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Kantstudien
Ergänzungshefte
im Auftrage der Kant-Gesellschaft
in Verbindung mit Ingeborg Heidemann
herausgegeben von
Gerhard Funke und Joachim Kopper
115
Kritische Theorie
versus
Kritizismus
1983
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Braun, Carl :
Kritische Theorie versus Kritizismus : zur
Kant-Kritik Theodor W. Adornos / Carl Braun.
Berlin ; New York : de Gruyter, 1983.
(Kantstudien : Erg.-H.; 115)
ISBN 3-11-009541-6
NE: Kantstudien / Ergänzungshefte
Die vorliegende Arbeit ist im Herbst 1981 von der Philosophischen Fakultät
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation ange-
nommen worden.
Meinem akademischen Lehrer Professor Dr. W. Ritzel f ü h l e ich mich in be-
sonderer Weise für die Anregung und Betreuung dieser Arbeit zu Dank ver-
p f l i c h t e t . Professor Dr. P. Baumanns möchte ich für die kenntnisreiche und
kritische E i n f ü h r u n g in die Philosophie des Deutschen I d e a l i s m u s und die
langjährige Teilnahme an seinen Seminaren danken, Professor Dr. Fr. Borden
für seine Anregungen und die Übernahme des Korreferats.
Den Professoren Dr. G. Funke und Dr. J. Kopper gilt mein Dank für die
Aufnahme dieser Arbeit in die Kant-Studien, Professor Dr. H. Wenzel für
das großzügige Entgegenkommen des Verlages Walter de Gruyter, ohne das die
Arbeit nicht hätte erscheinen können.
N i c h t zuletzt möchte ich Herrn H.-G. Küppers, Frau I. Luckenbach, Herrn
K. Niemann und Frau I. Schumacher für ihre bereitwillige H i l f e bei der Er-
s t e l l u n g des Typoskripts, Herrn H. Grenzhäuser für das Schreiben der Druck-
vorlage danken.
1 EINLEITUNG 1
2 DAS VERHÄLTNIS VON BESONDEREM UND ALLGEMEINEM 5
2.1 Der systematisch philosophische Aspekt 6
2.2 Der geschichtsphilosophische Grund 11
2.3 Die Losung der Problematik: Das Prinzip der "negativen
Dialektik" 25
2.3.1 Absetzung der negativen von der positiven Dialektik.
Zur Hegelkri ti k Adornos 28
2.3.2 Positive Konkretisierung der negativen Dialektik:
Ihre Hauptkategorien 36
2.3.3 Das Verhältnis der negativen Dialektik zur Kunst 42
2.3.4 Das doppelte Scheitern der negativen Dialektik 47
2.3.4.1 Das Problem der Negativität 47
2.3.4.2 Das Problem der Dialektik 54
2.4 Zusammenfassung der Überlegungen. Adornos Stellung zu Kant
und Hegel 61
3 ADORNOS KRITIK DER ERKENNTNISTHEORIE KANTS 65
3.1 Der ontologische Interpretationsansatz Adornos 67
3.2 Die Kantische Fragestellung 70
3.3 Unmittelbare Folgen des ontologischen Interpretations-
ansatzes (Problem des Dinges an sich und der Affektion) ... 73
3.4 Die Kantischen Dualismen 76
3.4.1 Dualismus von Form und Inhalt 76
3.4.2 Dualismus von Rezeptivitä't und Spontaneität 81
3.4.3 Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand 85
3.4.3.1 Die Transzendentale Ästhetik 85
3.4.3.1.1 Allgemeine Einwände 86
3.4.3.1.2 Die einzelnen Raum- und Zeitargumente 95
3.4.3.1.3 Adornos Entwicklungsversuch einer Raum- und Zeitlehre 100
3.4.3.2 Die Analytik der Begriffe 100
3.4.3.2.1 Allgemeines (Kategorien, Synthesis) 101
3.4.3.2.2 Die metaphysische und die transzendentale Deduktion 104
X Inhaltsverzeichnis
Waren in den fünfziger Jahren Namen wie Adorno, Horkheimer, Marcuse und mit
ihnen der Begriff einer "Kritischen Theorie" weitgehend unbekannt, so änder-
te sich dieses B i l d in den sechziger Jahren grundlegend: Die Kritische Theo-
rie eroberte das Forum der Öffentlichkeit und stand vielfach im Brennpunkt
heftiger gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Auch wenn sich die
Diskussion um die Frankfurter Schule a l l m ä h l i c h versachlicht hat, scheinen
Namen wie Adorno noch immer von der selbständigen Anstrengung des Begriffs
zu befreien: F ä l l i g e Begründungen werden nicht selten durch Zitate aus sei-
nem umfangreichen Werk ersetzt. Auch begnügt sich die in den letzten Jahren
erschienene V i e l z a h l philosophischer Arbeiten über Adorno zumeist mit einer
Darstellung seiner Konzeption und der Problematisierung einzelner Punkte.
Eine grundsätzliche K r i t i k seiner Theorie steht noch aus.
Wie Th. Baumeister in einem neueren Literaturbericht feststellt, ist Ador-
nos "Defizit an theoretischer Artikulation" auch dadurch verursacht, daß er
" ( . . . ) die Geschichte der Philosophie weitgehend nur als Beweisstück für sei-
ne Katastrophentheorie der Geschichte der Rationalität benutzt und sich so-
mit den Zugang zu den Artikulationsmöglichkeiten versperrt, die in der Ge-
2
schichte des Denkens entwickelt worden s i n d . " Diese Beobachtung soll im
folgenden konkretisiert werden: Insbesondere die Philosophie Kants wird sich
als geeignet erweisen, die inneren Schwierigkeiten der Konzeption Adornos
zu überwinden. Derart ist eine Analyse des Verhältnisses von Kritischer
Theorie und Kritizismus von zentraler systematischer Bedeutung.
Generalanmerkung
Die Zahlen in Klammern hinter dem Namen des Autors bezeichnen den jeweili-
gen Titel des zitierten Werkes und beziehen sich auf das entsprechend auf-
geschlüsselte Literaturverzeichnis.
Die 'Kritik der reinen Vernunft' wird nach den Originalausgaben 1781 (A)
und 1787 (B) zitiert. Kants übrige Schriften werden nach der Akademieaus-
gabe gezählt. Dabei wird der Text der Weischedel-Ausgabe zugrundegelegt.
1 Über die historische Entstehung des Namens kritische Theorie vgl. Sohn-
Rethel ( 2 6 8 ) , S. 132. Zum Zusammenhang des zugrundeliegenden Kritikbegriffs
mit Marxens 'Kritik der politischen Ökonomie' vgl. Dubiel ( 5 1 ) , S. 78 f.
Zur Absetzung der kritischen Theorie von der traditionellen Theorie vgl.
Horkheimer ( 1 2 3 ) und dazu Theunissen ( 2 7 6 ) , S. 4 - 12.
2 Baumeister ( 2 5 ) , S. 25
2 Einleitung
Die Arbeit geht in fünf Schritten vor, denen sich jeweils eine These zu-
ordnen läßt:
1. These: Das Grundproblem Adornos (Verhältnis von Besonderem und Allgemei-
nem)wirft sowohl von seiner geschichtstheoretischen Begründung als
auch von seiner vorgeschlagenen Lösung her die Frage nach dem Sub-
jekt auf. Dies führt auf die Betrachtung der Kantkritik Adornos.
2. These: Die Überprüfung der K r i t i k Adornos an der Kantischen Erkenntnis-
theorie zeigt, daß seine Einwände dem Anspruch einer immanenten
Kritik nicht genügen und eine Entscheidung zwischen beiden Posi-
tionen eine Klärung der Subjektstheorie verlangt.
3. These: Adornos Kritik der Kantischen Ethik ist ebenfalls nicht immanent
und setzt eine von Kant abweichende Subjektstheorie voraus.
4. These: Die Einwände gegen die systematisch zentrale Subjektstheorie Kants
beruhen auf ontologischen Mißverständnissen. Durch diesen Nachweis
wird die Möglichkeit der Kantischen Konzeption sichergestellt.
5. These: Die alternative Subjektstheorie Adornos scheitert nicht nur an im-
manenten Schwierigkeiten, sondern auch an ihren weiteren Konsequen-
zen. Derart wird indirekt die Notwendigkeit einer transzendental -
philosophischen Subjektskonzeption dargelegt.
3
Im folgenden ist es uns nicht um die Person Adornos und ihre Erfahrungen
zu t u n , sondern ausschließlich um die von ihm vertretene Theorie und deren
Stichhaltigkeit. Der mögliche Vorwurf, hier werde versucht, mit inadäquaten,
sogenannten "konsequenzlogischen" Mitteln den Gehalt der Theorie Adornos zu
erschließen, vergißt dessen Anspruch, unmittelbare Erfahrungen durch immanen-
te K r i t i k und damit Stringenz explikativ zu verifizieren. Auch wenn "Philoso-
phie wesentlich nicht referierbar' sein mag, so müssen doch ihre Argumente
referierbar sein - und um diese wird es gehen. Grundsätzlich verfehlt wäre
es daher, unserer K r i t i k etwa mit dem lediglich peinlich berührenden Hinweis
auf Adornos "Sensibilität ( . . . ) , die die Grobheit demonstriert, an der sie
leidet" , begegnen zu w o l l e n . Die Person Adornos kann nur dann gebührend ge-
achtet werden, wenn seine Theorie ernstgenommen wird. Dies wird im folgenden
geschehen.
Auch ist es nicht die Unkenntnis der von Adorno bezeichneten drohenden Ge-
fahren für den Wert und die Freiheit des einzelnen in einer von anonymen
Machtapparaten beherrschten Welt, sondern gerade deren Kenntnis, die zu ei-
ner Auseinandersetzung mit seiner Philosophie nötigt.
Dieses Unternehmen wird dadurch erschwert, daß wir auf keine überzeugend
ausgeführte Alternative hinzuweisen vermögen. In diesem Sinne verharren wir
nicht anders als Adorno in der Negativitä't. Auch wenn wir die Kritische Theo-
rie mit dem K r i t i z i s m u s kontrastieren und einen grundsätzlichen Reflexions-
vorsprung Kants vor Adorno erblicken, sind ebenso gegen eine vorbehaltlose
Übernahme der Kantischen Konzeption Bedenken geltend zu machen. Dennoch dürf-
te zu erkennen sein, daß das kritische Werk Kants auch zur Lösung gegenwärti-
ger Problemstellungen als Grundlage dienen k a n n .
6 Schweppenhäuser ( 2 6 5 ) , S. 97
2 DAS VERHÄLTNIS VON BESONDEREM UND ALLGEMEINEM
Eine Darstellung der Philosophie Adornos ist mit einem nahezu unlösbaren
Problem konfrontiert,weil sich diese Theorie e x p l i z i t und auch in ihrer
p
publizierten Form, dem Essay , einer jedweden Systematik entzieht. Die Viel-
zahl der Einzelanalysen ist zu keinem überschaubaren System zusammengefügt
worden, von dem her ihr jeweiliger Stellenwert eindeutig bestimmbar wäre.
Insofern mutet jede Behauptung, den zentralen Gedanken erfaßt zu haben, zu-
nächst w i l l k ü r l i c h an. Eine Entscheidung kann sich nur im Nachhinein legi-
timieren, indem der von ihr herausgestellte Kernpunkt sich als geeignet er-
weist, die Einzelanalysen sinnvoll zu integrieren.
Unter diesem Vorbehalt kann das Hauptanliegen Adornos als das Problem der
Individualität und Freiheit des Einzelnen bestimmt wenden.Dieser Kerngedanke
zieht sich durch nahezu a l l e philosophischen, ästhetischen, pädagogischen,
soziologischen, psychologischen und geschichtstheoretisehen Schriften. Am
bekanntesten ist dieses Problem unter Begriffen wie "Kulturindustrie", "ver-
waltete Welt", "verdinglichtes Bewußtsein" u.a. Diese Gedankenkomplexe sind
jedoch nur Phänomene einer tieferliegenden Problematik, die unter dem Ge-
sichtspunkt des Verhältnisses von Besonderem und Allgemeinem auf ihren ab-
straktesten Ausdruck gebracht werden kann . Obwohl sich dieses Problem in
wechselnden Gestalten in die verschiedenen angegebenen Dimensionen erstreckt
und die Kritische Theorie entgegen der ursprünglichen Bedeutung von "kri-
tisch" gerade die Grenzen zwischen den einzelnen Wissenschaftszweigen aufhe-
ben w i l l , soll im folgenden der philosophische Aspekt im Vordergrund stehen.
Diese auf den ersten Blick inadäquate Vorgehensweise ist deshalb berechtigt,
weil nur so - wie sich zeigen wird - die genuin philosophischen Probleme an-
gemessen beurteilt werden können. Bestimmte Fragestellungen der Philosophie
können in ihrer grundlegenden Bedeutung aus der z.B. soziologischen oder
psychologischen Perspektive nicht erfaßt werden.
1 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 31 - 38
2 Vgl. Adorno ( 8 ) , S. 9 - 33. Vgl. auch Kudszus (164), S. 29 f.
3 So auch z.B. Oehler ( 2 1 0 ) , S. 151 und Tichy. Dabei ist das Problem von
Besonderem und Allgemeinem eng mit dem von Subjekt und Objekt verknüpft.
Vgl. Tichy ( 2 7 7 ) , S. 29. Vgl. zu Tichy die Kritik von Baumeister ( 2 5 ) ,
S. 2 - 5.
2.1 Der systematisch philosophische Aspekt
Das Bemühen Adornos geht dahin, in der heutigen "verwalteten" und vielfach
szientistisch ausgerichteten Welt die (menschliche und d i n g l i c h e ) Indivi-
dualität zu retten, sie vor der drohenden Mediatisierung zum numerierten Be-
fehlsempfänger bzw. Exemplar eines Allgemeinen zu bewahren.
Der Hauptangriffspunkt Adornos l i e g t in der Vorherrschaft des begrifflichen
Denkens, des Begriffs qua conceptus communis . Der Begriff und mit ihm die
von Aristoteles geprägte herrschende Logik subsumierten das Besondere unter
das Allgemeine mittels allgemeiner Bestimmungen (genus proximum, differentia
specifica). Dadurch werde das I n d i v i d u e l l e in dem, was es gerade zum I n d i v i -
duellen mache, das I n d i v i d u e l l e als I n d i v i d u e l l e s e l i m i n i e r t , weil das
schlechthin Besondere und Einmalige tlurch allgemeine Bestimmungen nicht
adäquat ausgedrückt werden könne: "Befriedigt schiebt b e g r i f f l i c h e Ordnung
sich vor das, was Denken begreifen w.ill. 8
Ideengeschichtlich betrachtet verweist dieses zentrale Motiv auf die le-
bensphilosophischen Einflüsse im Denken Adornos: Schon Nietzsche, sein gro-
ßer Gewährsmann in Fragen der P h i l o s o p h i e , stellt fest, daß der (im Interes-
se der Selbsterhaltung gebildete) Begriff auf dem "übersehen des I n d i v i d u e l -
len und W i r k l i c h e n " 9 beruht. Verbindungen lassen sich auch zum Neukantianis-
mus der Südwestdeutschen Schule ziehen, die angesichts des Problems der In-
d i v i d u a l i t ä t die "Bevorzugung der nomothetischen Denkformen" kritisch ex-
4 Der Begriff "verwaltete Welt" wurde von Adorno und Horkheimer geprägt.
Vgl. Adorno ( 4 ) , S. 67
5 Der Begriff der Individualität wird von Adorno durchaus mehrdeutig ge-
braucht: Zum einen soll er eine "geistige Reflexionsform"[Adorno ( 7 ) ,
S. 358]bezeichnen, zum anderen spricht Adorno auch von einer "individuel-
len Sache"[Adorno ( 7 ) , S. 164}.Vgl. auch Kap. 2 . 4 . 4 . 1 .
6 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 38
7 Der Unterschied von Allgemeinbegriff und Inbegriff wird von Adorno nicht
thematisiert. Die Denkform des Inbegriffs widerspricht dem von ihm be-
haupteten Ineins von Denken, Identifizieren und Begriff [vgl. Adorno ( 7 ) ,
S. 151] und bietet so die Möglichkeit, eine alternative Denkform zu ent-
wickeln, die den Schwierigkeiten einer "negativen Dialektik" entgeht. Zur
Theoiie des Inbegriffs vgl. Ritzel ( 2 3 4 ) , S. 139 - 153; ( 2 3 0 ) , S. 173-181.
8 Adorno ( 7 ) , S. 17
9 Nietzsche ( 2 0 8 ) , S. 313. Zum Verhältnis Adorno - Nietzsche vgl. Pütz ( 2 2 0 ) ;
( 2 2 1 ) , S. 15 f f . ; Bolz ( 3 5 ) ; Schmidt ( 2 5 4 ) , S. 6 7 2 .
10 Windelband ( 2 8 7 ) , S. 366
Der systematisch philosophische Aspekt 7
das "Naturschöne" als die "Spur des Nichtidentischen an den Dingen im Bann
universaler Identität" 24 bestimmt.
Das Prinzip des Begriffs erblickt Adorno ähnlich Nietzsche, der vom "Gleich-
setzen des Nichtgleichen" 25 spricht, in der Identität. Diese sei die "Urform
oc
von Ideologie" . Das "Identifikationsprinzip" habe "sein gesellschaftliches
Modell" - hier ist an die Unterscheidung zwischen Gebrauchs- und Tauschwert
zu erinnern, die bei Marx eine zentrale Rolle spielt - am "Tausch" 27 . Der
Begriff identifiziere (subsumierej das Besondere mit dem Allgemeinen (unter
das Allgemeine), er abstrahiere vom jeweils Besonderen.
Das Identitätsdenken - für Adorno p r i n z i p i e l l idealistisch 28 - sei zur
Selbstbesinnung anzuhalten 29 , auf daß es seine abstrakte Negation des
schlechthin I n d i v i d u e l l e n erkenne und diesem sein Recht widerfahren lasse.
Erst dadurch werde "Versöhnung" möglich, die bisher der unreflektierte Herr-
schaftsanspruch des begrifflich-identifizierenden Denkens vereitelt habe. Al-
lerdings könne die Identifikation nicht restlos überwunden werden: Die Selbst-
reflexion " ( . . . ) vermag das Identitätsprinzip noch zu durchschauen, nicht
aber kann ohne Identifikation gedacht werden, jede Bestimmung ist Identifika-
tion." "Denken heißt Identifizieren." Solcherart sei die Philosophie mit
der paradoxen Anstrengung konfrontiert, " ( . . . ) über den Begriff durch den Be-
griff hinauszugelangen." 32 Die Philosophie wird damit zur "Sisyphusarbeit" 33
und ihr Ziel verflüchtigt sich zur Utopie: "Die Utopie der Erkenntnis wäre,
das Begrifflose mit Begriffen a u f z u t u n , ohne es ihnen gleichzumachen." 34
24 Adorno ( 1 ) , S. 114. Zur Stellung des Naturschönen in der Ästhetik Adornos
vgl. Baumeister/Kulenkampff ( 2 6 ) , S. 84 - 96; Figal ( 6 7 ) . Vgl. zu Figal:
Baumeister ( 2 5 ) , S. 9 - 14.
25 Nietzsche ( 2 0 8 ) , S. 313
26 Adorno ( 7 ) , S. 151. Gegen Adorno zu Wenden ist die Tatsache, daß allen-
falls eine falsche Identität ideologisch ist.
27 Adorno ( 7 ) , S. 149. Vgl. ( 1 2 ) , S. 209. Zur Bedeutung des Tauschprinzips
bei Adorno vgl. Rath ( 2 2 3 ) , S. 52 - 57.
28 Adorno ( 1 1 ) , S. 80 f. Diese Terminologie ist insofern verwirrend, als der-
art auch der Materialismus idealistisch sein kann [vgl. Adorno ( 1 1 ) , S.
85]. Der wahre Materialismus jedoch - so Adorno - " ( . . . ) präsentiert dem
Geist die Rechnung, indem er ihn seiner eigenen Naturwüchsigkeit über-
führt und schließlich den Ursprung des Geistes und noch in seiner äußer-
sten Sublimierungen (!) in der Lebensnot sucht."[Adorno ( 1 1 ) , S. 173]
29 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 16; ( 7 ) , S. 41; ( 7 ) , S. 156 u.ö.
30 Adorno ( 7 ) , S. 152. Vgl. ( 1 4 ) , S. 336
31 Adorno ( 7 ) , S. 17
32 Adorno ( 7 ) , S. 27. Diese These hält Adorno gegen Wittgensteins Satz:
"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen." [Wittgen-
stein ( 2 8 8 ) , S. 132][Vgl. Adorno ( 1 0 ) , S. 55 f; ( 1 1 ) , S. 183].
33 Adorno ( 1 ) , S. 382
34 Adorno ( 7 ) , S. 21. Vgl. ( 7 ) , S. 66, 153; ( 1 0 ) , S. 56
Der systematisch philosophische Aspekt 9
35 Adorno ( 7 ) , S. 57
36 Rickert ( 2 2 5 ) , S. 97. Vgl. auch die weiterführenden Überlegungen zum Be-
g r i f f des Identifizierens (von etwas als etwas) bei Strawson ( 2 7 4 ) , bes.
S. 17 - 37. Kritik an Strawson übt Tugendhat ( 2 7 9 ) , S. 391 - 425.
10 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
Die von Adorno verwischte Differenz aber zwischen der Identifikation von
etwas mit etwas und der Identifikation von etwas als etwas reduziert nicht
nur das individualisierende Verfahren auf das generalisierende, sondern be-
zeichnet auch genau den Unterschied zwischen einer logischen Notwendigkeit
und einer (im weitesten Sinne) psychologischen Nötigung. Da der Versuch,
die Unterdrückung des Besonderen als logisch notwendig aus dem Begriff des
allgemeinbegrifflichen Denkens abzuleiten, scheitert, muß Adorno auf psy-
chologische Vorstellungen ausweichen. Von hierher wird seine Geschichtstheo-
rie für das Problem des Allgemeinen und Besonderen systematisch bedeutsam.
2.2 Der geschichtsphilosophische Grund
einander verbunden: "Das Erwachen des Subjekts wird erkauft durch die Aner-
kennung der Macht als des Prinzips aller Beziehungen."
Derart aber verändere sich entgegen dem ersten Anschein nichts: Vor und
nach dem "Erwachen des Subjekts" herrsche das Machtprinzip. Natur sei nicht
w i r k l i c h überwunden, sondern setze sich gleichsam - Adorno scheint den Gedan-
ken einer "List der Vernunft" in den einer List der Natur zu wenden - hinter
dem Rücken der Subjekte durch: "So führt Zivilisation als auf ihr letztes Er-
gebnis auf die furchtbare Natur zurück." Auch sei noch " ( . . . ) die ganze
ausgetüftelte Maschinerie moderner Industriegesellschaft bloß Natur, die sich
zerfleischt." 4 8
Geschichte ist damit für Adorno nicht vernünftig: Sie sei noch Vor- oder
"Naturgeschichte" . Gegen ihre "Vergottung" bei Hegel , Marx und Engels
setzt er die These, Geschichte sei der Prozeß "von der Steinschleuder zur
46 Adorno ( 2 ) , S. 25
47 Adorno ( 2 ) , S. 134. Vgl. ( 2 ) , S. 254
48 Adorno ( 2 ) , S. 291
49 Adorno ( 7 ) , S. 347 u.ö. Zum Begriff der "Naturgeschichte" vgl. Düver ( 5 2 ) ,
S. 161 - 167.
50 Für Hegel gilt, " ( . . . ) daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also
auch in der Weltgeschichte vernünftig augegangen sei." [Hegel (101), S. 20]
Die philosophische Betrachtung der Weltgeschichte sei "eine Theodizee, ei-
ne Rechtfertigung Gottes", die die "Aussöhnung" des denkenden Geistes mit
dem Negativen anstrebe (a.a.O., S. 28). Inhaltlich bestimmt Hegel die Welt-
geschichte als "Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit" (a.a.O., S. 3 2 ) .
Adorno hingegen erblickt eine fortschreitende Liquidierung menschlicher
Freiheit.
51 Wie Hegel deutet Marx mittels seiner Konzeption einer notwendigen Aufhe-
bung der antagonistischen Klassengesellschaft Geschichte ebenfalls positiv.
Nicht nur diese Teleologie, sondern auch die Marxsche Identifizierung der
Adressaten einer revolutionären Theorie und seine Bestimmung der Ursache
der geschichtlichen Übel sind Adorno fragwürdig geworden: Richtete sich
Marxens Kritik noch gegen bestimmte Formen der Eigentumsordnung, so grei-
fen Adorno und Horkheimer die gesamte abendländische Vernunfttradition an
[Vgl. dazu Wellmer ( 2 8 5 ) , S. 138]. Noch Marx habe " ( . . . ) das Programm ab-
soluter Naturbeherrschung, ein Urbürgerliches, unterschrieben." [Adorno
( 7 ) , S. 242] Damit bestehe die "zentrale Differenz von Marx und Adorno"
in der "These von der Dominanz der Herrschaft über den Tauschprozeß"
[Schmucker (256), S. 58], d.h. in der Rückbindung ökonomischer Klassenver-
hältnisse an metaökonomische Herrschaftsverhältnisse. "Vor dem histori-
schen Materialismus liegt die Kritik der instrumenteilen Vernunft und
der sich mit ihr bildenden repressiven Identitätsformen des Subjekts."
[Habermeier ( 9 1 ) , S. 181] Fragwürdig ist für Adorno auch die "These, alle
Geschichte sei die von Klassenkämpfen." [Adorno ( 1 ) , S. 378] Vgl. zur Kri-
tik der "Dialektik der Aufklärung 1 an der Marxßchen GeSchichtskonzeption
auch Lindner/Lüdke ( 1 7 4 ) , S. 19 f, 128 ff; Lüdke ( 1 7 7 ) , S. 138 ff. Vom
Standpunkt des orthodoxen Marxismus allerdings stellt sich "Horkheimers
Der geschichtsphilosophische Grund 13
auch aus dem des Fortschritts, der selber Natur ist, indem die Menschheit
ihrer eigenen Naturwüchsigkeit innewird und der Herrschaft E i n h a l t gebietet,
die sie über Natur ausübt und durch welche die Natur sich fortsetzt. Insofern
ließe sich sagen, der Fortschritt ereigne sich dort, wo er endet."
d) Dieser paradoxen Theoriero eines Fortschritts nach bzw. vor dem Fort-
schritt, eines dialektischen (?)Charakters des Verhältnisses von Fortschritt
und Rückschritt (Stagnation) korrespondiert ein doppelter Naturbegriff: Die
(subjektslose) N a t u r , der sich nach Adorno die Vernunft entringt, ist eine
andere als die (schon Subjekte voraussetzende) Naturwüchsigkeit, in die sie
münden oder in der sie gar verbleiben soll. Läßt sich Adornos D i a l e k t i k
von Natur und Geschichte an dieser Stelle als begriffliche Ungenauigkeit
auflösen (die durch die These sich selbst negierender Subjekte zusätzlich
verwirrt w i r d ) , so a f f i z i e r t dies auch das Verhältnis von Fortschritt und
Rückschritt: Ist "Natur" doppeldeutig, dann können Fortschritt und Rück-
schritt nicht in einer Dimension liegen, sondern sie müssen spezifisch be-
stimmt werden. Die Herausarbeitung zweier Ebenen würde die Zwangsläufigkeit
aufheben, der bisherige Fortschritt der Menschheit sei z u g l e i c h ein Rück-
schritt 6 (bzw. eine Stagnation), die menschliche Geschichte setze "die be-
wußtlose der Natur" 6 1 fort. Die Geschichtskonzeption Adornos/rpverlangt der-
art aufgrund immanenter Schwierigkeiten nach einer Revision.
Indessen ist nicht nur der unmittelbare Umschlag von Geschichte in Natur-
geschichte, von Fortschritt in Regression in der von Adorno exponierten Form
57 Adorno ( 5 ) , S. 625
58 Adorno ( 5 ) , S. 627
59 Beachtet man den von Adorno selbst unkenntlich gemachten Doppelsinn von
"Natur" nicht, dann ergeben sich Mißverständnisse. So meint z.B. U. Sonne-
mann, daß die Vernunft " ( . . . ) noch zu wenig sie selber (ist), solange sie
sich mißversteht als Herrschaft über Naturwüchsigkeit" [Sonnemann (269) ,
S. 135]. Vielmehr ist nach Adorno die Vernunft gerade dann nicht bloß par-
tikular, sondern verwirklicht, wenn sie ihre Naturwüchsigkeit beherrscht,
nicht mehr naturwüchsig ist. Vgl. zu den Äquivokationen des Naturbegriffs
Rath ( 2 2 3 ) , S. 118
60 Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 53
61 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 348 f
62 Diese Revision ist inzwischen von Habermas in Angriff genommen worden.
Ist nach Adorno die "Naturverfallenheit des Menschen heute" nicht "vom
gesellschaftlichen Fortschritt (...) abzulösen" [Adorno ( 2 ) , S. 14],
"besteht" Naturverfallenheit "in der Naturbeherrschung" [Adorno ( 2 ) , S.
57], so schränkt Habermas auf der Grundlage der Differenzierung zwischen
Arbeit und Interaktion diese These derart ein, daß die Produktivkräfte
als Ausdruck der technischen Herrschaft über Natur nicht " ( . . . ) unter
allen Umständen ein Potential der Befreiung zu sein und emanzipatorische
Bewegungen auszulösen (scheinen)" [Habermas (88), S. 92].
Der geschichtsphilosophische Grund 15
81 Adorno ( 7 ) , S. 340
82 Adorno ( 2 ) , S. 53
83 Wesentlich differenzierter als Adorno betrachtet Th. Litt die Beherrschung
der Natur: "Von dem Willen zur 'Beherrschung 1 ist nämlich zu sagen, daß er
genau in dem Maße der Verwerflichkeit ermangelt, wie die jeweils in Be-
tracht kommende Seinsstufe der Berechnung Raum gibt und demnach zur Be-
herrschung einlädt" [Litt (176), S. 117],
84 Adorno ( 5 ) , S. 776
85 Adorno ( 2 ) , S. 26 f
86 Adorno ( 2 ) , S. 44
87 Vgl. Adorno ( 1 1 ) , S. 72
88 Adorno ( 2 ) , S. 130. Vgl. auch Horkheimer (124),S. 104. Zu Recht hebt Ar-
nason hervor, daß "der Zusammenhang zwischen Naturbeherrschung und Klas-
senherrschaft außerordentlich verkürzt" [Arnason ( 1 7 ) , S. 116] ist und in
dieser Form nicht überzeugen kann. Vgl. auch die These Guzzonis, " ( . . . )
daß der Grundsatz der Selbsterhaltung zugleich für den Einen selbst und
für den Anderen - also keineswegs notwendig gegen alle Anderen - formu-
liert werden kann." [Guzzoni ( 8 4 ) , S. 342, Anm. 27]
89 Adorno ( 1 2 ) , S. 445. Vgl. ( 1 0 ) , S. 157; ( 1 1 ) , S. 37
90 Adorno ( 7 ) , S. 355
18 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
mehr Zweck an sich. Dadurch aber entstehe eine absurde Situation: "Da (...)
der Produktionsapparat nur um der Menschen w i l l e n da sein soll und zu seinem
Zweck deren Befreiung, nämlich von überflüssiger Arbeit hat, so wohnt dem
Verfall von Individualität zugleich ein Widerspruchsvolles, wahrhaft Absurdes
inne." Die Individuen seien " ( . . . ) zu bloßen Ausführungsorganen des Allge-
meinen relegiert" 92 . Diese Mediatisierung der Menschen bedinge ihre Entfrem-
dung untereinander: "Nicht bloß mit der Entfremdung der Menschen von den be-
herrschten Objekten wird für die Herrschaft bezahlt: mit der Versachlichung
des Geistes werden die Beziehungen der Menschen selber verhext" 93
Aspekt c) Entscheidend sei jedoch, daß der einzelne nicht nur die nichtiden
tische Natur vergewaltige und von anderen beherrscht werde, sondern daß er
sich selbstt um zu herrschen, einer neuen Knechtschaft unterwerfen müsse. Er
stelle "den Primat der Identität auch gegen sich selbst" 94 her. Da auch :h ddas
Subjekt wesentlich Natur, d . h . ein Nichtidentisches und "Zerstreute(s)M.9S
1
sei, müsse der sich über die Natur aufschwingende Mensch sich selbst Gewalt
antun. Um die äußer-menschliche Natur zu beherrschen, müsse die innermenschli-
che Natur, das eigene Selbst unterdrückt werden. Die "Geschichte der Zivi-
lisation" ist für Adorno derart,unter Rückgriff auf die Freudsche Deutung der
Kultur als aufbauend auf einem "Triebverzicht" ,die "Geschichte der Entsa-
gung" . Diese Erkenntnis sei ebenfalls schon in der Odyssee dichterisch ge-
staltet - so z.B. in der Erzählung von den Lotophagen und dem Verbot, die
Lotosfrüchte zu essen. 99
Durch die Entsagung trete eine Entfremdung "jedes einzelnen zu sich" ein:
"Er schrumpft zum Knotenpunkt konventioneller Reaktionen und Funktionsweisen
zusammen, die sachlich von ihm erwartet werden." Die durch Selbstbeherr-
schung im Interesse der Selbsterhaltung bedingte Selbstentfremdung mani-
festiere sich besonders im n e u z e i t l i c h gebrochenen "Verhältnis zum Körper",
102
in seiner Behandlung als " ( . . . ) Ding, das man besitzen kann" . Die Natur
91 Adorno ( 8 ) , S. 592
92 Adorno ( 7 ) , S. 336
93 Adorno ( 2 ) , S. 45
94 Adorno ( 7 ) , S. 151
95 Adorno (11), S. 257
96 Vgl. Adorno ( 1 1 ) , S. 28, 157. Vgl. auch Horkheimer ( 1 2 4 ) , S. 94
97 Freud ( 7 2 ) , S. 227
98 Adorno ( 2 ) , S. 73. Vgl. ( 2 ) , S. 163
99 Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 76, 81 ff
100 Adorno ( 2 ) , S. 45. Vgl. auch ( 2 ) , S. 177
101 Adorno ( 2 ) , S. 47
102 Adorno ( 2 ) , S. 265
Der geschichtsphilosophische Grund 19
räche sich jedoch dafür, " ( · · · ) daß der Mensch sie zum Gegenstand der Herr-
schaft, zum Rohmaterial erniedrigt hat." Ähnlich der Freudschen Gedanken-
figur einer Wiederkehr des Verdrängten deutet Adorno dann Erscheinungen
wie Auschwitz als "Rebellion der Natur"
über Freud wesentlich hinaus geht jedoch die entscheidende Wendung, daß
" ( . . . ) mit der Verleugnung der Natur im Menschen (...) nicht bloß das Telos
der auswendigen Naturbeherrschung sondern das Telos des eigenen Lebens ver-
wirrt und undurchsichtig (wird). In dem Augenblick, in dem der Mensch das Be-
wußtsein seiner selbst als Natur sich abschneidet, werden alle die Zwecke,
für die er sich am Leben erhält, der gesellschaftliche Fortschritt, die
Steigerung aller materiellen und geistigen Kräfte, ja Bewußtsein selber,
nichtig" . Das Selbst werde so das Mittel der Erhaltung des eigentlichen
Mittels der Erhaltung. 1 0 7 Herrschaft werde zum "Selbstzweck" und verhinde-
re auf diese Weise das Entwerfen vernünftiger Zwecke, d.h. solcher Zwecke,
die im Dienste der "Versöhnung" stehen. Hier allerdings versagt Adornos Ver-
such, seine Theorie der abendländischen Geschichte an der Odyssee, die s.E.
" ( . . . ) insgesamt Zeugnis ab(legt) von der D i a l e k t i k der Aufklärung" 109 , der
"Verschlungenheit von Aufklärung und Mythos" , zu exemplifizieren: Odysseus
verliert trotz der von ihm geleisteten Selbstbeschränkung (Unterdrückung der
inwendigen Natur) sein Ziel nicht aus den Augen, in die Heimat zu Penelope
zurückzukehren.
Die Verselbständigung der Mittel, wie sie sich paradigmatisch in der moder-
nen Bürokratie niederschlage, ist indessen für Adorno keine bloße "(...) Ent-
artungserscheinung, wie es dem bürgerlichen Selbstverständnis benagt.
Die "Beherrschung innerer und äußerer Natur" 11? bedeute zugleich die Sub-
121 Adorno ( 2 ) , S. 31
122 Adorno (2) , S. 51
123 Da Guzzoni dies übersieht, indem sie im Anschluß an Überlegrungen Adornos
die identifizierende Form von Selbsterhaltung zur einzig möglichen Selbst-
erhaltung aufwertet, kann sie irrtümlich eine "Negation des Prinzips der
Selbäterhaltung selbst" [Guzzoni (84), S. 332] fordern. Durch diesen Re-
duktionismus aber stellt sich ihr konsequenterweise nicht explizit die
Frage, weshalb Selbsterhaltung notwendig mit Herrschaft verbunden ist.
124 Adorno (2) , S. 32
125 Adorno ( 7 ) , S. 363
126 Vgl. Adorno ( 1 ) , S. 113 u. Baumeister/Kulenkampff ( 2 6 ) , S. 84
127 Baumeister/Kulenkampff ( 2 6 ) , S. 97. Vgl. ( 2 6 ) , S. 8l ff
128 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 174
129 Adorno (2) , S. 285
130 Adorno ( 2 ) , S. 52. Vgl. ( 2 ) , S. 49
22 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
mit einem psychologischen Wahnsystem begründet wird. Diesem psychologischen
Erklärungsprinzip entspricht Adornos Lösungsvorschlag: eine Art Therapie der
Menschheit durch den Therapeuten der Kritischen Theorie. Aktives gesell-
schaftsbezogenes Handeln wird demgegenüber sekundär.
Angesichts der logischen Tatsache aber, daß mit der Abstraktheit des Erklä-
rungsprinzips sein Erklärüngswert umgekehrt proportional abnimmt, erklärt der
geschichtsphilosophische Ansatz Adornos alles und das heißt nichts: Wenn so-
wohl die "Ticketmentalität überhaupt" als auch der Faschismus im allgemei-
132
nen als auch die "Demütigung des Häftlings im Konzentrationslager" 133 im
besonderen auf eine - vermittelt über den Gedanken des kompensierenden Herr-
schaftszwanges - "radikal gewordene, mythische Angst" oder eine "Rebellion
der verpönten Natur" zurückgeführt werden, dann wird nichts erklärt. Die Ge-
schichtstheorie Adornos verfällt selbst der von ihr angeprangerten Identifi-
zierung. Sie scheitert damit an der Aufgabe, den Grund des schlecht identi-
fizierenden Denkens aufzuhellen.
b) Zudem wirft die Geschichtsdeutung das Problem der ihr zugrundeliegenden
subjektstheoretischen Konzeption a u f . Adornos Absicht ist es, die Geschichte
O/l
als Naturgeschichte nachzuweisen, in ihr den "Bann der Tierwelt" aufzudek-
ken. Der kritische Impetus seines Denkens setzt gerade voraus, daß es noch
kein menschliches Subjekt gibt. Die "Emanzipation der Gesellschaft von der
Vorherrschaft der Produktionsverhältnisse" strebe allererst "die reale Her-
135
Stellung des Subjekts, welche die Verhältnisse bislang verhindert haben" ,
an.
Dabei weist B. W i l l m s zu Recht auf die "antihumane, ja terroristische Kom-
ponente" derartiger Formulierungen "vom 'erst herzustellenden Menschen" 1 h i n ,
ihre Affinität "mit den utopischen Zukunftsvisionen vom technisch manipulier-
ten Menschen" 136 .
Jedoch ist davon vorerst abzusehen. Auch ist die sich aufdrängende Frage
später zu beantworten, ob diese und ähnliche Wendungen bloße Formulierungs-
schwächen das Autors sind, der von der Philosophie eine "idiosynkratische
Genauigkeit in der Wahl der Worte" fordert, oder möglicherweise durch
Selbsterhaltung nehme entweder die Form der mimetischen (1. Phase) oder usur-
patorischen (2. Phase) Naturbewältigung an. In beiden Fällen jedoch gelinge
es dem Menschen nicht, den Naturzusammenhang, den "Bann der Tierwelt" zu bre-
chen. Das Herrschaftsmittel der usurpatorischen Form der Selbsterhaltung sei
das begriffliche Denken, das das Nichtidentische gleichmache. Die Frage in-
dessen, weshalb der Mensch dem Zwang einer totalen Identifizierung des Nicht-
identischen unterworfen sei, führt lediglich auf das abstrakte Erklärungs-
prinzip einer "radikal gewordenen, mythischen Angst". Damit bleibt die vom
systematischen Aspekt her formulierte Frage nach dem Grund der psychologi-
schen Nötigung einer begrifflichen Eliminierung des Nichtidentischen unbeant-
wortet. Zugleich wirft die Geschichtsphilosophie das neue Problem der zugrun-
deliegenden subjektstheoretischen Konzeption auf.
Von hierher rückt nun die Philosophie Kants als des Begründers eines trans-
zendentalen außerempirischen Subjektsbegriffs in das Zentrum des systemati-
schen Interesses. Mit der Philosophie Kants wird in einem Adornos Kritik der-
selben thematisch. Bevor jedoch dieser Problemkomplex erörtert werden kann,
ist Adornos Vorschlag zur Lösung des Problems des Allgemeinen und Besonderen
in der Idee einer "negativen Dialektik" zu prüfen.
2.3 Die Lösung der Problematik: Das Prinzip der "negativen D i a l e k t i k "
Adorno w i l l nicht nur auf das Nichtidentische in seiner Differenz vom Allge-
meinen hinweisen, sondern dasselbe auch fassen, um so den Zustand der "Ver-
söhnung" herbeizuführen.
Zielt der Begriff der "Versöhnung" bei Hegel noch auf eine Vollendung der
Herrschaft des Subjektiven in der begrifflichen Durchdringung des Objekti-
ven, auf eine Vernichtung des Äußerlichen und Fremden des Bewußtseins durch
das Erkennen 139 , so bestimmt Adorno "Versöhnung" entsprechend seiner Deutung
der bisherigen Geschichte und des begrifflichen Identitätsprinzips als Ober-
windung von Herrschaft, als ein "Miteinander des Verschiedenen" . Auch
meint "Versöhnung" nicht nur - so noch die frühe Kritische Theorie - einen
idealen zwischenmenschlichen Zustand, etwa im Sinne einer Aufhebung ökono-
misch determinierter Klassenantagonismen in einer rational organisierten
klassenlosen Gesellschaft -, sondern bezieht die Natur wesentlich mit ein.
Sei nämlich in der bisherigen Geschichte die Natur unterdrückt worden und
sei Geschichte gerade deshalb (?) noch Naturgeschichte,so sei eine Versöhnung
mit der Natur erforderlich, damit dadurch (?) Geschichte im eigentlichen
Sinne beginne. Das angestrebte "Phantasma" der Vernunft sei die "Versöhnung
von Geist und Natur" . Dies sei ein Stand, " ( . . . ) der so wenig blinde Natur
wäre wie unterdrückte." "Der versöhnte Zustand annektierte nicht mit phi-
losophischem Imperialismus das Fremde, sondern hätte sein Glück daran, daß
es in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des he-
terogenen wie des eigenen." 143
Dabei weigert sich Adorno, diesen "versöhnte(n) Zustand" - er spricht von
ihm vorwiegend nur im Konjunktiv - konkret zu bestimmen, ihn "auszumalen"
oder "auszupinseln" 145 .
139 Vgl. Hegel (101), S. 391
140 Adorno (7) S. 153
141 Adorno (7) S. 228
142 Adorno (7) S. 228
143 Adorno (7) S. 192
144 Adorno (7) S. 207
145 Adorno (10), S. 195. Bemerkenswert ist, daß Adorno im Zustand der "Ver-
söhnung" offensichtlich an die "Möglichkeit einer Abschaffung des Todes"
[Adorno ( 7 ) , S. 505; vgl. ( 7 ) , S. 361 f.] denkt. Dies entspricht der von
ihm angegebenen Ursache einer bisher fehlenden Versöhnung einer unbe-
26 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
Aufkömmende Bedenken etwa derart, daß nicht ein "Auspinseln", sondern nur
eine konsistente Bestimmung verlangt sei, werden mit dem alttestamentli-
chen Theologoumenon beschwichtigt: "Solche Bilderlosigkeit konvergiert mit
dem theologischen Bilderverbot." Dieser Transzendierung von Kritischer
Theorie, die sich ursprünglich als kritische Gesellschaftstheorie verstand,147
zu theologischen Vorstellungen - man denke auch an Adornos theologische Deu-
tung der Kunst 148 und an den späten Horkheimer 149 - entspricht die ideenge-
schichtliche Herkunft des Motivs einer "Versöhnung von Geist und Natur".
Das ursprünglich biblische Motiv eines Falls der Natur und ihrer Erlösung 150
beeinflußte über den schwäbischen Pietismus die Philosophie Schellings. Es
findet sich beim frühen Marx wieder, der in den 'Pariser Manuskripten 1 (1844)
den kommunistischen Endzustand als "vollendete Wesenseinheit des Menschen mit
der Natur", als "wahre Ressurrektion der Natur" charakterisiert. Auch wenn
Marx in der Entwicklung seines Denkens diese Vorstellung fallen läßt und im
'Kapital 1 (1867) erkennt, daß das "wahre Reich der Freiheit" nicht das "Reich
der Notwendigkeit" aufheben, sondern "nur" auf diesem "(...) als seiner Ba-
sis aufblühen kann" 1 ?, wird das ursprüngliche Motiv von unorthodoxen Marxi-
sten wie Benjamin und Bloch erneuert. Von hierher findet die dann spä-
ter von Habermas als "grundlos" verworfene "Idee der universalen Versöh*
nung" Eingang in die Konzeption der Kritischen Theorie Horkheimers und
Adornos.
Jedoch nicht nur diese Idee und die Weigerung ihrer Bestimmung lassen sich
lediglich in theologischen Kategorien fassen. Gleiches gilt für den von Ador-
no und Horkheimer formulierten Zweifel, ob die Vernunft den naturgeschicht-
wältigten Todesangst, die durch einen identifizierenden Herrschaftszwang
kompensiert werde. Vgl. auch Scheible ( 2 4 5 ) , S. 116
146 Adorno ( 7 ) , S. 207. Vgl. ( 2 ) , S. 40. Vgl. dazu auch Jay ( 1 3 2 ) , S. 79 f
147 Vgl. Horkheimer ( 1 2 2 ) , S. 163
148 Vgl. Adorno ( 1 ) , S. 17. Zum Verhältnis von Kunst und Theologie bei Ador-
no vgl. Rohrmoser ( 2 3 9 ) , S. 13 f.
149 Vgl. Horkheimer ( 1 2 0 ) , S. 56 f f . , 60 f f . , 67 f f . , 77, 88 f.; ( 1 2 4 ) , S.
229 - 233. Vgl. zu Horkheimers Theologierezeption Geyer ( 7 8 ) , S. 70 - 82.
150 Vgl. Gen. 3, 17; Jesaja 11, 6 - 9; Offb. 21, 1; 2 Petr. 3, 13; Rom. 8,
21 f
151 Marx (190), S. 538
152 Marx (188), Bd. III, S. 828
153 Vgl. Benjamin ( 3 1 ) , S. 256 f.
154 Vgl. Bloch ( 3 3 ) , S. 327
155 Habermas ( 8 9 ) , S. 197. Vgl. Habermas ( 8 7 ) , S. 45. Vgl. auch Lüdke, der
in dieser Idee zu Recht eine "fragwürdige Radikalität" [Lüdke ( 1 7 7 ) , S.
147] entdeckt.
156 Vgl. zu dieser Motiventwicklung auch Habermas (88), S. 54
Die Lösung der Problematik: "negative Dialektik" 27
liehen Bann der universalen Herrschaft von sich aus brechen kann: "Das erste
Aufleuchten der Vernunft, das in solchem Trieb (nach Ausdruck und Licht, B.)
sich meldet und im erinnernden Denken des Menschen widerscheint, trifft auch
am glücklichsten Tage seinen unaufhebbaren Widerspruch: das Verhängnis, das
Vernunft allein nicht wenden kann."
Wird damit die Aufhebung der geschichtlichen Verstrickung auf das Prinzip
der Gnade verwiesen, so entspricht dem die Bindung von Philosophie und Er-
kenntnis an den Gedanken der Erlösung: "Philosophie (...) wäre der Versuch,
alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich dar-
stellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die
Welt scheint" 158 .
Aber auch wenn die Kritische Theorie derart in der Bestimmung ihres Zieles,
der "Versöhnung", auf zum Teil mystische Vorstellungen ausweicht, die den Rah-
men möglicher philosophischer Argumentation sprengen, versucht Adorno die Er-
füllung des Eschatons an Rationalität als (wenn auch nicht hinreichende, so
doch) notwendige Bedingung zu knüpfen. Dies festgehaltene Moment von Rationa-
lität, das die Aufklärung vor ihrer Selbstzerstörung bewahren soll, ist we-
sentlich das der geforderten Selbstbesinnung 159 . Ihr Prinzip ist die negative
Dialektik, die Adorno als Alternative zur herrschenden Denkmethode des be-
grifflichen Identifizierens zu entwickeln sucht.
Zielt diese auf die Identität ab, so soll jene auf die Nichtidentität gehen:
"Insgeheim ist Nichtidentität das Telos der Identifikation, das an ihr zu
Rettende, der Fehler des traditionellen Denkens, daß es die Identität für
sein Ziel hält." Bemüht sich dieses, die Positivität (positive Deckung
von zu Begreifendem und Begriff) zu erlangen, so will Adorno gerade die Nega-
tivität (Differenz von zu Begreifendem und Begriff) herausstellen. Die ei-
gentliche Aufgabe der Erkenntnis sei es, " ( . . . ) der Inadäquanz von Gedanke
und Sache nachzugehen, sie an der Sache zu erfahren."
Begriffsgeschichtlich gesehen übernimmt Adorno den Ausdruck "negative Dia-
lektik" von Hegel, der so die Dialektikkonzeption des überwiegenden Teils der
1 fi?
platonischen Dialoge charakterisiert. Negativ ist nach Hegel diese Dialek-
1. Die von Adorno entwickelte negative D i a l e k t i k ist von der positiven oder
spekulativen Dialektik Hegels zu unterscheiden, indem sie zwar "(...) eine
Aufbewahrung des Widerspruchs im Resultat, nicht aber die Erhöhung des Resul-
tats zur Aufhebung bejahen kann." Die Kritik an Hegel - für Adorno ein
"Identitätsphilosoph" - und damit die Rückwendung der positiven Dialektik
zu einer negativen erklärt Adorno aus seiner intention, das Nichtidentische
freizusetzen. Einerseits sei Hegel (besonders in den Frühschriften) "dicht
bis ans Bewußtsein vom negativen Wesen der von ihm ausgeführten dialektischen
1fifi
Logik" gelangt und habe das sogenannte starre Reflexions- und Verstandes-
163 Hegel (100), Bd. II, S. 62
164 Hegel (100), Bd. II, S. 65
165 Hegel ( 1 0 0 ) , Bd. II, S. 69
166 Müller-Strömsdörfer (198), S. 81
167 Adorno ( 1 3 ) , S. 161. Adornos SelbstVerständnis in seinem Verhältnis zu
Hegel wird von Schweppenhäuser (264) reproduziert. Zur unterschiedlichen
kritischen Rezeption Hegels durch die Vertreter der Kritischen Theorie
vgl. Schmidt ( 2 5 5 ) . Vgl. zu Adornos Kritik der Hegeischen Dialektik auch
Düver ( 5 2 ) , S. 63 - 71
168 Adorno ( 7 ) , S. 159
Absetzung der negativen von der positiven Dialektik 29
denken eines Kant überwunden, indem er auf die (Selbst-)Bewegung des Be-
griffs abgehoben habe. Andererseits aber habe er am Schluß wieder das Nicht-
identische liquidiert, weil er das eigentliche Interesse der Philosophie
verkannt habe: "Philosophie hat ( . . . ) ihr wahres Interesse dort, wo Hegel,
einig mit der Tradition, sein Desinteresse bekundete, was seit Platon als
vergänglich und unerheblich abgefertigt wurde und worauf Hegel das Etikett
der faulen Existenz klebte." 169 Zum einen sei es ein Verdienst Hegels, das
Ungenügen des Begriffs erahnt zu haben, dessen Unfähigkeit, das zu Begrei-
fende adäquat zu erfassen, folglich das Obersichhinausweisen des einzelnen
Begriffs (und Urteils) zutreffend gekennzeichnet zu haben. Zum anderen je-
doch sei Hegel "parteiisch für die Einheit" ge esen und habe die Nicht-
171
identität bloß als "Leiden" gedeutet.
Seine Absicht, eine Philosophie des Absoluten zu entwickeln, habe ihn um
seine ursprüngliche Einsicht betrogen. "Am Schluß ist das Hegeische Denken
(...) trotz all seiner Widerstände gegen die Verdinglichung und Verabsolu-
tierung von einzelnen Bestimmungen ein abschlußhaftes Denken und kommt
darauf hinaus, daß der absolute Geist, der bei ihm die metaphysische Sub-
stanz ist, eben sich doch enthüllt als eine gigantische Projektion der ab-
17?
soluten Immanenz." Seine berechtigte Kritik an der Positivität sei im
Grunde dadurch aufgehoben worden, daß er von der Positivität des Absoluten
ausgegangen sei. "Die Gleichsetzung der Negation der Negation mit der Posi-
tivität ist die Quintessenz des Identifizierens, das formale Prinzip auf
seine reinste Form gebracht." 173
Durch diesen Fehler, dessen höchster Ausdruck sich im Prinzip der Totalität
manifestiere, gewinne bei Hegel "das antidialektische Prinzip die Ober-
h a n d " . Finde der Begriff bei Hegel auf dem Gang zur Vollendung der Idee
an keiner Systemstelle seine Ruhe,werde er immer weiter über sich hinausge-
trieben,so erlange er im sich selbst wissenden Geist seinen Stillstand.Das
Ganze sei in sich bewegt,negativ,als Ganzes aber auch absolute Ruhe.posi-
tiv. 1 7 5
169 Adorno ( 7 ) , S. 19 f
170 Adorno ( 7 ) , S. 160
171 Adorno (13), S. 162.Gegen Hegel macht Adorno geltend:"Das Differenzierte
erscheint so lange divergent,dissonant,negativ,wie das Bewußtsein der
eigenen Formation nach auf Einheit drängen muß:solange es,was nicht mit
ihm identisch ist,an seinem Totalitätsanspruch miBt."[Adorno ( 7 ) , S. 17]
172 Adorno (13), S. 164. Vgl. Adorno ( 2 ) , S. 41
173 Adorno ( 7 ) , S. 161
174 Adorno ( 7 ) , S. 161
175 Vgl. Adorno (14), S. 375
30 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
selber nur allgemein reflektiert" habe, so daß sein Beweis zugunsten der
183
"Absolutheit des Begriffs" zirkulär sei. Dieser Vorwurf einer Abstraktion
vom Nichtidentischen führt auf den Einwand, Hegel handhabe Dialektik als
4 n Ift^
bloße "Methode" , obwohl er dies - wie Adorno - von sich zurückweist.
Aufgrund der mangelnden Berücksichtigung des Wesens des Begriffs, seiner
Selbsttranszendenz auf Nichtbegriffliches h i n , habe Hegel den Begriff (das
Allgemeine, die Einheit) als Ziel der Erkenntnis postuliert und es nicht
1ftfi
"beim Begriffslosen, Einzelnen und Besonderen" angesetzt. Der Begriff je-
doch - so Adorno - " ( . . . ) bildet kein positives Telos, in dem Erkenntnis sich
stillte." 1R7 Deshalb müsse sich Dialektik auf ihren falschen "Immanenzzusam-
menhang" besinnen. Andernfalls " ( . . . ) bliebe Kants Rechtsanspruch gegen He-
gel unverjährt. Solche Dialektik ist negativ. Ihre Idee nennt die Differenz
von Hegel." 188 Das "Scharnier negativer D i a l e k t i k " liege darin, die Rich-
tung 189 der Begrifflichkeit auf sich selbst von sich dem Nichtidentischen zu-
zuwenden. Dabei sei nur die Richtung des Begriffs zu ändern, auf den Begriff
selbst aber nicht zu verzichten: Die bloß "intuitive Verhaltensweise" 190
Bergsons sei - hier rezipiert Adorno die Bergson-Kritik Diltheys 191 unzu-
länglich.
Die Kritik Adornos, Hegel habe das selbsttranszendente Wesen des Begriffs
verkannt, kristallisiert sich in seiner Wendung gegen die Idee einer "Identi-
1Q9
tat von Identität und Nichtidentität" i y i aus.
Indessen beruht diese Kritik offensichtlich auf einer problematischen Prä-
misse: der Reduktion des spekulativen Begriffs auf den abstrakten Allgemein-
begriff. Erst so wird es möglich, als Erkenntnisziel entweder das "Begriffs-
lose, Einzelne und Besondere" oder alternativ den Begriff, das Allgemeine zu
bestimmen und dies dann kritisch gegen Hegel zu wenden.
Diese Voraussetzung widerstreitet jedoch Hegels Begriff des Begriffs 1Q3 :
Allgemeines, sondern als das den Reichtum des Besondern in sich fassende
Allgemeine." [Hegel (103), Bd. I, S. 54]
183 Adorno ( 7 ) , S. 49. Vgl. auch ( 7 ) , S. 19
184 Adorno ( 7 ) , S. 148
185 Vgl. Hegel (103), Bd. l, S. 48 f.; (96), Bd. III, S. 392, § 243
186 Adorno ( 7 ) , S. 20
187 Adorno ( 7 ) , S. 57
188 Adorno ( 7 ) , S. 145
189 Adorno ( 7 ) , S. 24
190 Adorno ( 7 ) , S. 20. Vgl. Adorno (14), S. 54
191 Vgl. Cüppers ( 4 1 ) , S. 97 ff.
192 Adorno ( 7 ) , S. 19
193 Vgl. dazu Hegel (103), Bd. II, S. 245 - 301. Vgl. zur Unterscheidung
32 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
Die negative Dialektik w i l l das Besondere nicht mit dem Allgemeinen identi-
fizieren, sondern "die vom Allgemeinen diktierte Differenz des Besonderen vom
Allgemeinen" 1QQ entfalten. Die Dialektik, die als Ausdruck ihrer Selbsttrans-
zendenz und Berücksichtigung des Nichtidentischen wesentlich durch das Moment
des Widerspruchs gekennzeichnet sei , solle nicht wie bei Hegel positiv wer-
den, indem sie das Negative im Begriff der Totalität aufhebe und damit der ab-
strakten Vernunft w i l l f ä h r i g sei: "Das Negierte ist negativ, bis es verging.
Das trennt uns entscheidend von Hegel. Den dialektischen Widerspruch, Aus-
druck des unauflöslich Nichtidentischen, wiederum durch Identität glätten
heißt soviel wie ignorieren, was er besagt, in reines Konsequenzdenken sich
zurückbegeben." 201 Eine solche Glättung habe in der Aufstellung philosophi-
scher Systeme statt, denen Adorno eine "Logik des Zerfalls" 202 entgegensetzt.
Die Hegeische Bestimmung des Wahren als des Ganzen203 sei zu korrigieren:
"Das Ganze ist das Unwahre." 204 Da das "Telos der Philosophie" 2 0 5 das Nicht-
identische sei, widerstreite diese dem Anspruch des Systems.
Eine Analyse hat zwischen a) Adornos Einwänden, b) der Konsequenz einer Ab-
lehnung des Systemgedankens und c) seiner mangelnden Konsistenz im Denken
Adornos zu unterscheiden.
a) Des näheren ist zwischen zwei Einwänden Adornos zu differenzieren:
aa) Die Divergenz von wahrer Philosophie und System ergebe sich aus seinem
206
antinomischen Charakter und "notwendigen Widersinn". Dieser bestehe in der
Unvereinbarkeit von "System und Dynamik" 207 , der "Antinomie von Totalität und
199 Adorno ( 7 ) , S. 18
200 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 17
201 Adorno ( 7 ) , S. 162. Vgl. ( 7 ) , S. 145. Beyer erkennt hier zu Recht eine
auch Marx zuwiderlaufende Dialektikkonzeption Adornos [vgl. Beyer ( 3 2 ) ,
S. 175]. Vgl. auch Clemenz (39), S. 189 f. Zur Marxschen Dialektikkonzep-
tion besonders in Absetzung zur Hegeischen vgl. Lenk (169).
202 Adorno ( 7 ) , S. 148
203 Vgl. Hegel (98), S. 24
204 Adorno ( 6 ) , Aphorismus Nr. 29. Vgl. ( 7 ) , S. 145; (13), S. 270; (14), S.
324 f. Schwerlich handelt es sich hier um einen "Fortschritt der Erkennt-
nis" [Grenz (80), S. 133], wie Grenz meint, beruht doch dieser "Fort-
schritt" auf der Umdeutung des Wahren als des Ganzen in die des Ganzen
(Grenz: "der gesellschaftlichen Praxis") als des Wahren. Ahnlich auch
Willms (286), S. 71 f . Lindner bezieht Adornos These vom unwahren Ganzen
nicht nur auf Hegel, sondern auch auf Lukäcs [vgl. Lindner (173), S. 282].
Fetscher hingegen sieht mit dieser These " ( . . . ) den Gegensatz Marx - He-
gel auf den prägnanten Begriff gebracht." [Fetscher (59), S. 259] Vgl.
auch Liebrucks (171).
205 Adorno ( 7 ) , S. 31
206 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 32
207 Adorno ( 7 ) , S. 38
34 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
208 Adorno ( 7 ) , S. 37
209 Adorno ( 7 ) , S. 37 f
210 Rickert (226), S. 54
211 Vgl. Adorno (12), S. 289
212 Hegel ( 9 6 ) , Bd. II, S. 34 f, § 250. Zum Problem des Zufalls in der He-
gelschen Philosophie vgl. Henrich ( 1 1 2 ) , bes. S. 159
213 Vgl. Hegel ( 1 0 2 ) , S. 194 - 197; (96), Bd. 11, S. 35 Anm., § 250
214 Hegel (96), Bd. II, S. 35, § 250
215 Vgl. Adorno (13), S. 228 f
216 Adorno (11), S. 264
217 Adorno ( 7 ) , S. 32
218 Adorno ( 7 ) , S. 39
Absetzung der negativen von der positiven Dialektik 35
Dieses Argument kann jedoch mit nicht weniger Recht in sein Gegenteil ver-
kehrt werden: Gerade weil die Einheit des Systems zunächst nur auf allgemeine
Bestimmungen ( P r i n z i p i e n ) bezogen ist, läßt es das Nichtidentische frei, for-
dert dies geradezu.
So verlangt nach Kant die Ableitung der "Mannigfaltigkeit" der Dinge von
den "Grundeigenschaften",deren systematische Einheit er postuliert,eine "neh-
219
rare Bestimmung" . Von hierher fordert er weiter ein "Gesetz der Spezifika-
tion", um die "Einfalt" des Systems durch seine "Ausbreitung" regulativ zu
ergänzen. Dieses Prinzip legt dem Verstande a u f , " ( . . . ) unter jeder Art, die
uns vorkommt, Unterarten, und zu jeder Verschiedenheit kleinere Verschieden-
heiten zu suchen." ?20 Adornos Forderung nach einer Berücksichtigung des Be-
sonderen ist also in der Kantischen Systemidee, die von Hegel weiterentwik-
kelt wird, positiv aufgehoben.
Die Einwände treffen damit nicht den Systemgedanken, sondern lediglich sei-
ne Karikatur. Nicht im System selbst liegt es begründet, wenn es die "(...)
221
Darstellungsform einer Totalität, der nichts extern bleibt" , wird, sondern
a l l e n f a l l s im überzogenen Anspruch eines verblendeten Systematikers, dem He-
gel (entsprechend dem Kantischen "Gesetz der Spezifikation") durch die Be-
222
Stimmung der Idee als "wesentlich Prozeß" vorzubeugen sucht.
b) Die Konsequenz der Ablehnung des Systemgedankens besteht darin, daß ohne
Anstrengung zum System der dem Nichtidentischen zukommende Wahrheitswert nicht
ausgemacht werden kann. Das jeweils Besondere besitzt immer nur einen relati-
ven Mahrheitswert, der außer mit Blick auf das Ganze, die Idee, nicht ange-
messen beurteilt werden kann. 223 Ohne Beziehung auf die entweder regulativ
(Kant) oder konstitutiv (Hegel) gedeutete Idee verharrt das Nichtidentische
nicht nur in Zufälligkeit, sondern in absoluter Zufälligkeit: Es bleibt ten-
denziell qualitätslos und damit nichtig, weil seine Qualitäten nicht ausrei-
chend bestimmt werden können. Mit Kants Worten: Die Verstandeserkenntnis
904.
bleibt derart "bloß ein zufälliges Aggregat" und ermangelt eines "probier-
225
steinfs; der Wahrheit der Regeln" .
Die negative D i a l e k t i k soll "die vom Allgemeinen diktierte Differenz des Be-
sonderen vom Allgemeinen" 229 entfalten. Zur Kennzeichnung des alternativen
Denkverfahrens verwendet Adorno die Begriffe Konstellation, Mimesis, Aus-
druck, Darstellung u.a., die als Kategorien der negativen Dialektik betrach-
tet werden können. Zunächst sind diese Kategorien zu erläutern. Im Anschluß
ist Adornos Forderung nach einem "Mehr an Subjekt" 230 zu prüfen, weil dieses
226 Adorno ( 7 ) , S. 39
227 Kant (147), B 686
228 Adorno ( 1 4 ) , S. 62
229 Adorno ( 7 ) , S. 18
230 Adorno ( 7 ) , S. 50
Positive Konkretisierung der negativen D i a l e k t i k 37
Vermögen auf ein bloßes "Tasten nach jener Konkordanz" zurückgedrängt worden:
"Wäre dies Moment gänzlich getilgt, so würde ( . . . ) die losgelassene ( d . h . von
der Sache losgelassene, B.) Rationalität irrational" 239 und Erkenntnis durch
den "absolut" vollzogenen "Bruch von Subjekt und Objekt (...) unmöglich" .
Um dieser Gefahr zu begegnen, sei das verschüttete mimetische Vermögen zu
reaktivieren.
Dabei stellt Adorno durchaus in Rechnung, daß so der Erkenntnis ein nicht
auszutilgendes Moment an "Zufälligkeit" eigen werde. Weit davon entfernt,
dies verbannen zu wollen, erblickt er in ihm "das kritische Moment" 242 , das
die Philosophie gegen die Vorherrschaft partikularer Vernunft im Szientismus
und sog. positivistischen Wissenschaftsbetrieb erneuern müsse.
Das von Adorno im "Gegensatz zum üblichen Wissenschaftsideal" geforderte
"Mehr an Subjekt" 243 (Mimesis, "unmittelbare Erfahrung") bedarf seines Erach-
tens aber auch des komplementären Moments: Erkenntnismäßige Differenziertheit
werde erst durch die beiden Komponenten des subjektiv-mimetischen Reaktions-
vermögens und des objektiv-logischen "Organ(s) fürs Verhältnis von Genus,
Species und differentia specifica" 244 erreicht. Mittels der Mimesis bemüht
sich Adorno dem Anspruch des Besonderen zu genügen, mittels der logischen Be-
grifflichkeit dem des Allgemeinen.
Diesem Verhältnis entspricht die für die Philosophie geforderte Synthese
von subjektivem "Ausdruck" und objektiver "Stringenz" . Durch die Verabso-
lutierung des Ausdrucksmoments gleite das Denken in bloße "Weltanschauung"
ab, durch die ausschließliche Orientierung an dem Ideal von Stringenz entarte
es - dies konvergiert mit der Auffassung Heideggers - zur positivistischen
"Wissenschaft". Ausdruck und Stringenz " ( . . . ) bedürfen einander, keines ist
ohne das andere" 248 .
239 Adorno ( 7 ) , S. 55. Vgl. ( D , S. 489
240 Adorno ( 1 4 ) , S. 148 Anm.
241 Adorno ( 7 ) , S. 55
242 Adorno ( 7 ) , S. 55
243 Adorno ( 7 ) , S. 50. Vgl. ( 7 ) , S. 54, 57, 173, 189; (10), S. 82
244 Adorno ( 7 ) , S. 55. Vgl. (10), S. 91 £. Zur Spaltung des Bewußtseins in
mimetische und begriffliche Tätigkeit vgl. Adorno (10), S. 81
245 Adorno ( 7 ) , S. 29
246 Adorno ( 7 ) , S. 29. Vgl. ( 1 0 ) , S. 92, 118 - 121
247 Vgl. Heidegger (106), S. 133. Vgl. zur unterschiedlichen Motivation der
konvergierenden Wissenschaftskritik bei Adorno und Heidegger: Horchen
(197), S. 518. Vgl. zur Kritik der "Behauptung der Wissenschaft als der
einzig möglichen Erkenntnisform" auch Horkheimer (119), S. 86 - 89.
248 Adorno ( 7 ) , S. 29. Andererseits kennt Adorno auch den Begriff einer "em-
phatische (n) Wissenschaft?1 [Adorno ( 1 2 ) , S. 299], der nicht unter sein
Positive Konkretisierung der negativen Dialektik 39
Der Versuch Adornos indessen, seine Idee von Philosophie vor ihrer Auflö-
sung in Weltanschauung zu bewahren, kann schwerlich beanspruchen, ernsthaft
diskutiert zu werden: Bemüht sich Dilthey noch, den Relativismus der Weltan-
schauungen in einer als "Philosophie der Philosophie" konzipierten "Weltan-
schauungslehre" 249 zu überwinden, so hat Adorno den Ausweg bei der Hand, der
Weltanschauung die Forderung nach "Stringenz" als Moment zur Seite zu stel-
len, damit jene keine mehr sei. Weiterhin ist nicht nur zu fragen, wie Mime-
sis und Logik, Subjektivität und Objektivität, Ausdruck und Stringenz in ih-
rem Zusammenspiel zu denken sind, sondern insbesondere, weshalb philosophi-
sche Stringenz nach Ausdruck verlangen soll.
2. Den Versuch, diese Frage zu beantworten und damit seine Idee von eigent-
licher Philosophie zu begründen, stellt Adornos Theorem eines geforderten
250
"Mehr an Subjekt" bzw. die Kritik der "Residualtheorie der Wahrheit" dar.
grifflichen Erkenntnis nicht zugänglich seien: "Leiden, auf den Begriff ge-
bracht, bleibt stumm und konsequenzlos"
258 . Von hierher wird dann für Ador-
no die Kunst zum "Bewußtsein von Nöten" 259
Die K r i t i k der "Residualtheorie der Wahrheit" hat nun die systematische
Funktion, das Ausdrucksmoment erkenntniskritisch abzusichern. Die Argumenta-
tion läßt sich wie folgt rekonstruieren: Aufgrund ihrer Unangemessenheit an
das nichtidentische besondere Objekt implizierten die vom Subjekt verwendeten
allgemeinen Begriffe eine Versubjektivierung der Erkenntnis: Das Objekt in
seiner qualitativen Totalität werde durch die quantifizierenden Begriffe ver-
stellt. Es sei gerade auf die "subjektiven Reaktionsweisen"260 , das mime-
tisch-unbegriffliche Verhalten angewiesen, denn: "Sich dem Objekt überlas-
sen", es nicht durch Begriffe zurichten, "(...) ist soviel wie dessen quali-
tativen Momenten gerecht werden." 261 Demnach seien Kunstwerke "weniger sub-
jektiv als die diskursive Erkenntnis" und zwar gerade "durch die Freiheit des
OCO
Subjekts in ihnen." Diesen Überlegungen aber widerspreche "(...) jener Re-
sidualbegriff der Wahrheit, den alle bürgerliche Philosophie, mit Ausnahme
von Hegel und Nietzsche, gemeinsam hat. Wahrheit erscheint diesem Denken
als das, was 'übrig bleibt', nachdem man (...) das weggelassen hat, was
schließlich in der Vulgärsprache dem dem Positivistnus überantworteten Wissen-
263
schaft die 'subjektiven Faktoren 1 heißt." Gerade auch "im Bereich der so-
genannten Gesellschaftswissenschaften" bedürfe eine fruchtbare Erkenntnis
nicht der "Ausschaltung des Subjekts", sondern "dessen höchster Anstrengung",
"all seine(r) Innervationen und Erfahrungen" . Die an dem "Residualbegriff"
von Wahrheit ausgerichtete Erkenntnis sei nämlich subjektiv, weil das zu sei-
ner adäquaten Erkenntnis auf das ganze Subjekt angewiesene Objekt nur par-
tiell erfaßt werde. "In schroffem Gegensatz zum üblichen Wissenschaftsideal"
verlange deshalb "die Objektivität dialektischer Erkenntnis nicht eines Weni-
pc C
ger sondern eines Mehr an Subjekt" . Durch diese Aktualisierung des ganzen
Subjekts zur Aufnahme des Objekts in seiner qualitativen Totalität arbeite
das "erfahrene Subjekt" darauf hin, in dem Objekt "zu verschwinden" .
266
258 Adorno ( 1 ) , S. 35
259 Adorno (1), S. 35. Vgl. zu diesem Topoe des "Bewußtseins von Nöten",
den Adorno irrtümlich Hegel zuspricht: Trabant (278).
260 Adorno ( 7 ) , S. 57
261 Adorno ( 7 ) , S. 53
262 Adorno ( 1 ) , S. 191
263 Adorno ( 1 4 ) , S. 76 f
264 Adorno (14), S. 256. Vgl. ( 1 2 ) , S. 211
265 Adorno ( 7 ) , S. 50. Vgl. ( 7 ) , S. 172 £
266 Adorno ( 7 ) , S. 189 f
Positive Konkretisierung der negativen Dialektik 41
Der Kern der Argumentation kann auf folgenden Syllogismus reduziert werden:
Maior: Erkenntnis strebt Objektivität an.
Minor: Die Objektivität wird durch die diskursive Erkenntnis aufgrund
ihrer subjektiven Begriffe verstellt.
Conclusio: Objektive Erkenntnis verlangt die Oberwindung der diskursiven
Erkenntnis.
b) Die Argumentation stellt offensichtlich eine quaternio terminorum dar,
weil die Begriffe objektiv bzw. subjektiv äquivok sind: Ein "Mehr an Subjekt"
kann zwar unter Umständen das Objekt umfassender aufnehmen als es dem quanti-
fizierenden Verfahren einer rein begrifflichen und abstrahierenden, an allge-
meinen Gesetzen interessierten Erkenntnis möglich ist. Jedoch ist eine Er-
kenntnis noch nicht dann wahrer, wenn quantitativ mehr Objektives erfaßt
wird, sondern sie kann erst wahr genannt werden, wenn das Objektive auch ob-
jektiv erfaßt wird. Dem steht aber das geforderte "Mehr an Subjekt" dann ent-
gegen, wenn das Subjektive bloß subjektiv ist. Die K r i t i k der "Residualtheo-
rie" verwechselt also eine Erkenntnis das Objektiven mit einer objektiven Er-
kenntnis, eine ontologische mit einer geltungstheoretischen Frage.
treter des als bürgerlich (?) und positivistisch (?) verworfenen Wissen-
schaftsideals wendeten sich gegen das "Mehr an Subjekt", weil das dadurch
geforderte Moment "philosophischer Erfahrung" das "Vorrecht" einiger weniger
"Individuen" sei; sie argumentierten, es "(...) als Bedingung von Erkenntnis
zu verlangen, sei elitär und undemokratisch." 26Q
Indessen geht es lediglich darum, die Auffassung eines Mehrs an Objektivem
(durch ein "Mehr an Subjekt") nicht mit der objektiveren Auffassung dieses
Objektiven zu verwechseln, die qualitative Gültigkeit der Erkenntnis nicht
an der Quantität des Rezipierten zu messen.
Zudem erliegt Adorno im Gegenzug der Gefahr, ein neues einseitiges Wahr-
heitsideal aufzurichten, wenn er als "Bedingung aller Wahrheit" das mit dem
"Ausdrucksdrang des Subjekts" verbundene "Bedürfnis" bestimmt, " ( . . . ) Leiden
270
beredt werden zu lassen."
Wendet man aber ein, Adorno fordere doch ebenso "Stringenz", das fragliche
Bedürfnis sei nur "Bedingung aller Wahrheit", so ändert dies nichts an der
Tatsache, daß das Ausdrucksmoment erkenntniskritisch nicht abgesichert ist.
Vielmehr bestätigt der Hinweis auf die Notwendigkeit von Stringenz, daß der
subjektive Ausdruck nur nach Maßgabe derselben Geltung beanspruchen kann -
solange Adorno nicht überzeugend nachzuweisen vermag, inwiefern die Stringenz
nach dem Ausdrucksmoment verlangt.
Diese Überlegungen berühren notwendig die oben angedeutete These Adornos
?71
einer "Affinität der Philosophie zur K u n s t 1 " ' .
Die Bestimmung wahrer philosophischer Erkenntnis als Einheit von Begriff und
Mimesis, Stringenz und Ausdruck, führt auf die These eines dialektischen
Verhältnisses von Philosophie und Kunst. Des näheren ist zu unterscheiden
zwischen 1. dem Verweisungscharakter von Philosophie auf Kunst, 2. dem von
Kunst auf Philosophie und 3. ihrem Wechsel Verhältnis selbst.
1. Da nach Adorno Philosophie - wobei nun der traditionelle und nicht der
geforderte, mit der Kunst in ihrem Wahrheitsgehalt konvergierende 272 - Be-
269 Adorno ( 7 ) , S. 50 f
270 Adorno ( 7 ) , S. 29.(Hervorhebung B.)
271 Adorno ( 7 ) , S. 26. Vgl. ( 1 0 ) , S. 87
272 Vgl. Adorno ( 1 ) , S. 197; ( 1 ) , S. 507. Vgl. auch Grenz (81), S. 120 f.
Das Verhältnis der negativen D i a l e k t i k zur Kunst 43
griff von Philosophie zugrundegelegt wird - "nur Begriffe zur Verfügung hat"
und insofern an einer "idealistischen Vorentscheidung" 273 leidet, bedarf sie
der Korrektur. Diese Aufgabe f a l l e der Kunst zu: "Kunst berichtigt die be-
griffliche Erkenntnis, weil sie, abgespalten, vollbringt, was jene von der un-
bildlichen Subjekt-Objekt-Relation vergebens erwartet: daß durch subjektive
Leistung ein Objektives sich enthüllt. Jene Leistung vertagt sie nicht ins
Unendliche. Sie verlangt sie ihrer eigenen Endlichkeit ab, um den Preis ih-
rer Scheinhaftigkeit." 2 7 4
Im Gegensatz zur erkennend-begrifflichen Herrschaft ergreife die Kunst in
der Funktion "bewußtloser Geschichtsschreibung", als "Anamnesis des Unterlege-
O7C
nen, Verdrängten, vielleicht Möglichen" die "Partei für die unterdrückte
Natur" 276 - und zwar sowohl für die in- als auch auswendige. Dies sei möglich,
weil sich die Kunst im Unterschied zur bisherigen Geschichte qua Naturge-
schichte "von den Zwecken der Selbsterhaltung" ?77 lossage. Schlage Aufklärung
durch ihre einseitig selbstvergessene Ausrichtung am begrifflich faßbaren
Allgemeinen "in Mythologie zurück" ?7R , so halte Kunst "der Aufklärung (genau-
er: ihrer Intention, B.) die T r e u 279
e " . Dabei wirke sie zwar nicht unmittel-
bar praktisch, wohl aber mittelbar, indem sie an das nicht mit dem Begriff
pon
Identifizierbare erinnere. Kunst diene derart dem Telos der "Versöhnung",
und zwar - hier weist sich Adorno als Vertreter der Moderne aus - durch die
281
"unversöhnliche Absage an den Schein von Versöhnung" im Bestehenden.
Ist die Philosophie in ihrer traditionellen Konzeption wesentlich auf
Stringenz verpflichtet, so erblickt Adorno im "Ausdruck" ein wesentliches
ooo
"Moment von Kunst", das "qualitativ dem Begriff konträr" sei. Kunst ist
?R3
für ihn in Umdeutung der Kantischen Bestimmung des Schönen ( a l s eines
?fi4
"ohne Begriff allgemein" Gefallenden) begrifflose Erkenntnis. Der sich
nicht a b b i l d l i c h , sondern "mimetisch" 2R5 verhaltende Ausdruck offenbare die
die nach Ausdruck impliziert, versucht Adorno durch die Kritik der "Residual-
theorie der Wahrheit" zu begründen. Das zentrale Argument enthüllt sich je-
doch als quaternio terminorum, die durch eine doppelte Äquivokation verdeckt
ist. Dieser problematischen Bestimmung der Kategorien der negativen Dialektik
entspricht die behauptete Affinität wahrer Philosophie zur Kunst: Weder kann
Adorno zeigen, wie der Fluchtpunkt einer ästhetisch-philosophischen Einheit
zu denken ist, noch kann er überzeugend begründen, weshalb die Philosophie
im Interesse ihrer Objektivität der Kunst bedarf. Zudem verstrickt er sich
in eine Aporie, die die mangelnde Selbstbesinnung seiner Idee einer "Kriti-
schen Theorie" belegt.
Nach dieser kritischen Darstellung der Kategorien der negativen Dialektik und
ihrer Beziehung zur Kunst muß das Prinzip salbst betrachtet werden. Die nega-
tive Dialektik wolle das erfassen, was außerhalb des Begriffs liege, sie sei
folglich, obwohl (auch) Bewegung des Begriffs,dieselbe transzendierend. We-
sentliches Konstitutionsmoment der negativen Dialektik sei also ihre Selbst-
transzendenz. Reduziere sich Dialektik wie bei Hegel auf die bloße Selbstbe-
wegung des Begriffs und entarte sie auf diese Weise zur bloßen Methode ,
so sei negative Dialektik mehr: nämlich auch eine reale Kategorie. Dialektik
soll einerseits keine bloße Methode sein, d.h. sich nicht nur im Denken ab-
spielen, sondern über es hinausgehen, weil Denken immer Denken von etwas sei;
andererseits soll sie aber keine bloß reale Kategorie sein, da Widersprüch-
lichkeit als Wesenszug von Dialektik eine Reflexionskategorie, also an das
Denken gebunden sei. Paradox formuliert: Adornos Begriff der negativen
Dialektik ist kein Begriff.
Bei einer kritischen Betrachtung d'ieses alternativen Denkmittels ist zwi-
schen seinen beiden Bestandteilen: Negativität und Dialektik zu unterscheiden.
Die Bestimmung Adornos, Dialektik sei keine bloße Methode, bezeichnet .den
Ansatzpunkt für die Herausarbeitung einer prinzipiellen Verlegenheit seiner
Theorie: die fehlende Legitimation der Negativität der negativen D i a l e k t i k ,
303 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 148
304 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 148. Vgl. (11), S. -215. Dialektik ist nach Adorno
48 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
sie nicht Identität von etwas, so ist sie, wie Hegel durchschaute, überhaupt
nicht." 3 1 0
Die Folgerung ist voreilig: Wenn a) Identität immer Identität von etwas ist,
und b) die Identität das ihr Andere liquidiert hat, sie nur noch mit sich
selbst identisch ist, kann man c) nicht schließen, daß sie sich selbst voll-
kommen vernichtet: Sie gibt sich nur als Identität auf und verändert sich
q u a l i t a t i v , aber sie ist dann nicht "überhaupt nicht". Auch dies hat Hegel
durchschaut.
Entsprechendes g i l t für die Argumentation h i n s i c h t l i c h einer Selbstvernich-
tung des abstrakt Allgemeinen: "Das Allgemeine, von welchem das Besondere wie
von einem Folterinstrument zusammengepreßt wird, bis es zersplittert, arbei-
tet gegen sich selbst, weil es seine Substanz hat am Leben des Besonderen;
311
ohne es sinkt es zur abstrakten, getrennten und tilgbaren Form herab."
Diese These ist insofern nicht überzeugend, als durch die Unterdrückung
des Besonderen zwar das Allgemeine gegen sich selbst arbeiten mag, aber nur
gegen sich als Allgemeines. Solcherart sinkt es auch nicht zur "tilgbaren
Form herab", weil es, wenn es den Charakter des Allgemeinen, ebenso den der
Form aufgibt, und dies wiederum - was entscheidend ist - nicht, weil es als
bloße Form nichtig wird, sondern weil es selbst zum Inhalt geworden ist.
Durch die Liquidierung des Besonderen sinkt das Allgemeine nicht zum bloß
Allgemeinen, Nichtigen herab, sondern es wird zum Absoluten, und durch diese
Steigerung verliert es den Charakter des Nur-Allgemeinen. Das Allgemeine be-
darf des Besonderen lediglich, soweit es ein Nur-All gemeines ist und noch
nicht total geworden ist. Dies hat Anwendung auf die Problematik des Begriffs:
Angenommen der Begriff erkennt seinen Verweisungscharakter, weil er nur als
Begreifender sinnvoll gedacht werden kann, so bedeutet das zwar, daß er eines
Nichtbegrifflichen bedarf, aber nicht, daß er dieses als Anderes und von ihm
Verschiedenes achten muß. Der Begriff ist auf das Andere angewiesen, da er
andernfalls leer wäre; aber er ist nicht auf das Andere als Anderes angewie-
sen. Das heißt: Das Andere muß außer den unter dem Begriff subsumierten Ei-
genschaften nicht noch weitere Qualitäten besitzen und erst recht nicht vom
Begriff in diesen anerkannt werden. Bedarf der Begriff als ein Allgemeines
eines Nichtbegrifflichen, so muß dieses nicht als nicht-subsumierbares Be-
sonderes qualifiziert sein. Kann der Begriff vielmehr das Nichtbegriffliche
vollkommen "aufsaugen", so erreicht er seine Vollendung, weil er in diesem
Falle angemessen ist. Aus dem Verweisungscharakter des Begriffs folgt ledig-
lich, daß das Verwiesene nichtbegrifflich sein muß. Die Selbsterkenntnis des
Begriffs als eines notwendig Verweisenden impliziert also nicht, daß er auf
sein Anderes führt, " ( . . . ) ohne es aufzusaugen" , insofern dies heißen
soll, daß das Andere als ein Besonderes in seinen nicht-subsumierbaren Eigen-
schaften berücksichtigt wird. Der Versuch, das Nichtidentische indirekt mit-
tels einer Analyse des Begriffscharakters zu legitimieren, scheitert also an
der fehlenden Unterscheidung zwischen Nichtbegrifflichem und Besonderem
Nichtbegriffl icheai.
Die Ursache für diesen Fehler ist vermutlich in einer sprachlichen Ungenau-
igkeit zu sehen. Der Begriff fordert ein Nichtbegriffliches (maior), der Be-
griff ist das Allgemeine (minor), also fordert das Allgemeine das Nicht-All-
gemeine, d.h. das Besondere (conclusio). Der Irrtum liegt im minor: Der Be-
griff ist nicht das Allgemeine - dies wäre eine unzulässige Verdinglichung -,
sondern er ist allgemein. Der Träger einer Eigenschaft ist nicht mit der Ei-
genschaft selbst zu verwechseln.
Ähnliches g i l t für folgende These: "Das Verwiesensein von Identität auf
Nichtidentisches (...) ist der Einspruch gegen alle Identitätsphilosophie."
"Identität" steht hier für Allgemeinbegriff, "Nichtidentisches" für Nichtbe-
griffliches. Solange man streng bei diesen Deutungen bleibt, ist gegen die
These nichts einzuwenden - nur: Sie erreicht ihr Beweisziel nicht. Unter der
Hand jedoch wird der ursprünglich rein negativ konzipierte Begriff des Nicht-
identischen qua Nichtidentifizierbaren (Besonderen) umgedeutet. Nur durch
diese Begriffsverschiebung kann es zu einem "Einspruch gegen a l l e Identitäts-
philosophie" kommen. Zufolge der ersten Bedeutung des Nichtidentischen be-
darf der Begriff eines mit ihm Nicht-Identischen. Das heißt aber nicht, daß
das Nichtidentische in dieser Bedeutung noch andere Merkmale besitzen muß
außer dem, nichtbegrifflich (nicht-identisch = nicht mit dem Begriff iden-
tisch) zu sein. Hieraus folgt jedoch kein Argument gegen die Identitäts-
312 Adorno ( 7 ) , S. 159
313 Adorno ( 7 ) , S. 126 f
Das Problem der Negativität 51
4. Adornos Schwierigkeiten spitzen sich damit auf ein Paradoxon zu: Ur-
sprünglich sollte das Recht des Besonderen und Individuellen begründet wer-
den. Nun aber zeigt sich, daß in Adornos Argumentation der Begriff, das A l l -
gemeine, legitimiert ist und deshalb auch das Nichtbegriffliche, Besondere,
Individualität ist also bei Adorno - wenn überhaupt - nur als Mittel des
Allgemeinen gerechtfertigt. Dies verweist auf die Legitimationsfrage seiner
Philosophie: Wie begründet sie - will sie nicht in einen irrationalen Intui-
tionismus münden - die Forderung, das Nichtidentische gelten zu lassen?
Dieses Sollen, diese verlangte Umkehr der Richtung des Begriffs (und ana-
log des gesellschaftlichen Abstrakt-Allgemeinen) läßt sich nicht aus der
bloßen Erkenntnis der Unterdrückung des Metalogischen ableiten, so wie aus
einem Scheitern der Identitätsphilosophie nicht folgt, daß sie nicht sein
soll. Der Versuch, die Dimension des Seins zu der des Sollens zu erhöhen,
der zudem das Individuelle mediatisiert, ist die Kehrseite dessen, daß für
Adorno a l l e moralischen Bestimmungen (der idealistischen Ethik) aus der
" ( . . . ) Materie herausgepreßt" 316 sind.
5. Die Ursache für diesen Fehler ist in der Auflösung von Geltung in Gene-
sis, des quid iuris in das quid facti zu suchen. Und dieser Reduktion (derzu-
folge Bewußtsein auf "abgezweigte Triebenergie 1 317 zurückgeführt wird) liegt
eine schon im Ansatz verfehlte Subjektstheorie zugrunde, die Sich als Empiri-
sierung und Naturalisierung des gesamten Subjekts, als Negation transzenden-
tal begründeter überempirischer Subjektivität umreißen läßt. Die Objektivie-
rung des Subjekts ("Präponderanz des Objekts") involviert den naturalisti-
sehen Fehlschluß 318 , aus der bloßen Tatsache des Nichtidentischen und Indi-
viduellen bzw. ihrer abstrakten Negation die Forderung ihrer Berücksichti-
gung bzw. einer Umkehr der Begriffsrichtung "abzuleiten". Individualität ist
im Rahmen der Philosophie Adornos nicht begründbar, weil ihre Fundierung in
einer angemessenen Subjektstheorie fehlt. Damit wird zugleich der Sollensan-
spruch h i n f ä l l i g : Die Forderung nach Negativität der als alternatives Denk-
mittel vorgeschlagenen negativen Dialektik fällt in eich zusammen.
6. Dies hat Konsequenzen für die Begründungsstruktur der Adornoschen Theo-
rie: Die Legitimationsproblematik impliziert eine petitio
Adorno w i l l die Individualität retten, aber - und das ist bezeichnend für die
•51Q
von ihm geforderte "reductio hominis" - nicht nur die der Menschen,sondern
auch die der Dinge. So spricht er an einigen Stellen nicht nur jenen, sondern
auch diesen I n d i v i d u a l i t ä t zu320 - ganz im Gegensatz zur gewöhnlichen Auffas-
sung, für die das Ding nur ein Besonderes, jedoch kein Individuelles ist: Dem
entspricht aufs genaueste Adornos Forderung nach einer "Liebe zu den Din-
gen» 321 .
Entscheidend ist allerdings seine Begründung: Eine Mediatisierung der Dinge
sei deshalb abzulehnen, weil eine solche "(...) Humanität abtragen half." 3??
Die Ausweitung des Begriffs der Liebe kann nur unter der Voraussetzung einer
prinzipiellen Wesensgleichheit von Mensch und Natur überzeugen. Eine solche
nimmt Adorno in der Tat an: Der Mensch sei wesentlich Natur, ihr Verhältnis
opo
zueinander sei das der "Affinität" . Das Geistige und die Vernunft seien
lediglich "modifiziert leibhafter Impuls" . Derart ist für Adorno eine Un-
terdrückung der nicht-menschlichen Natur der der menschlichen äquivalent und
hängt mit dieser eng zusammen.
Die Verstrickung dieser Konzeption wird evident: Die Forderung, auch den
Dingen ihre Besonderheit oder gar Individualität zu belassen, sie nicht mit
dem Begriff zu identifizieren (sie nicht nur nach dem abstrakten Tauschwert
zu bemessen), legitimiert sich (- f a l l s überhaupt -) letztlich aus dem Wert
der Menschlichen Individualität und der Affinität zwischen Natur und Mensch.
Die menschliche Individualität aber kann Adorno aufgrund der naturalistischen
Deutung des Menschen, der behaupteten fatalen, weil ursprünglich totalen Affi-
nität nicht begründen. Das jedoch bedeutet - und hier schließt sich die peti-
tio principii -, daß der Wert der dinglichen Besonderheit schon vorausgesetzt
ist. Als Grund müßte sich das menschliche Subjekt in spezifischer Weise von
den Dingen unterscheiden, denn Begründendes und Begründetes dürfen nicht zu-
3?5
sammenfallen. Die Identifizierung des Menschen mit der Natur läßt jedoch
kein Begründungsverhältnis aufkommen. Der Zielpunkt einer grundsätzlichen
Kritik an Adorno kristallisiert sich damit heraus: der Mangel einer überzeu-
genden Subjektstheorie.
Als Ergebnis der Überlegungen zur Negativität der negativen Dialektik ist
festzuhalten: Die Schwierigkeiten Adornos, die Negativität des alternativen
Denkmittels zu legitimieren, kulminieren ungeachtet mehrerer argumentativ
nicht gedeckter Schritte in dem Paradoxon, Besonderheit und Individualität
mediatisieren zu müssen. Dies Paradoxon kristallisiert sich in einer zirkulä-
ren Begründungsstruktur aus. Von hierher rückt abermals die Philosophie Kants
als des Begründers eines transzendentalen, empirisch nicht faßbaren Subjekts-
begriffs in das Zentrum des systematischen Interesses.
Bevor das Verhältnis von Kritischer Theorie und Kritizismus erläutert werden
kann, ist die zweite Komponente der negativen Dialektik zu prüfen: ihr dia-
lektischer Charakter. Dabei ist zu unterscheiden zwischen 1. Adornos Dialek-
tikverstandnis, 2. seiner Begründung des dialektischen Wesens der alternati-
ven Denkweise und 3. ihrer Konsequenz.
1. Der Dialektikkonzeption sowohl Hegels als auch Adornos ist der Charakter
des Widerspruchs, d . h . die Oberwindung des formallogischen Satzes vom ausge-
schlossenen Widerspruch, gemeinsam. Ist für Aristoteles das Widerspruchs-
prinzip (- "daß dasselbe demselben nicht zugleich und in derselben Hinsicht
[...] zukommen und nicht zukommen kann" -) das "sicherste unter allen Prin-
OOC
zipien" und ist es noch für Kant "ein allgemeines, obzwar negatives Kri-
terium aller Wahrheit" 327 , so erblickt Hegel hingegen im Widerspruch "die
•39Q
rein formale Erscheinung des Absoluten" : "Er ist ( . . . ) nicht bloß als ei-
ne Abnormität zu nehmen, die nur hier und da vorkäme, sondern ist das Nega-
tive in seiner wesenhaften Bestimmung, das P r i n z i p aller Selbstbewegung, die
in nichts weiter besteht als in einer Darstellung desselben." 329 Dialektik
hat sich nach Hegel zwar an das principium contradictionis zu halten, darf
es aber nicht verabsolutieren. Vielmehr muß sie es in der dialektischen Bewe-
gung der bestimmten Negation positiv aufheben. Der Widerspruch ist für
Hegel die "Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit" , so daß er ihn nicht
bloß wie Aristoteles und Kant logisch-kontradiktorisch, sondern auch real-
326 Aristoteles ( 1 6 ) , IV, 3. 1005 b 19 f. Vgl. ( 1 6 ) , IV, 6. 1011
b 13 f
327 Kant ( 1 4 7 ) , B 190
328 Hegel ( 9 5 ) , S. 41
329 Hegel (103), Bd. II, S. 76
330 Hegel (103), Bd. I, S. 35 - 56
331 Hegel (103), Bd. II, S. 75
Das Problem der Dialektik 55
332
konträr faßt. Die Grenze zwischen Widersprüchen einerseits und Gegensät-
zen, Antagonismen etc. andererseits wird damit verwischt.
Die Begriffskonfusion setzt sich vielfach im dialektischen Materialismus
fort. So etwa wenn Marx "Gegensatz" und "Widerspruch" entweder vollkommen syn-
onym verwendet oder diesen als einen "gesteigerte(n)" Gegensatz ver-
335
steht und derart "Widersprüche" der kapitalistischen Produktionsweise dia-
gnostiziert. Entsprechend g i l t als Methode zur Oberwindung von Widersprüchen
nicht nur die logische Analyse, sondern auch die gesellschaftliche System-
veränderung.
Engeis geht dann in seinem 'Antidühring' so weit, den Gegensatz oder Wider-
streit, d.h. "den dialektischen Widerspruch ausdrücklich als logische Kontra-
diktion" zu formulieren.
Nietzsche schließlich bringt einen neuen Aspekt in die Problematik ein. Er
sieht in der Logik kein "Kriterium der Wahrheit", sondern lediglich ein Mit-
tel "zum Zurechtmachen der Welt zu Nützlichkeits-Zwecken (also, ' p r i n z i p i e l l ' ,
zu einer nützlichen Fälschung}" 337 . Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch
wird demnach als "imperativ über das, was als wahr gelten soll", dechiffriert
und als ein Herrschaftsmittel bestimmt, als ein "Mittel zur Setzung und Zu-
• 330
rechtmachung einer Welt, die uns wahr heißen aoil."
Das Dialektikverständnis Adornos nun, der die Undefinierbarkeit seiner Dia-
lektik geradezu zu ihrem definiens erhebt 339 , versammelt die oben bezeichne-
ten Motive. Wie Hegel will Adorno die "Gültigkeit der formalen Logik" nicht
einfach bestreiten oder schlicht " ( . . . ) den Satz vom Widerspruch ausstrei-
chen." Allerdings sei das principium contradictionis nicht zu verabsolu-
tieren. Gleich Marx nimmt er eine "Widersprüchlichkeit" 342 der objektiven
Verhältnisse an und betrachtet - hierin ähnlich Engels - den logischen Wi-
332 Vgl. zur Kritik der Hegeischen Fassung des Widerspruchs Patzig (216) ,
S. 1698.
333 Marx (188), Bd. I, S. 128
334 Marx (188), Bd. I, S. 152. Vgl. auch z.B. (190), S. 533
333 Marx (188), Bd. I, S. 526
336 Simon-Schäfer (266), S. 75
337 Nietzsche (201), S. 726
338 Nietzsche (201), S. 537 f
339 Adorno ( 1 2 ) , S. 288
340 Adorno ( 7 ) , S. 50
341 Adorno (14), S. 309
342 Adorno ( 1 2 ) , S. 297
56 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
1. Das Zentrum der theoretischen Bemühungen Adornos bildet das Problem des
"Nichtidentischen", das sich unter dem Aspekt des Verhältnisses von Allge-
meinem und Besonderem auf seinen abstraktesten Ausdruck bringen läßt. Der
Hauptangriffspunkt liegt dabei in der Vorherrschaft des allgemeinbegriffli-
ehen Denkens, da dieses mittels des Identitätsprinzips das Individuelle eli-
miniere. Der Grund dafür ist jedoch nicht - wie Adorno darzulegen sucht -
logisch-systematischer (doppelter Begriff des Identifizierens), sondern psy-
chologisch-geschichtstheoretischer Natur.
2. Die Geschichtsphilosophie will mittels des Gedankens einer "Dialektik
der Aufklärung" Fortschritt als Regression, Geschichte als Naturgeschichte
dechiffrieren. Dies scheitert jedoch sowohl an formalen (fehlendes Kriterium
für Rationalität bzw. Irrationalität; Aufstellen einer abstrakten Alternati-
ve) als auch inhaltlichen (zwei Fortschritts- und Naturbegriffe) Mängeln.
Näher begreift Adorno die Geschichte unter der Kategorie der entweder mime-
tisch oder Usurpatori seh gedeuteten Selbsterhaltung. Das Herrschaftsmittel
der usurpatorischen Form der Selbsterhaltung sei das begriffliche Denken,
das das Nichtidentische gleichmache. Die vom systematischen Aspekt her for-
mulierte Frage jedoch nach dem Grund der psychologischen Nötigung einer be-
grifflichen Eliminierung des Nichtidentischen bleibt im wesentlichen unbeant-
wortet, weil lediglich auf das abstrakte Erklärungsprinzip einer "radikal
gewordenen, mythischen Angst" verwiesen wird. Zugleich wirft die Geschichts-
philosophie das neue Problem der zugrundeliegenden subjektstheoretischen
Konzeption auf. Von hierher rückt die Philosophie Kants in das Zentrum des
systematischen Interesses.
3. Adornos Versuch, den (der Möglichkeit einer philosophischen Argumenta-
tion sich entziehenden) Zustand der "Versöhnung" zu erreichen, läßt ihn das
Prinzip der negativen Dialektik entwickeln. Als Ausdruck der geforderten
Selbstbesinnung sei diese die einzig legitime Denkweise. Sie differiert von
der positiven D i a l e k t i k Hegels hinsichtlich a) der Intention von Philosophie,
b) der Deutung des Wesens des Begriffs, c) der Stellung zum Systemgedanken.
Adornos Kritik der spekulativen Dialektik ist dabei mehrfach fragwürdig.
Positiv konkretisiert Adorno die negative Dialektik als Einheit der diver-
62 Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem
gierenden Kategorien von Ausdruck und Stringenz, Mimesis und Begriff mittels
der Idee der Konstellation. Dieser jedoch fehlt nicht nur ein Auswahlprinzip,
sondern es bleibt auch offen, wie die Einheit der verschiedenen Momente zu
denken ist. Die Begründung, weshalb die Forderung nach Stringenz die nach
Ausdruck impliziert, scheitert in der K r i t i k der "Residualtheorie der Wahr-
heit" an einer quaternio terminorum. Dieser problematischen Bestimmung der
Kategorien der negativen Dialektik entspricht die Fragwürdigkeit der behaup-
teten Affinität wahrer Philosophie zur Kunst. Dabei offenbart sich die man-
gelnde Selbstbesinnung der Adornoschen Idee einer "Kritischen Theorie".
Die Überprüfung des Prinzips der negativen Dialektik selbst anhand ihrer
beiden Komponenten zeigt zweierlei: Die Forderung nach Negativität f ä l l t in
sich zusammen, weil Individualität im Rahmen der Philosophie Adornos nicht
zu begründen ist, sogar mediatisiert wird. Es drängt sich die Vermutung a u f ,
daß die Ursache in einer schon im Ansatz verfehlten Subjektstheorie zu suchen
ist. Der Versuch, Individualität mittels der Konstruktion eines Widerspruchs
des Abstrakt-Allgemeinen zu legitimieren, scheitert an mehreren Mängeln.
Die These eines notwendig dialektischen Charakters der alternativen Denk-
weise ist h i n s i c h t l i c h des zugrundeliegenden Dialektikverständnisses, der
Begründung und der Konsequenz problematisch. Die negative Dialektik endet
entweder aporetisch oder mystizistisch. Derart scheitert der Versuch, das
Eschaton der "Versöhnung" an Rationalität als Bedingung zu binden.
Damit führen sowohl die geschichtsphilosophische Problematik als auch die
Schwierigkeiten der Negativität der negativen Dialektik, der Begründungsdimen-
sion der Philosophie Adornos, auf die frage nach dem Subjekt. Von hierher wird
die Philosophie Kants, des Vertreters eines transzendental begründeten, em-
pirisch nicht faßbaren Subjektsbegriffs, systematisch zentral. Mit der Philo-
sophie Kants wird zugleich Adornos Kritik derselben thematisch. Das Verhält-
nis von Kritischer Theorie und Kritizismus Wird relevant.
Die Notwendigkeit, die Beziehung zwischen Kant und Adorno zu betrachten,
folgt jedoch nicht nur aus der Problematik von Besonderem und Allgemeinem,
sondern ebenso aus dem Anspruch Adornos, die Philosophie Kants und Hegels
1*1
in seiner Version einer Kritischen Theorie zu vermitteln. Entgegen dem
orthodoxen Marxismus, der nach Marxens Wort in Hegel "unbedingt das letzte
Wort aller Philosophie" 3 erblickt, bemüht sich Adorno (wie Max Horkhei-
374 Vgl. Holl (116), S. 89; Puder (219), S. 7; Figal (67), bes. S. 107 u.
109 f; Düver ( 5 2 ) , S. 64; Adorno (1), S. 528
375 Marx (187), S. 561 (Brief an Lassalle vom 31.5.1858)
Zusammenfassung 63
Die folgende Rekonstruktion und Revision der Kritik Adornos an der Kantischen
Erkenntnistheorie versteht sich nicht in erster Linie als Beitrag zur Kant-
Forschung, sondern als Kritik der Philosophie Adornos. Allerdings muß auch
auf Schwierigkeiten der Kantischen Epistemologie aufmerksam gemacht werden.
Gemäß seiner Konzeption der abendländischen Geschichte als einer der Unter-
drückung deutet Adorno die Erkenntnistheorie Kants ebenso wie seine Ethik als
Ausdruck von Herrschaft. Dies zeige sich darin, " ( . . . ) daß sie eigentlich nur
am Machtbereich wissenschaftlicher Sätze sich interessiert. Die Einschränkung
der Kantischen Fragestellung auf die organisierte naturwissenschaftliche Er-
fahrung, die Orientierung an der Gültigkeit und der erkenntnistheoretische
Subjektivismus sind derart ineinander, daß das eine ohne das andere nicht
sein könnte. Solange die subjektive Rückfrage die Probe auf Gültigkeit sein
soll, solange sind nicht wissenschaftlich sanktionierte, nämlich nicht-not-
wendige und nicht-allgemeine Erkenntnisse minderwertig ( . . . ) . Innnerhalb des
identifizierenden Ansatzes läßt sich nicht ergänzend nachholen, was jener
dem eigenen Wesen nach eliminiert; a l l e n f a l l s der Ansatz ist aus der Erkennt-
nis seiner Unzulänglichkeit heraus zu entwickeln." Diese "Unzulänglichkeit"
bestehe darin, daß Kant "der lebendigen Erfahrung" nicht "gerecht" werde.
Index der "Falschheit" des Kantischen Ansatzes sei "(...) das Unvermögen,
zu leisten, was er sich vorsetzt, nämlich Erfahrung zu begründen" .
Adornos These, Kant habe die subjektiven Momente und Erkenntnisse aus sei-
ner Theorie "eliminiert", braucht hier nicht erörtert zu werden - sie wider-
spricht 2 den Lehren von den Wahrnehmungsurteilen 3 und der subjektiven Ein-
4
heit . Gleiches g i l t für den Vorwurf, Kants Theorie sei der "lebendigen Er-
1 Adorno ( 7 ) , S. 380
2 Allerdings ist die Integration der Theorie der Wahrnehmungsurteile,wie sie
in den 'Prolegomena1 entworfen ist, in das Ergebnis der transzendentalen
Deduktion problematisch: Nach den 'Prolegomena 1 sind Wahrnehmungsurteile
bloß subjektiv gültige Urteile, die "keines reinen Verstandesbegriffs"
[Kant (151), S. 298] bedürfen. Dies aber widerspricht dem Resultat der
transzendentalen Deduktion, nach dem " ( . . . ) alle Synthesis, wodurch selbst
Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien" [Kant ( 1 4 7 ) , B 161] steht.
Vgl. auch Zocher ( 2 9 1 ) , S. 52 f
3 Vgl. Kant ( 1 5 1 ) , S. 297 - 301
4 Vgl. Kant (147) , B 139 f
66 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants
tik dem Idealismus " ( . . . ) seine 'eigene Melodie 1 vorzuspielen." Damit setzt
er einen Maßstab, an dem er gemessen werden w i l l .
Im folgenden ist 1. der Interpretationsansatz Adornos herauszuarbeiten,
2. seine K r i t i k der Kantischen Fragestellung zu überprüfen, 3. die unmittel-
baren Folgen seines Interpretationsansatzes und 4. das Scheitern seiner Dua-
lismuskritik nachzuweisen. Im Anschluß soll 5. auf seine Interpretation der
Transzendentalen Dialektik eingegangen und 6. die entscheidende Bedeutung
der subjektstheoretischen Frage skizziert werden.
5 Kant (147), A IX
6 Kant (151), S. 304
7 Dilthey ( 5 0 ) , S. 171. Vgl. auch Adornos Klage darüber, daß die bisherigen
Erkenntnistheorien "der lebendig vollzogenen Erkenntnis ( . . . ) vielfach un-
angemessen (blieben)" [Adorno ( 1 2 ) , S. 454].
8 Adorno ( 7 ) , S. 183
3.1 Der ontologische Interpretationsansatz Adornos
logie" 20 gleich und redet von einer "Verlegung der Ontologie, der Ordnung des
Seins in die Innerlichkeit" 21 . Das ehemals metaphysisch Transzendente werde
durch die transzendentalen Bedingungen möglicher Erfahrung ersetzt. 22 Die
Kantische Erkenntnistheorie sei metaphysisch, weil sie eine "Wendung ( z ) u m
Subjekt als dem Seinsgrund" darstelle. Damit stehe Kant in der Tradition der
Neuzeit, die die "metaphysische Priorität an das Subjekt zediert hat" 23 . Zwar
erkennt Adorno, daß "Kants Kritik" eine solche "der alten Ontologie" ist,
pr
1
mißversteht sie aber als eine neue, nämlich eine "Bewußtseinsontoiogie .
p/-
Nur konsequent ist es, wenn er in Kant einen Vorläufer Heideggers erblickt.
Dies kommt zwar durchaus der Auffassung Heideggers nahe - insbesondere sei-
ner Kantdeutung in 'Kant und das Problem der Metaphysik' 27 -, schwerlich aber
der Kants, der V i e l m e h r als Überwinder der ontologischen Fragestellung ZU
00
gelten hat . Während nach Heidegger in der ' K r i t i k der reinen Vernunft 1 als
einer (abgebrochenen) Fundamentalontologie die Explikation von Metaphysik
stattfindet, w i l l Kant allererst den Grund von Metaphysik (und nicht bloß der
modernen Naturwissenschaften) legen.
Op
Kant setzt zwar die Transzendentalphilosophie mit der "ontologia gleich,
was für die Auffassung Adornos zu sprechen scheint, jedoch muß diese Äußerung
tätsbegriffs: vgl. Adorno ( 1 4 ) , S. 95. Vgl. zu Adornos Husserl-Kritik
Eley ( 5 6 ) .
20 Adorno ( 1 3 ) , S. 154. Vgl. ( 1 3 ) , S. 194, 197, 199
21 Adorno ( 1 3 ) , S. 202
22 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 153 f, 156
23 Adorno ( 1 3 ) , S. 159. Vgl. ( 1 0 ) , S. 75
24 Adorno ( 9 ) , S. 114 (Hervorhebung, B.)
25 Adorno ( 9 ) , S. 117 (Hervorhebung, B.)
26 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 199 f; ( 1 4 ) , S. 278. Andererseits erkennt Adorno, daß
die "Kritik des Kritizismus" im Sinne der Ontologie des 20. Jahrhunderts
"vorkritisch"[Adorno ( 7 ) , S. 70] ist. Dies hindert ihn aber nicht, die Le-
gitimität des ontologischen Bedürfnisses gegenüber der Kantischen Erkennt-
niskritik zu erklären [vgl. Adorno ( 7 ) , S. 80 f ] . Zur Problematik dieser
These vgl. Düver ( 5 2 ) , S. 81.
27 Vgl. Heidegger ( 1 0 4 ) . Zu Heidegger vgl. Cassirer (38)
28 "Heideggers Fundamental-Ontologie, die in der Auffassung der Sorge als
"Sein des Daseins' gründet, und die in der 'Grundbefindlichkeit der Angst'
eine 'ausgezeichnete Erschlossenheit des Daseins' sieht, mußte alle Be-
griffe Kants, so sehr sie auch ihrem rein logischen Sinn gerecht zu wer-
den suchte, von Anfang an in eine veränderte geistige Atmosphäre verset-
zen und sie gewissermaßen einhüllen." [Cassirer ( 3 8 ) , S. 23]
29 Vgl. Heidegger (104), S. 13
30 Vgl. Heidegger ( 1 0 4 ) , S. 19 - 26
31 Ist Heideggers Philosophie eine Grundlegung als Explikation eines voronto-
logischen Seinsverständnisses, so will Kant dön Grund der Grundlegung le-
gen: Bei Heidegger wird der Grund nicht gelegt, sondern vorausgesetzt. Me-
taphysik ist nach Kant zwar eine "Naturanlage" [Kant ( 1 4 7 ) , B 22], Heideg-
ger jedoch deutet dies um: Für Kant ist nur das Fragen, für Heidegger aber
Der ontologische Interpretationsansatz 69
im Zusammenhang mit dem Kantischen Ontologiebegriff gesehen werden. Diesem
Begriff zufolge muß " ( . . . ) der stolze Name einer (vorkritischen, B.) Ontolo-
gie, welche sich anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a
priori in einer systematischen Doktrin zu geben ( z . E . den Grundsatz der Kau-
salität), ( . . . ) dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstan-
des, Platz machen" 33 .
Ein zweiter möglicher Einwand ist schwerwiegender: Kant überwindet zwar
die ontologische Betrachtungsweise, jedoch ist diese schöpferische Leistung
nicht von ontologischen Relikten frei. Diese teilweise nicht scharf genug
gezogene Trennungslinie zwischen der transzendentalphilosophischen und der
ontologischen (d.h., insbesondere für die ' K r i t i k der reinen Vernunft', der
anthropologischen) Fragestellung macht die besondere Schwierigkeit der Kan-
tischen Erkenntnistheorie aus. Sie kündigt sich schon eingangs an, wenn Kant
etwa von der "Natur der Vernunft" spricht. Dennoch rechtfertigt es das sy-
stematische Interesse an einer konsistenten Theorie, das Kantische Werk von
den ontologischen Relikten weitgehend zu reinigen. Allerdings ist derart der
Anspruch aufzugeben, "(...) den 'ganzen Kant 1 zu vergegenwärtigen" 36 .
das Wissen eine Naturanlage [vgl. Heidegger ( 1 0 4 ) , S. 197], d.h. ein vor-
ontologisches Wissen, das in der Philosophie bloß entfaltet werden müßte.
Indem Heidegger die erkenntniskritische Dimension Kants ausblendet, über-
sieht er, daß Kant allererst die Berechtigung des bei ihm als legitim vor-
ausgesetzten Fragens erfragt.
32 Kant (147), B 873
33 Kant ( 1 4 7 ) , B 303
34 Vgl. Zocher (291), S. 147; Natorp (199), S. 193 f
35 Kant (147), A VII. Vgl. zur Problematik: Ritzel ( 2 2 8 ) , S. 144, 159
36 Ritzel (229), S. 392
3.2 Die Kantische Fragestellung
Kant läßt die "eigentliche Aufgabe der reinen Vernunft" in der Frage kulmi-
nieren: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich ?" Gegen diese
Fragestellung wendet Adorno zweierlei ein:
1. Der Begriff des synthetischen Urteils a priori sei h i n f ä l l i g , denn -
wie es in der 'Vorlesung zur Einleitung in die Erkenntnistheorie 1 heißt -
es sei " ( . . . ) nicht schwer, und die Wissenschaftstheoretiker haben sich da-
mit gütlich getan, nachzuweisen, daß es solche theoretischen Urteile a
oo
priori eigentlich nicht gebe." Indessen ist nicht nur die Berufung auf
die nicht näher genannten Wissenschaftstheoretiker problematisch - hat doch
W. Stegmüller nachgewiesen, "(...) daß die moderne Logik nicht imstande ist,
die These zu stützen, daß es keine synthetischen Urteile a priori geben
könne" 39 .
Zudem fehlt der Nachweis in der genannten Schrift. Dennoch aber läßt sich
vermuten, was Adorno mit der bezeichneten Schwierigkeit meint: In einer Stu-
die zu Hegel macht er folgendes gegen die Idee des synthetischen Urteils a
priori geltend: "Die synthetischen Urteile a priori sind aber von einem tie-
fen Widerspruch durchfurcht. Wären sie im strengen Kantischen Sinne a prio-
ri, dann hätten sie keinerlei Inhalt, wären Form in der Tat, rein logische
Sätze, Tautologien, in denen Erkenntnis sich selbst nichts Neues, nichts an-
deres hinzufügte. Sind sie jedoch synthetisch, also im Ernst Erkenntnisse,
nicht bloße Selbstverdoppelungen des Subjekts, dann bedürfen sie jener In-
halte, die Kant als z u f ä l l i g und bloß empirisch aus ihrer Sphäre verbannen
wollte." 40
Die Argumentation beruht auf einem doppelten Mißverständnis:
a) Das synthetische Urteil a priori ist synthetisch, weil es über das Ur-
teilssubjekt etwas aussagt, was nicht in seinem Begriff analytisch beschlos-
sen liegt. Das neu Hinzukommende sind die in den synthetischen Urteilen
a priori formulierten Bedingungen möglicher Erfahrung. Adorno jedoch bezieht
37 Kant ( 1 4 7 ) , B 19, 73
38 Adorno (13) , S. 175
39 Stegmüller ( 2 7 2 ) , S. 561, 538 £. 562 f
40 Adorno (14) , S. 306
Die Kantische Fragestellung 71
die Synthetizität nicht auf das Urteilssubjekt, sondern auf das Erkenntnis-
subjekt, das urteilende Subjekt: Die synthetischen Urteile a priori seien
Tautologien, weil das Erkenntnissubjekt in ihnen unabhängig von Erfahrung
nicht Neues erkenne. Das Mißverständnis wird dadurch verdeckt, daß Adorno
einfach vom Subjekt spricht.
b) Das synthetische Urteil a priori ist a priori, weil es im Gegensatz zum
synthetischen Urteil a posteriori auf dem Prinzip der von der empirischen
Anschauung zu unterscheidenden reinen Anschauung beruht. Gerade dieses
Prinzip ermöglicht reine Mathematik und Naturwissenschaft. Nur indem Adorno
dieses zentrale Theorem ausklammert, kann er Apriorität und Tautologizität
ineinssetzen.
2. Zum zweiten moniert Adorno an der Kantischen Zentralfrage, die ihm ein-
gestandenermaßen "große Schwierigkeiten" bereitet,"(...) daß die Erkenntnis-
theorie, die sich ja ihrerseits die Begründung der Wissenschaft zur Aufgabe
setzt, (...) die Gültigkeit dieser Wissenschaften eigentlich voraussetzt." 42
Die Fragestellung zeige, a) daß Kant überhaupt nicht die Möglichkeit des
theoretischen Urteils a priori thematisiert habe, sondern daß er "von der
Annahme der objektiven Geltung von Wissenschaften" ausgegangen sei, b) daß
die Begründung gegenständlicher Erkenntnis eben diese Gegenständlichkeit vor-
aussetze. Diese weitergehende Folgerung kehrt dann in der gegen Kant ge-
richteten These Adornos eines gleichwertig reziproken Bedingungsverhältnis-
ses von constituens und constitutum wieder. 45
ad a) Mit dem ersten Punkt nimmt Adorno eine schon von Salomon Maimon in
seinen 'Streifereien im Gebiete der Philosophie' formulierte Kritik auf,
die seitdem ständig in der Kantliteratur anzutreffen ist. In dreifacher
Hinsicht trifft diese Kritik zu: aa) Die Kantische Fragestellung ist zwei-
felsohne ungenau, bb) Kant nimmt in der Tat synthetische Urteile a priori
in der reinen Mathematik, der reinen Geometrie und der "allgemeinen Natur-
Wissenschaft" 4ft an. cc) Kant geht in den 'Prolegomena 1 vom Faktum syntheti-
scher Urteile a priori aus.
41 Vgl. Kant (147), B 146 f
42 Adorno (13), S. 187
43 Adorno ( 1 3 ) , S. 187. Vgl. ( 1 0 ) , S. 89; ( 1 3 ) , S. 194
44 Vgl. Adorno (13), S. 187 f
45 Vgl. Adorno (13), S. 273 f
46 Vgl. Maimon (179), S. 73
47 Vgl. z.B. Kroner (163), S. 73 f
48 Vgl. Kant (147), B 4 f., 40 f . , 128
49 Vgl. Kant (151), S. 276
72 Adornos Kritik der Erkenntnistheorie Kants
50 Vgl. Ebbinghaus (54) und Wagner (283). Vgl. dazu auch die kritische Ar-
beit von Hossenfeider (125)
51 Vgl. Kant (151), S. 263, 274 f., 276 Anm. Zum Verhältnis von analytischer
und synthetischer Methode vgl. Martin (186), S. 249 - 254.
52 Kant (151), S. 261
3.3 Unmittelbare Folgen des ontologischen Interpretationsansatzes
(Problem des Dinges an sich und der Affektion)
Tatsache, daß Kant in der 'Kritik der reinen Vernunft 1 oftmals vom Ding an
sich redet, das mein Gemüt (kausal) affiziert. Obereilt jedoch wäre es, des-
halb auf eine mangelnde Konsistenz der Kantischen Theorie zu schließen.
Den Begriff des Dinges an sich bezeichnet Kant als "problematisch", als
einen bloßen " ( . . . ) Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzu-
schränken, und also nur von negativem Gebrauche. Er ist aber gleichwohl nicht
w i l l k ü r l i c h erdichtet, sondern hängt mit der Einschränkung der Sinnlichkeit
zusammen, ohne jedoch etwas Positives außer dem Umfange derselben setzen zu
können." 6 1 Nach A 251 f Anm. und B 306 ist die Notwendigkeit einer Rede vom
Ding an sich begriffslogischer Art: Die Diskursivität unseres Verstandes,
seine Bindung an das Reflexionsgesetz des Bestimmens von etwas durch Entge-
gensetzung, fordert, daß wir zu dem Begriff der Erscheinung den Begriff des
Dinges an sich bilden. Eine naturalistisch ontologische Deutung des Dinges
ß?
an sich verfehlt also den Ansatz der Kantischen Lehre.
3. Ähnliches g i l t für Adornos K r i t i k des Affektionsproblems , der vorgeblich
"naturalistische(n) Annahme einer wirkenden Kausalität der transzendenten
Dinge an sich auf das Bewußtsein" .
Den Begriff einer "Affektion" hätte Kant genauer und streng transzendental-
idealistischer durch den einer "Modifikation unserer Sinnlichkeit" ersetzt:
Dies ist nach Kant " ( . . . ) die einzige Art, wie uns Gegenstände gegeben wer-
den"64. Daß auf eine so verstandene "Affektion" aufgrund der Ausblendung des
transzendenten Bereiches die Kausalitätskategorie nicht angewendet werden
kann, ist evident und spricht gegen Adorno.
Die Begriffe Ding an sich und Affektion sind Unwissenheitsausdrücke im
Kantischen System. Sie bezeichnen die Schwierigkeit Kants, sich einer alten
(ontologischen) und anschaulichen Terminologie bedienen zu müssen, um den
neuen (transzendentalphilosophischen) und unanschaulichen Gedanken ausdrük-
ken zu können. Dies berechtigt aber nicht, terminologische Mängel zu iso-
lieren und zu verabsolutieren, um dann die Erkenntnistheorie Kants auf das
Denkmodell einer realistischen Ontologie zu verpflichten.
auf dem Boden der Kantischen Erkenntnistheorie steht. Zur Entwicklung des
Denkens von Kant bis Fichte vgl. Baumanns ( 2 2 ) , S. 15 - 98.
61 Kant ( 1 4 7 ) , B 310 f. Deshalb kann das Ding an sich " ( . . . ) weder als Größe,
noch als Realität, noch als Substanz etc.gedacht werden"[Kant (147) B 344].
62 So Adorno selbst in ( 7 ) , S. 286 Anm.
63 Adorno (9) , S. 111
64 Kant (147) , B 178
65 Vgl. Zocher ( 2 9 1 ) , S. 30
Ding an sich und Affektion 75
Im Zentrum der Kritik des Dialektikers Adorno stehen die Kantischen Dualis-
men. Ihre Vermittlung sei als Erbe des bei Descartes anhebenden psychophysi-
schen Dualismus" das "perennierende Problem" . Des näheren sind drei Dua-
lismen zu unterscheiden, die Adorno durch immanente Kritik überwinden
will:1. Form/Inhalt, 2. Rezeptivi tat/Spontanei tat, 3. Sinnlichkeit/Verstand.
Dabei bietet es sich an, zunächst seine Einwände gegen die Dualismen im ein-
zelnen und dann die von ihm aufgezeigten Kantischen Vermittlungsversuche
kritisch nachzuzeichnen.
Der Dualismus von Form und Inhalt ist schon von Fichte 71 und Hegel 7? kriti-
siert worden. Auch Adorno mißt ihm besondere Bedeutung bei. Kant habe die
beiden Seiten dieses Dualismus nur sehr bedingt vermittelt. Auf der logi-
schen Ebene sei " ( . . . ) die Frage der Vermittlung, die Frage der Verbindung
zwischen dem sogenannten Material und der sogenannten Form außer Acht ge-
blieben." Dies bedinge mehrere Theorieverlegenheiten:
1. Es sei nicht einzusehen, wie die beiden Erkenntniszweige "miteinander in
Kommunikation" träten. Als Folge des Form-Inhalt-Dualismus müsse man sich
die "gesamte Ordnung als eine dem Material gewissermaßen w i l l k ü r l i c h von au-
ßen aufgestülpte vorstellen, als ein "Oberspinnen des Inhalts mit der
78
Form" .
Diese konkret anschauliche Charakterisierung Adornos verrät die ontologi-
sche Einstellung eines vorkritischen Realismus, der von zwei eigenständigen
Seinssphären ausgeht und derart der Kantischen Fragestellung unangemessen
69 Vgl. Adorno ( 1 0 ) , S. 218; ( 1 3 ) , S. 88
70 Adorno (13) , S. 239
71 Vgl. Fichte ( 6 5 ) , S. 202
72 Vgl. Hegel (99), S. 97, 175
73 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 213 ff
74 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 230, 236 f
75 Adorno (13) , S. 232
76 Adorno (13) , S. 230
77 Adorno ( 1 3 ) , S. 233. Vgl. ( 1 3 ) , S. 234
78 Adorno ( 1 3 ) , S. 238. Vgl. ( 1 4 ) , S. 144
Dualismus von Form und Inhalt 77
lieh formenden (...) Erkenntnis" sein. Diese Folgerung ist jedoch nicht zwin-
gend: Wenn das Bewußtsein die "(constitutive Bedingung aller wirklich formen-
den (...) Erkenntnis" ist, dann besagt dies weder, daß es die hinreichende,
sondern nur, daß es eine notwendige Bedingung ist, noch, daß das Bewußtsein
für alle Formen (qua Bestimmtheiten) aufkommt, sondern nur für die Formen
der Erkenntnis. Sofern Erkenntnisformen (qua Bestimmtheiten unserer Erkennt-
nisgegenstände) angenommen werden, ist das Bewußtsein für diese eine notwen-
dige, aber nicht hinreichende Bedingung. Dieses Bedingungsverhä'ltnis in der
Kantischen Erkenntnistheorie darf nicht so verstanden werden, daß das Bewußt-
sein für alle Bestimmtheit aufkommt. Es ist zwar Bedingung aller erkenntnis-
mäßigen Bestimmtheit, insofern es Bedingung von Erfahrung ist, aber es kommt
nicht selbst für alle erkenntnismäßige Bestimmtheit auf.Notwendige und hinrei-
chende Bedingung ist es nur für die erkenntnismäßige Bestimmtheit, die aus
aligemeinen Gesetzen besteht: "Auf mehrere Gesetze aber, als die, auf denen
eine Natur überhaupt, als Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit
beruht, reicht auch das reine Verstandesvermögen nicht zu, durch bloße Kate-
gorien den Erscheinungen a priori Gesetze vorzuschreiben. Besondere Gesetze,
weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen, können davon nicht
vollständig abgeleitet werden, ob sie gleich allesamt unter jenen stehen." 91
Damit wird Adornos Irrtum offenkundig: Nicht, weil das Bewußtsein für alle
Formen aufkommt, ist eine außerbewußtseinsmäßige Geformtheit qua Bestimmt-
heit auszuschließen, sondern, weil das Bewußtsein nur für alle Formen auf-
kommt, ist gerade auf die Geformtheit qua Bestimmtheit des Materials zu re-
kurrieren. Allerdings - und das ist entscheidend - können wir über diese
nichts ausmachen, weil das Bewußtsein ebenso Bedingung aller in der Erfah-
rung gegebenen Formen ist. Kant bestreitet nicht die (ontologische) Geformt-
heit qua Bestimmtheit des ursprünglichen (qua erfahrungsvorgängigen) Mate-
rials - eine solche metaphysische Aussage wird jedoch von Adorno angenommen.
Vielmehr stellt er die Erkennbarkeit der Geformtheit qua Bestimmtheit des
ursprünglichen Materials - weil Erkenntnis nur durch Erfahrung möglich ist -
und seine geltungstheoretische Relevanz in Abrede. Kants Erkenntnistheorie
ist eine transzendentalphilosophische Erkenntnistheorie und keine Ontologie
im vorkritischen Sinne. Nur gegen diese kann sich der gestaltpsychologische
Einwand richten: Kant aber fragt nach den epistemologischen Bedingungen der
Gestaltpsychologie.
Die "zweite kardinale Disjunktion" ist der Dualismus von Rezeptivität und
Spontaneität. Dieses von Kant gegen die "Leibniz-Wolffiscne-Philosophie" ge-
richtete Theorem eines nicht bloß graduellen "Unterschied(es) der Sinnlich-
keit vom Intellektuellen" erregte schon früh die Aufmerksamkeit der Kriti-
ker. Beck 98 und Maimon 99 sprachen sich für eine abermalige Vermischung der
beiden Erkenntniszweige bzw. eine Quantifizierung ihrer Differenz hinsicht-
lich ihrer Bewußtseinsgrade aus. Von ihnen beeinflußt deutete dann Fichte die
Rezeptivität (genauer: ihre Vorstellung) als notwendiges Implikat des An-
schauungsmoments im Akt des Sich-für-sich Setzens, d.h. als gehemmte und un-
bewußte Verstandestätigkeit. Dieser Gedanke wurde von Schelling aufgegrif-
fen und in modifizierter Form vom Neukantianismus insbesondere der Marbur-
ger Schule rezipiert. 102
Gegen diesen Dualismus wendet Adorno zweierlei ein:
1. Das erste von Dilthey in seinem Entwurf einer "beschreibenden Psycholo-
gie" vorgeprägte
103 Argument kann man phänomenoiogisch nennen. Kant vertrete
die "etwas primitive Ansicht" ( ! ) , a l l e i n dem Denken Spontaneität und allein
der Anschauung Passivität zuzuordnen. Dabei rekurriert Adorno darauf, "was
so gewöhnlich Anschauung heißt" . Die Annahme einer spontaneitätslosen An-
schauung sei unhaltbar, weil " ( . . . ) schon die reine Wahrnehmung einer Land-
schaft, etwa durch einen Bauern, durch einen Reisenden ( . . . ) oder durch ei-
94 So deutlich in Adorno ( 7 ) , S. 178
95 Vgl. z.B. Adorno ( 1 3 ) , S. 12
96 Adorno (13), S. 216
97 Kant ( 1 4 7 ) , B 61
98 Vgl. Vaihinger (280), Bd. II, S. 22 £
99 Vgl. Mairaon (180), S. 203
100 Vgl. Fichte (65), S. 242 f
101 Vgl. Schelling ( 2 4 8 ) , S. 66 - 72
102 Vgl. Natorp (199), S. 201
103 Dilthey (49), S. 149
104 Adorno ( 1 3 ) , S. 251
82 Adornos K r i t i k der Erkenntnistheorie Kants
nen Landvermesser oder etwa durch einen Maler schon phänomenal etwas v o l l -
kommen anderes sei, weil in diese reine Wahrnehmung des Objektes bereits al-
le jene Vermittlungskategorien eingehen, die nach herkömmlicher Rede jeden-
f a l l s erst dem Verstand zuzuschreiben sind" . Die durchaus problematische
Identität von Anschauung und Wahrnehmung im Interesse Adornos vorausgesetzt,
f ä l l t zunächst auf, daß im Gegensatz zu seinem Kritiker, der Anschauung phä-
nomenologisch ("phänomenal") durch den unmittelbaren Bezug auf ein bestimmtes
Objekt (mit-)definiert, Kant diesen Objektbezug ausschließt. Es ist geradezu
der zentrale Gedanke seiner Erkenntnistheorie, daß Anschauung als solche
nicht auf ein bestimmtes Objekt bezogen ist: "Wenn ich alles Denken (durch
Kategorien) aus einer empirischen Erkenntnis wegnehme, so bleibt gar keine
Erkenntnis irgend eines Gegenstandes übrig, denn durch bloße Anschauung wird
gar nicht gedacht, und, daß diese Affektion der Sinnlichkeit in mir ist,
macht gar ke,ine Beziehung von der gleichen Vorstellung auf irgendein Objekt
aus." Die Kantische Anschauung schaut zwar an, aber sie schaut nicht et-
was an: "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind
blind." Das Anschauungsvermögen ist ein bloß relationales Vermögen.Trennen
wir Verstand und S i n n l i c h k e i t , so haben wir lediglich eine "(...) Vorstel-
1G8
lung, die wir auf keinen bestimmten Gegenstand beziehen können." Dies ist
transzendentalphilosophisch dadurch begründet, daß ein Objekt das ist, "(...)
in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt
10Q
ist." Das Vermögen der Synthesis und Spontaneität ist der Verstand. Der
Bezug auf einen bestimmten Gegenstand fordert also den "Actus der Spontanei-
tät" des Verstandes bzw. der produktiven Einbildungskraft.
Das bedeutet hinsichtlich der Kritik Adornos zweierlei:
a) Seine These einer Verstandesbeteiligung bei der Wahrnehmung bestimmter
Objekte ("Landschaft") konvergiert mit Kants Auffassung einer notwendigen
Verbindung von Verstand und S i n n l i c h k e i t , wenn eine bestimmte Gegenständlich-
keit konstituiert werden soll. Angesichts dieser Tatsache ist der kritische
Impetus des Adornoschen Einwandes nicht einsichtig.
b) Indessen macht dies gerade offenkundig, daß Adorno die transzendental-
philosophische Fragestellung verkennt. Geht diese auf eine Analyse der Be-
105 Adorno (13), S. 253 (Hervorhebung B . ) . Vgl. auch (11), S. 67
106 Kant (147), B 309
107 Kant (147), B 75
108 Kant (147), B 314
109 Kant (147), B 137
110 Kant (147), B 130
Dualismus von Rezeptivität und Spontaneität 83
dingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt und ihren Gegenständen und
kommt so zu der Trennung von Spontaneität und Rezeptivität, so begnügt sich
Adorno mit einer Beschreibung des Faktischen, d.h. mit der Feststellung einer
empirisch aufgewiesenen Verknüpfung von Rezeptivität und Spontaneität im Er-
kenntnisvorgang. Solange Adorno nicht über diese Bescheidung auf das Empi-
risch-Faktische und den common sense ("was so gewöhnlich Anschauung heißt")
hinausgeht, ist ihm nichts vorzuwerfen, wohl aber, wenn er die Tatsächlich-
keit des Empirisch-Bedingten gegen die Frage nach der Bedingung des Empiri-
schen wenden will. Adorno kritisiert den transzendentalphilosophischen Ansatz
also nicht immanent, sondern bleibt vor seiner Fragestellung stehen. Indem
die realistische Phänomenologie Adornos das als gegeben ansieht, was der
Transzendentalphilosophie allererst frag-würdig ist, offenbart sich ein
prinzipieller Reflexionsvorsprung Kants.
2. Das zweite Argument Adornos kann man als das logische bezeichnen. Der
schon ähnlich vom Marburger Neukantianismus formulierte Einwand bezieht
sich auf den Spontaneitätscharakter der Anschauungen Raum und Zeit: Die An-
schauung und mit ihr die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit sollten voll-
kommen passiv sein. Dennoch sei Kant gezwungen, " ( . . . ) , da,wo es sich schein-
bar um reine Gegebenheiten handelt" 112 .Tätigkeit anzunehmen. Verifiziert wer-
de dies durch den "Beweis" der "Axiomen der Anschauung": "Alle Erscheinungen
enthalten, der Form nach, eine Anschauung von Raum und Zeit, welche ihnen ins-
gesamt a priori zum Grunde liegt. Sie können also nicht anders apprehendiert,
d.i. ins empirische Bewußtsein aufgenommen werden, als durch die Synthesis des
Mannigfaltigen, wodurch die Vorstellungen eines bestimmten Raumes oder Zeit
erzeugt werden, d.i. durch die Zusammensetzung der Gleichartigen und das Be-
wußtsein der synthetischen Einheit dieses Mannigfaltigen (Gleichartigen)."
Hieraus folgert Adorno: "Also schon da, wo ich mich scheinbar im Sinn der
Generalthesis der ' K r i t i k der reinen Vernunft 1 ganz passiv verhalte, schon
an dieser Stelle verhalte ich mich Kant zufolge in einer gewissen Weise auch
aktiv" . "Der Gedanke steckt also, dieser Lehre zufolge, bereits in der An-
schauung drin,und es ist nur ein Schritt von dieser Erkenntnis Kants zu der
Kritik an seiner grundsätzlichen Scheidung von Rezeptivität und Spontaneität,
auf der ja die ganze Vernunftkritik beruht."
Abgesehen davon, daß auf diese Weise a l l e n f a l l s die Spontaneität der Sinn-
lichkeit, nicht aber die Passivität des Verstandes dargetan werden könnte,
irrt Adorno insofern, als er nicht zwischen formaler Anschauung und Form der
Anschauung unterscheidet. Die Axiome der Anschauung betreffen nicht die Form
der Anschauung, sondern die formale Anschauung, die in der Tat nach Kants
Theorie eine "Zusammenfassung des Mannigfaltigen" enthält und damit syn-
thetisch ist. Insofern wäre Adorno beizupflichten, daß "bereits in der An-
schauung" (qua anschaulicher Vorstellung) Tätigkeit involviert sei. Jedoch
affiziert dies nicht den Dualismus von Rezeptivität und Spontaneität, weil
sich die Charakterisierung als passiv nicht auf die formale Anschauung, son-
dern auf die Anschauungsform Raum und Zeit bezieht. Spricht Kant jener (auch)
Spontaneität zu, so nicht diesen. Ebenso dürfen die Formen der passiven Re-
zeptivität, die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit, nicht als Formungen
(zu bestimmten Vorstellungen) verstanden werden, weil sie solcherart Spon-
taneitätscharakter besäßen. Vielmehr meint Kant mit den passiven Anschauungs-
formen das, was ermöglicht, daß mir etwas räumlich oder zeitlich bestimmt
erscheint. Die Anschauungsformen Raum und Zeit sind so etwas wie die Raum-
und Zeitwurzel qua Möglichkeitsbedingung räumlicher und zeitlicher Bestim-
mungen.
Angesichts dieses Irrtums ist Adornos Fazit, "(...) daß hier der Gedanke
der Vermittlung gewissermaßen gegen den Willen des Kantischen Systems auf-
taucht" , schwerlich überzeugend.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß Adornos Kritik des Dualis-
mus von Rezeptivität und Spontaneität keineswegs eine in seinem Sinne "dia-
lektische Erkenntnistheorie" zu begründen vermag. Das phänomenologische Ar-
gument verkennt die transzendental philosophische Fragestellung, offenbart
einen Rückfall in den vorkritischen Realismus. Das logische Argument ver-
dankt sich der fehlenden Beachtung wesentlicher Kantischer Unterscheidun-
gen. Der Anspruch einer immanenten Kritik wird also in beiden Fällen nicht
erfüllt.
Der Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand ist eng verwandt mit dem von Re-
zeptivität und Spontaneität, f ä l l t aber nicht mit ihm zusammen. Zunächst ist
ein beide Seiten dieses Dualismus umspannender Einwand Adornos zu betrach-
ten: Kant habe "(...) an einer Stelle der Kritik der reinen Vernunft gerade-
zu formuliert, daß die beiden Hauptstämme der Erkenntnis, mit denen er es
zu tun hat, Sinnlichkeit und Verstand, Rezeptivität und Spontaneität eben
schließlich doch auf ein letztes Gemeinsamens zurückdatieren müßten." 118
Die angesprochene Stelle bezieht sich vermutlich - Adorno gibt keinen ge-
nauen Verweis - auf B 29. Hier aber schreibt Kant: "Nur soviel scheint zur
Einleitung, oder Vorerinnerung, nötig zu sein, daß es zwei Stämme der mensch-
lichen Erkenntnis gebe, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen Wurzel
entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Ge-
genstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden." Adorno liest al-
so eine eindeutig hypothetische (und agnostische) Aussage Kants positiv as-
sertorisch. Die Trennung von Verstand und Sinnlichkeit ist aber nicht will-
kürlich, sondern in der endlichen Erkenntnisstruktur des Menschen gegründet
und die Kehrseite der Kantischen Zurückweisung eines anschauenden Verstan-
des bzw. einer intellektuellen Anschauung.
Im folgenden soll Adornos Deutung der beiden Seiten des Dualismus von
Sinnlichkeit und Verstand, d.h. seine Kritik der Transzendentalen Ästhetik
und der Analytik der Begriffe, betrachtet werden.
119
3.4.3.1 Die Transzendentale Ästhetik
1. Kants Raum- und Zeitlehre steht nach Adorno in der "metaphysischen Tra-
dition", da " ( . . . ) in gewisser Weise der platonische Unterschied von Reali-
tät und bloßer Erscheinungswelt (...) in aufgeklärter Gestalt wieder her-
gestellt worden sei". Demnach sei zufolge Kant " ( . . . ) das Wahre uns ver-
hängt" 120 .
Dieser sich noch in der neueren Kantliteratur findende Vorwurf einer Ir-
121
realisierung der Realität scheint auf den ersten Blick angesichts eini-
1 ?2
ger Stellen der 'Kritik der reinen Vernunft 1 plausibel. Dennoch trifft
Adornos Kritik nicht: In der dritten Allgemeinen Anmerkung zur Transzenden-
talen Ästhetik 123 und der dritten Anmerkung zu § 13 der 'Prolegomena' 1 2 4
entkräftet Kant diesen Einwand, indem er auf den Unterschied zwischen Schein
und Erscheinung aufmerksam macht. Entsprechend der Koinzidenz von empiri-
1 ?R
scher Realität und transzendentaler Idealität von Raum und Zeit ist unse-
re Erfahrungswelt ("Erscheinungswelt") kein bloßer Schein: "Wenn ich sage im
Raum und der Zeit stellt die Anschauung, so wohl der äußeren Objekte, als
auch die Selbstanschauung des Gemüts, beides vor, so wie es unsere Sinne
affiziert, d.i. wie es erscheint: so w i l l das nicht sagen, daß diese Gegen-
126
stände ein bloßer schein wären."
Nicht nur die mangelnde Unterscheidung zwischen Schein und Erscheinung
erklärt sich aus Adornos ontologischer Perspektive, sondern auch seine The-
se, Kant zufolge sei " ( . . . ) das Wahre uns verhängt". Indessen entspricht
die erkenntniskritische Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung
nicht der zwischen Wahrheit und Falschheit, wie Adorno implizite voraus-
setzt. Der Kantische Wahrheitsbegriff ist anders gelagert: "Noch weniger
dürfen Erscheinung und schein für einerlei gehalten werden. Denn Wahrheit
oder Schein sind nicht im Gegenstande, so fern er angeschaut wird, sondern
im Urteile über denselben, so fern er gedacht wird. Daher sind Wahrheit
sowohl als Irrtum, mithin auch der Schein, als die Verleitung zum letzteren,
es, das Prinzip der reinen Anschauung selbst zu problematisieren. Dies je-
doch steht bei Adorno aus.
4. Mit dem Erörterten ist ein weiteres Problem der Kantischen Erkenntnis-
theorie eng verbunden: ihre vorgebliche Unvereinbarkeit mit den mathematischen
und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des 19. und 20. Jahrhunderts. Wie
viele andere bezieht sich Adorno auf die (spezielle) Relativitätstheorie Ein-
steins mit ihrer Aufhebung der absoluten Raum-Zeit-Theorie Newtons und der
von der klassischen Physik anerkannten zeitlichen Universalität und Einheit.
Die Relativitätstheorie habe dargelegt, "(...) daß Raum und Zeit nicht unend-
liche und voneinander unabhängige Größen seien, sondern daß sie endlich sind
und sich gegenseitig durcheinander bedingen". Dadurch werde "(...) die Lehre
von der Apriorität aufgehoben" .
Dieser Einwand (und ein analoger, der sich auf die nicht-euklidische Geo-
metrie Riemanns stützt) berührt jedoch die Grundlage der Kantischen Lehre
nicht. Allerdings ist die historische Fassung der Transzendentalen Ästhetik
zu revidieren, da nur so der transzendentale Idealismus unter systematischen
Gesichtspunkt aufrechterhalten werden kann. Bei diesem Vorhaben muß die Un-
terschiedung zwischen Form der Anschauung und formaler Anschauung fruchtbar
gemacht werden, die Kant zwar in der zweiten Fassung der transzendentalen De-
duktion trifft, die allerdings noch nicht in der Fassung der Transzendentalen
Ästhetik von 1787 zum Tragen kommt. Wie 1781 identifiziert er auch hier noch
Form der Anschauung und reine Anschauung (formale Anschauung) . Diese In-
differenz wirft die Frage auf, ob die Transzendentale Ästhetik von der Form
der Anschauung oder der formalen Anschauung handelt. Es ist die Rede von ei-
ner immer zugrundeliegenden Raumvorstellung, der Einzigkeit und Einheit des
168
Raumes und seiner Unendlichkeit. Dies alles sind Bestimmungen, die sich
nicht auf die bloße Form der Anschauung beziehen, sondern auf das, was Kant
eine "anschauliche Vorstellung" nennt. Die Transzendentale Ästhetik hat
es also nicht mit der Form der Anschauung zu tun, wie es zunächst scheint
und wie es sein müßte, sondern mit der formalen Anschauung.
Diese Einsicht spricht auch Kant indirekt an der Stelle aus, an der er die
Differenzierung vornimmt. In bezug auf die formale Anschauung stellt er fest:
"Diese Einheit hatte ich in der Ästhetik bloß zur Sinnlichkeit gezählt,um nur
zu bemerken, daß sie vor allem Begriffe vorhergehe, ob sie zwar eine Synthe-
sis, die nicht den Sinnen angehört, durch welche aber a l l e Begriffe von Raum
und Zeit erst möglich werden, voraussetzt." Da die Transzendentale Ästhe-
tik nicht zwischen Form der Anschauung und formaler Anschauung unterscheidet,
bedeutet dies notwendig, daß sie gar nicht das thematisiert, was sie eigent-
lich ansprechen müßte: die Form der Anschauung. Diese kann man als Raum- bzw.
Zeitwurzel umschreiben, als Wurzel räumlicher und zeitlicher Bestimmungen,
wie sie in der formalen Anschauung vorliegen.
Da nun die Raum- und Zeitinterpretationen der nicht-euklidischen Geometrie
und (speziellen) Relativitätstheorie auf konkrete qua formal bestimmte Raum-
und Zeitvorstellungen gehen, nicht aber auf Raum und Zeit qua Formen der An-
schauung (qua Raum- und Zeitwurzel), berühren sie a l l e n f a l l s die vorliegende
Form der Transzendentalen Ästhetik, eine von ihrer Anlage her nicht zureichen-
de Fassung der transzendental ideal istischen Position und ihrer Aprioritäts-
these hinsichtlich Raum und Zeit.
Derart kann Adornos These nicht überzeugen, die mathematischen Theorien und
naturwissenschaftlichen Erkenntnisse hätten "(...) die Lehre von der Apriori-
172
tat aufgehoben" . Nicht die Lehre selbst ist unzulänglich, sondern nur die
Begründung Kants, die unter Rückgriff auf seine eigene Differenzierung in ei-
ner systematisch zureichenden Konzeption des transzendentalen Idealismus er-
setzt werden müßte.
Weder die ontologisch-platonisierende Kritik einer Irreal isierung der Reali-
tät mit dem ihr zugrundeliegenden problematischen Wahrheitsbegriff, noch die
Einwände gegen die Vollständigkeit und Notwendigkeit der beiden Anschauungs-
formen Raum und Zeit, noch die Konstruktion der "Paraduxie einer erfahrungs-
freien Erfahrung" widerlegen also die transzendentalphilosophische Grundpo-
sition. Da Adorno den Unterschied zwischen formaler Anschauung und Form der
Anschauung nicht beachtet, kann er das Verhältnis der Kantischen Transzenden-
talphilosophie zur modernen Naturwissenschaft und Mathematik nicht angemes-
sen einschätzen.
171 Kant (147), B 160 £ Anm.
172 Adorno (13), S. 306. Vgl. auch I. Strohmeyer, die - allerdings im Unter-
schied zu uns von einer positiven Wertung der Transzendentalen Ästhetik
ausgehend Cvgl. Strohmeyer (275), S. 2 8 - 3 8 ] - die "Vereinbarkeit von
Die einzelnen Raum- und Zeltargumente 95
Von den allgemeinen Einwänden Adornos gegen die Transzendentale Ästhetik ist
seine Kritik der einzelnen Raum- und Zeitargumente zu unterschieden. Dabei
soll im folgenden nur die Kritik der Raumargumente erörtert werden, weil die
der Zeitargumente analog ist.
1. Erstes Äatanarsruoent: Ziel des ersten Arguments ist der Beweis der Aprio-
rität des Raumes. Das Argument selbst kann man mit G. Martin als "plato-
nisch" charakterisieren: Die Identifikation von etwas "als außer und ne-
ben" präsupponiert eine schon zugrundeliegende Raumvorstellung, woraus
die Apriorität des Raumes folgt (folgen soll ?).
Adorno deutet die "positive Seite" des Satzes, daß Raum und Zeit "(...)
keine abgezogenen empirischen Begriffe sind", derart,"(...) daß alle anderen
Versuche, Raum und Zeit durch anderes zu erläutern, zu definieren, selber im-
mer wieder auf die Vorstellungen von Raum und Zeit notwendig zurückführen
müssen" 176 .
Dieses Verständnis ist in doppelter Weise problematisch: a) Kant w i l l an
dieser Stelle nicht die Zirkularität einer faunaeflnition, sondern die Aprio-
rität des Raumes zeigen, b) Damit hängt zusammen, daß Adorno das Beweisthema
(Apriorität) mit dem Beweisgrund (platonisches Argument) verwechselt: Die
Apriorität des Raumes folgt nach Kant aus dem notwendigen Präzedens hinsicht-
lich einer Identifikation von etwas "als außer und neben" (nicht: hinsicht-
lich einer Definition des Raumes selbst), aber die Notwendigkeit der Priori-
tät (Präzedens) ist nicht identisch mit der Apriorität, sondern diese liegt
vielmehr in jener begründet. Anders ausgedrückt: Bedingt a) durch den Irrtum,
daß es im Argument selbst (Beweisgrund) statt um die Identifikation von et-
was als räumlich bestimmt um die Definition des Raumes selbst geht, und b)
durch die Vernachlässigung der Differenz von Beweisgrund (Argument) und Be-
weisthema gelangt Adorno zu der Auffassung, daß die "positive Seite" des Sat-
zes von der Apriorität des Raumes seine Undefinierbarkeit (d.h. bloß zirkulä-
re Definierbarkeit) sei. Diese "Wahrheit" ist nicht nur "nicht die ganze
Wahrheit" , wie Adorno mit Blick auf die von Kant vertretene und von ihm
abgelehnte Subjektivität des Raumes (negative Seite des Satzes) konzediert,
sondern sie ist insofern überhaupt keine Wahrheit, als das von ihm Herausge-
stellte im ersten Raumargutnent nicht angeschnitten wird.
178
2. zweites Raumargument: Ziel dieses gegen Leibniz gerichteten "aristo-
17Q
telischen" Arguments ist abermals die Apriorität des Raumes. Der Beweis-
grund liegt in der von Kant hervorgehobenen Möglichkeit, die Gegenstände des
Raumes hinwegdenken zu können (was ihre Zufälligkeit involviert) und der Un-
180
möglichkeit der Vorstellung, "(...) daß kein Raum sei" (woraus seine Not-
wendigkeit folgt).
Abgesehen davon, daß Adorno dieses Argument ebenfalls irrtümlich im Zusam-
menhang mit der Definitionsmöglichkeit des Raumes sieht, macht er geltend,
181
daß uns die "Vorstellung eines absolut leeren Raumes" verwehrt sei. Aus
der Undurchführbarkeit einer "absolute(n) und radikale(n) Trennung von Raum
IfiP
und Räumlichem" folge die Unmöglichkeit einer transzendentalen Ursprungs-
philosophie, weil "(...) also in der Sphäre der Subjekt-Objekt-Beziehung auch
auf dem Niveau ( . . . ) der sogenannten unmittelbaren Gegebenheit ein absolut
1R3
Erstes sich gar nicht finden kann." Positiv sei das Verhältnis zwischen
dem Raum und seinen Gegenständen derart, "(...) daß ebenso der Raum den Ge-
genständen inhäriert, wie umgekehrt der Raum die Bedingung aller möglichen
Gegenstände überhaupt ist." 184
Der Einwand Adornos scheint unwiderlegbar zu sein, da es sich hier um den
Konflikt zweier Grundüberzeugungen handelt, der mit den vorgetragenen Argu-
menten nicht entschieden werden kann: Der Apriorismus Kants beansprucht so
etwas wie eine transzendentale Wesensschau (Vorsteil barkeit eines absolut
leeren Raumes), der Empirismus Adornos bestreitet sie (Unvorstellbarkeit ei-
nes absolut leeren Raumes). Diese Unentschiedenheit (Unentscheidbarkeit ?)
ist aber insofern von Bedeutung, als sich Adornos Widerlegung des transzen-
177 Adorno (13), S. 293
178 Vgl. zur Raumtheorie von Leibniz (166), S. 135, 192, 206
179 Vgl. Martin (186), S. 36. Zum Verhältnis des ersten und zweiten Raumar-
guments vgl. Vaihinger (280) , Bd. II, S. 196 f.
180 Kant (147), B 38
181 Adorno (13), S. 293
182 Adorno (13), S. 296. Vgl. auch ( 7 ) , S. 325 f
183 Adorno (13), S. 295
184 Adorno (13), S. 294. Vgl. ( 7 ) , S. 326
Die einzelnen Raum- und Zeitargumente 97
Weder ist a) diese "Paradoxie" überzeugend - wie Oben gezeigt worden ist -,
noch läßt sich b) die vorgeblich Kantische Gedankenbewegung textlich verifi-
zieren: Kants Aussagen zufolge ist es wahrscheinlicher, daß die Einführung
des Begriffs der formalen Anschauung (reine Anschauung) in Absetzung zu dem
der Anschauungsform nicht durch den Form-Inhalt-Dualismus, sondern durch sei-
ne Mathematik- und Geometrieauffassung bedingt ist, denn: "Der Raum, als Ge-
genstand vorgestellt (wie man es wirklich in der Geometrie bedarf), enthält
mehr als bloße Form der Anschauung, nämlich Zusammenfassung des Mannigfalti-
gen (...) in eine anschauliche Vorstellung" 190 . Zudem ist c) der Problemge-
halt der Ausgangsschwierigkeit fragwürdig, da hier eine ontologische Verding-
lichung der "reinen Anschauungen" und "sogenannten Empfindungen" vorzuliegen
scheint.
4. viertes Rawnargument (nach B): Wie das dritte Raumargument, so dient
auch das vierte dem Beweis des Anschauungscharakters des Raumes. Hinsichtlich
des Beweisgrundes jedoch differieren sie: Rekurriert jenes auf die Einzigkeit
und Einheit, so dieses auf die Unendlichkeit des Raumes (qua In-Sich-Enthal-
ten einer unendlichen Menge von Vorstellungen). Dies impliziert den Anschau-
ungscharakter des Raumes, weil das Kriterium der so gefaßten Unendlichkeit
1Q1
für den Begriff nicht zutrifft. 1
Adorno deutet dieses Argument als "These von ihrer (d.h. Raum und Zeit, B.)
unendlichen Gegebenheit." 192 Die Annahme dieser These als Beweisthema wider-
spricht jedoch der conclusio Kants: "Also ist die ursprüngliche Vorstellung
193
vom Räume a priori, und nicht Begriff." Der erste Satz des Arguments, auf
den sich Adorno vermutlich bezieht, exponiert nicht - wie in den anderen Ar-
gumenten - die "zu beweisende These", sondern "(...) ein Factum das als Grund-
194
läge des Beweisgrundes dienen soll." Gegen den irrtümlich als Beweisthema
angenommenen mittelbaren Beweisgrund wendet Adorno zweierlei ein: Zum einen
bestreitet er analog seiner Kritik des zweiten Raumarguments in bloß äußerer
195
Konfrontation die Möglichkeit, ein "positives Unendliches" sich vorstel-
len zu können. Zum anderen weist Adorno auf den Widerspruch Kants hin, daß
dieser "(...) in der transzendentalen Ästhetik etwas behauptet und prädi-
ziert, was im Sinne des zweiten Teils der transzendentalen Logik, nämlich
Auch in der Interpretation der Analytik der Begriffe ist Adornos ontologi-
scher Ansatz bestimmend. Seinem "metakritisch" gegen Kant gerichteten Denk-
modell, demzufolge wir die bestimmte Struktur des Gegebenen "(...) nicht
einfach brechen können, die wir nicht einfach mit der Gewalt unserer Kate-
201
gorisierungen nach Belieben in unsere Ordnungsschemata übersetzen können" ,
liegt ein ontologischer Realismus zugrunde: Reaiismue, weil dieser nach
Adorno den erkenntnistheoretischen Ansatz des Idealismus und seiner Rückfra-
202
ge beim Subjekt überwindet , indem er den Konstitutionscharakter des Kon-
stituens aufdecke. Ontologisch, weil Adorno nicht wie die Transzendentalphi-
losophie an der Begründung objektiv gültiger Erfahrung, sondern primär am
Objektiven interessiert ist - unbekümmert darum, daß gültige Aussagen über
das Objektive die Frage nach der Objektivität als beantwortet voraussetzen.
Adorno hält das Problem des Objektiven einerseits und das der Objektivität
andererseits nicht auseinander, wie seine Kritik der sogenannten "Residual-
203
theorie" der Wahrheit gezeigt hat. Das ontologisch realistische Denkmo-
dell wird nicht durch immanente Kritik begründet, sondern lediglich dem Kan-
tischen Ansatz konfrontiert. Dies bedingt sowohl eine wenig überzeugende
Argumentation als auch ein Mißverständnis der synthetischen Leistung des
Verstandes.
1. Adorno kann sein ontologisches Denkmodell nur dann erfolgreich gegen
den transzendentalphilosophischen Ansatz ausspielen, wenn es ihm gelingt,
Kant ebenfalls eine notwendig onto!ogisehe Betrachtungsart nachzuweisen.
So bemüht er sich, den Seinscharakter der Kategorien zu beweisen: "An' einer
der zentralsten Stellen der ' K r i t i k der reinen Vernunft' (...) findet sich
der Satz: 'Von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes aber nur vermittels
der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit
der Apperzeption a priori zustandezubringen, läßt sich eben so wenig ferner
ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine anderen Funktionen
zu Urteilen haben, oder warum Raum und Zeit die einzigen Formen unserer mög-
lichen Anschauung sind."' Diese Stelle erläutert Adorno folgendermaßen:
"Mit anderen Worten also, es werden bei Kant selber die (...) Formen des
204 Adorno (13), S. 171. Vgl. (13), S. 236 und (14), S. 37 f. Die zitierte
Kantfltelle let Kant (147), B 145 f
205 Adorno (S), S. 752
206 Kant (147), B 74
207 Adorno (11), S. 131
Allgemeines 103
terscheidung des quid iuris und quid facti verdeutlichen.Beantwortet die me-
taphysische Deduktion die quaestio facti, so die transzendentale die quaestio
iuris. Geht es jener um den Aufwels der einzelnen Kategorien (und den Nach-
weis der Vollständigkeit der Kategorientafel) , so dieser um den objekti-
215
ven Gültigkeitsbeweis der reinen Verstandesbegriffe , den Beweis ihrer
21ß
"Rechtmäßigkeit" als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung über-
217
haupt.
In der metaphysischen Deduktion nimmt Kant auf die als vollständig und (hy-
?1ft
pothetisch ) gültig vorausgesetzte formale Logik Bezug. Die aus dieser ab-
geleitete Urteilstafel dient als "Leitfaden" zur Aufstellung der Kategorien-
tafel. Denn: "Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in
einem urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener
Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der
reine Verstandesbegriff heißt." 219 G i l t dieser Zusammenhang - die Entspre-
chung von Urteilsform und Kategorie ist nach Kant fast durchgängig "in die
Augen fallend" -, dann folgt: "Die Funktionen des Verstandes können also ins-
gesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen
vollständig darstellen kann."
2?o Da diese Bedingung nach Kant durch den Rück-
griff auf die formale Logik erfüllt ist, "(...) entspringen gerade so viel
reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung
überhaupt gehen, als es in der vorigen Tafel (der Urteilstafel, B.) logische
Funktionen in allen möglichen Urteilen gab: denn der Verstand ist durch ge-
dachte Funktionen v ö l l i g erschöpft, und sein Vermögen dadurch gänzlich aus-
221
gemessen." Nachdem Kant so die Kategorien aufgewiesen und ihre Vollstän-
222
digkeit nachgewiesen hat (nachweisen wollte ? ), beweist er im "zweiten
Hauptstück", der transzendentalen Deduktion, ihre objektive Gültigkeit,
Adorno stellt nun zu Recht fest, daß Kant auf die formale Logik rekurriert.
Problematisch ist indessen seine Deutung, Kant intendiere "die Rückversiche-
wenn wir die empirisch gewonnenen Merkmale eines Gegenstandes zu einer Defi-
nition zusammenfassen, die dann für alle Gegenstände gilt, die die unter der
pro
Definition namentlich befaßten Merkmale enthalten." Derart würden die em-
pirischen Urteile "(...) für alle zukünftige Erfahrung gültig (...), weil,
bei festgehaltenen Bedeutungen, nur die Tatbestände mit dem definierten Na-
men benannt werden, die sämtliche in der Definition aufgeführten Merkmale
enthalten." 260
Die Argumentation verwechselt Realitätsaussagen mit Definitionen. Diese
gelten in der Tat für alle Erfahrung, aber nicht deshalb, weil das Definier-
te in jeder Erfahrung vorkommt - wie es sein müßte, soll es eine transzen-
dentale Bedingung sein -, sondern weil sie durch Erfahrung weder bestätigt
noch widerlegt werden und damit auch leer sein können.
Der bezeichneten Aporie verfällt eine solche Theorie notwendig, die einer-
seits den transzendentalphilosophischen Anspruch erhebt, "Grundbedingungen
261
aller möglichen Erkenntnis" zu formulieren, andererseits sich aber als
?fi?
empirisch verfahrende "Phänomenologie" versteht: Die Wahrheit von Urtei-
len gründe "(...) letztlich in den Phänomenen und muß sich auf sie zurück-
führen lassen." 263
Diese Konfusion von genuiner Transzendentalphilosophie und Phänomenologie,
die geistesgeschichtlich auf Husserl zurückverweist, der für seine Phänomeno-
logie das epitheton ornans "transzendental" reklamiert und sie als "trans-
act
zendentalen Idealismus" bezeichnet, manifestiert sich in der Unvereinbar-
keit von Aussagen wie folgender: Einerseits soll gelten: "Der Zusammenhang
des Gegebenen konstituiert sich durch die Einheit des persönlichen Bewußt*
?ftfl
seins." Andererseits wird die "Aufgabe" der "Phänomenologie" bestimmt als
Nachdem nun die drei von Adorno herausgestellten Dualismen und seine Kritik
ihrer beiden Seiten (Transzendentale Ästhetik und Analytik der Begriffe) be-
sprochen worden sind, sollen im folgenden die von ihm aufgezeigten Vermitt-
lungsversuche Kants dargelegt werden: die Lehren von der Apprehension und
280
vom Schematismus. Als ein "noch nicht zu sich selbst gekommener Hegel"
habe Kant zwar die starre Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt im Ansatz
aufgelöst, dennoch aber die Vermittlung nicht weit genug getrieben. In der
Apprehensionstheorie versuche er die Anschauung durch das Denken, im Schema-
281
tismus das Denken durch die Anschauung zu vermitteln.
In der Lehre von der Apprehension werte Kant die "Entdeckung" aus, "(...) daß
bereits die Anschauungen in der Gestalt, in der sie uns unmittelbar gegeben
sind, nicht bloß bestimmt sind durch Raum und Zeit, sondern daß sie verbun-
den sind, daß sie in sich ein Moment der Identität und Einheitlichkeit eben
2fi?
haben" . Damit sei "(...) nichts anderes gemeint, als daß bereits, wenn
wir etwas bloß anschaulich, als vermeintlich bloß passiv, bloß im Sinne un-
serer Rezeptivität gegeben haben, daß da eigentlich schon so etwas wie Tätig-
keit ( . . . ) drinsteckt." Zufolge seiner phänomenoiogisehen Redlichkeit über-
trage Kant auf die Anschauungsform eine "intellektive Funktion", weil er an-
ders die Strukturiertheit "im Bereich des unmittelbar Gegebenen" nicht deu-
ten könne. Auf diese Weise komme es " ( . . . ) zu der Konstruktion, daß wir ge-
284
wissermaßen dort schon denken, wo wir eigentlich noch gar nicht denken"
(im passiv Gegebenen Tätigkeit ist), sondern jene wird mit diesem vermittelt.
Die Lehre von der Apprehension hat die Funktion, den Übergang von der An-
schauung zum Denken, Einheit in der Differenz zu ermöglichen, nicht aber die
Differenz zu negieren, wie es von Adorno dargestellt wird: Die Rezeptivita't
ist auf Spontaneität, die Anschauung auf Denken bezogen, diese(s) "steckt"
aber nicht in jener "drin".
des Scheins als die der Wahrheit zu vindlzieren." Dennoch fordert Adorno
weiterhin eine "Rettung des Scheins", nämlich als "Gegenstand der Ästhe-
3?0
tik" . Damit jedoch wird das Gebiet der Erkenntniskritik verlassen und
der Anspruch einer argumentativen Einlösung der Theorie aufgegeben.
In der Tat: Ist das Prinzip transzendentaler Subjektivität nur eine ver-
kürzte Abstraktionsansicht gesellschaftlicher Prozesse, kann das Transzen-
dentale als gesellschaftlicher Zusammenhang dechiffriert werden, dann ist
die Möglichkeit einer neben der Soziologie eigenständigen Transzendental-
philosophie aufzugeben. Die Berechtigung des transzendentalphilosophischen
Ansatzes ist derart also noch nicht endgültig sichergestellt. Mas z.B. soll
die Rede von einem Konstituens, wenn dieses wesentlich ein Konstitutum ist ?
Was sollen reine Verstandesbegriffe sein, wenn das intellektuelle Vermögen
3?fi
auf abgezweigte Triebenergie zurückgeführt werden kann ?
Zwar zeichnete sich in den bisherigen Erörterungen eine grundsätzliche
Überlegenheit des Kantischen Ansatzes ab, aber dieser Reflexionsvorsprung
muß sich erst noch in der Diskussion um die Möglichkeit eines transzenden-
talphilosophischen Subjektsbegriffs bewähren. Bevor dies jedoch geschehen
kann, ist das Verhältnis zwischen Kritizismus und Kritischer Theorie unter
ethischem Aspekt zu klären. Auch hier wird sich die Bedeutung eines unter-
schiedlichen subjektstheoretischen Ansatzes zeigen.
In ähnlicher Weise wie für die Erkenntnistheorie skizziert Adorno für die
Ethik Kants grob deren geschichtlichen Stellenwert: Sowohl die Erkenntnis-
theorie als auch die Ethik träten das Erbe der Religion an, indem sie deren
Aufgabe im bürgerlichen Zeitalter übernähmen: jene die einer Restituierung
der Objektivität, diese die einer ideologischen Absicherung des bürgerlichen
Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das dem einzelnen das versprochene
Glück für seine Mühen vorenthalte: "Die Morallehren der Aufklärung zeugen
von dem hoffnungslosen Streben, anstelle der geschwächten Religion einen
intellektuellen Grund dafür zu finden, in der Gesellschaft auszuhalten, wenn
das Interesse versagt." Diese Lehren seien entweder " ( . . . ) propagandistisch
und sentimental, wo sie auch rigoristisch klingen, oder (...) Gewaltstreiche
aus dem Bewußtsein der Unableitbarkeit eben der Moral wie Kants Rekurs auf
2
die sittlichen Kräfte als Tatsache."
Näher betrachtet sei Kants Ethik " ( . . . ) der übliche Versuch des bürgerli-
chen Denkens, die Rücksicht, ohne welche Z i v i l i s a t i o n nicht existieren kann,
anders zu begründen als durch materielles Interesse und Gewalt, sublim und
paradox wie keiner vorher, und ephemer wie sie alle." Im Fluchtpunkt dieser
funktionalen Deutung liegt die These einer "Allianz von Freiheitslehre und
repressiver Praxis". Dabei schließt Adorno ähnlich wie z.B. H. Marcuse zwei
von Kant kritisch getrennte Problemstellungen kurz: "Die i n t e l l i g i b l e Frei-
heit der Individuen wird gepriesen, damit man die empirischen hemmungsloser
zur Verantwortung ziehen, sie mit der Aussicht auf metaphysisch gerechtfer-
2 Adorno ( 2 ) , S. 104
3 Adorno ( 2 ) , S. 104 f
4 Vgl. Marcuse (182), S. 95
Ethik als Herrschaftsinstrument 131
tigte Strafe besser an der Kandare halten kann." Der zentrale Begriff der
kritischen Ethik, die Freiheit, sei nicht im Vollsinn des Wortes zu nehmen:
"Daß Kant Freiheit eilends als Gesetz denkt, verrät, daß er es so wenig
streng mit ihr nimmt wie je seine Klasse."
Erscheint nach diesen Stellen Kant als Handlanger eines "repressiven" Ge-
sellschaftssystems, so widerspricht dem eine.Äußerung, nach der Kant sein Op-
fer sei: In der sich von der W i r k l i c h k e i t zurückziehenden Gesinnungsethik ma-
nifestiere sich - hier folgt Adorno der Marxschen Bewertung der kritischen
Ethik 7 - "die Ohnmacht des Subjekts in einer verhärtet ihm gegenüberstehenden
Welt." 8 Dann aber stellt Adorno zum dritten eine "Selbsterhöhung" des Subjekts
g
fest und deutet sie nun als "Reaktion auf die Erfahrung seiner Ohnmacht."
Die inneren Uneindeutigkeiten in bezug auf die vorgebliche Einheit von Frei-
heitslehre und repressiver Praxis sind bezeichnend. Zur Richtigstellung sei
darauf hingewiesen, daß Kant als "die höchste Aufgabe der Natur für die Men-
schengattung" die Herstellung einer Gesellschaft betrachtet, "(...) in welcher
Freiheit unter äußeren Gesetzen im größtmöglichen Grade mit unwiderstehlicher
Gewalt verbunden angetroffen wird." Die grundlegende Bedeutung der Idee der
Freiheit als "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" erhellt
sich ebenfalls daraus, daß sie für Kant das "einzige, ursprüngliche, jedem
Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht" ist. Die Forderung nach
Universalisierbarkeit dieses Rechts, nach der die Freiheit des Einzelnen
"(...) mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen be-
stehen" können muß, begünstigt keine repressive Praxis, sondern ist die ent-
schiedene Absage an eine solche.
Diese allgemeinen Überlegungen Kants konkretisieren sich in der "fast durch-
gängig positive(n) Färbung seiner Bezugnahmen auf die französische Revolu-
tion" 12 und der Bejahung ihrer "wesentliche(n) Errungenschaften"13 .
5 Adorno ( 7 ) , S. 214. Vgl. ( 7 ) , S. 290
6 Adorno ( 7 ) , S. 248. Vgl. ( 7 ) , S. 213 f
7 Vgl. Marx (189), S. 176 f
8 Adorno (13) , S. 203
9 Adorno ( 7 ) , S. 181
10 Kant (145), S. 22. Vgl. auch (147), B 373. Vorländer erblickt "in dem Be-
griff des gleichen Rechts und der Freiheit" zu Recht das "Zentrum" der Kan-
tischen "Staats- und Rechtsphilosophie", die " ( . . . ) vor allem gegen den ab-
solutistischen Pölizeistaat und die ständische Gesellschaftsordnung seiner
eigenen Zeit und seines eigenen Landes gerichtet war." [Vorländer (281),
S. 310]
11 Kant (140), S. 237
12 Fetscher (58), S. 178. Vgl. dort die entsprechenden Belege.
13 Fetscher (58), S. 193
132 Adornos Kritik der Ethik Kants
Nicht nur für die damalige Zeit fortschrittlich - man denke etwa an das Zen-
surschreiben Friedrich Wilhelms II. und des preußischen Kulturministers WÖ11-
ner vom 1.1.1794 -, sondern auch heute noch aktuell ist die Forderung Kants,
jedem Glied des Staates die Möglichkeit zu gewähren, die "Stufe eines Standes"
zu erreichen, "(...) wozu ihn sein Talent, sein Fleiß und sein Glück hinbrin-
gen können" . In diesem Sinne sei sicherzustellen, daß die ungleichen Vermö-
gensverhä'ltnisse es nicht verhindern, daß die sozial benachteiligten Perso-
nen, "(...) wenn ihr Talent, ihr Fleiß und ihr Glück es ihnen möglich macht,
sich nicht zu gleichen Umständen zu erheben befugt wären." Auch wenn Kants
Rechtsdenken nicht durchweg die heutige Liberalität und demokratische Grund-
legung des Staatsrechts kennt, was z.B, in der häufig kritisierten Einschrän
kung des Widerstandsrechts und in der Unterscheidung zwischen (geforderter
republikanischer) "Regierungsart" und (skeptisch beurteilter demokratischer)
"Staatsform" 18 manifest wird, so sind doch Adornos Verzerrungen des Kanti-
schen Gedankengutes zurückzuweisen. Sie sind nicht nur ungenau, sondern zu-
dem weitgehend ungeschichtlich.
Mit diesen kurzen Hinweisen seien die wenig fruchtbaren, auch von Adorno
kritisch beurteilten wissenssoziologischen Erörterungen abgeschlossen. Inter-
essanter erscheint der Vorwurf einer Repressiv!tat des idealistischen Frei-
heitsprinzips selbst: Der Zwangscharakter der kritischen Ethik liege nicht
a l l e i n in ihrer gesellschaftlichen Funktion als Herrschaftsmittel, sondern
in ihrem Prinzip selbst begründet: "Noch vor aller gesellschaftlicher Kon-
trolle, vor aller Anpassung an Herrschaftsverhältnisse wäre ihrer reinen
Form, der logischen Stringenz, Unfreiheit nachzuweisen. Zwang, dem Gedachten
14 Kant (152), S. 292. Zur Aktualität dieser Gedanken vgl. Ritzel (235),
S. 75 - 78
15 Kant (152), S. 293
16 Die ersten Kritiker der Kantischen Konzeption des Widerstandsrechts waren
Christian Garve und Ludwig Heinrich Jacobs.
17 Kant (152), S. 299 f. Vgl. dazu Henrich (114), Spaemann (270). A. Gurwitch
(83),bes. S. 342 sieht eine Konsistenz der Ablehnung des Widerstands-
rechts mit Kants ethisch(-politischen) Prinzipien. Zur Kritik an Kants
Fassung des Widerstandsrechts vgl. Mandt (181)
18 Kant (156), S. 351 ff. Vgl. zur Problematik Baumanns (20), S. 129 Anm. 24.
Wir stellen nicht die Problematik der von Kant aus der Idee reiner recht-
lich-praktischer Vernunft gezogenen realpolitischen Konsequenzen in Abrede,
sondern nur ihren notwendigen Zusammenhang mit dieser Idee.
19 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 197 f; (5), S. 584 f; (13), S. 267. Zur Problematik
der Adornoschen Kritik an der Wissenssoziologie vgl. Hansen (92), S. 68.
Vgl. zu dem Problemkomplex von Wissenssoziologie und Kritischer Theorie
auch Bubner (37), S. 178 f; Wagner (282), S. 468 - 471; Massing (193),
S. 43 f.
Repressivität des Moralprinzips 133
gegenüber wie dem Denkenden, der es erst durch Konzentration sich antun
20
muß." Die von der "bürgerlichen Klasse" geforderte Freiheit münde in eine
Aporie: "Es geht gegen die alte Unterdrückung und befördert die neue, wel-
?1
ehe im rationalen Prinzip steckt."
Zunächst sei Kants Idee von Freiheit, die wesentlich eine solche der Vernunft
ist, in ihrem Verhältnis zur menschlichen Sinnlichkeit betrachtet. Im An-
schluß soll ihre innere Struktur auf ihre vorgebliche Repressivität hin un-
tersucht werden.
Die Hauptschwierigkeit der Ethik Kants sei die Dialektik ihres Freiheits-
begriffs, sein Umschlag in Unfreiheit. Diese Kritik ist - allerdings ohne
daß Adorno darauf hinweist - im Prinzip schon von Schiller formuliert wor-
den und findet ihren Ausdruck in dem bekannten Distichon:
"Gern dien' ich den Freunden, doch thu ich es leider mit Neigung,
Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft b i n .
Da ist kein anderer Rat, du mußt suchen sie zu verachten,
22
Und mit Abscheu alsdann thun, wie die Pflicht dir gebeut."
Diese Kritik mit dem ihr zugrundeliegenden Mißverständnis eines vorgeblich
von der kritischen Ethik geforderten Gegensatzes von Pflicht und Neigung wie-
derholt Schiller noch andeutungsweise in Ober Anmut und Würde': Kant zufolge
sei die sinnliche Natur im Sittlichen "immer nur die Unterdrückte und nie die
mitwirkende Partei". Das Verhältnis zwischen Sinnlichkeit ("Empfindungen")
23
und Moralgesetz sei durch "Mißtrauen" und "Herrschaft" gekennzeichnet und
insofern von der idealen Einheit der "schönen Seele ( . . . ) , wo Sinnlichkeit
und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren" , entfernt. Dieser von Schii-
oc
ler initiierte Vorwurf ist später von Nietzsche aufgenommen worden. Er ver-
kennt, "(...) daß Kants viel beredeter Rigorismus primär ein denkerischer Ri-
gorismus ist" 26 . Auch hat Kant schon in der zweiten Auflage der 'Religion in-
20 Adorno ( 7 ) , S. 232
21 Adorno ( 7 ) , S. 213
22 Schiller (253), 'Die Philosophen1
23 Schiller (251), S. 286
24 Schiller (251), S. 288
25 Vgl. Nietzsche (207), S. 1201, 1104
26 Ritzel (231), S. 12
134 Adornos Kritik der Ethik Kants
nerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 1 auf ihn geantwortet. Adorno jedoch
erneuert diesen Vorwurf in veränderter Form, indem er den Begriffen Pflicht
und Neigung Identität und Nichtidentisches zuordnet.
4.1.2.1 Darstellung
Da Kant die Freiheit ausschließlich an das Prinzip der Ratio binde, unterwer-
28
fe er sie notwendig dem abstrakten Identitätsprinzip , so daß sie zwanghaft
werde. Autonomie schlage damit in Heteronomie um, idealistische Vernunftfrei-
heit koinzidiere mit Unfreiheit: "Die (...) absolute Autonomie des Willens
2Q
wäre soviel wie absolute Herrschaft über die innere Natur." Die Reinheit
der Freiheit bedeute für die konkret empirische Person Unfreiheit, weil Kant
die "Unterordnung jeglicher Regung unter die logische Einheit, ihren Primat
über das Diffuse der Natur, ja über alle Vielfalt des Nichtidentischen" for-
dere. Diese Unterordnung bestimmt Adorno näher als Unterdrückung: Kants Ethik
" ( . . . ) vermag, gemäß der Gesamtkonzeption, den Begriff der Freiheit einzig
als Unterdrückung vorzustellen. Sämtliche Konkretisierungen der Moral tragen
bei Kant repressive Züge. (...) Daher der Kantische Rigorismus." Die Per-
sönlichkeit als allgemeine logische Vernunfteinheit - schon Goethe sah sie
31
keineswegs vorbehaltlos als "höchstes Glück der Erdenkinder" - unterwerfe
•50
die Person als besonderes Insgesamt der Natur und sei insofern die "Kari-
katur von Freiheit" 33 . Das Kantische Freiheitsprinzip, dessen wahrer Gehalt
sich im Phänomen der "Neurose" offenbare , sei die " ( . . . ) Identität, die al-
les Nichtidentische annektiert hat" 35 : "Im Innersten koinzidieren die (The-
se, ß.) vom Determinismus und die von der Freiheit. Beide proklamieren Iden-
tität." Im Gegensatz zum Idealismus müsse Freiheit positiv als "Möglich-
keit von Nichtidentität" gedeutet werden.
Um diese K r i t i k beurteilen zu können, nach der sich in der Kantischen Ethik
das ungelöste Problem von Besonderem und Allgemeinem, Nichtidentischem (Natur)
und Identität (Vernunft) ausdrückt, muß zunächst ihre bei Adorno fehlende
Herleitung nachgeholt werden.
4.1.2.2 Herleitung
3ft
Kant will eine wissenschaftliche Ethik begründen ° und sucht deshalb nach dem
Prinzip der Sittlichkeit. Dieses muß nach seinen Überlegungen ein einziges
sein, da eine Mehrzahl ethischer Prinzipien sich selbst aufheben würde ,
d.h. es muß nicht bloß Generalität, sondern Universalität besitzen. Die
verlangte Universalität impliziert zunächst ein Abgehen von der Gefühlsethik,
der Kant in seiner vorkritischen Zeit teilweise verhaftet war. Sodann bedeu
tet sie die Zurückweisung einer material en, weil eo ipso für Kant (im Unter-
schied zu Max Scheler und Nicolai Hartmann ) empirischen Bestimmung des
Prinzips, was die Ablehnung einer aristotelisch-eudämonistischen Grundlegung
der Ethik bedingt. Da eine materiale Charakterisierung des ethischen Prinzips
für Kant ausgeschlossen ist, und außer der Materie nur die Form verbleibt,
muß das gesuchte Prinzip durch einen formalistischen Grundzug gekennzeichnet
sein: "Da ich den Willen aller (empirisch-materialen, B.) Antriebe beraubt
habe, die ihm aus der Befolgung irgend eines Gesetzes entspringen könnten, so
bleibt nichts als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt üb-
rig, welche allein dem W i l l e n zum Prinzip dienen soll, d . i . ich soll niemals
anders Verfahren, als SO, daß ich auch vollen könne, meine Maxime solle ein
44
allgemeines Gesetz sein."
Das Bewußtsein des Sittengesetzes, das Kant in jedem Menschen kraft seiner
Vernünftigkeit voraussetzt - so daß die Ethik den Menschen nur über sein ihm
inhärentes sittliches Sollen aufklären kann - wirkt nötigend, da der Mensch
aufgrund seiner Endlichkeit, d.h. grundsätzlichen Neigungsaffiziertheit, kein
"heiliges Wesen" ist, in dem Wollen und Sollen koinzidieren.
In der ratio essendi impliziert die Freiheit das Sittengesetz, in der ratio
cognoscendi das Sittengesetz die Freiheit.Diese ist weder die bloß negativ-
transzendentale Freiheit, deren Möglichkeit in der 'Kritik der reinen Ver-
nunft 1 sichergestellt wurde , noch die gesetzlose Willkürfreiheit, sondern
sie bestimmt sich als vernünftige Autonomie, positiv praktische Vernunft .
Ist der kategorische Imperativ mit dem Prinzip der Autonomie verbunden, so
der hypothetische mit dem der neteronaaie, nach der die Vernunft nicht sich
selbst ein Gesetz ist, sondern dem Grundsatz folgt: "ich soll etwas tun da-
rum, weil ich etwas anderes w i l l . "
Die im Sittengesetz begründete Autonomie kann durchaus mit einer möglichen
Einschränkung (Unfreiheit) der sinnlich-neigungsaffizierten Seite des Men-
schen einhergehen. Weil die.Autonomie des Menschen in seiner endlich-unendli-
chen Doppel Struktur verhaftet ist, ist sie nicht verwirklicht, sondern of-
fenbart sich als Sollen. Das moralische "Wollen" wird vom Menschen "(...)
als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt be-
trachtet." 58
4.1.2.3 Fehler
67 Adorno ( 7 ) , S. 253
68 Adorno ( 2 ) , S. 111
69 Vgl. Fichte (61), S. 145 f
70 Adorno ( 7 ) , S. 248
71 Adorno ( 7 ) , S. 34
72 Adorno ( 7 ) , S. 253
140 Adornos Kritik der Ethik Kants
eines notwendigen Widerstreits von Pflicht und Neigung durch die Einkleidung
in eine veränderte Terminologie, nämlich Identität und Nichtidentisches in-
direkt hergestellt.
Zweifelsohne sind die Begriffe Identität und Nichtidentisches entgegenge-
setzt. Aber das bedeutet nicht, daß sich das, was mit ihnen begriffen wird,
zwangsläufig konträr zueinander verhält, Homogenität ausgeschlossen ist, und
zwar deshalb, weil "Nichtidentisches" doppeldeutig ist. Sofern Identität für
Vernunft steht und Nichtidentisches für Natur qua Nicht-Identisches (qua
Nicht-mit-der-Vernunft-Identisches) sind die Überlegungen Adornos einsich-
tig. Jedoch ist hieraus keine Verhinderung von Individualität ableitbar.
Dies wird erst möglich, wenn die Natur qua Nicht-Identisches als Nichtiden-
tisches qua Nichtidentifizierbares (qua Besonderes) verstanden wird. Indem
das Nicht-Identische als ein prinzipiell Nichtidentifizierbares gedeutet
wird, entsteht der Schein eines notwendigen Widerstreites von Pflicht und
Neigung. Die Begriffsverschiebung ermöglicht die verlangte Prämisse und da-
mit den Schluß auf eine Individualitätsfeindschaft Kants. Die doppelte Be-
deutung von "Nichtidentität" entspricht dabei genau der fehlenden Differen-
zierung Adornos zwischen "nicht-sittlich" und "unsittlich".
4. Zudem gilt es zu fragen, ob die Vernunftfreiheit Kants w i r k l i c h die
gescholtene "(...) Identität, die alles Nichtidentische annektiert hat" ,
ist und Moralität demnach in der Herstellung abstrakter Identität besteht,
das "Böse" aber im Mißlingen der "formalen Einheit" .
Diese. Interpretation beruht auf einer doppelten Vereinfachung, der sich
schon Nietzsche schuldig machte, indem er den kategorischen Imperativ als
Forderung auffaßte, daß "(...) alle Menschen gleich handeln" sollen. Das
Sittengesetz ist zwar identisch, insofern es formal ist, aber deshalb werden
nicht die konkreten Handlungen gleichförmig gemacht, identifiziert, insofern
sie sittlich sein sollen. Die Unterordnung der konkreten Handlungen unter
den Anspruch des identischen Sittengesetzes läßt sich nicht als ihre Identi-
fizierung fassen, eben weil die Vielfalt der empirischen Handlungen selbst
gar nicht universal isierbar sein soll. Einzig die (allgemeinen) Maximen,
die jeder Handlung - ob ausgesprochen oder unausgesprochen - zugrundeliegen,
müssen der Forderung nach Universalisierbarkeit und damit in einem gewissen
Sinne nach Identifizierbarkeit genügen, nicht aber die auf einen begrenzten
73 Adorno ( 7 ) , S. 248
74 Adorno ( 7 ) , S. 289
75 Nietzsche (206), S. 466
Fehler 141
Handlungskreis bezogenen Regeln oder gar die Handlungen selbst (auch wenn
dies dem Wortlaut der "Typik" teilweise widerspricht). Grundsätze (Maximen
und Gesetze) sind nicht mit Regeln identisch, vielmehr enthalten jene zufol-
ge Kant "mehrere praktische Regeln unter sich" .
Adorno gelingt es einzig durch die Anwendung der undifferenzierten Identifi-
kationsbegrifflichkeit, seine K r i t i k zu formulieren, weil mittels dieser Ter-
minologie die beiden kategorialen Bestimmungen von Maxime und Regel, die Kant
zwischen das Sittengesetz und die Handlung selbst schaltet, nicht zu fassen
sind. Aus dem Zusammen dieser doppelten Vereinfachung und der Ambivalenz des
Begriffs des Nichtidentischen, die die verzerrte Deutung des Verhältnisses
von Pflicht und Neigung verschleiert, bauen sich die Vorwürfe der Repressi-
vität und Individualitätsfeindschaft a u f .
5. Ein weiterer Grund scheint Adorno zu diesen Vorwürfen verleitet zu haben:
Kant unterscheidet in seiner Ethik zwischen "Preis" und "Würde": "Im Reiche
der Zwecke hat entweder alles einen preis, oder eine würde. Was einen Preis
hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, ein Äquivalent, gesetzt wer-
den; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent ver-
stattet, das hat eine Würde."
Der Mensch als "Bürger zweier Welten" besitzt sowohl einen Preis als auch
eine Würde. Dem, was sich auf seine natürliche Seite bezieht ("Neigungen und
Bedürfnisse") kommt lediglich ein Preis zu. "Allein der Mensch als Person be-
trachtet, d.i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über al-
len Preis erhaben; denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als
Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck
an sich selbst zu schätzen, d.i. er besitzt eine würde (einen absoluten inne-
ren Wert), wodurch er allen anderen vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn
abnötigt" . Allein dem Menschen als Vernunftwesen kommt also ein absoluter
Wert zu, der Mensch als besonderes empirisches Naturwesen hingegen ist gleich-
gültig, äquivalent. Die je individuellen Ausgestaltungen der Person sind also
bei Kant nicht wertmaßig ausgzeichnet. Indessen darf nicht gefolgert werden,
daß Kant individualtitätsfeindlich ist und das menschliche Subjekt auf sei-
nen "reinen Begriff" 79
79
,reduziert. Individualität ist zugelassen, aber nicht
kritisch legitimiert. 80
Bevor nicht nachgewiesen wird, daß ohne den Wert des Prinzips der Indivi-
dualität die moral philosophische Konzeption in sich scheitert, kann das Fak-
tum einer bloßen Konzession des Individuellen nicht kritisch gewendet werden.
Die von Schiller erkannte Problematik der kritischen Ethik liegt in diesem Zu-
sammenhang in der sich an die philosophische Grundlegung anschließenden Dimen-
sion des Pädagogischen , der Vereinigung von Kontinuität (Stetigkeit) und
Diskontinuität (Unstetigkeit). Dieser Problemkomplex wird von Adorno jedoch
nicht thematisiert.
6. In geradezu ironischer Weise offenbart sich Adornos Mißverständnis, wenn
er dem Kantischen Freiheitsbegriff die "Idee von Freiheit als Möglichkeit von
Nichtidentität" entgegensetzt:Die "Möglichkeit von Nichtidentität" ist auch
bei Kant gewährleistet.
Demnach kann der Unterschied zwischen Kant und Adorno nur darin bestehen,
daß Kant neben dieser Möglichkeit auch überindividuelle Ansprüche kennt und
in Rechnung stellt, Adorno hingegen das Gefühl von jeglicher Bindung an Ver-
nunft lossprechen w i l l . Manifest wird dies in seiner Ablehnung von Rationali-
sierungen ethisch-relevanter Impulse. 83 Dem aber ist entgegenzuhalten, daß
das Gefühl allererst durch die Vernunft legitimiert werden muß, so daß diese
notwendig das letzte Wort behält. In dieser Erkenntnis liegt gerade ein Fort-
schritt Kants gegenüber Rousseau.
7. Abschließend ist festzuhalten, daß Adornos Repressivitätsvorwurf gegen-
über der Freiheitskonzeption Kants unbegründet ist. Er beruht auf einem mehr-
fachen Mangel an gedanklichen Differenzierungen (Verkürzung des Verhältnis-
ses von Pflicht und Neigung; Außerachtlassung der Funktionen von Maxime und
Regel) und sprachlicher Klarheit (doppelter Begriff des "Nichtidentischen").
Auch wenn Kant I n d i v i d u a l i t ä t wertmäßig nicht auszeichnet, ist daraus weder
eine "Unterdrückung" des Natürlichen und Individuellen noch eine Reduktion
der konkreten Person auf die abstrakte Persönlichkeit abzuleiten. Auch hier
79 Adorno ( 7 ) , S. 253
80 Vgl. Ritzel ( 2 3 3 ) , S. 95
81 Vgl. dazu Ritzel (233) und Derbolav ( 4 2 ) , bes. S. 531 - 534
82 Adorno ( 7 ) , S. 66. Vgl. ( 7 ) , S. 212
83 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 281
84 Vgl. zur Problematik der Rousseauschen Moralkonzeption Ritzel ( 2 3 2 ) , S.
61 f, 77
Freiheit und Kausalität 143
schrumpft Adornos Kritik auf eine bloße Konfrontation zusammen: Der allgemei-
nen Vernunft und ihrer Bindung des Handelns werden die je besondere Indivi-
dualität und die Loslösung des Handelns von allgemeinen Ansprüchen entgegen-
85
gesetzt, ohne daß aber der Wert der Individualität legitimiert worden wäre.
Schon jetzt drängt sich die Frage a u f , wie Adorno diesen allgemeinen Erfor-
dernissen der Einschränkung des Handlungsspielraums durch die Ansprüche des
überindividuellen entsprechen w i l l . Gelingt ihm die Synthese von Vernunft und
I n d i v i d u a l i t ä t , wie er sie auch - im Gegensatz zu seiner Ablehnung von Ratio-
nalisierungen ethisch relevanter Impulse - in der "Versöhnung von Geist und
Natur" fordert und wie sie schon vor ihm von Schiller gefordert worden ist ?
Zugleich deutet sich hier die unterschiedliche Auffassung der menschlichen
87
Subjektivität an: Bei Kant macht die Vernunft das "eigentliche Selbst" aus,
und in Obereinstimmung damit ist die Freiheit als Autonomie auf die Vernunft
bezogen. Bei Adorno steht die Natur in ihrer jeweiligen Besonderheit im Zen-
trum, und Freiheit wird (zumindest teilweise) als ungehinderte Entfaltung des
Natürlichen gedeutet.
Die Repressivität des Begriffs einer Vernunftfreiheit reigt sich nach Adorno
auch darin, daß Kant Freiheit als "Spezialfall von Kausalität" 88 konstruiere.
Oft
Dadurch nehme er sie, indem er sie setze, zurück. Nicht nur die phänomena-
len Konstituta seien dem Kausalprinzip unterworfen,sondern ebenso - entgegen
Kants Selbstverständnis - die noumenalen Konstituentien: "Unterliegt bereits
die Konstitution der Kausalität durch die reine Vernunft, die doch bereits
ihrerseits Freiheit sein soll, der Kausalität, so ist Freiheit vorweg so kom-
promittiert, daß sie kaum einen anderen Ort hat als die Gefügigkeit des Be-
wußtseins dem Gesetze gegenüber." 90
In der Tat bezeichnet Kant das moralische Gesetz als "ein Gesetz der Kausa-
lität durch Freiheit" 9 und bestimmt Freiheit als "Kausalität nach unwandel-
qy
baren Gesetzen" . Was aber kann das für eine Freiheit sein, die mit Kausali-
tät zusammenfällt ?
Das Problem löst sich dadurch, daß Kant einen doppelten Kausalitäts-
begriff verwendet: "Man kann sich nur zweierlei Kausalität in Ansehung dessen,
was geschieht denken, entweder nach der Natur oder aus Freiheit." Freiheit
f ä l l t also nicht mit Naturkausalität zusammen, sondern ist (in ihrer negati-
ven transzendentalen Bedeutung) "(...) das Vermögen, einen Zustand von selbst
QO
anzufangen" . Kausalität ist bei Kant nicht nur Naturkausalität, sondern
auch das Vermögen, Wirkungen hervorzubringen. Ein solches Vermögen ist der
menschliche W i l l e , "(...) und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser
Kausalität sein, da sie unabhängig von fremden, sie bestimmenden Ursachen
wirkend sein kann" 94 .
Versteht man Kausalität als Vermögen, Wirkungen hervorzubringen, und Frei-
heit als Vermögen, ursprünglich zu wirken, so ist diese Freiheit durchaus ein
"Spezialfall von Kausalität". Indessen meint Adorno mit der Bestimmung noch
ein anderes: Freiheit sei aufgrund ihrer Kausalität "Gefügigkeit des Bewußt-
95
seins dem Gesetze gegenüber" : "Kausalität aus Freiheit korrumpiert diese
in Gehorsam." 96
Diese Kritik ist aber insofern problematisch, als Adorno die beiden Kausa-
litätsbegriffe identifiziert. Die Ineinssetzung läßt sich genau verfolgen:
In bezug auf Kant heißt es: "Vernunft ihrerseits aber ist ihm nichts anderes
als das gesetzgebende Vermögen. Darum muß er Freiheit von Anbeginn als 'beson-
dere Art von Causalität' vorstellen." 97 Die Kausalität von Vernunft und Frei-
heit besteht also darin, Wirkungen hervorzubringen, Gesetze zu geben. Daran
schließt sich folgender Satz direkt an: "Indem er sie (die Freiheit, B.)
setzt, nimmt er sie zurück." Nun wird also die Kausalität der Freiheit als
Freiheit unter Kausalität (qua Naturkausalität, Fremdbestimmtheit) verstanden.
90 Adorno (7) S. 246
91 Kant (146) S. 47
92 Kant (143) S. 446
93 Kant (147) S. 560 f. Vgl. dazu Paton ( 2 1 2 ) , S. 258 f
94 Kant (143) S. 446
95 Adorno (7) S. 246
96 Adorno (7) S. 231
97 Adorno (7) S. 252
Freiheit als Autonomie 145
Kant weist im Bereich des Sittlichen die Willkürfreiheit zurück und bestimmt
die positiv praktische Freiheit (auf der Grundlage der negativ transzendenta-
len Freiheit) als Autonomie. Diesen Schritt begründet er in der 'Grundle-
1
gung zur Metaphysik der Sitten durch eine Bezugnahme auf die Kausalität der
Freiheit insofern, als seines Erachtens der Begriff der Kausalität den Be-
griff des Gesetzes in sich enthält: Die Freiheit "(...) muß (...) eine Kau-
salität nach unwandelbaren Gesetzen, aber von besonderer Art, sein; denn
sonst wäre ja ein freier W i l l e ein Unding."
Indessen berechtigt auch dies nicht dazu, von einer Korrumpierung der
Freiheit in "Gehorsam" und "Gefügigkeit" 102 zu sprechen. Kant weist aus-
drücklich darauf h i n , daß das Gesetz positiv praktischer Freiheit "von be-
sonderer Art" ist: Es ist autonom. "Der W i l l e wird also nicht lediglich dem
Gesetze unterworfen, sondern so unterworfen, daß er auch als seibstgesetz-
98 Adorno ( 7 ) , S. 246
99 Schon Beier stellt die "Konfundierung von Objekt- und metatheoretischer
Ebene" als "eine zentrale, für die Theorie folgenreiche Zwiespältigkeit
bei Adorno" [Beier ( 3 0 ) , S. 63] heraus.
100 Vgl. Kant (143), S. 433
101 Kant ( 1 4 3 ) , S. 446. Vgl. ( 1 4 6 ) , S. 89; ( 1 4 1 ) , S. 35. Vgl. zu einer ande-
ren Begründung Paton ( 2 1 2 ) , S. 262.
102 Adorno ( 7 ) , S. 246
146 Adornos Kritik der Ethik Kants
gebend, und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er selbst sich als
Urheber betrachten kann) unterworfen, angesehen werden muß." Die sich hier
aufdrängende Vermutung, daß Adorno dem Autonomie-Gedanken nicht gerecht wird,
bestätigt sich durch Aussagen wie die, daß Kant "(...) Freiheit ohne Zwang
nicht ertragen" könne. Adorno sieht deshalb die sittliche Freiheit Kants "in
Gehorsam (korrumpiert)" , weil er dem Unterschied zweier Gesetzestypen,
Autonomie und Heteronomie, nicht Rechnung trägt und so das Entscheidende der
kritischen Ethik verkennt. 105
Nur konsequent ist es, daß Adorno wie schon vor ihm Schopenhauer und
Nietzsche die Nötigung des Sittengesetzes als "Säkularisierung der Glau-
tno IflO
bensautorität" deutet (obwohl Kant gleich Lessing die Religion umgekehrt
an die Ethik bindet 110 ) und die komplexe Bedeutung des zentralen Begriffs der
Achtung reduziert: Bei Kant ein "selbstgewirktes Gefühl" , wird sie bei
Adorno zum "Respekt" .
Durchaus auf Adorno beziehbar - obwohl eigentlich auf vorkantische Philoso-
phen gemünzt - ist Kants Feststellung: "Man sähe den Menschen durch seine
Pflicht an Gesetze gebunden, man ließ es sich aber nicht einfallen, daß er
nur seiner eigenen und dennoch allgemeinen Gesetzgebung unterworfen sei, und
daß er nur verbunden sei, seinem eigenen, dem Naturzwecke nach aber allgemein
gesetzgebenden, W i l l e n gemäß zu handeln. Denn wenn man sich ihn nur als einem
Gesetz ( . . . ) unterworfen dachte: so mußte dieses irgend ein Interesse als
Reiz oder Zwang bei sich führen, weil es nicht als Gesetz aus seinem W i l l e n
entsprang, sondern dieser gesetzmäßig von etwas anderem genötigt wurde, auf
gewisse Weise zu handeln. Durch diese ganz notwendige Folgerung aber war a l l e
Arbeit, einen obersten Grund der Pflicht zu finden, unwiederbringlich verlo-
ren. Denn man bekam niemals Pflicht, sondern Notwendigkeit der Handlung aus
einem gewissen Interesse heraus." Dieses Interesse ist bei Adorno eudämo-
nistisch, genauer hedonistisch, zielt doch seines Erachtens "alles Glück auf
sinnliche Erfüllung" ab.
Die Überlegungen zum Kausal itäts-und Autonomiegedanken der Freiheit zusam-
mengefaßt .bedeutet dies,daß Adorno 1. den doppelten Kausalitätsbegriff Kants
nicht berücksichtigt,2. Ebene und Metaebene verwechselt,3. nicht hinreichend
zwischen Autonomie und Heteronomie unterscheidet.
Zum Abschluß seien noch weitere Aspekte des Repress i vitä'tsvorwurf es kurz er-
örtert: die Probleme der Stellung Kants zu Glück und M i t l e i d , die Verwendung
repressiver Ausdrücke und sein sogenanntes "Strafbedürfnis" .
i. Problem des Glücks: Eines der Grundanliegen der Kritischen Theorie, das
sich schon in Schillers Forderung nach einer "vollständigen anthropologischen
Schätzung" ausdrückt, ist ihr Eintreten für den Wert der menschlichen Sinn-
lichkeit, die nicht zugunsten einer abstrakten Vernunft geopfert werden dür-
fe. Dabei greift sie insbesondere Gedanken Nietzsches auf, der in seiner
"Streitschrift" 'Zur Genealogie der Moral 1 das asketische Ideal als Aus-
druck der "Krankhaftigkeit im bisherigen Typus des Menschen" dem "schutz-
and Heil-Instinkte eines degenerierten Lebens" 118 entsprungen sieht. Die Ver-
treter der Kritischen Theorie entmystifizieren nun über Nietzsche kritisch
hinausgehend diese Polemik historisch-gesellschaftspolitisch.
So versucht M. Horkheimer die "Notwendigkeit der idealistischen Moral", die
i tg
wesentlich repressiv sei, "aus der wirtschaftlichen Lage des Bürgertums"
abzuleiten. Die "dem moralisch vermittelten Zwang zur Askese" entsprechen-
de "Verdammung des Egoismus, ja des Genusses überhaupt", wie sie sich in den
121
"anthropologischen Anschauungen des Bürgertums 1 manifestiere, sei ein
"Herrschaftsmittel", das "stets größeres Gewicht" im Interesse der "Domesti-
122
zierung der Massen" gewonnen habe. Das ehemals offene "Herrschaftsverhält-
nis" werde in der Neuzeit "durch Bändigen und Ertöten der Lustansprüche ver-
innerlicht." 1 2 3
Ähnlich sieht auch H. Marcuse das "Interesse der Kritischen Theorie" inso-
fern mit dem "Hedonismus" verbunden, als in seinem "(...) materialistischen
Protest (...) ein sonst verfemtes Stück menschlicher Befreiung aufbewahrt
ist" . Die "Abwertung des Genusses" sei durch die ökonomisch bestimmte ge-
sellschaftliche Aufwertung der Arbeit bedingt: "Die Legitimierung der Lust
1 ?*5
als Wert würde in der Tat alles auf den Kopf stellen" .
Vor diesem Hintergrund ist auch Adornos Beurteilung der Stellung Kants zur
Frage des Glücks zu sehen:In seiner Haltung zum menschlichen Glück sei Kant
126
"so ambivalent wie der bürgerliche Geist insgesamt" . Die "Ambivalenz" stei-
gere sich "bis zum Zerreißen": "Einerseits verteidigt er es (das Glück, B.)im
Begriff der Glückswürdigkeit,andererseits verunglimpft er es als heteronom".
Dabei seien Kants "Modifikationen seiner Stellung zum Glück im Fortgang der
Kritik der praktischen Vernunft (...) keine nachlässigen Konzessionen an die
Tradition der Güterethik; vielmehr, vor ttegel, Modell einer Bewegung des Be-
127
griffs." Dies werde "aktenkundig" in der ersten Anmerkung zum vierten Lehr-
satz der ' K r i t i k der praktischen Vernunft 1 , in der Kant die Beförderung der
Glückseligkeit (seiner eigenen als auch der anderer Menschen) zwar nicht als
Bestimmungsgrund sittlicher Handlungen gelten läßt, sie wohl aber als ihre
Materie konzediert, sofern " ( . . . ) die Form der Allgemeinheit, die die Ver-
128
nunft als Bedingung bedarf" , motivierend ist. Dadurch wird - so Adorno -
1?Q
die Unabhängigkeit des Sittengesetzes "suspendiert" .
Zunächst ist daran zu erinnern, daß Kant das menschliche Streben nach Glück
durchaus als faktisch und subjektiv notwendig anerkennt. Allerdings ver-
131
neint er, daß das eudämonistische Prinzip einen direkten Bestimmungsgrund
sittlicher Handlungen abgeben kann. Zugleich ist Kant weit davon entfernt,
verhindern und damit gegen andere höhere Pflichten zu verstoßen. Schon in der
vorkritischen Schrift 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabe-
nen 1 findet sich folgende Überlegung: "Denn setzet: diese Empfindung bewege
euch, mit eurem Aufwande einem Notleidenden aufzuhelfen, allein ihr seid ei-
nem anderen schuldig und setzt euch dadurch außer Stand, die strenge Pflicht
der Gerechtigkeit zu erfüllen, so kann offenbar die Handlung aus keinem tu-
gendhaften Vorsatze entspringen, denn ein solcher könnte euch unmöglich an-
reizen, eine höhere Verpflichtung dieser blinden Verzauberung aufzuopfern."
Auch wenn das Mitleid als solches in der kritischen Ethik zu den Adiaphora
zählt, erkennt Kant die Gefahr, daß dieses Gefühl - wird es isoliert - leicht
dem von der Pflicht Gebotenen abträglich ist. Aus diesem Grunde bindet er das
Mitleid an Grundsätze: in der vorkritischen Zeit an den Grundsatz der "allge-
meine(n) Wohlgewogenheit gegen das menschliche Geschlecht" 138 , im Spätwerk an
den der "Menschlichkeit": "Ob zwar aber Mitleid (...) mit anderen zu haben an
sich selbst nicht Pflicht ist, so ist es doch tätige Teilnehmung an ihrem
Schicksale und zu dem Ende also indirekte Pflicht, die mitleidige natürliche
(ästhetische) Gefühle in uns zu kultivieren, und sie, als so viele Mittel zur
Teilnehmung aus moralischen Grundsätzen und dem ihren gemäßen Gefühl zu be-
nutzen." 139
Von einer "Verachtung fürs Mitleid" kann bei Kant keine Rede sein. Vielmehr
bezeichnet er dieses Gefühl als "schön und liebenswürdig" - allerdings zu-
gleich aus den angegebenen Gründen als "gleichwohl schwach und jederzeit
blind" . Adorno aber klammert sowohl den Gedanken einer aus Pflicht gebote-
nen "tätige(n) Teilnehmung" als auch die systematische Begründung Kant* für
seine skeptische Einstellung zur Positivität des Mitleids aus. Statt dessen
unterstellt er Kant im Zuge seiner Umdeutung der kritischen Philosophie in
eine Proklamation von Macht und Herrschaft, dieser lehne das Mitleid ab, weil
es eine "'gewisse Weichmütigkeit"' 1 4 1 an sich habe. Derart doppelt reduziert
und entstellt, wird Kant mit Nietzsche vergleichbar, die Ablehnung des Mit-
leids erscheint als Verherrlichung des als Selbstzweck gesetzten Obermenschen.
Nietzsche sieht durch das Mitleid gerade die Ausnahmestellung des großen
Menschen bedroht. "Ich werfe den Mitleidigen vor, daß ihnen die Scham, die
Ehrfurcht, das Zartgefühl vor Distanzen leicht abhanden kommt, daß Mitlei-
den im Handumdrehen nach Pöbel riecht und schlechten Manieren zum Verwech-
138 Kant (138), S. 216
139 Kant (140), S. 456 f
140 Kant (138), S. 215 f
141 Adorno ( 2 ) , S. 122
Weitere Aspekte 151
sein ähnlich sieht - daß mitleidige Hände unter Umständen geradezu zerstöre-
risch in ein großes Schicksal, in eine Vereinsamung unter Wunden, in ein
Vorrecht auf schwere Schuld hineingreifen können. Die Oberwindung des Mit-
leids rechne ich unter die vornehmen Tugenden."
Schränkt Kant also den Wert und Handlungsspielraum menschlichen Mitleids
im Interesse einer optimalen Erfüllung moralischer Pflichten ein, so disqua-
l i f i z i e r t Nietzsche demgegenüber gerade deshalb das Mitleid als "Sünde" ,
weil es im Bereich der christlichen "Sklavenmoral" liegt, in der er den
"Willen gegen das Leben"144 verkörpert sieht. Beurteilt Kant das Gefühl des
Mitleids skeptisch, weil es allzu leicht in Konflikt mit der überindividuel-
len Norm der Moral gerät, so lehnt Nietzsche es ab, weil es moralisch ist,
d.h. den einsamen Herrenmenschen in Versuchung führt. In diesem Sinne heißt
es im letzten Teil des 'Zarathustra 1 bei der Begegnung Zarathustras mit dem
Wahrsager: "'Du schlimmer Verkündiger 1 , sprach endlich Zarathustra, 'das ist
ein Notschrei und der Schrei eines Menschen; der mag wohl aus einem schwar-
zen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Not an l Meine letzte Sünde,
die mir aufgespart blieb, weißt du wohl, wie sie heißt ?' 'Mitleiden l ' ant-
wortete der Wahrsager" . Demgegenüber macht Kant die "tätige Teilnehmung"
zur Pflicht.
Eine angemessene Auseinandersetzung mit der kritischen Ethik müßte sich auf
die Käntische Argumentation selbst einlassen und dürfte nicht nur wie Adorno
vom (zuletzt falsch gedeuteten) Ergebnis her subjektives Unbehagen formulie-
ren.
nun spricht sich ebenfalls gegen das Mitleid aus. Jedoch versucht
er dies als Kritiker von Herrschaft nicht mit der - wie er es Kant unter-
stellt - "Weichheit", sondern mit dem "Beschränkende(n) am Mitleid" zu be-
gründen: "(...) es ist immer zu wenig." Es bestätige sogar "(...) die Regel
der Unmenschlichkeit durch die Ausnahme, die es praktiziert." Es nehme
"(...) das Gesetz der universalen Entfremdung, die es mildern möchte, als
unabänderlich hin", weil es "(...) die Aufhebung des Unrechts der Nächsten-
liebe in ihrer Zufälligkeit vorbehält" 146 .
Indessen erklärt Adorno nicht, wie ein "Gesetz der universalen Entfrem-
dung" mit der wenn auch nur individuell zufallen "Aufhebung des Unrechts"
zusammengedacht werden kann, inwiefern zugestandene "Ausnahmen" die "Regel
der Unmenschlichkeit" bestätigen sollen und nicht vielmehr widerlegen, wes-
halb ein "zu wenig" offensichtlich fragwürdiger sein soll als ein Nichts.
3. Problem der repressiven Ausdrücke: Einen weiteren Vorbehalt macht Ador-
no gegen Kants Ethik geltend: "Sämtliche Begriffe, welche in der Kritik der
praktischen Vernunft, zu Ehren von Freiheit, die Kluft zwischen dem Impera-
tiv und dem Menschen ausfüllen sollen, sind repressiv: Gesetz, Nötigung,
Achtung, Pflicht." 1 4 8
Der Einwand übergeht das Entscheidende der kritischen Ethik und ihres Au-
tonomiegedankens: Die Scheidelinie läuft nicht - wie vorausgesetzt - zwischen
dem Menschen und einem ihm fremden Imperativ, sondern die nötigende Sollens-
struktur ist Ausdruck des unendlich-endlichen (vernünftig-natürlichen) Dop-
pelwesens des Menschen. Auch ist Kant diesem Einwand schon im Grundsätzli-
chen begegnet: "Man kann aus dem kurz Vorhergehenden sich jetzt es sich
leicht erklären, wie es zugehe: daß, ob wir gleich unter dem Begriffe von
Pflicht uns eine Unterwürfigkeit unter dem Gesetze denken, wir uns zugleich
dadurch eine gewisse Erhabenheit und würde an derjenigen Person vorstellen,
die alle ihre Pflichten e r f ü l l t . Denn so fern ist zwar keine Erhabenheit an
ihr, als sie dem moralischen Gesetz unterworfen ist, wohl aber, so fern sie
in Ansehung eben desselben zugleich gesetzgebend und nur darum ihm unterge-
149
ordnet ist." Pflicht und verwandte Begriffe besitzen also einen zweifa-
chen Aspekt , der in der Doppel Struktur des Menschen beschlossen liegt,
von Adorno aber einseitig verkürzt wird.
4. Kants "Strafbedürfnis": Zum Abschluß sei Adornos These noch erwähnt,
daß der repressive Aspekt der Ethik Kants "(...) ungemindert im Strafbedürf-
nis (triumphiert)." Weder ist aus der von Adorno als Beweis zitierten
Stelle der ' K r i t i k der praktischen Vernunft 1 auch nur etwas einem "Strafbe-
dürfnis" ähnliches herauszulesen, noch scheint er sich auf diese These fest-
147 Ähnliche Probleme wirft auch Adornos Kritik der christlichen Idee der
Nächstenliebe auf. Vgl. Adorno ( 3 ) , S. 224 ff
148 Adorno ( 7 ) , S. 231
149 Kant (143), S. 439 f
150 Der Begriff der Achtung drückt für Kant sowohl "Unterwerfung'1 als auch
"Erhebung" [Kant (146), S. 80] aus.
151 Adorno ( 7 ) , S. 257
Weitere Aspekte 153
legen zu wollen, denn hinsichtlich der 'Kritik der reinen Vernunft 1 konze-
diert er - allerdings nur in einer Anmerkung -, daß deren "Tenor" 152 anders
laute. Ganz im Gegensatz zu Adornos These heißt es vielmehr in der stark von
Rousseau beeinflußten Vorlesung Ober Pädagogik 1 , daß die moralische Strafe
(Achtungs- und Liebesentzug) die "zweckmäßigste" sei, und die physischen
Strafen, sofern sie nicht negativ seien, "(...) mit Behutsamkeit ausgeübt
werden (müssen) .
Als Ergebnis der Erörterungen des Repressiv!tätsvorwurfes ist festzuhal-
ten: 1. Kants Ethik begründet keine "Allianz von Freiheitslehre und repres-
siver Praxis". Sie ist als Herrschaftsmittel im Dienste einer bestimmten Ge-
sell Schaftsschicht denkbar ungeeignet. 2. Die von ihr postulierte Vernunft-
freiheit koinzidiert keineswegs mit einer Unfreiheit der natürlichen Seite
des Menschen. Der Vorwurf einer Individualitätsfeindschaft Kants beruht auf
dem mehrfachen Mangel grundlegender Differenzierungen. 3. Die innere Struk-
tur der idealistischen Vernunftfreiheit selbst wird verkannt und insbesonde-
re dem Gedanken der Autonomie nicht Rechnung getragen. 4. Die Probleme der
Stellung Kants zu Glück und Mitleid, der Verwendung repressiver Ausdrücke
und eines sogenannten "Strafbedürfnis(ses) M werden entweder fehlgedeutet
oder verzerrt.
Die einseitige Bindung der Freiheit an Rationalität bedeutet fUr Adorno nicht
nur den oben beschriebenen Umschlag in Unfreiheit, Repressivität und Kausali-
tät, sondern auch den in Irrationalität. Diese erblickt Adorno sowohl in der
Begründung der Ethik, als auch in ihren Konsequenzen.
Die Irrationalität der Begründung der kritischen Ethik macht Adorno an dem
Gedanken des Faktums der reinen Vernunft fest. "Sie müssen davon ausgehen,
daß Kant in der 'Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 1 und dann auch in der
'Kritik der praktischen Vernunft' redet von dem Faktum, der Tatsache, der
Gegebenheit des Sittengesetzes. (...) Ich habe mit dieser Gegebenheit des
Sittengesetzes ganz genauso zu rechnen ( . . . ) , wie ich im Bereich der sinn-
lichen Erfahrung mit der Gegebenheit von Empfindungen zu rechnen habe."
Die Thes_e von der "Gegebenheit des Sittengesetzes" sei "heteronom und auto-
ritär" . "Die Nötigung, die laut Kant vom kategorischen Imperativ ausgeht,
widerspricht der Freiheit, die in ihm als ihrer obersten Bedeutung sich zu-
sammenfassen soll. Nicht zuletzt darum wird der aller Empirie entäußerte Im-
perativ als ein keiner Prüfung durch die Vernunft bedürftiges 'Factum 1 vor-
geführt, trotz des Chorismos zwischen Faktizität und Idee. Die Antinonrik der
Kantischen Freiheitslehre spitzt sich darin zu, daß ihr das Sittengesetz un-
mittelbar für vernünftig g i l t und für nicht vernünftig; vernünftig, weil es
sich auf reine logische Vernunft ohne Inhalte reduziert; nicht vernünftig,
weil es in reiner Gegebenheit zu akzeptieren, nicht weiter zu analysieren
sei (...).. Diese Antinomik ist nicht dem Philosophen aufzubürden: die reine
Konsequenzlogik, w i l l f ä h r i g der Selbsterhaltung ohne Selbstbesinnung, ist
an sich verblendet, unvernünftig. (...) Ratio wird zur irrationalen Autori-
tät." Soweit die wichtigsten Aussagen Adornos zu diesem Problem.
Es sei davon abgesehen, daß Adorno das Faktum des Sittengesetzes schon in
der 'Grundlegung zur Metaphysik der Sitten' ausgesprochen sehen w i l l - damit
verkennt er den gedanklichen Fortschritt, den Kant in der drei Jahre später
publizierten ' K r i t i k der praktischen Vernunft 1 erreicht. Vielmehr sind
fünf wesentliche Bestimmungen der zitierten Äußerungen zu betrachten:
Faktum ist 1. das Sittengesetz, das 2. "autoritär und heteronom" ist, 3. als
keiner Prüfung bedürftig dargestellt wird, 4. in eine "Antinomik" hinein-
führt, 5. als empirisch zu charakterisieren ist.
ad 1) In den ersten fünf Paragraphen der ' K r i t i k der praktischen Vernunft 1
arbeitet Kant (analog den ersten beiden Abschnitten der 'Grundlegung zur Me-
taphysik der Sitten') analytisch die Gestalt des sittlichen Gesetzes heraus,
die die Vernunft haben muß, wenn sie praktisch sein kann. Die Hypothetizität
des Ergebnisses hebt nun Kant durch den Gedanken des "Faktums der reinen
Vernunft" auf. Dieses Faktum läßt sich anhand des Kantischen Textes durch
zwei Bestimmungen identifizieren: Als Faktum gilt a) das Sittengesetz
selbst158, b) das Bewußtsein des Sittengesetzes . Kant muß beweisen, daß
das im kategorischen Imperativ formulierte Sittengesetz kein "leerer Wahn
und chimärischer Begriff" ist. Dazu genügt es nicht, auf das als Faktum
zuzugebende Bewußtsein des Sittengesetzes zu rekurrieren. Dies bewiese noch
nicht die zweifelhafte Realität des Sittengesetzes selbst, dessen Objekti-
vität gerade dargetan werden muß. Soll ein theoretischer Fortschritt er-
reicht werden, muß also ein Zusammenhang zwischen den beiden Fakta aufge-
deckt werden.
L. W. Beck macht hier auf die wichtige Unterscheidung zwischen "fact of
reason" und "fact for reason" aufmerksam. Beide Bedeutungen liegen im
Ausdruck "Faktum der reinen Vernunft" beschlossen. Ist das Sittengesetz ein
Faktum für die Vernunft, so ist es Gegenstand einer besonderen und in sei-
ner Wahrheit durchaus anzweifelbaren Intuition. Um ein Faktum für die Ver-
nunft zu sein, das den Erfordernissen genügt, muß das Gesetz ein von der
Vernunft selber gegebenes Gesetz sein, weil nur ein solches a priori und
direkt von der Vernunft erkannt werden kann. Ein solches Gesetz ist zugleich
157 Vgl. zum Unterschied der 'Grundlegung' von der 'Kritik der praktischen
Vernunft 1 Henrich (110), S. 245 f.
158 Vgl. Kant (146), S. 31, 47
159 Vgl. Kant (146), S. 31
160 Kant (143), S. 402
161 Vgl. zum folgenden Beck (29), S. 161 ff; ( 2 7 ) , S. 279 ff. Vgl. auch Hen-
rich (110), S. 239 - 249
156 Adornos Kritik der Ethik Kants
ein Faktum der Vernunft. Ausdruck der Autonomie der Vernunft ist aber das
moralische Gesetz, also das geforderte Faktum flir die Vernunft, insofern es
das Faktum der Vernunft ausdrückt, die Praktizität reiner Vernunft. "Deswe-
gen ist das moralische Gesetz das einzige Faktum für die Vernunft, denn es
162
drückt nur das einzige Faktum der Vernunft aus." Obwohl also das morali-
sche Bewußtsein, das ein unbestreitbares Faktum ist, weil die Leugnung mora-
lischer Ansprüche selbst moralische Gründe voraussetzt, zunächst nicht zu-
reicht, die Realität des Sittengesetzes zu beweisen, so doch dann, wenn man
das moralische Gesetz qua Faktum für die Vernunft als Gesetzgebung der Ver-
nunft selbst (Autonomie) deutet. In diesem Fall nämlich spiegelt sich im
Faktum für die Vernunft nur das Faktum der Vernunft. Dabei berührt die Tat-
sache eines möglichen Irrtums hinsichtlich material bestimmter Pflichten des
moralischen Bewußtseins diese Überlegungen nicht, wie sich umgekehrt aus ih-
nen selbstverständlich nicht die Richtigkeit eines material bestimmten
Pflichtbewußtseins ableiten läßt. Dazu bedürfte es weiterer Überlegungen.
Adorno nun bezieht a) das Faktum der reinen Vernunft auf das Sittengesetz
und nicht das Bewußtsein des Sittengesetzes und identifiziert b) das Sitten-
gesetz als Faktum nicht der Vernunft, sondern für die Vernunft.
Die Bezugnahme auf das Sittengesetz und nicht sein Bewußtsein liegt zu-
nächst durchaus im Rahmen des Interpretationsmöglichen. Problematisch aber
wird der Sachverhalt, wenn Adorno das Sittengesetz mit dem Faktum für die
Vernunft identifiziert 1 6 3 : Faktum für die Vernunft ist primär das Bewußtsein
des Sittengesetzes, wohingegen das Sittengesetz selbst das Faktumjter Ver-
nunft ist. In Hinsicht auf das Sittengesetz selbst formuliert Kant, daß die-
ses " ( . . . ) das einzige Faktum der reinen Vernunft sei, die sich dadurch als
ursprünglich gesetzgebend ( . . . ) ankündigt." Die Deutung des Sittengeset-
zes als Faktum für die Vernunft ist hier ausgeschlossen. Dies weist auf ein
grundlegendes Mißverständnis h i n , das im folgenden deutlich wird.
ad 2) Kants These von "der Gegebenheit des Sittengesetzes" sei "heteronom
und autoritär". Voraussetzung dieses Einwandes ist die Interpretation des
Sittengesetzes als Faktum fUr die Vernunft, die Trennung von Sittengesetz
und Vernunft. Indessen wird nach Kant der reinen Vernunft kein Gesetz gege-
ben (und insofern ist sie nicht heteronom bestimmt), sondern sie "(.··) gibt
(dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nen-
nen." Insofern trifft gleichfalls Hegels Diktum nur bedingt zu, die "kal-
te Pflicht" sei "der letzte unverdaute Klotz im Magen, die Offenbarung ge-
geben der Vernunft." Der Heteronomievorwurf zeigt, daß Adorno auch hier
den Autonomiegedanken der kritischen Ethik nicht berücksichtigt.
ad 3) Ähnliches g i l t für einen Einwand, zu dem Adorno den Heteronomievor-
wurf zuspitzt: Das Sittengesetz sei nicht nur "autoritär", sondern darüber-
hinaus nach Kant "ein keiner Prüfung durch die Vernunft bedürftiges 'Fac-
tum 1 " 1 . Abgesehen davon, daß Adorno keine Belegstelle für seine These
nennt, werden hier abermals Vernunft und Sittengesetz voneinander getrennt,
die Vernunft wird auf die Funktion reduziert, etwas Gegebenes blind zu ak-
zeptieren, das Sittengesetz als etwas in sich gerechtfertigtes Außervernünf-
tiges hingestellt.
Kants Ausführungen sind dem entgegengesetzt: Zwar hebt er ausdrücklich
hervor, daß "(...) die objektive Realität des moralischen Gesetzes durch kei-
ne Deduktion, durch alle Anstrengungen der theoretischen, spekulativen oder
empirisch unterstützten Vernunft bewiesen und also, wenn man auch auf die
apodiktische Gewißheit Verzicht tun wollte, durch Erfahrung bestätigt und
so a posteriori bewiesen werden" 16ß kann, aber das impliziert für ihn nicht,
daß das Sittengesetz w i l l k ü r l i c h ist. Das "Kreditiv des moralischen Gesetzes"
liegt vielmehr darin begründet, daß es Deduktionsprinzip der Freiheit ist.
Es bestimmt die Kausalität durch Freiheit positiv, deren Möglichkeit die
theoretische Vernunft nur negativ darlegen konnte. Die praktische und theo-
retische Vernunft (genauer: die philosophischen Ausgestaltungen der einen
Vernunft in theoretischer und praktischer Hinsicht) sind nicht nur konsi-
stent, sondern tragen sich wechselseitig: Diese eröffnet (besonders in der
Antinomienlehre) die Möglichkeit, neben der Naturkausalität Kausalität durch
Freiheit anzunehmen und legt durch diesen Gedanken einer negativ transzen-
dentalen Freiheit das Fundament für die praktische Philosophie.
Jene hingegen legitimiert sich dadurch, daß sie "zu Ergänzung eines Bedürf-
nisses" der theoretischen Vernunft dient, indem sie die negativ transzenden-
tale Freiheit als positiv praktische Freiheit konkretisiert: "Denn das mora-
lische Gesetz beweiset seine Realität dadurch auch für die Kritik der speku-
lativen Vernunft genugtuend, daß es einer bloß negativ gedachten Kausalität,
deren Möglichkeit jener unbegreiflich und dennoch sie anzunehmen nötig war,
positive Bestimmung, nämlich den Begriff einer den Willen unmittelbar (...)
bestimmenden Vernunft hinzufügt, und so der Vernunft, die mit ihren Ideen,
wenn sie spekulativ verfahren wollte, immer überschwenglich wurde, zum er-
sten Mal objektive, obgleich nur praktische Realität zu geben vermag und ih-
ren transzendenten Gebrauch in einen immanenten (...) verwandelt."
Damit trifft also der Vorwurf nicht zu,Kant repräsentiere das Sittengesetz
als "ein keiner Prüfung durch die Vernunft bedürftiges 'Factum'", das - so
Adorno - "(...) keine Stütze in der K r i t i k (findet)" . Zudem gibt Kant eine
im Ansatz befriedigende Antwort auf ein mögliches Legitimationsbedürfnis
durch die wechselseitige Integration von theoretischer und praktischer Ver-
nunft. Ober Kant hinaus geht dann Fichte, der die objektive Realität der rei-
nen praktischen Vernunft dadurch zu beweisen sucht, daß die Vernunft nicht
theoretisch sein könne, ohne praktisch zu sein. Grundsätzlich aber ist
Kants Lösung einem Rückgriff auf unbestimmte Intuitionen ("unmittelbare Er-
fahrungen") oder gar dem Appell Adornos an die Wahrheit ethischer Impulse 172
überlegen. Kant bemüht sich gerade, die darin beschlossene Problematik zu
überwinden.
ad 4) Von dem skizzierten Begründungsansatz Kants her ist auch der Einwand
zu revidieren, die kritische Ethik spitze sich auf eine "Antinonvik" zu, weil
"(...) ihr das Sittengesetz unmittelbar für vernünftig gilt und für nicht
vernünftig, vernünftig, weil es sich nur auf reine logische Vernunft ohne
Inhalt reduziert, nicht vernunftig, weil es in seiner Gegebenheit zu akzep-
tieren, nicht weiter zu analysieren ist."
Zwei Gründe lassen die Argumentation scheitern:
a) Analysiert man diese prononciert vorgetragene Argumentation, und er-
setzt man "Sittengesetz'1 durch "Vernunft",weil ja beides nach Kant identisch
ist, so ergeben sich zwei Aussagen: 1) Die Vernunft gilt für vernünftig,weil
die Vernunft Vernunft ist.2) Die Vernunft g i l t für unvernünftig,weil die Ver-
nunft in ihrer "Gegebenheit zu akzeptieren" ist, weil sie als etwas Gegebenes
"(...) nicht weiter zu analysieren ist." Indessen ist diese Aussage schlicht
widersinnig: Akzeptiert die Vernunft etwas Gegebenes, ohne es auf seine
Rechtsgründe hin zu befragen, so handelt sie in der Tat unvernünftig. Akzep-
tiert aber die Vernunft sich seiist, weil ihre "Gegebenheit" in Wahrheit -
was Adorno verkennt - eine sei&stgegebenheit ist, dann handelt sie keines-
wegs unvernünftig. Vielmehr wäre es unvernünftig, wenn sie hinter sich als
notwendiges anhypotheton zurückgehen wollte. Damit jedoch entfällt die "An-
tinomik".
b) Ferner ist angesichts der Alternative Adornos keine disqualifizierende
Unvernünftigkeit darin zu erblicken, daß die reine praktische Vernunft nicht
im strikten Sinne bewiesen werden kann. Ist es nicht weit irrationaler, ethi-
sche Wahrheit im nicht-vernünftigen Impuls verankern zu wollen ? Und sich
zusätzlich in eine methodische Schwierigkeit zu verwickeln, weil die Inthro-
nisierung der Irrationalität selbst Rational i tat beansprucht ? Angesichts
dessen ist Kants Versuch überzeugender, die ethische Konzeption durch die
wechselseitige Integration von theoretischer und praktischer Vernunft zu
stützen. Wenn das Problem der Letztbegründung praktischer Vernunft Kant
t r i f f t , so a fortiori Adorno.
ad 5) Die bisherigen Einwände Adornos lassen sich auf die Reduktion des
komplexen Ausdrucks "Faktum der reinen Vernunft" auf die untergeordnete Teil-
bedeutung eines "Faktums für die Vernunft" zurückführen. Gleiches gilt für
die Bemerkung, das Sittengesetz sei ein empirisches, und damit zufälliges
Faktum für die Vernunft: "Tatsachen gelten aber dort nichts, wo sie nicht
174
vorhanden sind."
Demgegenüber ist an Kants Überlegungen zu erinnern, daß das Faktum der
Vernunft qua Bewußtsein des Sittengesetzes weder auf der "(...) reinen noch
empirischen Anschauung gegründet ist." Das Sittengesetz ist "(...) kein em-
pirisches, sondern das einzige Faktum der Vernunft ( . . . ) , die sich dadurch
als ursprünglich gesetzgebend (...) ankündigt." Die Einzigkeit dieses
Faktums der Vernunft liegt aber darin begründet, daß es kein bloßes Faktum
für die Vernunft ist, obzwar es sich auch als ein solches widerspiegelt.
Nicht nur die Begründung, sondern auch die Konsequenzen der kritischen Ethik
sind für Adorno irrational und zwar in Hinsicht 1. des Verhältnisses der
Vernunft zum Gegenstand, und 2. der bestimmenden Funktion des intelligiblen
Charakters.
Die fatale Rationalität der Freiheit wird nach Adorno bei Kant nicht refle-
xiv gebrochen, sondern vielmehr in der These von der systematischen Einheit
der Vernunft, der logischen Einheit von der Widerspruchslosigkeit konsoli-
diert. Vernunft spezifiziere sich bei Kant nicht entsprechend den diffe-
rierenden Gegenstandsbereichen. Sind aber - so Adorno - Vernunft und Frei-
heit invariant und gleichgültig gegenüber dem Anderen, ist das Andere, auf
das der W i l l e sich bezieht, tatsächlich lediglich bloßes Material ohne je-
den Eigenwert, dann können die Menschen "nur als Mittel, nicht auch als
Zweck" behandelt werden. Freiheit qua invariante Sichselbstgleichheit der
17ft
Vernunft ("Formalismus" ) impliziere den Umschlag des Willens aus totaler
Rationalität in (willkürliche, weil nicht an den Menschen und die Sache als
Wert gebundene) Irrationalität. "Da sie (die Vernunft, B.) inhaltliche
Ziele als Macht der Natur über den Geist, als Beeinträchtigung ihrer Selbst-
gesetzgebung entlarvt, steht sie, formal wie sie ist, jedem natürlichen In-
4 on
teresse zur Verfügung." Es sei lediglich apologetische Ideologie "des Bür-
gertums", "(...) daß die formalistische Vernunft in einem engeren Zusammen-
181
hang mit der Moral als der Unmoral stünde." Von hierher werden de Sade
und Nietzsche zu Vollendern der kritischen Ethik: "Das Werk de Sades, wie
dasjenige Nietzsches bildet ( . . . ) die intransigente Kritik der praktischen
182
Vernunft." Der Faschismus aber werde zu ihrem Vollstrecker: Er behandle
"im Einklang mit der reinen Vernunft ( . . . ) die Menschen als Dinge, Zentren
1ft1?
von Verhaltensweisen" .
Zunächst zu Adornos Irrationalismusvorwurf im allgemeinen und sodann zum
Verhältnis Kants zu de Sade und Nietzsche im besonderen.
1. Adornos These, zufolge der formalistischen Vernunftkonzeption Kants
könnten die Menschen "nur als Mittel, nicht auch als Zweck" behandelt wer-
den, spielt auf die Menschheit-Zweck-Formel des kategorischen Imperativs an.
Der Einwand setzt die Trennung von Vernunft und Mensch voraus. Aus dem For-
malismus der Vernunft, ihrer von Kant geforderten Unabhängigkeit von mate-
rialer Bestimmtheit folgt nicht, daß der W i l l e seine gesamte Materie als
184
bloßes Mittel betrachten muß. Die formalistische Konzeption drückt viel-
mehr aus, daß die Materie des Willens, insofern sie vernünftig ist, zugleich
als Zweck an sich behandelt werden muß. In diesem Falle ist sie "ein Gegen-
185
stand der Achtung" und schränkt "mithin so fern alle W i l l k ü r " e i n . Im Ge-
gensatz zu den vernunftlosen Wesen und Gegenständen, denen nur ein relativer
Wert als Mittel zukommt, besitzen der Mensch und a l l e anderen vernünftigen
Wesen einen absoluten Wert als Zweck an sich. Diese besondere Auszeichnung
des Menschen ist darin begründet, daß er a l l e i n vermöge seiner Vernunft
Zwecke zu setzen vermag, Zwecke nur kraft seiner Setzung existieren.
179 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 235 f
180 Adorno ( 2 ) , S. 106
181 Adorno ( 2 ) , S. 139
182 Adorno ( 2 ) , S. 113
183 Adorno ( 2 ) , S. 105. Es wird zwar von Horkheimer und Adorno konzediert,
dies geschehe"entgegen dem kategorischen imperativ" (ebd.); was aber,wenn
der kategorische Imperativ Implikat der reinen praktischen Vernunft ist?
184 Nach Adorno soll sich die Vernunft "in sich nach ihren Gegenständen"
[Adorno ( 7 ) , S. 234; Hervorhebung B.] differenzieren. Damit scheint er
"Vernünfte" oder Teile von Vernunft annehmen zu wollen.
185 Kant (143), S. 428. Vgl. ( 1 4 3 ) , S. 430 f; (146), S. 87
162 Adornos Kritik der Ethik Kants
Als Zweck setzendes Wesen aber muß der Mensch Über alle beliebigen Zwecke
186
als Zweck an sich vorausgesetzt werden. Dieser Gedanke des Zwecks an sich
ist zentral für die kritische Ethik: Der Mensch als absoluter Wert ist un-
trennbar mit dem kategorischen Imperativ verknüpft - vermittelt über den Ge-
187
danken des notwendigen Zweckcharakters von Handlungen , d.h. des Implikats
eines absoluten Zweckes bei sittlichen und eines relativen Zweckes bei nei-
gungsbestimmten Handlungen: "Wenn es denn also ein oberstes praktisches Prin-
zip, und, in Ansehung des menschlichen W i l l e n s , einen kategorischen Impera-
tiv geben soll, so muß es ein solches sein,das aus der Vorstellung dessen,was
notwendig für jedermann Zweck ist, weil es Zweck an eich selbst ist, ein ob-
jektives Prinzip des Willens ausmacht, mithin zum allgemeinen praktischen
Gesetz dienen kann. Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur
188
existiert als Zweck an sich selbst."
Die invariante und formalistische Einheit der Vernunft reduziert zwar das
Nichtvernünftige auf ein bloßes Mittel, der Mensch als Vernunftwesen nötigt
ihr jedoch Achtung ab.Somit wird auch die W i l l k ü r der Freiheit eingeschränkt,
ohne daß sich die Vernunft - wie von Adorno gefordert - in sich nach ihren
bestimmten Gegenständen differenzieren müßte. Der W i l l e schlägt also keines-
189
wegs "kraft seiner totalen Rationalität" in Irrationalität um. Gilt der
kritischen Ethik zwar die individuelle Ausgestaltung des Menschen als - wie
190
Adorno sagen würde - "Material" , demgegenüber die Vernunft sich indiffe-
rent verhält, so doch nicht der Mensch. Auch drückt sich im Formalismus des
Vernunftprinzips der Kantischen Ethik keineswegs bloß "die Idee der Egali-
tät" aus, die "den Mißbrauch i n h a l t l i c h qualitativer Differenzen zugunsten
191
des Privilegs und der Ideologie" verhindere, sondern positiv die Achtung
vor der Verkörperung der Menschheit in der einzelnen Person.
Der Zusammenhang zwischen der formalistischen Vernunftkonzeptton und dem
Prinzip der Menschheit ist von K. Vorländer im Sinne einer ethischen Fundie-
rung sozialistischer Ideen hervorgehoben192 und vom späten Horkheimer aner-
kannt 193 worden. Zugleich wird dadurch der von Adorno bestrittene "engere Zu-
194
sammenhang (der Vernunft, B.) mit der Moral als mit der Unmoral" bestä-
tigt. In ähnlicher Meise schließt Adorno kurz, wenn er aus der Inhaltslosig-
keit des obersten Prinzips der kritischen Ethik folgert, sie stehe "jedem
naturlichen Interesse zur Verfügung." Auch wenn das im kategorischen Impera-
tiv formulierte Sittengesetz in sich keine inhaltlich bestimmten Pflichten
enthält, so bedeutet das nicht, daß es sich gegen jedwedes Interesse neutral
195
verhält. Vielmehr unterwirft es als negatives Kriterium die zugrundelie-
gende Maxime der Forderung nach Universalisierbarkeit. Adorno leugnet diese
Struktur des formalistischen Vernunftprinzips, um die These einer in sich
dialektischen Aufklärung, eines Zusammenhanges zwischen Kant und Auschwitz,
zu stützen. Zudem widerspricht sich Adorno mit dieser These selbst: Setzt
der Irrationalismusvorwurf die Leugnung der Gesetzlichkeit des obersten
Prinzips voraus, so hebt der Repressivitätsvorwurf (in bezug auf das Verhält-
nis von Vernunftfreiheit und Sinnlichkeit) gerade auf die Gesetzlichkeit ab,
verzerrt sie zu einer überdimensionalen Heteronomie. Beide Vorwürfe haben
nicht nur kein fundamentum in re, sondern schließen sich gegenseitig aus.
19fi
Eine andere nicht von Adorno, aber von Hegel angeschnittene Frage ist
es, ob der kategorische Imperativ nicht noch weiterer Prinzipien bedarf, um
im Interesse der Praktikabilität konkrete Normen begründen zu können. 197
Jedoch auch wenn die in den verschiedenen Formulierungen des kategorischen
Imperativs angegebenen Anwendungsregeln unzulänglich sind, gilt die Forde-
rung nach einer Universalisierbarkeit der einer Handlung zugrundeliegenden
Maxime.
2. Der Irrationalismusvorwurf konkretisiert sich in der These Adornos (und
des frühen Horkheimer), de Sade und Nietzsche hätten die Konsequenzen aus
198
der kritischen Ethik gezogen und seien insofern ihre Vollender . Durch die
Formal isierung der Vernunft werde die Zweckdimension ausgeblendet und damit
die freigesetzte Vernunft irrational. Ihre Funktion werde auf die einer op-
timalen Bewältigung von Problemen in der Mitteldimension verkürzt. Von die-
sem Mißverständnis her ist der Satz zu verstehen, der auf Kants berühmten
228 Kant (141), S. 51. Vgl. zur soziologischen Deutung der Lehre von der
Gnadenwahl auch Horkheimer (121), S. 131, 148
229 Adorno ( 7 ) , S. 290
230 Kant (141), S. 47
231 Adorno ( 7 ) , S. 290
232 Beimsoeth (107), S. 295
233 Vgl. Adorno (5), S. 548 f
234 Vgl. Kant (147), B 581
170 Adornos Kritik der Ethik Kants
Kant ordnet die Freiheit als "(...) Vermögen, einen Zustand von selbst an-
zufangen" 238 , dem intelligiblen Bereich zu und schließt sie von der durch-
gängig kausal determinierten phänomenalen Gegenstandswelt aus. 239 Die Auf-
lösung der dritten Antinomie, These (Freiheit) und Antithese (Naturkausali-
tät) auf verschiedene Anwendungsbereiche zu beziehen, beruht auf dem Dualis-
mus des Phänomenalen und Intelligiblen. Die Restriktion des menschlichen
Wissens in der 'Kritik der reinen Vernunft' und die damit einhergehende Be-
reitstellung der Möglichkeit, Freiheit anzunehmen, ist entscheidend für den
Ansatz der kritischen Ethik.
Die an den Dualismus anknüpfende Verankerung der Freiheit 1m Intelligiblen
reduziert sich für Adorno jedoch auf eine bloße "Abstraktion" 24 , eine Ab-
straktion vom Konkret-Empirischen. Die Bestimmung des Kantischen Freiheits-
begriffs als eines Abstraktionsproduktes setzt eine Kritik des noumenalen
Subjekts (des transzendentalen "Ich denke" ?) voraus: Es "(...) ist das em-
238 Kant (147), B 561
239 Kant (147), B 564 f
240 Adorno (7), S. 213, 227 f
Aspekte der Abstraktion 173
pirische Subjekt, das jene (d.h. die freien, B.) Entscheidungen fällt - und
nur ein empirisches kann sie fällen, das transzendental reine Ich denke wä-
re keines Impulses fähig -, selbst Moment der räum-zeitlichen 'auswendigen'
Welt und hat von ihr keine ontologische Priorität; darum scheitert der Ver-
y| A
such, die Frage nach der Willensfreiheit in ihm zu lokalisieren." Die Kan
tische Freiheit, die sich zum "Jenseits der Natur" verflüchtige, sei eine
"Selbsttäuschung" 242 . Sie übe in der bürgerlichen Gesellschaft eine ideolo-
*)/!
gische Funktion aus. Index der Problematik dieser "abstrakt-subjektiv"
(und nicht konkret gesellschaftlich) konzipierten Idee der Freiheit seien
die "Experimente crucis" , d.h. die Tatsache, daß Kant trotz seiner Forde-
rung nach Reinheit empirische Beispiele gibt.
Es sei davon abgesehen, daß Kant seinen ethischen Entwurf nicht durch Bei-
spiele "begründen" will - wie Adorno glaubt -, sondern ihn lediglich ver-
deutlichen w i l l . Des näheren lassen sich im wesentlichen vier Aspekte des
Abstraktionsvorwurfes unterscheiden:
1. Kant abstrahiere von den gesellschaftlichen Bedingungen einer jeden als
frei deklarierten Entscheidung und behaupte deren "Autarkie". Vielmehr je-
doch - so Adorno - "(...) gehen in die mit Wille und Freiheit designierten
Entscheidungen ungezählte Momente der auswendigen, zumal gesellschaftlichen
Realität ein." 247
Die zweifelsohne richtige Feststellung Adornos berührt indessen den Ansatz
der kritischen Ethik in keiner Weise, da dieser den Aspekt der außersubjek-
tiven Bedingtheit der freien Willensentscheidungen umfaßt: Das der empiri-
schen Seite zugeordnete Prinzip der Sinnlichkeit deckt dieses Problem im
Grundsätzlichen ab. Allerdings erachtet es Kant - zu Recht - im Rahmen der
"rationalen" Ethik als sekundär, die Sinnlichkeit in biologische, psycholo-
gische, gesellschaftliche und andere Momente zu spezifizieren. Diese Aufgabe
fällt dem sich an den rationalen Teil der "Metaphysik der Sitten" anschlie-
ßenden Teil einer "praktische(n) Anthropologie" 248 zu. Der Vorwurf Adornos
aber beleuchtet schlagartig sein defizientes Argumentationsniveau gegenüber
Kant.
241 Adorno ( 7 ) , S. 213
242 Adorno ( 7 ) , S. 219
243 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 218
244 Adorno ( 7 ) , S. 215
245 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 222 - 225
246 Adorno ( 7 ) , S. 224
247 Adorno ( 7 ) , S. 212
248 Kant (143), S. 388
174 Adornos Kritik der Ethik Kants
2. Es sei Kant nicht "bei gekommen", daß nicht nur das Bewußtsein der Frei-
heit, sondern die "Freiheit selbst, ihm ewige Idee, geschichtlichen Wesens"
sei. Unfreien Gesellschaften und Epochen könne die Freiheit nicht "als ob-
jektives An sich" zugesprochen werden. Dies sei mit dem "Prinzip des Trans-
zendentalen" unvereinbar, " ( . . . ) das im subjektiven Bewußtsein fundiert sein
soll, und unhaltbar wäre, wofern es, das vermeintliche Bewußtsein überhaupt,
irgendeinem Lebendigen gänzlich abginge." 249
Auch hier ist daran zu erinnern, daß Kant der Gedanke eines zeitlichen We-
sens der Freiheit durchaus "bei gekommen" ist, wie seine Schriften zeigen,
250
nur daß er ihn in der Ethik abgelehnt hat. Im übrigen weist Adornos Ar-
gumentation drei Schwächen auf:
a) Es ist zwar zutreffend, daß das transzendentale Prinzip auf das subjek-
tive Bewußtsein bezogen ist, unzutreffend aber, es - wie hier - privat-sub-
jektiv zu deuten. Dies ist umso unverständlicher, weil Adorno an anderen
Stellen gerade in kritischer Absicht betont, daß die transzendentale Be-
251
wußtseinsstruktur nicht empirisch-personal zu verstehen ist.
b) Wenn das Transzendentale im Bewußtsein fundiert ist, so bedeutet das
nicht, daß es bewußt sein muß. Das fehlende Bewußtsein der Kausalitätskate-
gorie z.B. berührt in keiner Weise die Tatsache, daß diese Kategorie im Be-
wußtsein fundiert ist. Adorno argumentiert also mit einem doppelten Bewußt-
seinsbegriff, der schon in seiner ersten Habilitationsschrift zu der un-
glücklichen Gegenüberstellung der Transzendentalphilosophie als einer Philo-
sophie des Bewußtseins zur Theorie des Unbewußten (zur Psychoanalyse) führ-
te.252
c) Schließlich ist der Schluß von einem mangelnden Freiheitsbewußtsein auf
die Irrealität der Freiheit im Kantischen Sinne nicht begründet. Er wird le-
diglich durch die undifferenzierte Verwendung des Begriffs "Bewußtsein"
249 Adorno ( 7 ) , S. 217 (Hervorhebung B.)
250 Vgl. Kant (141), S. 40. Die Annahme unzeitlich transzendentaler Freiheit
ist selbstverständlich nicht mit der Annahme gleichbedeutend, daß die
politisch-gesellschaftliche Freiheit gegeben sei, oder daß, weil jene
sei, diese nicht hergestellt zu werden brauchte. Gegenüber einer solchen
neben Adorno z.B. auch von H. Marcuse [(182, S. 94 ff] formulierten Kri-
tik ist auf die Rechts- und Staatslehre Kants (vgl. bes. Kant, 'Meta-
physik der Sitten1, Einleitung in die Rechtslehre) und seine geschichts-
philosophischen Schriften [vgl. z.B. Kant (145), S. 22] hinzuweisen.
Vgl. auch den Versuch von Krings, das Verhältnis von transzendentaler
und politischer Freiheit zu bestimmen: Krings (162), S. 508 f
251 Vgl. z.B. Adorno ( 7 ) , S. 272
252 Vgl. Adorno ( 9 ) , S. 87 f. Vgl. auch (13), S. 109 - 112
Aspekte der Abstraktion 175
Da für Adorno der intelligible Bereich keine oder nur eine "reale" Größe
darstellt, muß er die reinen Bestimmungen der kritischen Ethik in die empi-
rische Dimension transponieren, ihren wesensmäßig empirischen Charakter nach-
Prinzip, das die Psychoanalyse, deren Kritik vorm Realitätsprinzip des Ichs
270
verstummt, in dessen unbewußtes Walten verschob." Konsequenterweise liest
er aus der Freudschen Theorie eine "bürgerliche Verachtung des Triebs" 271
heraus. Da sich das Ich mittels des Realitätsprinzips an die irrationale To-
talität der Gesellschaft anpasse, in der erst partikulare Vernunft herrsche,
272
sei der "Triumph des Ichs" ein Sieg "der Verblendung durchs Partikulare" .
"Der Mechanismus der Anpassung an die verhärteten Verhältnisse ist zugleich
einer der Verhärtung des Subjekts in sich: je realitätsgerechter es wird,
desto mehr wird es sich selbst zum Ding, desto weniger lebt es überhaupt
noch, desto unsinniger wird sein ganzer 'Realismus 1 , der all das zerstört,
um dessentwillen eigentlich die selbsterhaltene Vernunft ins Spiel kam, und
der in der Konsequenz noch das nackte Leben bedroht." 273 Die sich vorgeblich
bei Kant findende unreflektierte Unterdrückung der Sinnlichkeit durch die
Vernunft (Identitätsprinzip) stellt sich in Adornos Version der Psychoanaly-
se als die des Es durch das Ich/Oberich dar. Dabei gelte, daß "(...) der dem
Individuum gesellschaftlich zugemutete Triebverzicht sich weder objektiv in
seiner Wahrheit und Notwendigkeit legitimiert, noch dem Subjekt das vertag-
te Triebziel später verschafft."
Die Deutung läuft auf das von Adorno nicht ausgesprochene Ergebnis hinaus,
die von Kant geforderte Einschränkung der W i l l k ü r ("Es") durch den Gedanken
eines allgemein gesetzgebenden Willens und der Heilighaltung der Menschheit
in jeder einzelnen Person als nicht legitimierten "Triebverzicht" verstehen
zu müssen. Damit zeigt sich wie schon zuvor in bezug auf die Deutung des in-
275
telligiblen Charakters die Unmöglichkeit, die kritische Ethik mit psycho-
logischen Kategorien zu fassen. Zudem ist Adornos Freudkritik problematisch.
In seiner Kritik des Realitätsprinzips deutet er die von Freud geschilderte
Ersetzung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip in der Entwicklung des
Ichs "zum Heil des Es"
27ß als einen einseitigen Vorgang der "Anpassung an
277
die Realität" und deren Fixierung. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen,
daß Freud mit der Konstituierung des Realitätsprinzips lediglich fordert,
von Objektebene und Metaebene. Der Vorwurf, Kants Einstellung zum Glück sei
ambivalent, unterscheidet nicht zwischen Ambivalenz und dem Ineins von Ein-
deutigkeit und Differenziertheit. Die Identifizierung der Kantischen Bewer-
tung des Mitleids als sittlich-neutral mit Nietzsches Ablehnung desselben re-
duziert sich auf blanke Polemik, geht es doch dort um die optimale Erfüllung
allgemeinverbindlicher Moral, hier aber um ihre Oberwindung zugunsten einer
Privat-"moral" des Obermenschen. Der Einwand, schon Kants Terminologie indi-
ziere die Repressivität seiner Ethik, verkürzt - soweit er nicht auf einer
vereinfachten Deutung des Verhältnisses von Vernunft und Sinnlichkeit beruht
- den Autonomiegedanken.
2. Der irrationallsausvorwurf in bezug auf die Begründung der kritischen
Ethik setzt ein mehrfaches Mißverständnis voraus: Ist das Sittengesetz nach
Kant ein autonomes und apriorisches (einziges) Faktum der Vernunft, so faßt
Adorno es als heteronomes und empirisches (zufälliges) Faktum für die Ver-
nunft. Die Problematik einer Nichtdeduzierbarkeit dieses Faktums wird dabei
von Kant zumindest entschärft, wenn nicht gar durch den Vorgriff auf ein Sy-
stem der Vernunft, die wechselseitige Integration von theoretischer und prak-
tischer Vernunft, im Ansatz überwunden. Auf keinen Fall aber ist diesem An-
satz die Alternative Adornos, sein Rekurs auf unmittelbare Erfahrungen und
die Wahrheit nichtrationalisierter Impulse überlegen. Der zweite Aspekt des
Irrationalismusvorwurfs, die formalistische Konzeption der Vernunft bedinge,
daß diese jedem Interesse zur Verfügung stehe, übersieht, daß der kategori-
sche Imperativ wesentlich Ausdruck der absoluten Würde (wenn auch nicht des
Individuums, so doch) des Menschen als Verkörperung der Menschheit ist. Zu-
dem leidet dieser Vorwurf in empfindlicher Weise daran, daß er mit dem zwei-
ten Repressivitätsvorwurf nicht vereinbar ist. Die philosophiegeschichtli-
che Konkretisierung dieser Seite des Irrationalismusvorwurfs, die Behauptung
einer Affinität der kritischen Ethik zu den Theorien de Sades und Nietzsches
ist nicht haltbar. Der dritte Aspekt der Irrationalismuskritik, das Prinzip
des intelligiblen Charakters verkörpere eine irrationale Schicksalshörigkeit,
reduziert den intelligiblen Charakter auf den guten intelligiblen Charakter,
läßt den Gedanken einer Revolution der Denkungsart außer acht, versteht die
Bestimmung des intelligiblen Charakters entgegen Kants Ausführungen zeitlich
und vernachlässigt auf diese Weise den Unterschied zum empirischen Charak-
ter. Zudem wird das Moment der freien Wahl des intelligiblen Charakters aus-
geklammert und unangemessene psychologische Ichvorstellungen werden zugrun-
degelegt. Schließlich wird verkannt, daß die "Irrationalität" des intelli-
184 Adornos Kritik der Ethik Kants
giblen Charakters genauer Ausdruck der menschlichen Freiheit ist und ihr
nicht entgegensteht. Damit scheitert nicht nur Adornos Anspruch einer imma-
nenten Kritik der Kantischen Ethik, sondern zudem ist der Irrationalismus-
vorwurf gegen ihn selbst zu wenden.
3. Den wesentlichen Grund für die vorgebliche Irrationalität der kriti-
schen Ethik erblickt Adorno in ihrer Abstraktion vom Empirisch-Bedingenden.
Das Intelligible sei nichts als ein idealistisches Abstraktionsprodukt. Der
erste Aspekt des Abstraktionsvormrfs, Kant sehe von den gesellschaftlichen
Bedingungen einer jeden als frei deklarierten Entscheidung ab, verkennt, daß
dieses Problem im Prinzip der Sinnlichkeit und Neigungsaffiziertheit berück-
sichtigt ist. Adornos Einwand, das Wesen der Freiheit selbst sei geschicht-
lich, folgt nicht aus einer immanenten K r i t i k (vorgebliche Unvereinbarkeit
mit dem Prinzip des Transzendentalen), sondern stellt zunächst nur eine Be-
hauptung dar. Deren Begründung durch den Rekurs auf das empirisch mögliche
Faktum eines nicht notwendig aktualisierten politischen Freiheitsbewußtseins
überzeugt nicht. Der dritte Aspekt des Abstraktionsvorwurfs, das Prinzip rei-
ner praktischer Vernunft sei ein Abstraktionsprodukt, thematisiert die kri-
tische Frage, wie reine Vernunft praktisch sein kann. Abgesehen davon, daß
Kant aus erkenntnistheoretischen Gründen diese Frage überhaupt nicht beant-
worten kann, wirft Adornos Vorschlag einer triebenergetischen Deutung des
gesamten Willens nicht geringe Probleme auf, da wesentliche Momente wie Frei-
heit, Verantwortung und Verpflichtbarkeit unmöglich werden. In entscheiden-
der Weise jedoch richtet sich der Abstraktionsvorwurf gegen die ursprungs-
philosophische Konzeption des Subjekts: Das ansichseiende Subjekt der kri-
tischen Ethik sei in Wahrheit wesentlich in sich vermittelt. Falls dies zu-
träfe, fiele Ethik wesentlich in den Zuständigkeitsbereich von Psychologie
und Soziologie. Die kritische Rekonstruktion der von Adorno formulierten
psychologischen und soziologischen Deutungsansätze der Moral Philosophie Kants
läßt aber Bedenken aufkommen, ob diese Wissenschaften der ethischen Frage-
stellung angemessen sind, und führt so indirekt zum Zweifel an der Stichhal-
tigkeit dieses zentralen Abstraktionsvorwurfs.
Die Beantwortung der subjektstheoretischen Frage trägt somit wesentlich
die Entscheidung zugunsten des Ansatzes von Kritizismus oder Kritischer
Theorie. Ist auch den einzelnen Kritikpunkten Adornos an der moral philoso-
phischen Konzeption Kants nicht zuzustimmen, so muß dennoch der Ansatz der
kritischen Ethik aufgegeben werden, f a l l s eine transempirische Subjekts-
theorie an - so Adornos These - immanenten Schwierigkeiten scheitert.
Zusammenfassung 185
Was ist der intelligible Charakter anderes als ein Gedankengespinst, wenn
menschliche Subjektivität im empirisch Faßbaren aufgeht ? Kann es überhaupt
noch ein Sittengesetz als ein autonomes und apriorisches Faktum der Vernunft
geben, wenn die Vernunft im Dienste der Selbsterhaltung steht 288 und sie we-
sentlich empirisch-somatischer Natur ist ? Kann das Wesen der Freiheit an-
ders als geschichtlich sein, wenn der Mensch im ganzen der geschichtlich-
zeitlichen Prozessualität unterworfen ist ? Was aber endlich soll die Rede
von reiner praktischer Vernunft bedeuten, wenn sie als abgezweigte Triebener-
gie dechiffriert werden kann ?
Die Frage einer Entscheidung zugunsten des Kritizismus oder der Kritischen
Theorie führt damit nicht nur aus erkenntnistheoretischer, sondern auch aus
ethischer Perspektive unausweichlich auf die Frage nach dem Subjekt. Ohne
eine abgesicherte subjektstheoretische Argumentation können weder Kritizis-
mus noch Kritische Theorie beanspruchen, sich ernsthaft miteinander auseinan-
derzusetzen. Die subjektstheoretischen Prämissen müssen argumentativ einge-
holt werden.
288 Stünde die Vernunft einzig im Dienste der Natur, d.h. wäre reine prak-
tische Vernunft ausgeschlossen, dann würde sich der Mensch - wie Kant
herausstellt - nicht "über die bloße Tierheit" [Kant (146), S. 61] er-
heben.
5 ADORNOS KRITIK DER SUBJEKTSTHEORIE KANTS
Sowohl die Frage nach der Möglichkeit von Transzendentalphilosophie als auch
die nach den Grundlagen der kritischen Ethik führen auf das Problem des Sub-
jekts. Dieser Komplex ist in zwei Schritten anzugehen: Zunächst müssen die
Einwände Adornos gegen die Subjektstheorie Kants kritisch dargelegt werden.
Auf diese Weise wird die Möglichkeit der Kantischen Konzeption sichergestellt.
Sodann ist die subjektstheoretische Alternative Adornos systematisch zu re-
konstruieren. Ihre Schwierigkeiten werden indirekt die Notwendigkeit der Kan-
tischen Konzeption zeigen.
Zwar treibt seit einigen Jahren die analytische Philosophie nach ihrem
Selbstverständnis Transzendentalphilosophie, jedoch darf der grundsätzliche
Unterschied zum Kantischen Programm nicht vernachlässigt werden. Geht dieses
auf eine systematische Untersuchung der Bedingungen a priori der Möglichkeit
von Erfahrung , so versehen die Vertreter der analytischen Philosophie schon
eine logisch-semantische Analyse der minimalen begrifflichen Struktur einer
p
als kohärent erachteten Erfahrung mit dem epithetbn ornans "transzendental" .
Einhergehend mit der radikalen Abschwächung des Apriorismus verzichten sie
dabei weitgehend auf das Prinzip transzendentaler Subjektivität, den nach
Kant "höchste(n) Punkt" 3 .
Vorsichtiger in der Verwendung des Begriffs "transzendental" ist Habermas.
In Absetzung von Apels "transzendentaler Hermeneutik oder transzendentaler
Pragmatik" wendet er sich zur Kennzeichnung seines universal pragmatischen
Unternehmens gegen den Begriff "transzendental", um 1. den Unterschied zwi-
schen der Generierung von Äußerungen und der Konstituierung von Erfahrungen
und 2. "den inzwischen vollzogenen Bruch mit dem Apriorismus 1 hervortreten
zu lassen. Aber auch er gibt "den Begriff des transzendentalen Subjekts
preis", weil Kant den "Bildungsprozeß des Erkenntnissubjekts nicht beach-
tet habe.
Im folgenden soll die These entfaltet werden, daß Adorno nicht zwischen dem
"ich denke" und dem reinen Ich unterscheidet, insbesondere die transzenden-
talen Bestimmungen des "ich denke" in ontologische eines hypostasierten rei-
nen Ichs wendet. Dadurch verkennt er die Bedeutung des transzendentalen
Selbstbewußtseinsprinzips und widerspricht auch hinsichtlich der Deutung des
reinen Ichs (und seines Verhältnisses zum empirischen Ich) der Lehre Kants.
Die bezeichnete mangelnde Unterscheidung Adornos läßt sich erkenntnistheo-
retisch näher bestimmen als die zwischen dem "ich danke" und dem (objekti-
vierten) "ich, das denkt". Sowohl von dem ."ich denke" als auch von dem "Ich,
das denkt" ist das "Ich, das denkt, daß es denkt", d.h. das reflexive "Ich,
das denkt", zu unterscheiden. Systematisch deckt sich die Differenz zwischen
dem "ich denke" und dem "Ich, das denkt" mit der zwischen einer transzenden-
talphilosophischen und einer ökologischen Perspektive. Diesen Unterschied
gilt es inhaltlich zu füllen.
1. Als index für Adornos unbestimmtes und auch teilweise widersprüchliches
Verständnis des "ich denke" kann die Tatsache gelten, daß er es fast durch-
gängig nur ungenau wiedergibt. Kant handelt vom "Ich denke", das " ( . . . ) alle
meine Vorstellungen begleiten können (muß)" . Adorno weicht hiervon in drei-
erlei Hinsicht ab: Das "ich denke" sei ein solches, das a) "(...) alle meine
Vorstellungen begleitet" 12 , b) "(...) alle meine Vorstellungen begleiten
soll" , c) - so durchgängig in der 'Negativen Dialektik 1 - "(...) alle mei-
ne Vorstellungen soll begleiten können" .
10 Vgl. Baumanns ( 2 4 ) , S. 44. Im folgenden lehnen wir uns an Baumanns' Inter-
pretation an, ohne dies in jedem Fall besonders kenntlich zu machen.
11 Kant (147), B 131
12 Adorno (9), S. 98, 270; ( 1 3 ) , S. 213, 222 f, 255, 323
13 Adorno (10), S. 178; (13), S. 324
14 Adorno ( 7 ) , S. 145 Anm., 184. Vgl. kritisch Ritzel (228), S. 26
190 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
Widersprüchlich sind auch die Aussagen, in denen Adorno den systematischen
Ort des "ich denke" bestimmt: Einerseits erkennt er, daß "(...) bei Kant die
synthetische Einheit der Apperzeption unablösbar ist vom System der reinen
Vernunft" , daß es sich hier um "das innerste Prinzip" handelt. Anderer-
seits soll Kant die ursprüngliche Apperzeption " ( . . . ) als einen systemfremden
Bestandteil eigentlich eingeführt" haben. Derart sei "(...) vor einer Inter-
pretation gerade der Kantischen oder der Transzendentalphilosophie überhaupt,
die diesen Begriff nun in den Mittelpunkt setzt" , zu warnen.
Diese sowohl in sich widersprüchlichen als auch (teilweise) der Kantischen
Lehre widersprechenden Bestimmungen gründen in Adornos Mißverständnis der
transzendentalen Apperzeption.
2. Die "crundschicht" der ursprünglichen Einheit der Apperzeption sei das
Prinzip der "vnvertretbarkeit" bestimmter Bewußtseinsinhalte: "Die Einheit
des Bewußtseins nämlich (...) läßt sich am elementarsten und schlichtesten
so beschreiben, daß alle Tatsachen meines Bewußtseins (...) durch die Quali-
tät charakterisiert sind, Tatsachen meines Bewußtseins und nicht Tatsachen
des Bewußtseins eines anderen zu sein. (...) Man kann das auch so ausdrücken,
daß die Bewußtseinsinhalte eines jeglichen (...) individuellen Bewußtseins
nicht substituierbar durch die Bewußtseinsinhalte eines anderen sind." 18
Die Einheit der Apperzeption "(...) ist einfach die Bewußtseinseinheit, die
darin besteht, daß alle Bewußtseinsinhalte eines bestimmten Subjekts durch
ihren Zusammenhang eben als die diesem und keinem anderen zugehörenden charak-
terisiert werden" . Das oberste Prinzip der Kantischen Transzendentalphilo-
sophie bedeute demnach konkret: "Niemand kann den Schmerz eines anderen in
der eigenen Einbildungskraft reproduzieren. Darauf läuft die transzendentale
Apperzeption hinaus." 20
Das hier als "Grundschicht" Bezeichnete ist mehrfach problematisch:
a) Die (im weitesten Sinne) phänomenologische Methode Adornos ("beschrei-
ben") entspricht zwar seinem (in Kapitel 3 herausgearbeiteten) reduktionisti-
schen Verständnis von Transzendentalphilosophie, ist jedoch der Kantischen
Fragestellung prinzipiell unangemessen.
Bezug. Das "ich denke", das "(...) alle meine Vorstellungen begleiten können
(muß)", meint nicht ein Ich, das Vorstellungen denkt oder auch nicht denkt,
sondern die begleitende (und auch geleitende) Funktion des nebenthematischen,
aber auch hauptthematisierbaren Selbstbewußtseins. Dieses ist seiner Struktur
nach wesentlich ein "Auf-sich-Beziehen von ..." .
4. Das Mißverständnis evoziert Adornos Kritik der vorgeblichen Getrenntheit
von Bewußtseinseinheit und -inhalt: "Die Einheit des Selbstbewußtseins setzt
psychologisch-faktische Bewußtseinsinhalte nicht nur genetisch, sondern ihrer
eigenen reinen Möglichkeit nach voraus. (...) Humes Kritik am Ich glitt dar
rüber hinweg, daß Bewußtseinstatsachen nicht vorhanden wären, ohne daß sie
innerhalb eines einzelnen Bewußtseins, nicht eines beliebigen anderen sich
bestimmten. Kant berichtigt i h n , vernachlässigt jedoch seinerseits die Rezi-
prozität: seiner Kritik an Hume ist Persönlichkeit zum Prinzip jenseits der
Einzelpersonen, zu deren Rahmen erstarrt. Er faßt die Bewußtseinseinheit un-
abhängig von jeglicher Erfahrung." 25
Die Kritik ist schon insofern problematisch, als Adorno hier "Bewußtseins-
einheit" und "Persönlichkeit" gleichsetzt, obwohl dieser Begriff nicht in der
Erkenntnistheorie, sondern erst in der Ethik thematisch wird. Auch ist "Per-"
sönlichkeit" nicht ein "Prinzip jenseits der Einzelpersonen" - Adorno scheint
hier an eine Art ontologische Differenz zu denken -, sondern eines der "Ein-
zelpersonen". Zudem ist es nicht einzusehen, wie die Behauptung einer Ent-
stehung der Bewußtseinseinheit aus ihren Inhalten mit der ihrer Reziprozität
vereinbar ist. Der Vorwurf schließlich, Kant habe den "Rahmen" der "Bewußt-
seinseinheit unabhängig von jeglicher Erfahrung" konzipiert, unterstellt eine
durchgängige Einheit der Apperzeption ohne Perzeptionen. Kant erklärt aus-
drücklich, daß diese Einheit synthetisch ist, " ( . . . ) eine Synthesis der Vor-
stellungen (enthält), und ( . . . ) nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis
?fi
möglich (ist)." Adornos Kritik geht also auf das eigene Mißverständnis,
das auf der Verwechslung des "ich denke" mit dem "Ich, das denkt" beruht.
Man könnte einwenden, Kant schreibe, das alles Weltbewußtsein begleitende
Selbstbewußtsein der Apperzeption könne "(...) von keiner (Vorstellung, B.)
weiter begleitet werden" 27 , weil es "(...) aller Erfahrung v o r h e r g e h28
t".
24 Baumanns (24) , S. 45
25 Adorno ( 7 ) , S. 288
26 Kant ( 1 4 7 ) , B 133
27 Kant (147), B 132
28 Kant (147), A 107
Deutung des "ich denke" 193
Demnach verstehe Kant die Einheit der Apperzeption sehr wohl erfahrungsunab-
hängig und verkenne die "Reziprozität" von Bewußtseinseinheit und -inhalt.
Man könnte weiter fragen: Ist ein begleitendes, aber nicht zu begleitendes
Selbstbewußtsein nicht eine contradictio in adiecto, ein Selbstbewußtsein,
das Weltbewußtsein (konstitutiv) begleitet, jedoch nicht reziprok von diesem
begleitet werden kann ?
Indessen meint Kant lediglich, daß die Apperzeption nicht weiter vorgängig
begründet werden kann, daß sie ursprünglich ist. Auch ist die Funktion des Be-
gleitens in durchaus unterschiedlicher Bedeutung genommen:im schwächeren Sin-
on
ne des einfachen Begleitens und im stärkeren des geleitenden Begleitens.
Die Vorgängigkeit der apperzeptiven Einheit vor aller bestimmten Erfahrung
- und·so ist ihre Unabhängigkeit zu verstehen - drückt genau ihren transzen-
dentalen Ursprungscharakter aus. Dieser aber widerspricht so wenig ihrer Syn-
thetizität, wie eine Reziprozität zweier Glieder den Primat eines Gliedes
(z.B. in der Relation Prinzip - Prinzipiiertes) ausschließt. So gedeutet
beruht Adornos Kritik zwar nicht auf einem unmittelbaren Mißverständnis, wohl
aber auf der verkürzten Sichtweise des Verhältnisses der Reziprozität. Diese
Deutung führt mittelbar zu demselben Ergebnis: einer Ad-perzeption ohne Per-
zeption.
Indessen setzt diese These einer "Identität von Ursprünglichkeit und Herr-
schaft1^ voraus, daß die Annahme eines Ursprung!ich-Ersten zugleich die sei-
ner Einzigkeit und damit Absolutheit bedeutet. Es trifft zwar zu, daß das aus
dem Ursprung!ich-Ersten Abgeleitete das Zweite ist, aber dies darf weder da-
mit verwechselt werden, daß alles außer diesem Ursprünglich-Ersten ein abge-
leitetes Zweites ist, noch damit, daß dieses notwendig in dem Ersten "enthal-
ten" ist, das Erste das Andere "beschlagnahmt". Der transzendental philosophi-
sche Begriff des Ursprünglichen unterstellt dieses nicht als einzig-absolut,
sondern lediglich als nicht weiter vorgängig begründbar. Als ein solches aber
ist das Ursprüngliche nicht notwendig totalitär.
Auf Kant gewendet heißt dies: Das Ursprünglich-Erste, der "höchste Punkt"36,
ist die synthetische Einheit der Apperzeption, die als Ableitungsprinzip der
Kategorien dient. Aber obwohl die apperzeptive Einheit nach Kant nicht aus
einem höheren Prinzip begründet werden kann und in diesem Sinne das Erste
ist, ist sie dennoch nicht allumfassend, totalitär: Nicht alles Andere außer
ihr muß in ihr beschlossen liegen. Als synthetisches Prinzip ist dieses Ur-
sprüngl ich-Erste - anders als beim anschauenden Verstand - vielmehr derart
konzipiert, daß es das Angewiesensein auf außersubjektive Mannigfaltigkeit
wesentlich in sich enthält. Damit zergeht die behauptete Identität von Ur-
sprung und herrschaftlicher Identität.
Dies löst zugleich das Problem, weshalb Adorno die systematische Stelle der
apperzeptiven Einheit widersprüchlich bestimmt: Einerseits ist er an den Kan-
tischen Text gebunden und muß die zentrale Bedeutung dieser ursprünglichen
Einheit anerkennen* Andererseits aber mißversteht er sie wie die Kategorie
des Ursprungs überhaupt als totalitär und "herrschaftlich". Derart muß er
- um Kant gegen den "Identitätsphilosophen"37 Hegel wenden zu können - diese
Einheit, die der wesentliche Ausgangspunkt der Überlegungen des Deutschen
Idealismus ist, als "systemfremd"38 beurteilen.
2. Die Kategorie des Ursprungs sei aber nicht nur "herrschaftlich", sondern
auch "ideologisch"39. Der gesell schaftskritische Aspekt der These, der von
der Polemik gegen Heideggers Fundamental onto!ogie her zu begreifen ist, ist
recht uninteressant: "Der Faschismus suchte die Ursprungsphilosophie zu ver-
wirklichen. Das Älteste, das was am längsten da ist, sollte unmittelbar,
buchstäblich herrschen. Damit rückte das Usurpatorische am Ersten grell ins
Licht. Blut und Boden, die faschistisch konkretisierten und in der modernen
Industriegesell Schaft ganz schimärischen Ursprungsmächte wurden selbst schon
in Hitlers Deutschland zum Kinderspott. Die Identität von Ursprünglichkeit
und Herrschaft lief darauf hinaus, daß wer die Macht hat, nicht bloß der Er-
ste, sondern auch der Ursprüngliche sein sollte. Als politisches Programm
geht die absolute Identität über in die absolute Ideologie, die keiner mehr
glaubt."40
Bedeutsamer ist der philosophische Kern dieses Ideologievorwurfes, der die
innere Unmöglichkeit des Ursprungsprinzips, die Vermittlung des Unmittelbaren
darlegen w i l l : "Das Erste der Philosophen erhebt totalen Anspruch: es sei un-
vermittelt, unmittelbar. Damit es dem eigenen Begriff genüge, wären immer
erst Vermittlungen gleichsam als Zutaten des Gedankens zu beseitigen und das
Erste als irreduktibles An sich herauszuschälen. Aber ein jegliches Prinzip,
35 Adorno (14), S. 28
36 Kant (147), B 134 Anm.
37 Adorno (13), S. 161
38 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 256, 316 f
39 Adorno ( 7 ) , S. 158
40 Adorno ( 1 4 ) , S. 28. Vgl. zu Adornos Kritik der Ursprungsphilosophie Hei-
deggers :Mörchen (197), S. 364 - 390.
Deutung des "ich denke" 195
auf welches Philosophie als auf ihr erstes reflektieren kann, muß allgemein
sein, wenn es nicht seiner Zufälligkeit überführt werden w i l l . Und ein jeg-
liches allgemeines Prinzip eines Ersten ( . . . ) enthält in sich Abstraktion.
(...) Als Begriff ist das Erste und Unmittelbare allemal vermittelt und da-
rum nicht das Erste. Keine Unmittelbarkeit ( . . . ) , in dem der philosophische
Gedanke der Vermittlung durch sich selbst zu entrinnen hofft, wird der den-
kenden Reflexion anders zuteil denn durch den Gedanken."41
Auch diese als Kritik der prima philosophia vorgetragene Argumentation dis-
kreditiert die These eines Unmittelbaren als "totalen Anspruch". Zudem drän-
gen sich drei weitere Bedenken auf:
a) Es ist nicht einzusehen, weshalb lediglich ein solches Prinzip nicht zu-
f ä l l i g sein soll, das auch allgemein ist.
b) Dennoch angenommen, das Erste müßte allgemein sein, so bedeutet das
nicht zugleich, daß es "(...) in sich Abstraktion (enthält)". Aus der Tatsa-
che, daß der Philosophierende vom Besonderen abstrahieren muß, um das Allge-
meine als solches zu erfassen, folgt nicht, daß das Allgemeine selbst auf
Abstraktion beruht und insofern nicht ursprünglich ist. Diese Folgerung wäre
nur möglich, wenn man nicht zwischen Begriff und Begriffenem unterschiede.
Eine Vermittlung des Begriffs ist nicht identisch mit der Vermittlung des Be-
griffenen, die Art des Erfassens des Ursprungsprinzips durch Abstraktion nicht
mit der Art des Ursprungsprinzips selbst als Abstraktionsprodukt.
o) Man könnte geltend machen, dieser Einwand treffe lediglich eine gedank-
liche Ungenauigkeit Adornos. Es komme darauf an, daß das Unmittelbare und Ur-
sprüngliche "der denkenden Reflexion" nicht "anders zuteil denn durch den Ge-
danken", also vermittelt zuteil werde. Jedoch auch so gewendet trifft die
Kritik nicht das transzendental philosophische Ursprungsprinzip. Die Tatsache,
daß "das Erste und Unmittelbare allemal vermittelt und darum nicht das Erste"
sei, läßt nur eine solche Suche nach dem Unmittelbaren scheitern, die in der
intentio recta das Unmittelbare außerhalb der denkenden Vermittlung finden
w i l l . Dies berührt aber nicht die transzendental philosophische Suche nach dem
Unmittelbaren und Ersten, weil diese in der vollzogenen intentio obliqua ge-
rade das vermittelnde als das Erste begreift. Bemüht sich die ontologische
intentio recta vergeblich um ein Erstes außerhalb der denkenden Vermittlung,
so findet es die transzendentalphilosophische intentio obliqua in dem Vermit-
telnden. Dies bezeichnet die Differenz zwischen der ontologischen und der
transzendental philosophischen Ursprungsfrage. Die Tatsache aber, daß Adorno
über diesen Unterschied hinwegsieht, er im Sinne der Phänomenologie die "Ur-
sprungsfrage als eine des Wesens"42 bestimmt, bestätigt seine Ontologisie-
rung der Transzendentalphilosophie.
Derart entfällt die Notwendigkeit, die Kategorie des Ursprungs in einer
von Adorno geforderten "dialektischen" Philosophie aufzugeben, d.h. in einer
Philosophie, die den erkenntniskritischen Ansatz "metakritisch" aufzuheben
beansprucht.43
41 Adorno (14), S. 15 f
42 Adorno ( 1 ) , S. 11. über die phänomenologische Erkenntnis als Wesenser-
kenntnis ygl. z.B. Busserl (127), S. 51.
43 Näher soll die angestrebte "Metakritik" derart aussehen, daß sie statt
auf die "Zurückführung auf ein erstes Prinzip" auf die " ( — ) Konstella-
tionen von Elementen (geht, B . ) , die sie aufzulösen hat in ihre einzelnen
Momente, aber zugleich doch wieder in ihrer Aufeinanderbezogenheit zu
fassen" hat [Adorno (13), S. 274].
196 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
5. Die Verwechslung des "ich denke" mit dem objektivierten "Ich, das denkt"
erhellt zugleich eine weitere These Adornos: Die ursprüngliche Apperzeption
sei "(...) nicht weniger verdinglicht als die nach dem Modell der Naturwissen-
schaften konstituierte Dingwelt." Dieser These einer dinglichen Apperzep-
tion entspricht die ihrer Passivität: "Mit dieser Bestimmung durch bloße Zu-
gehörigkeit (der bestimmten Vorstellungsinhalte zu einem bestimmten Ich, B.)
wird das Ich denke selber bereits zu einem Passivischen, völlig unterschie-
den von der aktiven Reflexion auf ein 'Mein'."
Hier sei lediglich an die Ausführungen Kants erinnert, denen zufolge die
Apperzeption einen "Actus der Spontaneität" darstellt. Ober die Ursachen
von Adornos Mißverständnis können nur Vermutungen angestellt werden. Insbe-
sondere eine Überlegung scheint seines Erachtens dafür zu sprechen, die Ap-
perzeption dinglich zu deuten: Es müsse "(...) die anscheinend schlechter-
dings antidingliche, lebendige Substanz dieser Philosophie, die Subjektivität
selber eigentlich erst einmal verdinglicht, zu einer statischen, allgemeinen,
generellen Bestimmung nach dem Muster des Dinges zugerichtet werden ( . . . ) ,
damit sie überhaupt das leisten kann, was sie leisten soll, nämlich die Be-
Stimmung des Dinges als eines Bleibenden, dem stetigen Wechsel Enzogenen." 47
Die Argumentation wirft mindestens drei Bedenken auf:
a) Adorno setzt "statisch" und "allgemein" gleich - als ob ein Allgemeines
notwendig statisch sein müßte.
b) Entsprechend seinem Mißverständnis des synthetischen Konstitutionscha-
rakters der kategorialen Funktion 48 reduziert er die Aufgabe der Apperzeption
auf eine empirische Reidentifikation ("Bestimmung des Dinges als eines Blei-
benden" ).
c) Es ist nicht einsichtig, inwiefern diese Aufgabe nur von einem statisch
Dinggleichen erfüllt werden kann. Um ein Ding als bleibend zu bestimmen,
d.h. eine bestimmte Vorstellung in sich verändernden Vorstellungskomplexen
des Bewußtseinsstromes wiederzuerkennen, bedarf es zunächst eines Zusammen-
hang und Durchgängigkeit ermöglichenden und selbst durchgängigen Prinzips im
Weltbewußtsein: des be- und geleitenden Selbstbewußtseins der ursprünglichen
Apperzeption. Zwar ist auch etwas Beharrliches, Statisches erforderlich, um
44 Adorno ( 5 ) , S. 753
45 Adorno ( 5 ) , S. 600
46 Kant (147), B 132
47 Adorno (13), S. 222. Vgl. auch ( 7 ) , S. 272
48 Vgl. Kap. 3.4.3.2.1, Nr. 2
Deutung des "ich denke" 197
Dauer und Wechsel feststellen zu können, aber dieses Beharrliche - hier ist
an die erste Analogie zu denken - ist nicht die Apperzeption. Diese ist viel-
mehr das, was die Beziehung des als bleibend zu bestimmenden Dinges auf das
Beharrliche allererst ermöglicht.
6. Ist die ursprüngliche Apperzeption derart zu einem Statisch-Dinglichen
verfestigt, dann berührt das unweigerlich das Verständnis ihres Einheitscha-
rakters. Diesen bezeichnet Kant als "transzendentale Einheit des Selbstbe-
wußtseins". Sie ist synthetisch und wird im Ausdruck "ursprünglich syntheti-
AQ
sehe Einheit der Apperzeption" zusammenfassend bestimmt. Die "durchgängige
Identität der Apperzeption, eines in der Anschauung gegebenen Mannigfalti-
gen" 50 ist nach Kant die Identität des Selbstbewußtseins (nicht in der Vor-
stellungswelt, sondern) in einem Komplex von Anschauungen. Die durchgängige
Einheit der Apperzeption ist kein fixiert statisches Prinzip, sondern ein
aktmäßig aktualisiertes (nicht prozessual) durchgehendes Prinzip. Nur so
kann der Zusammenhang des Mannigfaltigen als konstitutive Bedingung der Einen
Erfahrung synthetisch hergestellt werden. Diese Einheit bezeichnet die kon-
stitutive Funktion des apperzeptiven Spontaneitätsbewußtseins im Weltbewußt-
sein. Weder ist mit dieser durchgängigen Einheit der Apperzeption die numeri-
sche "Identität der Person" gemeint, noch folgt diese aus jener analytisch,
wie Kant in der Paralogismenlehre nachweist. Auch ist die transzendentale
Einheit des Selbstbewußtseins nicht auf den Begriff der Einheit zu beziehen,
der neben Vielheit und Allheit in die Klasse der Quantitätskategorien fällt.
Vielmehr ist sie als "qualitative" "höher" anzusiedeln, "(...) nämlich in
demjenigen, was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urtei-
len, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Ge-
brauche, enthält." 5 2
Adorno jedoch deutet die Einheit der Apperzeption als die des Ichs. Ent-
sprechend seiner Verdinglichung der Apperzeption stellt er fest: "Das Feste
des erkenntnistheoretischen Ichs, die Identität des Selbstbewußtseins ist
ersichtlich der unreflektierten Erfahrung des beharrenden, identischen Ob-
jekts nachgebildet" 53 . Als Nachbildung eines (numerisch) "identischen Ob-
jekts" wäre die Einheit der Apperzeption in der Tat ein "Festes". Indessen
ist sie die Bedingung sowohl für die Möglichkeit einer "Erfahrung des behar-
49 Kant (147), B 131 ff
50 Kant (147), B 133
51 Kant (147), B 408
52 Kant (147), B 131
53 Adorno ( 5 ) , S. 755
198 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
renden, identischen Objekts" als auch dafür, daß auf der Grundlage dieser
"Erfahrung" dem Objekt Überhaupt etwas "nachgebildet" werden kann.
Des weiteren sei die Einheit der Apperzeption eine "allgemein vorgezeich-
nete Einheit" , das "transzendentale Subjekt" eine (formierte, weil dingli-
che) "Form" 55 , seine Einheit ein "Bezugspunkt", "in" den - entsprechend der
Passivität eines Dinges - "(...) das Mannigfaltige fällt" 5 6 . Adorno scheint
also die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption als eine Art
Gefäß ("Rahmen" ) zu deuten, in das das Mannigfaltige als Material hinein-
fällt (nicht hineingefüllt wird !). Dieses Bild gibt auch genau die Annahme
einer Apperzeption ohne perceptiones wieder.
7. Die simplifizierende Verdinglichung der apperzeptiven Einheit hat weite-
re Konsequenzen: Hinsichtlich des in sie fallenden Materials sei sie "zwang-
CQ
vollen Wesens" . Der Idealismus reduziere alles "auf die absolute Einheit
des Ich denke" . "Die Identität des Geistes mit sich selber, die nachmalige
synthetische Einheit der Apperzeption, wird durchs bloße Verfahren auf die
Sache projiziert und zwar desto rücksichtsloser, je sauberer und stringenter
es sein möchte. Das ist die Erbsünde der prima philosophia. Um nur ja Konti-
nuität und Vollständigkeit durchzusetzen, muß sie an dem, worüber sie ur-
teilt, alles wegschneiden, was nicht hineinpaßt."
Um in dem Bild zu bleiben: Was in das Gefäß nicht "hineinpaßt", wird abge-
schnitten. Nur: »er schneidet ab ?
Auch ist es nicht einzusehen, weshalb die apperzeptive Einheit als Durch-
gängigkeit des Apperzipierens nötigend wirken soll. Eine derartige These wird
für sich betrachtet nur von der zugrundeliegenden verdinglichten Vorstellung
Adornos her verständlich. Diese allerdings und die damit einhergehende candeu-
tungr der transzendentalen Konstitutionstheorie in eine Subsumtions-r Reduk-
tions- und Identifikationstheorie entsprechen genau der Bestimmung der kate-
gorialen Konstitutionsleistung als "Deformation" 61 eines schon Konstituier-
ten, der Transzendentalphilosophie als Theorie der Macht (vgl. 3.4.3.2.1).
54 Adorno ( 7 ) , S. 157
55 Adorno ( 7 ) , S. 141
56 Adorno ( 1 1 ) , S. 143
57 Adorno ( 7 ) , S. 288
58 Adorno ( 7 ) , S. 221
59 Adorno ( 1 4 ) , S. 37
60 Adorno ( 1 4 ) , S. 18
61 Adorno ( 5 ) , S. 752
Deutung des "ich denke" 199
Die Frage drängt sich auf, wie Adorno diese Nötigung des Materials durch
die Einheit des Selbstbewußtseins und ihre Weisen der Vereinigung (die Kate-
gorien) erklärt.
8. Die Antwort Adornos beinhaltet wesentlich soziologische und geschichts-
theoretische Überlegungen. Indem er das "Transzendentale" in seine Geschichts
kosmogonie integriert, es auf den Kampf-der menschlichen Gattung um Selbster-
haltung bezieht, erblickt er in der Transzendentalphilosophie nicht bloß ein
leeres Gedankengebäude, sondern auch ein relatives Wahrheitsmoment. Sie sei
wahrer Ausdruck eines falschen Zustandes. Diese soziologisch gesellschafts-
kritische Deutung des "Transzendentalen", die schon in Horkheimers program-
matischem Aufsatz 'Traditionelle und kritische Theorie 1 (1937) skizziert
CO
ist , wirft zwei Fragen auf: a) Wie ist das relative Wahrheitsmoment zu
konkretisieren ? b) Wie wahr ist dieses Wahrheitsmoment ?
ad a) Die Transzendentalphilosophie drückt nach Adorno die gegenwärtige
vorgeschichtliche Verfassung der Menschheit aus, die Nivellierung des Indi-
viduellen durch das Abstrakt-Allgemeine der gesellschaftlichen Realität.
"Träger" des logisch-allgemeinen, erkenntnistheoretischen Subjekts sei die
"Gesellschaft" . Die scheinbare Macht des transzendentalen Subjekts enthal-
te "jenes Wahre der vorgängigkeit der Gesellschaft vorm Einzelbewußtsein und
all seiner E r f a h r u n g " . Die vorgebliche "Festigkeit" des transzendentalen
Bewußtseins spiegele die Falschheit der Tauschgesellschaft, sei "die Refle-
xionsform der im gesellschaftlichen Verhältnis objektiv vollzogenen verding-
lichung der Menschen" 65 . Das Moment der *onstitutivität verweise auf die Ab-
hängigkeit des Individuums in bezug auf die "Möglichkeit seiner Existenz" von
der Gesellschaft, vom "Allgemeinen" . Die "gesellschaftliche Arbeit" sei das
"(...) Geheimnis, das hinter der synthetischen Apperzeption sich versteckt
und sie hinaushebt über die bloße w i l l k ü r l i c h e Hypostasis des abstrakten Be-
griffs" . Das allgemeine, die empirisch-psychologischen Einzel Subjekte über-
steigende Moment von Erkenntnis verweise auf den "Begriff der gesellschaftli-
chen Arbeit". In dieser drücke sich "eine Art von Nivellierung, eine Art von
Abschleifung" aus, "(...) durch die die einzelnen Arbeitsakte und durch die
vor allem die Produkte dieser Arbeitsakte (...) miteinander kommensurabel
Kant jedoch weist in der Paralogismenlehre nach, daß "ohnerachtet der logi-
schen Identität des Ich" die "numerische Identität meines Subjekts" nicht
gewährleistet ist, da in diesem "(...) ein solcher Wandel vorgegangen sein
kann, der es nicht erlaubt, die Identität desselben beizubehalten" 78 .
Indem aber derart die transzendentale Apperzeption nicht das ihr zugespro-
chene Wahrheitsmoment besitzt, muß dieses anders gelagert sein. Die Richtung
ist schon vorgezeichnet: Da Kants Konzeption von Subjektivität offensichtlich
nicht unter den von Adorno kritisierten Subjektsbegriff subsumiert werden
kann, stellt sie zugleich subjektstheoretische Kategorien zur Verfügung, die
Adornos Desiderat eines positiven Subjektsbegriffs füllen und die ihm da-
durch entstehenden Schwierigkeiten bewältigen könnten.
9. Die transzendentale Apperzeption wird nicht nur gesellschaftskritisch,
sondern auch psychoanalytisch dechiffriert. Schon bei der Betrachtung der
Deutung des intelligiblen Charakters zeigte sich, daß Adornos Verständnis
79
von Subjektivität wesentlich durch Freudsche Vorstellungen geprägt ist.
Dies führt unter anderem in seiner ersten Habilitationsschrift zu der Ent-
gegensetzung "von transzendentaler Bewußtseinsphilosophie und Philosophie
80
des Unbewußten" . Derart wird das "ich denke" nicht nur zu einem nötigen-
den und numerisch sich erhaltenden, sondern auch zu einem bewußten "Ich,
das denkt" umgedeutet. Das epistemologische Ich als "konstitutive Bedingung
aller Erkenntnis" sei in der Bedeutung zu nehmen, in der "(...) es auch von
der modernen Tiefenpsychologie gebraucht wird, nämlich im Sinne der vernünf-
tigen, bewußten Instanz, die dem diffusen, triebmäßigen Unbewußten ihrer-
81
seits gegenübersteht." Das "ich denke" sei die sich im Kampfe der Gattung
um Daseinsfristung durch Abzweigung eines Triebenergiequantums herausgebil-
82
dete "Ich-Instanz" des Bewußtseins. Nur konsequent ist es, wenn Adorno zu-
folge dieser Konfundierung von Transzendentalphilosophie und Psychologie das
Theorem einer Einheit des (Selbst-)Bewußtseins widerlegt sieht: "Wir sind
deshalb nicht berechtigt, von einer E i n h e i t des Ichs ungebrochen (...) zu
reden ( . . . ) , weil in W i r k l i c h k e i t dieses Ich sich psychödynamisch aus einan-
der entgegengesetzten Kräften, also aus den Kräften des Unbewußten, des nicht
Bewußten oder des verdrängten Triebes und andererseits dem Ich (...) zusam-
mensetzt, und diese Komplexität, (...) dieser antagonistische Charakter,
78 Kant ( 1 4 7 ) , A 363
79 Vgl. Kap. 4 . 2 . 2 . 2 , Nr. 2
80 Adorno ( 9 ) , S. 88
81 Adorno ( 1 3 ) , S. 101
82 Adorno (13), S. 101
Deutung des "ich denke" 203
den das Ich in sich selbst besitzt, dieser Charakter führt eben dazu, daß wir
von einer Einheit in einem strengen Sinn nicht reden können." Dies sei durch
die "erkenntnistheoretisch außerordentlich bemerkenswerte und relevante Tat-
sache" der "Schizophrenie" 83 empirisch verifiziert.
Nicht zu bestreiten ist Adornos psychologische These als solche, wohl aber
ihre Bedeutung für die transzendental philosophische Subjektskonzeption:
a) Das "ich denke" ist keine verfestigte "Ich-Instanz", denn diese kann
sich allererst mittels des "ich denke" ausbilden.
b) Der Bewußtseinsmodus des "ich denke" ist nicht mit dem des "Ichs" iden-
tisch, das das triebhafte "Es" bändigt. Das psychoanalytische "Ich" ist ein
Prinzip des Bewußtseins und dem Unbewußten des "Es" entgegengesetzt. Jenes
ist bewußt und soll nach Freud das Unbewußte zurückdrängen: "Mo Es war, soll
Ich werden." 84 Demgegenüber ist das transzendentale "ich denke" zwar auch
ein Prinzip des Bewußtseins - es ist das für jegliches Weltbewußtsein kon-
stitutive Selbstbewußtsein -, aber weder ist es dem Unbewußten entgegenge-
setzt, noch soll es dieses bewußt machen. Es ist nicht bewußt, kann aber be-
wußt sein. Das "ich denke" ist ein Bewußtseinsprinzip, aber kein notwendig
bewußtes Bewußtseinsprinzip. Als konstitutiv für jegliches Weltbewußtsein
ist es zwar je schon aktualisiert, aber deshalb nicht zugleich hauptthema-
tisch, sondern möglicherweise,und zwar vornehmlich,nur nebenthematisch. Der
Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenthematizität entspricht Kants Theo-
rie des Bewußtseins, derzufolge "(...) es unendlich viele Grade des Bewußt-
seins bis zum Verschwinden (gibt)." 85 Diese Auffassung verweist auf Leibniz,
der vor Freud die erkenntnistheoretische Bedeutung des Nichtbewußten erfaßte
und mit dieser Erkenntnis auf Kant wirkte. 86
Für Kant gilt: "Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten
können" 87 . Adornos oben dargelegte falsche Zitation spiegelt sein psycholo-
gisches Mißverständnis wider: Da die psychoanalytische "Ich-Instanz" bewußt
ist und das Unbewußte zurückdrängen soll, wird aus dem "ich denke" ein Ich,
OQ
"(...) das alle meine Vorstellungen begleiten s o l l " .
menologische Methode, sondern auch die Bezugnahme auf die psychologische Tat-
sache der Zugehörigkeit bestimmter Vorstellungsinhalte zu einem bestimmten
Ich (als vorgeblicher "Grundschicht" der ursprünglichen Einheit der Apper-
zeption) statt auf die transzendentale Bedingung von Vorstellungen, " ( . . . )
unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammen stehen
können". Zum objektivierten Ich geworden - verwandelt sich die Apperzeption
für Adorno in eine solche ohne Perzeptionen. Seine Kritik dieser Auffassung
geht also auf das eigene Mißverständnis. Auch das Moment der Ursprünglichkeit
der transzendentalen Apperzeption wird nicht von Adornos Kritik getroffen,
da diese,abgesehen von weiteren Mängeln, die ontologische intentio recta mit
der transzendental philosophischen intentio obliqua verwechselt. Aufgrund der
ontologischen Objektivierung des "ich denke" zum "Ich, das denkt" konkreti-
siert Adorno die transzendentale Apperzeption als dinglich und passiv. Sie
wird so zu einer Art Gefäß, in das "das Mannigfaltige fällt". Von hierher
wird dann die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption weiter als
zwanghaft bestimmt. Die Umdeutung der transzendentalen Konstitutionstheorie
in eine Subsumtions-, Reduktions- und Identifikationstheorie entspricht da-
bei genau der Bestimmung der kategorialen Konstitutionsleistung als "Defor-
mation" eines schon Konstituierten. Die Ursache für diese Nötigung erklärt
Adorno soziologisch-geschichtstheoretisch: Die Transzendentalphilosophie sei
der wahre Ausdruck einer falschen Geschichte, sie spiegele den Kampf der
menschlichen Gattung um Selbsterhaltung wider. Indessen beruht diese sozio-
logische Dechiffrierung nicht nur auf einer objektivierenden Umdeutung des
Transzendentalen und einem darauf aufbauenden vage analogisierenden Verfah-
ren. Zudem wird die Identität qua Durchgängigkeit der apperzeptiven Einheit
zur numerischen Identität des "Ichs, das denkt".Die Vergegenständlichung der
Apperzeption erlaubt zugleich ihre Psychologisierung zur "Ich-Instanz" des
Bewußtseins. Der Versuch jedoch, Freud gegen Kant auszuspielen, verkennt
nicht nur den Bewußtseinsmodus des transzendentalen Selbstbewußtseins, son-
dern scheitert auch im Grundsätzlichen. Sowohl die soziologische als auch
die psychologische Betrachtungsweise des Transzendentalen erweisen sich da-
mit als unzureichend. Die Ontologisierung des "ich denke" setzt sich in der
Anwendung fundamentalontologischer Kategorien ("ontologische Priorität",
"ontologische Differenz") fort und führt auf den Vorwurf des Platonismus.
Dieser verweist auf den zugrundeliegenden, einem transzendentalen Paralogis-
mus vergleichbaren Irrtum Adornos, der durch den Nachweis eines konsequenten
Mißverständnisses der Paralogismenlehre bestätigt wird.
210 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
Damit schließt sich zusammenfassend gesehen die Umdeutung des "ich denke"
zum "Ich» das denkt" genau an Adornos problematische Kritik der Kantischen
Erkenntnistheorie an.
5.1.2 Kritik des "ich denke": Das Problem von Konstituens und Konstitutum
ens das voraussetze, was "(...) nach Idealistischem Brauch vom Begriff erst
1?1
konstituiert werden (...) soll. '
Das Argument geht also nicht auf den Gedanken der Reziprozität selbst, son-
dern stellt auf ihm aufbauend den Verweisungscharakter des Gedachten/Inhalts
als eines Gliedes des wechselseitigen Verhältnisses auf außersubjektive Fak-
tizität heraus. Jedoch wird damit nicht bewiesen, daß das Konstituens "(...)
auf das sogenannte constitutum verweist" 122 , sondern n u r , daß jenes eines
constituendum bedarf. Dies ist aber gerade das, was Kant mit dem Gedanken
der Mannigfaltigkeit und der Synthetizität der Apperzeption zum Ausdruck
bringt. Die Annahme, dies gegen Kant wenden zu können, verwechselt das con-
stitutum mit dem constituendum und karikiert entsprechend den transzendenta-
len Idealismus zu der "Vorstellung eines absoluten und reinen Ansatzes in Be-
wußtsein, in Subjektivität". Einem derartigen Mißverständnis war Kant schon
früh nach dem Erscheinen der ' K r i t i k der reinen Vernunft 1 ausgesetzt, so daß
er sich genötigt sah, die "Widerlegung des Idealismus" in die zweite Auflage
einzufügen.
Der Einwand Adornos belegt zugleich die Verdinglichung des "ich denke":
Faßt man dieses nicht als synthetisches Prinzip, sondern als selbständiges
"Ich" und verwechselt man zudem das constituendum mit dem constitutum, dann
wird aus Kants Gedanken der zu synthetisierenden Mannigfaltigkeit die gegen
Kant gewendete Abhängigkeit des constituens vom constitutum.
4. Ein weiteres Argument beruht auf der Ontologisierung des "ich denke":
"Ohne alle Relation zu einem empirischen Bewußtsein, dem des lebendigen Ichs,
1 ?^
wäre kein transzendentales, rein geistiges."
Kant postuliert kein selbständiges transzendentales, "rein geistiges" Be-
wußtsein neben dem empirischen. Vielmehr arbeitet er in der transzendentalen
Reflexion das allgemeine Strukturprinzip des empirischen Bewußtseins heraus.
Die zugrundeliegende Substanzialisierung des Transzendentalen und ihre
"metakritische" Wendung wird noch deutlicher, wenn Adorno der "idealisti-
sche(n) Erkenntnistheorie überhaupt" vorwirft, ihren Bestimmungen - dem vom
konkreten Menschen losgelösten "Geistigen" - "ein Sein" zuzuschreiben, auf
sie ein "Existentialurteil" zu übertragen und dabei den Verweisungscharakter
"auf faktisches Dasein" zu unterschlagen.
121 Adorno ( 5 ) , S. 466
122 Adorno ( 1 1 ) , S. 138
123 Adorno ( 7 ) , S. 186
Kritik des "ich denke" 213
1 O/l
Dieser "Kerneinwand 1 ist nicht nur aufgrund seines pauschalen Urteils
über die "idealistische Erkenntnistheorie überhaupt" fragwürdig, das sich
in der undifferenzierten Zuordnung des Begriffs des "Geistes" manifestiert.
Entscheidender ist, daß Adorno dem Idealismus "überhaupt" so etwas wie die
1?
Annahme einer "ontologischen Differenz" ("Sein" contra "faktisches Da-
sein") zu unterstellen scheint. Demgegenüber ist daran zu erinnern, daß es
gerade Kant ist, der in der Paralogismenlehre davor warnt, "die mögliche Ab-
straktion von meiner empirisch bestimmten Existenz mit dem vermeinten Be-
1 ?fi
wußtsein einer abgesondert möglichen Existenz meines denkenden Selbst"
zu verwechseln^
Adornos Mißverständnis ist auch hier insofern konsequent, als man sich ein
"Ich, das denkt" in der Tat nur als existierend und - da dieses ursprünglich
sein soll - zudem als vom "faktischen Dasein" unabhängig existierend vor-
stellen kann.
5. Auf einer ähnlichen Hypostasierung des transzendentalen "ich denke" be-
ruht der folgende Einwand: Das nach Kant Raum- und Zeitbestimmungen konsti-
tuierende Bewußtsein könne selbst nur räumlich-zeitlich individuiert vorge-
stellt werden. Derart sei es auch ein "Stück Welt" und " ( . . . ) insofern nicht
1 ?7
tauglich, die Welt, das Sein der Welt also eigentlich zu begründen."
Kant bestreitet keineswegs., daß das empirische Bewußtsein an eine räum-
lich-zeitliche Individuation gebunden ist. Aber dies ist davon zu unterschei-
den, daß das formale Prinzip des empirischen Weltbewußtseins, das transzen-
dentale Selbstbewußtsein, daß das, was das empirische Bewußtsein als mein
Bewußtsein ermöglicht, räumlich-zeitlich datiert vorstellbar oder gar datier-
bar ist. Die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption ist das for-
male Prinzip jeglichen empirischen Bewußtseins, als ein formales Prinzip
nimmt es aber keine Raum- und Zeitstellen ein, denn: Form ist nicht datier-
1?R
bar. Nur ein je schon Formiertes ist datierbar.
Diese Einsicht ist Adorno verwehrt, weil er aufgrund der Verwechslung des
"ich denke" mit dem "Ich, das denkt" eine vom Weltbewußtsein unabhängige
Selbständigkeit des transzendentalen (Selbst-)Bewußtseins annimmt und dieses
1 pO
dann als festen und dinglichen "Rahmen" , eine Art Gefäß,hypostasiert,
124 Adorno (13), S. 91
125 Adorno (14), S. 147
126 Kant (147), B 427
127 Adorno (13), S. 277
128 Vgl. Rohs, (240), S. 107
129 Adorno ( 7 ) , S. 288
214 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
"ein Nenner" zwischen Erkennendem und Gegebenem bestehen muß (keine "ontolo-
gische Differenz" herrschen darf) (maior), und wenn sinnlich konkrete Dinge
gegeben werden (minor), dann kann der, dem gegeben wird, kein abstrakt trans-
zendentales Subjekt, sondern muß "ein s i n n l i c h Bestimmtes" sein (conclusio).
Die Argumentation ist zwar in sich stimmig, im Hinblick auf die intendierte
"Metakritik" der Transzendentalphilosophie jedoch eine petitio principii:
Jene setzt voraus, was diese allererst auf ihren Möglichkeitsgrund hin be-
fragt: sinnlich konkrete Dinge, "Gegenstände" .
b) Ein zweiter Einwand zielt auf das Problem der Gegebenheit. Der "apore-
tische Begriff des transzendentalen Subjekts" zeige sich in seiner Konzep-
tion als "eines Allgemeinen, das doch Besonderes erfahren soll" .
Auch hier setzt Adorno irrtümlich voraus, daß das transzendentale Subjekt
etwas "erfahren soll". Zudem läßt sich der Einwand als sprachliche Ungenau-
igkeit auflösen: Allgemeines und Besonderes sind zwar einander gegensätzlich,
aber dies schließt nicht aus, daß sich das transzendentale Subjekt als ein
allgemeines, für alle endlich vernünftigen Wesen gültiges Prinzip auf ein
gegebenes Besonderes bezieht. Nur wenn man nicht beachtet, was die Begriffe
bezeichnen,und lediglich die verselbständigten Begriffe "Allgemeines" und
"Besonderes" für sich in ihrem Verhältnis zueinander betrachtet, kann man
aufgrund ihrer begrifflichen Gegensätzlichkeit nicht mehr verstehen, wie ein
Allgemeines zu einem Besonderen in Beziehung treten kann.
In beiden Fällen scheitert also das Bemühen, die transzendentalphilosophi-
sche Konzeption Kants indirekt über den Rekurs auf das Moment der Gegebenheit
zu widerlegen.
7. Ein anderer Einwand versucht das Konstituens als Konstitutum darzulegen
durch den Aufweis der inneren Bedingungen des Denkens, des implikats eines
Konstituierten im Konstituens: "Schließlich ist im Begriff des Denkens selbst
(...) immer und notwendig der Begriff der Tätigkeit enthalten (...). Der Ge-
danke an eine Tätigkeit, die aber nicht auf ein Tuendes sich bezieht, der
Gedanke einer Tätigkeit etwa des Denkens ohne Denkendes ist widersinnig. So
taucht im innersten Prinzip des Idealismus selber, im Prinzip der Subjekti-
vität nämlich, eben jenes Moment der Realität notwendig, unabdingbar wieder
auf, von dem behauptet wird, daß es erst dessen Konsequenz und erst gleich-
sam nach außen hin projiziert, nach außen hin entworfen sei." "Denken
135 Adorno (14) , S. 150
136 Adorno ( 7 ) , S. 178
137 Adorno (11) , S. 139
216 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
selbst (...) kann nicht vorgestellt werden ohne die Tätigkeit irgend Denken-
der, die das Wort Denken benennt. In dieser Rückbeziehung ist als Moment be-
reits enthalten, was nach idealistischem Brauch vom Begriff erst konstituiert
138
werden (...) soll." Die Überlegung scheint plausibel: Denken impliziert
Tätigkeit, Tätigkeit impliziert einen Tätigen, ein Tätiger ist aber ein sol-
cher, der erst vom Denken gesetzt werden soll.
Indessen bestreitet Kant keineswegs die Vorstellung eines dem Denken zu-
grundeliegenden Etwas, das denkt. So spricht er im Zusammenhang seiner Kri-
tik der psychologiae rationalis von ihrem Gegenstand als diesem "(...) Ich,
oder Er, oder Es (das D i n g ) , welches denket" 139 . Entscheidend jedoch ist,
daß das Denken zwar die Vorstellung eines Etwas voraussetzt, das denkt, die-
ses aber von Kant provokativ als "Es" Bezeichnete unbestimmbar ist, weil der
Versuch seiner Erfassung z i r k u l ä r wäre: Dieses "X" ist ein solches, " ( . . . )
um welches wir uns daher in einem beständigen Zirkel herumdrehen, indem wir
uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen müssen, um irgend etwas von
ihm zu urteilen" . "Was das denkende Ich ist, welche Eigenschaften es hat
usw., ist nicht aussagbar: ich erfahre es nur als Prinzip der Bewegung, wel-
che ich bei der Bestimmung derjenigen Objekte leiste, die ich innerhalb der
Erfahrungsgrenzen erkennen kann." Dieses "X" ist nicht objektivierbar,
weil es als Objektiviertes (Bestimmtes) nicht mehr das Objektivierende (Be-
stimmende) wäre. Es ist genauso ein Unwissenheitsausdruck wie der Begriff
des Dinges an sich und ebensowenig als ein Ansich im vorkritisch naturali-
stischen Sinne zu bestimmen. 142 Denken impliziert in der transzendental phi-
losophischen Rückfrage nur die Vorstellung eines unbestimmten, kategorial
nicht bestimmt faßbaren, weil bestimmenden und deshalb nicht bestimmbaren
denkenden "X". Dieses aber ist nicht das - wie Adorno meint - zufolge des
Idealismus erst zu Konstituierende: Konstituiert wird ein Denkender, das
empirisch bestimmte Subjekt. Das noumenal unbestimmte, in der empirischen
Anschauung nicht gegebene denkende "X" ist sorgsam von dem phänomenal be-
stimmten, in der empirischen Anschauung gegebenen Denkenden zu unterscheiden.
Diese Differenz markiert genau die zwischen der transzendentalphilosophischen
intentio obliqua und der ontologischen intentio recta und unterbricht derart
die von Adorno aufgestellte Implikationsreihe. Die These eines dem Denken
143 Kann nach Diltheys kritischer Wendung das Erkennen nicht hinter das Le-
ben zurückgehen [vgl. Dilthey ( 5 0 ) , S. 180], so ist demgegenüber geltend
zu machen, daß jenes noch nicht einmal Ms zu diesem gelangt.
144 Adorno ( 5 ) , S. 747
145 Adorno ( 5 ) , S. 747
146 Adorno ( 5 ) , S. 747
218 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
vollziehen -), stellt Adorno fest: "Tätigkeit des Geistes, einmal vermensch-
licht, kann niemand und nichts anderem zugesprochen werden als den Lebendi-
gen. Das infiltriert noch den Begriff, der über allen Naturalismus am höch-
sten hinausschießt, den der Subjektivität als synthetischer Einheit der Ap-
perzeption, mit dem Naturmoment." Begründet wird diese These im folgenden
Satz: "Einzig sofern es seinerseits auch Nichtich ist, verhält das Ich sich
zum Nichtich, 'tut' etwas, und wäre selbst das Tun Denken." Dies stelle den
Realismus auf sogenannter höherer Stufe wieder her: "Denken bricht in zwei-
ter Reflexion die Suprematie des Denkens über sein Anderes, weil es Anderes
immer in sich schon ist. Daher gebührt dem obersten Abstraktum aller Tätig-
keit, der transzendentalen Funktion, kein Vorrang vor den faktischen Gene-
sen. Zwischen dem Realitätsmoment in ihr und der Tätigkeit realer Subjekte
gähnt kein ontologischer Abgrund" .
Die hier auftretenden Mißverständnisse sind schon weitgehend im vorigen er-
örtert worden, so daß lediglich Adornos Begründung betrachtet werden soll:
Das "Ich" müsse, um tätig zu sein, schon immer auch "Nichtich", d.h. ein Ob-
jektives, sein. Ein tätiges "Ich" ist in der Tat nicht ohne "Naturmoment"
vorzustellen. Jedoch stützt dies nicht das demonstrandum: die vorgängige Ab-
hängigkeit der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption von dem
Konstituierten. Auch diese Argumentation ist zirkulär: Adorno setzt ein tä-
tiges "Ich" voraus,Kant aber geht vom transzendentalen Prinzip des "ich den-
ke" aus. Dabei läßt er das denkende "Es" vollkommen unbestimmt. Der Kritiker
des Oberwinders der vorkritischen Betrachtungsweise bleibt also dem überwun-
denen verhaftet.
8. Das Ergebnis wird durch die Betrachtung des auf lebensphilosophische
Einflüsse 148 verweisenden Abstraktionsvorwurfes erhärtet, der die Kehrseite
der bisherigen Einwände darstellt. Er läßt sich in der These zusammenfassen,
die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption sei eine bloße Abstrak-
tion vom konkret empirischen Individuum und derart unfähig, dasselbe erst zu
konstituieren. Des näheren ist eine allgemeine und konkretisierte Form des
Abstraktionsvorwurfes zu unterscheiden:
a) In seiner allgemeinen Form sei der Vorwurf von einem Vertreter des
Idealismus, nämlich von Fichte in seinen beiden 'Einleitungen in die Wissen-
147 Adorno ( 7 ) , S. 201. Die Wendung vom "gähnenden Abgrund" zeigt wiederum
die phänomenologische Verzerrung Kants, denn jene wird nicht von Kant,
sondern von Husserl gebraucht [vgl. Husserl (129), S. 117].
148 Vgl. Dilthey (45), S. 80 f
Kritik des "ich denke" 219
Schaftslehre 1 , bestätigt worden: "Daß dies transzendentale, alle inhaltliche
Erfahrung konstituierende Subjekt seinerseits von den lebendigen, einzelnen
Menschen abstrahiert sei, wurde nicht erst von der Kritik am Idealismus ent-
14Q
deckt." Das "proton pseudos des Idealismus seit Fichte" sei der Glaube,
"(...) in der Bewegung der Abstraktion werde man dessen ledig, wovon abstra-
hiert ist." Demgegenüber gelte: "Das Resultat von Abstraktion ist nie ge-
gen das, wovon es abgezogen ward, absolut zu verselbständigen; weil das Ab-
straktum auf das unter ihm Befaßte anwendbar bleiben, weil Rückkehr möglich
sein soll, ist in ihm immer zugleich auch in gewissem Sinn die Qualität des-
sen, wovon abstrahiert wird, aufbewahrt, wäre es auch in oberster Allgemein-
heit. Setzt daher die Bildung des Begriffs Transzendentalsubjekt oder absolu-
ter Geist sich ganz hinweg über individuelles Bewußtsein schlechthin als
raumzeitliches, woran er gewonnen ward, so läßt jener Begriff sich nicht
mehr einlösen"
Fichte wählt durchaus im abgebrochenen 'Versuch einer neuen Darstellung
der Wissenschaftslehre' (als dessen Fortsetzung die Vorlesungsnachschrift
der 'Wissenschaftslehre nova methodo' gelten kann) und den beiden ihm zuge-
ordneten 'Einleitungen' vornehmlich die Methode der Abstraktion. In dieser
Schrift (1797) beginnt er anders als in der 'Grundlage' (1794), die "von den
Ergebnissen der analytischen Reflexion des Transzendentalphilosophen auf in-
tellektuell-anschaulich Gewisses" ausgeht, mit "ebendiesen unmittelbaren Ge-
wißheiten selbst" 15? . Fichte versucht hier, den Leser erst zu der Grundstruk-
tur des Ichs hinzuleiten, die in der 'Grundlage' schon zu Beginn im Gefüge
der drei obersten Grundsätze entfaltet ist.
Die dabei entscheidende Funktion der Abstraktion bedeutet aber nicht, wie
Fichte hervorhebt, daß die "(...) Intelligenz (...) etwas lediglich durch
Abstraktion Hervorgebrachtes sei". Dies gelte unabhängig davon, "(...) daß
das Bewußtsein derselben durch eine, dem Menschen freilich natürliche, Ab-
straktion bedingt ist." 153
Wird man nach Fichte sich durch Abstraktion des Ichs bewußt - im 'Versuch 1
ist es die Abstraktion von den äußeren Dingen, die nicht Ich sind -, so miß-
versteht Adorno dies als Entstehung des Ichs (bzw. des transzendentalen Sub-
jekts) durch Abstraktion: Die ratio cognoscendi wird zur ratio essendi umge-
bogen. Nicht das "transzendentale, alle inhaltliche Erfahrung konstituieren-
de Subjekt" ist "von den lebendigen, einzelnen Menschen abstrahiert", son-
dern die philosophische Erfassung des transzendentalen Subjekts (des trans-
zendentalen Selbstbewußtseinsprinzips "ich denke") abstrahiert von den kon-
kreten Individuen. Erst von diesem Mißverstand her wird die kritische Fest-
stellung sinnvoll, das "Resultat von Abstraktion" sei nicht "absolut zu ver-
selbständigen". Nur: »er verselbständigt dann das "Transzendentalsubjekt
oder" - hier scheint Adorno keine wesentlichen Unterschiede zu machen - den
"absoluten Geist" ?
Die von Kant in der Paralogismenlehre kritisierte Verselbständigung ist
nicht z u f ä l l i g , sondern in Adornos Ontologisierung begründet: Indem er das
"ich denke" als "Ich, das denkt" faßt, kann er annehmen, jenes sei ein "Ab-
straktum" konkreter Individuen, diese seien "das unter ihm Befaßte", das Ver-
hältnis von "ich denke" und empirischem Subjekt sei das der schlichten Sub-
sumtion (und nicht der Konstitution). Da nun aber das "Ich, das denkt" kein
flatus vocis sein soll, ist er genötigt, ihm eine Art Realität zuzuerkennen.
Diese kann jedoch nicht ontisch sein, weil in dem bezeichneten "Abstraktum"
von allem Konkret-Ontisehen abstrahiert sei. Also - so scheint er zu fol-
gern - muß es eine ontologische Realität sein: Das transzendentale Subjekt
beanspruche eine "ontologische Priorität" , zwischen dem konkreten Bewußt-
sein und dem transzendentalen Selbstbewußtseinsprinzip bestehe eine "ontolo-
gische Differenz" . Weiter: Da in dem ontologisch-all gemeinen "Ich, das
denkt" alle bestimmte Egoität getilgt ist, kann Adorno einwenden, unter ei-
nem solchen "Ich" könne man sich nichts mehr vorstellen, es sei "leer" .
Dem ist beizupflichten. Allerdings widerlegt dies nicht Kant, sondern Adorno.
b) Das Resultat wird durch die konkretisierte Form des Abstraktionsvorwur-
fes bestätigt, die sich auf das Moment der Erinnerung bezieht: "Durch (...)
Erinnerung ist so etwas wie ein einheitliches, seiner Einheit bewußtes Be-
wußtsein überhaupt begründet. (...) Nun ist es aber klar, daß dieses Moment
der Erinnerung abgeleitet ist von dem Modell des individuellen, einzelnen,
psychologischen Bewußtseins, das heißt, jeder einzelne von uns hat Erinne-
rung und hat Erwartung, und das ist nicht etwa eine vorgegebene, etwa logisch
164 Vgl. dazu die Arbeiten von Baumanns (22) und (21)
5.2 Das noumenale Selbst
Bisher ist lediglich der erste Teil einer doppelten Aufgabe erfüllt, der pri-
mär erkenntnistheoretisch relevant ist: die Oberprüfung der Kritik des trans-
zendentalen Selbstbewußtseinsprinzips. Im folgenden geht es um die Einwände,
die auf Kants Konzeption einer noumenalen Subjektivität, die Idee eines rei-
nen Ichs an sich gehen. Die Differenz der beiden Fragestellungen ist umso
mehr zu betonen, als sie von Adorno nicht beachtet wird. Sie ist nicht nur
deshalb bedeutsam, weil ihre fehlende Berücksichtigung das Mißverständnis
des transzendentalen Prinzips "ich denke" als "Ich, das denkt" mitbedingt,
sondern auch, weil ohne diese Unterscheidung Kants Konzeption des reinen Ichs
verdinglichende Fehldeutungen evoziert.
In erster Annäherung kann man die zentrale, erkenntniskritisch abgesicher-
te Aussage der subjektstheoretischen Konzeption Kants darin sehen, daß sich
das Subjekt wesentlich nicht im empirischen Prozeß erschöpft, sondern daß
ein davon Verschiedenes angenommen werden muß: das nicht in empirische Mo-
mente auflösbare intelligible. Entsprechend grenzt Kant ein phänomenales
Selbst, das unter Kausalgesetzen steht, von einem noumenalen Selbst ab, das
nicht kausal bestimmt, sondern frei ist. Dieses stellt das "eigentliche
Selbst" dar, aufgrund dessen der Mensch sowohl (nicht nur einen "Preis",
sondern auch) "Würde" besitzt, als auch seine Handlungen ihm zurechenbar
sind.
Das für die kritische Ethik zentrale Theorem eines noumenalen Ichs an sich
sieht Adorno zwei Schwierigkeiten ausgesetzt: in bezug auf 1. die Bestimmung
des noumenalen Selbst, 2. den subjektstheoretischen Dualismus.
Die Schwierigkeit einer Bestimmung des noumenalen Selbst liege darin, daß
"jede auch nur denkbare, im Kantischen Sinn 'noumenale 1 Bestimmung des Sub-
jekts" aporetisch sei. Des näheren lassen sich zwei Einwände Adornos ge-
es handelt, anscheinend die "unzeitliche" Welt verläßt und sich "ins Kanti-
sche Reich der Kausalität" "verirrt". Der erkennbare sachliche Gehalt der be-
zeichneten Schwierigkeit reduziert sich auf die Frage, wie zeitlich nicht da-
tierbare Vernunft raum-zeitliche Handlungen bestimmen kann, wie es möglich
ist, daß der Mensch keinem bloßen Reiz-Reaktions-Mechanismus gehorcht, son-
dern reine Vernunft seine Handlungen beeinflussen kann. Diese Frage jedoch
kann Kant aus erkenntnistheoretischen Gründen nicht beantworten. Indessen
hat sich schon gezeigt, daß Adornos Alternative, Vernunft auf abgezweigte
Triebenergie zurückzuführen, nicht geringere Schwierigkeiten in sich birgt.
2. Entscheidender als der Dualismus von Subjekt und Objekt ist der intra-
subjektive Dualismus zwischen dem empirischen Ich der Erscheinung und dem
noumenalen Ich an sich.
a) Die Problematik dieses Dualismus zeige sich zunächst in der "paradoxa-
len" Behauptung Kants, trotz möglicher genauester Vorhersehbarkeit und Vor-
herberechenbarkeit der Handlungen eines Menschen sei dieser frei. Einer sol-
chen "Konstruktion der Freiheit" bleibe nur übrig, "(...) unter Preisgabe
der Vernunft, auf welcher sie beruhen soll, autoritär den einzuschüchtern,
178
der sie vergebens zu denken trachtet."
Der Einwand ist in doppelter Hinsicht problematisch:
aa) Die Bestimmbarkeit (Vorhersehbarkeit) von etwas ist nicht mit dessen
(Fremd-)Bestimmtheit zu verwechseln.
bb) Die Schwierigkeit dieser "Konstruktion" ist nur unlösbar, wenn nicht
zwischen W i l l e und Handlung unterschieden wird: "Was man sich auch in meta-
physischer Absicht für einen Begriff von der Freiheit des willens machen
mag: so sind doch die Erscheinungen desselben, die menschlichen Handlungen,
eben so wohl als jede andere Naturgegebenheit, nach allgemeinen Naturgeset-
170
zen bestimmt."
Kant behauptet an der von Adorno bezeichneten Stelle lediglich, daß, "(...)
wenn es für uns möglich wäre", das "Verhalten" eines Menschen genau "aus(zu)-
rechnen", dieser dennoch "(...) frei sei." Er nimmt also keine reale, sondern
nur eine eventuelle Möglichkeit an und zwar in der Absicht, den Grundgedanken
der kritischen Ethik herauszustellen. Worin dieser besteht, zeigt der gewähl-
te Begriff des "Verhaltens" an, denn das "verhalten" ist von dem (reflexiven)
177 Vgl. Kap. 4.3.1, Nr. 3
178 Adorno (7), S. 252
179 Kant (145), S. 17 (letzte Hervorhebung B.)
230 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
sich-vernalten zu unterscheiden. Dieses sieht Kant also nicht durch die von
ihm hypothetisch angenommene Möglichkeit einer Vorhersehbarkeit des Verhal-
tens berührt. Das hat seinen guten Grund, weil die Betrachtung des menschli-
chen Sich-Verhaltens grundsätzlich nicht mit der von empirisch faßbaren Pro-
zessen - Kant spricht von einer "Mond- oder Sonnenfinsternis" - vergleichbar
ist. Das spezifikwa des Sich-Verhaltens erhellt sich aus dem Kontext: Hier
erörtert Kant das moralische Prinzip der zurechenbarkeit von Handlungen. Dem-
nach heißt der vollständige Sinn des von Adorno nur bruchstückhaft Wiederge-
gebenen: Auch wenn es "möglich wäre", das "Verhalten" eines Menschen genau
vorherzusagen, berührt dies nicht das Problem der Zurechenbarkeit seiner
Handlungen, den Aspekt des Sich-Verhaltens. Auf diese grundsätzliche Diffe-
renzierung will Kant hinweisen, wenn er schreibt, daß "(...) man eines Men-
schen Verhalten auf die Zukunft mit Gewißheit, so wie eine Mond- oder Son-
nenfinsternis ausrechnen könnte und dennoch dabei behaupten, daß der Mensch
frei sei." 18(1 Diesen Unterschied aber kann Adorno aufgrund seines phänomeno-
logischen Ontologismus nicht fassen.
b) Das Ergebnis wird bestätigt durch Adornos Kritik der Konzeption des in-
telligiblen Charakters: Diese führe zu der "contradictio in adjecto" (!) ei-
ner "'intelligiblen Existenz 1 , einem Dasein ohne die Zeit, welche zufolge
1R1
Kant Daseiendes mit konstituiert" .
Auch hier verselbständigt Adorno irrtümlich das Ich an sich zu einem "Da-
sein" und folgert konsequent - da nach Kant zeitliche Bestimmungen nur für
das Phänomenale gelten - auf ein "Dasein ohne die Zeit". Indessen zeigt sich
die Unangemessenheit dieser Charakterisierung bei der näheren Betrachtung
der von Adorno zitierten Stelle: Kant spricht hier nicht einfach von einer
"intelligiblen Existenz", sondern von dem "Gesetz unserer intelligiblen
Existenz" und konkretisiert dieses als "das moralische". In bezug auf dieses
(und nicht unsere "intelligible Existenz") heißt es dann, daß die "Vernunft"
hinsichtlich desselben "(...) keinen Zeitunterschied anerkennt und nur fragt,
ob die Begebenheit mir als Tat angehöre" 182 . Es geht also auch hier nicht um
das ontologische Problem eines "Daseins ohne die Zeit", sondern um das ethi-
183
sehe Problem der Zurechenbarkeit von Handlungen zu einer konkreten Person.
180 Kant ( 1 4 6 ) , S. 99
181 Adorno ( 7 ) , S. 284
182 Kant (146), S. 99
183 Zum Problem der Zurechenbarkeit von Handlungen vgl. auch Kants Beispiel
vom Lügner: Kant ( 1 4 7 ) , B 582 ff
Die subjektstheoretischen Dualismen 231
sein ohne die Zeit"), sondern lediglich Ausdruck einer veränderten Perspek-
tive. Von hierher endlich erweisen sich Adornos Bestimmungen des "vermeint-
lich ansichseiende(n) Subjekt(s)" als eines "Abgespaltenen" und der "Di-
stinktion des reinen und empirischen Subjekts" als eines "Chorismos" 195 als
unangemessen, so konsequent sie von seinem Ontologismus her auch sind.
Kant wlirde der vermeintlich kritischen" These Adornos beipflichten, das
freie Ich an sich ("das transzendentale" Subjekt) sei nur "als Moment des
1 Qfi
empirischen" , insofern dies heißen soll, daß das freie Subjekt nicht
selbständig in einer vom konkreten Dasein unabhängigen "Daseinssphäre" 1Q7
existiert. Wohl aber widerspräche Kant, insofern dies heißen soll, daß das
Subjekt in seiner empirisch faßbaren Seite aufgehe. Solcherart würde das für
ein zurechenbares Verhalten zu einem sich verhaltenden Subjekt unabdingbare
Prinzip transzendentaler Freiheit ausgeklammert. Menschliche Freiheit ver-
kümmerte zur "Freiheit eines B r a t e n w e n d e r19fi
s".
dd) Allerdings ist die von Kant eingeführte Standpunktstheorie im Rahmen
eines kritischen Gesamtsystems ambivalent:
positiv ist sie insofern, als sie den Bruch mit der traditionell ontologi-
schen Betrachtungsweise bezeichnet. Dabei resultieren die zum Teil.isoliert
betrachtet»mißverständlichen Formulierungen Kants aus der Tatsache, daß sich
dieser Bruch innerhalb der alten, ihm zur Verfügung stehenden Terminologie
vollzieht. Durch diese Theorie gelingt es ihm, Freiheit und Kausalität zu
vereinen, ohne auf die problematische Idee einer prästabil ierten Harmonie
zurückgreifen zu müssen. Das spannungsvolle Verhältnis zwischen der von Kant
angenommenen kausalen Bestimmtheit der Handlungen einerseits und der Freiheit
des Willens andererseits ist demnach nicht real ontologisch zu verstehen im
Sinne der Unterscheidung zwischen einer determinierten und einer freien Welt.
Vielmehr ist es der Ausdruck verschiedener Maximen unserer Vernunft, die sie
zur Bewältigung komplexer Probleme in bisweilen konkurrierender Weise auf-
stellt.
Negativ aber ist die Standpunktstheorie hinsichtlich der erkenntnistheore-
tischen Konsequenzen. Diese betreffen insbesondere eine Revision der Lehre
der Kategorien und Grundsätze. Läßt sich der Widerspruch der Aussagen einer
kausalen Bestimmtheit des Menschen und einer dennoch gewährleisteten Freiheit
194 Adorno ( 7 ) , S. 213
195 Adorno ( 7 ) , S. 239
196 Adorno ( 7 ) , S. 239
197 Adorno ( 7 ) , S. 252
198 Kant (146), S. 97
834 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
nicht mehr durch die Beziehung auf verschiedene Sachebenen (Handlung des em-
pirischen Subjekts in einer phänomenalen Welt bzw. W i l l e des noumenalen Sub-
jekts in einer intelligiblen Welt) in ein konträres Verhältnis auflösen,
sondern gibt es nur ein Subjekt in einer Welt, dann müssen die verschiedenen
Aussagen als relative Deutungen (transzendentalphilosophisch genauer: srdeu-
tungen 199 ) gelesen werden. Ist die Kausal Vorstellung nur ein Vorschlag neben
der Vorstellung eines freien zurechenbaren Handelns zum Verständnis einer
(allerdings komplex struktuierten) Welt, dann muß Kants scharfe Trennung
zwischen dem konstitutiven Gebrauch der Kategorien und dem bloß regulativen
Gebrauch der Ideen aufgehoben werden. Diese Unterscheidung könnte mögli-
cherweise durch die bloß graduelle zwischen weitgehend bewährten Erdeutungs-
maximen (z.B. die Kausalitätskategorie mit Ausnahme für den Mikro- und Makro-
bereich) und empirisch nicht eindeutig verifizierbaren oder noch nicht veri-
fizierten Erdeutungsmaximen (z.B. teleologische Vorstellungen) ersetzt wer-
den.
Was für die Kategorien gilt, trifft a priori auf die Grundsätze zu und hier
besonders auf die Analogien der Erfahrung. Diese besitzen nach Kant wie die
Postulate des empirischen Denkens - jedoch im Unterschied zu den mathemati-
201
sehen Grundsätzen - von vornherein nur regulativen Wert. Sie müßten "(...)
nunmehr als regulativ in der vollen Bedeutung der transzendentalen Dialektik
verstanden werden." 202
So einschneidend diese von der Ethik her geforderte Revision der Kantischen
Erkenntnistheorie ist, so geeignet erscheint sie auch, einige ihrer Schwie-
rigkeiten zu lösen: Das leidige Problem der Vollständigkeit der Urteils-
und Kategorientafel stellte sich nicht mehr ein, weil die Kategorien nicht
im strengen Sinne (sondern nur im abgeschwächten Sinn von Erdeutungsweisen)
konstitutiv wären. Als zufällige Weisen der Vereinheitlichung von Gegebenem
könnten sie in zueinander möglicherweise konkurrierender Weise angewendet
werden. Ihr Bestand könnte prinzipiell Veränderungen unterworfen sein. Die
Kantische Kategorienlehre geriete nicht mehr in Verlegenheit angesichts der
Entdeckung von ihr nicht berücksichtigter Stämmbegriffe. Hier könnte man
199 Der Begriff des Erdeutens ist von W. Cramers Begriff des Eindeutens
[Gramer (40), S. 45 f, 95, 97] zu unterscheiden, da dieser Begriff die
ontologische Überhöhung der Theorie voraussetzt (Problem der - und
O 2 -Ordnung). Vgl. kritisch zu Cramer: Baumanns ( 2 0 ) , S. 99 ff
200 Vgl. Beck ( 2 9 ) , S. 183 i
201 Vgl. Kant (147), B 222 f.
202 Beck ( 2 9 ) , S. 184
Die subjektstheoretischen Dualismen 235
z.B. an die von Quine im Rahmen seiner (re-)konstruierten Evolution der
Denk- und Sprachschemata dargestellten kontinuativen Terms denken: Diese
Terms sprengen die individuatiye Dichotomie von singulä'ren und allgemeinen
Terms, die die Grundlage der Kantischen Kategorientafel bildet. 203 Auch wür-
de diese Revision nicht hinter Kant zurückfallen, sondern nur seinen - wie
OC\A
schon Fichte nachgewiesen hat - nicht eingelösten Anspruch in bezug auf
den Nachweis einer Vollständigkeit der Kategorientafel auf das von ihm tat-
sächlich Geleistete zurücknehmen. Die Öffnung der Kategorienlehre könnte nur
begründet zurückgewiesen werden, wenn ein Vollständigkeitskriterium angege-
ben wird. Ein solches ist aber - soweit wir sehen - bisher noch nicht über-
zeugend formuliert worden.
Entsprechende Überlegungen wären für die Lehre der Grundsätze anzustellen:
Neue naturwissenschaftliche, die klassische Physik Newtons teilweise außer
Kraft setzende Erkenntnisse (die z.B. das Kausalgesetz als nur für einen be-
grenzten Bereich nachweislich gültig anerkennen) widersprächen dieser revi-
dierten Lehre nicht mehr, sondern ergänzten bzw. deuteten sie nur in einem
neuen Licht. 205
Kants Theorie würde so den neueren Theorien und Erfahrungswissenschaften
geöffnet werden und diese - hierin bestünde weiterhin ihr kritisch transzen-
dentales Geschäft - begründen. Die Begründungsdimension einer revidierten
Transzendentalphilosophie wäre zwar nur schwächer, als es Kant vorschwebte,
dafür aber aufgrund ihres reduzierten Anspruchs in der Gegenwart umso über-
zeugender: Die einzeln weder deduzierten noch (ohne Zusatzprämissen} ableit-
baren, und deshalb empirisch aufzufindenden und auch möglicherweise sich
entwickelnden Kategorien würden das aus dem obersten Grundsatz der Ursprung*
lieh synthetischen Einheit der Apperzeption deduzierte Prinzip der Katego-
ria"! i tat konkretisieren. Sie selbst aber würden begründet mittels ihrer Funk-
tion, Weisen der synthetischen Vereinheitlichung und damit nachgängiger Er-
möglichungsgrund der apperzeptiven Einheit zu sein. Dies veränderte zwar
teilweise die transzendentale Analytik, hielte aber ihren höchsten Punkt und
sein regressives Implikationsgefüge (weitgehend) bei. Durch diese begründende
Dimension ist die derart revidierte Transzendentalphilosophie dem von Adorno
geforderten "dialektischen Realismus" grundsätzlich Überlegen.
203 Vgl. Cniine (222). Vgl. dazu und zu weiterführenden Überlegungen Baumanns,
(24), S. 60 ff
204 Vgl. Fichte (65), S. 201 f
205 Vgl. z.B. Beck (28). Zum Verhältnis des von Kant in der ersten Analogie
formulierten "Grundsatzes von der Beharrlichkeit der Substanz" zur mo-
236 Adornos Kritik der Subjektstheorie Kants
l Adorno ( 5 ) , S. 467
6.1 Kritische Rekonstruktion
6.1.1 Das Verhältnis von Subjekt und Objekt: Die Präponderanz des Objekts
1. Wie oben dargelegt worden ist, unterstellt Adorno dem Idealismus pauschal
die Annahme eines ontologischen und herrschaftlichen Primats des Subjekts
auf Kosten des Konkret-Ontischen und Nichtidentischen. Dieses Theorem sei
2
jedoch "metakritisch" in einer "intentio obliqua der intentio obliqua" zu
überwinden: "Durchgeführte Kritik an der Identität tastet nach der Präpon-
deranz des Objekts."
So eindeutig diese These zunächst zu sein scheint, ebenso proteushaft ist
sie bei näherer Betrachtung: Die Idee eines 'Vorrangs des Objekts" besitzt
mindestens drei verschiedene Bedeutungen: a) im Sinne eines subjektstheore-
tischen Naturalismus und.davon unterschieden,psychologisch-soziologisch be-
trachtet sowohl b) im Sinne einer "verkehrte(n) Gestalt des Vorrangs von Ob-
jektivität" als auch c) im Sinne eines "Vorrang(s) des Objekts" als eines
"kritisch Herzustellenden". Ist in der Bedeutung von a) der "Vorrang des
Objekts" notwendig, so in der von b) wirklich, in der von c) aber möglich,
nicht etwas, was ist, sondern etwas, was sein soll.
Nach a) sei der "Vorrang des Objekts" an keine im Grunde kontingenten Be-
dingungen gebunden, wohl aber in der idealistischen Philosophie übersehen
und geleugnet worden. Der falsche Vorrang nach b) sei an die im weitesten
Sinne kapitalistisch orientierte Tauschgesellschaft geknüpft, die der Nicht-
identität der Objekte einen identischen "Warencharakter" aufpresse. Da der-
art der "Vorrang des Objekts" zur "Fratze" verzerrt werde, sei der wahre
"Vorrang" im Sinne von c) kritisch herzustellen, durch Veränderung des Be-
Ebenso fragwürdig ist die These Adornos, "Index für den Vorrang des Ob-
jekts" sei "die Ohnmacht des Geistes in all seinen Urteilen wie bis heute
in der Einrichtung der Realität" 13 .
Weder läßt sich unter einer "Ohnmacht des Geistes in all seinen Urteilen"
etwas vorstellen, noch ist es einsichtig, weshalb eine unvernünftig einge-
richtete Realität auf den ontologischen Primat des Objekts hinweisen soll:
Jene besagt nicht mehr und nicht weniger, als daß das menschliche Handeln
nicht an vernünftigen Zielen ausgerichtet ist. Von hierher auf den ontolo-
gisch naturalistischen Vorrang des Objekts zu folgern, ist umso w i l l k ü r l i -
cher, als Adorno "die Ohnmacht des Geistes" auf das "bis heute" einschränkt.
Soll eine vernünftig eingerichtete Realität den Vorrang des Subjekts indi-
zieren ? Soll dann das Objekt "buchstäblich" und nicht nur erkenntnismäßig
auf das Subjekt angewiesen sein ?
4. Nicht nur Adornos Begründung zugunsten einer "Präponderanz des Objekts",
sondern auch ihre nähere Ausführung ist problematisch, zunächst scheint es,
daß der Selbständigkeit des Subjekts Rechnung getragen wird: "Der Vorrang
des Objekts, als eines doch selbst Vermittelten, bricht die Subjekt-Objekt-
Dialektik nicht ab." Ist Adorno doch darum bemüht, indem er Subjektivität
zum "festgehaltenen Moment" erklärt, sich vom "(...) primitiven Materialis-
mus, der Dialektik eigentlich nicht zuläßt" 1 5 , abzusetzen.
Entsprechend heißt es in der 'Negativen Dialektik 1 in bezug auf Subjekt und
Objekt: "Weder sind sie letzte Zweiheit, noch verbirgt hinter ihnen sich
letzte Einheit. Sie konstituieren ebenso sich durch einander, wie sie vermö-
ge solcher Konstitution auseinandertreten."
a) Zunächst zur Zurückweisung einer "letzte(n) Zweiheit": Offensichtlich
unterscheidet Adorno zwischen "letzte(r)" oder "absolute(r) Zweiheit" und
"Zweiheit", denn andererseits gilt: "An der Zweiheit von Subjekt und Objekt
ist kritisch festzuhalten, wider den Totalitätsanspruch, der dem Gedanken in-
häriert." 17 Demnach hieße die Ablehnung einer "letzte(n) Zweiheit" dies, daß
die Begriffe Subjekt und Objekt kein "Positives, keine primären Sachverhalte",
nichts Isoliertes bezeichnen, sondern daß Subjekt und Objekt trotz ihrer
23 Adorno ( 5 ) , S. 742 f
24 Adorno ( 7 ) , S. 317
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 245
25 Adorno ( 7 ) , S. 193
246 Adornos Subjektstheorie
26
7. Vorab ist in Anlehnung an Th. Litt ein grundsätzliches methodisches
Bedenken gegenüber dem naturalistischen Evolutionismus zu formulieren: Die
Betrachtungsweise dieser Konzeption ist als "genetische" ?7 (d.h. als eine
solche, die das Spätere aus dem Früheren mittels der Kategorie der Selbster-
haltung zu begreifen sucht) dem grundlegenden Einwand ausgesetzt, die Lei-
stungen des Menschen lediglich als Objekt zu betrachten. Der Evolutionismus
unterschlägt, daß er die objektivierten Leistungen selbst in Anspruch nimmt,
diese auch die objektivierenden sind, er zu ihnen also in einem doppelten
Verhältnis steht: Ober Vernunft kann nur durch Vernunft etwas ausgemacht wer-
den. Indem er nun dieses doppelte Verhältnis (der Selbsterkenntnis) auf eine
einfache Relation (der gegenständlichen Erkenntnis) reduziert, muß er die be-
trachteten Leistungen nach unten hin angleichent kann er an ihnen nur das
wahrnehmen, was dem unmittelbaren Lebenskampfe dienlich ist. Vor jeder in-
haltlichen Aussage ist der Evolutionismus damit auf ein reduktionistisches
Modell festgelegt.
Das heißt zugleich, daß, wenn der Reduktionismus nicht einbekannt und kon-
sequent durchgeführt wird, notwendig Argumentationsbrüche auftreten, die ent-
weder durch bloße Worte, Äquivokationen oder Zirkelschlüsse verdeckt werden.
Genau dieser Sachverhalt liegt bei Adorno vor. Dies im folgenden konkret zu
belegen* ist eine Aufgabe.
Die Kritik am Erklärungsmodell Adornos kann nur überzeugen, wenn seine Kri-
tik alternativer Konzeptionen zurückgewiesen werden kann. Von hierher stellt
sich zum zweiten die Aufgabe darzulegen, daß seine Einwände entweder auf Miß-
verständnissen beruhen oder lediglich simplifizierte theoretische Positionen
treffen. Durch diesen Nachweis wird der jeweiligen Alternative Adornos die
Grundlage entzogen.
Beide Aufgaben (die Kritik der K r i t i k Adornos und die Kritik seiner Alter-
native) sollen im folgenden unter den Aspekten der Entstehung von Bewußtsein,
Vernunft, Geistigem und Individualität erfüllt werden.
8. Zur Entstehung des Bewußtseins: Charakteristisch für Adornos Bewußtseins-
theorie ist die Auffassung, von der sie sich absetzt: Sie wendet sich gegen
eine solche Konzeption, die ein "ontologisches Vorrecht des Bewußtseins"
postuliert. Das hier zugrundeliegende Mißverständnis Adornos ist oben dar-
gelegt worden.
26 Vgl. Litt (176), S. 281 - 297
27 Litt ( 1 7 6 ) , S. 285
28 Adorno ( 7 ) , S. 186
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 247
29 Adorno ( 7 ) , S. 186
30 Vgl. Fichte (65), S. 196 ff
248 Adornos Subjektstheorie
31 Marx (189), S. 28 f
32 Marx (189), S. 30 f
33 Vgl. dazu Schwan (260), S. 56 - 61
34 Adorno ( 7 ) , S. 262
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 249
konzeption absetzt. Gegen Kant wendet er ein, die "reine Vernunft" sei "selbst
ein Werdendes und insofern auch Bedingtes, kein absolut Bedingendes". Kants
Konzeption, daß sich die Vernunft "(...) außerhalb der Zeit als Absolutes
35
setze", sei "weit irrationaler als je die Schöpfungslehre" .
Indessen stellt die Kritik eine falsche Alternative: Es ist richtig, daß
die "reine Vernunft" Kants als anhypotheton nicht bedingt ist, weil jeder
Versuch, sie zu transzendieren, sie selbst voraussetzt. Es ist aber falsch,
die derart unbedingte und sich selbst setzende Vernunft mit einem "absolut
Bedingenden" und einer sich "als Absolutes" setzenden Vernunft zu identifi-
zieren. Mit diesem Mißverständnis ist der Konzeption Adornos ihre Grundlage
entzogen.
Gleich dem Bewußtsein habe die " ( . . . ) Vernunft genetisch aus der Triebener-
gie als deren Differenzierung sich entwickelt" . Sie sei "die zu Zwecken der
Selbsterhaltung abgezweigte psychische Kraft" und insofern "naturhaft". Zu-
gleich jedoch gelte: " ( . . . ) einmal aber abgespalten und der Natur kontra-
stiert, wird sie auch zu deren Anderem." Vernunft sei also "mit Natur iden-
tisch und nichtidentisch" oder "dialektisch ihrem eigenen Begriff nach" .
Das Vorgetragene ist in wenigstens zweifacher Hinsicht problematisch:
a) Wer hat die Vernunft "abgezweigt" ? Adornos Aussage, die Vernunft habe
"sich entwickelt", widerspricht der gleichzeitigen These, daß sie "genetisch
aus der Triebenergie als deren Differenzierung" entstanden sei. Wenn die Ver-
nunft ausdifferenzierte Triebenergie ist, dann hat diese "sich entwickelt",
nicht aber die Vernunft. Der immanente Widerspruch der These, daß "Vernunft
genetisch aus der Triebenergie (...) sich entwickelt", spiegelt genau das
Dilemma des Reduktionismus: Einerseits soll Vernunft aus der Natur abgelei-
tet werden, andererseits soll sie auch nicht in dieser aufgehen.
b) Derselbe Zwiespalt impliziert auch die zweite Schwierigkeit: Angenommen,
Vernunft ist "abgezweigte" Triebenergie, so ist sie keinesfalls pauschal
"der Natur kontrastiert", sondern nur dem nach der Abzweigung verbleibenden
Rest. Einzig aufgrund dieses Irrtums kann Adorno die Vernunft zum "Anderen"
der Natur erklären, folglich sie als "mit Natur identisch" (weil "genetisch"
aus der Natur stammend) "und nichtidentisch" (weil zum "Anderen" der Natur
geworden) bestimmen. Läßt man sich nicht durch die gedankliche Ungenauigkeit
35 Adorno ( 7 ) , S. 290
36 Adorno (7) , S. 229
37 Adorno ( 7 ) , S. 285
250 Adornos Subjektstheorie
beirren, lautet das bereinigte Ergebnis: Vernunft ist und bleibt Natur.
In ähnlicher Weise scheitert ein weiterer Versuch, das triebenergetische
Vernunftmodell positiv darzulegen: "Nicht bloß hat Vernunft genetisch aus
der Triebenergie als deren Differenzierung sich entwickelt: ohne jenes Wol-
len, das in der W i l l k ü r eines jeden Denkaktes sich manifestiert und allein
den Grund abgibt für dessen Unterscheidung von den passiven, 'rezeptiven'
Momenten des Subjekts, wäre dem eigenen Sinn nach kein Denken." 38
Insofern dies heißen soll, daß der konkret empirische Vollzug des Denkens
auf Triebenergie angewiesen ist, ist die These einsichtig. Damit aber ist
nicht mehr als eine Trivialität anerkannt. Anders jedoch, wenn Adorno im Ein-
klang mit der Reduktion von Vernunft auf Natur den "eigenen Sinn" des Denkens
an "jenes Wollen" bindet. Worin unterscheiden sich dann beide noch ? Was be-
deuten in diesem Falle Begriffe wie Geltung und Objektivität ?
10. Zur Entstehung des Geistigen: Auch hier setzt sich Adorno von Kant ab:
Dieser erneuere den neuzeitlichen, bei Descartes anhebenden psychophysisehen
Dualismus. 39 Dabei erkennt Adorno nicht, daß sich dieses ontologische Pro-
blem der Einheit von res cogitans und res extensa nach der Köpernikani sehen
Wende des transzendentalphilosophischen Kritizismus nicht mehr stellt, Kon-
struktionen wie die der Zwirbeldrüse sich erübrigen. 40
Zunächst wird jeder Reduktionismus zurückgewiesen: Geist sei "(...) auf
Dasein so wenig zu nivellieren wie dieses auf ihn." Entsprechend erklärt
Adorno die "Kontroverse über die Priorität von Geist und Körper" als "vor-
dialektisch": "Sie schleppt die Frage nach einem Ersten weiter." Demgegen-
über heißt es jedoch in bezug auf die Relation von Subjekt und Objekt, die
der von Geist und Körper parallelisiert wird : "Der Vorrang des Objekts
(...) bricht die Subjekt-Objekt-Dialektik nicht ab." 44 Adorno fährt fort
wie hinsichtlich des Verhältnisses von Subjekt und Objekt: Geist und Körper
seien nicht aufeinander zu reduzieren, aber ebenso bestehe keine "radikale
Differenz" 45 . Die Parallelität geht noch weiter, denn entsprechend der Aus-
deutung des "Vorrangs des Objekts" im Sinne von a) zu a ' ) heißt es: "Alles
38 Adorno ( 7 ) , S. 229
39 Vgl. Adorno ( 1 3 ) , S. 88
40 Vgl. Kant (147), A 384 - 395
41 Adorno ( 7 ) , S. 202
42 Adorno ( 7 ) , S. 202
43 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 194
44 Adorno ( 7 ) , S. 187
45 Adorno ( 7 ) , S. 202
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 251
Geistige 1st modifiziert leibhafter Impuls, und solche Modifikation der qua-
litative Umschlag in das, was nicht bloß ist." 47 Jetzt wird also nicht nur
entgegen dem Vorhergehenden eine "Priorität" gesetzt, sondern das Leibliche
als das Ursprungliche behauptet.
Damit hat sich wiederum der ReduktionIsmus durchgesetzt, der nicht konse-
quent einbekannt wird: Denn: Wie ist diese Modifikation, die Transsubstan-
tiation des Leiblichen in ein Geistiges zu erklären ? Sollte in bezug auf
das Problem der Entstehung von Vernunft eine Äquivokation im Begriff der Na-
tur das Dilemma lösen, so nun der Begriff des "qualitative(n) Umschlagt s)".
Indessen bezeichnet dieser lediglich die Schwierigkeit.
Eine zweite Frage stellt sich sogleich: Angenommen, die Modifikation ist
qualitativer Natur - wie verträgt sich das mit der Zurückweisung einer "ra-
dikalein) Differenz" ? Welches tertium benennt Adorno denn ? Die Konzeption
verlangt nach einer neuen Zwirbeldrüse.
Betrifft dies die ungeklärte Entwicklung des Geistes, so das Folgende sei-
ne nähere Bestimmung: Der Geist erfülle im wesentlichen zwei Funktionen:
a) die der Naturbeherrschung, b) die der Artikulation des Nichtgeistigen.
ad a) Das "naturbeherrschende Prinzip", das der Geist vertrete, bezieht
Adorno (entsprechend seiner naturalistischen Bewußtseins- und Vernunfttheo-
rie) auf den geschichtlichen Dberlebenskampf der menschlichen Gattung: der
Geist als lebensdienliches Mittel, um die lebensfeindliche Natur zu überwin-
den. Zugleich aber verkörpere der Geist auch das "Lebensfeindliche" 48 . In
der Tradition F. Nietzsches und L, Klages heißt es (vermutlich in Anspielung
auf die asketische Geistauffassung Max Schelers ): "Falsch ist die Askese,
die er anderen abverlangt, gut seine eigene; in seiner Selbstnegation über-
schreitet er sich (...). Um Geist zu sein, muß er wissen, daß er in dem,
woran er reicht, nicht sich erschöpft; nicht in der Endlichkeit, der er
gleicht." 50
Hierin liegen mehrere Probleme beschlossen:
aa) Der Obergang von der Lebensdienlichkeit zu der Lebensfeindlichkeit des
Geistes ist nicht ohne weiteres einsichtig. Die These, daß er selbst - an-
47 Adorno ( 7 ) , S. 202
48 Adorno ( 7 ) , S. 384 (Hervorhebung B.)
49 Vgl. Scheler ( 2 4 7 ) , S. 55
50 Adorno ( 7 ) , S. 385
252 Adornos Subjektstheorie
59 Vgl. Gen. 2, 7; 3, 19
60 Adorno ( 7 ) , S. 164
61 Adorno ( 7 ) , S. 218. Vgl. ( 7 ) , S. 358; ( B ) , S. 592
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 255
"Werden nach der These neuerer Biologen tatsächlich die Menschen soviel
unausgerüsteter geboren als andere Lebewesen, so haben sie wohl überhaupt
nur assoziiert, durch rudimentäre gesellschaftliche Arbeit am Leben sich er-
halten können; das principium individuationis ist deren Sekundäres, hypothe-
62
tischerweise eine Art biologischer Arbeitsteilung."
Die sprachliche Unbestimmtheit dieser Überlegung indiziert ihre gedankli-
che Problematik: Die Gleichsetzung von Assoziation und Gesellschaftlichkeit
ist nicht nur fragwürdig - auch Tiere sind assoziiert, aber bilden sie des-
halb eine Gesellschaft ? -.sondern zudem signifikant. Durch Arbeitsteilung
mag sich zwar aus dem gattungsmäßig bestimmten biologisch Einzelnen ein Un-
terschiedlich-Besonderes entwickeln, nicht aber das "principium individua-
tionis". Denn: Das "Individuationsprinzip, Gesetz der Besonderung" sei an
" ( . . . ) die Allgemeinheit der Vernunft in den Einzelnen geknüpft" . Es setzt
nach Adorno also Vernunft voraus. Nur: Wie führt eine "Art biologischer
Arbeitsteilung" auf das Vernunft supponierende Individuationsprinzip ? Genau
dieses Problem aber wird durch die Gleichsetzung von Assoziation und Gesell-
schaftlichkeit verdeckt.
Ein zweiter Punkt weist auf denselben Bruch h i n : Kurz im Anschluß an die
zitierte Überlegung heißt es: Die kritisierte "Ontologie 'des 1 Menschen" ha-
be irrtümlich "das bereits historisch voll ausgebildete principium indivi-
duationis nach rückwärts oder auf den ewigen Ideenhimmel" projiziert.
Ist also nicht - wie es zunächst hieß - das Individuationsprinzip, sondern
lediglich seine Aasformung das "Sekundäre" ? Räumt auch Adorno die biologi-
sche Unableitbarkeit des Prinzips selbst ein ? Wenn dem aber so ist, wie kann
er dann eine "biologische Vorform" des Individuums annehmen ? Wie soll die
für das Individuum konstitutive "Selbstreflexion" des "biologischen Einzel-
wesens" möglich sein, wenn nicht dieses Einzelwesen in besonderer Weise aus-
gezeichnet ist, kein bloß biologisches Einzelwesen ? Auch diese Brüche
verweisen auf einen Reduktionismus, der nicht konsequent einbekannt wird.
ad b) Zum Moment der Einheit: Zunächst scheint es, als besitze das "biolo-
gische Einzelwesen" keine Einheit, soll doch in Absetzung zu diesem das In-
dividuum "das durch dessen Selbstreflexion als Einheit erst konstituierte"
62 Adorno ( 5 ) , S. 757 f
63 Adorno ( 7 ) , S. 218
64 Vgl. Adorno ( 7 ) , S. 337
65 Vgl. Adorno ( 5 ) , S. 758
66 Adorno ( 7 ) , S. 218
256 Adornos Subjektstheorie
67 Adorno ( 7 ) , S. 216 f
68 Adorno ( 7 ) , S. 215
Das Verhältnis von Subjekt und Objekt 257
nunft und Geistigem, sondern auch unter dem der Entwicklung des Individuums
führt also seine subjektstheoretische Konzeption auf unlösbare Schwierigkei-
ten: eine subjektslose Theorie.
12. Die bisherigen Überlegungen zum Verhältnis von Subjekt und Objekt las-
sen sich wie folgt rekapitulieren: Ausgehend von der irrtümlichen Annahme,
der transzendental ideal istische Ansatz postuliere einen ontologischen Primat
des Subjekts, versucht Adorno,einen "Vorrang des Objekts" zu entwickeln. Die-
ses Theorem besitzt vorderhand drei verschiedene Bedeutungen, von denen zu-
nächst jedoch nur die erste von Bedeutung ist: der "Vorrang des Objekts" im
Sinne eines subjektstheoretischen Naturalismus. Diesem Primat zufolge ist
das Subjekt realiter auf das Objekt, dieses aber nur von seiner Erkenntnis
her auf jenes angewiesen. Indessen sind nicht nur die Begründungen Adornos
zugunsten dieses Theorems fragwürdig. Ebenso ist die nähere Ausführung der
"Präponderanz des Objekts" problematisch. Zwar scheint er eine Subjekt-Ob-
jekt-Dialektik und die Irreduzibilität beider Seiten anzuerkennen (weder
"letzte Einheit", noch "letzte Zweiheit"), aber eine erste Schwierigkeit
tritt bei einem Vergleich der 'Negativen Dialektik 1 mit ihren 'Epilegomena'
auf: Setzen diese in entwicklungsgeschichtlicher Betrachtung ein Subjekt und
Objekt transzendierendes Drittes voraus, so weist jene (teilweise) ein sol-
ches zurück. Läßt sich dieser Widerspruch durch eine Teilrevision und zeit-
liche Spezifizierung beheben, so erwächst stattdessen das Problem der Genese
der einheitlichen Zweiheit aus der "Ungeschiedenheit" des "blinden Naturzu-
sammenhangs". Jedoch nicht nur die Metamorphose als solche bleibt ungeklärt,
sondern eine zweite Schwierigkeit wird offenkundig: Dem Widerspruch zwischen
der 'Negativen Dialektik' und ihren 'Epilegomena 1 entspricht auf der syste-
matischen Ebene die Ausdeutung des "Vorrangs des Objekts" in seine Ursprüng-
lichkeit innerhalb der 'Negativen Dialektik 1 selbst. Die so entstehende Theo-
rie läßt sich als naturalistischer Evolutionismus umreißen. Sie ist dem
grundsätzlichen Bedenken eines methodisch bedingten Reduktionismus ausge-
setzt. Da dieser bei Adorno nicht konsequent durchgeführt wird, treten Argu-
mentationsbrüche auf. Dies unter vier Aspekten: der Entstehung von Bewußt-
sein, Vernunft, Geistigem und Individualität, zu zeigen, ist die erste Auf-
gabe. Die zweite besteht in dem Nachweis, daß Adorno in allen vier Fällen
entweder von Mißverständnissen eines alternativen Theorieansatzes oder falsch
gestellten Alternativen ausgeht. Verliert durch diesen Nachweis sein Ansatz
schon die eigentliche Grundlage (weil eine angemessene Auseinandersetzung
mit anderen Auffassungen nicht stattfindet), so macht eine Analyse der vier
258 Adornos Subjektstheorie
6.1.2 Die innere Struktur des Subjekts: Das Problem der Identität
Galten die bisherigen Überlegungen dem Verhältnis von Subjekt und Objekt,
so die folgenden der inneren Struktur des von Adorno dennoch angenommenen
Subjekts. Es ist in zwei Schritten vorzugehen: 1. der Darlegung des subjekts-
theoretischen Reduktionismus in identitätstheoretischer Hinsicht, 2. dem
Aufweis seines inneren Scheiterns.
72 Adorno ( 7 ) , S. 215 ff
73 Adorno ( 7 ) , S. 236 f
Das Scheitern des Reduktionismus 261
84 Adorno ( 7 ) , S. 151
85 Vgl. Schmidt (255) , S. 33
86 Adorno ( 7 ) , S. 275
87 Adorno ( 7 ) , S. 102
88 Adorno ( 7 ) , S. 266
89 Adorno ( 7 ) , S. 336 f
90 Adorno ( 5 ) , S. 538
91 Adorno ( 7 ) , S. 337
92 Adorno ( 7 ) , S. 277
93 Adorno ( 7 ) , S. 275
94 Adorno ( 5 ) , S. 567
Das Scheltern des Reduktionismus 263
nur dadurch sich zur Geltung bringen, indem es Geltung für seine Handlungen
beansprucht. 96
Das regressive Bedingungsgefüge muß noch weiter zurückverfolgt werden: Es
ist eine dritte Art von Identität als Möglichkeitsbedingung der personalen
Identität anzunehmen. Die personale Identität ist die reflexive Einheit ei-
ner jeweils konkreten Person und damit wesentlich individuell. Als reflexi-
ve aber ist sie auch an die allgemeinen Bedingungen von Reflexivitä't gebun-
den. Diese Werden im Grundsatz der ursprünglich synthetischen Einheit der
Apperzeption formuliert. Die allgemeine transzendentale Einheit der Apper-
zeption ermöglicht allererst die individuell ausgeprägte personale Identi-
tät. Als allgemeine jedoch gewährleistet sie nicht die personale Identität
qua individueller. Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist zwar not-
wendige, aber nicht hinreichende Bedingung der personalen Identität.
Schon im 'Emile' schreibt Rousseau: "Aber ich weiß sehr gut, daß die Iden-
tität des Ich nur durch das Gedächtnis Dauer hat und daß ich, um w i r k l i c h
der gleiche zu sein, mich daran erinnern muß, gewesen zu sein." 97 Kant voll-
zieht den nächsten Schritt, indem er die transzendentalen Bedingungen des
Sich-Erinnern-Könnens formuliert: Die durchgängige Einheit der transzenden-
talen Apperzeption in den verschiedenen Vorstellungskomplexen. Die ursprüng-
lich synthetische Einheit der Apperzeption scheint in der Tat der "höchste
Punkt" zu sein.
Es zeigt Sich also ein doppelter Reflexionsvorsprung Kants vor Adorno:
Die als "wahr" und "falsch" qualifizierte psychologische Identität setzt die
personale Identität voraus, diese die transzendentale Identität. Letztere
ist allgemein, die personale Identität i n d i v i d u e l l , die psychologische aber
ist nicht individuell, sondern die individuelle Ausgestaltung. Erst kraft
der personalen Identität ist diese individuelle Ausgestaltung die einer
Person.
3. Derart ist die Identitätstheorie Adornos unzulänglich, weil unvollstän-
dig, falsch jedoch wird sie, wenn er das Begründungsgefüge der drei Arten
von Identität verkennt, die drei Ebenen miteinander konfundiert und derart
die Gültigkeitsgrenze der jeweiligen Betrachtungsweise überschreitet. Genau
dies läßt Sich als Verahsolutierung der psychologischen Perspektive fest-
stellen. Sie steht unter dem Zeichen der Kritik einer (vorausgesetzten) to-
tal gewordenen Herrschaft. Von diesem Ansatz her erklärt Adorno nicht nur Ge-
schichte zur Herrschaftsgeschichte, sondern versucht ebenso, die bisherige
Philosophie als deren Ausdruck nachzuweisen. So liest er auch die Philosophie
Kants wesentlich unter dem Aspekt, inwieweit sich in ihr eine Unterdrückung
des Nichtidentischen manifestiert. Transzendentalphilosophische Erkenntnis-
theorie und kritische Ethik werden ihm zu Theorien der Macht und Repressivi-
tät. Indessen hat sich diese Deutung im Verlaufe der vorstehenden Analysen
als falsch erwiesen. Die Philosophie Kants unterläuft also die Kritik Adornos
und ist damit zugleich geeignet, das Theoriedefizit des "metakritischen" An-
satzes besonders im subjektstheoretischen Bereich zu beheben. Dies ist im
Hinblick auf die zentrale Identitä'tsproblematik gezeigt worden. Indem Ador-
no nun aber die bisherigen Identitätskonzeptionen überhaupt verwirft, weil
er sie lediglich in psychologischer Perspektive als Ausdruck von Herrschaft
deutet, wird seine Identitätstheorie falsch. Dabei werden sowohl a) die
transzendentale als auch b) die personale Identität zu repressiven Prinzipien
verzerrt:
ad a) Das "Identitätsprinzip" - nach Adorno den Menschen "(...) von der
Gesellschaft eingepflanzt" 98-drücke die im Interesse der Selbsterhaltung
notwendige Unterdrückung der Triebe aus. Diesen psychologischen Identitäts-
begriff setzt Adorno mit dem transzendentalen gleich: "Hinter den Kulissen
des Kantischen Systems wird erwartet, der oberste Begriff der praktischen
Philosophie koinzidiere mit dem obersten der theoretischen, dem Ichprinzip,
das ebenso theoretisch Einheit stiftet wie praktisch Triebe bändigt und in-
tegriert." 99 Die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption sei
"(.,.) selber insofern zwangvollen Wesens, als diese Einheit all ihren Mo-
menten als Gesetzmäßigkeit sich aufprägt" .
Diese These jedoch und ihre Konkretisierung,derzufölge das "ich denke" im
Sinne der Psychoanalyse als "Ich-Instanz" des Bewußtseins zu dechiffrie-
ren sei, sind oben als Irrtum erkannt worden (vgl. 5.1.1). Das im Zusammen-
hang mit der Betrachtung von Adornos Kritik des transzendentalen Selbstbe-
wußtseinsprinzips beobachtete ontologistische Mißverständnis läßt sich nun
identitätstheoretisch als Verabsolutierung der psychologischen Perspektive
bestimmen.
98 Adorno ( 7 ) , S. 292
99 Adorno ( 7 ) , S. 287 f
100 Adorno ( 7 ) , S. 222
101 Adorno (13), S. 101
266 Adornos Subjektstheorie
ad b) Die Psychologisierung betrifft nicht nur die transzendentale, son-
dern auch die personale Identität: Dieses Prinzip, das die Person zur Person
macht, indem sie es zu einer Person macht, ist als individuell ausgestaltete
reflexive Einheit charakterisiert worden. Sie meint Kant, wenn er von der
"Persönlichkeit, als eines vernünftigen, und zugleich der Zurechnung fähigen
Wesens" 1(19 spricht. Dabei läßt das Prinzip der personalen Identität den Modus
der Gestaltung offen: Für die Personalität eines Wesens ist es gleichgültig,
ob es seine natürlich-sinnliche Seite unterdrückt (eine "falsche",weil re-
pressive Identität besitzt), oder in einer idealen Einheit von Sinnlichkeit
und Vernunft lebt (eine "wahre",weil harmonische Identität erreicht hat).
Anders aber Adorno: Er sieht das "Prinzip" der "Person" in dem "(...) uner-
schütterlicher Einheit, wie es ihre Selbstheit ausmacht", im Charakter der
" H e r r s c h a f t " . Die abstrakt allgemeine "Persönlichkeit" solle nach Kant
"(...) die Person, das Subjekt, als empirisches, natürliches Einzelwesen,
sich unterwerfen." Demgegenüber hat sich bei der Betrachtung von Adornos
Kritik der Kantischen Ethik gezeigt, daß in dieser die Individualität als
Wert zwar nicht positiv legitimiert, wohl aber zugelassen ist, der Vorwurf
der Repressivität nicht gerechtfertigt ist.
Die unzulässige Erweiterung der psychologischen Perspektive impliziert al-
so die Einengung des Personenbegriffs auf eine Form der Ausgestaltung per-
sonaler Identität. Derart muß Adorno das Humane der Menschen in dem "(...)
Diffuse(n) der Natur, darin sie nicht Person sind" , erblicken. Nicht po-
lemisch, sondern nur konsequent ist daher der Ratschlag, mit dem er seine
"Metakritik der praktischen Vernunft" beschließt: "versuchen, so zu leben,
daß man glauben darf, ein gutes Tier gewesen zu sein." Ebenfalls von sei-
ner Einengung des Personenbegriffs her konsequent ist es, wenn Adorno bezwei-
felt, " ( . . . ) ob bei Kant ein böser intelligibler Charakter denkmöglich
sei» 107 .
Zugleich erklärt die Aufblähung der psychologischen Perspektive die sub-
jektstheoretischen Paradoxien, die sich eingangs (vgl. 2.2) bei der Betrach-
tung der geschichtstheoretischen Konzeption Adornos zeigen: Paradox nämlich
wird die Theorie, wenn neben dem negativen Subjektsbegriff, dessen Gegenbe-
102 Kant (141), S. 26
103 Adorno ( 7 ) , S. 273
104 Adorno ( 7 ) , S. 288
105 Adorno ( 7 ) , S. 274
106 Adorno ( 7 ) , S. 294
107 Adorno ( 7 ) , S. 289
Das Scheltern des Reduktionismus 267
entfalten usw. Diese und ähnliche Formulierungen wandeln lediglich die eine
Forderung nach einem freien Subjekt ab.
eben (197), S. 81. Zu Recht stellt Figal fest, daß Adorno in der Kritik
der selbstmächtigen Subjektivität Heidegger "durchaus vergleichbar"
[Figal ( 6 7 ) , S. 57] ist.
112 Ritzel (236), S. 258
113 Adorno ( 7 ) , S. 271
114 Adorno ( 7 ) , S. 221
115 Adorno ( 7 ) , S. 222
116 Adorno ( 7 ) , S. 275
117 Adorno ( 7 ) , S. 279
118 Adorno ( 7 ) , S. 271
119 Adorno ( 7 ) , S. 218
120 Adorno ( 7 ) , S. 96
121 Adorno ( 7 ) , S. 281
122 Adorno ( 7 ) , S. 228
Das Scheltern des Reduktionismus 269
somit umfassender als die Idee einer idealen Gesellschaft konzipiert ist,
bildet die Herstellung der "gesellschaftlichen Bedingungen entfesselter Gü-
terfülle" zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung zur
Erlangung wahrer Freiheit. Diese bedürfe wesentlich ebenso einer Art gnaden-
haften Entgegenkommens des außerhalb der menschlichen Einflußsphäre Liegen-
den: "Ob Autonomie sei oder nicht, hängt ab von ihrem Widersacher oder Wi-
derspruch, dem Objekt, das dem Subjekt Autonomie gewährt oder verweigert;
123
losgelöst davon ist Autonomie f i k t i v . "
Von dem versöhnten Zustand sei kein bestimmtes, sondern lediglich ein
"dämmernde(s) Freiheitsbewußtsein" möglich. Dieses " ( . . . ) nährt sich von der
Erinnerung an den archaischen, noch von keinem festen Ich gesteuerten Im-
puls. ( . . . ) Ohne Anamnesis an den ungebändigten, vor-ichlichen Impuls (...)
wäre die Idee von Freiheit nicht zu schöpfen". Als "vor-ichlich" bestimmt
Adorno diesen "Impuls", weil er das "Ich" psychologisch als Prinzip von Herr-
schaft faßt. Indessen irrt er, wenn er diesen Ichbegriff mit dem "Ich der
idealistischen Philosophie" identifiziert. Adorno fordert lediglich eine "Er-
innerung" an den "vor-ichlichen Impuls", nicht aber eine Rückkehr zu der da-
mit bezeichneten "vorzeitliche(n) Freiheit" . Diese sei der "Schrecken des
125
blinden Naturzusammenhangs" . Sowohl gegenüber der vorzeitlichen Blindheit
als auch gegenüber der gegenwärtigen Unterdrückung meine wahre "Freiheit"
einen Stand, " ( . . . ) der so wenig blinde Natur wäre wie unterdrückte." 126
Freiheit setzt demnach Bewußtsein und Vernünftigkeit voraus. Entsprechend
heißt es: "Ohne die Einheit und den Zwang von Vernunft wäre nie ein der Frei-
127
heit Ähnliches auch nur gedacht worden, geschweige denn gewesen" . Das Be-
wußtseins- und Vernunftmoment wird näher als "Selbstreflexion" bestimmt:
"Ehe das Individuum in dem für Kant selbstverständlichen, neuzeitlichen Sinn
sich bildete, der nicht einfach das biologische Einzelwesen sondern das durch
dessen Selbstreflexion als Einheit erst konstituierte meint ( . . . ) , ist es
anachronistisch von Freiheit, von realer wie von geforderter zu reden." 12fl
"Wahre Praxis", d.h. " ( . . . ) der Inbegriff von Handlungen, welche der Idee
von Freiheit genügten", bedarf nach Adorno also nicht nur des "vor-ichlichen
Impulses", sondern auch "des vollen theoretischen Bewußtseins" 129 .
123 Adorno (7), S. 222
124 Adorno (7), S. 221
125 Adorno (5), S. 743
126 Adorno (7), S. 228
127 Adorno (7), S. 262
128 Adorno (7), S. 218
129 Adorno (7), S. 228
270 Adornos Subjektstheorie
Werde die Selbsterhaltung anfangs weitgehend von Reflexen bestimmt, so sei
"Freiheit" die "Differenz von den Reflexen" - näher: die "gewordene Diffe-
1 *^
renz" . Die Reflexe sind also unfrei. Entsprechend gilt: Der Gedanke besit-
ze "Souveränität", nämlich die, daß er " ( . . . ) vermöge seiner Freiheit auf
sich als auf sein Subjekt sich zurückwendet" . "Einzig wofern einer als
Ich, nicht bloß reaktiv handelt, kann sein Handeln irgend frei heißen.'.,132
Dies wirft eine Schwierigkeit auf: War anfangs das reflexive Bewußtsein
Bedingung von Freiheit, so wird diese Bedingung nun selbst als frei q u a l i f i -
ziert: Bedingung der Freiheit ist also Freiheit.
Die Aporie löst sich durch die Annahme eines doppelten Freiheitsbegriffs:
Freiheit qua "Versöhnung" und Freiheit qua "Souveränität des Gedankens".
Weiter: Was bedeutet der zweite Freiheitsbegriff, der auf eine "Differenz
von den Reflexen" zielt, anderes als die Überwindung des reflexartigen Ver-
haltens ? Vorbild dieser Freiheit ist also ebenfalls das an Kant kritisier-
te "Modell der eigenen Herrschaft". Man könnte geltend machen, die als "Herr-
schaft" bezeichnete "Differenz von den Reflexen" sei nicht repressiv ge-
133
meint, Adorno konzipiere "Freiheit als Möglichkeit von Nichtidentität" .
Indessen ist diese "Möglichkeit" auch in der kritischen Ethik gewährleistet.
Der Unterschied zwischen Kant und Adorno ist also nicht als der von Herr-
schaft und Kritik von Herrschaft angemessen zu fassen. Vielmehr besteht er
wesentlich in Adornos kosmologischer Überhöhung der Freiheitskonzeption, die
in mehrfacher Hinsicht problematisch ist:
a) Einerseits heißt es, "einzig" das "nicht bloß reaktiv(e)" Handeln eines
Ichs könne "irgend frei heißen". Andererseits jedoch: "Dennoch wäre gleicher-
maßen frei das vom Ich als dem Prinzip jeglicher Determination nicht Gebän-
digte, das dem Ich, wie in Kants Moral philosophic unfrei dUnkt und bis heu-
te tatsächlich ebenfalls unfrei war." 134
b) Der Widerspruch verschärft sich zu einer Aporie: "Je objektiver die Kau-
salität, desto größer die Möglichkeit von Freiheit". Ist Kausalität also kei-
ne (wie Kant annimmt) subjektive Bestimmung, sondern eine der Dinge selbst,
dann eröffnet sich nach Adorno die "Perspektive der Freiheit" . Was heißt
130 Adorno (7), s. 217
131 Adorno (7) s. 219
132 Adorno (7) S. 222
133 Adorno (7) S. 266
134 Adorno (7) S. 222
135 Adorno (7) S. 247
Das Scheitern des Reduktion!smus 271
Die Forderung nach einem freien Subjekt ist nicht nur geltungstheoretisch,
sondern aufgrund ihres kritischen Anspruchs auch hinsichtlich des Theorie-
Praxis-Problems bedeutsam.
1. Zunächst Adornos Stellung in dieser Frage: Karl Marx fordert 1845 in
seinen 'Thesen über Feuerbach 1 die Einheit von Theorie und Praxis: Der Mate-
rialismus (Feuerbachs) habe sich zwar mit der "Wirklichkeit" befaßt, dabei
aber die "sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis" ausgeklammert. Der Idealis-
mus hingegen habe sich dieser "tätige(n) Seite" zugewandt - allerdings auf
Kosten der "Wirklichkeit" 1 5 1 . Die häufig zitierte 11. These kritisiert dem-
nach sowohl Materialismus wie Idealismus: "Die Philosophen haben die Welt
nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern."
Marxens Rede von der "'praktisch-kritischen 1 Tätigkeit" 153 in der 1. These
zielt also darauf, daß weder Theorie (Denken) noch Praxis gegeneinander iso-
liert werden dlirfen, sondern beide eine Einheit bilden müssen.
Dieser Auffassung stimmt Adorno grundsätzlich zu, schränkt sie allerdings
ein: Die Einlösbarkeit der Marxschen Forderung sei an "(...) geschichtliche
Bedingungen geknüpft." Diese sieht er angesichts der Revolutionsbewegun-
gen für die Zeit um 1848 als erfüllt an. "Bei Marx war die Lehre von jener
Einheit beseelt von der (...) präsenten Möglichkeit der Aktion." 155 Seit
diesen Unruhen jedoch, die Adorno (verkürzt) als proletarische Revolutions-
bewegungen ("Konflikt zwischen der gesellschaftsimmanenten Gruppe, der bür-
gerlichen, und der halb draußen befindlichen, dem Proletariat") deutet, ha-
be sich die Situation geändert: Das vormals revolutionäre "Bewußtsein" der-
jenigen, "(...) die Objekte der Gesellschaft s i n d 1 , sei integriert wor-
den. Damit setzt Adorno um die Mitte des 19. Jahrhunderts den "Zeitpunkt des
Mißlingen* der Kultur" und als ihren kritischen Ausdruck den Beginn der
158
Moderne an. Die "Theorie der Kulturindustrie" wird das "Medium der Erklä-
150 Vgl. zum Problem von Theorie und Praxis Ritzel (236) , S. 250 - 284.
151 Marx (191), S. 5
152 Marx (191), S. 7
153 Marx (191), S. 5
154 Adorno ( 5 ) , S. 766
155 Adorno ( 5 ) , S. 795
156 Adorno (12), S. 17
157 Grenz C80), S. 171
158 Vgl. Scheible (244), S. 353 t
278 Adornos Subjektstheorie
zu mißraten." Diese Gefahr wird durch die eingangs betrachtete Kritik der
sog. "Residualtheorie der Wahrheit" bestätigt. In die gleiche Richtung
verweist die bisweilen anklingende Auffassung Adornos, daß Wahrheit einzig
noch in bestimmten Arten der modernen Kunst zu finden sei, deren "Kommunika-
168
tion" in ihrer "Nicht-Kommunikation" liegt. Hier ist etwa an die absurde
Kunst eines Kafka oder Beckett zu denken.
Entsprechend der Abwertung intersubjektiv überprüfbarer Gültigkeit wird
die private "unmittelbare, geistige Erfahrung des Wesentlichen und Unwesent-
lichen" aufgewertet. Derart scheint jeder, der diese nicht näher konkreti-
sierte "Erfahrung" macht, zur Kritik privilegiert zu sein, wer aber entschei-
det darüber ? Und welche Kriterien werden zugrundegelegt ? Auf beide Fragen
bleibt Adorno eine Antwort schuldig. Dies bestätigt Kants Kritik des "neuer-
dings erhobenen vornehmen Tons in der Philosophie" .
Adorno selbst scheint unsicher zu sein: "Jedenfalls dieser Begriff der Er-
fahrung ist unterhöhlt in einem eminenten Maß, und dadurch tendiert nun der
Weise dazu, zu dem Scharlatan zu entarten, zu dem Guru, zu dem, der sich auf-
spielt, als sei er ein Geheimnis, der eine Sekte um sich versammelt und der
durch Abrakadabra die Darbenden in einen Sakral bezirk einläßt, in dessen in-
nerster Zelle sich dann kaum je etwas findet." 172
Weder also ist das Definitionsmerkmal des privilegierten Kreises,die "un-
mittelbare Erfahrung", sicher, noch wird angegeben, wer über die Zugehörig-
keit zu diesem Kreis und nach welchen Kriterien entscheidet. Auch scheint
dieser Kreis keineswegs das Interesse der gegenwärtig lebenden Menschen zu
vertreten: "Wahrscheinlich wäre für jeden Bürger der falschen Welt eine rich-
tige unerträglich, er wäre zu beschädigt für sie." 173 Dies aber wirft die
Frage nach der Legitimation einer geforderten Veränderung auf.
Angesichts dieses Problems versucht Adorno (genauso wie z.B. H. Marcuse )
in die innere Problematik der Konzeption Adornos nicht ein und verflachen
die theoretische Diskussion auf die Entgegensetzung praktisch-politischer An-
schauungen, die selten weiter begründet werden.
Fruchtbarer ist es, den Wert der Theorie Adornos nicht an solchen grundsätz
lieh vagen Kriterien zu messen, sondern zu fragen, ob nicht unabhängig von
möglichen objektiv gesellschaftlichen Ursachen schon rein innertheoretische
Gründe eine Lösung des Theorie-Praxis-Problems verhindern. Diese Gründe sind
subjektstheoretischen Ursprungs. Sie betreffen a) den Adressaten von Praxis,
b) ihr Telos, c) ihre Legitimation.
ad a) Eine Theorie kann sich sinnvoll nur an Subjekte, wenden. Der subjekts-
theoretische Psychologismus und die damit einhergehende Einengung des Perso-
nenbegriffs implizieren aber folgende Aporie: Die gegenwärtigen Subjekte sind
qua ihr Subjektsein für Adorno falsche Subjekte. Sie können also nicht die
geeigneten Adressaten der Theorie sein, weil sie das zu Oberwindende darstel-
len. Wahre Subjekte jedoch gibt es noch nicht. Sie also kann die Theorie
ebenfalls nicht ansprechen. Ergo: Die Theorie besitzt überhaupt keinen Adres-
saten. Derart ist es nur konsequent, wenn Adorno und Horkheimer in der 'Dia-
lektik der Aufklärung 1 einen "eingebildeten Zeugen" 180 postulieren, an den
sie sich wenden.
Gibt es für die Theorie keine Subjekte, dann müssen diese erst hergestellt
werden. Von hierher entscheidet sich die im Anschluß an Adornos Geschichts-
konzeption aufgeworfene Frage, ob die Rede "vom 'erst herzustellenden Men-
schen 1 " und ihre Affinität zu den "Zukunftsvisionen vom technisch manipulier-
1R1
ten Menschen" lediglich Formulierungsschwä'chen sind oder aber der Konse-
quenz des Gedankens entspringen. Es ist keineswegs an Adornos persönlicher
Aufrichtigkeit in seiner Anstrengung zu zweifeln, der totalitären Manipula-
tion des Menschen entgegenzuwirken. Indessen läßt der zugrundeliegende sub-
jektstheoretische Reduktionismus dieses Bemühen scheitern.
Anders wenn das Prinzip der personalen Identität anerkannt wird. In diesem
Fall ist es möglich, den Menschen als verantwortliches Subjekt anzusprechen
und ihm seine Handlungen zuzurechnen. Der Mensch müßte nicht hergestellt oder
geändert werden, sondern er müßte sich ändern. Die Kantische Subjektstheorie
würde bestätigt.
ad b) Das Teios seines Bemühens umschreibt Adorno mit dem Begriff der "Ver-
söhnung". Der damit bezeichnete ideale Zustand sei nicht "auszumalen" 182 oder
183
"auszupinseln" :"Was anders wäre, das nicht länger verkehrte Wesen, weigert
sich einer Sprache, welche die Stigmata des Seienden trägt" 184.
Indessen läßt sich der Begriff der Versöhnung negativ bestimmen. Er zielt
auf die Überwindung von Herrschaft und Unterdrückung. Diese gründen nach Ador-
no wesentlich im Subjekt: "Das Erwachen des Subjekts wird erkauft durch die
Anerkennung der Macht als des Prinzips aller Beziehungen." 185 Das Ich sei
"Prinzip jeglicher Determination" 186 .
Ist aber Subjektivität das zu Oberwindende, dann ist Adornos Ratschlag nur
konsequent: "versuchen, so zu leben, daß man glauben darf, ein gutes Tier
gewesen zu sein." Dem entspricht die These, daß der Mensch dann "(...)
188
von Glück überflutet wird", wenn er seine verdrängte "Tierähnlichkeit"
wiedererkennt. Ziel wahrer Humanität und wahren Glücks wird demnach, wie Rohr-
moser kritisch feststellt, der "Rückfall des Menschen als Person an die amor-
189
phe Vieldeutigkeit biologischer Antriebe und Impulse" .
Wendet man ein, Adorno fordere nicht dies, sondern lediglich das Ende des
"Identitätszwangs" und zwar zugunsten einer wahren "Identität" 190 , so wider-
spricht dem sein subjektstheoretischer Reduktionismus. Adorno kritisiert nicht
nur eine bestimmte Form der psychologischen Identität, sondern ebenso die per-
sonale und transzendentale Identität, die er beide psychologisiert. Derart
wird es ihm unmöglich, den Begriff der tierischen Diffusität von dem der wah-
ren "Identität" abzusetzen, weil er die zu dieser Aufgabe erforderlichen und
von Kant bereitgestellten Kategorien verwirft. So wird zwar die "amorphe Viel-
deutigkeit biologischer Antriebe und Impulse" nicht "gefordert" 1Q1 , wie Rohr-
moser ungenau formuliert, wohl aber läßt der Subjektstheoretische Reduktio-
nismus keine andere Bestimmung des Zieles zu.
Oben wurde der von Adorno gegen die kritische Ethik erhobene Irrationalis-
musvorwurf gegen diesen selbst gewendet. 192 Die Tatsache, daß er die Wahrheit
ethischer Sätze im nichtrationalisierten Impuls verankert, wird nun subjekts-
theoretisch begründet: Das Prinzip der Zurechenbarkeit von HandlungsVollzügen
ist an das Prinzip der personalen Identität gebunden. Wird dieses als falsch
(repressiv) abgelehnt, so entfällt die Möglichkeit, Handlungen einem verant-
wortlichen Subjekt zuzuschreiben. W. Schulz stellt treffend fest: "Bereits
das Wort 'Verantwortung' wird vermieden." 1<M Solche subjektslosen Handlungen
bezeichnet Adorno als "Impulse" 194 . Als Impulse aber seien sie wahr, weil
sie nicht unter dem falschen Prinzip der personalen Identität stünden.
Auf derselben Linie liegt es, wenn Adorno die in Theorie aufgelöste legi-
time Praxis nicht als ein Sich-Verhalten, sondern als ein "Verhalten" 195
bestimmt. Versteht man Praxis aber als ein Handeln, das verantwortlichen Sub-
jekten kraft ihrer personalen Identität zugerechnet werden kann, so muß er
eine solche Praxis ablehnen, weil er in ihr nur eine herrschaftliche Selbst-
Setzung des Subjekts erblicken kann. Dabei ist es nach Adorno unwesentlich,
wie eine derartige Praxis inhaltlich bestimmt ist, denn aufgrund ihres zu-
grundeliegenden Prinzips des mit sich identisch bleibenden Subjekts "ten-
diert" sie "(...) ihrer schieren Form nach zu dem h i n , was abzuschaffen ih-
re Konsequenz wäre; Gewalt ist ihr immanent" . Von hierher sieht er das
legitime Verhalten des Subjekts darin, "(...) vorm Objekt zurückzutreten und
seine Selbstsetzung zu revozieren." Um den "Trotz seiner Selbstsetzung"
zu widerrufen, bedürfe es des "Eingedenken(s) von Natur" 198 . Dieses werde
dem Subjekt wesentlich durch die ästhetische Erfahrung des Schönen vermit-
telt. 199
Kunst wird damit für Adorno zur "Kritik von Praxis als der Herrschaft bru-
taler Selbsterhaltung" 200 .
Indessen kann diese Kritik nur so wahr sein wie ihre Prämisse: der sub-
jektstheoretische Reduktionismus.
ad c) Die Bedeutung der subjektstheoretischen Frage für das Theorie-Pra-
xis-Problem zeigt sich unter einem dritten Aspekt: der Legitimation einer
möglichen Praxis.
Nach Kant gilt das Gebot, die Menschheit in der Person eines jeden einzel-
nen heiligzuhalten. Demzufolge ist der einzelne nicht nur ein beliebiges
Exemplar der Gattung Menschheit (qua Menschengeschlecht), das l e d i g l i c h als
Mittel behandelt werden darf, sondern ein solcher, der zugleich auch immer
201
als Zweck respektiert werden muß.
Anders Adorno: Im Zusammenhang mit der Frage nach der Begründung der Nega-
tivität der negativen Dialektik zeigte sich, daß der Versuch, Individualität
über die Konstruktion eines immanenten Widerspruchs des abstrakt Allgemeinen
?o?
zu legitimieren, die Mediatisierung des Individuellen impliziert.
ono
Entsprechendes g i l t für Adornos Rückgriff auf "reale Interessen" , der
kritisches Verhalten begründen soll: Interessen sind nicht "real", weil sie
solche von Subjekten sind, denn diese haben auch falsche Interessen, sondern
weil ihr Gegenstand, das Interessierte, legitim ist. Je nach Art der Interes-
sierten sind die Interessen und mit ihnen die Interessierenden zu bewerten:
entweder zu respektieren oder zu verwerfen. Die Begründungainstanz prakti-
schen Handelns ist also nicht das Prinzip der h e i l i g zu haltenden Menschheit
in der Person eines jeden einzelnen, sondern die oignität des interessierten.
Von ihr hängt es ab, inwieweit die Interessierenden zu achten sind. Der ein-
zelne trägt keinen Wert in sich, sondern empfängt diesen von außen. Der da-
durch implizierten Mediatisierung entspricht nicht nur die Rede "vom 'erst
herzustellenden Menschen" . Ebenso korreliert ihr Adornos K r i t i k von Sub-
jektivität, die er immer schon als herrschaftliche Selbsterhöhung deutet.
205
Ihr gegenüber fordert er die "reductio hominis" und den "Vorrang des Ob-
206
jekts", den "Praxis zu achten" habe.
200 Adorno ( 1 ) , S. 26
201 Vgl. Ritzel (236), S. 277
202 Vgl. Kap. 2.3.4.1
203 Adorno (5), S. 243
204 Willms (286), S. 73
205 Adorno (7), S. 187
206 Adorno ( 5 ) , S. 766
Das Problem von Theorie und Praxis 285
Mit der Entmachtung des Subjekts, das die Welt auf seinen Herrschaftswil-
len hin bestimme, verliert dieses seine normative Kraft. Um das so entstehen-
de normative Vakuum zu schließen, muß Adorno das Objekt normativ auffüllen:
207
Dieses wolle "von sich aus" etwas sein. Werte werden nicht geltend ge-
macht, das Subjekt setzt keine Zwecke - dies wäre herrschaftlich -, sondern
" ( . . . ) das Wertmoment ( . . . ) lebt in der praktischen Aufforderung, die aus
der Situation herauszulesen ist und die herauszulesen es allerdings der ge-
pno
sellsdhaftlichen Theorie bedarf." Die durch den subjektstheoretischen Re-
duktionismus bedingte Kritik von Subjektivität führt damit auf eine objekti-
vistische Werttheorie. Eine solche wirft im wesentlichen zwei Probleme a u f :
aa) Wer ist dazu befähigt, die richtigen Werte "aus der Situation herauszu-
lesen" ? Von hierher führt die Theorie konsequent auf den ElitärIsmus: "Kri-
2U9
tik am Privileg wird zum P r i v i l e g " . Entscheidend aber ist, daß dieser E l i -
tarismus von einem möglichen kulturindustriell bestimmten "Verblendungszu-
sammenhang" unabhängig ist, der nach Adorno die gegenwärtigen Subjekte hin-
dert, ihre wahren Interessen wahrzunehmen.
bb) Die zweite Schwierigkeit betrifft den Geltungsursprung der Werte und
impliziert die Reduktion der quaestio iuris auf das <juid facti. Legitimation
wird irrational, an das beliebige quid facti verwiesen: "Wahrheit" sei nur
"in der Konfrontation der Gesellschaft mit ihrem eigenen Begriff" zu fassen.
Die derart aufscheinende "Differenz" sei " ( . . . ) überhaupt die einzige Form,
in der wir der Wahrheit innewerden können." Die Gesellschaft sei nicht durch
von außen herangetragene Vorstellungen zu kritisieren, sondern durch die Kon-
frontation " ( . . . ) mit ihrem eigenen Begriff von Gerechtigkeit, wie sie ihn
?1 n
(...) als Ideologie hat" . Demnach gelte: "Der Begriff von Gesellschaft
(...) impliziert die Vorstellung einer Assoziation freier und selbständiger
Subjekte ( . . . ) und damit K r i t i k an naturwüchsigen gesellschaftlichen Verhält-
211
nissen." Die Schwierigkeit tritt klar hervor: Begriffe werden w i l l k ü r l i c h
gebildet, von sich aus implizieren Begriffe nichts. Von hierher stellt sich
die Frage nach dem Maßstab, mittels dessen die Wahrheit eines bestimmten Be-
Das Grundproblem Adornos läßt sich als das des Allgemeinen und Besonderen
bezeichnen (Kap. 2.1). Sowohl die geschichtstheoretische Begründung (Kap.
2.2) als auch der Vorschlag zur Lösung dieses Problems, die Idee einer ne-
gativen Dialektik (Kap. 2.3), führen auf die Frage nach der zugrundeliegen-
den subjektstheoretischen Konzeption. Von hierher wird das Problem des Ver-
hältnisses von Kritischer Theorie und Kritizismus systematisch bedeutsam.
Die Betrachtung von Adornos Kritik der Kantischen Erkenntnistheorie (Kap.
3) zeigt den Ontologismus Adornos und sein grundlegendes Mißverständnis von
Transzendentalphilosophie. Diese versucht er gemäß seinem herrschaftskriti-
schen Ansatz als Theorie der Macht nachzuweisen. Auch wenn Adornos Einwände
nicht den Anspruch einer immanenten Kritik erfüllen, hängt eine positive
Entscheidung zugunsten der Kantischen Erkenntnistheorie von der Berechtigung
einer transzendentalphilosophischen Subjektskonzeption ab.
Adornos Kritik der kritischen Ethik (Kap. 4), diese sei repressiv (Kap.
4.1), irrational (Kap. 4.2) und abstrakt (Kap. 4.3), ist ebenfalls nicht
immanent, sondern beruht auf der äußerlichen Konfrontation verschiedener
Grundanschauungen. Auch hier verlangt eine endgültige Entscheidung zwischen
den beiden Positionen eine Klärung der subjektstheoretischen Frage. Diese
steht somit im Zentrum der systematischen Überlegungen.
Adornos Einwände gegen die Kantische Subjektstheorie (Kap. 5) beruhen auf
der Ontologisierung des "ich denke" zum "Ich, das denkt" (Kap. 5.1) und der
Verdinglichung der Idee eines noumenalen Ichs an sich (Kap. 5.2). Sein Ver-
such, die Subjektskonzeption Kants als Manifestation von Herrschaft, als
den wahren Ausdruck einer falschen Geschichte zu deuten, beruht auf grund-
legenden Mißverständnissen. Durch diesen Nachweis wird die Möglichkeit ei-
ner transzendentalphilosophischen Subjektskonzeption sichergestellt.
Ihre Notwendigkeit wird indirekt durch die Herausarbeitung der Schwierig-
keiten der alternativen Subjektskonzeption Adornos dargelegt (Kap. 6). Sei-
ne Subjektstheorie scheitert nicht nur an immanenten Problemen, weil sie
Subjektivität eigentlich nicht zu begründen vermag (Kap. 6.1), sondern auch
an ihren Konsequenzen (Kap. 6.2).
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Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants
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Preisänderungen vorbehalten
Walter de Gruyter
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DE Berlin · New York
G