adorno ( 5 ) , S. 753
45 Adorno ( 5 ) , S. 600
46 Kant (147), B 132
47 Adorno (13), S. 222. Vgl. auch ( 7 ) , S. 272
48 Vgl. Kap. 3.4.3.2.1, Nr. 2
Deutung des "ich denke" 197
Dauer und Wechsel feststellen zu können, aber dieses Beharrliche - hier ist
an die erste Analogie zu denken - ist nicht die Apperzeption. Diese ist viel-
mehr das, was die Beziehung des als bleibend zu bestimmenden Dinges auf das
Beharrliche allererst ermöglicht.
6. Ist die ursprüngliche Apperzeption derart zu einem Statisch-Dinglichen
verfestigt, dann berührt das unweigerlich das Verständnis ihres Einheitscha-
rakters. Diesen bezeichnet Kant als "transzendentale Einheit des Selbstbe-
wußtseins". Sie ist synthetisch und wird im Ausdruck "ursprünglich syntheti-
AQ
sehe Einheit der Apperzeption" zusammenfassend bestimmt. Die "durchgängige
Identität der Apperzeption, eines in der Anschauung gegebenen Mannigfalti-
gen" 50 ist nach Kant die Identität des Selbstbewußtseins (nicht in der Vor-
stellungswelt, sondern) in einem Komplex von Anschauungen. Die durchgängige
Einheit der Apperzeption ist kein fixiert statisches Prinzip, sondern ein
aktmäßig aktualisiertes (nicht prozessual) durchgehendes Prinzip. Nur so
kann der Zusammenhang des Mannigfaltigen als konstitutive Bedingung der Einen
Erfahrung synthetisch hergestellt werden. Diese Einheit bezeichnet die kon-
stitutive Funktion des apperzeptiven Spontaneitätsbewußtseins im Weltbewußt-
sein. Weder ist mit dieser durchgängigen Einheit der Apperzeption die numeri-
sche "Identität der Person" gemeint, noch folgt diese aus jener analytisch,
wie Kant in der Paralogismenlehre nachweist. Auch ist die transzendentale
Einheit des Selbstbewußtseins nicht auf den Begriff der Einheit zu beziehen,
der neben Vielheit und Allheit in die Klasse der Quantitätskategorien fällt.
Vielmehr ist sie als "qualitative" "höher" anzusiedeln, "(...) nämlich in
demjenigen, was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urtei-
len, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Ge-
brauche, enthält." 5 2
Adorno jedoch deutet die Einheit der Apperzeption als die des Ichs. Ent-
sprechend seiner Verdinglichung der Apperzeption stellt er fest: "Das Feste
des erkenntnistheoretischen Ichs, die Identität des Selbstbewußtseins ist
ersichtlich der unreflektierten Erfahrung des beharrenden, identischen Ob-
jekts nachgebildet" 53 . Als Nachbildung eines (numerisch) "identischen Ob-
jekts" wäre die Einheit der Apperzeption in der Tat ein "Festes". Indessen
ist sie die Bedingung sowohl für die Möglichkeit einer "Erfahrung des behar-
49 Kant (147), B 131 ff
50 Kant (147), B 133
51 Kant (147), B 408
52 Kant (147), B 131
53 Adorno ( 5 ) , S. 755
198 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

renden, identischen Objekts" als auch dafür, daß auf der Grundlage dieser
"Erfahrung" dem Objekt Überhaupt etwas "nachgebildet" werden kann.
Des weiteren sei die Einheit der Apperzeption eine "allgemein vorgezeich-
nete Einheit" , das "transzendentale Subjekt" eine (formierte, weil dingli-
che) "Form" 55 , seine Einheit ein "Bezugspunkt", "in" den - entsprechend der
Passivität eines Dinges - "(...) das Mannigfaltige fällt" 5 6 . Adorno scheint
also die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption als eine Art
Gefäß ("Rahmen" ) zu deuten, in das das Mannigfaltige als Material hinein-
fällt (nicht hineingefüllt wird !). Dieses Bild gibt auch genau die Annahme
einer Apperzeption ohne perceptiones wieder.
7. Die simplifizierende Verdinglichung der apperzeptiven Einheit hat weite-
re Konsequenzen: Hinsichtlich des in sie fallenden Materials sei sie "zwang-
CQ
vollen Wesens" . Der Idealismus reduziere alles "auf die absolute Einheit
des Ich denke" . "Die Identität des Geistes mit sich selber, die nachmalige
synthetische Einheit der Apperzeption, wird durchs bloße Verfahren auf die
Sache projiziert und zwar desto rücksichtsloser, je sauberer und stringenter
es sein möchte. Das ist die Erbsünde der prima philosophia. Um nur ja Konti-
nuität und Vollständigkeit durchzusetzen, muß sie an dem, worüber sie ur-
teilt, alles wegschneiden, was nicht hineinpaßt."
Um in dem Bild zu bleiben: Was in das Gefäß nicht "hineinpaßt", wird abge-
schnitten. Nur: »er schneidet ab ?
Auch ist es nicht einzusehen, weshalb die apperzeptive Einheit als Durch-
gängigkeit des Apperzipierens nötigend wirken soll. Eine derartige These wird
für sich betrachtet nur von der zugrundeliegenden verdinglichten Vorstellung
Adornos her verständlich. Diese allerdings und die damit einhergehende candeu-
tungr der transzendentalen Konstitutionstheorie in eine Subsumtions-r Reduk-
tions- und Identifikationstheorie entsprechen genau der Bestimmung der kate-
gorialen Konstitutionsleistung als "Deformation" 61 eines schon Konstituier-
ten, der Transzendentalphilosophie als Theorie der Macht (vgl. 3.4.3.2.1).

54 Adorno ( 7 ) , S. 157
55 Adorno ( 7 ) , S. 141
56 Adorno ( 1 1 ) , S. 143
57 Adorno ( 7 ) , S. 288
58 Adorno ( 7 ) , S. 221
59 Adorno ( 1 4 ) , S. 37
60 Adorno ( 1 4 ) , S. 18
61 Adorno ( 5 ) , S. 752
Deutung des "ich denke" 199

Die Frage drängt sich auf, wie Adorno diese Nötigung des Materials durch
die Einheit des Selbstbewußtseins und ihre Weisen der Vereinigung (die Kate-
gorien) erklärt.
8. Die Antwort Adornos beinhaltet wesentlich soziologische und geschichts-
theoretische Überlegungen. Indem er das "Transzendentale" in seine Geschichts
kosmogonie integriert, es auf den Kampf-der menschlichen Gattung um Selbster-
haltung bezieht, erblickt er in der Transzendentalphilosophie nicht bloß ein
leeres Gedankengebäude, sondern auch ein relatives Wahrheitsmoment. Sie sei
wahrer Ausdruck eines falschen Zustandes. Diese soziologisch gesellschafts-
kritische Deutung des "Transzendentalen", die schon in Horkheimers program-
matischem Aufsatz 'Traditionelle und kritische Theorie 1 (1937) skizziert
CO
ist , wirft zwei Fragen auf: a) Wie ist das relative Wahrheitsmoment zu
konkretisieren ? b) Wie wahr ist dieses Wahrheitsmoment ?
ad a) Die Transzendentalphilosophie drückt nach Adorno die gegenwärtige
vorgeschichtliche Verfassung der Menschheit aus, die Nivellierung des Indi-
viduellen durch das Abstrakt-Allgemeine der gesellschaftlichen Realität.
"Träger" des logisch-allgemeinen, erkenntnistheoretischen Subjekts sei die
"Gesellschaft" . Die scheinbare Macht des transzendentalen Subjekts enthal-
te "jenes Wahre der vorgängigkeit der Gesellschaft vorm Einzelbewußtsein und
all seiner E r f a h r u n g " . Die vorgebliche "Festigkeit" des transzendentalen
Bewußtseins spiegele die Falschheit der Tauschgesellschaft, sei "die Refle-
xionsform der im gesellschaftlichen Verhältnis objektiv vollzogenen verding-
lichung der Menschen" 65 . Das Moment der *onstitutivität verweise auf die Ab-
hängigkeit des Individuums in bezug auf die "Möglichkeit seiner Existenz" von
der Gesellschaft, vom "Allgemeinen" . Die "gesellschaftliche Arbeit" sei das
"(...) Geheimnis, das hinter der synthetischen Apperzeption sich versteckt
und sie hinaushebt über die bloße w i l l k ü r l i c h e Hypostasis des abstrakten Be-
griffs" . Das allgemeine, die empirisch-psychologischen Einzel Subjekte über-
steigende Moment von Erkenntnis verweise auf den "Begriff der gesellschaftli-
chen Arbeit". In dieser drücke sich "eine Art von Nivellierung, eine Art von
Abschleifung" aus, "(...) durch die die einzelnen Arbeitsakte und durch die
vor allem die Produkte dieser Arbeitsakte (...) miteinander kommensurabel

62 Vgl. Horkheimer (123), S. 24 f


63 Adorno (14), S. 35 (Hervorhebung B.)
64 Adorno ( 7 ) , S. 182 (Hervorhebung B.)
65 Adorno ( 5 ) , S. 745 (Hervorhebung B.)
66 Adorno ( 5 ) , S. 746
67 Adorno (14), S. 765 (Hervorhebung B.)
200 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

werden" 68 . Die logische Allgemeinheit habe " ( . . . ) genetisch also außerordent-


lich viel zu tun mit dem gesellschaftlichen Vorgang einer gesellschaftlich
geregelten (...) Produktion, die in der Tat die bloß subjektive Tätigkeit re-
gelt, und von der alle, und auch die geistige Arbeit des Subjekts, gewisser-
maßen einen bloßen Reflex bildet." 69 Ist derart das transzendentale Subjekt
der durch die gesellschaftliche Arbeit nivellierte und verfestigte Teil des
konkret empirischen Menschen, dann gilt: "Das Mehr des transzendentalen ist
das Weniger des selbst höchst reduzierten empirischen Subjekts." Da Adorno
die Entstehung der Gesellschaft primär auf den Kampf der Gattung um Selbst-
erhaltung zurückführt und da "(...) sich das transzendentale Subjekt als die
ihrer selbst unbewußte Gesellschaft dechiffrieren" läßt, erblickt er auch
einen Zusammenhang zwischen dem transzendentalen Subjekt und dem Prinzip der
Selbsterhaltung: "Seit Spinoza war der Philosophie, in wechselnder Deutlich-
keit, die Identität von Selbst und Selbsterhaltung bewußt. Was in der Selbst-
erhaltung sich behauptet, das Ich, wird durch diese zugleich konstituiert,
seine Identität durch sein Nichtidentisches. ( . . . ) Das Kantische Ich denke
ist einzig der abstrakte Bezugspunkt eines Prozesses von sich Durchhalten,
nichts ihm gegenüber Selbständiges; insofern bereits Subjekt als Selbster-
haltung." Der ausgeübte zwang des transzendentalen Subjekts wäre demnach
durch die Art und Weise der Selbsterhaltung, den Kampf der Gattung um Da-
seinsfristung bedingt: "Die Bestimmung des Transzendentalen als des Notwen-
digen (...) spricht das Prinzip der Selbsterhaltung der Gattung aus."
Zusammenfassend bezieht Adorno folgende Momente aufeinander: aa) transzen-
dentales Subjekt - Gesellschaft, bb) Macht des transzendentalen Subjekts -
Vorgängigkeit der Gesellschaft vorm Individuum, cc) Festigung des transzen-
dentalen Bewußtseins - Verdinglichung des Menschen, dd) Konstitutivität -
Abhängigkeit des Individuums von der Gesellschaft, ee) Synthesis von etwas -
Arbeit an etwas, ff)Allgemeinheitsmoment der Erkenntnis - Gesellschaftlich-
keit der Arbeit, gg) Nötigung des Gegebenen durch die Apperzeption - Kampf
der Gattung ums Oberleben (Prinzip der Selbsterhaltung).

68 Adorno (13), S. 265 (Hervorhebung B ) . Vgl. (13), S. 79 f


69 Adorno (13) , S. 265 f
70 Adorno ( 7 ) , S. 180
71 Adorno ( 7 ) , S. 179
72 Adorno ( 7 ) , S. 503
73 Adorno ( 7 ) , S. 180
Deutung des "ich denke" 201

ad b) Der mehrfache ontologische Reduktionismus, der sich umdeutungen und


vagen Analogien verdankt, soll nicht im einzelnen diskutiert werden. Seine
Problematik wird z.B. daran greifbar, daß die Bestimmung der logischen A l l -
gemeinheit als eines "bloßen Reflex(es)" der gesellschaftlichen Organisation
von Arbeit die Annahme impliziert, daß außerhalb eines Zustandes gesell-
schaftlich geregelter Arbeit keine logische Allgemeinheit gilt. Zudem ist
schwerlich einsichtig zu machen, wie Arbeit gesellschaftlich organisiert
werden kann, ohne logische Allgemeinheit vorauszusetzen.
Wichtiger für die Ausgangsfrage - wie Adorno das nezessitierende Moment
des "ich denke" erklärt - ist die in die transzendentale Problematik einge-
brachte Kategorie der Selbsterhaltung. Zufolge dieser neuen Bestimmung wird
das "ich denke" dechiffriert als das Ich, das sich zwecks Selbsterhaltung
einer gesellschaftlich geregelten und seine Individualität nivellierenden
Arbeit unterwerfe und durch diese Arbeit das Objekt nötige. Diese konkreti-
sierte Bestimmung verweist auf die eingangs skizzierte Geschichtstheorie
Adornos: Geschichte wird unter der Kategorie der Selbsterhaltung begriffen,
Selbsterhaltung als Unterdrückung (das Besondere eliminierend) gedeutet,
Subjektivität und Herrschaft werden zusammengedacht: "Das Erwachen des Sub-
jekts wird erkauft durch die Anerkennung der Macht als des Prinzips aller
Beziehungen." Von seinem geschichtstheoretisehen Ansatz her handelt Adorno
also nur konsequent, wenn er die bezeichneten Motive in der philosophischen
Konzeption von Subjektivität nachzuweisen sucht. Das transzendentale Selbst-
bewußtseinsprinzip drücke demnach die zwangshafte Selbsterhaltung in der vor-
geschichtlichen Geschichte aus.
Indessen ist diese Wahrheit des "ich denke" als Widerspiegelung der Falsch-
heit von Geschichte das Ergebnis eines (mindestens) doppelten Mißverständnis-
ses: aa) Die Leistungen der Apperzeption sind nicht nötigend, eben weil sie
als transzendentale konstituierend sind, bb) Das "ich denke" hat nichts mit
einem sich selbstbehauptenden "Ich" zu tun, es meint nicht, "(...) daß ein
Ich in all seinen Erfahrungen als dasselbe sich erhalte." Die Deutung der
Identität qua Durchgängigkeit der transzendentalen Apperzeption als ein sich
selbsterhaltendes Subjekt legt den Begriff der numerischen Identität zugrun-
de, d.h. den der Identität einer Person in verschiedenen Zeiten.

74 Vgl. Kap. 2.2


75 Adorno ( 2 ) , S. 25
76 Adorno ( 7 ) , S. 145 Anm. Vgl. (11), S. 118
77 Vgl. Kant (147), B 402, 408
202 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

Kant jedoch weist in der Paralogismenlehre nach, daß "ohnerachtet der logi-
schen Identität des Ich" die "numerische Identität meines Subjekts" nicht
gewährleistet ist, da in diesem "(...) ein solcher Wandel vorgegangen sein
kann, der es nicht erlaubt, die Identität desselben beizubehalten" 78 .
Indem aber derart die transzendentale Apperzeption nicht das ihr zugespro-
chene Wahrheitsmoment besitzt, muß dieses anders gelagert sein. Die Richtung
ist schon vorgezeichnet: Da Kants Konzeption von Subjektivität offensichtlich
nicht unter den von Adorno kritisierten Subjektsbegriff subsumiert werden
kann, stellt sie zugleich subjektstheoretische Kategorien zur Verfügung, die
Adornos Desiderat eines positiven Subjektsbegriffs füllen und die ihm da-
durch entstehenden Schwierigkeiten bewältigen könnten.
9. Die transzendentale Apperzeption wird nicht nur gesellschaftskritisch,
sondern auch psychoanalytisch dechiffriert. Schon bei der Betrachtung der
Deutung des intelligiblen Charakters zeigte sich, daß Adornos Verständnis
79
von Subjektivität wesentlich durch Freudsche Vorstellungen geprägt ist.
Dies führt unter anderem in seiner ersten Habilitationsschrift zu der Ent-
gegensetzung "von transzendentaler Bewußtseinsphilosophie und Philosophie
80
des Unbewußten" . Derart wird das "ich denke" nicht nur zu einem nötigen-
den und numerisch sich erhaltenden, sondern auch zu einem bewußten "Ich,
das denkt" umgedeutet. Das epistemologische Ich als "konstitutive Bedingung
aller Erkenntnis" sei in der Bedeutung zu nehmen, in der "(...) es auch von
der modernen Tiefenpsychologie gebraucht wird, nämlich im Sinne der vernünf-
tigen, bewußten Instanz, die dem diffusen, triebmäßigen Unbewußten ihrer-
81
seits gegenübersteht." Das "ich denke" sei die sich im Kampfe der Gattung
um Daseinsfristung durch Abzweigung eines Triebenergiequantums herausgebil-
82
dete "Ich-Instanz" des Bewußtseins. Nur konsequent ist es, wenn Adorno zu-
folge dieser Konfundierung von Transzendentalphilosophie und Psychologie das
Theorem einer Einheit des (Selbst-)Bewußtseins widerlegt sieht: "Wir sind
deshalb nicht berechtigt, von einer E i n h e i t des Ichs ungebrochen (...) zu
reden ( . . . ) , weil in W i r k l i c h k e i t dieses Ich sich psychödynamisch aus einan-
der entgegengesetzten Kräften, also aus den Kräften des Unbewußten, des nicht
Bewußten oder des verdrängten Triebes und andererseits dem Ich (...) zusam-
mensetzt, und diese Komplexität, (...) dieser antagonistische Charakter,
78 Kant ( 1 4 7 ) , A 363
79 Vgl. Kap. 4 . 2 . 2 . 2 , Nr. 2
80 Adorno ( 9 ) , S. 88
81 Adorno ( 1 3 ) , S. 101
82 Adorno (13), S. 101
Deutung des "ich denke" 203
den das Ich in sich selbst besitzt, dieser Charakter führt eben dazu, daß wir
von einer Einheit in einem strengen Sinn nicht reden können." Dies sei durch
die "erkenntnistheoretisch außerordentlich bemerkenswerte und relevante Tat-
sache" der "Schizophrenie" 83 empirisch verifiziert.
Nicht zu bestreiten ist Adornos psychologische These als solche, wohl aber
ihre Bedeutung für die transzendental philosophische Subjektskonzeption:
a) Das "ich denke" ist keine verfestigte "Ich-Instanz", denn diese kann
sich allererst mittels des "ich denke" ausbilden.
b) Der Bewußtseinsmodus des "ich denke" ist nicht mit dem des "Ichs" iden-
tisch, das das triebhafte "Es" bändigt. Das psychoanalytische "Ich" ist ein
Prinzip des Bewußtseins und dem Unbewußten des "Es" entgegengesetzt. Jenes
ist bewußt und soll nach Freud das Unbewußte zurückdrängen: "Mo Es war, soll
Ich werden." 84 Demgegenüber ist das transzendentale "ich denke" zwar auch
ein Prinzip des Bewußtseins - es ist das für jegliches Weltbewußtsein kon-
stitutive Selbstbewußtsein -, aber weder ist es dem Unbewußten entgegenge-
setzt, noch soll es dieses bewußt machen. Es ist nicht bewußt, kann aber be-
wußt sein. Das "ich denke" ist ein Bewußtseinsprinzip, aber kein notwendig
bewußtes Bewußtseinsprinzip. Als konstitutiv für jegliches Weltbewußtsein
ist es zwar je schon aktualisiert, aber deshalb nicht zugleich hauptthema-
tisch, sondern möglicherweise,und zwar vornehmlich,nur nebenthematisch. Der
Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenthematizität entspricht Kants Theo-
rie des Bewußtseins, derzufolge "(...) es unendlich viele Grade des Bewußt-
seins bis zum Verschwinden (gibt)." 85 Diese Auffassung verweist auf Leibniz,
der vor Freud die erkenntnistheoretische Bedeutung des Nichtbewußten erfaßte
und mit dieser Erkenntnis auf Kant wirkte. 86
Für Kant gilt: "Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten
können" 87 . Adornos oben dargelegte falsche Zitation spiegelt sein psycholo-
gisches Mißverständnis wider: Da die psychoanalytische "Ich-Instanz" bewußt
ist und das Unbewußte zurückdrängen soll, wird aus dem "ich denke" ein Ich,
OQ
"(...) das alle meine Vorstellungen begleiten s o l l " .

83 Adorno ( 1 3 ) , S. 115 f. Vgl. (13), S. 98 f


84 Freud (73), S. 516
85 Kant (147), B 415 Anm.
86 Vgl. Leibniz (168), XXI. Die von Leibniz herausgestellte Bedeutung des
Nichtbewußten wird von Kant [(136), S. 135 ff] anerkannt.
87 Kant (147), B 131
88 Adorno (10), S. 178? (13), S. 324
204 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß das tranzendentale Prinzip des


"ich denke" die psychologische Dimension sowohl des Bewußten als auch des
Unbewußten umgreift. Der von der Psychoanalyse herausgestellte Antagonismus
liegt oberhalb der transzendentalen Problematik. Nicht die Psychoanalyse ist
unmittelbar relevant für die Transzendentalphilosophie, sondern umgekehrt:
Diese begründet die Psychoanalyse und ihre Therapie, indem sie sowohl die Be-
dingungen der Möglichkeit von Psychoanalyse als auch das Bindeglied zwischen
dem Bewußten und dem Unbewußten formuliert:Eine Freilegung des Unbewußten ist
nur möglich, wenn die Durchgängigkeit der apperzeptiven Einheit, des alle
meine Vorstellungen grundsätzlich begleiten könnenden "ich denke" gewähr-
leistet ist. Ontologisiert man jedoch das "ich denke" zum bewußten "Ich, das
denkt", dann ist die Einsicht in dieses Begründungsverhältnis des Psycholo-
gischen durch das Transzendentale verstellt. Adornos Versuch, Freud gegen
Kant auszuspielen, scheitert im Grundsätzlichen. Dies aber wird Konsequenzen
für Adornos alternative Subjektskonzeption haben.
10. Das Verständnis des transzendentalen Selbstbewußtseinsprinzips als ob-
jektiviertes "Ich, das denkt" erklärt nicht nur die Soziologisierung (das
transzendentale Subjekt als die ihrer unbewußte Gesellschaft) und Psycholo-
gisierung (das transzendentale Subjekt als "Ich-Instanz" des Bewußtseins).
Die Umdeutung der transzendentalen Bestimmungen erhellt auch den Vorwurf,
das neuzeitliche Problem des bei Descartes anhebenden psychophysisehen Dua-
lismus setze sich über die gescheiterten parallelistischen, okkasionalisti-
schen und monadologisehen Lösungsversuche bis hin zu Kant fort: Bei ihm blei-
be "(...) die Vermittlung des Geistes, also die Vermittlung jener konstitu-
tiven Fähigkeit der Erkenntnis gegenüber dem einzelmenschlichen realen Be-
wußtsein, von dem sie doch wegabstrahiert ist, vollkommen unartikuliert und
RQ
vollkommen offen."
Die Ontologisierung des "ich denke" zeigt sich hier zunächst in der Deutung
desselben als "Geist", den Adorno vermutlich als ein substanzhaftes Subjekt
faßt. Dieses Mißverständnis bedingt, daß ihm die "konstitutive Fähigkeit der
Erkenntnis" zu einer solchen "gegenüber dem einzelmenschlichen realen Bewußt-
sein" wird. Vielmehr jedoch ist die bezeichnete "Fähigkeit" eine des einzel-
menschlichen Bewußtseins. Derselbe Irrtum drückt sich auch in der These aus:

89 Adorno (13), S. 88. Vgl. Kants Ausführungen zum psychophysischen Dualis-


mus: Kant ( 1 4 7 ) , B 427 f, A 384 ff
Deutung des "ich denke" 205

"Die transzendentale Deduktion mündet in der Vernunft als absolutem Sein" QO .


Oder kritisch gewendet: Das transzendentale Subjekt besitze "keine ontologi-
sche Priorität" 9 1 , es sei "das ontologisch nicht Erste" . Eine "ontologi-
sche Priorität", also eine solche gegenüber dem Real-Ontischen, eine "Ablö-
sung" der Apperzeption "von jedem lebendigen Ich" 93 wird von Kant nicht be-
hauptet, sondern gerade in der Paralogismenlehre kritisiert. Auch besteht
94
keine "ontologische Differenz" zwischen dem "Gegebenen" und dem transzen-
dentalen Subjekt, dieses gehört keineswegs einer anderen "Sphäre" 95 an.
Diese Vermutung Adornos belegt vielmehr die phänomenologische Verzerrung
Kants, denn Husserl postuliert in der Tat das nach dem Reduktionsverfahren
der "transzendentalen epoche" verbleibende "reine Bewußtsein" als eine "ab-
solute Seinssphäre", eine "Seinssphäre absoluter Ursprünge" . Von hierher
wird auch die Kantische Konzeption nicht von dem Vorwurf getroffen, die
"idealistische Konstruktion des Subjekts" scheitere "(...) an seiner Ver-
wechslung mit einem Objektiven als einem Ansichseienden, das es gerade nicht
ist: nach dem Maß des Seienden ist Subjekt zur Nichtigkeit verurteilt." 97
QO
Durchaus konsequent ist es, wenn Adorno das Problem der "Vermittlung" zwi-
schen einem ontologischen "ich denke" und einem ontischen Bewußtsein aufge-
worfen sieht. Die Unterstellung eines "Platonismus" bietet sich an: "Kants
Platonismus - im Phaidon war die Seele ein Idee-Ähnliches - wiederholt er-
kenntnistheoretisch die eminent bürgerliche Affirmation der persönlichen Ein-
heit an sich auf Kosten ihres Inhalts" 99.
Indessen entbehrt die Bezugnahme auf Platons 'Phaidon 1 nicht einer gewissen
Ironie: Einem 'Phädon', nämlich dem des mit ihm befreundeten Berliner Auf-
klärungsphilosophen Moses Mendelssohn, widmete Kant in kritischer Absicht
einen eigenen Abschnitt in der 1787 neu gefaßten Paralogismenlehre.
Das aber weist auf den entscheidenden Punkt hin, der die nun an einzelnen
Bestimmungen verifizierte These zusammenfassend verdeutlicht: Adornos Inter-
90 Adorno (14), S. 38
91 Adorno ( 7 ) , S. 213. Vgl. ( 7 ) , S. 186. Vgl. kritisch dazu auch Ritzel
(236), S. 258 und Düver (52), S. 79 f
92 Adorno (14) , S. 37
93 Adorno ( 7 ) , S. 98
94 Adorno ( 1 4 ) , S. 147
95 Adorno ( 7 ) , S. 197
96 Husserl (129), S. 72 f, 135
97 Adorno (5), S. 756
98 Adorno (13), S. 88
99 Adorno ( 7 ) , S. 288
100 Vgl. Kant (147), B 413 ff. Vgl. zu Kants Paralogismenlehre Jansohn (131),
S. 41 - 90; Heimsoeth (108), S. 71 - 198
206 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

pretation des transzendentalen Bewußtseinsprinzips "ich denke" als objekti-


viertes "Ich, das denkt" beruht auf einem Irrtum, der einem transzendentalen
Paralogismus vergleichbar ist. Dieser ist nach Kant durch den "Mißverstand"
verursacht, daß "(...) die Einheit des Bewußtseins, welche den Kategorien zum
Grunde liegt, ( . . . ) hier für Anschauung des Subjekts als Objekts genommen,
und darauf die Kategorie der Substanz angewandt (wird)."
Die "Anschauung des Subjekts als Objekts" zeigt sich darin, daß sich Adorno
nicht auf das "ich denke", sondern auf ein bestimmtes Ich bezieht. Dieses
wird nicht nur als vom Material getrennt gedacht und als "Rahmen" bezeichnet,
sondern explizit als dinglich, fest und passiv charakterisiert. Die Anwen-
dung der "Kategorie als Substanz" aber druckt sich in der zugrundeliegenden
Vorstellung des "ich denke" als eines Gefä'ßes aus und in der These einer
Fortsetzung des psychophysischen Dualismus, bei der das cogito zur res co-
gitans hypostasiert wird.
Allerdings ist ein wesentlicher Unterschied zwischen dem von Kant kriti-
sierten Paralogismus und Adornos Irrtum zu beachten: Wendet sich Kant gegen
die vier Paralogismen der psychologiae rationales, so ist Adornos Mißverständ-
nis eines der empirischen Psychologie. Explizit wird dies, wenn er sich mit
H i l f e psychoanalytischer Kategorien um ein Verständnis der transzendentalen
Apperzeption bemüht.
Dem trotz seiner Vielzahl von Einzelbestimmungen einheitlichen Ergebnis
stellt sich ein Bedenken entgegen: Der Schlüssel zu Adornos Kant-Verständnis
kann erst durch den Nachweis endgültig überzeugen, daß nicht nur die ursprüng-
lich synthetische Einheit der Apperzeption, sondern auch die Paralogismenleh-
re selbst mißverstanden wird.
11. Die Psychologie, deren Objekt die Seele ( I c h als Gegenstand des inneren
Sinnes) ist, teilt Kant im Anschluß an Christian Wolff in die rationale
und die empirische Seelenlehre. Letztere muß nach Kant "(...) jederzeit vom
Range einer eigentlich so zu nennenden Naturwissenschaft entfernt bleiben,
( . . . ) weil Mathematik auf die Phänomene des inneren Sinnes und ihre Gesetze
nicht anwendbar ist", sie ist "eine Naturbeschreibung, aber nicht Seelenwis-
senschaft" 103 . Die rationale Psychologie hingegen ist eine "angebliche Wis-

101 Kant ( 1 4 7 ) , B 421 f


102 Vgl. zu der von Christian Wolff getroffenen Unterscheidung zwischen der
rationalen und empirischen Psychologie: Dilthey ( 4 9 ) , S. 154
103 Kant (149), S. 471
Deutung des "ich denke" 207
senschaft", die beansprucht, überempirische Erkenntnisse der Seele zu besit-
zen. Ihr "alleinige(r) Text" ist das "ich denke", "(...) aus welchem sie ih-
re ganze Weisheit auswickeln soll." Ihr Verfahren beruht auf einem trans-
zendentalen Paralogismus, in dem " ( . . . ) die logische Erörterung des Denkens
überhaupt (...) fälschlich für eine metaphysische Bestimmung des Objekts ge-
halten (wird)." 1 0 5
Adorno nun versteht Kants Kritik dahingehend, daß aus dem "ich denke", die
sem " ( . . . ) für alles Sein und alles Bewußtsein notwendig vorausgesetzten
Prinzip Ich als Subjekt die Existenz von bestimmten Ichen als Objekt, also
mit anderen Worten, das empirische Dasein eigentlich gar nicht folge."
Die psychologia rational is hat es jedoch nicht mit "bestimmten Ichen als
Objekt", dem "empirische(n) Dasein" zu tun. Noch befremdlicher ist Adornos
Wiedergabe der Begründung von Kants Kritik: "Soweit ich nämlich von meinem
Ich als einem inhaltlichen konkreten rede, ist es, nämlich als Gegenstand
der empirischen Psychologie, genauso ein empirisches Objekt wie alle anderen
Objekte im Raum und in der Zeit auch und hat gar keine Vorzugsstellung, und
nur das reine Prinzip der transzendentalen Apperzeption .also das 'ich denke 1
hat eben diese Vorzugsstellung und ein absolutes Sein dieses empirischen
Ichs, also etwa seine Unsterblichkeit (...) kann zwar auch nicht negiert
werden, weil das ja selbst wieder eine Aussage über das Absolute wäre, die
uns verschlossen ist, aber es kann auch dem Kapitel von (den, B.) Paralogis-
men zufolge nicht positiv gelehrt werden."
Es ist zwar richtig, daß ein "absolutes Sein" (wie die Unsterblichkeit der
Seele) zufolge der Paralogismenlehre "nicht positiv gelehrt werden" kann.
Dies bleibt der Postulatenlehre vorbehalten. Entscheidend aber ist, daß eine
solche "Aussage" nicht deshalb unmöglich ist, weil es eine "über das Absolu-
te wäre", sondern weil das Verfahren der psychologiae rational is paralogi-
stisch ist, sie die "logische Erörterung des Denkens überhaupt" mit einer
"rnetaphysische(n) Bestimmung des Objekts" verwechselt. Genau diese Konfun-
dierung jedoch kann Adorno vom Standpunkt eines phänomenologisehen Ontolo-
gismus aus nicht erfassen.
Es ist nur konsequent, wenn Adorno in seiner ersten Habilitationsschrift
über den 'Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre 1 , die
104 Kant (147), B 400 f
105 Kant (147), B 409
106 Adorno (13), S. 323
107 Adorno (13), S. 323
208 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

noch explizit auf dem Boden einer sogenannten "transzendentalen Phänomene!o-


gie" steht, das Kantische Theorem eines nicht in der Anschauung als Objekt
108
gegebenen "ich denke" kritisiert: Mit der "Vorstellung des Ich denke" sei
109
"notwendig 'Anschauung verbunden" 1 . Gerade dieses aber erkennt Kant als
"Mißverstand der rationalen Psychologie": "Die Einheit des Bewußtseins, wel-
che den Kategorien zum Grunde liegt, wird für die Anschauung des Subjekts als
Objekts genommen" 110 .
Ebenfalls nur konsequent ist Adornos Verschiebung der Problemstellung der
Paralogismenlehre: Da er nicht zwischen den Bestimmungen des "ich denke"
(als Gegenstand der Transzendentalphilosophie) und der Seele (als Gegenstand
der rationalen Psychologie) unterscheidet, setzt er die Paralogismen an der
Differenz zwischen dem "ich denke" / "Ich" einerseits und dem empirisch kon-
kreten Ich als Objekt der empirischen Psychologie andererseits an. Kant bemü-
he sich darum, " ( . . . ) eine grundsätzliche, konstitutionshierarchische Ver-
schiedenheit des transzendentalen vom empirischen Subjekt im Kapitel von den
psychologischen Paralogismen zu entwickeln" . Indessen geht es in der Pa-
ralogismenlehre nicht um diese "konstitutionshierarchische Verschiedenheit",
sondern um den Nachweis der Differenz von Transzendentalphilosophie und ra-
tionaler Psychologie.
Das grundlegende, aber konsequente Mißverständnis der Paralogismenlehre be-
stätigt damit indirekt die ontologische, einem Paralogismus vergleichbare
Umdeutung des transzendentalen "ich denke". Zugleich zeigt sich der überle-
gene Weitblick Kants, wenn er schreibt: "Gleichwohl ist nichts natürlicher
und verführerischer, als der Schein, die Einheit in der Synthesis der Gedan-
ken vor eine wahrgenommene Einheit im Subjekte dieser Gedanken zu halten." 112
Genau diesem Schein verfällt Adorno.
12. Der bisherige Gedankengang kann wie folgt zusammengefaßt werden: Um
Adornos Zentralthese eines reziproken Bedingungsverhältnisses von Konstituens
und Konstitutum angemessen beurteilen zu können, ist zunächst seine Deutung
des transzendentalen Selbstbewußtseinsprinzips zu entwickeln. Es zeigt sich,
daß Adorno das vorwiegend von ihm falsch zitierte "ich denke" zum "Ich, das
denkt" ontologisiert. Dem entspricht nicht nur die im weiteren Sinne phäno-

108 Vgl. Kant (147), B 157, 411


109 Adorno ( 9 ) , S. 166
110 Kant (147), B 421 f
111 Adorno ( 5 ) , S. 744
112 Kant (147), A 402
Deutung des "ich denke" 209

menologische Methode, sondern auch die Bezugnahme auf die psychologische Tat-
sache der Zugehörigkeit bestimmter Vorstellungsinhalte zu einem bestimmten
Ich (als vorgeblicher "Grundschicht" der ursprünglichen Einheit der Apper-
zeption) statt auf die transzendentale Bedingung von Vorstellungen, " ( . . . )
unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammen stehen
können". Zum objektivierten Ich geworden - verwandelt sich die Apperzeption
für Adorno in eine solche ohne Perzeptionen. Seine Kritik dieser Auffassung
geht also auf das eigene Mißverständnis. Auch das Moment der Ursprünglichkeit
der transzendentalen Apperzeption wird nicht von Adornos Kritik getroffen,
da diese,abgesehen von weiteren Mängeln, die ontologische intentio recta mit
der transzendental philosophischen intentio obliqua verwechselt. Aufgrund der
ontologischen Objektivierung des "ich denke" zum "Ich, das denkt" konkreti-
siert Adorno die transzendentale Apperzeption als dinglich und passiv. Sie
wird so zu einer Art Gefäß, in das "das Mannigfaltige fällt". Von hierher
wird dann die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption weiter als
zwanghaft bestimmt. Die Umdeutung der transzendentalen Konstitutionstheorie
in eine Subsumtions-, Reduktions- und Identifikationstheorie entspricht da-
bei genau der Bestimmung der kategorialen Konstitutionsleistung als "Defor-
mation" eines schon Konstituierten. Die Ursache für diese Nötigung erklärt
Adorno soziologisch-geschichtstheoretisch: Die Transzendentalphilosophie sei
der wahre Ausdruck einer falschen Geschichte, sie spiegele den Kampf der
menschlichen Gattung um Selbsterhaltung wider. Indessen beruht diese sozio-
logische Dechiffrierung nicht nur auf einer objektivierenden Umdeutung des
Transzendentalen und einem darauf aufbauenden vage analogisierenden Verfah-
ren. Zudem wird die Identität qua Durchgängigkeit der apperzeptiven Einheit
zur numerischen Identität des "Ichs, das denkt".Die Vergegenständlichung der
Apperzeption erlaubt zugleich ihre Psychologisierung zur "Ich-Instanz" des
Bewußtseins. Der Versuch jedoch, Freud gegen Kant auszuspielen, verkennt
nicht nur den Bewußtseinsmodus des transzendentalen Selbstbewußtseins, son-
dern scheitert auch im Grundsätzlichen. Sowohl die soziologische als auch
die psychologische Betrachtungsweise des Transzendentalen erweisen sich da-
mit als unzureichend. Die Ontologisierung des "ich denke" setzt sich in der
Anwendung fundamentalontologischer Kategorien ("ontologische Priorität",
"ontologische Differenz") fort und führt auf den Vorwurf des Platonismus.
Dieser verweist auf den zugrundeliegenden, einem transzendentalen Paralogis-
mus vergleichbaren Irrtum Adornos, der durch den Nachweis eines konsequenten
Mißverständnisses der Paralogismenlehre bestätigt wird.
210 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

Damit schließt sich zusammenfassend gesehen die Umdeutung des "ich denke"
zum "Ich» das denkt" genau an Adornos problematische Kritik der Kantischen
Erkenntnistheorie an.

5.1.2 Kritik des "ich denke": Das Problem von Konstituens und Konstitutum

Nachdem zunächst Adornos Deutung des transzendentalen Selbstbewußtseinsprin-


zips dargelegt worden ist, sind nun seine Einwände gegen diese Konzeption und
ihr Zusammenhang mit seinem Ontologismus zu betrachten.
Adornos Kritik zielt auf die Möglichkeit der transzendentalen Apperzeption:
"Das Subjekt der Erkenntnis, auf das rekurriert wird, ist auch in allem Idea-
lismus selber immer vermittelt durch das, was es konstituieren soll." 113 Das
transzendentale Subjekt werde so von der "Furie des Verschwindens" 114 ver-
folgt, es zergehe wie eine " S e i f e n b l a s e " , weil das Konstituens immer auch
Konstitutum sei. Die Konstitutionsprobleme seien nur durch Rekurs auf das
Konstitutum zu lösen. Hierin liege "die entscheidende Frage über die Wahr-
heit einer Transzendentalphilosophie überhaupt" beschlossen.
1. Zu beginnen ist mit einer gedanklichen Ungenauigkeit: "Evident ist, daß
der abstrakte Begriff des transzendentalen Subjekts, die Formen von Denken,
deren Einheit und die ursprüngliche Produktivität von Bewußtsein, voraus-
setzt, was er zu stiften verspricht: tatsächlich lebendige Einzelwesen."
Abgesehen davon, daß ein Begriff schwerlich etwas "zu stiften verspricht",
ist die These durchaus mit der Kantischen Theorie vereinbar, solange man den
Begriff des transzendentalen Subjekts nicht mit dem transzendentalen Subjekt
selbst verwechselt: Der Begriff des transzendentalen Subjekts mag durchaus
"lebendige Einzelwesen" voraussetzen.
Die Differenz zwischen Begriff und Begriffenem verwischt Adorno oftmals.
So etwa, wenn er unter Hinweis auf Hegels Kritik der Kantischen Dualismen
auf den Konstitutumscharakter des Konstituens folgert ( ? ) . Den nervus pro-
bandi bildet folgende These: "Eine jede (der Kantischen Bestimmungen, B.)
bedarf, um gedacht werden und sein zu können, von sich aus genau jenes ande-
ren Moments, das bei Kant ihr entgegengesetzt wird." 118
113 Adorno (11), S. 137
114 Adorno ( 7 ) , S. 142
115 Adorno ( 7 ) , S. 178
116 Adorno (13) , S. 257
117 Adorno ( 5 ) , S. 744
118 Adorno ( 7 ) , S. 257
K r i t i k des "ich denke" 211

Wenn aufgrund der Diskursivität unseres Verstandes die Denkmöglichkeit ei-


ner Bestimmung Über sich hinausweist, so weist das so Bestimmte nicht "von
sich aus" auf sein Gegenteil. Nur dies jedoch wäre im Hinblick auf die beab-
sichtigte Kritik an Kant von Bedeutung. Adorno wird hier zum schlechten Iden-
titätsphilosophen, den ein Hegel mit beißendem Spott bedenkt.
2. Ein zweites Argument soll eine gegen Kant gewendete "Reziprozität von
Denken und Gedachtem" beweisen: "Das reine 'Ich denke 1 , 'das alle meine Vor-
stellungen muß begleiten können 1 setzt ebenso die Vorstellungen voraus, die
es begleitet und die Prädikate nur von einem Material enthalten können, das
selber nicht reines Ich ist, wie umgekehrt der Begriff der Vorstellung ohne
ein solches Ich gegenstandslos wäre." 119
Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß eine Reziprozität von "ich den-
ke" und "Vorstellung" nicht gegen Kant spricht, weil die Reziprozität zweier
Glieder nicht den Primat eines Gliedes ausschließt.
3. Mit dem skizzierten Gedanken verknüpft Adorno ein weiteres Argument:
"Es gibt schlechterdings keinen Begriff von Subjekt, der so rein zu halten
wäre, daß er nicht an irgendeiner Stelle ebenso auf das sogenannte constitu-
tum verweist. Diese Reziprozität von Denken und Gedachtem kann man vielleicht
auf die allgemeinste Form bringen, daß schon in dem rein logischen Gedanken
dadurch, daß in ihm etwas gedacht wird, notwendig ein Etwas enthalten ist,
das auf die reine Subjektivität, also auf die reine Funktion des Denkens
nicht reduktibel ist. Darin steckt eigentlich bereits jener kleine Oberrest
an Welt über bloßes Subjekt oder reines Denken, der genügt, die Vorstellung
eines absoluten und reinen Ansatzes in Bewußtsein, in Subjektivität unmög-
lich zu machen, und der jetzt der Realität gleichsam dasselbe Recht ver-
schafft wie der Subjektivität." 120
Derselbe Gedanke wird direkt auf Kant bezogen: "Noch das Kantische trans-
zendentale Subjekt (...) bedarf als Einheit des Mannigfaltigen ebenso wie
umgekehrt das Mannigfaltige der vernünftigen Einheit. Unabhängig von den In-
halten, welche in der Einheit sind, ist deren eigener Begriff nicht zu fas-
sen, und aus den Inhalten ist die Spur des Faktischen so wenig wegzuzaubern,
wie dessen Differenz vom Begriff, der ihrer bedarf. Keine Einheit, wie for-
mal auch immer, und wäre es die reinlogische, ist auch nur als Möglichkeit
bar dessen zu konzipieren, worauf sie geht". Das beweise, daß das Konstitu-

119 Adorno (11), S. 138


120 Adrono (11) , S. 138
212 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

ens das voraussetze, was "(...) nach Idealistischem Brauch vom Begriff erst
1?1
konstituiert werden (...) soll. '
Das Argument geht also nicht auf den Gedanken der Reziprozität selbst, son-
dern stellt auf ihm aufbauend den Verweisungscharakter des Gedachten/Inhalts
als eines Gliedes des wechselseitigen Verhältnisses auf außersubjektive Fak-
tizität heraus. Jedoch wird damit nicht bewiesen, daß das Konstituens "(...)
auf das sogenannte constitutum verweist" 122 , sondern n u r , daß jenes eines
constituendum bedarf. Dies ist aber gerade das, was Kant mit dem Gedanken
der Mannigfaltigkeit und der Synthetizität der Apperzeption zum Ausdruck
bringt. Die Annahme, dies gegen Kant wenden zu können, verwechselt das con-
stitutum mit dem constituendum und karikiert entsprechend den transzendenta-
len Idealismus zu der "Vorstellung eines absoluten und reinen Ansatzes in Be-
wußtsein, in Subjektivität". Einem derartigen Mißverständnis war Kant schon
früh nach dem Erscheinen der ' K r i t i k der reinen Vernunft 1 ausgesetzt, so daß
er sich genötigt sah, die "Widerlegung des Idealismus" in die zweite Auflage
einzufügen.
Der Einwand Adornos belegt zugleich die Verdinglichung des "ich denke":
Faßt man dieses nicht als synthetisches Prinzip, sondern als selbständiges
"Ich" und verwechselt man zudem das constituendum mit dem constitutum, dann
wird aus Kants Gedanken der zu synthetisierenden Mannigfaltigkeit die gegen
Kant gewendete Abhängigkeit des constituens vom constitutum.
4. Ein weiteres Argument beruht auf der Ontologisierung des "ich denke":
"Ohne alle Relation zu einem empirischen Bewußtsein, dem des lebendigen Ichs,
1 ?^
wäre kein transzendentales, rein geistiges."
Kant postuliert kein selbständiges transzendentales, "rein geistiges" Be-
wußtsein neben dem empirischen. Vielmehr arbeitet er in der transzendentalen
Reflexion das allgemeine Strukturprinzip des empirischen Bewußtseins heraus.
Die zugrundeliegende Substanzialisierung des Transzendentalen und ihre
"metakritische" Wendung wird noch deutlicher, wenn Adorno der "idealisti-
sche(n) Erkenntnistheorie überhaupt" vorwirft, ihren Bestimmungen - dem vom
konkreten Menschen losgelösten "Geistigen" - "ein Sein" zuzuschreiben, auf
sie ein "Existentialurteil" zu übertragen und dabei den Verweisungscharakter
"auf faktisches Dasein" zu unterschlagen.
121 Adorno ( 5 ) , S. 466
122 Adorno ( 1 1 ) , S. 138
123 Adorno ( 7 ) , S. 186
Kritik des "ich denke" 213
1 O/l
Dieser "Kerneinwand 1 ist nicht nur aufgrund seines pauschalen Urteils
über die "idealistische Erkenntnistheorie überhaupt" fragwürdig, das sich
in der undifferenzierten Zuordnung des Begriffs des "Geistes" manifestiert.
Entscheidender ist, daß Adorno dem Idealismus "überhaupt" so etwas wie die
1?
Annahme einer "ontologischen Differenz" ("Sein" contra "faktisches Da-
sein") zu unterstellen scheint. Demgegenüber ist daran zu erinnern, daß es
gerade Kant ist, der in der Paralogismenlehre davor warnt, "die mögliche Ab-
straktion von meiner empirisch bestimmten Existenz mit dem vermeinten Be-
1 ?fi
wußtsein einer abgesondert möglichen Existenz meines denkenden Selbst"
zu verwechseln^
Adornos Mißverständnis ist auch hier insofern konsequent, als man sich ein
"Ich, das denkt" in der Tat nur als existierend und - da dieses ursprünglich
sein soll - zudem als vom "faktischen Dasein" unabhängig existierend vor-
stellen kann.
5. Auf einer ähnlichen Hypostasierung des transzendentalen "ich denke" be-
ruht der folgende Einwand: Das nach Kant Raum- und Zeitbestimmungen konsti-
tuierende Bewußtsein könne selbst nur räumlich-zeitlich individuiert vorge-
stellt werden. Derart sei es auch ein "Stück Welt" und " ( . . . ) insofern nicht
1 ?7
tauglich, die Welt, das Sein der Welt also eigentlich zu begründen."
Kant bestreitet keineswegs., daß das empirische Bewußtsein an eine räum-
lich-zeitliche Individuation gebunden ist. Aber dies ist davon zu unterschei-
den, daß das formale Prinzip des empirischen Weltbewußtseins, das transzen-
dentale Selbstbewußtsein, daß das, was das empirische Bewußtsein als mein
Bewußtsein ermöglicht, räumlich-zeitlich datiert vorstellbar oder gar datier-
bar ist. Die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption ist das for-
male Prinzip jeglichen empirischen Bewußtseins, als ein formales Prinzip
nimmt es aber keine Raum- und Zeitstellen ein, denn: Form ist nicht datier-
1?R
bar. Nur ein je schon Formiertes ist datierbar.
Diese Einsicht ist Adorno verwehrt, weil er aufgrund der Verwechslung des
"ich denke" mit dem "Ich, das denkt" eine vom Weltbewußtsein unabhängige
Selbständigkeit des transzendentalen (Selbst-)Bewußtseins annimmt und dieses
1 pO
dann als festen und dinglichen "Rahmen" , eine Art Gefäß,hypostasiert,
124 Adorno (13), S. 91
125 Adorno (14), S. 147
126 Kant (147), B 427
127 Adorno (13), S. 277
128 Vgl. Rohs, (240), S. 107
129 Adorno ( 7 ) , S. 288
214 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

in den das Mannigfaltige hineinfällt. Ein derart verdinglichtes transzenden-


tales Bewußtsein muß er sich nicht lediglich als seiend, sondern auch als
räumlich und zeitlich individuiert vorstellen. Nur: Etwas Dingliches ist kei-
ne reine Form, sondern ein je schon Formiertes (eine formierte Form) und
setzt als ein solches das Konstitutionsprinzip des transzendentalen Bewußt-
seins voraus.
6. Als nächstes ist ein doppelter Versuch zu nennen, die ursprünglich syn-
thetische Einheit der Apperzeption nicht direkt, sondern indirekt über das
Moment der Gegebenheit als unabhängig existierend und räumlich-zeitlich in-
dividuiert nachzuweisen.
a) Das erste Argument geht von folgender These aus: "Die Verwiesenheit des
Gegebenen auf ein je schon Konstituiertes schlägt in der Kantischen Termino-
logie sich nieder, in Redeweisen wie eben jener immer wiederkehrenden, daß
1^
'uns 1 Gegenstände gegeben seien." Diesen Einwand spitzt Adorno aporetisch
zu: "Auch die Suche nach dem Subjekt von Gegebenheit führt auf eine Antino-
mie. Offensichtlich darf es nicht das raum-zeitliche, empirische, das je be-
reits konstituierte Subjekt sein (...). Einem 'reinen', transzendentalen
Subjekt dagegen kann nicht wohl etwas gegeben sein. Denn es ist eine Denkbe-
stimmung, ein Abstraktionsprodukt, das mit Unmittelbarem ohne weiteres gar
nicht auf einen Nenner zu bringen ist, gar kein konkretes Ich, das einen
konkreten Bewußtseinsinhalt hätte. Vom Gegebenen wäre das transzendentale
Subjekt selbst durch die ontologische Differenz getrennt, die in seiner Kon-
1?1
struktion verschwinden soll." Das rezeptive Subjekt sei vielmehr - hier
zeigt sich der materialistische und lebensphilosophische Hintergrund der Ar-
1 "¥?
gumentation - "(...) ein s i n n l i c h Bestimmtes, eines das sehen und hören
133
kann, und eben das ist einem transzendentalen oder reinen Subjekt versagt."
Es trifft zweifelsohne zu, daß, wenn etwas gegeben wird, es ein Etwas geben
muß, dem gegeben wird. Auch kann dies zufolge des transzendental philosophi-
schen Ansatzes nicht das empirisch konstituierte Subjekt sein. Problematisch
aber sind sowohl die Annahme, daß dem transzendentalen Selbstbewußtseins-
prinzip "ich denke" etwas gegeben werden soll , als auch die These, zwi-
schen diesem und dem Gegebenen bestehe eine "ontologische Differenz". Zudem
ist die vorgetragene Argumentation schlicht zirkulär: Wenn eine Ähnlichkeit,
130 Adorno ( 1 4 ) , S. 150
131 Adorno ( 1 4 ) , S. 147. Vgl. ( 1 4 ) , S. 161
132 Vgl. Dilthey ( 4 8 ) , S. XVIII
133 Adorno (14), S. 150
134 So in Adorno (14), S. 161
Kritik des "ich denke" 215

"ein Nenner" zwischen Erkennendem und Gegebenem bestehen muß (keine "ontolo-
gische Differenz" herrschen darf) (maior), und wenn sinnlich konkrete Dinge
gegeben werden (minor), dann kann der, dem gegeben wird, kein abstrakt trans-
zendentales Subjekt, sondern muß "ein s i n n l i c h Bestimmtes" sein (conclusio).
Die Argumentation ist zwar in sich stimmig, im Hinblick auf die intendierte
"Metakritik" der Transzendentalphilosophie jedoch eine petitio principii:
Jene setzt voraus, was diese allererst auf ihren Möglichkeitsgrund hin be-
fragt: sinnlich konkrete Dinge, "Gegenstände" .
b) Ein zweiter Einwand zielt auf das Problem der Gegebenheit. Der "apore-
tische Begriff des transzendentalen Subjekts" zeige sich in seiner Konzep-
tion als "eines Allgemeinen, das doch Besonderes erfahren soll" .
Auch hier setzt Adorno irrtümlich voraus, daß das transzendentale Subjekt
etwas "erfahren soll". Zudem läßt sich der Einwand als sprachliche Ungenau-
igkeit auflösen: Allgemeines und Besonderes sind zwar einander gegensätzlich,
aber dies schließt nicht aus, daß sich das transzendentale Subjekt als ein
allgemeines, für alle endlich vernünftigen Wesen gültiges Prinzip auf ein
gegebenes Besonderes bezieht. Nur wenn man nicht beachtet, was die Begriffe
bezeichnen,und lediglich die verselbständigten Begriffe "Allgemeines" und
"Besonderes" für sich in ihrem Verhältnis zueinander betrachtet, kann man
aufgrund ihrer begrifflichen Gegensätzlichkeit nicht mehr verstehen, wie ein
Allgemeines zu einem Besonderen in Beziehung treten kann.
In beiden Fällen scheitert also das Bemühen, die transzendentalphilosophi-
sche Konzeption Kants indirekt über den Rekurs auf das Moment der Gegebenheit
zu widerlegen.
7. Ein anderer Einwand versucht das Konstituens als Konstitutum darzulegen
durch den Aufweis der inneren Bedingungen des Denkens, des implikats eines
Konstituierten im Konstituens: "Schließlich ist im Begriff des Denkens selbst
(...) immer und notwendig der Begriff der Tätigkeit enthalten (...). Der Ge-
danke an eine Tätigkeit, die aber nicht auf ein Tuendes sich bezieht, der
Gedanke einer Tätigkeit etwa des Denkens ohne Denkendes ist widersinnig. So
taucht im innersten Prinzip des Idealismus selber, im Prinzip der Subjekti-
vität nämlich, eben jenes Moment der Realität notwendig, unabdingbar wieder
auf, von dem behauptet wird, daß es erst dessen Konsequenz und erst gleich-
sam nach außen hin projiziert, nach außen hin entworfen sei." "Denken
135 Adorno (14) , S. 150
136 Adorno ( 7 ) , S. 178
137 Adorno (11) , S. 139
216 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

selbst (...) kann nicht vorgestellt werden ohne die Tätigkeit irgend Denken-
der, die das Wort Denken benennt. In dieser Rückbeziehung ist als Moment be-
reits enthalten, was nach idealistischem Brauch vom Begriff erst konstituiert
138
werden (...) soll." Die Überlegung scheint plausibel: Denken impliziert
Tätigkeit, Tätigkeit impliziert einen Tätigen, ein Tätiger ist aber ein sol-
cher, der erst vom Denken gesetzt werden soll.
Indessen bestreitet Kant keineswegs die Vorstellung eines dem Denken zu-
grundeliegenden Etwas, das denkt. So spricht er im Zusammenhang seiner Kri-
tik der psychologiae rationalis von ihrem Gegenstand als diesem "(...) Ich,
oder Er, oder Es (das D i n g ) , welches denket" 139 . Entscheidend jedoch ist,
daß das Denken zwar die Vorstellung eines Etwas voraussetzt, das denkt, die-
ses aber von Kant provokativ als "Es" Bezeichnete unbestimmbar ist, weil der
Versuch seiner Erfassung z i r k u l ä r wäre: Dieses "X" ist ein solches, " ( . . . )
um welches wir uns daher in einem beständigen Zirkel herumdrehen, indem wir
uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen müssen, um irgend etwas von
ihm zu urteilen" . "Was das denkende Ich ist, welche Eigenschaften es hat
usw., ist nicht aussagbar: ich erfahre es nur als Prinzip der Bewegung, wel-
che ich bei der Bestimmung derjenigen Objekte leiste, die ich innerhalb der
Erfahrungsgrenzen erkennen kann." Dieses "X" ist nicht objektivierbar,
weil es als Objektiviertes (Bestimmtes) nicht mehr das Objektivierende (Be-
stimmende) wäre. Es ist genauso ein Unwissenheitsausdruck wie der Begriff
des Dinges an sich und ebensowenig als ein Ansich im vorkritisch naturali-
stischen Sinne zu bestimmen. 142 Denken impliziert in der transzendental phi-
losophischen Rückfrage nur die Vorstellung eines unbestimmten, kategorial
nicht bestimmt faßbaren, weil bestimmenden und deshalb nicht bestimmbaren
denkenden "X". Dieses aber ist nicht das - wie Adorno meint - zufolge des
Idealismus erst zu Konstituierende: Konstituiert wird ein Denkender, das
empirisch bestimmte Subjekt. Das noumenal unbestimmte, in der empirischen
Anschauung nicht gegebene denkende "X" ist sorgsam von dem phänomenal be-
stimmten, in der empirischen Anschauung gegebenen Denkenden zu unterscheiden.
Diese Differenz markiert genau die zwischen der transzendentalphilosophischen
intentio obliqua und der ontologischen intentio recta und unterbricht derart
die von Adorno aufgestellte Implikationsreihe. Die These eines dem Denken

138 Adorno ( 5 ) , S. 466


139 Kant (147), B 404
140 Kant (147), B 404
141 Kaulbach (158), S. 168
142 Jansohn (131), S. 75
K r i t i k des "ich denke" 217

vorauszusetzenden real Denkenden bezeichnet vom Denken aus eine tfachgängig-


keit und keine vorgängigkeit: Das Denken kann nicht hinter das Denken selbst
zurückgehen. 143
Diese Tatsache darf nicht mit der Annahme eines freischwebenden Denkens,
aus dem alles folgt, verwechselt werden. Gerade dieses Mißverständnis findet
sich jedoch bei Adorno, wenn er das "Prinzip des Idealismus" derart deutet,
von dem "Moment der Realität" werde behauptet, "(...) daß es erst dessen Kon-
sequenz und erst gleichsam nach außen hin projiziert, nach außen hin entwor-
fen sei."
Einer solchen Theorie kann Adorno mit Leichtigkeit den metakritischen E i n -
wand einer "intentio obliqua der intentio obliqua" entgegenhalten, die auf
den "Vorrang des Objekts" verweise. Da er indessen die erste intentio obliqua
aus der Nötigung seines geschichtskritischen Ansatzes heraus auf eine "sub-
jektive Reduktion" reduziert (der die zweite intentio obliqua als "Korrek-
tiv" diene), die transzendentalphilosophische intentio obliqua aber keine
"subjektive Reduktion" ist, kann ihr gegenüber auch nicht die Notwendig-
keit der bezeichneten zweiten intentio obliqua geltend gemacht werden.
Ein Weiteres folgt: Da die "intentio obliqua der intentio obliqua" nur dann
reklamieren kann, keine "aufgewärmte intentio recta" zu sein, wenn die
erste intentio obliqua nicht mißverstanden worden ist, entfällt der Anspruch.
Anders ausgedrückt: Adornos "metakritischer" Einwand eines dem Denken vor-
geordneten real Denkenden unterschlägt das eigene Denken. Zwar weist er da-
rauf h i n , daß die "intentio obliqua der intentio obliqua" "nicht die Verleug-
nung des subjektiven Anteils" bedeute. Indessen geht es nicht um "Antei-
le", sondern um die Ursprünglichkeit des Denkens, seine nicht weiter vorgän-
gige Begründbarkeit.
Adornos ontologisierende "Widerlegung" des transzendentalphilosophischen
Konstitutionstheorems durch den Hinweis auf einen im Denken vorausgesetzten
Denkenden läßt sich an der einzelnen Argumentation konkret verifizieren: Aus-
gehend von der These, Kant trenne den "Geist" von seinem "Anderen" (- dies
impliziere die Bestimmung des Geistes als "Tätigkeit", um den "Obergang" zu

143 Kann nach Diltheys kritischer Wendung das Erkennen nicht hinter das Le-
ben zurückgehen [vgl. Dilthey ( 5 0 ) , S. 180], so ist demgegenüber geltend
zu machen, daß jenes noch nicht einmal Ms zu diesem gelangt.
144 Adorno ( 5 ) , S. 747
145 Adorno ( 5 ) , S. 747
146 Adorno ( 5 ) , S. 747
218 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

vollziehen -), stellt Adorno fest: "Tätigkeit des Geistes, einmal vermensch-
licht, kann niemand und nichts anderem zugesprochen werden als den Lebendi-
gen. Das infiltriert noch den Begriff, der über allen Naturalismus am höch-
sten hinausschießt, den der Subjektivität als synthetischer Einheit der Ap-
perzeption, mit dem Naturmoment." Begründet wird diese These im folgenden
Satz: "Einzig sofern es seinerseits auch Nichtich ist, verhält das Ich sich
zum Nichtich, 'tut' etwas, und wäre selbst das Tun Denken." Dies stelle den
Realismus auf sogenannter höherer Stufe wieder her: "Denken bricht in zwei-
ter Reflexion die Suprematie des Denkens über sein Anderes, weil es Anderes
immer in sich schon ist. Daher gebührt dem obersten Abstraktum aller Tätig-
keit, der transzendentalen Funktion, kein Vorrang vor den faktischen Gene-
sen. Zwischen dem Realitätsmoment in ihr und der Tätigkeit realer Subjekte
gähnt kein ontologischer Abgrund" .
Die hier auftretenden Mißverständnisse sind schon weitgehend im vorigen er-
örtert worden, so daß lediglich Adornos Begründung betrachtet werden soll:
Das "Ich" müsse, um tätig zu sein, schon immer auch "Nichtich", d.h. ein Ob-
jektives, sein. Ein tätiges "Ich" ist in der Tat nicht ohne "Naturmoment"
vorzustellen. Jedoch stützt dies nicht das demonstrandum: die vorgängige Ab-
hängigkeit der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption von dem
Konstituierten. Auch diese Argumentation ist zirkulär: Adorno setzt ein tä-
tiges "Ich" voraus,Kant aber geht vom transzendentalen Prinzip des "ich den-
ke" aus. Dabei läßt er das denkende "Es" vollkommen unbestimmt. Der Kritiker
des Oberwinders der vorkritischen Betrachtungsweise bleibt also dem überwun-
denen verhaftet.
8. Das Ergebnis wird durch die Betrachtung des auf lebensphilosophische
Einflüsse 148 verweisenden Abstraktionsvorwurfes erhärtet, der die Kehrseite
der bisherigen Einwände darstellt. Er läßt sich in der These zusammenfassen,
die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption sei eine bloße Abstrak-
tion vom konkret empirischen Individuum und derart unfähig, dasselbe erst zu
konstituieren. Des näheren ist eine allgemeine und konkretisierte Form des
Abstraktionsvorwurfes zu unterscheiden:
a) In seiner allgemeinen Form sei der Vorwurf von einem Vertreter des
Idealismus, nämlich von Fichte in seinen beiden 'Einleitungen in die Wissen-

147 Adorno ( 7 ) , S. 201. Die Wendung vom "gähnenden Abgrund" zeigt wiederum
die phänomenologische Verzerrung Kants, denn jene wird nicht von Kant,
sondern von Husserl gebraucht [vgl. Husserl (129), S. 117].
148 Vgl. Dilthey (45), S. 80 f
Kritik des "ich denke" 219
Schaftslehre 1 , bestätigt worden: "Daß dies transzendentale, alle inhaltliche
Erfahrung konstituierende Subjekt seinerseits von den lebendigen, einzelnen
Menschen abstrahiert sei, wurde nicht erst von der Kritik am Idealismus ent-
14Q
deckt." Das "proton pseudos des Idealismus seit Fichte" sei der Glaube,
"(...) in der Bewegung der Abstraktion werde man dessen ledig, wovon abstra-
hiert ist." Demgegenüber gelte: "Das Resultat von Abstraktion ist nie ge-
gen das, wovon es abgezogen ward, absolut zu verselbständigen; weil das Ab-
straktum auf das unter ihm Befaßte anwendbar bleiben, weil Rückkehr möglich
sein soll, ist in ihm immer zugleich auch in gewissem Sinn die Qualität des-
sen, wovon abstrahiert wird, aufbewahrt, wäre es auch in oberster Allgemein-
heit. Setzt daher die Bildung des Begriffs Transzendentalsubjekt oder absolu-
ter Geist sich ganz hinweg über individuelles Bewußtsein schlechthin als
raumzeitliches, woran er gewonnen ward, so läßt jener Begriff sich nicht
mehr einlösen"
Fichte wählt durchaus im abgebrochenen 'Versuch einer neuen Darstellung
der Wissenschaftslehre' (als dessen Fortsetzung die Vorlesungsnachschrift
der 'Wissenschaftslehre nova methodo' gelten kann) und den beiden ihm zuge-
ordneten 'Einleitungen' vornehmlich die Methode der Abstraktion. In dieser
Schrift (1797) beginnt er anders als in der 'Grundlage' (1794), die "von den
Ergebnissen der analytischen Reflexion des Transzendentalphilosophen auf in-
tellektuell-anschaulich Gewisses" ausgeht, mit "ebendiesen unmittelbaren Ge-
wißheiten selbst" 15? . Fichte versucht hier, den Leser erst zu der Grundstruk-
tur des Ichs hinzuleiten, die in der 'Grundlage' schon zu Beginn im Gefüge
der drei obersten Grundsätze entfaltet ist.
Die dabei entscheidende Funktion der Abstraktion bedeutet aber nicht, wie
Fichte hervorhebt, daß die "(...) Intelligenz (...) etwas lediglich durch
Abstraktion Hervorgebrachtes sei". Dies gelte unabhängig davon, "(...) daß
das Bewußtsein derselben durch eine, dem Menschen freilich natürliche, Ab-
straktion bedingt ist." 153
Wird man nach Fichte sich durch Abstraktion des Ichs bewußt - im 'Versuch 1
ist es die Abstraktion von den äußeren Dingen, die nicht Ich sind -, so miß-
versteht Adorno dies als Entstehung des Ichs (bzw. des transzendentalen Sub-

149 Adorno ( 5 ) , S. 744. Vgl. ( 7 ) , S. 179


150 Adorno ( 7 ) , S. 139
151 Adorno (14), S. 263
152 Baumanns ( 2 1 ) , S. 46
153 Fichte (65), S. 189
220 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

jekts) durch Abstraktion: Die ratio cognoscendi wird zur ratio essendi umge-
bogen. Nicht das "transzendentale, alle inhaltliche Erfahrung konstituieren-
de Subjekt" ist "von den lebendigen, einzelnen Menschen abstrahiert", son-
dern die philosophische Erfassung des transzendentalen Subjekts (des trans-
zendentalen Selbstbewußtseinsprinzips "ich denke") abstrahiert von den kon-
kreten Individuen. Erst von diesem Mißverstand her wird die kritische Fest-
stellung sinnvoll, das "Resultat von Abstraktion" sei nicht "absolut zu ver-
selbständigen". Nur: »er verselbständigt dann das "Transzendentalsubjekt
oder" - hier scheint Adorno keine wesentlichen Unterschiede zu machen - den
"absoluten Geist" ?
Die von Kant in der Paralogismenlehre kritisierte Verselbständigung ist
nicht z u f ä l l i g , sondern in Adornos Ontologisierung begründet: Indem er das
"ich denke" als "Ich, das denkt" faßt, kann er annehmen, jenes sei ein "Ab-
straktum" konkreter Individuen, diese seien "das unter ihm Befaßte", das Ver-
hältnis von "ich denke" und empirischem Subjekt sei das der schlichten Sub-
sumtion (und nicht der Konstitution). Da nun aber das "Ich, das denkt" kein
flatus vocis sein soll, ist er genötigt, ihm eine Art Realität zuzuerkennen.
Diese kann jedoch nicht ontisch sein, weil in dem bezeichneten "Abstraktum"
von allem Konkret-Ontisehen abstrahiert sei. Also - so scheint er zu fol-
gern - muß es eine ontologische Realität sein: Das transzendentale Subjekt
beanspruche eine "ontologische Priorität" , zwischen dem konkreten Bewußt-
sein und dem transzendentalen Selbstbewußtseinsprinzip bestehe eine "ontolo-
gische Differenz" . Weiter: Da in dem ontologisch-all gemeinen "Ich, das
denkt" alle bestimmte Egoität getilgt ist, kann Adorno einwenden, unter ei-
nem solchen "Ich" könne man sich nichts mehr vorstellen, es sei "leer" .
Dem ist beizupflichten. Allerdings widerlegt dies nicht Kant, sondern Adorno.
b) Das Resultat wird durch die konkretisierte Form des Abstraktionsvorwur-
fes bestätigt, die sich auf das Moment der Erinnerung bezieht: "Durch (...)
Erinnerung ist so etwas wie ein einheitliches, seiner Einheit bewußtes Be-
wußtsein überhaupt begründet. (...) Nun ist es aber klar, daß dieses Moment
der Erinnerung abgeleitet ist von dem Modell des individuellen, einzelnen,
psychologischen Bewußtseins, das heißt, jeder einzelne von uns hat Erinne-
rung und hat Erwartung, und das ist nicht etwa eine vorgegebene, etwa logisch

154 Vgl. Kant (147), B 427


155 Adorno ( 7 ) , S. 213
156 Adorno ( 1 4 ) , S. 147
157 Adorno (10), S. 178
Kritik des "ich denke" 221
allgemeine Struktur, das ist kein logisches Gesetz, sondern es ist von dem
individuellen, von dem psychologischen Bewußtsein der einzelnen Menschen ab-
geleitet. Das soll nach Kant eine der entscheidenden Formen abgeben, die so
etwas wie einheitliche Erfahrung möglich machen und die dadurch eine einheit-
liche Welt der Erfahrung konstituieren. Hier liegt von Anfang an eine außer-
ordentliche Schwierigkeit des Idealismus; denn dieses individuelle Bewußtsein
ist selber, insoweit es gebunden ist an Individuen, etwas in Raum und Zeit
Individuiertes. Soweit wir individuelle Bewußtseine haben, sind diese indi-
viduellen Bewußtseine (...) selber auch ein Stück Welt. Sie setzen also,
könnte man sagen, eigentlich das bereits voraus, was sie der Lehre des Idea-
lismus zufolge überhaupt erst konstituieren wollen." 158
Es ist richtig, daß erst durch die Fähigkeit der Erinnerung (und Voraus-
sicht) eine einheitliche Erfahrungswelt möglich wird: Könnte ich mich nicht
an Vergangenes erinnern, würde mein Bewußtsein im Augenblick aufgehen, dann
wäre es mir verwehrt, Vergleiche zu ziehen, Dauer im Wechsel festzustellen,
allgemeine Aussagen zu machen etc. Ebenso ist nicht in Abrede zu stellen, daß
Kant die psychologische Kategorie der Erinnerung (die er in der überarbeite-
ten Fassung der transzendentalen Deduktion nicht mehr verwendet) aus der Be-
trachtung des konkreten Bewußtseins gewonnen ("abgeleitet") hat. Indesen be-
rührt dies nicht die transzendentale Konstitutionstheorie: Erinnerung, nach
Kant eine Funktion der lediglich psychologisch bedeutsamen, reproduktiven
Einbildungskraft , wird von Adorno in ihrer Möglichkeit vorausgesetzt. Er
betrachtet lediglich das Verhältnis von Erinnerung und einheitlicher Welter-
fahrung. Dies aber zählt Kant zu den Erörterungen, die in der ersten Fassung
der transzendentalen Deduktion dazu dienen, "(...) den Leser mehr vorzuberei-
ten, als zu unterrichten" . Die eigentliche Aufgabe besteht darin, die vor-
gängige Bedingung von so etwas wie Erinnerung darzulegen. Als Antwort ver-
weist uns Kant auf die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption:
Nur weil das explizite "ich denke" alle meine Vorstellungen begleiten kann,
ist es möglich, sich an etwas zu erinnern; nur aufgrund der durchgängigen
Einheit des Selbstbewußtseins , des konstitutiven Enthaltenseins von Selbst-
bewußtsein in Weltbewußtsein, kann Vergangenes vergegenwärtigt werden.
Der Vergleich mit Kant zeigt also ein grundsätzliches Reflexionsdefizit
Adornos . Es läßt sich noch an einzelnen Formulierungen Adornos demonstrie-

158 Adorno (11), S. 61


159 Vgl. Kant (147), B 152
160 Kant (147), A 98
222 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

ren: So in seinem Schwanken, ob - wie es zunächst heißt - ein "einheitliches"


oder - wie es direkt im Anschluß lautet - ein "seiner Einheit bewußtes Be-
wußtsein 1 durch Erinnerung begründet wird. Beides ist etwas Verschiedenes:
Ein "seiner Einheit bewußtes Bewußtsein" setzt ein Erinnerungsvermögen vor-
aus. Das heißt jedoch nicht, daß Erinnerung auch ein "einheitliches" Bewußt-
sein begründet. Dieses ist vielmehr die Bedingung dafür, daß sich das Bewußt-
sein durch Erinnerung seiner Einheit bewußt werden kann. Ein einheitliches
Bewußtsein manifestiert sich in der Fähigkeit, sich zu erinnern. Seine vor-
gängige Begründung aber findet es in der ursprünglich,synthetischen Einheit
der Apperzeption.
Festzuhalten ist, daß a) der Hinweis auf Fichte den Abstraktionsvorwurf in
seiner allgemeinen Form nicht bestätigt, sondern widerlegt, b) dieses Ergeb-
nis durch die Prüfung der konkretisierten Form des Abstraktionsvorwurfes er-
härtet wird.
9. Das Bisherige kann wie folgt rekapituliert werden: Nachdem zunächst
Adornos Deutung des transzendentalen Selbstbewußtseinsprinzips dargelegt
worden ist, ging es nun darum, seine Kritik zu überprüfen. Nahezu alle Ein-
wände sind von der ontologisehen Umdeutung des "ich denke" ins "Ich, das
denkt" abhängig. Zusätzlich sind folgende Mängel sichtbar: ungenügende Unter-
scheidung zwischen Denk- und Realbestimmung, Reduktion des Reziprozitätsver-
hältnisses auf eine Relation zwischen zwei gleichwertigen Seiten. Identifi-
zierung von constitutum und constituendum, Form und Formiertem (formierter
Form), ratio cognoscendi und ratio essendi. Der (doppelte) Versuch, indirekt
mittels des Rekurses auf das Moment der Gegebenheit das Konstitutum als Kon-
stituens nachzuweisen, ist zirkulär bzw. Resultat einer sprachlich-gedankli-
chen Ungenauigkeit.Der Einwand, Denken setze einen konkret Denkenden und da-
mit das vorgeblich erst Konstituierte voraus, vernachlässigt die Differenz
zwischen der von Kant herausgestellten Vorstellung eines noumenalen "Es",
das denkt, und dem konkret phänomenal Denkenden. Im Zusammenhang damit ver-
kennt Adorno nicht nur die Oberwindung der ontolögischen intentio recta durch
die transzendentalphilosophisehe intentio obliqua,sondern mißversteht diese
selbst als reduktionistisch. Derart fordert er irrtümlich eine "intentio ob-
liqua der intentio obliqua" zugunsten eines "Vorrangs von Objekt".Die durch
den Nachweis einer inneren Unmöglichkeit intendierte "metakritische" Oberwin-
dung des transzendental philosophischen Ansatzes enthüllt sich als bloße Kon-

161 Adorno (11) , .S. 61


Kritik des "ich denke" 223
frontation, die das Reflexionsniveau Kants nicht erreicht. Dieses Ergebnis
wird durch eine Oberprüfung des Abstraktionsvorwurfes bestätigt.
Die Diskussion der subjektstheoretischen Problematik läßt sich damit zu
einem ersten Resultat zusammenfassen: Adornos "Metakritik" des transzenden-
talen Selbstbewußtseinsprinzips fällt hinter das von Kant erreichte Refle-
xionsniveau zurück. Der Gegensatz zwischen Kant und Adorno läßt sich als der
zwischen einer transzendentalphilosophischen und ontologischen Betrachtungs-
weise umreißen. Dies schließt an das Ergebnis der Analyse der erkenntnistheo-
retischen Kant-Kritik Adornos genau an: Der phänomenologische Ontologismus
Adornos setzt sich bis in den Problemkomplex einer transzendental philosophi-
schen Subjektskonzeption fort und verhindert ihr angemessenes Verständnis.
Damit ist die K r i t i k grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. -
Zwei Folgerungen wären voreilig:
a) Die Unangemessenheit der Kritik Adornos ist nicht der Problemlosigkeit
der transzendentalphilosophischen Konzeption Kants gleichzusetzen. Unbeant-
wortet ist insbesondere die Frage, welchen Erkenntnisstatus die transzenden-
tale Reflexion selbst einnimmt. Wie ist sie mit ihrer Restriktionsthese ver-
einbar ? Muß nicht ein dritter Erkenntnismodus zwischen einerseits der empi-
rischen Erkenntnis und andererseits der intellektuellen Anschauung (im Sinne
Kants) in Ansatz gebracht werden ?
Ähnliches gilt für das, worauf die Transzendentalphilosophie geht: das rei-
ne Selbstbewußtsein. Wie läßt sich sein Bewußtseinsmodus konkretisieren ?
Dieser drückt zufolge Kant weder aus "(...) wie ich mir erscheine, noch wie
ich an mir selbst bin, sondern nur, daß ich bin" 162 . In ihm soll lediglich
mein anschaulich unbestimmtes bloßes "Dasein" gegeben sein, das dennoch als
Spontaneitätsbewußtsein bestimmt ist.
b) Des weiteren stellt sich die Frage, ob entgegen Kant die synthetische
Einheit der Apperzeption nicht noch in einem höheren Prinzip begründet wer-
den kann. Insbesondere drängt sich diese Frage auf angesichts des zweiten
(nicht abgeleiteten) Faktums der Philosophie Kants, des Faktums reiner prak-
tischer Vernunft. Gibt es einen gemeinsamen Punkt (eine ursprungliche Ich-
struktur ?), in dem die theoretische und praktische Seite des Menschen be-
gründet sind ? Wenn ja - wie ist dieser gemeinsame Ursprung zu fassen ?

162 Kant (147), B 157


163 Kant (147), B 157 f Anm.
224 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

Fordert seine Legitimation den Rückgang auf einen vorphilosophischen Glauben,


wie es die Konzeption des Jenenser Fichte ist ? Oder kündigen sich in der
umsichtigen Zurückhaltung Kantischen Denkens die Grenzen der menschlichen
Vernunft überhaupt an ?
Die Nötigung, zum Teil über den Buchstaben des Kantischen Textes hinauszu-
gehen, verstärkt sich bei der Betrachtung der Idee eines Ichs an sich.

164 Vgl. dazu die Arbeiten von Baumanns (22) und (21)
5.2 Das noumenale Selbst

Bisher ist lediglich der erste Teil einer doppelten Aufgabe erfüllt, der pri-
mär erkenntnistheoretisch relevant ist: die Oberprüfung der Kritik des trans-
zendentalen Selbstbewußtseinsprinzips. Im folgenden geht es um die Einwände,
die auf Kants Konzeption einer noumenalen Subjektivität, die Idee eines rei-
nen Ichs an sich gehen. Die Differenz der beiden Fragestellungen ist umso
mehr zu betonen, als sie von Adorno nicht beachtet wird. Sie ist nicht nur
deshalb bedeutsam, weil ihre fehlende Berücksichtigung das Mißverständnis
des transzendentalen Prinzips "ich denke" als "Ich, das denkt" mitbedingt,
sondern auch, weil ohne diese Unterscheidung Kants Konzeption des reinen Ichs
verdinglichende Fehldeutungen evoziert.
In erster Annäherung kann man die zentrale, erkenntniskritisch abgesicher-
te Aussage der subjektstheoretischen Konzeption Kants darin sehen, daß sich
das Subjekt wesentlich nicht im empirischen Prozeß erschöpft, sondern daß
ein davon Verschiedenes angenommen werden muß: das nicht in empirische Mo-
mente auflösbare intelligible. Entsprechend grenzt Kant ein phänomenales
Selbst, das unter Kausalgesetzen steht, von einem noumenalen Selbst ab, das
nicht kausal bestimmt, sondern frei ist. Dieses stellt das "eigentliche
Selbst" dar, aufgrund dessen der Mensch sowohl (nicht nur einen "Preis",
sondern auch) "Würde" besitzt, als auch seine Handlungen ihm zurechenbar
sind.
Das für die kritische Ethik zentrale Theorem eines noumenalen Ichs an sich
sieht Adorno zwei Schwierigkeiten ausgesetzt: in bezug auf 1. die Bestimmung
des noumenalen Selbst, 2. den subjektstheoretischen Dualismus.

5.2.1 Die Bestimmung des noumenalen Selbst

Die Schwierigkeit einer Bestimmung des noumenalen Selbst liege darin, daß
"jede auch nur denkbare, im Kantischen Sinn 'noumenale 1 Bestimmung des Sub-
jekts" aporetisch sei. Des näheren lassen sich zwei Einwände Adornos ge-

165 Kant (143), S. 458


166 Kant (143), S. 434
167 Adorno ( 7 ) , S. 250
226 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

gen die Möglichkeit, das noumenale Selbst in praktischer Hinsicht denkerisch


zu bestimmen, unterscheiden:
1. Die erste Aporie liege darin, daß, "(...) um der Freiheit teilhaftig zu
werden", das noumenale Selbst außerzeitlich sein müsse. Zugleich aber werde
"(...) dies Noumenale (...) zu einem Dasein - weil sonst schlechterdings
nichts davon prädiziert werden könnte -, wie es nicht der Zeit nach bestimm-
bar sein soll. Dasein jedoch, als irgend gegebenes, nicht zur reinen Idee ver-
168
blaßtes, ist dem eigenen Begriff nach innerzeitlich." Demzufolge - so ist
Adorno zu ergänzen - sei das freie Subjekt zugleich zeitlich und zeitlos.
Es sei davon abgesehen, ob die Idee des noumenalen Subjekts an sich wirk-
lich ein selbständiges ansichseiendes Subjekt meint, wie es hier von Adorno
zugrundegelegt wird. Zunächst wichtiger sind zwei problematische Prämissen
der Argumentation: a) Es ist keineswegs zwinged, daß nur einem "Dasein" Prä-
dikate zugesprochen werden können. Wenn z.B. der natürlichen Zahlenreihe Un-
endlichkeit prädiziert wird, so muß sie nicht zu einem "Dasein" verdinglicht
werden, b) Auch ist die Notwendigkeit nicht einsichtig, "Dasein" zeitlich
verstehen zu müssen. Logische Sachverhalte müssen weder verdinglicht noch
verzeitlicht werden.
2. Der zweite Einwand zielt nicht auf das Prädikandum, sondern auf das Ver-
hältnis von Prädikandum und Prädikat: Freiheit sei " ( , . . ) prinzipiell Attri-
but temporalen Handelns und einzig temporal aktualisiert". Derart stelle sich
die Frage, wie sie "(...) von einem radikal Unzeitlichen soll prädiziert wer-
den können" 169 .
Der Einwand wirft mehrere Probleme auf:
a) Die Deutung des noumenalen Selbst als eines "radikal Unzeitlichen" ist
zu präzisieren. Wenn Kant dem Ich an sich den zeitlichen Charakter abspricht,
so ist diese negative Aussage nicht in dem Sinne positiv zu nehmen, daß die-
ses Ich zeitlos (unzeitlich ?) ist: Zwischen negativer Nicht-Zeitlichkeit
und positiver Zeitlosigkeit ist genauso zu unterscheiden wie zwischen dem
"Noumenon im negativen Verstande" und dem "in positiver Bedeutung"
Versteht man nun Adornos Begriff des "radikal Unzeitlichen" als positiv zeit-
los, dann sind zufolge dieser Hypostasierung Kantische Voraussetzungen ver-
lassen. Deutet man ihn jedoch negativ nicht-zeitlich, dann bereitet die Prä-

168 Adorno ( 7 ) , S. 250 f


169 Adorno ( 7 ) , S. 251
170 Kant ( 1 4 7 ) , B 307
Die Bestimmung des noumenalen Selbst 227

dikation nicht die suggerierten Schwierigkeiten.


b) Auch die andere Seite der Prä'dikation, das Prädikat, muß näher betrach-
tet werden: Freiheit mag zwar "Attribut temporalen Handelns" sein, aber da-
mit ist sie selbst nicht zeitlich. Gleichfalls mag sie "einzig temporal ak-
tualisiert" sein - aktualisiert, d.h. verwirklicht wird die Freiheit des W i l -
lens in Handlungen, und zeitlose Handlungen sind in der Tat schwer vorzustel-
len. Dies zeigt jedoch ebensowenig die Zeitlichkeit der Freiheit selbst.
Auch von hierher entfällt also die von Adorno bezeichnete Schwierigkeit.
Allerdings sind auch einige Formulierungen Kants besonders in der 'Kritik
der reinen Vernunft' zu korrigieren, in denen er der Vorstellung eines zeit-
los oder auch nur nicht-zeitlich handelnden Ichs an sich nachzuhängen
scheint. 171
c) Wenn weder das Prädikandum positiv zeitlos, noch dem entgegen das Prädi-
kat positiv zeitlich ist, dann verflüchtigt sich die herausgestellte Schwie-
rigkeit einer Prädikation zu dem von Kant offen Ausgesprochenen: die Tatsa-
che, daß er nicht zu erklären vermag, vie Freiheit möglich ist. Dieses ethi-
sche Problem ist nicht mit dem der konkreten Handlungsfreiheit oder gar dem
der politischen Freiheit zu verwechseln. Es belastet nicht nur die Kantische
Theorie und fordert zu weiteren theoretischen Anstrengungen heraus: Ist Frei-
heit überhaupt deutbar oder sind ihre Tatsache und ihr Wesen nicht immer
schon erdeutet ? Erdeutet auf der Grundlage eines vorphilosophischen Glaubens
an menschliches Freiseinkönnen ? Eines Glaubens, der zwar reflexiv eingeholt
und plausibel gemacht, aber nicht weiter theoretisch zwingend begründet wer-
den kann ?
Gegenüber der Selbstbeschränkung endlicher Vernunft durch Kant sind seine
Leistungen nicht ZU vergessen: In der erkenntnistheoretischen Grundlegung
hat er die Möglichkeit der Freiheit gegen diejenigen verteidigt, die vorge-
ben, "(...) tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben (...), und darum
die Freiheit dreust für unmöglich erklären" 172 . In der ethischen Ausführung
hat er ihre notwendige Realität in praktischer Hinsicht dargelegt. Ein freies
Handein ist zufolge dieses Ansatzes nicht zu bestimmen als ein zeitloses Han-
deln eines neben dem phänomenalen selbständigen noumenalen Subjekts in einer
unabhängigen intelligiblen Welt. Vielmehr meint es die Doppelaspektigkeit
des konkreten Handelns: seines prozessual zeitlichen Verlaufs und seines Ge-

rn Vgl. Kant (147), B 567 ff


172 Kant (143) , S. 459
228 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

gründetseins in vernünftigen Prinzipen, seiner Bedingtheit durch das äußere


Weltgeschehen und seiner Zurechenbarkeit zu verantwortlichen Subjekten. Ein
freies Handeln besteht nicht aus Handlungsprozessen, sondern aus Handlungs-
vollzügen. Die zwei Seiten eines Handelns und auch eines Ichs spiegeln nach
Kant lediglich "zwei Standpunkte"171^ der Betrachtung.
Adornos Kritik einer zweifachen Aporetizität einer Bestimmung des noumena-
len Selbst reduziert sich damit auf die von Kant offen ausgesprochene Tatsa-
che, nicht erklären zu können, wie Freiheit möglich ist. Der erste Vorwurf
beruht auf der These einer notwendig zeitlichen Onto!ogizitat des Prädikan-
dum. Der zweite unterscheidet weder zwischen Nicht-Zeitlichkeit und Zeitlo-
sigkeit (auf der Seite des Prädikandum) noch zwischen der Nicht-Zeitlichkeit
von Freiheit selbst und ihrer zeitlichen Verwirklichung im konkreten Handeln
(auf der Seite des Prädikats).

5.2.2 Die subjektstheoretischen Dualismen

Neben dem skizzierten Vorwurf steht das Problem des subjektstheoretischen


Dualismus im Vordergrund der Kritik Adornos. Es sind zwei Dualismen zu un-
terscheiden: der Dualismus 1. von Subjekt und Objekt, 2. des noumenalen und
des phänomenalen Ichs.
1. Der Dualismus von Subjekt und Objekt konkretisiere sich in der Frage
nach der möglichen Einflußnahme des Ichs an sich auf die reale Welt: Es sei
"(...) unerfindlich ( . . . ) , wie ein derart Unzeitliches in die raumzeitliche
Welt hineinzuwirken vermöchte, ohne selbst zeitlich zu werden und ins Kanti-
sche Reich der Kausalität sich zu verirren."
Auch hier f ä l l t die verding!ichende Betrachtungsweise Adornos auf, wenn er
zwei verschiedene Welten oder - wie es an anderer Stelle heißt - zwei "Da-
seinssphäre(n)" , eine "unzeitliche" (zeitlos oder nicht-zeitlich ?) und
eine "raumzeitliche" unterstellt. Demgegenüber liegt Kants Verdienst gerade
darin, die ontologiscne Zt/ei-Welten-Iheorie durch eine methodologische Zwei-
Aspekte-Theorie ersetzt zu haben.
Sprachlich zwar ausdrucksvoll vorgetragen, jedoch auf Kosten des Gedankli-
chen ist auch die Vorstellung eines (selbständigen ?) Ichs an sich, das, wenn
173 Kant (143), S. 452
174 Adorno ( 7 ) , S. 251
175 Adorno (7); S. 252
176 Vgl. Beck ( 2 9 ) , S. 182 ff; Paton ( 2 1 2 ) , S. 266 f, 281 - 301
Die subjektstheoretischen Dualismen 229

es handelt, anscheinend die "unzeitliche" Welt verläßt und sich "ins Kanti-
sche Reich der Kausalität" "verirrt". Der erkennbare sachliche Gehalt der be-
zeichneten Schwierigkeit reduziert sich auf die Frage, wie zeitlich nicht da-
tierbare Vernunft raum-zeitliche Handlungen bestimmen kann, wie es möglich
ist, daß der Mensch keinem bloßen Reiz-Reaktions-Mechanismus gehorcht, son-
dern reine Vernunft seine Handlungen beeinflussen kann. Diese Frage jedoch
kann Kant aus erkenntnistheoretischen Gründen nicht beantworten. Indessen
hat sich schon gezeigt, daß Adornos Alternative, Vernunft auf abgezweigte
Triebenergie zurückzuführen, nicht geringere Schwierigkeiten in sich birgt.
2. Entscheidender als der Dualismus von Subjekt und Objekt ist der intra-
subjektive Dualismus zwischen dem empirischen Ich der Erscheinung und dem
noumenalen Ich an sich.
a) Die Problematik dieses Dualismus zeige sich zunächst in der "paradoxa-
len" Behauptung Kants, trotz möglicher genauester Vorhersehbarkeit und Vor-
herberechenbarkeit der Handlungen eines Menschen sei dieser frei. Einer sol-
chen "Konstruktion der Freiheit" bleibe nur übrig, "(...) unter Preisgabe
der Vernunft, auf welcher sie beruhen soll, autoritär den einzuschüchtern,
178
der sie vergebens zu denken trachtet."
Der Einwand ist in doppelter Hinsicht problematisch:
aa) Die Bestimmbarkeit (Vorhersehbarkeit) von etwas ist nicht mit dessen
(Fremd-)Bestimmtheit zu verwechseln.
bb) Die Schwierigkeit dieser "Konstruktion" ist nur unlösbar, wenn nicht
zwischen W i l l e und Handlung unterschieden wird: "Was man sich auch in meta-
physischer Absicht für einen Begriff von der Freiheit des willens machen
mag: so sind doch die Erscheinungen desselben, die menschlichen Handlungen,
eben so wohl als jede andere Naturgegebenheit, nach allgemeinen Naturgeset-
170
zen bestimmt."
Kant behauptet an der von Adorno bezeichneten Stelle lediglich, daß, "(...)
wenn es für uns möglich wäre", das "Verhalten" eines Menschen genau "aus(zu)-
rechnen", dieser dennoch "(...) frei sei." Er nimmt also keine reale, sondern
nur eine eventuelle Möglichkeit an und zwar in der Absicht, den Grundgedanken
der kritischen Ethik herauszustellen. Worin dieser besteht, zeigt der gewähl-
te Begriff des "Verhaltens" an, denn das "verhalten" ist von dem (reflexiven)
177 Vgl. Kap. 4.3.1, Nr. 3
178 Adorno (7), S. 252
179 Kant (145), S. 17 (letzte Hervorhebung B.)
230 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

sich-vernalten zu unterscheiden. Dieses sieht Kant also nicht durch die von
ihm hypothetisch angenommene Möglichkeit einer Vorhersehbarkeit des Verhal-
tens berührt. Das hat seinen guten Grund, weil die Betrachtung des menschli-
chen Sich-Verhaltens grundsätzlich nicht mit der von empirisch faßbaren Pro-
zessen - Kant spricht von einer "Mond- oder Sonnenfinsternis" - vergleichbar
ist. Das spezifikwa des Sich-Verhaltens erhellt sich aus dem Kontext: Hier
erörtert Kant das moralische Prinzip der zurechenbarkeit von Handlungen. Dem-
nach heißt der vollständige Sinn des von Adorno nur bruchstückhaft Wiederge-
gebenen: Auch wenn es "möglich wäre", das "Verhalten" eines Menschen genau
vorherzusagen, berührt dies nicht das Problem der Zurechenbarkeit seiner
Handlungen, den Aspekt des Sich-Verhaltens. Auf diese grundsätzliche Diffe-
renzierung will Kant hinweisen, wenn er schreibt, daß "(...) man eines Men-
schen Verhalten auf die Zukunft mit Gewißheit, so wie eine Mond- oder Son-
nenfinsternis ausrechnen könnte und dennoch dabei behaupten, daß der Mensch
frei sei." 18(1 Diesen Unterschied aber kann Adorno aufgrund seines phänomeno-
logischen Ontologismus nicht fassen.
b) Das Ergebnis wird bestätigt durch Adornos Kritik der Konzeption des in-
telligiblen Charakters: Diese führe zu der "contradictio in adjecto" (!) ei-
ner "'intelligiblen Existenz 1 , einem Dasein ohne die Zeit, welche zufolge
1R1
Kant Daseiendes mit konstituiert" .
Auch hier verselbständigt Adorno irrtümlich das Ich an sich zu einem "Da-
sein" und folgert konsequent - da nach Kant zeitliche Bestimmungen nur für
das Phänomenale gelten - auf ein "Dasein ohne die Zeit". Indessen zeigt sich
die Unangemessenheit dieser Charakterisierung bei der näheren Betrachtung
der von Adorno zitierten Stelle: Kant spricht hier nicht einfach von einer
"intelligiblen Existenz", sondern von dem "Gesetz unserer intelligiblen
Existenz" und konkretisiert dieses als "das moralische". In bezug auf dieses
(und nicht unsere "intelligible Existenz") heißt es dann, daß die "Vernunft"
hinsichtlich desselben "(...) keinen Zeitunterschied anerkennt und nur fragt,
ob die Begebenheit mir als Tat angehöre" 182 . Es geht also auch hier nicht um
das ontologische Problem eines "Daseins ohne die Zeit", sondern um das ethi-
183
sehe Problem der Zurechenbarkeit von Handlungen zu einer konkreten Person.

180 Kant ( 1 4 6 ) , S. 99
181 Adorno ( 7 ) , S. 284
182 Kant (146), S. 99
183 Zum Problem der Zurechenbarkeit von Handlungen vgl. auch Kants Beispiel
vom Lügner: Kant ( 1 4 7 ) , B 582 ff
Die subjektstheoretischen Dualismen 231

Im H i n b l i c k auf dieses Problem aber sind "Zeitunterschiede" irrelevant, die


Tat " ( . . . ) mag jetzt geschehen oder verlangst geschehen sein." Für die
moralische (nicht etwa die juristische) Fragestellung ist es gleichgültig,
wann ich eine Handlung begangen habe. Wichtig ist vielmehr, ob ich sie voll-
zogen habe, und daß, wenn ich sie vollzogen habe, diese mir kraft meiner per-
sonalen Identität zugerechnet werden kann. Das Problem der personalen Iden-
tität aber - von Kant selbst nicht als ein solches bezeichnet, sondern zum
Teil lediglich mit der traditionell ontologisch affizierten Terminologie be-
stimmt - verweigert sich dem ungebrochenen Ontologismus Adornos. Deutlicher
als Kant spricht Hegel das Prinzip der personalen Identität aus, das wesent-
lich ein solches der Refiexivität ist: "Der Mensch habe nach der unmittelba-
ren Existenz an ihm selbst ein Natürliches, seinem Begriffe Äußeres; erst
durch die Ausbildung seines eigenen Körpers und Geistes, wesentlich dadurch,
daß sein Selbstbewußtsein sich als freies erfaßt, nimmt er Sich in Besitz
185
und wird das Eigentum seiner selbst und gegen andere."
c) Die Ontologisierung der ethischen Problematik zeigt sich nicht nur in
der Annahme eines selbständigen Ich an sich, einem "Dasein ohne die Zeit",
sondern auch in der konsequenten Unterstellung einer Zwei-Welten-Lehre, wie
sie sich z.B.gleichfall s bei Nietzsche findet. Das wird im Zusammenhang mit
Adornos Kritik des intelligiblen Charakters deutlich, der seines Erachtens
das empirische Dasein mit dem Sittengesetz vermitteln solle. Indessen gelin-
ge dies nur auf Kosten innerer Widersprüchlichkeit. Die Argumentation nimmt
eine Äußerung Kants im Anschluß an die "Tafel der Kategorien der Freiheit"
in der 'Kritik der praktischen Vernunft 1 a u f : "Redet Kant davon, 'daß der
Bestimmungsgrund jener Causa!ität auch außer der Sinnenwelt in der Freiheit
als Eigenschaft eines intelligiblen Wesens angenommen werden kann 1 , so wird
durch den Begriff der Eigenschaft das intelligible Wesen vollends zu einem
im Leben des Individuums positiv Vorstell baren, 'realen 1 . Das aber ist (...)
187
konträr der Lehre vom Intelligiblen als einem Jenseits der Sinnenwelt. 1
Der Einwand ist mehrfach problematisch:
aa) Es ist nicht einsichtig, inwiefern ein "positiv Verstellbares" - etwa
ein Kentaur - zugleich ein '"reales"' sein soll.

184 Kant (146), S. 99


185 Hegel (97), § 57, S. 122
186 Vgl. Nietzsche (201), S. 517. Fast identisch Adorno ( 7 ) , S. 252
187 Adorno ( 7 ) , S. 283
232 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
bb) Ebenfalls kann es nicht Überzeugen, daß, wenn die bezeichnete Katego-
rientafel die Freiheit "in Ansehung der durch sie möglichen Handlungen, als
Erscheinungen in der Sinnenwelt" betrachtet, "jede Kategorie" aber zugleich
"so allgemein genommen wird, daß der Bestimmungsgrund jener Kausalität auch
außer der Sinnenwelt in der Freiheit als Eigenschaft eines intelligiblen We-
sens angenommen werden kann"188 , dieses notwendig "zu einem im Leben des In-
dividuums positiv Vorstell baren" werden soll: Wenn etwas unter einen allge-
meinen Begriff f ä l l t und dieses ein "positiv Vorstell bares" ist, dann folgt
daraus nicht, daß wenn etwas anderes, das ebenfalls unter den allgemeinen
Begriff subsumiert werden kann, in gleicher Weise ein "positiv Vorstell bares"
ist.
cc) Wichtiger aber noch ist Adornos Bestimmung des Intelligiblen als eines
"Jenseits der Natur". Dies ist zwar von seiner naturalistischen Deutung des
Dinges an sich her konsequent, indessen wie diese fragwürdig. Nicht zu leug-
nen sind die zahlreichen Stellen im Werke Kants, an denen er in der Tat so
etwas wie eine "intelligible Welt" neben der "Sinnenwelt" anzunehmen scheint
und das Subjekt "als zu beiden Welten gehörig" 189 bestimmt. Hierher gehört
auch Kants Rede vom "Reich der Zwecke". Jedoch ist damit kein wirkliches
"Reich" gemeint, sondern nur ein "sehr fruchtbarer Begriff" , der zur Ver-
anschaulichung des ethischen Grundgedankens dient. Ein Vergleich aber darf
nicht zur Gleichsetzung werden. Mit diesem Vergleich knüpft Kant an die on-
tologische Tradition Leibnizens an, der zwischen einem "Reich der Gnade" und
einem "Reich der Natur" seinsmäßig unterscheidet, um die Freiheit des Han-
delns und die Notwendigkeit der Natur mittels des Prinzips der prästabili-
401
sierten Harmonie zu vereinen. Die Unterscheidung greift Kant erkenntnis-
kritisch abgesichert zur Lösung des Frei heitsproblems in der dritten Antino-
mie mit der Differenzierung zwischen Ding an sich und Erscheinung unter Um-
gehung der problematischen Idee einer prastabilierten Harmonie auf 19? und
modifiziert sie zugleich durch das Konzept einer methodologischen Stand-
193
punktstheorie. Dieser Theorie zufolge ist die "intelligible Welt" (und
entsprechend das " i n t e l l i g i b l e Wesen") keine selbständige Welt (bzw. kein
selbständiges Ich an sich), kein "Jenseits der Sinnenwelt" (bzw. kein "Da-

188 Kant (146), S. 67


189 Kant (146), S. 87
190 Kant (143), S. 433
191 Vgl. Martin (185), S. 306; Leibniz ( 1 6 5 ) , §§ 118, 340; (167), §§ 78 f
192 Vgl. Martin (185), S. 265
193 Vgl. Kant (143), S. 450, 452, 458
Die subjektstheoretischen Dualismen 233

sein ohne die Zeit"), sondern lediglich Ausdruck einer veränderten Perspek-
tive. Von hierher endlich erweisen sich Adornos Bestimmungen des "vermeint-
lich ansichseiende(n) Subjekt(s)" als eines "Abgespaltenen" und der "Di-
stinktion des reinen und empirischen Subjekts" als eines "Chorismos" 195 als
unangemessen, so konsequent sie von seinem Ontologismus her auch sind.
Kant wlirde der vermeintlich kritischen" These Adornos beipflichten, das
freie Ich an sich ("das transzendentale" Subjekt) sei nur "als Moment des
1 Qfi
empirischen" , insofern dies heißen soll, daß das freie Subjekt nicht
selbständig in einer vom konkreten Dasein unabhängigen "Daseinssphäre" 1Q7
existiert. Wohl aber widerspräche Kant, insofern dies heißen soll, daß das
Subjekt in seiner empirisch faßbaren Seite aufgehe. Solcherart würde das für
ein zurechenbares Verhalten zu einem sich verhaltenden Subjekt unabdingbare
Prinzip transzendentaler Freiheit ausgeklammert. Menschliche Freiheit ver-
kümmerte zur "Freiheit eines B r a t e n w e n d e r19fi
s".
dd) Allerdings ist die von Kant eingeführte Standpunktstheorie im Rahmen
eines kritischen Gesamtsystems ambivalent:
positiv ist sie insofern, als sie den Bruch mit der traditionell ontologi-
schen Betrachtungsweise bezeichnet. Dabei resultieren die zum Teil.isoliert
betrachtet»mißverständlichen Formulierungen Kants aus der Tatsache, daß sich
dieser Bruch innerhalb der alten, ihm zur Verfügung stehenden Terminologie
vollzieht. Durch diese Theorie gelingt es ihm, Freiheit und Kausalität zu
vereinen, ohne auf die problematische Idee einer prästabil ierten Harmonie
zurückgreifen zu müssen. Das spannungsvolle Verhältnis zwischen der von Kant
angenommenen kausalen Bestimmtheit der Handlungen einerseits und der Freiheit
des Willens andererseits ist demnach nicht real ontologisch zu verstehen im
Sinne der Unterscheidung zwischen einer determinierten und einer freien Welt.
Vielmehr ist es der Ausdruck verschiedener Maximen unserer Vernunft, die sie
zur Bewältigung komplexer Probleme in bisweilen konkurrierender Weise auf-
stellt.
Negativ aber ist die Standpunktstheorie hinsichtlich der erkenntnistheore-
tischen Konsequenzen. Diese betreffen insbesondere eine Revision der Lehre
der Kategorien und Grundsätze. Läßt sich der Widerspruch der Aussagen einer
kausalen Bestimmtheit des Menschen und einer dennoch gewährleisteten Freiheit
194 Adorno ( 7 ) , S. 213
195 Adorno ( 7 ) , S. 239
196 Adorno ( 7 ) , S. 239
197 Adorno ( 7 ) , S. 252
198 Kant (146), S. 97
834 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

nicht mehr durch die Beziehung auf verschiedene Sachebenen (Handlung des em-
pirischen Subjekts in einer phänomenalen Welt bzw. W i l l e des noumenalen Sub-
jekts in einer intelligiblen Welt) in ein konträres Verhältnis auflösen,
sondern gibt es nur ein Subjekt in einer Welt, dann müssen die verschiedenen
Aussagen als relative Deutungen (transzendentalphilosophisch genauer: srdeu-
tungen 199 ) gelesen werden. Ist die Kausal Vorstellung nur ein Vorschlag neben
der Vorstellung eines freien zurechenbaren Handelns zum Verständnis einer
(allerdings komplex struktuierten) Welt, dann muß Kants scharfe Trennung
zwischen dem konstitutiven Gebrauch der Kategorien und dem bloß regulativen
Gebrauch der Ideen aufgehoben werden. Diese Unterscheidung könnte mögli-
cherweise durch die bloß graduelle zwischen weitgehend bewährten Erdeutungs-
maximen (z.B. die Kausalitätskategorie mit Ausnahme für den Mikro- und Makro-
bereich) und empirisch nicht eindeutig verifizierbaren oder noch nicht veri-
fizierten Erdeutungsmaximen (z.B. teleologische Vorstellungen) ersetzt wer-
den.
Was für die Kategorien gilt, trifft a priori auf die Grundsätze zu und hier
besonders auf die Analogien der Erfahrung. Diese besitzen nach Kant wie die
Postulate des empirischen Denkens - jedoch im Unterschied zu den mathemati-
201
sehen Grundsätzen - von vornherein nur regulativen Wert. Sie müßten "(...)
nunmehr als regulativ in der vollen Bedeutung der transzendentalen Dialektik
verstanden werden." 202
So einschneidend diese von der Ethik her geforderte Revision der Kantischen
Erkenntnistheorie ist, so geeignet erscheint sie auch, einige ihrer Schwie-
rigkeiten zu lösen: Das leidige Problem der Vollständigkeit der Urteils-
und Kategorientafel stellte sich nicht mehr ein, weil die Kategorien nicht
im strengen Sinne (sondern nur im abgeschwächten Sinn von Erdeutungsweisen)
konstitutiv wären. Als zufällige Weisen der Vereinheitlichung von Gegebenem
könnten sie in zueinander möglicherweise konkurrierender Weise angewendet
werden. Ihr Bestand könnte prinzipiell Veränderungen unterworfen sein. Die
Kantische Kategorienlehre geriete nicht mehr in Verlegenheit angesichts der
Entdeckung von ihr nicht berücksichtigter Stämmbegriffe. Hier könnte man

199 Der Begriff des Erdeutens ist von W. Cramers Begriff des Eindeutens
[Gramer (40), S. 45 f, 95, 97] zu unterscheiden, da dieser Begriff die
ontologische Überhöhung der Theorie voraussetzt (Problem der - und
O 2 -Ordnung). Vgl. kritisch zu Cramer: Baumanns ( 2 0 ) , S. 99 ff
200 Vgl. Beck ( 2 9 ) , S. 183 i
201 Vgl. Kant (147), B 222 f.
202 Beck ( 2 9 ) , S. 184
Die subjektstheoretischen Dualismen 235
z.B. an die von Quine im Rahmen seiner (re-)konstruierten Evolution der
Denk- und Sprachschemata dargestellten kontinuativen Terms denken: Diese
Terms sprengen die individuatiye Dichotomie von singulä'ren und allgemeinen
Terms, die die Grundlage der Kantischen Kategorientafel bildet. 203 Auch wür-
de diese Revision nicht hinter Kant zurückfallen, sondern nur seinen - wie
OC\A
schon Fichte nachgewiesen hat - nicht eingelösten Anspruch in bezug auf
den Nachweis einer Vollständigkeit der Kategorientafel auf das von ihm tat-
sächlich Geleistete zurücknehmen. Die Öffnung der Kategorienlehre könnte nur
begründet zurückgewiesen werden, wenn ein Vollständigkeitskriterium angege-
ben wird. Ein solches ist aber - soweit wir sehen - bisher noch nicht über-
zeugend formuliert worden.
Entsprechende Überlegungen wären für die Lehre der Grundsätze anzustellen:
Neue naturwissenschaftliche, die klassische Physik Newtons teilweise außer
Kraft setzende Erkenntnisse (die z.B. das Kausalgesetz als nur für einen be-
grenzten Bereich nachweislich gültig anerkennen) widersprächen dieser revi-
dierten Lehre nicht mehr, sondern ergänzten bzw. deuteten sie nur in einem
neuen Licht. 205
Kants Theorie würde so den neueren Theorien und Erfahrungswissenschaften
geöffnet werden und diese - hierin bestünde weiterhin ihr kritisch transzen-
dentales Geschäft - begründen. Die Begründungsdimension einer revidierten
Transzendentalphilosophie wäre zwar nur schwächer, als es Kant vorschwebte,
dafür aber aufgrund ihres reduzierten Anspruchs in der Gegenwart umso über-
zeugender: Die einzeln weder deduzierten noch (ohne Zusatzprämissen} ableit-
baren, und deshalb empirisch aufzufindenden und auch möglicherweise sich
entwickelnden Kategorien würden das aus dem obersten Grundsatz der Ursprung*
lieh synthetischen Einheit der Apperzeption deduzierte Prinzip der Katego-
ria"! i tat konkretisieren. Sie selbst aber würden begründet mittels ihrer Funk-
tion, Weisen der synthetischen Vereinheitlichung und damit nachgängiger Er-
möglichungsgrund der apperzeptiven Einheit zu sein. Dies veränderte zwar
teilweise die transzendentale Analytik, hielte aber ihren höchsten Punkt und
sein regressives Implikationsgefüge (weitgehend) bei. Durch diese begründende
Dimension ist die derart revidierte Transzendentalphilosophie dem von Adorno
geforderten "dialektischen Realismus" grundsätzlich Überlegen.
203 Vgl. Cniine (222). Vgl. dazu und zu weiterführenden Überlegungen Baumanns,
(24), S. 60 ff
204 Vgl. Fichte (65), S. 201 f
205 Vgl. z.B. Beck (28). Zum Verhältnis des von Kant in der ersten Analogie
formulierten "Grundsatzes von der Beharrlichkeit der Substanz" zur mo-
236 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants

3. zusammenfassend ist zum Problem des subjektstheoretischen Dualismus


festzuhalten: Adornos Vorwurf einer "unerfindlichen" Einflußnahme des Ichs
an sich auf die reale Welt beruht auf einer doppelten Verdinglichung: der
Annahme eines selbständigen Ichs an sich in einer selbständigen "Daseins-
sphäre". Dieser Ontologismus setzt sich im intrasubjektiven Dualismus zwi-
schen dem phänomenalen und noumenalen Subjekt fort. Er verhindert hier auf
der Grundlage einer zum Teil falschen Textwiedergabe ein -angemessenes Erfas-
sen des ethischen Problems der Zurechenbarkeit von Handlungen zu einem Sub-
jekt kraft seiner personalen Identität. Solche Mißverständnisse werden zwar
teilweise von der traditionell ontologisch affizierten Terminologie Kants
begünstigt, widersprechen aber der von ihm konzipierten methodologischen
Standpunktstheorie, die die Annahme einer Zwei-Welten-Lehre überwindet. Al-
lerdings ist ebenfalls in Rechnung zu stellen, daß die von der kritischen
Ethik her erforderliche Durchführung der Standpunktstheorie eine Revision
der Lehre der Kategorien und Grundsätze notwendig macht. Diese Revision käme
wiederum den rein immanent erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten entgegen.

(lernen Physik vgl. v. Weizsäcker ( 2 8 4 ) .


5.3 Zusammenfassung der Überlegungen

Bevor die subjektstheoretische Alternative Adornos in der Absicht erörtert


wird, die Notwendigkeit der Kantischen Konzeption indirekt darzulegen, soll
Adornos Kritik dieses Ansatzes abschließend kurz rekapituliert werden. Dabei
ging es um den Nachweis der in Frage stehenden Möglichkeit der Kantischen
Konzeption, die sowohl die Erkenntnistheorie als auch die kritische Ethik in
systematisch zentraler Weise begründet. Des näheren sind zwei Probleme zu
unterscheiden: Adornos Kritik 1. des transzendentalen Selbstbewußtseinsprin-
zips "ich denke", 2. der Idee eines noumenalen Subjekts.
ad 1) In Verlängerung seiner phänomenologischen Ontologisierung der Kanti-
schen Erkenntnistheorie deutet Adorno das transzendentale Prinzip des "ich
denke" zum objektivierten "Ich, das denkt" um. Derart wird die Apperzeption
eine solche ohne Perzeptionen, eine Art Gefäß, in das "das Mannigfaltige
fällt". Ihr objektbegründender und spontaner Charakter wird konsequent in
eine passive Dinglichkeit uminterpretiert. Aus der transzendentalen Konsti-
tutionstheorie wird eine Subsumtions-, Reduktions- und Identifikationstheo-
rie, die so unter das geschichtstheoretische Schema einer totalen Herrschafts-
geschichte ("Naturgeschichte") subsumiert wird: die Transzendentalphilosophie
als wahrer Ausdruck einer falschen Geschichte. Die durchgängig apperzeptive
Einheit wird damit zur numerischen Identität einer Person. Die Vergegenständ-
lichung der Apperzeption erlaubt zugleich ihre Psychologisierung zur "Ich-
Instanz" des Bewußtseins und die Anwendung fundamentalontologischer Katego-
rien, die auf den Vorwurf des Platonismus führt. Dies verweist auf den grund-
legenden, einem transzendentalen Paralogismus vergleichbaren Irrtum Adornos,
der durch den Nachweis eines konsequenten Mißverständnisses der Paralogismen-
lehre Kants bestätigt wird. Von dieser Ontologisierung des "ich denke" her
ist die Kritik Adornos grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. Zudem sind
folgende Monita zu nennen: ungenügende Unterscheidung zwischen Denk- und
Realbestimmung, Reduktion des Reziprozitätsverhältnisses auf eine Relation
zwischen zwei gleichwertigen Seiten, Identifizierung von constitutum und
constituendum, Form und Formiertem (formierter Form), ratio cognoscendi und
ratio essendi, zirkuläre Argumentation, Mißverständnis der Abstraktionsme-
thode und der transzendentalphilosophischen intentio obliqua als reduktioni-
stisch. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Adornos "Metakritik" des
238 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
transzendentalen Selbstbewußtseinsprinzips hinter das von Kant erreichte Re-
flexionsniveau zurückfällt.
ad 2) Das für die kritische Ethik zentrale Theorem eines noumenaien ichs
an sich sieht Adorno zwei Schwierigkeiten ausgesetzt: einer Aporetizitä't der
Bestimmung dieses Ichs und dem Problem des Dualismus von noümenalem und phä-
nomenalem Subjekt. Im ersten Kritikpunkt unterscheidet Adorno weder zwischen
Nicht-Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit noch zwischen Nicht-Zeitlichkeit von
Freiheit und ihrer zeitlichen Verwirklichung in konkreten HandlungsVollzü-
gen. Auch ist die Prämisse der notwendig zeitlichen Ontologizität eines Prä-
dikandum problematisch. Die Kritik des subjektstheoretischen Dualismus läßt
sich im wesentlichen auf eine Ontologisierung der ethischen Problematik zu-
rückführen: der Annahme eines selbständigen Ichs an sich in einer intelli-
giblen Welt. Derart wird Kants Oberwindung der ontologischen Zwei-Welten-
Lehre durch eine methodologische Standpunktstheorie nicht erkannt. Gleiches
gilt für das Problem der Zurechenbarkeit von Handlungen zu Personen kraft
ihrer personalen Identität.
Ungeachtet der Notwendigkeit von Revisionen des Kantischen Entwurfes,ist
auf diese Weise die Kritik der Kritischen Theorie am Kritizismus geschei-
tert. Damit kann im folgenden zur direkten Kritik an der Kritischen Theorie
übergegangen werden.
6 ADORNOS SUBJEKTSTHEORIE

Nachdem oben die systematisch zentrale Kritik Adornos an der subjektstheore-


tischen Konzeption Kants analysiert worden ist, muß im folgenden seine Al-
ternative geprüft werden.
Vorab ist daran zu erinnern, daß auch hier Adornos Anspruch nicht erfüllt
ist, seine "Dialektik" sei " ( . . . ) kein dritter Standpunkt, sondern der Ver-
such, durch immanente Kritik philosophische Standpunkte über sich und die
W i l l k ü r des Standpunktdenkens hinauszubringen." Damit drängt sich die Frage
auf, ob vielleicht gerade Kantische Kategorien geeignet sind, die Schwierig-
keiten der Konzeption Adornos zu überwinden.
Die folgenden Erörterungen gehen in zwei Schritten vor: 1. einer kritischen
Rekonstruktion der Subjektstheorie Adornos, 2. einer Darlegung ihrer proble-
matischen Konsequenzen in geltungstheoretischer Hinsicht und in bezug auf
die Theorie-Praxis-Frage.

l Adorno ( 5 ) , S. 467
6.1 Kritische Rekonstruktion

Die kritische Rekonstruktion muß zwischen zwei Problemen unterscheiden:


1. dem Verhältnis von Subjekt und Objekt, 2. der inneren Struktur des Sub-
jekts.

6.1.1 Das Verhältnis von Subjekt und Objekt: Die Präponderanz des Objekts

1. Wie oben dargelegt worden ist, unterstellt Adorno dem Idealismus pauschal
die Annahme eines ontologischen und herrschaftlichen Primats des Subjekts
auf Kosten des Konkret-Ontischen und Nichtidentischen. Dieses Theorem sei
2
jedoch "metakritisch" in einer "intentio obliqua der intentio obliqua" zu
überwinden: "Durchgeführte Kritik an der Identität tastet nach der Präpon-
deranz des Objekts."
So eindeutig diese These zunächst zu sein scheint, ebenso proteushaft ist
sie bei näherer Betrachtung: Die Idee eines 'Vorrangs des Objekts" besitzt
mindestens drei verschiedene Bedeutungen: a) im Sinne eines subjektstheore-
tischen Naturalismus und.davon unterschieden,psychologisch-soziologisch be-
trachtet sowohl b) im Sinne einer "verkehrte(n) Gestalt des Vorrangs von Ob-
jektivität" als auch c) im Sinne eines "Vorrang(s) des Objekts" als eines
"kritisch Herzustellenden". Ist in der Bedeutung von a) der "Vorrang des
Objekts" notwendig, so in der von b) wirklich, in der von c) aber möglich,
nicht etwas, was ist, sondern etwas, was sein soll.
Nach a) sei der "Vorrang des Objekts" an keine im Grunde kontingenten Be-
dingungen gebunden, wohl aber in der idealistischen Philosophie übersehen
und geleugnet worden. Der falsche Vorrang nach b) sei an die im weitesten
Sinne kapitalistisch orientierte Tauschgesellschaft geknüpft, die der Nicht-
identität der Objekte einen identischen "Warencharakter" aufpresse. Da der-
art der "Vorrang des Objekts" zur "Fratze" verzerrt werde, sei der wahre
"Vorrang" im Sinne von c) kritisch herzustellen, durch Veränderung des Be-

2 Adorno (5), S. 747


3 Adorno (7), S. 184
4 Adorno (7), S. 194
5 Adorno (7), S. 190
6 Adorno (7), S. 190
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 241

wußtseins und seiner gesellschaftlichen Grundlagen die "Versöhnung" von Sub-


jekt und Objekt anzustreben.
2. Von Interesse ist hier zunächst lediglich die "Präponderänz des Objekts"
im Sinne von a). Von der Voraussetzung ausgehend, der Idealismus und insbe-
sondere Kant proklamierten ein "ontologisches Vorrecht des Bewußtseins" ,
führt Adorno aus, daß jedes Subjekt "der,eigenen Beschaffenheit nach vorweg
auch Objekt" (das constituens auch constitutum) sei. Im Unterschied dazu kön-
ne das Objekt zwar nur mittels des Subjekts gedacht werden, erhalte "sich
o
aber diesem gegenüber immer als Anderes" . Das reziproke Bedingungsverhält-
nis von Subjekt und Objekt sei demnach nicht äquivalent, es herrsche "kein
Gleichgewicht": "Vom Subjekt ist Objekt nicht einmal als Idee wegzudenken;
aber vom Objekt Subjekt."
Vermutlich angesichts der zu gewärtigenden Frage, wer das Subjekt vom Ob-
jekt wegdenken soll, schränkt Adorno in den 'Epilegomena' zur 'Negativen Dia-
lektik 1 die These ein: Dies sei "nicht aktuell", sondern lediglich "poten-
tiell" möglich. Also eine Möglichkeit, die nicht wirklich werden kann ?
Der fehlenden Äquivalenz von Subjekt und Objekt entspricht ihre verschie-
den gewichtige Vermittlung: "Vermittlung des Objekts besagt, daß es nicht
statisch, dogmatisch hypostasiert werden darf, sondern nur in einer Verflech-
tung mit Subjektivität zu erkennen sei; Vermittlung des Subjekts, daß es oh-
ne das Moment der Objektivität buchstäblich nichts wäre."
3. Adornos Begründung der "Präponderänz des Objekts" ist durchaus fragwür-
dig. Die Auffassung kann keineswegs beanspruchen, über Kant hinauszugehen,
weil die beabsichtigte "Metakritik" sich grundlegenden Mißverständnissen
verdankt. Ebensowenig erschüttern die "modernen Naturwissenschaften" - wie
12
Adorno glaubt - den transzendental philosophischen " S u b j e k t i v i s m u s " . Wohl
aber kann sich Adorno auf den gesunden Menschenverstand berufen - nur: Die-
sen bestätigt Kant mit der Einheit von transzendentalem Idealismus und empi-
rischem Realismus.

7 Adorno (7), s. 186


8 Adorno (7), S. 184
9 Adorno (7), S. 184
10 Adorno (5), S. 747
11 Adorno (7), S. 186 f (Hervorhebung B.)
12 Adorno (5), S. 748
242 Adornos Subjektstheorie

Ebenso fragwürdig ist die These Adornos, "Index für den Vorrang des Ob-
jekts" sei "die Ohnmacht des Geistes in all seinen Urteilen wie bis heute
in der Einrichtung der Realität" 13 .
Weder läßt sich unter einer "Ohnmacht des Geistes in all seinen Urteilen"
etwas vorstellen, noch ist es einsichtig, weshalb eine unvernünftig einge-
richtete Realität auf den ontologischen Primat des Objekts hinweisen soll:
Jene besagt nicht mehr und nicht weniger, als daß das menschliche Handeln
nicht an vernünftigen Zielen ausgerichtet ist. Von hierher auf den ontolo-
gisch naturalistischen Vorrang des Objekts zu folgern, ist umso w i l l k ü r l i -
cher, als Adorno "die Ohnmacht des Geistes" auf das "bis heute" einschränkt.
Soll eine vernünftig eingerichtete Realität den Vorrang des Subjekts indi-
zieren ? Soll dann das Objekt "buchstäblich" und nicht nur erkenntnismäßig
auf das Subjekt angewiesen sein ?
4. Nicht nur Adornos Begründung zugunsten einer "Präponderanz des Objekts",
sondern auch ihre nähere Ausführung ist problematisch, zunächst scheint es,
daß der Selbständigkeit des Subjekts Rechnung getragen wird: "Der Vorrang
des Objekts, als eines doch selbst Vermittelten, bricht die Subjekt-Objekt-
Dialektik nicht ab." Ist Adorno doch darum bemüht, indem er Subjektivität
zum "festgehaltenen Moment" erklärt, sich vom "(...) primitiven Materialis-
mus, der Dialektik eigentlich nicht zuläßt" 1 5 , abzusetzen.
Entsprechend heißt es in der 'Negativen Dialektik 1 in bezug auf Subjekt und
Objekt: "Weder sind sie letzte Zweiheit, noch verbirgt hinter ihnen sich
letzte Einheit. Sie konstituieren ebenso sich durch einander, wie sie vermö-
ge solcher Konstitution auseinandertreten."
a) Zunächst zur Zurückweisung einer "letzte(n) Zweiheit": Offensichtlich
unterscheidet Adorno zwischen "letzte(r)" oder "absolute(r) Zweiheit" und
"Zweiheit", denn andererseits gilt: "An der Zweiheit von Subjekt und Objekt
ist kritisch festzuhalten, wider den Totalitätsanspruch, der dem Gedanken in-
häriert." 17 Demnach hieße die Ablehnung einer "letzte(n) Zweiheit" dies, daß
die Begriffe Subjekt und Objekt kein "Positives, keine primären Sachverhalte",
nichts Isoliertes bezeichnen, sondern daß Subjekt und Objekt trotz ihrer

13 Adorno (7) S. 187


14 Adorno (7) S. 187
15 Adorno (5) S. 749
16 Adorno (7) S. 176
17 Adorno (7) S. 176 f
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 243

"Nichtidentität" 18 wesentlich aufeinander bezogen sind.


Weniger einsichtig ist die Begründung für diese These: "Würde der Dualis-
mus von Subjekt und Objekt als Prinzip zugrunde gelegt, so wäre er, gleich
dem Identitätsprinzip, dem er sich weigert, abermals total, monistisch, ab-
solute Zweiheit wäre Einheit." 19
Das ist zunächst begrifflich ungenau. Auch nach Adorno erfordert Einheit
20
" ( . . . ) Verschiedenes, dessen Einheit sie ist." Nicht eine "Einheit", son-
dern allenfalls eine Identität wäre demnach "monistisch".
Entscheidender aber ist, daß Adorno hier - auf den Fehler ist wiederholt
hingewiesen worden - Objektebene und Metaebene, Begriff und Begriffenes iden-
tifiziert: Die Zugrundelegung eines Prinzips bedeutet nur dann die Identität
des unter dem Prinzip Gefaßten, wenn es keinen Dualismus bezeichnet.
b) Zur Zurückweisung einer "letzte(n) Einheit": Sie scheint auf den zwei-
ten Aspekt einer Dialektik von Subjekt und Objekt zu zielen. Subjekt und Ob-
jekt seien zwar wesentlich aufeinander bezogen und insofern keine "letzte
Zweiheit", aber auch nicht aufeinander reduzierbar und insofern keine "letz-
te Einheit". Allerdings müßte im Interesse einer eindeutigen Terminologie
der Begriff der "letzte(n) Einheit" durch den der Identität ersetzt werden.
Dieser Deutung entspricht die These, Subjekt und Objekt seien "(...) beide
nicht aus einem Dritten herausgestückt, das sie transzendierte. Das Dritte
tröge nicht minder." 21 Damit scheint Adorno also eine Subjekt-Objekt-Dia-
lektik zu befürworten, die unter dem Primat des Objekts beide Seiten berück-
sichtigt.
5. Ein erstes Problem tritt auf, weil Adorno in den 'Dialektischen Epilego-
mena 1 , die "unmittelbar solche zur 'Negativen Dialektik" 1 ?2 sind, der das
Vorhergehende entnommen ist, demselben widerspricht: Gibt es diesem zufolge
kein Subjekt und Objekt transzendierendes "Drittes", so wird nunmehr ein
solches entwicklungsgeschichtlich angenommen. Es habe eine vormalige ursprüng-
liche "Ungeschiedenheit" von Subjekt und Objekt gegeben, "(...) ehe das Sub-
jekt sich bildete". Diese sei kein Zustand "glücklicher Identität von Sub-
jekt und Objekt" - zufolge Adorno eine "romantisch(e)" Auffassung -, sondern

18 Adorno (7), S. 176


19 Adorno (7), S. 176
20 Adorno (5), S. 743. Vgl. ( 1 ) , S. 484
21 Adorno (7), S. 177
22 Adorno (5), S. 598
244 Adornos Subjektstheorie

der "Schrecken des blinden Naturzusammenhangs" gewesen. Ausdrücklich heißt


es, mit "Ungeschiedenheit" sei "nicht Einheit" gemeint: "(...) diese erfor-
dert, schon der Platonischen Dialektik zufolge, Verschiedenes, dessen Einheit
sie ist." 23
Der Widerspruch zwischen der 'Negativen Dialektik* und ihren 'Epilegomena 1
läßt sich jedoch durch eine Teilrevision und eine zeitliche Spezifizierung
beheben. Demnach wäre zwar ein ursprüngliches "Drittes", eine "Ungeschieden-
heit" von Subjekt und Objekt anzunehmen, zugleich aber eine sich daraus ent-
wickelnde gegenwärtige Dialektik. Wird auf diese Weise der skizzierte Wider-
spruch aufgehoben, so entsteht statt dessen ein neues Problem: das der Genese
6. Die Schwierigkeit betrifft, wenn die Begriffe Subjekt und Objekt in ih-
rer bisherigen Bedeutung festgehalten werden, nicht die Genese des Subjekts
aus dem Objekt, sondern die Wandlung der "Ungeschiedenheit" in die einheit-
liche Zweiheit von Subjekt und Objekt. Derart gestellt ist das Problem je-
doch unlösbar: Die Metamorphose einer "Ungeschiedenheit" in eine "Zweiheit"
läßt sich zwar erläutern (wie z.B. dadurch, daß sich diese "Zweiheit" im Zu-
ge der Selbsterhaltung der menschlichen Gattung entwickelt habe), aber die
eigentliche Schwierigkeit zu erklären, wie aus "Ungeschiedenheit" "Zweiheit"
wird, bleibt bestehen. Von daher muß Adorno irgendeine "irrationale Katastro-
phe in den Anfängen" postulieren.
Die Frage muß im Interesse des theoretischen Fortschritts anders gestellt
werden. Dabei gibt Adorno einen wichtigen Hinweis, indem er die "Ungeschie-
denheit" als "blinden Naturzusammenhang" bestimmt. Das Problem der Genese
wandelt sich damit in die Frage, wie sich Bewußtsein, Vernunft, Geistiges
und Individualität - Attribute des Subjekts - aus dem "blinden Naturzusammen-
hang" entwickelt haben.
Die Bestimmung der "Ungeschiedenheit" als "Naturzusammenhang" impliziert
eine weitere Schwierigkeit: Es wird die Einführung einer vierten Bedeutung
des "Vorrangs des Objekts" notwendig, nämlich im Sinne einer ursprünglich-
keit des Objekts.
War bisher davon auszugehen, daß mit dem dialektischen Vorrang des Objekts
vor dem Subjekt ein im Objekt nicht aufgehender Eigenwert des Subjekts ver-
bunden ist, so muß diese Auffassung nunmehr korrigiert werden, weil mit dem

23 Adorno ( 5 ) , S. 742 f
24 Adorno ( 7 ) , S. 317
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 245

Theorem eines "Vorrangs des Objekts" im Sinne von a) eine materialistische


Position verbunden wird: "Durch den Obergang vom Vorrang des Objekts wird
Dialektik materialistisch." 25
Diese Auffassung geht wesentlich weiter als die zuvor skizzierte, auch wenn
Adorno einen anderen Eindruck erwecken w i l l , indem er die Positionsverschie-
bung als implizite ausgibt: War mit dem "Vorrang des Objekts" im Sinne von
a) weitgehend eine transzendental idealistische Position vereinbar, so nicht
mehr, wenn dieser "Vorrang" zu einem materialistischen erklärt wird. Denn
jetzt wird nicht nur ein "Vorrang", sondern die metaphysische Ursprünglich-
keit des Objekts geltend gemacht. Dabei wird unter der Hand der Begriff des
Objekts, der zuvor reziprok an den des Subjekts gebunden war, in seiner Be-
deutung verändert, mit Materie/Natur gleichgesetzt. Diese nicht weiter be-
gründete Ausdeutung des "Vorrangs des Objekts" im Sinne von a) zu einer Ur-
sprünglichkeit des Objektiv-Natürlichen kann als "Vorrang des Objekts" im
Sinne von a ' ) bezeichnet werden. Die so entstandene Theorie ist als natura-
listischer Evolutionisms zu charakterisieren.
Die Positionsverschiebung hat weitergehende Konsequenzen: Der Ausdeutung
des "Vorrangs des Objekts" in der Bedeutung von a) zu a ' ) entspricht der Wi-
derspruch zwischen der 'Negativen Dialektik 1 und ihren 'Epilegomena 1 . Nur
zeigt sich jetzt, daß sich dieses Problem bis in die 'Negative Dialektik'
selbst fortsetzt und in ihr systematisch bedeutsam ist. Die Annahme eines
die Subjekt-Objekt-Dialektik unter dem "Vorrang des Objekts" im Sinne von
a) transzendierenden "Dritten" ist kein Theorieakzidens, sondern die Impli-
kation der Ausdeutung von a) zu a ' ) , die Folge des naturalistischen Evolu-
tionismus.
Damit rückt nicht nur die Frage nach der Entwicklung von Bewußtsein, Ver-
nunft, Geistigem und Individualität - Charakteristika des Subjekts - aus dem
materiell "blinden Naturzusammenhang" in das Zentrum des Interesses. Zugleich
wird das Problem der Dialektik von Subjekt und Objekt virulent: Nur wenn
Adorno die Genese des Subjekts aus dem Objekt befriedigend darzulegen vermag,
kann er so etwas wie Subjektivität - sofern sie mehr sein soll als räumlich
und zeitlich individuierte Natur - und damit eine Dialektik von Subjekt und
Objekt annehmen.

25 Adorno ( 7 ) , S. 193
246 Adornos Subjektstheorie
26
7. Vorab ist in Anlehnung an Th. Litt ein grundsätzliches methodisches
Bedenken gegenüber dem naturalistischen Evolutionismus zu formulieren: Die
Betrachtungsweise dieser Konzeption ist als "genetische" ?7 (d.h. als eine
solche, die das Spätere aus dem Früheren mittels der Kategorie der Selbster-
haltung zu begreifen sucht) dem grundlegenden Einwand ausgesetzt, die Lei-
stungen des Menschen lediglich als Objekt zu betrachten. Der Evolutionismus
unterschlägt, daß er die objektivierten Leistungen selbst in Anspruch nimmt,
diese auch die objektivierenden sind, er zu ihnen also in einem doppelten
Verhältnis steht: Ober Vernunft kann nur durch Vernunft etwas ausgemacht wer-
den. Indem er nun dieses doppelte Verhältnis (der Selbsterkenntnis) auf eine
einfache Relation (der gegenständlichen Erkenntnis) reduziert, muß er die be-
trachteten Leistungen nach unten hin angleichent kann er an ihnen nur das
wahrnehmen, was dem unmittelbaren Lebenskampfe dienlich ist. Vor jeder in-
haltlichen Aussage ist der Evolutionismus damit auf ein reduktionistisches
Modell festgelegt.
Das heißt zugleich, daß, wenn der Reduktionismus nicht einbekannt und kon-
sequent durchgeführt wird, notwendig Argumentationsbrüche auftreten, die ent-
weder durch bloße Worte, Äquivokationen oder Zirkelschlüsse verdeckt werden.
Genau dieser Sachverhalt liegt bei Adorno vor. Dies im folgenden konkret zu
belegen* ist eine Aufgabe.
Die Kritik am Erklärungsmodell Adornos kann nur überzeugen, wenn seine Kri-
tik alternativer Konzeptionen zurückgewiesen werden kann. Von hierher stellt
sich zum zweiten die Aufgabe darzulegen, daß seine Einwände entweder auf Miß-
verständnissen beruhen oder lediglich simplifizierte theoretische Positionen
treffen. Durch diesen Nachweis wird der jeweiligen Alternative Adornos die
Grundlage entzogen.
Beide Aufgaben (die Kritik der K r i t i k Adornos und die Kritik seiner Alter-
native) sollen im folgenden unter den Aspekten der Entstehung von Bewußtsein,
Vernunft, Geistigem und Individualität erfüllt werden.
8. Zur Entstehung des Bewußtseins: Charakteristisch für Adornos Bewußtseins-
theorie ist die Auffassung, von der sie sich absetzt: Sie wendet sich gegen
eine solche Konzeption, die ein "ontologisches Vorrecht des Bewußtseins"
postuliert. Das hier zugrundeliegende Mißverständnis Adornos ist oben dar-
gelegt worden.
26 Vgl. Litt (176), S. 281 - 297
27 Litt ( 1 7 6 ) , S. 285
28 Adorno ( 7 ) , S. 186
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 247

Positiv bestimmt er "(...) das verselbständigte Bewußtsein, Inbegriff des


Tätigen in den Erkenntnisleistungen,(als, B.) abgezweigt von der libidinösen
Energie des Gattungswesens Mensch." Verselbständigt sei das Bewußtsein inso-
fern, als es nicht mit der Libidoenergie identisch, sondern lediglich von
ihr abgezweigt sei. Begründet wird diese Abzweigung mit dem Zwang der Selbst-
erhaltung. Derart deutet Adorno im Sinne des naturalistischen Evolutionismus
OQ
das Bewußtsein als "Funktion des lebendigen Subjekts" . Da der Oberlebens-
kampf nicht einer des isolierten Individuums ist, sondern sich wesentlich im
gesellschaftlichen Rahmen vollzieht, und auch die Ausbildung des Bewußtseins
Intersubjektivität voraussetzt, bezieht sich Adorno auf das "Gattungswesen
Mensch". Seine Bewußtseinstheorie kann somit als Kompilation von Freud und
Marx gelesen werden.
Indessen ist es fragwürdig, ob dieses reduktionistische Erklärungsmodell
wesentliche Aspekte des Bewußtseins berücksichtigt. Auszugehen ist von dem
besonders durch Fichte 30 hervorgehobenen Tatbestand, daß Bewußtsein nicht
einfach ist (in der Art etwa eines Steines), sondern daß es wesentlich rela-
tional ist, Bewußtsein von etwas ist. Der relationale Charakter des Fürsich-
seins kann aber schwerlich aus abgezweigter "libidinöser Energie" entstehen.
Triebenergie bleibt ihrem Wesen nach, auch wenn sie - etwa im Sinne Freuds
durch Hemmung - abgezweigt ist, und sich - auf welche Weise bleibt unklar -
verselbständigt hat, Triebenergie.
Weiter: Wie kommt es zu der Triebhemmung und derart zu dem später verselb-
ständigten Triebüberschuß, wenn vom Libido-Modell Freuds ausgegangen wird ?
»er soll hemmen, wenn nicht ein schon bewußtes Wesen, ein Wesen, das ein Be-
wußtsein von seiner Umgebung besitzt und sich entsprechend zu dieser ver-
hält ? In diesem bewußten Sich-Verhalten mögen durchaus bestimmte Bewußt-
seinsformen, wie sie die Entwicklungspsychologie erfaßt, ausgebildet werden.
Jedoch setzt die Ausgestaltung des Bewußtseins schon ein Bewußtsein voraus.
Die skizzierte Schwierigkeit affiziert in ä h n l i c h e r Weise den in der 'Deut-
schen Ideologie 1 entwickelten Theorieansatz. Hier weigert sich Marx in Wen-
dung gegen eine idealistische Geschichtsdeutung, das Bewußtsein als das den
Menschen Auszeichnende und damit Geschichtskonstituierende anzuerkennen.
Vielmehr will er das Bewußtsein an fünfter Stelle ableiten nach der "Produk-
tion des materiellen Lebens selbst",d.h. 1. der Erzeugung der Mittel zur Be-

29 Adorno ( 7 ) , S. 186
30 Vgl. Fichte (65), S. 196 ff
248 Adornos Subjektstheorie

dürfnisbefriedigung, 2. der "Erzeugung neuer Bedürfnisse", 3. des sozialen


Verhältnisses der Fortpflanzung (Familie), 4. der "Produktion des Lebens"
"einerseits als natürliches, andererseits als gesellschaftliches Verhält-
nis" 3 (gesellschaftlicher Modus der Produktion). Angesichts dieser vier Be-
dingungen von Geschichte stellt Marx fest: "Es zeigt sich also schon von vorn-
herein ein materialistischer Zusammenhang der Menschen untereinander, der
durch die Bedürfnisse und die Weise der Produktion bedingt und so alt ist
wie die Menschen selbst - ein Zusammenhang, der stets neue Formen annimmt
und also eine 'Geschichte 1 darbietet". Erst jetzt "finden wir" nach Marx,
" ( . . . ) daß der Mensch auch 'Bewußtsein' hat." Dieses sei "erst aus dem Be-
dürfnis, der Notdurft des Verkehrs mit anderen Menschen" entstanden: "Das
Bewußtsein ist also von vornherein schon ein gesellschaftliches Produkt und
bleibt es, solange überhaupt Menschen existieren." 32
Der bewußtseinstheoretische Reduktionismus ist jedoch zirkulär: Einerseits
soll das Bewußtsein ein "gesellschaftliches Produkt" sein, andererseits ist
das Bewußtsein Bedingung von gesellschaftlicher Produktion, weil es Bedin-
gung von Gesellschaftlichkeit ist. Denn: Der von Marx hervorgehobene gesell-
schaftliche Charakter der menschlichen Produktion im Unterschied zur bloß
tierischen Tätigkeit besteht in dem Verhältnis der Menschen untereinander.
O-3
Ein Verhältnis jedoch setzt Bewußtsein voraus, wie Marx selbst ausführt.
Welche Variante des bewußtseinstheoretischen Reduktionismus auch gewählt
wird, die psychoanalytische (Freud) oder soziologische (Marx) oder die Kom-
pilation beider im Sinne einer gesellschaftlich bestimmten Abzweigung und
Verselbständigung von Libidoenergie (Adorno), eine jede scheitert also im
Grundsätzlichen. Bewußtsein ist nicht abzuleiten, sondern als Prinzip voraus-
zusetzen.
Damit ist auch der Vorteil von Adornos Erklärungsmodell nur scheinbar: Es
mache im Gegensatz zu Kant verständlich, wie Bewußtsein "in die gesellschaft-
liche Gesamtverfassung" eingreifen könne. Dies sei "(...) darum nicht durch-
aus schimärisch, weil Bewußtsein seinerseits abgezweigte Triebenergie" 34 sei.
9. Zur Entstehung der Vernunft: Aufschlußreich ist auch hier die Theorie,
von der sich Adorno mit seiner naturalistisch-evolutionistischen Vernunft-

31 Marx (189), S. 28 f
32 Marx (189), S. 30 f
33 Vgl. dazu Schwan (260), S. 56 - 61
34 Adorno ( 7 ) , S. 262
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 249
konzeption absetzt. Gegen Kant wendet er ein, die "reine Vernunft" sei "selbst
ein Werdendes und insofern auch Bedingtes, kein absolut Bedingendes". Kants
Konzeption, daß sich die Vernunft "(...) außerhalb der Zeit als Absolutes
35
setze", sei "weit irrationaler als je die Schöpfungslehre" .
Indessen stellt die Kritik eine falsche Alternative: Es ist richtig, daß
die "reine Vernunft" Kants als anhypotheton nicht bedingt ist, weil jeder
Versuch, sie zu transzendieren, sie selbst voraussetzt. Es ist aber falsch,
die derart unbedingte und sich selbst setzende Vernunft mit einem "absolut
Bedingenden" und einer sich "als Absolutes" setzenden Vernunft zu identifi-
zieren. Mit diesem Mißverständnis ist der Konzeption Adornos ihre Grundlage
entzogen.
Gleich dem Bewußtsein habe die " ( . . . ) Vernunft genetisch aus der Triebener-
gie als deren Differenzierung sich entwickelt" . Sie sei "die zu Zwecken der
Selbsterhaltung abgezweigte psychische Kraft" und insofern "naturhaft". Zu-
gleich jedoch gelte: " ( . . . ) einmal aber abgespalten und der Natur kontra-
stiert, wird sie auch zu deren Anderem." Vernunft sei also "mit Natur iden-
tisch und nichtidentisch" oder "dialektisch ihrem eigenen Begriff nach" .
Das Vorgetragene ist in wenigstens zweifacher Hinsicht problematisch:
a) Wer hat die Vernunft "abgezweigt" ? Adornos Aussage, die Vernunft habe
"sich entwickelt", widerspricht der gleichzeitigen These, daß sie "genetisch
aus der Triebenergie als deren Differenzierung" entstanden sei. Wenn die Ver-
nunft ausdifferenzierte Triebenergie ist, dann hat diese "sich entwickelt",
nicht aber die Vernunft. Der immanente Widerspruch der These, daß "Vernunft
genetisch aus der Triebenergie (...) sich entwickelt", spiegelt genau das
Dilemma des Reduktionismus: Einerseits soll Vernunft aus der Natur abgelei-
tet werden, andererseits soll sie auch nicht in dieser aufgehen.
b) Derselbe Zwiespalt impliziert auch die zweite Schwierigkeit: Angenommen,
Vernunft ist "abgezweigte" Triebenergie, so ist sie keinesfalls pauschal
"der Natur kontrastiert", sondern nur dem nach der Abzweigung verbleibenden
Rest. Einzig aufgrund dieses Irrtums kann Adorno die Vernunft zum "Anderen"
der Natur erklären, folglich sie als "mit Natur identisch" (weil "genetisch"
aus der Natur stammend) "und nichtidentisch" (weil zum "Anderen" der Natur
geworden) bestimmen. Läßt man sich nicht durch die gedankliche Ungenauigkeit

35 Adorno ( 7 ) , S. 290
36 Adorno (7) , S. 229
37 Adorno ( 7 ) , S. 285
250 Adornos Subjektstheorie

beirren, lautet das bereinigte Ergebnis: Vernunft ist und bleibt Natur.
In ähnlicher Weise scheitert ein weiterer Versuch, das triebenergetische
Vernunftmodell positiv darzulegen: "Nicht bloß hat Vernunft genetisch aus
der Triebenergie als deren Differenzierung sich entwickelt: ohne jenes Wol-
len, das in der W i l l k ü r eines jeden Denkaktes sich manifestiert und allein
den Grund abgibt für dessen Unterscheidung von den passiven, 'rezeptiven'
Momenten des Subjekts, wäre dem eigenen Sinn nach kein Denken." 38
Insofern dies heißen soll, daß der konkret empirische Vollzug des Denkens
auf Triebenergie angewiesen ist, ist die These einsichtig. Damit aber ist
nicht mehr als eine Trivialität anerkannt. Anders jedoch, wenn Adorno im Ein-
klang mit der Reduktion von Vernunft auf Natur den "eigenen Sinn" des Denkens
an "jenes Wollen" bindet. Worin unterscheiden sich dann beide noch ? Was be-
deuten in diesem Falle Begriffe wie Geltung und Objektivität ?
10. Zur Entstehung des Geistigen: Auch hier setzt sich Adorno von Kant ab:
Dieser erneuere den neuzeitlichen, bei Descartes anhebenden psychophysisehen
Dualismus. 39 Dabei erkennt Adorno nicht, daß sich dieses ontologische Pro-
blem der Einheit von res cogitans und res extensa nach der Köpernikani sehen
Wende des transzendentalphilosophischen Kritizismus nicht mehr stellt, Kon-
struktionen wie die der Zwirbeldrüse sich erübrigen. 40
Zunächst wird jeder Reduktionismus zurückgewiesen: Geist sei "(...) auf
Dasein so wenig zu nivellieren wie dieses auf ihn." Entsprechend erklärt
Adorno die "Kontroverse über die Priorität von Geist und Körper" als "vor-
dialektisch": "Sie schleppt die Frage nach einem Ersten weiter." Demgegen-
über heißt es jedoch in bezug auf die Relation von Subjekt und Objekt, die
der von Geist und Körper parallelisiert wird : "Der Vorrang des Objekts
(...) bricht die Subjekt-Objekt-Dialektik nicht ab." 44 Adorno fährt fort
wie hinsichtlich des Verhältnisses von Subjekt und Objekt: Geist und Körper
seien nicht aufeinander zu reduzieren, aber ebenso bestehe keine "radikale
Differenz" 45 . Die Parallelität geht noch weiter, denn entsprechend der Aus-
deutung des "Vorrangs des Objekts" im Sinne von a) zu a ' ) heißt es: "Alles

38 Adorno ( 7 ) , S. 229
39 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 88
40 Vgl. Kant (147), A 384 - 395
41 Adorno ( 7 ) , S. 202
42 Adorno ( 7 ) , S. 202
43 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 194
44 Adorno ( 7 ) , S. 187
45 Adorno ( 7 ) , S. 202
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 251
Geistige 1st modifiziert leibhafter Impuls, und solche Modifikation der qua-
litative Umschlag in das, was nicht bloß ist." 47 Jetzt wird also nicht nur
entgegen dem Vorhergehenden eine "Priorität" gesetzt, sondern das Leibliche
als das Ursprungliche behauptet.
Damit hat sich wiederum der ReduktionIsmus durchgesetzt, der nicht konse-
quent einbekannt wird: Denn: Wie ist diese Modifikation, die Transsubstan-
tiation des Leiblichen in ein Geistiges zu erklären ? Sollte in bezug auf
das Problem der Entstehung von Vernunft eine Äquivokation im Begriff der Na-
tur das Dilemma lösen, so nun der Begriff des "qualitative(n) Umschlagt s)".
Indessen bezeichnet dieser lediglich die Schwierigkeit.
Eine zweite Frage stellt sich sogleich: Angenommen, die Modifikation ist
qualitativer Natur - wie verträgt sich das mit der Zurückweisung einer "ra-
dikalein) Differenz" ? Welches tertium benennt Adorno denn ? Die Konzeption
verlangt nach einer neuen Zwirbeldrüse.
Betrifft dies die ungeklärte Entwicklung des Geistes, so das Folgende sei-
ne nähere Bestimmung: Der Geist erfülle im wesentlichen zwei Funktionen:
a) die der Naturbeherrschung, b) die der Artikulation des Nichtgeistigen.
ad a) Das "naturbeherrschende Prinzip", das der Geist vertrete, bezieht
Adorno (entsprechend seiner naturalistischen Bewußtseins- und Vernunfttheo-
rie) auf den geschichtlichen Dberlebenskampf der menschlichen Gattung: der
Geist als lebensdienliches Mittel, um die lebensfeindliche Natur zu überwin-
den. Zugleich aber verkörpere der Geist auch das "Lebensfeindliche" 48 . In
der Tradition F. Nietzsches und L, Klages heißt es (vermutlich in Anspielung
auf die asketische Geistauffassung Max Schelers ): "Falsch ist die Askese,
die er anderen abverlangt, gut seine eigene; in seiner Selbstnegation über-
schreitet er sich (...). Um Geist zu sein, muß er wissen, daß er in dem,
woran er reicht, nicht sich erschöpft; nicht in der Endlichkeit, der er
gleicht." 50
Hierin liegen mehrere Probleme beschlossen:
aa) Der Obergang von der Lebensdienlichkeit zu der Lebensfeindlichkeit des
Geistes ist nicht ohne weiteres einsichtig. Die These, daß er selbst - an-

47 Adorno ( 7 ) , S. 202
48 Adorno ( 7 ) , S. 384 (Hervorhebung B.)
49 Vgl. Scheler ( 2 4 7 ) , S. 55
50 Adorno ( 7 ) , S. 385
252 Adornos Subjektstheorie

scheinend zwangsläufig - in Fesseln " ( . . . ) gerät, indem er anderes in Fesseln


schlägt" , kann in dieser Form nicht überzeugen. Auch der Hinweis auf seine
identifizierende Naturbeherrschung und fehlende Selbstbesinnung h i l f t nicht
aus der Verlegenheit, denn dies wirft die Frage auf, wodurch die Reflexions-
losigkeit des Geistes bestimmt ist: Angenommen, der Geist erfüllt seine le-
bensdienliche Funktion für die menschliche Gattung - wieso soll er das ver-
gessen und sich gegen die Lebensinteressen·dieser Gattung selbst wenden, so
daß die durch ihn verlangte "Askese" "verrucht" ist ? Dieser offenen Frage
entspricht in der (eingangs betrachteten) Geschichtstheorie das Desiderat
eines überzeugenden Begründungsprinzips für den von Adorno angenommenen Zwang,
52
alles Nichtidentische im Interesse der Selbsterhaltung negieren zu müssen. 3 ·
bb) Der lebensdienliche Geist soll nicht nur lebensfeindlich werden, son-
dern dies bedeute zudem eine "Negation des Geistes": "Geist als zweite Natur
jedoch ist die Negation des Geistes, und zwar desto gründlicher, je mehr sein
Selbstbewußtsein gegen seine Naturwüchsigkeit (hier: unreflektierte Lebens-
feindlichkeit, B.) sich abblendet." Auch dieser Gedanke besitzt eine ge-
schichtsphilosophische Parallele: die Negation des Subjekts durch sich selbst.
Die Paradoxie ist nur auflösbar, wenn der Begriff des Geistes (bzw. des
Subjekts) vierschieden und der Begriff der Negation nicht im strengen Sinn
verwendet werden: "Negation des Geistes" hieße dann: Verfehlung seiner Be-
stimmung oder seines wahren (?) Wesens. Worin aber besteht dieses wahre We-
sen ? Adorno muß also eine positive Geist- und Subjektstheorie vorauss
die er zugleich verweigert.
cc) Der Sachverhalt wird zusätzlich verkompliziert: Nicht nur das unreflek-
tiert naturwüchsige Verhalten, sondern ebenso die Abkehr von diesem sei eine
"Selbstnegation" des Geistes.
Soll dieser Widerspruch aufgelöst werden, muß eine dritte Bedeutung von
Geist und eine zweite von Negation eingeführt werden: Negation des Geistes
hieße jetzt: Oberwindung seines falschen (?) Wesens. Indessen wird dadurch
die Problematik der Geistkonzeption Adornos in anderer Hinsieht verschärft:
Wenn sowohl das reflektierte als auch unreflektierte Verhalten zum Wesen des
Geistes gehört, weshalb ist dann das eine wahr (legitimiert) und das andere

51 Adorno (7), S. 382


52 Vgl. Kap. 2.2
53 Adorno (7), S. 350
54 Adorno ( 7 ) , S. 385
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 253

falsch (nicht legitimiert) ? Die Legitimation des Geistes (des Subjektiven)


kann nicht mehr in ihm selbst liegen, sondern muß außerhalb seiner im Nicht-
geistigen (Nichtsubjektiven) gesucht werden.
ad b) Die Mediatieierung des Geistigen wird durch seine zweite Funktion be-
stätigt: Der Geist habe nicht nur die Aufgabe der Naturbeherrschung, sondern
ebenso die der Artikulation des Nichtgeistigen. Im Anschluß an seine Deutung
des Hegeischen Geistbegriffs schreibt Adorno: "Der Geist ist seiner selbst
bewußt, und gleichzeitig wird damit alles Erfahrene durch den Geist in dem
Sinn vermittelt, daß es sprechend wird; es sagt etwas, statt bloß klassifi-
ziert, geordnet, subsumiert zu werden." Wichtig wird diese Funktion des
Geistes in der 'Ästhetischen Theorie': "Wodurch die Kunstwerke, indem sie
Erscheinung werden, mehr sind als sie sind, das ist ihr Geist." Näher um-
schreibt Adorno diesen als den "Äther" der Kunstwerke, "(...) das, was durch
sie spricht, oder, strenger wohl, zur Schrift sie macht." Er sei "(...) eine
Lichtquelle, durch welche das Phänomen erglüht" .
Abgesehen von der Unbestimmtheit solcher Formulierungen, stellt sich das
Problem, wie diese beiden Funktionen des Geistes eine Einheit bilden können.
Was geschieht, wenn die erste Funktion, die Beherrschung des Nichtgeistigen
im Interesse der Lebenserhaltung der menschlichen Gattung, der zweiten Auf-
gabe, der Artikulation des Nichtgeistigen, widerstreitet ? Dann aber fragt
sich, wie bei konsequenter Durchführung dieser instrumentalistischen Geist-
konzeption so etwas wie ein Eigenwert des Geistigen eingeräumt werden kann.
11. Zur Entstehung des Individuums: Die Theorie, von der sich Adorno ab-
setzt, bestimmt er als "Ontologie 'des 1 Menschen". Sie gehe davon aus, daß
"(...) irgendein einzelner Mensch ( . . . ) u r b i l d l i c h hervortrat", daß "'der 1
Mensch" vor der Gattung gewesen sei. Dies sei "entweder biblische Reminis-
zenz oder schierer Platonismus", der Mensch sei "Resultat, kein eidos" -
Co
Das klingt einleuchtend, ist doch spätestens seit Dilthey eine Anthropo-
logie, die eine festumrissene menschliche Natur annimmt, grundsätzlich dem
Verdacht ausgesetzt, geschichtlich bedingte Variablen zu fetischisieren.
So berechtigt jedoch derartige Bedenken sind, ebenso unangemessen ist Ador-
nos Alternative formuliert:

55 Adorno (11), S. 129


56 Adorno ( 1 ) , S. 134 f
57 Adorno ( 5 ) , S. 757 f
58 Vgl. Diltheys Diktum: "Was der Mensch sei, sagt nur die Geschichte."
[Dilthey ( 4 6 ) , S. 529]
254 Adornos Subjektstheorie

a) Sein kritischer Hinweis auf die "biblische Reminiszenz" geht insofern


fehl, als der Schöpfungsbericht in der theologischen Lehre bloß als volks-
tümliche Veranschaulichung der "Gottesebenbildlichkeit" des Menschen» sei-
ner Geistpersonalität gedeutet wird. Die Abhängigkeit des Menschen von ei-
nem ursächlichen Zusammenhang mit der materiellen Gesamtwelt aber wird po-
59
sitiv gelehrt und damit ein gemäßigter Evolutionismus eingeräumt.
b) Die einzige Alternative einer (zurecht kritisierten) Anthropologie, die
mit platonischen Wesenheiten operiert, ist nicht der naturalistische Evolu-
tionismus Adornos: Auch wenn der konkrete Mensch Resultat verschiedenartiger
Einwirkungen ist, so bedeutet das nicht zugleich, daß das, was den Menschen
als Menschen ausmacht, sein specimen humanum, bloße Resultante fremder Kra'f-
te ist. Eine solche Alternative ist grob gedacht und deshalb schlicht falsch
Ungeachtet dessen, daß der Theorie Adornos solcherart ihre Grundlage ent-
zogen ist, gilt es zu fragen, wie sie das Moment der Individualität erklärt.
Weder Bedeutung noch Gebrauch dieses Begriffs sind eindeutig. Einerseits
scheint Adorno die Individualität an Denken und Reflexivität zu knüpfen und
deshalb dem Menschen vorbehalten zu wollen. Andererseits spricht er auch von
einer "individuellen Sache" . Im folgenden jedoch ist der Begriff nur in
der ersten und engeren Bedeutung zu nehmen, weil lediglich so das Problem
des specimen humanum sinnvoll gestellt werden kann. Demzufolge sei (in An-
lehnung an Hegel) das Individuum "nicht einfach das biologische Einzelwe-
sen, sondern das durch dessen Selbstreflexion als Einheit erst konstituier-
te"61. Konstitutiv sind also a) Reflexivität und b) Einheit, wobei diese
durch jene begründet werden soll.
ad a) Zum Moment der Reflexivität: Die Natur sei "auf ihren niedrigen Stu-
fen voll von nicht-individuierten Organismen". Dies verweise darauf, daß
"entwicklungsgeschichtlich 11 betrachtet "das Individuum oder dessen biologi-
sche Vorform" nicht ursprünglich sei, sondern "(...) eher das zeitliche
Prius, wenigstens die Gleichzeitigkeit der Gattung zu vermuten" sei. Zur
Erklärung des Moments der Individualität greift Adorno auf die Mängel Struk-
tur des Menschen und seine dadurch im Interesse des Oberlebens bedingte As-
soziation mit anderen Menschen zurUck:

59 Vgl. Gen. 2, 7; 3, 19
60 Adorno ( 7 ) , S. 164
61 Adorno ( 7 ) , S. 218. Vgl. ( 7 ) , S. 358; ( B ) , S. 592
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 255
"Werden nach der These neuerer Biologen tatsächlich die Menschen soviel
unausgerüsteter geboren als andere Lebewesen, so haben sie wohl überhaupt
nur assoziiert, durch rudimentäre gesellschaftliche Arbeit am Leben sich er-
halten können; das principium individuationis ist deren Sekundäres, hypothe-
62
tischerweise eine Art biologischer Arbeitsteilung."
Die sprachliche Unbestimmtheit dieser Überlegung indiziert ihre gedankli-
che Problematik: Die Gleichsetzung von Assoziation und Gesellschaftlichkeit
ist nicht nur fragwürdig - auch Tiere sind assoziiert, aber bilden sie des-
halb eine Gesellschaft ? -.sondern zudem signifikant. Durch Arbeitsteilung
mag sich zwar aus dem gattungsmäßig bestimmten biologisch Einzelnen ein Un-
terschiedlich-Besonderes entwickeln, nicht aber das "principium individua-
tionis". Denn: Das "Individuationsprinzip, Gesetz der Besonderung" sei an
" ( . . . ) die Allgemeinheit der Vernunft in den Einzelnen geknüpft" . Es setzt
nach Adorno also Vernunft voraus. Nur: Wie führt eine "Art biologischer
Arbeitsteilung" auf das Vernunft supponierende Individuationsprinzip ? Genau
dieses Problem aber wird durch die Gleichsetzung von Assoziation und Gesell-
schaftlichkeit verdeckt.
Ein zweiter Punkt weist auf denselben Bruch h i n : Kurz im Anschluß an die
zitierte Überlegung heißt es: Die kritisierte "Ontologie 'des 1 Menschen" ha-
be irrtümlich "das bereits historisch voll ausgebildete principium indivi-
duationis nach rückwärts oder auf den ewigen Ideenhimmel" projiziert.
Ist also nicht - wie es zunächst hieß - das Individuationsprinzip, sondern
lediglich seine Aasformung das "Sekundäre" ? Räumt auch Adorno die biologi-
sche Unableitbarkeit des Prinzips selbst ein ? Wenn dem aber so ist, wie kann
er dann eine "biologische Vorform" des Individuums annehmen ? Wie soll die
für das Individuum konstitutive "Selbstreflexion" des "biologischen Einzel-
wesens" möglich sein, wenn nicht dieses Einzelwesen in besonderer Weise aus-
gezeichnet ist, kein bloß biologisches Einzelwesen ? Auch diese Brüche
verweisen auf einen Reduktionismus, der nicht konsequent einbekannt wird.
ad b) Zum Moment der Einheit: Zunächst scheint es, als besitze das "biolo-
gische Einzelwesen" keine Einheit, soll doch in Absetzung zu diesem das In-
dividuum "das durch dessen Selbstreflexion als Einheit erst konstituierte"

62 Adorno ( 5 ) , S. 757 f
63 Adorno ( 7 ) , S. 218
64 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 337
65 Vgl. Adorno ( 5 ) , S. 758
66 Adorno ( 7 ) , S. 218
256 Adornos Subjektstheorie

sein. Indessen widersprechen dem andere Ausführungen: Diesen zufolge soll


die Einheit der Person durch verfestigte Reflexe des sich selbst erhaltenden
Einzelwesens entstehen. Dabei lehne sich die "Selbsterhaltung" "(...) vermut-
lich an das biologische Individuum (...) an, das seinen Reflexen die Form
vorschreibt; schwerlich wären die Reflexe ohne jegliches Moment von Einheit.
Sie kräftigt sich als das Selbst der Selbs % terhaltung" . Demnach besitzt al-
so das biologische Einzelwesen doch schon eine Einheit (die sie ihren Refle-
xen vorschreibt), so daß sich dieses und das Individuum nicht durch das qua-
litative Moment einer (personalen) Einheit, sondern bloß durch die graduelle
Kraftdifferenz der in beiden Fällen anzunehmenden Einheit (des Organismus und
der Person) unterscheiden.
Man könnte einwenden, Adorno rede an der zitierten Stelle gar nicht von
einem biologischen Einzelwesen, sondern von einem "biologischen Individuum",
das sich kräftige. Die Aussage widerspreche also nicht der ersten Äußerung,
so daß auch die organismische und personale Einheit nicht notwendig bloß gra-
duell verschieden seien.
Der Einwand griffe jedoch zu kurz: Es geht nicht nur in dem vorliegenden
Zusammenhang um die Entstehung des Ichs mittels der Zurück'übersetzung seiner
68
"Bestimmungen" in "Reaktionsweisen und Einzelreaktionen" , sondern diese
Wortverbindung von "biologisch" und "Individuum" bezeichnet gerade das Pro-
blem. Die grundsätzliche Schwierigkeit wird nicht durch die Rede von einem
"biologische(n) Individuum" behoben, sondern zieht sich in ihr zusammen.
Die systematische Funktion dieser Uortverknüpfung im naturalistischen Evo-
lutionismus Adornos ist evident: Sie soll das tertium zwischen einerseits dem
biologischen Einzelwesen, der Vorform des Individuums, und andererseits dem
durch Selbstreflexion als Einheit konstituierten Individuum bilden. Aber ge-
rade das Theorem einer im Individuum durch Selbstreflexion konstituierten
Einheit läßt sich im naturalistischen Evulutionismus nicht einlösen. Auch
hier führt der reduktionistische Ansatz auf Widersprüche. Er läßt in der nä-
heren Ausführung nicht nur das Moment von Reflexivität unerklärt, sondern
kann auch zwischen der personalen und organismischen Einheit lediglich eine
graduelle Kraftdifferenz gelten lassen. Das aber ist nicht mit dem Anspruch
Adornos vereinbar, so etwas wie Subjektivität als irreduktibles Moment an-
zuerkennen. Nicht nur unter den Aspekten der Entstehung von Bewußtsein, Ver-

67 Adorno ( 7 ) , S. 216 f
68 Adorno ( 7 ) , S. 215
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 257
nunft und Geistigem, sondern auch unter dem der Entwicklung des Individuums
führt also seine subjektstheoretische Konzeption auf unlösbare Schwierigkei-
ten: eine subjektslose Theorie.
12. Die bisherigen Überlegungen zum Verhältnis von Subjekt und Objekt las-
sen sich wie folgt rekapitulieren: Ausgehend von der irrtümlichen Annahme,
der transzendental ideal istische Ansatz postuliere einen ontologischen Primat
des Subjekts, versucht Adorno,einen "Vorrang des Objekts" zu entwickeln. Die-
ses Theorem besitzt vorderhand drei verschiedene Bedeutungen, von denen zu-
nächst jedoch nur die erste von Bedeutung ist: der "Vorrang des Objekts" im
Sinne eines subjektstheoretischen Naturalismus. Diesem Primat zufolge ist
das Subjekt realiter auf das Objekt, dieses aber nur von seiner Erkenntnis
her auf jenes angewiesen. Indessen sind nicht nur die Begründungen Adornos
zugunsten dieses Theorems fragwürdig. Ebenso ist die nähere Ausführung der
"Präponderanz des Objekts" problematisch. Zwar scheint er eine Subjekt-Ob-
jekt-Dialektik und die Irreduzibilität beider Seiten anzuerkennen (weder
"letzte Einheit", noch "letzte Zweiheit"), aber eine erste Schwierigkeit
tritt bei einem Vergleich der 'Negativen Dialektik 1 mit ihren 'Epilegomena'
auf: Setzen diese in entwicklungsgeschichtlicher Betrachtung ein Subjekt und
Objekt transzendierendes Drittes voraus, so weist jene (teilweise) ein sol-
ches zurück. Läßt sich dieser Widerspruch durch eine Teilrevision und zeit-
liche Spezifizierung beheben, so erwächst stattdessen das Problem der Genese
der einheitlichen Zweiheit aus der "Ungeschiedenheit" des "blinden Naturzu-
sammenhangs". Jedoch nicht nur die Metamorphose als solche bleibt ungeklärt,
sondern eine zweite Schwierigkeit wird offenkundig: Dem Widerspruch zwischen
der 'Negativen Dialektik' und ihren 'Epilegomena 1 entspricht auf der syste-
matischen Ebene die Ausdeutung des "Vorrangs des Objekts" in seine Ursprüng-
lichkeit innerhalb der 'Negativen Dialektik 1 selbst. Die so entstehende Theo-
rie läßt sich als naturalistischer Evolutionismus umreißen. Sie ist dem
grundsätzlichen Bedenken eines methodisch bedingten Reduktionismus ausge-
setzt. Da dieser bei Adorno nicht konsequent durchgeführt wird, treten Argu-
mentationsbrüche auf. Dies unter vier Aspekten: der Entstehung von Bewußt-
sein, Vernunft, Geistigem und Individualität, zu zeigen, ist die erste Auf-
gabe. Die zweite besteht in dem Nachweis, daß Adorno in allen vier Fällen
entweder von Mißverständnissen eines alternativen Theorieansatzes oder falsch
gestellten Alternativen ausgeht. Verliert durch diesen Nachweis sein Ansatz
schon die eigentliche Grundlage (weil eine angemessene Auseinandersetzung
mit anderen Auffassungen nicht stattfindet), so macht eine Analyse der vier
258 Adornos Subjektstheorie

Ableitungsversuche ein inneres Scheitern offenkundig.


Der Versuch, Bewußtsein auf abgezweigte und verselbständigte Triebenergie
zurückzuführen, verkennt nicht nur den relationalen Charakter des Bewußtseins,
sondern läßt auch die Frage offen, wie es zu einer Verselbstä'ndigung kommen
kann. Des näheren kompiliert Adorno die Erklärungsmodelle der Psychoanalyse
(Freud) und Soziologie (Marx), die beide zirkulär sind.
Die reduktionistische These, Vernunft sei eine "zu Zwecken der Selbster-
haltung abgezweigte psychische Kraft", bescheidet sich nicht nur bei einer
Behauptung, sondern läßt auch das Problem ungelöst, wer die Vernunft abzweigt.
Diese Schwierigkeit führt zu widersprüchlichen Formulierungen, die den Ver-
such belegen, über den Reduktionismus hinauszugelangen. Demselben Ziel dient
eine Äquivokation im Begriff der Natur. Zugleich deuten sich geltungstheore-
tische Aporien an.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der These, das Geistige sei "modifiziert
leibhafter Impuls". Adornos nähere Bestimmungen werfen die Frage auf, wie
die Lebensdienlichkeit des Geistes in eine Lebensfeindschaft umschlagen kann,
und verwenden einen dreifachen Geist- und einen doppelten Negationsbegriff.
Zudem wird das Geistige mediatisiert und instrumentalisiert. Seine Legitima-
tion kann zufolge dieses Ansatzes nur im Nichtgeistigen liegen.
Adornos Theorie einer Entstehung des menschlichen Individuums aus einer
"biologischen Vorform" heraus durch eine "Art biologischer Arbeitsteilung"
setzt hinsichtlich der Reflexivität - des ersten für Individualität konstl-
tutiven Moments - ein mehr als bloß biologisches Einzelwesen voraus. Das
zweite konstitutive Moment, die Einheit des Individuums, wird 1m Widerspruch
zu anderen Äußerungen nur als graduelle Kraftdifferenz zur organismischen
Einheit bestimmt. Der Versuch, innerhalb des naturalistischen Evolutionis-
mus eine qualitative Besonderheit des Menschen einzuräumen, flihrt auf das
hölzerne Eisen eines "biologischen Individuums".
Damit zeigt sich unter vier Aspekten das gleiche Ergebnis: Adorno vermag
Subjektivität eigentlich nicht zu begründen. Sein abstrakter Anspruch, Sub-
jektivität als Moment und damit eine Subjekt-Objekt-Dialektik anzuerkennen,
wird nicht konkret eingelöst, weil er dem Grundansatz einer Ursprünglichkeit
des Objekts widerstreitet.
Darlegung des Reduktionismus 259

6.1.2 Die innere Struktur des Subjekts: Das Problem der Identität

Galten die bisherigen Überlegungen dem Verhältnis von Subjekt und Objekt,
so die folgenden der inneren Struktur des von Adorno dennoch angenommenen
Subjekts. Es ist in zwei Schritten vorzugehen: 1. der Darlegung des subjekts-
theoretischen Reduktionismus in identitätstheoretischer Hinsicht, 2. dem
Aufweis seines inneren Scheiterns.

6.1.2.1 Darlegung des Reduktionismus

In Wendung gegen einen mißverstandenen Idealismus macht Adorno gemäß seinem


naturalistisch-evolutionistischen Ansatz den Entwicklungscharakter des
Subjekts geltend. Im Zentrum seiner Überlegungen steht das Problem der iden-
tität des Subjekts. Seine Konzeption scheint von Dilthey beeinflußt zu sein,
der sich in den 'Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psycholo-
gie 1 mit dem Problem der Einheit ("Lebenseinheit", "Einheit des Bewußtseins",
"Einheit der Person") auseinandersetzt.
Die Subjekt und Objekt transzendierende ursprüngliche "Ungeschiedenheit"
ist nach Adorno nicht nur der "Schrecken des blinden Naturzusammenhangs" ,
sondern ebenso der " ( . . . ) Zustand der Dissoziation und Vieldeutigkeit, dem
geschichtlich das Subjekt sich entrang" .
Hier jedoch liegt eine Schwierigkeit: Soll es das Subjekt sein, das "sich"
entringt, kann es keine "Ungeschiedenheit" sein, aus der es "sich" entringt.
Subjektivität wäre vorausgesetzt, der Anspruch eines Ableitungsversuchs zir-
kulär. Bei einer ursprünglichen "Ungeschiedenheit" von Subjekt und Objekt
kann es nicht das "Subjekt" sein, das "sich" entringt, sondern es muß ein
Etwas sein, aus dem allererst ein Subjekt wird. Dieses Etwas besitzt zunächst
weder Einheit noch Eindeutigkeit ("Zustand der Dissoziation und Vieldeutig-
keit").
Im Interesse des Obergangs von "Dissoziation" zu Einheit und von "Vieldeu-
tigkeit" zu Eindeutigkeit rekurriert Adorno auf die Kategorie der Selbster-
haltung: Das Etwas werde von fremden Mächten bedrängt; es herrsche der

69 Vgl. Dilthey (49), S. 211 f


70 Adorno ( 5 ) , S. 743
71 Adorno ( 7 ) , S. 277
260 Adornos Subjektstheorie

"Schrecken des blinden Naturzusammenhangs". Ob der es bedrohenden Gefahr müs-


se das Etwas reagieren. Es handele sich aber nicht um bloße "Reaktionsweisen
und Einzelreaktionen, die dann sich verfestigt hatten." Vielmehr gelte:
"Selbsterhaltung ihrerseits verlangt, in ihrer Geschichte, mehr als den be-
dingten Reflex und bereitet damit vor, was sie schließlich Überschritte.
Dabei lehnt sie vermutlich an das biologische Individuum sich an, das seinen
Reflexen die Form vorschreibt; schwerlich wären die Reflexe ohne jegliches
Moment von Einheit. Sie kräftigt sich als das Selbst der Selbsterhaltung".
Das im Zuge einer Kräftigung der organismischen Einheit entstandene "Selbst"
wird als "Charakter oder Wille" konkretisiert. Dieser sei das "Einheitsmo-
ment der Handlungen" und gewinne ihnen gegenüber "einige Selbständigkeit".
Der Wille werde derart "ein Anderes als sein 'Material', seine diffusen Re-
gungen", werde "quasi dinghaft". Er wende sich "gegen" die Reflexe, aus de-
nen er "(...) entstanden sein mag." Dies bedinge eine "Ablenkung vom primä-
ren Triebziel" 73 .
Die Ausführungen sind zunächst ob ihrer Widersprüchlichkeit problematisch,
weil "Einheit" als "Form" der "Reflexe" im als ursprünglich angenommenen
"Zustand der Dissoziation" postuliert wird. Indessen ist diese Schwierigkeit
in einer sorgsamer ausgeführten Theorie des naturalistischen Evolutionismus
bei Zugrundelegung anderer Prämissen vermeidbar. Grundsätzlich aber ist das
Problem des Unterschieds der organismischen und der personalen Einheit. Ist
dieser qualitativ oder graduell ? Adorno scheint sich für die zweite Alter-
native zu entscheiden: Die Einheit des Organismus "(...) kräftigt sich als
das Selbst der Selbsterhaltung." Das "Selbst" ist also von jener lediglich
nach Graden der Kraft unterschieden. Gegenüber der Kantischen Konzeption,
von der sich Adorno in subjektstheoretischer Hinsicht vornehmlich absetzt,
stellt sich diese Entscheidung als Reduktionismus dar. Jedoch muß ein sol-
cher deshalb noch nicht falsch sein. Vielmehr sind seine immanenten Schwie-
rigkeiten aufzuweisen.

6.1.2.2 Das Scheitern des Reduktionismus

Im folgenden ist in vier Schritten vorzugehen: 1. Was versteht Adorno unter


der "Identität" oder "Einheit" des "Selbst" ? 2. Ist diese Konzeption zu-
länglich oder setzt sie eine grundlegendere Dimension voraus ? 3. An welcher

72 Adorno ( 7 ) , S. 215 ff
73 Adorno ( 7 ) , S. 236 f
Das Scheitern des Reduktionismus 261

systematischen Stelle wird Adornos Identitätstheorie falsch ? 4. Was bleibt ?


1. Das Selbst der Person sei eine graduell gekrä'ftigte organismische Ein-
74
heit: Sie sei das "Selbst der Selbsterhaltung" - ausgezeichnet durch Iden-
tität. Funktion dieser Einheit sei die Integration der einzelnen Handlungen,
so daß sie ihnen gegenüber "einige Selbständigkeit" 7 5 besitze.Hierin erblickt
Adorno nun eine Verdinglichung: Durch die "Gleichheit des Selbst mit Selbst-
erhaltung" sei die "Person selbst" ein "Dinghafte(s)". Diese "Gleichheit" sei
durch den Zwang der Selbsterhaltung "anbefohlen" gewesen. Der Zwang sei ein
solcher zur "abstrakten Identität, der nackten Selbsterhaltung willen" .
Selbsterhaltung ist also für Adorno - hierin konvergiert er mit der romanti-
schen Kritik dieses neuzeitlichen Prinzips - wesentlich eine negative
Kategorie, da er sie als Ausdruck von Herrschaft betrachtet. Das "Prinzip"
der Person sei "das unerschütterlicher Einheit", es wiederhole "trotzig im
78
Subjekt die Herrschaft" . Diese sei eine der Identität über das Nichtiden-
tische, des Allgemeinen über das Besondere.
Im Hintergrund der Überlegungen Adornos stehen auch hier terminologisch
neu eingekleidete Vorstellungen Freuds: Betrachtet dieser das Ich als "ein
Stück vom Es, ein durch die Nähe der gefahrdrohenden Außenwelt zweckmäßig
79
verändertes Stück" , so deutet Adorno das "Selbst" als die im Zuge der
Selbsterhaltung gekräftigte Einheit des Organismus. So wie das Ich im Gegen-
satz zum Es nach Freud durch einen "Zug zur Zusammenfassung und Vereinheit-
lichung seiner seelischen Vorgänge" 80 ausgezeichnet ist, so sei das zum W i l -
len verfestigte Selbst "Einheitsmoment der Handlungen", stehe den "diffusen
81
Regungen" gegenüber. Gleich dem psychoanalytischen Ich, das mittels des
von ihm vertretenen Realitätsprinzips das eshafte "blinde Streben nach Trieb-
befriedigung" 82 einschränkt,
rank leistet nach Adorno das Selbst eine "Ablenkung
1„83
vom primären Triebziel
Dem Zwang.den das Ich gegenüber dem vom Lustprinzip geleiteten Es ausübt,
entspricht die Rede von der "unsäglichen Anstrengung", "(...) die es der Gat-

74 Adorno (7) S. 217


75 Adorno (7) S. 236
76 Adorno (7) S. 275 f
77 Vgl. Blümeriberg ( 3 4 ) , S. 197 f
78 Adorno (7) S. 273
79 Freud (73) S. 513 f
80 Freud (73) S. 513
81 Adorno (7) S. 236 f
82 Freud (73) S. 512 f
83 Adorno (7) S. 237
262 Adornos Subjektstheorie
tung Mensch bereitet haben muß, den Primat der Identität auch gegen sich
selbst herzustellen" : Herstellung der "Identität auch gegen sich selbst"
bedeute demnach Verzicht auf ungehinderte Triebentfaltung. Identität wäre
also Triebunterdrückung. 85 "Abstrakt" kann Adorno diese Identität im Ver-
gleich mit der ungehinderten Triebentfaltung nennen. "Eingesperrt" wäre das
Ich "in seine Identität" 86 , weil der Triebverzicht (= die Identität) vom Ge-
setz der Selbsterhaltung anbefohlen wäre (bzw. weil das Subjekt meint, daß
dieses Gesetz nicht aufgehoben werden könne). Insofern kann Adorno auch fol-
gern, daß ein "befreites Bewußtsein" noch nicht vorliegt, denn ein solches
dürfte sich "(...) nicht immerzu fürchten, an ein anderes (...) sich zu ver-
lieren" 87 , seinem Streben nach unmittelbarer Triebbefriedigung nachzugeben.
Bedeutet Identität anbefohlener Zwang, dann muß Adorno "Freiheit" als "Mb'g-
lichkeit von Nichtidentität" ftfi, d.h. als ungehinderte Triebentfaltung oder
Oft
"Kraft zur Leidenschaft" konzipieren. Entsprechend on sei derjenige, der
"(...) bloß identisch ist mit sich (...) ohne Glück." su
2. Unberücksichtigt bleibt das Problem, wer die Identität "gegen sich
selbst" herstellt. Sodann spricht Adorno von einer "falschen Identität" 91
und komplementär dazu von einer "Identität" des Subjekts, die erst durch das
QO
"Ende des Identitätszwangs" (= das Ende des um der Selbsterhaltung willen
anbefohlenen Triebverzichts) erreicht werde. Entsprechend heißt es, der "ge-
genwärtige Zustand" komme einem "Identitätsverlust" gleich, nämlich "um der
abstrakten Identität, der nackten Selbsterhaltung willen" 93 . Auch bedeute
die augenblickliche "Selbsterhaltung der Menschen" ein Verzicht "auf ihr
Selbst" 94 .
Werden also die Identität der Person und das "Selbst" qualifiziert ? Gibt
es eine wahre (?) und "falsche" (?) Identität ? Was heißt dann Identität ?
a) Adorno muß Kriterien für "wahr" und "falsch" nennen. Soll jeder Trieb-
verzicht "falsch" sein ? Soll jede Triebauslebung "wahr" sein ? Diese bei

84 Adorno ( 7 ) , S. 151
85 Vgl. Schmidt (255) , S. 33
86 Adorno ( 7 ) , S. 275
87 Adorno ( 7 ) , S. 102
88 Adorno ( 7 ) , S. 266
89 Adorno ( 7 ) , S. 336 f
90 Adorno ( 5 ) , S. 538
91 Adorno ( 7 ) , S. 337
92 Adorno ( 7 ) , S. 277
93 Adorno ( 7 ) , S. 275
94 Adorno ( 5 ) , S. 567
Das Scheltern des Reduktionismus 263

Adorno teilweise anklingende Entscheidung - wie z.B. in seiner Option für


QC
den nichtrationalisierten ethischen Impuls - wäre kaum annehmbar.
b) Die Qualifikation der Identität in eine "wahre" und eine "falsche" setzt
voraus, daß eine zweite Art von Identität zugrundegelegt werden muß, auf die
jene Art von Identität bezogen werden kann und muß: Die psychologische Iden-
tität verlangt nach der personalen Identität. Die in "wahr" und "falsch" qua-
lifizierten Identitäten (!) können nicht mit der Person selbst und ihrer
Identität (!) zusammenfallen, sondern müssen von ihr unterschieden werden.
Sie stellen die beiden Möglichkeiten dar, die die eine Person ergreifen kann.
Die als Bezugsgröße vorauszusetzende zweite Art von Identität kann nicht
die im Zuge der Selbsterhaltung gekräftigte Einheit des Organismus sein, die
Einheit des "Selbst", die Adorno thematisiert. Diese ist schon vergeben, weil
sie das ist, was bezogen werden muß, und daher nicht das sein kann, auf das
bezogen werden muß. Die von Adorno erörterte Identität des "Selbst" mag
durchaus eine gekräftigte organismische Einheit sein. Entscheidend ist, daß
dieser Identitätsbegriff nicht für sich alleine stehen kann.
Ebenso kann die notwendige zweite Art von Identität nicht eine beliebige
Bezugsgröße außer der verfestigten Einheit des Organismus sein - etwa im Sin-
ne eines räumlichen Fixpunktes. Vielmehr muß es die als selbstreflexive Ein-
heit zu bestimmende personale Identität sein, denn lediglich einer solchen
kann man eine "wahre" bzw. "falsche" Identität unterstellen. Nur in bezug
auf eine personale Identität, die Bedingung von Zurechenbarkeit und Verant-
wortlichkeit ist, wird die Rede von einer "falschen" bzw. "wahren" Identität
sinnvoll. Denn die eine Person muß erkennen, daß sie es ist, die ihre "fal-
sche" Identität zugunsten einer "wahren" Identität aufzugeben hat. Dieser
Erkenntnisvollzug aber hat wesentlich die Struktur des Sich-auf-sich-Bezie-
hens, der Reflexivität. Auf diese personale Identität weist Kant h i n , wenn
er die Frage der moralischen Zurechenbarkeit erörtert und in bezug auf sie
zeitliche Bestimmungen nicht gelten läßt. Dabei meint die Idee der persona-
len Identität nicht einen festen, unwandelbaren Kern der konkreten Person,
der allen Veränderungen trotzt und gegenständlicher Betrachtung zugänglich
ist. Vielmehr drückt dieses Prinzip eine aktive Vollzugsleistung des jewei-
ligen Individuums aus, das sich auf seine Handlungen als die seinen bezieht.
Indem es derart für seine Handlungen (Wort und Tat) Geltung beansprucht
(Ist-Anspruch),bringt es sich zur Geltung (Ich-Anspruch). Umgekehrt kann es

95 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 281


264 Adornos Subjektstheorie

nur dadurch sich zur Geltung bringen, indem es Geltung für seine Handlungen
beansprucht. 96
Das regressive Bedingungsgefüge muß noch weiter zurückverfolgt werden: Es
ist eine dritte Art von Identität als Möglichkeitsbedingung der personalen
Identität anzunehmen. Die personale Identität ist die reflexive Einheit ei-
ner jeweils konkreten Person und damit wesentlich individuell. Als reflexi-
ve aber ist sie auch an die allgemeinen Bedingungen von Reflexivitä't gebun-
den. Diese Werden im Grundsatz der ursprünglich synthetischen Einheit der
Apperzeption formuliert. Die allgemeine transzendentale Einheit der Apper-
zeption ermöglicht allererst die individuell ausgeprägte personale Identi-
tät. Als allgemeine jedoch gewährleistet sie nicht die personale Identität
qua individueller. Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist zwar not-
wendige, aber nicht hinreichende Bedingung der personalen Identität.
Schon im 'Emile' schreibt Rousseau: "Aber ich weiß sehr gut, daß die Iden-
tität des Ich nur durch das Gedächtnis Dauer hat und daß ich, um w i r k l i c h
der gleiche zu sein, mich daran erinnern muß, gewesen zu sein." 97 Kant voll-
zieht den nächsten Schritt, indem er die transzendentalen Bedingungen des
Sich-Erinnern-Könnens formuliert: Die durchgängige Einheit der transzenden-
talen Apperzeption in den verschiedenen Vorstellungskomplexen. Die ursprüng-
lich synthetische Einheit der Apperzeption scheint in der Tat der "höchste
Punkt" zu sein.
Es zeigt Sich also ein doppelter Reflexionsvorsprung Kants vor Adorno:
Die als "wahr" und "falsch" qualifizierte psychologische Identität setzt die
personale Identität voraus, diese die transzendentale Identität. Letztere
ist allgemein, die personale Identität i n d i v i d u e l l , die psychologische aber
ist nicht individuell, sondern die individuelle Ausgestaltung. Erst kraft
der personalen Identität ist diese individuelle Ausgestaltung die einer
Person.
3. Derart ist die Identitätstheorie Adornos unzulänglich, weil unvollstän-
dig, falsch jedoch wird sie, wenn er das Begründungsgefüge der drei Arten
von Identität verkennt, die drei Ebenen miteinander konfundiert und derart
die Gültigkeitsgrenze der jeweiligen Betrachtungsweise überschreitet. Genau
dies läßt Sich als Verahsolutierung der psychologischen Perspektive fest-
stellen. Sie steht unter dem Zeichen der Kritik einer (vorausgesetzten) to-

96 Vgl. R i t z e l ' ( 2 3 7 ) , S. 120


97 Rousseau (242) , S. 579
Das Scheltern des Reduktionismus 265

tal gewordenen Herrschaft. Von diesem Ansatz her erklärt Adorno nicht nur Ge-
schichte zur Herrschaftsgeschichte, sondern versucht ebenso, die bisherige
Philosophie als deren Ausdruck nachzuweisen. So liest er auch die Philosophie
Kants wesentlich unter dem Aspekt, inwieweit sich in ihr eine Unterdrückung
des Nichtidentischen manifestiert. Transzendentalphilosophische Erkenntnis-
theorie und kritische Ethik werden ihm zu Theorien der Macht und Repressivi-
tät. Indessen hat sich diese Deutung im Verlaufe der vorstehenden Analysen
als falsch erwiesen. Die Philosophie Kants unterläuft also die Kritik Adornos
und ist damit zugleich geeignet, das Theoriedefizit des "metakritischen" An-
satzes besonders im subjektstheoretischen Bereich zu beheben. Dies ist im
Hinblick auf die zentrale Identitä'tsproblematik gezeigt worden. Indem Ador-
no nun aber die bisherigen Identitätskonzeptionen überhaupt verwirft, weil
er sie lediglich in psychologischer Perspektive als Ausdruck von Herrschaft
deutet, wird seine Identitätstheorie falsch. Dabei werden sowohl a) die
transzendentale als auch b) die personale Identität zu repressiven Prinzipien
verzerrt:
ad a) Das "Identitätsprinzip" - nach Adorno den Menschen "(...) von der
Gesellschaft eingepflanzt" 98-drücke die im Interesse der Selbsterhaltung
notwendige Unterdrückung der Triebe aus. Diesen psychologischen Identitäts-
begriff setzt Adorno mit dem transzendentalen gleich: "Hinter den Kulissen
des Kantischen Systems wird erwartet, der oberste Begriff der praktischen
Philosophie koinzidiere mit dem obersten der theoretischen, dem Ichprinzip,
das ebenso theoretisch Einheit stiftet wie praktisch Triebe bändigt und in-
tegriert." 99 Die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption sei
"(.,.) selber insofern zwangvollen Wesens, als diese Einheit all ihren Mo-
menten als Gesetzmäßigkeit sich aufprägt" .
Diese These jedoch und ihre Konkretisierung,derzufölge das "ich denke" im
Sinne der Psychoanalyse als "Ich-Instanz" des Bewußtseins zu dechiffrie-
ren sei, sind oben als Irrtum erkannt worden (vgl. 5.1.1). Das im Zusammen-
hang mit der Betrachtung von Adornos Kritik des transzendentalen Selbstbe-
wußtseinsprinzips beobachtete ontologistische Mißverständnis läßt sich nun
identitätstheoretisch als Verabsolutierung der psychologischen Perspektive
bestimmen.

98 Adorno ( 7 ) , S. 292
99 Adorno ( 7 ) , S. 287 f
100 Adorno ( 7 ) , S. 222
101 Adorno (13), S. 101
266 Adornos Subjektstheorie
ad b) Die Psychologisierung betrifft nicht nur die transzendentale, son-
dern auch die personale Identität: Dieses Prinzip, das die Person zur Person
macht, indem sie es zu einer Person macht, ist als individuell ausgestaltete
reflexive Einheit charakterisiert worden. Sie meint Kant, wenn er von der
"Persönlichkeit, als eines vernünftigen, und zugleich der Zurechnung fähigen
Wesens" 1(19 spricht. Dabei läßt das Prinzip der personalen Identität den Modus
der Gestaltung offen: Für die Personalität eines Wesens ist es gleichgültig,
ob es seine natürlich-sinnliche Seite unterdrückt (eine "falsche",weil re-
pressive Identität besitzt), oder in einer idealen Einheit von Sinnlichkeit
und Vernunft lebt (eine "wahre",weil harmonische Identität erreicht hat).
Anders aber Adorno: Er sieht das "Prinzip" der "Person" in dem "(...) uner-
schütterlicher Einheit, wie es ihre Selbstheit ausmacht", im Charakter der
" H e r r s c h a f t " . Die abstrakt allgemeine "Persönlichkeit" solle nach Kant
"(...) die Person, das Subjekt, als empirisches, natürliches Einzelwesen,
sich unterwerfen." Demgegenüber hat sich bei der Betrachtung von Adornos
Kritik der Kantischen Ethik gezeigt, daß in dieser die Individualität als
Wert zwar nicht positiv legitimiert, wohl aber zugelassen ist, der Vorwurf
der Repressivität nicht gerechtfertigt ist.
Die unzulässige Erweiterung der psychologischen Perspektive impliziert al-
so die Einengung des Personenbegriffs auf eine Form der Ausgestaltung per-
sonaler Identität. Derart muß Adorno das Humane der Menschen in dem "(...)
Diffuse(n) der Natur, darin sie nicht Person sind" , erblicken. Nicht po-
lemisch, sondern nur konsequent ist daher der Ratschlag, mit dem er seine
"Metakritik der praktischen Vernunft" beschließt: "versuchen, so zu leben,
daß man glauben darf, ein gutes Tier gewesen zu sein." Ebenfalls von sei-
ner Einengung des Personenbegriffs her konsequent ist es, wenn Adorno bezwei-
felt, " ( . . . ) ob bei Kant ein böser intelligibler Charakter denkmöglich
sei» 107 .
Zugleich erklärt die Aufblähung der psychologischen Perspektive die sub-
jektstheoretischen Paradoxien, die sich eingangs (vgl. 2.2) bei der Betrach-
tung der geschichtstheoretischen Konzeption Adornos zeigen: Paradox nämlich
wird die Theorie, wenn neben dem negativen Subjektsbegriff, dessen Gegenbe-
102 Kant (141), S. 26
103 Adorno ( 7 ) , S. 273
104 Adorno ( 7 ) , S. 288
105 Adorno ( 7 ) , S. 274
106 Adorno ( 7 ) , S. 294
107 Adorno ( 7 ) , S. 289
Das Scheltern des Reduktionismus 267

griff die naturhafte Diffusität ist, ein positiver, ebenfalls psychologischer


Subjektsbegriff eingeführt wird, der so etwas wie eine harmonische Einheit
meint: Die behauptete Parallelität der "geschichtlichen Formation des Sub-
jekts" mit dem "Prozeß der Entsubjektivierung" 108 bedeutet demnach lediglich:
Die Herstellung einer "falschen" Identität, wie sie in der abendländischen
Geschichte statt habe, ist eine Entfernung von der "wahren" Identität.
109
Thesen wie die, daß das Subjekt "vom letzten Mythos, von sich selbst"
sich befreien müsse, oder die, daß " ( . . . ) doch alle in ihrem Selbst einge-
sperrt sind und dadurch abgesperrt noch von ihrem Selbst" , werden ver-
ständlich: "in ihrem Selbst eingesperrt" sind "alle", weil sie eine nach
Adorno "falsche" (repressive) Identität besitzen, "abgesperrt" sind sie "von
ihrem Selbst", weil sie noch nicht in einer "wahren" (harmonischen) Identi-
tät leben.
Nur: Wenn sowohl der Begriff der naturhaften Diffusität des Tieres als auch
der psychologisch gefaßte positive Subjektsbegriff Gegenbegriffe zu dem ne-
gativen Subjektsbegriff sind, stellt sich die Frage nach der differentia spe-
cifica des positiven Subjektsbegriffs von dem Begriff der tierischen Diffu-
sität. Dieses Problem aber kann Adorno nicht lösen, weil er den Begriff der
personalen Identität psychologisch verzerrt, auf den negativen Subjektsbe-
griff reduziert. Damit beginnt sich der Kreis zu schließen.
4. Angesichts einerseits der Unzulänglichkeit des bloß psychologisch ge-
faßten Identitätsbegriffs, andererseits der Unzulässigkeit seiner Verabso-
lutierung stellt sich die Frage, worin der gute sinn der Theorie Adornos zu
suchen ist. Er liegt nicht in einer angemessenen Rezeption und Würdigung an-
derer Konzeptionen. Hier ist es neben Kant insbesondere Heidegger, dem Ador-
no irrtümlich vorwirft, "(...) die Idee des starken, in sich geschlossenen,
'entschlossenen 1 Ichs zur Metaphysik (zu verklären)." Auch besteht der
gute Sinn nicht in einer Klärung bisheriger Erkenntnisse oder einem produk-
tiven Beitrag zu einer philosophischen Subjektskonzeption. Er liegt ledig-
lich in der abstrakten Forderung, psychische Verhärtungen des Subjekts abzu-
bauen, sich nicht äußeren und inneren Zwängen zu unterwerfen, sein Leben
frei und individuell zu gestalten, das Geistige und Sinnliche harmonisch zu

108 Adorno ( 7 ) , S. 130


109 Adorno ( 7 ) , S. 277
110 Adorno ( 7 ) , S. 293
111 Adorno ( 7 ) , S. 275. Vgl. dagegen Heidegger (105), S. 297 f. Zu Adornos
Mißverständnis von Heideggers Begriff der "Entschlossenheit" vgl. Mör-
268 Adornos Subjektstheorie

entfalten usw. Diese und ähnliche Formulierungen wandeln lediglich die eine
Forderung nach einem freien Subjekt ab.

Seine Freiheitskonzeption entwickelt Adorno "in Wendung gegen Kant" 1 ^:


"Ober die Kategorie der Freiheit" sei "so weit" hinauszugehen, "(...) wie
111
diese nach dem Bilde des unfreien Individuums geschaffen ist." Unfrei sei
das Individuum, solange es unter dem abstrakten Identitätszwang stehe, seine
"innere Natur" unterdrücke. Die "Idee der Freiheit" sei bisher nach dem
"Modell der eigenen Herrschaft" sowohl über andere als auch über sich
selbst entworfen worden.
Das wahrhaft "befreite Ich" sei dann verwirklicht, wenn es "(...) nicht
länger eingesperrt in seine Identität" sei. Den Gegenbegriff zu Herrschaft
bildet für Adorno der Begriff der "Versöhnung": "Befreit wäre das Subjekt
erst als mit dem Nichtich versöhntes, und damit auch über der Freiheit, so-
weit sie mit ihrem Widerpart, der Repression, verschworen ist." Freiheit
des Individuums wäre "die des Ganzen" .
Indessen hat sich nicht nur die Wendung gegen die kritische Ethik als Miß-
verständnis erwiesen. Ebenso ist der Begriff der "Versöhnung" in seiner ab-
strakten Radikalität problematisch. Diese versucht Adorno durch die Einbezie-
hung des gesell schaftskritischen Aspekts zu mildern. Freiheit sei "ungeschmä-
lert herzustellen einzig unter gesellschaftlichen Bedingungen entfesselter
119
Güterfülle" . Sie ziele auf die Oberwindung eines Zustandes, in dem "(...)
die Menschen ohnmächtig sind vorm System und nicht vermögen, aus ihrer Ver-
1?0
nunft ihr Leben und das des Ganzen zu bestimmen" . Anzustreben sei ein
Menschheitsstand, in dem es "(...) keiner Repression und keiner Moral mehr
1 ?1
bedurfte, weil der Trieb nicht länger zerstörend sich äußern müßte."
1 ??
Da "Versöhnung" jedoch kosmologisch als eine "von Geist und Natur" und

eben (197), S. 81. Zu Recht stellt Figal fest, daß Adorno in der Kritik
der selbstmächtigen Subjektivität Heidegger "durchaus vergleichbar"
[Figal ( 6 7 ) , S. 57] ist.
112 Ritzel (236), S. 258
113 Adorno ( 7 ) , S. 271
114 Adorno ( 7 ) , S. 221
115 Adorno ( 7 ) , S. 222
116 Adorno ( 7 ) , S. 275
117 Adorno ( 7 ) , S. 279
118 Adorno ( 7 ) , S. 271
119 Adorno ( 7 ) , S. 218
120 Adorno ( 7 ) , S. 96
121 Adorno ( 7 ) , S. 281
122 Adorno ( 7 ) , S. 228
Das Scheltern des Reduktionismus 269

somit umfassender als die Idee einer idealen Gesellschaft konzipiert ist,
bildet die Herstellung der "gesellschaftlichen Bedingungen entfesselter Gü-
terfülle" zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung zur
Erlangung wahrer Freiheit. Diese bedürfe wesentlich ebenso einer Art gnaden-
haften Entgegenkommens des außerhalb der menschlichen Einflußsphäre Liegen-
den: "Ob Autonomie sei oder nicht, hängt ab von ihrem Widersacher oder Wi-
derspruch, dem Objekt, das dem Subjekt Autonomie gewährt oder verweigert;
123
losgelöst davon ist Autonomie f i k t i v . "
Von dem versöhnten Zustand sei kein bestimmtes, sondern lediglich ein
"dämmernde(s) Freiheitsbewußtsein" möglich. Dieses " ( . . . ) nährt sich von der
Erinnerung an den archaischen, noch von keinem festen Ich gesteuerten Im-
puls. ( . . . ) Ohne Anamnesis an den ungebändigten, vor-ichlichen Impuls (...)
wäre die Idee von Freiheit nicht zu schöpfen". Als "vor-ichlich" bestimmt
Adorno diesen "Impuls", weil er das "Ich" psychologisch als Prinzip von Herr-
schaft faßt. Indessen irrt er, wenn er diesen Ichbegriff mit dem "Ich der
idealistischen Philosophie" identifiziert. Adorno fordert lediglich eine "Er-
innerung" an den "vor-ichlichen Impuls", nicht aber eine Rückkehr zu der da-
mit bezeichneten "vorzeitliche(n) Freiheit" . Diese sei der "Schrecken des
125
blinden Naturzusammenhangs" . Sowohl gegenüber der vorzeitlichen Blindheit
als auch gegenüber der gegenwärtigen Unterdrückung meine wahre "Freiheit"
einen Stand, " ( . . . ) der so wenig blinde Natur wäre wie unterdrückte." 126
Freiheit setzt demnach Bewußtsein und Vernünftigkeit voraus. Entsprechend
heißt es: "Ohne die Einheit und den Zwang von Vernunft wäre nie ein der Frei-
127
heit Ähnliches auch nur gedacht worden, geschweige denn gewesen" . Das Be-
wußtseins- und Vernunftmoment wird näher als "Selbstreflexion" bestimmt:
"Ehe das Individuum in dem für Kant selbstverständlichen, neuzeitlichen Sinn
sich bildete, der nicht einfach das biologische Einzelwesen sondern das durch
dessen Selbstreflexion als Einheit erst konstituierte meint ( . . . ) , ist es
anachronistisch von Freiheit, von realer wie von geforderter zu reden." 12fl
"Wahre Praxis", d.h. " ( . . . ) der Inbegriff von Handlungen, welche der Idee
von Freiheit genügten", bedarf nach Adorno also nicht nur des "vor-ichlichen
Impulses", sondern auch "des vollen theoretischen Bewußtseins" 129 .
123 Adorno (7), S. 222
124 Adorno (7), S. 221
125 Adorno (5), S. 743
126 Adorno (7), S. 228
127 Adorno (7), S. 262
128 Adorno (7), S. 218
129 Adorno (7), S. 228
270 Adornos Subjektstheorie
Werde die Selbsterhaltung anfangs weitgehend von Reflexen bestimmt, so sei
"Freiheit" die "Differenz von den Reflexen" - näher: die "gewordene Diffe-
1 *^
renz" . Die Reflexe sind also unfrei. Entsprechend gilt: Der Gedanke besit-
ze "Souveränität", nämlich die, daß er " ( . . . ) vermöge seiner Freiheit auf
sich als auf sein Subjekt sich zurückwendet" . "Einzig wofern einer als
Ich, nicht bloß reaktiv handelt, kann sein Handeln irgend frei heißen.'.,132
Dies wirft eine Schwierigkeit auf: War anfangs das reflexive Bewußtsein
Bedingung von Freiheit, so wird diese Bedingung nun selbst als frei q u a l i f i -
ziert: Bedingung der Freiheit ist also Freiheit.
Die Aporie löst sich durch die Annahme eines doppelten Freiheitsbegriffs:
Freiheit qua "Versöhnung" und Freiheit qua "Souveränität des Gedankens".
Weiter: Was bedeutet der zweite Freiheitsbegriff, der auf eine "Differenz
von den Reflexen" zielt, anderes als die Überwindung des reflexartigen Ver-
haltens ? Vorbild dieser Freiheit ist also ebenfalls das an Kant kritisier-
te "Modell der eigenen Herrschaft". Man könnte geltend machen, die als "Herr-
schaft" bezeichnete "Differenz von den Reflexen" sei nicht repressiv ge-
133
meint, Adorno konzipiere "Freiheit als Möglichkeit von Nichtidentität" .
Indessen ist diese "Möglichkeit" auch in der kritischen Ethik gewährleistet.
Der Unterschied zwischen Kant und Adorno ist also nicht als der von Herr-
schaft und Kritik von Herrschaft angemessen zu fassen. Vielmehr besteht er
wesentlich in Adornos kosmologischer Überhöhung der Freiheitskonzeption, die
in mehrfacher Hinsicht problematisch ist:
a) Einerseits heißt es, "einzig" das "nicht bloß reaktiv(e)" Handeln eines
Ichs könne "irgend frei heißen". Andererseits jedoch: "Dennoch wäre gleicher-
maßen frei das vom Ich als dem Prinzip jeglicher Determination nicht Gebän-
digte, das dem Ich, wie in Kants Moral philosophic unfrei dUnkt und bis heu-
te tatsächlich ebenfalls unfrei war." 134
b) Der Widerspruch verschärft sich zu einer Aporie: "Je objektiver die Kau-
salität, desto größer die Möglichkeit von Freiheit". Ist Kausalität also kei-
ne (wie Kant annimmt) subjektive Bestimmung, sondern eine der Dinge selbst,
dann eröffnet sich nach Adorno die "Perspektive der Freiheit" . Was heißt
130 Adorno (7), s. 217
131 Adorno (7) s. 219
132 Adorno (7) S. 222
133 Adorno (7) S. 266
134 Adorno (7) S. 222
135 Adorno (7) S. 247
Das Scheitern des Reduktion!smus 271

derart noch Freiheit bzw. Kausalität ?


c) Die Aporie beruht auf zwei problematischen Prämissen: Zum einen, daß
die subjektive Kausalitätsbestimmung herrschaftlich sei. Zum anderen, daß
das Ich das "Prinzip jeglicher Determination" sei. Die unabhängig vom Sub-
jekt herrschende Naturkausalität scheint also nicht determinierend zu sein.
Ebenfalls nur unter diesen Voraussetzungen kann Adorno die Freiheit des "vom
Ich als dem Prinzip jeglicher Determination nicht Gebändigte(n)" postulieren
d) Indessen sei dieses Nichtichliche "bis heute tatsächlich ebenfalls un-
frei" gewesen. Warum nur "bis heute" ? W. Ritzel vermutet: "Das 'nicht Ge-
bändigte' dürfte der Bändigung nicht bedürfen, weil es mit dem Anspruch des
Ich nicht streitet, ihn vielmehr auf seine Weise bestätigt."
Die kosmologische Überhöhung der Freiheitskonzeption ist nicht zufällig,
sondern durch den zugrundeliegenden subjektstheoretischen Reduktionismus be-
dingt: Adorno weitet die psychologische Perspektive aus und engt derart den
Identitätsbegriff auf eine Form möglicher Ausgestaltung der personalen Iden-
tität ein. Indem er das Prinzip des Ichs ausschließlich als diese repressive
Form versteht, liegt es nahe, im Gegenzug das Nichtsubjektive, die Natur als
frei zu deuten (a). Hält er grundsätzlich am Begriff der Naturkausalität
fest, muß er die aporetische Koinzidenz von Freiheit und Kausalität in Kauf
nehmen ( b ) . . I s t aber einzig die Natur frei und darf daher ihre Kausalität
nicht determinierend sein, so muß das Ich nicht nur repressiv sein, sondern
jede Repressivität muß ichlich sein: Das Ich wird so zum "Prinzip jeglicher
Determination" ( c ) .
Damit schließt sich der Kreis noch enger: Das subjektstheoretische Refle-
xionsdefizit Adornos impliziert nicht nur den Ontologismus in seiner syste-
matisch zentralen Kritik der Kantischen Subjektstheorie und erklärt nicht
nur die Paradoxien der geschichtstheoretischen Konzeption, die fehlende dif-
ferentia specifica zwischen einem positiven Subjektsbegriff und der tieri-
schen Diffusität. Ebenso bedingt der subjektstheoretische Reduktionismus
die Schwierigkeiten in Adornos Idee einer wahren Freiheit ("Versöhnung").
Zunächst problemlos scheint Adornos Freiheitskonzeption in bezug auf ihre
äußere Schicht zu sein: der Forderung nach einer vernünftigen Selbstbestim-
mung des Menschen (in soziologischer Hinsicht) und der Anerkennung seiner
inneren Natur (in psychologischer H i n s i c h t ) .

136 Ritzel (236), S. 259


272 Adornos Subjektstheorie

zusammenfassend ist festzuhalten: Nachdem Adornos Subjektstheorie unter


dem Verhältnis von Subjekt und Objekt betrachtet worden ist, ging es nun um
die innere struJttur des Subjekts: das Problem der subjektiven Identität. In
entwicklungsgeschichtlicher Perspektive zeigt sich, daß der naturalistische
Evolutionismus in Wendung gegen einen mißverstandenen Idealismus grundsätz-
lich einen subjektstheoretischen Reduktionismus impliziert, will er nicht
zirkulär werden: Die personale Einheit ist von der Einheit des Organismus
lediglich nach Graden der Kraft unterschieden.
Da ein Reduktionismus als solcher noch nicht falsch ist, muß in einem zwei-
ten Schritt seine innere Tragfähigkeit untersucht werden. Unter der Voraus-
setzung einer bloß psychologischen Bedeutung der Begriffe Identität, Identi-
tätszwang, Nichtidentität etc. läßt sich ein konsistenter Entwurf aus den
Äußerungen Adornos rekonstruieren. Die Konzeption zeigt jedoch ihre Unzuläng-
lichkeit, wenn die psychologische Identität in "wahr" und "falsch" qualifi-
ziert wird. Weder nennt Adorno formale Qualifikationskriterien, noch berück-
sichtigt er das für eine Qualifikation notwendige Prinzip der personalen Iden-
tität. Im Vergleich mit Kant, der die personale Identität noch in einem höhe-
ren Prinzip begründet, der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzep-
tion, erweist sich damit Adornos Entwurf als unvollständig, falsch wird die-
ser erst, wenn Adorno im Zeichen der Kritik von Herrschaft den psychologi-
schen Identitätsbegriff aufbläht und sowohl den personalen als auch den
transzendentalen Identitätsbegriff unter diesen subsumiert. Die Psychologi-
sierung impliziert eine Einengung des Personenbegriffs. Von hierher erklären
sich Adornos Zweifel an der Möglichkeit eines bösen intelligiblen Charakters
und seine eingangs betrachteten subjektstheoretischen Paradoxien der ge-
schichtstheoretischen Konzeption. Auch läßt sich nicht mehr der Unterschied
zwischen der naturlichen Diffusität und dem eingeführten positiven psycholo-
gischen Subjektsbegriff angeben. Angesichts einerseits der Unzulänglichkeit
des psychologischen Identitätsbegriffs und andererseits der Unzulässigkeit
seiner Verabsolutierung reduziert sich der gute sinn der Theorie Adornos auf
die Forderung nach einem freien Subjekt. Seine Freiheitskonzeption entwik-
kelt er "in Wendung gegen Kant". Wahre Freiheit sei erst im Zustand der "Ver-
söhnung" verwirklicht. Indem er diese jedoch an Bewußtsein und Vernünftigkeit
knüpft, nähert er sich wieder dem als repressiv mißverstandenen Modell Kants
an. Er unterscheidet sich jedoch wesentlich von Kant durch die kosmologische
Überhöhung seiner Freiheitsidee, die durch den subjektstheoretischen Reduk-
tionismus bedingt ist und wie dieser an ihren Konsequenzen scheitert.
Das Scheitern des Reduktionismus 273

Problemlos scheint Adornos Freiheitskonzeption in bezug auf ihre äußere


Schicht zu sein: der Forderung nach einer vernünftigen Selbstbestimmung des
Menschen und der Anerkennung seiner inneren Natur.
6.2 Konsequenzen

Im folgenden ist abschließend zu prüfen, ob Adornos Forderung nach einem in-


nerlich und äußerlich freien Subjekt wirklich so problemlos ist, wie es zu-
nächst scheint. Diese Forderung ist zum einen selbst theoretisch und zielt
zum anderen auf eine praktische Veränderung der Gegebenheiten. Dadurch wer-
den zwei Probleme angeschnitten: 1. der Geltungstheorie im Bereich der Epi-
stemologie, 2. der Theorie-Praxis-Frage im Bereich der praktischen Philoso-
phie. In beiden Fällen verhindert Adornos Subjektstheorie eine befriedigen-
de Lösung.

6.2.1 Die geltungstheoretische Problematik

Der naturalistisch-evolutionistische Ansatz Adornos affiziert sein Verständ-


nis der menschlichen Erkenntnisvollzöge: Die "cognitiven Leistungen des Er-
kenntnissubjekts" seien nicht nur an biologische Prozesse gebunden, sondern
"dem eigenen Sinn nach somatisch" . Das Moment der Erkenntnis habe "seine
Urgeschichte im Vorgeistigen, dem animalischen Leben der Gattung". Die Er-
kenntnisanstrengung des Subjekts, sich des Objektiven verstehend zu bemäch-
tigen (es zur Geltung zu bringen), sei der sublimierte "Sprung" des hungri-
gen Raubtiers auf sein "Opfer". Entsprechend gelte: "Das System ist der Geist
138
gewordene Bauch" .
Allerdings gehe es weder an, "(...) Geistiges Gehirnvorgängen gleich(zu)-
setzen", noch den Geist "zum schlechthin Anderen des Körpers" zu machen.
Dies widerspreche "seinem immanent S o m a t i s e h e n " .
Der Tatsache, daß Erkenntnis wesentlich allgemeingültig ist, versucht Ador-
no durch den Hinweis gerecht zu werden, daß das erkennende Subjekt nicht iso-
liert, sondern in allgemeine gesellschaftliche Prozesse eingebunden sei.
Allein durch das gesellschaftliche Wesen des Menschen komme "(...) so etwas
wie geistige Objektivität überhaupt zustande."

137 Adorno ( 7 ) , S. 194


138 Adorno ( 7 ) , S. 33 f
139 Adorno ( 7 ) , S. 194 f
140 Adorno (13), S. 80
Die geltungstheoretisehe Problematik 275

Demgegenüber 1st geltend zu machen, daß die konkreten Erkenntnisleistungen


zwar an Allgemeines gebunden sind, weil sie Sprache voraussetzen, die sich
erst im gesellschaftlichen Medium ausbildet. Aber deshalb ist Erkenntnis
nicht auf somatische Prozesse und ihre gesellschaftliche Vermittlung zurück-
zuführen. Seit Kant unterscheidet die Philosophie zwischen dem zeitlich da-
tierbaren Anfang und dem zeitlich nicht datierbaren logischen Ursprung. Da
Adorno hier nicht differenziert und derart - wie gezeigt - die transzen-
dentalphilosophische Kategorie des Ursprungs mißversteht, muß er die quaestio
iuris auf die quaestio facti und entsprechend Geltung auf Genesis reduzieren.
Dies wirft ein grundsätzliches Problem auf, das nicht dadurch umgangen wird,
daß Adorno das Prinzip der Geltung nicht in die ontogenetische, sondern die
phylogenetische Genesis auflöst: Der "Fehler" des vom frühen Husserl zurecht
kritisierten "logischen Psychologismus" sei es gewesen, "(...) unmittelbar
1 9
aus Psychisch-Tatsächlichem die Gültigkeit der logischen Sätze abzuleiten".
Im Gegenzug jedoch sei Husserl auf die "Vergötzung der Logik als reines
Sein" verfallen, habe die logische Geltung irrtümlich als "ideale(s) Sein
der Sätze an sich" angesetzt und die "Differenz" zwischen Geltung und Ge-
nesis "hypostasiert" . Die "Dichotomie von Genesis und Geltung" und mit
ihr die Idee der zeitlosen Wahrheit sei falsch: Wahrheit sei zwar nicht "in
der Geschichte", wohl aber "Geschichte in der Wahrheit" .Positiv drücke
die "Gültigkeit der logischen Sätze" eine gesellschaftlich bestimmte Ver-
selbständigung "gegenüber dem faktischen psychischen 'Leisten'" aus.
Die relative Unabhängigkeit der Geltung von der psychologischen Genese eines
Urteils spiegele die Vorgängigkeit der Gesellschaft vor dem Einzel Individuum.
Ebenso wie Gesellschaft zugleich auch nur eine von Individuen sei, müsse Gel-
tung "auf Genesis notwendig" zurückbezogen werden. Geltung bedeutet dem-
nach für Adorno SOViel Wie die gesellschaftlich verfestigte Genese eines Ur-
teils, das der aktuellen psychologischen Urteilsgenese als scheinbar unabhän-
gig gegenübersteht. Auf diesem Gedanken aufbauend versucht er dann, eine Art
dialektischer Beziehung zwischen Genesis und Geltung zu entwickeln.

141 Vgl. Kap. 5.1.1 Exkurs


142 Adorno (14), S. 84
143 Adorno (14), S. 79
144 Adorno (14) S. 83
145 Adorno (14) S. 85
146 Adorno (14) S. 140
147 Adorno (14) S. 84
148 Adorno (14) S. 80
276 Adornos Subjektstheorie

Indessen 1st es nicht nur fraglich, ob die überindividuelle Gültigkeit


z.B. mathematischer Urteile hinreichend durch den Gedanken einer gesellschaft-
lichen Vermittlung psychologischer Urteilsprozesse einsichtig gemacht werden
kann. Entscheidend ist, daß die grundsätzliche Reduktion von Geltung auf Ge-
nesis aporetisch. ist: Indem Adorno das Prinzip zeitloser Geltung in die ge-
sellschaftlich bestimmte phylogenetische Genesis auflöst, formuliert er selbst
ein Urteil. Soll die Geltung dieser These auch nur die Widerspiegelung ver-
festigter Urteilsgenesen sein, die sich dem psychologischen Urteilsprozeß
Adornos gegenüber verselbständigt haben ? In diesem Falle entfiele nicht nur
die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung,
weil keine Theorie vorläge, die einer Person zugerechnet werden könnte. Gel-
tung kann nicht geleugnet werden, denn schon ihre Leugnung setzt Geltung
voraus (Hönigswald). Eine Theorie, die Geltung leugnet, leugnet ihre eigene
Bedingung und endet damit in einer Aporie.
Die grundsätzliche Schwierigkeit, in die Adornos Konzeption mündet, ist
nicht zufällig, sondern durch seinen subjektstheoretischen Reduktionismus
bedingt. Die Annahme des Prinzips überzeitlicher Geltung postuliert keine
selbständigen platonischen Wesenheiten im ewigen Ideenhirnmel. Bezeichnend ist
hier die Wendung des späten Husserl in Richtung auf den transzendentalen
Idealismus Kants. Dieses Prinzip ist transzendental philosophisch zurückgebun-
den an die Geltungsansprüche eines Subjekts, die es für etwas kraft seiner
personalen Identität in seinen Urteilsakten erhebt. Ebenso bringt das Ich
sich in diesen Akten zur Geltung. "Das aber heißt: wenn ich etwas geltend
mache, bringe ich mich zur Geltung; der Ich-Anspruch gehört zusammen mit dem
Ist-Anspruch" 149 . Beide Ansprüche sind dialektisch aufeinander bezogen. In-
dem Adorno aber das Prinzip der personalen Identität nicht anerkennt, es als
repressiv psychologisiert, kann er das Prinzip der Geltung nicht subjekts-
theoretisch begründen, sondern muß es statt dessen objektivistisch konzipie-
ren. Um der damit drohenden Gefahr einer dualistischen Metaphysik zu entge-
hen, ist er gezwungen, Geltung auf eine gesellschaftlich bestimmte Verselb-
ständigung psychologischer Urteilsgenesen zurückzuführen. Der subjektstheo-
retische Reduktionismus endet a~\ SO ,geltungstheoretisch betrachtet .aporetisch.
Derart aber ist auch Adornos Forderung nach einem freien Subjekt epistemolo-
gisch nicht abgesichert.

149 Ritzel ( 2 3 7 ) , S. 120


Das Problem von Theorie und Praxis 277

6.2.2 Das Problem von Theorie und Praxis

Die Forderung nach einem freien Subjekt ist nicht nur geltungstheoretisch,
sondern aufgrund ihres kritischen Anspruchs auch hinsichtlich des Theorie-
Praxis-Problems bedeutsam.
1. Zunächst Adornos Stellung in dieser Frage: Karl Marx fordert 1845 in
seinen 'Thesen über Feuerbach 1 die Einheit von Theorie und Praxis: Der Mate-
rialismus (Feuerbachs) habe sich zwar mit der "Wirklichkeit" befaßt, dabei
aber die "sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis" ausgeklammert. Der Idealis-
mus hingegen habe sich dieser "tätige(n) Seite" zugewandt - allerdings auf
Kosten der "Wirklichkeit" 1 5 1 . Die häufig zitierte 11. These kritisiert dem-
nach sowohl Materialismus wie Idealismus: "Die Philosophen haben die Welt
nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern."
Marxens Rede von der "'praktisch-kritischen 1 Tätigkeit" 153 in der 1. These
zielt also darauf, daß weder Theorie (Denken) noch Praxis gegeneinander iso-
liert werden dlirfen, sondern beide eine Einheit bilden müssen.
Dieser Auffassung stimmt Adorno grundsätzlich zu, schränkt sie allerdings
ein: Die Einlösbarkeit der Marxschen Forderung sei an "(...) geschichtliche
Bedingungen geknüpft." Diese sieht er angesichts der Revolutionsbewegun-
gen für die Zeit um 1848 als erfüllt an. "Bei Marx war die Lehre von jener
Einheit beseelt von der (...) präsenten Möglichkeit der Aktion." 155 Seit
diesen Unruhen jedoch, die Adorno (verkürzt) als proletarische Revolutions-
bewegungen ("Konflikt zwischen der gesellschaftsimmanenten Gruppe, der bür-
gerlichen, und der halb draußen befindlichen, dem Proletariat") deutet, ha-
be sich die Situation geändert: Das vormals revolutionäre "Bewußtsein" der-
jenigen, "(...) die Objekte der Gesellschaft s i n d 1 , sei integriert wor-
den. Damit setzt Adorno um die Mitte des 19. Jahrhunderts den "Zeitpunkt des
Mißlingen* der Kultur" und als ihren kritischen Ausdruck den Beginn der
158
Moderne an. Die "Theorie der Kulturindustrie" wird das "Medium der Erklä-
150 Vgl. zum Problem von Theorie und Praxis Ritzel (236) , S. 250 - 284.
151 Marx (191), S. 5
152 Marx (191), S. 7
153 Marx (191), S. 5
154 Adorno ( 5 ) , S. 766
155 Adorno ( 5 ) , S. 795
156 Adorno (12), S. 17
157 Grenz C80), S. 171
158 Vgl. Scheible (244), S. 353 t
278 Adornos Subjektstheorie

rung des Fehlschlages der Möglichkeit zur Veränderung der Melt." 1 59


Demnach gilt für Adorno, daß die ungeachtet der veränderten Verhältnisse
aufrechterhaltene "(...) Forderung der Einheit von Theorie und Praxis (...)
diese zur Dienerin erniedrigt" habe. Das "Interesse von Praxis" sei es viel-
mehr, "(...) daß Theorie ihre Selbständigkeit zurückgewinnt" . Praxis kön-
ne zwar "nicht warten", müsse aber dennoch "aufgeschoben" werden: "Wer je-
doch nichts tun kann, ohne daß es, auch wenn es das Bessere w i l l , zum
Schlechten auszuschlagen drohte, wird zum Denken verhalten; das ist seine
Rechtfertigung und die des Glücks am Geiste." Diese "Atempause zum Denken"
müsse genutzt werden, denn: "Dem Denken kommt heute ironisch zugute, daß man
seinen eigenen Begriff nicht verabsolutieren darf: es bleibt, als verhalten,
ein Stück Praxis, sei diese sich selbst noch so sehr verborgen." Mögliche
Praxis, die Adorno bezeichnenderweise als ein "Verhalten" und nicht als ein
Sieb-Verhalten bestimmt, reduziert sich damit auf die Tatsache, daß eine
Theorie von konkreten empirischen Subjekten gedacht wird. Praxis geht in
Faktizität auf. Auch müsse keineswegs der "Horizont" einer "später mögli-
chein) Praxis" gegeben sein. Vielmehr werde in der gegenwärtigen Situa-
\ f\ 9
tion die Theorie zum "Statthalter der Freiheit" . Der Aktionismus hinge-
gen, die "Pseudo-Aktivität",sei in Wahrheit "angepaßt" 1
Die gesellschaftliche Situation bedinge nicht nur die Auflösung von Praxis
in Theorie bzw. die Etablierung von Theorie als gegenwärtig einzig möglicher
Form von Praxis, sondern auch die Art dieser Theorie: Das Vermögen zu kriti-
scher Theorie sei nicht jedem eigen, sondern nur einigen Privilegierten:
"Kritik am Privileg wird zum Privileg" 164 .
Der privilegierte Kreis ist nicht durch die intersubjektive Oberprüfbarkeit
dessen, was seine Angehörigen denken, zu definieren, weil "gegenwärtig jeder
Schritt zur Kommunikation hin die Wahrheit ausverkauft und verfälscht."
Zwar läßt Adorno zu Recht Wahrheit nicht in Konmunikabilität aufgehen. Indes-
sen scheint hier, wie L. Düver feststellt, "(...) das Moment der 'Allgemein-
gültigkeit 1 von Aussagen (...) in einer gefährlichen Weise zur 'Schwundstufe'

159 Grenz (80), S. 173


160 Adorno ( 7 ) , S. 146 f
161 Adorno ( 7 ) , S. 242 f
162 Adorno ( 5 ) , S. 763
163 Adorno ( 5 ) , S. 771
164 Adorno ( 7 ) , S. 51
165 Adorno ( 7 ) , S. 51 f
Das Problem von Theorie und Praxis 279

zu mißraten." Diese Gefahr wird durch die eingangs betrachtete Kritik der
sog. "Residualtheorie der Wahrheit" bestätigt. In die gleiche Richtung
verweist die bisweilen anklingende Auffassung Adornos, daß Wahrheit einzig
noch in bestimmten Arten der modernen Kunst zu finden sei, deren "Kommunika-
168
tion" in ihrer "Nicht-Kommunikation" liegt. Hier ist etwa an die absurde
Kunst eines Kafka oder Beckett zu denken.
Entsprechend der Abwertung intersubjektiv überprüfbarer Gültigkeit wird
die private "unmittelbare, geistige Erfahrung des Wesentlichen und Unwesent-
lichen" aufgewertet. Derart scheint jeder, der diese nicht näher konkreti-
sierte "Erfahrung" macht, zur Kritik privilegiert zu sein, wer aber entschei-
det darüber ? Und welche Kriterien werden zugrundegelegt ? Auf beide Fragen
bleibt Adorno eine Antwort schuldig. Dies bestätigt Kants Kritik des "neuer-
dings erhobenen vornehmen Tons in der Philosophie" .
Adorno selbst scheint unsicher zu sein: "Jedenfalls dieser Begriff der Er-
fahrung ist unterhöhlt in einem eminenten Maß, und dadurch tendiert nun der
Weise dazu, zu dem Scharlatan zu entarten, zu dem Guru, zu dem, der sich auf-
spielt, als sei er ein Geheimnis, der eine Sekte um sich versammelt und der
durch Abrakadabra die Darbenden in einen Sakral bezirk einläßt, in dessen in-
nerster Zelle sich dann kaum je etwas findet." 172
Weder also ist das Definitionsmerkmal des privilegierten Kreises,die "un-
mittelbare Erfahrung", sicher, noch wird angegeben, wer über die Zugehörig-
keit zu diesem Kreis und nach welchen Kriterien entscheidet. Auch scheint
dieser Kreis keineswegs das Interesse der gegenwärtig lebenden Menschen zu
vertreten: "Wahrscheinlich wäre für jeden Bürger der falschen Welt eine rich-
tige unerträglich, er wäre zu beschädigt für sie." 173 Dies aber wirft die
Frage nach der Legitimation einer geforderten Veränderung auf.
Angesichts dieses Problems versucht Adorno (genauso wie z.B. H. Marcuse )

166 Düver (52), S. 108


167 Vgl. Kap. 2.3.2, Nr. 2
168 Adorno (1), S. 15
169 Allerdings scheint der "späte Adorno" dazu zu neigen, " ( . . . ) das Absur-
de als einen Wesenszug der Kunst überhaupt anzusehen." [Sauerland (243),
S. 115]
170 Adorno ( 7 ) , S. 171 f
171 Vgl. Kant (155)
172 Adorno (10) , S. 175
173 Adorno ( 7 ) , S. 345. Vgl. ( 7 ) , S. 96
174 Vgl. Marcuse (184), S. 160
280 Adornos Subjektstheorie

auf "reale Interessen der Menschen" auszuweichen, die er offensichtlich


von falschen (?) Interessen unterschieden haben w i l l .
Damit verstrickt er sich in einen Widerspruch: Zum einen setzt er bei der
Postulierung "realer Interessen" ein bestimmtes Menschenbild voraus, zum an-
deren erklärt er "jedes Menschenbild" zur "Ideologie" . Entscheidender je-
doch ist, daß das Problem der Legitimation ungelöst bleibt, weil durch den
Rückgriff auf "reale Interessen" nicht die quaestio iuris, sondern lediglich
die quaestio facti beantwortet werden kann.
2. Die Schwierigkeiten sind offenkundig. Weniger einsichtig jedoch ist
ihre Ursache: Sie liegt nach Adorno in der gesellschaftlichen Situation, die
die Auflösung von Praxis in Theorie fordere, den Begriff der Erfahrung kul-
turindustriell unterhöhle, die Menschen verstümmele und sie hindere, ihre
wahren Interessen wahrzunehmen und zu vertreten. Indessen ist diese Deutung
nicht zwingend. Zufolge Kant ist die Untauglichkeit der Theorie für die Pra-
xis nicht der Praxis anzulasten, sondern hat als index falsi der Theorie zu
gelten. 177
Die Möglichkeit ist umso mehr zu bedenken, als Dubiel in einer detaillier-
ten Arbeit nachgewiesen hat, daß Adornos negative Einschätzungen möglicher
Praxis "(...) nicht als Resultat einer informierten Analyse zeitgenössischer
politischer Organisationen präsentiert werden, sondern eher als Schlußfol-
gerungen einer als evident erlebten pessimistischen Anthropologie." 17ft Im
Unterschied zu Dubiel jedoch sehen wir die Schwierigkeiten Adornos weniger
durch eine "als evident erlebte pessimistische Anthropologie" verursacht,
als vielmehr durch das Desiderat einer überzeugenden Subjektstheorie.
Sind es aber keine gesellschaftlichen, sondern unabhängig davon innertheo-
retische Gründe, die Adorno an der Praxisfrage scheitern lassen, dann greift
auch die Argumentation des orthodoxen Marxismus zu kurz, die Theorie versage
vor der Praxis, weil das revolutionäre Potential der proletarischen Massen
nicht erkannt worden sei. 179 Gleiches gilt für den Einwand von politisch kon-
servativer Seite, Adorno zeichne das Bestehende zu negativ, dieses wahre sehr
wohl die Freiheit des einzelnen, so daß sich die Notwendigkeit einer radika-
len Veränderung der gegenwärtigen Praxis erübrige. Beide Positionen dringen

175 Adorno ( 5 ) , S. 343


176 Adorno ( 5 ) , S. 67
177 Vgl. Kant (152), S. 275 ff
178 Dubiel (51), S. 101
179 Vgl. dazu bes. Heiseler u.a. (109)
Das Problem von Theorie und Praxis 281

in die innere Problematik der Konzeption Adornos nicht ein und verflachen
die theoretische Diskussion auf die Entgegensetzung praktisch-politischer An-
schauungen, die selten weiter begründet werden.
Fruchtbarer ist es, den Wert der Theorie Adornos nicht an solchen grundsätz
lieh vagen Kriterien zu messen, sondern zu fragen, ob nicht unabhängig von
möglichen objektiv gesellschaftlichen Ursachen schon rein innertheoretische
Gründe eine Lösung des Theorie-Praxis-Problems verhindern. Diese Gründe sind
subjektstheoretischen Ursprungs. Sie betreffen a) den Adressaten von Praxis,
b) ihr Telos, c) ihre Legitimation.
ad a) Eine Theorie kann sich sinnvoll nur an Subjekte, wenden. Der subjekts-
theoretische Psychologismus und die damit einhergehende Einengung des Perso-
nenbegriffs implizieren aber folgende Aporie: Die gegenwärtigen Subjekte sind
qua ihr Subjektsein für Adorno falsche Subjekte. Sie können also nicht die
geeigneten Adressaten der Theorie sein, weil sie das zu Oberwindende darstel-
len. Wahre Subjekte jedoch gibt es noch nicht. Sie also kann die Theorie
ebenfalls nicht ansprechen. Ergo: Die Theorie besitzt überhaupt keinen Adres-
saten. Derart ist es nur konsequent, wenn Adorno und Horkheimer in der 'Dia-
lektik der Aufklärung 1 einen "eingebildeten Zeugen" 180 postulieren, an den
sie sich wenden.
Gibt es für die Theorie keine Subjekte, dann müssen diese erst hergestellt
werden. Von hierher entscheidet sich die im Anschluß an Adornos Geschichts-
konzeption aufgeworfene Frage, ob die Rede "vom 'erst herzustellenden Men-
schen 1 " und ihre Affinität zu den "Zukunftsvisionen vom technisch manipulier-
1R1
ten Menschen" lediglich Formulierungsschwä'chen sind oder aber der Konse-
quenz des Gedankens entspringen. Es ist keineswegs an Adornos persönlicher
Aufrichtigkeit in seiner Anstrengung zu zweifeln, der totalitären Manipula-
tion des Menschen entgegenzuwirken. Indessen läßt der zugrundeliegende sub-
jektstheoretische Reduktionismus dieses Bemühen scheitern.
Anders wenn das Prinzip der personalen Identität anerkannt wird. In diesem
Fall ist es möglich, den Menschen als verantwortliches Subjekt anzusprechen
und ihm seine Handlungen zuzurechnen. Der Mensch müßte nicht hergestellt oder
geändert werden, sondern er müßte sich ändern. Die Kantische Subjektstheorie
würde bestätigt.

180 Adorno ( 2 ) , S. 294


181 Willms (286), S. 73
282 Adornos Subjektstheorie

ad b) Das Teios seines Bemühens umschreibt Adorno mit dem Begriff der "Ver-
söhnung". Der damit bezeichnete ideale Zustand sei nicht "auszumalen" 182 oder
183
"auszupinseln" :"Was anders wäre, das nicht länger verkehrte Wesen, weigert
sich einer Sprache, welche die Stigmata des Seienden trägt" 184.
Indessen läßt sich der Begriff der Versöhnung negativ bestimmen. Er zielt
auf die Überwindung von Herrschaft und Unterdrückung. Diese gründen nach Ador-
no wesentlich im Subjekt: "Das Erwachen des Subjekts wird erkauft durch die
Anerkennung der Macht als des Prinzips aller Beziehungen." 185 Das Ich sei
"Prinzip jeglicher Determination" 186 .
Ist aber Subjektivität das zu Oberwindende, dann ist Adornos Ratschlag nur
konsequent: "versuchen, so zu leben, daß man glauben darf, ein gutes Tier
gewesen zu sein." Dem entspricht die These, daß der Mensch dann "(...)
188
von Glück überflutet wird", wenn er seine verdrängte "Tierähnlichkeit"
wiedererkennt. Ziel wahrer Humanität und wahren Glücks wird demnach, wie Rohr-
moser kritisch feststellt, der "Rückfall des Menschen als Person an die amor-
189
phe Vieldeutigkeit biologischer Antriebe und Impulse" .
Wendet man ein, Adorno fordere nicht dies, sondern lediglich das Ende des
"Identitätszwangs" und zwar zugunsten einer wahren "Identität" 190 , so wider-
spricht dem sein subjektstheoretischer Reduktionismus. Adorno kritisiert nicht
nur eine bestimmte Form der psychologischen Identität, sondern ebenso die per-
sonale und transzendentale Identität, die er beide psychologisiert. Derart
wird es ihm unmöglich, den Begriff der tierischen Diffusität von dem der wah-
ren "Identität" abzusetzen, weil er die zu dieser Aufgabe erforderlichen und
von Kant bereitgestellten Kategorien verwirft. So wird zwar die "amorphe Viel-

182 Adorno ( 7 ) , S. 207


183 Adorno ( 1 0 ) , S. 195
184 Adorno ( 7 ) , S. 292 f
185 Adorno ( 2 ) , S. 25
186 Adorno ( 7 ) , S. 222
187 Adorno ( 7 ) , S. 294
188 Adorno (1) , S. 182
189 Rohrmoser (238), S. 33. Auch Habermas stellt fest: "Zuweilen läßt er
(Adorno, B.) die Utopie einer mit Zivilisation versöhnten Natur ( . . . )
verschwimmen mit dem Traum jener lockenden Natur, die sich ihre Wohltaten
mit der Preisgabe der Individuierung bezahlen läßt. Diese erscheint dann
( . . . ) nur als ein Fluch, und Mündigkeit als dessen Echo." [Habermas (85),
S. 183] Allerdings erkennt Habermas nicht, daß diese problematische Be-
stimmung der Utopie durch Adornos subjektstheoretischen Reduktionismus
bedingt ist.
190 Adorno ( 7 ) , S. 277
Das Problem von Theorie und Praxis 283

deutigkeit biologischer Antriebe und Impulse" nicht "gefordert" 1Q1 , wie Rohr-
moser ungenau formuliert, wohl aber läßt der Subjektstheoretische Reduktio-
nismus keine andere Bestimmung des Zieles zu.
Oben wurde der von Adorno gegen die kritische Ethik erhobene Irrationalis-
musvorwurf gegen diesen selbst gewendet. 192 Die Tatsache, daß er die Wahrheit
ethischer Sätze im nichtrationalisierten Impuls verankert, wird nun subjekts-
theoretisch begründet: Das Prinzip der Zurechenbarkeit von HandlungsVollzügen
ist an das Prinzip der personalen Identität gebunden. Wird dieses als falsch
(repressiv) abgelehnt, so entfällt die Möglichkeit, Handlungen einem verant-
wortlichen Subjekt zuzuschreiben. W. Schulz stellt treffend fest: "Bereits
das Wort 'Verantwortung' wird vermieden." 1<M Solche subjektslosen Handlungen
bezeichnet Adorno als "Impulse" 194 . Als Impulse aber seien sie wahr, weil
sie nicht unter dem falschen Prinzip der personalen Identität stünden.
Auf derselben Linie liegt es, wenn Adorno die in Theorie aufgelöste legi-
time Praxis nicht als ein Sich-Verhalten, sondern als ein "Verhalten" 195
bestimmt. Versteht man Praxis aber als ein Handeln, das verantwortlichen Sub-
jekten kraft ihrer personalen Identität zugerechnet werden kann, so muß er
eine solche Praxis ablehnen, weil er in ihr nur eine herrschaftliche Selbst-
Setzung des Subjekts erblicken kann. Dabei ist es nach Adorno unwesentlich,
wie eine derartige Praxis inhaltlich bestimmt ist, denn aufgrund ihres zu-
grundeliegenden Prinzips des mit sich identisch bleibenden Subjekts "ten-
diert" sie "(...) ihrer schieren Form nach zu dem h i n , was abzuschaffen ih-
re Konsequenz wäre; Gewalt ist ihr immanent" . Von hierher sieht er das
legitime Verhalten des Subjekts darin, "(...) vorm Objekt zurückzutreten und
seine Selbstsetzung zu revozieren." Um den "Trotz seiner Selbstsetzung"
zu widerrufen, bedürfe es des "Eingedenken(s) von Natur" 198 . Dieses werde
dem Subjekt wesentlich durch die ästhetische Erfahrung des Schönen vermit-
telt. 199

191 Rohrmoser (238), S. 33


192 .Vgl. Kap. 4 . 2 . 2
193 Schulz (258), S. 650
194 Adorno ( 7 ) , S. 281
195 Adorno (7) , S. 243
196 Adorno ( 1 ) , S. 359
197 Adorno ( 1 ) , S. 397
196 Adorno (1), S. 410
199 Vgl. Adorno ( 1 ) , S. 396
284 Adornos Subjektstheorie

Kunst wird damit für Adorno zur "Kritik von Praxis als der Herrschaft bru-
taler Selbsterhaltung" 200 .
Indessen kann diese Kritik nur so wahr sein wie ihre Prämisse: der sub-
jektstheoretische Reduktionismus.
ad c) Die Bedeutung der subjektstheoretischen Frage für das Theorie-Pra-
xis-Problem zeigt sich unter einem dritten Aspekt: der Legitimation einer
möglichen Praxis.
Nach Kant gilt das Gebot, die Menschheit in der Person eines jeden einzel-
nen heiligzuhalten. Demzufolge ist der einzelne nicht nur ein beliebiges
Exemplar der Gattung Menschheit (qua Menschengeschlecht), das l e d i g l i c h als
Mittel behandelt werden darf, sondern ein solcher, der zugleich auch immer
201
als Zweck respektiert werden muß.
Anders Adorno: Im Zusammenhang mit der Frage nach der Begründung der Nega-
tivität der negativen Dialektik zeigte sich, daß der Versuch, Individualität
über die Konstruktion eines immanenten Widerspruchs des abstrakt Allgemeinen
?o?
zu legitimieren, die Mediatisierung des Individuellen impliziert.
ono
Entsprechendes g i l t für Adornos Rückgriff auf "reale Interessen" , der
kritisches Verhalten begründen soll: Interessen sind nicht "real", weil sie
solche von Subjekten sind, denn diese haben auch falsche Interessen, sondern
weil ihr Gegenstand, das Interessierte, legitim ist. Je nach Art der Interes-
sierten sind die Interessen und mit ihnen die Interessierenden zu bewerten:
entweder zu respektieren oder zu verwerfen. Die Begründungainstanz prakti-
schen Handelns ist also nicht das Prinzip der h e i l i g zu haltenden Menschheit
in der Person eines jeden einzelnen, sondern die oignität des interessierten.
Von ihr hängt es ab, inwieweit die Interessierenden zu achten sind. Der ein-
zelne trägt keinen Wert in sich, sondern empfängt diesen von außen. Der da-
durch implizierten Mediatisierung entspricht nicht nur die Rede "vom 'erst
herzustellenden Menschen" . Ebenso korreliert ihr Adornos K r i t i k von Sub-
jektivität, die er immer schon als herrschaftliche Selbsterhöhung deutet.
205
Ihr gegenüber fordert er die "reductio hominis" und den "Vorrang des Ob-
206
jekts", den "Praxis zu achten" habe.
200 Adorno ( 1 ) , S. 26
201 Vgl. Ritzel (236), S. 277
202 Vgl. Kap. 2.3.4.1
203 Adorno (5), S. 243
204 Willms (286), S. 73
205 Adorno (7), S. 187
206 Adorno ( 5 ) , S. 766
Das Problem von Theorie und Praxis 285

Mit der Entmachtung des Subjekts, das die Welt auf seinen Herrschaftswil-
len hin bestimme, verliert dieses seine normative Kraft. Um das so entstehen-
de normative Vakuum zu schließen, muß Adorno das Objekt normativ auffüllen:
207
Dieses wolle "von sich aus" etwas sein. Werte werden nicht geltend ge-
macht, das Subjekt setzt keine Zwecke - dies wäre herrschaftlich -, sondern
" ( . . . ) das Wertmoment ( . . . ) lebt in der praktischen Aufforderung, die aus
der Situation herauszulesen ist und die herauszulesen es allerdings der ge-
pno
sellsdhaftlichen Theorie bedarf." Die durch den subjektstheoretischen Re-
duktionismus bedingte Kritik von Subjektivität führt damit auf eine objekti-
vistische Werttheorie. Eine solche wirft im wesentlichen zwei Probleme a u f :
aa) Wer ist dazu befähigt, die richtigen Werte "aus der Situation herauszu-
lesen" ? Von hierher führt die Theorie konsequent auf den ElitärIsmus: "Kri-
2U9
tik am Privileg wird zum P r i v i l e g " . Entscheidend aber ist, daß dieser E l i -
tarismus von einem möglichen kulturindustriell bestimmten "Verblendungszu-
sammenhang" unabhängig ist, der nach Adorno die gegenwärtigen Subjekte hin-
dert, ihre wahren Interessen wahrzunehmen.
bb) Die zweite Schwierigkeit betrifft den Geltungsursprung der Werte und
impliziert die Reduktion der quaestio iuris auf das <juid facti. Legitimation
wird irrational, an das beliebige quid facti verwiesen: "Wahrheit" sei nur
"in der Konfrontation der Gesellschaft mit ihrem eigenen Begriff" zu fassen.
Die derart aufscheinende "Differenz" sei " ( . . . ) überhaupt die einzige Form,
in der wir der Wahrheit innewerden können." Die Gesellschaft sei nicht durch
von außen herangetragene Vorstellungen zu kritisieren, sondern durch die Kon-
frontation " ( . . . ) mit ihrem eigenen Begriff von Gerechtigkeit, wie sie ihn
?1 n
(...) als Ideologie hat" . Demnach gelte: "Der Begriff von Gesellschaft
(...) impliziert die Vorstellung einer Assoziation freier und selbständiger
Subjekte ( . . . ) und damit K r i t i k an naturwüchsigen gesellschaftlichen Verhält-
211
nissen." Die Schwierigkeit tritt klar hervor: Begriffe werden w i l l k ü r l i c h
gebildet, von sich aus implizieren Begriffe nichts. Von hierher stellt sich
die Frage nach dem Maßstab, mittels dessen die Wahrheit eines bestimmten Be-

207 Adorno ( 1 2 ) , S. 197, 212


208 Adorno ( 1 2 ) , S. 347 f
209 Adorno ( 7 ) , S. 51. Der Gefahr des Elitarismus versucht Habermas durch die
Idee der "idealen Sprechsituation" - verbunden mit einer Konsenstheorie
der Wahrheit - zu entgehen. Vgl. zur Problematik dieser Konzeption Bau-
manns (23), S. 54 - 60.
210 Adorno (13), S. 270
211 Adorno (12), S. 306
286 Adornos Subjektstheorie

griffsinhalts beurteilt werden kann. Eine Sklavenhaltergesellschaft z.B.


wäre nach dem von Adorno vorgeschlagenen Schema nicht zu kritisieren, wenn
ihr Begriff von Gerechtigkeit das Recht, Sklaven zu halten, auf die natür-
liche Ungleichheit der Menschen zurückführt.
Die vollendete W i l l k ü r des quid facti verweist damit auf die Notwendig-
keit der quaestio iuris. Diese aber ist im Rahmen eines subjektstheoreti-
schen Reduktionismus nicht zu beantworten.
Wird das quid iuris auf das beliebige quid facti verkürzt, so kann die
Theorie keine verändernde Praxis legitimieren, sondern nur gegebene Ziel-
und Wertvorstellungen hinnehmen und die diesen gemäßen Mittel formulieren.
Vernunft wird - entgegen der Absicht - zur instrumentallen Vernunft.
Adornos Forderung nach einem freien Subjekt ist damit nicht nur geltungs-
theoretisch nicht abgesichert. Ebenso ist ihr kritischer Anspruch nicht er-
f ü l l t . Unabhängig von möglichen gesellschaftlichen Ursachen, die legitime
Praxis auf Theorie verkürzen, scheitert Adornos Konzeption aufgrund des
subjektstheoretischen Reflexionsdefizits in bezug auf die Bestimmung des
Adressaten möglicher Praxis, ihres Telos und ihrer Legitimation. Der Kreis
hat sich geschlossen.
6.3 Zusammenfassung der Überlegungen

Nachdem im vorhergehenden Kapitel die Möglichkeit der Kantischen Subjekts-


konzeption sichergestellt worden ist, ging»es nun darum, die Notwendigkeit
einer transzendental philosophischen Subjektskonzeption indirekt darzulegen.
Dies geschah 1. durch eine immanente Kritik der Alternative Adornos und 2.
durch den Aufweis ihrer problematischen Konsequenzen.
ad 1) Im Hinblick auf das Verhältnis von Subjekt und Objekt geht Adorno
von der irrtümlichen Annahme aus,die Transzendentalphilosophie postuliere
einen ontologischen Primat des Subjekts. Gegen diesen macht er einen "Vor-
rang des Objekts" geltend. Das damit bezeichnete Theorem besitzt vorderhand
drei verschiedene Bedeutungen, von denen zunächst jedoch nur die erste von
philosophischem Interesse ist: Diesem Primat zufolge ist das Subjekt reali-
ter auf das Objekt, dieses aber nur von seiner Erkenntnis her auf jenes an-
gewiesen. Indessen sind nicht nur Adornos Begründungen, sondern ebenso sei-
ne näheren Ausführungen problematisch. Zwar scheint er abstrakt eine Sub-
jekt-Objekt-Dialektik und die Irreduzibilität beider Seiten anzuerkennen,
aber eine erste Schwierigkeit zeigt der Vergleich der 'Negativen Dialektik 1
mit ihren 'Epilegomena'. Setzen diese in entwicklungsgeschichtlicher Betrach
tung ein Subjekt und Objekt transzendierendes Drittes voraus, so weist jene
(teilweise) ein solches zurück. Läßt sich dieser Widerspruch durch eine
Teilrevision und zeitliche Spezifizierung beheben, so erwächst stattdessen
das Problem der Genese der einheitlichen Zweiheit von Subjekt und Objekt aus
ihrer ursprünglichen Ungeschiedenheit. Jedoch nicht nur die Metamorphose als
solche bleibt ungeklärt, sondern eine zweite Schwierigkeit wird offenkundig:
Dem Widerspruch zwischen der 'Negativen Dialektik' und ihren 'Epilegomena 1
entspricht auf der systematischen Ebene die Ausdeutung des "Vorrang des Ob-
jekts" in seine Ursprünglichkeit innerhalb der 'Negativen Dialektik 1 selbst.
Die so entstehende Theorie läßt sich als naturalistischer Evolutionismus um-
reißen. Sie ist dem grundsätzlichen Bedenken eines vom Methodischen her be-
dingten Reduktionismus ausgesetzt. Da dieser bei Adorno ein solcher ist, der
nicht konsequent einbekannt wird, entstehen notwendig Argumentationsbrüche,
die durch Zirkelschlüsse, Äquivokationen und bloße Worte verdeckt werden.
Dies läßt sich unter vier Aspekten, der Entstehung von Bewußtsein, Vernunft,
Geistigem und Individualität, demonstrieren. Zudem geht Adorno in allen vier
288 Adornos Subjektstheorie

Fallen entweder von Mißverständnissen des transzendental philosophischen An-


satzes oder falsch gestellten Alternativen aus. Verliert durch diesen Nach-
weis seine Konzeption schon die eigentliche Grundlage, so macht eine Analy-
se der vier Ableitungsversuche ein inneres Scheitern offenkundig. Adorno
vermag Subjektivität eigentlich nicht zu begründen. Sein abstrakter Anspruch,
Subjektivität als Moment und damit eine Subjekt-Objekt-Dialektik anzuerken-
nen, wird nicht konkret eingelöst.
Im Zentrum von Adornos Überlegungen zur inneren Struktur des Subjekts steht
das Problem der Identität. Der zugrundeliegende naturalistische Evolutionis-
mus bedingt auch hier einen Reduktionismus: Die personale Einheit ist von
der Einheit des Organismus lediglich nach Graden der Kraft unterschieden.
Da ein Reduktionismus als solcher noch nicht falsch ist, muß seine innere
Tragfähigkeit untersucht werden. Werden die Begriffe Identität, Nichtidenti-
tät, Identitätszwang u.a. bloß psychologisch gedeutet, läßt sich ein konsi-
stenter Entwurf aus den Äußerungen Adornos rekonstruieren. Diese Konzeption
zeigt jedoch ihre Unzulänglichkeit, wenn die psychologische Identität in ei-
ne "wahre" und eine "falsche" unterschieden wird. Weder nennt Adorno formale
Qualifikationskriterien, noch berücksichtigt er das für eine Qualifikation
notwendige Prinzip der personalen Identität. Im Vergleich mit Kant erweist
sich Adornos Entwurf somit als unvollständig. Falsch wird dieser erst, wenn
Adorno im Zeichen der Kritik von Herrschaft den psychologischen Identitäts-
begriff verabsolutiert und sowohl den personalen als auch den transzendenta-
len Identitätsbegriff unter diesen subsumiert. Die Psychologisierung impli-
ziert eine Einengung des Personenbegriffs. Von hierher erklären sich Adornos
Zweifel an der Möglichkeit eines bösen intelligiblen Charakters und die sub-
jektstheoretischen Paradoxien der Geschichtskonzeption. Auch läßt sich nicht
mehr der Unterschied zwischen der natürlichen Diffusität und dem eingeführ-
ten positiven psychologischen Subjektsbegriff angeben. Der gute Sinn der
Theorie Adornos reduziert sich auf die Forderung nach einem freien Subjekt.
Seine Freiheitskonzeption entwickelt er "in Wendung gegen Kant". Wahre Frei-
heit sei erst im Zustand der "Versöhnung" verwirklicht. Indem er diese je-
doch an Bewußtsein und Vernünftigkeit knüpft, nähert er sich wieder dem als
repressiv mißverstandenen Modell Kants an. Er unterscheidet sich jedoch we-
sentlich von Kant durch die kosmologische Überhöhung seiner Freiheitsidee,
die durch den subjektstheoretischen Reduktionismus bedingt ist und wie die-
ser an ihren Schwierigkeiten scheitert. Zunächst problemlos scheint Adornos
Freiheitskonzeption in bezug auf ihre äußere (soziologische und psychologi-
Zusammenfassung 289

sehe) Schicht zu sein.


ad 2) Diese Auffassung muß jedoch in Anbetracht der weiteren Konsequenzen
des subjektstheoretischen Reduktionismus korrigiert werden. Die Forderung
nach einem freien Subjekt ist als Forderung epistemologisch nicht abgesi-
chert, weil der subjektstheoretische Ansatz Adornos eine geltungstheoreti-
sche Aporie impliziert. Zudem ist der kritische Anspruch dieser Forderung
nicht einlösbar: Adorno scheitert an dem Problem von Theorie und Praxis,
weil er aufgrund innerer subjektstheoretischer Schwierigkeiten weder einen
Adressaten möglicher Praxis noch ihr Telos bestimmen kann. Auch bleibt das
Problem der Legitimation praktischen Handelns ungelöst, weil die quaestio
iuris auf das w i l l k ü r l i c h e quid facti verwiesen wird.
7 ERGEBNIS

Das Grundproblem Adornos läßt sich als das des Allgemeinen und Besonderen
bezeichnen (Kap. 2.1). Sowohl die geschichtstheoretische Begründung (Kap.
2.2) als auch der Vorschlag zur Lösung dieses Problems, die Idee einer ne-
gativen Dialektik (Kap. 2.3), führen auf die Frage nach der zugrundeliegen-
den subjektstheoretischen Konzeption. Von hierher wird das Problem des Ver-
hältnisses von Kritischer Theorie und Kritizismus systematisch bedeutsam.
Die Betrachtung von Adornos Kritik der Kantischen Erkenntnistheorie (Kap.
3) zeigt den Ontologismus Adornos und sein grundlegendes Mißverständnis von
Transzendentalphilosophie. Diese versucht er gemäß seinem herrschaftskriti-
schen Ansatz als Theorie der Macht nachzuweisen. Auch wenn Adornos Einwände
nicht den Anspruch einer immanenten Kritik erfüllen, hängt eine positive
Entscheidung zugunsten der Kantischen Erkenntnistheorie von der Berechtigung
einer transzendentalphilosophischen Subjektskonzeption ab.
Adornos Kritik der kritischen Ethik (Kap. 4), diese sei repressiv (Kap.
4.1), irrational (Kap. 4.2) und abstrakt (Kap. 4.3), ist ebenfalls nicht
immanent, sondern beruht auf der äußerlichen Konfrontation verschiedener
Grundanschauungen. Auch hier verlangt eine endgültige Entscheidung zwischen
den beiden Positionen eine Klärung der subjektstheoretischen Frage. Diese
steht somit im Zentrum der systematischen Überlegungen.
Adornos Einwände gegen die Kantische Subjektstheorie (Kap. 5) beruhen auf
der Ontologisierung des "ich denke" zum "Ich, das denkt" (Kap. 5.1) und der
Verdinglichung der Idee eines noumenalen Ichs an sich (Kap. 5.2). Sein Ver-
such, die Subjektskonzeption Kants als Manifestation von Herrschaft, als
den wahren Ausdruck einer falschen Geschichte zu deuten, beruht auf grund-
legenden Mißverständnissen. Durch diesen Nachweis wird die Möglichkeit ei-
ner transzendentalphilosophischen Subjektskonzeption sichergestellt.
Ihre Notwendigkeit wird indirekt durch die Herausarbeitung der Schwierig-
keiten der alternativen Subjektskonzeption Adornos dargelegt (Kap. 6). Sei-
ne Subjektstheorie scheitert nicht nur an immanenten Problemen, weil sie
Subjektivität eigentlich nicht zu begründen vermag (Kap. 6.1), sondern auch
an ihren Konsequenzen (Kap. 6.2).
LITERATURVERZEICHNIS

Im folgenden ist nur die zitierte Literatur aufgeführt.


Adorno, Th. W.: Gesammelte Schriften (WW). Herausgegeben von R. Tie-
demann; Frankfurt/M. 1970 ff
(D Adorno, Th. W. Ästhetische Theorie. In: WW, Bd. 7
(2) Adorno, Th. W. Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente.
(Zusammen mit 14. Horkheimer). In: WW, Bd. 3
(3) Adorno, Th. W. Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen.
In: WW, Bd. 2
(4) Adorno, Th. W. Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft; Frank-
furt/M. 1971
(5) Adorno, Th. W. Kulturkritik und Gesellschaft I und II. Prismen.
Ohne Leitbild. Eingriffe. Stichworte. Anhang. In: WW, Bd. 10
(6) Adorno, Th. W. Minima Moral ia. In: WW, Bd. 4
(7) Adorno, Th. W. Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit.
In: WW, Bd. 6
(8) Adorno, Th. W. Noten zur Literatur. In: WW, Bd. 11
(9) Adorno, Th. W. Philosophische Frühschriften. In: WW, Bd. 1
(10) Adorno, Th. W. Philosophische Terminologie. Zur Einleitung I;
Frankfurt/M. 3 Aufl. 1979
(11) Adorno, Th. W. Philosophische Terminologie II; Frankfurt/M. 1974
(12) Adorno, Th. W. Soziologische Schriften I. In: WW, Bd. 8
(13) Adorno, Th. W. Vorlesung zur Einleitung in die Erkenntnistheorie;
Frankfurt/M. o J.
(14) Adorno, Th. W. Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Drei Studien
zu Hegel. In: ViW, Bd. 5
(15) Adorno, Th. W./Dahrendorf , R. /Pilot, H. /Albert, H./Habermas, J./
Popper, K. R.: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie;
Darms tadt/Neuwied 5. A u f l . 1976
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ta; München, 6. Aufl. 1969
(200) Nietzsche, F.: Also sprach Zarathustra. In: WW, Bd. 2, S. 275 - 561
(201) Nietzsche, F.: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre. In: WW, Bd. 3,
S. 415 - 924
(202) Nietzsche, F.: Die fröhliche Wissenschaft. In: WW, Bd. 2, S. 7 - 274
(203) Nietzsche, F.: Ecce homo. Wie man wird, was man ist. In: WW, Bd. 2,
S. 1063 - 1160
(204) Nietzsche, F.: Götzen-Dämmerung, oder: Wie man mit dem Hammer philo-
sophiert. In: WW, Bd. 2, S. 939 - 1026
(205) Nietzsche, F.: Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie
der Zukunft. In: WW, Bd. 2, S. 563 - 760
(206) Nietzsche, F.: Menschliches, Allzumenschliches. Eine Buch für freie
Geister. In: WW, Bd. 1, S. 435 - 1008
304 Literaturverzeichnis

(207) Nietzsche, F.: Morgenröte, Gedanken Über die moralischen Vorurteile.


In: WW, Bd. 1, S. 1009 - 1279
(208) Nietzsche, F.: Ober Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn.
In: WW, Bd. 3, S. 309 - 322
(209) Nietzsche, F.: Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. In:
WW, Bd. 2, S. 761 - 900
(210) Oehler, D.: Charisma des Nicht-Identischen. Ohnmacht des Aparten.
Adorno und Benjamin als Literaturkritiker: Am Beispiel Proust.
In: Arnold, H. L. (Hrsg.): Th. W. Adorno. Sonderband aus der Reihe
text + kritik; München 1977, S. 150 - 158
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In: Paton, H. J.: In Defense of Reason; London 1951, S. 45 - 64
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Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln; Köln
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Studiums. Auf den Grundlagen des Textes der Ausgabe von 0. Weiß mit
Einleitung und Anmerkungen neu hrsg. von W. W. Ehrhardt. Philosophi-
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der 2. Aufl. Darmstadt 1970
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Zitiert nach dem Wiederabdruck in: über Theodor W. Adorno; Frankfurt/
M., 4. A u f l . 1973, S. 44 - 89
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(288) Wittgenstein, L.: Tractatus logico-philosophicus; Frankfurt/M., 9.
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ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos. Konstruktion der Moderne;
Frankfurt/M. 1980, S. 310 - 347
(290) Zenck, M.: Kunst als begrifflose Erkenntnis. Zum Kunstbegriff der
ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos; München 1977
(291) Zocher, R.: Kants Grundlehre. Ihr Sinn, ihre Problematik, ihre Aktua-
lität; Erlangen 1959
NAMENVERZEICHNIS

Albert, H. 58 D ü v e r , « L . 11 ff, 28, 37, 62 f, 68, 114,


178, 205, 278 f
Althusser, L. 13
Ebbinghaus, J. 72, 162
Apel, K.-O. 187
E h r l i c h , W. 112
Aristoteles 6, 54
Einstein, A. 93
Arnason, J. P. 17
Eley, L. 68
Barth, H. 87
Bauch, J. 13 Engels, Fr. 12, 55, 60
Baumanns, P. 74, 85, 107, 109, Erdmann, B. 107
112, 132, 189, 192 f, 219, Epikur 164
224, 234 f, 285 Fechner, G. Th. 78
Baumeister, Th. 1, 5, 8, 15, 21 Fetscher, I. 33, 131
Beck, S. 81 Fichte 73, 76, 78, 81, 88, 105, 109,
Beck, L. W. 138, 149, 155 f, 113, 121, 139, 158, 218 f, 222, 224,
228, 234 f 235, 247
Beckett, S. 279 F i g a l , 6. 8, 46, 62, 268
Beier, Ch. 145, 177 F i n k , E. 112
Benjamin, W. 26, 88, 110 Fontaine, M. 44
Bergson, H. 31 Foucault, M. 13
Beyer, W. R. 33 Freud, S. 18 f, 168, 177 ff, 202 ff,
Bloch, E. 13, 26 209, 247 f, 258, 261
Blumenberg, H. 15, 261 Garve, Chr. 132
Bolz, N. W. 6 Gedö, A. 13
Bubner, R. 37, 46, 132 Gerhardt, V. 117, 124
Cassirer, E. 58, 68 Geyer, C.-F. 11, 26
Clemenz, M. 33, 170 f Goethe 134
Cornelius, H. 106, 110 Grenz, F. 33, 42, 277 f
Cramer, W. 234 Gumnior, H. 106
Cüppers, C. 31 Gurwitch, A. 132
Derbolav, J. 142 Guzzoni, U. 17, 21
Descartes 7, 76, 121 Habermas, J. 14, 26, 58, 87 f, 187, 282
Dilthey, W. 7, 31, 39, 41, 58 Habermeier, R. 12
66, 78, 81, 106, 206, 214, Hansen, 0. 132
217, 253, 259
Hartmann, N. 135
Dubiel, H. 1, 177, 280
Haselberg, P. 2
Durkheim, E. 100
310 Namenverzeichnis

Hegel 7, 12, 17, 20, 25, 27-36, Kulenkampff, J. 8, 15, 21


46 ff, 53-57, 60-64, 70, 75 f, Lassalle, F. 62
81, 110, 115, 118 f, 121 f,
126, 129, 148, 157, 163, 194, Leibniz 81, 96, 191, 203, 232
210 f, 231 Lenk, K. 33
Heidegger, M. 13, 38, 68 f, 87, Lessing, G. E. 146
194, 267 f
Heimsoeth, H. 169, 205
Liebrucks, B. 33
Heiseler, J. H. 280
Lindner, B. 12, 33
Henrich, D. 34, 107 ff, 132, 155
Litt, Th. 17, 58, 246
Hoffe, 0. 141, 163
Lüdke, W. M. 12, 26, 37
H o l l , G. 60, 62 Lukacs, G. 33, 37
Homer 15 Maimon, S. 71, 81
Hönigswald, R. 276 Mandt, H. 132
Höri seh, J. 7 Marcuse, H. 1, 130, 148, 174, 178, 279
Horkheimer, M. 1, 6, 11 f, 17 f, Martin, G. 72, 95 f, 232
26, 38, 62, 106, 147 f, 161, Marx 1, 8, 12, 20, 26, 33 f, 55, 60,
163 ff, 169, 199 62 f, 110, 131, 148, 247 f, 258, 277
Hossenfelder, M. 72, 95 Massing, 0. 132
Hume, D. 192 Mehring, F. 162
Husserl, E. 67, 78, 110, 112 ff, Mendelssohn, M. 205
195, 205, 218, 275 f M i l l , J. 78
Jacobi, F. H. 73
M i l l , J. St. 78
Jacobs, L. H. 132
Mirbach, Th. 20
Jansohn, H. 205, 216
Moore, G. E. 52, 122
Jay, M. 26, 106 Mörchen, H. 13, 38, 194, 267 f
Jopke, W. 13 Müller-Strömsdörfer, I. 28, 30, 48
Kafka, F. 279 Natorp, P. 69, 81, 83
Kaiser, G. 11 Newton, I. 93, 235
Kaiser, H. 57 Nietzsche 6 ff, 15, 32, 41, 55, 60, 87,
Kaulbach, F. 117, 124, 216 133, 140, 146 f, 149 ff, 161, 163,
Kern, I. 112 f 165, 170, 183, 231, 251
Kierkegaard, S. 11, 30, 32, 37 Oehler, D. 5
Klages, L. 251 Oeing-Hanhoff, L. 7
Küche, D. 37 Paton, H. J. 97 f, 107 f, 136, 144 f,
228
Köhler, W. 78 Patzig, G. 55, 136
Kracauer, S. 63 Pettazzi, C. 2, 110
Krings, H. 174
Platon 27, 29, 86 f, 205
Kroner, R. 71 Popper, K. 58
Kudszus, H. 5 Prauss, G. 88
Namenverzeichnis 311

Puder, M. 39, 62 Simon-Schäfer, R. 55, 59


Pütz, P. 6 Skuhra, A. 63
Quine, W. v. 0. 235 Sohn-Rethel, A. 1
Rath, N. 8, 13, 37, 88 Sonnemann, U. 14
Reijen, W. 58 Spaemann, R. 132
Rickert. H. 9, 34, 58 Spinoza 7, 15
Riemann, B. 93 Stegmüller, W. 70
Ringguth, R. 106 Strawson, P. F. 9, 86, 95, 187
Ritzel, W. 6, 32, 37, 69, 132 f, Strohmeyer, I. 94
137, 142, 164, 189, 205, 264, Theunissen, M. 1, 11
268, 271, 276 f, 284
Rohrmoser, G. 13, 26, 282 f Tichy, M. 5, 32, 48
Rohs, P. 213 Tiedemann, R. 110
Rousseau, 0. J. 142, 146, 153, Trabant, J. 40
264 Tugendhat, l. 9
Sade, de 161, 163 ff, 170, 183 Vaihinger, H. 81, 92, 96, 98 f
Sauerland, K. 279 Vorländer, K. 131, 162
Scheible, H. 15, 26, 44, 277 Wagner, H. 72, 132
Scheler, M. 135, 251 Weizsäcker, C. F. 236
Schelling 26, 46, 58, 81, 89 Wellmer, A. 12
Schiller 133, 136, 138, 143, 147 Werthe inter 78
Schmidt, A. 6 Willms, B. 22, 33, 281, 284
Schmidt, F. W. 28, 49, 262 Windel band, W. 6, 58
Schmucker, J. F. 12, 20 Wittgenstein, L. 8
Schopenhauer, A. 146, 149, 166 Wohlfahrth, I. 19
Schulz, W. 283 Wolff, Chr. 81, 206
Schulze, G. E. 73 Wöllner, J. Chr. 132
Schwarz, U. 19 Zenck, M. 15, 43
Schwemmer, 0. 58, 163 Zocher, R. 65, 69, 74
Schweppenhäuser, H. 3, 28
KANT-STUDIEN ERGÄNZUNGSHEFTE
Im Auftrage der Kant-Gesellschaft in Verbindung mit Ingeborg Heidemann
herausgegeben von Gerhard Funke und Joachim Kopper

Werner Busch
Die Entstehung der kritischen Rechtsphilosophie
Kants 1762-1780
Groß-Oktav. X, 176 Seiten. 1979. Ganzleinen DM92-
ISBN 3 11 007874 0 (Band 110)

Georg Kohler
Geschmacksurteil und ästhetische Erfahrung
Beiträge zur Auslegung von Kants „Kritik der ästhetischen Urteilskraft"
Groß-Oktav. XVIII, 381 Seiten. 1980. Ganzleinen DM86-
ISBN3 11 0080192 (Band 111)

Josef Schmucker
Die Ontotheologie des vorkritischen Kant
Groß-Oktav. X, 307 Seiten. 1980. Ganzleinen DM120-
ISBN 3 11 008130 X (Band 112)

Peter Schulthess
Relation und Funktion
Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung
zur theoretischen Philosophie Kants
Groß-Oktav. XII, 339 Seiten. 1981. Ganzleinen DM84-
ISBN 3 11 008439 2 (Band 113)

Monika Sänger
Die kategoriale Systematik in den
metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre
Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants
Groß-Oktav. XII, 259Seiten. 1982. Ganzleinen DM72-
ISBN 3 11 008883 5 (Band 114)

Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter
W
DE Berlin · New York
G

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