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HEINRICH ASSEL

Geheimnis und Sakrament


Die Theologie des göttlichen Namens
bei Kant, Cohen und Rosenzweig

VANDENHOECK & RUPRECHT


IN GÖTTINGEN
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie
Herausgegeben von Reinhard Slenczka
und Günther Wenz

Band 98

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme

Assel, Heinrich:
Geheimnis und Sakrament:
die Theologie des göttlichen Namens bei Kant, Cohen und Rosenzweig / Heinrich Assel.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2001
(Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 98)
Zugl.: Bonn, Univ., Habil., 1999
ISBN 3-525-56211-X

Als Habilitationsschrift aut Empfehlung


der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier

© 2001 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen


http://www.vandenhoeck-ruprecht.de
Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile
ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb
der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne
Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,
Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung
in elektronischen Systemen.
Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

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Ja
Vorwort

Die vorliegende Untersuchung wurde im April 1999 von der Evangelisch-


Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
als Habilitationsschrift angenommen. Ihre Verfertigung fiel in die Aufbaupha-
se des DFG-Sonderforschungsbereichs Judentum - Christentum. Konstituie-
rung und Differenzierung in Antike und Gegenwart" an der Universität
Bonn. Interdisziplinäre, interkonfessionelle und interreligiöse Gesprächslagen
an Fakultät und Universität ermutigten mich, die ungewöhnliche Kombi-
nation meines Themas und die ungeläufige Konstellation meiner .Helden'
aufrecht zu erhalten. Ich danke den Mitgliedern der Fakultät, daß sie die
allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben - Preis ungebahnter
Überlegungen noch im fertigen Text - großzügig und wissenschaftlich neu-
gierig akzeptierten.
Mein besonderer Dank gilt den beiden Referenten, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c.
Gerhard Sauter und Herrn Prof. Dr. Martin Honecker. Gerhard Sauter, des-
sen Schüler ich nie war, der aber mein Lehrer wurde, danke ich darüberhin-
aus für die Bereitschaft, meine bereits begonnene Untersuchung zu fördern,
zudem für vielerlei selbstvergessene Proben von Urteilskraft - mit Kant zu
reden: für erweiterte und liberale Denkungsart.
Dankbar nenne ich Friedrich Mildenberger, Walter Spam, Hans Günther
Ulrich/Erlangen und Günter Bader/Bonn. Sie förderten diese Untersuchung
in verschiedenen Phasen je charakteristisch. Stellvertretend für eine Reihe an-
gelsächsischer Gesprächpartner stehe in dieser Reihe Prof. Dr. Richard Hays,
Durham/N.C. und Prof. Dr. Kendall Soulen, Washington/D.C.
Beatrix Assel, Manuela Scherer, Matthias Börner, Alexander Deeg, Stefan
Kläs und Martin Langanke halfen mir, unter anderem, philologisch und lo-
gisch auf die Sprünge, Christian Neddens erstellte das Begriffsregister. Ihnen
allen danke ich herzlich. Herrn Prof. Dr. Reinhard Slenczka und Herrn Prof.
Dr. Günther Wenz schulde ich Dank für die Aufnahme dieser Arbeit in die
Reihe der „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie".
Einleitung und erster Teil wurden für den Druck überarbeitet, nicht in der
Sache, wohl aber in der Präsentation. Der Schluß wurde neu hinzugefügt.
Vielleicht finden manche Leser gerade in ihm am ehesten Zugang zur Frage
dieser Untersuchung.

Koblenz/Bonn, 9. Februar 2001 Heinrich Assel


Meinen Eltern
und Schwiegereltern,
unseren Töchtern
Katharina und Marie

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Inhalt

Einleitung

Unendlicher Name und ikonische Hoffnung 1

1. Hoffnung als endlicher Sinn fürs Unendliche: Geheimnis 4


2. Ikonische Zeichen der Hoffnung: Sakrament 11

Erster Teil
Hoffnung und Geheimnis bei Immanuel Kant

§ 1 Exposition der Frage. Ihr O r t in der Kant-Interpretation 23

1. Hoffnung als Urteilssinn. Kritik theologischer Kant-Rezeption 24


2. Reine und rezeptive Urteilskraft. Kants semiotische Aporie 27
3. Logischer Formalismus und Metaphorik des Namens. Kants Alternanz 30
4. Aufbau der Untersuchung 32

§ 2 Hoffnung - Ursprüngliche Frage und Dialektik 34

1. Hoffnungsfrage und Urteilskraft in der Ersten Kritik 35


2. Der geschichtstheologische Fehlschluß 38
3. .Verheißung' als Kategorie politischer Theologie 42

§ 3 Dialektik des Gewissens und negative Hoffnung 48

1. Dialektik des moralischen Gottesbeweises 49


2. Ethischer Naturzustand: Konflikt der Interpretation und innere Lüge . 56
3. Augenblickliche Hoffnung: Zufriedenheit und Natalität 59
4. Inkommensurable Zeit der Gerechtigkeit: Liebe und Pluralität 65

VII
§ 4 Alternanz der Urteilskraft 69

1. Gott als Idol und Abgrund - Negativität und Gottesbeweiskritik .... 70


2. Humane Orientierung und Reflexion der Reflexion 81
3. Existenz: Position, Prädikation, reale Relation 91
4. Hoffnung als Sinn und Gefühl 99
4.1 Innerer Sinn und kognitives Gefühl 99
4.2 Nicht-propositionale Beschreibung und Kunstregeln 103
4.3 Sensus communis 105
4.4 Exemplarische Gültigkeit 107
4.5 Ikonisches Sehen 108
4.6 Zusammenfassung 110
5. EXKURS: EXEMPLIFIKATION, AUSDRUCK, D I C H T E BESCHREIBUNG .. 112

§ 5 Typik - Symbolik - Metaphorik 116

1. .Faktum der Vernunft' als selbstbezügliches Zeichen 116


2. Reine als rezeptive Urteilskraft: Gewissen 119
3. Der Formalismus und seine theologische Aporie 123
3.1 Darstellung undarstellbarer Freiheit 123
3.2 Die Aporie des Formalismus 125
4. Typik und Metaphorik: Pluralität und Konflikt der Interpretation . . 127
5. Praktische Typik: Programmund Problem 131
5.1 Propädeutik zur Weisheit, Mensch zu sein 131
5.2 Mißglückter Versuch: Die Dritte Formel des Imperativs 134

§ 6 Elimination göttlichen Namens 137

1. Religion als Kultur der Vernunft 137


2. Name Gottes als Faktum der Religion? 140
2.1 Grammatische Pluralität praktischer Vernunft 142
2.2 Kritik aller Offenbarung: Idee einer moralischen Anlage 143
2.3 Reine Mystik oder Negativität göttlichen Namens 144
2.4 Arbeit am fühlbaren Geheimnis: Elimination kultischer Zeichen 147
3. Dialektik radikaler Kultkritik: Jüdische Religion als politische Religion 148
4. Sakrament als politisch-eschatologisches Zeichen: signum prognosticon 152
EXKURS: ESCHATOLOGIE UND ETHISCHE BESCHREIBUNG 153

Zusammenfassung: Hoffnung als Praxis guten Lebens 159


1. Religion als Kultur der Hoffnung 159
2. Das katechetische Programm der Religionsschrift 163
3. Semiotische Aporie: Ikonische und enthusiatische Hoffnung 165
§ 7 Rationale Mystagogie
Kreatürliche Freiheit als Leben im Geheimnis lernen 167

1. .Revolution' und .Anlage': Anfangen ohne Anfang (Taufe) 168


2. Augenblickswahrheit und innere Lüge (Buße) 172
2.1 Gottes Sohn als Beispiel und Zeichen negativer Hoffnung .... 173
2.2 Erneuerung inneren Sinns 175
2.3 Vom inneren zum ikonischen Sinn? 176
3. Fühlbares Geheimnis? 178
3.1 Der erhabene Augenblick 178
3.2 Zufriedenheit - Ikonisches Zeichen des Unendlichen 179
3.3 Enthusiasmus - Zeichenloses Zeichen des Unendlichen 181
3.4 Leidenschaft der Freiheit - Semiotische Desiderate 184

Zusammenfassung: Geheimnis des Reiches Gottes 186


1. Geheimnis als Lebensform geschöpflicher Freiheit 186
2. Unendlichkeit: Gott - alles in allem? 188
3. Dreifaches Geheimnis: Umformung der Tradition 190
4. Negativität als Frage nach ikonischen Zeichen 191

Zweiter Teil
Grammatik und dichte Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen
bei Franz Rosenzweig und Hermann Cohen

§ 8 Exposition der Frage 193

1. Gottesdienstliche Zeichen des göttlichen Namens 195


2. Katechetische Theologie. Der Aufbau der Untersuchung 197
3. Rosenzweig, Cohen und Levinas. Zum Forschungsstand 201
4. Das .Bild' erwählender Liebe und das Problem des Anfangs 203

§ 9 Präsenz u n d Externität göttlichen Namens 207

1. Das Bild dialogischer Liebe: Sch'ma und Jichud 207


1.1 .Stark wie der Tod' (Hhl 8,6) 208
1.2 Geltung und Reichweite des Namens 209
EXKURS: J I C H U D H A S C H E M DES VERSÖHNUNGSTAGS 211

IX
2. Grammatik des einzigen Namens (Sch'ma und Jichud) 215
2.1 Präsenz des Namens und homologische Verewigung 215
2.2 Einzigkeit als Idee und als Name bei Hermann Cohen 219
3. Grammatik der Versöhnung (Widduj und Selicha) 227
3.1 Reinigung vor dem Namen und durch den Namen 227
3.2 Logik der Versöhnung bei Hermann Cohen 228
4. .Abraham' als Ort der Geltung und Bewährung 233
Zusammenfassung 235

§ 10 Elemente theologischer Propädeutik: ,Der N a m e ' als Wort . .. 237

1. Zwei Aufgaben einer theologischen Propädeutik des Namens 237


2. ,Der Name' als logisches Grundelement 241
2.1 Was meint .Einführung' des Namens? 241
2.2 ,Der Name' als selbstbezügliches Zeichen 242
2.3 ,Der Name' als dialogisches Wort und Kultschrei 244
2.4 Reale Orientierung und Wort-im-Anfang 247
2.5 ,Der Name' - kein Name 249
2.6 Satzwerdung des Namens 250
3. ,Der Name' als Satz: Metaphorizität 251
3.1 ICH BIN DA - Existenzsatz und Verheißungssatz 251
3.2 Decknotation als Index semantischer Spannung 256
3.3 ,Der da ist, der da war und der da kommt' -
Universelle Sätze als Regeln der Urteilskraft 258
4. Unendlichkeit des Namens und Sätze über das Geheimnis 264
Zusammenfassung 266

§ 1 1 Schöpfung-im-Anfang und Schöpfung-im-Wort 269

1. Chaos der Dinge und reale Orientierung 269


1.1 Reale Orientierung 270
1.2 Elementare Prädikation im Chaos der Dinge 273
2. Schöpfung-im-Anfang 274
2.1 Metaphorik und kreatürliche Urteilskraft 274
2.2 Schöpfung-im-Anfang: Anfangen ohne Anfangenkönnen 279

§ 12 Messianische Ö k o n o m i e u n d Grammatik des Segens 283

1. Messianische Ökonomie 283


2. Grammatik des Segens 285
2.1 Schöpfungssegen und wachsendes Leben 286

X
2.2 Messianischer und eschatologischer Urteilssinn 287
2.3 Eschatologischer Segensgruß 289
3. Erlernen von Geschöpflichkeit: Dasein der Dinge und Prädikation . . 290
4. Elemente theologischer Propädeutik: Prädizieren und Benedizieren . . 292
4.1 Prädikation und prädikativer Satz 292
4.2 Güte im Status promissionis 294
4.3 Diachronie und Schon-Da-Sein 296
4.4 Sabbatsegen - Messianischer Gruß und diche Zeit 299
5. Weisheit und Gesetz? 301
EXKURS: WEISHEIT IN SCHELLINGS ,WELTALTER' 302
Zusammenfassung 307

§ 13 Ethik der messianischen Lebensform .Gesetz' 309

1. Buber und Rosenzweig über das Gesetz: Ethische Beschreibung .... 309
2. Lebensform .Gesetz' und ihre Beschreibung 312
2.1 Das .Gebot, den Namen zu lieben' als Maß 312
2.2 Aspekte ethischer Beschreibung 314
3. Werke als Früchte des Reiches Gottes beschreiben 320
4. Elemente theologischer Propädeutik: Messianische Doxologie 324
Zusammenfassung 330

§ 14 Ikonische Zeichen: .Der N a m e ' als Feuer 333

1. Von der Apologetik zum Dialog 333


1.1 Unentscheidbare Differenz als Bedingung des Dialogs 333
1.2 Realpräsenz und kultische Zeit 336
1.3 These 339
2. Dichte des Namens und Dialektik der Hoffnung (Rom 11,25-36) ... 339
3. Ikonische Zeichen und dichte Beschreibung 343

§ 1 5 Dichte und Unendlichkeit des Namens - Der Versöhnungstag . 346

1. Repräsentierende Anamnese? 347


2. Ikonische Hoffnung 348

Zusammenfassung: Ikonische Zeichen des Namens und Sakramente 355

XI
Schluß
Leiblicher Name - Gebet im Geist
Zur evangelischen Lehre vom Sakrament

1. Leiblicher Name. Theo-logischer Anfang 362


2. Anamnetische Christusrepräsentation im Geist? 365
3. Zwei Thesen, eine Aufgabe 369
4. Stehen vor Gott im Geist 369

Anhang

Liste der Sigel 372

Stellenregister Kant, Cohen, Rosenzweig 373

Begriffsregister 379

Verzeichnis der zitierten Literatur 393

XII
Einleitung

Unendlicher Name und ikonische Hoffnung

Es ist ein merkwürdiges Dilemma der evangelischen Theologie im zwanzig-


sten Jahrhundert, daß ihre maßgebliche Dogmatik mit der Diagnose einsetzt,
dem Protestantismus sei „eine ganze dritte Dimension (sagen wir einmal: die
Dimension des ... Geheimnisses) abhanden gekommen"1, um nach 35 Jahren
abzubrechen mit dem Verdikt: „Die Taufe antwortet auf das eine .My-
sterium', das eine .Sakrament' der Geschichte Jesu Christi, seiner Auferste-
hung, der Ausgießung des Heiligen Geistes: sie selbst ist aber kein My-
sterium, kein Sakrament."2 Mit der radikalchristologischen Neudimensionie-
rung des Geheimnisses scheint dem Protestantismus endgültig die Dimension
des Sakraments abhanden gekommen.
Dieses Dilemma ist nicht neu. Das Abhandenkommen der Dimension Sak-
rament, einer kultischen Zeichendimension von genuiner Sichtbarkeit, tam-
quam visibile verbum1, reicht länger zurück. Der Wunsch nach Bereinigung
der kirchlichen und theologischen Sprache um den etymologisch kontingen-
ten Begriff Sakrament hat Tradition, große Tradition. Und bevor er laut
werden konnte, mußte die Dimension des Sakraments bereits abhanden
gekommen sein.4 Einsame Rufe - „im Sakramentsverständnis [sind] Eschatolo-
gie und Schöpfungslehre in den engsten, strengsten, aber auch problematisch-
sten Zusammenhang gerückt"5 - benennen das Abhandengekommene und
Vergessene präzise. Sie verhallen.
Sie verhallen nicht ohne Grund. Die vorliegende Untersuchung schlägt
daher nicht noch einmal den Weg radikalchristologischer Neudimensionierung
des Geheimnisses im Sakrament und des Sakraments als Geheimnis ein, der
zufolge Gott als Geheimnis der Welt in Jesus Christus als dem einen Sakrament
der Kirche auf die Welt wartet.6 Die Untersuchung gräbt vielmehr an den

1
K. Barth, Vorrede zu: Die Kirchliche Dogmatik 1,1, IXf [1932].
2
K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik IV,4, 112 [1967].
5
A. Augustinus, In Iohannis Evangelium Tractatus, 80,3, CChr. SL 36,529.
* Zum Wunsch, den „sogenannten allgemeinen Begriff Sakrament aus der kirchlichen und
theologischen Sprache wieder .hinwegzuschaffen': F.D.E. Schleiermacher: Der christliche
Glaube, § 143, 364. Schon hier begegnet er im Zusammenhang neuer christologischer Kon-
struktion von Taufe und Abendmahl: § 143, 366; Leitsatz zu § 127, 278.
5
E. Jüngel, Sakrament, 29.
6
Vgl. E. Jüngel, Sakrament, 40 (Schlußthese).

1
großen Traditionsschichten neuzeitlicher, radikalchristologischer Offenba-
rungstheologie und Offenbarungsphilosophie vorbei und hinter sie zurück.
Ihre Fragen, auf eine allgemeine Form gebracht, lauten:

- Ob nicht im Widerspruch und in der unaufhebbaren Differenz der gött-


lichen Namen, des trinitarischen Namens und des Tetragramms, das letzte
göttliche Geheimnis verborgen und verheißen ist; ob nicht der wahre
göttliche Name im Aussprechen stets auch verschwiegen bleibt, gerade
weil die Homologie des trinitarischen Namens (wie auch des Tetra-
gramms) unhintergehbar ist; und ob nicht eben darin Gottes Unendlichkeit
bestehe;
- ob die unaussprechliche, unauslotbare Tiefe des göttlichen Namens in
genuinen ikonischen Zeichen oder im .Sakrament' öffentlich sichtbar wird;
ob nicht die alte Definition vom Sakrament als tamquam visibile verbum
unausgeschöpften semiotischen Sinn enthält; ob also ikonische Hoffnung
des unendlichen Namens im Sakrament mehr sehen als in worthafter
Homologie sagen kann;
- schließlich: Was es bedeutet, Hoffnung zu erlernen, die all dies weiß;
Hoffnung, die sich als negative Einsicht bestimmt und als ikonisches
Sehen vollzieht; Hoffnung, die ungesuchte, authentische Dialogizität des
Glaubens begründet.

Um ein mögliches Mißverständnis gleich anfangs zu vermeiden: Gefragt wird


nach dem im Namen Jesus Christus' verheißenen Geheimnis der Gerechtig-
keit und Wahrheit des trinitarischen Namens Gottes und daher nach Jesus
Christus als dem Sakrament in den Sakramenten. Gefragt werden kann nur
in der Perspektive christlicher, evangelischer, dogmatischer Theologie. Doch
wird diese Perspektive nicht radikalchristologisch aufgebaut. Das hat weitrei-
chende Konsequenzen für Antworten auf die genannten Fragen.
Gefragt wird nach der Zukunfts-Freiheit Gottes, dessen Verheißung in Jesus
Christus so ihr Ja gefunden hat, daß ,wir' zu Gottes Lobpreis ,das Amen ru-
fen' können (2Kor 1,20), - ohne daß die kontradiktorische Homologie ,des
Namens' (Ex 3,14; Dtn 6,4) ungültig, widerlegt und widerlegbar ist. Die Fra-
ge nach der Dimension des Geheimnisses, die keine dritte Dimension ist, be-
ginnt mit dem Staunen darüber, daß das logische Prinzip vom ausgeschlosse-
nen Dritten, das doch die logische Mindestanforderung an jede Aussage ist,
auch an die Assertionen des christlichen oder jüdischen Glaubens und an die
Sätze ihrer Theologie, nicht unbesehen die Regel göttlicher Gerechtigkeit und
Wahrheit ist. Die Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit und Wahrheit über-
steigt das begründet Aussagbare, ohne die wohlbegründbaren Aussagen der
Theologie und die begründeten Assertionen des Glaubens zu denunzieren
oder zu relativieren.

2
Das schlechterdings Erstaunliche, das Unbegreifliche und Unaussprechliche
der Hoffnung kann erkannt und ausgesagt werden - und zwar eben als
solches. Hoffnung ist von begreifbarer Unbegreifbarkeit. Sie gilt Gottes Un-
endlichkeit, dem Geheimnis seiner Freiheit, seiner unbegrenzten Zukünftig-
keit.7 Wir erwarten von Gott mehr, als wir begründet und sinnvoll aussagen
können - das können wir, scheinbar paradox, aussagen. Wir können es sogar
sprach-, erkenntnis- und zeichenkritisch ausarbeiten.

Das Geheimnis der Hoffnung, ausgesprochen in der Doxologie von Rom


11,33-36, vollzieht sich als .Paradoxologie'.8 Wenn irgendwo, dann geht
kontrollierbare Rede hier über in unverfügbares Reden. Doch worüber sich
nicht reden läßt, darüber ist erst recht nicht zu schweigen. Das Geheimnis
des göttlichen Namens zeigt sich nämlich. Es zeigt sich in nicht-sprachlichen,
nicht-repräsentierenden .sichtbaren' oder ikonischen Zeichen. Die Frage nach
diesen genuinen Zeichen ist der Ort der Frage nach dem Sakrament. Die be-
greifbare Unbegreifbarkeit der Hoffnung wird in .Sakramenten' als Zeichen
des Geheimnisses göttlicher Gerechtigkeit und Wahrheit fühlbar, sichtbar,
beschreibbar. Die Kontingenz der ursprünglichen patristischen Begriffe
sacramentum und mysterium muß gar nicht bestritten werden; übrigens auch
nicht die Kontingenz der begriffsgeschichtlichen Konzentration auf kultische
Zeichen in der westlichen Theologie spätestens seit Augustin. Begriffshistori-
sche Fragen9 sind aber zu trennen vom Status des semiotischen Grundbegriffs
Sakrament in christlicher Theologie. Dessen Verwendung ist neu und klarer
zu bestimmen, damit dem Protestantismus die Dimension des Geheimnisses
nicht vollends abhanden kommt: Das Sakrament ist, als Gedächtniszeichen
und als reale Vergegenwärtigung des auferweckten Gekreuzigten, Zeichen
ikonischer Hoffnung des noch nicht aussagbaren Geheimnisses des göttlichen
Namens}0

7
Zum trinitarisch-eschatologischen Begriff göttlicher Unendlichkeit als zeitlicher Unend-
lichkeit und unbegrenzter Zukünftigkeit: R.W. Jenson, The Triune Identity, 163-175 (deutsche
Übersetzung: E. Maurer, Der lebendige Gott, 147-155); ders., Systematic Theology I,
214-223. Jensons Texte sind das Klarste, was gegenwärtig zu dieser Frage zu lesen ist.
8
Nach einem Wortspiel Henning Schröers.
9
Zum Beispiel die hochinteressante Frage des nicht-kultischen, typologisch-eschatologi-
schen, nicht: geschichtstheologischen Sinns von sacramentum und mysterium, die im Folgen-
den der Sache nach neu aufzunehmen ist. Genannt sei stellvertretend und ohne Zustimmung
zur problemgeschichtlichen Konstruktion: W. Pannenberg, Systematische Theologie III,
51-62.369-404.
10
Hier liegt die Sakraments-Definition von Thomas von Aquin zugrunde. Sie hat für die
ganze Untersuchung heuristischen Rang: „sacramentum proprie dicitur quod ordinatur ad sig-
nificandam nostram sanctificationem. In qua tria possunt considerari ... Unde sacramentum
est et Signum rememorativum eius quod praecessit, scilicet passionis Christi; et demonstrati-
vum eius quod in nobis efficitur per Christi passionem, scilicet gratiae; et prognosticum, idest
praenuntiativum, futurae gloriae". (Thomas von Aquin, STh HI q.60 a.3 c)

3
Der Gottesdienst kann zum paradigmatischen Ort des Erlernens und der
produktiven Erkenntnis des göttlichen Geheimnisses werden (ohne daß
sacramentum nur auf kultische Zeichen einzuschränken wäre). Das Erlernen
des göttlichen Geheimnisses im Sakrament Jesus Christus' verlangt Arbeit,
setzt Erkenntnis-, Sprach- und Zeichenkritik voraus, wissendes Nichtwissen.
Nur auf diesem Weg läßt sich eine Theorie dichter Beschreibung sakramenta-
ler Zeichen aufbauen, die den Anspruch einlöst, innerhalb der Grenzen der
Homologie des göttlichen Namens im Namen Jesus Christus' sichtbare
Hoffnung zu beschreiben, die über diese Grenze hinaus reicht, und zwar im
Namen Jesus Christus'. In der Differenz christlicher und jüdischer Homolo-
gie und Lebensform wird dann göttliche Freiheit als Geheimnis kreatürlicher,
humaner Freiheit beschreibbar und erlernbar. In der Tat also: Im Verständnis
von Geheimnis und Sakrament rücken .Eschatologie und Schöpfungslehre in
den engsten, strengsten, aber auch problematischsten Zusammenhang'.

1. Hoffnung als endlicher Sinn fürs Unendliche: Geheimnis

Das Geheimnis Gottes, die unbegrenzte Zukünftigkeit und Freiheit Gottes,


paradigmatisch erlernt im Widerspruch der göttlichen Namen, wird in der
vorliegenden Untersuchung zu einer Aporetik der Theologie entfaltet. Wäh-
rend katechetische Theologie ins Geheimnis einführt, arbeitet metatheoretische
Theologie11 (oder .wissenschaftliche Theologie'12) dieses Geheimnis zu einer
Aporetik aus. Gottes Geheimnis kommt in Aporien der Erkenntnis-, Sprach-
und Zeichenkritik oder in einer metatheoretischen Aporetik der Theologie
zur Darstellung: j\porie der Theologie benennt das, was herkömmlicherweise
das .Mysterium des Glaubens' genannt wird", und zwar „unter den Bedingun-
gen seiner rationalen Beschreibbarkeit"n. Das Geheimnis der Hoffnung kann
noch nicht ausgesagt werden. Aber gerade auf dieser Grenze entsteht ein
genuines wissendes Nicht-Wissen, Thema theologischer und philosophischer
Eschatologie. Das Geheimnis der Hoffnung kommt daher unter den Bedin-
gungen rationaler Beschreibung in bestimmten Aporien der Eschatologie zur
Darstellung. Diese Aporien können wiederum in strukturelle Probleme über-
führt und höchst verschiedenartig gelöst oder bearbeitet werden. Wie dies ge-
schieht, entscheidet über den Charakter von Theologien.14 Die genauere Ein-

11
Zum Begriff Metatheorie der Theologie: G. Sauter, Kritik, 229.218f.
12
Zur Unterscheidung katechetisch-kirchlicher, dogmatisch-kirchlicher und wissenschaftli-
cher Theologie: I.U. Dalferth, Wissenschaftliche Theologie, 199-128. Die Durchführung
dieser Unterscheidung bei Dalferth wirft allerdings mehr Fragen auf, als die übersichtliche
Unterscheidung zu lösen verspricht.
" G. Sauter, Kritik, 355.
14
Zum Begriff Charakter. G. Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 262-280: Der Charakter der
Dogmatik „ist durch Aussagen über Gottes Sein, Gottes Offenbarung und Gottes Handeln"
bestimmt, „durch die theologische Antwort auf die Fragen ,Wer ist Gott', den wir anrufen?',

4
sieht in den Zusammenhang und die Vermittlung von Geheimnis und Sakra-
ment verlangt deshalb den nicht unbeschwerlichen Umweg über eine
exemplarische und charakteristische Aporetik. Strukturelle Aporien und
Probleme sind dabei übrigens nicht mit materialen Themen der Theologie
(Topoi) zu verwechseln, durch die theologische Probleme systematisch mit-
einander verknüpft werden. Dies zu leisten, ist Aufgabe dogmatischer Theolo-
gie.

An der dogmatistischen Ungeduld gegenüber der Aporetik, die auszuarbeiten ist,


wenn die Furcht vor dem unbegreifbaren Geheimnis Gottes den Anfang der Weis-
heit bildet, scheitern gutwillige Dialogversuche zwischen jüdischer und christlicher
Hoffnung.15 Die skeptische Version dieser Aporetik der Unendlichkeit des göttlichen
Namens führt zum .postmodernen' Negativismus.16

Der kontradiktorische, begründet unentscheidbare Widerspruch der christli-


chen und jüdischen Homologie des göttlichen Namens bildet in der vorlie-
genden Untersuchung den Zugang zur Frage nach dem eschatologischen Ge-
heimnis göttlicher Unendlichkeit. Unterstellt wird, daß die theologische
Theoriebildung, neben dem radikalchristologisch-offenbarungstheologischen
T y p und Charakter, mindestens einen zweiten eschatologisch-verheißungs-
theologischen T y p und Charakter christlicher Theologie kennt. In i h m wird
die Eschatologie und Pneumatologie Referenzrahmen der Orientierung u n d Be-
gründung, wenn auch nicht selten eine problematisch negativistische Eschato-
logie.17 Die Herausbildung dieses eschatologischen Charakters von Theologie
wird in dieser Untersuchung am Beispiel der Religionstheorien Immanuel
Kants, Hermann Cohens und Franz Rosenzweigs dargestellt.

Daß sich seine Theoriegeschichte nicht nur aus den Quellen des Christentums,
sondern auch aus den Quellen des Judentums speist, dürfte für den genannten Typ
und Charakter von Religionstheorie und Theologie spezifisch sein. Was bedeutet
dies für die essentiell dialogische Konstitution christlicher Eschatologie und Theolo-
gie? Auf diese Frage ist zurückzukommen.

N u n hat man eingewandt, daß „Geheimnisse ... bestaunt, nicht gelöst werden
[müssen]", weil sich die „echten Geheimnisse ... der genauen Bestimmung als
unlösbare Probleme oder Aporien entziehen" 18 . Dieser Einwand enthält ein
Wahrheitsmoment. Das Geheimnis des göttlichen Namens wird in der Tat in

,Wie begegnet Gott uns, wie treffen wir auf ihn?' und ,Wer sind wir im Verhältnis zu
Gott?'" (263).
15
Ein Beispiel: F.-W. Marquardt, Was dürfen wir hoffen.
16
Ein Beispiel: J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen; ders., Bindestrich.
17
Es sei verwiesen auf zwei Beiträge des Verfassers, die in diese Sicht einführen: Art.
Verheißung; Aporien und Charaktere.
" D. Ritschi, Logik, 129.

5
der theologischen Theorie reduktiv dargestellt: unter Bedingungen rationaler
Beschreibung. Die drei genannten Religionstheorien haben allerdings den
nicht geringen Vorzug, dies explizit zu reflektieren. Sie zeigen nämlich,
warum Religionstheorie, verstanden als Metatheorie von Theologie und
bestimmt als Eschatologie, aufgrund dieser ihrer bestimmten Aporetik die
Form katechetischer Theologie annimmt: Sie wird zur mystagogischen Theo-
logie, zur Einführung ins Erlernen des Geheimnisses und ins Staunen über
das Geheimnis.
Es ist also richtig, daß das Geheimnis Gottes zu bestaunen ist. Aber es trifft
nicht zu, daß Bestaunen des Geheimnisses der rationalen Beschreibung und
Bestimmung entgegensteht. Im Gegenteil: Zu erinnern ist an eine Tradition
rationaler Mystagogie, nach welcher „das Geheimnis ... nur nach langsamer
Entwickelung der Begriffe des Verstandes und sorgfältig geprüften Grundsät-
zen, also nur durch Arbeit, fühlbar werden kann"19. Daß das begreifbar
unbegreifbare Geheimnis durch kritische .Arbeit' erlernbar wird, und daß es
durch Erlernen .fühlbar', ja .sichtbar' werden kann, ist der Kernsatz des
Programms rationaler Mystatogie. Dieses Programm hat in Immanuel Kant
seinen hervorragenden Vertreter. Es unterscheidet sich ebenso vom plato-
nischen jtd-ÖT|[ia qppövTjoig20 wie vom aristotelischen logisch-metaphysischen
H&frT]n.a21, sofern dieses ^ddr|ji.a zum mystagogischen 7tcV(h|n.a in einen „unüber-
brückbaren Gegensatz ... getreten"22 ist.

Der erste Hauptteil der Untersuchung ist der Metatheorie des .Geheimnis-
ses' in der kritischen Philosophie Immanuel Kants gewidmet. Eine Reihe von
Gründen führen zu dieser Wahl, deren sachliche Triftigkeit selbstverständlich
erst die Durchführung erweist:
Kant arbeitet erstmals die Frage der Hoffnung als Zugang zum Geheimnis
Gottes aus. Es ist gerade die absolute Freiheit Gottes, typisiert und symboli-
siert als richterliche und insofern schöpferische Souveränität, die ihm als jenes
wahre .Ende aller Dinge' gilt, das von begreifbarer Unbegreifbarkeit bleibt.
Absolute Freiheit Gottes wird als Geheimnis mit jener praktischen, negativ-
kreatürlichen Freiheit erlernt und fühlbar, zu der die Stimme des Gesetzes
anweist. Freiheit Gottes, als unbegrenzte Zukünftigkeit, wird im Gesetz als
Lebensform kreatürlicher Freiheit .verheißen'.
Es ist eines, daß Kants Rede von .Verheißung' und .Hoffnung' stets und
aufs Höchste fragwürdig bleibt. Ist sie doch beständig begleitet von den
beiden Gefahren säkularer Eschatologie: dem nihilistischen Negativismus und
der politischen Theologie. Diese Dialektik rationaler Eschatologie, die Kant

19
1 . Kant, Ton, B 419; 5,393.
20
Phaidon 79d; zur philologischen Interpretation: H. Dörrie, Leid und Erfahrung, 333f; zur
philosophischen Interpretation: G. Krüger, Einsicht und Leidenschaft, 227-231.258-282.
21
Aristotelis qui ferebantur Librorum Fragmenta, fragmentum 15, 31,11-14.
22
H. Dörrie, Leid und Erfahrung, 337, vgl. 334-337. Zur Gesamtfrage: § 7.

6
sieht, wird aber im folgenden zurückgeführt auf eine ungelöste Aporie Kants,
freilich keineswegs nur Kants: die Elimination des göttlichen Namens in der
Religionstheorie und Theologie. Elimination des göttlichen Namens aus der
Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft ist keineswegs problemverges-
sene Sistierung. Doch eine Religionstheorie aufgrund eliminierten Namens
aufzubauen, ist jenes aporetische Unterfangen, das mit Kant beginnt.
Die Konsequenz dieser Elimination des göttlichen Namens ist die Elimina-
tion kultischer Zeichen, des Gebets, des Gottesdienstes, des Sakraments. Hell-
sichtig erkennen Hermann Cohen und Franz Rosenzweig, die jüdischen Phi-
losophen, diese Aporie: Elimination gottesdienstlicher Zeichen ist Symptom
des eliminierten Namens in der Religion.

Es ist gewiß lohnend, Kants Grundoperation der Namenselimination im Prozeß


religiöser Individualisierung, konfessioneller Pluralisierung und religiöser Emanzipa-
tion zu reflektieren. Es steht Kant ja selbst klar vor Augen, daß die alte metaphysi-
sche, natürliche Theologie und Religion im Prozeß dieser Aufklärung zur politi-
schen Theologie und Religion mutiert, eine Mutation, die noch in der Ersten Kritik
bei Kant selbst zu beobachten ist. Diese Mutation natürlicher Theologie zur politi-
schen Theologie wird zentraler Gegenstand der Kritik praktischer Vernunft und
ihrer Dialektik. Aber die Elimination des göttlichen Namens ist nicht nur Vorausset-
zung dieses Prozesses religionstheoretischer Aufklärung, sondern zugleich Inbegriff
seiner theologischen Dialektik. In ihr gründet die Dialektik der Vernunftreligion. So
kommt es, daß Kant jüdische Religion insgesamt als politische Religion denunziert
und als Fehlform rationaler Religion sistiert.

Ein anderes aber ist es, daß Kant vielleicht zum ersten Mal in der Moderne,
jedenfalls aber auf exemplarische Weise, göttliche Freiheit als das Geheimnis
endlicher, kreatürlicher Urteilsfreiheit praktisch exponiert. Diese negative
(nicht: negativistische) Eschatologie Kants zeigt sich vor allem in der Spät-
schrift ,Das Ende aller Dinge' (1794), die Georg Picht mit gewissem Recht als
Kants „eigentliche Theologie" charakterisiert.23 Diese eigentliche Theologie
endet mit dem kaum verhohlenen Erstaunen vor jener Liebe, die historisch
von Jesus gelebt wurde und die Kant als höchstes Gut beschreibt, das zu er-
hoffen sei, um nicht der Dialektik der Hoffnung zwischen Negativismus und
politischer Theologie zu unterliegen.24

25
G. Picht, Hier und Jetzt I, 64f: „Von Hegel unterscheidet sich Kant dadurch, daß diese
.eigentliche Theologie' jenseits der Grenzen der bloßen Vernunft liegt. Sie ist .eigentlich',
weil sie nicht mehr Metaphysik ist."
24
Kants Spätschrift formuliert die Antinomie jeder modernen Eschatologie. Bestechend klar
beschreibt sie R. W. Jenson (The Triune Identity, 171f; übersetzt bei E. Maurer, Der lebendi-
ge Gott, 152): „Das Versprechen, daß [am Ende] etwas herauskommt, muß irgendetwas
versprechen, muß sich ausrichten auf einen spezifizierbaren, beschreibbaren Zustand ... Aber
dann wird es zweifelhaft, ob eine eschatologische Verheißung überhaupt etwas bedeuten
kann, denn wenn sich eine eschatologische Verheißung auf einen bestimmten Zustand
bezieht, was ist, wenn dieser Zustand eintritt?" Diese Antinomie ist in der Tat „der dialekti-

7
Liest man Kants Kritiken von diesem Ende her, wird man gewahr, daß da-
rin vielleicht zum ersten Mal in der Moderne, jedenfalls aber auf exemplari-
sche Weise, die erfahrungskonstitutiven Grundbegriffe von der Ontotheologie
(genereller und spezieller Metaphysiken) auf die negative Eschatologie als
Referenzrahmen hin umgestellt werden - oder zumindest umgestellt werden
sollen. Die Frage, was wir hoffen dürfen, bildet so den Maßstab der gesamten
Kant'schen Kritik. Das eschatologische Geheimnis der Freiheit Gottes kommt
daher in Kants Kritiken als exemplarische Aporetik zur Darstellung. Das
möchte die folgende Analyse zeigen.
Ein neuer, nämlich eschatologischer Begriff von Geheimnis führt dazu, daß
bestimmte, sich immer wieder stellende Aporien in neuer Weise in strukturel-
le Probleme überführt werden und neue Problemlösungen erfahren. In dieser
Aporetik stellt sich praktische Welterkenntnis als Hoffnung und Hoffnung
als endlicher, kreatürlicher Urteilssinn dar. Hoffnung erweist sich als endli-
cher, d.h. negativ-kreatürlicher, Sinn fürs Unendliche.
Daß Kants Problematisierung und Problemlösung theologisch zu kritisieren
sind, ist dabei von fast schon banaler Richtigkeit. Viel aufschlußreicher ist es
aber, zu sehen, wie das eschatologische Verständnis des göttlichen Geheim-
nisses in einen nicht-vollständigen, aber exemplarischen Kanon von struktu-
rellen Problemen überführt wird. Hoffen erweist sich dann als genuines
Erkennen und Handeln, Bezeichnen und Beschreiben, Fühlen und Sehen, das
die transzendentale Theorie eher sprengt als krönt.
Diese Aporetik umfaßt, vorläufig beschrieben, folgende Probleme:
(1) ein genuines Begründungsverfahren, das die Grundlage für die Erlernbar-
keit des Geheimnisses darstellt;
(2) einen bestimmten Vorschlag für das Verstehen von .Existenz' bzw. .zeit-
licher Existenz'25, der die Stelle offenhält, um die fühlbare, reale Relation end-
licher Freiheit zum unendlichen Gott nicht durch reduktive Bestimmungen
von .Existenz' undenkbar zu machen;
(3) sprachkritische Bestimmungen über den Urteils- oder Aussagecharakter
der Sätze rationaler Theologie und über die Metaphorik biblischer Gottesrede
als Verheißung;
(4) die Frage nach nicht-sprachlichen, ikonischen Zeichen rationaler Hoffnung;
genauer: die Frage nach ästhetischen oder historischen Zeichen rationaler
Hoffnung und ihrer Beschreibung, unter Ausschluß kultischer Zeichen;
(5) zusammenfassend: die Frage nach einem endlichen Urteilssinn der Hoff-
nung, den wir abgekürzt eschatologischen Urteilssinn nennen.

sehe Motor der Säkularisation, die das Abendland für eine nihilistische Eschatologie empfäng-
lich gemacht hat, für eine Vision der leeren ungebundenen Zukunft. Die Antinomie ist nur
in einem Fall zu lösen: wenn die eschatologische Verheißung Liebe ankündigt, jene spezi-
fische Liebe, die historisch von Jesus gelebt wurde." Dies ist die Antwort Kants: § 3,3.4.
25
„Transzendentale bzw. hermeneutische ... Logik wird gerade in der sog. Modalität des
Urteils auf die Zeitlichkeit der Existenz hingewiesen." (H. Lipps, Untersuchungen, 42)

8
Das Ziel des ersten Hauptteils ist also, diese Aporetik, die Kants Rede vom
.Geheimnis' voraussetzt, auszuloten und sachlich in einer exemplarischen
Aporetik zu präzisieren. Im ersten Hauptteil wird dazu eine konzentrierte In-
terpretation der Hauptschriften Kants vorgelegt. Das Geheimnis der Hoff-
nung als Maßstab der Kant'schen Kritik erschließt sich erst in wechselseitiger
Beleuchtung der kritischen Hauptwerke und der Religionsphilosophie Kants.
Sie verweisen aufeinander wie kritische Aporetik und rationale Mystatogie.

Was trägt diese metatheoretische Aporetik für christliche Theologie und ihr
Geheimnis aus? Auf den ersten Blick wenig! Doch wer meint, sich das Aus-
loten der Aporetik ersparen zu können, läuft Gefahr, in einige Untiefen der
kirchlich-dogmatischen Lehre vom Geheimnis zu geraten, wenn er es nicht
vorzieht, im Trüben und Seichten zu fischen.
Diese Untiefen lassen sich an Karl Rahners epochemachender Lehre vom
Geheimnis exemplifizieren. Für diese, wie für jede besonnene dogmatische
Lehre vom Geheimnis ist die trinitarische Struktur des göttlichen Geheim-
nisses essentiell. Rahner schlägt daher zu Recht einen bestimmten materialen
„Kanon der drei absoluten Geheimnisse" vor.26 Seine Definition lautet:

„Es gibt diese drei Mysterien im Christentum, nicht mehr und nicht weniger, so wie
es drei Personen in Gott gibt, und diese drei Mysterien sagen das eine: daß Gott sich
durch Jesus Christus in seinem Geist uns selbst, wie er in sich ist, mitgeteilt hat,
damit das unsagbar über uns und in uns waltende namenlose Geheimnis in sich
selbst die nahe Seligkeit des in die Liebe sich selber aufhebenden erkennenden
Geistes sei."27

Rahners „grundsätzlich keiner Erweiterung fähiger Kanon"28 von Geheimnis-


sen ist, entgegen dem Anschein, in seinen Grundzügen klar oder als klar
rekonstruierbar. Nur im Kern bleibt er unterbestimmt: der behaupteten Na-
menlosigkeit des absoluten Geheimnisses. Die trinitarische Struktur des .Ge-
heimnisses' ist konstitutiv. Doch wie ist dieses Geheimnis, das im trinitari-
schen Namen Gottes und seiner biblischen Offenbarung gründet, mit dem
„Begriff eines einzigen Geheimnisses schlechthin, das der einzige Gott in
seinem Verhältnis zur kreatürlichen Erkenntnis ist"29 vermittelt? Dogmatisch
gilt das trinitarisch-christologische Geheimnis des göttlichen Namens als Ka-
non. Metatheoretisch, also auf der Ebene der transzendentalen Religionstheo-
rie, ist der Begriff des einen, einzigen, absoluten und namenlosen, göttlichen
Geheimnisses grundlegend. Die Aporie, daß in diesem .Geheimnis' der gött-
liche Name elimininert ist, oder einfacher: die Aporie, daß wir zur namen-

26
K. Rahner, Begriff des Geheimnisses, 99.
27
Ebd.
28
Ebd.
29
K. Rahner, Begriff des Geheimnisses, 66 (Kursive HA).

9
losen göttlichen Unendlichkeit nicht beten können, ist bei Rahner nicht
hinreichend geklärt. Es sei denn, radikales Verschweigen wäre als Anbetung
des Namens im Geist und in der Wahrheit zu verstehen. Genau dies ist die
Unklarheit oder, positiv formuliert: die Altemanz, die bleibt. 30
Diese Unklarheit weist auf den unklaren, metatheoretischen Status und die
theo-logisch unterbestimmte Vermittlungsleistung von .Geheimnis' an der
Schnittstelle von dogmatischer und wissenschaftlicher Theologie oder, tradi-
tioneller formuliert, an der Schnittstelle von dogmatischer Theologie, speziel-
ler Metaphysik und allgemeiner Ontologie.

Man kann nicht sagen, daß diese metatheoretische Aporetik in der evangelischen
Theologie hinreichend oder auch nur nachhaltig diskutiert ist. Daß sich der Status
von .Geheimnis' und die durch diesen Begriff angezeigte theologische Aporetik und
Methodologie gegenüber der Tradition grundlegend gewandelt haben, läßt sich an
Symptomen klar ablesen: Die traditionelle Verwendung von .Geheimnis' war (a) zu-
nächst material-topisch orientiert und formulierte einen trinitarisch-soteriologischen
Kanon von Geheimnissen; sie leistete (b) die Grenzziehung zwischen der natürlichen
Vernunft und dem Glauben als einer übernatürlich erleuchteten Vernunfterkenntnis
(durch den Begriff der articuli fidei mixti et puri); sie setzte dabei (c) das Bezugs-
system konsensfähiger spezieller Metaphysiken und Ontologien voraus, - konsens-
fähig darin, daß die Frage nach der Wirklichkeit als sinnvoll galt.31 Die veränderte
Aporetik zeigt sich demgegenüber symptomatisch, (a) wenn vom .absoluten Ge-
heimnis' singularisch gesprochen wird, so daß z.B. der dreieinige Gott ontologisch
als Geheimnis der Welt gilt; wenn sich (b) der materiale Kanon der Geheimnisse
signifikant verändert und Topoi, die vormals auch der natürlichen Vernunft ein-
sichtig sein sollten, v.a. Kreatürlichkeit als Weltlichkeit von Welt, jetzt als Geheim-
nis gelten, während umgekehrt frühere secreta der Offenbarung (z.B. die Gott-
menschheit Jesu) jetzt zum öffentlichen Geheimnis des Gottesdenkens werden; wenn
(c) die Distinktion von Vernunft und Glaube am Ereignis göttlicher Liebe als
.Geheimnis' des endlichen, erkennenden und im Wort vom Kreuz aufgehobenen,
sich selbst aufhebenden Geistes neu justiert wird.
An diesen Symptomen ist faßbar, daß sich die Aporetik des Geheimnisses in der
evangelischen Theologie verändert hat. Doch wie diese tektonische Verschiebung zu
beschreiben und zu konzeptualisieren ist, ist keineswegs klar. Einstweilen werden
sich in der evangelischen Theologie weiterhin divergente, mehr oder minder ausgear-
beitete Konzepte von .Geheimnis' finden.32 Diese sind Indikatoren divergierender

30
Daraus speisen sich divergente Rahner-Interpretationen: Führt Rahner ins Geheimnis als
einer bestimmten Lebensform ein? Hat seine Theologie den Charakter einer Mystagogie
göttlicher Unendlichkeit (so: K. Fischer, Mensch, 19-82)? Oder prinzipialisiert Rahner diese
trinitarische Mystagogie (so: P. Eicher, Offenbarung, 369-420; J.B. Metz, Glaube, 199-203)?
31
Besonders klar ist dieser Geheimnis-Begriff nochmals im Ersten Vatikanischen Konzil
zusammengefaßt: Dogmatische Konstitution ,Dei Filius', v.a. DH 3004f, DH 3015 (Geheim-
nisse [Plural] im eigentlichen Sinne), DH 3016 (Grenzen der ratio fide illustrata) und DH
3041; zur Rezeption im Vaticanum II: DH 4206.
52
G. Ebeling, Geheimnis, 201-208; ders., Gott und Won, 413-432; E. Jüngel, Gott,
334-357; W. Pannenberg, Systematische Theologie I, 128-132.231-234.279-281; G. Sauter,

10
radikalchristologischer oder pneumatologisch-eschatologischer Charaktere evangeli-
scher Dogmatik. Schlüsselfragen, wie die bei Rahner skizzierten, sind erst noch auf
die Tagesordnung zu setzen.

Die folgende Untersuchung bewegt sich auf der Ebene der Theorie christlicher
Theologie, um deren Aporetik genauer zu bestimmen. Sie leistet einen Bei-
trag zur Theorie der Theologie als pneumatologiscber Eschatologie. Drei Fragen
sind leitend:

- Welche Aporetik bildet sich, wenn Gottes Verheißungsname und sein Ge-
heimnis Grund und Grenze christlicher und jüdischer Rede von Gott
sind?
- Läßt sich die charakteristische Altemanz einer Religionstheorie der Hoff-
nung beschreiben, deren grundlegende kritische Operation die Elimination
des göttlichen Namens ist (Kant)?
- Ist vom Standpunkt namenstheologischer Eschatologie (Rosenzweig und
Cohen) eine Dialektik der allgemeinen Religionstheorie namhaft zu ma-
chen, gerade weil sie Hoffnung namenlos negativistisch bestimmt?

Im Verfolgen dieser Fragen führt der Weg nicht direkt zur dogmatischen
Lehre vom trinitarischen Geheimnis des lebendigen Gottes, seiner Unendlich-
keit33. Vielmehr wird gezeigt, was es für Aporetik und Charakter christlicher
Theologie bedeutet, diese Lehre eschatologisch aufzubauen; und es wird ge-
zeigt, wo und wie katechetisch ins Geheimnis einzuführen ist.

2. Ikonische Zeichen der Hoffnung: Sakrament

Die Rede vom .Geheimnis' steht in der evangelischen Theologie in der Regel
unverbunden neben der Frage nach dem metatheoretischen, semiotischen und
dogmatischen, christologischen oder soteriologischen Sinn der Rede von .Sakra-
ment'. Zumeist fehlt schon, und zunehmend mehr, das Verständnis, daß der
dogmatische Begriff .Sakrament' zugleich metatheoretisch-semiotischen Sinn
haben müßte.34 Dies kontrastiert wiederum auffällig mit der katholischen
Diskussionslage.

Kritik, 229-331; D. Ritschi, Logik, 127-129; F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 3, 109.320.


311. 358. W. Härle, Dogmatik, 95f.236.247. Erst zögerlich findet sich in evangelischen Lexika
das Stichwort .Geheimnis', z.B.: J.v. Lüpke, Geheimnis.
u
Einen interessanten Vorschlag bietet im Anschluß an die Arbeiten von R.W. Jenson: E.
Maurer, Der lebendige Gott, 146-157.221-229 zur trinitarischen Struktur des eschatologi-
schen Geheimnisses Gottes und der darin begründeten relationalen Ontologie.
34
Eine Ausnahme bildet E. Jüngel: Sakrament, 11-61; Kirche als Sakrament?, 311-334;
Gottesdienst, 151-162. Eine besonnene Skizze bietet: U. Kühn, Sakramente, 205-231.

11
Erneut sei an Karl Rahner erinnert. Rahner reflektiert den dogmatischen
Zusammenhang von Christologie, Ekklesiologie und Soteriologie durch einen
analogen Begriff von Sakrament als Realsymbol göttlicher Gnade und Selbst-
mitteilung.35 Er bezieht diese Symboltheorie des Sakraments mystagogisch auf
den Begriff des absoluten und trinitarischen Geheimnisses.36 Jesus Christus
gilt als absolute Vermittlung göttlichen Heils, verstanden als eschatologische
Öffentlichkeit des Volkes Gottes, als „Konsekration der einen Menschheit...
in der Menschwerdung und dem Kreuzestod"37. Die Gegenwart dieses Chri-
stusheils, der neuen Menschheit und Bürgerschaft im Reich Gottes, begegnet
in der Kirche als .Ursakrament'.38 Die .Sakramente' als Selbstvollzüge von
Kirche als Volk Gottes repräsentieren dieses Heil in den konkreten Lebens-
situationen des einzelnen. Die Öffentlichkeit des Christusheils teilt sich in
ihnen als Gliedschaft am Leib Christi und als Bürgerschaft der neuen Mensch-
heit öffentlich mit und wird zugleich durch sie bezeugt.39 „Kirche als unzer-
störbare, als Kirche der unfehlbaren Wahrheit und als Kirche der Sakramente
... als (für das Ganze der Kirche) auch in der subjektiven Gnade der Men-
schen unzerstörbar heilige (und darin sogar selbst noch Glaubensmotiv, nicht
nur Glaubensgegenstand seiende) ist wirklich das erfüllte Symbol dafür, daß
Christus da-geblieben ist als das siegreiche Erbarmen."40
Daß Rahners dogmatische Lehre vom Ursakrament für evangelische Theo-
logie kaum rezipierbar ist, scheint konsensfähig: Die Externität Jesu Christi
im Evangelium stehe dem ekklesiologischen Sakramentsbegriff entgegen.
Taufe und Abendmahl seien gottesdienstliche, kultische ,Empfangshandlun-
gen''" oder sakramentale Feiern des einen Sakraments Jesus Christus, jeden-
falls nicht realsymbolische Repräsentation Jesu Christi. Sie könnten nicht aus
dem Selbstvollzug einer selbst sündlosen Kirche verstanden werden. Vielmehr

35
K. Rahner, Kirche und Sakramente.
36
K. Rahner, Theologie des Symbols, 275-311, 291, wonach im Hintergrund der Ontologie
des Realsymbols „immer schon der Gedanke an das Mysterium der Tnnität stand".
37
Ebd., 13. „Christus ist die geschichtliche Realpräsenz des eschatologisch siegreichen
Erbarmens Gottes in der Welt ... in einem die Sache und ihr Zeichen, sacramentum und res
sacramenti" (15). „In dieser Dimension des politeuma des Heiles (vgl. Phil 3,20) ist er das
sakramentale Urwort Gottes ..." (16).
58
Ebd., 17.
39
Die konziliare Rezeption ist sehr präzise: Die Kirche sei „in Christus gleichsam das Sakra-
ment bzw. Zeichen (signum) und Werkzeug (instrumentum) für die innigste Vereinigung mit
Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts" (Lumen gentium 1, D H 4101, vgl.
LG 8, D H 4118). Zu den subtilen Differenzen in der Rede von Ursakrament, Wurzel-
sakrament und Sakramenten: W. Pannenberg, Systematische Theologie III, 53-55.
40
K. Rahner, Theologie des Symbols, 298f. Die späte, nicht-ekklesiologische, kreuzes-
theologische Rede vom Sakrament, die sich bei Rahner andeutet (ders., Überlegungen,
405-429), kann hier ausgeklammert werden.
41
W. Elen, Der christliche Glaube, 439f; G. Ebeling, Dogmatik 3, 321. Vorausgesetzt ist
die Konzentration auf die sakramentale Handlung, nicht mehr nur auf die Elemente: U.
Kühn, Sakramente, 77-80 (im Anschluß an Melanchthon).

12
bringe gerade das Selbstverständnis der Kirche als peccatrix maxima die Ex-
ternität des Evangeliums zum Ausdruck.42
In den ökumenischen Konvergenzdokumenten wird dieser Dissens als offe-
nes Problem lediglich markiert.43 Doch wo hat die Diskussion überhaupt an-
zusetzen? Der wichtigste Vorschlag zur Präzisierung des Status controversiae
lautet: „für ein ökumenisch akzeptables Verständnis der Kirche als realsymbo-
lischer Repräsentation Jesu Christi" sei „die Klärung des Handlungscharakters
der repraesentatio"44 konstitutiv. In der Tat ist der Begriff anamnetischer Chri-
stusrepräsentation fast zur ökumenischen Zauberformel, jedenfalls aber zur
Verständigungsformel evangelischer Sakramentslehren geworden.45 Ist also die
semiotische und pragmatische Klärung der Sakramente als realsymbolischer
Repräsentation Jesu Christi (oder des Reiches Gottes in Jesus Christus) der
ökumenische Königsweg?
Demgegenüber lautet die Ausgangshypothese dieser Untersuchung: Die ek-
klesiologische und sakramentstheologische Problemstellung wird entscheidend
verkürzt, wenn der Begriff der (Chns\.us-)Repräsentation einseitig in den Vor-
dergrund geschoben wird. Vielmehr sind differenziertere semiotische Kategorien
einzuführen, um beschreiben zu können, wie in den Sakramenten das in Jesus
Christus offenbare und verborgene, eschatologische Geheimnis des trini-
tarischen Namens mitgeteilt wird (1). Erst auf dieser Basis läßt sich neu nach
dem Zusammenhang von Sakrament, Kirche und Reich Gottes fragen (2).
(1) Die Forderung nach differenzierteren semiotischen Kategorien - die sich
übrigens auch in der jüngeren katholischen Diskussion gegenüber der Ontolo-
gie des Realsymbols erhebt46 - richtet sich nicht auf eine einfache dogmati-
sche Umakzentuierung, gleichsam ,von der Anamnese zur Hoffnung'. Auch
eschatologische Interpretationen des sakramentalen Handelns sind nämlich
bei näherem Hinsehen geprägt und regiert von der Vorstellung realsymbo-
lischer Repräsentation im Sakrament. Aufgrund langer Tradition wird Re-
präsentation dabei nur allzu oft mimetisch verstanden: als Verähnlichung in
der anamnetischen oder antizipativen Darstellung.47 Ob das gegenwärtige sak-

42
E. Jüngel, Kirche als Sakrament?, 329-331; G. Wenz, Einführung, 253-258; vermittelnd:
W. Pannenberg, Systematische Theologie HI, 51-62.
45
Lehrverurteilungen Bd. 1, 77-88, v.a. das Fazit: „Die fundamentale Bedeutung der
Sakramente für die kirchliche Praxis erfordert eine gründliche Erörterung des Kirchenver-
ständnisses hinsichtlich des Zusammenhangs von Wort Gottes - Sakrament - Kirche." (88)
44
E. Jüngel, Kirche als Sakrament?, 321. Zur Kritik des Begriffs .Repräsentation' in der
katholischen Schultheologie des Sakraments: H. Assel/F. Mildenberger, Grundwissen Dog-
matik, 220-223.250f.267-270.
45
Untereinander recht verschiedene Entwürfe bieten: P. Brunner, Zur Lehre vom Gottes-
dienst, 343f, vgl. 228-238; U. Kühn, Sakramente, 73.312.; W. Pannenberg, Systematische
Theologie III, 314-369, v.a. 340.343; G. Wenz, Für uns gegeben, 242-249.
46
Th. Freyer, Sakrament, 21-35, mit weiterer Literatur.
47
Das zeigen zahlreiche patristisch-liturgische Beispiele in G. Wainwrights Buch: Eucharist
and Eschatology, 42-93. Wainwrights Anliegen, die patristisch-liturgische Eschatologie der

13
ramentale Handeln Vergangenes oder Zukünftiges oder Zukünftiges im Ver-
gangenen repräsentiert, um dem Repräsentierten verähnlicht zu werden, ist,
gegenüber der vorherrschenden Zeichentheorie, zweitrangig. Dogmatische
Variationen der Repräsentationstheorie sakramentalen Handelns sind semio-
tisch viel weniger innovativ, als es den Anschein hat und nötig ist. Die
zeitgenössische, analytische Zeichentheorie bietet hier Alternativen: Weder ist
Ähnlichkeit für Repräsentation konstitutiv, noch ist Repräsentation der
wichtigste Referenzmodus sakramentaler Zeichen. Um die Differenz zur
Repräsentationstheorie (oder Darstellungstheorie48) sakramentalen Handelns
vorläufig sprachlich anzudeuten, nennen wir Sakramente nicht realsymbo-
lische Repräsentationshandlungen, sondern ikonische Zeichen.*9
Der Charakter ikonischer Zeichen der Hoffnung ist über die geläufige
Symbol- und Repräsentationstheorie sakramentaler Zeichen hinaus neu zu
bestimmen. Die Untersuchung wird dazu die semiotischen Kategorien: Exem-
plifikation, metaphorischer Ausdruck und dichte Beschreibung einführen. Sie
erlauben zu präzisieren, was die thomistische Sakramentsdefinition andeutet:
Gottesdienstliche Zeichen haben nicht nur effektive und repräsentative, son-
dern prognostische Bedeutung. Sie exemplifizieren ein noch nicht aussagbares
Geheimnis und bringen es metaphorisch zum Ausdruck; sie eröffnen und
verlangen gerade darin eine unabschließbare, dichte sprachliche Beschreibung,
in welcher dieses öffentliche Geheimnis produktiv (nicht nur explikativ) er-
kannt und dialogisch beschrieben wird. Entwickelt aus der transzendentalen
und analytischen Theorie der Ästhetik, sind diese semiotischen Kategorien
höchst fruchtbar, wenn sie in der katechetischen Theologie des Gottesdienstes
zur Anwendung kommen: An gottesdienstlich-liturgischen Beispielen wird
mit ihrer Hilfe ein pneumatologisch-eschatologisches Verständnis ikonischer
Zeichen des göttlichen Namens demonstriert.50

Eucharistie neu zur Geltung zu bringen, verlangt weiterreichende Problematisierungen der


Repräsentationstheorie des Sakraments.
48
E. Jüngels Theorie der Kirche und des Gottesdienstes erneuert die semiotische Kategorie
Repräsentation bzw. Darstellung programmatisch: E. Jüngel, Kirche als Sakrament?,
442f.442-456; ders., Gottesdienst, 304f; daneben: P. Cornehl, Gottesdienst, 64f.83f. Dem-
gegenüber behaupten wir, daß nur durch Kritik an diesen Kategorien das Anliegen Jüngels
durchzuführen ist: „Es wäre wohl zu fragen, ob der Protestantismus mit dieser Dimension
des sich offenbarenden Geheimnisses nicht eine entscheidende Dimension gerade des docere
evangelium verloren hat. Zur Wahrheit des Evangeliums gehört die Herrlichkeit seiner
Klarheit." (E. Jüngel, Gottesdienst, 304)
49
.Zeichen' bedeute vorläufig: Sprachhandlungszeichen (z.B. Zusagen, Gebete), nicht-
sprachliche liturgische Handlungszeichen (Gebärden) oder liturgische Zeichen (Gewänder).
50
Von liturgisch-ästhetischen Zeichen und der metatheoretischen Frage ihrer dichten Be-
schreibung auszugehen, nicht von der dogmatischen Sakramentslehre, ist eine methodische
Grundentscheidung. Dieselbe methodische Grundentscheidung wird übrigens in einer Reihe
neuerer katholischer Sakramentstheologien getroffen, z.B. Th. Freyer, Sakrament, 12-15.

14
Material durchgeführt wird diese Absicht in einer Interpretation von Franz
Rosenzweigs Stern der Erlösung und Hermann Cohens Religion der Vernunft
aus den Quellen des Judentums. Diese beiden Religionstheorien verstehen sich
erklärtermaßen selbst als produktive Kritik und Fortführung der Kant'schen
Religionstheorie. Sie arbeiten den Messianismus bzw. die Eschatologie des
göttlichen Namens als Referenzrahmen ihrer Religionstheorien aus. Im Zu-
sammenhang der Frage nach der Beschreibung ikonischer Zeichen der Hoff-
nung haben beide Religionstheorien darüberhinaus zwei entscheidende Vor-
züge:
Sie spitzen die Aporetik des Geheimnisses semiotisch zu: Rosenzweigs und
Cohens Religionstheorien sind die im 19. und 20. Jahrhundert exemplari-
schen jüdischen Theorien kultischer Zeichen des göttlichen Namens.51 Hell-
sichtiger als protestantische Theologen erkennen Hermann Cohen und Franz
Rosenzweig: Die Elimination kultischer Zeichen in der Religionstheorie
Kants ist das Symptom des eliminierten Namens. Deshalb führen sie das
semiotische Programm Kants gegen Kant durch: als Grammatik und dichte
Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen des göttlichen Namens. Der göttliche
Name, nicht .Schall und Rauch', sondern .Wort und Feuer', stellt sich in
kultischen Zeichen der Hoffnung dar. Der begründet unentscheidbare Wider-
spruch dieser Zeichen im jüdischen und christlichen Gottesdienst ist der Ort,
wo das Geheimnis des Namens, seine Unendlichkeit, erlernt wird. Es teilt
sich in dichten Zeichen der Hoffnung mit.
Darüber hinaus umfaßt insbesondere die Religionstheorie Rosenzweigs, die
im Kern als Theologie des göttlichen Namens zu lesen ist, nicht nur eine
Grammatik gottesdienstlicher Sprachzeichen: der Homologie, Benediktion
und Doxologie des göttlichen Namens. Sie integriert diese Grammatik einer
umfassenderen Theorie gottesdienstlicher Zeichen, welche nichtsprachliche,
liturgische Zeichen einbezieht und als sichtbaren Ausdruck' der Unendlichkeit
des göttlichen Namens dicht beschreibt. Kultische Zeichen des göttlichen Na-
mens können nicht letztlich in grammatische Elemente zerlegt und analysiert
werden. Ihre (semantische und syntaktische) Dichte verlangt eine genuine,
diskursiv-sprachliche Beschreibung, die sich dem Problem der Übersetzung
von Dichte in Diskursivität stellt.52 Dieses Problem, bezogen auf bestimmte
liturgische Zeichen des göttlichen Verheißungsnamens, nennen wir abkürzend
das Problem dichter eschatologischer Beschreibung?

51
Zu dieser Einschätzung: G. Scholem, Franz Rosenzweig, 526-529; J. Taubes, 52-55; L.
Trepp, 9.23f.l91f.; M. Yaffe, 216f.
52
Es sei, als vorläufiges Beispiel, an die dichte Beschreibung .ungegenständlicher' pikturaler
Werke oder .ausdrucksdichter' musikalischer Werke erinnert.
53
Die Verwendung des Terminus: dichte Beschreibung schließt übrigens nicht primär an die
Kulturanthropologie Clifford Geertz' an (ders., Dichte Beschreibung, v.a. 7-43; ders., Religiö-
se Entwicklungen, v.a. 138-160; zur Rezeption: G. Lindbeck, Lehre, 166f). Der semiotische
Terminus .Dichte' (density) und die Frage dichter Beschreibung exemplifizierender und meta-
phorischer Ausdruckszeichen folgt primär Nelson Goodmans Zeichentheorie und Ästhetik

15
Entscheidend wird für diese Grammatik und dichte Beschreibung kultischer
Zeichen die Interferenz verbaler und non-verbaler, grammatischer und iko-
nischer Zeichen des göttlichen Namens (Wort und Sakrament).54 Sie setzt die
kategoriale Differenz von Repräsentation und Exemplifikation in der Refe-
renz kultischer Zeichen voraus. Daß sakramentale Zeichen den noch nicht
aussagbaren .Namen' exemplifizieren wird dann interessanter als ihre Reprä-
sentation realer oder idealer, vergangener oder zukünftiger .Dinge'. Daß sie
sichtbare Hoffnung auf den göttlichen Namen im leiblichen Namen Jesus
Christus' metaphorisch zum Ausdruck bringen55 und dichte, eschatologisch-
pneumatologische Beschreibungen dieser Hoffnung begründen, ist eine semio-
tisch fruchtbarere Vermutung, als die radikalchristologische Hypothese vom
realsymbolischen Ausdruck göttlichen Selbstseins und göttlicher Selbstmittei-
lung im Sakrament.56
Die dogmatische Dehre vom Sakrament fußt also auf einer theologischen
Zeichentheorie. Ihr Bezug auf gottesdienstliche Beispiele ist essentiell. Der
Aufbau dieser Zeichentheorie vollzieht sich primär in Form einer katecheti-
schen Mystagogie. Darauf ist die dogmatische Lehre von den Sakramenten zu
beziehen. Im Kern ist diese eschatologisch-pneumatologische Zeichentheorie
eine Theorie metaphorischen (nicht: realsymbolischen) Ausdrucks des gött-
lichen Namens und seiner Unendlichkeit. Die Interferenz von Wort und Sak-
rament, grammatischer und ikonischer Zeichen ist neu, dichter zu beschrei-
ben.

(ders., Sprachen). C. Geertz' Terminus dichter (thick) Beschreibung geht von G. Ryle aus
(Dichte Beschreibung, 9-11). Zweifellos läßt sich aber Geertz' semiotischer Kulturbegriff mit
der Frage nach dichter Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen verbinden. Für Geertz ist
Religion kein in Elemente zerlegbares, rekonstruierbares und allgemein charakterisierbares
kulturelles System (ebd., 25). Sie stellt als kulturelles Symbolsystem auslegbarer Zeichen
vielmehr einen Kontext dar, in dem Ereignisse, Verhaltensweisen oder Institutionen dicht
beschreibbar sind (ebd., 21). Seine methodische Maxime, „von der sehr intensiven Bekannt-
schaft mit äußerst kleinen Sachen" auszugehen (ebd., 30), wird in den Analysen des zweiten
Hauptteils ebenso befolgt, wie der Hinweis auf die zentrale, methodische Stellung des Rituals
für die religiöse Symbolbildung (ders., Relgiöse Entwicklungen, 144f).
54
Die Interferenz von W o n und Sakrament ist eine Schlüsselfrage der theologischen
Zeichentheorie. Sie ist die Pointe in Augustins Formel vom verbum visibile. Karl Rahners
Symboltheorie widmet sich dieser Frage eindringlich: K. Rahner, Wort und Eucharistie.
55
.Ausdruck' ist, das sei vorläufig bemerkt, von Konnotationen wie .Expressivität, Erleb-
nisausdruck' oder auch .Selbstvollzug im Anderen' vollständig freizuhalten.
54
Realsymboliscber Ausdruck ist der Grundbegriff in K. Rahners Ontologie des Symbols:
„das Seiende ist von sich selbst her notwendig symbolisch, weil es sich notwendig .aus-
drückt', um sein eigenes Wesen zu finden" (Theologie des Symbols, 278. vgl. 284) Der vierte
Grundsatz dieser Ontologie zeigt die fundamentaltheologische Pointe: „Das Heilstun Gottes
am Menschen vom Anfang seiner Grundlegung bis zu seiner Vollendung geschieht immer so,
daß Gott selbst die Wirklichkeit des Heils so ist, daß sie gegeben und vom Menschen
ergriffen wird im Symbol, das jene Wirklichkeit nicht als abwesende (und nur versprochene)
vertritt, sondern diese Wirklichkeit durch das von ihr abgebildete Symbol selbst (exhibitiv)
anwesend sein läßt" (ebd., 303).

16
(2) Erst auf dieser Basis läßt sich präziser über das Verständnis von Kirche
im Christusmysterium Auskunft geben. Es ist in hohem Maße präzisierungs-
bedürftig, wenn Kirche in der evangelischen Kritik an Rahner durch die
Struktur christologisch-anthropologischen Personseins bestimmt wird. Das
Selbstverständnis der Kirche als simul iusta et peccatrix überträgt ja eine kom-
plexe christologisch-anthropologische Formel unvermittelt auf die Kirche. Ist
das Ergebnis zwar verschieden, so ist das Verfahren im Grund demjenigen
Rahners ähnlich: Ein christologisch-anthropologischer Begriff - dort Real-
symbolik als personaler Selbstvollzug im anderen, hier Realsymbolik als
synekdochisches Personsein in der Gleichzeitigkeit von Sünde und Gerechtig-
keit - wird per analogiam auf das Kirchesein von Kirche angewandt. Nicht
diese anthropologische Figur, wohl aber ihre ekklesiologische Analogisierung
ist unterbestimmt.
Angesichts ökumenischer Sackgassen kann ein neuer Begriff vom Sakrament
weder direkt auf eine dogmatische Lehre vom Sakrament noch direkt auf eine
dogmatische Lehre von der Kirche zusteuern. So notwendig eine dogmatische
Klärung in beiden Hinsichten auf evangelischer Seite gegenwärtig ist, so
umfassend müssen die Vorarbeiten und Aufräumarbeiten sein.57
Vor ökumenischen Konsens- oder Dissensformeln zur Sakramentalität der
Kirche, ist daher nach der metatheoretischen Bedeutung von .Sakrament' für
eine Theorie von Kirche zu fragen. Diese Frage wird nicht zur Rede von
Kirche als Ursakrament führen. Rahners Deduktion der Kirche und Sakra-
mente aus einer radikalchristologischen Symboltheorie ist aber nicht nur in
diesem Ergebnis, sondern schon im methodischen Aufbau zu konterkarieren.
Der semiotisch neu zu bestimmende Begriff .Sakrament' ist zunächst für eine
deskriptive Theorie gottesdienstlicher Zeichenhandlungen des göttlichen Na-
mens einzusetzen. Diese bildet wiederum ein Paradigma für eine deskriptive
Theorie von Kirche. Diese deskriptive Theorie von Kirche umreißt dann das
Aufgabenfeld der Dogmatik, u.a. einer dogmatischen Lehre von der Kirche.
Nur im Zuge dieses methodischen Aufbaus leuchtet es ein, daß und inwie-
fern eine Theorie .sakramentaler oder ikonischer Zeichen' für ein Verständnis
von Kirche unverzichtbar ist. Der Sakramentsbegriff hat seinen metatheo-
retischen Ort in der Beschreibung von Kirche und präzisiert hier den Zusam-
menhang von Kirche und Reich Gottes. Er präzisiert den Zusammenhang von
partikularer Geltung und universaler Reichweite kirchlicher Zeichen des
göttlichen Namens, ohne daß Kirche dogmatisch als „Sakrament des Reiches
Gottes"58 zu bestimmen wäre. In der dogmatischen Lehre von der Kirche hat
der Sakramentsbegriff keine Funktion und keinen Platz! Es ist eines, daß der
Zusammenhang von Kirche aus Juden und Heiden und Reich Gottes für das

57
Zur dogmatischen Lehre vom Sakrament erscheint vom Verfasser in naher Zukunft ein
Studienbuch unter dem Arbeitstitel: Was ist ein Sakrament? Der Ausblick auf eine evange-
lische Lehre vom Sakrament, der diese Untersuchung schließt, bildet dafür die Grundlegung.
58
So, nach dem Vorschlag J. Moltmanns, W. Pannenberg, Systematische Theologie III, 55.

17
neutestamentliche Christusmysterium konstitutiv ist.59 Ein anderes aber ist es,
daß die sachgemäße Entfaltung dieses Zusammenhangs unklar geworden ist,
seitdem Kirche zum zentralen Symbol des universalen Reiches Gottes avan-
ciert ist. Der Aufstieg der Kirche zum Realsymbol eschatologischer Bürger-
schaft und neuer Menschheit geht einher mit der Elimination (z.B. Kant)
oder Verkirchlichung (z.B. Schleiermacher oder Rahner) der ikonischen
Zeichen des göttlichen Namens. Denn diese Zeichen bleiben dem Selbstvoll-
zug von Kirche extern, weil sie die universale Reichweite der Verheißung des
Reiches Gottes an der Kirche zum Ausdruck bringen. Kirchliche .Empfangs-
handlungen' exemplifizieren die stets größere Reichweite des göttlichen Na-
mens. Sie bringen ihn zum Ausdruck. In ihnen wird Kirche zum Ausdruck
des Volkes und Reiches Gottes. Doch sie repräsentiert nicht das Volk und
Reich Gottes, ebensowenig wie sie die wahre Anbetung des göttlichen Na-
mens gültig antizipiert. Dies ist der Punkt, an dem die dichte Beschreibung
ikonischer Zeichen und das Geheimnis des göttlichen Namens aneinander
stoßen: Ikonische Zeichen bringen als kirchliche Zeichen die universale
Reichweite des Namens über die dogmatischen Grenzen der Kirche hinaus
zum Ausdruck, seine Unendlichkeit.
Die Untersuchung im zweiten Hauptteil geht mithin davon aus, daß die
pneumatologisch-eschatologische Beschreibung der geglaubten Kirche bei
einer beschreibenden Theorie gottesdienstlicher Zeichen anzusetzen hat. In
dieser Beschreibung kirchlicher Kernpraktiken kommen metatheoretische
Aporien zum Austrag und zur Entscheidung. Beides ist für die dogmatische
Lehre von der Kirche, auch für einen kritischen dogmatischen Begriff vom
Sein der Kirche, unabdingbare Voraussetzung: „Warum sollte die Dogmatik,
gerade auch die evangelische Dogmatik, nicht mit einer Lehre von der Kirche
beginnen können, die ihr Angewiesensein auf das Kirchentum in all seiner
dogmatisch fragwürdigen und bedenkenswerten Faktizität aussagt? In einer
solchen theologischen Kirchentheorie wären die Vorklärungen am Platze, die
zu dem Satz des Credo ,Ich glaube die Kirche als Werk Gottes' hinführen,
ohne ihn zu begründen oder zu verdrängen."60 Eine Reihe deutschsprachiger
und angelsächsischer protestantischer Theologien arbeiten in diesem Sinne auf
eine Theorie der Kirche hin.61

Schlägt diese Untersuchung aber nicht, so wird man fragen, einen eigenarti-
gen Umweg ein, wenn sie jüdische Theorien gottesdienstlich-eschatologischer
Zeichen für metatheoretische Klärungen christlicher, evangelischer Theologie

59
Zur Interpretation vom Rom 11,25-32.33-36 bzw. IKor 2,6-10; Kol l,26f; 2,2f; Eph
3,4-7.8-12; Rom 16,25f: § 14,2.
w
G. Sauter, Dogmatik I, 69.
61
Genannt seien: D. Ritschi, Logik, 130-137.159-167; O. Bayer, Theologie, 395-532; F.
Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, 205-218; 2, 235-245; G. Wainwright, Gottesdienst; G.
Lindbeck, The Nature of Doctrine; R. Hütter, Theologie; B. Wannenwetsch, Gottesdienst.

18
fruchtbar zu machen sucht? Der ideengeschichtliche Zusammenhang eschato-
logischer Religionstheorien von Kant über den Neukantianer Cohen bis zu
Rosenzweig mag einleuchten, zumal sich die ideengeschichtlichen Perspekti-
ven neuprotestantischer Theologie diesbezüglich auffächern. Doch die sakra-
mentstheologische Zuspitzung mag artifiziell anmuten, .ausgedacht'. Ist nicht
das Sakrament mit dem Wesen des Judentums schlechterdings unverträglich,
gerade weil sich dieses auf das Geheimnis des göttlichen Namens selbst
richtet?"
N u n mag allerdings zunächst erinnert werden, daß die Frage nach alttesta-
mentlichen Sakramenten seit je ein Topos christlicher Sakramentslehre ist.
Protestantische Sakramentslehre pointierte dabei charakteristischerweise stets
die größere Ähnlichkeit in der Unähnlichkeit zwischen alt- und neutesta-
mentlichen Sakramenten. Diesen Topos einer Verwandtschaft der Sakramente
im Verheißungscharakter erneuerte zuletzt Gerhard Ebeling:

„Wie sich in der Verschiedenheit katholischen und evangelischen Sakramentsver-


ständnisses die konfessionelle Grunddifferenz als eine soteriologische darstellt, das
macht man sich am besten von einem Topos her klar, der uns heute an sich sehr
fern liegt, der aber sachlich ungemein aufschlußreich ist: der Frage nach dem Unter-
schied alttestamentlicher und neutestamentlicher Sakramente."63 Ebeling wendet hier
die traditionelle Kritik, nach welcher das evangelische Sakramentsverständnis auf die
Stufe der Sakramente des alten Bundes zurückfalle, weil nur im alten Bund die
sakramentalen Zeichen sola promissione und sola fide wirksam gewesen seien, ins
Positive: „Freilich stoßen wir hier [sc. in dieser Kritik] insofern auf eine zutreffende
Beobachtung, als das Verständnis der Gegenwart Christi und des durch ihn eröff-
neten Heils in genuin reformatorischer Fassung ungleich stärker wieder eschatologi-
sehe Züge annimmt ... Reformatorische Theologie bestreitet es darum, daß der
Vorzug der neutestamentlichen Sakramente gegenüber den alttestamentlichen in der
Ablösung des bloß Signifikativen durch das Kausative in Gestalt eines signum efficax
liege ... Im alten wie im neuen Bund geht es der Sache nach um dasselbe, nur daß
durch das Gekommensein Jesu Christi die promissio erst rein als promissio ergriffen,
der Glaube erst rein als Glaube erfaßt und gelebt wird."64

Warum sollte es - jenseits der historischen Kontroverslagen und Überbie-


tungstopoi - nicht möglich sein, moderne jüdische Theorien gottesdienstli-
cher Zeichen zu rezipieren, um den eschatologischen Charakter des christli-
chen Sakraments, zusammen mit seinem anamnetischen und effektiven Cha-
rakter, dichter zu beschreiben und dogmatisch präziser zu bestimmen. Die
Theorie gottesdienstlicher Zeichen hat semiotische Innovationen wahrlich
nötig! Doch dazu sind, z.B. bei Franz Rosenzweig, bereits hervorragende
Vorarbeiten geleistet.

62
L. Baeck, Wesen, 5f.
63
G. Ebeling, Dogmatik 3, 310.
M
G. Ebeling, Dogmatik 3, 311 (Kursive HA)

19
In der neueren Liturgik ist der Zusammenhang von jüdischer und christlicher
Liturgie längst eine fruchtbare Arbeitshypothese.65 Allerdings wird diese Hypothese
nahezu ausnahmslos historisch, nicht semiotisch und dogmatisch durchgeführt. Eine
praktische Liturgik, die sich von der namenstheologischen Aporie der Wahrheit
gottesdienstlicher Zeichen dispensiert, übersieht zugleich die semiotischen Aspekte
dieser Frage zu ihrem Schaden. Humanwissenschaftliche Zeichentheorien bleiben
hier defizitär.66 Ihre Rezeption in der Praktischen Theologie stößt daher zu Recht
auf Kritik.67 Die theologische Kritik der humanwissenschaftlich-zeichentheoretischen
Liturgik steht allerdings ihrerseits in der Pflicht. Verlangt ist eine pneumatologisch-
eschatologische Zeichentheorie^l

Es gibt gute dogmatische, historische und liturgietheoretische Argumente für


den genannten Umweg. Volle Valenz gewinnen diese Argumente aber erst im
Rahmen einer deskriptiven Kirchentheorie. Diese wird künftig auf einen be-
schreibungsrelevanten Begriff vom eschatologischen Geheimnis Gottes nicht
verzichten können, sofern das Gegenüber von Kirche und Israel konstitutiv
in diese Theorie von Kirche eingeht. „Weil nur G o t t darüber urteilen kann,
wer .Israel' und wer ,die Kirche' ist, wissen beide noch nicht, wer sie wirklich
vor Gott sind."i9 Wenn Dogmatik auf diese faktische Kirche angewiesen ist,
bedarf sie zu ihrer Beschreibung der Rede v o m .Geheimnis' und v o m .Sakra-
ment'. Wie ,Kirche' und .Israel' in ihren kultischen Zeichen beschrieben
werden, ist die Probe darauf, ob und wie das kontradiktorische, unentscheid-
bare Gegenüber von Kirche und Israel als Geheimnis Eingang in die Grundle-
gung dogmatischer Theologie findet: Kirche ist in ihren Zeichen, in gramma-
tischen und ikonischen Zeichen, zukünftig und verborgen. Grammatik und
Semiotik bringen dies zur Geltung.
Die Rede vom Geheimnis Gottes wird zur Frage der Methode von Theolo-
gie. Darin bildet sich eine entscheidende und legitime geschichtliche Verschie-
bung in den pragmatisch-ekklesiologischen Bedingungen christlicher Theolo-
gie ab. 70 Nicht die vielbeschworenen schicksalhaften Umformungsprozesse

65
J. Roloff, Gottesdienst; H.-Chr. Schmidt-Lauber, Eucharistie; Th.J. Talley, Berakah.
66
Systematisch-theologische und anthropologische Grundlegungen des Kultes zerfallen heu-
te - zum Schaden beider. Ein Beispiel bietet K.-H. Bieritz, Anthropologische Grundlegung,
99: „Raum und Zeit, Gegenständlichkeit und Leiblichkeit sind die wichtigsten Kategorien, in
die sich die Geschöpflichkeit des Gottesdienstes fassen läßt." Transzendentale Termini wer-
den hier unvermittelt schöpfungstheologisch rei'fiziert. Metatheoretisch und semiotisch blei-
ben daher solche Aussagen unklar. Sie zu klären, ist Aufgabe einer Theologie des Gottesdien-
stes. Dies ist wiederum die Basis jeder anthropologischen Grundlegung des Gottesdienstes.
Nicht Abbruch, sondern Steigerung des interdisziplinären Dialogs ist also erforderlich.
67
G. Wainwright, Systematisch-theologische Grundlegung, 72-95.
61
Das forden zu Recht: M. Meyer-Blanck, Der Ertrag semiotischer Theorien, v.a. 211-215.
• G. Sauter, Rechenschaft, 310.
70
Die Rede von pragmatisch-ekklesiologischen Voraussetzungen impliziert einen bestimmten
Begriff religiösen und kirchlichen Handelns (dazu: R. Hütter, Theologie, 46-61.201-268). Die
historischen Entdeckungszusammenhänge oder Kontexte von Theologie sind kategorial von

20
neuzeitlichen Christentums, sondern das im Zuge jüdischer Emanzipation im
Prinzip gleichberechtigte Gegenüber mindestens zweier Kulte und Gottes-
dienste des göttlichen Namens ist die entscheidende tektonische Verschiebung
der christlichen Theologie der neueren Zeit. Die daraus resultierende, essen-
tiell dialogische Konstitution christlicher Eschatologie und Theologie ist irre-
versibel.
Die Frage nach einer Theorie der Beschreibung, im zweiten Hauptteil zu-
gespitzt auf die Frage nach der Grammatik und dichten Beschreibung kulti-
scher Zeichen des göttlichen Namens, durchzieht die Untersuchung und
verklammert beide Hauptteile. Kultische Zeichen sind Beispiele der Hoff-
nung. Einführung in ihren Gebrauch heißt, eschatologischen Urteilssinn zu
lehren, einen Urteilssinn, der die Grenze des Aussagbaren, Erkennbaren und
Begründbaren kennt.

Diese Einleitung kann schließen mit einem Vorgriff auf das Ende, den Aus-
blick auf eine evangelische Lehre vom Sakrament als Teil einer Semiotik des
göttlichen, trinitarischen Namens und seines Geheimnisses. Worum es geht,
zeige ein vorläufiges Beispiel. Das allsonntägliche gottesdienstliche Credo gilt
gemeinhin als Paradigma eines Konsenses, der, in Antwort auf das gehörte
Evangelium, die Begründung der Gemeinde ausspricht. Der Konsens im Glau-
bensbekenntnis spricht aus, was den Gottesdienst konstituiert: der trinita-
rische Name. Aber die Geltungsgrenzen dieses sprachlichen Konsenses sind
nicht die Grenzen der Reichweite dieses Verheißungsnamens. Die im sprach-
lichen Konsens geeinte und als solche grammatisch beschreibbare Gemeinde
verlangt daher nach dichter Beschreibung: „Der Heilige Geist versetzt uns so
unmittelbar in Gott, daß wir dies gar nicht mittelbar, durch irgendeine
Wahrnehmung aneinander und noch nicht einmal mittels der Sprache erken-
nen können. Der Geist ist weder nur subjektiv noch intersubjektiv - obwohl
er beides auch ist -, sondern transsubjektiv, m.a.W.: er begründet das ,Wir'
und darum auch das Einverständnis von Menschen."71
An diese Beschreibung schließen sich weiterführende Fragen an: Kennt etwa
dieses Wir-im-Geist, die ,vor Gott stehende' Gemeinde, Mitteilungsformen
zwischen ekstatischer Geistunmittelbarkeit und sprachlicher Verständigung?
Zeigt etwa die liturgische Gebärde, z.B. die ,transsubjektive Handlung' des
Essens und Trinkens, ein Sein-in-Christus, das als solches zugleich als Sein-im-
Geheimnis des unendlichen Namens zu beschreiben ist? Kommt in bestimm-
ten gottesdienstlichen Zeichen ein transsubjektives Wir sichtbar zum Aus-

pragmatiscb-ekklesiologischen Voraussetzungen zu unterscheiden. Nur dann wird klar, warum


produktive Innovationen in der Theologie nicht .schicksalhafte' Umformungsprozesse nach-
vollziehen, sondern Begründungszusammenhänge unter neuen, pragmatisch-ekklesiologischen
Voraussetzungen innovativ zur Geltung bringen. Zur Frage: Verf., Aporien und Charaktere,
6-8.
71
G. Sauter, Ekstatische Gewißheit, 52; vgl. ders., Einführung, 210-212.

21
druck, das sich sprachlicher Verständigung entzieht und das in keiner Identi-
tätskonstruktion erfaßt werden kann? Was heißt dann Sich-Zeigen, Zum-
Ausdruck-Kommen oder Sichtbarkeit} Was meint eschatologisch dichte Be-
schreibung solcher Zeichen?
In einem, freilich genau zu erläuternden, präzisen Sinn wird sich zeigen: Im
selben Maße, in dem wir Sakramente als sichtbare Verheißung verstehen ler-
nen, erlernen wir das Wort der Verheißung als hörbares und sagbares, wenn
auch nicht widerspruchsfrei aussagbares Geheimnis.

22
Erster Teil

Hoffnung und Geheimnis bei Immanuel Kant

§ 1 Exposition der Frage. Ihr Ort in der Kant-Interpretation


A m Ende der Kritik der reinen Vernunft stellt Kant die Frage: „Was darf ich
hoffen?" (KrV, B 833; 4,677) Auf diese Frage antwortet zwölf Jahre später,
ihrem eigenen Anspruch nach, Kants Religionsschrift.

„Mein schon seit geraumer Zeit gemachter Plan der mir obliegenden Bearbeitung des
Feldes der reinen Philosophie ging auf die Auflösung der drei Aufgaben: 1) Was
kann ich wissen? (Metaphysik) 2) Was soll ich thun? (Moral) 3) Was darf ich hoffen?
(Religion); welcher zuletzt die vierte folgen sollte: Was ist der Mensch? (Anthropolo-
gie ...). Mit beikommender Schrift: Religion innerhalb der Grenzen ec. habe [ich] die
dritte Abtheilung meines Plans zu vollführen gesucht, in welcher Arbeit mich
Gewissenhaftigkeit und wahre Hochachtung für die christliche Religion, dabei aber
auch der Grundsatz einer geziemenden Freimüthigkeit geleitet hat, nichts zu ver-
heimlichen, sondern, wie ich die mögliche Vereinigung der letzteren mit der reinsten
praktischen Vernunft einzusehen glaube, offen darzulegen."1

Diese nachträgliche Selbstbeschreibung ist, wie stets bei Kant, wörtlich genau
zu nehmen. Sie erweist sich aber gerade dann, wie nicht selten bei Kant, als
nachträgliche Stilisierung, die eine viel komplexere Frage und Genese auf
einen etwas zu eindeutigen N e n n e r bringt: Die Kritik der reinen Vernunft
(1781) mündet in der Tat in das durch die drei berühmten Fragen umrissene
Programm einer Bearbeitung des Feldes der reinen Philosophie und der dem
Menschen natürlichen Metaphysik. Diese Bearbeitung der reinen Philosophie
sollte mit der Hoffnungsfrage ihren Abschluß finden. 2 Das Programm der
Transzendentalen Methodenlehre vom Ende der Ersten Kritik 3 gehört zu den
frühesten Teilen dieser Kritik. Es enthält - dies ist unsere Generalthese - mit
der Frage nach Hoffnung den Maßstab der Philosophie Kants.

1
Kant an den Tübinger Theologen Carl Friedlich Stäudlin vom 4.5.1793, Brief 574 [541],
AA 11, 429. - Zur Quellenangabe: Angegeben werden zuerst die Seitenzahlen) der ersten
(A) oder zweiten (B) Auflage des betreffenden Textes. Sodann wird die entsprechende Band-
und Seitenzahl der Werk-Ausgabe von W. Weischedel verzeichnet.
2
Die danach folgende .Anthropologie in pragmatischer Hinsicht' (1798) ist ein Spätwerk,
das nur in seinen fragmentarischen Fragen, v.a. seiner Zeichentheorie, von Interesse ist.
5
Zweites Hauptstück ,Der Kanon der reinen Vernunft', KrV, B 823-859; 4,670-695.

23
1. Hoffnung als Urteilssinn. Kritik theologischer Kant-Rezeption

Die Frage nach Religion wird jetzt mit der Frage nach Hoffnung geradezu
identisch. Das ist eine Weichenstellung, deren Folgen für die theologische
Theoriebildung im Generellen bekannt sind: Nicht mehr die allgemeine Onto-
logie und spezielle Metaphysik bilden das ontotheologische Bezugssystem
theologischer Sätze, sondern die Eschatologie. Die Wirklichkeitsorientierung
christlichen Glaubens ebenso wie die Theorie der Theologie werden eschato-
logisch ausgearbeitet.
Die im Gefolge der Religionsschrift einsetzende praktisch-pragmatische Re-
interpretation der Urteile christlichen Glaubens (als ,Wert-Urteile') und die
damit verbundene affirmative, kulturprotestantische Eschatologie ist als pro-
blematische Wirkung Kants auf die evangelische Theologie im 19. Jahrhun-
dert in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts oft genug kritisiert
worden.4 Daß mit dem affirmativen Reich-Gottes-Ideal allerdings die Hoff-
nungsfrage Kants um das Geheimnis der Hoffnung als dem wahren .Ende aller
Dinge' reduziert wird, bleibt dabei so gut wie immer verschwiegen.5

Die letzte große kulturprotestantische Kant-Interpretation, die 1899 erschienene,


überaus scharfsinnige Analyse des 24jährigen Albert Schweitzer 6 hätte allerdings leh-
ren k ö n n e n , daß mit dieser affirmativen Eschatologie des Reiches Gottes als Ver-
wirklichungsbedingung des moralischen Geschöpfes .Mensch' bewußt der geheim-
nislose Strang der Hoffnungsfrage Kants aufgenommen u n d als der einzig mögliche
präsentiert wird. 7 Diese affirmative Rede v o m Endzweck der Schöpfung m u ß sich
fragen lassen, w a r u m Kant das affirmative Ideal v o m Reich Gottes u n t e r d e m Titel
einer Dialektik der praktischen Vernunft einführt. Die Dialektik des guten Willens in
seinen Handlungen u n d die Dialektik des moralischen Gewissens als absoluter Selbst-
richterschaft sind kritische Einsichten, die Nietzsche wieder geltend machte.

4
Jüngstes Beispiel: W. Pannenberg, Theologie und Philosophie, 203-215.
5
Karl Barths Deutung der Kant'schen Religionsschrift rührt mehrfach an diese Frage:
K. Barth, Protestantische Theologie, 268.272. Aber auch in ihr bleibt das kulturprotestan-
tisch-neukantianische Kant-Bild maßgeblich.
6
Die Quintessenz der Arbeit lautet: Das ethische gemeine Wesen, die unsichtbare Kirche,
sei die von Gott zu erhoffende Verwirklichungsbedingung der sittlichen Persönlichkeit des
Menschen und deren Vollendung der Endzweck der Welt. Kants Hoffnungsfrage laute: „Wie
ist die sittliche Persönlichkeit des Menschen als moralischen Geschöpfs ihrem Wesen und
ihrer Vollendung nach auf dieser Welt möglich?" (A. Schweitzer, Religionsphilosophie, 199f.)
7
Vgl. A. Schweitzer, Religionsphilosophie, 4-13: Schweitzer will zwei Stränge der Hoff-
nungsfrage und zwei unvereinbare Religionsphilosophien Kants nachweisen: Die ethikotheolo-
gische .Religionsphilosophische Skizze' der Methodenlehre der Ersten Kritik werde in der Re-
ligionsschrift ausgeführt. Der kritisch-idealistische Strang habe im .religionsphilosophischen
Plan' des Antinomien-Kapitels der transzendentalen Dialektik (Dritte und Vierte Antinomie:
KrV, B 566-595; 4,492-512) sein Programm (14-22). Zur kritischen Konfrontation des
Freiheits- und Ideenverständnisses der .Skizze' und des .Plans': 23-70.

24
Noch in der Kritik fixiert auf das überkommene Kant-Bild, übersah und über-
sieht man Kants kritische Eschatologie: seine Rede vom Geheimnis göttlicher
Gerechtigkeit und sein Erstaunen vor dem, was biblisch ,Verheißung' heißt.
Man übersah und übersieht, daß Kants Frage nach Hoffnung verknüpft ist
mit der unablässigen, sich in den Kritiken und der Religionsschrift mehr und
mehr zerfransenden Frage, ob sich menschliche Hoffnung nicht als endlicher,
kreatürlich-rezeptiver, nicht-transzendentaler und nicht-apriorischer Urteilssinn
zu vollziehen habe. Man übersah und übersieht, daß die Hoffnungsfrage in
einer Aporie endet, im Konflikt von endlich-rezeptiver, ästhetischer und
dogmatisch-reiner, praktischer Urteilskraft. Man übersah und übersieht, daß
die Kritik der Urteilskraft, insbesondere die Kritik der ästhetischen Urteils-
kraft methodisch der bedeutendste theologische Text Kants ist.8
Angesichts der massiven Rezeptionstraditionen, die sich zwischen die theo-
logische Lektüre und den Kant'sehen Text schieben, darf an den Rat eines
Zeitgenossen Kants erinnert werden: Kant „hat auch auf Sie gewirkt, ohne
daß Sie ihn gelesen haben. Jetzt brauchen Sie ihn nicht mehr, denn was er Ih-
nen geben konnte, besitzen Sie schon. Wenn Sie einmal später etwas von ihm
lesen wollen, so empfehle ich Ihnen seine .Kritik der Urteilskraft'"9.
Die ganze methodische Schwierigkeit der Hoffnungsfrage besteht - wie Ger-
hard Krüger in seiner wichtigen Untersuchung statuiert - „in der Einheit des
theoretischen und praktischen Verhaltens. Als Erkenntnis beruht sie [sc. die
Hoffnung] auf der inneren wesenhaften Einheit der praktischen und theoreti-
schen Vernunft. Soll diese Erkenntnis als wahre und grundlegende Erkenntnis
geübt und verstanden werden, dann müßte sie ... in der konkreten Einheit des
Hoffens begriffen werden. Sie müßte sich, als eine theologisch denkende
Welterfahrung des moralisch handelnden Menschen, in ursprünglicher Ein-
heitlichkeit verstehen. Der Begriff von dieser faktisch grundlegenden Erkennt-
nis [sc. des Hoffens] allerdings bleibt trotz aller Reflexion darauf, die noch
das Opus posthumum Kants beherrscht, ungeklärt."10 Die Frage der Hoff-
nung ist die Frage nach einer genuinen Erkenntnis in der Einheit von theore-
tischer und praktischer Vernunft; die Frage nach einem genuinen Urteilssinn
und einer genuinen Urteilsbegründung, die Frage nach einer genuinen Sym-
bolisation der Welterfahrung - sie ist die Frage nach endlicher und zugleich
reiner Urteilskraft des Menschen als eines reinen und zugleich rezeptiven
Vernunftwesens.''

8
Hervorragende und grundverschiedene Kant-Interpreten wie K. Barth, R. Hermann und
W. Pannenberg stimmen darin überein, daß sie die Dritte Kritik völlig ausgesparen: K. Barth,
Protestantische Theologie, 243-247; R. Hermann, Religionsphilosophie, 55-86; W. Pannen-
berg, Theologie und Philosophie, 184-203.
' Goethe zu Eckermann, 11. April 1827, in: J.P. Eckermann, Gespräche mit Goethe, 215.
10
G. Krüger, Maßstab, 252.
" Schleiermachers Subjektivitätstheorie antwortet auf diese Frage mit einer Wirklichkeits-
theorie, die vom Geheimnis Gottes ausweisbar zu reden vermag. G. Ebeling erneuerte diese
Antwort: G. Ebeling, Geheimnis, 201-208; Gott und Wort, 413-432; Wirklichkeitsver-

25
Die Leistung der sog. ontologischen Kantinterpretation12 - im Blick auf unsere theo-
logische Frage nach dem Geheimnis der Hoffnung - besteht (a) im Nachweis, daß die
Hoffnungsfrage nur als methodische Frage nach endlicher und rein praktischer
Urteilskraft sachgemäß verstanden ist. Sie besteht (b) im Hinweis, daß dieses Junk-
tim programmatisch in der Transzendentalen Methodenlehre aufgestellt wird {das
meint Kants Bemerkung vom .schon seit geraumer Zeit gemachten Plan'); die Frage
der Hoffnung werde dort als Programm einer „ganz neuen und bisher unversuchten
Wissenschaft" formuliert, nämlich als „Kritik einer a priori urteilenden Vernunft"13.
Sie besteht (c) im Nachweis, daß erst mit der kritischen Einsicht in die Faktizität
praktischer Freiheit in der Zweiten Kritik die Frage der Hoffnung und das Pro-
gramm einer Kritik praktischer Urteilskraft angegangen werden kann. Praktische
apriorische Urteilskraft (die .reinste praktische Vernunft') öffnet erst den Zugang zur
Hoffnung als genuiner Erkenntnis.
Indem diese Interpretation die Frage der a priori urteilenden praktischen Vernunft
als Kants ursprüngliche Frage identifiziert, steht sie im expliziten Kontrast zur Frage
nach der a priori begründenden Vernunft im nachkantischen Idealismus und zur Fra-
ge nach der Theorie wissenschaftlicher Erfahrung im Neukantianismus. Nicht die
Transzendentale Deduktion und ihre Begründungstheorie14, nicht die Transzendenta-
le Ästhetik und Analytik, sondern die Transzendentale Methodenlehre der Ersten
Kritik, das Faktum der Vernunft der Zweiten Kritik und die Kritik praktischer und
ästhetischer Urteilskraft bilden hier die zentralen Referenztexte, von denen aus die
Erste Kritik interpretiert wird.
Der Selbstverständlichkeit, mit der in theologischen Darstellungen die Frage nach
der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori als die ursprüngliche Frage Kants darge-
stellt wird (KrV, B 19; 3,59)15, obgleich diese Frage doch erst in den .Prolegomena zu
einer jeden künftigen Metaphysik' (1783) und in der Zweiten Auflage der Ersten
Kritik (1787) so dominierend wird, ist damit widersprochen. Gerade diese Selbstver-
ständlichkeit erweist sich bei näherem Hinsehen als Folge idealistischer und neukan-
tianischer Kant-Deutungen.16

ständnis, 96-115; Gottesbewußtsein, 116-136. Zu beider Kritik: H. Assel, Aufbruch, 313-350;


Einleitung, 21f.25.
12
Zu nennen sind vor allem die Analysen von Gerhard Krüger, welche die frühe Kant-In-
terpretation Martin Heideggers übertreffen; Heinz Heimsoeth, Transzendentale Dialektik;
Persönlichkeitsbewußtsein; Motive; Manfred Riedel, Urteilskraft; Georg Picht, Kants Reli-
gionsphilosophie; Einheit von Kants Kritik der Vernunft; in bestimmter Hinsicht auch
Hannah Arendt, Urteilen.
15
Brief an Garve, 7. August 1783, AA X, 318 (Kursive HA).
14
Dazu v.a.: D. Henrich, Identität und Objektivität.
ls
Als prominente Beispiele dazu erneut: K. Barth, Protestantische Theologie, 242-245; R.
Hermann, Religionsphilosophie, 55-59; W. Pannenberg, Theologie und Philosophie, 184f.
16
Dazu: M. Riedel, Urteilskraft, 11-20.

26
2. Reine und rezeptive Urteilskraft. Kants semiotische Aporie

Die Kritik der reinen praktischen Urteilskraft exponiert endliche Kreatür-


lichkeit praktischer Freiheit und ihrer Welt nicht affirmativ, sondern negativ.
Das wird am klarsten in der berühmten Selbstzweckformel des kategorischen
Imperativs ausgesprochen. Sie will gerade jene praktische Freiheit, die sich
unter der Idee der Autonomie a priori bestimmt, ins Geheimnis endlicher,
kreatürlicher Freiheit einführen.
Um diese negative Kreatürlichkeit als Frage, aber auch als Aporie der
Methode und Begründung verstehen zu können, ist es entscheidend, wahr-
zunehmen, daß das .Faktum der Vernunft' akroamatisch-diskursiv exponiert
wird. Gegen die autarke Letztbegründung der Vernunftgrundsätze als Axiome
in einem intuitiven Sehen von absoluter und monadischer Selbstgewißheit
läßt sich praktische Vernunft vom Faktum des Imperativs zu einer reinen
und rezeptiven Vernunft bestimmen, die sich selbst ins fühlbare Geheimnis
ihrer Freiheit einführt. Das ist auch eine theologisch bedeutsame Weichen-
stellung! Hält Kant doch damit zumindest die Stelle offen für ein praktisches
Verstehen der Geschöpflichkeit von Freiheit, das Schöpfung nicht im Sinne
vorkritischer metaphysischer Theologie als Ursprung und Verursachungs-
relation denkt. Inwiefern ein praktisches Verstehen der Geschöpflichkeit von
Freiheit möglich sei, ist die Ausgangsfrage für die Dritte Kritik und für die
Religionsschrift, die explizit versuchen, menschliche Freiheit als Leben im
Geheimnis der Geschöpflichkeit zu lehren. Von der Zweiten Kritik an, die
zum kategorischen Imperativ als Faktum der Vernunft erst durchstößt, ist
nicht mehr der Gegensatz von Freiheit und Naturkausalität das Schlüsselpro-
blem der praktischen Metaphysik Kants. Vielmehr stellt die Korrelation von
,geschöpflicher' Freiheit und .erhabener' Freiheit Gottes die Aporie seiner Phi-
losophie dar. Ihr aporetischer Charakter kristallisiert sich im eschatologischen
Begriff vom fühlbaren Geheimnis der Freiheit.17
Geheimnis wird zur .Lebensform' praktischer Freiheit.18 Die Frage der Hoff-
nung wird deshalb in der Dritten Kritik zur Frage nach einer endlichen,

17
Der Begründungszusammenhang von Freiheit und eschatologischem Geheimnis stellt
vermutlich den einzigen, allerdings gewichtigen systematischen Zusammenhang zu Luthers
De servo arbitrio dar. Diese Hypothese wird im Folgenden aber weder entfaltet noch verifi-
ziert. Tiefreichende calvinistische Wurzeln von Kants Religionstheorie, seiner vorkritischen
Gottesbeweiskritik sowie seines vorkritischen Verständnisses von .Existenz' sind in den
Untersuchungen von J. Bohatec; H.G. Redmann; J. Schmucker, Gottesbeweise; ders.,
Ontotheologie, detailliert dargelegt.
11
Daß Moral und Religion über die Begriffe der .Lebensform' oder .Kultur der Vernunft'
zu vermitteln sind, zeigt v.a. die konstruktivistischsprachanalytische Kant-Interpretation
Friedrich Kambartels überzeugend. Allerdings werden wir uns mit der von Kambartel und
Reiner Wimmer vorgelegten Deutung der Religionsphilosophie Kants als reiner Mystik
kritisch auseinandersetzen.

27
reflektierenden Urteilskraft, die gleichsam die Überraschung ihrer eigenen
Wirklichkeit und ihres Gelingens voraussetzt, um sie dann in ihren Möglich-
keitsbedingungen zu erläutern. Daß Urteilskraft die Möglichkeitsbedingungen
dieses Gelingens soweit als möglich in sich selbst zu reflektieren sucht, ist die
aporetische Konsequenz der transzendentalen Frage. Daß sie ihrer und ihrer
Mitwelt kontingenten Besonderheit und selbstzwecklichen Kreatürlichkeit darin
zumindest nicht zu widersprechen hofft, erklärt, warum Kant zugleich nach
nicht-apriorischer Erkenntnis, nach negativer Weisheit sucht. Die Kritik dieser
Urteilskraft hat darum die Struktur einer sukzessive sich entdeckenden Selbst-
analyse, nicht diejenige einer transzendentalen Deduktion.
Kants Versuch, praktische Freiheit als Leben im Geheimnis zu exponieren,
findet allerdings nicht ,die' Hoffnung als .grundlegende' Erkenntnis in der
ursprünglichen Einheit theoretischer und praktischer Vernunft. Erst recht
gelingt es Kant nicht, dieses Vermögen so zu exponieren, daß es sich selbst in
ursprünglicher Einheit begreifen könnte. Diese Aporie, die Gerhard Krüger
analysiert hat, eröffnet eine fruchtbare Aporetik, wenn wir uns von der
Annahme lösen, Hoffnung müsse als grundlegendes Vermögen expliziert
werden! Daß Hoffnung als endlicher Urteilssinn entdeckend zu analyiseren
ist und sich nicht selbst transzendental-deduktiv begreifen und begründen
kann; daß sie gerade nicht als das grundlegende Vermögen der Vernunft
gelten kann; daß Hoffnung im System der Vermögen vielmehr „sans lieu,
proprement atopique"19 ist: das ist eine Aporie, die dem ursprünglichen
Kant'schen Plan der .Bearbeitung des Feldes der reinen Philosophie' zwar
schlechterdings zuwiderläuft, die aber den eigentlichen Fortschritt in der
theologischen Methode darstellt, der von Kant zu lernen ist.
Es ist also eines, daß Kant in der Tat nach der ursprünglichen Einheit der
Vernunft als Urteilskraft sucht. Ein anderes aber ist es, zu beobachten, wie
sich dabei die intendierte Theorie ,der' Urteilskraft und ,der' Hoffnung
zersetzt. Was dabei entdeckt wird, sind plurale Urteilstypen, Formen prakti-
scher Weisheit. Diese Urteilsweisen sind in ihrer Apriorität jeweils von den
Beispielen mitbestimmt, an denen sie geübt und entdeckt werden.
Kants Ausspruch, daß Beispiele der „Gängelwagen" der Urteilskraft sind,
wird also mutatis mutandis auf seine transzendentale Urteilstheorie selbst
angewandt: „Beispiele [sind] der Gängelwagen der Urteilskraft, welchen
derjenige, dem es am natürlichen Talent derselben mangelt, niemals entbeh-
ren kann." (KrV, B 173f; 3,185) Da es dem Menschen in der Tat am natürli-
chen Talent der Hoffnung, als einer Weise von Urteilskraft, ermangelt, bedarf
seine Hoffnung der externen und exemplarischen Beispiele, der Übung an
diesen Beispielen und der Kritik. Was wir von Kant erwarten dürfen, ist
keine Transzendentaltheologie der Hoffnung, aber eine Aporetik von Urteils-
typen, deren genuine Urteile exemplarisch gültig und deren Verbindlichkeit

P. Ricoeur, Hermeneutique, 40.

28
unter der Idee eines konkreten sensus communis u n d seiner .Kunstregeln' zu
explizieren sind. Aber gerade diese Aporetik ist theologisch aufschlußreich
und der Ausgangspunkt der Analysen des zweiten Hauptteils:

Es ist zunächst die Kritik des Geschmacks aus der Ästhetik des Schönen, die
neue theologische Aufmerksamkeit verdient: Es ist der Geschmack als ko-
gnitives Gefühl und als innerer Urteilssinn; als Verfahren nicht-proposi-
tionaler, aber begründet zustimmungs- u n d widerspruchsfähiger Beschreibung;
es ist der Geschmack als Geltungsgrund eines Mitteilungsraums, in dem ein
genuiner sensus communis geübt wird, dessen Urteile von exemplarischer
Gültigkeit sind; es ist der Geschmack als ein Sehen des Unbegreifbaren, aber
in Zeichen beschreibbaren, als inexponible Anschauung, als gleichsam inneres
und äußeres Sehen-Lernen und Beschreiben-Lernen erhoffter Kreatürlichkeit.
Die Frage ist also, ob die theologisch gelesene Geschmackskritik Kants ver-
borgene Beispiele einer Escbatologie der Sinne und des Sinns enthält?
Von der Kritik des Geschmacks ausgehend ist es sodann die Beurteilung der
Französischen Revolution als signum prognosticon, die kritisches Interesse
verdient. Inwiefern enthält der problematische Begriff einer .wahrsagenden
Geschichte als einer a priori möglichen Darstellung des beständigen Fort-
schritts zum Besseren' (Streit, A 132; 9,351) nicht auch die berechtigte Frage
nach einer endlichen, bloß enthusiastischen, aber eben in dieser .Blindheit'
erstaunlicherweise urteilsfähigen Beschreibung von Geschichtszeichen als Zei-
chen der Hoffnung?

Unsere theologische Lesart der Kritik ästhetischer Urteilskraft, der Ästhetik des
Schönen und des Erhabenen, wird vor allem durch die Kant-Interpretationen franzö-
sischer Phänomenologen vorbereitet und angeregt. Zu nennen ist die Metaphorologie
Paul Ricoeurs, vor allem aber die Phänomenologie .idolischen und ikonischen
Sehens' Jean-Luc Marions und die Analyse des Erhabenen und des Enthusiasmus
Jean-Francois Lyotards. Ihre Ergebnisse werden verbunden mit den zeichentheoreti-
schen Analysen Josef Simons. Sie stellen gegenwärtig die interessanteste, deutschspra-
chige Kant-Interpretation dar.

Das Grundproblem der eschatologischen Beschreibung von Zeichen ,inde-


monstrabler' Hoffnung ist die Undarstellbarkeit der Freiheit, die im Rechts-
anspruch des Gesetzes als .Geheimnis verheißen' ist. Darf praktische Orien-
tierung im reinen Denken hoffen, daß ihr dieses Geheimnis in Zeichen
fühlbar wird?
Die Religionsschrift ist einer der Versuche, auf diese Frage eine A n t w o r t zu
finden. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß hier explizit das Gewissen - kurz
gesagt - als „Urteilskraft des Gemüts oder des Gefühls" 20 exponiert wird.
Rationale Verantwortung erweist sich als ein praktischer Vollzug negativer

M. Honecker, Ethik, 140.

29
Hoffnung. Dazu weist die genuin religiöse .Pflicht des menschlichen Ge-
schlechts gegen sich selbst' an, die den Kern der Religionsschrift bildet: die
Pflicht zum Übergang in ein ethisches gemeines Wesen (vgl. RGV, B 135—
137; 7,756f). Die Religionsschrift stellt den Versuch dar, ins Erlernen negati-
ver Hoffnung an Zeichen des Geheimnisses einzuführen. Hoffnung ist in
ihrem Erlernen angewiesen auf eine existierende Kultur der Vernunft, vor
allem auf Sprachzeichen, in denen negative Hoffnung und Verantwortung
erlernt und ausgeübt wird. Gegen die theologische Kritik seit Hamann ist die
.transzendentale Relation von Vernunft und Sprache' bei Kant hervorzuhe-
ben. Das Gewissen, das sein Beanspruchtsein zu einem ethischen gemeinen
Wesen in reinen Äecfesbegriffen typisiert, bedarf der Symbole, insbesondere
sprachlicher Metaphorik. Unter diesen Symbolen nehmen wiederum die bib-
lischen, .enthusiastischen' Metaphern (Reich Gottes, Gericht, Rechtfertigung)
für Kant den hervorragenden Rang ein. .Verheißung Gottes' ist dabei Meta-
phernmetapher: Sie charakterisiert die Metaphorik biblischer Rede insge-
samt.21 Die Pflicht zum Übergang ins ethische gemeine Wesen erinnert also
an eine in der biblischen Religion bereits existierende Kultur praktischer
Vernunft. Sie enthält die Anweisung zur Tradition, zur rationalen Kritik und
Lehre dieser ethischen und eschatologischen Metaphern. Das Gewissen wird
in der Religionsschrift unter der Idee eines sensus communis dargestellt, in
dessen exemplarischer Ausübung sich ein ethisches gemeines Wesen unter
einem göttlichen Richter, Regent und Gesetzgeber erhält und tradiert.
Daß die Religionsschrift gleichwohl weit davon entfernt ist, theologisch
eine befriedigende Lösung auf die Hoffnungsfrage darzustellen, weist auf das
grundlegende Problem in Kants Zeichen- und Sprachtheorie hin: Die metho-
dische Schwierigkeit der Hoffnung gründet im Konflikt zwischen der logi-
schen Formalität des kategorischen Imperativs, der in reinen Verstandesbegrif-
fen typisiert wird, und dem göttlichen Namen, der sich in Verheißungs-
zeichen und ihrer semantischen, syntaktischen und semiotischen Metaphorik
mitteilt.

3. Logischer Formalismus und Metaphorik des Namens. Kants Alternanz

Daß die Religionsschrift methodisch keine befriedigende Lösung der Hoff-


nungsfrage bietet, so deshalb, weil in ihr das Gewissen als eschatologischer
Urteilssinn weithin nach dem Maß der transzendentalen Ästhetik und Ana-
lytik der Ersten Kritik ausgelegt bleibt. Ausgerechnet das in der Ersten Kritik
neuentdeckte Land des reinen Verstandes - der Stützpunkt, von dem aus sich
Kant auf das Meer des Scheins wagen wollte, „um es nach allen Breiten zu
durchsuchen, und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu hoffen sei" (KrV, B

21
Die Metaphorologie und Begriffsgeschichte von .Verheißung' hat der Verf. dargestellt in:
Art. Verheißung, HWP, Bd. 11, [erscheint 2001].

30
295; 3,268) - hält den „herumschwärmenden Seefahrer" im Bannkreis von
„leeren Hoffnungen" (KrV, B 295; 3,267f).22

Obgleich wir die Frage nach dem Rechtsgrund synthetischer Urteile a priori als die
maßgebliche Frage kritisieren, bleibt selbstverständlich das Problem der Urteils-
theorie der Ersten Kritik bestehen! Die Analyse praktischer und vor allem ästheti-
scher Urteilskraft wird zwar die These bestätigen, daß es sich in den .Urteilen' dieser
.nichtgegenständlichen' Urteilstypen nicht um kategoriale, synthetische Urteile a
priori im Sinne der Ersten Kritik handeln kann. Das berechtigt einerseits dazu, sie
unabhängig von der dort entwickelten Urteilstheorie zu analysieren. Die kaum zu
unterschätzenden logischen und semantischen Probleme dieser Urteilstheorie, also
der transzendentalen Ästhetik und Logik, können nicht explizit Thema der folgen-
den Untersuchung sein.23 Sie müssen allerdings beständig im Blick bleiben, sofern
Kant mit der Kategorientafel der Ersten Kritik auch deren Urteilstheorie und den
Anschauungsbegriff der Ersten Kritik auf die anderen Urteilstypen übertrug. Explizit
zu nennen sind allerdings zwei zentrale Probleme der Satz- und Referenztheorie: Die
.Existenz'-Begriffe Kants und die praktische Zeitlehre in ihrer Spannung zur tran-
szendentalen Ästhetik der Ersten Kritik. Liier bleiben in der formalsemantischen
Satztheorie Probleme offen, die Kant zu präzisieren verhilft.

Allerdings ist auch das Gegenteil zu beobachten: Kants Frage nach Hoffnung
durchbricht den Bannkreis der transzendentalen Ästhetik und Logik. D a ß sie
den Abbruch der transzendentallogischen Urteilstheorie und ihres Begrün-
dungsanspruchs verlangt, auf der sie doch stets auch aufbaut, gibt Kants Frage
nach Hoffnung ihre eigenartige Alternanz. Kants Alternanz zeigt sich im Ar-
gumentationsbruch, in der Rücknahme gültiger Kategorialität und als ,mate-
riale Gewissenhaftigkeit' oder .Behutsamkeit' im Bezeichnen (Theodizee, A
219; 9,120). Daß sich reines Denken Schönem oder auch Verheißenem über-
läßt (nicht: überlassen kann), um mehr zu denken, eben dies nennt E. Levi-
nas seine Alternanz: „Die Philosophie kann, ohne diese .Gründe (raisons), die
die Vernunft (raison) nicht kennt', dem Herzen zuzuschreiben, ... solche
Gründe hinter den ontologischen Formen, welche ihr die Reflexion of-
fenbart, verstehen. Der Sinn, den die Philosophie mit Hilfe dieser Formen
sehen läßt, macht sich von den theoretischen Formen, die ihn sehen lassen,
frei und kommt so zur Sprache, als ob diese Formen sich gerade nicht in dem

22
So sei, in Umkehrung der berühmten Passage KrV, B 294f; 3,267f, pointiert.
2!
Die Orientierung der transzendentalen Logik an der Prädikations- und Satztheorie der
traditionellen Logik, die transzendentale Bedeutungstheorie, die Problematik der Kate-
gorientafel, z.B. das Problem der Negation, des unendlichen Urteils, oder der Modalkatego-
rien, die Vorstellungstheorie von Erkenntnis, ihr Wahrheitsbegriff sind logische und semanti-
sche Probleme der transzendentalen Logik, die präsent sind, ohne im ersten Hauptteil
explizit thematisiert zu werden. Die triftige logisch-semantische Kritik an Kants transzenden-
taler Logik wird vorausgesetzt. Sie ist Grundlage der Fragen im zweiten Hauptteil und wird
dort explizit thematisiert. Dazu exemplarisch: E. Tugendhat, Vorlesungen, 80-89; W.
Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik; W. Härle, Systematische Philosophie, 60-187.

31
festsetzten, was sie sehen lassen und zur Sprache bringen. In einer un-
vermeidlichen Alternanz kommt und geht das Denken zwischen diesen
beiden Möglichkeiten."24
Es waren und sind nicht zuletzt jüdische Interpreten, die Kants Texte als
Dokument des Prozesses lesen, „in dem das Denken der Gottesidee bei ihrem
Denker verläuft, des Prozesses nämlich zwischen dem Element ,Idee' in der
Gottesidee und dem Element ,Gott' in ihr"25. Zeigt sich dieser Prozeß zwi-
schen der logischen Idee des erhabenen, bildlosen Einzigen und ,dem Namen'
(wie genauer zu sagen ist) in der Alternanz der Kant'schen Texte an?
Die Gegenprobe auf diese Vermutung bildet Hegels klarsichtige und blinde
Kritik der Kant'schen Verstandesreligion als .judaisierend': Wie die Religion
Kants, so sei die Religion des Einen „Verstandesreligion, insofern dieser Eine
als Zweck sich gegen alle Realität erhält, und die jüdische Religion ist deshalb
die Religion des hartnäckigsten, totesten Verstandes. Dieser Zweck, als Ver-
herrlichung des Namens Gottes, ist formell, nicht an und für sich bestimmt,
nur abstrakte Manifestation"26.
Hoffnung des göttlichen Namens wäre im System der Vermögen der reinen
Vernunft schlechterdings ortlos.27 Kant setzt das Geheimnis der Religion als
Grenze ein, jenseits deren bloße Vernunft nicht ausweisbar zu reden vermag.
So aporetisch dies bleibt, so unübersehbar ist dies Geheimnis Platzhalter.
Doch wessen? Das ist die Frage.

4. Aufbau der Untersuchung

Die Untersuchung setzt ein mit der Hoffnungsfrage und dem methodischen
Programm einer a priori urteilenden praktischen Vernunft in der Ersten
Kritik. Von diesem Programm führt kein gerader Weg zur .Verheißung' der
rationalen Hoffnung. Das Fehlen eines adäquaten Begriffs von praktischer

24
E. Levinas, Gott, 270f (mit Zitat aus B. Pascal, Pensees et Opuscules, Paris 1953, Frag-
ment 277). J. Simon, Schönheit, 252, statuiert, daß die „gnoseologisch-ästhetische Differenz"
im System des Kantischen Denkens gegenüber der Differenz von Phainomena und Noumena
den Primat habe.
25
M. Buber, Gottesfinsternis, 548f, über Kants Opus posthumum (vgl. ebd., 515).
26
G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion 2, 159. Hegels frühe
.Entwürfe über Religion und Liebe' (1797/98), die sich mit Kants Idee des Erhabenen
auseinandersetzen und in dem Vorwurf gipfeln, daß Kants Philosophie positive Religion
bleibe, bilden die Grundlage dieses Urteils. Vgl. dazu: KU, B 124f; 8,365 mit G.W.F. Hegel,
.Entwürfe über Religion und Liebe', v.a. 243f. 254.
27
Dies bemerkt Franz Rosenzweig hellsichtig (Zweistromland, 68): „Ist etwa Kants Religi-
on innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft doch der Schlüssel zu den Kritiken (gerade
weil sie kein Stück des kritischen Systems ist)? Das wäre höchst merkwürdig als historische
Einleitung des Idealismus, wo nachher die Religion durchaus im System vorkommt, beim
Anfang aber nur Voraussetzung, nicht Systemteil wäre. (Genau weiterzudenken!)".

32
Freiheit und von eschatologischer Urteilskraft führen die Hoffnungfrage in
die Irre der Geschichtstheologie und politischen Theologie. Kants frühe Rede
von der Verheißung des Gesetzes ist deren Symptom (§ 2).
Diese ursprüngliche Frage und ihre Dialektik wird (§ 3) mit den Spätschrif-
ten konfrontiert, zunächst unter Auslassung der gesamten dazwischen liegen-
den Arbeit der Kritik. Die späte Religionsschrift setzt das Scheitern der Po-
stulatentheologie der Zweiten Kritik und die Einsicht in die genuine Dialek-
tik praktischer Vernunft voraus. Die Religionsschrift fingiert die Möglichkeit
des Kriegszustands absoluter Selbstrichterschaft, die innere Selbstzerstörung
ethischer Praxis. Das radikal Böse ist auf die Möglichkeit innerer Lüge des
Gewissens hin zu lesen, seine radikale Privatheit und Unverantwortlichkeit.
Weder darf das Zeitmaß des Gewissens Maß letztgültiger Gerechtigkeit sein
noch kann es die Ewigkeit göttlichen Gerichts reflektieren; weder darf es
humanes Dasein letztgültig rechtfertigen noch verwerfen; weder darf es
andere hassen noch kann es sie als andere anerkennen. Diese Dialektik des
Gewissens läßt Kant nach existierenden Kulturen des Gewissens fragen, nach
dem inkommensurablen Augenblick mitgeteilter Gerechtigkeit Gottes; nach
gegebenen (Sprach)Zeichen ethischer Verständigung als Teilgrammatik der
Vernunft; nach humaner Liebe; mithin nach dem wahren ,Ende aller Dinge'
in Gott.
Von dieser verborgenen eigentlichen Theologie Kants in den Spätschriften
fragt die Untersuchung zurück zur Theorie der Urteilskraft als Grundlegung
rationaler Hoffnung (§§ 4 und 5). Die Kritik der Urteilskraft zeigt das Miß-
lingen einer Theorie der Urteilskraft als eines einheitlichen und grundlegen-
den Vermögens (§ 4). Freizulegen ist stattdessen ästhetische Urteilskraft als
ein endlicher, nicht-apriorischer, rezeptiver Urteilssinn. Die Hypothese, daß
die Aporie der Freiheitsfrage nicht der Determinismus, sondern die absolut
anfangende göttliche Freiheit ist, wird im selben Zusammenhang an der Got-
tesbeweiskritik der Ersten und Dritten Kritik erhärtet und als Stachel tran-
szendentaler (nicht: transzendental-logischer) Theologie erwiesen. Die semioti-
sche Aporie reiner Urteilskraft spitzt der folgende Paragraph (§ 5) anhand der
Kritik praktischer Urteilskraft aus der Zweiten Kritik zu. Diese exponiert
den kategorischen Imperativ als Faktum der Vernunft und soll eben darin zur
endlichen Verstandesweisheit hinführen. Dies begründet den Konflikt rein
rationaler Typik und biblischer Metaphorik.
Dieser Konflikt und seine Aporie, in welcher die Alternanz der Urteilskraft
gründet, wird auf Kants negative Theologie hin zugespitzt, deren grundlegen-
der Akt die Elimination des göttlichen Namens ist (§ 6). Den Abschluß bildet
eine Analyse der Religionsschrift als rationaler Mystagogie, durch die sich das
Gewissen das Geheimnis humaner und göttlicher Freiheit fühlbar zu machen
sucht (§ 7). Das Geheimnis negativer Geschöpflichkeit und ihrer Zeichen soll
als Lebensform humaner, kreatürlicher, ikonischer Freiheit erlernt werden.
Wird so Hoffnung als Praxis guten Lebens fühlbar?

33
§ 2 Hoffnung - Ursprüngliche Frage und Dialektik

Die Hoffnungsfrage erhebt sich in der Ersten Kritik genau in jenem Moment,
in dem Kant sich über die Eigenart seiner transzendentalen Logik und Metho-
de als einer .praktischen Logik' und akroamatisch-diskursiven Methode (gegen-
über der formalen Logik und geometrisch-mathematischen Methode) Rechen-
schaft zu geben versucht (KrV, B 736; 4,609). Dies geschieht in der Tran-
szendentalen Methodenlehre.1 Drei Fragen sind von Interesse.
Was bedeutet es (1), daß Kant die Hoffnungsfrage im Kontext der Frage
nach praktischer Urteilskraft und ihrer Begründung stellt?
Der Kanonabschnitt begründet die Kardinalsätze des Daseins Gottes und
der Unsterblichkeit der Seele aus der Erfahrung moralischer Imperative. Er
operiert dazu mit einer noch vorkritischen, aber (gegenüber der Dritten Anti-
nomie) nicht mehr nur problematischen Idee praktischer Freiheit. Im frühen
religionsphilosophischen Programm kommt so der Primat der Hoffnung als
Zugang zur Religion und Theologie einerseits klarer zum Ausdruck als in der
nachfolgenden kritischen Moralphilosophie. Andererseits verändert sich mit
dem kritischen Verständnis praktischer Freiheit, wie es sich in der Grundlegung
zur Metaphysik der Sitten anbahnt und in der Kritik der praktischen Vernunft
formuliert ist, das frühe religionsphilosophische Programm völlig.
Inwiefern kann aber erst (2) mit dem kritischen Begriff praktischer Freiheit
angemessen nach Hoffnung gefragt werden?
Die Vernunftkritik bleibt nicht bei der Disziplin der mathematisch-dogma-
tischen Vernunft stehen. Es muß „doch irgendwo einen Quell von positiven
Erkenntnissen geben, welche ins Gebiete der reinen Vernunft gehören, und
die vielleicht nur durch Mißverstand zu Irrtümern Anlaß geben, in der Tat
aber das Ziel der Beeiferung der Vernunft ausmachen." (KrV, B 823f; 4,670)
Es sind „drei Kardinalsätze" (B 827; 4,673), denen das höchste positive Ver-
nunftinteresse gehört: „die Freiheit des Willens, die Unsterblichkeit der Seele,
und das Dasein Gottes" (KrV, B 826; 4,672). In diesen Kardinalsätzen sind
weder einfach die regulativen Ideen der transzendentalen Dialektik wieder
aufgenommen (vgl. v.a. KrV, B 566-595; 4,492-512) noch sind die späteren
Postulate der reinen praktischen Vernunft vorweggenommen (KpV, A 220-
255; 6,252-275). Kant führt diese Kardinalsätze als ^Verheißungen1 des Ge-
setzes ein.
Was heißt aber hier (3) .Verheißung'?

1
Dem Folgenden liegt deren Zweites Hauptstück zugrunde: Der Kanon der reinen Ver-
nunft, KrV, B 823-859; 4,670-695.

34
1. Hoffnungsfrage und Urteilskraft in der Ersten Kritik

In der religionsphilosophischen Skizze des Kanonabschnitts fragt Kant nach


jenem „moralischen Glauben" (KrV, B 856; 4,693), als dessen Platzhalter er
hernach die Vernunftkritik (vielzitiert) proklamierte (vgl. KrV, B XXX; 3,33).
Welchen Platz weist die Kritik dem Glauben an? Den Platz ,subjektiv gewisser'
Hoffnung einer .künftigen' Welt Gottes (vgl. KrV, B 856f; 4,693). Die Erlaub-
nis zur Hoffnung soll Inbegriff des Vernunftglaubens werden. Dieser Ver-
such, dem Vernunftglauben eine neue, eschatologische .Heimat' zuzuweisen,
antwortet auf Hamanns offenbarungs- und sprachtheologische Kritik der
Vernunftreligion. Im Bündnis mit Humes skeptischen .Dialogen über die
natürliche Religion' provoziert Hamann die kritische Frage nach dem ver-
nünftigen Glauben als Frage danach, was wir hoffen dürfen.2
Allerdings ist entscheidend, wie Kant zur Hoffnungsfrage ansetzt: als Frage
nach einem Kanon der reinen Vernunft. Mit der Erlaubnis zur Hoffnung wird
schon in der ersten Kritik implizit die Urteilskraft praktischer Vernunft zum
Thema, ist doch der .Kanon der Vernunft' ein geordnetes Gefüge (.System')
von Urteilsgrundsätzen eines richtigen, nämlich praktisch angeleiteten Ge-
brauchs reiner Vernunft. „Ich verstehe unter einem Kanon den Inbegriff der
Grundsätze a priori des richtigen Gebrauchs gewisser Erkenntnisvermögen
überhaupt" (KrV, B 824; 4,671) - gewisser Erkenntnisvermögen, d.h. jetzt:
der reinen praktischen Vernunft. Anders als die theoretische Vernunft kennt
die praktische Vernunft einen legitimen reinen Gebrauch, der nicht in die
Vernunftdialektik führt:3 „Folglich, wenn es überall einen richtigen Gebrauch
der reinen Vernunft gibt, in welchem Fall es auch einen Kanon derselben ge-
ben muß, so wird dieser nicht den spekulativen, sondern den. praktischen Ver-
nunftgebrauch betreffen, den wir also jetzt untersuchen wollen." (KrV, B 824f;
4,671) Ja, erst die Frage nach dem Kanon reiner praktischer Vernunft voll-
endet das Programm, das der Ersten Kritik zugrundeliegt, die Absicht einer
„Kritik der a priori urteilenden Vernunft", und zwar „durch die kritische Un-
tersuchung des .Transzendentalen' am praktischen Begriffsgebrauch"4.
Die Methodenlehre enthält allerdings noch nicht das ausgeführte Gefüge der
Urteilsgrundsätze reiner, praktischer Vernunft. Dieses findet sich erst in der
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ausgehend von der Analyse der
gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis formuliert Kant dort bekanntlich -

2
Zu dieser Vorgeschichte des Abschnitts: Vom Meinen, Wissen und Glauben (KrV, B
848-859; 4,687-695, entstanden Juli/August 1780): Ph. Merlan, Hamann, 285-289; O. Bayer,
Zeitgenosse, 28.33.
J
Zum Kanon allgemein-formaler und transzendentaler Logik, deren letzterer auf Verstand
und bestimmende Urteilskraft eingeschränkt ist, während reine theoretische Vernunft gar
keinen Kanon objektiv-gültigen apriorischen Gebrauchs kennt, sondern ganz und gar
dialektisch ist: KrV, B 170f; 3,183f, KrV, B 193f; 3,198f; H. Heimsoeth, Dialektik, 744f.
' M. Riedel, Urteilskraft, 89 (Kursive HA).

35
zunächst im Übergang zur populären sittlichen Weltweisheit und von da aus
im Übergang zur Metaphysik der Sitten - einen einzigen kategorischen
Imperativ: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen
kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde." (GMS, BA 52; 6,51) Diesen
obersten Urteilsgrundsatz entfaltet die Grundlegungsschrift analytisch zum
Gefüge der Formeln des kategorischen Imperativs, also zu einem System von
Urteilsgrundsätzen reiner praktischer Vernunft. Demgegenüber erreicht jener
kategorische Imperativ, den Kant am Ende der Ersten Kritik formuliert: „Tue
das, wodurch du würdig wirst, glücklich zu sein" (KrV, B 836f; 4,679), das
kritische Niveau der Grundlegungsschrift bei weitem nicht.
Wegweisend für das Verständnis des kategorischen Imperativs ist die Metho-
denlehre allerdings in einer Hinsicht: Sie stellt klar, daß dieser Grundsatz
reiner praktischer Vernunft akroamatisch-diskursiven Charakter hat. Er er-
möglicht keine letztbegründete Erkenntnis, er läßt sich nicht axiomatisch-de-
monstrativ, sondern nur philosophisch, .durch lauter Worte' beweisen.
Praktische Grundsätze erfordern - anders als die axiomatisch-intuitiven
Grundsätze, die als erste, .klare und deutliche' Prinzipien einen deduktiven
Letztbegründungszusammenhang eröffnen und zur mathematisch-demon-
strativen Gewißheit führen - eine diskursive Exposition jener Erfah-
rungsdimension, die sie allererst ermöglichen. Diese diskursive Exposition er-
möglicht und zielt auf eine vernünftige Einigung von .philosophischer Ge-
wißheit'.5

„Man kann sagen - und das legt Kants wiederholter Vergleich der transzendentalen
Logik mit einer universalen Grammatik des Denkens nahe -, daß in der Urteils-
fällung auf den Kanon hinzuhören ist. Die Grundstellung des Kanons ergibt sich aus
dem der Transzendentalphilosophie Eigentümlichen, - daß sie .außer der Regel (oder
vielmehr der allgemeinen Bedingung zu Regeln), die in dem reinen Begriffe des
Verstandes gegeben sind, zugleich a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie
angewandt werden soll.' Regeln lassen sich nur insofern denken, als man ihre
Anwendbarkeit mitdenkt. Man muß sich a priori ihres Sachgehaltes und des Ein-
zelfalles vergewissern, in dem er sich allererst entfaltet. Dazu muß man darauf
hören, was der Kanon der Vernunft in ihren höchsten Grundsätzen ... ausspricht."6

Die Urteilsgrundsätze reiner Vernunft, auch die Grundsätze bestimmender


Urteilskraft als Prinzipien mathematischer Naturwissenschaften, sollen als
akroamatisch-diskursive Urteilsregeln gebraucht werden - dazu weist zu-

5
Vgl. Logik Jäsche § 35, A 172f; 5,542: „Grundsätze sind entweder intuitive oder diskursi-
ve. - Die erstem können in der Anschauung dargestellt werden und heißen Axiome (axioma-
ta); die letzern lassen sich nur durch Begriffe ausdrücken und können Akroame (acroamata)
genannt werden." Zur entsprechenden Unterscheidung eines demonstrativ-symbolischen vom
diskursiv-sprachlichen Beweis, KrV, B 762f; 4,627f; zur Eigenart philosophischer Definitio-
nen, KrV, B 754-758; 4,622-625.
6
M. Riedel, Urteilskraft, 43.

36
mindest ihr oberster, praktischer Grundsatz an, das Akroam des kategori-
schen Imperativs! Verdeutlichen wir uns den Anspruch, der damit erhoben
ist: Der kategorische Imperativ als oberste Regel aller Grundsätze und zu-
gleich als Akroam kommt dadurch zustande, „daß sich die reine Vernunft
dieses schlechthin gegebenen, gebietenden Gesetzes bedingungslos annimmt,
als hätte sie es selbst gegeben"7. Reine praktische Vernunft ist - scheinbar
paradox - „das eigentümlich spontane, insofern .gesetzgebende' Vermögen der
praktischen Rezeptivität."* Als oberster Urteilsgrundsatz verlangt der Impera-
tiv zwar die Abstraktion von der Besonderheit menschlicher, ja kreatürlicher
Vernunft überhaupt: „In der metaphysic der Sitten müssen wir von allen
Menschlichen Eigenschaften, der Anwendung und ihren hindernissen in
concreto abstrahiren und suchen nur den canon, welches eine reine und
allgemeingültige idee ist."9 Gleichwohl soll dieser Kanon kein Axiom, son-
dern ein Akroam sein: Durch das Vermögen praktischer Vernunft ist der
Mensch reines und rezeptives Vernunftwesen zugleich. Dieser Anspruch weist
voraus auf die rätselhafte Charakterisierung des vernommenen Imperativs als
,Faktum der Vernunft' und auf die genuine praktische Faktizität der Freiheit.
Zugleich soll dieser Imperativ oberste Urteilsregel aller anderen Urteils-
grundsätze sein. Bekanntlich bestimmen nun diese Grundsätze gerade auf-
grund ihrer Apriorität die menschliche Vernunft als endlich, sinnlich, an-
schauungsbedürftig und diskursiv. Und es wird sich zeigen, daß gerade der
kategorische Imperativ zu negativer Kreatürlichkeit anweist. Er ist die selbst
rein vernünftige Anweisung zum menschlichen Vernunftgebrauch.
Dieses Problem spitzt sich in der Frage einer praktischen Metaphysik zu:
Worauf wir hoffen dürfen, soll durch menschliches, diskursives Denken auf
Grund des reinen Imperativs exponiert werden. Deshalb bedarf insbesondere
dieses menschliche Denken und .Verheißungen', so daß „wir es in einem Ka-
non der reinen Vernunft nur mit zwei Fragen zu tun [haben], die das prakti-
sche Interesse der reinen Vernunft angehen, und in Ansehung deren ein Ka-
non ihres Gebrauchs möglich sein muß, nämlich: ist ein Gott? ist ein künfti-
ges Leben?"10
In der Transzendentalen Methodenlehre sind die genannten beiden Fragen
identisch mit der Frage nach Hoffnung. Und wir verstehen jetzt, warum das
Denken, das sich dieser Fragen und also der Hoffnungsfrage annimmt, „prak-
tisch und theoretisch zugleich" (KrV, B 833; 4,677) sein soll.

7
G. Krüger, Maßstab, 250.
1
G. Krüger, Maßstab, 250.
9
Reflexion 6822, AA 19, 172 (zwischen 1776 und 1778). Die Grundlegungsschrift wird
nicht nur von unumgänglich sinnlichen und materialen Zweckbestimmungen moralischer
Handlungen abstrahieren, sondern von allen spezifisch menschlichen Bedingungen und
Einschränkungen: GMS, BA 35; 6,40. Die Formeln des kategorischen Imperativs gelten für
alle vernünftigen Wesen, seien sie nun Menschen oder außerirdische Wesen (nicht: Engel).
10
KrV, B 831; 4,676; die Fortsetzung bestätigt an dieser Stelle nur den vorkritischen Begriff
von praktischer Freiheit, die „durch Erfahrung" (KrV, B 831; 4,675) erkannt wird.

37
„Hoffen ist ein Verhalten des Menschen als solchen, sofern er zugleich bloß vernünf-
tiges Wesen ist. Was ich wissen kann, das sagt mir die reine Vernunft im Hinblick
auf das, was ich tun soll, indem ich selbst bei dieser Kritik etwas hoffen darf... Die
methodische Schwierigkeit dieser wahren Metaphysik besteht in der Einheit des
theoretischen und praktischen Verhaltens ... Soll diese Erkenntnis als wahre und
grundlegende Erkenntnis geübt und verstanden werden, dann müßte sie im Hinblick
auf den moralischen Maßstab aller Erkenntnis, in der konkreten Einheit des Hoffens
begriffen werden. Sie müßte sich, als eine theologisch denkende Welterfahrung des
moralisch handelnden Menschen, in ursprünglicher Einheitlichkeit verstehen."11

Die Frage nach einem Kanon reiner praktischer Urteilskraft fragt nach der
Hoffnung als genuiner Weltorientierung endlicher praktischer Freiheit. Daran
ist Kants Programm zu messen.

2. Der geschichtstheologische Fehlschluß

Kant analysiert im Kanonabschnitt der Ersten Kritik noch nicht das Gefüge
der moralischen Imperative. Er fragt aber nach ihrem Inbegriff: „... dieser
Inbegriff ist keineswegs identisch mit einem Kanon für den praktischen
Vernunftgebrauch, als .Inbegriff der Grundsätze a priori des richtigen Ge-
brauchs', wenn darunter ein System von Grundsätzen verstanden wird. Er ist
vielmehr das Reflexionsmodell für die Erstellung eines solchen Kanons." 12
Reflexionsmodell des Gefüges moralischer Imperative wird in der Methoden-
lehre das .Ideal des höchsten G u t s ' , die Idee einer gemeinsamen, wechselwirk-
samen, intelligiblen (also nicht nur menschlichen) Welt „als einem Bestim-
mungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft" (KrV, B 832; 4,676).
Diese Idee individuiert sich im Ideal Gottes, der Glückseligkeit in der Welt in
Proportion zur Sittlichkeit als Würdigkeit glücklich zu sein, austeilt. Es ist
entscheidend, das Begründungsverhältnis zwischen dieser Weltidee und ihrem
Gottesideal präzise festzuhalten: die Gültigkeit des theologischen Ideals wie
des Sittengesetzes erfährt „ihre eigentliche Fundierung aus der Idee einer
gemeinsamen Welt und gemeinschaftlicher Beziehung ..., gedacht als ein
Reich der Zwecke, in dem unsere Existenz n u r einen Teil des Ganzen aus-
macht." 1 3
Inwiefern soll sich diese Idee einer gemeinsamen Welt von den kosmologi-
schen Weltideen theoretischer Vernunft unterscheiden? Offenbar darin, daß sie
jetzt am Leitfaden der praktischen Freiheit gewonnen wird und zur Hoffnungs-
welt führt, in der ,Gott alles in allem' sei. Sehen wir näher zu: Wie fragt Kant
nach Hoffnung?

11
G. Krüger, Maßstab, 251.
12
I. Heidemann, Ideal, 287 (Kursive HA).
13
I. Heidemann, Ideal, 246, vgl. 280.

38
„Die dritte Frage, nämlich: wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdenn
hoffen? ist praktisch und theoretisch zugleich, so, daß das Praktische nur als ein
Leitfaden zu Beantwortung der theoretischen, und, wenn diese hoch geht, spekulati-
ven Frage führet. Denn alles Hoffen geht auf Glückseligkeit, und ist in Absicht auf
das Praktische und das Sittengesetz eben dasselbe, was das Wissen und das Naturge-
setz in Ansehung der theoretischen Erkenntnis der Dinge ist. Jenes läuft zuletzt auf
den Schluß hinaus, daß etwas sei (was den letzten möglichen Zweck bestimmt), weil
etwas geschehen soll; dieses, daß etwas sei (was als oberste Ursache wirkt), weil etwas
geschieht." (KrV, B 833f; 4,677)

Die Frage nach Hoffnung wird zur Frage nach Glückseligkeit als letztem
möglichen Handlungs- und Weltzweck; diese Frage nach Glückseligkeit aber
zielt auf den Übergang vom praktischen Sollen zum theoretischen, ja spekula-
tiven Wissen. Die Hoffnungsfrage in dieser frühen Form bleibt spekulativ-theo-
retisch. Am rettenden Leitfaden der praktischen Vernunft soll die Hoffnung
eben dorthin tasten, wohin die spekulativ-theoretische Frage, „wenn diese
hoch geht" (KrV, B 833; 4,677), zielt: auf jenen „hohen Punkt ... nämlich den
Begriff eines einigen Urwesens, als des höchsten Guts" (KrV, B 846; 4,686).
Daß Kant zum Problem praktischer Urteilskraft und genuiner Hoffnungser-
kenntnis noch gar nicht durchdringt, gründet, wie lange schon bemerkt, im
Verständnis von praktischer Freiheit, das im Kanon-Abschnitt noch vorausge-
setzt ist. Es ist vom bloß problematischen Begriff reiner, transzendentaler
Freiheit (als einer Kausalität aus Freiheit), der am Ende der kosmologischen
Antinomien stand,14 merkwürdig unterschieden: „Die praktische Freiheit
kann durch Erfahrung bewiesen werden" (KrV, B 830; 4,675; Kursive HA).
Gemeint ist die psychologische Konflikterfahrung jener praktischen Willkür,
die - in die Entscheidung zwischen Forderungen aus reiner Vernunft und
einer Vielfalt sinnlich-empirischer Zwecke und ihrer spontanen Anreize
gestellt - sich aus vernünftiger Erwägung für Forderungen der Vernunft und
gegen die unmittelbaren Neigungen und Bedürfnisse entscheiden kann, also
für Zwecke, die erst „auf entferntere Art nützlich oder schädlich" (ebd.) sind.
Der erfahrbare Konflikt der Willkürfreiheit beweist (oder erläutert?) die
praktische, objektive Gesetze der Freiheit verordnende Vernunft. „Es gibt
einen praktischen Gebrauch der reinen Vernunft, nämlich eine Kausalität der
Vernunft. Er ist uns als empirisches Faktum im freien Willen gegeben ... Die
transzendentale Freiheit spielt keine Rolle im Bereich der Moralität, welche
nur den freien Willen betrifft."15
Vom vorausgesetzten Freiheitsbegriff her folgerichtig ist der moralische Im-
perativ: „Tue das, wodurch du würdig wirst, glücklich zu sein." (KrV, B 836f;

Der Kanon praktischer Vernunft setzt die, zumindest problematische, Möglichkeit eines
intelligiblen, freien Charakters voraus. Die problematische Möglichkeit dieser Selbstbeur-
teilung - Kernstück des transzendentalen Idealismus - führt Kant bekanntlich in der Auflö-
sung der Dritten Kosmologischen Antinomie ein, vgl. KrV, B 560-587; 4,488-506.
15
M. Gueroult, Kanon, 436.

39
4,679) Die Abgrenzung der moralischen von den pragmatischen Gesetzen
wird noch nicht durch das ,rein formale' Kriterium der Gesetzmäßigkeit der
Willensmaxime, sondern durch die Apriorität des Willenszwecks gewonnen, zu
dem deshalb unbedingt verpflichtet werden kann (vgl. KrV, B 828; 4,673f).
Wenn Glückseligkeit der letzte empirische Zweck der Willkür ist, die sich in
entsprechenden Klugheitsregeln steuert, so erweist sich eben das Sittengesetz
darin, daß es alle pragmatischen Gesetze unter die unbedingte, apriorische
Bedingung der Würdigkeit, glücklich zu sein, stellt.
Es fällt leicht, diesen kategorischen Imperativ als zirkuläre moralische
Handlungsregel zu kritisieren. 16 Doch damit wird die Pointe des Gedankens
verfehlt: Dieser kategorische Imperativ zielt nicht auf die Ableitung kon-
kreter, situativer Handlungsnormen, sondern auf das Selbst- und Weltver-
ständnis des Subjekts und auf seine praktische Selbstbeurteilung. Er zielt
nicht auf die Frage der Befolgung von Gesetzen nach Maximen, sondern auf
die Beurteilung der Sittlichkeit. „Die Beurteilung der Sittlichkeit, ihrer Reinig-
keit und Folgen nach, geschieht nach Ideen, die Befolgung ihrer Gesetze nach
Maximen." (KrV, B 840; 4,482) Zwar hat sich der kategorische Imperativ zu
moralischen Gesetzen u n d zu Handlungsmaximen zu entfalten. Doch verfolgt
Kant nicht diesen Gedanken weiter. Es geht ihm vielmehr u m die Beurteilung
der Sittlichkeit ihrer Reinheit u n d ihren Folgen nach: Inwiefern können die
in der konflikthaften Zweckbeurteilung als frei erfahrenen Handlungen einem
freien Subjekt zugerechnet werden, von dem offen bleiben kann, ob es sich
(unter dem Schema eines empirischen Charakters) als intelligibler, freier Cha-
rakter erkennen kann? 1 7 Diese Frage nach der Erfahrungsdimension der
praktisch freien Handlungen führt auf den Ansatz z u m Verständnis von
.Geschichte':

„Die reine Vernunft enthält also ... in einem gewissen praktischen ... moralischen
Gebrauche, Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung, nämlich solcher Handlungen,
die den sittlichen Vorschriften gemäß in der Geschichte des Menschen anzutreffen
sein könnten. Denn, da sie gebietet, daß solche geschehen sollen, so müssen sie auch
geschehen können, und es muß also eine besondere Art von systematischer Einheit,
nämlich die moralische, möglich sein, indessen daß die systematische Natureinheit
nach spekulativen Prinzipien der Vernunft nicht bewiesen werden konnte, weil die
Vernunft zwar in Ansehung der Freiheit überhaupt, aber nicht in Ansehung der
gesamten Natur Kausalität hat, und moralische Vernunftprinzipien zwar freie
Handlungen, aber nicht Naturgesetze hervorbringen können. Demnach haben die
Prinzipien der reinen Vernunft, in ihrem praktischen ... Gebrauche, objektive Reali-
tät." (KrV, B 835f; 4,678f)

Der moralische Imperativ als Grundsatz praktischer Vernunft konstituiert die


Erfahrungsdimension .Geschichte', aus der er seine objektive Realität in

16
G. B. Sala, Gott, 373 Anm. 5.
17
Vgl. KrV, B 831; 4,675.

40
freien Handlungen beweist. Der moralische Imperativ und damit .Geschichte'
sind an dieser Stelle allerdings ganz nach Analogie der Grundsätze reiner theore-
tischer Vernunft verstanden: „Nun enthält die ganze reine Vernunft in ihrem
bloß spekulativen Gebrauche nicht ein einziges direktsynthetisches Urteil aus
Begriffen" (Dogmata). Sie enthält Grundsätze. Ein Grundsatz „heißt aber
Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich bewiesen werden muß, darum,
weil er die besondere Eigenschaft hat, daß er seinen Beweisgrund, nämlich
Erfahrung, selbst zuerst möglich macht, und bei diesem immer vorausgesetzt
werden muß" (KrV, B 765; 4,630).18 Nur weil und solange dieses Verständnis
vom Imperativ als Grundsatz vorliegt, kann praktische Freiheit aus (.ge-
schichtlicher') Erfahrung bewiesen werden.
Nicht von ungefähr wird .Geschichte' als eine besondere Art von systema-
tischer Einheit, als System freier Handlungen, aus der Analogie zur Idee einer
systematischen Natureinheit erläutert. .Geschichte' steht für die Idee einer
moralischen Welt, die Idee einer Totalität, die freilich - anders als die kon-
stitutive Idee der systematischen Natureinheit - nicht mehr antinomisch sein
soll. Aber kann die Idee einer in Sollenserfahrungen konstituierten Menschen-
geschichte, einer gemeinsamen, intelligiblen moralischen Welt19, wirklich zum
Reflexionsmodell für den Kanon reiner praktischer Vernunft werden? Leisten
die daran anschließenden, späteren Unterscheidungen einer nach Rechtsfort-
schritten unter der Idee ewigen Friedens zu beurteilenden .allgemeinen Ge-
schichte in weltbürgerlicher Absicht' und einer antagonistischen, aber durch
die Idee eines wachsenden .Reiches Gottes' zu beurteilenden Tugendgeschich-
te wirklich jene praktische Orientierung, die eine kritische Hoffnung genannt
zu werden verdient?
Die hier eingeführte Idee von Geschichte bleibt nicht nur klärungsbedürftig; sie
ist, so die These, Grund einer genuinen Dialektik praktischer Vernunft: Der Ge-
schichtstheologie als Grundform politischer Theologie.
Dies ist bereits in der Ersten Kritik grundgelegt: Ihr moralischer Imperativ
soll dazu anweisen, sich selbst als Bürger einer idealen moralischen, wie auch
immer .geschichtlichen' Welt inmitten der sinnlichen, naturgesetzlich be-
stimmten Welt zu beurteilen. Sogar die Reinheit der Sittlichkeit beurteilt sich
nach dieser Idee einer Welt, welche - abstrahiert „von allen Bedingungen
(Zwecken) und selbst von allen Hindernissen der Moralität in derselben
(Schwäche oder Unlauterkeit der menschlichen Natur)" 20 - den sittlichen Ge-
setzen gemäß ist, einer Welt also, wie sie sein soll. „Die Idee einer mora-
lischen Welt hat daher objektive Realität, nicht als wenn sie auf einen Gegen-
stand einer intelligibelen Anschauung ginge ..., sondern auf die Sinnenwelt,

Erst in der Zweiten Kritik wird klar, inwiefern der kategorische Imperativ das einzige
Dogma der kritisch-praktischen Vernunft ist.
" Vgl. M. Gueroult, Kanon, 438f.
20
KrV, B 836; 4,679. In der Religionsschrift wird der Schwäche und Unlauterkeit noch die
Bösartigkeit hinzugefügt werden.

41
aber als einen Gegenstand der reinen Vernunft in ihrem praktischen Gebrau-
che, und ein corpus mysticum der vernünftigen Wesen in ihr, so fern deren
freie Willkür unter moralischen Gesetzen sowohl mit sich selbst, als mit jedes
anderen Freiheit durchgängige systematische Einheit an sich hat."21
Diese Idee eines corpus mysticum impliziert ein „System der sich seiht loh-
nenden Moralität" (KrV, B 837; 4,680, Kursive HA). In dieser Welt genügt in
der Tat der Imperativ: Tue das, wodurch du würdig wirst, glücklich zu sein.
Doch zwei Grundprobleme lassen Kant davor zurückschrecken. Sie nötigen
dazu, eigens nach Hoffnung zu fragen. Zunächst: Was begründet die Hoff-
nung auf eine notwendige Verknüpfung von Sittlichkeit, als Glückswürdig-
keit, und Glückseligkeit? Darf sich das freie Geschichtswesen und das bedürfti-
ge Naturwesen in proportionierter Harmonie verstehen? Sodann: Was begrün-
det die intersubjektive Kompossibilität moralischer und nicht-moralischer Frei-
heitsakte} Sind die nicht nur durch das Freiheitsgesetz, sondern stets auch
durch Bedürfnisinteressen bestimmten, mit sich und untereinander im Kampf
liegenden Geschichtswesen überhaupt moralisch überlebensfähig?
Damit stellt sich die Hoffnungsfrage. Doch achten wir darauf, wie Kant sie
an dieser Stelle formuliert: „wie, wenn ich mich nun so verhalte, daß ich der
Glückseligkeit nicht unwürdig sei, darf ich auch hoffen, ihrer dadurch teilhaf-
tig werden zu können? Es kommt bei der Beantwortung derselben darauf an,
ob die Prinzipien der reinen Vernunft, welche a priori das Gesetz vorschrei-
ben, auch diese Hoffnung notwendigerweise damit verknüpfen." (KrV, B 837;
4,679f, Kursive HA). Ein notwendiger Schluß theoretischer Vernunft soll von
der Nicht-Unwürdigkeit zur Hoffnung auf Glückseligkeit führen! Die Not-
wendigkeit der Hoffnung ist durch Vernunft „in ihrem theoretischen
Gebrauch" (ebd.) begründet. Dies nennen wir Kants geschichtstheologischen
Fehlschluß.

3. .Verheißung' als Kategorie politischer Theologie

Daß die Ideen Gottes22 und der .künftigen' Welt23, vermittelt über die Idee
des corpus mysticum, als .Verheißungen' notwendigerweise mit dem mora-
lischen Gesetz verknüpft sind - darauf spitzt sich hier die Hoffnungsfrage zu.

21
KrV, B 836; 4,679. H. Heimsoeth, Dialektik, 761 Anm. 186 führt die Idee des corpus
mysticum auf Kants Platon-Rezeption zurück; R. Wimmer, Kritische Religionsphilosophie,
59, auf Augustins Interpretation des Leibes Christi. Diese letzte Behauptung bleibt unerfind-
lich.
22
,Gott' gilt als Ideal des höchsten ursprünglichen Gutes, d.h. als „Idee einer solchen In-
telligenz, in welcher der moralisch vollkommenste Wille, mit der höchsten Seligkeit verbun-
den, die Ursache aller Glückseligkeit in der Welt ist, so fern sie mit der Sittlichkeit ... in
genauem Verhältnis steht", KrV, B 838; 4,681.
23
Auch die Rede von einer künftigen Welt ist wohl platonisierend zu verstehen: Nicht
eine zukünftige oder verheißene Welt, sondern eine intelligible Welt, in der wir immer sind,
ohne sie anschauen zu können, sei gemeint: H. Heimsoeth, Dialektik, 765.

42
Mit dem latent theoretischen Schluß v o m Gesetz auf die Verheißung bleibt
jedoch der Anspruch der Hoffnung auf genuine, praktische Orientierung, die
sich in .Verheißungen', also in genuinen Hoffnungssätzen, formuliert, weit
unterschritten. Die Unklarheit über den Status des moralischen Imperativs und
der praktischen Freiheit, das latent spekulative Reflexionsmodell des höchsten
Gutes und die fehlende Reflexion auf eine wahrhaft praktische Urteilskraft führen
dazu, daß Hoffnung als genuine Erkenntnis gar nicht in den Blick kommt. Die-
ses Problem kristallisiert sich in der Unsicherheit, mit der Kant den Begrün-
dungszusammenhang von ,Gesetz' und .Verheißung' expliziert. Hier, im
synthetischen Schluß, der Imperativ und Hoffnung verknüpft, müßte sich ja
das Hoffen als genuines Vermögen bewähren. Vier bezeichnende Stellen seien
angeführt. Die erste Stelle repräsentiert den Stand vor der Ersten Kritik:

(1) „Die Moral führt also natürliche Verheißungen mit sich, denn sonst könnte sie
uns nicht verbinden."24
(2) „Ganz anders ist es mit dem moralischen Glauben ... Da ... die sittliche Vor-
schrift zugleich meine Maxime ist (wie denn die Vernunft gebietet, daß sie es sein
soll), so werde ich unausbleiblich ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben glau-
ben, und bin sicher, daß diesen Glauben nichts wankend machen könne, weil da-
durch meine sittliche Grundsätze selbst umgestürzt werden würden, denen ich nicht
entsagen kann, ohne in meinen eigenen Augen verabscheuungswürdig zu sein."25
(3) „Ohne also einen Gott, und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte
Welt, sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und
der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung ... Selbst
die von aller Privatabsicht freie Vernunft, wenn sie, ohne dabei ein eigenes Interesse
in Betracht zu ziehen, sich in die Stelle eines Wesens setzte, das alle Glückseligkeit
andern auszuteilen hätte, kann nicht anders urteilen".26
(4) „Die Sittlichkeit an sich selbst macht ein System aus, aber nicht die Glück-
seligkeit, außer, so fern sie der Moralität genau angemessen ausgeteilet ist."27 Diese
Angemessenheit ist aber nur durch den weisen Urheber einer intelligiblen Welt und
ein künftiges Leben möglich. „Daher auch jedermann die moralischen Gesetze als
Gebote ansieht, welches sie aber nicht sein könnten, wenn sie nicht a priori an-
gemessene Folgen mit ihrer Regel verknüpften, und also Verheißungen und Drohun-
gen bei sich führten."28

Auf engstem Raum finden sich in der Ersten Kritik drei unterschiedliche
Verknüpfungen von Gesetz und Verheißung: Der moralische Glaube (2) steht
in einem der frühesten Stücke der Kritik der reinen Vernunft der vorkritischen
Lehre von der natürlichen Verheißung (1) noch sehr nahe. Die Verbindlichkeit

21
Moralphilosophie Collins, AA 27/1, 308, Kursive z.T. HA, vgl. 285.304.
25
Vom Meinen, Wissen und Glauben: KrV, B 856; 4,693, Kursive z.T. HA.
24
Aus dem Kanonabschnitt: KrV, B 840f; 4,682f.
27
Aus dem Kanonabschnitt: KrV, B 839; 4,681.
a
Aus dem Kanonabschnitt: KrV, B 839; 4,68 lf.

43
des Gesetzes wird aus der Verheißung begründet - also vorkritisch.29 Die
Notwendigkeit dieser Begründung wird auf das Gefühl der Selbstachtung, also
die gefühlte Integrität persönlicher moralischer Identität zurückgeführt.
Der Kanonabschnitt, der nach dem Abschnitt: Vom Meinen, Wissen und
Glauben, verfaßt wurde, ist, so gesehen, bereits die Korrektur des vorher-
gehenden Begriffs vom .moralischen Glauben' in dessen Kern: dem Verhältnis
von Gesetz und Verheißung. Jetzt zielt Kant auf eine nicht-eudämonistische
Verbindlichkeit der Pflicht, ohne über deren Begründung ins Klare zu kom-
men. Das zeigt sich (3) an der vorkritischen Rede von der subjektiven Trieb-
feder moralischen Handelns: Die Verheißung des Gelingens ermöglicht es, daß
moralische Wahrheit subjektive Wirklichkeit wird. Noch interessanter ist, daß
die Verbindung von Glückswürdigkeit und Glückseligkeit über die Argumenta-
tionsfigur des unbeteiligten Beobachters vermittelt wird. Die Bedeutung dieser
Argumentationsfigur für Kant ist strittig.30 Unstrittig ist jedoch, daß die Argu-
mentation eines interesselosen Beobachters nicht praktisch-konativer, sondern
theoretisch-kognitiver Natur ist.31
Und genau dies bleibt auch Kants letzter Versuch, Gesetz und Verheißung zu
synthetisieren. Es ist die systementwerfende, architektonische Vernunft, die
eben aus dieser ihrer .Natur' der Synthesis von Gesetz und Verheißung apriori-
sche Notwendigkeit verleiht. Diese Synthesis gründet im platonischen .Geistes-
schwung', „von der kopeilichen Betrachtung des Physischen der Weltordnung
zu der architektonischen Verknüpfung derselben nach Zwecken, d.i. nach
Ideen, hinaufzusteigen" (KrV, B 375; 4,325). Getragen ist dieser Schwung von
der Idee einer „Verfassung von der größten menschlichen Freiheit nach Gesetzen,
welche machen, daß jedes Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann
(nicht von der größten Glückseligkeit, denn diese wird schon von selbst fol-
gen)" (KrV, B 373; 4,323f)! Das System der Moralität, das Kant im Kanon-
abschnitt in Anlehnung an die platonische Republik, freilich in ungleich hö-
herer Abstraktion als gemeinsame, moralische und intelligible Welt entwirft, for-
dert aus der inneren Notwendigkeit der architektonischen Vernunft die Erwei-
terung zum System proportionaler Glückseligkeit. Die Synthesis apriori von
Moral und Hoffnung auf Gott speist sich - so gesehen - aus der Notwendigkeit
architektonischer Vernunft, welche „die absolute Totalität der Synthesis auf der
Seite der Bedingungen" (KrV, B 393; 4,337) erschließt. Die Rede von Verheißung
und vom Gesetz als Gebot bleibt innerhalb der Grenzen spekulativer Vernunft.
Die vorgängige Idee einer moralischen Welt, die Idee des höchsten Guts, die

M
Eine Fülle weiterer Stellen zu Kants vorkritischer Lehre von der natürlichen Verheißung
bei M. Albrecht, Dialektik, 93 Anm. 293.
30
Vgl. L.W. Beck, Kommentar, 42-47.227f.236.253f, auch zur angelsächsischen Moral-
philosophie. Zur Diskussion: M. Albrecht, Dialektik, 177-183.
31
L.W. Beck, Kommentar, 227f: „Ein unbeteiligter Beobachter kann es nicht billigen, wenn
die Glückseligkeit und die Würdigkeit, glücklich zu sein, nicht ausgeglichen sind ... Die
[theoretisch-dogmatische] Vernunft forden zu ihrer eigenen Befriedigung (nicht zur Befolgung
des Gesetzes ...) ein System der Zwecke."

44
dem Imperativ vorangeht und ihn eigentlich immer noch begründet, vermittelt
den Übergang vom Sollen zur Hoffnung einer künftigen Welt.
Es gilt also beides: „Das System der Metaphysik, auf welches unsere Metho-
denlehre hinaussieht, ist ein teleologisches Gefüge ... - und zwar ein solches, das
unter ... der gesetzgebenden Sinnbestimmung eines .letzten Zwecks' der reinen
Vernunft steht: darin alles ihr Interesse, ,das spekulative sowohl als das prakti-
sche', vereinigt ist"32. Aber diese teleologische Metaphysik verdankt sich der
archäologischen Vernunft, also der auf die Totalität der Bedingungen in einem
Vernunftprinzip rückschließenden Vernunft.33 Den bleibend spekulativen Cha-
rakter seiner teleologischen Metaphysik scheint Kant sogar schärfer zu sehen,
als einige seiner wichtigsten Interpreten, wenn er vom System der Vernunftidee
schreibt: „Zuletzt wird man auch gewahr: daß unter den transzendentalen Ideen
selbst ein gewisser Zusammenhang und Einheit hervorleuchte, und daß die
reine Vernunft, vermittelst ihrer, alle ihre Erkenntnisse in ein System bringe.
Von der Erkenntnis seiner selbst (der Seele) zur Welterkenntnis, und, ver-
mittelst dieser, zum Urwesen fortzugehen, ist ein so natürlicher Fortschritt, daß
er dem logischen Fortgange der Vernunft von den Prämissen zum Schlußsatze
ähnlich scheint." (KrV, B 394f; 4,338; Kursive HA)34
Anstatt auf eine praktische Weltorientierung führt die Hoffnungsfrage in der
Ersten Kritik auf eine spekulativ-theologische Weltidee. Kant antwortet auf die

' 2 H. Heimsoeth, Dialektik, 790 mit Zitat aus KrV, B 832; 4,676.
33
Vgl. dazu KrV, B 355-368.377-396; 4,311-320.327-339.
34
Dazu fügt Kant in der Zweiten Auflage der KrV folgende Anmerkung an: „Die Meta-
physik hat zum eigentlichen Zwecke ihrer Nachforschung nur drei Ideen: Gott, Freiheit und
Unsterblichkeit, so daß der zweite Begriff, mit dem ersten verbunden, auf den dritten, als
einem notwendigen Schlußsatz[!], führen soll. Alles, womit sich diese Wissenschaft sonst
beschäftigt, dient ihr bloß zum Mittel, um zu diesen Ideen und ihrer Realität zu gelangen ...
In einer systematischen Vorstellung jener Ideen würde die angeführte Ordnung, als die
synthetische, die schicklichste sein; aber in der Bearbeitung, die vor ihr notwendig vorher-
gehen muß, wird die analytische, welche diese Ordnung umkehrt, dem Zwecke angemessener
sein, um, indem wir von demjenigen, was uns Erfahrung unmittelbar an die Hand gibt[!], der
Seelenlehre, zur Weltlehre, und von da bis zur Erkenntnis Gottes fortgehen, unseren großen
Entwurf zu vollziehen." (Zum traditionellen Sinn einer .synthetischen' und .analytischen'
Lehrart, vgl. Prol. § 5 Anm.). Für Heinz Heimsoeth (Dialektik, 68-70) und Georg Picht
(Religionsphilosophie, 6f.595-605) ist diese Anmerkung der Zweiten Auflage das Gesamt-
programm von Kants neuer Metaphysik. Beide betonen, daß Kant an dieser Stelle mit der
Rede von der Realität der Ideen bereits die Postulatenlehre der KpV voraussetze, also die
kritische praktische Philosophie. Doch zweierlei spricht gegen diese Interpretation. Zunächst:
Kant spricht vom notwendigen, affirmativen Schluß auf Unsterblichkeit, also doch wohl:
Glückseligkeit in Proportion zur Würdigkeit. In der KpV wird aber dieser Schluß unter dem
Titel einer Dialektik der praktischen Vernunft verhandelt. Sodann: Kant will in seiner analyti-
schen Darlegung des großen Entwurfs von dem ausgehen, ,was uns Erfahrung unmittelbar an
die Hand gibt', um von da aus zum Welt- und Gottesbegriff zu schließen. Kant geht also
vom Begriff der arbiträren Freiheit aus, von einer praktischen Freiheit, die „durch Erfahrung
bewiesen werden kann" (KrV, B 830; 4,675), um auf den moralischen Weltbegriff und Got-
tesbegriff zu schließen. Kants Anmerkung enthält also nur die Summe des Kanonabschnitts.

45
Hoffnungsfrage mit dem theoretischen Gottesideal einer indwiduierten Totalität,
so sehr er dieses praktisch verstehen will: „Diese Moraltheologie hat nun den ei-
gentümlichen Vorzug vor der spekulativen, daß sie unausbleiblich auf den
Begriff eines einigen, allervollkommensten und vernünftigen Urwesen führet,
worauf uns spekulative Theologie nicht einmal aus objektiven Gründen hin-
weiset, geschweige uns davon überzeugen konnte ... Dagegen, wenn wir aus dem
Gesichtspunkte der sittlichen Einheit, als einem notwendigen Weltgesetze, die
Ursache erwägen, die diesem allein den angemessenen Effekt, mithin auch für
uns verbindende Kraft geben kann[!], so m u ß es ein einiger oberster Wille sein,
der alle diese Gesetze in sich befaßt. Denn, wie wollten wir unter verschiede-
nen Willen vollkommene Einheit der Zwecke finden?" (KrV, B 842f; 4,683f) Es
ist eine Folge des spekulativen Charakters der Moraltheologie, wenn Kant sogar
eine reinterpretierte Physikotheologie für möglich hält, die vom moralischen,
.inneren' Reich der Zwecke aus „die Zweckmäßigkeit der N a t u r auf Gründe
[bringt], die a priori mit der inneren Möglichkeit der Dinge unzertrennlich
verknüpft sein müssen, und dadurch auf eine transzendentale Theologie, die sich
das Ideal der höchsten ontologischen Vollkommenheit zu einem Prinzip der
systematischen Einheit nimmt, welches nach allgemeinen und notwendigen
Naturgesetzen alle Dinge verknüpft, weil sie alle in der absoluten Notwendig-
keit eines einigen Urwesens ihren Ursprung haben." (KrV, B 844; 4,685)
,Gott' als Ideal ontologischer Vollkommenheit kehrt - am Leitfaden morali-
scher Teleologie - am Ende der Kritik der reinen Vernunft als höchstes ur-
sprüngliches Gut wieder. Im Übergang vom .Imperativ' der erfahrbaren, arbi-
trären Freiheit zur .Verheißung' wird die Idee des .corpus mysticum' zur ratio
cognoscendi eines .Gottes', - der heimlich die spekulative ratio essendi dieser
Freiheit und ihrer Hoffnung geblieben ist.

Wie ist dieses Ergebnis zu werten? Das am Leitfaden moralischer Teleologie


erschlossene Ideal ist nicht einfach eine Restitution vorkritischer Theologie. Es
ist vielmehr ein genuines Produkt der Dialektik der Aufklärung. Die skizzierte
Geschichtstheologie ist - so unsere Hypothes für die weitere Untersuchung -
der Ansatz zu einer neuen Form politischer Theologie. Der arbiträre Freiheits-
begriff des Kanonsabschnitts ist sicher noch kein kritisch-praktisches Konzept,
reflektiert aber ein Kernproblem der Theorie politischen Handelns: Die Kon-
tingenz des freien Anfangens oder Nicht-Anfangens, die im Handeln oder Un-
terlassen gleichwohl zu verantworten ist. „Sie [sc. die Menschen politischer Pra-
xis] wußten, daß eine Handlung nur frei heißen kann, wenn sie durch nichts
Vorangegangenes beeinflußt oder verursacht ist, und doch, daß sie alsbald zu
einer Ursache alles Folgenden wird, einer Rechtfertigung bedarf".35 Freies
Anfangen und Verantwortung bilden Charakteristika politischen Handelns.
Angesichts des Abgrunds dieser arbiträren Freiheit, also angesichts der skizzier-
ten beiden Grundprobleme, stellt Kant in der Ersten Kritik die Frage nach

55
H. Arendt, Vom Leben des Geistes II, 200

46
Hoffnung und Verheißung. Das Zurückschrecken vor dem Abgrund anfangen-
der Freiheit läßt die politische Theologie entstehen.
Die transzendentaltheologische Antwort, die Kant gibt, also die erneute
Begründung von Freiheit in Gott als individuierter Totalität geschichtlicher
Freiheit, verstrickt sich in genau jene Dialektik reiner Vernunft, gegen welche
sich die Erste Kritik eigentlich richtet. Die .Verheißung' der Ersten Kritik ist
daher das trügerische Versprechen einer ihre Grenze verkennenden theoreti-
schen Vernunft an eine noch vorkritische praktische Vernunft, die - dem „her-
umschwärmenden Seefahrer" gleich - im Bannkreis der „leeren Hoffnungen"
bleibt (vgl. KrV, B 294f; 3,267f). Mit der biblischen Verheißung hat diese Ver-
heißung nur den Namen gemein. Sie ist eine Kategorie politischer Theologie.

47
§ 3 Dialektik des Gewissens und negative Hoffnung

Ein gutes Jahrzehnt nach der Ersten Kritik hat sich die Szene gewandelt: Die
Kritik der Urteilskraft und die Religionsschrift setzen das Widerfahmis der
Hoffnung voraus. D e r biblischen .Verheißung' gilt das Staunen:

(Vernunft)Glaube „ist ein Vertrauen auf die Verheißung des moralischen Gesetzes;
aber nicht als eine solche, die in demselben enthalten ist, sondern die ich hineinlege,
und zwar aus moralisch hinreichendem Grunde" (KU, B 462 Anm.; 8,603). Mit der
biblischen Rede von der .Verheißung Gottes', „hat diese wundersame Religion in der
größten Einfalt ihres Vortrages die Philosophie mit weit bestimmteren und reineren
Begriffen der Sittlichkeit bereichert ..., als diese bis dahin hatte liefern können, die
aber, wenn sie einmal da sind, von der Vernunft frei gebilligt, und als solche an-
genommen werden, auf die sie wohl von selbst hätte kommen und sie einführen
können und sollen" (KU, B 463 Anm.; 8,603).

Vernunft läßt sich .Verheißung' widerfahren. Aber sie bleibt darin transzen-
dentale Vernunft, daß sie nach dem G r u n d sucht, u m die Verheißung auch
aus sich zu beurteilen u n d frei billigen zu können. Kann das unter den Bedin-
gungen transzendentaler Vernunft n u r bedeuten: Verheißung auch aus Ver-
nunft zu begründen}
Die Alternanz zwischen dem Staunen über die biblische Rede aus .Verhei-
ßung' und der Reflexion dieser Rede aus moralisch hinreichendem G r u n d bil-
det die hermeneutische Hypothese für den Dritten Abschnitt der Religions-
schrift und die Spätschrift ,Das Ende aller Dinge' (1794). Nach welcher Seite
hin wird die Alternative entschieden? O d e r soll und braucht diese Alternative
gar nicht entschieden werden? Erweist sich vielleicht gerade darin das .Ge-
heimnis' der Verheißung, daß differente Orientierungen in der Hoffnung
begründet unentscheidbar bleiben, aber gerade deshalb in einem argumentati-
ven Dialog stehen können?
Daß Kant die biblische Verheißung auf vernünftige .Hoffnung' reduziert, ist
ein gängiger theologischer Vorwurf. Man mag dazu auf die Erste Vorrede der
Religionsschrift verweisen: „Moral also führt unumgänglich zur Religion,
wodurch sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers
außer dem Menschen erweitert, in dessen Willen dasjenige Endzweck (der
Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und
soll." (RGV, B IXf; 7,652) Verheißung des Gesetzes würde auf der Linie
dieser These bedeuten, daß im göttlichen Willen dasjenige Endzweck ist, was
zugleich der Endzweck des Menschen sein soll: das höchste Gut, symbolisiert
als Reich Gottes. Dieser Versuch, den kategorischen Imperativ über das zu
verwirklichende G u t e aus moralisch hinreichendem Grund zur Verheißung
des höchsten Gutes zu erweitern, reduziert .Verheißung' in der Tat.
Aber gegen die gängige theologische Kritik ist zu zeigen, daß solche Reduk-
tion in eine Dialektik der praktischen Vernunft hineinführt, die Kant auf

48
seine Weise erkennt. Diese Einschätzung teilen wir mit Paul Ricceur: „L'expe-
rience religieuse devient ansi l'occasion propre d' une nouvelle sorte d' hete-
ronomie, affectant non plus le principe de la moralite, mais la visee de ce que
la Dialectique de la raison pratique avait appele P.objet complet de la volonte'.
Le mal dans la religion tend alors ä devenir le mal de la religion."1 Das Ideal
des höchsten Gutes führt in eine genuin eschatologische „pathologie de la
totalite"2.

1. Dialektik des moralischen Gottesbeweises

Kant begründet im Zentrum der Ersten Vorrede zur Religionsschrift die


Erweiterung der Moral zur Religion mit einem neuen .moralischen Gottesbe-
weis'. Dieses Argument, das übrigens nur in Form einer langen „schwierigen
Fußnote" 3 vorgetragen wird, gilt chronologisch als der letzte publizierte
Gottesbeweis Kants. Es faßt Kants Postulatentheologie zusammen. Aber
handelt es sich hier überhaupt noch um einen Gottesbeweis? Unsere Hypo-
these ist, daß dieses Argument gerade nicht die abschließende, reife Form des
Kant'sehen Gottesbeweises bildet4; es hebt vielmehr diesen Beweis selbst auf,
indem es ihn als Grundlage jener Dialektik der Hoffnung erweist, um deren
Kritik es in der Religionsschrift eigentlich geht!
Der Ort des Arguments bildet den Schlüssel zu seinem Verständnis: ,Gott'
wird in der Vorrede der Religionsschrift nur vorläufig als regulatives Ideal
praktischer Urteilskraft eingeführt. Diese Idee Gottes „gehört zum Verbände
und zugleich zur Läuterung aller konkreten [sc. Begriffe], die nachher in die
angewandte Theologie und Religionslehre hineinkommen mögen"5.
Betrachten wir kurz den Kontext, in dem Kant diese Idee zu beweisen
sucht, um die behauptete Vorläufigkeit dieses Arguments zu beleuchten! Von
der Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft unterscheidet sich
dieses Argument schon darin, daß in der Religionsschrift die anthropologi-
schen Voraussetzungen andere sind: Die Religionsschrift nimmt (a) nicht
mehr nur den reinen freien Willen endlicher Vernunftwesen in den Blick,
sondern das ,krumme Holz' der menschlichen Willkür in der Erfahrung. Sie
macht deshalb gerade nicht vom Begründungsprinzip des kategorischen Impe-
rativs Gebrauch, sondern wird eine Pflicht sui generis einführen.6

1
P. Ricoeur, Hermeneutique, 40.
2
Ebd., 39.
' L.W. Beck, Kommentar, 253.
4
So G. B. Sala, Frage nach Gott, 454, als Zusammenfassung seiner gesamten Analyse.
s
Ton, A 41 lf Anm; 5,389 Anm.
6
Vgl. M. Riedel, Vernunft und Urteilskraft, 141: „Gerade weil das Prinzip [sc. der prakti-
schen Vernunft] auf Erfahrung nicht direkt anwendbar ist, weil die Menschen von Natur we-
der vernünftiger Einsicht zugänglich noch von Natur mit einer moralischen Anlage versehen
oder durch moralische Umstände sonderlich begünstigt sind, bedarf es der systematischen Er-

49
Kant erweitert (wie schon in der Zweiten Kritik) die rein formale Willens-
autonomie zur unumgänglichen materialen Zweckbeziehung des guten Wil-
lens. Aber der Religionsschrift geht es bei dieser Erweiterung u m die reflek-
tierende Beurteilung des handelnden Menschen - genauer: u m die Grenze des
Gewissens, das den Menschen als gut oder böse freispricht oder verurteilt 7
und das als .sich selbst richtende moralische Urteilskraft' definiert wird. 8 Das
moralische Argument am Beginn der Religionsschrift hat Grundlegungs-
funktion für diese Kritik des Gewissens als des humanen Urteilssinns der
Hoffnung. Das Gewissen trägt daher (b) in der Religionsschrift von Beginn
an das Signum pluraler Denkungsart. Es soll als sensus communis exponiert
werden. Nicht mehr nur das Problem der Selbstbeurteilung, sondern die
Frage konsensueller Urteilsfindung unter wirklichen, bedürftigen Menschen
(nicht nur reinen Geistern) wird sich als zentral erweisen.
Der Übergang zu diesem Standpunkt der faktischen Pluralität geschieht aus
dem Prinzip der Moral selbst, wie ein Gedankenexperiment der Ersten Vorre-
de dartut:

„Setzt einen Menschen, der das moralische Gesetz verehrt und sich den Gedanken
beifallen läßt ..., welche Welt er wohl durch die praktische Vernunft geleitet er-
schaffen würde, wenn es in seinem Vermögen wäre, und zwar so, daß er sich selbst
als Glied in dieselbe hineinsetzte, so würde er sie nicht allein gerade so wählen, als
es jene moralische Idee vom höchsten Gut mit sich bringt, wenn ihm bloß die Wahl
überlassen wäre, sondern er würde auch wollen, daß eine Welt überhaupt existiere,
weil das moralische Gesetz will, daß das höchste durch uns mögliche Gut bewirkt
werde, ob er sich gleich nach dieser Idee selbst in Gefahr sieht, für seine Person an
Glückseligkeit sehr einzubüßen, weil es möglich ist, daß er vielleicht der Forderung
der letztern ... nicht adäquat sein dürfte; mithin würde er dieses Urteil ganz par-
teilos, gleich als von einem Fremden gefället, doch zugleich für das seine anzuerken-
nen sich durch die Vernunft genötigt fühlen, wodurch der Mensch das in ihm
moralisch gewirkte Bedürfnis beweist, zu seinen Pflichten sich noch einen End-
zweck, als den Erfolg derselben, zu denken." (RGV, B VIHf; 7,651f)

A m Beginn der Religionsschrift erweitert sich reine praktische Vernunft zu


einer Denkungsart, die für sich das parteilos gefällte Urteil übernimmt, daß
eine Welt überhaupt existieren soll und der Mensch als freies, verunglückba-
res, unerklärlich böses, gleichwohl aber verantwortliches menschliches Wesen
unter anderen menschlichen Wesen in ihr. Das ist - mit H a n n a h Arendt zu
reden - der Übergang zur ,Natalität' (c). Mit voller Schärfe erhebt sich die
Frage, wie die „Tatsache, daß Menschenwesen, neue Menschen, wieder und
wieder durch die Geburt in der Welt erscheinen" uns mehr sagen kann, „als

Weiterung der .reinen' praktischen Vernunft und ... einer kritischen Verständigung über die
Situation des bedürftigen, an seiner Welt leidenden und verzweifelnden Menschen."
7
Vgl. MST § 1, A 98-103; 7,572-576.
8
RGV, B 288; 7,860.

50
daß wir, kraft unseres Geborenseins, dazu verdammt sind, frei zu sein"? 9 Die
Frage der rationalen Hoffnung wird zur Frage, wie ,wir' an dieser humanen
Freiheit .Gefallen' finden können, ohne sie aus guten Handlungen oder guten
Absichten selbst zu rechtfertigen. Genau dies ist nämlich die Dialektik der
Hoffnung, gegen die sich die Religionsschrift richtet: Hoffnung als latente,
letztbegründende Selbstrechtfertigung aus dem vermeintlich guten Endzweck.
Die Frage nach dem Gewissen als humanem Sinn und Gefühl der Hoffnung
angesichts des radikal Bösen (a), humaner Pluralität (b) und humaner Natali-
tät (c) bestimmt die Religionsschrift und die daran anschließende Spätschrift
,Das Ende aller Dinge*.

In etwas abweichender Reihenfolge wird diese Problematik im Folgenden exponiert:


§ 3,2 Konflikt der Interpretation und innere Lüge; § 3,3 Zufriedenheit und Natalität;
§ 3,4 Liebe und Pluralität. Die allen drei Fragen zugrundeliegende Dialektik wird
zuvor entfaltet.

Der Handlungsbegriff der Ersten Vorrede unterschreitet dieses Problemniveau


eindeutig, eben weil er erst vorläufigen Status hat. Wie in der Zweiten Kritik
wird zunächst allein das teleologische Verständnis von Handeln als Zweckver-
wirklichen vorausgesetzt. Ausgehend von der empirisch und subjektiv un-
umgänglichen Handlungsteleologie, führt Kant den aus der Zweiten Kritik
bekannten Begriff eines objektiven Endzwecks ein, der durch bloße praktische
Vernunft aufgegeben wird: den Begriff eines höchsten, in der Welt möglichen
Gutes als „Beziehungspunkt der Vereinigung aller Zwecke" (RGV, B VIII;
7,651). Das moralische Gottesargument, das darauf aufbaut, kann schon aus
diesem G r u n d nur vorläufig sein.
Was begründet, so gesehen, die Verbindlichkeit, sich das höchste Gut zum
Endzweck zu machen, also den Pflichtbegriff um die (Tugend-jPflicht zum höch-
sten in der Welt möglichen Gut zu erweitern? 10 Die Triftigkeit dieser Erwei-
terung ist für das Argument Kants entscheidend, denn diese Pflicht ist aus
dem moralischen Gesetz nicht analytisch zu folgern:

Das Gesetz macht nämlich „die Pflicht zum Gegenstande der größten Achtung, ohne
uns einen Zweck (und Endzweck) vorzulegen und aufzugeben, der etwa die Empfeh-
lung derselben und die Triebfeder zur Erfüllung unserer Pflicht ausmachen müßte.
Alle Menschen könnten hieran auch genug haben, wenn sie (wie sie sollten) sich
bloß an die Vorschrift der reinen Vernunft im Gesetz hielten. Was brauchen sie den
Ausgang ihres moralischen Tuns und Lassens zu wissen, den der Weltlauf herbeifüh-
ren wird? Für sie ist's genug, daß sie ihre Pflicht tun; es mag nun auch mit dem
irdischen Leben alles aus sein, und wohl gar selbst in diesem Glückseligkeit und
Würdigkeit vielleicht niemals zusammentreffen." (RGV, B Xlf Anm.; 7,654)

9
H. Arendt, Leben des Geistes, II, 200; vgl. II, 190.
10
Zum Begriff der .Tugendpflicht' vgl. MST Einleitung IX, A 28-30; 7,525-527.

51
Läßt Kant hier - wie in seiner berühmten Schilderung Spinozas (vgl. K U , B
427-429; 8,579f) - die Möglichkeit der „völligen Sinnlosigkeit" aufblitzen, „zu
der seine Konzeption des Ethischen folgerichtig führt"; nähme also „das rein
formale Gesetz, dessen Verbindlichkeit nicht vom Guten als Objekt stammt,
... den Menschen absolut zum Nichts hin in Anspruch"; bricht Kant deshalb
- „gegen die Logik des Systems, aber von der Logik der Sache gleichsam
bezwungen" 11 - radikal mit dem ersten Grundsatz seiner Moralmetaphysik,
nach welchem „überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben
zu denken möglich [ist], was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten
werden, als allein ein guter Wille" (GMS, B 1; 6,18), d.h. ein Wille formaler
Gesetzmäßigkeit? Sicher nicht! Immerhin macht diese Einschätzung das
Überraschende des bei Kant nun Folgenden deutlich:

„Nun ist's aber eine von den unvermeidlichen Einschränkungen des Menschen und
seines (vielleicht auch aller andern Weltwesen) praktischen Vernunftvermögens, sich
bei allen Handlungen nach dem Erfolg aus denselben umzusehen, um in diesem
etwas aufzufinden, was zum Zweck für ihn dienen und auch die Reinigkeit der
Absicht beweisen könnte, welcher in der Ausübung (nexu effectivo) zwar das letzte,
in der Vorstellung aber und der Absicht (nexu finali) das erste ist. An diesem Zwek-
ke nun, wenn er gleich durch die bloße Vernunft ihm vorgelegt wird, sucht der
Mensch etwas, was er lieben kann; das Gesetz, also, was ihm bloß Achtung einflößt,
ob es zwar jenes als Bedürfnis nicht anerkennt, erweiten sich doch zum Behuf
desselben zu Aufnehmung des moralischen Endzwecks der Vernunft unter seine
Bestimmungsgründe, das ist, der Satz: mache das höchste in der Welt mögliche Gut
zu deinem Endzweck; ist ein synthetischer Satz a priori, der durch das moralische
Gesetz selber eingeführt wird, und wodurch gleichwohl die praktische Vernunft sich
über das letztere erweitert, welches dadurch möglich ist, daß jenes auf die Natur-
eigenschaften des Menschen, sich zu allen Handlungen ... außer dem Gesetz noch
einen Zweck denken zu müssen, bezogen wird (welche Eigenschaft desselben ihn
zum Gegenstande der Erfahrung macht), und ist ... nur dadurch möglich, daß er das
Prinzip a priori der Erkenntnis der Bestimmungsgründe einer freien Willkür in der
Erfahrung überhaupt enthält, sofern diese ... dem Begriff der Sittlichkeit, als Kausali-
tät in der Welt, objektive, obgleich nur praktische Realität verschafft." (RGV, B Xllf
Anm.; 7,654f)

Kant hört auch angesichts drohender Sinnlosigkeit der Pflicht nicht auf,
kritisch zu denken! Moralische Verzweiflung und das daraus resultierende
Bedürfnis moralischer Glückseligkeit 12 , mithin die Frage nach einem End-
zweck, in dem sich der moralische Erfolg, ja die Reinheit der eigenen Absicht
darstellt, bleiben „eine von den unvermeidlichen Einschränkungen des Men-

11
Alle Zitate aus: G.B. Sala, Frage nach Gott, 454.
12
Um objektiv-moralische, nicht um subjektiv-empirische Glückseligkeit geht es hier! Das
gilt auch gegen L.W. Beck, dessen Alternative, es handle sich hier um kein „.Bedürfnis der
reinen Vernunft', sondern ein Bedürfnis der allzu menschlichen Vernunft" (Kommentar,
235), zu kurz greift.

52
sehen und seines... praktischen Vernunftvermögens"! Dieser Endzweck bleibt
eine Idee theoretischer Vernunft, an der der Mensch in praktischer Hinsicht
Liebenswertes sucht, u m daraus die Reinheit seiner Absichten zu beweisen,
seiner Willkür erfahrbare Motive und seiner Sittlichkeit objektive, obgleich
nur praktische Realität zu verschaffen: Er ist „ein dialektisches Ideal der Ver-
nunft" 13 .

Der Frage, warum und in welcher Hinsicht Kant die Postulatenlehre und insbeson-
dere die Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut unter dem Titel einer ,Dialektik
der reinen [praktischen] Vernunft' (KpV, A 198; 6,238) verhandelt, hat Michael
Albrecht eine eingehende historische Untersuchung gewidmet.14 Auch wenn Al-
brecht systematische Konsequenzen seiner detaillierten Arbeit nicht immer klar
ausspricht, so bietet er doch eine genaue Analyse der .Dialektik der reinen prakti-
schen Vernunft', auf der wir aufbauen können.
Zweifellos ist die eigenartige Pflichtformel: „Wir sollen das höchste Gut (welches
also doch möglich sein muß) zu befördern suchen?" (KpV, A 225; 6,255) das Schlüs-
selglied im Gottespostulat der Zweiten Kritik. Wird in dieser Pflichtformel, entgegen
der in der Analytik durchgeführten Kritik (vgl. KpV, A 197; 6,237), nun doch das
höchste Gut materialer Bestimmungsgrund des Willens? Offensichtlich sieht Kant das
höchste Gut so eng mit dem moralischen Gesetz verbunden, daß er die mögliche
Existenz desselben als Bestimmungsgrund des Willens begreift. Die bei Albrecht
erwogene Begründung dieser Erweiterung der Bestimmungsgründe des Willens aus
der sonst drohenden .Sinnlosigkeit' des Handelns, muß sich eingestehen, daß der
Kant-Text dafür keinen Anhalt bietet.15
Der Schlüsselsatz für ein mögliches Verständnis der problematischen Pflichtformel
findet sich bei Kant hingegen gleich zu Beginn der Dialektik der reinen praktischen
Vernunft: Die reine praktische Vernunft sucht „zu dem praktisch-Bedingten (was auf
Neigungen und Naturbedürfnis beruht) ebenfalls das Unbedingte, und zwar nicht als
Bestimmungsgrund des Willens, sondern, wenn dieser auch (im moralischen Gesetze)
gegeben worden, die unbedingte Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen
Vernunft, unter dem Namen des höchsten Guts." (KpV, A 194; 6,235)16 Das Höchste
Gut - sei es auch das Vernunftideal eines Reiches Gottes auf Erden - wird ein
dialektisches Ideal der Vernunft, sofern in ihm das Verlangen nach theoretischer
Totalität am Werke ist. Der gute Wille selbst - so die These Kants - wird dann in
der Suche nach der unbedingten Totalität seines Gegenstands dialektisch. Sein

1!
L.W. Beck, Kommentar, 227. „Die Vernunft kann ein Chaos der Zwecke nicht hinneh-
men; sie fordert ihre apriorische Verknüpfung zu einem System. Ein unbeteiligter Beobachter
kann es nicht billigen, wenn die Glückseligkeit und die Würdigkeit, glücklich zu sein, nicht
ausgeglichen sind. Aber weder in der Natur noch im Sittengesetz kann Kant mehr als eine
kontingente Verbindung zwischen beiden auffinden. Die Vernunft fordert zu ihrer eigenen
Befriedigung ... ein System der Zwecke." (227f)
14
M. Albrecht, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, 1978.
15
M. Albrecht, 164: „Das Handeln aus Pflicht würde in einem eigenen, einschränkenden
Sinn zum .Selbstzweck'. Nicht das Handeln, sondern das Leben selbst könnte hier .falsch'
genannt werden".
16
Dazu: M. Albrecht, 56-72.

53
Totalitätsverlangen entwirft unvermeidlich das Ideal des Höchsten Gutes, eine
moralische Welt als Endzweck und postuliert dafür die Existenz eines moralischen
Gottes.
Angesichts dieser eingesehenen Dialektik der reinen praktischen Vernunft gehe
Kant nun - das ist das Entscheidende - zur Frage nach einer reflektierenden Urteils-
kraft praktischer Vernunft als kritischer Hoffnung über. Der Schluß vom praktischen
Endzweck auf den Grund seiner Möglichkeit, also auf einen Welturheber und
Regierer, der zugleich moralischer Gesetzgeber sei, kann nur für die reflektierende,
nicht aber für die bestimmende Urteilskraft praktischer Vernunft gelten (KU, B 433;
8,583)! „Der moralische Gottesbeweis wird also durch die »praktische reflektierende
Urteilskraft' ([KU] B 434) geführt."17 Warum folgt der Analytik eine Dialektik der
reinen praktischen Vernunft? Weil sich die Hoffnung als genuines Problem neben
der Exposition des kategorischen Imperativs erweist: „... wenn es einerseits zwei
deutlich unterschiedene Fragestellungen (nach dem Bestimmungsgrund des Willens
und nach der Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft) gibt und
wenn andererseits beide Fragestellungen nach Kants Festlegungen von der reinen
praktischen Vernunft beantwortet werden, dann müssen doch wohl zwei praktische
Aufgaben angenommen werden."18

Es bedarf eines praktischen Weltbegriffs, welcher der Versuchung, das Gute in


seiner Totalität zu imaginieren, und der darauf gründenden eitlen Hoffnung
entgegenarbeitet. Das ist eine Aufgabe der Kritik praktisch-bestimmender
Urteilskraft (Typik). U n d es bedarf eines Begriffs der Hoffnung als humaner
Orientierung auf der Grundlage dieses praktischen Weltbegriffs; dies ist
Aufgabe einer praktisch-reflektierenden Urteilskraft (Symbolik).
Kritische Beachtung verdient dabei Kants Rede v o m Liebesbedürfnis der Ver-
nunft. Das Bedürfnis der Vernunft allein ermöglicht - wie die wichtige
Schrift ,Was heißt: Sich im Denken orientieren?' formuliert - , „sich im
Denken, im unermeßlichen und für uns mit dicker Nacht erfülleten Räume
des Übersinnlichen, ... zu orientieren"™. Kants Anspruch, die kritische ,He-
autonomie' des Vernunftbedürfnisses zu verteidigen, ist unübersehbar. 2 0 Es als

17
M. Albrecht, 182.
18
M. Albrecht, 183.
" Denken, A 311; 5,271.
20
Zu beachten ist Kants Verteidigung gegen Wizenmann, KpV, A 259 Anm.; 6,278: es ist
„ein Vemunftbedürfnis, aus einem objektiven Bestimmungsgrunde des Willens, nämlich dem
moralischen Gesetze entspringend, welches jedes vernünftige Wesen notwendig verbindet,
also zur Voraussetzung der ihm angemessenen Bedingungen in der Natur a priori berechtigt,
und die letztern von dem vollständigen praktischen Gebrauche der Vernunft unzertrennlich
macht." (vgl. KpV, A 255-263; 6,276-281) Noch konziser: Denken, A 316; 5,274: „Nun be-
darfdie Vernunft, ein solches abhängiges höchstes Gut, und zum Behuf desselben eine oberste
Intelligenz als höchstes unabhängiges Gut, anzunehmen: ... um dem Begriffe vom höchsten
Gut objektive Realität zu geben, d.i. zu verhindern, daß es zusamt der ganzen Sittlichkeit
nicht bloß für ein bloßes Ideal gehalten werde, wenn dasjenige nirgend existierte, dessen Idee
die Moralität unzertrennlich begleitet. Es ist also nicht Erkenntnis, sondern gefühltes Bedürf-
nis der Vernunft ..." Dazu merkt Kant an, daß dieses Gefühl nicht unmittelbares, sondern

54
Bedürfnis zu kennzeichnen, am Endzweck etwas zu lieben, scheint glücklich
formuliert. Hält diese Formel doch wie keine andere fest, daß .Glückseligkeit'
bei Kant moralisch qualifiziert ist. Erweitert sich die Achtung vor dem Gesetz
zur Liebe des Endzwecks, so könnte sich eben in der Reinheit dieser Liebe in
der Tat „auch die Reinigkeit der Absicht beweisen".
Erst wenn Kants Rede vom reinen (Liebes)Bedürfnis der Vernunft in seiner
grundlegenden Funktion erkannt ist, zeigt sich die Virulenz seiner Dialektik:
Wird nicht im Bedürfnis reiner Liebe zum Endzweck das Orientierungsbe-
dürfnis der Vernunft zum Rechtfertigungsbedürfnis} Das Überraschende und
Singulare am moralischen Argument der Religionsschrift21 ist ja, daß hier die
Liebenswürdigkeit des Endzwecks die Reinigkeit der Absicht beweisen soll.

Diese Frage stellt sich umso mehr, als Reiner Wimmer jüngst eine interessante, im
Wittgenstein'schen Sinne mystische Interpretation dieser Rede vom Liebesbedürfnis
vorgelegt hat: die amour desinteresse als .Grundeinstellung zum Leben im ganzen',
zeige sich in der Unenttäuschbarkeit durch Welt und Menschen.22 Es bleibt dieser
Interpretation gegenüber die Frage, warum Kant das Bedürfnis reiner Liebe zum
höchsten Gut als unvermeidliche Einschränkung der Menschen (und vielleicht aller
Vernunftwesen) kennzeichnet.

Die Einführung der Rede von ,Gott' auf der Grundlage humanen Vernunft-
bedürfnisses partizipiert an der Dialektik des Liebesbedürfnisses, das stets
zugleich begrenzte Orientierung und irreführende Rechtfertigung begründet.
Das Gesetz, das eigentlich nur Achtung einflößt, erkennt zwar jenes Bedürf-
nis nach dem rechtfertigenden Zweck nicht als moralkonstitutiv an, wohl
aber als moralkonstituiert. Es kann sich in ihm wiedererkennen und sich zur
Aufnahme des Endzwecks unter seine Maxime erweitern. So erweitert dieses
Bedürfnis das Gesetz um den moralischen Endzweck als materiale Pflicht.
Kann man dieser Dialektik durch Sistierung des materialen Endzwecks zu-
gunsten reiner, ungegenständlicher Liebe begegnen? Sollte mithin, auch über
Kants theistische Rede hinaus, ,Gott' als synkategorematisch erlernter Aus-
druck und Inbegriff uninteressierter Liebe präzisiert werden? Oder könnte

vermitteltes Vernunftgefühl sei: „Die Vernunft fühlt nicht; sie sieht ihren Mangel ein, und
wirkt durch den Erkenntnistrieb das Gefühl des Bedürfnisses." (a.a.O. Anm.)
21
Auch gegenüber dem parallelen Argument der Kritik der Urteilskraft § 89 (KU, B 439-
443; 8,588-590).
22
Vgl. R. Wimmer, Religionsphilosophie, 210f: Der moralische Glaube kann „anonym in
dem Sinne sein, daß sich im Leben eines Menschen zeigt, daß er weder von sich noch von
anderen Menschen moralisch schlechthin enttäuscht werden kann ..." (210). Diese unerfahr-
bare, bestenfalls sich zeigende, ins Herz ausgegossene Liebe faßt Wimmer als mystische
Erfahrung. Angelpunkt von Wimmers Interpretation ist Kants Begriff moralischer Glückse-
ligkeit: „Der mystische, mit allem geeinte Mensch liebt sich selbst, jeden Menschen, die ganze
Wirklichkeit wie durch ein Nichts hindurch, nämlich grund- und zwecklos, ja gegen den
Anschein ihrer Nichtigkeit. Theistisch wird dann von einer Liebe gesprochen, die alles in
Gott und Gott in allen liebt und anbetet." (217)

55
sich die mögliche Selbstrechtfertigung auch noch in dieser Lebenshaltung pre-
kär, ja destruktiv auswirken? Diese Frage wird im Dritten Stück der Re-
ligionsschrift explizit. Daraußin, auf die dort sich zeigende Dialektik, m u ß das
moralische Argument der Vorrede der Religionsschrift interpretiert werden.

2. Ethischer Naturzustand: Konflikt der Interpretation und innere Lüge

Die Tugendpflicht zum Reich Gottes kann zur „Tyrannei des Himmel-
reichs" 23 führen. Diese Einsicht steht im Z e n t r u m der Religionsschrift. Kant
entwirft hier die polemische Fiktion 24 eines ethischen Naturzustands:

„So wie der juridische Naturzustand ein Zustand des Krieges von jedermann gegen
jedermann ist, so ist auch der ethische Naturzustand ein Zustand der unaufhörlichen
Befehdung durch das Böse, welches in ihm und zugleich in jedem andern angetroffen
wird, die sich ... einander wechselseitig ihre moralische Anlage verderben, und selbst
bei dem guten Willen jedes einzelnen, durch den Mangel eines sie vereinigenden
Prinzips sich, gleich als ob sie Werkzeuge des Bösen wären, durch ihre Mißhelligkeiten
von dem gemeinschaftlichen Zweck des Guten entfernen, und einander in Gefahr
bringen, seiner Herrschaft wiederum in die Hände zu fallen."25

Die Fiktion eines ethischen Naturzustands - die „öffentliche wechselseitige


Befehdung der Tugendprinzipien" (RGV, B 135; 7,756, Kursive z.T. H A ) -
offenbart die möglichen Folgen der unerkannten Dialektik praktischer Ver-
nunft (also der Aufnahme der Pflicht zum Endzweck in die Willensmaxime
aufgrund reinen Liebesbedürfnisses). Kant geht jetzt zu einem Handlungs-
begriff über, der nicht mehr am Zweckverwirklichen, sondern an der konsen-
suellen Handlungsbeurteilung und -Verantwortung interessiert ist. Jetzt wird
die Frage moralischer Richterschaft virulent, also das Problem des Gewissens.
Nicht zufällig entwickelt Kant die Fiktion des ethischen Naturzustands aus
der Analogie zum Hobbes'schen juridischen Naturzustand als einem Kriegs-
zustand: Der juridische Kriegszustand formuliert die Fiktion, daß „ein jeder
selbst Richter über das sein will, was ihm gegen andere recht sei, aber auch
für dieses keine Sicherheit von andern hat, oder ihnen gibt, als jedes seine
eigene Gewalt" (RGV, B 135 Anm.; 7,756, Kursive H A ) . Die polemische
Fiktion des ethischen Naturzustand denkt den Zustand jener Richterschaft zu
Ende, in der ein jeder selbst Richter über das sein will, was ihm anderen
gegenüber als schlechthin liebenswert gilt. Das Insistieren auf der eigenen Idee
vom .Reich Gottes' kann gegenüber anderen nur auf die eigene gute Absicht
rekurrieren, - und sieht sich deren radikalem Verdacht ausgesetzt.

23
So formuliert Franz Rosenzweig, Stern, 302, vgl. Mt 11,12; Luk 16,16 und § 14,2
24
Zu polemischen Fiktionen als Teil der kritischen Methode: § 4,1.
25
RGV, B 134; 7,755 Konjekturen nach AA, Kursive z.T. HA.

56
Wie komplex sich die moralische Selbst- und Fremdbeurteilung von Handlungen
und Handlungszwecken auf dem Niveau Kants darstellt, zeigt sich in dieser pole-
mischen Fiktion eines ethischen Naturzustands.26 Gerade die kritische Einsicht in die
Unerkennbarkeit der empirischen Willensmotive angesichts der dogmatischen
Maximenbestimmung der reinen praktischen Urteilskraft führt zur .Kasuistik' als
einer .Übung' der Urteilskraft, „wie die Wahrheit solle gesucht werden" (MST, A 56;
7,544). Entscheidend ist dabei die richtige Interpretation und Benennung von Hand-
lungsmomenten und Handlungsabsichten, wie Josef Simon zeigt. Der Zustand
innerer Lüge, in der sich der Mensch über wahre Absichten und Motive täuscht,
wird dabei dringlich: „Es bleibt .kasuistisch' zu fragen, mit welchem ,Namen' für
eine Tugend oder ein Laster eine einzelne Handlung in einer bestimmten Situation
zu benennen ist, z.B. ob ein gewisser .Sprechakt' mit dem .harten Namen' der Lüge
belegt werden soll oder nicht."27
Vorausgesetzt ist dabei die grundlegende kritische Unterscheidung der Sprache des
Rechts und der Ethik: „Der Handelnde muß als der .angeborene Richter über sich
selbst' in eigener .Urteilskraft' oder in seinem .Gewissen'selbst wissen, unter welchen
Handlungsbegriff er seine Handlung subsumieren ... soll. Als ihrer selbst .gewisse'
Gewissensentscheidung, und eigentlich nur so, ist die .Benennung' der Willkür
entzogen."28 Zur Frage wird damit, warum das Gewissen überhaupt der öffentlichen
Sprache bedarf, warum es nicht .privatsprachlich' verfaßt sein darf, und wie es zu
seiner Sprache kommt. 29
Es ist zunächst der mögliche Konflikt von rechtlicher und ethischer Handlungs-
interpretation selbst, der hier zur Übersetzung nötigt.50 Gerecht ist aber in diesem
Konflikt, „wer sich an die Gesetze hält, wie Menschen sie erlassen haben, auch wenn
er sich selbst bessere denken könnte. Die .besseren' wären dann die, die nach seiner
Vorstellung .bessere' Bedingungen erzwingen könnten, unter denen die Willkür des
einen mit der anderen zugleich bestehen kann. Könnte jeder seine Vorstellungen vom
jeweils Besseren zum Gesetz machen, wäre der Zwang an die jeweils subjektive
Vorstellung seiner Notwendigkeit gebunden, und es käme ... zum Streit aller gegen
alle."31 Gerecht ist, wer sich aus ethischem Grund zwingt, sein Urteil zurückzustellen
und sich geltendem Recht fügt, welches sich darin als geltend erweist, daß es den
Streit der Handlungsinterpretationen abbrechen kann.

Der ethische Selbstzwang zur Unterwerfung unter die (Gewalt-)Herrschaft


des Rechts ist für rechtsstaatliche Gerechtigkeit als juridischer Friedenszu-

26
Vorauszusetzen ist die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und die Zweite Kritik,
vor allem aber die Tugendlehre der Metaphysik der Sitten. Wichtig insgesamt: J. Simon, Zeit,
296-310.
27
J. Simon, Zeit, 300f, mit Verweis auf MST § 9, A 83; 7,562.
28
J. Simon, Zeit, 301, mit Verweis auf MST § 13 (Kant allerdings spricht MST §13, AlOOf.
Anm.; 7,574 vom „inneren Richter").
29
Die Aufklärung der .metaphysischen Anfangsgründe' der Tugendlehre umfaßt diese
Sprachklärung, vgl. MSR, Einleitung ü B 7-13; 7,319-323 und MST, A 2-10; 7,508-513.
'° Dazu J. Simon, Zeil, 302f („Der Richter muß sein Urteil .nach außen' rechtlich begrün-
den, aber vor sich selbst moralisch verantworten").
51
J. Simon, Zeit, 303.

57
stand unabdingbar. Er wäre aber für ein ethisches gemeines Wesen ein „Wider-
spruch (in adiecto) ... Weh aber dem [politischen] Gesetzgeber, der eine auf
ethische Zwecke gerichtete Verfassung durch Zwang bewirken wollte! Denn
er würde dadurch nicht allein gerade das Gegenteil der ethischen bewirken,
sondern auch seine politische untergraben und unsicher machen."32 Dadurch
spitzt sich der mögliche Konflikt der Handlungsinterpretationen zum Kriegs-
zustand (nicht zum Krieg) ethischer Selbst- und Fremdbeurteilung im Gewissen
zu. Die Fiktion eines ethischen Naturzustands stellt den Kriegszustand einer
permanenten Gewissensreflexion und wechselseitigen Verdächtigung dar. Er
beruht auf der möglichen Privatsprachlichkeit des Gewissens als absoluter
Richterschaft: Hier wäre jeder selbst Richter über jenen Endzweck, den er
für und anstelle aller anderen zum höchsten Gut bestimmt, ohne sich ihnen
auch nur verantworten zu können. Das gute Gewissen kann weder irren,
noch von anderen Menschen verantwortet werden. Es steht gerade deshalb im
Zustand prinzipiellen Verdachts .innerer Lüge' (ein Verdacht, der durch die
mögliche Berufung auf ,Gott' als letzten, einzigen und ausschließlichen
Richter gerade seine Pointe erhielte) - in der Tat: eine „öffentliche wechselsei-
tige Befehdung der Tugendprinzipien.""
Man mag zur weiteren Explikation auf Nietzsches .Hauptsatz' verweisen,
nach welchem es „keine moralischen Phänomene", sondern nur „eine morali-
sche] Interpretation dieser Phänomene [gibt]. Diese Interpretation selbst ist außer-
moralischen Ursprungs."* Doch schon Kant kann die .Kasuistik' des Gewis-
sens in seiner Handlungsinterpretation hellsichtig, wenn auch beiläufig, „als
eine Art Dialektik des Gewissens" bezeichnen (RGV, B 288; 7,860). Die
Fiktion des ethischen Naturzustands erweist die Dialektik des guten Willens
in der Idee des höchsten Gutes, die sich zuletzt im möglichen Terrorzustand
der sich selbst und andere richtenden Gewissen manifestiert. Die Revolution
von 1789 und ihr Verlauf bildet dafür nur den Entdeckungszusammenhang.
Aber es unterscheidet Kant von Nietzsche, daß er angesichts dieser Mög-
lichkeit zur Hoffnungsfrage als außermoralischer Frage übergeht, wenn auch
aus moralisch hinreichendem Grund. Die Frage nach einer öffentlichen,

52
RGV, B 132; 7,754.
33
Das .oberste Prinzip der Tugendlehre' lautet ja: „handle nach einer Maxime der Zwecke,
die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann." (MST, A 30; 7,526). Es ist
symptomatisch, daß es für Wimmer „vorderhand nicht einzusehen ist, daß und wie Tugend-
prinzipien miteinander in Konflikt, ja in Widerstreit geraten können" (191). Wimmers
mystische Interpretation der Idee des höchsten Guts hat sich der Aporie der amour desinter-
esse - Thema z.B. von Albert Camus' Die Pest - nicht gestellt.
34
F. Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1885-1887, in: Kritische Studienausgabe 12, hg.
v. G. Colli/M. Montinari, 2. A. München/Berlin 1988, 149. Dazu: J. Simon, Zeit, 305: „Wo
einer zur Entschuldigung anführen mag, daß er ,so etwas', wie der moralische ,Name' es
benennt, gewiß nicht tun .wollte', kann ein anderer einen gezielten .Willen', gerade ,so
etwas' zu tun, am Werk sehen und damit Schuld zuweisen. Auch das Wort .Wille' wäre
dann eventuell schon eine Interpretation."

58
ethischen Sprache des Gewissens wird dabei nicht schon als gelöst vorausge-
setzt. Der ethisch-argumentative Diskurs ist angewiesen auf .gegebene'
Sprachzeichen und eine Kultur der Verantwortung, die es überhaupt erst er-
lauben, sich mit sich und anderen über Handlungen zu orientieren und
ethisch .behutsam' zu verständigen, so daß das in der Handlungsinterpreta-
tion Entscheidbare begründet entschieden und das Unentscheidbare begründet
unentscheidbar bleibt. Kritische Einsicht in die Grenze des Gewissens ist
dabei gerade Grund seiner Geltung als sich selbst richtende Urteilskraft. Darf
man darauf hoffen?

Daß eine öffentliche ethische Sprache .schon da' ist, daß insbesondere eine
.wundersame Religion in der größten Einfalt ihres Vortrages die Philosophie
mit weit bestimmteren und reineren Begriffen der Sittlichkeit bereichert, als
diese bis dahin hatte liefern können' ist, angesichts des möglichen ethischen
Naturzustandes, das am wenigsten Selbstverständliche. Umgekehrt nimmt
sich praktische Vernunft das Recht, diese gegebenen Begriffe ,frei zu billigen
und sie als solche anzunehmen' (KU, B 463 Anra.; 8,603). Der Konflikt der
Handlungsinterpretation wird also zum Streit um Interpretationssprachen
und Interpretationen. Oder genauer und im Blick auf unsere Kant-Analyse:
Er wird zum Konflikt zwischen einer reinen praktischen Urteilskraft und
ihrer juridischen Typik (z.B. .ethisches gemeines Wesen') und einem enthusia-
stischen Hoffnungssinn und seiner biblischen Metaphorik (z.B. .Reich Gottes'
und .Gericht'), die sich übrigens auch selbst in theologischen Symbolen
vereindeutigt und reduziert.
Daß und wie dieser Konflikt ausgetragen wird, ob er argumentativ geführt
werden kann oder nicht, ist Symptom einer existierenden Kultur der Ver-
nunft, die sich in ihm erhält und generiert, ohne durch Vernunft letztbegrün-
det zu sein. Der Konflikt der Interpretation verlangt, in der Analyse von
Kant-Texten von Fall zu Fall genau darauf zu achten, inwieweit biblische
Metaphern problematisch reduziert werden und inwieweit Kant seine moral-
metaphysischen Termini durch diese Metaphern alterieren läßt.

3. Augenblickliche Hoffnung: Zufriedenheit und Natalität

Die skizzierte Dialektik des Gewissens, seine mögliche innere Lüge, enthält
einen nicht-moralistischen Begriff des radikal Bösen. Die dialektische Erweite-
rung von Moral zu Religion, durch welche in der Vorrede der Religions-
schrift Gottes Existenz begründet wird, wirkt auf die Religion selbst zurück.
Das Böse in der Religion wird zum Bösen der Religion. Diese Folgerung
seiner polemischen Fiktion zieht Kant nicht in der Religionsschrift, sondern
in der kurzen, entlegenen Spätschrift: .Das Ende aller Dinge' (1794). Georg
Picht charakterisiert diese Schrift mit gewissem Recht als Kants „eigentliche
Theologie". In diesem singulären Text Kants zeige sich, „welche Bedeutung

59
der Begriff des .Endzwecks' im Horizont der .eigentlichen Theologie' ge-
winnt." 35 Hoffnung richtet sich auf das .Gericht Gottes, des Schöpfers'.
Die Fiktion des ethischen Naturzustands wird jetzt als Kriegszustand utopi-
scher und anti-utopischer Weltentwürfe dargestellt. Reden von G o t t , Han-
deln, praktisches Urteilen und ihre Theorie (Ethik der Ethik) bleiben hier ge-
rade nicht in der Hoffnung des .Richtspruchs'. Im N a m e n der Hoffnung wird
vielmehr das Hoffen überschritten. Die Antinomie der Utopien und Anti-
Utopien mit Letztgeltungsanspruch begründet paradoxerweise gerade die
.Religionsgeschichte' .36

„Daher auch die von Zeit zu Zeit veränderten, oft widersinnigen, Entwürfe zu
schicklichen Mitteln, um Religion in einem ganzen Volk lauter und zugleich kraftvoll
zu machen; so, daß man wohl ausrufen kann: Arme Sterbliche, bei euch ist nichts
beständig, als die Unbeständigkeit! ... Schon oft ist gesagt worden, der gegenwärtige
Plan ist der beste; bei ihm muß es von nun an auf immer bleiben; das ist itzt ein
Zustand für die Ewigkeit. ,Wer (nach diesem Begriffe) gut ist, der ist immerhin gut,
und wer (ihm zuwider) böse ist, ist immerhin böse' (Apokal. XXII, 11): gleich als ob
die Ewigkeit, und mit ihr das Ende aller Dinge, schon itzt eingetreten sein könne; -
und gleichwohl sind seitdem immer neue Plane, unter welchen der neueste oft nur
die Wiederherstellung eines alten war, auf die Bahn gebracht worden, und es wird
auch an mehr letzten Entwürfen fernerhin nicht fehlen." (Ende, A 515.516f; 9,186f)

Die Sistierung der Hoffnung ist das „widernatürliche (verkehrte) Ende aller
Dinge, welches von uns selbst, dadurch daß wir den Endzweck mißverstehen,
herbeigeführt wird" (Ende, A 509; 9,182). Das Mißverständnis der Hoffnung
auf das .künftige Gericht' zerstört jede mögliche Gewissens-Kultur, weil das,
was in ihr begründet als gut oder böse verantwortet werden kann, gerade
nicht endgültig als gut oder böse gelten darf und soll. Göttliche Gerechtig-
keit, das wahre Ende aller Dinge, wird durch ein Idol von Gerechtigkeit
ersetzt, in dessen Namen absolute Richterschaft ausgeübt wird. So k o m m t
Kant zu einem Satz, der die Rede von Gott, „in dessen Willen dasjenige
Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen
sein kann und soll" (RGV, B IXf; 7,652) geradezu auf den Kopf stellt:

„Das Ende aller Dinge, die durch der Menschen Hände gehen, ist, selbst bei ihren
guten Zwecken, Torheit: das ist, Gebrauch solcher Mittel zu ihren Zwecken, die

35
G. Picht, Hier und Jetzt I, 64f. Wenig hilfreich: H.A. Salmony, Das Ende aller Dinge.
' 6 Zu diesem Begriff Kants: J. Bohatec, 616. Die Dialektik der .Religionsgeschichte' ist zu
unterscheiden von der .äußeren Kirchengeschichte' und ihrem „beständigen Kampf zwischen
dem gottesdienstlichen und dem moralischen Religionsglauben" (RGV, B 184; 7,788; vgl.
RGV, B 183-206; 7,788-803). Die Dialektik der Religionsgeschichte manifestiert sich in den
eschatologischen Antinomien von Allversöhnung und Dualismus (Ende, A 499-503;
9,177-179), von praktischem Unsterblichkeitsglauben (Postulatentheologie der Zweiten Kri-
tik, Vorstellung eines Purgatoriums) und mystischem Nihilismus (Ende, A 509-514; 9,182-
185).

60
diesen gerade zuwider sind. Weisheit, d.i. praktische Vernunft in der Angemessenheit
ihrer dem Endzweck aller Dinge, dem höchsten Gut, völlig entsprechenden Maß-
regeln, wohnt allein bei Gott; und ihrer Idee nur nicht sichtbarlich entgegen zu
handeln, ist das, was man etwa menschliche Weisheit nennen könnte. Diese Siche-
rung aber wider Torheit, die der Mensch nur durch Versuche und öftre Veränderung
seiner Plane zu erlangen hoffen darf, ist mehr ,ein Kleinod, welchem auch der beste
Mensch nur nachjagen kann, ob er es etwa ergreifen möchte'; wovon er aber niemal
sich die eigenliebige Überredung darf anwandeln lassen, vielweniger darnach verfah-
ren, als ob er es ergriffen habe." (Ende, A 514f; 9,185f)

T r o t z kontrahierter Anspielung auf Phil 3,12-14 - das .Kleinod' der himm-


lischen Berufung Gottes in Jesus Christus, also der Gottesgerechtigkeit aus
Glauben - bleibt Kant diesseits biblischer Verheißung: Die begriffene Unbe-
greiflichkeit göttlicher Weisheit ermöglicht .negative Weisheit', die danach
trachtet, der in jeder Affirmation dialektischen Idee der eschatologischen Ge-
rechtigkeit Gottes zumindest nicht sichtbar zu widersprechen. Wird Hoffnung
damit zur negativistischen Bewegung, die weiß, daß sie hofft, nur indem sie
nicht weiß, was sie hofft - ein Nicht-Wissen, das gegen den Schein innerwelt-
licher Erlösung stets neu erarbeitet sein will? Adornos negative Theologie
insinuiert dies: „Daß keine innerweltliche Besserung ausreichte, den Toten
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; daß keine ans Unrecht des Todes rührte,
bewegt die Kantische Vernunft dazu, gegen Vernunft zu hoffen." 37

Die kritische Destruktion des Unsterblichkeitspostulats kann für diese Lesart ein
Beispiel bieten: Warum retrahiert die Religionsschrift und vollends ,Das Ende aller
Dinge' das in praktischer Absicht so .natürliche' Unsterblichkeitspostulat, um wider
Vernunft zu hoffen? In der Tat, weil dieses Vernunftpostulat den Toten keine
Gerechtigkeit widerfahren lassen kann: „die Vorstellung eines unendlichen Fort-
schreitens zum Endzweck ist doch zugleich ein Prospekt in eine unendliche Reihe
von Übeln, die, ob sie zwar von dem größern Guten überwogen werden, doch die
Zufriedenheit nicht Statt finden lassen, die er [sc. der Mensch] sich nur dadurch, daß
der Endzweck endlich einmal erreicht wird, denken kann." (Ende, A 513; 9,184)

Paulus nennt demgegenüber allerdings einen Grund der Hoffnung: den Glau-
ben an die Verheißung, daß,ich von Christus Jesus ergriffen bin' und in Christus
Jesus von der Gerechtigkeit Gottes. Aber auch dieses Ergriffensein durch den ge-
kreuzigten Jesus Christus kann ja nicht einfach in einen eschatologischen
Prospekt überführt werden, weil die Rede von Gottes .Wille', Gottes .Hand-
lung' oder .Gottes Reich als Endzweck' kreuzestheologisch obsolet geworden

57
„Das Geheimnis seiner [Kants] Philosophie ist die Unausdenkbarkeit der Verzweiflung ... Er
hielt an den metaphysischen Ideen fest und verbot dennoch, vom Gedanken des Absoluten
... überzuspringen in den Satz, das Absolute sei darum. Seine Philosophie kreist, wie übrigens
wohl eine jede, um den ontologischen Gottesbeweis. In großaniger Zweideutigkeit hat er die
eigene Position offen gelassen ... Verschmäht hat er den Übergang zur Affirmation" (Negative
Dialektik, 378).

61
ist: Verheißene Gerechtigkeit, die im Gekreuzigten ihr Ja' und im Glauben
ihr ,Amen' (,es werde wahr') findet (2Kor 1,20), teilt sich auf Hoffnung hin
mit, fortschreitend, nicht fortschrittlich, sondern fortwährend. „So kann
Hoffnung aussprechen, was sie nicht weiß, indem sie zurückläßt, was nicht
aus Gott stammt. Das kann sie aussprechen - und darin besteht der Unter-
schied zwischen einem ,reinen' Hoffnungsakt, der sich über jede seiner
Materialisationen hinausschwingt, und einer Hoffnung, die nichts für sich
beansprucht, die auch nicht weiß, was sie will, sondern nur wollen kann, was
Gott will."38 Theologische Eschatologie bleibt nicht negativistisch, weil Ge-
rechtigkeit Gottes sich in bestimmten, intern begrenzten Assertionen mitteilt.
Sie exemplifiziert sich, wie zu zeigen ist, in dichten, .sakramentalen' Zeichen.
In diesen Zeichen kann sie beschrieben werden, wobei dieses Beschreiben ein
infiniter, dialogischer Lernprozess zu bleiben hat.39 Theologische Eschatologie
bietet also eine genuine Lösung der Aporie, daß Reden von Gott, Handeln
und praktisches Urteilen und ihre Theorie in der Hoffnung des verheißenen
Handelns Gottes im Geist bleiben sollen.
Kants Hoffnung ist weder negativistisch noch assertorisch im theologischen
Sinn. Sie sucht in negativen Zeichen zur Darstellung zu bringen, was undar-
stellbar ist: kreatürliche Freiheit als Weisheit, das Geheimnis der Hoffnung.
Die angemessene Exposition schon dieser Aporie wird allerdings nicht sel-
ten verfehlt. Das ist das spezifische Problem der Spätschriften. Daß Hoff-
nung, als menschliche Weisheit, ,ein Kleinod ist, welchem auch der beste
Mensch nur nachjagen kann, ob er es etwa ergreifen möchte', daß sich also
auch Kant selbst korrigiert, erweist ein Vergleich der Religionsschrift mit der
späteren Schrift über ,Das Ende aller Dinge'. Die Negativität der Hoffnung ist
jeweils Ausgangspunkt. Gottes Gericht, seine Gerechtigkeit, ist die Grenze
des Gewissens. Aber wie das Geheimnis der Freiheit negativ, als wissendes
Nichtwissen, zur Darstellung zu bringen ist und sich zeigen kann, bleibt dop-
peldeutig:
Negativität wird zur .schlechten Unendlichkeit', wenn sie das Geheimnis in
der Anschauungsform der transzendentalen Ästhetik zur Darstellung bringen
will. Für das sich selbst anschauende Gewissen wird die Idee göttlicher Gerech-
tigkeit am unendlichen Fortschritt des moralischen Selbst scheinbar darstell-
bar, verstrickt sich aber in unauflösbare Widersprüche.

Das zeigt sich im Ersten und Zweiten Abschnitt der Religionsschrift: Es ist hier
wieder eine biblische Metapher, das Bild eines .Herzenskündigers', unter der die Idee
göttlichen Gerichts reflektiert wird. Doch wird hier die biblische Metapher proble-
matisch reduziert: Dieser Herzenskündiger soll anschauen können, was dem inneren
Sinn des Gewissens unanschaulich bleiben muß. Wir können unsere Gesinnung „von
einem Herzenskündiger in seiner reinen intellektuellen Anschauung" (RGV, B 85;

" G. Sauter, Eschatologische Rationalität, 171 (genauer: „sondern nur Gott will").
39
Dies ist Thema des Zweiten Hauptteils, v.a. in den §§ 10.12-13.15!

62
7,720) beurteilt denken, für den die .neugeborene' Gesinnung, „als ein vollendetes
Ganze, auch der Tat (dem Lebenswandel) nach" (ebd.) gilt.
Dem intelligiblen Herzensgrund, in der Gesinnung, soll die plötzliche und ein-
malige Lebensbekehrung widerfahren sein. Aber sie wird für das Gewissen zur
beständig bereits geschehenen Revolution. Was an sich Revolution ist, erscheint für
das sich in der Präsenz des inneren Sinnes anschauende Gewissen als allmählich fort-
gehende, unendliche Refom. An die Stelle des revolutionären Übergangs von der Lüge
zur Wahrheit im intelligiblen Charakter tritt der unendliche Fortschritt von der
Unwahrhaftigkeit zur Wahrhaftigkeit im empirischen Charakter, über den das
Gewissen richtet.40
Hoffnung wird als möglicher innerer Fortschritt anschaubar: Der Fortschritt in
einer Lebensspanne läßt das Postulat zu, daß diese Zeitspanne beliebig verlängerbar
(oder verkürzbar) ist, ohne daß der mögliche Fortschritt aufhörte. Den für unser
Gewissen als unendlich postulierbaren Fortschritt können wir für uns analogisch im
Urteil des intelligiblen Herzenskündigers vorstellen, der diesen unendlichen Fort-
schritt so ansieht, als ob der Mensch durch sich selbst einmal und ein-für-allemal
vom Bösen zum Guten übergegangen sei. Der Herzenskündiger sieht in seiner intel-
ligiblen Anschauung als Übergang vom Bösen zum Guten, was wir in unserer Selbst-
beurteilung als unendlichen Fortschritt zum Besseren nur hoffend postulieren kön-
nen. Was uns als unendliche Asymptote anschaubar ist, überschaut der Herzenskün-
diger im Nu, sofern er gleichsam die Reihenregel sieht.41
Offensichtlich ist die Aporie dieser Grundfigur die Zweideutigkeit des Gewissens:
Praktische Urteilsweisheit als korrelative Richterschaft im Urteil Gottes mutiert zur
Anschauung des göttlichen Gerichts per analogiam. Allerdings wird sich das kritische
Gewissen der unvermeidlichen Dialektik seiner Selbstanschauung bewußt. Hoffnung
gibt es deshalb nur als negativistische Bewegung. Nur unter der virtuell unendlichen
Dialektik von Hoffnungsanschauung und Kritik leuchtet die negative Hoffnung
eines eschatologischen Erkanntseins durch Gott auf! Sie wird in der Idee des Her-
zenskündigers nolens volens analogisch vorgestellt. Vom Standpunkt des sich an-
schauenden Gewissens aus ist das unendlich fortschreitende Selbst zwar Schein, aber
durchschaubarer Schein, der in der bloß natürlichen Beschränkung der Selbstwahr-
nehmung gründet.42
Die Idee des ein- für allemal gut gewordenen homo noumenon ist also - wie Kant
in seiner Spätschrift gegenüber der Religionsschrift einräumt - im Grunde eine an-
tinomische Urteilsregel des sich beurteilenden Gewissens: „Die Regel des praktischen
Gebrauchs der Vernunft dieser Idee gemäß will also nichts weiter sagen, als: wir
müssen unsre Maxime so nehmen, als ob, bei allen ins Unendliche gehenden Ver-
ändrungen vom Guten zum Bessern, unser moralischer Zustand, der Gesinnung

40
Vgl. RGV, B 54f; 7,698f.
41
Vgl. RGV, B 85f; 7,720.
42
H. Heimsoeth, Metaphysische Motive, drückt unfreiwillig, aber präzise den theoretisch-
spekulativen Charakter aus, den diese Unterscheidung von Selbsterscheinung und Selbstsein
bei Kant wieder annehmen kann, wenn er schreibt: „Die unendliche Dauer der unsterblichen
Seele ist etwas anderes als die .Ewigkeit' Gottes; sie ist in Wahrheit eine .Reihe', die nur
Gott in einem Blicke überschaut. Es ist unsere sinnliche Beschränktheit, die solche Reihe und
Dauer eben nur als zeitliche sich vorstellen kann" (224, Kursive HA).

63
nach, (der homo noumenon, .dessen Wandel im Himmel ist' [Phil 3,20]) gar keinem
Zeitwechsel unterworfen wäre." (Ende, A 511; 9,183) Aber diese Regel der Selbst-
beurteilung ist nicht zu halten, weil sie wiederum nur die Differenz zwischen der
Gerechtigkeit des homo noumenon und der bleibenden Ungerechtigkeit des sich
selbst erfahrenden Menschen (homo phainomenon) statuiert. Jener kann seine Ge-
rechtigkeit nicht an diesen mitteilen, so daß dem Menschen wiederum nur der
„Prospekt in eine unendliche Reihe von Übeln" (Ende, A 513; 9,184) bleibt. Der
Büß- und Tugendkampf, zu dem die Religionsschrift anleitet, ist unendlich. Dann
aber wird diese Buße hoffnungslos. Gottes Gerechtigkeit kann nicht an das Gewissen
mitgeteilt werden: Dieses Dilemma ist die Quintessenz des Ersten und Zweiten
Stücks der Religionsschrift.

Der G r u n d für das Dilemma schlechter Unendlichkeit liegt tiefer, nämlich in


der Anschauungsform von Zeit, in der das Gewissen den moralischen Cha-
rakter in der Differenz von empirischem und intelligiblem Charakter zur
Darstellung bringt, und die per analogiam auf die .intellektuelle' Anschauung
des Herzenskündigers projiziert wird. Diese Zeit kann nicht M a ß göttlicher
Gerechtigkeit sein.
N u n möchte die Religionsschrift jedoch in eine Hoffnung einführen, die
sich nicht in das Dilemma schlechter Unendlichkeit verstrickt. Diese Hoff-
nung läßt sich aus der Idee des Herzenskündigers nicht begründen, wie Kant
nachträglich eingesteht. Der Mensch, der dem kategorischen Imperativ ge-
horcht, darf erwarten, „unerachtet seiner beständigen Mangelhaftigkeit doch
überhaupt Gott wohlgefällig zu sein .... in welchem Zeitpunkte auch sein Da-
sein abgebrochen werden möge" (RGV, B 85f; 7,720f, Kursive H A ) .
Daß der Tugendkampf, also der unendliche Fortschritt von Unwahrhaftig-
keit zur Wahrhaftigkeit 43 , abgebrochen werden kann, daß Buße aufgrund
mitgeteilter Gerechtigkeit endlich ist, ist Hoffnung wider die in der tran-
szendentalen Zeit anschaubare Hoffnung. Sie gründet nicht in der Reflexions-
Idee des Herzenskündigers, sondern im eigentlichen Ende aller Dinge: dem
Gericht als Übergang „aus der Zeit in die Ewigkeit11 (Ende, A 495; 9,175): „das
Begnadigungs- und Verdammungs-Urteil des Weltrichters ist... das eigentliche
Ende aller Dinge in der Zeit, und zugleich der Anfang der (seligen oder unse-
ligen) Ewigkeit, in welcher das jedem zugefallne Los so bleibt, wie es in dem
Augenblick des Ausspruchs (der Sentenz) ihm zu Teil ward." (Ende, A 497f;
9,176)
Für die Gewissensreflexion ist die Idee dieses Gerichts nicht n u r im inneren
Zeitsinn nicht anschaubar. Vielmehr wird der Versuch, diese Idee anzuschau-

45
Die erste Pflicht gegen sich selbst wird die Pflicht zur „Höllenfahrt des Selbsterkennt-
nisses" (MST, A 104; 7,576), welche allein „den Weg zur Vergötterung" (ebd.) bahnt - wie
Kant, die Sentenz seines Königsberger Freundes und Meta-Kritikers Hamann variierend, zu
sagen vermag. Aber es dürfe dies nicht als Pflicht gegen Gott, als Regel des Bußgebets, ver-
standen werden, soll die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis nicht in der mystischen Gefühls-
theorie enden (vgl. Kants Kritik derselben Sentenz, Streit, A 86; 9,324).

64
en, zum Widerfahrnis realer Zeit. Das reflektierende Gewissen muß, „um sich
in einen solchen Zustand hineinzudenken, doch überhaupt etwas denken ...;
Denken aber [enthält] ein Reflektieren ..., welches selbst nur in der Zeit
geschehen kann." (Ende, A 511f; 9,184) Das ,Machen' der Gewissensidee des
Gerichts kostet Zeit. Da Zeit vergeht, indem diese Idee gemacht wird, wird
auch diese Hoffnungsidee definitiv mißlingen, „so daß man wohl ausrufen
kann: Arme Sterbliche[!], bei euch ist nichts beständig, als die Unbeständig-
keit"? (Ende, A 515; 9,186) Aber die Pointe ist nicht, daß auch diese An-
schauung der Hoffnung destruiert werden muß, sondern daß darin Zeit nicht-
anschaubar widerfährt: als reale Zeit. Der reflektierend intendierte Übergang
aus Zeit in Ewigkeit (beides Modi idealer Zeit), wird zum widerfahrenden
Übergang aus idealer in reale Zeit.
Dieser Übergang kann zum Anfang humaner Weisheit und negativer Hoff-
nung werden, wenn in ihm das Geheimnis endlicher Freiheit fühlbar wird.
Arbeit der Reflexion soll dieses Geheimnis möglicher kreatürlicher Freiheit als
augenblickliche Selbstzufriedenheit fühlbar machen. Das ist das Programm ratio-
naler Mystagogie. Doch solche augenblickliche Selbstzufriedenheit widerfährt
in Zeichen, ist in ihnen dargestellt und mitgeteilt. Zeichen des Naturschönen
und Kunstschönen sind ein Beispiel dieser Symbolik der Hoffnung. Der
Freilegung des äußeren und inneren Sinns, der in Symbolen augenblickliche
Hoffnung widerfahren läßt und kreatürliche Freiheit als Zufriedenheit fühl-
bar macht, gilt die Arbeit der Reflexion. Zufriedenheit als freie Bedürftigkeit ist
negatives Kreaturgefühl: Einverständnis mit dem Geborensein als Mensch und
Gefallen an humaner Freiheit, ohne sie aus Handlungen, ihrem Endzweck
und ihren Maximen zu rechtfertigen und überzubegründen.

4. Inkommensurable Zeit der Gerechtigkeit: Liebe und Pluralität

Die Antinomien der Eschatologie und die Dialektik der Religionsgeschichte


mit ihrem unvermittelten Anspruch auf göttliche Offenbarung nötigen zur
Reflexions-Arbeit. Aber die kritischen Reflexions-Begriffe von Gott, Gottes
Reich und Gerechtigkeit sind vernunftgemachte Ideen, die unanschaubar
bleiben müssen, indemonstrabel.44 Sie reflektieren das augenblickliche Wider-
fahrnis von Kreatürlichkeit paradox, während dieses fühlbare Geheimnis der

44
Diese Paradoxie spricht Kant z.B. am Ende der Religionsschrift aus: „Es klingt zwar
bedenklich, ist aber keineswegs verwerflich, zu sagen: daß ein jeder Mensch sich einen Gott
mache, ja nach moralischen Begriffen (begleitet mit denen unendlich-großen Eigenschaften,
die zu dem Vermögen gehören, an der Welt einen jenen angemessenen Gegenstand dar-
zustellen) sich einen solchen selbst machen müsse, um an ihm den, der ihn gemacht hat, zu
verehren ... Aus bloßer Offenbarung, ohne jenen Begriff vorher, in seiner Reinigkeit, als
Probierstein, zum Grunde zu legen, kann es also keine Religion geben und alle Gottesver-
ehrung würde Idololatrie sein. " (RGV, B 257 Anm.; 7,839f)

65
Freiheit .inexponibel' bleibt, von begreifbarer Unbegreifbarkeit. 45 Diese Figur
wiederholt sich und verschärft sich, wenn Kant die utopische Vernunft auf
ein eschatologisches Faktum verweist, das im kritisch-transzendentalen Sinn
grundlos ist:

„Das Christentum hat, außer der größten Achtung, welche die Heiligkeit seiner Ge-
setze unwiderstehlich einflößt, noch etwas Liebenswürdiges in sich. (Ich meine hier
nicht die Liebenswürdigkeit der Person, die es [das Christentum] uns mit großen
Aufopferungen erworben hat, sondern der Sache selbst: nämlich der sittlichen
Verfassung, die Er stiftete; denn jene läßt sich nur aus dieser folgern.) Die Achtung
ist ohne Zweifel das Erste, weil ohne sie auch keine wahre Liebe Statt findet; ob
man gleich ohne Liebe doch große Achtung gegen jemand hegen kann. Aber wenn
es nicht bloß auf Pflichtvorstellung sondern auch auf Pflichtbefolgung ankommt,
wenn man nach dem subjektiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem, wenn
man ihn voraussetzen darf, am ersten zu erwarten ist, was der Mensch tun werde,
nicht bloß nach dem objektiven, was er tun soll: so ist doch die Liebe, als freie
Aufnahme des Willens eines andern unter seine Maximen, ein unentbehrliches
Ergänzungsstück der Unvollkommenheit der menschlichen Natur (zu dem, was die
Vernunft durchs Gesetz vorschreibt, genötigt werden zu müssen) ... Das Christen-
tum hat zur Absicht: Liebe, zu dem Geschäft der Beobachtung seiner Pflicht über-
haupt, zu befördern, und bringt sie auch hervor; weil der Stifter desselben nicht in
der Qualität eines Befehlshabers, der seinen Gehorsam-fordernden Willen, sondern in
der eines Menschenfreundes redet, der seinen Mitmenschen ihren eignen wohlver-
standnen Willen, d.i. wornach sie von selbst freiwillig handeln würden, wenn sie
sich selbst gehörig prüften ans Herz legt." (Ende, A 518f; 9,187f)

,Liebe' wird als sittliche Verfassung des Christentums in der Topik der
Triebfederlehre eingeführt. Doch ist sie weder deontologisch (Liebe zum
Gesetz als Ideal der Heiligkeit) noch teleologisch (Liebe zum Endzweck als
Ideal der Tugend) bestimmt, sondern als Triebfeder erweiterten Urteilens, wie
übrigens auch Achtung als Anerkennung jetzt konsensuell bestimmt ist. Liebe
ist freie, weder erzwingbare noch interessenbedingte, Aufnahme des Willens
eines anderen unter meine Maximen. In ihr zeigt sich eine genuine erweiterte
oder .liberale' Denkungsart.
Gemeint ist eine Urteilspraxis, die sich am ehesten von der erweiterten
Denkungsart ästhetischer Urteilskraft her erläutern läßt. N o c h klarer als in
der Idee eines ästhetischen sensus communis impliziert diese .liberale Den-
kungsart' reale Andere und wirkliche Mitteilung in einem genuinen sensus
communis. Angesichts der möglichen Privatsprachlichkeit des Gewissens ist
das Faktum einer sittlichen Verfassung und Kultur der Gewissenhaftigkeit
transzendental unableitbar. An dieses Faktum ist nur zu erinnern. Erinnert
wird das .Liebenswürdige' des .Christentums' als eines Faktums konkreter
.sittlicher Verfassung'. Singular ist dieses .Faktum der Religion', weil es weder

15
Hegels Kritik dieses Dilemmas ist unübertroffen: Glauben und Wissen, 323f.

66
durch Vernunft noch durch Geschichte begründet werden kann. „Ob Ver-
nunft und Geschichte eine Religion begründen können." (Reflexion Nr. 8098,
AA 19, 642,11-13). So fragt sich Kant in einer seiner breviloquenten Reflexio-
nen aus jener Zeit. Die Antwort: „Nein! aber wohl eine Kirche, worin Reli-
gion und Cultur einander unterstützen." (Ebd.)
Das Faktum des Christentums, das Faktum, daß solche Liebe da ist, gründet
im Willen seines Stifters - so, daß dieser Stifterwille in seiner Mitteilung, als
Christentum, da ist. Das Christentum bringt .Liebe auch hervor'. Nicht als
zu verwirklichender Zweck, sondern als genuin ,gegebene' Wirklichkeit ist es
liebenswürdig. „Das ist die moralische Liebenswürdigkeit, welche das Chri-
stentum bei sich führt ... und welche (was merkwürdig ist) zur Zeit der
größten Aufklärung, die je unter Menschen war, sich immer in einem nur
desto heilern Lichte zeigt." (Ende, A 521f; 7,189f)
Die Wirklichkeit dieser Verfassung freien Anerkennens gründet in der
.Verheißung' der .Menschenfreundlichkeit' Gottes in der Person Jesu. Sie
wird nicht christologisch begriffen, sondern jesulogisch exemplifiziert. Der
Menschenfreund teilt nicht Güter, sondern Güte mit. .Verheißung' ist diese
Mitteilung von Güte: „Also muß man jener Verheißung nicht den Sinn
beilegen, als sollten die Belohnungen für die Triebfedern der Handlungen
genommen werden. Die Liebe, wodurch eine liberale Denkart an einen
Wohltäter gefesselt wird, richtet sich nicht nach dem Guten, was der Be-
dürftige empfängt, sondern bloß nach der Gütigkeit des Willens dessen, der
geneigt ist, es zu erteilen" (Ende, A 521; 9,189)*6. Jesus, als .Menschenfreund'
(MST, A 158; 7,612), fesselt durch Selbstmitteilung, also in freier, nicht-
autoritärer Herablassung zu den Bedürftigen: Mitteilung von Güte ist zu-
gleich „Beherzigung der Gleichheit unter Menschen, mithin die Idee, dadurch
selbst verpflichtet zu werden, indem man andere durch Wohltun verpflichtet"
(MST, A 158; 7,612f). Diese Herablassung offenbart Wohltäter und Bedürftige
„gleichsam als Brüder unter einem allgemeinen Vater, der aller Glückseligkeit
will" (MST, A 158; 7,613).
Die genuine Öffentlichkeit einer Gemeinde Christi wird „noch am besten
mit der einer Hausgenossenschaft (Familie) unter einem gemeinschaftlichen,
obzwar unsichtbaren, moralischen Vater verglichen werden können, sofern
sein heiliger Sohn, der seinen Willen weiß, und zugleich mit allen ihren
Gliedern in Blutsverwandtschaft steht, die Stelle desselben darin vertritt, daß
er seinen Willen diesen näher bekannt macht, welche daher in ihm den Vater
ehren, und so untereinander in eine freiwillige, allgemeine und fortdauernde
Herzensvereinigung treten" (RGV, B 144; 7,762, Kursive HA). Christentum
steht bei Kant also für eine mögliche Vernunftkultur, für die weder rechtlich
erzwingbare noch moralisch anzuerkennende Öffentlichkeit des Gewissens
und seiner genuinen Gerechtigkeit, die sich jedem Tauschverhältnis entzieht.

46
Kant bezieht sich hier (Ende, A 520f; 9,189) auf Mt 5,12: „Seid fröhlich und getrost, es
wird euch im Himmel alles wohl vergolten werden".

67
Sie gründet in Menschenfreundlichkeit, die sich mitteilt, und dort, wo sie
gilt, erlaubt, Richterschaft über sich und andere auszusetzen, um Menschen-
freundlichkeit mitzuteilen.
Kants begriffliche Exposition bleibt an dieser Stelle de facto defizitär. Wich-
tiger ist aber, daß Inexponibilität auch de iure unvermeidbar ist. Kant erinnert
hier an das Faktum einer Öffentlichkeit göttlicher Gerechtigkeit, in welcher
Vergebung und Schuld nicht kommensurabel sind, d.h. sich der Idee formaler
Strafgerechtigkeit, ihrer Imputation und Tauschrelation von Verbrechen und
Strafe, Schuld und Sühne entziehen. Dies ist die Öffentlichkeit unverrechen-
barer Liebe, welche in ihrer Mitteilung inkommensurabel ist, ohne von
schlechter Unendlichkeit zu sein. Pluralität freier Geister wird zu dialogischer
Unendlichkeit des Geistes in unerschöpflich individueller Zeit. Zurecht
pointiert Josef Simon diese Möglichkeit in seiner Interpretation von Kants
Text: „Die Zeit entzieht sich ... .zuletzt' jedem Tauschverhältnis und jeder ihr
entsprechenden Gerechtigkeit. Die Zeit des anderen ,ist' der Andere. Seine
und meine Zeit sind nicht vergleichbar ... Aber der ,Geist ... kann die Nega-
tion seiner individuellen Unmittelbarkeit, den unendlichen Schmerz ertragen,
d.h. in dieser Negativität affirmativ sich erhalten und identisch für sich sein.'
Es kommt kein Ressentiment auf, wenn dieser Geist ,da' ist und Zeit daher
keine Rolle spielt. Das wäre der Zustand einer Gerechtigkeit, die allem .seine'
Zeit zuteilt, ohne zu vergleichen. Sie bestünde in der absoluten Inkommensu-
rabilität und damit auch in der Unerschöpflichkeit der Zeit, die wir je haben
und auch sind. Nur das Gemessene kann ,erschöpft' werden, die Zeit selbst
aber nicht"?47

J. Simon, Zeit, 310. Zur Explikation dieser dichten Beschreibung: § 13,2 (317 Anm. 31)
und § 14,3 (343f).

68
§ 4 Alternanz der Urteilskraft

Die Hoffnungsfrage am Ende der Ersten Kritik lautet: „Die dritte Frage,
nämlich: wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdenn hoffen? ist
praktisch und theoretisch zugleich, so, daß das Praktische nur als ein Leitfa-
den zur Beantwortung der theoretischen, und, wenn diese hoch geht, spekula-
tiven Frage führet." (KrV, B 833; 4,677) Zehn Jahre später, in der zweiten
Vorrede zur Kritik der Urteilskraft, wird diese Frage ungleich präziser und
prekärer formuliert. Die neue Formulierung bildet die Basis für jene Alter-
nanz des Hoffens, welche die Spätschriften bestimmt:

„Ob nun zwar eine unübersehbare Kluft zwischem dem Gebiete des Naturbegriffs,
als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem Übersinnlichen,
befestigt ist, so daß vom ersteren zum anderen (also vermittelst des theoretischen
Gebrauchs der Vernunft) kein Übergang möglich ist ... so soll doch diese auf jene
einen Einfluß haben, nämlich der Freiheitsbegriff soll den durch seine Gesetze
aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen; und die Natur muß
folglich auch so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form
wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheits-
gesetzen zusammenstimme. - Also muß es doch einen Grund der Einheit des Über-
sinnlichen, welches der Natur zum Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsbegriff
praktisch enthält, geben, wovon der Begriff, wenn er gleich weder theoretisch noch
praktisch zu einem Erkenntnisse desselben gelangt, mithin kein eigentümliches
Gebiet hat, dennoch den Übergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der
einen, zu der nach Prinzipien der anderen, möglich macht." (KU, B XlXf; 8,247f;
Kursive z.T. HA)

Was unterscheidet beide Formen der Hoffnungsfrage? Das präzisere Ver-


ständnis von Urteilskraft ineins mit dem Neuverständnis des prekären Über-
gangs, den sie zu vermitteln hat: In der zweiten Formulierung ist als genuin
reflektierende Urteilskraft präzisiert, was zuvor unklar als zugleich theoreti-
sche und praktische Hoffnung bezeichnet wurde, die faktisch auf die spekula-
tive Theologie zurückführte. Erst mit der Frage nach einer Urteilskraft, die
weder theoretisch noch praktisch sein soll, wird der spezifische Charakter der
Hoffnung als realer Orientierung z u m Thema.
Diese Differenz setzt das kritische Verständnis von Freiheit voraus. Das
.Faktum der Vernunft', dessen Exposition die Zweite Kritik gewidmet ist, be-
gründet eine reine praktische Urteilskraft, die den Willen a priori bestimmt
und sich praktische Weltorientierung verschafft. Damit stellt sich die Frage
nach dem Zusammenspiel dieser praktisch-bestimmenden Urteilskraft mit der
reflektierenden Urteilskraft. 1

' Da die praktische Urteilskraft erst im nächsten Paragraphen analysiert wird, muß die
Darstellung vorgreifen. Doch empfiehlt es sich, zuerst wichtige Aspekte reflektierender

69
Manifest wird der Bruch in der Hoffnungsfrage zunächst im Gottesbegriff:
Die Frage nach Hoffnung führt in der Ersten Kritik am praktischen Leitfaden
auf ein affirmatives, latent geschichtstheologisches Gottesideal. Die Dritte
Kritik verabschiedet diese affirmative Theologie. Der ,hohe Punkt spekulati-
ver Vernunft' wird zum hypothetischen .Grund' reflektierender Urteilskraft.
Die Idee ,Gott' begründet keine doktrinale Erkenntnis, sondern durch sie
reflektiert sich Urteilskraft als endliches, kontingentes, spezifisch humanes
Erkennen.
Hoffnung als Urteilssinn wird im Gefüge der Vermögen ortlos, atopisch.
Dieser Hypothese widerspricht allerdings die Behauptung, daß Urteilskraft
den Übergang zwischen den Vermögen vermittle, also selbst das grundlegende
Vermögen transzendentaler Topik sei. Darin deutet sich die eigenartige
Alternanz der Urteilskraft an: Sie vollzieht sich zugleich als reale Orientie-
rung und als Reflexion der Reflexion. In der Spannung zwischen der Hoff-
nung als endlicher Orientierung in der Welt und ihrer vermeintlich grundle-
genden Funktion im System der Vermögen liegt der Grund, weshalb der
Begriff dieses Erkennens trotz aller Reflexion darauf ungeklärt bleibt.
Diese Hypothesen bestimmen den folgenden Gedankengang: Der erste Ab-
schnitt widmet sich Kants Kritik der Ontotheologie in der Ersten Kritik.
Göttliche Freiheit, absolutes Anfangen, ist die Aporie, die zur Kritik des
ontologischen Arguments nötigt. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit
dem ,Gott' der reflektierenden Urteilskraft. Die Frage konzentriert sich auf
den Status kategorialer und nicht-kategorialer .Existenz' als realer Relation,
mithin auf die Frage realer, nicht-apriorischer Wahrnehmung und Orientie-
rung.
Der zweite Abschnitt widmet sich der Alternanz der Urteilskraft, die das
Vorhaben einer einheitlichen Theorie der Urteilskraft problematisiert. Der
vierte Abschnitt entwickelt, ausgehend von der ästhetischen Urteilskraft,
Aspekte eines an exemplarischen Zeichen erlernten endlichen Sinns und
Gefühls, Kants Hoffnung.

/. Gott als Idol und Abgrund - Negativität und Gottesbeweiskritik

Mit dem abbreviativen Postulat der frühen Hoffnungsfrage: Daß etwas sei,
weil etwas geschieht, spielt Kant auf das ontotheologische Ideal der absoluten
Notwendigkeit Gottes als oberster Vollkommenheit an (omnitudo realitatis).
Im Blick ist jener .Gott', der im Zentrum der Kritik des kosmologischen und
ontologischen Gottesbeweises steht. Die Pointe der Kritik dieser Beweise liegt
in der Kritik der Frage nach dem unbedingt notwendigen Sein Gottes über-
haupt. Das unausweichliche Vernunftbedürfnis, nach dem Unbedingten als

Urteilskraft darzustellen. Die Alternanz in Kants Theorie der Urteilskraft wird sich dann in
ihren Gründen weiter erschließen.

70
konstitutivem Prinzip zu fragen, sofern überhaupt nach Bedingungen der
Möglichkeit gefragt wird, antizipiert dialektisch schon immer ein Absolutes;
es dementiert aber gerade dadurch die Möglichkeit endlicher Erkenntnis.
Diese ontotheologische Aporie formuliert Kant in der singulären Passage,
welche seine Kritik der beiden Gottesbeweise zusammenfaßt und die neue
Regel eines regulativen Gebrauchs des Gottes-Ideals formuliert:

„Die unbedingte Notwendigkeit, die wir, als den letzten Träger aller Dinge, so
unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft. Selbst
die Ewigkeit, so schauderhaft erhaben sie auch ein Haller schildern mag, macht lange
den schwindelichten Eindruck nicht auf das Gemüt; denn sie mißt nur die Dauer der
Dinge, aber trägt sie nicht. Man kann sich des Gedanken nicht erwehren, man kann
ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das höchste
unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit
zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne das, was bloß durch meinen Willen etwas ist;
aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit,
wie die kleinste, schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft, der es
nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hindernis verschwinden
zu lassen." (KrV, B 641; 4,543)

Die Interpretation dieser Schlüsselstelle wird nicht selten zur Stellungnahme


über die Konditionen theologischen Denkens ,nach Kant'. Eberhard Jüngel
und Georg Picht stellten Kants Rede v o m Abgrund Gottes (abyssos Dei) ins
Z e n t r u m ihrer kritischen Anamnese philosophischer Theologie. Ein kurzer
Blick auf diese beiden prominenten Interpretationen zeigt zwei exemplarisch
verschiedene Lesarten. Beide sind der These Heideggers verpflichtet, daß
Kants Frage nach der absoluten Position Gottes (,Gott ist') der .geheime Sta-
chel' der transzendentalen Denkform sei. Kants Rede v o m Abgrund Gottes
wird also von beiden als Aporie dieser Denkform interpretiert.

Nach Eberhard Jüngels Diagnose droht sich das transzendentale ,Ich-denke' in der
absoluten Position Gottes als unbedingte Notwendigkeit selbst aufzuheben: „Die un-
bedingte Notwendigkeit, die wir, als den letzten Träger aller Dinge, so unentbehr-
lich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft." (KrV, B 641;
4,543) In der Kritik der reinen Vernunft kommt es deshalb nur zu einem problema-
tischen Wesensbegriü Gottes (Gott als omnitudo realitatis Inbegriff durchgängiger
Bestimmtheit), verstanden als regulatives Ideal reiner Vernunft. Das Postulat des
.Seins' Gottes hingegen folge als Postulat der praktischen Vernunft erst aus dem Po-
stulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt moralischer
Glückseligkeit).2 Jüngel identifiziert diese Konstellation als .Grundaporie' neuzeitli-
chen Gottesdenkens theologisch: Um sich nicht selbst zu zersetzen, muß sich die
denkende Subjektivität zwischen Wesen und Dasein Gottes setzen und damit Gottes

2
KpV, A 225f; 6,256; dazu: F. Mildenberger, Glaube als Voraussetzung, 162f; R. Wimmer,
Religionsphilosophie 19-88; G. Picht, Kants Religionsphilosophie, 487-573; G.B. Sala, Frage
nach Gott, 356-425.

71
Sein (als unbedingte Notwendigkeit) zersetzen.3 Diese Lesart reduziert Kants Aporie
mit Hegel zur ontotheologischen Aporie der Reflexionsphilosophie.4 Sie setzt ihr ein
Denken Gottes entgegen, das im Glauben an das Wort vom gekreuzigten Christus
standnimmt, um Gott als den von sich her kommenden zu denken und darin das
neuzeitliche Gottesdenken neu zu denken: als Erfahrung mit der Erfahrung des
Wortes vom Kreuz.5
Georg Pichts frühe, fragmentarische Interpretation der Religionsphilosophie Kants
nimmt demgegenüber Kants Rede vom abyssos dei zum Angelpunkt, um der unauf-
hebbaren Dialektik endlicher Reflexion Rechnung zu tragen. „Der bisherige Grund
der theoretischen Erkenntnis ist durch die transzendentale Dialektik zum wahren
Abgrund für die menschliche Vernunft geworden, und diesen Abgrund als Abgrund
offenzuhalten, also sowohl auf den Satz ,Gott ist', wie auf den Satz ,Gott ist nicht'
bewußt, auf Grund reflektierter Erkenntnis, zu verzichten, das ist jene Selbster-
kenntnis der Vernunft, in der sich die Grundlegung jedes möglichen Wissens voll-
zieht. Grundlegung der Erkenntnis ist die Einsicht, daß menschliche Erkenntnis,
weil sie endlich ist, Erkenntnis über einem Abgrund ist."6 Gerade in dieser begreif-
baren Unbegreiflichkeit Gottes sei Freiheit endlicher Subjektivität gewährleistet.7 In
Kants Rede vom Abgrund Gottes koinzidiert die ontotheologische Aporie mit der
Eröffnung neuer, praktischer Freiheitsmetaphysik, die Picht in der völkerrechtlichen
und ökologischen Utopie ewigen Friedens implementiert. 8
Allerdings kommt Picht in seinen späteren Vorlesungen zur Naturphilosophie und
Ästhetik erneut auf Kants Rede vom abyssos dei zurück. Er gibt ihr jetzt eine empha-
tische, reflexions- und subjektivitätskritische Wendung. Identität der Erfahrung gilt
jetzt nicht mehr als ermöglicht im freien Subjekt, das seine Identität als Freiheit je
vollzieht, sondern in der aporetisch aufscheinenden Einheit der Zeit in ihren Modi.9
Kants abyssos dei wird negativistisch auf Zeit als Horizont der Phänomenalität der
Phänomene bezogen: „Der .Abgrund für die menschliche Vernunft', der abyssus
Dei: das ist ein Gottesbegriff, der sich mit der transzendentalen Idee, die Kant mit
dem Namen ,Gott' bezeichnet, nicht zur Deckung bringen läßt. Hier öffnet sich ein
Nichts des Denkens, von dessen Erfahrung dann der frühe Hegel ausgeht ... Wir
können vom Nichts nicht anders sprechen, als wie es unserer Erfahrung zugänglich
ist. Wir erfahren das Nichts mit jedem Atemzug, denn wir erfahren dabei das Kom-
men und Sich-Entziehen von Zeit. Wir erfahren damit, daß wir uns in der Zeit in

3
E. Jüngel, Gott, 16-44; 138-203, v.a. 52f.
4
„Es bleibt über dieser absoluten Endlichkeit [des Reflexionssubjekts] und absoluten Un-
endlichkeit [des Begriffs der Glückseligkeit] das Absolute als eine Leerheit der Vernunft und
der fixen Unbegreiflichkeit und des Glaubens, der, an sich vernunftlos, vernünftig darum
heißt, weil jene auf ihre absolute Entgegensetzung eingeschränkte Vernunft ein Höheres über
sich erkennt, aus dem sie sich ausschließt." (G.W.F. Hegel, Glauben und Wissen, 294f.)
5
E. Jüngel, Gott, 203-227.
6
G. Picht, Kants Religionsphilosophie, 182.
7
A.a.O., 604f.
8
Dazu: G. Picht, Einheit von Kants Kritik der Vernunft; Kants transzendentale Grundle-
gung des Völkerrechts; Philosophie und Völkerrecht.
' Wie sehr sich Pichts Verständnis der Modalkategorien ändert, zeigt ein Vergleich von:
Kants Religionsphilosophie, 486, und: Der Begriff der Natur und seine Geschichte, v.a.
199-292.373-380.

71
einer Schwebe über einem Abgrund befinden. Durch die Erfahrung dieses Schwe-
bens entdecken wir die Transparenz der Zeit, die sich in allen zeitlichen Phänome-
nen manifestiert. Aber wofür die Zeit transparent ist, können wir nicht denken. Wir
schweben über jenem Nichts des Denkens, das Kant den Abgrund der Vernunft
genannt hat."10
Diese zeitphilosophische Interpretation der Rede vom .Abgrund', verbindet sich
bei Picht mit einer weitgefächerten Reflexion der Darstellbarkeit (mimesis) und der
Darstellungsformen dieses .Nichts des Denkens'. Sie bildet das Leitthema der Kunst-
philosophie Pichts und führt zu einem Verständnis mythischer Epiphanie der Zeit.
Diese mythische Epiphanie der Zeit wird der Offenbarung Gottes im Kreuz Jesu auf
das Schärfste entgegengesetzt." Für unsere Frage ist aufschlußreich, daß Picht an
versteckter Stelle die Sakramentsbandlungen von Taufe und Abendmahl als Mit-
teilungsform des Anderen der Zeit in der Zeit ins Spiel bringt. Die singulare Bedeu-
tung der Sakramente besteht für Picht darin, daß sie jenes Andere als Differierendes
der Zeit mitteilen, ohne es zum Differenten metaphysischer .Ewigkeit' zu verfesti-
gen: „Im Sakrament gewinnt Gestalt, was für das Denken undurchdringlich ist, und
was Sprache nicht erreichen kann; dadurch entsteht überhaupt erst der Raum der
Kirche. Hier stoßen wir an das Nichts des Denkens. Ich habe das nicht von außen
her gesagt. Getauft werden wir auf den Tod von Christus Jesus (Rom 6,3). Ebenso
unmittelbar ist das Abendmahl auf seinen Tod am Kreuz bezogen. Der Empfang der
Sakramente verwandelt uns in Menschen, die wissen, daß nur im Durchgang durch
den Tod, daß nur im Austritt aus der Zeit jene Wahrheit eröffnet wird, die sich in
Leiden, Tod und Auferstehung des Menschen Christus Jesus bezeugt. Die Sakramen-
te müssen Handlungen sein, weil Wort und Lehre hier zerbrechen und das Gesche-
hen selbst, also die Geschichte, die .historia abscondita' der christlichen Kirche sich
im Raum dieser Kirche ereignet. ... Sie [die Sakramente, verstanden als .Handlun-
gen'] sind das Riff, an dem das Boot der Philosophie und aller theologischen Imita-
tionen von Philosophie zerbricht. Eben deshalb sind sie philosophisch wichtiger als
die gesamte Lehrtradition der christlichen Kirchen."12
Die skizzierte Denkbewegung Pichts ist im Ganzen fragmentarisch und in vielen
Einzelaussagen unausgearbeitet und unscharf. Sie ist in ihrem Zugleich von negativi-
stischer Metaphysik-Kritik und latent metaphysischem Verantwortungsbegriff wider-
sprüchlich und problematisch.15
Anregend für das Verständnis von Kants abyssus dei als Verständigung über die
Bedingungen von Theologie bleibt sie jedoch darin, daß sie sich in eine Tradition

10
G. Picht, Einleitung, 19.24. Dazu: ders., Epiphanie; Modalitäten; Glauben und Wissen.
11
G. Picht, Kunst und Mythos, 437.447f.523-588.
12
G. Picht, Theologie, 383f (statt Rom 6,3 versehentlich Rom 3,6 gedruckt). Vgl. Kunst
und Mythos, lOf; Glauben und Wissen, 260f.
13
Zu Recht diagnostiziert M. Theunissen, Einheit im Denken, 364f, bei Picht eine „wider-
sprüchliche Stellung zur Metaphysik ..., weil Picht Metaphysik nicht nur überwinden,
sondern auch bewahren will. Wenn Metaphysik tatsächlich das in der technisch-wissen-
schaftlichen Welt Realität gewordene Denken ist, das alles Seiende der Subjektivität des
Menschen überantwortet, dann sagt Picht gleichzeitig ja und nein zu ihr: nein nach der dem
Vergangenen zugewandten, ja nach der dem Zukünftigen zugewandten Seite seiner Zeit-
diagnose."

73
stellt, die auf Schellings .Weltalter' und .Philosophie der Offenbarung' zurückreicht.
In dieser Tradition wird Kants abyssos dei als negativistisches Denken schöpferischer
Freiheit interpretiert. Dieser hegelkritische, negativistische Einsprung ins erfahrende
Erkennen der Positivität der Namensoffenbarung kehrt in Franz Rosenzweigs ,Stern
der Erlösung' wieder, „dem größten Werk in der Nachfolge der Weltalter'™. Dort
wird durchgeführt, was bei Picht Andeutung bleibt: der Übergang grammatischer
Analyse der Namensoffenbarung in eine eschatologische Beschreibung des Gottes-
dienstes und bestimmter liturgischer Zeichen als Exemplifikation und Ausdruck des
göttlichen Namens, seines .Geheimnisses' oder seiner Unendlichkeit.
Die Interpretation der Rede Kants vom Abgrund Gottes hat mit Jüngel und Picht
zwei Interpretationstypen vor sich, die auf die idealistische Konkurrenz Hegels und
Schellings verweisen. Unsere Untersuchung folgt der zweiten Linie. Sie unterstellt,
daß Kants Differenz von absoluter Notwendigkeit Gottes und absoluter Kontingenz
des Daseins „ein in philosophische Verwahrung genommenes konstitutives Element
aus dem biblischen Schöpfungsglauben ist"; gerade in Kants Kritik des ontologischen
Arguments wird erneut deutlich, daß „die Idee des ontologischen Gottesbeweises ein
und vielleicht sogar das wesentliche Mal ist, das der christliche Schöpfungsgedanke
dem Geist der europäischen Metaphysik zugefügt hat".15 Allerdings: Nicht die
weitmaschige Frage nach Metaphysikkritik ist von Interesse, vielmehr die Frage nach
den Konditionen endlicher Urteilskraft und ihrer Orientierung, die sich in der Kri-
tik des ontologischen Arguments herausbildet, aber erst mit der Analyse reflektieren-
der Urteilskraft ihr Thema gewinnt.

Was heißt es, wenn .Gottes absolute Notwendigkeit' - die reine, aus sich
anfangende Kausalität, unter deren Idee Kant die absolute Freiheit des Schöp-
fers zu reflektieren sucht -, sich der Vernunft als Ideal aufdrängt, dessen sie
sich nicht erwehren, das sie aber auch nicht ertragen kann? Wie ist es zu
verstehen, wenn Vernunft in dieser .schwindelichten' Schwebe den absolut
freien G o t t in einer eigenartigen Wende sich selbst nach der Bedingung seiner
Möglichkeit fragen läßt: ,aber woher bin denn ich'? Kant geht hier - nach
der Kritik des im ontologischen Argument zugrundegelegten Begriffs von
.Existenz' als transkategorialem Prädikat 16 - in die Rhetorik des Erhabenen
über. Die Referenz an Albrecht Hallers hochgeschätzte Ewigkeitsdichtung,
noch mehr aber der erhabenheitsrhetorische Topos „Abgrund" beweisen
dies. 17 Doch sollte man sich hüten, die Rede v o m Abgrund Gottes affirmativ
zu verstehen. Kant steigert durch den Kunstgriff des fiktiven göttlichen
Selbstgesprächs seine argumentative Kritik zur ironischen Polemik.

Der Kunstgriff, Fiktionen (oder Hypothesen) polemisch zu übersteigern, um die in


Wahrscheinlichkeiten spekulierende reine Vernunft durch ihre eigene Absurdität zu

14
M. Theunissen, Negative Theologie, 376 Anm. 61.
15
H.-G. Geyer, Gedanken, 125f. Dazu: H.G. Redmann, Gott und Welt.
16
Dazu § 4,3.
17
Die Fülle Kantischer Bezüge auf Hallers .Unvollkommene Ode über die Ewigkeit' (1736)
ist übersichtlich zusammengestellt bei: H. Heimsoeth, Dialektik, 501f Anm. 146.

74
disziplinieren, ist in der Methodenlehre der Ersten Kritik explizit diskutiert. „Hypo-
thesen sind also im Felde der reinen Vernunft nur als Kriegswaffen erlaubt, nicht um
darauf ein Recht zu gründen, sondern nur es zu verteidigen. Den Gegner aber müssen
wir hier jederzeit in uns selbst suchen. Denn spekulative Vernunft in ihrem tran-
szendentalen Gebrauche ist an sich dialektisch. Die Einwürfe, die zu fürchten sein
möchten, liegen in uns selbst. Wir müssen sie, gleich alten, aber niemals verjähren-
den Ansprüchen, hervorsuchen, um einen ewigen Frieden auf deren Vernichtung zu
gründen. Äußere Ruhe ist nur scheinbar. Der Keim der Anfechtungen, der in der Na-
tur der Menschenvernunft liegt, muß ausgerottet werden; wie können wir ihn aber
ausrotten, wenn wir ihm nicht Freiheit, ja selbst Nahrung geben, Kraut auszuschie-
ßen, um sich dadurch zu entdecken, und es nachher mit der Wurzel zu vertilgen?
Sinnet demnach selbst auf Einwürfe, auf die noch kein Gegner gefallen ist" (KrV, B
805f; 4,658; Kursive HA). 18 Ziel dieser polemischen Fiktion ist es, im metaphysi-
schen Kriegszustand der Vernunft mit sich selbst eine Entscheidung herbeizuführen:
„Die vor aller Erfahrung abgesonderte Vernunft kann alles nur a priori und als
notwendig oder gar nicht erkennen; daher ist ihr Urteil niemals Meinung, sondern
entweder Enthaltung von allem Urteile, oder apodiktische Gewißheit" (KrV, B 803;
4,656).

Dieses Entweder-Oder von Urteilsenthaltung und apodiktischer Gewißheit


spitzt sich im ontologischen Argument definitiv zu. Trotzdem kann die Kri-
tik dieses Arguments nicht zur Entscheidung kommen. 1 9 Ihr Fazit lautet:

„Es mag wohl erlaubt sein, das Dasein eines Wesens von der höchsten Zulänglich-
keit, als Ursache zu allen möglichen Wirkungen, anzunehmen, um der Vernunft die
Einheit der Erklärungsgründe, welche sie sucht, zu erleichtern. Allein, sich so viel
herauszunehmen, daß man so gar sage: ein solches Wesen existiert notwendig, ist nicht
mehr die bescheidene Äußerung einer erlaubten Hypothese, sondern die dreiste
Anmaßung einer apodiktischen Gewißheit ... Die ganze Aufgabe des transzendenta-
len Ideals kommt darauf an: entweder zu der absoluten Notwendigkeit einen Begriff,
oder zu dem Begriffe von irgendeinem Dinge die absolute Notwendigkeit desselben
zu finden. Kann man das eine, so muß man auch das andere können; denn als
schlechthinnotwendig erkennt die Vernunft nur dasjenige, was aus seinem Begriffe
notwendig ist. Aber beides übersteigt gänzlich alle äußerste Bestrebungen, unseren
Verstand über diesen Punkt zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses
seines Unvermögens zu beruhigen." (KrV, B 640f; 4,542f)

Deshalb bedient sich Kant jetzt der Hypothese im polemischen Sinn. Die
Schärfe dieser polemischen Übersteigerung richtet sich in der Tat gegen Kants

18
HJ. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, 249, über Luthers Polemik im Sakramentsstreit: „Ge-
hört es nicht zum Wesen des Denkens und der Lehre, daß geistige Fehlentwicklungen
rechtzeitig unter die Lupe genommen werden, damit offenbar wird, um was es sich bei
solchen scheinbar richtigen, harmlosen, einleuchtenden sophistischen Thesen handelt? Oft
wird das den Vertretern solcher Häresien kaum bewußt sein."
" Daß auch das kosmologische Argument auf das ontologische Argument zurückführt,
zeigt Kant KrV, B 631-640; 4,536-542, vgl. v.a. das Fazit, KrV, B 638-640; 4,541f.

75
eigene Theologie. In der frühen Beweisgrundschrift von 1763 findet sich eine
nahezu gleich lautende Betrachtung, die bis ins einzelne als Kontrapunkt zu
hören ist, zeigt sie doch die Stimme der Anfechtung, die aus der eigenen
Vernunft erwächst:

„Die Summe aller dieser Betrachtungen führet uns auf einen Begriff von dem höch-
sten Wesen, der alles in sich faßt, was man nur zu gedenken vermag, wenn Men-
schen aus Staube gemacht es wagen, ausspähende Blicke hinter den Vorhang zu wer-
fen, der die Geheimnisse des Unerforschlichen vor erschaffene Augen verbirgt. Gott
ist allgenugsam. Was da ist, es sei möglich oder wirklich, das ist nur etwas, in so
ferne es durch ihn gegeben ist. Eine menschliche Sprache kann den Unendlichen so
zu sich selbst reden lassen: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts,
ohne in so ferne es durch mich etwas ist." (EMBg, A 180; 2,723f)

Die Synopse beider Stellen zeigt, daß die Kritik der reinen Vernunft die bib-
lische Metapher des Versöhnungstagrituals meidet, deren sich die frühe
Schrift bedient. Warum? Weil diese Metapher sich gegen den in die Geheim-
nisse des Unerforschlichen ausspähenden Blick selbst kehrt. Diese Rück-Spie-
gelung (Reflexion) des ausspähenden Blicks ereignet sich in der Ersten Kritik
mit der in das göttliche Selbstgespräch eingefügten Frage: .Aber woher bin
denn ich?' Sie ist die entscheidende polemische Pointe. Wie präzise Kant for-
muliert, zeigt sich daran, daß er jetzt nicht mehr nur eine geliehene mensch-
liche Sprache für Gott sprechen läßt. Dieser Vorbehalt ist jetzt getilgt. Es
reflektiert sich im Begriff des absolut Notwendigen in der Tat das Denken
des Absoluten ,an und für sich selbst', die reine Vernunft in ihrer genuinen
.Natur'. .Gott' und Vernunft, als Denken des Absoluten, werden ununter-
scheidbar.
Es ist nämlich der „eigentümliche Grundsatz der Vernunft überhaupt (im
logischen Gebrauche) ...: zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das
Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird" (KrV,
B 364; 4,318). Danach gilt, daß, „wenn das Bedingte gegeben ist, so sei auch
die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen, die mithin selbst
unbedingt ist, gegeben" (ebd.). Reine Vernunft fragt aufsteigend (prosyllogi-
stisch) nach der Totalität der Bedingungen und setzt darin diese Totalität
schon als gegeben voraus.20 Die vorausgesetzte Totalität der Synthesis kann
auf zweierlei Weise gedacht werden (vgl. KrV, B 389; 4,334f): Entweder wird
sie in einem schlechthin aus sich selbst einsichtigen Ersten gedacht, das ah
solches Grund ist, also die Totalität der Bedingungen möglich macht, darin

20
Vgl. KrV, B 388; 4,334; dort auch die Unterscheidung aufsteigend-prosyllogistischer und
absteigend-episyllogistischer Reihen von Vernunftschlüssen, vgl. Heimsoeth, 61-63. „Man
sieht leicht, daß die reine Vernunft nichts anders zur Absicht habe, als die absolute Totalität
der Synthesis auf der Seite der Bedingungen (es sei der Inhärenz, oder der Dependenz, oder
der Konkurrenz), und daß sie mit der absoluten Vollständigkeit von Seiten des Bedingten
nichts zu schaffen habe." (KrV, B 393; 4,337)

76
aber selbst „unabhängig von irgendwelchen kosmologischen Gründen"21 ist.
Oder die ganze, unbegrenzte Reihe der Bedingungen wird selbst als die
Totalität enthaltend gedacht, gesetzt auch, „daß wir niemals dahin gelangen
könnten, sie zu fassen, und die ganze Reihe muß unbedingt wahr sein, wenn
das Bedingte, welches als eine daraus entspringende Folgerung angesehen
wird, als wahr gelten soll."22 Im ontologischen Argument wird zugleich über
dieses Entweder-Oder entschieden, d.h. über die .Natur' der reinen theoreti-
schen Vernunft als Vermögen, auf Prinzipien zu schließen.
Zu welcher Entscheidung führt Kants polemische Fiktion? Im fiktiven
Monolog der monadischen Absolutheit, die nichts mehr außer sich hat, son-
dern „alles erfüllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr übrig läßt,
d.i. der Realität nach unendlich ist" (KrV, B 612; 4,524), der nur noch als
innerer Monolog möglich ist, offenbart sie sich als abgründig, grundlos: „aber
wober bin ich denn?" Die unausweichliche Frage nach dem Unbedingten spie-
gelt leer in sich zurück und läßt das Denken des Absoluten haltlos schwe-
bend zurück: „Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit,
wie die kleinste, schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft,
der es nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hindernis
verschwinden zu lassen." (KrV, B 641; 4,543)
Hegel sah in diesen Worten Kants den spekulativen Karfreitag als Moment
der höchsten Idee selbst sich ereignen, um, der Bewegung des absoluten
Begriffs folgend, das absolute Denken Gottes aus diesem Abgrund auferstehen
zu lassen.23 Dem stellen wir eine andere Interpretation gegenüber: Kants Rede
vom Abgrund Gottes zielt auf einen polemischen Begriff vom Idol. Mit den
Worten das französischen Phänomenologen Jean-Luc Marion: „Er [der Ver-
nunftbegriff Gottes] offenbart sich, aber gerade so verbirgt er sich um so
mehr in seiner Eigenschaft als Spiegel, in dem der Gedanke unsichtbar die
Lokalisation seines Vorstoßes so zurückerhält, daß das Unanzielbare [Gott,
der die Wahrheit ist] sich von einer durch den Begriff aufgehobenen Absicht
fixiert, disqualifiziert und verlassen findet."24 Für diese Lesart spricht der
Zusammenhang, in dem Kants Kritik des ontologischen Arguments steht.
Die polemische Fiktion Kants verortet die spekulative, nach Wahrheit fra-
gende Vernunft in einer Schwebe, in der sie sich in allen eingeschränkten
Weltwesen als Idolen spiegeln kann, - um sich mit ihrer Frage nach Wahrheit in
deren Begriff fixiert, disqualifiziert und verlassen zu finden. Kant deutet diese
Einsicht bereits in der Einleitung zur Kritik der Gottesbeweise an: „Diesem
Begriffe [sc. des einigen höchsten Wesens, das als Urgrund aller Dinge aus sich
schlechthin notwendig sei] kann eine gewisse Gründlichkeit nicht bestritten

21
Heimsoeth, z.St., 63 Anm. 88, mit Verweis auf den ontologischen Gottesbeweis und die
Definition Gottes als causa sui im ersten Satz von Spinozas Ethik.
22
Ebd., Kursive HA.
23
G.W.F. Hegel, Glauben und Wissen, 432f.
24
J.-L. Marion, Dieu sans l'etre, 26f; deutsche Übesetzung: Idol und Bild, 119f.

77
werden, wenn von Entschließungen die Rede ist, nämlich, wenn einmal das
Dasein irgend eines notwendigen Wesens zugegeben wird, und man darin
übereinkommt, daß man seine Partei ergreifen müsse, worin man dasselbe
setzen wolle." (KrV, B 615; 4,525) Aber was könnte zu diesem Entschluß
zwingen? „Es wird uns vielmehr unbenommen bleiben, alle übrige einge-
schränkte Wesen eben so wohl für unbedingt notwendig gelten zu lassen, ob
wir gleich ihre Notwendigkeit aus dem allgemeinen Begriffe, den wir von
ihnen haben, nicht schließen können." (KrV, B 616; 4,526) Die Schwebe der
Vernunft als Vermögen, auf das Unbedingte zu schließen, in welchem Schluß
es als Ideal schon vorausgesetzt ist, ist ein Zustand, in welchem sich diese
Vernunft im Begriff eines jeden eingeschränkten Wesens als ihrem Idol
spiegeln kann. Die mögliche Spiegelung in pluralen .Göttern' manifestiert den
.wahren Abgrund', dem es nichts kostet die größte wie die kleinste Voll-
kommenheit verschwinden zu lassen.25 Vernunft kann ihr Bedürfnis nach
absolut notwendigem Sein „als den letzten Träger aller Dinge" (KrV, B 641;
4,543) in einer antinomischen Pluralität von Absoluta begreifen, - in deren
Begriff sie sich, d.h. ihre Frage nach Wahrheit, disqualifiziert und verlassen
findet. Nicht der spekulative Tod .Gottes', sondern das Leben der Götter ist
Inbegriff dieser Dialektik der Vernunft. Hans-Georg Geyers pointierte These,
„daß der Spitzensatz der Philosophie sub conditione der ontologischen wie
der theologischen Differenz in der Frage der Gotteserkenntnis die Doppel-
these von der hypothetischen Notwendigkeit und der kategorischen Un-
möglichkeit eines ontologischen Gottesbeweises ... ist"26, ist noch unvollstän-
dig. Denn diese Schwebe kann zum Grund der skizzierten Dialektik werden.
Wandelt sich deshalb Kants polemische Hypothese des absoluten Monologs
zur polemischen Kritik? Kant läßt ja unmittelbar nach diesem Monolog das
Ideal zum bloß regulativen Vernunftideal zusammenschrumpfen, das seine
einzige Realität von dem, allerdings unausrottbaren, Vernunftbedürfnis nach
Totalität erborgt. Geringer noch als allerlei arkane Kräfte der Natur, die von
erfahrbarer Wirkung sind, aber unerforschbar bleiben, verdient diese Idee nun
nicht einmal, .unerforschlich' zu heißen. Kant verwirft hier seine eigene
vorkritische Rede vom .unerforschlichen Geheimnis Gottes'. Die Kritik des
intentionablen, unerforschlichen Geheimnisses eröffnet erst die Möglichkeit eines
kritischen Verständnisses für das nicht-intentionable, widerfahrende Geheimnis
negativer Kreatürlichkeit!
Zunächst wird allerdings das vormals Unerforschliche in seiner bloßen
Funktionalität restlos aufgeklärt: „Ein Ideal der reinen Vernunft kann aber
nicht unerforschlich heißen, weil es weiter keine Beglaubigung seiner Realität
aufzuweisen hat, als die Bedürfnis der Vernunft, vermittelst desselben alle
synthetische Einheit zu vollenden. Da es also nicht einmal als denkbarer Ge-
genstand gegeben ist, so ist es auch nicht als ein solcher unerforschlich;

25
Vgl. H. Heimsoeth, Transzendentale Dialektik, 467f.
26
H.-G. Geyer, Gedanken, 127.

78
vielmehr muß er [AA: es], als bloße Idee, in der Natur der Vernunft seinen
Sitz und seine Auflösung finden, und also erforscht werden können; denn
eben darin besteht Vernunft, daß wir von allen unseren Begriffen, Meinungen
und Behauptungen, es sei aus objektiven, oder, wenn sie ein bloßer Schein
sind, aus subjektiven Gründen, Rechenschaft geben können." (KrV, B 642;
4,544) Diese Depotenzierung im polemischen Fortissimo glänzt - Kenn-
zeichen götzenpolemischer Rede - durch fast satirische Obertöne. 27 In dieser
Redeform wird nicht weniger als die restlose Aufklärung der ideenprodu-
zierenden Vernunft behauptet, als sei Vernunft ihrer eigenen Dialektik ent-
kommen. Doch was legitimiert den Philosophen zu dieser polemischen Rede?

Es ist eines zu behaupten, daß Kants götzenpolemische Kritik seiner eigenen


Theologie von der Wahrheit biblischen Schöpfungsglaubens zehrt. Ein ande-
res ist es zu konstatieren, daß Kant selbst daran festhält, der Dialektik, die
sich in Idolen spiegelt, durch eine kritisch geklärte Rede von der Idealität
Gottes zu entkommen. Immer neue Reflexionen zur Unterscheidung eines
anthropomorphistischen .Idols' vom selbstgemachten und doch anbetungs-
würdigen Ideal der Urteilskraft im Spätwerk belegen dies.
Ein Vorgriff verdeutlicht, worum es geht: In wünschenswerter Schärfe
äußert sich Kant in der späten Schrift ,Von einem neuerdings erhobenen
vornehmen Ton in der Philosophie' (1796) zur Sache. Diese Schrift ist für
Kants urteilskritische Rede vom Geheimnis zentral. In den folgenden Sätzen
ist nicht nur die Postulatentheologie der Zweiten Kritik und ihre Kritik in
der Methodenlehre der Dritten Kritik vorausgesetzt. Auch die Kritik der Ur-
teilskraft mit ihrem problematischen Begriff eines übersinnlichen Substrats
muß mitgehört werden: „Der transzendentale Begriff von Gott, als dem
allerrealsten Wesen, kann in der Philosophie nicht umgangen werden, so
abstrakt er auch ist; denn er gehört zum Verbände und zugleich zur Läute-
rung aller konkreten, die nachher in die angewandte Theologie und Reli-
gionslehre hineinkommen mögen. Nun fragt sich: soll ich mir Gott als
Inbegriff ... aller Realitäten, oder als obersten Grund derselben, denken?"
(Ton, A 41 lf Anm.; 5,389) Gott als Inbegriff welthafter Realitäten in ihrer
Vollkommenheit wäre „ein anthropomorphistischer Begriff, der, wenn er, wie
unvermeidlich ist, ins Praktische gezogen wird, alle Religion verdirbt, und sie
in Idololatrie verwandelt." (Ton, A 413 Anm.; 5,390)28 Anders jedoch, wenn
die reflektierende Urteilskraft sich einen Begriff von Gott als Grund aller
Realität macht: „Mache ich mir aber vom ens realissimum den Begriff als
Grund aller Realität, so sage ich: Gott ist das Wesen, welches den Grund alles
dessen in der Welt enthält, wozu wir Menschen einen Verstand anzunehmen

27
Zu Kants Vorliebe für Satire: F. Kaulbach, Kant, 17.
Zu diesem religionskritischen Begriff von Idololatrie (bzw. Fetischdienst oder After-
dienst): KU § 89, B 439-443; 8,588-590 und RGV, B 269-287; 7,847-859, v.a. RGV, B 275;
7,85 lf.

79
nötig haben (z.B. alles Zweckmäßigen in derselben); er ist das Wesen, von
welchem das Dasein aller Weltwesen seinen Ursprung hat, nicht aus der
Notwendigkeit seiner Natur (per emanationem), sondern nach einem Verhält-
nisse, wozu wir Menschen einen freien Willen annehmen müssen, um uns die
Möglichkeit desselben verständlich zu machen. Hier kann uns nun, was die
Natur des höchsten Wesens (objektiv) sei, ganz unerforschlich ... gesetzt sein,
und doch (subjektiv) diesen Begriffen Realität in praktischer Rücksicht... übrig
bleiben; in Beziehung auf welche auch allein eine Analogie des göttlichen
Verstandes und Willens mit dem des Menschen und dessen praktischer Ver-
nunft angenommen werden kann ... Aus dem moralischen Gesetz, welches
uns unsere eigene Vernunft mit Autorität vorschreibt ... geht nun der Begriff
von Gott hervor, welchen uns selbst zu machen die praktische reine Vernunft
nötigt." (Ton, A 413f Anm.; 5,390f) Die pointierte Rede vom selbst-
gemachten und anbetungswürdigen Gottesideal wird geradezu zum Topos
Kant'scher Gottesrede. Sie ist bewußt anstößig: „Daß der Mensch keinen an-
deren Gott verehre, als den er sich einstimmig mit dem moralischen Gesetze
macht."29 Das Ideal der Urteilskraft ist, anders als das anthropomorphe Idol,
anbetungswürdig: „Die Theophanie macht also aus der Idee des Plato ein Idol,
welches nicht anders als abergläubisch verehrt werden kann; wogegen die
Theologie, die von Begriffen unsrer eigenen Vernunft ausgeht, ein Ideal auf-
stellt, welches uns Anbetung abzwingt, da es selbst aus den heiligsten von der
Theologie unabhängigen Pflichten entspringt." (Ton, A 415 Anm.; 5,391)
Das Gottesideal reflektierender Urteilskraft ist von begreifbarer Unbegreif-
barkeit. Es wird als solches symbolisiert, etwa nach Analogie menschlicher
praktischer Vernunft als göttlicher Verstand oder Wille, um darin Regeln der
Urteilskraft darzustellen und zu stiften.30 In dieser Symbolisierung kann es
Anbetung abnötigen. Dieses vernunftgemachte, negativ symbolisierte, anbe-
tungswürdige Ideal eines hypothetischen göttlichen Grundes ist das Rätsel der
Kant'schen Theologie.
Nun hat allerdings die Idee eines hypothetischen Grundes der Urteilskraft
in ihrem Vollzug genuine Orte, z.B. die Frage, wie alles .Zweckmäßige'
erkannt werden könne. Es sind dies Phänomene, welche sich dem Vorent-
wurf von Gegenständlichkeit als mechanischer Kausalität entziehen und als
selbst organisierte, kontingent Besondere unter Regeln gebracht und über-
sichtlich dargestellt werden wollen. Am sich von sich her darstellenden,
kontingenten Besonderen entsteht die Frage nach reflektierender Urteilskraft
als realer, humaner Orientierung und als transzendentaler Reflexion der Refle-

29
Reflexion 8101, AA 19,643; vgl. Ton, A 414f Anm.; 5,391: „Wenn daher einer von den
Kraftmännern ... sagt: ,er verachte denjenigen, der sich seinen Gott zu machen denkt': so
gehört das zu den Eigenheiten ihrer Kaste, deren Ton (als besonders Begünstigter) vornehm
ist. Denn es ist für sich selbst klar: daß ein Begriff, der aus unserer Vernunft hervorgehen
muß, von uns selbst gemacht sein müsse."
50
Vgl. KU § 57, KU, B 234-245; 8,444-452 und § 59, KU, B 254-260; 8,458-463.

SO
xion. Diese innere Polarität oder Alternanz der Urteilskraft in ihrer vollzugs-
haften Erkenntnis von Besonderem m u ß Aufschluß über das Rätsel ihrer
Gottesidee liefern.

2. Humane Orientierung und Reflexion der Reflexion

D a ß die reflektierende Urteilskraft und ihre Gottesidee „der interessanteste


Punkt des Kantischen Systems" 31 sei, ist die Voraussetzung des frühen Idealis-
mus noch in seiner fulminanten Kritik. Die theologische Rezeption der Drit-
ten Kritik folgte dieser Vorgabe: Die Kritik reflektierender Urteilskraft gilt
als Übergang z u m frühen Idealismus. 32 So rücken jene Textstücke der Dritten
Kritik ins Z e n t r u m , die eine spekulative Theorie von Urteilskraft indizieren.

Es ist zunächst die (Zweite) Einleitung, welche die Einheit der Urteilskraft in ihren
verschiedenen Urteilstypen darzulegen sucht und in der Idee des übersinnlichen
Substrats den Übergang zwischen Naturbegriff und Freiheitsbegriff ermöglicht sein
läßt. In der reflektierenden Urteilskraft finde Kant, so Hegel, „die Region der Identi-
tät dessen, was in dem absoluten Urteil ... Subjekt und Prädikat ist", die Identität,
welche „allein die wahre und alleinige Vernunft ist".33
Es sind sodann jene ^Anmerkungen' der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft (KU,
§ 57), welche die dreifach differenzierte Idee des übersinnlichen Substrats als in-
exponible ästhetische Idee und als indemonstrable Vernunftidee bestimmen. Gerade
durch die Feststellung der Inadäquanz von formaler Anschauung und begrifflichem
Verstand gewinnt der Begriff der symbolischen Darstellung der Vernunftidee durch die
Einbildungskraft (KU, § 59) Bedeutung. Das Schöne als Symbol des Sittlichen ermög-
licht den Übergang von Natur- zur Freiheitswelt. Mit der Frage nach Ermöglichung
dieser Symbolisation sieht der Geschmack auf das Intelligibele hinaus, „wozu ... selbst
unsere oberen Erkenntnisvermögen [sc. Verstand, Urteilskraft und oberes Begeh-
rungsvermögen] zusammenstimmen, und ohne welches zwischen ihrer Natur,
verglichen mit den Ansprüchen, die der Geschmack macht, lauter Widersprüche
erwachsen würden. In diesem Vermögen [des Geschmacks] sieht sich die Urteilskraft
nicht, wie sonst in empirischer Beurteilung, einer Heteronomie der Erfahrungs-
gesetze unterworfen: sie gibt in Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlge-
fallens ihr selbst das Gesetz, so wie die Vernunft es in Ansehung des Begehrungsver-
mögens tut; und sieht sich, sowohl wegen dieser innern Möglichkeit im Subjekte, als
wegen der äußern Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur, auf etwas im
Subjekte selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit
dem Grunde der letzteren, nämlich dem Übersinnlichen verknüpft ist, bezogen, in

31
G.W.F. Hegel, Glauben und Wissen, 322; F.W.J. Schelling, Vom Ich als Princip der Phi-
losophie oder Über das Unbedingte (1795), Ausgewählte Schriften 1, 122-132. H.-F.
Fulda/R.-P. Horstmann, Hegel und die .Kritik der Urteilskraft'.
32
Die Rezeptionsgeschichte der Dritten Kritik skizzieren F. Kaulbach/V. Gerhardt, Kant,
98-102.
33
G.W.F. Hegel, Glauben und Wissen, 322.

81
welchem das theoretische Vermögen mit dem praktischen, auf gemeinschaftliche und
unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird." (KU, B 258f; 8,461)
In der Kritik der teleologischen Urteilskraft gewinnt schließlich jenes Intelligible
spekulative Bestimmbarkeit, vor allem in den § 76 und 77 der Kritik teleologischer
Urteilskraft. Es wird reflektiert als Idee eines intellektuell anschauenden, urbildlichen
Verstandes, in dem Möglichkeit und Wirklichkeit, absolute Freiheit und Hand-
lungskontingenz, Mechanismus und Teleologie als identisch zu denken sind. Aber
nur als für sie selbst unerkennbare Idee der Urteilskraft kann diese höchste Idee eines
absolutnotwendigen Wesens den scheinbar kontingent gelingenden Vollzug von
Urteilskraft ermöglichen. Erst in der Ethikotheologie der Methodenlehre der Dritten
Kritik gewinnt diese Idee, die zunächst nicht theologisch eingeführt wird, explizite
subjektive Bestimmung als Gott moralischen Glaubens.'*

Die spekulative Einheit der Urteilskraft in ihren Typen und Phänomenen,


ihre Ermöglichung in der differenzierten Idee des übersinnlichen Substrats,
welches die Differenz von ,Außen' und .Innen' und damit den Übergang von
N a t u r in Freiheit vermittelt, schließlich die theologische Bestimmung dieser
Idee bilden jenen Fragenkomplex, der die frühidealistische Kritik anstößt.
Die folgende Interpretation setzt anders an. Genauer: Sie verfährt im Ge-
genzug dazu. In theologischer Hinsicht ist die Analyse der Urteilskraft dort
am interessantesten, w o sie sich als entdeckende Analyse aus (ästhetischen)
Beispielen aufbaut, ansetzend beim noch nicht transzendental exponierten Ge-
fühl der Lust und transzendentaltheologisch .interesselos'. Das Folgende ist
also ein Versuch, die Vielschichtigkeit reflektierender Urteilskraft freizule-
gen. 35 Die der Transzendentaltheorie querlaufenden Einsichten der Dritten
Kritik sollen als theologische Chance begriffen werden.
In drei Schritten wird der Begründungsaufbau der Dritten Kritik gleichsam
abgetragen: In diesem Abschnitt (§ 4,2) wird der Fortschritt v o m ästhetischen
zum teleologischen und ethikotheologischen Urteilen rekonstruktiv skizziert
und zugleich Aporien einer einheitlichen Theorie der Urteilskraft verzeich-
net, welche die .nicht-transzendentale' Lesart motivieren. Im nächsten Ab-
schnitt wird mit dem Problem göttlicher Existenz die theologische Aporie der
transzendentalen Theorie der Urteilskraft skizziert und ebenfalls nicht-tran-

34
Dazu Hegels vernichtendes Schlußurteil: Glauben und Wissen, 327f.
Die Erste Einleitung nennt vier unterschiedliche Funktionen reflektierender Urteilskraft,
mit denen sich jeweils ein eigener Begriff von transzendentaler Zweckmäßigkeit verbindet:
(1) Die Integration der Mannigfaltigkeit empirischer Erkenntnisse zu logischen Systemen.
Vorausgesetzt ist dabei, daß die Natur als Inbegriff der gesetzmäßig verknüpften Erscheinun-
gen die Hervorbringung solcher Systeme zuläßt. (2) Die Beschreibung der vorkommenden
Erscheinungen, um empirische Gattungs- und Anbegriffe zu bilden. Voraussetzung ist, daß
Natur eine solche Einteilung getroffen habe. (3) Die Erfassung und Beschreibung einzelner
Naturformen als Organismen bzw. Funktionszusammenhänge. Vorausgesetzt ist ein reales
System in einem existierenden Objekt. (4) Die ästhetische Urteilskraft, die an einem ein-
zelnen Gegenstand eine Zweckmäßigkeit ohne bestimmten objektiven Zweck wahrnimmt,
aber nur für das Auffassungsvermögen des Subjekts (vgl. J. Kulenkampf, Logik, 52f).

82
szendental gelesen. Der abschließende Abschnitt hebt Aspekte ästhetischer
Urteilskraft hervor, die auch für ein Verständnis von Hoffnung als einem
nicht-transzendentalen Sinn und Gefühl von bleibender Bedeutung sind.
Die Kritik reflektierender Urteilskraft antwortet auf die offene Frage nach
Hoffnung als einer geschöpflichen und in diesem Sinne: moralischen Urteils-
praxis. Diese These Gerhard Krügers ist ein Erbe, das kritisch anzutreten ist.
Krüger siedelt den Anlaß zur Kritik der Urteilskraft im Phänomen des .Be-
sonderen' an, und zwar im Besonderen als desjenigen Allgemeinen, das von
der Kontingenz des Einzelnen nicht zu trennen ist. Manifest werde dies in der
unableitbaren und unabschließbaren, gleichwohl wissenschaftlich darstellba-
ren Systematik besonderer empirischer Naturgesetze. Erklärungsbedürftig sei
also die Tatsache der gesetzesfähigen Erkenntnis besonderer Naturphänomene
und ihre Systematisierbarkeit zu empirischen Naturgesetzen. Hier kann Ver-
nunft als bestimmende Urteilskraft nicht mehr einfach der Natur die Ge-
setzesform vorschreiben.36
Es ist aber darüber hinaus das Besondere in der Kontingenz seiner Selbstorga-
nisation, das jetzt erst zum Problem wird.37 Wie kann dieses Andere der
Vernunft, das sich darstellt und mitteilt, erkannt werden und apriori als er-
kennbar bestimmt werden? Das Angeschaute als Wirkliches und Besonderes,
das erkannt wird kraft seines Gedachtseins, ist im Hinblick auf sein Erkannt-
sein zufällig, denn das Erkennen begründet es nicht als Wirkliches. Diese Zu-
fälligkeit ist Ausdruck der Verfassung des Verstandes, seinen Objekten nicht
dadurch, daß er sie hervorbringt, auch schon Wirklichkeit verleihen zu kön-
nen; das bedeutet umgekehrt, „daß der Verstand, der Wirkliches, d.h. von
sich Verschiedenes erkennen will, dieses in dessen Charakter der Zufälligkeit
muß erkennen können."38
Kant geht in der Dritten Kritik hinter die Zweistämmigkeit der Erkenntnis
zurück, sofern er das Zusammenstimmen von Anschauung und Begriff im

56
Basis dieser These ist die Zweite Einleitung der KU, v.a. Abschnitte 4 und 5 (KU,
B XXV-XXXVITI; 8,251-260). Krüger setzt also bei der erstgenannten Funktion der Urteils-
kraft an. Dazu bereits: KrV, B 670-693; 4,563-579 (vgl. J. Kulenkampff, Logik, 52; vgl. 219f
Anm. 8).
37
Dazu: KU § 64, KU, B 284-288; 8,480-483. Der eigentümliche Charakter der Dinge als
innerlich zweckmäßig, als Naturzweck zeigt sich darin, daß sie nur verstanden werden
können, wenn ihnen Selbsthervorbringung durch rekursive Selbstorganisation als Beurteilungs-
prinzip supponiert wird: „Ein organisiertes Produkt der Natur ist das, in welchem alles Zweck
und wechselseitig auch Mittel ist" (B 295f; 8,488). Naturzweck ist es, „wenn es von sich seihst
(obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung ist" (KU, B 286; 8,482). Es ist die Zu-
fälligkeit der Form eines Dings in Beziehung auf die (theoretische) Vernunft, die dazu führt,
der Hervorbringung dieses Dings selbst (teleologische) Vernunft (Wille) zu supponieren.
" W. Bartuschat, Ort, 207 (Kursive HA), vgl. 91. Zu Recht betont Bartuschat, daß dieses
Problem über die Analyse der heuristischen, theorieentwerfenden reinen Vernunft im hy-
pothetischen Gebrauch hinausgeht, wie sie in der Methodenlehre der Ersten Kritik geboten
wird: Das Kontingenz-Prohlem ist im Rahmen der doktrinalen Philosophie kein Thema!

83
triftigen Urteil nicht mehr nur voraussetzt, sondern in seiner Ermöglichung
zu explizieren trachtet. Die reflektierende Urteilskraft soll als jenes Vermögen
aufgehellt werden, das sich durch sich, durch sein transzendentales Prinzip der
Zweckmäßigkeit, dazu bestimmt, vom besonderen, sich selbst organisierenden
und darstellenden Außen her bestimmt zu werden.39 Sie läßt dieses Besondere
so begegnen, daß es im Zusammenspiel der Vermögen als zweckmäßig für
Vernunft erkannt werden kann.
Das nicht nur wissenschaftstheoretische, sondern ontologische Problem des
kontingenten Besonderen wäre, folgte man Krüger, schöpfungsphilosophisch
zu entziffern: Die Urteilskraft kann nicht umhin, die systematische Ordnung
des gegebenen Besonderen auf einen Verstand zurückzuführen. Doch dieser
Verstand soll der göttliche sein. Die besonderen Gesetze müssen „nach einer
solchen Einheit betrachtet werden, als ob gleichfalls ein Verstand (wenngleich
nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnisvermögen, um ein System
der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, gegeben
hätte" (KU, B XXVII; 8,253). „So beruht die Möglichkeit der konkreten Erfah-
rung auf der .Autonomie' Gottes. Die Phänomenalität ist die für uns .zweck-
mäßige', uns verfügbare .Seite' der theologischen Noumenalität der Welt.
Faktisch bedeutet diese Seinserkenntnis ein Hinnehmen des von Gott gegebe-
nen Seins ... [Sie] erfordert faktisch den Begriffeines rezeptiven Verstandes, des
Denkens als einer Ein-Sicht. "*°
Aber dieser affirmativen Schöpfungsphilosophie verweigert sich Kant zu
Recht: Seine naturwissenschaftlich orientierte methodologische Reflexion an-
erkennt nur Kontingenz des Einzelnen bzw. Existenz als Position. Es bleibt
auch in der Dritten Kritik unmöglich, ein Besonderes als an ihm selbst teleo-
logisch oder zweckbestimmt zu supponieren. Formale Zweckmäßigkeit kann
nur ein transzendentales Prinzip der reflektierenden Urteilskraft sein, ein Ge-
setz, das diese sich selbst vorschreibt, ohne es zugleich objektiv gültig setzen
zu dürfen. Der Eindruck, als habe das transzendentale Prinzip der Urteils-
kraft nur forschungsheuristischen Sinn, entsteht nicht von ungefähr. Hier
liegt in der Tat der Zwiespalt der Dritten Kritik: „Der rätselhafte Ausdruck
.Heautonomie', der die Methodik der ganzen .Kritik der Urteilskraft' be-
herrscht, drückt daher die Aporie der Kritik aus: den bleibenden Widerstreit
zwischen ihrer Sache und ihrem Selbstverständnis."41 Diesem Widerstreit
zwischen Schöpfungsphilosophie und Methodologie gilt es nachzuspüren. Die
Frage nach kreatürlicher Urteilskraft verkompliziert sich dadurch lehrreich.
Die besonderen, selbstorganisierten und sich dem Erkennen darstellenden
und mitteilenden Naturformen indizieren exemplarisch, daß ihre Beschrei-
bung und gesetzmäßige Systematisierung nicht nur in der Spontaneität der

" Zum Terminus .transzendentales Prinzip': KU, B XXIX; 8,254; zum Begriff .Heautono-
mie', Erste Einleitung KU, H 32; 8,203.
40
G. Krüger, Maßstab, 266.
41
G. Krüger, Maßstab, 267.

84
sich im Zusammenspiel ihrer Vermögen mit sich identifizierenden Vernunft
ermöglicht sein kann.42 Wie läßt sich dann das gelingende Urteil beschreiben?
Das ist die Frage, die in der Dritten Kritik gestellt wird, aber keine ein-
deutige Antwort erhält. Der Begriff des Naturzwecks birgt „in sich den
doppelten Gedanken des Bestimmtseins und des Nicht-Bestimmtseins des Be-
sonderen durch die Urteilskraft"43. Die Position des gegenstandskonstitutiven
Bezugs des Urteils ist von der Negation dieses Bezugs begleitet: Das teleologi-
sche Urteil setzt das Bewußtsein einer latenten Bestimmung des Besonderen
durch die Urteilskraft voraus. Es ist aber zugleich Reflex einer Bestimmtheit
des Urteils durch das an sich selbst bereits bestimmte und sich als solches
mitteilende Besondere. Bestimmt also die teleologische Urteilskraft letztlich
die Gegenständlichkeit ihrer Gegenstände kraft ihrer Spontaneität, doch so,
als ob nicht sie es wäre, die sie bestimmt? Oder widerfährt der teleologischen
Urteilskraft die noumenal-.kreatürliche' Zweckmäßigkeit ihrer spezifischen
Gegenstände als ob sie es wäre, die sich als .Zwecke an sich' begegnen läßt?
Das Argument für die zweite Antwort kann bei der Selbstzweckformel der
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ansetzen: Kant problematisiert die Er-
kenntnis besonderer, als zweckmäßig .gegebener' Naturformen, um die Mög-
lichkeit noumenaler Geschöpflichkeit zu eröffnen. Das Geschäft der Vernunft-
kritik setzte nämlich, um in Gang zu kommen, die Überschreitung der
mechanistischen Weltansicht durch die Unterscheidung von Erscheinung und
Ding an sich voraus. Es ist die Leistung der Urteilskraft, diese Unterschei-
dung für den Übergang von Natur zu praktischer Freiheit zuzubereiten.
Urteilskraft setzt dazu ihrerseits das praktische Wissen um die .Selbstzweck-
lichkeit' alles Seienden voraus. Die Zweite Formel des kategorischen Impera-
tivs formuliert diese .Selbstzwecklichkeit' für die Menschheit: ,J-fandle so, daß
du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern,
jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest." (GMS, B 66f;
6,61) Die Rede vom Dasein des Menschen (bzw. der Vernunftnatur) als
„Zweck an sich" (GMS, B 64; 6,59) ist als sich selbst begrenzendes, negatives
Wissen um seine Kreatürlichkeit zu interpretieren. .Zweck an sich', so poin-
tiert Kant, müsse „hier nicht als ein zu bewirkender, sondern selbständiger
Zweck, mithin nur negativ gedacht werden" (GMS, B 82; 6,71). Er gilt als
Zweck, „dem niemals zuwider gehandelt, der also niemals bloß als Mittel,
sondern jederzeit zugleich als Zweck in jedem Wollen geschätzt werden muß.
Dieser kann nun nichts anders als das Subjekt aller möglichen Zwecke selbst
sein, weil dieses zugleich das Subjekt eines möglichen schlechterdings guten
Willens ist." (Ebd.)44

42
J. Simon, Reflektieren, 379f, betont den Betspielcharakter der organisierten Körper.
K. Marc-Wogau, Studien, 21. Zum Programm dieser dialektischen Analyse Marc-Wogaus,
VHIf und 31f.
14
Die Voraussetzung, die hier gemacht ist, benennt Ernst Tugendhat recht präzise: Das Ar-
gument, „nicht über sich .disponieren' zu dürfen, muß auf diejenigen überzeugend wirken,

85
Der kategorische Imperativ zwingt zum Respekt vor der Menschheit in der
eigenen und anderen Person als Zweck an sich. Dieser negative, praktische
Respekt fungiert als Typus**: „Was der Rechtsanspruch des Menschen objektiv
verständlich, aber auch nur verständlich ... macht, das wird in der bewundern-
den Betrachtung der geschaffenen Natur fühlbar ... Hat man einmal in der
zweiten Formel des Imperativs die bloß typische Bedeutung der Menschheit
für die Moralität erkannt, dann wird die ganze Kritik der Urteilskraft zum
nachträglichen Kommentar für diesen Abschnitt. Die Natur als Schöpfung
und in ihr die Natur des Menschen als des letzten Zweckes macht dann das
Sittengesetz als das übersinnliche Substrat der ganzen Zweckordnung be-
stimmbar ... Die Natur belehrt insgesamt durch die Schönheit das Gefühl,
durch den Anspruch des Menschen (als ihres letzten Zweckes) im Recht auch
den Verstand. .Sieh die Schöpfung an und mache deine natürliche Bestim-
mung im moralischen Gehorsam wahr': so könnte man die zweite Formel
umschreiben."46 Im erweiterten, ästhetischen und teleologischen Urteilen,
gewinnt der Mensch, der moralisch existiert, Zugehörigkeit zur Welt, die ihre
Kreatürlichkeit für ein negatives, praktisches und momentanes .Wissen' oder
kognitives Gefühl anzeigt. „Die Schöne[n] Dinge zeigen an, daß der Mensch
in die Welt passe und selbst seine Anschauung der Dinge mit den Gesetzen
seiner Anschauung stimme."47
Jetzt zeigt sich, was reflektierende Urteilskraft als praktische Orientierung
in humaner Hoffnung leisten sollte: Die Unterscheidung zwischen Erschei-
nung und Ding, die der Verstand der Ersten Kritik trifft, gewährleistet nur,
daß Freiheit und Freiheitswelt überhaupt vorausgesetzt werden können, ohne
daß die Antinomie der Vernunft droht. Die praktische Vernunft bestimmt das
.übersinnliche Substrat in uns', den intelligiblen Charakter des Willens, durch
den kategorischen Imperativ. Sie würde aber mit der Idee des Höchsten
Gutes, falls sie durch diese Idee das .übersinnliche Substrat außer uns' dogma-
tisch bestimmen wollte, in einen dialektischen Welt-Begriff zurückfallen.48

die christlich denken, und zweifellos hat das auch Kant getan. Aber man muß bezweifeln,
daß sich das christliche Argument, daß mein Leben mir von Gott gegeben ist und ich daher
nicht frei darüber verfügen darf, noch einen Sinn behält, wenn es säkularisiert wird. Man
sieht hier, daß Kant faktisch mit einem schillernden Begriff von .Zweck an sich' operiert" (E.
Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 154).
45
Typus ist der „Begriff des [moralischen] Gesetzes selbst, insofern er ein .Reich' oder eine
.Welt' definiert" (L.W. Beck, Kommentar, 154).
46
G. Krüger, Moral, 98.
47
Reflexion 1820a, AA 16, 127 (Konjektur HA).
48
„Der Verstand gibt, durch die Möglichkeit seiner Gesetze a priori für die Natur, einen
Beweis davon, daß diese von uns nur als Erscheinung erkannt werde, mithin zugleich
Anzeige auf ein übersinnliches Substrat derselben; aber läßt dieses gänzlich unbestimmt. Die
Urteilskraft verschafft durch ihr Prinzip a priori der Beurteilung der Natur, nach möglichen
besonderen Gesetzen derselben, ihrem übersinnlichen Substrat (in uns sowohl als außer uns)
Bestimmbarkeit durch das intellektuelle Vermögen. Die Vernunft aber gibt eben demselben

86
Reflektierende Urteilskraft soll daher als Vermögen des sich vollziehenden
Übergangs zwischen dem moralischen Gehorsam und seiner genuinen Hand-
lungswelt vermitteln.49 Das Urteilen vollzieht an Beispielen eine Bewegung,
die für Hoffen als praktisches Wissen Platz schafft, indem sie die Differenz
zwischen intelligibler Freiheit und Handlungswelt als Differenz füreinander
bestimmbar macht. Dazu reflektiert sie beide als in einem übersinnlichen
Substrat gegründet. Genauer: Sie reflektiert beide als in ihrem übersinnlichen
Substrat gegründet. Die Idee des übersinnlichen Substrats ist für die reflektieren-
de Urteilskraft das Von-Woher ihres eigenen exemplarischen Vollzugs als prakti-
sches Wissen der Hoffnung. Indem sie so diesem ihrem übersinnlichen Substrat
Bestimmbarkeit verschafft, macht sie das übersinnliche Substrat in uns sowohl
als außer uns bestimmbar, ohne es zu bestimmen.
Das Ideal eines Grundes alles Zweckmäßigen gewinnt genau an dieser Stelle
seine neue Funktion. Ihr übersinnliches Substrat reflektiert die Urteilskraft
als Grund alles Zweckmäßigen, um es hernach ethikotheologisch zu be-
stimmen. „Auf dieses übersinnliche Substrat führt die K.d.U. hin als etwas,
das anzunehmen die Urteilskraft gezwungen wird, wenn sie erklären will,
wie eine Beziehung von Gliedern, die unter der ausdrücklichen Bedingung
der Heterogenität der Glieder steht, möglich sein kann. Sie führt darauf hin
als auf eine notwendige Annahme, ohne erklären zu können, wie die Glieder
im Übersinnlichen gründen, und damit auch ohne erklären zu können, wie
das übersinnliche Substrat die geforderte Beziehung ermöglicht."50 Die Hin-
führung zum übersinnlichen Substrat der Urteilskraft geschieht in einer
Weise, daß es als Grund lediglich bestimmbar wird. Dazu reflektiert sich die
Urteilskraft an sich selbst als abhängig von dieser Idee eines Grundes. Vom
Grund kann aber nur in dieser indirekten Weise, als Reflexion der Reflexion,
die Rede sein.
Der berühmte § 76 der Dritten Kritik, in dem die Urteilskraft dem über-
sinnlichen Substrat Bestimmbarkeit als ihrem Grund, oder besser: als Von-
Woher ihres Begründetseins verschafft, hat die Gestalt einer episodischen
Erläuterung und bloßen Anmerkung. „Vielleicht aber sind nie auf so wenigen
Blättern so viele tiefe Gedanken zusammengedrängt worden, als in der Kritik
der teleologischen Urteilskraft §.76. geschehen ist."51 Die Gestalt einer episo-

durch ihr praktisches Gesetz a priori die Bestimmung; und so macht die Urteilskraft den
Übergang vom Gebiete des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs möglich." (KU, B
LV-LVI; WW 8,272)
49
Genauer noch: Urteilskraft vermittelt den Übergang in heautonomer Reflexion. „Die
Pointe ist ... die, daß die Kritik der Urteilskraft einen Übergang von dem einen [theoreti-
schen] Teil der Philosophie zum anderen [praktischen] und damit eine Verbindung zwischen
beiden dadurch ermöglichen soll, daß sie die Möglichkeit des Übergangs, die für jeden der
beiden Teile problematisch ist, selbst thematisch macht." (W. Bartuschat, Ort, 249)
50
W. Bartuschat, Ort, 256.
51
F.W.J. Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im
menschlichen Wissen (1795), Ausgewählte Schriften 1, 132 Anm. 1.

87
dischen Erläuterung ihres Vollzugs ist charakteristisch für die Art und Weise,
in der die reflektierende Urteilskraft ihrem Von-Woher allein Bestimmbarkeit
verschaffen kann. Sie unterbricht sich selbst, sie unterbricht ihre auf be-
stimmte, einzelne Naturformen angewiesene Reflexion und wird zur Metare-
flexion auf diesen Vollzug. „Die Urteilskraft ist in ihrem Vollzug nicht auf
das übersinnliche Substrat bezogen; erst die Reflexion auf die dem Vollzug
selbst nicht bewußten Bedingungen der Möglichkeit von ihm führt auf das
übersinnliche Substrat hin. Gleichwohl gelangte die Reflexion nicht zum
übersinnlichen Substrat, gäbe es nicht einen Vollzug, auf den sie reflektiert.
Denn er ist es, der im ästhetischen Urteil eine Leistung vollbringt, in deren
Folge das Gefühl der Lust auftritt als der Index dafür, daß in dieser Leistung
eine Zusammenstimmung von heterogenen Gliedern gelingt. Dieses Gelingen
hat das übersinnliche Substrat zur unabdinglichen Voraussetzung, die in dem
Akt , dem es gelingt, jedoch unthematisch ist."52 Der beispielgebundene Ur-
teilsvollzug unterbricht sich durch die Frage nach dem Grund seiner Möglich-
keit. Die reflektierende Urteilskraft setzt also gleichsam die Überraschung
ihrer eigenen Wirklichkeit, ihres Gelingens voraus, um sie dann in ihren
Möglichkeitsbedingungen zu erläutern. Sie nimmt die Struktur einer sukzessi-
ve sich in ihrer Möglichkeit entdeckenden Selbstanalyse an. Der Ausgang v o m
widerfahrenden Gefühl der Lust ist damit ebenso vereinbar, wie der episo-
dische Charakter der Einsicht in das eigene Begründetsein.

Wolfgang Bartuschat hat diese Interpretation des systematischen Orts der Kritik der
Urteilskraft vorgeschlagen. Sie gilt ihm als Begründung der Reflexionstheorie ohne
Letztbegründung: „daß das Subjekt in der Bestimmung eines Zufälligen sich selbst
bestimmt, indem es an sich ein Vermögen erfährt, von dem es unabhängig von
jenem Akt des Bestimmens nicht schon wußte, ist durch die in den beiden anderen
Kritiken vorgestellten Vermögen des reinen Verstandes und der reinen Vernunft
nicht begründbar. Das urteilende Subjekt soll ein Verständnis von sich erst erlangen
in einem Vollzug, der solches in sich aufnimmt, das nicht von einem schon Bekann-
ten her gedacht wird. ... Im Auftreten eines Gefühls der Lust, bei dem das Subjekt
sich fühlt und darin an sich etwas erfährt, nämlich daß ihm etwas gelungen ist, das
eigens glücken muß, weil es nicht schon von vornherein auf das Vermögen des
Subjekts bezogen ist, erweist sich die reflektierende Urteilskraft als besonderes
Vermögen, das angenommen werden muß als Grund dieses Gefühls. In diesem
Vermögen ist die Weise des Reflektierens ästhetisch, denn sie stellt einen Vollzug
dar, der sich selbst genügt und nicht an einem Telos orientiert ist, im Hinblick auf
das das anschaulich Gegebene zu beurteilen wäre."53 Die beanspruchte Allgemeingül-
tigkeit des ästhetischen Gefühls führt zur Frage nach dem zugrundeliegenden tran-
szendentalen Urteilsgrundsatz, der allein verbürgt, daß das Gefühl nicht nur empi-
risch-subjektiv ist. Die Kritik der ästhetischen Urteilskraft formuliert in ihrer Selbst-
reflexion dieses Prinzip aber noch rein subjektiv und formal. Erst die Analyse der

52
W. Bartuschat, Ort, 259.
53
W. Bartuschat, Ort, 240.

88
teleologischen Urteilskraft vollzieht eine Wendung zum Objekt: Sie bringt die
Bestimmtheit der Natur in ihrer Unabhängigkeit und Bezogenheit zum urteilenden
Subjekt hinzu, manifest in den zweckhaften Naturformen. Das teleologische Urteil
nötigt zum Überschritt vom ästhetischen, rein subjektiven, transzendenzlosen Voll-
zug zum Hinblick auf eine als Zweck auftretende Idee, von der aus erst ein mögli-
ches Können des Subjekts in Ansehung einer kontingent-besonderen Naturform be-
gründbar wird. Das Lustgefühl ist jetzt nicht mehr konstitutives Moment der tele-
ologischen Urteilskraft, weil sie den zureichenden Grund für das Auftreten eines sol-
ches Gefühls angeben will. Jetzt wird nach Bedingungen der Möglichkeit des Gelin-
gens des Uneilsbezugs gefragt. Das Gelingen wird also nicht mehr nur als Widerfahr-
nis vorausgesetzt, sondern in seiner Begründung aufgehellt. Die sachlich notwendige
Abfolge einer Analyse ästhetischer und teleologischer Urteilskraft resultiert - so ver-
standen - nicht aus einer heterogenen Kombination verschiedener Urteilstypen und
Gegenstandsbereiche, sondern aus der zu liefernden Begründung für die Urteilskraft
als heautonomes Vermögen. Das ästhetische und teleologische Urteilen stehen für ver-
schiedene Betrachtungsweisen, welche die Möglichkeit einer reflektierenden Urteils-
kraft, die als transzendentale auftreten will, erweisen sollen; „einmal eine Betrach-
tung, die die Urteilskraft von innen faßt, als sich vollziehendes besonderes Vermö-
gen, zum anderen eine Betrachtung, die auf den Vollzug dieses besonderen Ver-
mögens reflektiert, um diesen in dem zu fassen, was er ist, und darin anders als wie
ihn dieses Vermögen weiß, nämlich auf Strukturmomente hin"54, die auf dem Stand-
punkt ästhetischer Urteilskraft noch verschlossen bleiben.

So gesehen zielt die Dritte Kritik weit über eine Typologie bestimmter Ur-
teilsformen hinaus, nämlich auf eine Theorie der Urteilskraft, welche das Pro-
blem der Externität und der Begründung des Urteilens, zumindest im Rah-
men der Reflexionstheorie, abschließend präzisiert. Die Argumente für eine
einheitliche Theorie der Urteilskraft in der Dritten Kritik55 müssen allerdings
Urteilskraft als ins exemplarische Phänomen versenkte Einzelreflexion mit
Urteilskraft als Reflexion der Reflexion als konsistent vermittelt denken.
Doch ob diese Vermittlung in der Dritten Kritik gelungen ist, bleibt die Fra-
ge. Urteilskraft, die sich selbst als Reflexion ihrer Reflexion versteht, bildet
das eigentliche Problem der Dritten Kritik. In der Reflexion ihrer Reflexion
setzt sich Urteilskraft das übersinnliche Substrat als regulatives Prinzip ihres
Vollzugs voraus56, also die Idee eines übersinnlichen Grundes. Sie ist es, wel-
che die Idee dieses Grundes bestimmbar macht, indem sie ihn nun unter der
Analogie eines intuitiven Verstandes oder eines schöpferischen Willens denkt.
Sie ist es, die diese Idee als absolutes Sein und absolute Freiheit zu denken
vorgibt, ohne sie zu erkennen. Die Urteilskraft des § 76 ist diese metareflexive
Urteilskraft. Mit ihrem Zwiespalt stellen sich entscheidende Probleme:

54
W. Bartuschat, Ort, 243.
" Bartuschats vorbildlich klare Analyse steht exemplarisch für eine Reihe weiterer Versu-
che in der Kantphilologie der letzten 30 Jahre. Dazu F. Kaulbach/V. Gerhardt, Kant, lOOf.
* Vgl. KU, B 342.343.344 (8,520.521.522); weiterhin KU, B 345 (8,522).

89
Einerseits ist offensichtlich, daß die metareflexive Urteilskraft ihrer Idee
eines übersinnlichen Substrats - also der Idee Gottes als absoluter Notwendig-
keit oder als absolut wirksamer Freiheit oder als intellectus archetypus -
wirklich nur Bestimmbarkeit als einer regulativen Idee verschaffen will.57 Die-
se Idee soll allein für den reflektierenden Gebrauch der Urteilskraft in ihrer
Vermittlung von Anschauung und Verstand unter der Bedingung der Zwei-
stämmigkeit menschlicher Erkenntnis gelten. Sie bleibt für diese Erkenntnis
ansonsten ein „unerreichbarer problematischer Begriff" (KU, B 341; 8,519).
Der phänomenorientierte Vollzug der reflektierenden Urteilskraft bedarf der
ständigen Konfrontation der Idee eines vollständigen Bestimmtseins des Be-
sonderen durch einen Verstand überhaupt mit dem faktischen Nicht-Be-
stimmtsein des Besonderen als Zufälligen. Vernunft setzt dazu für die Urteils-
kraft die Idee eines Verstandes voraus, der als intuitiver intellectus archetypus
zu denken ist. Nur die spezifische, exemplarische Erschließungskraft der Ur-
teilskraft im Vollzug verschafft der darin vorausgesetzten Idee Bestimmbar-
keit - als absolute Notwendigkeit oder als absolut wirksame Freiheit oder als
intellectus archetypus, in dem Mechanismus und Teleologie koinzidieren. Die
Erkennbarkeit der Idee an sich für einen intuitiven Verstand impliziert keine
Erkenntnis für uns, für den endlichen, humanen, diskursiven Verstand (KU,
B 367; 8,537). Ja, für diese Idee, sofern sie in ihrem Ansichsein gedacht wird,
muß nicht einmal eine transzendentale Möglichkeit nachgewiesen werden. Es
genügt die bloß logische Nicht-Widersprüchlichkeit zu zeigen. Sie ist dadurch
gewährleistet, daß die Zufälligkeit des diskursiven menschlichen Verstands
keinen Widerspruch enthält. Ein anderer intuitiver Verstand ist an sich denk-
bar, wenn auch nicht für uns erkennbar. Aber wenn teleologische Urteils-
kraft in ihrem Vollzug leistet, was sie als transzendentales Vermögen leisten
sollte, so kann es nicht bei bloßer Bestimmbarkeit ihres übersinnlichen Sub-
strats bleiben. Impliziert ist vielmehr die Erkenntnis des Absoluten als Grund.
Darin zeigt sich die andere Seite der Urteilskraft: Urteilen als eine Reflexion
der Reflexion ist ein latentes apriorisches Bestimmen. In dieser Ambivalenz
gründet nicht nur der Widerspruch zwischen einem .schwachen', heuristi-
schen Verständnis teleologischer Kausalität und ihrem .starken', realistischen
Verständnis im Begriff des Naturzwecks.58

57
Vgl. KU § 77, B 345; 8,522.
58
Zur unklaren Unterscheidung von Bedingtsein durch die Zweckvorstellung (Idee des
Ganzen) und Bestimmtsein durch den Zweck (das Ganze): KU, B 291; 8,485; KU, B 349f;
8,525. Dazu insgesamt die ausgezeichnete Analyse von K. Marc-Wogau, Studien, 225-239 und
deren Fazit (238f): „Sofern aber über die Realität dieses übersinnlichen Grundes nicht ent-
schieden werden kann, sofern also die eigenartige Bestimmtheit der Organismen nicht mit
Sicherheit auf diesen Grund als etwas Reales zurückgeführt werden kann, muss sie der
mechanischen Verknüpfungsart widersprechen. Die Annahme der Gültigkeit des Mecha-
nismus für alle Naturprodukte ist dann nur aufrechtzuhalten, wenn man der angegebenen
Bestimmtheit der Organismen objektive Gültigkeit abspricht. Zu dieser letzteren Alternative
scheint Kant hinüberzugleiten".

90
Am Grund dieser Unentschiedenheit über das Verhältnis von Mechanismus
und Teleologie zeigt sich vielmehr die ungeklärte Relation von exempla-
rischer Reflexion und apriorischer Bestimmung in der reflektierenden Urteils-
kraft, eine .Dialektik', die im unentschiedenen Status der Idee eines übersinn-
lichen Substrats als dem ,allerrealsten Wesen' manifest wird.
Diese Aporie der Urteilskraft als Reflexion der Reflexion interpretieren wir
nun als Hinweis, gegenläufig zum Aufbau der Dritten Kritik nach jenem
nicht-apriorischen Urteilen zurück zu fragen, das sich im Widerfahrnis des
besonderen Anderen, also im kognitiven Gefühl des Geschmacks entdeckt.
Aus der Not soll also eine Tugend werden: Urteilskraft als Reflexion der
Reflexion liefert mit ihrem Ideal keine transzendentale Begründung, vielleicht
aber eine heuristische Hypothese, um an Beispielen eine Urteilskraft zu
entdecken, die sich als kognitives Gefühl und nicht-propositionale Beschrei-
bung vollzieht. Dieser Typ der Urteilskraft ist bei Kant paradigmatisch in der
Kritik der ästhetischen Urteilskraft analysiert.
Dazu wird die theologische Aporie reflektierender Urteilskraft nochmals
neu interpretiert: Als Frage nach dem Sein des allerrealsten Wesens als
Grund. Der folgende Abschnitt skizziert, inwiefern sich bei Kant im Verfolg
dieser Frage der Existenz-Begriff zerfranst, so daß der Begriff kontingenter
Existenz des Besonderen Beispiel einer .Existenz' wird, die weder die katego-
riale Geltung reinen Verstandes, noch die transkategoriale Geltung reiner
praktischer Vernunft beansprucht. Kennt Kant einen Begriff von .Existenz'
im nicht transzendental-logischen Sinn?

3. Existenz: Position, Prädikation, reale Relation

„Nun wird aber und bleibt für Kant die Frage, ob und wie und in welchen
Grenzen der Satz ,Gott ist' als absolute Position möglich sei, der geheime Sta-
chel, der alles Denken der .Kritik der reinen Vernunft' antreibt und die
nachfolgenden Hauptwerke bewegt."62 Martin Heidegger verortet mit dieser
Leitthese Kants Frage nach Existenz in seiner eigenen Frage nach einem
Denken der ontologischen Differenz, für das „sowohl das Sein als auch das
Seiende je auf ihre Weise aus der Differenz her erscheinen"^, einer Differenz,
die „durchaus gegenstandslos bleiben kann."64 Aber Heideggers Frage inter-
essiert nur, insofern sie die Konditionen eines Urteilens erfragt, welches das
konkret begegnende Besondere zu seiner eigenen Würde freigibt. Inwiefern
indiziert das interesselose Wohlgefallen, welches das singulare ästhetische Ur-
teil begleitet, eine „Befreiung unserer selbst zur Freigabe dessen, was in sich

62
M. Heidegger, Kants These, 14.
63
M. Heidegger, Identität und Differenz, 61, vgl. 61-65.
64
M. Heidegger, Identität und Differenz, 62.

91
eine eigene Würde hat, damit es sie rein nur habe"?65 Befreiung zur Freigabe
- so wird hier Heautonomie der Urteilskraft verstanden, die „in Ansehung
der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das Gesetz [gibt]"
(KU, B 258; 8,461). In der ästhetischen Heautonomie, in der Lust der Refle-
xion, die zugleich Freigabe des Widerfahrenden ist, sieht sich die Urteilskraft
„sowohl wegen dieser innern Möglichkeit im Subjekte, als wegen der äußern
Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur, auf etwas im Subjekte
selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit
dem Grunde der letzteren, nämlich dem Übersinnlichen verknüpft ist, bezo-
gen, in welchem das theoretische Vermögen mit dem praktischen, auf ge-
meinschaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird." (KU, B
258f; 8,461) Kant zeigt diese Ermöglichung des interesselosen Wohlgefallens
in der ästhetischen Urteilsanalytik nur als Rätsel an.66 Erst die Kritik der
teleologischen Urteilskraft arbeitet, wie im vorigen Abschnitt skizziert, die
.ontotheologische' Begründung reflektierender Urteile in ihrer Gottesidee aus.
Heideggers These, daß die absolute Position Gottes jene Aporie sei, welche
die transzendentale Denkform schließlich zu dieser Analyse der Urteilskraft
treibt, zielt darauf, bei Kant selbst ungenannte Voraussetzungen offen zu
legen.67
Kants These über das Sein lautet: „Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d.i.
ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen
könnte. Es ist bloß die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an
sich selbst." (KrV, B 626; 4,533, Kursive HA) Bereits der vorkritische Kant
unterscheidet die absolute Position, das Existentialurteil, von der logischen
Position und von der realen Prädikation, ohne dieses Urteil in seiner Verstan-
desrelation weiter erläutern zu können.68 Diese frühe Bestimmung von .Exi-
stenz' als Position, nicht Prädikation ist in Freges und Russells Theorie
genereller Existenzsätze aufgenommen. Doch diese Analyse des Existential-
urteils ist insbesondere im Blick auf bestimmte singulare Existenzsätze nicht
vollständig, wie vor allem Ernst Tugendhat gezeigt hat.69 Kants Frage ist
durch die Reduktion singulärer und genereller Existenzsätze auf den Existenz-
quantor nicht überholt. Deshalb bleibt die weitere Entwicklung Kants von
Interesse:

65
M. Heidegger, Nietzsche I, 129.
64
KU, B 238; 8,446. Der frühe Heidegger interpretiert dieses Rätsel als Bezogenheit ,in sich
selbst hinein', in die transzendentale Einbildungskraft und ihre Zeitlichkeit: M. Heidegger,
Kant Gesamtausgabe, 250 und 160 Anm. a. im Kontext von 156-203.
67
Zum heuristischen Hintergrund seiner Metaphysikkritik vgl. Identität und Differenz,
54f.66-69; und: Kants These, 9.17.20.
" Kant, EMBg, A 8; 2,632f (Konjektur nach AA): „So einfach ist dieser Begriff [von Dasein
und Existenz], daß man nichts zu seiner Auswickelung sagen kann, als nur die Behutsamkeit
anzumerken, daß er nicht mit den Verhältnissen, die die Dinge zu ihren Merkmalen haben,
verwechselt werde."
69
Vgl. § 10,3 und E. Tugendhat, Vorlesungen, 312-314.337f.390.467f.

92
Die Erste Kritik bestimmt das Existentialurteil als Position und zugleich als
Prädikation sui generis: „Handelt es sich aber bei der absoluten Position um
den objektiven Gebrauch von Sein im Sinne von Dasein und Existenz, dann
wird für die kritische Besinnung nicht nur deutlich, sondern bedrängend, daß
auch hier eine Relation gesetzt wird und somit das ,ist' den Charakter eines
Prädikats, wenngleich nicht eines realen, empfängt."70 Welcher Natur ist diese
Prädikation? ,Sein' als bloße Position ist kein reales (ontisches), sondern ein
transzendentales (ontologisches) Prädikat: „Das ,bloß' meint das reine Verhält-
nis der Objektivität der Objekte zur Subjektivität der menschlichen Erkennt-
nis. Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit sind Positionen der verschiede-
nen Weisen dieses Verhältnisses. Die verschiedene Gesetztheit wird bestimmt
aus dem Quell der ursprünglichen Setzung. Dies ist die reine Synthesis der
transzendentalen Apperzeption. Sie ist der Urakt des erkennenden Den-
kens."71 Die Unhintergehbarkeit der Anschauung für das Erkennen erweist
die Position in ihren verschiedenen Modi als Position von Affektionsweisen.
Sie entwerfen die Gegenständlichkeit des Gegenstandes vor und zwar auf die
Einheit des Urteils: ,dies ist ...' „Das Denken ist eingesenkt in die durch die
Sinnlichkeit betroffene, d.h. endliche Subjektivität des Menschen. ,Ich denke'
heißt: ich verbinde eine sinnlich gegebene Mannigfaltigkeit von Vorstellung
aus dem Vorblick auf die Einheit der Apperzeption, die sich in die begrenzte
Vielfalt der reinen Verstandesbegriffe, d.h. der Kategorien, gliedert... Die Ge-
setztheit (Position), d.h. das Sein, wandelt sich zur Gegenständigkeit."72
Genau dies wird zum kritischen cantus firmus Heideggers: Die Frage nach
dem Sein als einer genuinen Prädikation bleibe damit im Horizont des Den-
kens.73 Diese Kritik zielt zunächst auf die Urteilsgrundsätze reiner Vernunft
und auf die transzendentale Apperzeption als oberstem Urteilsgrundsatz der
synthetischen Einheit aller Vorstellungen. Die „systematische Auslegung des
Seins des Seienden, d.h. der Gegenständlichkeit des Gegenstandes der Erfah-
rung [kann] nur in Grundsätzen erfolgen."74 Entscheidend seien dabei Kants
modalontologische Urteilsgrundsätze als Weisen des Verhältnisses von Objek-
tivität und Subjektivität. In ihnen kristallisiere sich die Begründungsfrage des
transzendentalen Denkens. JDie Modalitäten sind Prädikate des jeweils erforder-
lichen Verhältnisses [zwischen Objekt und Erkenntnis-, nicht mehr nur Ver-
standesvermögen]. Die Grundsätze, welche diese Prädikate erklären, formulie-
ren das für das mögliche, wirkliche, notwendige Dasein eines Gegenstandes

70
M. Heidegger, Kants These, 14.
71
M. Heidegger, Kants These, 26.
72
M. Heidegger, Kants These, 20f.
75
M. Heidegger, Kants These, 26.30.32.33f.36.
74
M. Heidegger, Kants These, 22. Dazu (als Zwischenglied zwischen der frühen und späten
Interpretation): M. Heidegger, Ding, v.a. 238-246. In der späten Kant-Interpretation gilt der
oberste Urteilsgrundsatz synthetischer Einheit der Apperzeption, der „Quell der Grundsätze"
(KrV, B 198; 3,201) als Übergangsstation zu Hegels Logik, in welcher die in sich kreisende
Bewegung von Grundsätzen „selbst die Absolutheit des Seins ist" (Kants These, 22).

93
Erforderliche. Deshalb belegt Kant diese Grundsätze mit dem Namen Postu-
late. Sie sind solche des Denkens in dem zweifachen Sinne, daß die Forderun-
gen einmal aus dem Verstand als dem Quell des Denkens stammen, sodann
zugleich für das Denken gelten, insofern es durch seine Kategorien das in der
Erfahrung Gegebene zum existierenden Gegenstand bestimmen soll."75 Als
Postulate des empirischen Denkens überhaupt muß ihnen jedes Urteil über
einen Gegenstand der Erfahrung genügen. Eben diese Einsicht in das Wesen
der modalen .Postulate des empirischen Denkens überhaupt' als transzen-
dentaler Prädikationen bestimmt Kants These über das Sein in der Ersten
Kritik: Sein „ist bloß die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen
an sich selbst" (KrV, B 626; 4,533). Für Heidegger heißt das: Sein ist Position
der Modi an sich selbst als Modi der Gegenständlichkeit des Gegenstandes.
Heideggers Interpretation unterschlägt allerdings, daß Sein als Position eines
Dinges oder gewisser Bestimmungen an sich selbst gilt. Offenbar will Kant
aber gerade mit diesem disjunktiven (nicht explikativen) ,oder' anzeigen, daß
die Urteilskopula ,ist' nicht nur die Modi der Gegenständlichkeit als Postula-
te des empirischen Denkens überhaupt impliziert; sie setzt vielmehr zugleich
„das Prädikat beziehungsweise auf das [erkennende, urteilende] Subjekt" (KrV,
B 627; 4,533).
So sehr nun diese Beziehung durch Erfahrung und also durch die genannten
Postulate vermittelt ist, so wenig kann „eine Existenz außer diesem Felde [der
Einheit der Erfahrung] ... schlechterdings für unmöglich erklärt werden"; sie
ist freilich (für die theoretische Vernunft) „eine Voraussetzung, die wir durch
nichts rechtfertigen können." (KrV, B 619; 4,535) Kants These über das Sein
läßt also eine pragmatische Verwendung der Existenzbehauptung offen. Diese
bestimmt nicht a priori die Gegenständigkeit des Gegenstands, sondern
lokalisiert und relationiert das .erkennende' Subjekt und seinen .Gegenstand'
in einem Erfahrungsfeld, das vom Feld transzendentaler Erfahrbarkeit unter-
schieden ist!76 Diese Möglichkeit hält den Platz frei für nicht-propositionale
Erkenntnisweisen von .Existierendem', z.B. dem .Schönen'. Lokalisierung
und Relationierung in der Existenzbehauptung vollzieht sich, wie Josef
Simon zeigt, durch Rücknahme und Destruktion der transzendentalen Kate-
gorien, insbesondere der Modalprädikate: „Während es in der Kritik der
reinen Vernunft um die objektive Gültigkeit der Urteile ihrer logischen Form
nach geht, geht es, komplementär dazu, in der Kritik der Urteilskraft um die
Destruktion der logischen Urteilsform als der Form definitiven Erkennens
und damit um den transzendentalen Aspekt der Lösung des urteilenden
Subjekts aus der Form seines jeweiligen Ansehens von etwas als bestimmt
und um seine Freiheit gegenüber allen getroffenen Bestimmungen."77

75
M. Heidegger, Kants These, 25f.
76
I.V. Dalferth, Gott, 41f; Religiöse Rede, 591.
77
J. Simon, Schönheit, 274; vgl. ebd., 256: „Die vierfache Bestimmung des Schönen ist
nichts anderes als die vierfache Aufhebung der Formen jeder Bestimmung aus der Not eines

94
Heideggers These, daß in Kants Modalprädikaten eine allgemeine Ontologie
enthalten sei, die in der Dritten Kritik erneut zur Ontotheologie werde,
sofern der Grund der Unterscheidung der modalen Verhältnissetzungen im §
76 der Dritten Kritik theologisch bestimmt wird, ist also zu widersprechen.
Es gilt sehr viel genauer die Differenz zwischen der bestimmenden Urteils-
kraft und ihrem Vorentwurf von Gegenständlichkeit und der reflektierenden
Urteilskraft wahrzunehmen, die gerade durch die Rücknahme dieses Vor-
entwurfs zu ihrer Erkenntnis kommt. 78 Die dem theoretischen Verstand un-
umgänglich notwendige Unterscheidung von Möglichkeit und Wirklichkeit
ist in der Zweistämmigkeit der Erkenntnis begründet. Aber diese Zweistäm-
migkeit ist selbst als kontingente Verfassung menschlichen Erkennens erken-
nend zu vollziehen: „Nun beruht aber alle unsere Unterscheidung des bloß
Möglichen vom Wirklichen darauf, daß das erstere nur die Position der
Vorstellung eines Dinges respektiv auf unsern Begriff und überhaupt [auf] das
Vermögen zu denken, das letztere aber [das Wirkliche] die Setzung des
Dinges an sich selbst (außer diesem Begriffe) bedeutet ... Die Sätze also: daß
Dinge möglich sein können, ohne wirklich zu sein, daß also aus der bloßen
Möglichkeit auf die Wirklichkeit gar nicht geschlossen werden könne, gelten
ganz richtig für die menschliche Vernunft, ohne darum zu beweisen, daß
dieser Unterschied in den Dingen selbst liege." (KU, B 340f; 8,518f) Inwiefern
gilt die Unterscheidung von Möglichkeit und Wirklichkeit aber für den
Gebrauch der menschlichen Erkenntnisvermögen und seiner Formen objekti-
ver Realität, ohne für Dinge an sich selbst bewiesen zu sein? Inwiefern treten
(Denk-) Möglichkeit und (Anschauungs-)Wirklichkeit für den diskursiven
Verstand unhintergehbar und gültig auseinander? Sofern die Idee eines abso-
lutnotwendigen Wesens für reflektierende Urteilskraft als subjektives Prinzip
gelten kann, ohne daß sie diese Idee erkennen und als solche erfahren kann:
„Denn, wenn er [der Verstand] es denkt (er mag es denken wie er will), so ist
es bloß als möglich vorgestellt. Ist er sich dessen, als in der Anschauung
gegeben bewußt, so ist es wirklich, ohne sich hiebei irgend etwas von Mög-
lichkeit zu denken. Daher ist der Begriff eines absolutnotwendigen Wesens
zwar eine unentbehrliche Vernunftidee, aber ein für den menschlichen Ver-
stand unerreichbarer problematischer Begriff. Er gilt aber doch für den Ge-
brauch unserer Erkenntnisvermögen, nach der eigentümlichen Beschaffenheit
derselben, mithin nicht vom Objekte und hiemit [nicht] für jedes erkennende
Wesen: weil ich nicht bei jedem das Denken und die Anschauung, als zwei
verschiedene Bedingungen der Ausübung seiner Erkenntnisvermögen, mithin

temporären Ansehens von etwas als bestimmt aus beschränkter Perspektive. .Etwas' ist das
Schöne überhaupt nur im .Modus' der Aufhebung der Formen des Urteils oder als ver-
schwindendes .Etwas'."
71
Dies nennt J. Simon (Schönheit, 252), wie bereits erwähnt, die fundamentale „gnoseolo-
gisch-ästhetische Differenz" im System des Kantischen Denkens.

95
der Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge, voraussetzen kann."79 In ihrer
(Gottes)Idee reflektiert humane Urteilskraft das Von-Woher-Ihres-So-Seins in
ihrem faktischen, primär emotionalen Urteilsvollzug, indem sie sich durch
diese Idee als kontingentes Erkenntnisvermögen kontingenter Erkenntnisse
erkennt: „Es kommt hier also auf das Verhalten unseres Verstandes zur Ur-
teilskraft an, daß wir nämlich darin eine gewisse Zufälligkeit der Beschaffen-
heit des unsrigen aufsuchen, um die als Eigentümlichkeit unseres Verstandes,
zum Unterschiede von anderen möglichen, anzumerken. Diese Zufälligkeit
findet sich [sc. auch] ganz natürlich in dem Besondern, welches die Urteils-
kraft unter das Allgemeine der Verstandesbegriffe bringen soll" (KU, B 346;
8,523). Die Relation zwischen erkennendem Verstand und zu erkennendem
Besonderen soll als kontingente oder genuin reale Relation negativ kreatürlich
reflektiert werden. Das endliche, nicht-apriorische kognitive Gefühl des
Urteilssinns soll als gültig erwiesen werden, ohne daß die .Existenz' eines
Schöpfers bzw. eines .schlechthin notwendigen Wesens' als Grund affirmativ
behauptet werden muß, was in die alte Aporie zurückführen würde. „Die
Kritik an der rationalen Theologie der metaphysischen Tradition könnte also
auch so umschrieben werden, daß der menschliche Verstand nicht (in Begrif-
fen) auf einen ihm überlegenen, unbeschränkten Verstand ... .schließen'
könne, sondern nur im .Gefühl' seiner Urteilskraft mit ihm verbunden sei.
Nicht in einem apriorischen Begriff von einem .Vermögen', sondern im
Gefühl der Lust hat die reflektierende Urteilskraft ihr Selbstbewußtsein als
besonderes Vermögen gegenüber dem beschränkten Verstand. Wenn auch
kein allgemeiner Begriff des Vermögens der Erkenntnis der Natur nach be-
sonderen Gesetzen vorgegeben sein kann und ihr Gelingen dem Verstand
deshalb jederzeit als .zufällig' erscheinen muß, so ist dieses .Gefühl der Lust'
doch .auch durch einen Grund a priori und für jedermann gültig'. Man
könnte hier also von einem .transzendentalen Gefühl der Lust' sprechen, in
der sich die Urteilskraft mit einem vermögenderen Verstand als unserem
eigenen verbunden fühle."80 - So sehr diese Analyse ästhetischer Urteilskraft
der These von der Rückkehr zur Ontotheologie in der Dritten Kritik vor-
zuziehen ist, so gilt Heideggers Kritik in bestimmter Hinsicht zu Recht: Ur-
teilskraft als Reflexion der Reflexion übersteigt ihr Selbstbewußtsein als
Gefühl und scheint sich letztlich doch im apriorischen Begriff-von sich als
.Vermögen' zu begründen, um in Begriffen auf einen vermögenderen Verstand
zu reflektieren.81 Die Entdeckung dieser Reflexion der Reflexion ortet Hei-
degger im Amphibolie-Abschnitt der Kritik der reinen Vernunft.82

79
KU, B 341; 8,519, Konj. n. AA; Kursive z.T. HA.
10
J. Simon, Schönheit, 264; vgl. ebd., 266: „Die transzendental-/ogwc/>e Überlegung führt
hier aus ihr selbst an ihre Grenze."
81
M. Heidegger, Kant Gesamtausgabe, 249-254.
12
In diesem zentralen Abschnitt der Ersten Kritik, zwischen Transzendentaler Analytik
und Dialektik, wird der Gebrauch der Anschauungsformen und Kategorien im Übergang zur

96
Kant entwerfe dort das Programm einer transzendentalen Topik, „wie in der Ver-
gleicbung [der Vorstellungen] das Verglichene überhaupt gemeint ist - ob ontisch - oder
ontologisch; ob zur Sinnlichkeit gehörig oder zum reinen Verstand, B 324"85. In der
Reflexion auf die Reflexionsbegriffe (v.a. Materie und Form als Bestimmbarkeit und
Bestimmung), die in dieser Topik zur Verwendung kommen, werde die transzen-
dentale Reflexion nochmals überschritten. Es geht jetzt um „die formalen ontolo-
gischen (!) Möglichkeiten des Vergleichens überhaupt unangesehen des transzen-
dentalen Ortes der Vorstellungen."8'' Denken als Reflexion „gibt als einfaches Setzen
den Horizont vor, darin dergleichen wie Gesetztheit, Gegenständigkeit erblickt wer-
den kann ... Das Denken als Reflexion der Reflexion meint dagegen das Verfahren,
wodurch, sowie das Instrument und Organon, womit das im Horizont der Gesetzt-
heit erblickte Sein ausgelegt wird. Denken als Reflexion meint den Horizont,
Denken als Reflexion der Reflexion meint das Organon der Auslegung des Seins des
Seienden."85 Daraus resultiert die obligate Kritik Heideggers: „In Kants These über
das Sein als Position, aber auch im ganzen Bereich seiner Auslegung des Seins des
Seienden als Objektivität und objektiver Realität waltet das Sein im Sinne des wäh-
renden Anwesens."86 Die Idee Gottes als .Grund', also die Begründung des Urteils-
vollzugs durch Reflexion der Reflexion im Gebrauch der Idee eines intuitiven
Verstandes, nähme (so gesehen) zurück, was in der Entdeckung des ästhetischen
Urteilens gewonnen wird. Noch die Wahrnehmung der Kontingenz der realen
Relation würde im apriorischen Begriff der Urteilskraft von sich selbst, in der
Reflexion der Reflexion, vorentworfen und generiert. Noch im .transzendentalen
Gefühl der Lust' wäre die Urteilskraft nur so mit einem vermögenderen Verstand
verbunden, wie es der Vorentwurf von Relationalität erlaubt und generiert. Kants
Rede vom unwillkürlichen .Machen Gottes als Grund' ist das Indiz, daß er diese
Problematik des transzendentalen Gefühls in seiner Symbolisierung sah.87

Es stellt sich also die Aufgabe, am Beispiel der ästhetischen Urteilskraft ein
nicht-apriorisches und nicht-propositionales Wahrnehmen und Beschreiben zu
analysieren, dessen Vollzug in F o r m einer Destruktion des transzendental-
logischen Begründungszusammenhangs überhaupt zu exponieren ist. Wir le-
sen also die Dritte Kritik gegen ihren Begründungsaufbau, gleichsam rück-
wärts: Die Kritik der ästhetischen Urteilskraft ist als kontrollierte Rück-
nahme der Theorie der Urteilskraft als Reflexion der Reflexion zu interpre-
tieren. Im Verstehen o h n e (bestimmten) Begriff zeigen sich grammatische
(Kunst)Regeln des Urteilens, die nicht unter die kategoriale Regelhaftigkeit

Frage nach dem Gebrauch der Vernunftideen reflektiert: KrV, B 316-349; 3,285-307. Hier
stellt sich das Problem einer .transzendentalen Topik' und einer Dialektik reflektierender
Urteilskraft: KrV, B 324; 3,291.
" M. Heidegger, Kant Gesamtausgabe, 252.
14
Ebd., Kursive HA.
15
M. Heidegger, Kants These, 34.
* M. Heidegger, Kants These, 33.
17
Darin ist Kants Dritte Kritik der Schleiermacher'schen Grundlegung der Glaubenslehre
im Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit überlegen.

97
des Verstandes zu bringen sind. Urteilen als dieses nicht-apriorische, regelhaf-
te Wahrnehmen und Beschreiben vollzieht sich in der Destruktion der Ver-
standeskategorien je am exemplarischen Einzelnen. Dieses widerfährt als
Gefühl, um Behutsamkeit im Beschreiben abzugewinnen. Urteilen als solche
Zurücknahme und Freigabe, nennt Kant ,materiale Gewissenhaftigkeit' oder
.Behutsamkeit' im Bezeichnen (Theodizee, A 219; 9,120). Über den nicht
mehr transzendental-logischen Status materialer Gewissenhaftigkeit im Be-
zeichnen ist aus der Dritten Kritik mehr zu lernen als aus der Religions-
schrift. „Aus diesem Gewissen kann eine philosophische Bestimmung der
.schönen Natur' nur als gewissenhaft-kritische Destruktion der kategorialen
Formen einer möglichen logisch-ontologischen Naturbestimmung begriffen
werden, nicht aber als positiv-begriffliche Bestimmung einer anderen Natur
als der .wahren' gegenüber der .wirklichen'."88 Mit den kategorialen Formen
einer möglichen logisch-ontologischen Naturbestimmung werden die Refle-
xionsbegriffe als die formalen ontologischen Möglichkeiten des Vergleichens
überhaupt zwischen ontischen und ontologischen Bestimmungen destruiert.
Diese Destruktion transzendentaler Topik nimmt schließlich auch den tran-
szendental-logischen Begriff von Wahrheit zurück. Dieser transzendental-
logische Begriff von Wahrheit, basierend auf Urteilskraft als einer Reflexion
der Reflexion, lautet: „Die Warheit ist die zusammenstimmung der Erkennt-
niß mit dem obiect (durch die Erkenntniß desselben), also mit sich selbst"
(Reflexion 2127, AA 16,245). Dieser Wahrheitsbegriffs, der die transzendenta-
le Topik voraussetzt, wird nicht überboten, sondern begrenzt und destruiert.
Gewissenhafte Bestimmung der schönen Natur kann deshalb gar keine
positiv-begriffliche Bestimmung einer anderen Natur als der .wahren' gegen-
über der .wirklichen' geben wollen. Ihr Bezeichnen vollzieht sich in diesem
Sinn nicht-propositional.
Inwiefern kann materiale Gewissenhaftigkeit überhaupt noch als Vollzug
.transzendentalen Gefühls' bezeichnet werden? Die Antwort wird sein: Inso-
fern sie der transzendentalen Korrelation von Vernunft und Sprache' unter-
liegt. .Transzendental' meint jetzt: indifferent gegenüber den kategorialen
Formen logisch-ontologischen Bestimmens und gegenüber den metareflexiven
Unterscheidungen von Form und Materie, Grund und Begründetem.89 In
dieser möglichen Indifferenz vollzieht sich Alternanz der Urteilskraft.
Die reale Relation des Gefühls zu seinem Von-Woher vollzieht die in der
transzendentalen Theorie mögliche Selbstbegrenzung transzendentaler Logik.
Dieser Übergang ist der Ort der Rede vom .Geheimnis' bei Kant.

" J. Simon, Schönheit, 273.


• M. Riedel, Urteilskraft, 48.

98
4. Hoffnung als Sinn und Gefühl

Ästhetisches Urteilen ist bei Kant Paradigma eines praktischen Urteilens, das
sich als fühlbare Hoffnung endlicher, humaner Freiheit vollzieht und ver-
steht. Praktische Orientierung vollzieht sich als .behutsame' und doch regel-
hafte Beschreibung an nicht-beliebigen Beispielen. Wenn diese Beispiele so be-
schrieben und mitgeteilt werden, daß sie sich als signa prognostica des .Endes
aller Dinge' zeigen können, wird Hoffnung für sich und andere negativ fühl-
bar gemacht.
Die Geschmackskritik liefert das propädeutische Beispiel für Probleme, die
z.B. auch in der Urteilsbildung über den prognostischen Sinn in historisch
.unerhörten Begebenheiten' auftreten.90 Ontologisch geht es darum, Besonde-
res und Kontingentes als solches in seiner Regelhaftigkeit wahrzunehmen;
zeichentheoretisch geht es darum, selbstbezügliche, exemplifizierende Zeichen
als solche zu beschreiben; eschatologisch geht es darum, signa prognostica
mitzuteilen, ohne in die geschichtstheologische Dialektik zu verfallen. Negati-
ve Weisheit ist gültige und vorläufige Einsicht, die hoffen darf, dem wahren
Ende aller Dinge wenigstens nicht zu widersprechen. Sie bleibt in humaner
Kreatürlichkeit. Auf die an exemplarischen Zeichen augenblicklich widerfah-
rende Hoffnung, die in Sinn und Gefühl das .Geheimnis' göttlicher Gerech-
tigkeit und Güte unter seiner vernunftgemachten Symbolisierung .anbetet',
richtet sich die Hoffnung.
Wichtige Aspekte der Urteilskraft als Sinn und Gefühl werden am Beispiel
des Geschmacksurteils dargestellt (1.-6.) und anschließend auf die geschicht-
lich-politische Urteilsbildung übertragen (7.). Im Rahmen der Gesamtuntersu-
chung geht es jetzt um Umrisse einer Theorie des Urteilssinns, die sich für
eine kritische Rede vom .Geheimnis' konstitutiv ist.

4.1 Innerer Sinn und kognitives Gefühl

In der Analyse des Geschmacks bietet Kant eine Theorie der Beschreibung.
Die Exposition des Schönen und seiner Mitteilung im Geschmacksurteil vor
dessen transzendentaler Deduktion zeigen Konditionen einer Urteilskraft, die
eine exemplarisch wahrnehmende, regelgeleitete und explorative, konsensuelle
Beschreibungskunst ist.
Bekanntlich reflektieren sich für Kant im Geschmacksurteil über das be-
sondere .Schöne' nicht bloß die Empfindungen der äußeren Sinne, sondern
der lustvolle Vorstellungszustand des freien Zusammenspiels der Vermögen
von Einbildungskraft und Verstand, also ein innerer Sinn. Das Schöne, wel-
ches nur in der bloßen Beurteilung gefällt, widerspiegelt das Gefallen an der

90
Das erlaubt es H. Arendt, Kants Kritik ästhetischer Urteilskraft als Kritik politisch-
historischer Urteilskraft zu interpretieren.

99
Urteilsfreiheit. Sie wird aber nur insoweit als Lust empfunden, als sie im
Urteil über das Schöne allen anderen mitteilbar ist, ohne auf einen bestimm-
ten Begriff gebracht zu sein: Der Geschmack ist ein genuiner Gemeinsinn.
Die Analyse des ästhetischen Urteils verlangt, das Bedingungsgefüge von
äußerem, sinnlichem Widerfahrnis, dem inneren Sinn als Urteilsreflexion und
der durch einen sensus communis vermittelten Mitteilung zu erhellen:
Um die Geschmacksempfindung - das scheinbar unmittelbare und unmit-
teilbare sinnliche Empfinden dieses meines Schmeckens, dieses meines Rie-
chens etc. - überhaupt mitteilbar zu machen, bedarf es einer doppelten
Reflexion. Zunächst überführt Einbildungskraft Geschmack und Geruch, Ge-
hör und Gefühl ins Geschmacksurteil.91 Sinnliche Empfindung wird durch
Einbildungskraft repräsentiert und als Gefühlszustand der Lust reflektiert.
Das ästhetische Urteil ,Das ist schön' fungiert als Index eines Zustands un-
interessierten und freien Wohlgefallens.92
Zum „Schlüssel zur Kritik der Geschmacks" (KU, B 27; 8,295) wird die
(komplexe) Frage des § 9 der Dritten Kritik: Ob im Geschmacksurteil das
Gefühl der Lust der Gegenstandsbeurteilung vorangehe oder folge?93 Die
Auflösung findet Kant in der allgemeinen und genuin notwendigen Mitteil-
barkeit des Geschmacksurteiles: Ginge Lust vorher, so wäre sie bloße Empfin-
dung und das Urteil bloße Expression mit lediglich privater Gültigkeit. „Also
ist es die allgemeine Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes in der gegebe-
nen Vorstellung, welche, als subjektive Bedingung des Geschmacksurteils,
demselben zum Grunde liegen, und die Lust an dem Gegenstande zur Folge
haben muß." (KU, B 27; 8,295) Inwiefern? „Die Erkenntniskräfte, die durch
diese Vorstellung ins Spiel gesetzt werden, sind hiebei in einem freien Spiele,
weil kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel ein-
schränkt. Also muß der Gemütszustand in dieser Vorstellung der eines Ge-
fühls des freien Spiels der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung
zu einem Erkenntnisse überhaupt sein." (KU B 28; 8,296) Dies freie Spiel
zwischen der repräsentierenden Einbildungskraft, die an diesem Schönen
immer neue Züge entdeckt, und dem Verstand, der nach einer unbekannten
Regel ihrer Subsumtion sucht, ist unabschließbar: Nicht eine bestimmte
Erkenntnis, sondern das freie Spiel als Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt
wird mitgeteilt.94 Dies freie Spiel als Harmonie der Erkenntnisvermögen ist
der Grund der Lust des Wohlgefallens, - weil und sofern wir diesen Gemüts-
zustand allen anderen im Geschmacksurteil .notwendig' ansinnen können.
Wir können es anderen ansinnen, sofern ästhetische Urteile a priori möglich

" Vgl. Kants Unterscheidung eines Sinnen-Geschmacks von einem Reflexionsgeschmack:


KU, B 22; 8,291f.
92
Vgl. KU, B 8f; 8,282f, sowie KU, B 15; 8,287.
" Diese Frage darf nicht empirisch-zeitlich oder empirisch-kausal verstanden werden.
94
.Mitteilung' bei Kant meint: .mit anderen teilen, andere teilnehmen lassen'.

100
sind. Das hat die Deduktion reiner ästhetischer Urteile zu zeigen.'5 In der Tat
knüpft Kant im Zentrum der Deduktion, im § 39, direkt an die Exposition
des § 9 an, um die apriorische .Mitteilbarkeit' der Lust am Schönen (also
nicht nur ihre Mitteilung) zu rechtfertigen: Ästhetische Urteile als apriorische
Urteile ermöglichen die Reflexionslust am Schönen, weil diese Lust die
Auffassung eines Gegenstandes ausschließlich .vermittelst eines Verfahrens der
Urteilskraft' begleitet,

„welches [Verfahren] sie [die Urteilskraft] auch zum Behuf der gemeinsten Erfahrung
ausüben muß: nur daß sie es hier [sc. bei der gemeinsten Erfahrung], um einen
empirischen objektiven Begriff, dort aber (in der ästhetischen Beurteilung) bloß, um
die Angemessenheit der Vorstellung zur harmonischen (subjektiv-zweckmäßigen)
Beschäftigung beider Erkenntnisvermögen [sc. Einbildungskraft und Verstand] in
ihrer Freiheit wahrzunehmen, d.h. den Vorstellungszustand mit Lust zu empfinden,
zu tun genötigt ist. Diese Lust muß notwendig bei jedermann auf den nämlichen
Bedingungen beruhen, weil sie subjektive Bedingungen der Möglichkeit einer Er-
kenntnis überhaupt sind, und die Proportion dieser Erkenntnisvermögen ... auch
zum gemeinen und gesunden Verstände erforderlich ist, den man bei jedermann
voraussetzen darf." (KU, B 155; 8,388)

Es ist nun eines, daß Kant in der Apriorität und Allgemeinheit dieses Ver-
fahrens der Urteilskraft die subjektive Notwendigkeit und allgemeine Mitteil-
barkeit des ästhetischen Urteils ermöglicht sein läßt. Ein anderes ist es aber,
im Gegenzug die Frage zu stellen, warum dieses in der gemeinsten, d.h. in
aller theoretischen, Erfahrung ausgeübte Verfahren der Urteilskraft ausschließ-
lich durch bestimmte Gegenstände, „die dafür bestimmte Formeigenschaften
aufweisen müssen, und zwar in der Art eines Gefühls, zu Bewußtsein"96
kommt?
Die Zweideutigkeit der Urteilskraft kehrt in diesem Problem wieder: In
der Geschmacksreflexion, die doch ein ganz subjektives Verfahren sein soll,
verschwindet das besondere Schöne als urteilsermöglichendes Widerfahrnis
gerade nicht in die Allgemeinheit des Begriffs. Es tritt sogar in seiner Be-
sonderheit, in seinen Formeigenschaften, in eminenter Weise hervor. Bleibt
also die subjektive Geschmacksreflexion des inneren Sinnes äußeres Wider-
fahrnis? Indiziert sie sogar gesteigerte gegenständliche Erfahrung?
Die Spannung zwischen der apriorisch-transzendentalen Begründung der
Notwendigkeit und Allgemeinheit ästhetischer Urteile und ihrem genuinen
Gefühl, das als interesseloses Wohlgefallen ,ohne Begriff reflektiert wird,
charakterisiert das ästhetische Urteil. Sie wirft die entscheidende Frage auf: In
der Tat handelt es sich beim ästhetischen Urteil um ein Urteil „das sich, in-
dem es sich auf einen bestimmten einzelnen Gegenstand bezieht, zugleich

9S
Vgl. dazu v.a. KU, §§ 30-40 (KU, B 131-161; 8,371-392).
%
J. Kulenkampff, Logik, 201.

101
reflexiv auf die allgemeinen Bedingungen seines Zustandekommens bezieht
und das folglich die Vorstellung von einem bestimmten Gegenstand und den
Gedanken an die bloße Urteilskraft miteinander verknüpft."97 Ein weiteres
Mal zeigt sich das Zugleich der Gefühlsreflexion der äußeren Sinne und des
inneren Sinns, die beim besonderen Außen bleiben, und einer .intellektuellen'
Reflexion dieser Reflexion, die jene einfache Reflexion überschreitet. Im
selben Maß, in dem es zu gelingen scheint, die Mitteilbarkeit des urteilenden
Gefühls transzendental zu begründen, scheint der genuine Charakter dieses
Gefühls abgeblendet zu werden.
Diese Aporie ist in der Alternanz der Urteilskraft als Gefühl und als tran-
szendentallogischer Reflexion begründet. Das Recht transzendentaler Deduk-
tion des ästhetischen Urteils ist aber zweifelhaft. „Man kann das hier gegebe-
ne Problem auf die Frage zuspitzen: Ist das Gefühl der Lust am Schönen eine
bloße Folge und bloß in diesem Sinne Ausdruck des freien Spiels der Er-
kenntniskräfte, oder ist es in dem Sinne Ausdruck des freien Spiels der Er-
kenntniskräfte, daß es Wissen vom Vorliegen des freien Spiels der Erkenntnis-
kräfte und Wissen davon einschließt, daß diese sich in einem für Erkenntnis
überhaupt schicklichen Verhältnis zueinander befinden, und davon, daß
dieses schickliche Verhältnis nicht für den Urteilenden, sondern für jeder-
mann gelte?"98
Für Kant scheint das Letztere zu gelten: Als begründet und mitteilbar gilt
das Gefühl der Lust im Geschmacksurteil nur, wenn es ein reflexives Wissen
vom freien Spiel der Erkenntniskräfte enthält. Aber wird die Mitteilbarkeit
des Gefühls für den Urteilenden wirklich dadurch begründet, daß dieses
Gefühl ein Wissen um die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis
überhaupt impliziert?
Nun stellt sich Kant selbst der .mindern Frage', auf welche Art wir uns der
Übereinstimmung der Erkenntniskräfte im Geschmacksurteil bewußt werden,
„ob ästhetisch durch den bloßen innern Sinn und Empfindung, oder intellek-
tuell durch das Bewußtsein unserer absichtlichen Tätigkeit, womit wir jene
ins Spiel setzen" (KU, B 30; 8,297). Wäre das Bewußtsein des Zusammen-
stimmen intellektuell, im Begriff des Gegenstandes, so wäre es auf die ab-
sichtliche, bestimmende, schematisierende Verstandesspontaneität zurück-
zuführen. Dann aber wäre das Urteilen kein freies Spiel der Vermögen mehr.
Der Urteilsvorgang bliebe zudem, wie in jedem theoretischen Urteil, an-
onym. Im Geschmacksurteil wird aber seine Anonymität gelüftet. Er kann
nur als Empfindung im inneren Sinn bewußt werden, sofern nur im inneren
Sinn die veranlaßte, absichtslose und nicht begriffsgeleitete Belebung der
Vermögen erfahrbar wird: „Die Belebung beider Vermögen (der Einbildungs-
kraft und des Verstandes) zu unbestimmter, aber doch, vermittelst des An-
lasses der gegebenen Vorstellung, einhelliger Tätigkeit, derjenigen nämlich,

97
J. Kulenkampff, Logik, 84.
98
J. Kulenkampff, Logik, 203.

102
die zu einem Erkenntnis überhaupt gehört, ist die Empfindung, deren all-
gemeine Mitteilbarkeit das Geschmacksurteil postuliert." (KU, B 31; 8,297f.)
In seiner empirischen Beschreibung des Geschmacks (nicht in seiner urteils-
logischen Deduktion) statuiert auch Kant: Die Belebung zum freien Spiel
vermittelst des besonderen ästhetischen Anlasses wird als Gefühl,bewußt', als
.kognitiver Gemütszustand'. Der Terminus ,kognitiver Gemütszustand', den
wir aus der Zeichentheorie Nelson Goodmans übernehmen, hintergeht also
die Vexier-Alternative Kants, ob im urteilslogischen Sinn das Gefühl der Beur-
teilung oder die Beurteilung dem Gefühl vorangehe: „Die meisten der Schwie-
rigkeiten, mit denen wir uns herumgeschlagen haben, lassen sich ... der
dominierenden Dichotomie zwischen dem Kognitiven und dem Emotionalen
zuschreiben ... Dies versperrt ... die Einsicht, daß Emotionen in der ästheti-
schen Erfahrung kognitiv funktionieren. Das Kunstwerk wird sowohl mit
Gefühlen als auch mit den Sinnen erfaßt."99 Die Rücknahme der Dichotomie
trifft auch Kants Beschreibung des inneren Sinnes als einer bewußten Empfin-
dung: „bei einem Verhältnisse, welches keinen Begriff zum Grunde legt ... ist
auch kein anderes Bewußtsein desselben, als durch Empfindung der Wirkung,
die im erleichterten Spiele beider durch wechselseitige Zusammenstimmung
belebten Gemütskräfte (der Einbildungskraft und des Verstandes) besteht,
möglich." (KU, B 31; 8,298, Kursive HA) Die Lust des Wohlgefallens, in der
sich das erleichterte Zusammenspiel von empirischer Einbildungskraft und
empirischem Verstand vollzieht, indiziert durchaus ein Verstehen und Erken-
nen. Es weiß um den unbestimmten Inbegriff möglicher empirischer Erkennt-
nisse, welche ein besonderes Schönes veranlaßt. Sie impliziert aber nicht
zugleich das transzendentale Wissen um das formelle Zusammenstimmen von
transzendentalen Erkenntnisvermögen.
Kant hingegen interpretiert den im Gefühl implizierten Bezug auf .Erkennt-
nis überhaupt' als Reflexion des allgemeinen, transzendentalen Verfahrens der
Urteilskraft, das jeder Gegenstandserkenntnis zugrundeliegt und sie ermög-
licht. Das freie Spiel ist die einhellige Tätigkeit der bloßen transzendentalen
Erkenntnisvermögen der Einbildungskraft und des Verstandes. Doch die Not-
wendigkeit dieses Schritts leuchtete nur ein, wenn das Projekt einer einheitli-
chen Theorie der Urteilskraft sich als triftig erwiese.

4.2 Nicht-propositionale Beschreibung und Kunstregeln

Der Widerspruch gegen Kants transzendentalen Fundierungsschritt ergibt sich


aus dem Charakter des Geschmacks selbst: Geschmack steht für die empi-
rische Urteilsbildung eines inneren Sinns und bezieht sich auf Einzelnes. Er
„bringt also konkret leistende und nicht transzendentale Erkenntniskräfte in

99
N. Goodman, Sprachen, 228.

103
Funktion". 100 Er imaginiert - z.B. im Falle eines bestimmten Musikstücks -
bestimmte Klangfarben und Farbkontraste, Rhythmen und Taktwechsel, har-
monische Verhältnisse etc. und bezieht sie auf einen Verstand, der sie in eine
zumeist sprachliche Mitteilung bringt, deren Zustimmungsfähigkeit nicht
(transzendental-)logisch beschrieben werden muß. Die Fülle der ästhetischen
Eindrücke eröffnet eine finite und .dichte' Beschreibung, die unabschließbar
ist und nicht in Gegenstandsbestimmtheit zu enden braucht, gleichwohl ein
stimmiges Ganzes mitteilt. Zum Geschmacksurteil und seiner Lust gehört das
Bewußtsein, die unerschöpfliche Fülle des Anschauens überhaupt beschreibend
zur Sprache bringen zu können, „in concreto zu einer Bestimmung gelangen
zu können - ein Bewußtsein, das gegenüber den transzendentalen Bedingun-
gen der Erkenntnis keinen Sinn hätte."101 Dieses Bewußtsein reflektiert sich
im Gefühl des Gefallens.
Das freie Spiel von Einbildung und Verstand reflektiert sich als Lust ver-
mittels einer ästhetischen Urteilsbildung, die nicht durch das Verfahren kate-
gorialen Urteilens bestimmt ist. Daß in dieser Beschreibung zustimmungs-
und widerspruchsfähige Sätze gebildet werden, die aber keine propositionalen
Urteile darstellen, scheint Kant mit der paradoxen Formel von einem katego-
rialen Urteilen ohne bestimmte Kategorien zu intendieren102. Geschmack steht
also für eine nicht-propositionale, zustimmungsfähige Beschreibung}01
Geschmacksbildung ist nicht-propositionale, zustimmungsfähige Beschrei-
bungskunst. Das ästhetische Urteilen als ein .Buchstabieren' bestimmter An-
schauungen folgt eigenen .Leseregeln'. Das nicht-transzendentale Verständnis
dieser .Regeln' führt auf den Begriff der Kunstregel: Geschmacksbildung ist
vermittelt durch Kunstregeln mitteilungsfähiger Beschreibung. Diese werden
an guten Beispielen gefunden und im Mitteilungsvorgang beständig weiter
geübt, präzisiert, erweitert oder auch innovativ durchbrochen. Es sind Regeln
erlernbarer Urteilskunst.
Das Kunstwerk dient dem Geschmacksurteil als Muster „zum Richtmaße
oder Regel der Beurteilung" (KU, B 182; 8,406). Kunstregeln begründen keine
doktrinale Erkenntnis, wohl aber die Möglichkeit von Kritik und Verständi-

100
J. Kulenkampff, Logik, 95.
101
Ebd., 96.
102
Dem ästhetischen Urteilen das kategoriale Urteilen als negativen Bestimmungsgrund zu
unterstellen, ist der Sinn von Kants Bestimmung: „Schön ist das, was ohne Begriff allgemein
gefällt." (KU, B 32; 8,298) Ästhetisches Urteilen kann kategoriales Urteilen voraussetzen,
sofern das Schöne verobjektiviert und im Rahmen theoretischer Objektivität beschrieben
werden kann; aber die Eigenart ästhetischer Beschreibung besteht ja gerade in der .behut-
samen' Destruktion dieser Objektivität.
103
.Proposition' bedeute hier: Eine wahrheitsdefinite oder dialogdefinite Aussage, deren Be-
deutung von dem konkreten Sprecher und Zuhörer unabhängig ist und die aufgrund dieser
beliebigen Austauschbarkeit bedeutungsinvariant wiederholbar ist. Kants Definition des
Geschmacks als sensus communis aestheticus, nicht logicus, formuliert diese Nicht-Proposi-
tionalität, vgl. KU, B 160; 8,392.

104
gung im Geschmacksurteil.104 Der Begriff der .Kunstregel' vermittelt ein Drei-
faches: Er nivelliert nicht die innovative, kreative, regelverändernde, regel-
brechende oder neue Regeln setzende Exemplarität des Kunstwerks in seiner
Beschreibung. Er hält die durchaus erlernbare, wiederholbare und prüfbare
Regelgerechtheit des Beschreibens und des zu Beschreibenden im Blick. Und
er deutet an, warum es Aufgabe der Kritik ist, diese Rede zu begleiten, ohne
sie systematisch zu begründen und vorgreifend zu konstruieren.105

4.3 Sensus communis

Fragen wir noch einmal: Warum setzt Kant kategorial an, obgleich das
ästhetische Widerfahrnis gerade durch Aufhebung der kategorialen Urteils-
formen beschreibbar wird? Offenbar, weil das ästhetische Betrachten nur als
Mitteilung angemessen exponiert wird. Schon die Tatsache, daß dieses Be-
sondere betrachtet werden soll, macht eine Unterscheidung geltend. Solches
Unterscheiden wird im Urteil: ,Dies ist schön' explizit, sofern dieses Urteil
impliziert: ,Dieses soll von allen betrachtet werden'. Das Geschmacksurteil
bildet „weniger den definitiven Schluß als die Eröffnung einer unabsehbaren
Folge von Beschreibungen des schönen Gegenstandes als den Ergebnissen der
ästhetischen Betrachtung, die gar nicht beansprucht, Erkenntnis zu sein, wohl
aber, daß ihre Wahrnehmungen als Ergebnisse des freien Zusammenspiels von
Einbildungskraft und Verstand keine bloßen Phantasmen, sondern nachvoll-
ziehbare Phantasien sind"106. Zur Mitteilbarkeit dieser Phantasien gehört, daß
sie opponierbar, diskutabel und konsensfähig sind.
In diesem Sinne ist die Modalität des Geschmacksurteils zu verstehen, nicht
im Sinne einer Gegenstandsbestimmung: „Schön ist, was ohne Begriff als Ge-
genstand eines notwendigen Wohlgefallens erkannt wird." (KU, B 68; 8,324)
Die Notwendigkeit des ästhetischen Urteils ist eine exemplarische, „d.i. eine
Notwendigkeit der Beistimmung aller zu einem Urteil, was wie Beispiel einer
allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird" (KU, B 62f;
8,320). Urteilen als Subsumtion unter eine allgemeine, aber unbekannte Regel
ist zunächst prinzipiell irrtumsfähig: „Man wirbt um jedes andern Beistim-
mung, weil man dazu einen Grund hat, der allen gemein ist; auf welche
Beistimmung man auch rechnen könnte, wenn man nur immer sicher wäre,
daß der Fall unter jenem Grunde als Regel des Beifalls richtig subsumiert

104
Vgl. KU, B 181-183; 8,405-407.
105
Dieses Verständnis von .Kunstregel' ist für analoge theologische Verwendung offen:
Zum .explorativen', nicht präskriptiven Charakter theologischer Regeln: H.G. Ulrich, Re-
geln, 151-174; zur Kreativität der Regelbildung: I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 226-231; zum
nicht-doktrinalen Charakter von Kunstregeln, deren Anwendung nicht wieder auf Regeln
gebracht werden kann: F.D.E. Schleiermacher, Kurze Darstellung, §§ 18.132.
106
J. Kulenkampff, Logik, 111.

105
wäre."107 Dieser Vorbehalt wirft Licht auf die Idee eines sensus communis, die
Kant als Bedingung der Möglichkeit der (subjektiven) Notwendigkeit des
Urteils einführt. Er ist gleichsam die Idee eines anrufbaren Vermögens, die
Idee eines gemeinschaftlichen Urteilsgefühls, deren Status zu klären ist, und
die selber nur in Beispielen exemplarischer Gültigkeit zugänglich ist: Sie kann
nur exponiert werden auf dem Wege einer .entdeckenden Analyse' der ästhe-
tischen Einzelurteile. „Diese unbestimmte Norm eines Gemeinsinns wird von
uns wirklich vorausgesetzt: das beweiset unsere Anmaßung, Geschmacksur-
teile zu fällen." (KU, B 67; 8,323) Nur im Wege der entdeckenden Analyse
tatsächlicher Urteile wird „eine Eigenschaft unseres Erkenntnisvermögens
aufgedeckt, welche, ohne diese Zergliederung, unbekannt geblieben wäre"
(KU, B 21; 8,291).
Nichtsdestoweniger versucht Kant im Rahmen der Deduktion den Gel-
tungsanspruch dieser Idee apriorisch zu rechtfertigen: „Unter dem sensus
communis aber muß man die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes, d.i. eines
Beurteilungsvermögens verstehen, welches in seiner Reflexion auf die Vor-
stellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um gleich-
sam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten, und dadurch der
Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, welche leicht für
objektiv gehalten werden könnten, auf das Urteil nachteiligen Einfluß haben
würde. Dieses geschieht nun dadurch, daß man sein Urteil an anderer, nicht
sowohl wirkliche, als vielmehr bloß mögliche Urteile hält, und sich in die
Stelle jedes andern versetzt, indem man bloß von den Beschränkungen, die
unserer eigenen Beurteilung zufälliger Weise anhängen, abstrahiert" (KU, B
157; 8,389).
Die Maxime, das Urteil unter die Idee eines sensus communis zu stellen, leitet
den anderen, fundamentalen Reflexionsakt des Urteilens. Kant differenziert
diese Verfahren der Abstraktion in die drei Maximen der vorurteilsfreien,
erweiterten und konsequenten Denkungsart. Diese Verfahrensregeln der
Urteilsbildung legen die idealische Norm eines sensus communis in Verfah-
rensmaximen auseinander. Insbesondere die Maxime der erweiterten Den-
kungsart charakterisiert Kants sensus communis: Ein „Mann von erweiterter
Denkungsart" (KU, B 159; 8,391) erweist sich daran, daß er sich - bei noch so
geringen Erkenntnisgaben - „über die subjektiven Privatbedingungen des
Urteils, wozwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzt, und
aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, daß
er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes Urteil reflek-
tiert" (ebd., Konjektur nach AA). Das Urteilen unter der Idee eines sensus
communis ist - anders als Denken und Wollen - prinzipiell nicht einsam
möglich. Andere Menschen sind die Möglichkeitsbedingung seiner Wahrheit.
Urteilen geschieht unter der Idee eines ,Pluralism' der Denkungsart - „sich

KU, B 63f; 8,320; der analoge Vorbehalt KU, B 67; 8,323.

106
nicht als die ganze Welt in seinem Selbst befassend, sondern als einen bloßen
Weltbürger zu betrachten und zu verhalten" (Anthropologie, B 8; 10,411). Es
setzt Öffentlichkeit, Publizität voraus, weil es durch seine eigenartig subjekti-
ve Notwendigkeit den Meinungsstreit ebenso benötigt wie ermöglicht.
Diese Verfahrensmaximen sind jedoch nur notwendige Bedingungen des ex-
emplarischen Urteils, nicht hinreichende: Sie leiten die Urteilsbildung im all-
gemeinen an, garantieren aber nicht die Triftigkeit des ästhetischen Einzelur-
teils. Der Streit über das ästhetische Einzelurteil kann nur im wirklichen
Streit, nicht antizipativ entschieden werden. Deshalb bleibt der Vorbehalt der
richtigen Subsumtion unter eine unbekannte Regel bestehen. Was meint
dieser bleibende Vorbehalt?

4.4 Exemplarische Gültigkeit

Hannah Arendt, die der Maxime der erweiterten Denkungsart eine eindring-
liche Interpretation gab, deutet an, warum diese Maxime als bloße Verfah-
rensmaxime unterbestimmt bleibt. Urteilskraft - als „ein besonderes Talent
..., welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will" (KrV, B 172;
3,184) bedarf der Beispiele als „Gängelwagen" (KrV, B 174; 3,185).

„In der Kritik der Urteilskraft, d.h. bei der Behandlung der reflektierenden Urteile,
wo man nicht ein Besonderes einem Begriff unterordnet, hilft einem das Beispiel ...
Die Beispiele leiten und führen uns, und das Urteil nimmt dadurch .exemplarische
Gültigkeit' an. Das Beispiel ist das Besondere, das einen Begriff oder eine allgemeine
Regel in sich enthält oder von dem angenommen wird, daß es sie enthält ... Das Ur-
teil bat exemplarische Gültigkeit in dem Maße, in dem das Beispiel richtig gewählt
wird."10*

Die bloß exemplarische Gültigkeit des Geschmacksurteils, die seine mögliche


Strittigkeit, ja Unentscheidbarkeit impliziert, braucht nicht als Mangel zu gel-
ten. Sie besagt, daß Geschmacksurteile wirklich mitgeteilt werden müssen. Da-
rauf weist, recht verstanden, die Maxime der erweiterten Denkungsart hin:
Sie setzt die universelle Reichweite ihrer Urteile voraus, die aber nur in
einem generellen Geltungsbereich von tatsächlich Urteilenden zu bewähren
ist - im Wissen, daß kein noch so genereller Konsens die Verbindlichkeit der
Regel begründet, mit der alle übereinstimmen können sollen. Insofern eröff-
net jeder erreichte Urteilskonsens weitere Mitteilung, die Zustimmung an-
sinnt. Es gilt also in der Tat, daß „das Urteil eine spezifische Gültigkeit
besitzt, niemals jedoch universal gültig ist. Seine Ansprüche auf Gültigkeit

108
H. Arendt, Das Urteilen, HOf. Die Rede von den .Tiefen der menschlichen Seele', in
welchen Urteilskraft ihre Handgriffe vollbringe (vgl. KrV, B 180f; 3,190), ist nach der
,idealischen N o r m ' eines sensus communis zu interpretieren.

107
können sich niemals über den Bereich jener anderen hinaus erstrecken, an
deren Stelle sich die urteilende Person bei ihren Erwägungen begeben hat"109.

4.5 Ikonisches Sehen

Reflektiert die ästhetische Lust ein freies Spiel von Einbildung und Verstand,
das seinen Bestimmungsgrund nicht im Bezug auf apriorische Erkenntnis
überhaupt hat, so ist der Kantischen Deduktion apriorischer ästhetischer
Urteile zwar einerseits im Zentrum widersprochen. Kants Exposition äs-
thetischer Urteile kann aber als entdeckende und beschreibende Analyse dieses
Urteilens neu gelesen werden.110 Diese Beschreibung unterscheidet sich von
einer bloß empirischen Beschreibung darin, daß die entscheidenden Beschrei-
bungstermini (wie z.B. .innerer Sinn', .Reflexionsgeschmack', .Reflexionslust'
oder ,freies Spiel der Vermögen') nicht nur empirischen, sondern, wie gezeigt,
genuin transzendentalen Status haben.
Das Festhalten an allgemeiner Mitteilbarkeit des Schönen, die Aussicht auf
möglichen universellen Konsens im Geschmacksurteil, ist ein Hauptgrund,
weshalb Kant den Geschmack durch genuin transzendentale Termini expli-
ziert. Unterscheidet man die hypothetische Universalität von der konkreten
Generalität der Mitteilung, so bereitet der Widerspruch gegen die Begründung
der Lust im transzendentallogischen Verfahren der Urteilskraft weniger
Probleme. Es entsteht eben im ästhetischen Urteil, „genau genommen, gar
kein Urteil: die Urteilsintention, die ohne Gesichtspunkt ist, sinkt in sich
selbst zurück, ihre Beziehung auf den Gegenstand wird zum Sehen oder zur
Betrachtung"1". Die eigentlich interessante Frage ist dann, „was in transzen-
dentaler Hinsicht eine solche Betrachtung, was ein solches Sehen ist, das
weder mit Urteilen noch mit bloß passiver Empfindung kongruiert"112.
Nun bietet Kant durchaus einen Ausblick auf ein nicht-formales, genuin
transzendentales Anschauen, wie bereits Hegel anmerkt.113 Im Begriff der
.ästhetischen Idee' und ihrer Symbolisation im Schönen umschreibt Kant
Anschauung als eine inexponible Betrachtung. Die ästhetische Idee, die keine
Erkenntnis werden kann, „weil sie eine Anschauung (der Einbildungskraft) ist,
der niemals ein Begriff adäquat gefunden werden kann" (KU, B 240; 8,447f),
indiziert ein freies Zusammenspiel von Einbildungskraft und Vernunft. In die-
sem Zusammenspiel wird ein genuines Sehen erlernt, das beschreibbar und
aussagbar, aber nicht propositional aussagbar ist. Der Terminus .ästhetische

109
H. Arendt, Das Urteilen, 205, Anm. 155, vgl. 212 Anm. 102.
110
J. Kulenkampff, Logik, 28f. 107: „es ist deshalb kein Zufall, daß die .Deduktion' nur eine
zweite Analytik ist." (107)
1,1
J. Kulenkampff, Logik, 90.
112
Ebd., 110 (Kursive HA).
113
Vgl. G.W.F. Hegel, Glauben und Wissen, 323f.

108
Idee' charakterisiert - mit einer Formulierung Jean-Luc Marions - selbst-
bezügliche, .anschauungsgesättigte' Zeichen, die unter keinen abschließend
bestimmenden Begriff gebracht werden können und sollen. Solche Zeichen
eröffnen eine nicht abzuschließende Beschreibung, in der ein genuines, nicht-
empirisches ,ikonisches Sehen' erlernt werden kann. Sie werden aber als genui-
ne Zeichen nicht erst durch ikonisches Sehen konstituiert.114
Daß Kant hier von einer gleichsam intellektuellen Sichtbarkeit spricht, sollte
nicht verwundern: Die „Chiffreschrift ..., wodurch die Natur in ihren schö-
nen Formen figürlich zu uns spricht" (KU, B 170; 8,398), fordert die .inter-
pretierende' praktische Vernunft heraus.115 Das ist eine Behauptung, die pro-
blematisch bleibt, gleichwohl nicht vorschnell kritisiert werden soll: Denn
hier zeigt sich bei Kant eine eigenartige Externität der reinen praktischen Ver-
nunft! Die interpretierende praktische Vernunft nimmt an dem, was inter-
esselos gefällt, ein intellektuelles Interesse. Sie empfindet ,Lust' an seiner Exi-
stenz' (KU B 162; 8,393), Lust daran, daß überhaupt Schönes in der Natur ist:
„Der, welcher einsam ... die schöne Gestalt einer wilden Blume ... betrachtet,
um sie zu bewundern, zu lieben, und sie nicht gerne in der Natur überhaupt
vermissen zu wollen, ob ihm gleich dadurch einiger Schaden geschähe, viel-
weniger ein Nutzen daraus für ihn hervorleuchtete, nimmt ein unmittelbares
und zwar intellektuelles Interesse an der Schönheit der Natur. D.i. nicht
allein ihr Produkt der Form nach, sondern auch das Dasein desselben gefällt
ihm". (KU, B 166f; 8,396) Das ästhetisch interesselose und intellektuell inte-
ressierte praktische Gefallen an der Existenz der wilden Blume lehrt, „ohne
Eigennutz zu lieben"116. Inwiefern? Das Dasein der wilden Blume teilt sich als
Zweck an sich mit und zeigt augenblickliche Präsenz .kreatürlicher' Freiheit
ex negativo an. Gefühlt wird .Existenz' und .Präsenz', die sich der ka-
tegorialen Existenz und Repräsentanz entzieht. Sie versetzt den einsamen
Menschen in eine Relation von genuiner Realität. Durch die wilde Blume
belehrt, findet er sich als in die Welt passend, an jenem Ort, zu dem der kate-
gorische Imperativ anweist. Jedoch: „Die objektive Realität, also die Darstel-
lung des Vernunftgesetzes, zu der sich der Mensch genötigt sieht, wird von
der Natur vorgemacht"117. Intelligible, moralische Freiheit ist das Geheimnis
humaner Kreatürlichkeit, die undarstellbar bliebe, würde sie nicht durch die
wilde Blume angezeigt, vorgemacht und mitgeteilt, eben indem sie lehrt, ohne
Eigennutz zu lieben. Freiheit findet in der Liebe zur wilden Blume, der
weißen Lilie118, einen Platz in der Welt. Im ikonischen Sehen der Liebe exem-
plifiziert sich ikonische Freiheit. „Die Liebe zur Welt erschafft die Welt für
mich, paßt mich in sie ein", indem sie bestimmt, „zu wem und zu was ich

114
J.-L. Marion, Etant donne, 309-325.
115
Zu den Metaphern .Buchstabieren' und .Interpretieren': M. Riedel, Urteilskraft, 44-60.
116
Nachlaßreflexion, zitiert bei H. Arendt, Das Urteilen, 98, dort ohne Nachweis.
117
G. Krüger, Moral, 98.
111
Vgl. KU, B 172; 8,400.

109
gehöre".119 Das Naturschöne, das intellektuell interessiert, .innerlich' gesehen
und gehört wird, ist Zeichen des im Gesetz .verheißenen Daseins' der Frei-
heit. „Der Gesang der Vögel verkündigt Fröhlichkeit und Zufriedenheit mit
seiner Existenz." (KU, B 172; 8,400)

Für Kant ist das intellektuelle Gefallen am Naturschönen der Selbstzufrieden-


heit wahlverwandt, die sich als reines moralisches Gefühl ankündigt.120 Die
reine praktische Urteilskraft, welche die Stimme des Gesetzes auslegt, soll erst
den Schlüssel zur Chiffre der sichtbaren Blume und des hörbaren Gesangs
bieten.121 Erst die dogmatisch-apriorische, alles Interesse niederschlagende Ur-
teilskraft reiner praktischer Vernunft bringt im endlichen Menschen das
praktische Interesse hervor, „daß die Ideen (für die sie im moralischen Gefühl
ein unmittelbares Interesse bewirkt) auch objektive Realität haben, d.i. daß
die Natur wenigstens eine Spur zeige, oder einen Wink gebe, sie enthalte in
sich irgend einen Grund, eine gesetzmäßige Übereinstimmung ihrer Produkte
zu unserm von allem Interesse unabhängigen Wohlgefallen ... anzunehmen"
(KU, B 169; 8,397f).122 Aber nichts spricht dagegen, die Verwandtschaft
zwischen der bewundernden Liebe für die wilde Blume und der Achtung für
das Gesetz nicht auch umzukehren und sie für das Verständnis praktischer
Urteilskraft fruchtbar zu machen. Dann wird die Intellektualität des prakti-
schen Interesses gerade in seiner Ikonizität, seiner Exteriorität und Sinnlich-
keit pointiert, nicht in seiner erhabenen Undarstellbarkeit.

4.6 Zusammenfassung

Die ästhetische Urteilskraft, der Geschmack als ,eine Art von sensus commu-
nis' (KU, B 156; 8,388, Überschrift zu § 40) entdeckt sich in exemplarischen
Urteilen. Die Exemplarität eines Beispiels kündigt sich im kognitiven
Gemütszustand der Lust oder Unlust an. Das Geschmacksurteil ist Reflexion
und Mitteilung der Exemplarität des Kunstwerks oder Beispiels. Es setzt das
Widerfahrnis des Schönen als ein nicht nur subjektiv-sinnenhaftes Empfinden

" ' H. Arendt, Das Urteilen, 215, Anm. 149, vgl. 195.
120
Dazu Abschnitt § 7,3.
121
Das Gemüt kann „über die Schönheit der Natur nicht nachdenken, ohne sich dabei
zugleich interessiert zu finden. Dieses Interesse aber ist der Verwandtschaft nach moralisch;
und der, welcher es am Schönen der Natur nimmt, kann es nur sofern an demselben neh-
men, als er vorher schon sein Interesse am Sittlichguten wohlgegründet hat. Wen also die
Schönheit der Natur unmittelbar interessiert, bei dem hat man Ursache, wenigstens eine
Anlage zu guter moralischer Gesinnung zu vermuten" (KU B 169f; 8,398).
122
Wir haben das „Vermögen einer intellektuellen Urteilskraft, für bloße Formen prakti-
scher Maximen ... ein Wohlgefallen a priori zu bestimmen, welches wir jedermann zum
Gesetze machen, ohne daß unser Urteil sich auf irgend einem Interesse gründet, aber doch ein
solches hervorbringt" (KU, B 168f; 8,397).

110
voraus: Das Schöne widerfährt dem inneren Sinn in einem genuinen Sehen,
Hören, Empfinden, in welchem Widerfahrnis des Sinns und der Sinne die
Sinnlichkeit der transzendentalen Ästhetik der Ersten Kritik zurückgenom-
men wird. Das Geschmacksurteil eröffnet und verlangt die Mitteilung dieses
Gemütszustands an bestimmte, andere Menschen in einer konkreten, nicht
transzendentalen Öffentlichkeit. Beispiele erweisen in der Mitteilung, Zu-
stimmung oder Bestreitung ihre Exemplarität. Sie können nur auf einen sich
jeweils einstellenden Konsens oder Dissens hin mitgeteilt werden. Dasjenige,
was die Beispiele exemplifizieren oder zum Ausdruck bringen, wird in der
Beschreibung dieser Beispiele konsensuell gewonnen. Es wird darin aber nicht
erst konstituiert. Die Exemplarität des Beispiels und der im Umgang mit i h m
gewonnenen Urteile gründen nicht im logisch-transzendentalen Geltungs-
anspruch der reflektierenden Urteilskraft als Reflexion der Reflexion. Sie
werden mitgeteilt und zur Zustimmung angesonnen. Konsensfindung, die
begründeten Widerspruch und Streit, ja Unverständnis und Unverstehbarkeit
nicht ausschließt, vermittelt sich durch Kunstregeln. Der Geschmack ist Para-
digma eines exemplarischen, nicht-propositionalen (oder nicht-apophanti-
schen), aber diskursiv-beschreibenden, zustimmungsfähigen sensus communis,
Paradigma eines inneren Sinns in den äußeren Sinnen, der eine nicht-empiri-
sche, gleichwohl sinnliche Erkenntnis erlaubt.

Im zweiten Teil der Untersuchung wird Franz Rosenzweigs These von der Sichtbar-
keit der Hoffnung in gottesdienstlichen, grammatischen und ikonischen Zeichen im
Zentrum stehen. In der dichten eschatologischen Beschreibung dieser Zeichen wird
ein genuines, ikonisches Sehen erlernt und mitgeteilt. Die skizzierte Theorie des
ästhetischen Urteilssinns wird dort vorausgesetzt und fortgeführt. Dabei erweisen
sich drei weitere Termini der nachkantischen Zeichentheorie als außerordentlich
fruchtbar: Exemplifikation, metaphorischer Ausdruck, dichte Beschreibung. Sie sind
der Symboltheorie Nelson Goodmans entnommen.123
Goodmans Symboltheorie ergänzt, korrigiert und konterkariert Kants Analyse v.a.
im Blick auf die Theorie ästhetischer Form, also im Blick auf ästhetische Zeichenfor-
men, Zeichenreferenzen und Symbolisationsweisen. Die hier vorgelegte kritische
Interpretation der Dritten Kritik ist im Grunde auf diese Ergänzung und Korrektur
hin angelegt.

123
N . Goodman, Sprachen (Seitenangaben im Text des folgenden Exkurses beziehen sich
auf die deutsche Ausgabe von 1997). Goodmans Unterscheidungen werden verwendet, ohne
seine voraussetzungsreiche nominalistische Sprachtheorie explizit zu diskutieren und unbese-
hen zu rezipieren. Dazu: N. Goodman, Weisen der Welterzeugung; zur Kritik: H. Putnam,
Erneuerung, 141-171.

111
5. EXKURS: EXEMPLIFIKATION, AUSDRUCK, DICHTE BESCHREIBUNG

Ästhetische Werke (z.B. musikalische Aufführungen, Dramen, Tänze, Bilder)


gelten in Goodmans Symboltheorie als besondere Sorte von Zeichen, die für
eine Zeichentheorie paradigmatischen Rang gewinnen können. Sie werden im
Sinne dieser Theorie bestimmt: (a) durch ihre differenten Bezugnahmeweisen:
Denotation und Repräsentation bzw. Exemplifikation und metaphorischer
Ausdruck; sowie: (b) durch die Merkmale der verschiedenen Sprachen, durch
die ein Werk jeweils definiert wird: diese können syntaktisch und semantisch
dicht sein (wie die pikturale Repräsentation, z.B. bei bestimmten Bildern,
Skizzen, aber auch Diagrammen), syntaktisch artikuliert (wie die Sprache im
üblichen Sinne, z.B. bei literarischen Texten) oder syntaktisch und semantisch
artikuliert (wie die Notation, z.B. bei Musikpartituren oder Tanzbewegun-
gen); schließlich erhebt sich (c) die Frage, was Beschreibung meint, die zwi-
schen den differenten Bezugnahmeweisen und differenten .Sprachen' hin und
her übersetzt. Es sind die je am konkreten Beispiel wahrzunehmenden Inter-
ferenzen von werkdefinierender .Sprache', Bezugnahmeweisen und Beschrei-
bungssprache, die mit Hilfe dieser Theorie genauer unterschieden werden
können. Hier liegt der Anknüpfungspunkt der Rezeption!124
(1) Exemplifikation: „Was zum Ausdruck gebracht wird, wird metaphorisch
exemplifiziert" (88). Grundlegend ist in dieser Bestimmung zunächst die Un-
terscheidung von denotativer Bezugnahme (Beispiel: Namen und Prädikatoren
denotieren singulare oder klassifizierbare Dinge) und exemplifizierender Bezug-
nahme. Sie unterscheiden sich durch Differenz in der Bezugnahmerichtung.
Kantisch gesprochen: Denotation schematisiert, Exemplifikation reflektiert.
.Proben' exemplifizieren eine Vielzahl verbaler oder nicht-verbaler (oft aber
verbalisierbarer) Etiketten125 oder Eigenschaften; und sie besitzen diese Eigen-
schaften zugleich (60). Beispielsweise kann ein bestimmtes Stoffstück Probe
für Farbe, Muster, Qualität, für Handgewebtes oder Maschinengewebtes, für
Hochlohn- oder Billiglohnprodukte, für Montags- oder Dienstagsfabrikate, für
den Nutzen oder die Zweckmäßigkeit von Baumwollpflanzen oder auch
Probe für .Probe' sein. „Ist Besitz intrinsisch, so ist Bezugnahme es nicht;
und welche Eigenschaften eines Symbols nun gerade exemplifiziert werden,
hängt davon ab, welches besondere Symbolsystem in Kraft ist." (60)
(2) Metaphorischer Ausdruck: Ausdruck als metaphorische Exemplifikation
meint, daß Proben jene Etiketten oder Eigenschaften, die sie exemplifizieren,
tatsächlich, aber nur figurativ (metaphorisch) besitzen (vgl. 58.60f). Beispiels-
weise drückt ein in düsteren Grautönen gemaltes Bild mit Bäumen und Klip-
pen am Meer tiefe Traurigkeit aus (oder: ,Moll'). „Was Traurigkeit ausdrückt,
ist metaphorisch traurig. Und was metaphorisch traurig ist, ist tatsächlich,

124
Dem dient die vollständige Ausklammerung der Wert-Frage, also der Frage nach dem
Schönen, in dieser Ästhetik: „Die Symptome des Ästhetischen sind keine Wertzeichen" (235).
125
Der voraussetzungsreiche Terminus .Etikett' (60-64) wird hier nicht näher diskutiert.

112
aber nicht buchstäblich traurig, das heißt, es gerät unter die Herrschaft irgend-
einer übertragenen Anwendung eines mit .traurig' koextensiven Etiketts."126
Zugrunde liegt der Metaphern-Begriff Goodmans (vgl. 76-88): „Zum Ver-
ständnis der Metapher muß man ... einsehen, daß ein Etikett nicht isoliert,
sondern in seiner Zugehörigkeit zu einer Familie funktioniert. Wir kategori-
sieren durch Mengen von Alternativen." Ein Etikett steht nicht nur für eine
einfache Verwendungsregel, sondern für ein Verwendungsschema; die „Ge-
samtheit der Extensionsbereiche der Etiketten in einem Schema könnte man
Sphäre nennen." (76) »Buchstäblich traurig' bemißt sich also an dieser einge-
führten, konventionellen Verwendung von .traurig'. Metaphorik überträgt
ein Begriffsschema aus seiner Heimatsphäre in eine fremde Sphäre und sor-
tiert und organisiert dadurch diese fremde Sphäre neu: Sie ist eine .kalkulierte
Kategorienverwechslung' (77). „Dadurch, daß eine Metapher auf diese Weise
eine Neuorientierung eines ganzes Netzwerkes von Etiketten mit sich bringt,
gibt sie teilweise Aufschluß über ihre eigene Entwicklung und Entfaltung."
Der Gewinn dieser Definition von Ausdruck als metaphorischer Exem-
plifikation besteht darin, daß der .Ausdruck' eines Werkes am Werk selbst,
seiner Weise der Bezugnahme und seinem im Moment geltenden Symbol-
system, expliziert werden kann.127 .Ausdruck' als produktionsästhetische Ex-
pression eines inneren Gefühls, als Selbstobjektivation o.a. kann eliminiert
werden, ebenso aber auch .Ausdruck' als rezeptionsästhetischer Begriff (.Ein-
fühlung' o.a.). Nach dieser Bestimmung kann unser Bild Traurigkeit oder
Molltöne ausdrücken, auch wenn dies vom Maler nicht intendiert sein sollte
und auch wenn es (noch) von keinem Betrachter so beschrieben wurde: „Was
zum Ausdruck gebracht wird, wird demnach [sc. figurativ] besessen, und was
ein Gesicht oder ein Bild ausdrückt, das müssen keine (können aber) Emotio-
nen oder Vorstellungen sein, die der Schauspieler oder der Künstler hat oder
die er vermitteln möchte, auch keine Gedanken oder Gefühle des Betrachters
oder einer abgebildeten Person und auch keine Eigenschaften von etwas
anderem, das in anderer Weise mit dem Symbol in Beziehung steht. ... ich
reserviere den Terminus .Ausdruck' zur Unterscheidung des zentralen Falles,
in dem die Eigenschaft zum Symbol selbst gehört - ohne Rücksicht auf
Ursache, Wirkung, Intention oder Inhalt ... Die Eigenschaften, die ein Sym-
bol ausdrückt, sind sein Eigentum. Aber sie sind erworbenes Eigentum. Sie
sind nicht die heimischen Merkmale, durch die die als Symbole dienenden

126
N . Goodman, Sprachen, 88 (Kursive HA).
127
Der Begriff eines figurativen, tatsächlichen, aber nicht buchstäblichen Besitzes ist
kontraintuitiv, aber in hohem Maße zweckmäßig. Kant fehlte in der Analyse der Idee des
.Naturzwecks' der teleologischen Urteilskraft der Terminus .metaphorischer Besitz'. Nicht
zuletzt deshalb schwankt die Idee des .Naturzwecks' zwischen einer ontologischen und einer
heuristischen Verwendung hin und her, also gleichsam zwischen einer buchstäblich-tatsächli-
chen und einer .bloß' metaphorischen. - Es dürfte nicht schwer fallen, Beispiele der Abend-
mahlstheologie zu finden, in denen Elemente tatsächliche, aber nicht buchstäbliche Eigen-
schaften metaphorisch ausdrücken!

113
Gegenstände und Ereignisse buchstäblich klassifiziert werden, sondern sie
sind metaphorische Importe. Bilder bringen eher Klänge oder Gefühle zum
Ausdruck als Farben." (88f)
Werke sind durch ihre notationalen, sprachlichen oder repräsentationalen
Symbolsysteme (.Sprachen') als je verschiedene Werktypen definiert und
unterschieden. Diese Unterscheidung gründet in der Unterscheidung von fünf
Merkmalen von Symbolsprachen. Die Symbolsysteme Notation, Sprache und
Repräsentation sind durch die fünf Kriterien: syntaktische Artikulation, se-
mantische Artikulation, semantische Dichte, syntaktische Diche und schließ-
lich syntaktische Fülle unterschieden. m
(3) Dichte Beschreibung: Werke als Exempel besitzen die von ihnen metapho-
risch ausgedrückten Eigenschaften, selbst wenn sie noch nicht beschreibend
rezipiert oder noch nicht genau genug benannt sind. Gleichwohl ist die
sprachliche Beschreibung dessen, was metaphorisch ausgedrückt wird, nicht
belanglos, sondern in anderer Weise konstitutiv: Beschreibung konstituiert
zwar nicht die Symboleigenschaften, aber findet für sie denotierende semanti-
sche Prädikate. Die semantische und syntaktische Dichte, in der etwa pik-
turale Werke repräsentieren oder musikalische Werke ausdrücken129, ihr
vermeintlich .unaussprechliches Geheimnis', wird in einer diskursiven Be-
schreibungssprache sprachlich strukturiert und fokussiert. Und umgekehrt nö-
tigen exemplarische Werke dazu, die Beschreibungssprache auf die in ihr
mögliche semantische Dichte hin beständig zu verfeinern, also etwa immer
präzisere Unterscheidungen oder .Maßeinheiten' zu finden oder neue, ebenso
mögliche Beschreibungen oder .Messungen' auszuprobieren.
Dichte Beschreibung wird nach dem Paradigma des Messens inversiv gere-
gelt (vgl. 215-222): „Pikturale Exemplifikation ist also in Wirklichkeit ein
invertiertes Anzeige- oder Meßsystem; und pikturaler Ausdruck ist ein be-
sonderes System metaphorischer Exemplifikation."130 Erst die Definition von

121
Dazu N . Goodman, Sprachen, 123-206. Exemplarisch sei die Definition syntaktischer
Dichte angeführt: „Ein Schema ist syntaktisch dicht, wenn es unendlich viele Charaktere
bereitstellt, die so geordnet sind, daß es zwischen jeweils zweien immer ein drittes gibt. Solch
ein Schema weist immer noch Lücken auf, etwa wenn die Charaktere allen rationalen Zahlen
entsprechen, die entweder kleiner als 1 sind oder nicht kleiner als 2. In diesem Fall wird die
Einfügung eines Charakters, das der 1 entspricht, die Dichte zerstören" (133, vgl. 132-134).
Semantische Dichte entscheidet sich an Ambiguität, Disjunktivität der Erfüllungsklassen und
semantisch endlicher Differenzierung (vgl. 144-149). Fülle bzw. Abschwächung von (pik-
turaler bzw. diagrammatischer) Repräsentation entscheidet sich am Reichtum oder der Armut
der Symbolmerkmale (vgl. 212f). Partituren (im Standardnotensystem) bedienen sich einer
Notation, die syntaktisch und semantisch artikuliert ist, Skripte einer syntaktisch artikulier-
ten, aber semantisch dichten Sprache, Bilder einer syntaktisch und semantisch dichten
Repräsentation.
129
Wie pikturale Werke Töne ausdrücken können, so können Musikwerke, z.B. moderner
elektronischer Musik, aufgrund ihrer nicht mehr notationalen Partituren nach dieser Theorie
auch piktur.il repräsentieren.
"° N . Goodman, Sprachen, 218.

114
gerätspezifischen Toleranzbereichen erlaubt an sich korrektes Messen (mit
diesem Meßgerät). Tolerable Ungenauigkeit ermöglicht Meßbarkeit. Die Auf-
gabe dichter Beschreibung kehrt diese Regel um! Da es hier keine Toleranz-
bereiche geben kann, gibt es keine finite, korrekte Messung: „Von den zahllo-
sen Eigenschaften, die ein Bild besitzt ... bringt es nur diejenigen metaphori-
schen Eigenschaften zum Ausdruck, auf die es Bezug nimmt. Die Herstellung
bezugnehmender Beziehungen ist eine Frage des Aussonderns bestimmter
Eigenschaften, auf die sich die Aufmerksamkeit richtet, der Auswahl von
Verknüpfungen mit bestimmten anderen Gegenständen. Der wortsprachliche
Diskurs ist nicht der unbedeutendste unter den vielen Faktoren, die solche
Verknüpfungen stiften und verstärken helfen. Wenn hier auch nur Auswahl
stattfindet, so läuft Auswahl aus einer solchen Fülle an Auswählbarem doch
... praktisch auf Konstituierung hinaus ... Reden erzeugt nicht die Welt oder
gar Bilder, sondern Reden und Bilder haben daran teil, einander und die
Welt, wie wir sie kennen, zu erzeugen." (91)

Es erheben sich so als Pointe die Fragen:


- Wie ist die syntaktische und semantische Dichte des metaphorischen Aus-
drucks pikturaler, musikalischer, skripturaler, architektonischer, choreogra-
phischer oder auch liturgischer Zeichen in diskursiver Sprache zu beschreiben
(oder zu denotieren)131?
- Wie bestimmt umgekehrt die Grammatik einer Beschreibungssprache die
Aussonderung und Artikulation exemplifizierter Eigenschaften?
- Wie erfolgt im Hin- und Herwechseln zwischen den Symbolsystemen ein
genuines Lernen}
Was wir fortan abgekürzt dichte Beschreibung nennen, ist, genauer gesagt,
eine diskursive Beschreibung dichter Zeichen in einer syntaktisch unbegrenz-
ten und semantisch dichten Sprache, die in Wechselwirkung mit dem Be-
schriebenen ausgelotet wird.

131
In der knappen abschließenden Definition metaphorischen Ausdrucks ist diese Frage mit
enthalten: „Wenn a b ausdrückt, dann (1) besitzt a b oder wird von ihm denotiert; (2) dieser
Besitz oder diese Denotation ist metaphorisch; und (3) bezieht sich a auf b." (96)

115
§ 5 Typik - Symbolik - Metaphorik

/. .Faktum der Vernunft' als selbstbezügliches Zeichen

Die Schlüsselstelle der Religionsschrift lautet: „Daß aber jemand nicht bloß
ein gesetzlich, sondern ein moralisch guter (Gott wohlgefälliger) Mensch, d.i.
tugendhaft nach dem intelligiblen Charakter (virtus noumenon), werde,
welcher, wenn er etwas als Pflicht erkennt, keiner andern Triebfeder weiter
bedarf, als dieser Vorstellung der Pflicht selbst: das kann nicht durch all-
mähliche Reform, so lange die Grundlage der Maximen unlauter bleibt, son-
dern muß durch eine Revolution in der Gesinnung im Menschen (einen
Übergang zur Maxime der Heiligkeit derselben) bewirkt werden; und er kann
ein neuer Mensch, nur durch eine Art von Wiedergeburt, gleich als durch
eine neue Schöpfung (Ev. Joh. 111,5; verglichen mit l.Mose 1,2), und Ände-
rung des Herzens werden." (RGV, B 54; 7,698) Diese Revolution ist gemeint,
wenn Kant zuvor vom ,in uns gegebenen Gesetz' spricht: „Wäre dieses Ge-
setz nicht in uns gegeben, wir würden es, als ein solches, durch keine Ver-
nunft herausklügeln, oder der Willkür anschwatzen: und doch ist dieses
Gesetz das einzige, was uns der Unabhängigkeit unsrer Willkür von der
Bestimmung durch alle andern Triebfedern (unsrer Freiheit) und hiemit
zugleich der Zurechnungsfähigkeit aller Handlungen bewußt macht." (RGV,
B 16 Anm.; 7,673, Kursive HA)
Diese beiden Stellen bilden den Zugang zur Religionsschrift, weil sie die
.Revolution des Herzens', das „Prinzip der reinen Vernunftreligion" (RGV,
B 180; 7,786), mit dem Prinzip der praktischen Philosophie vermitteln: dem
,Faktum der reinen praktischen Vernunft1. Das Faktum der reinen praktischen
Vernunft wird am Menschen als Revolution der Gesinnung symbolisiert.
Die Religionsschrift kann dazu verleiten, das Symbol der .Revolution gleich
einer Neuschöpfung' aus der vorausgesetzten Anthropologie des radikal Bö-
sen zu erläutern. Die Grundlegung der Moralmetaphysik, die nach einem
Kanon des Vernunftgebrauchs fragt, insistiert ja in der Tat auf Reinheit von
allen anthropologischen Voraussetzungen. Sie nimmt keine Rücksicht auf das
.krumme Holz' der menschlichen Natur1. „Der Satz vom angebornen Bösen
ist in der moralischen Dogmatik von gar keinem Gebrauch: denn die Vor-
schriften derselben enthalten eben dieselben Pflichten, und bleiben auch in
der derselben Kraft, ob ein angeborner Hang zur Übertretung in uns sei, oder
nicht." (RGV, B 60; 7,702)
Das Prinzip der praktischen Vernunft und das Prinzip der Vernunftreligion
können nicht durch das radikal Böse miteinander vermittelt sein! Vielmehr

1
Zu den fünf Stufen der Reinheit und zur komplexen Vermittlung zwischen .Faktum' und
.Revolution': L.W. Beck, Kommentar, 63.

116
ist, dies die erste These, schon die Rede vom Faktum der Vernunft auf die
negative Darstellung der Kreatürlichkeit praktischer Freiheit hin zu interpretie-
ren, auf eine Typik der Faktizität, welche durch die Religionsschrift anthro-
pologisch symbolisiert wird.2
Um .Kreatürlichkeit' als Aporie der praktischen Metaphysik wahrzuneh-
men, ist es entscheidend, daß Kants Rede vom .Faktum der Vernunft' jene
neue akroamatische Darstellungsform, die Kant in der Transzendentalen Me-
thodenlehre avisiert, grundlegt. Gegen die autarke Letztbegründung der Ver-
nunftgrundsätze als Axiome in einem intuitiven Sehen von absoluter und
monadischer Evidenz bestimmt sich praktische Vernunft im Faktum des Im-
perativs als Akroam zu einer diskursiven Typik und Symbolik undarstellba-
rer humaner Freiheit. Das ist auch eine theologisch weitreichende Weichen-
stellung! Hält Kant doch zumindest die Stelle offen für ein praktisches Ver-
stehen der Geschopflichkeit von Freiheit, das Schöpfung nicht mehr im Sinne
der alten metaphysischen oder der neuen politischen Theologie als Ursprung und
Verursachungsrelation denkt und darstellt. Ob und inwieweit diese praktische
Darstellung möglich sei, ist die Ausgangsfrage der Religionsschrift. Dies ist
die zweite These, die in diesem Kapitel zu entwickeln ist.
Von der Zweiten Kritik an, die erst zum kategorischen Imperativ als Fak-
tum der Vernunft durchstößt, ist nicht mehr der Gegensatz von Freiheit und
Naturkausalität das Schlüsselproblem der praktischen Metaphysik Kants.
Vielmehr bezeichnet die praktische Korrelation von geschöpflicher Freiheit und
göttlicher Freiheit „das eigentliche und fundamentale Rätsel" der Kant'schen Phi-
losophie.3 Dies ist die dritte These. Sie ist in der Kritik des ontologischen
Arguments grundgelegt.

Gegenüber dem urteilspraktischen Begriff von faktischer Freiheit im .Hören' des sich
aufdringenden Imperativs fallen die, keineswegs seltenen, Versuche Kants, die Ge-
schopflichkeit der Freiheit auch archäologisch, durch den hypothetischen Begriff einer
reinen, nicht zeitlich-schematisierten Kategorie von Kausalität zu explizieren, in die
Denkform dogmatischer Metaphysik zurück.4 Sie dienen lediglich der Apologetik ge-
genüber dem kosmologischen und theologischen Determinismus der dogmatischen

2
Der im Blick auf Kants Text durchaus richtige Nachweis, daß der negative Begriff von
Freiheit als spontaner, indifferenter Willkür, wie ihn auch die Zweite Kritik enthält, den Be-
griff des radikal Bösen in der Religionsschrift schon vorbereitet (vgl. L.W. Beck, Kommentar,
191-193 im Zusammenhang von 169-193), indiziert eher einen zweideutigen Begriff von Frei-
heit als transzendentaler Willkür bei Kant selbst.
3
Daß „die Freiheit eines dependenten, der Präszienz des geistigen Urprinzips und also
einer Prädetermination unterliegenden Weltwesens das eigentliche und fundamentale Rätset
der Kant'schen Philosophie sei, zeigt H. Heimsoeth, Metaphysische Motive, 221, mit einer
Fülle von Belegen, auch wenn sein Problemformulierung unpräzise ausfällt.
4
Vgl. exemplarisch: KpV, A 179-185; 6,226-230 (zur Kritik: L.W. Beck, Kommentar,
194f); RGV, B 58f Anm.; 7,701; RGV, B 178f Anm.; 7,785 (hier kommt Kant mit der Idee
der freien göttlichen Erwählung als eines bloß allsehenden Wissens in der überzeitlichen
Ordnung der Freiheit der altlutherischen Lehre von der scientia media dei nahe).

117
Metaphysik: ^die theoretische Philosophie hat die Funktion der spekulativen Apologetik
für die Moral."5 Hochproblematisch sind allerdings die Rückwirkungen dieser apolo-
getischen Nötigung auf die praktische Philosophie genau dann, wenn Kant aus dieser
Nötigung heraus mit einem bloß problematischen Begriff von transzendentaler
Freiheit als indifferenter, absoluter Spontaneität arbeitet. Daß die praktische Exposi-
tion faktischer Freiheit als genuiner Urteilspraxis beständig von einem bloß proble-
matischen Begriff transzendentaler Freiheit als absolut anfangender Kausalität konter-
kariert ist, macht die Hauptschwierigkeit der folgenden Interpretation aus.

Der kategorische Imperativ ist als Akroam zu begreifen, wie seine Einführung
zeigt: „Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein Faktum der Ver-
nunft nennen, weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z.B.
dem Bewußtsein der Freiheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben),
herausvernünfteln kann, sondern weil es sich für sich seihst uns aufdringt als
synthetischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch empirischen
Anschauung gegründet ist, ob er gleich analytisch sein würde, wenn man die
Freiheit des Willens voraussetzte, wozu aber, als positivem Begriffe, eine
intellektuelle Anschauung erfodert werden würde, die man hier gar nicht
annehmen darf. Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Mißdeutung als
gegeben anzusehen, wohl bemerken: daß es kein empirisches, sondern das
einzige Faktum der reinen Vernunft sei, die sich dadurch als ursprünglich
gesetzgebend (sie volo, sie iubeo) ankündigt." (KpV, A 55f; 6,141f, Kursive
z.T. HA) Nicht der kategorische Imperativ, sondern das Bewußtsein des
kategorischen Imperativs ist das singulare, ,sich für sich selbst uns aufdringen-
de' Faktum der Vernunft.1' Aber ist diese Pointierung triftig? Offenbart sich
im ,Wissen' des moralischen Gesetzes, als Faktum für die Vernunft, nur die
Selbstgesetzgebung der Vernunft, so daß sich „im Faktum für die reine Ver-
nunft nur das Faktum der reinen Vernunft"7 widerspiegelt? Doch diese Selbst-
bezüglichkeit enthält gerade das entscheidende Neue: Kant tilgt in der kriti-
schen Moralphilosophie die vorkritische, direkt theologische Konnotation der
Rede vom Faktum entschieden! In der überlieferten Definition galt Offenba-
rung als ,significatio[nem] mentis devinae creaturis a Deofactam'} In der Reli-
gionsschrift kehrt die ,significatio mentis devinae creaturis a Deo faetam' in
der Rede vom ,in uns gegebenen Gesetz' wieder, - der Offenbarungsbegriff
ist jedoch jetzt peinlich genau vermieden. Die Sistierung des moralmetaphysi-
schen Begriffs von der Gesetzes-Offenbarung des Schöpfers ist Kants kritische
Innovation. Daraus folgt die vierte, wichtigste These: Das Faktum der Ver-
nunft ist das innere Hören eines fremden Gesetzes als eines selbstgegebenen.

5
G. Krüger, Moral, 166. Nur in jenem präzisen Sinn, den Krüger der Kant'sehen .Apologe-
tik' gibt (vgl. 164-236), wird dieser Begriff im Folgenden gebraucht!
6
Kants Formulierungen sind aber nicht immer eindeutig: L.W. Beck, Kommentar, 159f.
7
L.W. Beck, Kommentar, 162f (Kursive z.T. HA).
1
Vgl. Religionslehre Pölitz, in: Kants Vorlesungen über Rationaltheologie, AA 28.2/2,
1117.

118
Dazu wird dieses Gesetz als reines selbstbezügliches Zeichen dargestellt, und zwar
nach dem Paradigma der Logik als reine Form der Gesetzmäßigkeit.
Das Wissen dieses Faktums ist nicht vom transzendentalen Ich-denke her zu
verstehen. Es ist Bewußtsein des dem Menschen Fremden, und das in einem
radikal anderen Sinn als bei der Anschauung empirischer Faktizität, deren
nächste Analogie es doch sein soll:9 „die eindringliche Kraft sollizitiert hier
nicht zur Gegenwirkung des Sicherhaltens, sondern überwältigt gänzlich,
indem sie das verfügende Vorstellen selbst gefangen nimmt."™ Das Eindringliche
wird als solches spontan gewußt und zugeeignet, und zwar so, daß es in
diesem Wissen nicht angeschaut wird. Die Analogie zur empirischen Faktizi-
tät beruht allein auf der .Eindringlichkeit' des Faktums der Vernunft, gerade
nicht auf seiner Anschaulichkeit.11 Das Gewußtwerden des Gesetzes ist para-
doxerweise als reines Wissen selbst passiv, rezeptiv, und zwar, wie es scheint,
rezeptiv ohne Rezeptivität. Als rezeptives Wissen ohne Rezeptivität ist es
Wissen jenseits der reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit.
Wie läßt sich die Eigenart dieses genuin praktischen Wissens des Imperativs
bestimmen, welches seine Gegenstände, die Begriffe des Guten und Bösen a
priori hervorbringt und sie, anstatt sie anzuschauen, praktisch symbolisiert}12
Das ist die Frage.

2. Reine als rezeptive Urteilskraft: Gewissen

Von der Ästhetik der praktischen Vernunft kann eine zureichende Antwort
auf die eigenartig passive Rezeption des Gesetzes nicht erwartet werden.
Vielmehr ist sie als Lehre von den Triebfedern durchgeführt: Sie wird zur
Ästhetik des reinen Gefühls der Achtung, die sich allein der Frage stellt, wie
das Subjekt als sinnliches Wesen durch die Grundsätze reiner praktischer
Vernunft affiziert sein kann. Achtung ist das von allen empirischen Affekten
unterschiedene, .durch einen Vernunftbegriff selbstgewirkte Gefühl'13. Sie ist
das Bewußtsein der Unterordnung aller Bestimmungsgründe des Willens
unter das Gesetz und seinen Vernunftbegriff des Guten.
Da der Begriff des moralischen Gefühls in diesem Sinne festgelegt ist, kann
durch ihn die Rezeption des Gesetzes in ihrer genuinen Faktizität nicht
exponiert werden. Das mag der Grund sein, weshalb Kant diese Rezeption an
einer singulären Stelle geradezu in Analogie zum Instinkt erläutert, freilich so,

5
Kant nennt denn auch den sich aufdringenden Imperativ .gleichsam ein Faktum' (Vgl.
KpV, A 96; 6,171; KpV, A 163; 6,215.
10
G. Krüger, Moral, 193.
11
G. Krüger, Moral, 194.
12
Vgl. KpV, A 160f; 6,213f.
13
GMS, B 16 Anm.; 6,28. Vgl. KpV, A 131; 6,194.

119
daß der Begriff „Instinkt"14 dazu dient, die genuine moralische Rezeption des
Gewissens zu charakterisieren: „Das Gewissen ist ein Instinkt, sich selbst nach
moralischen Gesetzen zu richten. Es ist kein bloßes Vermögen, sondern
Instinkt."15 Der Instinkt des Gewissens indiziert - darin unterscheidet er sich
vom tierischen Instinkt - ein genuines Verstehen. Verstanden wird das Fak-
tum der Vernunft in der rezeptiven, anschauungslosen Abhängigkeit von
ihm, wenn es urteilend in Gebrauch genommen wird. Urteilend in Gebrauch
genommen wird das Gesetz als Grundsatz praktischer Vernunft, wenn durch
es die Gegenstände reiner praktischer Vernunft allererst hervorgebracht
werden. Es ist das „Paradoxon der Methode in einer Kritik der praktischen
Vernunft" (KpV, A 110; 6,180), daß die Begriffe eines Gegenstandes der
reinen praktischen Vernunft, also die Begriffe des Guten und Bösen nicht am
Anfang stehen, sondern durch dieses spontane, nicht-anschauliche Urteilen
nach dem Gesetz a priori hervorgebracht werden, ein Hervorbringen, in
welchem sich das Faktum der Vernunft selbst darstellt. Gerade die genuine
Faktizität des Faktums der Vernunft verlangt praktische Urteilskraft, die
durch das Gesetz in einem gleichsam instinktiven Urteilsakt (als Synthesis
apriori) die Willensmaxime bestimmt.
Wer die im Faktum der Vernunft provozierte praktische Urteilskraft als Ge-
wissen exponiert, sieht sich allerdings vor die mächtige Wirkungsgeschichte
neuzeitlicher Gewissenstheologie gestellt, hinter welcher Kants praktische Ur-
teilskraft nahezu zu verschwinden droht.

In dieser Tradition, die sich in der Tat auf viele Äußerungen Kants berufen kann,
wird das Gewissen zumeist anthropologisch vom bösen Gewissen her verstanden,
das Schuld zurechnet, eben darin aber in die Verantwortung für das Gesollte stellt.
Als Faktum der Vernunft gilt die, wenn auch psychoanalytisch angefochtene,
.Grundgegebenheit des Menschseins': das schuldfähige, ,böse', aber gerade darin
Freiheit voraussetzende Gewissen.1'' Das Gewissensurteil rufe, über einzelnen Hand-
lungen, den .ganzen Menschen' in seinem nur durch ihn selbst verantwortbaren, in-
dividuellen Personsein vor sich.17
Hochproblematisch wird dies allerdings, wenn sich darauf nun die Unterscheidung
von intelligiblem und empirischem Charakter aufbaut. Diese Unterscheidung bleibt
bloß kritizistisch: Kant läßt sich mit ihr in der Tat vom ,Phänomen' des bösen
Gewissens und der Schuldimputation leiten, weil dieses Phänomen für die Kritik der
reinen Vernunft und ihr Verständnis von Freiheit entscheidend ist. Die problema-
tisch-apologetische Platzhalterschaft des imputativen Gewissens bietet den Schlüssel

14
Als Instinkt gilt die „innere Nötigung des Begehrungsvermögens zur Besitznehmung
dieses Gegenstandes, ehe man ihn noch kennt" (Anthropologie, B 245; 10,599, Kursive z.T.
HA; Anthropologie, A 234f; 10,606f), „ein gefühltes Bedürfnis ... wovon man noch keinen
Begriff hat" (RGV, B 20 Anm; 7,676).
15
Vgl. Eine Vorlesung Kants über Ethik, hg.v. P. Menzer, 161.
16
A. Freund, Gewissensverständnis, 73-101.
17
A. Freund, Gewissensverständnis, 58-72.105-113.

120
zum Geschäft der Kritik. Das Phänomen der Imputation eröffnet die kritizistische
Unterscheidung von Erscheinung und Ding, mit der die transzendentale Ästhetik der
reinen Anschauung steht und fällt. Die reine theoretische Vernunft der Ersten Kritik
unterscheidet sensibles und intelligibles Sein aber nur von außen her - spekulativ. Das
.richtende Gewissen' als Mittler des Übergangs vom Standpunkt theoretischer zu
praktischer Vernunft verbürgt scheinbar die Identität der reinen Vernunft, vor allem
die Identität der problematisch-intelligiblen Freiheit mit der faktisch-praktischen
Freiheit. Dieses ,apologetischel Interesse bestimmt die Explikation: An den Richter-
sprüchen „desjenigen wundersamen Vermögens in uns, welches wir Gewissen nen-
nen" (KpV, A 175; 6,223) interessiert die „Reue über eine längst begangene Tat bei
jeder Erinnerung derselben" (KpV, A 176; 6,224). Reue nämlich ist die „schmerzhaf-
te, durch moralische Gesinnung gewirkte Empfindung, die so fern praktisch leer ist,
als sie nicht dazu dienen kann, das Geschehene ungeschehen zu machen, und sogar
ungereimt sein würde ..., aber, als Schmerz, doch rechtskräftig ist, weil die Vernunft,
wenn es auf das Gesetz unserer intelligibelen Existenz (das moralische) ankommt,
keinen Zeitunterschied anerkennt, und nur fragt, ob die Begebenheit mir als Tat
angehöre, alsdenn aber immer dieselbe Empfindung damit moralisch verknüpft, sie
mag jetzt geschehen, oder vorlängst geschehen sein" (KpV, A 176f; 6,224, Kursive
HA). So wird das ,böse Gewissen', obgleich praktisch leer, die Brücke zur intelligiblen
Welt einer praktischen Metaphysik. Die Aporie der Mitteilung zwischen intelligiblem
und empirischem Charakter, die sich die Apologetik mit der Unterscheidung von em-
pirischem und intelligiblem Charakter einhandelt, zeigt sich immer dann, wenn Kant
ein unerklärliches, transkategoriales Verhältnis der Verursachung zwischen intelligi-
blem und empirischem Ich unterstellt.18
Dieses Problem kehrt wieder, wann immer das Gewissensurteil als Grunddatum
einer Theorie religiöser Subjektivitäts^o«ift'r«f/on gilt." Es gilt aber jetzt zu zeigen,
daß Kants Analyse des Gewissens als praktischer, eschatologischer Urteilskraft gerade
nicht bloß kritizistisch zu verstehen ist und nicht in eine Theorie religiöser Subjekt-
konstitution zurückführt.
Kant definiert Gewissen - nicht zufällig am Ende der Religionsschrift - allerdings
wirklich als sich selbst richtende moralische Urteilskraft.20 „Man könnte das Gewissen
auch so definieren: Es ist die sich selbst richtende moralische Urteilskraft; nur würde
diese Definition noch einer vorhergehenden Erklärung der darin enthaltenen Begriffe

18
„Dieser intelligibele Charakter könnte zwar niemals unmittelbar gekannt werden, weil
wir nichts wahrnehmen können, als so fern es erscheint, aber er würde doch dem empiri-
schen Charakter gemäß[!] gedacht werden müssen, so wie wir überhaupt einem transzendenta-
len Gegenstand den Erscheinungen in Gedanken zum Grunde legen müssen, ob wir zwar
von ihm, was er an sich selbst sei, nichts wissen." (KrV, B 568; 4,493) Der intelligibele
Charakter, „der die transzendentale Ursache von jenem [sc. empirischen] ist" (KrV, B 574;
4,497), bleibt gänzlich unbekannt, „außer so fern er nur durch den empirischen als das
sinnliche Zeichen desselben angegeben wird" (ebd). Der intelligibele Charakter, „wovon jener
[empirische] nur das sinnliche Schema ist" (KrV, B 581; 4,502).
" H. Assel, Aufbruch, 142-146.152-154.264-304.
20
Bekanntlich statuiert Kants Methodenlehre, „daß in der Philosophie die Definition, als
abgemessene Deutlichkeit, das Werk eher schließen, als anfangen müsse" (KrV B, 758f;
4,625). Die Religionsschrift ist insgesamt als entdeckende Analyse des Gewissens zu inter-
pretieren!

121
gar sehr bedürfen. Das Gewissen richtet nicht die Handlungen als Kasus, die unter
dem Gesetz stehen ...: sondern hier richtet die Vernunft sich selbst, ob sie auch
wirklich jene Beurteilung der Handlungen mit aller Behutsamkeit (ob sie recht oder
unrecht sind) übernommen habe, und stellt den Menschen, wider oder für sieb selbst,
zum Zeugen auf, daß dieses geschehen, oder nicht geschehen sei."21 Allerdings erhält
das Gewissen erst in der Religionsschrift (und in der Tugendlehre) diesen Rang. In
der Kritik der reinen praktischen Vernunft ist die Urteilskraft praktischer Vernunft
vom menschlichen Gewissen zu unterscheiden. Praktisches Urteilen entscheidet hier
nämlich über die Art und Weise zu sein. Als Urteilskraft richtet sie nicht (.mora-
listisch') über einzelne Handlungen, sondern entscheidet das Sein der Vernunft selbst
als ein Sein entweder in der Wahrheit oder in der Unwahrheit. Eben darum ent-
scheidet der kategorische Imperativ als oberster Urteilsgrundsatz den Kanon der Ur-
teilskraft. Weil ihr die gesamte Analyse dieser praktischen Urteilskraft zugrundeliegt,
ist die am Ende der Religionsschrift gegebene Definition des Gewissens in der Tat
äußerst erklärungsbedürftig.

Das richtende menschliche Gewissen eröffnet in der Zweiten Kritik zur prak-
tischen Urteilskraft als dem Sein in der Wahrheit nur den Zugang:

„Die Einzigkeit [sc. des Faktums der Vernunft] liegt in der Offenbarung des Sit-
tengesetzes durch die Stimme der reinen praktischen Vernunft in uns, ein Faktum,
das Kant im Blick auf das .Urteil, welches die Menschen über die Gesetzmäßigkeit
ihrer Handlungen fällen' [KpV, A 57], für so .unleugbar' hält, daß er die gesuchte
Deduktion des Gesetzes aus einem vorhergehenden Begriff (des Guten, der Voll-
kommenheit, ja, selbst der Freiheit im Sinne der Spontaneität) ausdrücklich preis-
gibt. Das Faktum läßt sich nur in all seinen Momenten exponieren. Und die Exposi-
tion läßt dann die Erkenntnis zu, .worin sich reine Vernunft bei uns in der Tat als
praktisch beweist' [vgl. A 72]. Sie zeigt, daß dieses Faktum .für uns' mit dem .Be-
wußtsein der Freiheit des Willens unzertrennlich verbunden, ja, mit ihm einerlei ist'
[vgl. A 72], ohne daß wir fragen könnten, ob das Gesetz das .Selbstbewußtsein einer
reinen praktischen Vernunft' und dieses mit einer im tranzendentalen .Ich' veranker-
ten Selbstgewißheit der Freiheit gleichbedeutend sei. Nach Kant verhält es sich ge-
nau umgekehrt. Das Vernunftfaktum dient zum Prinzip der Deduktion des sonst un-
gewissen, ja gänzlich unerkennbaren Vermögens des Handelns aus Freiheit".22

Der ontologische Charakter des kategorischen Imperativs als Urteilsgrundsatz


schlägt sich in der sprachlich präzisen Formel des kategorischen Imperativs in
der Grundlegungsschrift nieder. Er weist zu jener Maxime an, durch die
(nicht: v o n der23) ,du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz
werde.' Das Paradoxon der Methode der praktischen Philosophie trägt nur
dem ontologischen Charakter des praktischen Wissens Rechnung: W e n n es
nicht auf Handlungen, d.h. auf Zweck und Erfolg a n k o m m t , sondern auf die

21
RGV, B 288; 7,860, Kursive z.T. HA. Vgl. RGV, B 103f; 7,732.
22
M. Riedel, Vernunft und Urteilskraft, 113.
" So der Konjekturvorschlag der Akademie-Ausgabe AA 4,631.

122
Notwendigkeit des Willens zu ihr (aus Achtung fürs Gesetz), dann heißt das:
„es kommt auf die Art und Weise an, wie der Mensch im Wollen überhaupt
existiert. Das .Paradoxon der Methode in einer Kritik der praktischen Ver-
nunft', daß der Begriff des Guten und Bösen nicht am Anfang steht ..., ist im
denkbar radikalsten Sinne zu nehmen: weder die ,gute' Tat, noch etwa die
,gute' Gesinnung kann zugrunde gelegt werden".24 Die Formel des Sittenge-
setzes weist vielmehr erst an zur praktischen Erkenntnis der Ausdrücke ,gut'
und ,böse', indem sie fragt: „wie ist ihr Sein möglich".25

3. Der Formalismus und seine theologische Aporie

3.1 Darstellung undarstellbarer Freiheit

Praktische Urteilskraft lehrt, genötigt durch das Faktum der Vernunft, gehor-
chend zu verstehen, was geboten ist. Deshalb schließt Kant an die Analyse des
Faktums der Vernunft eine explizite Analyse praktischer Urteilskraft an.26 Das
ist gegenüber der Grundlegungsschrift neu, auch wenn dort in den ver-
schiedenen Formeln des kategorischen Imperativs praktische Urteilskraft
implizit schon ausgeübt wird!
Es ist praktische Urteilskraft, welche die alleinigen Objekte der praktischen
Vernunft, das Gute und Böse, durch das zuvor exponierte objektive Gesetz
dogmatisch hervorbringt und sich darin signifikant von der anschauungsbe-
dürftigen, bestimmenden Urteilskraft der Ersten Kritik unterscheidet.

Das praktische Urteilen wird, ausgehend von der juristischen Hermeneutik, als
apriorische Imputation' von Handlungen in der ^Applikation' des Sittengesetzes
analysiert.27 Die Urteilskraft praktischer Vernunft vollzieht die Zurechnung möglicher
Handlungen a priori, indem sie den guten, d.h. gehorsamen Willen (wie dann auch
das Gefühl der Achtung im konkreten Subjekt) unmittelbar hervorbringt. Die
Aufgabe der durch die Kategorien urteilenden reinen praktischen Urteilskraft besteht
darin, die mannigfaltigen Momente einer möglichen guten Handlung zu .spezifizieren'
und der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden prakti-
schen Vernunft oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen (vgl. KpV, A 115;
6,184), d.h. „am Leitfaden der Kategorien zu beurteilen, unter welchen Bedingungen
sich die moralisch unbestimmte Maxime zum moralisch bestimmten Gesetz qualifizie-

24
G. Krüger, Moral, 65.
25
Ebd.
26
Sie ist Thema des Zweiten Hauptstücks der Analytik der praktischen Vernunft (KpV,
A 100-127; 6,174-191): Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Ver-
nunft (KpV, A 100-119; 6,174-186), und: Von der Typik der reinen praktischen Urteilskraft
(KpV, A 119-127; 6,186-191). Dieses Hauptstück liegt im Folgenden zugrunde.
27
Zur Analogie der Termini: Imputation, Applikation und Spezifikation in der juristischen
Hermeneutik, M. Riedel, Urteilskraft, 104-109.

123
re."28 Die entscheidende Frage an eine objektgerichtete Handlung ist ja, ob wir sie
wollen dürften, wenn sie in unserer Gewalt wäre. Mithin muß die moralische Mög-
lichkeit der Handlung vorangehen (vgl. KpV, A 101; 6,174). Die mannigfachen Mo-
mente einer konkreten Handlung und ihre moralisch noch unbestimmte Maxime
werden aufgrund der moralisch möglichen ,guten' Handlung qualifiziert, deren Maxi-
me allein durch das Gesetz bestimmt wäre. Die reine praktische Vernunft urteilt da-
bei a priori, also ohne eines Kanons der Urteilskraft zu bedürfen: „für sie ist die
Übereinstimmung zwischen dem Begriff und seinem Gegenstand kein Problem, weil
die praktischen Begriffe a priori die .Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen
(die Willensgesinnung) selbst hervorbringen.' [KpV, A 116] Sie bedarf seiner nicht,
sofern sie das problematische Urteil über die moralische Möglichkeit des Guten
durchs Sittengesetz dogmatisch darstellen kann. Sie braucht dafür nur die Funktion
der reinen praktischen Urteilskraft, die das Gesetz auf den Fall einer in der Sinnlich-
keit möglichen Handlung anwendet."29

Weil die reine praktische Vernunft dogmatisch urteilt, bedarf sie selbst keines
Kanons, sondern kann zum Kanon, zum „Inbegriff der Grundsätze a priori
des richtigen Gebrauchs gewisser Erkenntnisvermögen überhaupt" (KrV,
B 824; 4,671) werden. „Sie ist in ihrer Weisheit wahrhaft aufgeklärt, sie bedarf
keiner Aufklärung. Vielmehr ist sie der Ursprung der Möglichkeit alles auf-
klärenden Vernunftgebrauchs ... Die moralische Vernunft stellt sich selbst dar
und bedarf nur Verdunkelungen gegenüber beständig der Verteidigung durch
die dienende praktische Urteilskraft."30 Deshalb ist das .Anhören der ehernen
Stimme der Pflicht' das, „was Archimedes bedurfte, aber nicht fand: ein fester
Punkt, woran die Vernunft ihren Hebel ansetzen kann, und zwar, ohne ihn
weder an die gegenwärtige, noch eine künftige Welt, sondern bloß an ihre
innere Idee der Freiheit, die durch das unerschütterliche moralische Gesetz,
als sichere Grundlage darliegt, anzulegen, um den menschlichen Willen, selbst
beim Widerstände der ganzen Natur, durch ihre Grundsätze zu bewegen"31.
Der kategorische Imperativ stellt sich durch die ihm dienende praktische
Urteilskraft a priori selbst dar. Sie bringt den Willen in die Wahrheit. In der
Selbstdarstellung des Gesetzes wird das Gesetz selbst gewußt (exponibel), aber
nicht verstanden (deduzierbar). Verständlich (ableitbar aus dem Faktum der
Vernunft) wird dagegen die Möglichkeit der praktischen Freiheit als zueignend
gehorchendes Wissen des Gesetzes. Verstehen der Möglichkeit der Freiheit
meint nicht Begreifen. Einsicht in praktische Freiheit resultiert aber auch
nicht aus einem blinden, unmittelbaren Gehorchen. Sie ist ein urteilendes
Erlernen jenes ,,Geheimnis[ses], welches nur nach langsamer Entwickelung der
Begriffe des Verstandes und sorgfältig geprüften Grundsätzen, also nur durch
Arbeit, fühlbar werden kann" (Ton, B 419; 5,393). Einsicht in die Möglichkeit

n
A.a.O., 120f (Kursive HA).
29
M. Riedel, Urteilskraft, 124.
30
G. Krüger, Moral, 134.
31
Ton, A 419; 5,393.

124
der Freiheit gründet in ihrer praktischen Darstellbarkeit durch die praktische
Urteilskraft als „Selbstbewußtsein der Vernunft, das sie von ihrem eigenen
Gehorsam hat"32. Diese Darstellung vollzieht sich als Exposition des Faktums
der Vernunft.33 Diese Exposition zeigt, daß dieses Faktum ,für uns' mit dem
„Bewußtsein der Freiheit des Willens unzertrennlich verbunden, ja mit ihm
einerlei sei" (KpV, A 72; 6,155). Erst am Ende dieser Exposition wird aber,
gerade durch die deutliche Erkenntnis der Möglichkeit der Freiheit in der
Exposition des Gesetzes, das Geheimnis dieser Freiheit fühlbar. „Und so
begreifen wir zwar nicht die praktische unbedingte Notwendigkeit des mora-
lischen Imperativs, wir begreifen aber doch seine Unbegreiflichkeit, welches
alles ist, was billigermaßen von einer Philosophie, die bis zur Grenze der
menschlichen Vernunft in Prinzipien strebt, gefodert werden kann." (GMS,
B 128; 6,102, Kursive z.T. HA)
Das urteilend erarbeitete, erlernte, fühlbare und als solches nur indirekt
mitteilbare Geheimnis der Freiheit als eingesehene Unbegreiflichkeit des
Faktums der Vernunft ist Platzhalter der Kreatürlichkeit praktischer Freiheit
innerhalb der Grenzen bloßer Vernunft. Das Geheimnis des Vernehmens des
Gesetzes „ist nicht empirisch (der Vernunft zur Auflösung aufgestellt), son-
dern a priori (als wirkliche Einsicht innerhalb der Grenze unserer Vernunft)
gegeben, und erweitert sogar das Vernunfterkenntnis, aber nur in praktischer
Rücksicht, bis zum Übersinnlichen" (Ton, A 419; 5,393).

3.2 Die Aporie des Formalismus

Wie kein anderer hat Gerhard Krüger die Aporie jener Urteilspraxis, die sich
im Gehorsam selbst das objektive Gesetz als absolut verbindliches Faktum
der Vernunft vorausdenkt, benannt.34 „Die reine Vernunft, praktisch ge-
braucht, ist kein menschlicher Wille; der Wille ... ist im Gegensatz zur
menschlichen Willkür, die die Handlung bestimmt, der Bestimmungsgrund
der Willkür selbst ... und er übt wie ein fremdes Wesen einen echten Zwang
auf die Willkür aus. Es ist das Paradoxon der Moral (daher das, was Kritik
herausfordert), daß nichtsdestoweniger der Mensch diesen Zwang ausüben soll,
kein strafender Gott. Aus dieser Verlegenheit erwächst philosophisch die
echte Problematik des Formalismus. Wie hat man sich die Vernunft zu den-

52
G. Krüger, Moral, 195.
33
Vgl. KrV, B 757f; 4,624f; Logik Jäsche, A 220f; 5,574f.
34
Krüger setzt Heideggers Hermeneutik der Faktizität des Gesetzes voraus, widerspricht
ihr aber in den entscheidenden Punkten (G. Krüger, Moral, 68 Anm. 1). Heidegger bestätigt
im nachhinein die Analyse Krügers: Die Kant unterstellte fundamentalontologische Frage sei
bei Kant selbst „getrieben von der metaphysica specialis - Theologie" (so die Selbstkorrektur: M.
Heidegger, Kant Gesamtausgabe 202 Anm. a, vgl. 207.)

125
ken, die übermenschlich rein und doch vom Menschen gebraucht ist?"35 Für
die Frage nach einem reinen und zugleich menschlichen, praktischen Vernunft-
gebrauch scheint nur die Logik als Paradigma möglich und entsprechend also
nur die reine Form der Gesetzmäßigkeit als Bestimmungsgrund praktischer
Vernunft. Die reine Form der Gesetzmäßigkeit muß sich dann für den Men-
schen in verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs darstellen.
Noch nicht darin liegt die Aporie, daß vom Menschen aus reine praktische
Vernunft als unbegreifliches Faktum des Gesetzes gedacht werden muß. Zu-
recht schließt Kant es aus, Freiheit als theonome Verursachung zu denken.
Vielmehr liegt die Aporie darin, daß der logische Formalismus als Paradigma
der Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit den praktischen Charakter des Fak-
tums der Vernunft gefährdet und damit die von Kant intendierte Faktizität
der praktischen Urteilskraft im Vollzug konterkariert. „Wenn die Formeln
[des kategorischen Imperativs] nicht aus dem empirischen Leben, sondern
trotz ihrer Menschlichkeit aus dem Gesetz stammen sollen, dann bleibt
zunächst nichts andres übrig als die formale logische Idee dieses Gesetzes. Aber
da diese Idee wesentlich praktisch (Gebot) ist, muß sie von sich aus sich dem
Menschen erschließen und sehen lassen, was sie .enthält' ... Das Wesen der
Moral muß von der logischen Idee des unbedingten Gesetzes aus im Hinblick
auf die gebotene Anwendung, d.h. im Hinblick auf eine Art Selbstdarstellung
dieser Idee für die praktische Vernunft des Menschen erörtert werden. Selbst-
darstellung ist die Formel als die des gebietenden Gesetzes, das sich an den
Menschen richtet. Aber sofern sie sich an den Menschen richtet, stellt sich das
Gebot als sein Prinzip dar, dessen er ableitend mächtig ist. Darin liegt einer-
seits die geschichtliche Aporie der Aufklärung, andrerseits doch aber auch das
legitime Motiv, daß der Mensch selbst gehorchen und selbst die Anweisung
zum Sein als Gehorchender denken muß ... So ergibt sich ein Leitfaden der
Formulierung des Sittengesetzes: die praktische Vernunft des Menschen muß
eine Darstellung der formal-logischen Idee des unbedingten Gesetzes gestat-
ten, die sich als Selbstdarstellung dieser Idee bedeutsam verstehen läßt."36 Die
Formulierung des kategorischen Imperativs als Maxime reiner Gesetzmäßig-
keit darf nur indirekt und praktisch verstanden werden. „Das ist die Aporie
des Formalismus, die daraus entsteht, daß Kant eine über menschliche Ver-
nunft hinaus liegende Bindung des Menschen doch vom Boden der Aufklärung
aus expliziert. In der geschichtlichen Situation, in der Kant sich befindet, gibt
es offenbar nur diesen einzigen Weg."37
Damit ist eine Hermeneutik der Formeln des kategorischen Imperativs aus
der Grundlegungsschrift gefordert, die den Titel einer Hermeneutik der Fak-
tizität praktischer Freiheit, auch gegen Kant, beansprucht. Sie ist für die Reli-
gionsschrift ausschlaggebend, sofern dort die Faktizität praktischer Freiheit

35
G. Krüger, Moral, 76
36
A.a.O., 78f.
37
A.a.O., 78.

126
als Leben im Geheimnis dargestellt wird. Um zu dieser kritischen Rede vom
Geheimnis zu gelangen, muß freilich die Selbstdarstellung des Gesetzes durch
die Urteilskraft in den Formeln des Imperativs als .Typen' bzw. .Symbolen'
praktischen Urteilens voll entfaltet werden. Diese .Typen' könnten, so
verstanden, zu Platzhaltern einer „praktischen Ontologie der Schöpfung"
werden.38 Sie weisen an zu lernen, wie die Welt als geschaffene ist, genauer:
wie sie zu sein hat, und der Mensch in ihr. In den Typen praktischen Ur-
teilens wird die reine Gesetzmäßigkeit als Unbedingt-Gutes so dargestellt, daß
unmittelbar zur praktischen Freiheit als einer Weise, in der Welt zu sein,
angeleitet wird. Der Typus einer besten Welt, eines Reiches Gottes, dient
allerdings nicht mehr als dialektisches Ideal des höchsten zu verwirklichenden
Gutes. Er leitet vielmehr indirekt zur Geschöpflichkeit als Lebensform der
praktischen Freiheit, indem es die Unbegreiflichkeit dieses Guten in der Welt
begreifbar werden läßt. Das praktische Urteilen ist im selben Maße, in dem es
diese Unbegreiflichkeit praktischer Freiheit in der Welt begreift, auf Hoff-
nung hin angelegt.

4. Typik und Metaphorik: Pluralität und Konflikt der Interpretation

Ist es erlaubt, Kants Typik eine Hermeneutik der Faktizität praktischer Frei-
heit zu unterstellen, die auf eine praktische Ontologie geschöpflicher Hoff-
nung hinzielt? Die Gegenfrage lautet: Kann ohne diese Hermeneutik die
Religionsschrift überhaupt verstanden werden? Die .Religion innerhalb der
Grenzen der bloßen Vernunft' unterstellt ja im Titel die Möglichkeit einer
eigenartigen Erkenntnis der Dinge an sich: „Grenzen ... setzen immer einen
Raum voraus, der außerhalb einem gewissen bestimmten Platze angetroffen
wird, und ihn einschließt; Schranken bedürfen dergleichen nicht, sondern
sind bloße Verneinungen ... Unsre Vernunft aber sieht gleichsam um sich
einen Raum vor die Erkenntnis der Dinge an sich selbst, ob sie gleich von
ihnen niemals bestimmte Begriffe haben kann, und nur auf Erscheinungen
eingeschränkt ist." (Prol., A 166f; 5,227) Erkenntnis der Dinge an sich hält
sich indirekt-reflektierend auf der Grenze: „Da aber eine Grenze selbst etwas
Positives ist, welches so wohl zu dem gehört, was innerhalb derselben, als
zum Räume, der außer einem gegebenen Inbegriff liegt, so ist es doch eine
wirkliche positive Erkenntnis, deren die Vernunft bloß dadurch teilhaftig
wird, daß sie sich bis zu dieser Grenze erweitert, so doch, daß sie nicht über
diese Grenze hinaus zu gehen versucht ..." (Prol., A 181; 5,237)
Kant bahnt damit kritisch einen eigenen Begriff symbolischer Erkenntnis
der Vernunftidee Gottes in ihrem Weltverhältnis an. Er hält mit der Möglich-
keit einer Erkenntnis auf der Grenze die Stelle für eine Symbolik der Schöp-

" A.a.O., 75.

127
fung offen: „Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urteil
bloß auf das Verhältnis einschränken, welches die Welt zu einem Wesen
haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir
innerhalb der Welt fähig sein. Denn alsdenn eignen wir dem höchsten Wesen
keine von den Eigenschaften an sich selbst zu, durch die wir uns Gegenstände
der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropo-
morphismus, wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur Welt
bei, und erlauben uns einen symbolischen Anthropomorphism, der in der Tat
nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht... Eine solche Erkenntnis
ist die nach der Analogie, welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich
nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweener Dinge, sondern eine voll-
kommne Ähnlichkeit zweener Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Din-
gen bedeutet." (Prol., A 175f; 5,232f)
Kant expliziert solche Erkenntnis nach der (Verhältnis-)Analogie im § 59
der Kritik der ästhetischen Urteilskraft. .Analogie' steht jetzt für ein Verfah-
ren der Reflexion, für eine aktuelle hnAogitbildung durch die Einbildungs-
kraft. Sie ist für das Erkennen auf der Grenze zunächst eine Anweisung zum
metaphorischen oder symbolischen Sprachgewinn, nicht ein Verfahren der
begrifflichen Objektbestimmung. Dazu deckt sie die vollkommene Ähnlich-
keit der Regeln der Reflexion über Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen
Relata auf. Kant verwendet in diesem Zusammenhang bekanntlich als Beispiel
die Metapher des Körpers für den nach inneren Volksgesetzen regierten Staat,
und die Metapher der Handmühle für den absolutistisch beherrschten Staat.39
„Denn zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar
keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen der Regel [AA: den Regeln], über
beide und ihre Kausalität zu reflektieren." (KU, B 256; 8,460) Die indirekte,
.symbolische' Darstellung ermöglicht es der Urteilskraft, ,ein doppeltes
Geschäft' zu verrichten: „erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnli-
chen Anschauung [sc. genauer: auf einen Sachverhalt], und dann zweitens die
bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern
Gegenstand [sc. auf einen ganz anderen Sachverhalt], von dem der erstere nur
das Symbol ist, anzuwenden." (Ebd.)
Dieser Begriff des Symbolisierens setzt die transzendentale Korrelation von
Sprache und reiner praktischer Vernunft voraus. Reine Vernunftideen und
Verstandesbegriffe werden nicht nachträglich .anwendend' symbolisiert bzw.
schematisiert. Sie verdanken sich vielmehr schon immer der Analogiebildung,
wie Kant weiß. „Unsere Sprache ist voll von dergleichen indirekten Darstel-
lungen, nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck nicht das eigentliche
Schema für den Begriff, sondern bloß ein Symbol für die Reflexion enthält.
So sind die Wörter Grund (Stütze, Basis), abhängen (von oben gehalten wer-

Die Wahl von Metaphern aus der Staatslehre ist nicht zufällig, sofern sich als Pointe der
Überlegung erweist, daß das rechtlich typisierte ethische gemeine Wesen durch die Metapher
vom Reich Gottes zu symbolisieren ist.

128
den), woraus fließen (statt folgen), Substanz ..., und unzählige andere nicht
schematische, sondern symbolische Hypotyposen, und Ausdrücke für Begriffe
nicht vermittelst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analo-
gie mit derselben." (KU, B 257; 8,460) Die Kategorien als scheinbar unwan-
delbare Formbegriffe reinen Verstands setzen in ihrer Verwendung die Analo-
gie von Wortbegriffen voraus, welche die Regel ihrer Reflexion immer schon
mit anleitet: „dieses Faktum dürfen wir das semantische Apriori der Vernunft
nennen"40, wobei .semantisches Apriori' selbstverständlich die semantischen
und syntaktischen Aspekte von Metaphorik (als kalkuliertem Kate-
gorienfehler) umfasst.41 Das Problem von reiner Vernunft und Sprache wird
bei Kant differenzierter reflektiert, als es manche Kritik Hamanns ahnen
läßt.42 Hamanns Metakritik begründet die Verschränkung von Ästhetik und
Logik affirmativ schöpfungs- und namenstheologisch und führt dies sprach-
ontologisch durch.43 Für Kants negativ-theologische Exposition endlichen
Urteilens gilt hingegen: „Vernunft und Sprache gründen in einer Relation, die
sich nicht wiederum ,begründen' läßt, weil sie die Bedingung der Möglichkeit
von Begründung darstellt. Ich möchte sie die transzendentale Korrelation von
Vernunft und Sprache nennen, wobei ich hier unter .transzendental' verstehe:
indifferent gegenüber den Unterscheidungen von ,Materie' und ,Form',
,Grund' und ,Begründeten' [sie]."44
Es verdient bereits Beachtung, daß Kant an der zitierten Stelle jene Katego-
rien als Beispiel wählt, die ihrerseits die Reflexion der Idee Gottes als aller-
realstes Wesen und als Grund anleiten. Im negativen Erkennen auf der Gren-
ze spielen nicht-schematisierte Kategorien mit der reinen Vernunftidee Gottes
zusammen. Der spekulative Diskurs ist dazu aber auf Symbolregeln natürli-
cher und biblischer Sprache angewiesen. „Wenn man eine bloße Vorstellungs-
art schon Erkenntnis nennen darf (welches, wenn sie ein Prinzip nicht der
theoretischen Bestimmung des Gegenstandes ist, was er an sich [AA: sei],
sondern der praktischen, was die Idee von ihm für uns und den zweckmäßigen
Gebrauch derselben werden soll, wohl erlaubt ist): so ist alle unsere Erkenntnis
von Gott bloß symbolisch" (KU, B 257; 8,460f, Kursive HA).
Man muß dies im Blick halten, wenn Kant umgekehrt auf der kritisch-
hermeneutischen Funktion der Gottesidee zur Läuterung der biblischen Got-
tesrede insistiert: „Der transzendentale Begriff von Gott, als dem allerrealsten
Wesen, ... gehört zum Verbände und zugleich zur Läuterung aller konkreten,
die nachher in die angewandte Theologie und Religionslehre hineinkommen
mögen." (Ton, A 41 lf Anm.; 5,389) Was ist gemeint, wenn der Begriff des
allerrealsten Wesens, der zur Läuterung biblischer Gottesrede dient, zugleich

40
M. Riedel, Urteilskraft, 60.
41
Zu diesem Verständnis von Metaphorik: § 4,5.
42
O. Bayer, Zeitgenosse, 179-192, v.a. 187f.
43
Präzise dargestellt durch O. Bayer, A priori willkürlich, v.a. 132-138.
44
M. Riedel, Urteilskraft, 48.

129
zum Verbände jener Gottesrede gehört, die er läutern soll? Die analogische
Verwendung von Regeln metaphorischer Rede im begrifflichen Diskurs stellt
nicht nur eine ,Läuterung' und .Abtötung' der Metapher im Begriff dar. Sie
ist zugleich eine .Aufhebung' der Metapher, die ein .Leben des Begriffs' er-
möglicht, in dem er zum Verbände der konkreten Begriffe zugehörig bleibt.45
Bei Kant kündigt sich dies in der Alternanz seiner theologischen und reli-
gionsphilosophischen Begriffe an, die uns im Blick auf Kants Religionsschrift
und ihrem Versuch, .Verheißung' praktisch zu reflektieren, interessiert. In
diesem Versuch stellt sich zwischen Symbolregeln und Begriffsregeln eine
Spannung her, welche eine grammatische Pluralität der Vernunft indiziert.
Aus dieser lebt die Alternanz der Urteilskraft.
Erkennen auf der Grenze transzendentaler Logik vollzieht sich mithin im
Konflikt der Interpretation: „Die Interpetation ist dann eine Diskursmodalität,
die an der Überschneidungslinie von zwei Sektoren, dem des Metaphorischen
und dem des Spekulativen operiert ... Einerseits will sie die Klarheit des
Begriffs, andererseits versucht sie, die Dynamik der Bedeutung zu bewahren,
die vom Begriff unterbrochen und fixiert wird. Eben diese Situation betrach-
tet Kant in dem berühmten Paragraph 49 der Kritik der Urteilskraft. Er
nennt ,Geist, in ästhetischer Bedeutung' ,das belebende Prinzip im Gemü-
te'."46 Es ist die ästhetische Idee als genuine Darstellung der Vernunftidee
durch die Einbildungskraft, die den begrifflichen, kategorialen Verstand dazu
zwingt, sich zurückzunehmen und mehr zu denken. „Die schöpferische Ein-
bildungskraft ist nichts anderes als diese Forderung an das begriffliche Den-
ken." Die Lebendigkeit der Sprache, exemplarisch in der semantischen und
syntaktischen Metaphorik, überträgt „den Schwung der Einbildungskraft auf
ein ,mehr denken' auf die Ebene des Begriffes ... Dieser Kampf um das ,mehr
denken' unter Anleitung des .belebenden Prinzips' ist die .Seele' der Inter-
pretation."47

Kants Religionsschrift ist Vollzug praktischer Interpretation christlicher Got-


tesrede, sofern sie sich auf der Grenze und im Konflikt von reiner praktischer
Typik und Reflexion biblischer Hoffnungsmetaphorik vollzieht. Das Pro-
gramm dieser Interpretation auf der Grenze und im Konflikt von .Gesetz'
und .Verheißung' fokussiert die bereits angeführte Bemerkung der Dritten
Kritik:

Mit der Rede von .Verheißung', „hat diese wundersame Religion in der größten
Einfalt ihres Vortrages die Philosophie mit weit bestimmteren und reineren Begriffen

45
P. Ricceur, Metapher, 270.
46
P. Ricceur, Metapher, 284 (vgl. KU, B 192; 8,413). Zum Interpretations-Modell der
Vernunftkritik bei Kant und ihrem Ort in der transzendentalen Topik als einer Reflexion
der Reflexion: M. Riedel, Urteilskraft, 57f.
47
P. Ricceur, Metapher, 284f.

130
der Sittlichkeit bereichert..., als diese bis dahin hatte liefern können, die aber, wenn
sie einmal da sind, von der Vernunft frei gebilligt, und als solche angenommen
werden, auf die sie wohl von selbst hätte kommen und sie einführen können und
sollen." (KU, B 463 Anm.; 8,603).

Gegenüber dem möglichen Selbstmißverständnis der Urteilskraft, die .Verhei-


ßung' restlos in die Begründungsform reiner praktischer Vernunft zu überfüh-
ren scheint, gilt es zu zeigen, daß die Religionsschrift Interpretation bleiben
sollte, „parce que c'est en dehors de la circonscription de la raison que s'inscrit
Li caractere inscrutable de l'origine du mal, de l'origine de la representation
christique implantee dans nos cceurs, du don additionnel de la gräce que la
croyance confesse, enfin de l'institution qui donne visibilite au Royaume de
Dieu sur terre."48 Diese Interpretation im Konflikt und in der Alternanz
zwischen reiner praktischer Typik und biblischer Hoffnungsmetaphorik
„donne corps a une intelligence de l'esperance en tant que replique d'un genre
unique a l'aveu du mal radical."49 Die Frage ist, ob und wie sich die biblische
Metaphorik in ihrer bleibenden Externität und in ihrer enthusiastischen Hoff-
nung in der Reflexion ans Gefühl und an die Typik praktischer Vernunft
mitteilt und inwiefern nicht. Die reinen Typen der praktischen Urteilskraft
dürften nicht bleiben, was sie apriori sind, wenn biblische Metaphorik ihre
Regel und ihren Kanon alteriert.
Dieser Konflikt der Interpretation zwischen reiner Typik des Gesetzes und
biblischer Verheißungsmetaphorik ist nun zu explizieren. Er entscheidet sich
an der Darstellungsform der Religionsschrift.

5. Praktische Typik: Programm und Problem

5.1 Propädeutik zur Weisheit, Mensch zu sein

Die aktuelle Analogiebildung der Urteilskraft baut die Brücke, die es der
praktischen Typisierung ermöglichen soll, ,zur Welt zu kommen'. Die Typik
des moralischen Gesetzes nämlich verlangt nach dieser Vermittlung, weil die
Idee der rein formalen moralischen Gesetzmäßigkeit nur über reine und
komplexe Verstandesbegriffe, wie dem der gesetzesbestimmten ,Natur', als
praktischen .Symbolen' (Bildern) darstellbar wird. Dem Gesetz einer intel-

P. Ricceur, Hermeneutique, 40, vgl. 20.


49
Ebd. (Kursvie HA). Im Sinn des sich im Konflikt der Interpretation sprachlich mit-
teilenden Geistesschwungs ist etwa Kants Bekenntnis zur Bibel zu verstehen: „Ich lese die
Bibel gern und bewundere den Enthusiasm in ihren neutestamentischen Lehren" (AA 23,
451). Enthusiasmus der neutestamentischen Lehren meint den Hoffnungsaffekt, der sich in
biblischer Metaphorik an das ruhige selbstbeherrschte moralische Gefühl der Achtung vor
dem Gesetz mitteilt und es erweitert, indem es .mehr' fühlen läßt als bloße Achtung vor
dem Gesetz: Liebe und Hoffnung.

131
ligiblen Kausalität aus Freiheit kann kein auf Anschauung angewiesenes
(zeitliches) Schema zur Anwendung in concreto dienen. „Hier ... ist es nicht
um das Schema eines Falles nach Gesetzen, sondern um das Schema (wenn
dieses Wort hier schicklich ist) eines Gesetzes selbst zu tun, weil die Willens-
bestimmung (nicht der Handlung [Kon]. AA: die Handlungen] in Beziehung
auf ihren Erfolg) durchs Gesetz allein, ohne einen anderen Bestimmungs-
grund, den Begriff der Kausalität an ganz andere Bedingungen bindet, als
diejenige sind, welche die Naturverknüpfung ausmachen." (KpV, A 121;
6,187f) Das vermittelnde Erkenntnisvermögen zur Natur kann deshalb nur
der Verstand, nicht die Einbildungskraft sein. Exemplarischer Typus wird des-
halb in der Zweiten Kritik die verstandeskonstituierte, bloß formale Naturge-
setzlichkeit50. Die Regel der praktischen Urteilskraft, die Kant an dieser Stelle
angibt, lautet: „Frage dich selbst, ob die Handlung, die du vorhast, wenn sie
nach einem Gesetze der Natur, von der du selbst ein Teil wärest, geschehen
sollte, sie du wohl, als durch deinen Willen möglich, ansehen könntest."
(KpV, A 122; 6,188)
Daß Kant in der Zweiten Kritik nur den formalen Naturbegriff als einzigen
Typus diskutiert, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in der Typik
insgesamt um einen moralischen Weltbegriff geht, der an .Natur' als Typus
nur paradigmatisch exemplifiziert wird. Typus ist der „Begriff des Gesetzes
selbst, insofern er ein .Reich' oder eine ,Welt' definiert."51 Genauer: Der
Typus leitet, gerade durch die Verstandesreinheit der Typen, ein praktisches
In-der-Welt-Sein des Verstandes an, der sich zur Darstellung dieses In-der-
Welt-Seins Bilder (nicht Schemata) zu verschaffen sucht: „Die Darstellung des
Sittengesetzes für den Menschen bedarf der Anschauung, weil der Verstand
diskursiv ist. Wirklich ein Bild von der Sache, wie es der Mensch bedarf, gibt
der Typus allein nicht. Auch der Typus ist eine Vorstellung von einem
Verfahren der Bildbeschaffung. Aber das Bild kann hier nun doch nicht die
Sache selbst darstellen, sondern nur den Verstandesakt, der sich an ihm voll-
zieht, als solchen."52
.Typen' (oder .praktische Symbole') sind Anweisungen zum praktischen
Verstzndesgebrauck, in denen sich das Beanspruchtsein durch das unbedingt
Gute darstellen kann. Die ihnen wahlverwandten .Bilder' (oder Hoffnungs-
bilder) müssen den Charakter von lebendigen Metaphern tragen, die ein
Wahr-werden indirekt, analogisch darstellbar machen, so wie der praktische
Verstand am Typus wahr werden soll. Typen und Hoffnungsbilder leiten ein
Wahr-Werden des Selbst an, - und zwar nicht im Sinne seiner Selbstver-
wirklichung durch Handeln, sondern im Sinne eines Wahrwerdens der Welt-
wahrnehmung und der Weltbeurteilung! Es ist entscheidend, daß diese .Sym-
bole' Anweisungen sind, sich im Übergang vom praktischen Freiheitsakt zum

M
Vgl. KpV, A 122; 6,188.
M
L.W. Beck, Kommentar, 154.
52
G. Krüger, Moral, 84.

132
theoretischen Wissen zu (ver)halten, und das heißt auch: im Übergang von
praktischer Noumenalität zu theoretischer Phänomenalität. Es wäre dies das
Wahrnehmen und Urteilen „in der konkreten Einheit des Hoffens", das sich als
„theologisch denkende Welterfahrung des moralisch handelnden Menschen,
in ursprünglicher Einheitlichkeit verstehen" müßte.53
Als genuines Verfahren zur Beschaffung von .Hoffnungsbildern' erweist
sich die Typik allerdings wiederum vor allem darin, daß sie anleitet, Symbole
zu entdecken, indem sie einen möglichen Verstandesakt des Hoffens wider
naheliegende, aber dialektische Hoffnungsformen offenhält. Sie richtet sich gegen
das empiristische und mystische Mißverständnis des Guten in der Welt: Das
erhoffte Gute in der Welt darf einerseits nicht als zu verwirklichendes
,Glücksgut' und Zweck einer Handlung verstanden werden; dies wäre das
empiristische Mißverständnis des erhofften Guten als ,Werk'. Das Gute in der
Welt soll andererseits nicht als gegenwärtig Vorhandenes hoffend angeschaut
werden, indem es schematisiert wird; dies wäre das mystische Mißverständnis
des verheißenen Guten als eines empirisch Anschaubaren und propositional
Aussagbaren.54
Die Typik hält, so gesehen, den Platz frei für das Hoffen, - und zwar als
einer menschlich-kreatürlichen Weisheit. „Im ,Handle so ...' ist der Mensch, so-
fern er bloß vernünftiges Wesen sein soll, als der ,Fall' bereits gesetzt. Da-
durch bekommt nun die an sich theoretische Struktur der Symbolik ihren
wesentlich praktischen Charakter: die .Kunst' des Existierens zeigt sich als die
Kunst weise zu werden."55 Kant avisiert einen praktisch angeleiteten Ver-
standesgebrauch, der sich vom selbstmächtigen, sich selbst erhaltenden Ver-
standesvermögen der transzendentalen Apperzeption, aber auch vom reinen,
dogmatischen Verstandesa&f der Typik, unterscheidet wie kreatürliche Weis-
heit von souveräner Wissenschaft. Gerade diese Weisheit wäre, so der vor-
kritische Kant, die dem Menschen als Menschen nötige .Wissenschaft':
„Wenn es irgend eine Wissenschaft giebt, die der Mensch wirklich bedarf, so
ist es die, welche ich lehre, die Stelle geziemend zu erfüllen, welche dem

53
G. Krüger, Moral, 251.
54
Gegen den Empirism der praktischen Vernunft, „der die praktischen Begriffe, des Guten
und Bösen, bloß in Erfahrungsfolgen (der sogenannten Glückseligkeit) setzt" (KpV A 125;
6,190), und gegen ihren Mystizism, welcher das „was nur zum Symbol dienete, zum Schema
macht, d.i. wirkliche, und doch nicht sinnliche, Anschauungen (eines unsichtbaren Reichs
Gottes) der Anwendung der moralischen Begriffe unterlegt und ins Überschwengliche hinaus-
schweift" (ebd.) statuiert Kant: „Dem Gebrauche der moralischen Begriffe ist bloß der Ratio-
nalism der Urteilskraft angemessen, der von der sinnlichen Natur nichts weiter nimmt, als
was auch reine Vernunft für sich denken kann, d.i. die Gesetzmäßigkeit, und in die übersinn-
liche nichts hineinträgt, als was umgekehrt sich durch Handlungen in der Sinnenwelt nach
der formalen Regel eines Naturgesetzes überhaupt wirklich darstellen läßt." (ebd.)
55
G. Krüger, Moral, 87, vgl. 88 (zur ersten Formel des kategorischen Imperativs): „Das
Gesetz ist nach dem Typus nur so darstellbar, daß ich es als durch meinen Willen zum
Naturgesetz werdend denke" (vgl. 207f).

133
Menschen in der Schöpfung angewiesen ist, und aus der er lernen kann, was
man sein muss, um ein Mensch zu sein."56 Das Geschäft der Kritik führt
allerdings zur Einsicht, daß praktische Vernunft gerade aufgrund der Reinheit
der Verstandestypik zu dieser Weisheit, die auf Schöpfung zu hoffen lehrt,
kritisch hinführt, aber nicht selbst Weisheit sein kann. Die Typik als Verfah-
ren praktischer Urteilskraft ist nur die propädeutische Voraussetzung jenes
Urteilens, das selbst „sans lieu, proprement atopique" ist57, weil es weder der
theoretisch-schematisierenden noch der praktisch-typisierenden Urteilskraft
zugerechnet werden darf.

5.2 Mißglückter Versuch: Die Dritte Formel des Imperativs

Was soll der Mensch werden, um Mensch an seinem geschöpflichen Ort zu


sein und zu bleiben? Die scheinbar überraschende Antwort lautet: Er soll
autonom sein. Genauer: Er soll sich selbst unter der Jdee des Willens jedes
vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens" (GMS, B 70;
6,63) betrachten. Autonomie ist jenes praktische Selbstverständnis, das ein
Beanspruchtsein durch die Idee der rein formalen Gesetzmäßigkeit als ver-
nünftige Selbstgesetzgebung vollzieht: „Der Wille wird also nicht lediglich
dem Gesetze unterworfen, sondern so unterworfen, daß er auch als selbst-
gesetzgebend, und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er selbst
sich als Urheber betrachten kann), unterworfen, angesehen werden muß."
(GMS, B 70f; 6,64, Kursive z.T. HA)
Diese sog. Dritte Formel des kategorischen Imperativs muß als praktisches
Symbol gelesen werden, durch welches sich die Idee des Gesetzes selbst als
freier Wille darstellt. Das juridische Symbol für den menschlichen Willen
unter dem Gesetz ist der allgemeine, an keinerlei Privatinteressen gebundene
Gesetzgeber, der sich selbst an sein Gesetz bindet, ihm unbedingt verant-
wortlich ist - und gerade darin die über ihm stehende Herrschaft des Rechts
in der Ausübung gehorsam anerkennt. „Der menschliche Wille ist nie uninter-
essiert, d.h. nie rein. Er kann aber als Symbol des reinen Willens gedacht
werden, d.h. unter dem direkt darstellbaren juridischen Begriffe eines Gesetz-
gebers, der für das von ihm gegebene Gesetz unbedingt eintritt. In dem
Verstandesbegriff des menschlichen Gesetzgebers wird die Idee des Unbe-
dingt-Guten indirekt demonstrabel, und in ihm soll sie durch unsere
Handlungen direkt anschaulich werden ... Das ,Selbst' im Begriff der Selbst-
gesetzgebung meint nicht die unbedingte, nur sich selbst gehorchende schöp-
ferische' Freiheit, die sich selbst nach einem Gesetze treu sein will, sondern
die unbedingte Verantwortung gegen das Gesetz, der sich gerade die Freiheit

56
I. Kant, Fragmente aus dem Nachlaß, 323. Dazu: G. Krüger, Moral, 58-62.
57
P. Ricceur, Hermeneutique, 40.

134
selbst nicht entziehen darf."58 Die Idee der unbedingten Verantwortlichkeit
gegen das Gesetz (also nicht die Idee der Gesetzgebung selbst, sondern die in
ihr implizierte Verantwortlichkeit gegen ein selbstgegebenes Gesetz) führt
zum formellen Begriff der Religion als „Gewissenhaftigkeit" (MST, A 102;
7,575) und zur Idee Gottes als Herzenskündiger und Richter: Die Selbst-
gesetzgebung des Menschen kann gerade nicht in personam seine Richter-
schaft über sich (und andere) einschließen.
Daß der im praktisch-juridischen Symbol eines Selbstgesetzgebers sich ver-
stehende autonome Wille nicht absolut selbstmächtig, sondern sich selbst
entzogen ist, weil er sich durch sich selbst der Herrschaft des Gesetzes über-
eignet, bewährt sich deshalb in einem dem Autonomie-Symbol anhängenden,
„sehr fruchtbaren Begriff, nämlich den eines Reichs der Zwecke" (GMS, B 74;
6,66). „Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes
derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit
zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. Hiedurch aber entspringt eine
systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objek-
tive Gesetze, d.i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Beziehung
dieser Wesen auf einander, als Zwecke und Mittel, zur Absicht haben, ein
Reich der Zwecke (freilich nur ein Ideal) heißen kann." (GMS, B 74f, Kursive
z.T. HA) Die praktischen Symbole der Natur, der Autonomie und des
Reichs der Zwecke zusammengenommen führen zur Rekonstruktion der
vollständigen Formel des Kategorischen Imperativs: ,^4//e Maximen aus eigener
Gesetzgebung sollen zu einem möglichen Reich der Zwecke als einem Reich der
Natur zusammenstimmen."^ In diesem Reich der Zwecke aus Autonomie ist
jeder zugleich Glied und Oberhaupt - allerdings mit bezeichnender Ein-
schränkung: „Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der
Zwecke, wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Geset-
zen selbst unterworfen ist. Es gehört dazu als Oberhaupt, wenn es als gesetz-
gebend keinem Willen eines andern unterworfen ist. Das vernünftige Wesen
muß sich jederzeit als gesetzgebend in einem durch Freiheit des Willens
möglichen Reiche der Zwecke betrachten, es mag nun sein als Glied, oder als
Oberhaupt. Den Platz des letztern kann es aber nicht bloß durch die Maxime
seines Willens, sondern nur alsdann, wenn es ein völlig unabhängiges Wesen,
ohne Bedürfnis und Einschränkung seines dem Willen adäquaten Vermögens ist,
behaupten." (GMS B 75; 6,66f, Kursive z.T. HA) Der kategorische Imperativ
in seinen verschiedenen Formeln gewinnt in der Grundlegungsschrift un-
vermutete, ja unbegründete theologische Relevanz.60
Die implizite praktische Geschöpflichkeit der Glieder im Reich der Zwecke
kann Kant in der Grundlegungsschrift durch die Unterscheidung des ,Ober-

" G. Krüger, Moral, 103.


s
' Zur Rekonstruktion dieser sog. Formel Dia und ihren Varianten: GMS, B 66; 6,61 und
H J . Paton, Imperativ, 225. „Formel Iüa ist ... die umfassendste aller Kantischen Formeln."
60
Vgl. H.J. Paton, Imperativ, 229.

135
haupts' von den .Gliedern' im Reich der Zwecke nur vorläufig und mißver-
ständlich andeuten.61 Erst die Einsicht in das Verfahren der praktischen
Urteilskraft, die den freien Willen unter der Idee der Autonomie darstellt,
indem sie ihm zugleich die Richterschaft über sich selbst entzieht und der
Verantwortung gegenüber einem nicht-menschlichen Richter unterstellt, klärt
die Souveränität und absolute Freiheit des Oberhaupts. Nicht primär als
Gesetzgeber, sondern als souveräner Richter erweist sich Gott als Schöpfer.
Die polemische Fiktion des ethischen Naturzustandes, der absoluten Rich-
terschaft der Menschen über sich und andere, hat in der Idee eines Reichs der
Zwecke ihren Maßstab, sofern dieses praktische Symbol zum Urteilsenthalt
über die eigene und fremde Person und zugleich zur begrenzten, vorläufigen
Verantwortung nicht nur des Handelns, sondern auch der Urteilsbildung
anweist. Daß dieser Urteilsenthalt sich in actu als Praxis kreatürlicher Verant-
wortung erweisen möge, welche dem .Ende aller Dinge' zumindest nicht
widerspricht, das ist Kants Hoffnung, ohne daß Vernunft diese Hoffnung
allein aus sich begründen kann und wollen kann. Deshalb muß im Dritten
Stück der Religionsschrift der reine Verstandestypos des Reichs der Zwecke
unter der biblischen Metapher eines verheißenen Reiches Gottes reflektiert
werden.

61
Das zeigt sich etwa angesichts der Frage, worin sich denn nun eigentlich das Oberhaupt
des Reiches von dessen Gliedern unterscheidet? Kant gibt unklare Auskünfte: Ist es die völli-
ge Unabhängigkeit Gottes? Aber worin besteht diese? Darin, daß für Gott der Imperativ
nicht Pflicht, sondern Natur ist? (GMS, B 76; 6,67) Darin, daß er von schlechthin unbedürfti-
ger Freiheit und moralisch allmächtig ist? Oder schließlich darin, daß er als Gesetzgeber
keinem Willen eines anderen unterworfen ist? (GMS, B 75; 6,66)

136
§ 6 Elimination göttlichen Namens

Vor dem Hintergrund der Fiktion des ethischen Naturzustands bildet das
Zentrum der Religionsschrift eine neue Pflicht, die „der Art und dem Prinzip
nach, von allen andern unterschieden" ist (RGV, B 136; 7,757): „Der Mensch
soll aus dem ethischen Naturzustande herausgehen, um ein Glied eines ethi-
schen gemeinen Wesens zu werden" (RGV, B 134; 7,755). Das Besondere
dieser Pflichtformel hebt Kant sehr nachdrücklich hervor:

„Hier haben wir nun eine Pflicht von ihrer eignen Art, nicht der Menschen gegen
Menschen, sondern des menschlichen Geschlechts gegen sich selbst. Jede Gattung1
vernünftiger Wesen ist nämlich objektiv, in der Idee der Vernunft, zu einem gemein-
schaftlichen Zwecke, nämlich der Beförderung des höchsten, als eines gemeinschaftli-
chen Guts, bestimmt. Weil aber das höchste sittliche Gut durch die Bestrebung der
einzelnen Person zu ihrer eigenen moralischen Vollkommenheit allein nicht bewirkt
wird, sondern eine Vereinigung derselben in ein Ganzes zu eben demselben Zwecke,
zu einem System wohlgesinnter Menschen erfordert, in welchem und durch dessen
Einheit es allein zu Stande kommen kann, die Idee aber von einem solchen Ganzen,
als einer allgemeinen Republik nach Tugendgesetzen, eine von allen moralischen Ge-
setzen (die das betreffen, wovon wir wissen, daß es in unserer Gewalt stehe) ganz
unterschiedene Idee ist, nämlich auf ein Ganzes hinzuwirken, wovon wir nicht wis-
sen können, ob es als ein solches auch in unserer Gewalt stehe: so ist die Pflicht, der
Art und dem Prinzip nach, von allen andern unterschieden." (RGV, B 135-137;
7,756f)

Aus dem ethischen Naturzustand herauszugehen, um ein Glied eines ethi-


schen gemeinen Wesens (des .Reiches Gottes') zu werden - dieser Imperativ
ist das eigentliche .Prinzip der Vernunftreligion'. Aber warum handelt es sich
um eine Pflicht sui generis? Was heißt es, daß diese Pflicht auf ein Ganzes
gehe, wovon wir nicht wissen ob es in unserer Gewalt stehe? Scheitert das
,Du kannst, denn du sollst'? Soll es sich durch diese Pflicht selbst begrenzen?

1. Religion als Kultur der Vernunft

Man kann Kants Pflicht-Formel säkularisieren und sie allein auf ihren urteils-
praktischen Gehalt hin lesen. Sie figuriert dann als Prinzip einer Kantischen
Ethik des Dialogs. In der Religionsschrift tritt explizit ein „Dialogprinzip an
zentraler Stelle unter den abgeleiteten Moralprinzipien" auf.2

1
„Das Wort .Gattung' ... bezeichnet ... nicht die Gesamtheit der Merkmale, die den
Kollektivbegriff .Mensch' bilden, sondern die Reihenfolge der Generationen (.Zeugungen'), in
denen sich die Menschengeschichte in Raum und Zeit aufbaut". Die Individuen sind dann
„als Glieder der Generationen Teile des realen Ganzen einer ins Unendliche (Unbestimmbare)
gehenden Reihe von Zeugungen" (M. Riedel, Urteilskraft, 168f).
2
A. Wellmer, Ethik und Dialog, 48.

137
Insbesondere Albrecht Wellmer legte jüngst eine Version der Diskursethik vor, die
dem diskursethischen Letztbegründungsanspruch im Namen Kants widerspricht: Vor
die Aporie des gemeinsamen moralischen Weltbezugs und der angemessenen Situa-
tions- und Selbstdeutung gestellt, erweitere sich Kants Ethik zu einer Ethik der Ur-
teilskommunikation. Es gehe ihm um die Frage, wie der moral point of view in be-
sonderen, d.h. komplexen, präzedenzlosen und konfliktträchtigen Situationen in
moralischer Weise zur Geltung zu bringen sei. Die Frage der Moralbegründung und
ihrer dogmatischen Applikation sei vom moralischen Diskurs der Beteiligten, d.h.
fehlbarer Menschen, nicht zu trennen. „Moralischer Diskurs und moralische Urteils-
kraft sind daher ihrem Gegenstand nach nicht voneinander verschieden; praktische
Vernunft äußert sich als moralische Urteilskraft."3 Kants kritische Leistung liege in
der Unterscheidung von Recht und Moral, also in der Einsicht, daß das rechtsphi-
losophische Modell der souveränen Verfassungskonstitution und der verfahrens-
formalen, zwangsrechtlichen Normenapplikation, Situations- und Handlungsinterpre-
tation, gerade kein Modell eines ethischen gemeinen Wesens sein könne.* Die un-
bedingte Pflicht zur Öffentlichkeit weist mithin an, das ,Faktum' wechselseitiger An-
erkennung als eine für alle Formen menschlichen Zusammenlebens konstitutive und
nicht hintergehbare Dimension moralisch wahrzunehmen. In der .Pflicht der
Menschheit gegen sich selbst' wird dieses Faktum als vernünftiges Faktum reflex; sie
verlangt die moralische Anerkennung der Anerkennungsreziprozität.

Zweifellos läßt sich so die zentrale moralanthropologische Einsicht Kants, die


Leidenschaftlichkeit des Menschen als sein Angewiesensein auf die Mitwelt,
eindeutiger in die moralische Urteilspraxis einzeichnen, als Kant dies gelingt.
Der Imperativ der Religionsschrift bedeutete also: Wie der Mensch in den
Leidenschaften auf andere angewiesen ist, so soll er auch in der Moralität auf
andere angewiesen bleiben: „... er soll seine Bestimmung zur Geselligkeit be-
dingungslos wahr machen. Er soll aus seiner nur scheinbar geselligen, in
Wahrheit privaten Existenz heraustreten und als selbständiger einzelner ...
doch zugleich in wahrhafter Öffentlichkeit leben." 5 Der Schein der Gesellig-
keit gründet freilich, wie wir sahen, nicht nur in der bewußten, aber ver-
steckten Privatheit der Interessen. Das radikal Böse indiziert eine mögliche
innere Lüge des Gewissens, in der gerade die ethische Sprache und die Selbst-
verständigung außermoralischen Zwecken dient.

Hinter diesem kritischen Verhältnis zur ethischen Sprache, erst recht aber hinter
dem Begriff inkommensurabler göttlicher Gerechtigkeit bleibt Wellmer zurück,
wenn er das praktische Wissen um die Bedingungen des guten Lebens als Anerken-
nung der in der Sprache aufgehobenen, rächenden Gewalt und Gerechtigkeit verletzter
Anerkennung bestimmt.6 Die bloße Faktizität von Anerkennungsverhältnissen könne

3
A. Wellmer, Ethik und Dialog, 137.
4
A. Wellmer, Ethik und Dialog, llf.
5
G. Krüger, Moral, 104.
6
A. Wellmer, Ethik und Dialog, 143 Anm. 1. Der explizit theologische Bezug auf .Gottes
Bund' und seine .Gerechtigkeit' besteht zu Unrecht!

138
aufgrund ihrer Sprachlichkeit als Faktum der Vernunft ins rationale Urteilen einge-
holt werden, und deshalb zu einem praktischen Wissen werden.

Immerhin ist Wellmer darin zuzustimmen: Das „Faktum eines Lebens unter
Bedingungen der Vernunft" kann nur als Pflicht sui generis formuliert wer-
den, weil zu ihr nicht gezwungen, sondern nur an sie erinnert werden kann.
Nur durch Erinnerung kann, durch Erinnerung soll aber auch diese ,Kultur
der Vernunft' für jede neue Generation bewahrt, weitergegeben und neu an-
geeignet werden. Daß praktische Vernunft ihre Grundlage in einer existieren-
den Kultur der Vernunft habe, hat bereits zuvor differenzierter Friedrich
Kambartel formuliert.7 Kambartels Begriff einer .Kultur der Vernunft'
schließt an Kant und an Wittgensteins Begriff der .Lebensform' an. Er zielt
auf eine Kritik ethischer Begründung durch formale Begründungsprinzipien
und weist demgegenüber auf den Zusammenhang von praktischer Situation
und Lebensform hin: „Unter einer .Lebensform' will ich eine Weise der
Orientierung verstehen, welche alle unsere Lebenssituationen und Lebens-
verhältnisse durchzieht; welche immer zur Anwendung kommt, oder doch
immer zur Anwendung kommen kann. So sind etwa Einstellungen zum
Leben zu verstehen. Und man kann auch die Ansprüche der Moralität, das
Ethische, eine Form des Lebens nennen ... Im Falle des Einzelnen und seines
Lebensverständnisses mag man vielleicht differenzierend von einer (prakti-
schen) Einstellung reden; im Falle der moralischen Form des öffentlichen
Lebens bietet sich die Ausdrucksweise .moralische Kultur' an".8
Es ist die Pointe der Pflicht zum ethischen gemeinen Wesen, daß sie Kultu-
ren praktischer Urteilskraft bereits voraussetzt (neben ,Moral' also auch .Reli-
gion)', und unter Voraussetzung des Lebens in verschiedenen .Kulturen' nach
einer darin möglichen .Vernunftkultur' fragt. Kambartel weist zurecht darauf
hin, daß verschiedene Kulturen durch die Frage nach einer vernünftigen
Lebenspraxis vermittelt sind: „Das Verhältnis von Religion und Moral kann
nicht das der Ableitung von Normen oder Wertungen aus Glaubenssätzen
sein. Die Verbindung der Religion mit der Moral muß immer über das Leben
(über die Gestalt, die ein Leben im Ganzen annimmt) hergestellt werden."9
Wird diese Fragestellung an die Religionsschrift gerichtet, so erhält Kants
Behauptung Sinn, daß die Religionsschrift „gar keine Würdigung des Chri-
stentums" (Streit, A XVI; 9,270) beabsichtigt: „Denn eigentlich enthält es [sc.
dies Buch] nur die Würdigung der natürlichen Religion." (Ebd.) Selbst wenn
solche Äußerungen Kants die drohende Wöllnersche Zensur voraussetzen, so
sind sie doch darin authentisch, daß es in der Religionsschrift um das Chri-
stentum als .natürliche Religion' geht. ,Natürliche Religion' ist aber ein Gefü-
ge von Grundsätzen praktischen Urteilens, eine Teil-Grammatik praktischer

7
F. Kambartel, Welt, 27-43.
* A.a.O., 47, vgl. 34f.l55f.
' A.a.O., 100-102; 102.

139
Vernunft, die in eine existierende Lebensform eingebettet ist. Kants Frage nach
natürlicher Religion' als Teil-Grammatik praktischer Vernunft anerkennt das
Faktum .eigentlicher Religion'; abgekürzt formuliert: die Lebensform .Chri-
stentum', theologisch formuliert: das ,Sein in Christus als Sein in der Gerech-
tigkeit Gottes'.10 Natürliche Religion darf nicht zur eigentlichen Religion
rei'fiziert werden. „Es kann zwar von einer .Religion innerhalb den Grenzen
der bloßen Vernunft', die aber nicht aus bloßer Vernunft abgeleitet, sondern
zugleich auf Geschichts- und Offenbarungslehren gegründet ist und die nur
die Übereinstimmung der reinen praktischen Vernunft mit denselben {daß sie
jener nicht widerstreite) enthält, die Rede sein. Aber alsdann ist sie auch nicht
reine, sondern auf eine vorliegende Geschichte angewandte Religionslehre, für
welche in einer Ethik, als reiner praktischen Philosophie, kein Platz ist."
(MST, A 182f; 7,629, Kursive z.T. FLA) In der Unterscheidung und Vermitt-
lung von natürlicher Religion' und .eigentlicher Religion' verhandelt also
Kant das Problem der Unterscheidung und Vermittlung einer praktischen
Urteilsgrammatik in einer Lebenspraxis, die in differente und nicht aufein-
ander reduzierbare Kulturen eingebettet ist. Die Religionsschrift als ange-
wandte Religionslehre stellt die Grundsätze reiner Vernunftreligion indirekt
und vermittelt dar als Grammatik oder Urteilssystem einer bestimmten
bestehenden, religiösen Lebensform, des Christentums. Ihr Ziel ist, diese
Lebensform als Lebensform praktischer Vernunft zu .reflektieren'. Das
schließt, zumindest bei Kant, nicht aus, daß die Grammatik praktischer Ver-
nunft dadurch selbst alteriert und erweitert werden kann. Inwiefern bleibt
dieser Aspekt durch Kambartels Konzept einer kritischen Vermittlung von
Religion und Moral unüberholt?

2. Name Gottes als Faktum der Religion?

Praktische Vernunft reflektiert die christliche Religion als eine ihr mögliche
Lebensform. Sie rekonstruiert dazu natürliche Religion' als Grammatik die-
ser Lebensform, ohne selbst eigentliche Religion begründen zu wollen. .Ei-
gentlich' aber wird Religion für Kant ,als Kirche' (als die .sichtbare Vorstel-
lung, das Schema eines unsichtbaren Reiches Gottes auf Erden'): „Man ver-
steht unter Religion nicht allein die Lehre aller Menschenpflichten als Gött-
licher Gebote (also nicht blos dieselbe objectiver Bedeutung) sondern auch
zugleich den Glauben an die Mittel deren sich die Vorsehung bedient sie (als
Kirche) zu gründen und zu erhalten (also in subjectiver Bedeutung). Jene
macht nur einen Theil von dem Umfange der letztern aus. Die Religion
innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft enthält alles das was eigentlich
Religion ausmacht. Der Glaube der Göttlichen Mittel in Ansehung der

10
Vgl. § 3,3.4.

140
Gründung derselben unter Menschen enthält außer jener noch mehr oder was
eigentlich die Religion ausmacht" (Vorarbeiten zur RGV, AA 23, 95). Die
Öffentlichkeit des ethischen gemeinen Wesens vollzieht sich bei Kant als
genuin sprachlich vermittelte, doch nicht nur diskursive Urteilspraxis. Ver-
mittelt ist sie durch die Kultur einer bestimmten religiösen, ethisch-eschatologi-
sehen Sprache, genauer noch: durch die Kultur eines heiligen Buches. Die
Angewiesenheit praktischer Vernunft auf existierende Gewissenskultur ist
gemeint, wenn Kant von Kirche spricht, die durch das Gnadenmittel einer
heiligen Schrift gegründet sei. Diese heilige Schrift indiziert das Faktum
eigentlicher Religion, welche nicht durch Vernunft und Geschichte gegründet
werden kann". Es durch vernünftige und historische Schriftexegese zu er-
innern und so in Urteilsgebrauch zu nehmen, daß Religion und Kultur einan-
der unterstützen. Das führt zur praktischen Hermeneutik von Verheißung
und Gesetz (in dieser Reihenfolge): „Glücklich!12 wenn ein solches den Men-
schen zu Händen gekommenes Buch, neben seinen Statuten als Glaubensge-
setzen, zugleich die reinste moralische Religionslehre mit Vollständigkeit
enthält, die mit jenen (als Vehikeln ihrer Introduktion) in die beste Harmo-
nie gebracht werden kann, in welchem Falle es ... das Ansehen, gleich einer
Offenbarung, behaupten kann." (RGV, B 153f; 7,768) Die gelesene und ausge-
legte Bibel ist als das „Gnadenmittel des Göttlichen oder menschlichen Ge-
brauchs" (Vorarbeiten zur RGV, AA 23, 95) zur „Stiftung und Erhaltung
einer Kirche" (ebd.) in den Gebrauch praktischer Vernunft zu nehmen.

Kants Kritik des historischen Systems der Offenbarung ist als Kritik der biblischen
und dogmatischen Theologie seiner Zeit durchgeführt. Die kantphilologische Inter-
pretation der Religionsschrift seit Josef Bohatec hat gezeigt, daß die zeitgenössische
biblische und dogmatische Theologie die Explikation der Vernunftreligion bis ins
Detail bestimmt. Die Ergebnisse der Kantphilologie erschließen sich in ihrem sach-
lichen Grund, wenn es zutrifft, daß es in der Religionsschrift Urteilskraft ist, die das
theologische Urteilsgefüge als Teilgrammatik praktischer Vernunft rekonstruiert.
Umgekehrt fällt Licht auf Kants Theologieverständnis: Theologie fungiert als histori-
sches Lehrsystem kirchlicher Schriftanwendungen.

Mit seinen vier .Philosophischen Grundsätzen der Schriftauslegung"3 arbeitet


Kant im .Streit der Fakultäten' diese Hermeneutik reduktiv aus: Die Bibel ist

11
So die bereits in § 3,4 mitgeteilte Reflexion Nr. 8098, AA 19, 642,11-13.
12
Hier merkt Kant an: „Ein Ausdruck für alles Gewünschte, oder Wünschenswerte, was
wir doch weder voraussehen, noch durch unsre Bestrebung nach Erfahrungsgesetzen herbei-
führen können; von dem wir also, wenn wir einen Grund nennen wollen, keinen andern, als
eine gütige Vorsehung anführen können."
13
Vgl. Streit, A 49-71; 9,303-315. Zentral sind die Dritte und Vierte Regel (Streit, A 58-
62; 9,308-310), welche mittels der Idee der moralischen Anlage (Streit, A 60; 9,308- 310) das
Geheimnis göttlicher Gerechtigkeit als Lebensform praktischer Freiheit exponieren. Die vier
.philosophischen Grundsätze der Schriftauslegung' fassen die Religionsschrift zusammen.

141
als göttliches Wort zur Gründung und Erhaltung eines Reiches Gottes auf
Erden 50 in Gebrauch zu nehmen, daß der gottesdienstlich institutionalisierte
Glaube und die christliche Dogmatik zumindest verschwinden können. So
scheint sich die Alternative zu stellen: Verlangt die Bibel als göttliches Wort
einen Pluralismus von Grammatiken, die sich als irreduzibel, aber auch
inkommunikabel erweisen? Oder ist von grammatischer Pluralität innerhalb
der einen Kultur der Vernunft zu sprechen?14 Es wird sich zeigen, daß eine
Antwort diese Alternative als zu kurz gegriffen zurückweisen muß: Die hei-
lige Schrift als Verheißung zu lesen, verlangt ein escbatologisches und dialogi-
sches Verständnis von Wahrheit und Gerechtigkeit des göttlichen Namens.

2.1 Grammatische Pluralität praktischer Vernunft

„Die moralische Argumentation ist weder die Grundlage noch die Form der
praktischen Rationalität in ihrer Gänze."15 Der rechtmäßige Konflikt der
Urteilspraktiken ist zunächst als Konkurrenz der Fakultäten institutionali-
siert. Die lokale Selbständigkeit der jeweiligen Urteilspraxis erweist sich
darin, daß sie sich der anderen gegenüber verantworten kann.
Von der philosophischen Seite erfordert dies, die .Philosophischen Grund-
sätze der Schriftauslegung' offenzulegen. Was an diesen Grundsätzen jetzt
interessiert, ist der Urteilsstandpunkt, der mit ihnen eingenommen wird.
Kant kennzeichnet ihn als den Standpunkt .authentischer' Schriftauslegung:
„Auf solche Weise müssen alle Schriftauslegungen, 50 fern sie die Religion
betreffen, nach dem Prinzip der in der Offenbarung abgezweckten Sittlichkeit
gemacht werden ... Auch sind sie alsdann nur eigentlich authentisch, d.i. der
Gott in uns ist selbst der Ausleger, weil wir niemand verstehen, als den, der
durch unsern eigenen Verstand und unsere eigene Vernunft mit uns redet, die
Göttlichkeit einer an uns ergangenen Lehre also durch nichts, als durch
Begriffe unserer Vernunft, so ferne sie rein-moralisch und hiemit untrüglich
sind, erkannt werden kann." (Streit, A 70, 9,314f) Wird mit diesem Stand-
punkt authentischer Schriftauslegung nicht doch jeder andere Urteilsstand-
punkt ausgeschlossen? Kann hier noch von einer experimentierenden Stand-
nahme gesprochen werden, die nur im Streit mit einer anderen möglichen
Standnahme bleibt, was sie zu sein beansprucht: Urteilspraxis, nicht Begrün-
dung eigentlicher Religion?

14
„Die grammatische Pluralität oder Vielfalt, welche eine Kultur der Vernunft bestimmt,
darf eben nicht mit Pluralismus verwechselt werden, dem Pluralismus widerstreitender
Meinungen über die ... Grammatik der Rationalität" (F. Kambartel, Welt, 38, vgl. 43).
15
F. Kambartel, Welt, 39.

142
2.2 Kritik aller Offenbarung: Idee einer moralischen Anlage

Zu dieser Frage findet sich in den Vorarbeiten zur Zweiten Vorrede der
Religionsschrift eine bemerkenswerte Reflexion, die sich wie eine Antwort
avant la lettre lesen läßt: „Es liegt aber in der Natur der Vernunft, daß sie
nicht fragmentarisch aufgesammelte Begriffe und Grundsätze in einem Ag-
gregat zusammensetzt sondern nothwendig auf Einheit und Selbständigkeit
ihrer Erkenntnis als Systems ausgeht. Daher darf es dem biblischen Theolo-
gen gar kein Anstoß seyn wenn jene behauptet sie sey für sich selbst die
ganze Religion und die Bibel könne wegfallen ohne daß dadurch die Religion
ihrem Geiste nach aus der Menschen Kentnis käme denn es kann wohl seyn
daß sie als Offenbahrung" (Vorarbeiten zur RGV, AA 23, 94f) - hier bricht
die Reflexion ab. Wogegen sich Kant sträubt, ist offensichtlich die Konse-
quenz des Gedankens: Gründet etwa Vernunftreligion als .Offenbarung
Gottes' in der „Göttlichkeit eines Ursprungs ..., der höher ist als alle Ver-
nunft (in der theoretischen Nachforschung der Ursache), und [sc. ist] daher,
sie besitzen, nicht Verdienst, sondern Gnade"? (Streit, A 60; 9,309) Völlig zu-
recht verweigert sich Kant dieser Konsequenz. Sie würde in den „vernunft-
tötende[n] Mystizism" führen (Streit, A 94; 9,328). Dieser faltet sich zwar hi-
storisch in die Spener-Franckische und Mährisch-Zinzendorfsche Antinomie
aus (Streit, A 88f; 9,325). Doch diese historische Antinomie steht nur für die
unvermeidliche Antinomie zweier Religionssekten (nicht: Kirchensekten), die
sich auf das mystische Gefühl übernatürlicher Gnadenmitteilung, also auf die
innere Erfahrung übernatürlicher Offenbarung, berufen (Streit, A 83f; 9,322).
Angesichts dieser Antinomie einer behaupteten vernunftreligiösen Offenba-
rungserfahrung nimmt Kant eine entscheidende Präzisierung seines Stand-
punkts vor, die man zu Recht als prinzipielle Kritik des Offenbarungsbegriffs
umschrieben hat.16 In der Tat: „Den unmittelbaren Einfluß der Gottheit als
einer solchen fühlen wollen ist, weil die Idee von dieser bloß in der Vernunft
liegt, eine sich selbst widersprechende Anmaßung." (Streit, A 90, 9, 326) Wie
in der Kritik der reinen Vernunft, in der die kosmologischen Antinomien zur
kopernikanischen Wende und ihrer doppelten Standnahme führen, so nötigt
die vernunfttötende Antinomie zu einem neuen Standpunkt jenseits aller
möglichen Offenbarungserfahrung.
Kant bezieht den neuen Standpunkt der moralischen Anlage: „diese mora-
lische, von der Menschheit unzertrennliche Anlage in uns ist ein Gegenstand
der höchsten Bewunderung, die, je länger man dieses wahre (nicht erdachte)
Ideal ansieht, nur immer desto höher steigt: so daß diejenigen wohl zu ent-

16
R. Wimmer, Religionsphilosophie, 181 (vgl. Streit, A 90; 9,326): „Die Behauptung einer
supranaturalen Offenbarung, Erfahrung oder Begegnung Gottes läßt sich nicht nur nicht be-
weisen, sondern definitiv, und zwar begriffsgrammatisch, widerlegen, weil schon der (ver-
meintliche) .Begriff einer übernatürlichen Erfahrung bzw. der Versuch, einen solchen zu
bilden, ,an sich selbst ein Widerspruch ist'".

143
schuldigen sind, welche, durch die Unbegreiflichkeit desselben verleitet, dieses
Übersinnliche in uns, weil es doch praktisch ist, für übernatürlich ... halten;
worin sie aber sehr fehlen; weil die Wirkung dieses Vermögens alsdann nicht
unsere Tat sein, mithin uns auch nicht zugerechnet werden könnte, das Ver-
mögen dazu also nicht das unsrige sein würde. - Die Benutzung der Idee
dieses uns unbegreiflicher Weise beiwohnenden Vermögens ... enthält nun die
echte Auflösung jenes Problems (vom neuen Menschen)" (Streit, A 92f; 9,328,
Kursive z.T. HA). Was heißt es, von der Erfahrung der Offenbarung zu
abstrahieren, ohne Offenbarung überhaupt auszuschließen, „die a priori für
sich selbst besteht"? (Vorarbeiten zur RGV, AA 23, 96) Zwei konkurrierende
Interpretationen sind möglich.

2.3 Reine Mystik oder Negativität göttlichen Namens?

Geht Kant mit der Idee einer übersinnlichen Anlage angesichts der Antino-
mie mystischer Gefühlstheorie zur reinen Mystik über? Reine Mystik chiffrie-
re .Offenbarung' als unbegreifbare Selbstbestimmung des noumenalen Men-
schen, die von der Bestimmung durch einen Gott in uns ununterscheidbar
sei: „Das Gesetz dieser Vernunft tritt dann wie eine Offenbarung vor den
sinnlich und verstandesmäßig orientierten Menschen, als eine Offenbarung
allerdings, die ihm nur als homo phaenomenon wie fremd und von außen
gegenübertritt, von der er aber in praktischem Glauben gewiß sein kann, daß
es sein eigenes Gesetz ist, das er sich selbst gibt, insofern er homo noumenon
ist. Solche Offenbarung transzendiert mithin nicht seine Natur (als Geistna-
tur), der er allerdings nicht wissend gegenübersteht, sondern mit der er sich nur
praktisch (glaubend und handelnd) identifizieren kann."17 Klarer wäre es dann
allerdings, auf .Offenbarung' ganz zu verzichten: „Zum Kern jeder wahren
Religion müßte der Satz zählen, daß wir uns, wenn wir unseren religiösen
Reden einen Realitätsbezug geben wollen, nicht außerhalb unseres Lebens
(der Grenzen unseres Lebens) aufstellen können ... Die religiösen Formeln
und Sätze vergegenwärtigen das richtig verstandene Leben selbst. Sie bedürfen
dazu keiner externen (transzendenten, supranaturalen) Stütze, weder seman-
tisch (für ihr Verständnis) noch, was ihren Wahrheitsanspruch angeht."n Elimi-
nation von .Offenbarung' führt so zum Versuch, Grundtermini christlicher
Rede von Gott als ,synkategorematisch erlernte' Rede zu interpretieren.
Anstatt von Gott ist von bestimmten, praktischen Einstellungen zum Leben
im ganzen zu sprechen - ein Versuch, der Kants Religionskritik mit Wittgen-
steins Ethik vollendet.
Es ist aufschlußreich, wie diese Reduktion ein mystisches Verständnis von
.Geheimnis' zur Folge hat: „Das Grundgeheimnis eines reinen moralischen

17
R. Wimmer, Religionsphilosophie, 182.
" F. Kambartel, Welt, 100 (Kursive HA).

144
Vernunftglaubens, das die Quelle aller besonderen Glaubensgeheimnisse ist,
besteht in der Unbegreiflichkeit der Vereinbarkeit von menschlicher noume-
naler Freiheit und als unabdingbar anzusehender göttlicher Mitwirkung zum
moralischen Endzweck des einzelnen Menschen und der Menschheit in einem
ethischen Gemeinwesen."19 Vernunftglaube meint, sich in diesem Geheimnis
als Lebensform praktischer Vernunft vorzufinden und darin zu urteilen. Dies
sei der von Kant intendierte kultlose, richtig schweigende „Geist des Gebets"
(RGV, B 302; 7.871).20 Dieses kultlose und kultkritische Verständnis von
Geheimnis formuliert Friedrich Kambartel exemplarisch klar: „Wenn wir das
Mysterium des Lebens (das Leben) unverstellt gesehen haben, können wir
beruhigt sterben, es gibt darüber hinaus nichts Neues auf der Welt, das uns
der Tod entziehen könnte ... Das ist der Trost der Religion".21
Jedoch: Warum gilt Kants Kritik, in zunehmender Schärfe, gerade dieser rei-
nen Mystik?22 Diese Frage markiert weit mehr als nur das kantphilologische
Problem einer mystischen Interpretation. Vielmehr liegt Kants Kritik reiner
Mystik - so unsere These - das negative Wissen darum zugrunde, daß Wahr-
heit .eschatologisch' aussteht, weil sie ihr inkommensurables Maß in gött-
licher Gerechtigkeit hat. Das ist aber der Grund, weshalb ,der göttliche Name'
(,Gott' als ,der Name') nicht auf bloß synsemantisch erlernte Verwendungen
reduziert werden kann: „Nimmt man den [sc. eschatologischen] Wahrheitsan-
spruch christlicher Rede ... ernst, dann ist die designatorische Funktion von
,Gott' und der damit intendierte referentielle Akt wesentlich für sie und
kann nicht systematisch durch Bezugnahme auf andere Gegenstände ersetzt
und so eliminiert werden."23 Nun nimmt Kant den eschatologischen Wahr-
heitsanspruch christlicher Rede in der Tat ernst, wenn anders er diese Rede
als Verheißung reflektiert, um sie als Lebensform der Selbstzufriedenheit, der
Liebe, der Verantwortlichkeit und eben darin als Lebensform des Geheim-
nisses kreatürlicher Freiheit in Gebrauch zu nehmen. Aber dennoch vollzieht
er eine entscheidende Elimination. Diese Operation bildet Anfang und
Grundlegung alles Weiteren: Der göttliche Name, das .Faktum der Religion',
wird reflektiert als Faktum der Vernunft.24 Das genuine Hören und ikonische
Sehen des göttlichen Namens, der sich gibt, wird eliminiert. Elimination des gött-
lichen Namens reflektiert ,den Namen' als absolut negatives, selbstreferentielles
Zeichen: als Stimme des Gesetzes. So wird die Negativität der Hoffnung tran-
szendental grundgelegt, um als enthusiastische Hoffnung fühlbar zu werden. Das
negativistische Geheimnis signalisiert den eliminierten Namen.

" R. Wimmer, Religionsphilosophie, 184.246f; ders., Opus Posthumum, 219-270.


20
Vgl. R. Wimmer, Religionsphilosophie, 214; F. Kambartel, Theo-Logisches, 34; ders.,
Welt, lOlf.
21
F. Kambartel, Welt, 101.
22
Vgl. D. Henrich, Begriff, 40-59.
25
I.U. Dalferth, Gott, 28.
21
Zur ,Gabe des göttlichen Namens' als Faktum der Religion: § 9 und 10.

145
Dies ist das Wahrheitsmoment der zutiefst problematischen These Lyotards: „Die
,negative Darstellung' ist das Zeichen der Präsenz des Absoluten, und sie ist oder
gibt das Zeichen nur dadurch, daß sie den Formen des Darstellbaren entzogen ist.
Das Absolute bleibt also undarstellbar ... Aber die Einbildungskraft kann in der
Leere, die sie jenseits ihrer ,Zusammenfassungs'kapazität entdeckt, seine .Präsenz',
fast wie eine Wahnvorstellung, signalisieren.""

Der Verzicht auf .Offenbarung' erhält, so verstanden, einen anderen Sinn:


Weil .Offenbarung' fast unausweichlich als archäologisches Erkenntnisprinzip
mißverstanden wird, deshalb ersetzt Kant diesen Terminus durch die Idee der
moralischen Anlage. Durch sie begründet er die Eschatologie praktischen Ur-
teilens als rationale Lebensform und Kultur, um sie symbolisch exponieren zu
können. Entscheidend dafür ist die Elimination des göttlichen Namens, des
Faktums der Religion.
Die Pointe der Idee der Anlage ist also einerseits ihre Unterscheidungslei-
stung gegenüber der Dialektik reiner Mystik.26 Mit der Idee der moralischen
Anlage schafft sich das Gewissen als praktische Urteilskraft die Grundlegung,
um eschatologische Rechtfertigung und Verifikation offen zu halten, ohne
Offenbarungstheologie zu restituieren. Der archäologische Begriff von .Offen-
barung' würde in der Tat menschliche Urteilskraft auf das metaphysische
Axiom, daß Gleiches nur durch Gleiches zu erkennen sei, zurückwerfen.27
Die Idee der Anlage eröffnet aber andererseits die praktische Mystagogie,
die nach dem Faktum der Vernunft als göttlicher Stimme von sich aus an-
fangend fragen kann, um sich selbst in negative Hoffnung einzuführen. Allein
durch die negative Hoffnung der Richterschaft Gottes ist die nicht-archäologi-
sche Rede von Gott als Gesetzgeber und Schöpfer legitimiert, zu der Kant in
seinen Spätschriften kommt: „(Weil nichts die Freyheit beweiset als das
moralische Gesetz in mir durch den categorischen Imperativ, dieser aber eben
darum allgebietend und allgewaltig, d.i. das Subject dieser hohen Würde Gott
ist, so ist Gott selbst, der Menschen zum Menschen selbst gebietet, also ein An-
drer, der doch aber Gott und der Ewige ist.) Religionsglaube als Geschichts-
oder Vernunftglaube. Der erste [sc. Geschichtsglaube] setzt Offenbarung

25
J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 172.257f. Der exoterischen Rede von der Präsenz
des Absoluten entspricht die esoterische Rede vom .Geheimnis der göttlichen Stimme' und
vom ,zu erhandelnden göttlichen Namens', ders., Ein Bindestrich, 23.27.29.135. Problema-
tisch ist Lyotard in seiner negativistischen Reduktion von Negativität auf die Analytik des
Erhabenen, vgl. § 7,2.3.
26
Reflexion 8105, AA 19, 647-649 zeigt Kants Absicht, sowohl die Identifikation der
Natur als Gnade (reine Mystik) wie die Identifikation der Gnade als Natur (pietistische
Gefühlstheorie) dialektisch zu zersetzen, „das eine so wie das andere Princip durch die
Entgegensetzung zweyer Theorien - sich beyde zernichten zu lassen" (a.a.O., 648). Kant
formulien dies übrigens als Kritik an Willmans, der Kants Religionsphilosophie als reine
Mystik im Sinne der Separatisten interpretiert hatte, vgl. Streit, A 115-127; 9,340-347.
27
Vgl. Reflexion 8101, AA 19, 643f (1794/95).

146
voraus u n d ist empirisch; der zweyte ist a priori begründet, aber nur für die
practische Vernunft und nicht von Zeit und Ort abhängig. M u ß nicht jeder-
zeit die Vernunft es seyn, welche das Bedürfnis selbst einer Offenbarung fühlt
und so n u r ein sinnliches Mittel zu dieser Beruhigung auffaßt oder sich selbst
a 28

2.4 Arbeit am fühlbaren Geheimnis: Elimination kultischer Zeichen

In nuce ist in dieser Reflexion das Programm der Religionsschrift enthalten:


Im eigentlichen Religionsglauben wird der kategorische Imperativ als Gebot
Gottes symbolisiert, der Menschen zum Menschen selbst gebietet. Das Fak-
t u m der Vernunft wird keineswegs als göttliche .Offenbarung' restituiert.
Vielmehr führt A u t o n o m i e auf das gefühlte Bedürfnis einer .Offenbarung',
durch das sich rationale Hoffnung orientiert: Sie bedarf des Richters. Das
führt z u m Religionsglauben, der als Geschichtsglaube davon ausgeht, daß der
Richter in einer heiligen Schrift redet. Kann Kant deshalb biblische Rede als
Verheißung gelten, so ersetzt er göttliche Offenbarung durch die Idee der
moralischen Anlage, mittels derer sich Gewissen als äußeres und inneres
Hören reflektiert. Durch die „Idee dieses uns unbegreiflicher Weise beiwoh-
nenden Vermögens" (Streit, A 93; 9,328, Kursive HA) stellt sich das Gewissen
in die Erwartung göttlicher Gerechtigkeit und Wahrheit als weiterer Sphäre,
die Vernunftreligion unter sich begreift, ohne daß Vernunftreligion sie in sich
begreifen kann (RGV, B XXIf; 7,659).
Es ist das .Geheimnis' dieser sich selbst entdeckenden Urteilspraxis des Ge-
wissens, daß G o t t als Richter, als Gesetzgeber und als Regent Gerechtigkeit
frei mitteilen können, ohne daß dies affirmativ behauptet wird. Dieses Ge-
heimnis der Religion wird durch kritische Arbeit als Geheimnis der Vernunft
fühlbar:

Das Hören der .ehernen Stimme' des Gesetzes „regt durch das Erstaunen über die
Größe und Erhabenheit der inneren Anlage in der Menschheit, und zugleich die
Undurchdringlichkeit des Geheimnisses, welches sie verhüllt (denn die Antwort: es
ist die Freiheit, wäre tautologisch, weil diese eben das Geheimnis selbst ausmacht),
die ganze Seele auf ... und diese Bewunderung ist eben das aus Ideen erzeugte Ge-
fühl, welches, wenn, über die Lehren der Moral von Schulen und Kanzeln, noch die
Darstellung dieses Geheimnisses eine besondere oft wiederholte Beschäftigung der
Lehrer ausmachte, tief in die Seele eindringen, und nicht ermangeln würde, die
Menschen moralisch besser zu machen. ... Das ist nun das Geheimnis, welches nur
nach langsamer Entwickelung der Begriffe des Verstandes und sorgfältig geprüften
Grundsätzen, also nur durch Arbeit, fühlbar werden kann. - Es ist ... a priori (als
wirkliche Einsicht innerhalb der Grenze unserer Vernunft) gegeben, und erweitert

2!
Reflexion 8105 (1799), AA 19, 647 (Kursive z.T. HA).

147
sogar das Vernunfterkenntnis, aber nur in praktischer Rücksicht, bis zum Übersinn-
lichen: nicht etwa durch ein Gefühl, welches Erkenntnis begründete (das mystische),
sondern durch ein deutliches Erkenntnis, welches auf Gefühl (das moralische) hin-
wirkt." (Ton, B 418f; 5,392f)

Die öffentliche Urteilspraxis des Gewissens als sich im Geheimnis göttlicher


Gerechtigkeit orientierendes Hoffnungsgefühl zu exponieren, ohne sie theo-
nom zu begründen, ist Sinn der Religionsschrift. Darin folgt sie der akroama-
tischen Methode, die ihre Beweise durch Worte führt. Nicht durch intuitive,
sondern nur durch diskursive Erkenntnis, nur nach langsamer Entwicklung
der Begriffe des Verstandes und sorgfältig geprüften Grundsätzen, also nur
durch Arbeit, kann das Geheimnis fühlbar werden. In den ,J>arerga der
Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft" (RGV, B 63 Anm.;
7,704) wird diese Orientierung als reflektierender Glaube bezeichnet.29
Die Aporie dieses Glaubens ist sein Negativismus, unter der ihm das escha-
tologische Geheimnis Gottes allein mitteilbar wird. Daß Kants reflektierender
Glaube auf das eschatologische Geheimnis göttlicher Gerechtigkeit stößt,
zugleich aber kultische Zeichen dieses Geheimnisses destruiert, insbesondere
Gebet und Sakrament: Taufe, Absolution und Herrenmahl - das ist die Apo-
rie der Religionsschrift, die uns zu beschäftigen hat. Die Aporie der radikalen
Kultkritik Kants ist Symptom des eliminierten göttlichen Namens. Legitimität
und Dialektik der Kultkritik Kants liegen hier untrennbar ineinander.

3. Dialektik radikaler Kultkritik:


Jüdische Religion als politische Religion

Praktische Vernunft reflektiert christliche Religion als mögliche Lebensform.


Natürliche Religion ist die Grammatik dieser Reflexion. Sie darf nicht selbst
eigentliche Religion begründen wollen! Gerade dies ist die Versuchung der
natürlichen Religion (als bloßer Urteilsgrammatik): Sie möchte selbst eigentli-
che Religion begründen, einen Kult der Vernunft aus reiner Pflicht gegen
Gott. Die Dialektik des Gewissens als eschatologischer Urteilskraft30 mani-
festiert sich im Kult der Vernunft. Die singulare und ultimative Schärfe der
Kultkritik Kants31 resultiert aus der Einsicht in diese Dialektik.

Die Kritik des christlichen Gottesdienstes als ,Afterreligion' und .Pfaffentum', in der
die Religionsschrift kulminiert, wirkt heute (selbst auf hervorragende Kantinter-
preten) peinlich, weil sie Kant als typischen Aufklärer' zu zeigen scheint. Das

M
Im selben Zug, in dem Kant in der Vorrede zur Zweiten Auflage .Offenbarung' kritisch
eliminiert, expliziert er in dieser Anmerkung, die er erst der Zweiten Auflage beifügte, die
Gnadenwirkungen Gottes: Wunder, Geheimnisse und Gnadenmittel.
30
Vgl. § 3,1.2.
31
Dazu: W. Schmidt-Biggemann, Art. Kult, HWP 4, 1300-1309, v.a. 1303-1305.

148
Gegenteil ist jedoch der Fall: Das Verständnis natürlicher Religion als eigentlicher
Religion, begründet in der metaphysischen Pflicht zur Gottesverehrung, also die
Begründung eines Kultes der Vernunft, fand Kant vielmehr in der aufklärerischen
Moralphilosophie von Wolf und Baumgarten vor; er vertrat diesen affirmativen Kult-
Begriff bis 1783/84 noch selbst."

Es ist keineswegs zufällig, daß mit dem Durchbruch zur Kritik, also mit der
Grundlegung praktischer Vernunft im ,Faktum der Vernunft', die Idee der
Offenbarung und zugleich die Idee eines Kultes der Vernunft der Polemik
verfällt: Ein Kult der Vernunft würde rationale Hoffnung auf mögliche
Kreatürlichkeit definitiv zerstören. Kant mußte den metaphysischen ,Kult' auf-
heben, um zum Hoffen Platz zu bekommen.
Gerade im Blick auf die Kritik des christlichen Gottesdienstes als mögliche
Idololatrie betont Kant zu Recht, er habe sich in der Religionsschrift „keine
Abwürdigung desselben [sc. des Christentums]... zu Schulden kommen lassen"
(Streit, A XVI; 9,270). Nur die Begründung des christlichen Glaubens als
natürliche Religion und infolgedessen die Ausübung des christlichen Kultes
als .Staats-' und .Bürgerreligion' wird in der Religionsschrift .abgewürdigt'.

Diese Kritik gilt der Bibel als der positiven Lehrgrundlage der von der landesherr-
lichen Religionsgesetzgebung legitimierten öffentlichen Landesreligion. Sie gilt der
Theologie als staatlicher Fakultät, sofern sie die Ausbildung staatlich legitimierter
Religionsbeamter (,Pfaffen') gegenüber dieser Religionsgesetzgebung zu verantworten
hat. Sie gilt vor allem dem christlichen Gottesdienst ah der öffentlichen Ausübung
der naturrechtlich begründeten (und möglicherweise staatlich positivierten) Reli-
gionspflicht. Diese naturrechtliche Begründung des christlichen Gottesdienstes und
Gebets fand Kant in der reformierten Dogmatik Stapfers, seinem Referenztext, vor."

Die Kritik des öffentlichen Gottesdienstes und der Sakramente Taufe und
Abendmahl im Vierten Stück der Religionsschrift und ihre .Abwürdigung' zu
sozialpsychologischen Vehikeln der Vernunftreligion ist von dieser Vernunft-
kritischen Stoßrichtung her zu interpretieren: Sie zielt auf den moralmetaphy-
sisch-naturrechtlichen Begriff der Pflicht gegen Gott. Theologisch zentral da-
ran ist Kants Kritik am moralmetaphysischen Begriff von .Kult' und .Gerech-
tigkeit Gottes'. Darauf hat sich das Interesse zu konzentrieren:
Vernunftreligion als .Kult' auszuüben, gründet in der Amphibolie der Re-
flexionsbegriffe .Form' und .Materie'.34 Sie gründet damit in der Verwirrung
praktischer als symbolisierender Urteilskraft, die in ihrem Verständnis von
Pflicht Form und Materie verwechselt. Zur Debatte steht mit dieser Frage
nicht weniger als die Dialektik der praktischen Typik und Symbolisation
selbst, mithin die Frage einer Dialektik der Hoffnung. Das ist der Grund,

32
Vgl. F. Delekat, 341f bzw. 356f.
33
Vgl. J.F. Stapfer, Grundlegung, 10,640f.559. Dazu: J. Bohatec, 421.429-439.457-526
34
Vgl. MST, A 181f; 7,628f; KrV, B 316-349 (3,285-307); KrV, B 322-324; 3,289-291.

149
weshalb Kant im Zentrum seiner Kultkritik nochmals die Frage nach Wahr-
heit und Schein anthropomorpher Symbolisierung aufwirft:35
Die Amphibolie der Reflexionsbegriffe Form und Materie (die Verwechs-
lung des reinen Vernunftobjekts mit seiner Symbolisation, vgl. KrV, B 326;
3,292) führt dazu, daß die vernunftreligiöse Pflicht sui generis: der Übergang
ins ethische gemeine Wesen, verkehrt wird. In Wahrheit leitet diese Metaregel
an, alle Pflichten als Pflicht der Menschheit gegen sich selbst zu verstehen (und
darin als vor Gott zu verantwortendes, nur insofern göttliches Gebot). Dialek-
tisch wäre es, sie als materiale Pflicht gegen Gott selbst mißzuverstehen. Wir
sollen durch das Gesetz unserer Vernunft Andere und uns selbst stets auch als
Zwecke an sich, als mögliche Geschöpfe achten. Wir dürfen aber nicht glauben,
darin Gott selbst als Schöpfer zu achten und ihm einen Dienst zu erweisen;
„nur die moralischen Verhältnisse des Menschen gegen den Menschen [sind] für
uns begreiflich ... was aber zwischen Gott und dem Menschen hierüber für
ein Verhältnis obwalte" (MST, A 188; 7,632), übersteigt die Grenzen der
Ethik und ist uns schlechterdings unbegreiflich.
Bedürfte Gott der Achtung, so bedürfte sein Recht der Anerkennung. Gott
aber ist Richter, der über Verbrechen und Schuld entscheidet, eben weil seine
Ehre nicht selbst zurechenbar verletzt werden kann. Richterschaft gründet in
unverletzbarer, weil inkommensurabler Gerechtigkeit.36
Die definitive Kritik am Kult als Pflicht gegen Gott und des metaphysi-
schen Begriffs von Schuld als Verletzung dieser Pflicht, will der vernünftigen
Hoffnung einer guten Schöpfung die Stelle frei halten. Anderenfalls wäre
diese Hoffnung, auch nur als Möglichkeit der Vernunft, nicht zu retten.
Erneut greift Kant zum Mittel der polemischen Fiktion, um diesen „Keim der
Anfechtungen, der in der Natur der Menschenvernunft liegt" (KrV, B 805;
4,658) auszurotten: Könnte wirklich Gott selbst in seinem Recht verletzt wer-
den, so hätte seine Gerechtigkeit „bei der etwanigen großen Menge der
Verbrecher, die ihr Schuldenregister immer so fortlaufen lassen" (MST,
A 187; 7,632) den Zweck der Schöpfung nicht in die Liebe seiner Geschöpfe zu
setzen, sondern in die strenge Ausübung der Strafe als seiner Ehre. Angesichts
des radikal Bösen hätte die Weltschöpfung selbst „unterbleiben müssen, die
ein, der Absicht ihrer Urhebers, die nur Liebe zum Grunde haben kann, so
widerstreitendes Produkt geliefert haben würde" (MST, A 188; 7,632). Der
Nihilismus des metaphysischen Kults ist der wahre Grund des Opfers in den

55
Vgl. RGV, B 256-260; 7,839-841.
36
„Es ist aber doch in der Idee einer Gerechtigkeitsausübung eines Wesens, was über allen
Abbruch an seinen Zwecken erhaben ist, etwas, was sich mit dem Verhältnis des Menschen
zu Gott nicht wohl vereinigen läßt: nämlich der Begriff einer Läsion, welche an dem un-
umschränkten und unerreichbaren Weltherrscher begangen werden könne; denn hier ist
nicht von den Rechtsverletzungen, die Menschen gegen einander verüben und worüber Gott
als strafender Richter entscheide, sondern von der Verletzung, die Gott selber und seinem
Recht widerfahren solle, die Rede, wovon der Begriff transzendent ist ..." (MST, A 184f;
7,630)

150
Kulten: Das möglich Un-Recht, überhaupt zu sein, verlangt, durch Opfer
kompensiert zu werden, die den Schein von Versöhnung erzeugen.37
Würde der christliche Gottesdienst begründet aus dieser Pflicht zum Opfer
als Sühne verletzter Ehre, die jederzeit vernichten könnte, so würde er zur
politischen Religion. Politische Religion jedoch, polemisch zu Ende gedacht,
kann keine Hoffnung kennen. Inbegriff dieses Kults ist das Opfer, das nie
genugtut, weil nur Vernichtung der Schöpfung annähernd kommensurable
Strafe wäre. Temporalität wäre dann Index dieser Gerechtigkeit.
Erst die radikale Kritik der Vernunftreligion als ,Kult' schafft Platz für ein
Verständnis von .Religion' als mitweltlicher und (ex negativo) kreatürlicher
Lebensform praktischer Freiheit als Inbegriff der Hoffnung. Es ist das Be-
wußtsein, die Kritik des Kults als Kritik am Kult der Vernunft vollendet zu
haben, die Kant zur berühmten Einschätzung seiner Epoche bringt: „Fragt
man nun: welche Zeit der ganzen bisher bekannten Kirchengeschichte die
beste sei, so trage ich kein Bedenken, zu sagen: es ist die jetzige..."3S
Allerdings, und dies ist der entscheidende Punkt einer Dialektik der Auf-
klärung bei Kant selbst: Durch seinen polemisch-negativen Begriff von ,Kult'
verstellt Kant das eschatologische Verständnis gottesdienstlicher Zeichen als ge-
nuiner Zeichen der Hoffnung. Kant destruiert für lange Zeit das genuine Ver-
ständnis kultischer Zeichen als Symbole der Hoffnung. Er eliminiert mit dem
göttlichen Namen kultische, ikonische Zeichen als Zeichen des göttlichen
Namens. Er verschüttet vor allem die Erkenntnis, daß sichtbare Hoffnung des
göttlichen Namens und seiner Unendlichkeit in genuinen gottesdienstlichen
Zeichen fühlbar wird. Er destruiert den Zusammenhang von Geheimnis und
Sakrament.
Das klare Symptom dieser Dialektik ist Kants antijudaistische Polemik gegen
jeden jüdischen Kult. Dieser wird geradezu als Inbegriff politischer Religion
denunziert: „Der jüdische Glaube ist, seiner ursprünglichen Einrichtung nach,
ein Inbegriff bloß statutarischer Gesetze, auf welchem eine Staatsverfassung
gegründet war; denn welche moralische Zusätze ... ihm angehängt worden
sind, die sind schlechterdings nicht zum Judentum ... gehörig. Das letztere ist
eigentlich gar keine Religion, sondern bloß Vereinigung einer Menge Men-
schen, die ... sich zu einem gemeinen Wesen unter bloß politischen Gesetzen,
mithin nicht zu einer Kirche formten ... Daß diese Staatsverfassung Theo-
kratie zur Grundlage hat ..., mithin der Name von Gott, der doch hier bloß
als weltlicher Regent, der über und an das Gewissen gar keinen Anspruch
tut, verehrt wird, macht sie nicht zu einer Religionsverfassung."39
Kants „Mißurteil über das Judentum" trifft jüdische Religionsphilosophie
und Theologie an ihrem „empfindlichsten Punkt". Es wurde ihm gerade von

37
Vgl. RGV, B 256; 7,839 bzw. RGV, B 259 Anm.; 7,840.
>! RGV, B 197f; 7,797. Dazu: J. Bohatec, 433-435.457-477.
" RGV, B 186; 7,789f; RGV, B 189f; 7,792.

151
Hermann Cohen, dem Begründer des Neukantianismus, „nicht verziehen".40
Nicht zufällig gilt Hermann Cohens und Franz Rosenzweigs denkerisches Be-
mühen einer neuen eschatologischen Theorie des jüdischen Gottesdienstes
und seiner Zeichen. Pointe dieser Theorie ist der Nachweis des genauen
Gegenteils: Gottesdienst im göttlichen Namen ist Kritik aller politischen
Religion und Theologie, Vollzug eschatologischen Urteils über Geschichte:
„Israels Ewigkeit ist ... seine Unabhängigkeit von der Geschichte und seine
Fähigkeit, die Menschen als jederzeit reif für das Gericht zu betrachten, ohne
daß sie das Ende der Geschichte mit seinem angeblich abschließenden Sinn
abwarten müßten."41 Diese neue eschatologische Theorie gottesdienstlicher
Zeichen ist für christliche Theologie von höchstem Interesse - angesichts
einer Theoriegeschichte der Reduktionen.

4. Sakrament als politisch-eschatologisches Zeichen: signum prognosticon

Hannah Arendt hat Kants Analyse des Geschmacks als verkappte Theorie
politischer Urteilskraft reinterpretiert.42 Diese Deutung erfuhr triftigen Wi-
derspruch.43 Richtig bleibt Arendts Fingerzeig, daß Kants Kritik der Urteils-
kraft im Kern als Kritik politischer Theologie und Religion gelesen werden
kann, die sich nicht zuletzt gegen die latente Geschichtstheologie der Ersten
Kritik richtet.44 Kants Analyse ästhetischer Urteilsbildung läßt sich für eine
Theorie ethisch-politischer Urteilsbildung reformulieren. Über Arendt hinaus
ist aber der eschatologische Charakter dieser Theorie zu pointieren. Das Er-
gebnis ist überraschend: Kants Begriff einer .wahrsagenden Geschichte als einer
a priori möglichen Darstellung des beständigen Fortschritts zum Besseren' (Streit,
A 132; 9,351), seine berühmteste Probe politisch-eschatologischer Urteilsbil-
dung, ist im Kern eine ethisch-eschatologische Transformation des Begriffs .Sakra-
ment': sacramentum ist das unerhörte Geschichtszeichen, signum rememorativum,
demonstrativum et prognosticon a priori wahrsagender Geschichte. Der politisch-
eschatologische, nicht geschichtstheologische Sinn von Sakrament als zeichen-
vermittelte ethisch-eschatologische Öffentlichkeit substituiert das eliminierte
kultische Sakrament und seine gottesdienstlich-eschatologische Öffentlichkeit.
Dies ist eine vergessene Kehrseite der Kultkritik Kants. Der Befund ist also
paradox, denn es fällt bei Kant erneut auseinander, was zusammengehört, nun

40
Das berichtet Franz Rosenzweig über Hermann Cohen (Einleitung in die Akademieaus-
gabe der jüdischen Schriften Hermann Cohens, in: Zweistromland, 177-223, 213 Anm. 31).
Die posthum zu veröffentlichende Metakritik Cohens zu Kants AntiJudaismus muß als ver-
schollen gelten.
41
E. Levinas, Rosenzweig, 120f.
42
H. Arendt, Das Urteilen; daneben: dies., Vom Leben des Geistes II.
43
Vgl. J.-F. Lyotard, Der Enthusiasmus. Kants Kritik der Geschichte.
44
Vgl. § 2,2.3.

152
aber mit umgekehrten Vorzeichen: Wie in der theologischen Theoriegeschich-
te des Begriffs sacramentum der kultisch-rituelle Begriff des sacrum signum
den eschatologisch-politischen Begriff des typologischen Vor-Zeichens (myste-
rium, sacramentum) verdrängte, beginnend mit Augustin, abschließend im
Hochmittelalter, so substituiert jetzt der eschatologisch-politische Begriff des
signum prognosticon den kultischen Begriff des Sakraments. 45 Doch das sacrum
signum ist exemplarisches signum prognosticon, wenn anders der Gottesdienst
exemplarisches geschichtlich-politisches Handeln ist. Dieser Zusammenhang,
der z.B. für C o h e n und Rosenzweig essentiell ist, m u ß in der Theorie des
Gottesdienstes erst wieder gewonnen werden.

EXKURS: ESCHATOLOGIE UND ETHISCHE BESCHREIBUNG


Den Referenzrahmen der folgenden Analyse bildet eine theologische Theorie
ethisch-politischer Urteilsbildung im eschatologischen Begründungszusammenhang.46
Die kritische Unterscheidung und Vermittlung eschatologischer und politischer Be-
schreibung politischen Handelns ist für ethische Urteilsbildung und politische Ver-
antwortung essentiell. Das wird sofort deutlich angesichts defizitärer eschatologischer
Beschreibungen politischen Handelns, die das politische Handeln und die darin sich
zeigende und mitteilende Freiheit überbegründen.47 Die geschichtstheologische Über-
begründung politisch-revolutionären Handelns aus begriffener oder erinnerter Ge-
schichte und antizipierter Zukunft Gottes führt zur politischen Theologie: Glaube
wird dann z.B. beschrieben als geschichtlich-gesellschaftliche Praxis in solidarischer
Hoffnung auf den Gott Jesu, der als Gott der Lebenden und Toten (Opfer) alle ins
Subjektsein ruft und darin das Subjekt eschatologischer Glaubenspraxis bildet.48
Politisch-ökonomische Gegensätze werden apokalyptisch chiffriert. Die gesellschafts-
kritische Frage nach (De)Legitimation von Herrschaft überdeckt die ethische Frage
nach Verantwortbarkeit politischen Handelns. „Der Schrecken vor dem Abgrund
[sc. der Freiheit] läßt die politische Theologie entstehen."49
Im Begriff von Handlungsfreiheit als kontingentem Anfangen und im Begriff von
Urteilsfreiheit als Verantwortung trifft sich demgegenüber Eschatologie mit politi-
scher Ethik: Die Kontingenz des freien Anfangens oder Nicht-Anfangens, die im
Handeln oder Unterlassen zu verantworten ist, gilt als Grundfrage politischer Pra-
xis.50 Ohne daß es sich in seinem Anfangen begründet und ohne daß es den un-
absehbaren Wirkungsraum seiner Folgen ermessen kann, soll politisches Handeln
Gründe nennen und, vorausblickend auf sein Ende, Folgen verantworten könnend
Eschatologie als Lehre vom .Ende aller Dinge' im letztgültigen Urteil (.Gericht
Gottes') und von der Verheißung (also von Gottes im Namen Jesu gültiger Verhei-

45
Zur Problemgeschichte: W. Pannenberg, Systematische Theologie 3, 369-389, v.a. 38 lf.
46
Im Anschluß an H. Arendt hat H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, v.a. 175-253.299-
311, Grundlegendes für diese Theoriebildung geleistet. Seine Untersuchung ist im Folgenden
durchgängig vorausgesetzt und wird v.a. in § 13 fortgeführt.
47
H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 264.303f.
41
J. B. Metz, Glaube, 44-74; J. Moltmann, Kommen Gottes, 44-48.150-154.
<9
H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 305.
50
H. Arendt, Vom Leben des Geistes II, 200, bereits entfaltet in § 3.3.
51
H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 271.

153
ßung, zuletzt noch den Tod neuschöpferisch zu überwinden, um alles in allem
gewesen zu sein, IKor 15,28) definiert die ethische Situation durch Berufung auf
Gottes Handeln im Geist:52
Der schöpferische Geist Gottes erfüllt Gericht und Verheißung schon jetzt am
Handeln und an Handelnden; er gewährt neues Leben mit Gott im Glauben und auf
Hoffnung. Dieses neue Leben im Handeln zu beschreiben, ist Aufgabe der Ethik. Die
genuine Vergegenwärtigung des verheißenen .Gerichts über die Werke' durch den
Geist ist die Krise menschlichen Handelns und ethischen Urteilens, begründet aber
zugleich Handeln und Urteilen in der ,Freiheit von den Werken'. Kritische Unter-
scheidung der Werke von der Person und Neuschaffung der Person über ihren
Werken und im Urteilen über sie gehören zusammen: Handlungen stehen weder mit
ihren Voraussetzungen noch mit ihren Folgen allein in menschlicher Hand; sie
können gerade deshalb begrenzt verantwortet (wichtig z.B. für die Frage nach der
Freiheit zur .politischen' Verantwortung) und ethisch begründet werden. Die escha-
tologische Begrenzung menschlicher Handlungen durch Gottes Handeln und seine
Gerechtigkeit umreißt also den Raum konkreter Handlungsverantwortung. Die Zeit
moralisch beurteilbaren Handelns (.Geschichte') und dessen höchstes Gut (.Realuto-
pien') sind nicht Maß aller Dinge. Verantwortlichkeit soll vom Rechtfertigungs-
bedürfnis der Person und ethische Begründung freien Handelns von Letztbegrün-
dung menschlicher Freiheit unterschieden bleiben. Gerade dann können Handlungen
als .Früchte des Geistes' beschrieben werden (Gal 5,22), in denen die Freiheit des
Glaubens und der Hoffnung in erfüllten Werken der Liebe und der nüchternen
Geduld mitgeteilt wird.53
In ihnen finden sich Personen im Geist am Ort konkreter Nächstenschaft vor
(Reich Gottes). Dieses Einbezogen- und Verwandeltwerden des (.inneren und äuße-
ren') Menschen in den Zusammenhang göttlichen Handelns und in die Urteils-
freiheit des Gewissens ist als neues Leben mit Gott (Reich Gottes) zu entfalten.
Hier setzt die Frage nach der Ethik der Urteilsfreiheit als einer .Ethik der Ethik'
an: „Es gehört zu dieser dem .Geist' entsprechenden Ethik, daß sie als Tun des
Menschen gesehen auch selbst .ethisch' beschrieben und beurteilt werden kann, weil
sie sich in ihrem Vollzug nicht absolut zu begründen sucht, sondern als .begründete'
Ethik versteht. So ist eine ,Ethik der Ethik' im Blick".54 Die eschatologische De-

52
H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 226: „Die Berufung auf Gottes Handeln im Geist
definiert die ethische Situation als die Gegenwart der .Freiheit' der Ethik - und dies in
zweierlei Hinsicht: im Blick auf die ,Zeit' des Handelns Gottes, die im Geist gegenwärtig wird
und die die Bindung menschlichen Handelns an die eigene .Zeit' begrenzt - und im Blick auf
die .Wirklichkeit'des Handelns Gottes, die die Bindung menschlichen Handelns an die Wirk-
lichkeit seiner Erfahrung begrenzt. In solcher zweifachen Begrenzung seiner Unfreiheit findet
der Mensch die .Freiheit' seiner ethischen Situation. Wir fragen von da nach der .Ethik'als
einer Tätigkeit des Menschen."
53
H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 275 (vgl. 242-253): „Wie ist aufgrund dieser Ge-
genwart von Freiheit [sc. eines Christenmenschen] Politik denkbar? ... Für die .Freiheit von
den Werken' ... gilt, daß für sie das politische Handeln ein .äußeres' Werk bleibt, keine den
Menschen bestimmende Praxis, sondern die Mitteilung der .Gegenwart' der Freiheit. So
gesehen geht es um die Befreiung des politischen Handelns selbst - um seine Freiheit von
den .Werken', auch in der Erwartung des Gerichts nach den Werken."
54
H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 226.

154
finition menschlichen Handelns im Handeln Gottes konstituiert also Ethik und
Ethik der Ethik: Sie entfalten die Forderung, daß Reden von Gott, Handeln und
praktisches Urteilen und ihre Theorie (Ethik der Ethik) in der Hoffnung des verhei-
ßenen Handelns Gottes im Geist bleiben sollen.

Kant formuliert dieses Problem, wie hinreichend gezeigt, als Frage nach nega-
tiver Hoffnung: Angesichts der Rechtfertigungsbedürftigkeit freien Handelns
gilt es, dieses urteilend zu verantworten, ohne das wahre Ende aller Dinge
affirmativ zu antizipieren. Die Freiheit, die der kategorische Imperativ .ver-
heißt', kann nicht .verwirklicht' und .dargestellt' werden. Inwiefern kann sie
gleichwohl im Handeln aufgefunden und beschrieben werden?
Es ist Kants Begriff einer ,wahrsagenden Geschichte als einer a priori möglichen
Darstellung des beständigen Fortschritts zum Besseren' (Streit, A 132; 9,351), auf
die sich das kritische Interesse zu richten hat. Kant führt ihn ein im Blick auf
die unerhörte geschichtliche .Begebenheit' seiner Zeit: die öffentliche Beur-
teilung der Französischen Revolution. Inwiefern zeigt sich in dieser Begeben-
heit das Vermögen wahrsagender Geschichte, also einer historischen Urteils-
bildung, die geschichtliche Hoffnung begründet? Historische Urteilsbildung
kann sich nicht direkt auf die Moralität des revolutionären Handelns richten
wollen, etwa unter Anwendung des kategorischen Imperativs als Ur-
teilsmaßstab. Die Freiheit des kategorischen Imperativs ist das im geschicht-
lichen oder politischen Handeln Undarstellbare. Die Frage ist vielmehr: In-
wiefern eröffnet und erlaubt - nicht die Revolution selbst mit ihren unge-
heuren Greueln!, sondern - die öffentliche Beurteilung der Revolution die
Prognose einer moralischen Tendenz im Menschengeschlecht?

„Es ist bloß die Denkungsart der Zuschauer, welche sich bei diesem Spiele großer
Umwandlungen öffentlich verrät, und eine so allgemeine und doch uneigennützige
Teilnehmung der Spielenden auf einer Seite, gegen die auf der andern, selbst mit
Gefahr, diese Parteilichkeit könne ihnen sehr nachteilig werden, dennoch laut
werden läßt, so aber (der Allgemeinheit wegen) einen Charakter des Menschen-
geschlechts im ganzen, und zugleich (der Uneigennützigkeit wegen) einen mora-
lischen Charakter desselben, wenigstens in der Anlage, beweiset, der das Fortschrei-
ten zum Bessern nicht allein hoffen läßt, sondern selbst schon ein solcher ist" (Streit,
A 143; 9,357f, Kursive z.T. HA).

Die revolutionäre Öffentlichkeit zeigt exemplarisch eine kritisch-historische


und genuin eschatologische Urteilsbildung, welche die Ereignisse im Urteils-
austausch als .Revolution' und signum prognosticon bildet.
Urteilsbildung vollzieht zunächst jene doppelte Reflexion, die aus der Ge-
schmackskritik bekannt ist: (a) Es vergegenständlicht das Ereignis als erzähl-
bare Geschichte, als exemplarische Begebenheit. „Ist Urteilskraft unser Ver-
mögen, das sich mit der Vergangenheit befaßt, so ist der Historiker der
Mensch, der sie erkundet und, indem er sie erzählt, über sie zu Gericht

155
sitzt."55 Die Kant interessierende Frage ist nicht: Wie wird moralisch oder
politisch gewertet?, sondern: Worauf richtet sich das Urteil im historischen
Ereignis? Was ist erzählbar und unter welchem Gesichtspunkt wird in der
Beschreibung das Geschichtszeichen erst mitkonstituiert? Die Rechtfertigungs-
bedürftigkeit der menschlichen Freiheit in ihrem Anfangen bleibt bestehen,
ja, sie tritt angesichts einer Revolution ins volle Licht, die „mit Elend und
Greueltaten dermaßen angefüllt ... [sc. ist], daß ein wohldenkender Mensch
sie, wenn er sie, zum zweitenmale unternehmend, glücklich auszuführen
hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen nie be-
schließen würde." (Streit, A 143f; 9,358) Gerade in dieser Begründungsbedürf-
tigkeit des Anfangens ist aber „die Kraft zum Urteilen verwurzelt. Sie näm-
lich läßt das Urteilen als Konsensfindung begreifen. Konsensfindung ist dann
nicht die Herstellung einer gemeinsamen Überzeugung, sondern das Auf-
finden des Mitteilbaren ... In ihrer Urteils-Gestalt bleibt sie [sc. die Urteils-
freiheit] ausgerichtet auf das Handeln Gottes, das solche Freiheit gewährt ...
Gottes Handeln bestimmt den Menschen ... als den, der so urteilen und
handeln soll, daß Gott zu seinem ... Handeln kommt."56. Inwiefern trifft dies
aber auch für Kant zu?
Das Urteilen nimmt (b) im Erzählen Stellung, es sitzt zu Gericht, indem es
andere als Richter anruft. Es genügt nicht, daß das Urteil nur mitteilbar ist;
es muß mitgeteilt werden. Das Singulare der in der Mitteilung sich bildenden
Revolutionsöffentlichkeit ist für Kant die sich einstellende, ,so allgemeine und
doch uneigennützige Teilnehmung' für eine Seite: der sich einstellende Ur-
teilskonsens, der gerade in seiner Parteilichkeit uneigennützig ist - ,interes-
selos'. Kant nennt dies Enthusiasmus' und hebt ausdrücklich hervor, „daß
wahrer Enthusiasm nur immer aufs Idealische und zwar rein Moralische geht
... und nicht auf den Eigennutz gepfropft werden kann." (Streit, A 145; 9,359)
Die Dritte Kritik erläutert dazu: „Die Idee des Guten mit Affekt heißt der
Enthusiasm." (KU, B 121; 8,362) Nun kann reine praktische Vernunft an die-
sem Affekt eigentlich kein Wohlgefallen finden, weil er blind ist und die freie
Überlegung der moralischen Grundsätze hindert. „Ästhetisch gleichwohl ist
der Enthusiasm erhaben, weil er eine Anspannung der Kräfte durch Ideen ist,
welche dem Gemüte einen Schwung geben, der weit mächtiger und dauerhaf-
ter wirkt, als der Antrieb durch Sinnenvorstellungen." (KU, B 121; 8,363)
Enthusiasmus ist negativistischer yHoffhungsaffekt': „Indem er die extreme
Spannung hervorruft, die ... sich subjektiv als Schrecken vor dem Verlust der
Darstellung und als .Schwung' (B 125) auf das hin, was diese letztere über-
steigt, das heißt auf die absolute Kausalität [sc. der Freiheit] hin äußert,
bezieht der Enthusiasmus das Denken auf ,mutige' (B 122) affektuelle Weise

55
H. Arendt, Das Urteilen, 15.
56
H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 306.

156
auf das Gesetz."57 Das Denken, das im Beschreiben und Urteilen bis zum
Wahnsinn mutig auf das Gesetz bezogen wird, stimmt darin dem Rechts-
anspruch des Gesetzes auf praktische Freiheit aller Menschen zu.
Dieser Rechtsanspruch des Gesetzes verlangt auch eine republikanische
Verfassung, weil nur diese „ihrer Natur nach so beschaffen ist, den Angriffs-
krieg nach Grundsätzen zu meiden, ... wenigstens der Idee nach" (Streit, A
144; 9,358). Der Anspruch auf eine republikanische Verfassung ist also eine
Folge des Rechtsanspruchs des Gesetzes auf die Freiheit aller Menschen. Im
singulären historischen Moment .verrät' sich so die öffentliche Denkungsart
eines ethischen gemeinen Wesens: Es stellt sich ein interesseloses Gefallen am
Rechtsanspruch auf verfassungsrechtliche Souveränität ein, sofern sich darin
der Rechtsanspruch des Gesetzes auf Freiheit anzeigen kann. Deshalb zeigt
sich in der Beurteilung der Revolution der .Charakter des Menschenge-
schlechts' als moralischer, .wenigstens in der Anlage'.
Es ergibt sich also in Kants Analyse der revolutionären Öffentlichkeit ein
eigenartiges Zugleich von Verurteilung der Revolutionshandlungen selbst,
Gefallen an der JLvolution einer naturrechtlichen Verfassung" (Streit, A 148f;
9,360) und Enthusiasmus des Gesetzes und seiner .Freiheitsverheißung'. In-
wiefern handelt es sich aber darin um eine Begebenheit, welche „das Fort-
schreiten zum Bessern nicht allein hoffen läßt, sondern selbst schon ein solcher
ist" (Streit, A 143; 9,358f, Kursive HA)?
In der Beantwortung dieser Frage besteht die Strittigkeit des Kant'schen
Begriffs wahrsagender Geschichte. Kant vollzieht eine (c) dritte Urteilsrefle-
xion und scheint erneut in Geschichtsphilosophie zu verfallen. Das Faktum
der revolutionären Öffentlichkeit wird zum .unvergeßbaren Grund' 58 der
Hoffnung auf die negative Weisheit der Menschengattung. Diese zeigt sich
freilich keineswegs in einer fortschreitenden Verwirklichung des Rechts-
anspruchs des Gesetzes, also gleichsam als .Befreiungsgeschichte' (ein für Kant
widersinniger Begriff), sondern in der Zurückdrängung des Krieges unter der
Idee des Völkerrechts als Bedingung für jene Freiheit, die das Gesetz bean-
sprucht.59 Diese Differenzierung ist genau zu beachten, wenn Kant die uner-
hörte Begebenheit der Revolutionsöffentlichkeit - in einem höchst eigenartigen
und bemerkenswerten Rückgriff auf die thomistische Definition von .Sakra-
ment' - als „Geschichtszeichen (signum rememorativum, demonstrativum, pro-
gnosticon)" charakterisiert (Streit, A 142; 9,357).

57
J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 174; Lyotard nennt die enthusiastische An-
spannung paradox die .wahre Gesundheit des Denkens', die darin besteht, an der Sehnsucht
nach dem Absoluten erkrankt zu sein: Die Freiheit des Gesetzes widersetze sich ihrer
Darstellung, eine Enttäuschung, die bis zum Wahnsinn gehen kann. „Doch gerade dieser
Wahnsinn ist gut, zunächst weil er heilbar ist, aber vor allem weil er für einen Augenblick
das Absolute .gleichsam anschaulich' macht (B 97)".
s8
Streit, A 149; 9,361.
59
Streit, A 160; 9,367.

157
Die genaue Definition lautet bei Thomas: „sacramentum proprie dicitur quod ordi-
natur ad significandam nostram sanctificationem. In qua tria possunt considerari ...
Unde sacramentum est et signum rememorativum eius quod praecessit, scilicet pas-
sionis Christi [causa sanctificationis]; et demonstrativum eius quod in nobis efficitur
per Christi passionem, scilicet gratiae [forma sanctificationis]; et prognosticum, idest
praenuntiativum, futurae gloriae [finis sanctificationis]".60

Wird damit das konkrete historische Urteil zur Geschichtstheologie? Wird


Urteilskraft z u m Vermögen geschichtsphilosophischer Sinnfindung, ja
Sinnstiftung? Möchte sie nicht im Geschichtszeichen jenen Grundsatz auf-
finden, der sich als Ermöglichungsgrund allen künftigen Fortschritts erweisen
kann} In der Tat formuliert Kant:

„Es muß irgend eine Erfahrung im Menschengeschlechte vorkommen, die, als Bege-
benheit, auf eine Beschaffenheit und ein Vermögen desselben hinweiset, Ursache von
dem Fortrücken desselben zum Besseren, und (da dieses die Tat eines mit Freiheit
begabten Wesens sein soll) Urheber desselben zu sein; aus einer gegebenen Ursache
aber läßt sich eine Begebenheit als Wirkung vorhersagen, wenn sich die Umstände
eräugnen, welche dazu mitwirkend sind. Daß diese letztere sich aber irgend einmal
eräugnen müssen, kann, wie beim Kalkül der Wahrscheinlichkeit im Spiel, wohl im
allgemeinen vorhergesagt, aber nicht bestimmt werden, ob es sich in meinem Leben
zutragen und ich die Erfahrung davon haben werde, die jene Vorhersagung bestäti-
ge." (Streit, A 141, 9,356f)

Kants Konzept wahrsagender Geschichte zeigt Urteilskraft in actu, die einen


geschichtlichen Fortschritt der „Legalität in pflichtmäßigen Handlungen" (Streit,
A 156; 9,365) zu prognostizieren erlaubt, sofern sie das enthusiastische Inter-
esse an Legalität in der Tat als ein- für allemal gültiges Geschichtszeichen
beschreibt. Sofern diese Begebenheit unvergeßlich ist und sofern sie ein Fort-
schreiten zum Bessern nicht allein hoffen läßt, sondern selbst schon wirkt, ist
sie signum rememorativum et demonstrativum.
Aber ist diese Begebenheit darin signum prognosticon, daß sie ein weltbür-
gerliches Publikum verheißt, in dessen Urteilen Geschichte als Verheißungs-
substitut beständig reproduziert und vergewissert wird? Wird die Wahr-
sagung, die sich in der öffentlichen Denkungsart der Zuschauer der Französi-
schen Revolution unvergeßlich entdeckt, im unabsehbaren, aber wahrsagbaren
Fortschritt der menschlichen Gattung erfüllt, weil hier „der Wahrsager die
Begebenheiten selber macht und veranstaltet, die er zum voraus verkündigt"
(Streit, A 132; 9,351)? Dann würde in der Tat gelten, daß der Schrecken vor
dem Abgrund revolutionären Handelns politische Theologie entstehen läßt.
Diese Deutung ist keineswegs ohne Anhalt am Text; sie kann vor allem auf

60
Thomas von Aquin, S.Th. III q. 60 a. 3 c. (Klammereinfügungen HA). Nicht zufällig
greift Kant auf die thomistische Sakramentsdefinition zurück, sofern er noch die Vielschich-
tigkeit des patristischen Sakramentsbegriffs enthält.

158
die Wirkungsgeschichte in den nachfolgenden Geschichtsphilosophien ver-
weisen. Gleichwohl ist in Kants Rede vom Signum prognosticon eine particula
veri enthalten, die für eine Theorie ethisch-eschatologischer Beschreibung
Bestand hat: Das Faktum der revolutionären Öffentlichkeit ist lediglich der
.unvergeßbare Grund' der Hoffnung auf die negative Weisheit der Menschen-
gattung, d.h. auf eine Weisheit, die hoffen darf, dem wahren Ende aller Dinge
im Handeln wenigstens nicht zu widersprechen. Signum prognosticon ist die
unerhörte Begebenheit also in einem doppelten Sinn: Gerade der blinde, af-
fektive Enthusiasmus erlaubt die geschichtliche, rationale Wahrsagung, daß
das praktische Interesse an Legalität, an Verfassungsfreiheit und Völkerrecht,
in der menschlichen Geschichte nicht definitiv zum Verstummen zu bringen
ist. Der Rechtsanspruch auf verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Frei-
heit im Rechtsanspruch des Gesetzes ist in der Tat auch zu .machen'. Aber
der Rechtsanspruch des Gesetzes auf Freiheit aller, die Kant'sche .Verhei-
ßung' des Gesetzes, läßt sich geschichtlich weder machen noch wahrsagen.
Diese Verheißung kreatürlicber Freiheit bleibt im Geschichtszeichen verbor-
gen; das wahre Ende aller Dinge im Urteilsspruch des Richters steht aus. Und
nur sofern es ausstehende Wahrheit bleibt, ist eine wahrsagende Geschichte
möglich.
Weil es als Geschichtszeichen die Hoffnung negativer Weisheit begründet,
weil es aber zugleich das Geheimnis kreatürlicher Freiheit offenhält, deshalb
gilt Kant die unerhörte Begebenheit als signum prognosticon.

Zusammenfassung: Hoffnung als Praxis guten Lebens


1. Religion als Kultur der Hoffnung

Die Erweiterung rationaler Ethik zur urteilspraktischen Vernunftkultur


durch eine Pflicht sui generis setzt bei Kant den negativen Begriff eschatologi-
scher Gerechtigkeit, das Symbol des göttlichen Richters, voraus. Sie kann
(oder: könnte) anerkennen, daß Lebensformen) und Kultur(en) eschatologi-
scher Verantwortung aufgrund von, d.h. im negativen Konsens mit genuiner,
göttlicher Gerechtigkeit bereits existieren. Allerdings fragt sie nach Kultur der
Vernunft in existierenden Kulturen: „Also kann nur ein solcher als oberster
Gesetzgeber eines ethischen gemeinen Wesens gedacht werden, in Ansehung
dessen alle wahren Pflichten, mithin auch die ethischen zugleich als seine
Gebote vorgestellt werden müssen; welcher daher auch ein Herzenskündiger
sein muß, um auch das Innerste der Gesinnungen eines jeden zu durchschau-
en, und, wie es in jedem gemeinen Wesen sein muß, jedem, was seine Taten
wert sind, zukommen zu lassen. Dieses ist aber der Begriff von Gott als
einem moralischen Weltherrscher. Also ist ein ethisches gemeines Wesen nur
als ein Volk unter göttlichen Geboten, d.i. als ein Volk Gottes, und zwar nach

159
Tugendgesetzen, zu denken möglich." (RGV, B 138f; 7,758, Kursive z.T. HA)
Nicht weil Pflichten göttliche Gebote sind, sind Handlungen zu verant-
worten; vielmehr weil Pflichtgemäßheit des guten Willens, gerade unter der
Idee der Autonomie, nur vor Gott verantwortet werden kann, können Pflich-
ten als göttliche Gebote gelten. Der Grund: menschlicher Wille bleibt aner-
kennungsbedürftig, weil er sich als dem Gesetz verantwortlich bestimmt.
Anerkennungsbedürftigkeit darf nicht durch intersubjektive Anerkennung
befriedigt werden. Vielmehr steht Anerkennung und Verurteilung einzig und
allein einem ,Herzenskündiger' zu, der, als .Oberhaupt' im Reich der Zwecke,
nicht derselben Anerkennung bedarf. Weil Gottes Gerechtigkeit nicht ethi-
scher, erst recht nicht rechtlicher Anerkennung und Rechtfertigung bedarf,
deshalb kann er .Herzen' richten. Diese richterliche Souveränität ist für Kant
der wahre Grund des Mißlingens aller Versuche zur Theodizee: „.Wollt ihr',
sagt er [sc. Hiob, vgl. Hi 13,7-11.16], .Gott verteidigen mit Unrecht? Wollt
ihr seine Person ansehen? Wollt ihr Gott vertreten? Er wird euch strafen,
wenn ihr Personen anseht heimlich! - Es kommt kein Heuchler vor Ihn.'"61
Indem sich die Menschen gerade durch das selbstgegebene Gesetz als genuin
anerkennungsbedürftig bestimmen, bleiben sie Glieder im Reich der Zwecke,
eine Stellung, die ihnen paradoxerweise wechselseitige moralische Achtung als
.Zwecke an sich' ermöglicht. Zweck an sich, ex negativo .Geschöpfe' sind sie,
weil sie nicht in Wahrheit durch ihresgleichen moralisch anerkannt oder ver-
urteilt werden können, - auch nicht durch sich selbst. Sie können sich selbst
im eigenen Namen weder lossprechen noch verdammen: „Es ist ein Großer
Unterschied dazwischen, daß ein Mensch sich selbst tadelt; denn er kann sich
doch bessern oder durch verdienstliche Handlung das ersetzen, was er ver-
brochen hat. Aber sich selbst verdammen durch ein peccatum, welches er als
immortal ansieht, kann er nicht; sondern, da er doch bey einer Lüge mit
Vorsatz Böses thut und sich verwerflich macht oder findet, so verdammt ihn
nicht er selbst, sondern er ist sich bewust, daß ihn ein Anderer Höherer, aber
doch in seiner Menschheit residirend, aber doch allgemeingültig verdammt.
Niemand kann sich selbst verfluchen."62
Daß der Mensch nur von Gott als dem Richter und Herzenskündiger zu
rechtfertigen oder zu verurteilen ist, ist seine genuine Würde. Daß allein der
Herzenskündiger richten kann, weil er keiner kommensurablen Ehre bedarf,
ist seine inkommensurable Ehre.a „In der Achtung vor der gesetzgebenden
Person des andren kommt das pragmatische Ansehen zu seiner moralischen
Wahrheit, und zwar dadurch, daß alles persönliche Ansehen dem des Ge-

61
Theodizee, A 215; 9,118 (Konjektur nach AA).
" So notiert die Reflexion 8107 (wohl um 1800) AA 19, 649f (vgl. die Reflexion 8110, um
1800, AA 19, 650); MST, A 177f; 7,626 (innerer Widerspruch selbst auferlegter und an sich
vollstreckter Bußstrafen, „denn die muß immer ein anderer auflegen" MST, A 176; 7,626).
63
Zur Ehre Gottes als letztem .Zweck der Schöpfung': KU, B 422 Anm.; 8,575f; KpV,
A 235f; 6,262f; MST, A 187f; 7,632.

160
setzes, genauer: daß alles menschliche Ansehen der Ehre Gottes weicht. Mit
dem Schöpfer zugleich wird die anerschaffene Würde des Menschen durch
den moralischen Gehorsam sichtbar."64
,Religion' - so läßt sich jetzt zusammenfassen - ist freie Anerkennung
eschatologischer Richterschaft Gottes für uns, weil Gott an ihm selbst Richter
ist. Sie vollzieht sich als gewissenskritische Restriktion und Konstitution von
Richterschaft über sich und über andere aufgrund der Idee der Autonomie.
Darin unterscheidet sie sich von reiner Mystik. Sie ist in actu Übergehen in
ein .ethisches Gemeinwesen', in eine existierende Kultur des öffentlichen
praktischen Urteils unter Vorbehalt göttlicher, inkommensurabler Gerechtig-
keit. Ihre Sprache soll als Teil-,Grammatik' praktischer Vernunft reflektiert
werden, ohne daß damit der Anspruch verbunden ist und verbunden sein
kann, eigentliche Religion vollständig zu reflektieren oder gar zu begründen.
Diese Kultur wird erinnert. Sie soll tradiert, gelehrt und erlernt werden. Die
Pflicht zum Übergang ins ethische gemeine Wesen weist zur generationen-
übergreifenden Lehre eines bestimmten ethischen und eschatologischen Spre-
chens und Symbolisierens an. Sie rechnet mit der Alternanz der Urteilskraft
als Quelle philosophischer und theologischer Innovation: Die genuin ver-
nunftreligiöse Pflicht der Menschheit gegen sich selbst verlangt den Übergang
in eine praktische Weisheit, die ihre Gewissensurteile und Handlungsinterpre-
tationen der Kritik durch Andere auszusetzen und sie dazu in eine ethische
Sprache und ihre .Grammatik' zu übersetzen hat. So sehr also humane Ver-
antwortung, das Gewissen, auf eine existierende ethische Sprache angewiesen
ist, so sehr generiert sie diese im Vorgang des Übersetzens. Sie beansprucht,
die existierende ethische Sprache durch ihre reine praktische Typik auch zu
.reinigen'.65 Die Hoffnungsmetaphorik des heiligen Buches, als Grundlage
mindestens zweier existierender Teil-.Grammatiken' der Vernunft, ist Grund
der Hoffnung auf dialogisch-plurale, kreatürlich-verantwortbare gute Lebens-
praxis trotz möglicher innerer Lüge. Diese Praxis guten Lebens wäre negative
geschöpfliche Weisheit. Solche Weisheit, vermittelt durch kritische Arbeit,
vollzogen als mit-weltliche Orientierung und Behutsamkeit im Bezeichnen,
wird augenblicklich fühlbar. Dann zeigt sich rationale Urteilsfreiheit als gutes
Leben im Geheimnis. Güte des Lebens wird fühlbar und ikonisch sichtbar.
Dies ist das Geheimnis der Religion.
Die Symbole eschatologischer Richterschaft, göttlicher Gerechtigkeit und
Ehre symbolisieren schöpferische Freiheit als Unendlichkeit; dies jedoch so,
daß metapyhsische Aseität und Notwendigkeit, also die Idee absoluter gött-
licher Freiheit nicht zum Abgrund vernünftigen freien Handelns werden. Die
Praxis guten Lebens im Geheimnis schöpferischer Freiheit unterscheidet sich
präzise an diesem Punkt von der politischen Religion und ihrer Überbegrün-

M
G. Krüger, Moral, 105.
65
Dieser Sprachklärung gehört zur Klärung der .metaphysischen Anfangsgründe' der Tu-
gendlehre: MSR, Einleitung Q B 7-13; 7,319-323 und MST, A 2-10; 7,508-513.

161
düng freien Handelns. Über den späten Kant hinaus führt dann allerdings
folgende Frage: Ist nicht gerade göttliche Freiheit, die unbedürftig ethischer
und rechtlicher Anerkennung ist, Inbegriff göttlicher Liebe? Erwiese sich
Gottes unbedürftige Freiheit nicht gerade - in Gottes Menschenbedürftigkeit?

„Gottes .Menschenbedürftigkeit' ablehnen kann das Christentum, weil es sie dem


Sohn zuschreibt, das Judentum^,] weil es sie auf das Volk gehen läßt ... Gott hat nur
dies eine Bedürfnis, aber dies hat er: die Bedürftigkeit des Menschen ... nicht die
Stärke sondern die Schwäche (und also die Freiheit) des Menschen ist Gottes Bedürf-
nis."«6

Doch zu dieser Theologie kann Kant sich nicht verstehen. Er eliminiert


vielmehr die Gabe des Namens, das Faktum der Religion, u m willen der
einen, in sich pluralen Vernunftkultur. Urteilskraft reflektiert ,den N a m e n ' als
absolut negatives, selbstreferentielles Zeichen und begründet darin negativisti-
sche (nicht mehr nur negative) Hoffnung: Das Geheimnis Gottes im Geheim-
nis guten Lebens wird enthusiastisch fühlbar, zeichenlos blind, in wahnhafter
Begeisterung.
Die grundlegende Operation der Elimination vermittelt sich durch die Idee
moralischer Anlage. Im klaren Wissen u m das Faktum der Vernunft als
Rezeption ohne Rezeptivität steht sie am Anfang kritischer Arbeit, die sich
fühlbar macht, was stets zum Abgrund werden kann. Die Stimme des Ge-
setzes, typisiert als absolute logische Form, stellt sich am Menschen dar,
zunächst als Instinkt des Gewissens. Aufgrund des ,uns unbegreiflicher Weise
beiwohnenden Vermögens' inneren Hörens (reflektiert als moralische Anlage)
gelingt es, das Überwältigende zur Darstellung zu bringen als korrelative Ur-
teilspraxis im Gewissen, typisiert als dijudikatorisches Richteramt des Gewis-
sens (vgl. MSR, B 29; 7,334). Der Mensch ist Mitrichter und insofern Mitge-
setzgeber, eine Mitgesetzgeberschaft, in der er seine Faktizität als A u t o n o m i e
auslegt:

„Der Mensch ist Mitgesetzgeber und Mitrichter; und zwar ist er Mitgesetzgeber
gerade in dem Sinne des Richteramtes. Seine Autonomie ist nichts andres als die
richerlicher Loyalität ... So rückt der Begriff der Autonomie des Menschen in nächste
Nähe zum Gewissen. Der Mensch soll sich selbst seine Handlungen als Taten an-
rechnen (imputieren); er ist nicht Richter im vollen Sinne: er kann nicht .rechts-
kräftig' (imputatione iudicaria s. valida), mit Strafgewalt zurechnen, aber doch eine
beurteilende Zurechnung (imputatio diiudicatoria)' üben ... Die menschliche Autono-
mie ist das dijudikatorische Richteramt, das der kategorische Imperativ durch seine
Formeln zu üben gebietet. Das unwillkürliche Bewußtsein von dieser Forderung aber,
das dem Gebrauch der geforderten .Denkmittel' vorangeht und das auch erst nötigt,
sich selbst als einen Richter typisch vorzustellen, ist das Gewissen.""

66
F. Rosenzweig, Zweistromland, 66.
° G. Krüger, Moral, HOf.

162
2. Das katechetische Programm der Religionsschrift

Praktische Weltorientierung stellt sich in reinen Typen und in Symbolen


unterschiedlicher Dichte, Diskursivität und Referenz dar. Autonomie impli-
ziert ein Reich der Zwecke und führt zugleich zur Unterscheidung zwischen
Oberhaupt und Gliedern in diesem Reich. Die Differenz zwischen Oberhaupt
und Gliedern wird erst in der Religionsschrift durchgehend durch Rechts-
begriffe typisiert und durch biblische Metaphern symbolisiert. Die Rechtsphi-
losophie, vor allem die Staatslehre stellt Verstandesbegriffe bereit, die das
Gesetz als Typen seiner Darstellung vorzeichnet. Der juridische Horizont der
moralischen Ontologie bestimmt weithin Kants Symbolisierungen guten
Lebens. 68 A m Leitfaden juridischer Typik reflektiert die Religionsschrift G o t t
als .Herzenskündiger'. 6 9 Der .Herzenskündiger' (d.h. Herzenskundige) ist
eschatologisch-pneumatologische Metapher des Rechtsbegriffs von Souveränität.
Vom T y p u s richterlicher Souveränität her erschließt Kant am Leitfaden der
Drei-Gewalten-Theorie staatlicher Souveränität Gott zugleich als obersten
Regent u n d Gesetzgeber. Weil Kant Theologie durch reine Rechtsbegriffe
typisiert u n d in biblischen Metaphern symbolisiert, läßt sich für die Rede
vom .Herzenskündiger' keine Abhängigkeit Kants von Vorlagen aufzeigen. 70
Sie ist genuine Interpretation biblischer Gottesprädikation.

Nicht zufällig stößt Kant bei seiner Bibellektüre auf diese eschatologisch-pneumato-
logische Prädikation Gottes. Erwägenswert ist als Referenz Rom 8,26f.28-30 (v.a.
V.26f). Noch präziser findet sich aber die dreifache juridische Typik Gottes aus der
Religionsschrift in der lukanischen Rede vom .Herzenskündiger' (Apg 15,7-9, du-
plex legomenon):71 ,Jr Menner, lieben Brüder/Jr wisset/ das Gott lang vor dieser
zeit/ vnter vns erwelet hat/ das durch meinen mund/ die Heiden das wort des
Euangelij höreten vnd gleubten. Vnd Gott der Hertzkündiger zeugete vber sie/ vnd
gab jnen den heiligen Geist/ gleich auch wie vns/ vnd macht kein vnterscheid
zwischen vns und jnen/ Vnd reinigete jre Hertzen durch den Glauben." Gott, der
Herzenskündiger, kennt allein das Geheimnis der Erwählung des einen Volkes
Gottes aus Juden und Heiden in der Berufung durch das Evangelium; er bezeugt es
durch die Gabe jenes Geistes, der die Herzen reinigt. Die Gabe des Geistes im
Hören auf das Evangelium als Berufung und die dadurch ermöglichte Reinigung der
Herzen durch den Glauben an das Evangelium sind die beiden Werke des Herzens-
kündigers zur Erwählung des Gottesvolkes.

" G. Krüger, Moral, 106; vgl. J. Bohatec, 557f.


69
.Herzenskündiger' als zentrale Gottesidee noch in: MST § 13 (A 98-103; 7,572-576).
70
Der Begriff des .Herzenskündigers' findet sich nirgends in J.F. Stapfers Grundlegung zur
wahren Religion (I-XII, Zürüch 1746-1753), die J. Bohatec als wichtigste theologische Quelle
Kants nennt. Die bei Bohatec angegebenen Parallelstellen in Stapfers Werk (8,536f; 10,272f;
10,213-230) behandeln die Königsherrschaft Christi über die Kirche und zeigen keinerlei
Parallelen zu Kants Symbolik des Herzenskündigers!
71
Zitiert wird nach der Lutherübersetzung von 1545, deren Wonlaut Kant noch im
Wesentlichen vorlag.

163
Der Begründungszusammenhang von Berufung, Reinigung und Erwählung
kehrt in der Religionsschrift präzise wieder. Das zeigt sich exemplarisch an
den Einführungen der Rede vom .Herzenskündiger' in der Religionsschrift:
Er ist derjenige, der allein die Wiedergeburt als Revolution des Herzens
anerkennen kann72 und derjenige, der allein die Buße als völlige Reinigung
des Herzens zurechnen kann.73 Vollständig bestimmt ist das Symbol des
Herzenskündigers aber erst durch die Symbolik der Erwählung zum Gottes-
volk, deren Reflexion vermittelt ist durch die Pflicht zum ethischen gemeinen
Wesen.

Es gilt auch für die Rede vom .Herzenskündiger' die methodische Regel, daß phi-
losophische Werke Begriffe nicht definieren, sondern exponieren. Eine vollständige
Exposition ist deshalb erst am Ende eines Werkes erreicht. Dabei verfährt die
Exposition einer .Erfahrung' synthetisch: Die im Ersten Stück der Religionsschrift
grundlegende Idee einer Gewissensrevolution ist als Übergang ins ethische gemeine
Wesen unter die Herrschaft des Herzenskündigers erst im Dritten Stück durch die
Pflichtformel sui generis vollständig exponiert.

Die Pflicht aus dem ethischen Naturzustand herauszugehen, dem möglichen


Terrorzustand absolut moralischer Verdächtigung eines jeden gegen jeden und
gegen sich selbst, ist Selbstanweisung, unter Vorbehalt des Herzenskündigers
zu urteilen. Diese mögliche Dialektik des Gewissens verlangt, Hoffnung auf
den Herzenskündiger zu erlernen, in dessen Urteil das Urteilen des Gewis-
sens still gelegt wird, um sich überhaupt öffentlich in begrenzten Aussagen
vollziehen zu können. Diese Pflicht formuliert also einen Gewissensgrund-
satz, der, ohne selbst Erfahrungssatz zu sein, Urteilsunfreiheit und Urteils-
freiheit des Gewissens zugleich erfahren läßt. Das macht die Pflicht, ins
ethische gemeine Wesen überzugehen, zur Pflicht sui generis.
Wir behaupten also, daß sich in der Religionsschrift der kategorische Impe-
rativ unter dem Typus des ethischen gemeinen Wesens und dem eschatologi-
schen Symbol des Reiches des Herzenskündigers als Hoffnung korrelativer
Urteilsfreiheit so darstellt, daß endliche Freiheit und kreatürliche Unfreiheit
.gleichzeitig' erfahren werden kann. Diese .Fühlbarkeit' geschöpflicher Frei-
heit als Geheimnis der Hoffnung vollzöge sich im inkommensurablen Augen-
blick.74

72
Vgl. RGV, B 55; 7,689.
73
Vgl. RGV, B 85; 7,720 und insgesamt RGV, B 84-105; 7,719-733.
74
Vgl. als vorkritische Form dieser Hoffnung Kants Bekenntnis im berühmten Brief an
Johann Caspar Lavater vom 26.4.1776, Brief 99, AA 19, 175-179 (Brief 99): „Sie verlangen
mein Unheil über Ihre Abhandlung vom Glauben und dem Gebethe. Wissen Sie auch an
wen Sie sich deshalb wenden? An einen, der kein Mittel kennt, was in dem letzten Augen-
blicke des Lebens Stich hält, als die reineste Aufrichtigkeit in Ansehung der verborgensten
Gesinnungen des Herzens und der es mit Hiob vor ein Verbrechen hält Gott zu schmeicheln
und innere Bekenntnisse zu thun ... Wenn wir das Geheimnis, von dem was Gott seiner seits

164
Die Religionsschrift führt Schritt für Schritt ,katechetisch', d.h. akroamatisch-
diskursiv, ins kritisch erarbeitete und erlernbare, fühlbare Geheimnis dieser Frei-
heit ein. Sie muß als Hinführung zur Pflicht sui generis und darin zum guten Le-
ben, als Einführung ins dreifach symbolisierte Geheimnis des Herzenskündigers
und darin in augenblickliche Hoffnung interpretiert werdend

3. Semiotische Aporie: Ikonische und enthusiatische Hoffnung

Die Religionsschrift muß sich allerdings der Tatsache stellen, daß reine
praktische Urteilsfreiheit, die keines Kanons bedarf, weil sie Wahrheit des
Imperativs dogmatisch darstellt und darin selbst Kanon aller Urteilskraft ist,
auf das böse Gewissen, auf innere Lüge trifft. Die Theorie des radikal Bösen
formuliert, daß praktische Urteilskraft als humanes Gewissen dem Imperativ
als Gesetz der Wahrheit und „Maxime der Selbsterhaltung der Vernunft"76
widerstrebt. Der Begriff des Gewissens, als einer sich selbst richtenden mora-
lischen Urteilskraft, wie auch der Begriff der Weisheit werden dadurch zu-
tiefst aporetisch. Diese Aporie der Freiheit muß Kant, Konsequenz seiner
Grundlegung, eliminieren:
„Nur das Moralisch-Gesetzwidrige ist an sich selbst böse, schlechterdings
verwerflich, und muß ausgerottet werden; die Vernunft aber, die das lehret,
noch mehr aber, wenn sie es auch ins Werk richtet, verdient allein den
Namen der Weisheit" (RGV, B 70; 7,710). Es ist die charakteristische Schwie-
rigkeit der Religionsschrift, daß sie in der Exposition des menschlichen
Freiheitskonflikts zwischen dem Rechtsanspruch des bösen und des guten
Prinzips eine entdeckende Analyse des urteilenden Gewissens enthält, zu-
gleich sucht aber das Gewissen sich selbst über seine Bosheit und deren Über-
windung aufzuklären. Dies ist die religionstheoretische Pointe der Alternanz
der Urteilskraft.
Das Programm der Religionsschrift kann in seiner Durchführung doppelt
gelesen werden: Die Religionsschrift führt ein ins Erlernen von .Religion'; sie
führt ein in existierende Kultur(en) der Hoffnung und ins Geheimnis men-
schenmöglicher, kreatürlicher Weisheit im dijudikatorischen Gewissen, das
sich darüber selbst entdeckt. Doch über weite Passagen hin entspricht diese
Lesart nicht dem Text: Unter dem Titel der mit sich identischen, bloßen

thut, auch gar nicht wüsten, sondern nur überzeugt wären: daß bey der Heiligkeit seines
Gesetzes und dem unüberwindlichen Bösen unseres Herzens, Gott nothwendig irgend eine
Ergänzung unsrer Mangelhaftigkeit in den Tiefen seiner Rathschlusse verborgen haben
müsse, ... so sind wir in demienigen was uns angeht hinreichend belehrt ..." (a.a.O., 176,
Kursive HA).
75
Diesen schrittweise einführenden Charakter der Religionsschrift verkennen J. Bohatec,
335 und A. Schweitzer, 169, völlig.
76
Denken, A, 329 Anm.; 5,283.

165
Vernunft vollzieht sich das transzendental/ogwcta Programm einer Selbst-
begründung ohne Letztbegründung, vermittelt durch Urteilskraft als Refle-
xion der Reflexion. Die Typik und Symbolik des Gewissens als ikonischer
Hoffnung steht so in Konflikt mit der Unterscheidung von noumenalem und
phänomenalem Charakter, durch die sich das Gewissen als sich selbst richten-
de Urteilskraft anschaut.
Das Gewissen eliminiert in der Religionsschrift die Hoffnung göttlichen
Namens, vollzieht diese Elimination aber als Selbstaufklärung durch den
Kanon reiner Gesetzmäßigkeit. Die Idee moralischer Anlage als Anlage zur
Gewissenhaftigkeit wird für Kant „das, was Archimedes bedurfte, aber nicht
fand: ein fester Punkt, woran die Vernunft ihren Hebel" (Ton, A 419; 5,393)
der Selbstaufklärung ansetzen kann. Gewissen wird dadurch allerdings in eine
unendliche Selbstaufklärung zurückgenommen, die nicht hoffen kann, ihre
eigene Unwahrheit je in der Zeit zu überwinden. An die Stelle ikonischer
Hoffnung tritt schlechte Unendlichkeit und negativistischer Enthusiasmus.
„Inhalt und Methode [sc. der praktischen Ontologie] befinden sich von
vornherein in ein und derselben Aporie, deren Grund die Freiheit zum Bösen
ist ... Nur die Schwere dieses Problems konnte Kant zum Festhalten an der
dogmatischen Aufklärung veranlassen."77 Der Riß zwischen logischem Forma-
lismus und eschatologischer Kreatürlichkeit geht durch die Religionsschrift.
Er ist Grund ihrer Alternanz. Er kristallisiert sich in der Rede vom Geheim-
nis. Der abschließende Paragraph zeigt, daß die Aporie, die sich in Kants
Rede vom Geheimnis manifestiert, ihr Symptom im Verlust kultischer,
insbesondere ikonischer Zeichen hat.

77
G. Krüger, Moral, 210.

166
§ 7 Rationale Mystagogie
Kreatürliche Freiheit als Leben im Geheimnis lernen

„Der religiöse Kult muß der gemeinsamen Vergegenwärtigung der wahren religiösen
Lebenseinstellungen dienen, wenn er anderes sein soll als die Inszenierung eines
Aberglaubens ... Die höchste Form des Kultes wäre das richtig verstandene und
geführte Leben selbst, ohne daß daneben eine eigene und eigentümliche religiöse
Praxis bestünde. Daher ist in den religiösen Dingen das richtige Schweigen über sie
immer die höhere Form gegenüber der besonderen religiösen Rede und Praxis."1

Diese Bemerkungen umreißen das Programm einer rationalen Mystagogie.


Diese hat in Kant ihren hervorragenden Vertreter. Das richtige Schweigen gilt
dem durch Arbeit der Kritik fühlbar gewordenen, öffentlichen Geheimnis
(mysterium) der Freiheit. Solche Mystagogie richtet sich polemisch gegen das
intuitiv-erotische, offenbarte Geheimnis (secretum), das im .vornehmen mysta-
gogischen' Ton autoritär verkündet wird.2 Die Religionsschrift stellt eine
Form negativer katechetischer Theologie dar, deren genuin praktische Metho-
de bis ins Programm der Transzendentalen Methodenlehre zurückreicht und
die gesamte Kritik zusammenfasse Sie ist also nicht als problematischer Pro-
totyp idealistischer Religionsphilosophien zu lesen3, sondern als neue kateche-
tische Theologie, als rationale, autonome Mystagogie.
Es ist nun eines, daß heute die polemische Stoßrichtung der kritischen My-
stagogie angesichts mystagogischer Töne, die als Symptom der Dialektik der
Aufklärung zu verbuchen sind4, so aktuell ist wie zu Kants Lebzeiten. Ein an-
deres aber ist es, daß diese Mystagogie sich in jener Alternanz der Vernunft
hält, die hinreichend expliziert wurde. Im negativen Geheimnis kreatürlicher
Freiheit, das mit Gründen richtig schweigt, ist der göttliche Name, seine Ge-
rechtigkeit und Wahrheit eliminiert. Deshalb muß theologische Kritik dort,
wo kritische Philosophie schweigt, nachfragen, um das Geheimnis wieder zur
Aporie zu machen.
Es ist symptomatisch, daß der rationalen Mystagogie religiöse Rede und
Praxis als mindere Form des Kultes oder als Aberglaube gelten (die sie oft

1
F. Kambartel, Welt, 102.
2
Diese Polemik kann die platonische Mystagogie nicht pauschal treffen. Diese hält viel-
mehr gegenüber der kantischen Mystagogie wichtige Einsichten bereit, wie G. Krüger, Ein-
sicht und Leidenschaft, 227-231.258-282, zeigt. Inwieweit die patristische Mystagogie der
neuplatonischen Zeichentheorie folgt und inwieweit sie einen eigenständigen Typus darstellt,
ist strittig. Zur Frage: Cyrill von Jerusalem, Mystagogische Katechesen, 56-86; v.a.Theodor
von Mopsuestia, Katechetische Homilien 2,239-296; Pseudo-Dionysius Areopagita, Hierar-
chie, 1-25; Chr. Riedweg, Mysterienterminologie. Sicher ist, daß sich Kants autonome Mysta-
gogie auch gegen den autoritären Charakter kirchlicher Mystagogie richtet.
3
W. Jaeschke, Vernunft, 9-134.
4
Zum Beispiel M. Josuttis, Der Weg in das Leben, v.a. 260-297.

167
genug und stets auch sind!). Demgegenüber bilden für die Theologie Gram-
matik und Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen des göttlichen Namens die
Paradigmata eschatologischer Urteilskraft des Glaubens, also der Hoffnung.
Richtig zu schweigen und die Richtigkeit dieses Schweigens argumentativ zu
vertreten, wird im Kult des göttlichen Namens erlernt und ist an kultischen
Zeichen übersichtlich darzustellen. Sie sind auch unverzichtbare Elemente
einer Grammatik und Kultur der Vernunft. Dies aufzuweisen, ist Thema des
Zweiten Hauptteils. Der abschließende Erweis der Aporie rationaler Mystago-
gie, Thema dieses Paragraphen, ist dazu die Voraussetzung.
Kants Religionsschrift als rationale Mystagogie reflektiert und reduziert zen-
trale kultische Zeichen (Sakramente) christlichen Glaubens: die (GeistJTaufe
als Symbol der Gewissensrevolution, das neue Leben der Buße und des Gebets als
Symbol des Tugendkampfes, die Öffentlichkeit des Abendmahls als Symbol der
Öffentlichkeit des ethischen gemeinen Wesens, vermittelt durch signa prognostica.
Es wäre reizvoll, die zentralen katechetischen Stücke christlicher Mystagogie
als Subtexte der Religionsschrift zu unterlegen. Doch nicht mehr die gesamte
Religionsschrift wird daraufhin interpretiert.5 Es genügt der exemplarische
Nachweis, daß die Hoffnung der Religionsschrift defizitär bleibt - gemessen
am entwickelten Programm.

1. .Revolution' und Anlage': Anfangen ohne Anfang (Taufe)

Das Faktum der Vernunft als Jtevolution in der Gesinnung" (RGV, B 54;
7,698) ist Erkenntnisgrund der gesamten Anthropologie und Eschatologie der
Religionsschrift. Diese setzt voraus, „daß der, den sie angeht, in der erfor-
derlichen guten Gesinnung schon wirklich sei, auf deren Behuf (Entwicke-
lung und Beförderung) aller praktische Gebrauch moralischer Begriffe eigent-
lich abzweckt" (RGV, B 102; 7,731). Unter dieser Voraussetzung führt die
Religionsschrift ins Hoffen ein. Die Form dieser Einführung und der Ge-
brauch der Begriffe ist der Schlüssel zur Religionsschrift. Dabei ist es ent-
scheidend, wie die Idee der Anlage zur Persönlichkeit „als eines vernünftigen
und zugleich der Zurechnung fähigen Wesens" (RGV, B 15; 7,673) gebraucht
wird, um das Faktum der Vernunft eschatologisch zu exponieren und das Fak-
tum der Religion zugleich negativistisch zu eliminieren. Die Kunst dieser
Mystagogie besteht darin, anzufangen ohne einen absoluten Anfang.
Es ist erstaunlich, wie das ursprünglich archäologische .Faktum der Ver-
nunft' jetzt wiederkehrt: Das passivum divinum seiner Einführung setzt
voraus, daß das ,Faktum für die Vernunft' weise verstanden sein will: „Wäre

5
Das Dritte Stück ist bereits in § 6,1.2 und § 3,1.2 analysiert. Wesentliche Probleme des
Ersten, Zweiten und Vierten Stücks sind andernorts dargestellt: Revolution der Gesinnung,
§ 5,1; radikal Böses, § 3,2; Rechtfertigung und Mitteilung göttlicher Gerechtigkeit, § 3,1.3.4;
Symbol des Herzenskündigers, § 6 (Zusammenfassung); Dialektik der Kultkritik, § 6,2.3.

168
dieses Gesetz nicht in uns gegeben, wir würden es, als ein solches, durch
keine Vernunft herausklügeln, oder der Willkür anschwatzen: und doch ist
dieses Gesetz das einzige, was uns der Unabhängigkeit unserer Willkür von
der Bestimmung durch alle andern Triebfedern (unsrer Freiheit) und hiemit
zugleich der Zurechnungsfähigkeit aller Handlungen bewußt macht." (RGV,
B 16 Anm.; 7,673, Kursive HA) Die Form der indirekten Exposition zeigt,
wie jetzt, nach den drei großen Kritiken, die Antwort auf die Hoffnungsfrage
sich an der Form indirekter Mitteilung des Hoffens entscheidet: Es wäre
unwahr und hoffnungslos, wenn das .Faktum der Vernunft' direkt theologisch
identifiziert würde, als ^significatio mentis devinae creaturis a Deofactam"6, so
sehr diese Definition nachhallt.

Das In-uns-gegebensein des Gesetzes wird als .Revolution' und als .Wiederge-
burt' reflektiert.7 Das Faktum der Vernunft, symbolisiert als Revolution',
restituiert einen Rechtszustand und Eigentumsanspruch rechtskräftig, ein-
malig und anknüpfungslos. .Geschöpflichkeit' symbolisiert den Rechtsan-
spruch des Gesetzes, der an den Menschen ergeht und sich an ihm entschei-
det. Als anknüpfungsloses Widerfahrnis (,eine Art von Wiedergeburt und
Neuschöpfung') erweist sich dieser Anspruch, indem es den Menschen seiner
Reflexionsvermögen enteignet, um ihn .danach' allererst wieder damit zu be-
lehnen: „Der Mensch ist nicht ein Eigentum von sich selbst"8. Nach der
juridischen Symbolik der Religionsschrift gilt Gottesebenbildlichkeit als
ursprünglicher Besitzanspruch der .Stimme' des Gesetzes, die den Menschen
mit den Gütern der Erde und zuerst: mit sich selbst belehnt: „Der Mensch
war ursprünglich zum Eigentümer aller Güter der Erde eingesetzt (I.Mos.
1,28), doch, daß er diese nur als sein Untereigentum (dominum utile) unter
seinem Schöpfer und Herrn, als Obereigentümer (dominus directus), besitzen
sollte." (RGV, B 106; 7,734)
Das revolutionäre Faktum weist an zum indirekt kreatürlichen, d.h. zum
freien und zugleich verantwortlichen Gebrauch der Vermögen. „Es gibt immer
eine .Instanz' des Daseins, die das Gewissen beherrscht. Die Freiheit im
ganzen ist existentiell, d.h. im Gewissen zur Entscheidung gezwungen; sie ist

6
Zu dieser vorkritischen Definition: § 5,1.
7
RGV, B 54; 7,698 vgl. § 5,1. Diese Passage ist autobiographisch transparent für die Le-
bensbekehrung Kants .gleichsam durch eine Explosion', vgl. Anthropologie, B 268f; 10,636:
„Der Mensch, der sich eines Charakters in seiner Denkungsart bewußt ist, hat ihn nicht von
der Natur, sondern muß ihn jederzeit erworben haben. Man kann auch annehmen: daß die
Gründung desselben, gleich einer An der Wiedergeburt, eine gewisse Feierlichkeit der
Angelobung, die er sich selbst tut, sie und den Zeitpunkt, da diese Umwandlung in ihm
vorging, gleich einer neuen Epoche, ihm unvergeßlich mache ... Vielleicht werden nur
wenige sein, die diese Revolution vor dem 30sten Jahre versucht, und noch wenigere, die sie
vor dem 40sten fest gegründet haben."
' Eine Vorlesung Kants über Ethik, hg. v. P. Menzer, Berlin 1924, 207.

169
keine Indifferenz".9 So wahr über das Gewissen entschieden ist, so wahr ist es
frei: „... aber die Beherrschung und Regierung der höchsten Weisheit über
vernünftige Wesen verfährt mit ihnen nach dem Prinzip ihrer Freiheit, und
was sie Gutes oder Böses treffen soll, das sollen sie sich selbst zuzuschreiben
haben." (RGV, B 107; 7,735)
Die Chiffrenschrift des reinen Gesetzes soll als der mit ,weißer Tinte' ins
Gewissen geschriebene Souveränitätsanspruch des Schöpfers auf die Welt
authentisch .buchstabiert' und .interpretiert' werden.10

Die Revolution am Gewissen ist Revolution des Gewissens. Das macht die
ganze Schwierigkeit der Religionsschrift aus. Jenes .Vermögen', welches die
Revolution als Revolution reflektiert, ist selbst Kind der Revolution. Das
Gewissen exponiert die Revolution, indem es sie in eine Urteilspraxis über-
führt; es kann nicht begründend dahinter zurückfragen. Nur indem es Frei-
heit exponiert, wird es selbst entdeckend analysiert - was nicht ausschließt,
daß es als anthropologische Anlage vorausgesetzt ist.
Die Revolution erweist sich also nicht im neuen, .guten' Willen oder in
.besseren' Handlungsmotiven, die auf ein reines ,Herz' schließen lassen. Das
endgültige Urteil darüber bleibt dem Gewissen verwehrt. Der neue Mensch
hofft auf Gerechtigkeit, indem er sich neu beurteilt. Er beurteilt sich neu,
indem er sich wahr beurteilt. Wie kann zur Wahrheit des Gewissens, als zur
negativen Weisheit, angeleitet werden? Darum geht es in der Religionsschrift:
Das Gewissen soll unter dem Vorbehalt des Herzenskündigers urteilen. Es
hofft, im Urteil des Herzenskündigers zu urteilen, genauer: diesem zumindest
nicht zu widersprechen. Urteilen im Urteil Gottes wäre eigentliche Weisheit,
das Ende aller Dinge. Wahr zu werden, bedeutete: Geschöpf zu sein.
Die Gewissensrevolution setzt allerdings zugleich die sich selbst erhaltende
Vernunft in ihre volle Souveränität!" Aus ihr geht auch das Gewissen als

9
G. Krüger, Moral, 29f.
10
Aufschlußreich ist, wie Kant Hamanns Metapher von Gottes Autorschaft reflektiert: Ha-
mann liest die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis im Hören auf die biblische Gottesgeschichte
vom Standpunkt einer Lebensbekehrung aus. Sie mündet ins Bekenntnis zur Lebensautor-
schaft Gottes (O. Bayer, Zeitgenosse, 74f.82f). Kant buchstabiert diese Metaphorik juridisch:
Im Faktum der Vernunft - „ein göttlicher Machtspruch, oder (welches in diesem Falle auf eins
hinausläuft) ... ein Ausspruch der selben Vernunft" (Theodizee, A 212; 9,116) - wird die
Chiffre der rein formalen Gesetzmäßigkeit durch den Gesetzgeber selbst authentisch ausgelegt:
„da wird Gott durch unsre Vernunft selbst der Ausleger seines durch die Schöpfung verkün-
digten Willens; und diese Auslegung können wir eine authentische Theodizee nennen. Das ist
aber alsdann ... Auslegung ... einer machthabenden praktischen Vernunft, die ... als die unmit-
telbare Erklärung und Stimme Gottes angesehen werden kann, durch die er dem Buchstaben
seiner Schöpfung einen Sinn gibt. Eine solche authentische Interpretation finde ich nun in einem
alten heiligen Buche [sc. Hiob] allegorisch ausgedrückt" (Theodizee, A 212f; 9,116; Kursive z.T.
HA).
11
Vgl. Denken, A, 329 Anm.; 5,283.

170
bloßes Selbstverhältnis, als sich selbst richtende Urteilskraft hervor! Das
autarke Gewissen nimmt das Widerfahrnis der Revolution reflektierend in
sich zurück. Es ist Reflexion der Reflexion: „die sich selbst richtende moralische
Urteilskraft" (RGV, B 288; 7,860).

Diese Alternanz des Gewissens entscheidet sich an der Funktion seiner an-
thropologischen Grundlegung durch die .Anlage' zur Persönlichkeit. Die
Anlage zur Persönlichkeit ist ja paradoxerweise die Anlage zur Selbstent-
eignung. 12 Sie wird, entscheidend für alles Weitere, als Zurechnungsfähigkeit
bestimmt: Persönlichkeitswürde ist das Anrecht, unter dem Rechtsanspruch
Gottes zu stehen. Sie ist erst vollständig entfaltet, wo sich Gewissen als sensus
communis in der Öffentlichkeit des Volkes Gottes reflektiert.
Als uns unbegreifbar beiwohnendes Vermögen ist diese Anlage nicht „gleich
einem Raub" zu eigen (Phil 2,6), sondern soll, nach dem .Beispiel' Jesu ge-
braucht werden:

„Die Benutzung der Idee dieses uns unbegreiflicher Weise beiwohnenden Vermögens
und die Ansherzlegung derselben, von der frühesten Jugend an und fernerhin im
öffentlichen Vortrage, enthält nun die echte Auflösung jenes Problems (vom neuen
Menschen) und selbst die Bibel scheint nichts anders vor Augen gehabt zu haben,
nämlich nicht auf übernatürliche Erfahrungen und schwärmerische Gefühle hin zu
weisen, die, statt der Vernunft, diese Revolution bewirken sollten: sondern auf den
Geist Christi, um ihn, so wie er ihn in Lehre und Beispiel [!] bewies, zu dem uns-
rigen zu machen, oder vielmehr, da er mit der ursprünglichen moralischen Anlage
schon in uns liegt, ihm nur Raum zu verschaffen." (Streit, A 93f; 9,328)

Zwar setzt die Reinigung des radikal verkehrten Herzens die Anlage für die
Persönlichkeit voraus: Wenn das reine Herz möglich sein soll, so m u ß „eine
Anlage in unserer N a t u r vorhanden sein ..., worauf schlechterdings nichts
Böses gepfropft werden kann" (RGV, B 19; 7,675). Es ist dies die „Empfäng-
lichkeit der Achtung für das moralische Gesetz, als einer für sich hinreichenden
Triebfeder der Willkür" (RGV, B 18; 7,674). Der Hervorgang des reinen Her-
zens aus dem verkehrten Herzen wird aber nicht etwa begründet aus dieser
A n l a g e ' , auf die nichts Böse gepfropft werden kann. Der gute Charakter

12
.Moralisches Gefühl' und .Gewissen' sind zunächst Vorbegriffe der Empfänglichkeit des
Gemüts für Pflichtbegriffe überhaupt, vgl. MST, A 35; 7,530. In der Religionsschrift kehren
sie als verkehrtes und reines bzw. beständiges ,Herz' (vgl. Ps 51,12!) und als .Gewissen'
wieder. Wird die reine praktische Vernunft, rechtlich typisiert, zur Legislative, so ist das Herz
die Willkürfreiheit, rechtlich typisiert: die Exekutive; Gewissen, also die sich selbst richtende
moralische Urteilskraft, gilt typisiert als Judikative. Der Herzensgrund ist der „Keim des
Guten" (RGV, B 38; 7,687), die Anlage zur Persönlichkeit, auf die nichts Böses zu pfropfen
ist, das Phänomen des bösen Gewissens. - In der Religionsschrift haben die anthropologischen
Begriffe eine gegenüber MST verandene Funktion. Das hat Kant nicht immer klar genug
ausgearbeitet.

171
wird nur durch Revolution „erworben" (RGV, B 17; 7,674). Der Begriff der
.Anlage' ist also ein Reflexionsinstrument, wie es faktische Freiheit im Voll-
zug ihres Urteilens verlangt, um jene metaphysischen Freiheitsbegründungen
auszuschließen, die kreatürliche Urteilsfreiheit aus Erschrecken vor dem
Abgrund humaner Freiheit im Abgrund absoluter Freiheit versinken lassen.
Freiheit soll nicht begriffen, sie soll nicht begründet, sondern sie soll be-
ansprucht und verantwortet werden; dazu bedarf sie, obgleich undarstellbar,
der indirekten Darstellung. Die Idee der moralischen Anlage leistet die
Grundlegung der Verantwortung und Darstellbarkeit von Freiheit, die jeder
Begründung von Freiheit entgegenarbeitet. Das wird sofort einsichtig, wenn
man sich den Gedankengang der Religionsschrift ohne diese Idee vorstellte.
Freiheit könnte ohne diese Idee nicht mehr in ihrer absolut anfänglichen
Spontaneität als Chiffre negativer Geschöpflichkeit offengehalten werden.
Ihre Geschöpflichkeit würde erneut in die Aporie eines metaphysisch-theolo-
gischen Ursprungsverhältnisses zurückfallen. Die Anlage zur Persönlichkeit ist
also ein Standpunkt, welchen das Gewissen einnimmt, um sich ins Geheimnis
der Freiheit einüben zu können. Post revolutionem rechnet das Gewissen zu
und bildet Begriffe, um differenziert zurechnen zu können, im Wissen darum,
daß die Kommensurabilität des Zurechnens inkommensurable göttliche Ge-
rechtigkeit als ihr Geheimnis eliminiert. So führt das Gewissen sich selbst in
eine sich erneuernde Urteilspraxis ein und zugleich ins Geheimnis eschatologisch
neuer Gerechtigkeit.

2. Augenblickswahrheit und innere Lüge (Buße)

Die Revolution oder Wiedergeburt entscheidet den Menschen als Persönlich-


keit' ein- für allemal. Das Vernunftfaktum ist von einer Augenblicklichkeit,
die immer schon vergangen ist. Kant beschreibt sie in einer höchst paradoxen
Formulierung: „In dem Prinzip der reinen Vernunftreligion, als einer an alle
Menschen beständig geschehenen™ göttlichen (ob zwar nicht empirischen)
Offenbarung, muß der Grund zu jenem Überschritt zu jener neuen Ordnung
der Dinge liegen, welcher, einmal aus reifer Überlegung gefaßt, durch all-
mählich fortgehende Reform zur Ausführung gebracht wird, so fern sie ein
menschliches Werk sein soll" (RGV, B 180; 7,786 Kursive HA). Was meint
Kant mit dem Paradox einer beständig vergangenen Augenblicklichkeit? Eine
nicht-repräsentierbare Externität der Stimme des Gesetzes, zeitlich symboli-
siert als ,Diachronie'u\ Was nötigt Kant zu diesem Begriff einer beständig
geschehenen, diachronen Revolution? Der Verweis auf das radikal Böse und

13
In der Ersten Auflage formulierte Kant: „als einer beständig geschehenden ...", und das
allein scheint transzendentalphilosophisch sinnvoll. Sachlich jedoch ist die andere Formulie-
rung richtig: die Gabe des Gesetzes ist beständig - bereits geschehen.
14
Zu diesem Begriff von E. Levinas: § 12,4.3

172
seine Kennzeichnung als ,intelligible Tat' scheint die naheliegende Antwort.
Doch die beständig geschehene Einmaligkeit der Revolution von der .ein-
maligen' intelligiblen Tat des radikal Bösen her zu verstehen, stellte die
Begründung auf den Kopf. Nirgends wird die Revolution in Analogie zum zu
überwindenden Bösen eine intelligible Tat genannt.15 Gerade weil sie als „eine
einzige unwandelbare Entschließung" (RGV, B 55; 7,698) dem Menschen zu-
gerechnet werden soll, muß dies auffallen.

2. / Gottes Sohn als Beispiel und Zeichen negativer Hoffnung

Aus dieser Beobachtung folgt eine Interpretationsregel: Das Erste Stück der
Religionsschrift enthält keine Anthropologie des radikal Bösen! Die .ur-
sprüngliche Anlage zum Guten' wie der .Hang zum Bösen' sind, als bloß
funktionale Grundlegungsbegriffe, von der Revolution als Konstitution des
ethischen gemeinen Wesens her zu interpretieren (also vom Dritten Stück
aus). Das Paradox der Methode, daß nur von der Pflichtformel her die Begrif-
fe von Gut und Böse und alle anthropologischen Aussagen vollständig zu
gewinnen sind, gilt - mutatis mutandis - auch für die Religionsschrift. Das
radikal Böse setzt sachlich den Begriff des Guten (das ,Reich Gottes' als
negativer Zweck, nicht als affirmative Größe) voraus: „das erste wahre Gute,
was der Mensch tun kann, sei, vom Bösen auszugehen, welches nicht in den
Neigungen, sondern in der verkehrten Maxime, und also in der Freiheit
selbst zu suchen ist." (RGV, B 69 Anm.; 7,710, Kursive HA)
Wie das simul totus iustus, totus peccator als Regel des christlichen Gebets in
der Taufe gründet, so daß sich Sündenbekenntnis und Buße an der Taufver-
heißung bemißt, so bemißt sich das erste wahre Gute: das Gewissensurteil
.radikal böse', an der Pflicht sui generis, der Pflicht zum Übergang ins Volk
Gottes. Kant nennt die Revolution deshalb nirgends eine .intelligible Tat',
weil sie als Gründung des Volkes Gottes sich in einer singulären Pflicht
darstellt, für die das ,Du kannst, denn du sollst' nicht gilt: Die Befreiung des
Gewissens zur wahren Öffentlichkeit richtet sich zwar als Sollen an den
Menschen, setzt aber diese Öffentlichkeit schon voraus.
Die vollständige Bestimmung des radikal Bösen kann also das Erste Stück
der Religionsschrift gar nicht geben. Wenn es das erste wahre Gute ist, vom
Bösen auszugehen, so wird darin öffentlich gemacht, worin das radikal Böse
als .Sünde' besteht16: Nicht nur in der äußeren, sondern in der inneren Lüge.
Hier zeigt sich ein Begriff vom Bösen, der über seine Explikation als Maxi-
menverkehrung im verkehrten Herzen hinausgeht. Die Lüge ist das formale

15
Die unglücklich formulierte Ausnahme in RGV, B 26; 7,679 bestätigt gerade diese Regel.
16
Das Sittlich-Böse als Sünde ist die „Übertretung des moralischen Gesetzes, als göttlichen
Gebotes' (RGV, B 95; 7,727).

173
Böse17. Sie besteht im Sich-nicht-Richten-lassen, in der radikalen Privatisie-
rung des Gewissens, das absolute Richterschaft ausübt. Diese zehrt von der
ethischen Wahrheit, daß das Gewissen nicht zu verrechtlichen sei und des-
halb im ethischen Naturzustand zu verbleiben habe. Erst die polemische
Fiktion des ethischen Naturzustands, die diese Versuchung zu Ende denkt,
bringt aber das radikal Böse in diesem Anspruch an den Tag. Mit einem
Wort: Lüge meint Verleugnung der Öffentlichkeit des ethischen gemeinen
Wesens und der darin geltenden Gerechtigkeit, die das privatsprachliche Ge-
wissen seiner radikalen Privatheit enteignet. Der vollständige Begriff des
radikal Bösen wird daher erst am Ende der Religionsschrift erreicht: im Be-
griff des Kultes als Idololatrie. .Religion' wird im Kult, sofern dieser als politi-
sche Religion an die Stelle der Öffentlichkeit des ethischen gemeinen Wesen
tritt, selbst zur Lüge. Dieser Kult macht ,Gott' zum ,Vater der Lüge'.18
Es ist deshalb in sehr präzisem Sinn das erste Gute, dieses radikal Böse
eschatologisch zu veröffentlichen. Der Jesus der Johannestaufe abseits des Kultes
symbolisiert insofern das ,Beispiel' des Gott wohlgefälligen Menschen und
zugleich das Zeichen des nahen .Reiches Gottes'. Eschatologische Veröffentli-
chung des Bösen ist dargestellte Revolution von Herz und Gewissen:
Die wichtigste sprachphilosophische Anmerkung der Religionsschrift bietet
in nuce eine Hermeneutik des christologischen Symbols dieser Gottessohn-
schaft als eines Beispiels für eschatologische Urteilskraft. Die Rede von Gottes
Liebe in der Hingabe des Sohnes Gottes und in der Erniedrigung Jesu Christi
bis ans Kreuz Qoh 3,16; Phil 2,5-11), wird unter dem Titel eines „Schematism
der Analogie (zur Erläuterung)" (RGV, B 82 Anm.; 7,718) verhandelt. ,Wir'
brauchen dieses ,Symbol' der Hingabe und Erniedrigung in Jesu Leben und
Tod „notwendig" (RGV, B 82 Anm.; 7,719), um die Idee Gott wohlgefälliger
Menschheit „in ihrer moralischen ganzen Vollkommenheit" (RGV, B 73; 7,712)
„durch ein Beispiel zu belegen"19. Was heißt das?
Beispielhaft ist Jesus Christus nicht als Vorbild handelnder Nachahmung,
sondern als Symbol der Begrenzung sich selbst richtender Urteilskraft, die als
Umkehr in actu Zeichen (signum rememorativum, demonstrativum et

17
„Es kostet den Falschen nichts diese einzige würde der Menschheit, nämlich warhaftig-
keit, zu verlassen. - Die Lüge (deren Anfänger der Teufel genannt wird aber auch der erste
Neider) ist ein formales Böse, welches in keinem Verhaltnisse gut seyn kan." (Reflexion 8096;
AA 19, 641).
18
„La theorie du mal, en effet, ne trouve pas son achevement dans l'essai fameux - pour-
tant publie separement - sur le mal radical, mais accompagne le deploiement de la religion
dans sa triple texture, comme la perversion specifique et, peut-on dire des maintenant, la
perversion croissante qui affecte toutes les mediations religieuses. Tout se passe comme si
l'extreme du mal n'etait atteint qu'avec la pretention a la totalisation caracteristique de la
religion a son niveau institutionnel. Mais la reciproque est egalement vraie: la restauration de
la puissance d'agir ... ne commence pas au debut du livre II, mais est anticipee au cceur meme
du livre I, avec le theme de la .dispostion' au bien" (P. Ricceur, Hermeneutique, 21).
" RGV, B 82 Anm.; 7,719. Zur Funktion des .Beispiels' für die Urteilskraft: § 4,4.4.

174
prognosticon) des nahen Reiches ist. Das Gewissen braucht dieses Beispiel.
Kant beruft sich nicht zufällig auf die johanneische Sendungschristologie: Jesu
Personwürde gründet nicht in messianischem Selbstbewußtsein, sondern in
der Exemplarität seines Urteilsenthalts über sich. Dieser Urteilsenthalt provo-
ziert das Urteil anderer über seine ,Sendung', ohne daß seine Personwürde,
als Zweck an sich, dadurch begründet wäre. „Eben derselbe göttlichgesinnte,
aber ganz eigentlich menschliche Lehrer würde ... von sich, als ob das Ideal
des Guten in ihm leibhaftig ... dargestellt würde, mit Wahrheit reden können.
Denn er würde alsdann nur von der Gesinnung sprechen, die er sich selbst
zur Regel seiner Handlungen macht, die er aber, da er sie als Beispiel für
andere, nicht für sich selbst sichtbar machen kann, nur durch seine Lehren und
Handlungen äußerlich vor Augen stellt: ,Wer unter euch kann mich einer
Sünde zeihen?"'20
Das Symbol des sich entäußernden Gottessohns ist Beispiel negativer (nicht:
negativistischer) Hoffnung: Es formuliert nicht metaphysische Erkenntnis
Gottes, sondern reflektiert die Regel, unter der sich praktische Hoffnung
göttliche Gerechtigkeit allein faßlich machen kann" (RGV, B 82 Anm.;
7,719), und zwar als Regel negativen Urteilsvollzugs: „La figure christique
represente plus qu' un simple heros du devoir, moins qu' une kenose effective
de Pabsolu lui-meme, mais, dans les limites strictes de la theorie de l'analogie,
un authentique schematisme de l'esperance."11

2.2 Erneuerung inneren Sinns

Die Rede von der .einmaligen Revolution' symbolisiert, daß durch das Fak-
tum der Vernunft ein Enteignungsanspruch an den Menschen ergeht, der sich
nicht wiederholt, weil er sich nicht zu wiederholen braucht. In der An-
erkennung des Anspruchs besteht das Gewissen: Es ist entweder in dieser
Anerkennung, oder es ist nicht. „Das Gewissen ist ein Bewußtsein, das für sich
selbst Pflicht ist." (RGV, B 287; 7,859) Die Anerkennung dieses Rechtsan-
spruchs ist nicht mit der Pflicht zur Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit zu
verwechseln, so sehr die Pflicht zur Wahrhaftigkeit, als erste Pflicht gegen sich
selbst22, in ihm impliziert ist. Der Rechtsanspruch der Wahrheit ist dem
Rechtsanspruch des Bösen, also der Lüge, inkommensurabel. Das radikal Böse
ist intelligible Tat, die sich wiederholen muß, solange Zeit bleibt. Die Idealität
und Unendlichkeit der Zeit - das einzige mögliche Mittel, ein Dasein als

20
RGV, B 82f; 7,718, Kursive HA, mit Zitat Joh 8,46.
21
P. Ricoeur, Hermeneutique, 32. Es sei darauf verwiesen, daß Karl Barth im Zweiten
Römerbriefkommentar (z.B. 216) eine vergleichbare negative Christologie und Analogie des
Kreuzes im Rahmen radikaler Eschatologie entwickelt.
22
Vgl. MST § 13-15, A 98-105; 7,572-577, und wiederum die Unterscheidung von einer
unmöglichen Pflicht gegen Gott, MST § 18, A 108f; 7,579f.

175
Größe vorzustellen und also Sinn-Bild der duratio noumenon im Unsterblich-
keitspostulat - begründet deshalb keine Hoffnung, sondern führt zu Hoff-
nungslosigkeit. Das radikal Böse bleibt, solange Anschauung von Zeit über-
haupt bleibt. Genauer noch: Zeit als duratio phainomenon einer aeternitas
noumenon muß selbst als innere Lüge durchschaut werden: Die Anschauung des
Erhofften führt in die Dialektik der Hoffnung. Daher müßte die Exposition der
Revolution Zeit als Anschauungsform hinter sich lassen.
Als .Revolution' ist das .Faktum der Vernunft' für den Menschen das Neue,
beständig geschehen (nicht: .immer wieder' neu) und unwiederholbar. Sie
eröffnet keine neue Zeitanschauung gegenüber einer alten, unwahren, sondern
läßt sich überhaupt nicht anschauen; sie ist Faktum reiner Vernunft. Weil sie
Weisheit und also einen rezeptiven, endlichen Verstand ohne Rezeptivität
verlangt, so soll in ihr ,Zeit' weder anschaulich noch unanschaulich widerfahren.
Wie aber?
Der Übergang aus dem ethischen Naturzustand ins ethische gemeine Wesen
verlangte die Erneuerung des inneren Sinns als Erneuerung der Sinne zu
einem ikonischen Sehen jenseits von Anschauung und Unanschaulichkeit;
zeitliche Schematisierung des Verstandes erweist sich in der Revolution der
Gesinnung als ein ovoj^uafi^eiv TÖ alwvi Tofaco (Rom 12,2)!
Das Vermögen der Zeitanschauung soll nicht mehr souverän zu eigen sein.
Die Idealität der Zeit, deren Signum die repräsentierende Einbildungskraft ist,
soll jetzt gebraucht werden, als habe man nicht (IKor 7,29-31): in augen-
blicklicher' Hoffnung. Negative Weisheit bedeutete also, Mitwelt und Selbst
ikonisch zu sehen (nicht: anzuschauen), so daß sie sich von sich her zeigen
können, als Zweck an sich im augenblicklichen Gefühl. Daß zumindest die
Religionsschrift dieser Forderung faktisch nicht gerecht wird, mindert keines-
wegs die Forderung eines genuinen Zeitsinns mitweltlichen, transzendentalen
Gefühls, oder genauer: der Achtung und Liebe.

2.3 Vom inneren zum ikonischen Sinn?

Praktische Weisheit vollzöge sich als augenblickliche, mitweltliche Achtung,


Liebe und auch Hoffnung, die für repräsentierende Anschauung immer schon
geschehen sind. Das Dilemma des Eingespanntsein zwischen Repräsentation
und Augenblicklichkeit spitzt sich für Kant in der Frage des Zeitsinns zu;
denn das Geschäft der Kritik beruht auf der transzendentalen Ästhetik.
Die Erste Kritik hält wenigstens den Platz für andere, praktische Zeitwahr-
nehmungen frei: Zeit ist Jaktisch - auch wenn er [sc. Kant] dies nicht als
These ausgesprochen hat - nicht nur Form des inneren, sondern auch des äuße-
ren Sinnes ... Form des äußeren Sinnes, d.h. einer Art, wie wir von den
Dingen .außer uns' affiziert werden, ist die Zeit als jeweils gegenwärtiger,
diskreter, einziger Augenblick. Da dieser aber das eigentliche Zeitliche an der
Zeit ist, liegt darin der entscheidende, für alles andere fundamentale Zug des

176
Wesens der Zeit."23 Als zeitlich Gegebenes ist das Ding außer uns stets auch
nicht anschaulich, nicht verfügbar, der Gesetzgebung des menschlichen
Verstandes nicht unterworfen; „es entzieht sich uns, wir können bei ihm
nicht verweilen, es nicht behalten. Mit anderen Worten: als zeitlich Gegebenes
ist es das unerkennbare Ding an sich. ... auch die Dinge an sich [sc. können] in
gewisser Weise empirisch ,gegeben' werden, nämlich in der paradoxen Form der
unanschaulich, wesenhaft ,flüchtigen' Augenblicklichkeit."2* Die transzenden-
tale Realität der Zeit als Augenblick ist die Weise, wie wir den Dingen außer
uns ausgesetzt und auf sie angewiesen sind. Ihre Plötzlichkeit unterbricht
nicht nur, sondern fundamentiert die Kontinuität verstandesgeleiteten Vor-
stellens.
Das Bewußtsein des eigenen Daseins als Daseins in der Zeit ist also mitnich-
ten unmittelbares' Bewußtsein des Daseins anderer Dinge außer mir, sondern
selbst zeitlich und zeichenhaft vermittelt (wobei der innere Sinn wiederum
über diesen äußeren Zeitsinn vermittelt sein soll).25 Doch das ,Ich-bin', das
Kant dem von der Außenwelt isolierten cartesianischen ,Ego-cogito' als
transzendentalen Realbezug in vermeintlicher Unmittelbarkeit voraussetzt,
bleibt unterbestimmt. Es böte sich an, „diesem sich in die Zeit erstreckenden
Ich-bin leiblichen Charakter zu verleihen."26
Im Horizont praktisch verstandener Mitwelt symbolisierte sich faktisches,
sinnlich-leibliches und dialogisches Selbstseinkönnen in genuinem Zeitlich-
sein. „Dann würde die Interpretation der Zeit, der Problematik des echten
und des unechten Miteinanderseins entsprechend, an der Möglichkeit kon-
kreter menschlicher Einigung orientiert werden müssen."27 Doch eben diese
Bestimmung unterbleibt weithin. Sie ist, vom späten Kant ausgehend, nur
über diesen hinaus zu erreichen.28

23
G. Krüger, Zeit, 287 (Kursive z.T. HA). Entscheidend für Zeit als Form des äußeren
Sinns ist nicht die Zeitanalyse der transzendentalen Ästhetik, sondern die berühmte Widerle-
gung des problematischen und dogmatischen Idealismus, KrV, B 274-279; 3,254-257. Das
Schlüsselargument findet sich (samt Korrektur aus B XXXIX) in KrV, B 275f; 3,255. Seine
Quintessenz lautet: „das Bewußtsein meines eigenen Daseins ist zugleich ein unmittelbares
Bewußtsein des Daseins anderer Dinge außer mir." Dieses unmittelbare Bewußtsein des Da-
seins anderer Dinge außer mir ist .augenblicklich'.
24
G. Krüger, Zeit, 288: „Dabei ist entscheidend, daß es ,eben dieselben Gegenstände' sind
(B XXVI), die an sich und als erscheinende, in der Zeit und im Raum .gegeben' werden."
25
„... Allein hier wird bewiesen, daß äußere Erfahrung eigentlich unmittelbar sei, daß nur
vermittelst ihrer, zwar nicht das Bewußtsein unserer eigenen Existenz, aber doch die Be-
stimmung derselben in der Zeit, d.i. innere Erfahrung, möglich sei." (KrV, B 276f; 3,255f)
26
F. Kaulbach, Wissenschaft, 145. Das Ich-bin „ist eine dritte Gestalt des Ich-denke, deren
Ort sich in dem Niemandslande zwischen den Bereichen des A priori und des A posteriori
befindet"; F. Kaulbach, Wissenschaft, 138-148; ders., Kant, 84-87.324-326.
27
G. Krüger, Moral, 190.
28
Die Interpretation der Spätschrift Vom Ende aller Dinge thematisierte genau dies: § 3,3.4.

177
3. Fühlbares Geheimnis?

3.1 Der erhabene Augenblick

Kreatürliche Mitwelt affiziert als reines Gefühl. Kant nennt als ausgezeichnete
Weise dieser plötzlichen Affektion die bewundernde „Betrachtung der tiefen
Weisheit der göttlichen Schöpfung an den kleinsten Dingen und ihrer Maje-
stät im großen" (RGV, B 307; 7,873f). Wie die Zweite Kritik in ihrem be-
rühmten Schluß, so arbeitet die Religionsschrift „durch fortgesetzte Läute-
rung und Erhebung der moralischen Gesinnung dahin ..., daß dieser Geist des
Gebets allein in uns hinreichend belebt werde" (RGV, B 305f; 872f). Die
erhabene Majestät der Schöpfung im Großen, das absolute Ganze als rein
intellektuelles Maß, wird an der astronomischen Unermeßlichkeit des Uni-
versums, am bestirnten Himmel, anschaubar.29 Der „bestirnte Himmel über
mir" (KpV, A 288; 6,300) zwingt die sukzessiv auffassende und re-präsentie-
rende Einbildungskraft zu Verknüpfungen, die ins unermeßlich Große gehen
müssen, „mit Welten über Welten und Systemen von Systemen" (KpV,
A 289; 6,300). Die sinnlich-anschauliche Zusammenfassung der Einbildungs-
kraft wird dadurch mit Gewalt bis an ihre Grenze getrieben, weil sie nur ein
zeitliches Maximum anschaulicher Synthesis, als ein Zugleich von Anschau-
ungen, leisten kann. Am erschütternden, demütigenden, ja vernichtenden,
von Unlust begleiteten, Scheitern der repräsentierenden Einbildungskraft of-
fenbart sich die Bindung des inneren Sinns an reale Zeit als Augenblicklich-
keit.
Jedoch trifft sich im Augenblick der Bewunderung des Himmels Unlust mit
Lust, sinnliche Demütigung mit intellektueller Erhebung: „Das Gefühl der
Unangemessenheit unseres [sc. Einbildungs-] Vermögens zur Erreichung einer
Idee, die für uns Gesetz ist, ist Achtung." (KU, B 96; 8,344)30 So wird der

29
Die Stimme der Vernunft fordert die Totalität der Synthesis: „Das Unendliche aber ist
schlechthin ... groß ... Aber, was das Vornehmste ist, es als ein Ganzes auch nur denken zu
können, zeigt ein Vermögen des Gemüts an, welches allen Maßstab der Sinne übertrifft."
(KU, B 92; 8,341) „Nun ist das eigentliche unveränderliche Grundmaß der Natur das absolu-
te Ganze derselben, welches ... zusammengefaßte Unendlichkeit ist. Da aber dieses Grund-
maß ein sich selbst widersprechender Begriff ist ... so muß diejenige Größe eines Naturob-
jekts, an welcher die Einbildungskraft ihr ganzes Vermögen der Zusammenfassung fruchtlos
verwendet, den Begriff der Natur auf ein übersinnliches Substrat ... führen, welches über
allen Maßstab der Sinne groß ist, und daher nicht sowohl den Gegenstand, als vielmehr die
Gemütsstimmung in Schätzung desselben, als erhaben beurteilen läßt." (KU, B 94; 8,342)
Diese Größe ist der bestirnte Himmel.
30
Die Bewegung in diesem Gefühl ist gegenwendig: „Die Qualität des Gefühls des Erhabe-
nen ist: daß sie ein Gefühl der Unlust über das ästhetische Beurteilungsvermögen an einem
Gegenstande ist, die darin doch zugleich als zweckmäßig vorgestellt wird; welches dadurch
möglich ist, daß das eigne Unvermögen das Bewußtsein eines unbeschränkten Vermögens
desselben Subjekts entdeckt, und das Gemüt das letztere nur durch das erstere ästhetisch
beurteilen kann." (KU, B 100; 8,347) Dieses unbeschränkte Vermögen ist die „Idee des

178
bestirnte Himmel zur Demütigung, in welcher das ,reine' Gefühl der Ach-
tung aufspringt. Vermittelt sind beide allein durch die Negativität der ,Präsenz'
im yAugenblick'.M
Diese gegenwendige Gefühlsbewegung wird subreptiv dem unermeßlich
Großen, also dem Himmel, selbst zugeschrieben. Sie gilt in Wahrheit als
Achtung dem eigenen moralischen Selbstsein, der intellektuellen Existenz als
Person: Achtung geht jederzeit nur auf Personen, niemals auf Sachen." (KpV,
A 135; 6,197) Reine praktische Vernunft übt jenen Zwang auf die sinnliche
Anschauung, am unermeßlich Großen die sinnliche Welt auf .unendliche'
Freiheit, jenes übersinnliche Substrat hin zu überschreiten, welches ihr und
unserem Vermögen zu denken zugrundeliegt (KU, B 94; 8,342). In der erha-
benen Affektion durch das schlechthin Große erweist so der Augenblick am
fühlbarsten seine transzendentale Realität und seine kritische Bedeutung. In
der Negativität der Präsenz, im erhabenen Augenblick wird intellektuelle
Existenz als Person fühlbar und bestimmbar.

3.2 Zufriedenheit - Ikonisches Zeichen des Unendlichen

Der Augenblick der Erschütterung stößt ex negativo auf Mit-Welt als Schöp-
fung. Doch wie? Das demütigende und intellektuell erhebende Gefühl der
Achtung stellt sich duplizitar dar: als bedürftige Selbstzufriedenheit und
enthusiastische Begeisterung.
Das moralische Gesetz schlägt „den Eigendünkel nieder" (KpV, A 130;
6,193), also die Lust oder das Wohlgefallen am eigenen Dasein, das sich
pragmatisch' am selbst verwirklichten Glück bemißt.32 Wir fühlen im Fak-
tum der Vernunft insofern bloß „eine negative Wirkung ..., die ... vornehm-
lich der Tätigkeit des Subjekts, so fern Neigungen die Bestimmungsgründe des-
selben sind, mithin der Meinung seines persönlichen Werts Abbruch tut (der
ohne Einstimmung mit dem moralischen Gesetze auf nichts herabgesetzt
wird)" (KpV, A 139; 6,200, Kursive z.T. HA). Nur diese Demütigung können
wir auf die Wirkung des Gesetzes als Bestimmungsgrund des Willens zurück-

absoluten Ganzen" (KU, B 101; 8,347), die Vernunft als Vermögen intellektueller Zusammen-
fassung.
31
„Bemerkenswert am erhabenen Gefühl ist also die doppelte Entkräftung des Prinzips der
Sukzession: zum einen eine Entkräftung im eigentlichen Sinne, die sich dem ,Regressus' der
Einbildungskraft verdankt, zum anderen eine Entkräftung oder besser gesagt Entzeitlichung,
die sich der ,Präsenz' der Idee der Vernunft verdankt ... Das erste ,Zeit-Nichts' bedroht das
Erkenntnisvermögen, das zweite ,Zeit-Nichts' begründet das reine Begehrungsvermögen."
(J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 164f.)
32
„... man gefällt sich selbst, wie ein Kaufmann, dem seine Handlungsspekulationen gut
eingeschlagen, und der sich wegen der dabei genommenen Maximen seiner guten Einsicht
erfreut." (RGV, B 51 Anm; 7,696) Man mag an das Gleichnis von .Habsucht' und .Torheit'
des .reichen Bauern' aus Lk 12,15-21 denken.

179
führen; denn das Faktum der Vernunft läßt sich nur denkend exponieren,
nicht direkt fühlen. „Da dieses Gesetz aber doch etwas an sich Positives ist,
nämlich die Form einer intellektuellen Kausalität, d.i. Freiheit, so ist es, indem
es im Gegensatze mit dem subjektiven Widerspiele, nämlich den Neigungen
in uns, den Eigendünkel schwächt, zugleich ein Gegenstand der Achtung, und,
indem es ihn [sc. den Eigendünkel] sogar niederschlägt, d.i. demütigt, ein
Gegenstand der größten Achtung, mithin auch der Grund eines positiven
Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist, und a priori erkannt wird. Also
ist Achtung fürs moralische Gesetz ein Gefühl, welches durch einen intellek-
tuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das einzige, welches wir
völlig a priori erkennen, und dessen Notwendigkeit wir einsehen können."
(KpV, A 130; 6,193f, Kursive z.T. HA)
Achtung ist sinnliche Demütigung pragmatischer Selbstzufriedenheit und
indirekt darin intellektuelle Erhebung. Diese Erhebung begreift sich als reine
Achtung des Gesetzes, fühlt aber „bloß Selbstbilligung'' (KpV, A 143; 6,202).
Dieses Gefühl der Selbstbilligung ist für Kant singulär! „Hat man aber nicht
ein Wort, welches nicht einen Genuß, wie das der Glückseligkeit, bezeichne-
te, aber doch ein Wohlgefallen an seiner Existenz, ein Analogon der Glückse-
ligkeit, welche das Bewußtsein der Tugend notwendig begleiten muß, an-
zeigete? Ja! dieses Wort ist Selbstzufriedenheit, welches in seiner eigentlichen
Bedeutung jederzeit nur ein negatives Wohlgefallen an seiner Existenz andeu-
tet, in welchem man nichts zu bedürfen sich bewußt ist." (KpV, A 21 lf;
6,247) Die „unbedingte Achtung fürs Gesetz" (RGV, B 59; 7,701) enthält eine
unter dem Gegenteil der Demütigung verborgene, indirekte, intellektuelle
Selbstbilligung, die wiederum „das innere Prinzip einer ... uns möglichen
Zufriedenheit" (RGV, B 51 Anm.; 7,696) ist.
Zufriedenheit ist also jenes Gewissensgefühl, in welchem negatives Wohlgefallen
an eigener Existenz mitweltlich widerfahrt und geschöpfliche Güte als negative
Hoffnung präsent wird: Gefühl guten Lebens. Das Geborensein zur Freiheit
verantworten zu können und nicht rechtfertigen zu müssen, ist Grund der
Freude?1 Zufriedenheit ist Gefühl ikonischer Freiheit, die nicht mit negativi-
stischer Weltlosigkeit zu verwechseln ist. „Der Gesang der Vögel verkündigt
Fröhlichkeit und Zufriedenheit mit seiner Existenz." (KU, B 172; 8,400)
Ikonische Freiheit ist nicht autark, weit- und bedürfnislos, sondern von freier
Bedürftigkeit, die sich affizieren läßt. „Freiheit und das Bewußtsein derselben,
als eines Vermögens, mit überwiegender Gesinnung das moralische Gesetz zu
befolgen, ist Unabhängigkeit von Neigungen, wenigstens als bestimmenden

" Zufriedenheit symbolisiert sich als Freispruch des Gewissens. Der Mensch kann sich we-
der Strafe noch Lossprechung selbst zuteilen. Der rechtskräftige Spruch, dem das Gewissen
frei zustimmen kann und soll, ergeht „über den Menschen, ihn loszusprechen oder zu verdam-
men ...; wobei zu merken ist, daß der erstere [sc. Freispruch] nie eine Belohnung ..., sondern
nur ein Frohsein, der Gefahr, strafbar befunden zu werden, entgangen zu sein, enthalte"
(MST, A 103; 7,575f).

180
(wenn gleich nicht als affilierenden) Bewegursachen unseres Begehrens, und ...
der einzige Quell einer notwendig damit verbundenen, auf keinem besonde-
ren Gefühle beruhenden, unveränderlichen Zufriedenheit, und diese kann
intellektuell heißen." (KpV, A 212; 6,247, Kursive z.T. HA) Intellektuelle
Zufriedenheit läßt sich affizieren und lernt, an der .schönen Gestalt einer
wilden Blume', erhoffte Kreatürlichkeit ikonisch zu sehen und sich selbst
darin zu fühlen.
Wäre also Selbstzufriedenheit das ikonische Zeichen schöpferischer Freiheit
und richerlicher Souveränität, gerade in deren Nicht-Abbildbarkeit? Dafür
gibt es Anhaltspunkte bei Kant: „Die Freiheit selbst wird auf solche Weise
(nämlich indirekt) eines Genusses fähig, welcher nicht Glückseligkeit heißen
kann, weil er nicht vom positiven Beitritt eines Gefühls abhängt, auch genau
zu reden nicht Seligkeit, weil er nicht gänzliche Unabhängigkeit von Neigun-
gen und Bedürfnissen enthält, der aber doch der letztern ähnlich ist, so fern
nämlich wenigstens seine Willensbestimmung sich von ihrem Einflüsse, frei
halten kann, und also wenigstens seinem Ursprünge nach, der Selbstgenügsam-
keit analogisch ist, die man nur dem höchsten Wesen beilegen kann." (KpV,
A 213f; 6,248, Kursive z.T. HA)

3.3 Enthusiasmus - Zeichenloses Zeichen des Unendlichen

Das ex negativo kreatürliche Gefühl der Zufriedenheit bleibt allerdings namen-


los. Doch diese Namenlosigkeit ist zeichenloses Zeichen: Zeichen enthusiasti-
scher Freiheit. Das Gefühl des Erhabenen entdeckt in der Ohnmacht gegen-
über einer übermächtigen Natur die Anlage zur Persönlichkeit als Vermögen,
uns als von der Natur „unabhängig zu beurteilen" (KU, B 105; 8,350). Sie läßt
„eine Überlegenheit über die Natur [fühlen], worauf sich eine Selbsterhaltung
von ganz andrer Art gründet, als diejenige ist, die von der Natur außer uns
angefochten ... werden kann" (ebd., Kursive HA).
Neben das praktisch-kreatürliche, augenblickliche Existenzgefühl der Zufrie-
denheit tritt so das negativistische „Geistesgefühl"34 der Erhabenheit der eige-
nen intelligiblen Bestimmung35: „Aber eines ist in unserer Seele, welches,
wenn wir es gehörig ins Auge fassen, wir nicht aufhören können, mit der
höchsten Verwunderung zu betrachten, und wo die Bewunderung recht-
mäßig, zugleich auch seelenerhebend ist; und das ist: die ursprüngliche mora-
lische Anlage in uns überhaupt ... die Unbegreiflichkeit dieser eine göttliche
Abkunft verkündigenden Anlage muß auf das Gemüt bis zur Begeisterung wir-
ken, und es zu den Aufopferungen stärken, welche ihm die Achtung für seine

34
KU, H 67; 8,231, zur Interpretation: J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 206-208.
35
Das Gefühl des Erhabenen in der Natur ist Achtung für unsere eigene Bestimmung, vgl.
KU, B 96; 8,344 u. KpV, A 157.158; 6,211.212. Zur reinen Innerlichkeit des Erhabenen vgl.
KU, B 78; 8,331.

181
Pflicht nur auferlegen mag." (RGV, B 57-59; 7,700-702, Kursive HA) Der
Negativismus des erhabenen Gefühls ist das zeichenlose Zeichen der Präsenz
des Absoluten im Gemüt, dessen Name eliminiert ist: „... die Einbildungs-
kraft kann in der Leere, die sie jenseits ihrer ,Zusammenfassungs'kapazität
entdeckt, seine ,Prasenz', fast wie eine Wahnvorstellung, signalisieren."36 Der
Negativismus, in der das Geheimnis fühlbar wird, bleibt aporetisch. Er ist in
der Gefahr, das Unanschauliche als Unanschauliches - anzuschauen.
Die Katechese der Religionsschrift endet im aporetischen Schweigen. Sie
führt in jenen „Geist des Gebets" (RGV, B 302; 7,871), der „ohne Unterlaß"
(ebd.) in uns stattfinden soll und der eben dazu das Gebet, verbale und non-
verbale Zeichen, transzendieran muß. Nirgends kristallisiert sich die Rück-
nahme des Gewissens ins reine Selbstverhältnis schärfer und härter als in der
Rücknahme des Gebets in den Geist des Gebets. Das Gebet wird zum Ge-
spräch „eigentlich mit sich selbst" (RGV, B 304f; 7,872).
Wegen der theoretischen Absurdität der Vorstellung, .sinnlich' zu Gott zu
sprechen, muß das Gebet in den zeit- und sprachlosen Geist des Gebets aufge-
hoben werden: „... denn der Mensch mag nun laut beten, oder seine Ideen
innerlich in Worte auflösen, so stellt er sich die Gottheit als etwas vor, das
den Sinnen gegeben werden kann, da sie doch blos ein Princip ist, das seine
Vernunft ihn anzunehmen zwingt. Das Daseyn der Gottheit ist nicht bewie-
sen, sondern es wird postulirt, und es kann also blos dazu dienen, wozu die
Vernunft gezwungen war, es zu postuliren ... Daher kommt es auch, daß
Derjenige, welcher schon große Fortschritte im Guten gemacht hat, aufhört
zu beten"37. Unter dem Titel rigoroser Wahrhaftigkeit zwingt Moralität zum
Gebetsverzicht, der in Wahrheit Ausdruck der Dialektik der Anschauungs-
form ist.
Das Gefühl des Gebets bleibt so zutiefst alternant und mit ihm das Gefühl
des .Geheimnisses'. Wenn irgendwo, dann verwickelt sich hier „das Denken
der Gottesidee bei ihrem Denker" in einen unentschiedenen Prozeß, „des
Prozesses nämlich zwischen dem Element .Idee' in der Gottesidee und dem
Element .Gott' in ihr", oder genauer: zwischen der Idee und dem göttlichen
Namen.38 Man höre die Alternanz der Kant'schen Rede!

Der bestirnte Himmel hat die Kraft, „das Gemüt nicht allein in diejenige
dahin sinkende, den Menschen gleichsam in seinen eigenen Augen vernichten-
de Stimmung, die man Anbetung nennt, zu versetzen, sondern es ist auch, in
Rücksicht auf seine eigene moralische Bestimmung, darin eine seelenerheben-
de Kraft, daß dagegen Worte, wenn sie auch die des königlichen Beters David
... wären, wie leerer Schall verschwinden müssen, weil das Gefühl aus einer

56
Vgl. J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 172. 257f. Hier setzt Lyotards Begriff vom
Geheimnis der göttlichen Stimme an, vgl. ders., Ein Bindestrich, 23.27.29.135.
37
Reflexion zur Religionsphilosophie 8092, AA 19, 637f (1788-1790).
58
M. Buber, Gottesfinsternis, 548f.

182
solche Anschauung der Hand Gottes [Zufügung von B] unaussprechlich ist"
(RGV, 307; 7,874, Kursive z.T. HA).39
Aber: Ist die Bewunderung des bestirnten Himmels „nur verschwindender
Anlaß" für die erhabene Bewunderung der eigenen moralischen Persönlichkeit
als reiner Intelligenz?40
Jedoch: Das Gefühl weist notwendig einen Platz in der unsichtbaren und
siebtbaren Welt an! Das Gefühl der Achtung fängt „von meinem unsichtbaren
Selbst, meiner Persönlichkeit, an, und stellt mich in einer Welt dar, die
wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstände spürbar ist, und mit wel-
cher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich
nicht, wie dort, in bloß zufälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Ver-
knüpfung erkenne"? (KpV, A 289; 6,300, Kursive HA)41
Aber: Ist diese Verknüpfung des unsichtbar-persönlichen und sichtbar-leibli-
chen Selbst anderes als die Herrschaft, durch welche die gottgleiche Intelli-
genz das tierische Geschöpf in uns mehr und mehr sich unterwerfen soll}
Jedoch: Lehrt praktische Weisheit nicht, sich gerade in der Transzendenz
des kategorischen Imperativs, der über das endliche Wesen hinaushebt, zu-
gleich als endlich, als (mit)geschöpflich zu verstehen?
Aber: Müßte für das leiblich-sinnliche, kreatürliche Selbst das Gefühl der
Anschauung der Hand Gottes' dann nicht auch mitteilbar sein? Erforderte
das Gewissensgefühl als eine Art von sensus communis nicht der Mitteilung?

Die Negativität des Erhabenen ist die crux des Kant'schen Mysteriums. Das
fühlbare Geheimnis kreatürlicher Freiheit verlangt die semiotische Frage, in-
wiefern dieses Geheimnis augenblicklich, sinnlich-leiblich und mitweltlich
mitzuteilen sei. Es verlangt - um es abkürzend zu pointieren - die Frage nach
endlichen Zeichen des unendlichen Namens Gottes. Dies ist die Frage nach
dem Gebet und dem Sakrament.

Selbstverständlich ist von Kant keine theologische Theorie kultischer Zeichen zu er-
warten. Doch die Funktionalisierung des öffentlichen Gebets und Gottesdienstes zur
ethischen Feier wird zum Index allzu souveräner Aufklärung.42 Nur als moralische
Selbstaffektion hat die Rede zu Gott, die namentliche Anrede und Anrufung,
Geltung.

39
Die berühmtere Parallele der Zweiten Kritik (KpV, A 288f; 6,300) ist hinzuzuziehen.
40
F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 3, 456 Anm. 3, vgl. 456-458.
41
H. Heimsoeth, Theologisches, 86-108. Die ästhetische Geistesstimmung des Erhabenen
sei von der praktischen Existenz-Erfahrung des Schlusses der Zweiten Kritik scharf zu unter-
scheiden (95 Anm. 21)!
42
Das öffentliche Gebet ist „zwar kein Gnadenmittel, aber doch eine ethische Feierlich-
keit" (RGV, B 306 Anm.; 7,873; vgl. RGV, B 307 Anm.; 7,873).

183
3.4 Leidenschaft der Freiheit - Semiotische Desiderate

Die semiotische Aporie der Religionsschrift führt z u m Schlüsselproblem der


praktischen Philosophie, zur Typik als Konflikt der Interpretation, zurück.
Kants Erhabenheitsrhetorik liegt die Topik des Achten Psalms (ein Psalm
Davids) zugrunde 43 :

„HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst
deine Hoheit am Himmel! Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast
du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, daß du vertilgest den Feind und
den Rachgierigen. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und
die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, und des
Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht
als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt." (Ps 8,2-6)

D a ß die Topik des bestirnten Himmels zentral ist, ist mehr als bekannt.
U n b e k a n n t ist aber, daß Kant auch den anderen Psalm-Topos aufnimmt,
wenn auch an entlegener Stelle: Die Macht, die sich ,der N a m e ' aus dem
M u n d von Kindern und Säuglingen zurichtet. Das unmündige Geschrei des
vitalen Bedürfnisses ist nicht-intentionale Doxologie. Die arme Kreatur lobt
,den N a m e n ' , der keiner Anerkennung, aber der kreatürlichen Schwäche
bedarf.
Kant interpretiert Armut und Bedürftigkeit im Geschrei der Kinder als
Ausdruckszeichen der Freiheitsleidenschaft:

J a das Kind, welches sich nur eben dem mütterlichen Schöße entwunden hat,
scheint, zum Unterschiede von allen andern Tieren, bloß deswegen mit lautem
Geschrei in die Welt zu treten; weil es sein Unvermögen, sich seiner Gliedmaßen zu
bedienen, für Zwang ansieht und so seinen Anspruch auf Freiheit (wovon kein
anderes Tier eine Vorstellung hat) so fort ankündigt ... So erweckt nicht allein der
Freiheitsbegriff unter moralischen Gesetzen einen Affekt, der Enthusiasm benannt
wird, sondern die bloß sinnliche Vorstellung der äußeren Freiheit erhebt die Nei-
gung, darin zu beharren oder sie zu erweitern, durch die Analogie mit dem Rechts-
begriffe bis zur heftigen Leidenschaft."44

Im Geschrei, das die Mitwelt nicht nur physisch zwingt, nehmen die Neu-
geborenen in ihrer äußersten Bedürftigkeit von dieser Mitwelt Freiheit in
Anspruch. Im wechselseitigen Zwang stellt sich Freiheit leidenschaftlich dar.
Diese Leidenschaftlichkeit von .Freiheit' ist eine erstaunliche, aber nicht un-
vorbereitete Erweiterung des Freiheitsbegriffs bei Kant: Leidenschaften näm-

43
Kant greift den Topos des bestirnten Himmels aus Johann Spaldings .Bestimmung des
Menschen' auf, Spalding legt dort explizit den Achten Psalm zugrunde: H. Stephan, Spal-
dings Bestimmung des Menschen, 45f.
44
Anthropologie, B 230f; 10,603f, Kursive z.T. HA.

184
lieh „gehen eigentlich nur auf Menschen und können auch nur durch sie
befriedigt werden" (Anthropologie, B 232; 10,605). Im unmündigen Geschrei
wird mitweltliche Freiheit beansprucht.

Diese rühre „von einer dunkeln Idee ... von Freiheit und der Hindernis derselben,
dem Unrecht" (Anthropologie, B 230 Anm.; 10,603) her. In kindlicher Freiheits-
leidenschaft sei die dunkle Idee des Rechts als Befugnis zum {wechselseitigen) Zwang
impliziert.45 Entsprechend gebe es nur ein einziges Recht, das als angeboren in
Anspruch genommen werden kann: Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nö-
tigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Ge-
setz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen,
kraft seiner Menschheit, zustehende Recht."46

Das Recht, das sich im kindlichen Geschrei der Freiheitsleidenschaft dunkel


anzeigt, ist in der Fiktion des ethischen Naturzustandes vorausgesetzt. Das
leidenschaftliche Recht auf Freiheit kann in den ethischen Kriegszustand füh-
ren. Praktische Weisheit bestünde darin, in der „Wechselwirkung der Men-
schen mit ihren unbedingten Ansprüchen auf Recht - man könnte sagen: auf
mitweltliche leidenschaftlich geforderte Autorität"47 den Rechtsanspruch des
Gesetzes als Würde der Kreatur aufzufinden.
Es ist eines festzustellen, daß Kant neben dem Enthusiasmus auch die Pathe-
tik der bedürftigen Leidenschaft und Zufriedenheit kennt, schließlich die
Pathetik der Hoffnung und Liebe, diese aber faktisch nicht in eine praktische
Zeichentheorie überführt, welche lehrte sinnliche Zeichen als typisierten
Rechtsanspruch zu lesen.

Das Interesse am positiv-formalen Zwangsrecht als Inbegriff von Gerechtigkeit läßt


die Frage nach sprachlicher Mitteilung als ,Zeichen' einer nicht-kommutativen bzw.
nicht-distributiven inkommensurablen Gerechtigkeit nicht aufkommen: „Die bloß
deskriptive Behandlung des Phänomens der Mitwelt in der Anthropologie ist daher
der eigentliche Grund aller Aporien der Kantischen Lehre von Rechtsgesetz und
Rechtsschema und der gesamten Lehre von der Lebenserfahrung."48

Ein anderes aber ist es, dieses Desiderat einer praktischen Zeichentheorie als
Aporie der Kant'schen Urteilstheorie namhaft zu machen. Selbstzweckliche
Würde als praktisch-typische Chiffre der Geschöpflichkeit teilt sich in Aus-
druckszeichen mit, die praktische Beschreibung verlangen. Jn, mit und unter
der .äußeren' Erscheinung erscheint uns das .innere' Wesen der Sache. Unsere
Rezeptivität ist nicht nur sinnlich, sondern auch .geistig' - wobei durch das
Wort .geistig' gerade auch dies ausgedrückt werden soll, daß sich das Unsinn-

45
„Recht und Befugnis zu zwingen bedeutet also einerlei" (MSR, B 36; 7,340).
46
MSR, B 45; 7,345. Das Lebensrecht wird als Freiheitsrecht in Anspruch genommen.
47
G. Krüger, Moral, 94.
48
G. Krüger, Moral, 96, vgl. 168f.

185
liehe sinnlich manifestiert."49 Hoffnung als sensus communis schließt Leiden-
schaftlichkeit als Signum geschöpflicher Zugehörigkeit und Zusammengehö-
rigkeit ein: eine Pathetik.50 In Ansätzen durchgeführt hat Kant diese Forde-
rung nur in seiner Ästhetik des Schönen.
Die Unendlichkeit göttlicher Gerechtigkeit und Wahrheit wird, mangels
semiotischer Unterscheidungen, der Hoffnung nur im erhabenen, negativisti-
schen, unmitteilbaren Enthusiasmus zugänglich, als Reflexion der Reflexion
bestimmungsloser Vollzug intelligibler Existenz. Der göttliche Name, dieses
absolute Zeichen, ist eliminiert, ohne als sinnlich-pathisches, mitteilsames
Zeichen überhaupt infrage gekommen zu sein.

Zusammenfassung: Geheimnis des Reiches Gottes

Die Revolution, in welcher die moralische Anlage als Charakter und das
Gewissen als moralischer Gemeinsinn entschieden werden, ist der Anfang der
Katechese, die durch Arbeit der Kritik ins .Geheimnis' der Freiheit führt.
Durch praktische Exposition der Revolution führt sich Gewissen, als Sinn
und Reflexion der Reflexion, selbst ins fühlbare Geheimnis geschöpflicher
Freiheit ein. Absolute Freiheit, göttliche Souveränität, rechtlich typisiert als
Richterschaft, Regentschaft und Gesetzgeberschaft des göttlichen Reiches, ist
dieses Mysterium. Mit der Reduktion des Gewissens ins Geheimnis, ver-
mittelt durch die Selbstanweisung zum Übergang ins ethische gemeine We-
sen, endet die Katechese im Dritten Stück der Religionsschrift. Der kateche-
tische Charakter der Religionsschrift wird jetzt als Mystagogie ausdrücklich.
Die Anmerkung zum Dritten Stück ist ihr Fokus. In ihr versammeln sich die
skizzierten Probleme.

1. Geheimnis als Lebensform geschöpflicher Freiheit

Das Gewissen entdeckt sich, indem es sich als praktischer Gehorsam unter
dem Gesetz durch die Idee der Anlage und der Revolution exponiert, also das
Geheimnis der Freiheit fühlbar macht: „Es ist unmöglich, a apriori und
objektiv auszumachen, ob es dergleichen Geheimnisse gebe, oder nicht. Wir
werden also in dem Innern, dem Subjektiven unserer moralischen Anlage,
unmittelbar nachsuchen müssen, um zu sehen, ob sich dergleichen, in uns
finde." (RGV, B 209; 7,805, Kursive HA)

" G. Krüger, Religiöse und profane Welterfahrung, 83; Einsicht und Leidenschaft, 138-282.
50
Friedrich Schillers Ästhetik widmete sich bekanntlich als erste diesem Desiderat einer
Pathetik: R. Homann, Art. Pathetisch, das Pathetische, in: H W P 7,168-177, v.a. 170-173;
Kants Replik: RGV, B llf; 7,669f.

186
Der Ursprung der Freiheit ist jene Aporie, die offen gehalten werden muß:
.Schöpfung' kann nur als Lebensform der Freiheit fühlbar, sie darf nicht als
ihr ontotheologischer Grund begriffen werden; dies aber ist zu begreifen.
Ontotheologisch ist Freiheit die Aporie, das Geheimnis schlechthin: „der uns
unerforschliche Grund dieser Eigenschaft aber ist ein Geheimnis, weil er uns
zur Erkenntnis nicht gegeben ist." (ebd.) Freiheit als ontotheologisches Ur-
sprungsverhältnis zu denken, ist die Versuchung praktischer Vernunft, die in
politischer Theologie und Nihilismus endet.51
.Schöpfung' soll als Lebensform der Freiheit exponiert werden; für die reine
praktische Vernunft, die nicht nach dem guten Leben fragt, sondern rigoros
befiehlt, ist Freiheit noch „kein Geheimnis" (ebd.). Sie wird erst der Hoff-
nung als Geheimnis Gottes fühlbar: als Lebensform der Freiheit, die erlaubt,
Güte der Freiheit zu fühlen. Hoffnung muß dazu selbst als genuin endlicher,
kreatürlicher Sinn fürs Unendliche exponiert werden. Sie ist im System der
Vermögen ortlos, also weder spekulativ-theoretisch zu verorten, wie noch in
der Ersten Kritik, noch praktisch-dogmatisch, wie in der Typik der Zweiten
Kritik. Am ehesten bietet die Dritte Kritik einen Zugang zur Endlichkeit der
Hoffnung, sofern Hoffnung als reale Orientierung, als kognitives Gefühl, als
Urteilssinn, als sensus communis und eben darin als behutsam bezeichnendes
Gewissen zu beschreiben ist. Daß Urteilskraft sich stets zugleich als Reflexion
der Reflexion in apriorische Selbstbegründung zurücknimmt, freilich ohne
sich darin letztzubegründen, erwies sich als die Alternanz der Kant'schen
Hoffnung.
Der Konflikt zwischen selbstbegründet-reiner und zeichenbedürftiger Hoff-
nung, beispielhaft in Kants Reflexion der Verheißungsmetaphorik, wiederholt
sich in der Darstellung der joeiligen Geheimnisse' der Hoffnung. Soll Hoff-
nung auf Gottes Reich Lebensform der Freiheit sein, wozu die Gewissens-
pflicht zum ,Reich Gottes' anweist, so führt das zu einer Urteilspraxis korre-
lativer Richterschaft, die als vollzugshafte Kreatürlichkeit gefühlt werden
darf, obgleich Kreatürlichkeit als Geheimnis schlechthin unbegriffen bleiben
muß: „Aber eben diese Freiheit ist auch allein dasjenige, was, wenn sie auf
das letzte Objekt der praktischen Vernunft, die Realisierung der Idee des
moralischen Endzwecks angewandt wird, uns unvermeidlich auf heilige
Geheimnisse führt." (ebd.)

51
„Wir können uns die allgemeine unbedingte Unterwerfung des Menschen [sc. als Bürger
eines ethischen Staates] unter die göttliche Gesetzgebung nicht anders denken, als sofern wir
uns zugleich als seine Geschöpfe ansehen; eben so, wie Gott nur darum als Urheber aller
Naturgesetze angesehen werden kann, weil er der Schöpfer der Naturdinge ist. Es ist aber für
unsere Vernunft schlechterdings unbegreiflich, wie Wesen zum freien Gebrauch ihrer Kräfte
erschaffen sein sollen; weil wir, nach dem Prinzip der Kausalität, einem Wesen, das als
hervorgebracht angenommen wird, keinen andern innern Grund seiner Handlung beilegen
können, als denjenigen, welchen die hervorbringende Ursache in dasselbe gelegt hat, durch
welchen (mithin durch eine äußere Ursache) dann auch jede Handlung desselben bestimmt,
mithin dieses Wesen selbst nicht frei sein würde." (RGV, B 215f.; 7,810)

187
2. Unendlichkeit: Gott - alles in allem?

Die theologische Pointe von Autonomie als korrelativer Richterschaft erweist


sich, wenn Vernunft sich selbst als jener Gesetzgeber versteht, dessen Gesetz
unvermeidlich auf heilige Geheimnisse führt. Erst mit der Pflicht: „Der
Mensch soll aus dem ethischen Naturzustande herausgehen, um ein Glied
eines ethischen gemeinen Wesens zu werden" (RGV, B 134; 7,755) ergeht jene
Selbstanweisung zur mitweltlichen Humanität, durch welche die moralische
Anlage entschieden und zugleich ihr Geheimnis benennbar und fühlbar wird.
„Also läßt sich die göttliche, heilige, mithin bloß freie Wesen angehende Ge-
setzgebung mit dem Begriffe einer Schöpfung derselben durch unsere Ver-
nunfteinsicht nicht vereinbaren, sondern man muß jene schon als existierende
freie Wesen betrachten, welche nicht durch ihre Naturabhängigkeit, vermöge
ihrer Schöpfung, sondern durch eine bloß moralische, nach Gesetzen der Freiheit
mögliche Nötigung, d.i. eine Berufung zur Bürgerschaft im göttlichen Staate
bestimmt werden. So ist die Berufung zu diesem Zwecke moralisch ganz klar,
für die Spekulation aber ist die Möglichkeit dieser Berufenen ein undurch-
dringliches Geheimnis." (RGV, B 216; 7,810, Kursive HA)
Praktische Vernunft verpflichtet zur .Bürgerschaft in einem Reich Gottes',
erkennt aber, daß diese Pflicht nicht nur der Art, sondern dem Prinzip nach
von allen anderen verschieden ist: Sie fordert, auf Gott zu hoffen. Du sollst
hoffen, dich im .Augenblick' der Revolution im .Reich Gottes' vorzufinden.
Diese Hoffnung soll aufgefunden werden, ohne daß sie herzustellen ist. Sie
zeigt sich: sei es im Gefühl der Zufriedenheit und der spielerischen Lust am
mitweltlichen Dasein; sei es im Enthusiasmus; sei es in der menschenfreundli-
chen Denkungsart der Liebe, deren .merkwürdiges' Dasein an die erschienene
Menschenfreundlichkeit Gottes erinnert: „Das Reich Gottes auf Erden: das ist
die letzte Bestimmung des Menschen ... Christus hat es herbeygerükt."52
Die Religionsschrift kann sich nicht auf dieses transmoralische Reich Gottes
richten, auf das Faktum der Religion. Sie fragt nach dem .Reich Gottes' als
Teilkultur der Vernunft und Symbol des rechtlich typisierten, ethischen
gemeinen Wesens, ohne allerdings .eigentliche' religiöse Hoffnung in Abrede
zu stellen! Die Paradoxie der Pflicht zum .Reich Gottes' liegt in der Indirekt-
heit der Selbstanalyse und Selbstdarstellung, darin, daß die Selbstanweisung
als Pflicht ergeht, aber nicht auf Verwirklichung zielt, sondern auf Erneue-
rung der Wahrnehmung des inneren Sinns und der äußeren Sinne. Rationale
Praxis weist sich selbst in hoffende Erwartung: „Weil der Mensch die mit der
reinen moralischen Gesinnung unzertrennlich verbundene Idee des höchsten
Guts (nicht allein von Seiten der dazu gehörigen Glückseligkeit, sondern auch
der notwendigen Vereinigung der Menschen zu dem ganzen Zweck) nicht selbst
realisieren kann, gleichwohl aber darauf hinzuwirken in sich Pflicht antrifft,

Reflexion 1396, AA 15/2, 608.

188
so findet er sich zum Glauben an die Mitwirkung oder Veranstaltung eines
moralischen Weltherrschers hingezogen [!], wodurch dieser Zweck allein
möglich ist, und nun eröffnet sich vor ihm der Abgrund eines Geheimnisses,
von dem, was Gott hiebei tue, ob ihm überhaupt etwas, und was ihm (Gott)
besonders zuzuschreiben sei, indessen, daß der Mensch an jeder Pflicht nichts
anders erkennt, als was er selbst zu tun habe, um jener ihm unbekannten
wenigsten unbegreiflichen Ergänzung würdig zu sein." (RGV, B 210f; 7,806,
Kursive z.T. HA)
Verheißung des .Reiches Gottes' und des .Gerichts Gottes' kann im Gewis-
sen nur weise, also indirekt verstanden werden. Aber moralische Urteilspraxis
soll sich als innerer Gottesdienst verstehen, als Leben in den Geheimnissen des
Reiches Gottes. Sie soll Gottes .Handeln' als Richter, Versöhner und Schöpfer
als Geheimnis erwarten, ohne daß göttliches Handeln in die Maximen aufge-
nommen werden kann. In der Pflicht zum ethischen gemeinen Wesen be-
stimmt sich die Praxis der Freiheit zu dieser Erwartung. Daß es Kant nicht
wirklich gelingt, diese Erwartung als Erneuerung der Wahrnehmung, des Sin-
nes und der Sinne, zu explizieren, bleibt zu erinnern. So sieht sich praktische
Weisheit in eine ungeheure Nähe Gottes versetzt, auf die sie angewiesen sein
soll und die ihr doch begreifbar unbegreiflich und unanschaulich bleibt. Aber
muß sie unmitteilbar bleiben?
Daß „Gott alles in allem ist" (RGV, B 204; 7,802) ist das „Geheimnisvolle,
über alle Grenzen möglicher Erfahrung Hinausreichende, bloß zur heiligen
Geschichte der Menschheit Gehörige, uns also praktisch nichts Angehende"
(RGV, B 204 Anm.; 7,802). Kant verweist auf Newtons Versuch, die Ursache
der Schwere der Körper als reale göttliche Allgegenwart in der Erscheinung
zu verstehen (als omnipraesentia phainomenon). Diese Vorstellung wird jetzt
nicht mehr einfach verworfen, sie will vielmehr weise verstanden sein. Kant
deutet sie als praktisch-weisheitliche Reflexion des Gravitationsgesetzes: Die
Schwere als Symbol göttlicher Allgegenwart in der Vereinigung der Körper
zur Welt kann keinen ontotheologischen Begriff des Schöpfers begründen,
„(denn das Dasein Gottes im Raum enthält einen Widerspruch), aber doch
eine erhabene Analogie" (RGV, B 209f. Anm.; 7,805) des Geheimnisses der
Vollendung der Verheißung (IKor 15,23-28) als Vereinigung der Geschöpfe,
ihrer Zusammengehörigkeit und Verwandtschaft. Eben „so würde es auch
dem Versuch ergehen, das selbständige Prinzip der Vereinigung der vernünfti-
gen Weltwesen in einem ethischen Staat einzusehen, und die letztere daraus
zu erklären. Nur die Pflicht, die uns dazu hinzieht, erkennen wir; die Mög-
lichkeit der beabsichtigten Wirkung, wenn wir jener gleich gehorchen, liegt
über die Grenzen aller unserer Einsicht hinaus" (RGV, B 210 Anm.; 7,805).
Das transsubjektive (nicht intersubjektive) , Wir' des ethischen gemeinen We-
sens, Inbegriff der Vollendung, Versöhnung und Schöpfung, ist im strengen Sinne
alleiniges „heiliges Geheimnis (mysterium) der Religion" (RGV, B 210 Anm.;
7,806). Es ist das, „was nur Gott tun kann, wozu etwas selbst zu tun unser
Vermögen, mithin auch unsere Pflicht übersteigt" (ebd.).

189
3. Dreifaches Geheimnis: Umformung der Tradition

Es ist die Gegenprobe auf die vorgelegte Interpretation der Religionsschrift


als rationale Mystagogie, daß Kant den Begründungszusammenhang der
Religionsschrift von diesem Geheimnis her (analytisch) rekapituliert: Im
Gewissen als praktischer Weisheit kann Gott nur als Souverän seines Volkes
typsiert werden, dessen „dreifache obere Gewalt (pouvoir)" alleiniger Rechts-
grund der korrelativen Richtersprüche des menschlichen Gewissens ist.53 So
sehr wir in der .Pflicht der Menschheit gegen sich selbst' das unbedingte
Sollen zu hören haben, so sehr impliziert die Pflicht, weise verstanden, jene
theologisch denkende Welterfahrung der Hoffnung, die der Maßstab des Un-
ternehmens der Kritik ist. Der „Abgrund eines Geheimnisses, von dem, was
Gott hiebei tue, ob ihm überhaupt etwas, und was ihm ... besonders zu-
zuschreiben sei" (RGV, B 210f; 7,806) läßt sich deshalb in „drei uns durch
unsre eigne Vernunft geoffenbarte Geheimnisse einteilen" (RGV, B 215; 7,
810). Die Selbstverpflichtung zur Bürgerschaft im Reich Gottes führt zur
differenzierten Einsicht in Geschöpßichkeit als Lebensform der Freiheit und
zwar als dreifaches Geheimnis:
Als Berufung weist der Anspruch dieser Pflicht an, die verfassunggebende
Gesetzgebung in diesem Reich nur wahrzunehmen, nicht selbst zu beanspru-
chen: als ,Bürger' sollen wir uns hier vorfinden, anstatt uns selbst als letztin-
stanzliche Rechtssubjekte zu setzen. Berufung setzt den Verzicht auf absolute
Richterschaft voraus und wird gelebt als .dijudikatorische' Richterschaft.
Als Genugtuung weist sie an, den Richtspruch des bösen Gewissens nicht an
sich selbst zu vollziehen: als Bürger sollen wir unsere kreatürliche Würde er-
halten lassen, anstatt uns selbst zu verwerfen oder zu entwürdigen.54 Genug-
tuung wird gelebt als Erneuerung des Sinns zur Zufriedenheit.
Als Erwählung weist sie zur Ehre Gottes, die nicht von uns erwählt werden
kann, aber durch uns frei anerkannt werden will. Das setzt den Verzicht vor-
aus, das Faktum der Vernunft letztzubegründen. Die Anerkennung der in der
Stimme des Gesetzes verborgenen Ehre, darf auf ihr Wahrwerden hoffen.

Kant n i m m t hier die reformierte Lehre von den decreta Gottes auf (Schöpfung u n d
Vorsehung als decretum generale und Erwählung als decretum speciale 55 ). Er be-
s t i m m t sie aber eschatologisch als Aspekte des rechtlich typisierten Reiches Gottes.

53
Die eigenartige Anmerkung RGV, B 211f; 7,807 möchte das korrelative Ineinander von
menschlichem und göttlichem Richterspruch vorstellen.
54
Im Blick ist Hiobs Selbstverfluchung (Hi 3)! Erhaltung als praktisch-rechtlicher Terminus
meint: Aufhaltung des Strafgerichts, voraussetzend Genugtuung für rechtmäßig verhängte
Strafen, vgl. Reflexion 8086, AA 19, 630.
55
Zur reformierten Dekretenlehre und der Unterscheidung von decretum generale et speciale
praedestinationis: H. Heppe/E. Bizer, Dogmatik, 107-109 (109-120). Die lutherische Lehre
von den opera ad extra essentialia, insbesondere der opera potentiae (Schöpfung, Vorsehung
und Vollendung) ist zu beachten: C.H. Ratschow, Lutherische Dogmatik 2, 157.

190
In dieser Neubestimmung zeigt sich in nuce die Umstellung des gesamten dogmati-
schen Begründungsgefüges von der Ontotheologie auf die Eschatologie: .Geheimnis'
steht vor Kant an der Vermittlungsstelle zwischen den articuli fidei mixti und den
articuli fidei puri. Die articuli fidei mixti gelten als auch der Vernunft zugängliche
Lehren. Sie umfassen: Existenz, Macht und Güte Gottes im Zusammenhang seiner
Schöpfung, Erhaltung, Regierung und Vollendung der Welt. Die articuli fidei puri
handeln von den Geheimnissen Gottes: Trinität, Erbsünde, Menschwerdung und
Sühnetod Jesu, deren Erkenntnis nur in der Offenbarung und also in der Schrift (als
theologischem Erkenntnisprinzip) begründet sind.56 Wie gezeigt, beansprucht das
urteilende Gewissen jetzt, die Offenbarungsgeheimnisse innerhalb der Grenzen der
Vernunft einsehen zu können. Dazu werden diese Lehren pragmatisiert, also als
Grammatik von Religion als Lebensform praktischer Vernunft interpretiert, und
zwar im Wege pragmatischer Selbsteinführung. Vernünftige Aneignung der ur-
sprünglichen Offenbarungsgeheimnisse und Aufhebung der Sakramente Taufe, Buße
und Abendmahl gehen Hand in Hand. Umgekehrt werden die ontotheologischen
articuli fidei mixti jetzt zum dreifachen eschatologischen Geheimnis, wobei das escha-
tologische mysterium des Reiches Gottes pragmatisiert wird: Geschöpflichkeit wird
Lebensform der Freiheit als Urteilspraxis der Hoffnung im Geheimnis Gottes.

4. Negativität als Frage nach ikonischen Zeichen

Nicht zufällig stößt Kant bei seinen Bibellektüren auf Mk 13,11: „Euch ist's
gegeben, daß ihr die Geheimnisse des Himmelreiches verstehet". Er glossiert:
„Des innern Gottesdiensts" 57 . Kants Rede vom inneren Gottesdienst bleibt
zweideutig: Er kann zur souveränen inneren Andacht, zum negativistischen
Geistesgefühl der unbegreiflichen moralischen Anlage werden. Aber .Reich
Gottes' meint auch: erhoffte Geschöpflichkeit als Lebensform der Freiheit,
praktische Mitgeschöpflichkeit im Gewissen als sensus communis. Sie beruft
sich auf das augenblickliche H ö r e n einer Stimme, die für das Anschauen
beständig schon vergangen ist, weil sie sich der Repräsentation der Einbil-
dungskraft entzieht, nicht aber dem ikonischen Sehen.
Diese Alternanz kristallisiert sich im Mitteilungscharakter des Kant'schen
Geheimnisses: O b und wie das Geheimnis mitzuteilen sei, ob und wie es
.sinnlich' wahrgenommen, .weise' verstanden und beschrieben und zur Zu-
stimmung angemutet werden könne? Kant nimmt immer wieder Anlauf, u m
sich über diese transzendental befremdende und doch praktisch grundlegende
Erkenntnis des eschatologischen Geheimnisses klar zu werden. Kennzeich-
nend ist für all diese Reflexionen, daß sie die Aporie der Mitteilung des Ge-
heimnisses als Aporie des Übergangs von praktischer Weisheit zum spekulati-
ven Begriff formulieren: „In allen Glaubensarten, die sich auf Religion be-

56
D. Hollaz, Examen, I, 57: „Articuli fidei puri sunt partes doctrinae Christianae de
mysteriis divinis captu rationis humanae sibi relictae superioribus, divinitus tarnen revelatis."
" Reflexion 8112, AA 19, 652.

191
ziehn, stößt das Nachforschen ... unvermeidlich auf ein Geheimnis, d.i. auf
etwas Heiliges, was zwar von jedem einzelnen gekannt, aber doch nicht
öffentlich bekannt, d.i. allgemein mitgeteilt werden kann. - Als etwas Heiliges
muß es ein moralischer, mithin ein Gegenstand der Vernunft sein, und
innerlich für den praktischen Gebrauch hinreichend erkannt werden können,
aber, als etwas Geheimes, doch nicht für den theoretischen; weil es alsdann
auch jedermann müßte mitteilbar sein, und also auch äußerlich und öffentlich
bekannt werden können." (RGV, B 207f; 7,803, Kursive z.T. HA)58 Daß Kant
mehrfach auf diese Formel zurückkommt,59 ist ein Indiz, daß sie abbreviativ
und ungenügend bleibt. Es trifft ja nicht zu, daß das Heilige, das gekannt
wird, nicht allgemein und öffentlich mitzuteilen wäre. Soll nicht seine Dar-
stellung, als Mitteilung des Gefühls der Bewunderung, sogar „von Schulen
und Kanzeln [sc. herab] eine besondere oft wiederholte Beschäftigung der
Lehrer" (Ton, A 418; 5,393) sein? Wenn Kant trotzdem darauf beharrt, daß
das Geheimnis zu verschweigen, weil nicht allgemein mitzuteilen sei, so setzt
er einen Begriff von Mitteilung voraus, der am Paradigma theoretischer
Intersubjektivität orientiert bleibt: „Geheimniß ist im theoretischen Ver-
stände: was man nicht wissen kann, [sc. und deshalb] im practischen: was
nöthig ist zu verbergen."60 Der Begriff einer genuin praktischen Symbolisa-
tion und des Gewissens als Hoffnungssinn wäre möglich und durch die Kritik
des Geschmacks vorbereitet: Das Schöne als ikonische, beschreibbare, mit-
teilungs- und zustimmungsfähige Idee läßt fragen, ob nicht das inexponible
Geheimnis ikonisch zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu fühlen und zu
beschreiben ist. Aber die Darstellungsform der Religionsschrift wird dieser
Möglichkeit nicht gerecht. So bleibt die Erhabenheitstopik eines Mysteriums,
das sich negativ anzeigt, ohne mitteilbar zu sein.61 Im negativistischen Ge-
heimnis kristallisiert sich die Aporie des Hoffens bei Kant. Es ist dies jene
namenstheologische, methodische und semiotische Aporie der Kant'schen
Philosophie, die am Beginn der Untersuchung genannt wurde und jetzt
vollständig entwickelt ist.
Für die Frage nach ikonischer Hoffnung des göttlichen Namens und seiner
Unendlichkeit im Zweiten Hauptteil bildet sie den Ausgangspunkt.

58
Die Entgegensetzung: .innerlich' - .äußerlich' ist erst in B eingefügt. Sie nimmt zweifel-
los die Unterscheidung: .esoterisch' - .exoterisch' aus Reflexion 8084, AA 19, 629 auf.
59
RGV, B 210 Anm.; 7,805; RGV, B 215; 7,809; RGV, B 217f; 7,811f; RGV, B 218 Anm.;
7,812 nehmen diese Bestimmung weniger präzise und vollständig auf.
60
Reflexion 8084, AA 19,629.
61
„... das von der ethischen Maxime bereitete Gefühl ist in der ästhetischen Ordnung nicht
mit dem erhabenen Gefühl, sondern mit dem Gefühl des Schönen zu vergleichen ... Die
Sittlichkeit implizien also intrinsisch die Forderung nach ihrer allgemeinen Mitteilbarkeit
und ist darin dem Gefühl des Schönen analog ... Das Erhabene entzieht sich dagegen sowohl
der einen als auch der anderen Forderung nach allgemeiner Mitteilung" 0.-F. Lyotard, Analy-
tik des Erhabenen, 261.262.263).

192
Zweiter Teil

Grammatik und dichte Beschreibung


gottesdienstlicher Zeichen
bei Franz Rosenzweig und Hermann Cohen

§ 8 Exposition der Frage


„... das Jüdische ist meine Methode, nicht mein Gegenstand ..."'

Die Religionsphilosophie Hermann Cohens2 (1842-1918) und die .Theologie'


Franz Rosenzweigs3 (1886-1929) nahmen im deutschsprachigen und nehmen
im französischen, angelsächsischen und israelischen Judentum heute eine be-
deutende, ja herausragende Stelle ein.4 Im Leben und Werk dieser beiden
exponierten Gestalten des deutschen Judentums vor seiner Vernichtung
bereitet sich im ersten Drittel des Jahrhunderts eine .Heimkehr' (t'schuva) in
die jüdische Lebensform vor, die in der prekären und bedrohten Lage des
emanzipierten Judentums die kontroversen Optionen von Assimilation, So-
zialismus und Zionismus zu übergreifen sucht.5 Kann in der Situation des
deutschen Diaspora-Judentums und seiner im Scheitern begriffenen Emanzipa-
tion die jüdische Lebensform neu erlernt werden? Kann sie in konkreter
.Symbiose' mit christlichen Lebensformen erlernt werden, die begründet ist
durch „engste Verwandtschaft: die der Wahrheit"6?

1
F. Rosenzweig, BT, 720 (Brief an Hans Ehrenberg, September 1921).
2
Insbesondere in seinem Hauptwerk Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums,
1. Auflage 1919, 2. Auflage 1929, Nachdrucke der 2. Auflage 1966.1978.1988. Religion der
Vernunft wird im Rahmen des Gesamtwerks interpretiert: H. Cohen, Werke.
3
In seinem Hauptwerk Der Stern der Erlösung, 1. Auflage 1921, 2. Auflage 1930, 3. Auflage
1954, 4. Auflage 1976 (Bd. II der Gesammelten Schriften), seitenidentisch mit der 5. Auflage
1988. Der Stern der Erlösung wird im Zusammenhang des Gesamtwerks interpretiert: F.
Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften.
4
Dies ist dokumentiert in drei Kongreßbänden zu Rosenzweigs hundertstem Geburtstag:
Der Philosoph Franz Rosenzweig (1886-1929); The Philosophy of Franz Rosenzweig.
5
Zur Biographie Rosenzweigs: S.211-214. Zur Biographie Cohens: Franz Rosenzweigs be-
rühmte und umstrittene .Einleitung in die Akademieausgabe der jüdischen Schriften Her-
mann Cohens' (Z, 177-223).
6
E. Levinas, Vorwon, 13.

193
Der jüdische Gottesdienst, die Heiligung und Einigung ,des Namens',
nimmt in dieser .Heimkehr' (.Rückkehr' und .Umkehr') den konstitutiven
Rang ein. In ihm werde - wie Rosenzweig 1917 in seiner Programmschrift
zur Erneuerung jüdischen Lernens formuliert7 - die jüdische Lebensform be-
ständig erlernt und lernend fortgebildet: Wem Sidur und Machsorim „kein
versiegeltes Buch bedeuten, der hat das .Wesen des Judentums' mehr als
erfaßt, er besitzt es als ein Stück Leben in seinem Innern, er besitzt eine
.jüdische Welt'." (Z, 462) Im Kult hat das Erlernen der messianischen Lebens-
form .Gesetz' nicht seinen einzigen, wohl aber seinen paradigmatischen Ort:
„Das lebendige tätige Verständnis des Gottesdienstes ist der Faden, an den
kristallgleich sich ansetzen kann, was dem Judentum zu seiner Fortdauer
allezeit nottut: eine jüdische Welt."8
Die gottesdienstliche Lebensform und Kultur als Paradigma der messia-
nischen Lebensform des Gesetzes wird bei Cohen wie bei Rosenzweig in der
Perspektive der Hoffnung erlernt. Dies charakterisiert sie als Vertreter eines
Judentums, das der Kantischen Philosophie verpflichtet ist. Zugleich begrün-
det es die Differenz zwischen Cohens Messianismus und Rosenzeigs Eschato-
logie. Mit der messianischen Idee der einen weltgeschichtlichen Zukunft un-
ter dem einzigen Gott ist für Cohen die Idee der wahrhaft politischen Wirk-
lichkeit und des theodizeeischen Sinns der Geschichte verbunden. Einigung
und Heiligung des göttlichen Namens im Gesetz, vor allem stellvertretendes
Mit-Leiden des erwählten Volks inmitten geschichtlicher Antagonismen sei
das messianische Symbol dieser Zukunft, und zwar, entgegen christlicher
Eschatologie, das einzig mögliche. Bleibt aber Cohens Insistieren auf dem
messianischen Charakter vernünftiger Hoffnung und Ethik selbst in der Hoff-
nung, d.h. unter dem Widerspruch durch ein eschatologisch neues, gescbichts-
transzendentes Handeln Gottes? F. Rosenzweig fragt hingegen nach Vermitt-
lung eschatologischer Hoffnung und messianischem Leben in jüdischer Ethik:
Im jüdischen Gottesdienst wird eschatologische Hoffnung des göttlichen Na-
mens erlernt, die weiter reicht als das Gesetz; gerade deshalb kann in der
messianischen Lebensform des ,Gesetzes', in der ewiges Leben des erwählten
Volkes aufzufinden und mitzuteilen ist, dieser Name exklusiv bewährt wer-
den. Dialogische Unvereinbarkeit der exklusiven Lebensformen jüdischer und
christlicher Hoffnung schließt eschatologische Wahrheitsverwandtschaft nicht
aus - im Gegenteil: Sie ist ihr .Geheimnis', der Schnittpunkt im Unendlichen
des göttlichen Namens. „... in dem Augenblick, wo ich ... zum ersten (und
einfüralle-) Mal die Hoffnung erlebte, war die objektive Grundlage (der
Schnittpunkt im Unendlichen) gefunden ... Auf dieser Grundlage steht seit-
dem alles bei mir".9

7
F. Rosenzweig, Zeit ists ... (Ps. 119,126). Gedanken über das jüdische Bildungsproblem
des Augenblicks, Z, 461-481, 462.
8
Z, 463 (Kursive HA); vgl. BT, 257f.261.263-265.
9
Brief Franz Rosenzweigs an Rudolf Ehrenberg vom 25.8.1919, BT, 642f.

194
1. Gottesdienstliche Zeichen des göttlichen Namens

Hoffnung kann nur vermittelt über die messianische Lebensform .Gesetz'


und zwar insbesondere vermittelt über ihr gottesdienstliches Paradigma be-
schrieben werden. Diese Lebensform und Kultur ist nicht vollständig auf an-
dere Lebensformen und Kulturen abzubilden und als Teil humaner Vernunft-
kultur zu rekonstruieren. Sie muß erlernt worden sein, um dann in ihrer
Grammatik, ihrer Kultur und ihrer dialogischen Wahrheit begriffen und
beschrieben werden zu können. Dies ist ein theologisch und philosophisch
zentraler, kritischer Grundsatz. Soll die Rationalität der Hoffnung, der
Verheißung und des Geheimnisses, aus den Quellen des Judentums oder aus
den Quellen des Christentums für einen wirklichen Dialog dargestellt wer-
den, so muß aus diesen Quellen gelebt werden. Erst wenn die biblischen
Texte, die gottesdienstlichen Gebete, die liturgischen Formulare und Hand-
lungen ,im Namen des Einzigen' und ,in Abraham' erlernt worden sind, ist
es möglich, die Aporie zu ermessen, die darin besteht, daß dieselben Texte,
Gebete, liturgischen Formulare und liturgischen Handlungen in kontradikto-
risch widersprechender Geltung verwendet werden, im ,trinitarischen Namen
Gottes' und ,in Jesus Christus' - und umgekehrt. Dieser Widerspruch tritt in
seiner kontradiktorischen Schärfe erst zutage, wenn nicht nur die oberflä-
chengrammatischen und historischen Traditionszusammenhänge dieser Zei-
chen beschrieben werden, sondern wenn sie in ihrer Einbettung in die jewei-
lige Lebensform und Kultur beschrieben werden.
Der Stern der Erlösung ist für diese kulturelle Grammatik und Beschreibung
ein paradigmatischer Text deutschsprachiger jüdischer .Theologie' im 20.
Jahrhundert. Franz Rosenzweig sucht mit ihm offenzulegen, wie er als assimi-
lierter, völlig in der wissenschaftlichen, historistischen, philosophischen und
nicht zuletzt protestantisch-theologischen Kultur des ersten Jahrhundertdrit-
tels beheimateter Jude die Faktizität seiner messianischen Lebensform .Ge-
setz' und ihrer Sprachspiele neu erlernt. Er arbeitet Methoden grammatischer
und dichter Beschreibung dieser Lebensform und Kultur aus, die bis heute
theologisch innovativ sind. Und er gebraucht sie, um zu beschreiben, daß
und wie das Sein im Gesetz im faktischen, an der Oberfläche weitgehend
gesetzesfremden, jüdisch-aschkenasischen Gottesdienst immer schon erlernt
und geltend gemacht wird, und zwar christentumskritisch geltend gemacht
wird. Wir nennen Rosenzweigs grammatische und dichte Beschreibung der
messianischen Lebensform Gesetz am Beispiel der gottesdienstlichen Zeichen
insgesamt eine eschatologische Beschreibung. Damit zeigen wir an, daß die Of-
fenlegung der Geltungsdifferenz der Verheißungszeichen letztlich stets auf das
noch ausstehende Geheimnis ,des Namens' und seiner Wahrheit orientiert bleibt.
Die jüdische Homologie des Namens, die Benediktion und die Doxologie ist,
wie die christliche Rede und zugleich grundverschieden von ihr, Rede aus
Glauben auf Hoffnung.

195
Die messianische Lebensform ist in der ,Gabe des Namens' begründet: im
Verheißungsnamen ICH BIN DA (Ex 3,14b), auf welche die Heiligung und
Einigung des Namens antwortet, wofür die Homologien des Sch'ma Jisrael
und des Jichud Haschern das Beispiel bilden. Sie wird im Erlernen des Gesetzes
erhalten und fortgebildet. Im .lebendigen und tätigen' Erlernen der gottes-
dienstlichen Zeichen bauen sich die Elemente der Urteilsbildung auf, die in
den vielfältigen Lebenssituationen angewandt, fortgeführt und erweitert
werden, und in deren Gebrauch sich die jüdische Welt erbaut. Weil ein
bestimmtes Lernen, eine bestimmte Urteilsbildung, eine bestimmte Methode
in der Lebensform ,Gesetz' vorausgesetzt ist, deshalb kann Rosenzweig
behaupten, daß die Ethik des Gesetzes „Lehr- und Lern-Ethik" (BT, 787) sei.
Der Stern der Erlösung, dem als zweites Lebenswerk ein Kommentar über
„die Grundsätze, die Gesetze, ,das Gesetz'" folgen sollte10, wird daher konse-
quent als namenstheologisches Prolegomenon zum Erlernen des Gesetzes, als
methodische Vorschule und eben darin als Ausdruck einer genuinen .Heim-
kehr' ins Gesetz interpretiert.
Das Erlernen des Gesetzes als einer ,mit dem Namen gegebenen' Lebensform
ist selbst schon und sogar im eminenten Sinne .Werk' des Gesetzes. Dies
könnte als transzendentalpragmatische Figur verstanden werden; und es ist in
der Tat in der Sache begründet, daß sich Cohen und Rosenzweig am ehesten
an Kants Urteilstheorie anschließen. Aber über die transzendentalpragmati-
sche und analytische Theorie von Religion als Kultur humaner Rationalität
(vgl. § 6,2) führen Cohen und Rosenzweig genau darin hinaus, daß gottes-
dienstliche Zeichen zum Beispiel des Lernens und des Erlemens des Lernens wer-
den, weil der göttliche Name als Faktum der Religion für sie nicht zu elimi-
nieren ist." Der Gottesdienst ist Ort elementaren Erlemens des Gesetzes,
wobei das elementare Erlernen des Lernens selbst schon Werk des Gesetzes
ist, so daß der Gottesdienst als zentrales Element der Lebensform .Gesetz'
darin auch beständig erhalten und fortgebildet wird.
Lernen, Lernen des Lernens, Urteilsbildung und Urteilstheorie werden
damit explizit (namens)theologisch aufgebaut. Dabei ist zu beachten, daß sie

10
BT, 762, vgl. 764; 784; 951; 1196. .Grundsätze' bezieht sich wohl auf mischnische Math-
nithot; auf Baraithot aus mischnischer Zeit, die nicht in der Mischna Platz fanden; auf
talmudische Halachot.
11
.Zeichen' sei vorläufig (.strukturalistisch-linguistisch') eingeführt als (primär sprachliche)
Verständigungshandlung, also als Zeigehandlung, die auf Zeigehandlungsschemata zurück-
greift. „Redend gebrauchen wir vereinbarte, für wiederholte Aktualisierung verfügbare Sche-
mata von Zeigehandlungen oder kurz: Zeichen, z.B. Wörter." Sprache (langue) dient als Zei-
chensystem der Verständigung, der aktuellen Rede (parole). (W. Kamlah/P. Lorenzen, Logi-
sche Propädeutik, 58, vgl. 53-64.) Dieser Zeichenbegriff, v.a. sein implizites Verständnis von
Handlung, Verständigung, Referenz, Prädikation, Begründung oder Verifikation, wird im fol-
genden schrittweise theologisch modifiziert, bis schließlich aus theologischem Grund der Zei-
chenbegriff selbst erweitert wird. Über die theologische Diskussion informiert weitgespannt:
M. Meyer-Blanck, Der Ertrag semiotischer Theorien, v.a. 194-202.

196
differenzierte Valenz besitzen: Sie begegnen auf der Ebene des primären
Lernens, des propädeutisch explizierten Erlernens dieses primären Lernens
und schließlich in der metatheoretischen Frage nach der Methode dieser
Lernform in Differenz zur rationalen Mystagogie.
Den Charakter des primären Lernens pointiert Rosenzweig in einer merk-
würdigen Analogie: „Das jüdische .Lernen' ist keine Theologie. Es entspricht
in seiner Bedeutung für uns etwa eurem Sakrament. Wenn ich [sc. lehrend]
vor Juden spreche, so ist das wie eure Abendmahlsgemeinschaft." (BT, 728)
Diese rätselhafte Bemerkung ist abbreviativ: Sie trifft nur den Charakter pri-
mären, gottesdienstlichen Lernens. Sie erklärt nicht, ja sie verwischt, daß die-
ses Lernen reflex wird und im Stern der Erlösung sogar Lehre ausbildet. Sie
läßt unerwähnt, daß für Rosenzweig die Methode dieser Lehre und .Theolo-
gie' das genuin Jüdische war. Auch darin ist diese Analogie problematisch,
daß sie einen bestimmten, Hegel'schen Sakramentsbegriff als Modell christli-
cher Gottesdienst- und Zeichentheorie insinuiert. Gleichwohl bildet die um-
fassende Explikation und Kritik ihrer Aspekte, Gründe und Folgerungen,
zuletzt ihrer Folgerungen für einen möglichen escbatologischen Begriff ikoni-
scher Zeichen oder Sakramente das Ziel der folgenden Untersuchung: Inwie-
fern baut der Stern schrittweise eine Grammatik gottesdienstlicher Zeichen
auf? Wie wird der Gebrauch dieser Zeichen namenstheologisch begründet?
Inwiefern wird Urteilsbildung, insbesondere die Geltungsgrenze dieser Zei-
chen mit erlernt? Inwiefern sind gottesdienstliche Zeichen ein .Beispiel' für
Hoffnung als Urteilssinn? Inwiefern trägt diese Grammatik der Reichweite
des Verheißungsnamens Rechnung, der über die Grenze der gottesdienst-
lichen Zeichen hinausreicht? Welchen Status hat die Rede vom Geheimnis
des göttlichen Namens und inwiefern wird dieses Geheimnis in ikonischen
Zeichen mitgeteilt? Das Lernen der gottesdienstlichen Zeichen wird zum Er-
lernen des Geheimnisses .des Namens' und darin zum Erlernen genuiner
Hoffnung. Diese Hoffnung findet in liturgischen Zeichen ihren Ausdruck.

2. Katechetische Theologie. Der Aufbau der Untersuchung

Theologie nimmt im Stern der Erlösung die Form einer im göttlichen Namen
orientierenden Katechese an, und zwar als Einführung in seinen gottesdienst-
lichen Gebrauch, der Paradigma der Heiligung des Namens in der Lebens-
form des Gesetzes ist.12 In der Durchführung dieser Arbeitshypothese
interpretieren wir die dafür zentralen Teile des Sterns der Erlösung.

u
So auch R. Schaeffler, Vernunft und das Won, 63-69.79-89. Neben den großen histori-
schen Typen rationaler Mystagogie und katechetischer Theologie (Kant, Piaton und Patristik)
bilden logische Propädeutiken für diese Arbeitshypothese den engeren Entdeckungszusam-
menhang, insbesondere: W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik; W. Kamiah, An-
thropologie; E. Tugendhat, Vorlesungen; Propädeutik.

197
Interpretation meint: Bestimmte, für die Frage exemplarische Textpassagen, bisweilen
nur intuitive Aussagen oder Bemerkungen, werden als Argumente in ihren Begrün-
dungsschritten aufgebaut.13 Fehlende Zwischenglieder werden kritisch angemerkt,
ergänzt oder aus anderen Texten beigebracht. Der intuitive, rhetorisch-poetische
Sprachgestus des Sterns der Erlösung wird durch logische und semiotische Termini
vereindeutigt und reduziert. Er wird bewußt reduziert. Es ist nämlich eine der zen-
tralen Fragen der Grammatik gottesdienstlicher Zeichen, warum und inwiefern in
ihr rhetorische Bilder und semantische, syntaktische und semiotische Metaphorik
einen konstitutiven, nicht nur ornamentalen Rang hat. Es zeigt sich, daß das Erler-
nen der gottesdienstlichen Zeichen explorative Urteilskraft erfordert, weil grammati-
sche Regeln Kunstregeln sind. Aber umgekehrt gilt auch: Die konstitutive Bedeutung
der Regelübertragung und des Regelbruchs für das Erlernen solcher Urteilskraft setzt
einen explizit eingeführten und im Kernbestand dialogisch finiten Regelzusammen-
hang voraus! Die Polarität von Regel und explorativer Übertragung oder Durch-
brechung charakterisiert das Erlernen des Lernens.

Die sukzessive Einführung elementarer Zeichen am Beispiel gottesdienstlicher


Zeichen beginnt (§ 9) mit der grammatischen Beschreibung der Homologie
,des Namens' im Sch'ma Jisrael und Jichud Haschern, im Schuldbekenntnis
Widduj u n d in der Bitte u m Vergebung Selicha (Verkündigung der dreizehn
Eigenschaften oder Gnadennamen Gottes). Die ,Gabe des Namens', wie wir
statt .Offenbarung' zu sagen vorziehen, seine Präsenz und Externität, bildet
den Anfang des Lernens.
Die logische Explikation ,des Namens' (§ 10) erweist diesen Anfang als legi-
timen theo-logischen Anfang: Sie analysiert das homologisch-dialogische .Wort'
von Ruf u n d Anrufung als eigentliche Einführungssituation. Sie weist den
weiteren Weg, sofern sie den Übergang vom dialogischen Ruf und Anruf zur
Glaubensaussage in der Satzwerdung ,des Namens' im Tetragrammaton be-
gründet. Der N a m e wird z u m grundlegenden Verheißungssatz: ICH BIN DA
(Ex 3,14b). Mit dem Schritt von der Einführung zur wirklichen Verwendung

15
So wird, um die wichtigste Auslassung zu benennen, das gesamte Erste Buch des Stern
(S, 1-99) keiner expliziten Analyse unterzogen. Die .dialogische Logik', mit deren Elementen
unsere Interpretation arbeitet, könnte in ihrem Kontrast zur dort verwendeten .Ursprungs-
logik' durchaus eigens ausgearbeitet werden. Aber die .Umkehrung' von der sprachtran-
szendenten transzendentalen Ursprungslogik zur sprachkritischen dialogischen Logik, die der
Übergang vom Ersten zum Zweiten Teil des Stern unternimmt (S, 91-123), wird in unserer
Interpretation vorausgesetzt und durchgeführt. Sie wird am Beispiel (nämlich Cohens und Ro-
senzweigs Analyse des Sch'ma Jisrael) erläutert. Und sie ist implizit das Thema, wenn es um
die Lebendigkeit der Sprache, die .Sprachbewegung' als .Organon' des Schöpfungsglaubens
geht. - Daß der Erste Teil des Stern in seiner Anlage wie in bestimmten Passagen Anregung
zu schöpferischer Fortführung sein kann, ist dadurch unbestritten; um nur zwei Beispiele zu
nennen: E. Levinas, Totalität und Unendlichkeit; sowie W. Benjamin, Ursprung des Trauer-
spiels. Zu seiner Interpretation: St. Moses, System und Offenbarung, 33-70; H J . Adriaanse,
467-499; R. Gibbs, 40-45; H.-J. Goertz, Tod und Erfahrung; N.N. Samuelson, 643-656; W.
Schmied-Kowarzik, 51-90; R. Wiehl, Logik und Metalogik, 623-642.

198
des Gottesnamens in der Glaubensaussage erhebt sich das theologische Problem
der begründeten Geltung. Theologisch führt dies zur Frage nach dem Wo der
Namensanrufung (also zur Frage nach dem Geltungsbereich) und zur Unter-
scheidung der Einführung ,des Namens' vom Anfang seiner .geschichtlichen'
Offenbarung: ein geschichtlicher Anfang und sein Text, ein bestimmtes Wo
und eine bestimmte Sprachgemeinschaft sind im Erlernen ,des Namens' im
homologischen Dialog impliziert. Wir verfolgen Rosenzweigs Namens-
theologie bis zu jenem Punkt, an dem sich erstmals die Frage stellt, was es
für das Verständnis von Wahrheit bedeutet, daß sich zwei kontradiktorisch
widersprechende Homologien in der Verheißung des Namens begründen: das
Sch'ma Jisrael und die Homologie Kyrios Jesus] Im Durchdenken dieser Frage
zeigt sich, inwiefern Glaubenssätze, die sich auf eine dieser Homologien
begründend zurückführen, ausweisbar .Sätze ins Geheimnis' heißen können:
Sie gründen in ihrem begründet unentscheidbaren Widerspruch im Geheimnis
der eschatologischen Wahrheit .des Namens', seiner Unendlichkeit.
In der begründeten, aber nicht letztbegründeten Verwendung von Sätzen in
Glaubensaussagen ist schon ein bestimmtes Verständnis von Geschöpflichkeit
und realer Orientierung erlernt. Es unterscheidet Franz Rosenzweig z.B. vom
Dialogismus Martin Bubers, daß er an der prädikativen Aussage und am
(universellen) Satz als legitimen, wahrheitsfähigen und nicht bloß abkünftigen
Redeformen des Namensglaubens festhält. Exemplarische Aspekte der Prädi-
kation werden im Stern der Erlösung schöpfungstheologisch entfaltet (§§ 11
und 12): Die irreduzible Metaphorik der Glaubensrede und darin die .Leben-
digkeit' der Sprache bildet den elementaren Zugang zur Geschöpflichkeit der
Sprache14 und jener Urteilskraft, die sich als Glaube und Hoffnung vollzieht.
Diese weitreichende These wird erneut analytisch rekonstruiert: Die These
von der Geschöpflichkeit der Vernunft im Glauben interpretiert die irreduzi-
ble, semantische und syntaktische Metaphorik propositionaler Rede und den
explorativen Charakter logischer Regeln als Kunstregeln. Die Bedingungen
von Verständigung, realer Orientierung und konsensualer Sprachverwendung
trotz der Pluralität der Kulturen und Rationalitäten werden jetzt also na-
menstheologisch begründet, nicht mehr transzendentalpragmatisch durch das
Konzept der einen, pluralen Vernunftkultur.15 Erlernen von Geschöpflichkeit
in sprachlichen und symbolischen Welterschließungen impliziert die Aufgabe
übersichtlicher Darstellung ihrer Gründe. Entscheidend wird dann z.B. die Po-
larität von Zeitlichkeit der Glaubensrede und Universalität theologischer Sät-
ze als grammatischer Regeln dieser Rede. Konstitutive und plurale Zeitlich-
keit religiöser, also jüdischer und christlicher, Rede impliziert ja den Begriff

14
Dieser Gedanke bildet eine Brücke zur hermeneutischen Theologie: A. Zak, Sprach-
vernunft, 16.117; die ausgezeichnete Monographie zur Schriftübersetzung von Buber und
Rosenzweig von H.-C. Askani führt dies durch, v.a. 305-335.
15
Ergebnisse von § 4,4; § 5,4 und § 6,1.2 werden hier aufgenommen und theologisch
fortgeführt.

199
der .göttlichen Ökonomie'. Versöhnung, (Neu-)Schöpfung und Vollendung in
Christus als christlicher Begriff göttlicher Ökonomie ist aber unvereinbar mit
dem jüdischen Begriff göttlicher Ökonomie aus Schöpfung, Offenbarung und
Erlösung. Diese Unvereinbarkeit bildet sich in der Zeit-Differenz von Sabbat
und Sonntag exemplarisch ab. Diese Differenz ist, als Gültigkeitsbedingung
jüdischer und christlicher Rede, z.B. im Sabbat- und Sonntagsgebot, nicht
noch einmal auf ein Drittes (z.B. auf ein naturrechtliches Feiertagsgebot) zu
reduzieren. Wie in der Religionsschrift so wird daher im Stern die Unend-
lichkeit dessen, der verheißt, alles in allen gewesen zu sein, zum Geheimnis und
dies Geheimnis zur geschöpflichen Lebensform in den pluralen religiösen
Lebensformen und Kulturen als Orte kreatürlicher Freiheit. Nur verweist
dieses Geheimnis jetzt auf den göttlichen Namen über allen Namen und seine
Hoffnung. Innerhalb dieser Grenze läßt sich Verbindlichkeit realer Orientie-
rung und Kommunikabilität der Orientierungen aufbauen. Das wird an der
Praxis jüdischer Benediktion, als ausgezeichneter Form der Weltorientierung
jüdischen Glaubens durch prädikative Rede, gezeigt.
Der Stern erreicht sein Ziel mit der messianischen Doxologie: „ER ist gut!"
(§ 13). Das Erlernen des Gesetzes ist als gutes, kreatürliches Leben neu er-
lernt, wenn dieses exemplarische Urteil in seinem Begründungszusammen-
hang, seiner Öffentlichkeit und seiner Reichweite erlernt worden ist. Erlernt
ist diese Doxologie und ihr gutes Leben, wenn man weiß, was man tut, wo
man sich befindet, was man hoffen darf und vor allem: was man noch nicht
sagen und wissen kann, wenn man Güte des Lebens im .Segen des göttlichen
Namens' anerkennt. Die messianische Doxologie des Namens ist Anerken-
nung der Wahrheit (Treue) der Verheißung. Sie wird hier nicht über Kreuz
und Auferstehung Jesu, sondern über dem Gesetz gesprochen: Das Gesetzes-
werk des .ewigen Volkes' ist erlösendes Handeln. So sehr sich darin der kon-
tradiktorische Widerspruch der Doxologien zeigt, so sehr wird allerdings zu
betonen sein, daß nach Rosenzweig das Urteil „ER ist gut!" eine eschatologi-
sche Beschreibung des Gesetzeswerks als Frucht des Reiches Gottes eröffnet:
Das Erlernen des Lernens ist vor allem anderen ein Erlernen der Doxologie
.des Namens' über dem Werk! So sehr darin die namenstheologische Geltung
der messianischen Lebensform .Gesetz' gegenüber dem Sein-in-Christus vertei-
digt wird, so sehr wird gerade in der messianischen Doxologie die Reichweite
des Namens als innere Grenze ihrer Geltung anerkannt (§ 14).
Das Erlernen des Gesetzes am Beispiel gottesdienstlicher Zeichen führt so
an seine eigene innere Grenze: die Reichweite und Externität des Namens. In
allen gottesdienstlichen Zeichen wird die Hoffnung mitgelernt, mit der die
täglichen jüdischen Gebete enden: „an jenem Tag wird ER der Einzige sein
und sein Name der einzige" (Sach 14,9). Die Hoffnung auf die Einzigkeit des
Namens wird von Rosenzweig bestimmt als Hoffnung auf Läuterung der
Lippe: „Dann aber wandle den Völkern ich an eine geläuterte Lippe, - daß sie
alle ausrufen Seinen Namen, mit geeinter Schulter ihm dienen ... An jenem
Tag brauchst du dich nicht zu schämen all deiner Handlungen, womit du mir

200
abtrünnig wurdest" (Zeph 3,9.11). Der Rede und dem Zeichen, die ,den
Namen' bekennen und bekennen sollen, bleibt die eschatologische Wahrheit
des Namens extern: Dies ist das .Geheimnis des Namens' im Geheimnis
guten Lebens. Die Konsequenz ist, daß gottesdienstliche Zeichen nicht nur
denotieren, sondern exemplifizieren: Sie sind eschatologische Zeichen, die
mehr ausdrücken als ausweisbar ausgesagt werden kann. Genauer: Sie drücken
aus, was nur negativ ausgesagt werden kann, in begründet unentscheidbaren
Aussagen. Namenstheologische Unendlichkeit drückt sich in ikonischer
Dichte dieser Zeichen aus. Die Externität des Namens zeigt sich so am kano-
nischen Text der Heiligen Schrift, welcher der literalen Aneignung in Israel
und Kirche stets auch extern bleibt. Doch nicht dies steht im Zentrum des
Stern. Es ist vielmehr der Zusammenhang von Namensgeheimnis und .sakra-
mentalen', gottesdienstlich-liturgischen Zeichen. Exemplarisch ist die Liturgie
des Versöhnungstags (§ 15). Ikonische oder Ausdruckszeichen nennen wir
diese Handlungen, weil in ihnen die Hoffnung auf den Namen jenseits aller
Namen sichtbar zum Ausdruck kommt. Diese Zeichen erlauben also beides:
dichte Beschreibung, in welcher Hoffnung im wirklichen Dialog erlernt wird;
und dichte Erfahrung des Friedens, der in ihnen sichtbar zum Ausdruck
kommt und der weiter reicht als das Selbstbewußtsein der Gemeinde.

3. Rosenzweig, Cohen und Levinas. Zum Forschungsstand1''

Die Liturgie des Versöhnungstages bildet das latente Paradigma des Sterns der
Erlösung. Die Grammatik ihrer Sprachzeichen und die dichte eschatologische
Beschreibung ihrer liturgischen Zeichen exemplifizieren das Geheimnis des
Namens. Mit dieser grammatischen und semiotischen Interpretation wird Ro-
senzweigs katechetische .Theologie' gegen die Religionsphilosophie Hermann
Cohens und auch gegen die Ethik Emmanuel Levinas' profiliert. Selbstver-
ständlich bleibt die erstere als sachliche Voraussetzung, die letztere als pro-
duktive Fortführung gültig:
Die zentrale Stellung der .Versöhnung' des Versöhnungstages (Kappara, Be-
deckung, Reinigung) bahnt sich bei Hermann Cohen an. Die Rationalität der
Kappara wird am Beispiel des Schuldbekenntnisses und der Vergebungsbitte
(Widduj und Selicha) (rekonstruiert. Der öffentliche Gottesdienst erlangt die
Geltung eines irreduziblen vernunftkulturellen Instituts. Gegenüber der prin-
zipiellen Kultkritik Kants bildet dies vor allem eine methodische Innovation:
Religionsphilosophie begreift sich als Urteilslogik gottesdienstlicher Zeichen.
Allerdings behauptet Cohens Religionsphilosophie noch einmal die systemati-
sche Einheit der Vernunft in der Idee Gottes als Wahrheit und das messiani-

16
Eine Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur bis 1990 bieten: L. Anckaert/B.
Casper, 1990. Den aktuellsten internationalen Literaturbericht bietet: H.-C. Askani, 10-37.

201
sehe Volk als ,Symbol der messianischen Menschheit' (RV, 295.487). Das Ver-
dienst der Väter bildet den „theodieeeischen Leitgedanken der Geschichte."
(RV, 373) Orientiert am .theodieeeischen Sinn' der Geschichte droht die Kor-
relation von Schuldbekenntnis und Vergebung als Restitution ethischer
Handlungs- und Zurechnungsfähigkeit funktionalisiert zu werden.
Es wirkt wie eine innerjüdische Antwort auf diesen Messianismus, dessen
innere Dialektik jetzt nicht mehr zu thematisieren ist, wenn Emmanuel
Levinas als Quintessenz des Sterns der Erlösung statuiert: „Heutzutage Jude
sein wollen heißt also, noch bevor man an Moses und die Propheten glaubt,
das Recht haben, zu meinen, daß die Bedeutung eines Werkes vom Willen
her, der es gewollt hat, wahrer ist als von der Totalität, in die es sich ein-
fügen läßt".17 Nicht der idealistische Messianismus Cohens, sondern das von
Rosenzweig namhaft gemachte esebatologische Urteil über die Geschichte sei
der .älteste Anspruch' Israels18: „Israels Ewigkeit ist ... seine Unabhängigkeit
von der Geschichte und seine Fähigkeit, die Menschen als jederzeit reif für
das Gericht zu betrachten, ohne daß sie das Ende der Geschichte mit seinem
angeblich abschließenden Sinn abwarten müßten."19 Mit dieser These ist in
der Tat die Einsicht getroffen, die Rosenzweig von der Konversion ins Chri-
stentum zurückhielt und seine .Heimkehr' ins Judentum einleitete. Erneut
wird dabei die Liturgie des Versöhnungstages zum Geltungsgrund dieses An-
spruchs: Die Homologie des nur Israel gegebenen Namens (Jicbud Haschern)
enthält das Privileg, schon beim Vater zu sein.
Aber die bisher prominenteste, produktive Fortführung des Sterns der Er-
lösung durch Levinas rückt diese Wiederentdeckung primär in philosophiehi-
storische Perspektive und in eine typisierte antiidealistische Front. Levinas
selbst bleibt aber, wie die Kritik des Werks vom Willen her klar genug zeigt,
dem ersten Satz der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten verpflichtet. Dies
gilt umso mehr, als Levinas .Leben' als „Übergang zum Anderen"20 und darin
als „das ursprüngliche Faktum von Religion" ansetzt: „Bevor sie Bekenntnis ist,
ist die Religion das pulsierende Leben selbst, in dem Gott zum Menschen in
Beziehung tritt und der Mensch zur Welt. Religion als die Grundstruktur des
Seins, vorgängig zur Totalität des Philosophen."21 Die Innovation der Reli-

17
E. Levinas, Zwei Welten, 63.
" Ebd., 60f: „Dieser älteste Anspruch ist der Anspruch des Judentums, gesondert in der
politischen Geschichte der Welt zu existieren. Es ist der Anspruch, diese Geschichte zu
beurteilen, das heißt den Ereignissen gegenüber, welche innere Logik sie auch immer verbin-
det, eine Unabhängigkeit zu bewahren, es ist der Anspruch ein ewiges Volk zu sein."
19
E. Levinas, Rosenzweig, 120f.
20
E. Levinas, Vorwort, 16.
21
E. Levinas, Zwei Welten, 44; Totalität und Unendlichkeit, 150-170. „Das Judentum ist
nicht mehr nur eine Lehre, deren Sätze richtig oder falsch wären, die jüdische Existenz selber
... ist ein wesentliches Ereignis des Seins, die jüdische Existenz ist eine Seinskategorie." (Zwei
Welten, 34) Daß es sich bei den zitierten Äußerungen um Frühschriften handelt, die nicht
repräsentativ für die spätere Entwicklung Levinas sind, ist unverkennbar.

202
gionsphilosophie Cohens: der Ansatz zu einer theologischen Analyse gottes-
dienstlicher Zeichen als Elemente der Urteilsbildung, wird bei Levinas nicht
aufgenommen. Diesbezüglich steht Levinas näher beim Kant der Religions-
schrift als beim Cohen der späten Religionsphilosophie.22
Cohen und Levinas leisten je auf ihre Weise fruchtbare und problematische
Beiträge zu den Analysen und Aporien der verschiedenen Typen von Urteils-
kraft, die uns, von Kant herkommend, beschäftigen. Innerhalb dieser Konstel-
lation sehen wir den genuinen Beitrag des Sterns der Erlösung in der skizzier-
ten Grammatik und dichten Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen als Ele-
mente eschatologischer Urteilsbildung. Die methodische Innovation Cohens
wird im Stern durchgeführt. Sofern der Stern eine propädeutische .Theologie'
darstellt und einen dialogisch-argumentativen Wahrheitsbegriff entwickelt, ist
er durch Levinas nicht überholt und in seiner sprachanalytischen und zei-
chentheoretischen Anlage methodisch klarer und theologisch fruchtbarer.
Daß Hoffnung ein an Beispielen erlernbarer, regelgeleiteter und explorativer,
beschreibender und dialogischer Urteilssinn sein könnte, und daß sie einen
genuinen Begriff vom Geheimnis des Namens voraussetzt, diese Einsicht bil-
det das Proprium des Stern. Indem sie den Stern als Grammatik und Semiotik
gottesdienstlicher Zeichen charakterisiert, stellt sich unsere Analyse in den
Zusammenhang sprachanalytischer und liturgietheoretischer Interpretationen,
die vor allem im deutschsprachigen Katholizismus23 und im angelsächsischen
Judentum24 gepflegt werden. Indem sie in der Methode des Stern seine genuine
Innovation sieht, unterscheidet sich unsere Interpretation von der Rezeption
messianischer Topoi des Stern, wie sie im deutschsprachigen Protestantismus
üblich ist.25 „... das Jüdische ist meine Methode, nicht mein Gegenstand" (BT,
720): Dieses polemische Diktum verlangt Rechenschaft über jene Hoffnung,
die wir aussprechen können, und mehr noch über jene, die nicht auszuspre-
chen ist. Die Furcht vor dem Geheimnis des Namens ist Anfang der Weisheit
und der Methode.

4. Das ,Bild' erwählender Liebe und das Problem des Anfangs

Unsere Analyse setzt im Zentrum des Stern ein: mit dem Bild des .Augen-
blicks' erwählender Liebe und der .allzeiterneuerten Geburt der Seele' aus

Levinas' produktive Fortführung liegt in der phänomenologischen Anthropologie, die


(z.B. im Begriff .Diachronie') für die Interpretation unabdingbar ist.
23
Paradigmatisch sind die Arbeiten von B. Casper; H.-J. Goertz; R. Schaeffler.
2t
Beispielhaft sind die Arbeiten von N.N. Glatzer; E. Fackenheim; P. Mendes-Flohr;
G. Rose; N . Rotenstreich; E.T. Charry; M.D. Yaffe. Der Zusammenhang von Kant, Kantia-
nismus und jüdischer Philosophie wird in ihnen viel intensiver wahrgenommen als in konti-
nentaleuropäischen Interpretationen.
25
F.-W. Marquardt, Eschatologie 3, 198-212.212-235.

203
dem Namen Gottes (S, 174-209). Wir setzen uns mit diesem Einsatz über die
Systemform des Stern hinweg. Diese Systemform, die an Schellings Weltalter
und Philosophie der Offenbarung anschließt, ist für die Genese des Stern aus
der zeitgenössischen Idealismus-Rezeption zwar von hoher Bedeutung. Aber
Rosenzweigs Idealismus-Kritik stellt nur den Entdeckungszusammenhang des
Stern dar. Sie wird in der Forschung überschätzt. Die Analyse des namens-
theologischen Begründungszusammenhangs, auf welche sich die vorliegende
Untersuchung konzentriert, wird diesen Entdeckungszusammenhang berück-
sichtigen, wo es sachlich geboten erscheint. Die spekulative Offenbarungs-
und Schöpfungsphilosophie Schellings, ihre Vermittlung göttlicher und
menschlicher Weisheit im Übergang zur Positivität von Erkenntnis und
Freiheit, und die Logik des unendlichen Urteils bei Hermann Cohen bilden
eine Brücke zwischen Kants negativer Theologie und Rosenzweigs Namens-
theologie.26 Aber das Problem des Anfangs wird in der folgenden Interpreta-
tion anders gestellt. Das Programm erzählender Philosophie der Offenbarung
nötigte Schelling zu immer neuen Versuchen negativistischer Konstruktion
des Anfangs der Offenbarung, die schließlich in eine Sackgasse führen: Das
freie „Aussichselbstherausgehen des Absoluten" bleibt das archäologische .Pro-
blem aller Philosophie', an dem sie scheitert.27 Die Frage des Anfangs führt
beim mittleren und späten Schelling zur subjektivitätstheoretischen Kon-
struktion des Anfangs der Erzählung.28 Zweifellos beschäftigte Rosenzweig
dies in der Konzeptionsphase des Stern.29
In unserer Analyse hat die Frage des Anfangs einen methodisch anderen,
analytischen Status. Gefragt ist, „womit wir jeweils theologisch zu reden be-
ginnen, worauf sich theologische Aussagen beziehen, von wo sie ausgehen
und auf was sie verweisen."30 Die namenstheologische Frage nach dem An-
fang geht von der Homologie des Namens aus, die auf die Gabe des Namens,
seine Präsenz und Externität, verweist. Die Gabe des Namens im .dialogi-

26
Dazu: J.L. Marion, Systeme, 429-442, v.a. 441f; R. Gibbs, Correlations, 40-45; St. Moses,
System und Offenbarung, 36-43; W. Schmied-Kowarzik, Franz Rosenzweig, 51-90.
27
Z, 37 (Rosenzweigs Einleitung zur Edition des .Ältesten Systemprogramms').
28
F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück (1813), Einleitung, 200-206 [576-582]: .Gottes
Geschichte', als das höchste Gewußte kann erst erzählt werden, wenn sich das Erkennen, in
dem dieses Ur-Bild der Dinge „als ein verdunkeltes und vergessenes, wenn gleich nicht völlig
ausgelöschtes Bild" schläft" (200 [576]), vor den Anfang des freien Aussichheraustretens des
Absoluten gebracht hat, so daß darin Gottes Vergangenheit selbst spekulativ reflektiert wird.
„Was wäre alle Historie, wenn ihr nicht ein innerer Sinn zu Hülfe käme?" (202 [578} M.
Schröter, dessen Schelling-Deutung Rosenzweig kannte (vgl. BT, 157f), zeigt Schellings psy-
chologisch-subjektivitätstheoretischen Ansatz (Weltalter Fragmente, XXIV-XXVT).
29
„Meine Unsicherheit über die Methode meines Denkens besteht darin: ich weiß nicht,
wo das .Denken' anfangen (bzw. auch aufhören) muß und das .Erzählen' aufhören bzw. an-
fangen. Ich habe schon manchmal gemeint, man müßte alles .erzählen' (vgl. Schelling in ...
.Die Weltalter' in der Einleitung über historische Philosophie). Ich werde darüber nicht klar
werden, ehe ich nicht angefangen habe." (BT, 291, 11.11.1916, an E. Rosenstock-Huessy.)
M
G. Sauter, Analytisches Denken, 162.

204
sehen Wort' stellt die theo-logische Einführungssituation des Namens dar. Sie
verweist auf den geschichtlichen Anfang der .Satzwerdung des Namens' (Ex
3,H) zurück, worauf alle Verwendungen des Gottesnamens zurückgeführt
werden können. Dieser Anfang ist allerdings aus bestimmten Verwendungen
des Namens erst zu rekonstruieren, wobei die tatsächliche Verwendung des
Namens in der Namenshomologie des Sch'ma Jisrael und des Jichud Haschern
den Ausgangspunkt bildet. Von diesen Homologien ausgehend, fragt der
Stern zurück auf die theologische Einführung und den geschichtlichen Anfang
des Namens. Die Positivität dieses Neu-Anfangs als .Offenbarung' ist nicht
negativ zu konstruieren, sondern im Begründungsaufbau praktisch-logisch zu
exponieren. Sie stellt sich am Beispiel dar: in der Alternanz der Glau-
benserkenntnis als Urteilssinn, als Selbstbezüglichkeit des Namens, in der
nicht aufzulösenden Metaphorik prädikativer Rede der Hoffnung, in der
Form ethischer Beschreibung ihrer Lebensform und im theologischen Begriff
der Unendlichkeit des Namens, vollzogen als Übergang zur ikonischen Dich-
te des Namens.

Zwei Mißverständnisse sind zu vermeiden: Die Homologie des Namens bildet auch
biographisch den Ausgangspunkt des Stern, und doch bietet der Stern keine Existen-
tialphilosophie oder -theologie. Der existentielle Anfang ist als namenstheologischer
Anfang der Umkehr reflektiert. Dieser namestheologische Anfang stellt aber auch
keinen logischen Anfang dar: Die namenstheologische Katechese beginnt nicht mit
dem transzendentalen Argument, daß wir immer schon sprechen und beanspruchen,
uns im Sprechen zu verständigen. Die Homologie des Namens ist keine alltags-
sprachliche Redesituation, auf die rekurriert werden kann, um den transzendentalen
Anspruch schon immer befolgter Regeln geltend zu machen.

Angesichts der Aporie erzählender Philosophie zeigt der Stern einen beden-
kenswerten Ausweg: Die Einführung in die Grammatik gottesdienstlicher
Zeichen beginnt jeweils mit der rhetorischen Erzählung eines Bildes. Im Stern
werden drei Bilder erzählt: das Bild der Offenbarung des Namens an die Seele
(S, 174-193), das Bild der Schöpfung der Welt im göttlichen Wort (S, 124-
137) und das Bild der Erlösung der geschaffenen Dinge im Werk des Gesetzes
(S, 229-240). Die rhetorische, von poetischen Elementen des Hohelieds durch-
setzte Erzählung des Augenblicks erwählender Liebe und der .allzeiterneuer-
ten Geburt der Seele' aus dem göttlichen Namen bildet den Anfang. Der
Augenblick erwählender Liebe wird im .Bild des Liebenden und der Gelieb-
ten in ihrer weltlosen Zwiesprache' beschrieben.31 Dieses .Bild' ist nicht da-
raufhin zu befragen, was es abbildet. Zu erinnern ist an Wittgensteins Begriff
religiöser Bilder. „Wenn ich sage, daß er [sc. der Glaubende] ein Bild verwen-
det, ist das bloß eine grammatische Bemerkung: [Was ich sage,] kann nur
durch die Konsequenzen verifiziert werden, die er zieht oder nicht zieht... Alles,

31
Zum biblischen Zusammenhang: F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 3, 240-263.

205
was ich charakterisieren wollte, waren die Schlüsse, die er zieht"32. Das ,Bild
der Liebenden und der Geliebten in ihrer weltlosen Zwiesprache' ist eine
.Wurzelmetapher', die in ihrer „Lebensverankerung und Verwobenheit ins
Gesamt der Erfahrung und des Handelns"33 instruierend einführen. Dieses
Bild wird durch die Konsequenzen verifiziert, die daraus gezogen werden.
Die im Stern erzählten Bilder haben rhetorischen Status: Sie führen in eine
bestimmte Verwendung gottesdienstlicher Zeichen, zum Beispiel in den Dia-
log von Sch'ma Jisrael und Jichud Haschern ein, und damit in eine bestimmte
Form der Erfahrung, des Handelns, des Urteilens. Das Bild ,des Liebenden
und der Geliebten in ihrer weltlosen Zwiesprache' wird so erzählt, daß
dadurch dieser Dialog (z.B. als genuine Verwendung des Gottesnamens)
grammatisch beschrieben und (z.B. als selbstbezügliche Gabe des Namens)
namenstheologisch exponiert werden kann.
Die im Stern erzählten .Bilder' der Offenbarung, der Schöpfung und der
Erlösung bilden ,Lehrerzählungen'. Sie sind darauf zu befragen, was aus ihnen
für die Verwendung gottesdienstlicher Zeichen folgt. Diese erzählten Bilder
sind von Schellings Programm einer erzählenden Philosophie abzurücken: Sie
stehen hinsichtlich ihrer Narrativität in der rhetorischen Tradition der narra-
tio als „zusammenhängende^] Ankündigung der Beweisführung" (probationis
continua propositio).M Solche rhetorischen Erzählungen beziehen ihre Über-
zeugungskraft daraus, daß sie eine Beweisführung eröffnen, die sie beglaubigt.
In den drei Teilen des Stern eröffnen diese Bilder jeweils die beschreibende
Grammatik bestimmter gottesdienstlicher Zeichen der Gemeinde (der Na-
menshomologie, der prädikativen Benediktion, der messianischen Doxologie);
die Namenstheologie dieser Sprachzeichen und die Hermeneutik eines exem-
plarischen Textes der kanonischen Schrift (Hhl, Gen 1, Ps 115). Der Text als
Text begründet nicht nur Praxis, sondern bringt zugleich die Externität des
Namens zum Ausdruck. Dieser Zusammenhang von rhetorischem Bild,
grammatischer Beschreibung, Namenstheologie und Texthermeneutik bildet
einen methodischen Aufbau, der in seinem instruktiven Charakter bisher
noch nicht wahrgenommen wurde, geschweige denn untersucht ist. Er wird
nicht in jedem der folgenden Abschnitte neu in seinen Einzelheiten dar-
gestellt. Am Beispiel des Bildes der Erwählung, mit dem die Untersuchung
einsetzt, wird er jedoch in bestimmten Aspekten näher erläutert.

" L. Wittgenstein, Vorlesungen über den religiösen Glauben, 110 (Kursive HA). Der
Bildbegriff hat keinerlei abwertenden Sinn; vgl. H. Putnam, Erneuerung, 198f.
" I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 654, über den Bildbegriff Wittgensteins, vgl. ebd. 648-668.
54
Quint. IV, 2,79 (ob es sich in den res gestae der narratio um res factae oder res fictae
handelt, ist dabei für die rhetorische Funktion nicht von Belang). Zur narratio: H. Lausberg,
Handbuch, 163-190; R. Barthes, Rhetorik, 82f: „Die Narration ist also keine Erzählung (im
romantischen ... Sinn), sondern eine Argumentationsprotasis."

206
§ 9 Präsenz und Externität göttlichen Namens

„,Gott kannst du nicht mit einem Andern reden hören, sondern nur, wenn du der
Angeredete bist.' - Das ist eine grammatische Bemerkung."1

„Der Name ist also in Anwesenheit des Genannten nicht aus-, sondern nur an-
zusprechen, und jeder Name. Aller Name steht ursprünglich im Vokativ. Erst wenn
sein Träger herausgegangen ist, kommen die andern Kasus in Frage. Spricht man den
Namen eines Anwesenden aus, ohne ihn anzusprechen, so fühlt sich der, wenigstens
in diesem Augenblick, so etwas wie .herausgesetzt'. Gott geht aber nie heraus, und
die Versuche, seinen Namen auszusprechen, hätten nur Sinn als Versuche, ihn
herauszusetzen. Das ist aber wirklich die Absicht. Wenigstens gegenüber dem ,alten
Judengotte' ... Denn allerdings, es kommt nur darauf an, ob der Name in meinem
Mund ein angesprochener und nicht nur ein ausgesprochener ist. Droht ihm Gefahr,
das letztere zu werden, so rette ich mich in einen neuen Namen, der, bloß zwischen
mir und dem andern gesprochen, den alten überdeckt. Der erste wird mir dann un-
aussprechlich, obwohl er durch den zweiten noch durchschimmert und stumm
mitgesprochen wird; aber der zweite wird zum eigentlichen Namen, ansprechbar für
den, der dazugehört. Wer künstlich auf den alten zurückzugreifen versucht, schließt
sich selber aus dem Kreis der Dazugehörigen aus."2

1. Das Bild dialogischer Liebe: Sch'ma und JichucP

Das Bild des Augenblicks erwählender Liebe u n d der .allzeit erneuerten Ge-
burt der Seele' aus dem N a m e n Gottes (S, 174-209) bildet das Z e n t r u m des
Stern. Es wird in einzigartiger metaphorischer Prägnanz erzählt. Der Aporie,
daß der göttliche N a m e hier ausgesprochen, ja vertextet wird, begegnet der
Text durch eine Strategie des Ansprechens im Aussprechen. Mehrdeutige
intertextuelle Referenzen zeigen an, daß das Aussprechen im Text ein be-
stimmtes Ansprechen voraussetzt und instruiert. 4 Dazugehörigkeit soll durch
den Text angeleitet und evoziert werden. Dieser Anleitung unter Vorbehalt

1
L. Wittgenstein, Zettel 717, in: ders., Zettel, 429.
2
F. Rosenzweig, JH, lOOf.
3
Das Tetragramm wird im folgenden, wie in der Schriftübersetzung von Buber und Rosen-
zweig, durch das deutsche Personalpronomen in Versalien notiert. Andere Decknotationen
(nach Mendelssohn oder Luther) in Zitaten (der EWIGE, der HERR) werden in Versalien
notiert. In der Regel werden hebräische Worte, v.a. Termini, bei ihrem ersten Auftreten in
(ZAW-)Umschrift angegeben (unvokalisiert, wie in den Quellen bei Rosenzweig und Cohen).
Bei liturgischen Textstücken folgt die vereinfachte Transkription den Standardwerken von
I. Elbogen und L. Trepp.
4
Rosenzweigs Text ist auch biographisch transparent für Rosenzweigs Rekonversion vom
Herbst 1913 und auf den Briefwechsel mit Margrit Rosenstock 1918/19; dazu: H.M. Stahmer,
Letters of Franz Rosenzweig to Margrit Rosenstock-Huessy.

207
des Namens dient die Intertextualität des rhetorischen Bildes dialogischer
Liebe.5 Es schützt auf diese Weise „die Geheimnisse durch Aussprechen besser
... als durch Verschweigen"6.

1.1 .Stark wie der Tod' (Hhl 8,6)

Das rhetorisch erzählte Bild des Augenblicks erwählender Liebe zwischen


,dem Namen' und der .Seele' referiert zunächst beständig auf das Hohelied.
Anfang und Ende der Lehrerzählung bilden zwei widersprüchliche Interpreta-
tionen von Hhl 8,6, worin dialogische Liebe im Hohenlied selbst reflex wird.
Heißt es am Beginn: „stark wie der Tod [sc. ist Liebe]. Das ist, wie alle
irdische Liebe, nur ein Gleichnis" (S, 174), so am Ende: „Alles Vergängliche
mag nur ein Gleichnis sein; die Liebe ist nicht ,nur', sondern ganz und gar
und wesentlich Gleichnis; denn sie ist nur scheinbar vergänglich, in Wahrheit
aber ewig." (S, 224) Der Widerspruch fungiert als Leseanweisung. Irdische
Liebe ist vergänglich und endlich, also im Vergleich mit göttlicher Liebe nur
.Gleichnis'. Die zweite Aussage formuliert eine grammatische Regel: Gleich-
nis ewiger als augenblicklicher Liebe ist Liebe in ihrer Zwie-Sprache. Die
Sprachbewegung des Dialogs im Hohenlied ist Gleichnis der Sprachbewegung
von Namensruf und Namensanrufung im Sch'ma Jisrael.7 Die allegorische
Auslegung des Hohenlieds, die vom selbstverständlichen Wissen ausgegangen
sei, „daß in der Sprache der Unterschied von .Immanenz' und .Transzendenz'
erlischt" (S, 222), wird zur grammatischen: Gleichnis erwählender Liebe ist
die erotische Zwiesprache im Hohenlied, ist die Sprachbewegung der Liebe
(vgl. S, 222-224).
Rosenzweigs rhetorische narratio dieser Liebe instruiert die dialogische Ho-
mologie des göttlichen Namens, in welchem der Unterschied von Immanenz
und Transzendenz, den eine bestimmte Sprachtheorie statuiert, substituiert
und präzisiert wird. Dieser Unterschied weicht der neuen, präziseren Unter-
scheidung von Präsenz und Externität des göttlichen Namens in seiner Ho-
mologie: Der Name, der sich augenblicklich gibt und seine Verewigung durch
die Homologie der .Seele' evoziert, bleibt der Homologie zugleich extern.
.Der Name' wird homologisch verewigt, nicht aussagend repräsentiert. Darin
zeigt sich seine singulare Dichte oder anders: die Herrlichkeit göttlichen
Namens.
Der göttliche Name begründet die Homologie, doch so, daß darin zugleich
die innere Grenze dieser Homologie begründet wird. Diese innere Grenze

s
Rhetorik und Eschatologie von Intertextualität sind luzide dargestellt bei: R. Hays,
Echoes, 122-192.
6
G. Scholem, Zehn unhistorische Sätze, 265.
7
Zum Terminus .Sprachbewegung': E. Fuchs, Hermeneutik, 126-134.211-265; H. Lipps,
Untersuchungen, 12f.20.24. Zur Explikation: § 11,2.

208
kennzeichnet die homologische Rede als Rede aus Glaube auf Hoffnung. In
der Gleichzeitigkeit von erkannter Unreinheit („Weh mir, denn ich werde
geschweigt, denn ich bin ein Mann mäklig an Lippen und bin seßhaft in-
mitten eines Volkes mäklig an Lippen, - denn den König, IHN den Um-
schalten, haben meine Augen gesehn!", Jes 6,5 BR) und erhoffter Reinigung
(„Dann aber wandle den Völkern ich an eine geläuterte, gereinigte Lippe, -
daß sie alle ausrufen SEINEN Namen, mit geeinter Schulter ihm dienen", Zeph
3,9 BR) bewegt sich die Homologie.

1.2 Geltung und Reichweite des Namens

Gottesdienstlich-dialogische Homologie bilden die zweite intertextuelle Refe-


renz der Rosenzweig'schen narratio. Diese, für den nichtkundigen Leser
verstecktere, Referenz nennt Rosenzweig explizit: In der Beschreibung der
Liebe zeige sich unwillkürlich der genuin jüdische Erwählungsglaube und
seine Hoffnung. Dieses intuitiv Jüdische könne nur eine grammatische Analy-
se aufklären: „Dazu müßte man es [sc. das ganze Buch] Satz für Satz kom-
mentieren, besonders II 2 [sc. den Text von S, 174-209], wo neben der offen-
kundigen (durch die Zitate) Beziehung auf das ,A.T.' [sc. das Hohelied] eine
verstecktere auf die jüdische Liturgie hergeht und die Reihenfolge der Katego-
rien z.T. bestimmt."8 Liturgische Sprachzeichen, insbesondere Jichud und Sch'ma,
auf Widduj und Selicha bilden die Elemente dialogischer und erwählender
Liebe (S, 193-206).
Der augenblickliche Dialog erwählender Liebe kann in bestimmten liturgi-
schen Texten wiederholt, er kann in bestimmter Hinsicht sogar erlernt
werden. Er soll so erlernt werden, daß der Name als gegenwärtiger angespro-
chen, aber nicht als arbiträr zu vergegenwärtigender ausgesprochen wird.
Die Sprache der Liebe ist flüchtig und augenblicklich. Aber das täglich wie-
derholte Sch'ma Jisrael (sm' ys'r'l) ist ihr Beispiel: der Vokativ, der Namens-
anruf, der erwählt; die verdeckte Preisgabe des einzigen Namens; und das
Gebot des Liebenden, IHN zu lieben.

„Höre Jisrael:
ER unser Gott, ER Einer!
Liebe denn
IHN deinen Gott
Mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht."9

8
BT, 637f, an Hans Ehrenberg, 7.7.1919.
9
Übersetzung und Kolon-Aufteilung nach der Schriftübersetzung von Buber-Rosenzweig.
Pronomina in Versalien indizieren die Deckaussprache des tetragrammaton. Die Kolonauftei-
lung im dritten Kolon (-Sprechabsatz, Atemzug-Einheit, Sinnzeile) notiere die Differenz von
Gottesliebe und Nächstenliebe: Gottesliebe fülle den Kolon und stehe ohne direktes Objekt,

209
Die Sprache dieser Liebe, dieser Vokativ, diese verdeckte Nennung u n d dieses
Gebot der Liebe dieses Namens, bildet den Zugang zur Erwählung als allzeit
erneuerter Geburt der Seele. Das Scb'ma Jisrael10 bildet das Z e n t r u m des
täglichen jüdischen Morgen- und Abendgebets. Es stellt D t n 6,4 in den Zu-
sammenhang dreier Benediktionen und formt es als Dialog zwischen Gott
und Gemeinde:

- Die erste Benediktion Jozer (ywsr)(,Gou, der das Licht erschaffen und die Fin-
sternis gebildet', Jes 45,7) und die Keduscha (mit dem Trishagion, Jes 6,3) der
Seraphim und Ophanim, in welche die Gemeinde einstimmt;
- Die zweite Benediktion Ahaba rabba oder Ahabat olam ('hbh rbh oder 'hbt 'wlrri)
(.Gottes ewige Liebe in der Offenbarung des Namens und der Lehre des Ge-
setzes');
- Das Scb'ma Jisrael im engeren Sinn (Dtn 6,4): Dieses wird vom Vorbeter halb
rezitiert (Scb'ma), sodann unterbrochen durch Barucb schem als Responsion der
Gemeinde. Dann folgt das Liebesgebot (Wababta):
„Höre, Israel, ER, unser Gott, E R Einer! -
Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches immer und ewig11 -
Liebe denn IHN, deinen Gott, mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit
all deiner Macht."
- Dtn 6,5-9; 11,13-21; Num 15,37-41;
- Die dritte Benediktion Ge'ulla (g'wlh) (.Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten
und Bitte um künftige Erlösung Judas und Israels').12

Die das Sch'ma Jisrael rahmenden Benediktionen bestimmen den mit Namen
genannten als Schöpfer, Erwählender und Erlöser. Die Präsenz des Namens
begründet die temporale Staffelung von Offenbarungsgegenwart, Schöpfungs-
vergangenheit und Erlösungszukunft, die göttliche Ökonomie. Diese simultane
Ö k o n o m i e wird im Stern sukzessive erzählt. 13 Die Dialoghandlung von
Sch'ma u n d Barucb schem: Anruf mit Namen, Gabe des einzigen Namens, Ho-
mologie des Namens, bildet dafür den Anfang.

das erst im nächsten Kolon als Name folge (im Hebräischen konstruiert mit .Akkusativ'). Im
Unterschied dazu habe die Nächstenliebe ihr direktes Objekt im selben Kolon: „Liebe
Deinen Genossen/Dir gleich" (im Hebräischen an dieser Stelle konstruiert mit .Dativ'), vgl.
A, 167: zu Dtn 6,4-5, und A, 140: zu Num 19,18.
10
Wir unterscheiden im folgenden: Scb'ma Jisrael im weiteren Sinn - die ganze Sequenz;
Sch'ma Jisrael im engeren Sinn - Dtn 6,4; Sch'ma - die erste Halbzeile: „Höre, Israel, der
Ewige, unser Gott, der Ewige ist einzig!"
" Baruch Schem (angelehnt an Ps 72,19) wurde bereits im Jerusalemer Tempel als Er-
widerung beim Aussprechen des Gottesnamens gebraucht. Später ging es in den ursprünglich
alternierenden Vonrag des Sch'ma Jisrael ein (Elbogen, 22.25f).
12
Sidur, 33-40. Zur Geschichte: Elbogen, 16-26; Trepp, 24-28. Die Anordnung der Stücke
findet sich bereits in der Mischna (Ber 1,2.4) und geht auf die Tempelzeit zurück.
13
Dazu die §§9.11 und 12.13; zum Gesetz der Simultaneität und Sukzession: § 12 Exkurs.

210
Scffma und Barucb schem stellen für Rosenzweig wie für Cohen die grundle-
gende Homologie des jüdischen Glaubens dar. Ihre eschatologische Präsenz
werde am Ende des Versöhnungstags ausdrücklich, im Jichud (yhwd oder
'hd)u der siebenmaligen Verkündung göttlicher Einzigkeit. Jichud steht nach
dem letzten Gebet des Versöhnungstags und vor Wochentagsbeginn, begeht
also die Schwelle zwischen eschatologischer Erlösung und Alltagsleben und
darin die singulare Nähe zwischen ,dem Namen' und dem .ewigen Volk'.
Ne'ila, das letzte Gebet des Versöhnungstages, schließt die zehn Bußtage
von Neujahr bis zum Versöhnungstag ab, in denen Gericht und Vergebung
begangen wurden. Jetzt, am Ende dieser zehn .Tage des Erschauerns' bittet
Jichud um Versiegelung im Buch der Vergebung und des Lebens. Es begeht
„die Stunde der Sündenvergebung im eigentlichen Sinne"15, bevor die Him-
melstore mit dem Anbruch der Nacht geschlossen werden.16 Nach dem
Eintritt der Nacht, gleichsam im Moment des Torschlusses, beten „bei geöff-
neter heiliger Lade" Vorbeter und Gemeinde „mit größter Andacht":

Höre, Israel, ER, unser Gott, ER Einer! einmal


Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches immer und ewig! dreimal
ER, er allein ist Gott! siebenmal.17

Dann wird die Lade geschlossen, das Schofar geblasen.

EXKURS: JICHUD HASCHEM DES VERSÖHNUNGSTAGS

Die siebenmalige Homologie des Namens des Einzigen, die Einigung Gottes
(Jichud), bildet einen wichtigen Schlüssel für Rosenzweigs eschatologische Be-
schreibung des Versöhnungstages. Für den im Sommer 1913 zur Konversion
ins Christentum Entschlossenen bestätigte und begründete die Feier des Ver-
söhnungstages im Oktober 1913 in Berlin die Rückwendung und Heimkehr
ins Judentum. Das Jichud steht am Ausgangspunkt einer Theologie, welche
die Hoffnung auf den einzigen Namen und die dichte Herrlichkeit dieses
Namens als Stern der Erlösung begreift: Der Name als Verheißung begründet
die Geltungsdifferenz der jüdischen und der christlichen Homologie und

M
Rosenzweig nennt (aschkenasisch) dieses Gebet Echod (BT, 165; 447); Cohen (KV, 48)
präzisiert es ausdrücklich durch den rabbinischen Terminus Jichud. Der Name des Gebets
(Machsor Versöhnungstag, 361) lautet entsprechend: yhwd hsm (Jichud Haschem).
15
1 . Elbogen, 152.
16
Historisch erwuchs Ne'ila aus dem Gebet zur Stunde des Torschlusses im Tempel (Elbo-
gen, 152f). Diese Reminiszenz liegt dem Titel des Epilog zum gesamten Stern zugrunde
(S, 465-472): ,Tor' (ins Leben). Auch dies ist ein Indiz dafür, daß der gesamte Stern im
Grunde den einen Augenblick des Jichud expliziert.
17
Machsor Versöhnungstag, 361. Trepp, 150, hebt den zahlenmystischen Sinn der sieben-
maligen Wiederholung hervor (sieben Himmelsphären führen bis vor Gottes Thron).

211
ihrer Grammatiken; zugleich aber kommt die Reichweite des Namens dieser
Differenz zuvor, weil der Name, der die Wahrheit dieser Homologien be-
gründet, ihnen auf bestimmte Weise extern bleibt. Dieses .Geheimnis' der
Hoffnung erlaubt, die begründete Rückkehr zum eigenen Judentum von der
Letztbegründung seiner Wahrheit (,Absolutheit') zu unterscheiden. Dies bildet
die Basis des wirklichen, argumentativen Gesprächs mit Christen und christli-
cher Theologie, ohne Ermäßigung der Unvereinbarkeit ihrer Homologien.

„Mein ganzes Erlebnis war auch damals [sc. 1909-1913] nicht Christus (ein Glau-
benserlebnis)[,] sondern Christen (ein Liebeserlebnis). Mein Glaubenserlebnis blieb
wie du wohl weißt in jener ganzen Zeit mir unverändert als jüdisches gegenwärtig.
Und in dem Augenblick, wo ich, am ersten Tag in Berlin [1913], zum ersten (und
einfüralle-) Mal die Hoffnung erlebte, war die objektive Grundlage (der Schnittpunkt
im Unendlichen) gefunden, ... der Widerspruch zwischen diesen beiden Erlebnissen
war da geschlichtet. Auf dieser Grundlage [sc. des Himmels der Zukunft] steht
seitdem alles bei mir."18

Die begründete Rückkehr zum Judentum macht gegen die Einzigkeit Jesu als
Weg, Wahrheit und Leben (Job. 14,6) das Bekenntnis zum einzigen Namen als
die Berufung Israels zum ewigen Volk namhaft. Dieses exklusive Bekenntnis
enthält das Privileg, schon beim Vater zu sein. Es enthält, verbunden damit,
den Anspruch, „gesondert in der politischen Geschichte der Welt zu existie-
ren. Es ist der Anspruch, diese Geschichte zu beurteilen, das heißt den Er-
eignissen gegenüber, welche innere Logik sie auch immer verbindet, eine Un-
abhängigkeit zu bewahren, es ist der Anspruch ein ewiges Volk zu sein."19
Der Makel ahistorischer Existenz Israels20 erweist sich für Rosenzweig jetzt
als das älteste jüdische Privileg, nämlich als Privileg, „die Menschen als jeder-
zeit reif für das Gericht zu betrachten, ohne daß sie das Ende der Geschichte
mit seinem angeblich abschließenden Sinn abwarten müßten."21
Zugehörig zum ewigen Volk, wird für Rosenzweig die Konversion „nicht
mehr notwendig und daher, in meinem Fall, nicht mehr möglich. Ich bleibe

1S
Brief Franz Rosenzweigs an Rudolf Ehrenberg vom 25.8.1919 (BT, 642f, Kursive HA).
Zur genauen Datierung der Rekonversion zwischen Rosch Haschana und Jörn Kippur 1913
und ihren Hintergründen: R. Horvitz, Warum ließ Rosenzweig sich nicht taufen?, 79-96.
" E. Levinas, Zwei Welten, 60f.
20
Rosenzweigs Entschluß zur Konversion wurde durch Eugen Rosenstocks fulminante
Kritik des Judentums und seiner völlig ahistorischen und apolitischen Natur ausgelöst. Die
Fulminanz der Kritik hallt noch drei Jahre später, in Rosenstocks Brief vom 30.10.1916,
nach: „Der Jude stirbt für kein Vaterland und für keine Mission. Er lebt deshalb, weil er die
Schranke des Lebens nicht erlebt, von einer gespenstischen Widerspiegelung alles wirklichen
Lebens, das ohne das Todesopfer und die Nähe des Abgrundes undenkbar ist. Damit Juda
lebe, hängt der einzelne Jude von dem Erfolge, von der Zahl seiner Kinder, ab. Er ist ein Pa-
ragraph des Gesetzes; c'est tout." (BT, 280) Am klarsten analysiert diese Frage: A. Altmann,
Rosenzweig on History, 128-130; ders., Franz Rosenzweig and Eugen Rosenstock, 258-270.
21
E. Levinas, Franz Rosenzweig, 120f.

212
also Jude."22 Mit dem Israel und nur Israel offenbaren Namen und in seiner
Bezeugung ist für Israel bereits alles vollendet: Die eschatologischen Bußtage
zwischen Rosch haschana und Jom kippur stellen Israel (mit den Sündern und
stellvertretend für sie) ins Gericht, das in Ne'ila mit der Versiegelung ins
Buch des Lebens (oder Todes) endet. Die durch den Namen vor dem Namen
Gereinigten und Reinen bekennen (für und anstelle der Sünder) den einzigen
Namen.
Die Heiligung des Namens als Heiligung der geschaffenen .Dinge' durch das
Gesetz als messianische Lebensform des .ewigen Volkes' ist dann Bewährung
des ihm gegebenen Namens.

Der früheste Beleg für diese Unterscheidung von Messianismus und Eschatologie findet
sich im September 1916 (Z, 91): Rosenzweig unterscheidet diese Welt {h'wlm hzh), das
sind die messianischen Tage, die schon „heute" sind und doch „noch im Kommen"23,
und die kommende Welt Gottes, {h'wlm hh), die kein Auge je gesehen hat Qes 64,3)
in welcher Gott alles in allem sei. Zu unterscheiden ist die messianische Geltung des
Namens: das .ewige Volk', das den Namen ,in Abraham' hört und im .Gesetz'
bewährt, und die eschatologische Reichweite des Namens.

Die Homologie des Namens des Einzigen nimmt präzise jenen Ort ein, der
für den christlichen Glauben durch seine fundamentale Homologie des Na-
mens Jesu besetzt ist: „xügioc, Inooüc, - Jesus ist der Herr" (Phil 2,11; Rom
10,9; IKor 12,3; 2Kor 4,5; Kol 2,6).24 Durch Kreuz und Auferweckung ist
Jesus der Name über allen Namen verliehen (Phil 2,9). Der Anspruch, daß
Israel in der Homologie des Namens des Einzigen bereits jenseits des Gerichts
stehe und von dort aus sein genuines Urteilsrecht ausübe, trennt die Gram-
matik der Bekenntnisse, deren Geltung in der Logik des ihnen gegebenen
Namens gründet. Dies formuliert Rosenzweig in einem berühmten Brief
einige Wochen nach seiner .Heimkehr':

„Das Christentum erkennt den Gott des Judentums an, nicht als Gott aber als den
,Vater Jesu Christi'. Es hält sich selbst an den .Herrn', aber weil es weiß, daß nur er
der Weg zum Vater ist. Er bleibt als der Herr bei seiner Kirche alle Tage bis an der

" B T , 132f, 31.10./1.11.1913.


23
Dabei muß nochmals differenziert werden, um die traditionelle Messias-Erwartung inte-
grieren zu können: „Die Ankunft des Messias ist eben schon .heute', aber er ist noch nicht
gekommen; es ist noch nicht das rechte .Heute'" (Z, 91). Die traditionell-personale Messias-
Erwartung bleibt ein Fremdkörper. Sie hat im Stern keine Bedeutung. Generell gilt zur Ver-
wendung von ,messianisch', Jfessias': Im Vordergrund steht die messianische Lebensform
.Gesetz'. Der Messias (wie sein Prototyp David) gilt demgegenüber als der exemplarische
Mensch und Sünder, der durch Gott gereinigt wird und vor Gott sich reinigt: „... der Mensch
in und aus seinen Sünden, und anders nicht, zum Werkgenoß Gottes berufen und Gott selbst
der wahre und einzige Erlöser." 0 H , 158) Durch die Auseinandersetzung mit dem Zionismus
gewinnt der politische Messianismus in den 20er Jahren jedoch an Bedeutung.
24
.Kyrios Jesus!' ist Rechtsakt, nicht Glaubensbekenntnis: J. Gnilka, Philipperbrief, 128f.

213
Welt Ende. Dann aber hört er auf, Herr zu sein, und wird auch er dem Vater
untenan sein, und dieser wird - dann - Alles in Allem sein [IKor 15,28]. Was
Christus und seine Kirche in der Welt bedeuten, darüber sind wir einig: es kommt
niemand zum Vater denn durch ihn Qoh 14,6]. Es kommt niemand zum Vater -
anders aber wenn einer nicht mehr zum Vater zu kommen braucht, weil er schon
bei ihm ist. Und dies ist nun der Fall des Volkes Israel (nicht des einzelnen Juden).
Das Volk Israel, erwählt von seinem Vater, blickt starr über Welt und Geschichte
hinüber auf jenen letzten fernsten Punkt, wo dieser sein Vater, dieser selbe, der Eine
und Einzige - .Alles in Allem'! - sein wird. An diesem Punkt, wo Christus aufhört
der Herr zu sein, hört Israel auf erwählt zu sein; an diesem Tage verliert Gott den
Namen, mit dem ihn allein Israel anruft; Gott ist dann nicht mehr .sein' Gott. Bis
zu diesem Tage aber ist es Israels Leben, diesen ewigen Tag in Bekenntnis und
Handlung vorwegzunehmen, als ein lebendes Vorzeichen dieses Tages dazustehen,
ein Volk von Priestern, mit dem Gesetz, durch die eigene Heiligkeit den Namen
Gottes zu heiligen."25

Diese im christlich-jüdischen Dialog vielleicht meistzitierte Äußerung Rosen-


zweigs hat zentralen Stellenwert. Aber sie darf nicht als Resultat mißverstan-
den werden. Sie ermäßigt die Unvereinbarkeit der Homologien nicht, im
Gegenteil. Sie markiert gerade deshalb den Einsatzpunkt der namenstheologi-
schen Bemühung Rosenzweigs. Mit ihr beginnt das Wiedererlernen eschatolo-
gischer Urteilskraft und des messianischen Lebens im Gesetz. Dieses erhält im
Stern die F o r m katechetischer Einführung in den göttlichen Namen u n d sein
logisches u n d ikonisches Geheimnis: A n beispielhaften gottesdienstlichen
Sprachzeichen wird die Rückkehr in die Lebensform Gesetz erlernt. Gerade
weil darin die Unvereinbarkeit der Namenshomologien erlernt wird, geht
diese Einführung am Ende zu bestimmten liturgischen Zeichen über, in der
sich die größere Reichweite des Namens ikonisch, nicht logisch anzeigt und
die Differenz der Geltungsbereiche durchkreuzt. Die Reichweite des Namens
über allen N a m e n führt über die frühe apologetische Konstruktion des Ge-
genübers von J u d e n t u m und Christentum hinaus zur dichten dialogischen
Beschreibung der Hoffnungszeichen des Namens, in denen sich das Geheim-
nis anzeigt, o h n e abschließend ausgesagt und behauptet werden zu können. 2 6

25
BT, 134f, 31.10./1.11.1913. Daß sich diese Einsicht tatsächlich aus dem Jichud expliziert,
bestätigt ihre Wiederholung im Juni 1914: „Das 'hd [.Einer'] am Schluß des ywm kpwr
[Versöhnungstag] enthält das, was für den Christen - .Gott alles in allem' - erst nach dem
Ende der Erde liegen kann. Oder: für den Christen hat der vorjüngste Tag (mit der Ankunft
des Messias) bereits begonnen, während ihm der jüngste absolut zukünftig liegt. Uns umge-
kehrt" (BT, 165 Tagebuch vom 27.6.1914). Die Rede vom .vorjüngsten Tag' weicht ab 1916
dem Begriff des .messianischen Heute'.
26
Der keineswegs selbstverständliche Stellenwert der eschatologischen Hoffnung führt zur
Abkehr vom Messianismus Hermann Cohens. Cohen setzt demgegenüber noch 1918 das messia-
nische Handeln, welches das Gottesreich in der Geschichte sichtbar herbeiführt, der eschato-
logischen Hoffnung der Christen entgegen: „Von wahrhafter Tiefe und dabei von höchster
Klarheit ist der Satz des Talmud [sc. Ber 34b], nach welchem Maimonides sich gerichtet hat;

214
2. Grammatik des einzigen Namens (Sch'ma und Jichud)

2.1 Präsenz des Namens und homologische Verewigung

„Stark wie der Tod ist Liebe" (Hhl 8,6). Dieses rhetorische Bild charakteri-
siert die Zwiesprache der Liebe als Gleichnis der Zwiesprache erwählender
Liebe. Das Bild der Liebe, die stark ist wie der Tod, sei „das einzige, was
über die Liebe gesagt, aus-gesagt ... werden kann; alles andre kann nicht
,über' sie gesagt .werden', sondern nur von ihr selber gesprochen" werden
(S, 225). Es bildet nicht ab, sondern charakterisiert die .weltlose' Zwiesprache
von Sch'ma, Baruch Sehern und Jichud. Im Augenblick seiner Präsenz gibt sich
der Name an ,die Seele' preis; er wird in der Antwort der .Seele' verewigt.
Der Name wird im Bekenntnis verewigt. Er selbst gibt sich nur augenblick-
lich. Die Liebe des Liebenden ist neue, erste Liebe: „ereignetes Ereignis ... zu-
gleich schicksalhafte Gewalt über das Herz, in dem sie erwacht, und doch so
neugeboren, so - zunächst - vergangenheitslos, so ganz dem Augenblick, den
sie erfüllt, und nur ihm selbst entsprungen" (S, 178). Augenblickliche Liebe
ist anfänglich und frei. Sie kann weder auf intentionalen Willen noch auf Be-
dürftigkeit zurückgeführt werden. Sie sei Sich-Offenbaren. Liebe „ist nicht Ei-
genschaft des Liebenden ... Sondern Liebe ist momenthafte Selbstverwand-
lung, Selbstverleugnung des Menschen; er ist gar nichts andres mehr als Lie-
bender, wenn er liebt ... der Mensch stirbt in den Liebenden hinüber und
steht in ihm wieder auf. Bedürftigkeit wäre eine Eigenschaft. Wie aber hätte
eine Eigenschaft Platz in dem engen Räume des Augenblicks?" (S, 182)
Der Name, der sich gibt, wird zum Ruf der Auserwählung: Sch'ma Jisrael!
Er unterbricht, genauer: er sondert aus und stellt vor das Angesicht.27 „Der
Jude ist durch das 'hd, das er ruft, ausgeschaltet aus der lebendigen Welt-
geschichte, ist ans Ende der Welt gestellt, das im' ysr'l ist immer der Ruf der
Todesstunde. Das 'hd als das andre gegenüber aller Welt (und als das Eine
nur, weil es dies schlechthin andre ist), so haben es auch die jüdischen Reli-

,alle Propheten haben nur geweissagt für die Tage des Messias', aber von der künftigen Welt
gilt: ,ein Auge hat sie nicht gesehen, außer dir Gott allein. Er mache es wirklich dem auf sie
Harrenden' (Jesaja 64,3)" (RV, 363). .Hoffnung' ist bei Cohen negativ konnotiert als blinde,
deshalb schwankende Erwartung eines für die Erkenntnis Undurchdringlichen: „Die Unsterb-
lichkeit aber gehört unter die Geheimnisse Gottes; sie ist ein Gegenstand der menschlichen
Hoffnung. Die messianische Zukunft wird so dem Gebiete der Hoffnung entrückt, weil sie
unmittelbar zum Gottesglauben selbst gehört. Die messianische Zuversicht wird dem
Schwanken und der Ungewißheit enthoben, mit denen Hoffen und Harren nun einmal
verbunden scheinen. Sie gehört daher schlechthin zur Gotteserkenntnis, und sie bekräftigt
dieselbe als Liebe zu Gott." (RV, 364)
27
„Die Offenbarung ist der Seele das Erlebnis einer Gegenwart, die auf dem Dasein der
Vergangenheit zwar ruht, doch nicht darin haust, sondern im Lichte des göttlichen Antlitzes
wandelt" (S, 174). „O Glück des Volkes, die den Schmetterruf kennen! DU, im Lichte Deines
Antlitzes gehen sie" (Gebet nach dem Schofarblasen an Rosch haschana, vgl. Ps 89,16).

215
gionsphilosophen verstanden." (Z, 622) Das Sch'ma Jisrael ruft aus dem priva-
tiven Nichtsein28 vor das Angesicht des Einzigen.
Das Hören dieses Rufs .stillt' die Seele: „Die Seele ist in Gottes Liebe stille
wie ein Kind in den Armen der Mutter ... Diese Stille der Seele in ihrer aus
der Nacht des Trotzes auferstandenen Treue ist das große Geheimnis des
Glaubens" (S, 191, vgl. Ps 131,2). Stille der Reflexion beschreibt die Wachheit
interesselosen Hörens, dem es nicht mehr um sein Sein zu tun ist: „Ich
schlief, doch mein Herz war wach. Horch mein Geliebter klopft" (Hhl S,!).29
.Seele' bedeutet die passive „Eigenschaft des Geliebt-seins" (S, 189), die be-
stimmte Wachheit für die Stimme des Freundes, Hören des Herzens. Die
Antwort der Seele ist nichts als der Versuch, den Augenblick zu verewigen,
in dem sich der Name zu hören gab. Die Gegenwart des Namens wird in der
Antwort zur vergegenwärtigten, verewigten. Baruch Sehern, der liturgische
Lobwunsch, der Sch'ma Jisrael unterbricht, um den gehörten Namen zu
segnen, ist exemplarischer Ausdruck dieser .Sehnsucht' nach einer Präsenz,
die sich in der Aussage nicht repräsentieren, wohl aber in der Benediktion
.verewigen' läßt: „Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches immer
und ewig." Diese Verewigung der erwählenden Liebe im Lob des .ewigen
Volks' formuliert die Benediktion Ahabat olam, die das Sch'ma Jisrael ein-
leitet: „Mit ewiger Liebe hast du uns geliebt"30.
Ohne die liturgische Sequenz von Ahabat olam und Baruch Sehern zu nen-
nen, aber mit unverkennbarer Anspielung auf sie, kommentiert Rosenzweig:
„Der treue Glaube der Geliebten bejaht die im Augenblick gebundene Liebe
des Liebenden und verfestigt auch sie zu einem Dauernden. Das ist die
Gegenliebe: der Glaube der Geliebten an den Liebenden. Der Glaube der
Seele bezeugt in seiner Treue die Liebe Gottes und gibt ihr dauerndes Sein.
Wenn ihr mich bezeugt, so bin ich Gott, und sonst nicht ... Der Liebende,
der sich in der Liebe preisgibt, wird in der Treue der Geliebten aufs neue
geschaffen und nun auf immer. Das ,auf ewig', das die Seele im ersten Über-
schauertwerden von der Liebe des Liebenden in sich vernimmt, ist keine
Selbsttäuschung ... es erweist sich als eine lebendige, schöpferische Kraft,
indem es die Liebe des Liebenden selber dem Augenblick entreißt und sie
einfürallemal - verewigt." (S, 191) Allerdings: Die Verewigung des Namens in
der Antwort der Seele bleibt Bekenntnis aus Glauben auf Hoffnung. Die
sprachliche Homologie bleibt stets zugleich hinter der bestimmten Präsenz
des Namens zurück; ihre Verspätung, die den Dagewesenen nur noch er-

21
Zu diesem klärungsbedürftigen Begriff vom Nichtsein als nihil privativum (nf| döv, vgl.
Rom 4,17; IKor 1,31!) Kants Tafel der Begriffe des Nichts (KrV, B 348f; 3,307): „Realität ist
etwas, Negation ist nichts, nämlich, ein Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes, wie der
Schatten, die Kälte (nihil privativum)." (KrV, B 348; 3,306)
29
E. Levinas, Vom Bewußtsein zur Wachheit, in: Gott, 44-78.
30
Beginn der Beracha Ahaba im Abendgottesdienst; nach Saadja, der sich an Jer 31,3
anlehnt, bei jeder Verwendung der Benediktion (Trepp, 26; Elbogen, 20).

216
innert, und ihre Erwartung, die den Kommenden dringlich sucht, charakteri-
sieren sie: „Ich öffnete meinem Geliebten: Doch der Geliebte war weg,
verschwunden. Mir stockte der Atem: Er war weg. Ich suchte ihn, ich fand
ihn nicht. Ich rief ihn, er antwortete nicht ..." (Hhl 5,6).

Die Paradoxie einer Verewigung des Geliebten im eigenen sprachlichen Ungenügen


ist eine charakteristische Sprachbewegung und kennzeichnet die lyrisch-rhetorische
Figur der dissimilitudo: Im Vergleich von Liebe und Tod wird gerade das Unver-
gleichliche und Singulare der Liebe pointiert. 31 Die Redefigur lyrischer dissimilitudo
bildet eine Grundfigur im Hohenlied: „Die Kraft jener grundlegenden Verneinung
äußert sich auch darin, daß das Hohe Lied als einziges unter allen biblischen Bü-
chern anhebt mit einem Komparativ, - .besser denn Wein' [Hhl 1,2]; die Eigenschaft
ist hier verglichene, also perspektivisch von einem alle andern Punkte verneinenden
.Standpunkt' aus gesehene, nicht rein in ihrer Gegenständlichkeit daseiende und da,
wo sie ist, seiende." (S, 225) Das dissimile als Figur metaphorischen Negierens spielt
an, um zu verneinen und Einzigartigkeit zu insinuieren. Sie durchläuft die Bei-
spielkette verneinter Metaphern (z.B. des konventionell Vollkommenen), um in der
Ähnlichkeit zu verunähnlichen.32 In der Verneinung sind umgekehrt die verneinten
semantischen Bereiche als gültige vorausgesetzt. „Rhetorically, the act of positing a
dissimile and then lavishly developing it has a backlash effect: ... connotations bleed
over from the denied images to the entity with which they are discompared."33 Die
Seele durchläuft die metaphorische Verneinung geschöpflicher Prädikationen, um in
der Einzigkeit des unaussprechlichen Namens Ruhe zu finden. „In diesem Sieg der
lebendigen, gottgeliebten Seele über das Sterbliche ist alles gesagt ..., nämlich nichts
über sie selbst, sondern nur über ihr Verhältnis zur Schöpfungswelt ... Sie schwebt
darüber" (S, 226).

Das Gleichnis der Liebe, die .stark wie der T o d ' ist - als Einführung in die
Zwiesprache von Ruf und Anbetung - beschreibt so z u m einen Gottes
Präsenz im Namen, der sich gibt und im Augenblick der Offenbarung in die
Seele .hinüberstirbt'; sie beschreibt z u m anderen seine Verewigung im Be-
kenntnis der ,Seele', des .ewigen' Volks: Mit ewiger Liebe hast du uns geliebt.
Diese Korrelation nennt Rosenzweig: Offenbarung.

31
Zur rhetorischen Figur der dissimilitudo in der alten Rhetorik: H. Lausberg, Handbuch,
§§ 420,2; 423,1b; 558; 421: „das exemplum wird als Träger einer gültig gemeinten Ernstbedeu-
tung in den Dienst der causa genommen: die Eigenbedeutung des exemplum ist ein spieleri-
sches Mittel zur Erreichung des Zieles der Ernstbedeutung." (ebd., 232)
32
Als Paradigma stehe Shakespeares Sonett 18: „Shall I compare thee to a summer's day?
Thou art more lovely and more temperate: Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer's lease hath all too short a date: Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimm'd; And every fair from fair some time declines, By
chance, or nature's changing course, untrimm'd; But thy eternal summer shall not fade Nor
lose possession of that fair thou ow'st; Nor shall Death brag thou wander'st in his shade,
When in eternal lines to time thou grow'st: So long as men can breathe or eyes can see, So
long lives this, and this gives life to thee."
33
R. Hays, Echoes, 142, vgl. 140-142.148f.152 (zu 2Kor 3,1-4,6).

217
Gegen die Identifizierung von Gott und Volk bzw. Gott und Vernunft bei Martin
Buber und Hermann Cohen führt Rosenzweig bereits in seinem ersten unpublizier-
ten Aufsatz Atheistische Theologie .Offenbarung' als „Zentralbegriff" ein (Z, 125; vgl.
Z, 687-697). Es ist allerdings fraglich, ob der Rückgriff auf den Terminus .Offenba-
rung' die berechtigte Kritik an Cohens Konstruktion von Sch'ma und Jichud ange-
messen zum Ausdruck bringt und nicht vielmehr neuerliche Probleme birgt. Worum
geht es? Cohen konstruiert göttliche Einzigkeit und göttliche Einigung im Jichud
durch den logischen Begriff der Korrelation: „Die Einzigkeit Gottes bedingt sein
Verhältnis zur Vernunft des Menschen. Und die Vernunft des Menschen, als Schöp-
fung Gottes, bedingt sein Vernunftverhältnis zu Gott, daher aber auch den Vollzug
dieses Vernunftverhältnisses in der Offenbarung" (RV, 95). Dabei wird allerdings
diese Korrelation in einer Weise ursprungslogisch entfaltet, die der Externität des
Namens nicht mehr gerecht wird. Der .Ursprung der Offenbarung in der Vernunft'
bedeute, daß den Sätzen der Offenbarung, „wie sogar der Einheit Gottes und der
Schöpfung, ... Vernunftsätze als Prinzipien zugrunde gelegt [werden]. So wird die
Vernunft zur Wurzel gemacht für den Inhalt der Offenbarung. Und es kann daran
kein Anstoß genommen werden, weil die Korrelation von Gott und Mensch diese
Korrelation des göttlichen Geistes zum menschlichen, als eine A n [!] von Identität
der logischen Vernunft zur unausweichlichen Konsequenz macht." (RV, 96) Die
ursprungslogischen Erzeugungsbegriffe (Ideen) der Vernunft drohen damit aber zur
Gabe ohne Geber zu werden. „Dieses Ewige, als die Grundlage der Vernunft für allen
Inhalt der Vernunft, nennt der Jude Offenbarung ... Der technische Ausdruck ist:
.die Gabe der Thora' [mtn twrh] ... Da ist von keinem Geheimnis, von keiner
Entschleierung (Revelatio) die Rede." (RV, 97) Diese triftige Kritik am Terminus
.Offenbarung' verstellt aber durch die ursprungslogische Konstruktion dann erneut
die Gabe des Namens. Deshalb kehrt Rosenzweig zur problematischen Rede von
Offenbarung zurück. Tatsächlich aber ist der Begriff ,Gabe' geeigneter, um die Kor-
relation von Präsenz und Verewigung in der Homologie auszudrücken. Daher
nennen wir ,Gabe oder Selbsthingabe des Namens', was Rosenzweig .Offenbarung'
bezeichnet.34

.Offenbarung' ist korrelatives Dasein: Namensverheißung, Bewährung des


Namens in homologischer Sprachbewegung und Läuterung dieser Homologie
durch den verheißenen N a m e n . Von Beginn an interpretiert Rosenzweig
diese Grundfigur durch die midraschische Maxime, nach welcher sich der
göttliche N a m e in die H a n d der Zeugen gibt: „Wenn ihr mich bezeugt, so
bin ich Gott, und sonst nicht." 35 Wahrheit und Treue {'mi) der Namens

34
Verwiesen sei auf Jean-Luc Marions Phänomenologie der Faktizität als Gabe (ders., Etant
donne). Die Gabe göttlichen Namens als Liebe begründet doxologische Differenz zwischen
dem barmherzigen Gott und den Sündern, worin die ontologische Differenz auf die funda-
mentalere Differenz des Guten und der Gerechtigkeit zurückgeführt wird: J.-L. Marion, Dieu
sans l'etre, 81-148, 114f; Intimität durch Abstand, 218-227. Zu Marion und Rosenzweig:
Systeme, 429-442, v.a. 442.
55
S, 191, vgl. Z, 696. Zur Herkunft von Rabbi Simeon bar Yochai und den Belegstellen im
Midrasch: M. Idel, Kabbalah, 163.242 Anm. 4. Gegen die Maimonideische Kritik an der an-
thropomorphen Attribution Gottes, poinitert Rosenzweig ausdrücklich die .anthropomor-

218
Verheißung ICH BIN DA bewährt sich nur im freien Zeugnis derer, die ihn
nennen und bekennen: ER IST DA. Der Name gibt sich so, daß gerade die
Bezeugung dieser Gabe zu ihrer Erfüllungsbedingung wird. Der sich mit dem
Namen ICH BIN DA verheißt, ist im Zeugnis und sonst nicht, wobei ,sein'
meint: ,wahrsein', .veritatives Sein'. Deshalb hat der Glaube zu urteilen und
darf nicht schweigen: „Gott selber macht sich, nicht menschlicher Vorwitz
ihn, von der Bezeugung des Menschen abhängig, er .verkauft sich' nach
einem tiefsinnigen Gleichniswort dem Menschen - wer aber .verkaufen'
konnte, der hat auch auf den Kaufpreis Anspruch" (Z, 696).
Aber gerade weil der Name, der sich gibt, Anerkennung im Zeugnis sucht,
wird die Grenze der sprachlichen Homologie zur Frage: In ihrer Verewigung
des Namens bleibt die Homologie hinter der Präsenz des Namens zurück.
Die Reichweite oder die Herrlichkeit des Namens ist nicht identisch mit dem
Geltungsbereich seiner Bezeugung, ohne daß dadurch diese Bewährung des
Namens dementiert würde. Das Gebot der Heiligung des Namens gebietet
das Zeugnis des Glaubens. Es begründet aber auch, warum und was zu
hoffen ist: zu hoffen ist auf die Reichweite und Herrlichkeit des Namens.
Das Gebot der Heiligung des Namens wird zur Bitte um Heiligung des
Namens und zur Hoffnung auf Läuterung der Lippe. Mit dieser Verheißung
endet das tägliche jüdische Gebet: „An jenem Tag wird ER der Einzige sein
und sein Name der einzige" (Sach 14,9 BR). Diese Verheißung enthält die
andere Verheißung der geläuterten Lippe: „Dann aber wandle den Völkern
ich an eine geläuterte Lippe, - daß sie alle ausrufen SEINEN Namen, mit
geeinter Schulter ihm dienen ... An jenem Tag brauchst du dich nicht zu
schämen all deiner Handlungen, womit du mir abtrünnig wurdest" (Zeph
3,9.11 BR).

2.2 Einzigkeit als Idee und als Name bei Hermann Cohen

Die beschreibende Grammatik des Sch'ma Jisrael wird zur Logik des göttli-
chen Namens, seiner Geltung, seiner Reichweite, seiner Wahrheit (§ 10).
Diese methodische Anlage des Stern setzt das Beispiel und Vorbild Hermann
Cohens voraus. Ohne Cohens erzeugungslogische Konstruktion des Sch'ma
Jisrael als unendliches Urteil ist Rosenzweigs propädeutische Logik des Na-
mens nicht denkbar. Cohens Analyse präzisiert die Korrelation des Sch'ma
und Jichud erheblich. Sie zeigt allerdings auch pointiert den Konflikt zwi-
schen dem Element .Idee' und dem Element .Name'.36 Die Dialektik dieses
Prozesses besteht darin, daß die Konstruktion der Idee der Einzigkeit das ße-

phe' Verewigung Gottes in Baruch schem: „in dem eingeschobenen ytbrk smw [Gesegnet sei
sein Name] steckt, dem Rambam unbewußt, die andre Hälfte der Wahrheit": Ewig sei Gottes
augenblickliche Liebe als im Bekenntnis verewigte (Z, 626).
34
Vgl. § 6,2.

219
kenntnis zum göttlichen Namen fordert. Die erzeugungslogische Konstruktion
der monotheistischen Idee driftet, entgegen der Intention ihres Autors, zur
logischen Analyse des göttlichen Namens.37 Diese unterirdische Drift zu
skizzieren, ist die eine Intention dieses Abschnitts.
Cohens Kampf um reine Erkenntnis von Einzigkeit als Idee in ihren unrei-
nen anthropomorphen Namen läßt sich nicht nur auf seinen radikalen Plato-
nismus zurückführen. Er ist auch ein Kampf um Reinheit des einzigen Na-
mens in platonischer Rüstung.38 Dies zu skizzieren, ist das andere Ziel des
Abschnitts: Der göttliche Name erfordert als bloßer Name (Nominator) Kri-
tik. Dies nicht nur aus logischem Grund, sondern aus theologischem: Die
Homologie des Namens gilt nur in der Hoffnung auf Reinigung der Lippe
(Zeph 3,9.11).

(1) Konstruktivität und Leidenschaft reiner Erkenntnis


Ausgangspunkt ist die Präzisierung göttlicher Einheit {'hd) zur Einzigkeit
(yhwd). .Einzigkeit' ist die monotheistische Grundlegungsidee: Das Sch'ma
Jisrael bekenne und erkenne nur eine Art von Sein und nur ein einziges Sein:
„Gott ist dieses einzige Sein." (RV, 48) Diese Einzigkeit vollzieht sich als
funktionale Korrelation3'''. Einzigkeit Gottes „stellt gleichsam die Funktion
dar, in welcher diese Substanz sich vollzieht" (RV, 48). Nun gilt: „Gott
erkennen heißt: Gott bekennen" (RV, 58). Das Sch'ma Jisrael als Homologie
ist Akt praktischer Vernunft, in welchem sich Einzigkeit vollbringt. Erst im
Bekenntnis wird „Gottesverehrung zur eigentümlichen Gotteserkenntnis" (RV,
59). Doch dieses Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes wird grundgelegt im Ver-
nunftakt, durch den die Idee der Einzigkeit erzeugt wird. Im erzeugenden
Vernunftakt bringt sich die Idee der Idee selbst zur Erkenntnis und vollbringt
faktitiv ihre Einigung (vgl. RV, 48). Indem die Idee der Einzigkeit faktitiv
ihre Einigung vollbringt, verschwindet alles andere Sein und wird „zum
Nichts" dieses einzigen Seins (RV, 48).

57
,Logik' bedeutet bei Cohen reine, sprach- und vorstellungstranszendente Ursprungslogik.
Mit der triftigen Kritik der Kantschen .Repräsentation' und .Synthesis' (LrE, 25-28) geht
allerdings Kants transzendentale Relation von Vernunft und Sprache verloren. Die .Logik der
reinen Erkenntnis' war daher schon zu ihrer Zeit überholt: Freges, Russells und bald schon
Wittgensteins formalsemantisch und satztheoretisch ansetzende Logistik trat an ihre Stelle
(H. Scholz, Abriß, 47-69). Erst sie bereiten wirksam die .unterirdische Drift' zur logischen
Analyse der natürlichen Sprache vor (M. Dummett, Ursprünge, 14-23).
31
G. Krüger, Einsicht und Leidenschaft, 227-283.
39
Korrelation ist Grundlegung und Zwecksetzung im wissenschaftlichen Urteil: „Die Kor-
relation ist eine wissenschaftliche Grundform ... des Urteils. Ihr allgemeiner Name ist der des
Zwecks. Wo eine Begriffsbildung angestellt wird, da wird eine Zwecksetzung aufgestellt. Eine
Zweckbeziehung ist es, die wir zwischen Gott und Mensch, wie zwischen Gott und Natur
ansetzen. Wenn wir fragten, wie wir zu dieser Korrelation von Gott und Mensch kommen,
so ist die Antwort: so verfährt das Urteil in der Zwecksetzung, welche ihre allgemeine Form
in der Begriffsbildung überhaupt hat." (BR, 47, vgl. LrE, 358-360)

220
D e r Vernunftakt, der die Idee des einzigen Seins erzeugt, darin aber die er-
zeugende Vernunft selbst als das relative Nichts dieses Seins hervorbringt,
wird als negatives unendliches Urteil konstruiert. Zwei für Cohens transzen-
dentale Urteilslogik genuine logische Operationsmittel werden dazu geltend
gemacht: die Privativität (nicht: Negativität) des jeweiligen Nichtseins (expli-
ziert an der logischen Partikel H-TI40); und das sog. unendliche Urteil, das aus
jeweiliger, relativer Unbestimmtheit (Privation) bestimmten Geltungswert,
bestimmte Realität erzeuge (vgl. LrE, 86f). Beide Operationsmittel sind nur
verständlich auf der Basis der fundamentalen Cohenschen Kritik an Kants Re-
alitäts- und Existenzbegriff und an Kants Zweistämmigkeit der Erkenntnis. 4 1

Kants Zweistämmigkeit des Erkennens: empirische und reine Sinnlichkeit als konsti-
tutive Bedingung von Erkenntnis, kritisiert Cohen radikal. Die Idee einer realen
sinnlich-leiblich vermittelten Zeiterfahrung, die bei Kant der idealen Anschauungs-
form .Zeit' komplementär ist, entfällt.*2 Raum und Zeit werden zu Kategorien
erzeugenden, reinen Denkens (LrE, 81.188-196.230-234). Cohen arbeitet diese funda-
mentale Kritik am transzendentalen Realbezug Kants erstmals aus in der Schrift Das
Prinzip der Infinitesimalmethode. Diese Schrift kritisiert Kants Grundsatz der Antizi-
pation der Wahrnehmung. Kants Fehler sei die Verwechslung der Kontinuität der
intensiven Größe des wissenschaftlichen Gegenstands mit der Kontinuität ihres
subjektiv-psychologischen Bewußtwerdens (derpsychophysikalischen Kontinuität der
Empfindung): „Erfahrung ist mathematische Naturwissenschaft ... Ein Gegenstand
hat objektive Realität, d.h. Realität als Objekt der Erfahrung ..., genau dann, wenn
er als Fall eines Gesetzes bestimmbar ist ... Einen Gegenstand als real denken heißt
also, ihn als gesetzlich geltenden, als unter Gesetze subsumierbaren und nicht als
bloß daseienden denken ... Geltung charakterisiert die Seinsart des wissenschaftlichen
Gegenstandes, nicht Wirklichkeit oder Dasein."*3 Die intensive Größe ist demnach
nicht Größe der Empfindung, sondern kontinuierliche Maßeinheit, aus der eine
physikalische Realität durch die (transzendental, also nicht rein mathematisch
interpretierte) Infinitesimalmethode erzeugt wird. „Das Unendlichkleine wird denn
auch nie als reale, aktual unendlichkleine Größe verstanden, es hat insofern kein
Sein, schon gar nicht ein anschauliches ..., sondern es wird als realisierendes Element
des Denkens, das Erzeugen, Konstruieren ist, in seinem Geltungswert für die Erkennt-
nis ausgelegt ... Die Differentiale sind also nicht selbst real, sondern bloß Ausdruck
der erzeugenden (Denk-Mittel) der Realität"44. Die logisch-operationale (nicht ontolo-
gische) Verwendung des privativen Nichts, bringt ^den Ursprung desjenigen Begriffs
zur Definition ..., der das Problem bildet. So wird das sogenannte, aber keineswegs so
zu verstehende Nichts zum Operationsmittel, um das jedesmalige Etwas, das in Frage

40
Im Unterschied zur Negation durch die logische Partikel ov>: H. Cohen, LrE, 84-87. Zur
anti-hegelschen Spitze dieser Logik der Negation: LrE, 89f. 112-114.
41
Zur Interpretation: H. Holzhey, Ursprung und Einheit 1; J. Stolzenberg, Oberster
Grundsatz, 76-94. Daran anschließend: J.F. Lohmann, 67-117.
42
Zum transzendentalen Realbezug Kants: § 4,2; § 7,2.3.
43
P. Schulthess, 11*.
44
P. Schulthess, 31*. Zur Kritik: W. Flach, 23-32.

221
steht, in seinem Ursprung, und dadurch erst eigentlich zur Erzeugung und zur
Bestimmung zu bringen." (LrE, 89)

Die Idee der Einzigkeit, als Ursprung der durch Elemente Realität erzeugen-
den Vernunft, hat den logischen Status einzigen Seins.

Bereits Maimonides korrigiere, so Cohen, in diesem Sinne die aristotelische Theolo-


gie durch urteilslogische Reflexionen, wodurch ontologische Erhaltungslehre zur
logischen Schöpfungslehre werde45: Nicht durch negierte affirmative, sondern durch
negierte privative Begriffe wird diese Idee bestimmt. Als paradigmatisches Urteil gilt:
,Gott ist nicht träge'. Weder wird einfach ein affirmatives Prädikat (,ist ruhend')
noch ein negiertes zugesprochen (,ist unbewegt'), sondern vermittelt durch Negation
des Denkelements wird die Idee der Einzigkeit erweitert und bestimmt. Cohen setzt
dazu stillschweigend voraus, daß .Beharrlichkeit' (so wird .Trägheit' im Sinne
moderner Dynamik reinterpretiert) als logisches Korrelat und realisierendes Element
(Erzeugungsidee) von Bewegung und Ruhe (als wissenschaftlicher .Realität') gilt
(LrE, 240-245).

N i c h t als ontologischer, sondern als logischer Grund der Bewegung gilt die
Idee der Einzigkeit. Nicht als das Beharrende der Bewegung und Ruhe, son-
dern, vermittelt durch Negation von Beharrung, als Schöpfermacht und Ur-
sprungsaktivität gilt das einzige Sein. Einsicht in die Idee der Einzigkeit,
vermittelt durch die Negation (Anhypothesis) der Idee (Hypothesis) der Be-
harrung, bestimmt die Idee der Einzigkeit als schöpferischen Ursprung: „Die
Schöpfung ist kein heterogener Begriff in oder zu seinem Sein, sondern dies
gerade bedeutet sein Sein als Einzigkeit: daß das Werden in ihm mitgedacht
ist, mithin aus ihm hervorgehen, aus seinem Begriffe hergeleitet werden
m u ß . " (RV, 74) Werden wird damit nicht ins Sein Gottes verlegt, vielmehr
gilt Sein als hinlänglicher, korrelativer Ursprung des Werdens. „Diese Hin-
länglichkeit der Ursache aber erschöpft sich in ihrer logischen Bedeutung,
und sie wird entstellt durch die Übertragung der logischen Bedeutung auf
einen materiellen Hergang." (RV, 74) So konstatiert Cohen: „Wenn Gott an
dem Attribute der Nichtträgheit erkennbar wird, so wird er als Schöpfer
erkennbar, so wird die Schöpfung in seinen Begriff aufgenommen. U n d das
Rätsel der Schöpfung wird somit durch die Definition aufgelöst. Denn diese
Schöpfung bedeutet jetzt vielmehr das Sein Gottes, welches das Sein des
Ursprungs ist. U n d das Werden hat nunmehr seinen Grund in dem Ursprung
dieses Seins ... Aus diesem Begriffe heraus, aus der Einheit dieser Begriffe des
einzigen Seins und des unendlichen, privativen Ursprungs findet das gedankli-
che Problem der Schöpfung seine vollständige Lösung ... Die positive Be-
stimmung Gottes liegt in denjenigen negativen Attributen, welche nicht die
Positivität, sondern die Privation ausschließen." (RV, 75f)

45
Zur Theologie des Buches Lambda der aristotelischen Metaphysik: K. Oehler, Beweger.

222
Der Begriff, der als logisches Korrelat der Ursächlichkeit des Einzigen zur
Definition gebracht wird, ist keine einzelne Bestimmung, keine .Realität',
sondern das diskursive Denken selbst: Einsicht in die Idee der Einzigkeit
vollzieht sich an ihr als Werden durch diese Ursprungsidee. Diese Konse-
quenz veranlaßt Rosenzweig zum lakonischen Urteil, in dem sich sein Bild
vom Denkweg Cohens zusammenfaßt: „Die Vernunft, die im [sc. erzeugungs-
logischen] System Voraussetzung ist, wird hier wirklich geschaffene, offenbarte
Vernunft. Cohen selbst würde sich entsetzen, wenn wir ihm diese Folgerung
auf den Kopf zusagten" (Z, 226). Zu Recht wird damit eine Alternanz reiner
Vernunft diagnostiziert, die Rosenzweig sofort theologisch bestimmt. Vor-
sichtiger formuliert: Einsicht in die Idee des Einzigen vollzieht sich als be-
dürftige, sterbliche Leidenschaft des Denkens, das doch zugleich konstrukti-
ver Erzeugungsgrund dieser Idee ist.46 Das Pathos des Denkens im ausgezeich-
neten Augenblick, in dem sich ihm ,der Name' als Name in Namen gibt,
bleibt bei Cohen unbedacht. Nur als Idee, nicht als Name könne Gott wahr-
haft geliebt werden: „Die realisierende Kraft der Idee wird nirgends so deut-
lich, wie an der Liebe zur Idee. Wie kann man eine Idee lieben} Darauf ist zu
antworten: Wie kann man etwas anderes lieben als eine Idee? Liebt man doch
sogar in der sinnlichen Liebe nur die idealisierte Person, nur die Idee der
Person." (RV, 185) So bleibt der für die Explikation der religiösen Korrelation
entscheidende Begriff des .Heiligen Geistes' idealistisch: „Die Idee Gottes ist
die Idee des heiligen Gottes, die Idee des heiligen Geistes, als des Geistes der
Heiligkeit, das ist des Geistes der Sittlichkeit. Die Sittlichkeit aber ist nur
insofern ein Reich der Wirklichkeit, als dieses ein Reich der Handlung dar-
stellt" (RV, 186).

(2) Heiliger Geist als Vollzug realer Relation


Die Alternanz der Cohenschen Vernunft erweist sich in der Religionsschrift
in der Theologie des .Namens': Die Grundlegung statuiert, daß das einzige

44
Diese Dialektik des platonischen nous und eros in der hypothesis-anhypothesis-Dialektik
hat Gerhard Krüger gegen den Marburger Piatonismus geltend gemacht: „Dem dämonisch
gespannten Wesen des Eros, kraft dessen er zugleich sterblich und unsterblich ist, entspricht
eine Spannung im Wesen seines Gegenstandes: die Idee ist zugleich .sterblicher' Begriff und
göttlich Seiendes." (Einsicht und Leidenschaft, 223) „Die Dialektik, die sich mit der .Gemein-
schaft' der Ideen befaßt, sieht, wie sich die Hypothesen aufheben, weil jede einzelne zwar als
sie selbst mit Notwendigkeit in .Einem', nämlich in sich selbst, bleibt, als das Eine eines
Anderen aber ... von etwas Fremdem getroffen wird, das ihrem eigenen Wesen widerspricht
... Ein und dasselbe Mathema - auch die Hypothesis des Einen - .wird' etwas, was es vorher
nicht war: das reine Eine ... wird .dann' vieles Andere und vor allem auch Seiendes; indem
es viele Andere ist, .wird' es bald dieses Andere, bald sein Entgegengesetztes, u.a. bald Eines,
bald Vieles, bald Ruhendes, bald Bewegtes. Wo der Eros führt, der stets der Körperstufe
bedarf ..., da kann dieses .Geschehen' und seine .Zeit' nur in .Erinnerung' an das Geschehen
des Sinnlich-Zeitlichen verstanden werden. Daher wird ... der ausgezeichnete Augenblick des
Umschlags (u£T<x|JoX.r|) der Begriffe ineinander ausdrücklich untersucht" (ebd., 276f).

223
Sein zugleich Seiendes für die Vernunft, Person, werden müsse, um sich an der
Vernunft zu vollziehen. Seiendes wird das einzige Sein als Name. Das einzige
Sein wird der ,ICH BIN' vom Dornbusch (Ex 3,14f). „,So sollst du den Israeli-
ten sagen, der ,ich bin' hat mich zu euch gesandt'. Also nicht Jahwe habe
Mose gesandt, sondern in dieser Zeitform der ersten Person soll Mose auf die
Frage der Israeliten nach dem Namen seines Gottes diesen Namen benennen.
So bestimmt wird das Sein als dasjenige benannt, was in dem Namen die
Person Gottes bezeichnen soll. Wenn das noch nicht Philosophie ist, so ist es
sicherlich doch Vernunft in dem Ursinn dieses Wortes." (RV, 50) Das Singu-
lare dieses .Namens', sei die Unterscheidung des Seins vom sinnlichen, erfahr-
baren Dasein, die in der Namensgabe angezeigt wird.
Auf den Namen als Namen, als theo-logisches Zeichen, wird nicht reflek-
tiert! ,Der Name' gilt Cohen nämlich logisch nur als Kennzeichnung (,der
einzige Seiende'). Die fundamentale namenslogische Bedeutung des ,ICH BIN
DA' von Ex 3,14f (§ 10) ist unbedacht. Stattdessen wird der Jiampf gegen den
Antbropomorphismus" als die „Seele der jüdischen Religionsbildung" ausgeru-
fen (RV, 48). Der göttliche Name hat in der Korrelation des einzigen Seins
und der Vernunft, die der Heilige Geist ist, funktional-signifikativen Sinn. Er
fungiert als Organ und Medium heiligen Geistes in der Versöhnung des
Einzigen mit Israel als Symbol messianischer Menschheit: Durch den Geist
und insofern durch den göttlichen Namen reinigt und heiligt der Einzige und
reinigt und heiligt sich Israel vor ihm.47

Wie der Name Organ der Reinigung durch den Einzigen im Geist ist, so ist
das Bekenntnis des Namens Organ der Korrelation vor dem Einzigen im

" Das ,nahe W o n ' von Dtn 30,11-14 ist „Geist" (RV, 94). Mit dieser Identifikation gelingt
es, die andere Seite der Korrelation zu konstruieren: „wo Gott schafft, da entfaltet sich sein
einziges Sein als die Grundlage für das Werden, welches kraft dieses Seins Grund und Be-
deutung erlangt ... Auch von Gott aus betrachtet, ist die Vernunft die Bedingung, vermöge
welcher Gott in Korrelation treten kann zum Menschen. Und diese Korrelation ist begrün-
det in dem Begriffe des einzigen Seins. Denn dieses bedeutet die Voraussetzung zum Werden.
Wie das Sein daher die Voraussetzung der Grundlage ist, so ist das Werden für die Entfaltung
der Grundlage die Voraussetzung, also der Mensch. Diese gegenseitige Bedingtheit vertritt die
Korrelation ... In der Erkenntnis des Menschen von Gott tritt gemäß der Korrelation die
Reziprozität ein. Es ist, als ob das Sein Gottes erst in der Erkenntnis des Menschen aktuell
würde. So gewaltig setzt sich die Korrelation ins Werk. Der Mensch ist nicht mehr nur das
Geschöpf Gottes, sondern seine Vernunft macht ihn kraft seiner Erkenntnis und für dieselbe
gleichsam wenigstens subjektiv zum Entdecker Gottes. So wird es verständlich, wie der Geist
zum Grundbegriffe der Religion wird, zum Vermittlungsbegriffe zwischen Gott und Mensch,
zum vollziehenden Begriffe der Korrelation ... Gott ist einzig, dies bedeutet jetzt: Gott ist
Geist." (RV, 102f) Die christologiekritische Pointe ist unübersehbar: Heiliger Geist steht für
logische Korrelation, welche christologische Vermittlung substituiert. „Nur die Korrelation
hält die Vereinigung in den Schranken der Abstraktion. Die Vereinigung ist keinerlei
sachliche Verbindung. Gott und Mensch müssen getrennt bleiben, sofern sie vereinigt
werden sollen." (RV, 122)

224
Geist. Die Heiligung des Namens, freilich als teleologische Handlung der
Reinigung im Geist, wird zum Inbegriff des Gesetzeswerks. „.Alle deine
Handlungen seien zum Namen Gottes' ... Der Name Gottes, das ist das
einzige Ziel der menschlichen Handlung ... Der Name Gottes ist gleichbedeu-
tend mit dem Gottesreiche." (RV, 402f; vgl. RV, 507)
In der Messianität des kultischen Gebets vollendet sich diese Korrelation: Im
Gebet, in der Heiligung des Namens, vollzieht sich die Wahrheit Gottes als
intersubjektive Urteils- und Gewissenstugend der Wahrhaftigkeit**. „,Das Sie-
gel des Heiligen, gelobt sei er, ist Wahrheit.' [Schab. 55a] ... So wird selbst für
Gott die Wahrheit zum höchsten Ausdruck seiner selbst. Nicht die Einheit
wird sein Siegel, sondern die Wahrheit." (RV, 441) Die Tugend des Gebets ist
.Andacht' (kwnh): „In der Andacht des Gebetes wird die Einheit des Bewußt-
seins gegründet ... Daher ist das Gebet die Grundform, die Grundtat der
Religion. Denn in diesem Ziele des Gebetes auf Wurzelung des Bewußtseins,
in der Wahrhaftigkeit tritt Gott hervor, als das Gegenglied der Korrelation.
Gott ist der Gott der Wahrheit, und der Mensch soll der Mensch der Wahr-
haftigkeit werden. Darum betet der Mensch zu Gott." (RV, 442f)
Das Gebet ist .Mittel' der Selbstheiligung, sofern es im Gebet als mes-
sianischer Praxis der Gemeinde wurzelt: „Das Gebet begründet die Gemeinde
... So wird das messianische Gottesreich von der Zukunft in die Gegenwart
hineingebetet, durch das Gebet der Gegenwart schon lebendig gemacht." (RV,
448) Das „messianische Gebet ist das Sprachorgan der Menschheit, des Men-
schen als Menschheit, geworden ... So ist das Gebet die eigentliche Sprache
der Religion. Und alles Denken dieser Sprache, von Gott und vom Men-
schen, alles Denken dieser Korrelation bliebe Theorie, wenn nicht das Gebet
die Sprachhandlung würde, in welcher der Wille lebendig wird an allen
Mitteln des Denkens. Die Andacht des Gebetes ist der Wille der Religion."
(RV, 463) Im Gebet der Gemeinde um das Reich wird die Gemeinde als
Reich Gottes antizipativ begründet.
Dieser Messianismus des Namens und Gebets bei Cohen entgeht aber der
Dialektik praktischer Vernunft und ihrer Idee des höchsten Guts nicht.49 Die
Hoffnung auf Läuterung der Lippe (Sach 14,9 und Zeph 3,9.11), wird zum
Ziel unendlicher, gerade darum in jedem geschichtlichen Moment antizipier-
barer Handlungsgewißheit.50 Wichtiger ist allerdings, daß Rosenzweig diese
Dialektik des Messianismus zum Anlaß nimmt, um die Grundlegung des
Gebets und des Namens durch den funktionalen Begriff der Korrelation im

41
Zu Wahrheit und Wahrhaftigkeit als absoluter Tugend der Dekalogethik, RV, 476-489.
Gott als einziges Sein .existiert' weder, noch .lebt' er: Wahrheit ist sein Wesen. „Nur
Wahrheit allein ist der Geltungswert, der dem Wesen Gottes entspricht." (RV, 480)
49
§ 2,2.3 und § 3,1.2.
50
Cohen erwartete in nächster Zukunft die Bekehrung des trinitarischen Christentums
zum reinen, jüdischen Monotheismus: BT, 449f (22.9.1917), 1150 (23.5.25) und JH, 203.

225
Ansatz zu kritisieren.51 Im selben Moment, in dem die Korrelation zwischen
dem gerechten Richter und dem sich bekehrenden Sünder ins Zentrum rücke,
ändere sich der funktional-erzeugungslogische Begriff der Korrelation. Sie
wird zur realen Relation.52
Gott „muß ... dem Notschrei jenes einzigen Individuums ,vor Dir allein
habe ich gesündigt' die einzige Antwort geben, die ihm helfen kann und die
nur Er, der Einzige, geben kann: ,Ich verzeihe nach deinem Worte'."
(Z, 206)53 Die Realität dieser Relation ist nicht zu konstruieren. Versöhnung
verlangt genuine Zeit (den Tag der Versöhnung) und den bestimmten Ort
(,in Abraham'). Sie gilt nur im göttlichen Namen und in seiner Homologie,
im dialogischen Wort von Ruf und Anrufung. Doch beansprucht Rosenzweig,
mit dieser Namenslogik nur fortzubauen, wo Cohen „unbewußtermaßen die
Grundlagen einer neuen Logik" legte (Z, 209f).M Erkenntnis der Versöhnung
ist nur im Aussprechen des Namens zur gegebenen Zeit ,in Abraham'. ,Der
Name' ist nicht Organ funktionaler Korrelation, sondern Faktum der Reli-
gion, nicht zu konstruieren, sondern nur zu exponieren als Faktizität homo-
logischer Korrelation.55 Cohens spätes Diktum, nach weichem der „Mono-
theismus ... ein psychologisches Mysterium" sei („Wer das nicht anerkennt,
der versteht ihn nicht in seiner Tiefe")56, indiziere bei Cohen eine neue Logik
,des Namens' als Name und als Faktum der Religion aus den Quellen des
Judentums.

51
Dazu: Einleitung in die Akademieausgabe der Jüdischen Schriften Hermann Cohens,
Z, 177-223; daneben das Vortragsskript: Über Hermann Cohens .Religion der Vernunft',
Z, 225-227; und die späte Kritik der Davoser Disputation zwischen E. Cassirer und M.
Heidegger: Vertauschte Fronten, Z, 235-237.
52
Zum Übergang von transzendentaler Logik zu realer Relation: § 4,3.
53
In der Tat durchzieht der 51. Psalm die gesamte Religionsschrift Cohens als Paradigma:
RV, 25 (Ps 51,6); RV, 119.443 (Ps, 51,12); RV, 247 (Ps 51,7); RV, 462 (Ps, 51,19)!
M
Vgl. Z, 86; 601f; BT, 1015.
55
Der Begriff .Korrelation' bahne beim späten Cohen den „Einsprang in das Dasein" an
(Z, 237), wie Rosenzweig die Davoser Disputation zwischen dem Cohen-Schüler Cassirer und
Heidegger kommentiert.
54
Dieses Diktum aus Cohens später Vorlesung über die Lyrik der Psalmen teilt Rosen-
zweig in Z, 211 mit. Damit sei die religionsphilosophisch-psychologische Kultursynthese
gesprengt. Religion hat im System keinen Ort, auch nicht denjenigen der Grundlegung,
welche der Psychologie zukommt. Nur diese Systemtranszendenz begründe ihre Universalität
(Z, 208). Zur Frage: D. Korsch, Individualität als Gesetz, 287.291.

226
3. Grammatik der Versöhnung (Widduj und Selicha)

3.1 Reinigung vor dem Namen und durch den Namen

„Mit ewiger Liebe hast du uns geliebt, EWIGER, unser Gott ... Unser Vater,
unser König, um unserer Väter willen, die auf dich vertraut und welchen du
Satzungen des Lebens gelehrt, begnadige uns und belehre uns! ... Erleuchte
unsere Augen in deiner Lehre, verknüpfe unser Herz mit deinen Geboten,
einige unser Herz, deinen Namen zu lieben und zu fürchten, daß wir in Zeit
und Raum ewiglich nicht zuschanden werden."57 Dem Bekenntnis der Einzig-
keit geht die Bitte um das Geeinigtwerden des Herzens durch Gott voran.
Einigung des Herzens in der Liebe zu Gott gründet in der Reinigung des
Herzens durch Gott. Reinigung des Herzens durch Gott offenbart das un-
einige Herz, das vor Gott rein, aber an sich böse ist, erweist also den .Streit
der beiden Triebe des zwiegespaltenen Herzens'.58 Die Einigung des Herzens
durch Gott setzt die Unterscheidung von .Seele' und .Charakter' im Schuld-
bekenntnis voraus: „Das ist die Scham, die sich vor den geliebten Mund legt,
der bekennen will; er muß seine vergangene und noch gegenwärtige Schwach-
heit bekennen, indem er seine schon gegenwärtige und zukünftige Seligkeit
bekennen möchte. Und so schämt sich die Seele, der Gott sein Liebesgebot
zuruft, ihm ihre Liebe zu bekennen; denn sie kann ihre Liebe nur bekennen,
indem sie ihre Schwachheit mitbekennt und dem ,Du sollst lieben' Gottes
antwortet: Ich habe gesündigt." (S, 200)59
Diese Explikation des Schuldbekenntnisses mag rechtfertigungstheologisch
vertraut klingen. Sie erweist sich aber als der Rechtfertigung in Christus und
der Grundregel ihrer Anthropologie (simul iustus et peccator) inkommensura-
bel. Das zeigt schon die unmittelbare Fortsetzung: Das Schuldbekenntnis sei
der Versöhnung so gewiß, daß es der lautgewordenen Vergebung nicht mehr
bedarf: „nicht Gott braucht sie von ihrer Sünde zu reinigen, sondern im
Angesicht seiner Liebe reinigt sie sich selber ... sie bedarf dieser förmlichem
Absolvierung jetzt nicht mehr ... Dies Bekenntnis [der Sünde] aber ist ihr
schon höchste Seligkeit; denn es umschließt die Gewißheit, daß Gott sie
liebt. Nicht aus Gottes, sondern aus ihrem eigenen Munde kommt ihr diese
Gewißheit." (S, 201)

57
Benediktion Ahabat olam, Sidur, 35f; Übersetzung zum Teil nach Trepp, 26.
58
Der .Streit der beiden Triebe' des zwiegespaltenen Herzens (Dtn 30,15!) ist zentrales
Motiv des .Fürsprachegebets', das als Einzelgebet - einem individuellen Bußspiegel gleich -
vor dem Beginn von Kol Nidre gebetet wird. Das Gebet endet mit Ps 51,12 (Lau, 189f).
" Der Trotz des Selbst ist seine (selbstverständlich nicht psychologisch oder biographisch
zu verstehende) .Vergangenheit', ist der „geheime Ursprung der Seele" (S, 190): „Nicht so,
daß etwa in der geliebten Seele noch selber Trotz wäre; dieser Trotz ist in ihr ganz Treue ge-
worden; aber die Kraft des Festhaltens, welche die geliebte Seele gegen die Liebe, mit der sie
geliebt wird, bewährt, diese Kraft der Treue stammt ihr aus dem in sie eingegangenen Trotz
des Selbst." (S, 190)

227
Die Inkommensurabilität von Versöhnung im Namen {Kappara, Bedeckung,
Reinigung) und Versöhnung in Christus zu erweisen, um Christologie aus der
.Religion der Vernunft' zu eliminieren, ist die esoterische Pointe der Reli-
gionsphilosophie Hermann Cohens.60 Die Unvernunft der Christologie er-
weise sich an der Logik der Kappara. Diese wird aus den Gebeten des
Versöhnungstages rekonstruiert. Rosenzweig kannte Cohens Analyse vor der
Abfassung des Stern (vgl. BT, 514f). Bis zu einer bestimmten Grenze ist seine
grammatische Beschreibung der Kappara dadurch geprägt. Wenn es gelingt,
diese Grenze zu bestimmen und die Differenz zwischen Cohens und Rosen-
zweigs Verständnis von Versöhnung aufzudecken, dann zeigt sich, inwiefern
der Stern bereits in die Grammatik von Sch'ma, Jichud, Widduj und Selicha die
Unterscheidung von Geltung und Reichweite des Namens einbaut.61

3.2 Logik der Versöhnung bei Hermann Cohen

Der Makarismus Rabbi Akibas, mit dem der Mischnatraktat Joma schließt,
bildet Motto und Zentrum der .Religion der Vernunft': „Heil Euch Israel!
Wer reinigt Euch und vor wem reinigt Ihr selbst Euch? Es ist Euer Vater im
Himmel."62 Dieser Makarismus formuliert die .Korrelation' der Versöhnung.
Cohen rekonstruiert sie aus zwei zentralen Gebetssequenzen der Versöh-
nungstagsliturgie: aus dem (in jedem der/om-/ti/7p«r-Gottesdienste wiederhol-
ten) Sündenbekenntnis (Widduj)a und aus der Verkündigung der dreizehn
Eigenschaften Gottes (Selicha)M. Die erzeugungslogische Konstruktion wird
zur Analyse gottesdienstlicher Zeichen. Die Korrelation der Versöhnung ist
nur im öffentlichen Gebet der Gemeinde. Die Kultkritik Kants findet bei
Cohen ihre eigentliche Metakritik.

60
Rosenzweig tradiert diese esoterische Pointe und ein Logion Cohens (aus einem unpubli-
zierten Nachlaß-Aufsatz) über die Gottessohnschaft Jesu: es habe „noch niemand daran ge-
glaubt .... in neunzehnhundert Jahren noch niemand!!!" (BT, 447, 22.9.1917)
61
„Er [Cohen] ist doch eben der richtige alte Jude und hätte im Verhör mit Jesus bei der
kritischen Stelle auch seine Kleider zerrissen und gerufen: ,was bedarf es weiter Zeugnis!' [Mt
26,65]. Das hätte ich [Rosenzweig] wohl auch getan, aber gefragt hätte ich noch weiter." (BT,
447)
62
mjoma 8,9; B Joma 85b. Der Makarismus schließt jenen Traktat ab, der Liturgie und
Theologie des Versöhnungstages regelt. Zur veränderten Zitation Akibas durch Cohen:
F. Rosenzweig, Z, 212; J.J. Petuchowski, Dialektik der Kappara, 196.
63
Der (lange) Text des akrostichisch geordneten Widduj findet sich z.B. in Machsor Ver-
söhnungstag, 48-51. Von besonderer Bedeutung ist, daß in ihm keinerlei kultisch-rituelle
Vergehen bekannt werden. Seine (sehr viel kürzeren) Varianten und seine Genese ist dar-
gestellt bei: Trepp, 132-134; Elbogen, 149-151.
M
Zum Text von Selicha u.S. 23 lf. Zur Genese und Bedeutung: Elbogen, 222.224f. „Gott
lehrte Moses, sie zu beten; so oft Israel sündigt, soll es vor mir nach dieser Ordnung beten,
und ich vergebe ihm seine Sünden" (bRHSh 17b). - Zur Entwicklung der Selichot (Bitten um
Vergebung) als Gattung des jüdischen Gebets: Elbogen, 221-229.

228
(1) , Vor dem Namen': Vom Opfer zum Tag der Umkehr
Widduj wird eingeleitet durch das Gebet Ravs^: „Du kennst die Geheimnisse
der Welt und das Verborgenste und Verhüllteste alles dessen, was lebt. Du
durchforschst alle Gemächer unseres Inneren und prüfst Nieren und Herz.
Nichts ist vor dir verborgen und nichts verhüllt deinen Augen gegenüber."66
Ravs Gebet erkenne die Sünde als das Geheimnis des menschlichen Charakters,
der in seiner Sünde als Einzelseele von Gott gemustert und gezählt werde (vgl.
RV, 258). Im Schuldbekenntnis vor Gott wird das Individuum (als Fall des
Gesetzes) zum Ich!
Das radikal Böse wird bei Cohen zur Grundlegungsidee: Ideen sind „Grund-
legungen ..., die in ihrer Fruchtbarkeit den Prüfstein ihrer Richtigkeit haben.
Eine solche Grundlegung ist das Individuum, ist die Sünde, ist die Sünde des
Individuums." (RV, 216) Sünde sei „Durchgangsbegriff", um den Menschen
als unvertretbares Ich begreifen zu können. Die Idee .Sünde' begründet die
Idee der .Versöhnung' „des Menschen mit den Widersprüchen, die sein Indivi-
duum nicht zur Einheit des Ich kommen lassen ... Die Sünde vor Gott führt
uns zur Erlösung durch Gott. Die Erlösung durch Gott führt uns zur Ver-
söhnung des Menschen mit sich selbst. Und diese erst führt uns in letzter
Instanz zur Versöhnung des Ich mit Gott ..., die das Individuum zur Reife
bringt als Ich." (RV, 220f) Also erneut eine Theorie der Versöhnung als
Theorie religiöser Subjektivität? So wurde und wird Cohen in der protestanti-
schen Theologie rezipiert.67
Im folgenden wird eine andere Interpretation vorgelegt: Die Logik des
gottesdienstlichen Gebets wird in der anthropologischen Unterscheidung von
Individuum und Ich grundgelegt. Die Rekonstruktion dieser Logik ist die
Pointe und, zumindest für die nachfolgende jüdische Theologie, die eigentli-
che Wirkung Cohens:
Umkehr durchbricht den Zusammenhang von Sünde und Strafe (Ez 18,21-
23!). Diese Jtföglichkeit der Selbstverwandlung macht das Individuum zum Ich."
(RV, 225)68 Der Selbstverwandlung durch Gott korreliert die Selbstheiligung
vor Gott durch den Menschen: „Werft ab von euch alle eure Missetaten, an
denen ihr gesündigt habt und machet euch ein neues Herz und einen neuen
Geist." (Ez 18,31) Buße, Heimkehr umschreibt die Urteilskorrelation der
Reinigung durch Gott und vor Gott. Inwiefern?
,JDas [ausgesprochene] Bekenntnis der Sünde ist die Buße, die der Sünder auf
sich nehmen muß." (RV, 228) Dazu bedarf er des öffentlichen Instituts der

65
Zu Abba Areka, gen. Rab/Rav: Strack, 136f. Zu seinem Gebet (bjom 87b): Elbogen,
150.262-264; Trepp, 205.
66
Machsor Versöhnungstag, 48.
67
Zuletzt in den ausgezeichneten Analysen D . Korschs, Individualität als Gesetz, 293f.
M
„Individuum war der Mensch in der Erkenntnis seiner eigenen Sünde. Ich aber wird er
in der Machtbefugnis, sich selbst ein neues Herz und einen neuen Geist zu schaffen"
(RV, 226).

229
Buße, eines Bekenntnisses der Gemeinde. Moralische Selbstbestrafung wie
rechtlich exekutierte Buße sind selbstwidersprüchliche Ideen.69 Die einzige
Öffentlichkeit der Buße ist deshalb die .Gemeinde': „So ist die Gemeinde
entstanden, als die einzig entsprechende Einheit für die einzige Aufgabe der
Religion." (RV, 230) Das öffentliche Bekenntnis ,vor Gott' in der Gemeinde
löst (nach dem Ende des Tempels) das signifikative Opfer des Versöhnungs-
tages ab; es substituiert nicht das Opfer!70

Keines der aus dem Tempel übernommenen Rituale stellt „einen Bezug zum tatsäch-
lichen Opfergeschehen her, etwa dem Besprengen mit Blut ... Die heute gängige
Vorstellung, daß das Gebet einen Ersatz für das Opfer darstellt, ist in Wirklichkeit
ein Gedanke, der relativ spät in der [rabbinischen] Literatur auftaucht."71 Schon in
der Generation nach der Zerstörung des Tempels wurde stattdessen entschieden,
„daß es der Tag der Versöhnung als solcher sei, der die Entsühnung bewirke, auch
dann, wenn es kein Opfer gab, denn es konnte keines dargebracht werden."72

Die Institution des öffentlichen Schuldbekenntnisses (Widduj) am von Gott


bestimmten und eingeräumten Tag, insofern die Institution der Kultgemeinde,
verbürgt Gottes Deklaration der Sünde als unwissentliches Vergehen (Schega-
ga, sggh73): „diese Erklärung ... durfte der Mensch sich selbst nicht geben; er
würde sonst seine Selbsterkenntnis schädigen. Diese Rechtfertigung kann ihm
nur eine öffentliche Instanz gewährleisten." (RV, 234)
Die synagogale Liturgie des Versöhnungstages kann auf das priesterliche
Opfer verzichten, weil es jene Sühnung nur anzeigte, die der Gemeinde allein
durch Gott und vor Gott eingeräumt ist. Das (wortlose!) priesterliche Han-
deln beim Opfer ist in keinem Sinn Satisfaktion und Absolution, sondern
Darstellung der durch Gott Joeute' eröffneten Umkehr. „Nur der einzige Gott
in seiner wahrhaften Einheit kann die Erlösung bewirken. Diese Konsequenz
macht das Opfer anschaulich. Denn bei ihm wird ein Tier geopfert; kein
Mensch, geschweige ein gottesartiges Wesen. Und kein Gott opfert, geschwei-
ge er selbst und sich selbst; sondern nur der Priester ist der Sachverständige
des Opferkultus. Über diesen Priester und über den Altar hinaus, an dem er

69
Zur Antinomie absoluter Selbstrichterschaft: § 3,2 und der Aporie strafrechtlich typisier-
ter Gerechtigkeit Gottes § 3,4.
70
Sh. Safrai, Versöhnungstag, 51f.
71
Sh. Safrai, Versöhnungstag, 49.
72
Sh. Safrai, Versöhnungstag, 48.
73
Zum Begriff Schegaga: R. Knierim, A n . ,5gg, sich versehen', T H A T 2, 869-872: Irrtum im
Sinne von unwissentlichem, unbeabsichtigtem Versehen (870). „Insgesamt ist anzunehmen,
daß der Begriff ungeachtet der subjektiven Verfassung des Täters das objektive Resultat einer
Tat als nicht vorsätzliches, ungewolltes Versehen bezeichnet" (871). Voraussetzung ist, daß
auch umgekehrt subjektiv unwissentliche Sünde als objektive Störung der göttlichen Welt-
ordnung gelte. „Die Gefahr unwissentlicher, aber nichtsdestoweniger vollverantwortlicher
Verirrung zeigt den Menschen als total abhängig von Gottes Enthüllung ..., Leitung ... und
Gericht oder Vergebung" (872).

230
hantiert, wird der Blick des opfernden Israeliten emporgehoben zu dem Got-
te, vor dem er steht. Dies bedeutet der durchgängige Ausdruck ,vor Gott'.
Nicht vor dem Opfer, nicht vor dem Priester steht der Mensch, so daß er vor
ihm der Reinheit teilhaft werden könnte, sondern ,vor Gott sollt ihr rein
werden.'"74 Das Opfer symbolisiert Geltung ,vor Gott', die bestimmte Zeit
und den bestimmten Ort der Umkehr, die im Urteil Gottes (der Deklaration
von Sünde als Schegaga) begründet ist und zu der und an dem dieses Urteil
gilt: ,^tn diesem Tag entsühnt man euch, um euch zu reinigen. Vor dem
Herrn werdet ihr von allen euren Sünden wieder rein." (Lev 16,30) Der
eingesetzte Tag zur Umkehr, nicht das Opfer, ist entscheidend.75

(2) ,Durch den Namen': Einigung Gottes und Einigung des Herzens
Die Aufgabe der Selbsterneuerung ist unendliche Wiederholung des Moments
der Umkehr. „Die Aufgabe selbst ist das Ziel; die unendliche Aufgabe ist das
unendliche Ziel ... Nur der Mensch selbst kann die Selbstheiligung vollbrin-
gen; kein Gott kann ihm dabei helfen." (RV, 239f) Aber Unendlichkeit und
Endlichkeit der Buße bedingen einander: Cohens kritischer Begriff der
Unendlichkeit menschlicher Buße erweist sich darin, daß solche Unendlich-
keit durch Gott beendet werden kann. „Die Selbstheiligung muß zu dem
unendlichen Abschluß kommen in der Vergebung der Sünde durch Gott."
(RV, 242) In der Vergebung der Sünde erweist sich Gottes Gerechtigkeit als
Güte: „Abgesehen davon, ob es uns allein gelingen könnte, die Aufgabe
unserer selbständigen Arbeit zu lösen und die Befreiung zu erreichen, so ist
es für die Korrelation mit Gott, ist es für den Begriff Gottes selbst notwen-
dig, daß er und er allein der Erlöser sei; daß er allein diese Erlösung vollführe
als das Verzeihen ... der Sünde. Im Sinne der Theodizee könnte man sagen:
die Sünde werde dadurch erklärbar, daß Gott sie vergibt. Das Wesen Gottes
ließe sich nicht in seiner Vollendung begrifflich erkennen, wenn nicht die
Sündenvergebung seine eigentliche Leistung wäre." (RV, 242f) ,JDie Sünden-
vergebung wird die eigentliche Spezialität der Güte Gottes. ... Auf die Sünden-
vergebung wird alsdann der ganze monotheistische Gottesdienst begründet.
Und in ihr prägt sich das besondere Attribut der Güte [Gottes] aus." (RV,
244) Diese Sätze entfalten das Kerngebet jüdischer Schuldbekenntnisse und
Vergebungsbitten (Selichot): die Verkündigung der dreizehn Eigenschaften
Gottes (nach Ex 34,6f), Selicha (sdr slyhh). Der biblische Text lautet: „ER ist
ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue. Er
bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, läßt aber
(den Sünder) nicht ungestraft."71' Die Liturgie des Versöhnungstages ändert die-

74
H. Cohen, RV, 235 (christentumskritisch zugespitzt: RV, 399). Zur Legitimität dieser
These Cohens: J.J. Petuchowski, Dialektik der Kappara, 188f.
75
Zu Opfer und Sühne bei Rosenzweig: § 15,1.
76
Zur innerbiblischen Reflexion dieser Namen Gottes: Ex 34,6f; Num 14,18; Ps 86,15;
103,8-11 (Negation!); 111,4; 145,8; Joel 2,13; Jona 4,2; Nah 1,3; Neh 9,17.31.

231
sen Text scheinbar gewaltsam: „Der Ewige zog an seinem Angesichte vorüber
und rief: ,Der Ewige, der Ewige, allmächtig, barmherzig und gnädig, langmü-
tig und reich an Gnade und Wahrheit, bewahrt die Gnade bis ins tausendste
Geschlecht, verzeiht Missetat, Frevel und Sünde, und befreit von Schuld. So
verzeihe unseren Fevel und unsere Sünde und nimm uns zum Eigentum."77
Die Kennzeichnung ,der Strafende' (Ex 34,7: „er läßt nicht ungestraft" -
wnqh V ynqh) wird zum Gnadennamen: „er macht rein" - wnqh.
Selicha wird zum Inbegriff der Kappara und ihres Geheimnisses: Die Ver-
kündigung der Eigenschaften Gottes sei die eigentliche Verkündigung des Ge-
heimnisses Gottes: „Die Verbindung zwischen Gerechtigkeit und Liebe bei
Gott ist das Geheimnis seines Wesens. Wir haben nur diese als seine Attri-
bute zu erkennen. Die Einheit dieser Attribute ist das Wesen, ist die Substanz
Gottes. Wir würden das Wesen Gottes begreifen können, wenn wir die
Verbindung begreifen könnten, welche in der Einheit Gottes zwischen Ge-
rechtigkeit und Liebe sich ewig vollzieht." (RV, 258) Während der Einigung
Gottes im Bekenntnis wird das Herz im Heiligen Geist geeinigt (Ps 51,12),
indem ihm im Bekenntnis vergeben wird.78 Selicha ist korrelative und effekti-
ve Sprachhandlung, Inbegriff der Reinigung durch Gott und vor Gott. „Und
dieser Satz ist das höchste Triumphlied dieser Tage. Der Mensch wird neu
geboren. Er empfängt von neuem den heiligen Geist, den Geist der Heilig-
keit, den der göttliche Geist in den menschlichen Geist einpflanzt." (RV, 260)
Der Kreis schließt sich: Die Logik der Kappara erweist sich in der Korrela-
tion von Selicha. Der Makarismus Akibas erweist die wahre Einzigkeit Gottes
im Ausschluß des Mittlers: „Kein Mensch reinigt euch; und auch kein
Mensch, der zugleich ein Gott sein soll. Kein Sohn Gottes soll euch reinigen,
sondern euer Vater allein. Und auch vor keinem anderen Mittelwesen sollt
ihr euch reinigen, sondern nur wenn Gott der einzige und alleinige Zielpunkt
eurer Selbstreinigung ist, nur dann kann sie vollbracht werden ... Gorf ist der
Einzige, weil vor ihm der Mensch allein sich selbst zu läutern vermag." (RV,
261, Kursive HA) Allerdings ist gegen Cohen zu betonen: Selicha bedarf kei-
nes Mittlers, wohl aber der bestimmten Zeit, der Tage von Rosch haschana
bis Jom Kippur. Es gilt an dem Tag, an dem Gericht und Erlösung in der
Zeit vorweg genommen wird. Die von Gott gewährte Zeit, die Stunde und der
Tag der Versöhnung durch ihn und vor ihm, sind offenbar entscheidend für
die Geltung von Selicha\n
Genau an diesem Punkt führt Rosenzweig die Explikation der Kappara
einen entscheidenden Schritt weiter: Er fragt nach dem Wo? der Gerichtsdo-

77
Machsor, Versöhnungstag 105, vgl. 108 u.ö.; dazu Trepp, 135f.
78
Vernunft als Geist - rwh - genauer: als heiliger Geist (nach Ps 51,12: RV, 119.443!), wird
erst in RV zum Inbegriff der Korrelation. Zur Genese: A. Poma, Einleitung zur BR, 30*,
H. Cohen, Der heilige Geist (1915), in: Jüdische Schriften 3, 176-196.
79
mAv 4,17: „Eine Stunde der Reue und guter Taten in dieser Welt ist mehr wert als das
ganze Leben in der kommenden Welt".

232
xologie, die den Gnadennamen Gottes rühmt. Ihr hermeneutischer Ort80 wird
jetzt ausdrücklich: ,vor dem Namen' bedeutet ,in Abraham'. Der Ort der
Wahrheit, des Hörens und der wahren Nennung des Namens, ist Abraham'.
Die Geltung des Namens ,in Abraham' unterscheidet sich von derjenigen ,in
Christus' (also hier gegen Rom 4,1-25). Aber die Anerkennung zweier Gel-
tungsbereiche der Verheißung hebt die exklusive Alternative Cohens auf:
Die Reichweite des Namens ist nicht identisch mit dem Ort seiner Bewäh-
rung! Nicht durch den quasi-priesterlichen Mittler, sondern ,in Christus'
.durch den Geist' versöhnt ,der Vater'.

4. .Abraham' als Ort der Geltung und Bewährung

Die Grammatik des Dialogs hat einen Ort: Dem namenanrufenden Sch'ma!
antwortet das: .Hier bin ich!' - ein Ich von .reiner Bereitschaft, reinem Ge-
horsam, ganz Ohr' (S, 196). Die biblische Referenz ist nicht beiläufig: Das
.Hier bin ich!' (hnny) ertönt in dieser Verwendung erstmals im Munde Abra-
hams. Mit ihm setzt die Erzählung von Isaaks Bindung ein (Gen 22,1.7.11).
Die Ortsbeschreibung von Gen 22,1-19 ist in nuce eine Beschreibung des
Geltungsbereichs des Dialogs von Sch'ma undjichud: „Die Gottesvorstellung
der Juden ist nicht sowohl Ursache als vielmehr Symptom ihrer Auffassungs-
und Darstellungsweise."81 Was geht im Dialog von Gen 22,1 vor sich? Rosen-
zweig antwortet darauf (S, 194-196) mit einem scheinbar assoziativen Rückbe-
zug des Dialogeinsatzes von Gen 22,1 auf Gen 3,9: „Gott, der Herr, rief den
Adam und sprach: Wo bist Du?" yAdam', verstanden als hermeneutischer
Ort, ist bestimmt „durch die zornige Frage der Liebe ..., die da schreit:
.Adam, wo bist du?'"82 und durch die im Antworten des Adam (Gen 3,10-12)
ausbleibende Antwort ,Hier bin ich!'.83 Gen 3,9 formuliert den Ruf, auf den
Gen 22,1 antwortet (und auf den Jesus Christus mit sich selbst ,für die vielen'
antwortet)84. Unterstellt ist bei Rosenzweig, daß der biblische Text von Gen
3 und 22 bereits selbst das „Grundprinzip der talmudischen und rabbinischen
Exegese" übt, „wonach zum Verständnis der Bedeutung eines Verses die Frage
gefunden werden muß, auf welche dieser antwortet".85 So verstanden um-
schreibt das zeit- und raumlose, motiv- und grundlose: Abraham!" und
Abrahams Antwort „Hier bin ich!" einen genuinen ,Ort': vor dem Angesicht!

80
E. Fuchs, Hermeneutik, 111.
81
E. Auerbach, Mimesis, 12, zu Gen 22,1; zu Gen 22,1-19: E. Auerbach, Mimesis, 7-30.
*2 E. Fuchs, Marburger Hermeneutik, 8.
8)
„Diese Frage nach dem Du ist das einzige, was von ihm schon bekannt ist. Aber diese
Frage genügt dem Ich, sich selbst zu entdecken; es braucht das Du nicht zu sehen ... Das Ich
entdeckt sich in dem Augenblick, wo es das Dasein des Du entdeckt, durch die Frage nach
dem Wo des Du behauptet." (S, 195)
84
F. Gogarten, Jesus Christus, 49-60, 56f; ders., Luthers Theologie, 78.87.
85
S. Moses, Dialogische Struktur, 109.

233
,In Abraham' und ,vor dem Angesicht' rückt ,Gott' ins Verborgene, und
zwar in eine bestimmte Verborgenheit zurück. „Daher kommt es, daß der
Gott im Heidentum ein höchst lebendiges, sichtbares Antlitz hat und durch-
aus nicht als ein verborgener Gott empfunden wird, während der Glaube
ganz deutlich spürt, daß er von einem Gott, der nicht offenbar würde, gar
nichts weiß, sondern Gott an sich ihm ein .verborgener Gott' ist, derselbe
Gott, der vor seiner Umkehr aus der Verborgenheit ins Offenbare dem
Unglauben gar nicht verborgen schien." (S, 175f) Das höchst lebendige sicht-
bare Antlitz kehrt sich ,in Abraham' in die Verborgenheit: vor seinem An-
gesicht stehend wird Gottes .Gerechtigkeit' zur verborgenen. Die Antwort
.Hier bin ich!' ist in concreto die „Stille der Seele in ihrer aus der Nacht des
Trotzes auferstandenen Treue" (S, 191).
Gen 22,1 umschreibt den Ort des Scb'ma Jisrael: den Namens-Vokativ und
ein Hören, das in das hinneni Abrahams eintritt: „Des Juden ... Wiedergeburt
ist nicht seine persönliche, sondern die Umschaffung seines Volks zur Frei-
heit im Gottesbund der Offenbarung ... Abraham, der Stammvater, und er
der Einzelne nur in Abrahams Lenden, hat den Ruf Gottes vernommen und
ihm mit seinem .Hier bin ich' geantwortet." (S, 440) Dieses Verdienst der
Väter erinnert die Benediktion Ahabat olam: „Unser Vater, unser König, um
unserer Väter willen, die auf dich vertraut und welchen du Satzungen des
Lebens gelehrt, begnadige uns und belehre uns!"86
,In Abraham' wird der göttliche Name mit Recht genannt und das namen-
lose Schweigen mit Recht gebrochen. Die Bindung (Akeda) Isaaks bildet den
Rechtsgrund des Gebets an den Vater um Gebot und Belehrung, während das
Kreuz Christi den Rechtsgrund des Freimuts des Gebets an den Vater, der
Gotteskindschaft und Miterbenschaft mit Christus bildet (Rom 8,1-17). Der
entscheidende Unterschied im Hören und Bekennen der Verheißung - so
Franz Rosenzweig an Eugen Rosenstock - gründe in „Moriah" und „Golga-
tha" (BT, 284). Das hinneni Abrahams enthalte die genuine Bereitschaft zum
Opfer des Sohnes der Verheißung: „Abraham aber opferte [im Gegensatz zu
Agamemnon] nicht etwas, nicht ein Kind, sondern den .einzigen' Sohn und
was mehr ist: den Sohn der Verheißung und dem Gott dieser Verheißung ...,
deren Inhalt nach menschlichen Begriffen unmöglich wird durch dieses
Opfer; nicht umsonst gehört diese Perikope unsern höchsten Feiertagen87; es
ist das prototypische Opfer nicht der eigenen Individualität (Golgatha),
sondern der völkischen Existenz, des .Sohns' und aller zukünftigen Söhne
(denn wir berufen uns vor Gott auf dieses Opfer oder vielmehr auf diese
Opferbereitschaft und zwar die des Vaters, nicht die ... des Sohnes). Der Sohn

16
Im Eingang des Morgengebets wird zuvor an die Abrahamskindschaft erinnert: „Aber
wir sind dein Volk, Kinder deines Bundes, Kinder Abrahams, der dich liebte" (Sidur, 7).
87
Gen 22,1-24 ist Tora-Lesung am zweiten Tag von Rosch haschana (Trepp, 260); Akeda-
Dichtungen finden sich in den verschiedenen Gottesdiensten an Jom Kippur (Trepp, 23 lf).

234
wird wiedergegeben: er ist nun nur noch Sohn der Verheißung."88 Berufung
auf Abrahams Opferbereitschaft erklärt nicht die Bereitschaft zur Wiederho-
lung seines Opfergangs. Stellvertretung durch Abraham ist konstitutiv für das
.Sein in Abraham': „Kein Jude kann auf seinen Sohn, den Sohn der Verhei-
ßung, verzichten; Abrahams Verzicht geschah eben für alle kommenden
Generationen, damit hinfort keiner mehr ihm nachtun müsse."85
Hören und Bekennen meint, in den Glauben Abrahams einzutreten, der
Gottes Verheißung .bewährt'; und es meint, in die Hoffnung Abrahams
einzutreten, vor dem Angesicht als .bewährt' zu gelten. „Er aber vertraute
IHM; das achtete er ihm als Bewährung" - so übersetzen Rosenzweig und
Buber .Gerechtigkeit' {sdqh) in der Schlüsselstelle Gen 15,6 (und von da an
konstant).90 Abraham gilt als der Bewährte (sdq) - so möchten wir formulie-
ren -, weil und insoweit sich an seinem Sohn der Verheißung (Gen 22,16)
Gottes Gerechtigkeit erweisen wird.
Zweifellos ist im Stern .Israel' in der Abrahamkindschaft leiblichen Hörens,
Gehorchens und Glaubens der Verheißung der ,Sohn der Verheißung'. Aber
dadurch gilt Gal 3,16 nicht als widerlegt („Abraham und seinem Nachkom-
men wurden die Verheißungen zugesprochen [nach Gen 22,16]. Es heißt
nicht: ,und den Nachkommen', als wären viele gemeint, sondern es wird nur
von einem gesprochen: und deinem Nachkommen; das aber ist Christus").
Vielmehr wird der „Begriff der Bewährung der Wahrheit zum Grundbegriff"
der „messianische[n] Erkenntnistheorie" Rosenzweigs (ND, 158f).
Die eschatologische Reichweite des göttlichen Namens ist so zu bestimmen,
daß er am doppelten Ort seiner Geltung im begründet unvereinbaren und
unentscheidbaren Widerspruch der Homologien zur dialogischen Hoffnung
anleitet. Die Differenz der Bewährung (als Sein-in-Abraham, als Glaube-in-
Christus) zeigt das Geheimnis der göttlichen Gerechtigkeit an.

Zusammenfassung

1. „Liebe ist stark wie der Tod" - dieses rhetorische Bild führt ein ins Zen-
trum der Namenstheologie Franz Rosenzweigs: in die Präsenz und Externität
,des Namens' in seiner Homologie. Der Name gibt sich in einer Präsenz, die
sich der Vergegenwärtigung im Aussagesatz entzieht. Eben darin begründet er
die Homologie als Satz aus Glaube auf Hoffnung.
Die Gabe des Namens begründet die Homologie {Jichud Haschern, Sch'ma
Jisrael). Die grammatische Beschreibung von Jichud und Sch'ma Jisrael bildet
deshalb den Anfang des Erlernens der messianischen Lebensform. Die bleiben-
de Externität in der Gabe des Namens nennen wir: die Dichte seiner Herr-

" BT, 284 (7.11.1916).


89
BT, 462 (wiederum an Rosenstock, 2.10.1917).
90
Vgl. H.-C. Askani, 167-173. Paradigmatische Stellen waren: Gen 15,6; Gen 6,9; Hab 2,4.

235
lichkeit. Sie führt zur grundlegenden Unterscheidung der synchronen und
diachronen Reichweite des Namens und seiner messianischen Geltung. Dieser
namenslogischen Unterscheidung entspricht die Unterscheidung von messia-
nischem Glauben und eschatologischer Hoffnung. Einführung in die Homo-
logie des Namens ist stets zugleich Einführung in die Hoffnung auf die
Läuterung der Lippe. Die wahre Homologie des göttlichen Namens steht aus.

2. Die Auseinandersetzung mit Hermann Cohens ursprungslogischer Kon-


struktion von Jichud und Sckfma Jisrael führt zu zwei Präzisierungen:
Der homologische Glaube ist zeitbedürftig, augenblicklich: Die „Sehnsucht
nach seiner [sc. des Einzigen] Ewigkeit vergeht dem Menschen, der Gottes
Gegenwärtigwerden in dieser Weltzeit erfährt und erhofft ... Vor der
lebendiggewordenen Zeit lernt das Verlangen des Menschen nach Ewigkeit zu
schweigen" (Z, 815). Für den späten Cohen wird Religion zum Ort von
Faktizität, vollzogen in der Homologie - particula veri der von Cohen elimi-
nierten Kantschen Frage nach göttlicher Existenz als realer Relation. In der
Präsenz des Namens lernt homologischer Glaube Faktizität. Rosenzweig
exponiert sie als kreatürliche Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, als
genuine Temporalität göttlicher Ökonomie.

3. Die grammatische Analyse von Widduj und Selicha, des Schuldbekennt-


nisses und der Doxologie der dreizehn göttlichen Gnadennamen, spitzt dies
zu: Umkehr, Buße und Reinigung bedürfen der gewährten Gegenwart der
Umkehr, des bestimmten Tags der Versöhnung. Im Schuldbekenntnis voll-
zieht sich eschatologische Existenz in der Gegenwart des Namens. In der Do-
xologie der in der Versöhnung inkommensurablen göttlichen Gerechtigkeit
wird ,der Name' geeinigt {Selicha). Die midraschische Formel: „Wenn ihr
mich bezeugt, so bin ich Gott, und sonst nicht", hält fest: In der Einigung
des Namens durch die Sünder, die im Namen gereinigt sind, wird Einzigkeit
des Namens, der zugleich gerecht und barmherzig ist, anerkannt. Diese Eini-
gung Gottes im Bekenntnis der gereinigten Gemeinde gilt als das Geheimnis
der Versöhnung. Anders als Cohen anerkennt Rosenzweig aber, daß dieses
Geheimnis einen Ort hat. Die Gemeinde, welche die Einzigkeit des Namens
erkennt und anerkennt, anerkennt zugleich die innere Grenze ihrer Homolo-
gie: die ausstehende Einzigkeit des Namens.

4. Rosenzweig präzisiert den hermeneutischen Ort der Homologie dialogisch:


Sch'ma und Jichud, Widduj und Selicha gelten ,in Abraham', dem Ort der
Bewährung. Die unvereinbare und kontradiktorische Differenz des Gehor-
sams und Glaubens ,in Abraham' (Gen 22,1) und ,in Christus' ist irreduzibel.
Aber die in Abraham zugerechnete Gerechtigkeit unterliegt nicht dem Prin-
zip des ausgeschlossenen Dritten: Bewährung ,in Abraham' dementiert nicht
Gerechtigkeit des Glaubens ,in Christus', obgleich sie ihr kontradiktorisch
widerspricht.

236
§ 10 Elemente theologischer Propädeutik: ,Der Name' als Wort

„In der Stunde, da man den Menschen zu Gericht führt, spricht man zu ihm: ...
Hast du Zeiten bestimmt für die Thora? ... hast du das Studium mit Weisheit (Me-
thode) betrieben? Hast du den Satz erschlossen auf dem Grunde eines Satzes?"'

1. Zwei Aufgaben einer theologischen Propädeutik des Namens

„Denn wahrhaftig, Name ist nicht ... Schall und Rauch, sondern Wort und
Feuer. Den Namen gilt es zu nennen und zu bekennen: Ich glaub ihn."
(S, 209) Diese sogenannte ,Ur-Formel' des Stern faßt die Grammatik des
Sch'ma Jisrael zusammen und stellt sie unter den anspruchsvollen Titel einer
.Logik' des Namens (S, 207-209): Die Beschreibung der Sprachbewegungen in
Sch'ma, Jichud, Widduj und Selicha wird unter diesem Titel zur Frage nach
Geltung und Reichweite ihrer Wahrheit. Die Frage ist, wie in dieser Gram-
matik ,wahr' bzw. .falsch' und wie in ihr .tatsächlich' oder .wirklich'
verwendet werden.
Allerdings: Der Titel einer .Logik des Namens' ist nicht nur angesichts des
faktisch im Stern Geleisteten zu anspruchsvoll und belastet das tatsächlich
Geleistete mit zu weitreichenden Ansprüchen. Er formuliert zudem (und das
ist wichtiger) die Aufgabe, die zu leisten ist, ungenau. Es geht darum, am
Sprachhandeln paradigmatische Einsichten für das Erlernen des Gesetzes
überhaupt zu gewinnen: Die Heiligung des Namens ist Inbegriff des Gesetzeswer-
kes. Die Frage nach der Heiligung des Namens wird zur Vorschule des
dialogischen Begriffs von Verifikation und eschatologischer Wahrheit. Des-
halb sprechen wir von einer theo-logischen Propädeutik des Namens.2
Die bisherige Beschreibung führte zur Unterscheidung von Geltungsbereich
des Namens (Sein-in-Abraham, Sein-in-Christus) und Reichweite. In der (bib-
lischen) Metaphorik der Ur-Formel kehrt dieses Problem in den Metaphern
.Wort' und .Feuer' wieder: .Der Name' gibt sich dem .Wort' des Bekenntnis-
ses, das ,wahr' zu sein beansprucht; er bleibt ihm zugleich extern, .Feuer' der
Herrlichkeit des Namens.
Damit sind zwei Aufgaben einer Logik des göttlichen Namens benannt:
.Wahr' oder .falsch' können (1) nur Sätze sein (allerdings nicht nur assertori-
sche Sätze). Deshalb muß nach der Bedeutung .des Namens' im Satz gefragt
werden. Doch diese Frage führt - und dies erst ist charakteristisch für Rosen-

1
Schab, 31a. Raschis Erklärung zur letzten Frage: „die Erschließung eines Satzes auf Grund
eines anderen, das ist Erkenntnis." (RV, 106) Zu Schab 31a: RV, 106-108; S, 450f.
2
In Anlehnung an: W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 230f. - .Theologisch'
und .Theo-logisch' sind im folgenden äquivalent; ebenso .logisch' und .logisch propädeu-
tisch'.

237
zweigs Projekt - zurück auf die „Satzwerdung des Tetragrammatons" selbst3.
Das jüdische Bekenntnis des Namens begründe sich, so heißt es noch tastend
im Stern, aus der .historischen Offenbarung' dieses Namens (S, 208f). Später
(im Zusammenhang der Schriftübersetzung) wird Ex 3,14 zur entscheidenden
theo-logischen Einführungssituation: „ICH BIN DA schickt mich zu euch"
(Ex 3,14bß BR). Der Name begegnet biblisch bekanntlich nicht nur als
tetragrammaton, sondern auch als di- und trigrammaton.4 Aber diese Gottes-
namen werden (a) erst im tetragrammaton als ,der Name' festgelegt. Und erst
(b) in der Satzwerdung des tetragrammatons ist entschieden, daß sich der
Name des Einzigen nur von sich aus identifizierbar macht. Mit dieser Ein-
führung entscheidet sich (c), inwiefern ,der Name' in Sätzen gültig und wahr
verwendet wird: Der sein Dabeisein und sein Kommen Verheißende und am
Sprecher Erweisende wird durch den Namen vom Sprecher .angesprochen',
nicht .ausgesprochen': ,„Er nennt sich 'hyh [ICH BIN DA]; wir nennen ihn
yhyh [ER IST DA].'"5
Ex 3,14 stellt die theologische Einführungssituation des Gottesnamens dar,
aufgrund deren erst nach seiner historischen Einführung gefragt werden
kann.6 Die Selbstvorstellung der Stimme aus dem Dornbusch ist „ein Trans-
parentwerden des Namens, und zwar des ganzen Namens, in welchem er
voninnenheraus sich ganz als Sinn offenbart." (A, 95) Dies zu explizieren, ist
die erste Aufgabe einer Logik des Namens. Dabei entstehen eine Reihe von
Fragen:

- Welchen Status hat der Namenssatz, der Dasein behauptet, indem er


Dabeisein verheißt?
- Was meint Begründung und Verifikation der Namens-Homologie und der
Sätze über den Namen?
- Inwiefern generiert der Name und der Namenssatz den kanonischen Text?
Inwiefern hat er „als eine Kraft der Wandlung und Neubildung ... das

3
A, 95 (Kursive HA). Die folgenden Zitate stammen aus den in dieser Frage zentralen
Arbeitspapieren zur Verdeutschung von Ex 3,13f: A, 93-96.
4
Die Esoterik der Namensgrapheme - magischer Namenssymbole und Buchstabenfiguren
mit 12, 42 oder 71 Buchstaben, gewonnen aus anagrammatischer Permutation der vier Kon-
sonanten des tetragrammatons - spielt in Rosenzweigs Logik des Namens keine Rolle. Seine
Logik bekämpft vielmehr die Grundlage dieser Zeichen-Spekulation, das „eigentliche Un-
glück der Kabbala ... die Emanationslehre" (G. Scholem, Zehn unhistorische Sätze, 269). Die
wichtigsten rabbinischen Belege dieser Esoterik übersetzt und interpretiert: G.A. Wewers,
Geheimnis und Geheimhaltung, 124-134; die wichtigsten kabbalistischen Belege finden sich
in der klassischen Interpretation bei G. Scholem, Name Gottes, 31-68.
s
Auf diese grammatische Erklärung des tetragrammatons durch Raschi (der sich selbst auf
einen Midrasch stützt) beruft sich Rosenzweig: A 94.95 Anm. 8. Sein exegetischer Hauptge-
währsmann ist dabei Benno Jacob.
6
Zur epistemisch-historischen und logisch-eschatologischen Identifikation: I.U. Dalferth,
Religiöse Rede, 588-602.

238
Buch gebildet ..., - er selber Zeugnis eines Augenblicks der Offenbarung,
der sich nun dem Leser in tausend Augenblicken der Erkenntnis wie-
derholt und erneuert" (Z, 814)?

Nun stößt (2) das aus dem Namenssatz begründete und in Abraham bewährte
Bekenntnis auf Widerspruch. Im Namen Gottes selbst wird der Bewährung
und Begründung des Bekenntnisses widersprochen. Das Bekenntnis des
Namens Gottes ,in Christus' führt ja nicht nur zu einer anderen .historischen
Offenbarung', sondern behauptet die genuine theologische Einführung des
Namens in Kreuz und Auferweckung Jesu. Dafür stehe Phil 2,8—ll7:
Christus Jesus „erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum
Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen
verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde
und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund
bekennt: Jesus Christus ist der Herr' - zur Ehre Gottes, des Vaters."
Die Übererhöhung (üjregwpoüv LXX Ps 96,9) des bis zum Tod am Kreuz
Gehorsamen als die Gnadengabe (kxao.oa.To) des Namens kyrios an ihn - dies
ist hier die theologisch paradigmatische Einführung des Namens. Gott er-
wählt den gekreuzigten Jesus und gibt an ihm seinen wahren Namen kund:
Er begnadigt8 Jesus mit dem Namen9. Diese erwählende Gabe des Namens ist
Rechtsgrund der Homologie der Christen: „x(>gios Ir|oov>s - Jesus ist der Herr"
(Phil 2,11). Die Homologie nimmt die universale, öffentlich sichtbare Akkla-
mation durch die Mächte als jetzt geschehend vorweg (Jes 45,23).10
Auch hier reicht also der Name des Herrn Jesus weiter als seine ausweisbare
Geltung. (Noch-)Herrschaft und (Schon-)Unterwerfung der Geist-Mächte
(Phil 2,10) ist nur ein Aspekt dieser Frage. Daß sich im Namen Jesu (d.h.
unter Nennung des Namens Jesu) vor Jesus jedes Knie sich beuge, dem wider-
spricht die jährliche Proskynese an Jörn kippur vor dem ausgesprochenen
tetragrammaton allein. Diese Differenz charakterisiert die Homologie als Satz
aus Glauben auf Hoffnung. Aus Glauben akklamiert die Homologie bereits
jetzt die sichtbare Herrschaft Jesu. Ist damit das Geheimnis Gottes der Ge-
meinde in ihrer Homologie offenbar und wird von ihr akklamiert, so bleibt
das Geheimnis Gottes in der Differenz der Homologien selbst: Auf Hoffnung
hin akklamiert die Gemeinde, weil sie an diese Grenze ihrer Homologie

7
Zur Sprachlogik von Phil 2,8-11 bereits: H. Assel, Aufbruch, 422-426; das dort Ausge-
führte wird an dieser Stelle erweitert.
8
Nur an dieser einzigen Stelle im Neuen Testament wird von einer Begnadung Jesu
gesprochen (J. Gnilka, Philipperbrief, 125). Zur hermeneutischen Explikation von Phil 2:
E. Fuchs, Hermeneutik, 77f.110f.174f. Zur dogmatischen Explikation der Rede von der Er-
wählung Jesu durch die Gabe des Namens: F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 2, 386-393;
Chr. Link, Spur des Namens, 431-435.
9
Zur neueren Diskussion des &yrtos-,Titels' und zu aramäischen und hebräischen Äquiva-
lenten als Deck-Namen für Gott (nicht für das Tetragramm!): J.A. Fitzmyer, 811-820.
10
Zur Veränderung des Sinns von Jes 45,23 in Phil 2,10: J. Gnilka, Philipperbrief, 126f.

239
selbst stößt. Darauf dürfte das (wahrscheinlich paulinische) Interpretament
hinweisen: „zur Ehre Gottes, des Vaters" (Phil 2,11, vgl. IKor 15,24)."
Der Name wird Wort im Bekenntnis des Jichud. Dieses widerspricht dem
Anspruch, daß nur im Namen Jesu Gott als Vater wahr und gültig in der
Not genannt wird. Sich kontradiktorisch widersprechende universelle Sätze12
unterliegen aber nicht zwangsläufig dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten.
.Wahr' und .falsch' müssen dann allerdings in der Logik des Namens so ein-
geführt werden, daß die Ausweisung der einen Behauptung als ,wahr' nicht
notwendig die entgegensetzte Behauptung als unwahres Bekenntnis des Na-
mens erweist. Ist also .wahr' mit Bezug auf die Entscheidbarkeit in argumen-
tativen Dialogverläufen, also (in Analogie zur .dialogischen Logik') dialogisch
einzuführen? Was meint Begründung und (Un-)Entscheidbarkeit widerspre-
chender Homologien - und was nicht?13 Was bedeutet es für den Glauben,
diese Grenze zu wahren?
Das Feuer des Namens, seine Unendlichkeit, ist nicht Schranke, sondern
Grenze: Die widersprechenden Homologien können begründet werden, wenn
diese Grenze gewahrt bleibt. Aber auch diese Grenze wird gewahrt, indem
sie in der Hoffnung überschritten wird. Inwiefern ist also .Feuer' Metapher
einer Hoffnung auf die Herrlichkeit des Namens, die sich sichtbar zeigt und
beschreibbar ist, ohne ausgesagt werden zu können?14
Eben diese Grenze zeigt sich schließlich in der Verwendung des Namens
selbst an. Weil das Tetragramm selbst auf ein ausstehendes Geheimnis weist,
deshalb führt die Logik des Namens Decknamen des Tetragramms ein. ,Der
Name' kann noch nicht wahr genannt werden: „UND SEIN NAME EINER
(Sach 14,9). Wieso .einer'? Ist sein Name jetzt nicht einer? Rab Nachma-bar-
Jizchaq hat gesagt: nicht wie diese Welt ist die zukünftige Welt. (In) diese(r)
Welt wird er mit ,jod-he' geschrieben und mit .aleph-daleth' gesprochen.
Aber in der zukünftigen Welt wird er ganz einer sein. Er wird gesprochen
mit ,jod-he' und geschrieben mit ,jod-he'."15

" J. Gnilka, Philipperbrief, 130f (vgl. auch: IKor 3,23; 11,3; Rom 15,7).
12
Der Widerspruch der Homologien des Namens gilt im Stern als ausschließender (kon-
tradiktorischer), nicht nur als unverträglicher (konträrer). - Zum Terminus .universeller
Satz': G. Sauter, Kritik, 318f.
13
.Begründung' (ebenso wie .Bewährung') ist also jetzt als ein fünfstelliges Prädikat zu
bestimmen: Ein Glaubenssatz wird begründet (bewährt) für jemand gegenüber einem wider-
sprechenden Anderen aufgrund eines bestimmten Ausweisungsverfahrens vor Gott.
14
Chr. Link, Spur des Namens, 427, poinitert die „auffallende Verbindung des Namens mit
dem Attribut der Herrlichkeit (kabod, doxa: Jes 42,8; Joh 12,28 u.ö.), das auf eine grundsätz-
lich noch vor uns liegende .eschatologische' Wirklichkeit hinweist und den Träger dieses Na-
mens an eine noch ausstehende Zukunft ... bindet. Mit dem Namen tritt die uns verborgene
.letzte' Fülle Gottes in die Gegenwart ... und schafft sich ... ein weltliches Szenarium".
15
bPes 50a, Übersetzung nach G.A. Wewers, Geheimnis und Geheimhaltung, 126.

240
2. ,Der Name' als logisches Grundelement

2.1 Was meint .Einführung' des Namens?

Die Logik des Namens setzt nicht als selbstverständlich voraus, daß gehört
und gesprochen wird. Sie beginnt auch nicht mit dem anthropologischen
Grundsatz, daß der Mensch das Lebewesen sei, das Logos hat!16 ,Der Name',
der sich gibt, hat vielmehr die Form des „unmittelbar in einem entspringen-
den, gesprochenen, vernommenen und vollzogenen Gebots" (S, 207). Der
Name führt sich ein als konkretes Gebot: zu hören! Er führt sich ein unter
dem Namensvokativ: ,Höre, Israel!', .Abraham!' (Gen 22,1), .Mose, Mose!'
(Ex 3,4), .Samuel!' (lSam 3,4.6.8.10). Der Name als Vokativ befiehlt nichts -
außer zu hören.
Dieses Hören wird nicht auf Ermöglichungsbedingungen zurückgeführt.
Man ist versucht zu sagen: Es ist Faktum des Namens - in Differenz zum
Hören des kategorischen Imperativs als dem Faktum der Vernunft. Aber
noch diese Entgegensetzung würde eine Vergleichbarkeit insinuieren, die
nicht besteht. Anders als beim kategorischen Imperativ ist das ,Du' des Ge-
bots nicht Fall der Idee des Gesetzes, vielmehr nur Name.17 Diese gebietende
Stimme gibt sich dem Hörer, indem sie sich zurückzieht und verschwindet:
Sie ist schon geschehen, freilich nicht .beständig schon geschehen'. Sie wird
nicht als apriorische Stimme des Gesetzes der Selbsterhaltung der Vernunft
identifiziert, sondern nur als der bestimmte Name (das Tetragramm), der sich
verspricht. Der Folgesatz, die Verkündigung dieses Namens, „ER, dein Gott,
ist einig-einzig" spricht aus, was im „(Höre) Israel!" enthalten ist. Der katego-
rische Imperativ fordert Hingabe an das Gesetz und kann sie fordern. Der
Name, der sich verspricht, macht nur die Autorität der Bitte geltend: „Ein
Absolutes, das zum Menschen spricht: nimm mich in dich aufl So spricht
eben die .Wahrheit' nicht; sie sagt dem Menschen: gib dich mir hin".
(Z, 119f) Auch das Liebesgebot {Wahabta) ist folgerichtige Explikation des
ersten ,Höre!'.
Der Hinweis auf diese folgerichtigen Explikationen des anfänglichen Impe-
rativs hat im jetzigen Zusammenhang methodischen Sinn: Für das richtige Ver-
ständnis der von Rosenzweig intuitiv durchgeführten Logik des Namens er-
scheint uns wichtig, die Einführungssituation von den Verwendungssituatio-
nen des Namens zu unterscheiden. Die Einführungssituation kann reduzieren:

16
Das unterscheidet die Logik des Namens von einer Anthropologie, die mit dem aristote-
lischen Grundsatz des animal rationale beginnt: z.B. W. Kamiah, Anthropologie § 1, 27-31.
17
Es gebe, so statuiert Rosenzweig in seiner .Anleitung zum jüdischen Denken', kein
Wesen, keinen Begriff des Judentums, sondern nur ein „Höre Israel", ein „Ich habe dich bei
deinem Namen gerufen. Du bist mein". Und diesem Ruf beim Namen antwortet das Be-
kenntnis des Namens, in welchem .Israel' ist: „vom Hören zum Reden." (Z, 601f)

241
Die Geltung einstelliger Elementaraussagen hängt „im wesentlichen nur vom
Vergleich der Verwendung des Prädikators gegenüber dem Gegenstand in der
Aussage mit seiner vorhergegangenen Einführung außerhalb einer Aussage zur
Unterscheidung der Gegenstände" ab. „Diese Einführung aber läßt sich ... nur
in einer Lehr- und Lernsituation für die miteinander Redenden rekonstruie-
ren ... am Anfang eines Wissens über Gegenstände und über den Lehrenden
resp. Lernenden gibt es keine Unterscheidung des Sachverstands vom Irrtum
und der Aufrichtigkeit von der Täuschung. Das Geltungsproblem für Aus-
sagen ebenso wie für Maximen besteht noch nicht."18 Als logisches Grund-
element liegt der Name, der sich als Namensvokativ einführt und als Na-
mensruf oder Namensschrei beantwortet wird, noch vor den elementaren
satzförmigen Explikationen des Jichud, Baruch Sehern und Wahabta. Diese
werden im Gebrauch des Namens erlernt; sie gehören schon in die Ver-
wendungssituation.19 Von Bedeutung ist dies, weil es die stilisierte Einfüh-
rungssituation „nicht mit zusätzlichen Bedingungen zu belasten [gilt], die erst
auf einer entwickelteren Stufe der Sprach- und Handlungspraxis überhaupt
formuiierbar sind"20.

2.2 ,Der Name' als selbstbezügliches Zeichen

,Der Name' als Wort wird nur zusammen mit bestimmten menschlichen
Eigennamen gebraucht (,der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs'), also nur in
bestimmter korrelativer Verwendung gelernt: Der Name steht „in erster Linie
nicht für einen Referenten, sondern für eine Geschichte und ein Beziehungs-
gefüge, in die er einführt."21 Das Tetragramm zu verwenden lernt, wer lernt,
.Israel' als .ewiges Volk' anzusprechen. Vom Gott der Väter redet falsch, wer
von Abraham, Isaak und Jakob spricht, als wären sie tot (vgl. Mk 12,26f par).
Gott als .Vater' anzurufen, impliziert, Jesus als .Herrn' ,im Geist' zu ak-
klamieren. Aber dies sind bereits komplexe Verwendungen. Elementar gilt:

" K. Lorenz, Wahrheitsbegriff, 118f.


" Daß die Stufen der Einführung und Verwendung des Namens theologisch elementar
sind, ist keine neue Erkenntnis: Das elementare „Ich bin der HERR, dein Gott" wird erst in
usu zu Verheißung oder Gebot. Es dürfte durchaus berechtigt sein, im Sinne der logischen
Unterscheidung zwischen Einführung und Verwendung zwischen dem Wort Gottes und
Verheißung und Gebot bzw. Evangelium und Gesetz zu unterscheiden. Die Unterscheidung
von Evangelium und Gesetz gehört in komplexe Verwendungssituationen des Wortes Gottes
und wird nur gleichzeitig erlernt.
20
K. Lorenz, Wahrheitsbegriff, 120.
21
H.-P. Großhans, Theologischer Realismus, 246. Die Fortsetzung ist fraglich: „Im Blick
auf den Gottesnamen ,Gott, der Vater, Sohn und Heilige Geist' ist es die Geschichte Gottes
mit sich selbst, mit den Menschen und mit der Welt, für die er steht und in die er einführt."
Entgangen ist Großhans, daß F. Mildenberger eine Gotteslehre ausgearbeitet hat, nach
welcher „Gottes Name als Inbegriff seiner Geschichte" gilt (Biblische Dogmatik 2, 385-406).

242
Der Name führt sich ein als namentlicher Ruf an den, den er erwählt, und
führt den Erwählten ins Dabeisein Gottes ein, indem er sieb ihm als der für
ihn allein anzurufende Name gibt.
Der Name führt sich als vokativische Anrede und als allein anzurufender
Name ein. So versuchen wir Rosenzweigs Äußerung namenslogisch zu präzi-
sieren: „Name ist nur im Genanntwerden lebendig, der Vokativ ist sein
einziger casus rectus, schon der Nominativ casus obliquus." (BT, 1162)
Aber ist nicht noch elementarer anzusetzen? Ist nicht ,der Name' als .Wort
und Feuer' selbstbezügliches Zeichen, keineswegs nur Sprachzeichen} Tatsäch-
lich exemplifiziert ,der Name' nicht nur Sprachzeichen: Namen und Namens-
satz, sondern auch nicht-verbale Zeichen (z.B. bestimmte liturgische Gebär-
den).22 ,Der Name' ist nicht nur Sprachzeichen, er ist von den ihn denotie-
renden Sprachzeichen des di-, tri-, tetragrammatons (yh, yhw, yhwh) zu unter-
scheiden. Jedoch: Eingeführt und erlernt wird der Name zuerst als dialogi-
sches Wort, als Ruf und Antwort. Er wird als Sprachzeichen des di-, tri-,
tetragrammatons schrittweise in der Antwort erlernt. Und ein entscheidender
Punkt ist erreicht, wenn gesagt werden kann: ,Der Name' wird in diesen
Namen ausweisbar .wahr' erlernt; er ist der, als der er angerufen wird; er
wird als der Name genannt, als der er sich anfangs vorstellt. Eben dieser
Punkt dürfte mit dem tetragrammaton und mit der Satzwerdung des Namens
von Ex 3,14 erreicht sein: ,Er nennt sich 'hyh [ICH BIN DA]; wir nennen ihn
yhyh [ER IST DA].' In Ermangelung anderer Termini nennt Rosenzweig diese
Einsicht in die Selbstbezüglichkeit des Namens „ein Transparentwerden des
Name[n]s [sie!], und zwar des ganzen Namens, in welchem er voninnenheraus
sich ganz als Sinn offenbart." (A, 95) Aber problematische Termini wie
.Transparenz', .voninnenheraus' oder .Offenbarung' sind zu ersetzen. Statt-
dessen ist vom schrittweisen Erlernen des selbstbezüglichen Zeichens ,der Name'
zu sprechen.23 Im Munde des Angeredeten wird ,der Name' als Wort erlernt:
als Laut, Name, Namenssatz und Bedeutung, und zwar als jener Laut, Name
und Namenssatz erlernt, den ,der Name' exemplifiziert.24

22
Zur Terminologie: § 4,5. Daß der Name Gottes nicht nur Wort, sondern Bild und Klang
wird, pointiert: G. Bader, Gott nennen, 306-354, v.a. 353f.
23
„Selbst-Bezugnahme [von Zeichen] ist eine ziemlich knifflige Sache" (N. Goodman, Spra-
chen 65 Anm. 9). Gleichwohl sind Goodmans Theoreme (ebd.) zur Orientierung hilfreich.
Sie seien als Grundlage unserer Begriffsverwendung angeführt: „(a) Wenn x y exemplifiziert,
dann denotiert y x. (b) x und y denotieren einander dann und nur dann, wenn sie einander
exemplifizieren, (c) x exemplifiziert x dann und nur dann, wenn x x denotiert, (d) Wenn x y
exemplifiziert und mit ihm koextensiv ist, dann denotiert und exemplifiziert x x."
24
Es braucht gar nicht behauptet zu werden, daß der Name sich nicht über einen vorgängi-
gen Rahmenbegriff ,Gott' einführt. Die Unterscheidung von Name und Begriff ist ja auf der
Stufe der logischen Einführung noch gar nicht erlernt. Manche theologische Kontroverse
wird mit der logischen Unterscheidung von Einführung und Verwendungssituation hinfällig.

243
2.3 ,Der Name' als dialogisches Wort und Kultschrei

Rosenzweig rekonstruiert die Genese des tetragrammaton nur dem Anschein


nach historisch. Wir schlagen aber vor, seine Rekonstruktion als schrittweise
logische Einführung des Namens zu lesen - vom Namensschrei hin zur Satz-
werdung des tetragrammatons.25 Logisch elementar ist das digrammaton, ,der
Name' als „Gott-Schrei" oder „Kultschrei" (Z, 814), jener Name und jene
Namensverwendung, die z.B. im Kultruf Hallelu-Jah! Sprachzeichen geworden
ist (christlicher Theologie gilt „Abba!" als elementares Beispiel, Rom 8,15).
Der Namensruf sei Wort im Urständ der Begegnung: „Also das was grade ein
Gottname zum Unterschied von allen Eigen- und Dingnamen ... immer
bleiben sollte." (Z, 811)
Einerseits teilt die Logik des Namens das vielzitierte aristotelische Urteil,
nach dem das Gebet zwar Wort, aber weder wahr noch falsch sei.26 Der Na-
mensruf - Grundelement des Gebets - ist in der Tat noch nicht wahr oder
falsch. Denn in ihm wird ,der Name' als Wort eingeführt und anfänglich
erlernt, und zwar so elementar, daß die Frage nach seiner Wahrheit noch gar
nicht formulierbar ist (sie stellt sich erst in Verwendungssituationen). Trotz-
dem ist der Namensruf, das Gebet, namenslogisch von Belang, eben weil mit
ihm ,der Name' eingeführt wird. So ist zwar der Namensruf selbst noch
nicht wahr oder falsch, aber die Wahrheit finiter theologischer Aussagen
bemißt sich daran, daß der finite theologische Satz .offen' bleibt für Anru-
fung und Anrede des Namens, daß er also z.B. zu .erwartungsvoller Rede'
anleitet.
Es mag sich andererseits die Frage erheben: Ist der unartikulierte Schrei
nicht noch elementarer?27 Dafür könnte Rosenzweigs eigene Beschreibung des
Augenblicks der Erwählung angeführt werden: „Beschreibung des Ganges, der
zum Augenblick der Wahl führt ... Irgend so einen Moment, wo er ganz mit
sich allein war, hat jeder. Und wo dieses .Alleinsein' ausbrach in eine Frage,
einen Schmerzensschrei, einen Freudenruf, in dem er wahrnahm, daß er grade
da nicht allein war. Nachher hat man die Sicherheit, gewählt zu haben."28
Doch was elementar erlebt wird, soll ja hier als theo-logisch elementar
begriffen werden. Die rekonstruierte Einführungssituation soll die Frage bear-

25
Historisch ist das Tetragramm primär: E. Jenni, 702. Zudem gilt: „Bei der Verwendung
des Gottesnamens in den [kanonischen] Texten ist zunächst die Gebetsanrede im Vokativ
von den übrigen Gebrauchsweisen abzuheben. Die Anrede findet sich rund 380 x" (706).
26
Aristoteles, De interpretatione, 17a4; vgl. BT, 1015!
27
Dazu: G. Bader, Melancholie und Metapher, v.a. 37-64.
28
Z, 649. Die unausgebildete, aber biographisch zentrale Form des Gedankens findet sich
BT, 292 (an E. Rosenstock, 11.11.1916): „... ich glaube es gibt im Leben alles Lebendigen Au-
genblicke oder vielleicht nur einen Augenblick, wo es die Wahrheit spricht. Man braucht also
vielleicht überhaupt nichts über das Lebendige sagen, sondern man muß nur den Augenblick
abpassen, wo es selber sich selber ausspricht. Der Dialog, den diese Monologe untereinander
bilden, ... halte ich für die ganze Wahrheit."

244
beitbar machen, inwiefern und wo von .Wahrheit' der Erfahrung zu sprechen
ist, wie also ,wahr' und .falsch' namenstheologisch einzuführen sind. Theolo-
gisch elementar ist, was durchaus als unartikulierter Schrei erlebt werden
mag, aber als gültiges Wort, als Sprachhandlung theologisch beschreibbar ist.
Genauer: Theologisch elementar ist, daß der Schrei als Namensruf gilt, also als
solcher beschrieben wird, selbst wenn er nur als unartikulierter Schrei erlebt
wird.29 Erst das Wort, das als Namensruf gilt, ist .Urständ' der Begegnung, die
für die Frage nach .wahr' und .falsch' offen ist. Der bloß unartikulierte
Schrei bliebe letztlich .Privatschrei'. Er bliebe dem ,Chaos' unterworfen, weil
er es als .Chaos' nicht gültig benennen kann. Im unartikulierten Schrei fehlt
noch und gilt noch nicht diese erste Unterscheidung der Logik des Namens.30
Der Namensschrei hingegen beansprucht .den Namen' als Wort und unter-
scheidet eben damit gültig das Chaos von dem, der allein im Chaos anzurufen
ist. Insofern der Namensschrei diese Unterscheidung geltend macht, ist er
nicht mehr einsam und privat. Er ist Sprachhandlung par excellence. Er
beansprucht .den Namen' als Wort, also als Gottesnamen - und zwar ,in
Abraham' oder ,in Christus'.31 Methodisch ist mit dieser letzten Bemerkung
aber schon wieder vorgegriffen.
Der Namensschrei ist - vor allem anderen - die erste, elementare Unter-
scheidung, die Unterscheidung dessen, der allein im Chaos anzurufen ist, vom
Chaos, die Unterscheidung .des Namens' vom ,Chaos'.32 Bei ihrem ersten,
noch ganz intuitiv formulierten Auftreten wird die Formel vom Namen als
Wort und Feuer bereits in genau diesem Sinn bestimmt: „Das Grenzenlose
(.Absolute*!) steigt zur Erde nieder und zieht von hier aus, von dem Orte
seines Niedersteigens, Grenzen in das Meer des Raums und die Strömung der
Zeit. Das ists. Oben und unten ... Nord, Süd, Ost und West... Vergangenes und

29
Rom 8,26f beschreibt diese externe, mitgeteilte Geltung pneumatologisch. Auch Rosen-
zweig kann die Gabe des Namens pneumatologisch beschreiben: „Der Mensch wird wachge-
rufen, zur Geistesgegenwart gezwungen ... Der Name befreit ihn von diesen Gesetzen [seiner
Vergangenheit]. Er ruft ihn aus der Welt, in der sein Tun gefangen war, hinein in sich selbst,
in seine Gegenwart ..., über die, solange der Name genannt wird, keine Vergangenheit und
kein Außen Macht hat ... Die Gabe der Geistes-Gegenwart wird dem Menschen jeden
Augenblick vom Herrn der Zukunft geschenkt" (Buechlein, 87f.89).
30
So ist - um die Analogie zu bilden - Rom 7,24 der nachträglich explizierte einsame
Schrei vor dem Namen, wie er an sich selbst weder erlebt noch artikuliert wird: „Ich unglück-
licher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten?" Daß das
unartikulierte Seufzen der Kinder Gottes durch das Eintreten des Geistes bei ihnen und vor
Gott zum Namensruf wird, der Gehör beansprucht und erhält, ist die Hoffnung der Kreatur
in ihrem unartikulierten Seufzen, das noch der Nichtigkeit (Rom 8,20) unterworfen ist, weil
ihr diese Erstlingsgabe des Geistes fehlt (Rom 8,23-26). Zur Frage: G. Bader, Melancholie
und Metapher, 66-68.
" Rom 7,25 und 8,1 wechselt deshalb von der Ich- in die Wir-Form.
52
„Was heißt ein Gott haben oder was ist Gott? Antwort: Ein Gott heißet das, dazu man
sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten." (M. Luther, Großer
Katechismus, Auslegung des Ersten Gebots, BSLK 560,9-13.)

245
Zukünftiges ... Die Welt ist geordnet ... Eben durch das Einbrechen des
Namens in das Chaos des Unbenannten, das so und auch anders heißen kann
(und das überhaupt ,auch anders kann'), ist der Schauplatz und der Inhalt der
Weltgeschichte entstanden ... Gott ist nicht alles, sondern ,von ihm und zu
ihm' ist alles. ... Er ist nur einiges, genau gesagt sogar nur eines, der Punkt
des Herniedersteigens, der Horizont in dem sich Himmel und Erde berüh-
ren."" Der Namensschrei ist fundamentale Unterscheidung, sofern er den
einzigen Namen nennt und vom privativen Chaos des (Noch-) Nichtbe-
nannten unterscheidet. Eben dadurch ist der Anfang elementarer Unter-
scheidungen im Chaos der Dinge gesetzt: Anfang und Wiederholung, Schrei
und Sprachzeichen (Wort), ,Himmel' (Gottes) und ,Erde' (des Chaos), Ver-
gangenes und Zukünftiges. Der Name eröffnet reale Orientierung**'.

Mit dieser logischen Explikation des Namensschreis stellen wir Rosenzweig in die
sprachlogische Tradition der Cohenschen Logik, behaupten aber, daß diese erst bei
Rosenzweig zur Logik des Namens als Wort wird. Rosenzweig bleibt auf der Linie
Cohens, wenn er das ,Chaos' der Schöpfung (Tohuwabohu Gen 1,2) als das relative,
privative .Nichts' des Namens (nicht mehr des: Einzigen Seins) statuiert. Dieses pri-
vative .Nichts' ist also vom logischen „Undinge" des nihil negativum (Kant, KrV
B 348; 3,307) zu unterscheiden. Die Behauptung einer creatio ex nihilo wird von
Cohen wie Rosenzweig als logisches Mißverständnis abgelehnt. Allerdings: Die
Aporie der Existenzfrage bleibt gestellt (indiziert durch das Beiwort ,real'). Die Frage
ist, wie sie namenslogisch in ein strukturelles Problem überführt werden kann.

Der Namensruf, der dem Anruf mit Namen korreliert, ist logischer Anfang.
Nichts anderes als diesen logischen Anfang stellt Rosenzweig fest, wenn er
statuiert, das mit Namen angeredete Ich habe „nicht mehr seinen Ort in der
Welt, seinen Augenblick im Geschehen, sondern es trägt sein Hier und Jetzt
mit sich herum; wo es ist, ist ein Mittelpunkt, und wo es den Mund öffnet,
ist ein Anfang." (S, 208) Trotz der quasi-psychologischen Ausdrucksweise ist
es als logisches Postulat zu verstehen, wenn Rosenzweig fordert, daß das
theologische Ich „in der Welt seinem Erlebnismittelpunkt einen Mittelpunkt,
seinem Erlebensanfang einen Anfang" fordere. (S, 208) Der Name als dialogi-
sches Wort und die Unterscheidung des Namens vom Chaos der Dinge bildet
die Grundlage, auf der weitere elementare Unterscheidungen eingeführt
werden.35 Entscheidend ist, daß dabei zumindest der Anspruch erhoben wird,
Schritt für Schritt folgernd vorzugehen.

33
BT 413 bzw. 414 (Brief an Gertrude Oppenheim, 30. bzw. 31.5.1917).
34
Die Identifikation von .Offenbarung' mit .realer Orientierung' ist schlüsselhaft; sie geht
auf die Kontroverse mit Eugen Rosenstock zurück, BT 276.277.278; .Urzelle' Z, 125.
35
Vgl. § 12,3.4 und S 13,4.

246
2.4 Reale Orientierung und Wort-im-Anfang

Der nächste Schritt ist die Unterscheidung von Wiederholung und Anfang.
Anfängliches Angerufensein und anfänglicher Ausruf wird wiederholbares
Wort und Sprachzeichen, Name als .Kultruf'. Damit ist ein wichtiger Schritt
zurück zur wirklichen Namensverwendung getan. „Mit Recht... darf verlangt
werden, von den Redeeinführungssituationen wieder zu den Redeverwen-
dungssituationen zurückzukehren, von denen wir ausgegangen waren, weil
deren Anspruch, eine Orientierung des Menschen in der Welt und unter
seinesgleichen zu ermöglichen, das Geltungsproblem, speziell das Wahrheits-
problem für Aussagen, erst erzeugt."*
Vor dem Hintergrund dieser methodischen Forderung lesen wir in der Logik
des Namens die Sätze: „Das eigene Erlebnis, das am eigenen Namen hängt,
braucht also Begründung in der Schöpfung, jener Schöpfung, die wir vorhin
schon als Schöpfung der Offenbarung, als historische Offenbarung bezeichne-
ten." (S, 208f)37 Mit dem Schritt von der Einführung zur wirklichen Verwen-
dung des Gottesnamens im Satz erhebt sich das theologische Problem der
begründeten Geltung. Es kommt in der Verwendung des Namens nicht nur
darauf an, daß allein ,Gott' angerufen wird, sondern daß ,Gott' im ausweis-
bar .rechten' Glauben, daß der .rechte' Gott angerufen wird.38 Theologisch ist
dies die Frage nach dem Wo der Namensanrufung. Wir beschrieben diesen
Ort als In-Abraham oder In-Christus-Sein. So kommt es jetzt (über die Un-
terscheidung von Einführung und Wiederholung hinaus) zur Unterscheidung
der .pneumatologischen' Einführung vom .geschichtlichen' Anfang (der Of-
fenbarung von der .historischen' Offenbarung): Im Schritt zurück zur begrün-
deten Verwendung wird erlernt, daß ein bestimmtes Wo, eine bestimmte
Sprachgemeinschaft, eine bestimmte Wirklichkeit, ein bereits zurückliegender
Anfang im ersten Erlernen schon impliziert waren. Wenn dieses Wo .histori-
sche' oder geschichtliche' Offenbarung genannt wird, so gilt Begründung
freilich nicht einfach als historisch rekonstruierte Rückführung der eigenen
Namensverwendung auf eine historische Einführung. Der Anspruch realer
Orientierung im Namen beschreibt diese geschichtliche Gabe des Namens als
Ereignis sui generis. Deshalb spricht Rosenzweig von der Schöpfung der
Offenbarung (charakteristischerweise nicht von der .neuen Schöpfung' der
Offenbarung, 2Kor 5,17): „Solche Begründung muß, weil in der Welt, raum-

* K. Lorenz, Wahrheitsbegriff, 120f (Kursive HA).


57
Dieser Satz bezieht sich zurück auf S, 204: „Die Geschichtlichkeit des Offenbarungs-
wunders ist nicht sein Inhalt - der ist und bleibt seine Gegenwärtigkeit -, aber sein Grund
und seine Gewähr. Erst in dieser seiner Geschichtlichkeit, dieser .Positivität', findet der
selbsterlebte Glaube ... nun auch die höchste ihm mögliche Gewißheit. Diese Gewißheit geht
jener Seligkeit nicht voran, aber sie muß ihr folgen."
38
Das zeigt sehr schön Luthers zweistufige Auslegung des Ersten Gebots: auf die Ein-
führung von ,Gott' (bei der sich die Frage nach wahr und unwahr noch gar nicht stellt) folgt
die Frage nach der rechten Verwendung von ,Gott': BSLK 560, 9-16.17-24!

247
zeitlich sein, gerade damit sie der absoluten Gewißheit des Erlebens, seinen
eigenen Raum und seine eigene Zeit zu haben, Grund geben kann. Die
Begründung muß dem Erleben also in der Welt sowohl einen Mittelpunkt
wie einen Anfang stiften, den Mittelpunkt im Raum, den Anfang in der Zeit.
Diese beiden zum mindesten müssen benannt sein, mag auch sonst noch die
Welt im Dunkel der Namenlosigkeit liegen." (S, 209) Auch diese elementaren
Unterscheidungen dienen dazu, das Wo der rechten Verwendung des Namens
zu umschreiben, um von der rekonstruierten Einführung des Namens zu
elementaren Verwendungssituationen zu führen. Sie legen die Grundlage,
damit ausweisbar gesagt werden kann: ,in' Abraham, ,in' Christus wird der
Name wahr, wird der tatsächliche Name angerufen. Die Voraussetzung für ein
theologisch geklärtes Verfahren der .Wahrheitsfindung' ist die klarere Ver-
wendung dieses ,in' und seiner Wirklichkeitsannahmen!
Indem er in Abraham oder in Christus redet, geht der Glaube vom Namens-
ruf zum Satz über. Jede Aussage über Gott bleibt dabei an die erste und an
die anfängliche Einführung des Namens rückgebunden, und zwar so, daß von
der ersten zur anfänglichen Einführung des Namens zurückgefragt wird: „Die
Vergangenheit, in die auch sie [die beim Name gerufene Seele] zurücksieht in
dem Augenblick, wo sie ihrer Gegenwärtigkeit die Form der Aussage geben
möchte, wird ihr nur sichtbar, indem sie mit dem Licht der Gegenwart in sie
hineinleuchtet." (S, 207, Kursive HA) Die Spannung zwischen der ersten und
der anfänglichen Einführung des göttlichen Namens im Dialog von Ruf und
Anrufung und ihrer Verwendung in der Aussage ist charakteristisch für die
Logik des Namens und bindet sie an die kanonische Schrift und an die
.Gemeinde' zurück. Der Text vertritt die Externität des Anfangs in der Zeit,
die .Gemeinde' die Externität des Wo im Raum (den Mittelpunkt im Raum).
Die .historische' Namensoffenbarung als Grund gegenwärtiger Orientierung
im Namen nennen wir den Namen als Wort-im-Anfang: Damit der Name als
gegenwärtiges Wort Gottes in Ruf und Anrufung wahr sein kann, muß ein
anfängliches Wort Gottes gewesen sein: „Es muß ein Wo, einen noch sicht-
baren Ort in der Welt geben, von wo die Offenbarung ausstrahlt, und ein
Wann, einen noch nachklingenden Augenblick, wo sie den Mund auftat.
Beides muß, nicht mehr heut, aber einstmals, ein einziges gewesen sein, ein
ebenso in sich einiges wie heut mein Erlebnis; denn es soll mein Erlebnis auf
Grund stellen." (S, 209) Aber ist nicht ,der Name', sofern er Wort-im-An-
fang und .sichtbares' Wo gewesen sein soll und zwar in anfänglicher Identi-
tät, leibliches Wort-im-Anfang' (ohne christologische Konnotationen)?
Das Tetragramm denotiert diesen Namen als .leibliches Wort im Anfang'.
Der vierbuchstabige Verheißungsname ICH BIN DA/ ER IST DA sei „ebenso alt
wie die Bibel, mit andern Worten: es ist wirklich die Spur des im dritten Ka-
pitel des Exodus berichteten Ereignisses am Dornbusch (bzw. für den, der
lieber an Literatur glaubt als an Ereignisse, die Spur jener Erzählung und
ihres .Verfassers')" (Z, 813). Die nonchalance dieser Äußerung ist berechtigt,
wenn klar bleibt, daß das Tetragramm die den Text generierende Verheißung

248
denotiert und in diesem (logischen, nicht historischen) Sinne .ebenso alt wie
der biblische Text' ist.39 Diese Hypothese ist von religionshistorischen oder
literaturhistorischen Hypothesen und Darstellungsweisen von Ex 3,14f also
kategorial verschieden. Über sie entscheidet der Nachweis, daß und inwiefern
die gültige Verwendung des Gottesnamens, sei es in kultischen, sei es in
kanonischen Aussagen und Texten, logisch dieses bestimmte Wort-im-Anfang
voraussetzt: „Mag in der Nachwirkung das räumliche Statt-gefunden-haben
und das zeitliche Geschehen-sein der Offenbarung heute in getrennten Trä-
gern fortleben, in Gottes Gemeinde jenes, in Gottes Wort dieses, einmal muß
es mit einem einzigen Schlage gegründet sein. Grund der Offenbarung,
Mittelpunkt und Anfang in eins, ist die Offenbarung des göttlichen Namens.
Aus dem geoffenbarten Namen Gottes leben ihr Leben die verfaßte Ge-
meinde und das verfaßte Wort bis auf den heutigen Tag, bis auf den gegen-
wärtigen Augenblick und bis in das eigene Erlebnis." (S, 209) Der generative
Status des Tetragramms erweist sich nun zunächst ex negativo.

Auch wenn sich die namenslogische These vom generativen Status des Namens nicht
durch oberflächengrammatische Beobachtung oder traditionsgeschichtliche Rekon-
struktion erheben läßt, so kann sie doch die grammatische und traditionsgeschicht-
liche Analyse anleiten. Es zeigt sich, daß das tetragrammaton in der Selbstvorstel-
lungsformel ,Ich bin yhwh' neue Sprachhandlungen (z.B. Rechtssätze, Gebote)
generiert oder die Verwendung und Bedeutung bestehender Sprachhandlungen, z.B.
in der sog. Erkenntnisaussage oder im sog. Erweiswort, neu regelt. Im Gebrauch der
Sprache könnte sich anzeigen, daß .Geschichte' nicht sowohl neu gedeutet als
vielmehr .Erfahrung' von Ereignissen als .geschichtlich' genuin geregelt ist.40

2.5 ,Der Name' - kein Name

Der entscheidende Schritt von der Namenseinführung zur Namensverwen-


dung besteht darin, den Gottesnamen in Aussagen situationsunabhängig
verwenden zu können. Die situative Einführung muß in situationsunabhängi-
ge Verwendung überführt werden. Dazu muß der Gottesname ,Name' (No-
minator) werden. Diese Entwicklung habe auch der Gottesname genommen,
sofern er vom zweibuchstabigen Kultschrei („durch Zufügung der altsemiti-

39
Der generative Status des ICH BIN DA verträgt sich mit dem Befund, daß dieser Name in
den kanonischen Texten kaum (Hos 1,9) genannt ist (G. von Rad, Theologie 1, 194f). Litera-
risch ist Ex 3,14f Vorwegnahme der Sinai-Theophanie: W.H. Schmidt, Exodus 1-6, 146.
40
Walther Zimmerli hat diese namens(theo)logische These gegen eine traditionsgeschicht-
liche Konstruktion der Kontinuität alttestamentlicher Gottesrede verfochten: W. Zimmerli,
Ich bin Jahwe; ders., Erweiswon, 125f; Erkenntnis Gottes, 104: „Durch die Hereinnahme der
Formel der Selbstvorstellung Jahwes in die im Bereich des Zeichengeschehens und Gottes-
urteils wurzelnde Erkenntnisaussage wird zum Ausdruck gebracht, daß im ganzen Erkennt-
nisvorgang ... Jahwe das alleinige Subjekt bleibt." Zum Gesamtprogramm: ders., Grundriß,
10-48. - Auf die .Selbstvorstellungsformel' verweist Rosenzweig mehrfach: BT, 1160; Z, 812.

249
sehen Nominalendung K", Z, 814) zum regelrechten Namen (Nominator) yhw
geworden sei. Aber die logische Einführung des Namens als Gebetsruf ver-
langt de jure an dieser Stelle die Weichenstellung, die de facto im kanonischen
Text vollzogen ist: Im kanonischen Text begegnet der Gottesname nur noch
oberflächengrammatisch als Nominator. Charakteristisch ist hingegen die
Tilgung dieser Verwendungsweise, und zwar einerseits durch Tilgung des
dreibuchstabigen Gottesnamens, andererseits durch Einführung der Deckaus-
sprache für das tetragrammaton. Das erstere zieht das letztere nach sich:
Rosenzweigs These ist, daß das trigrammaton im biblischen Text nur noch
aus Personennamen erschließbar sei, und bewußt, d.h. logisch notwendig
getilgt wurde. Falsch sei nämlich die Verwendung des Gottesnamens als
bloßer Nominator (wie auch als bloße Kennzeichnung, z.B. ,der Seiende',
,das Sein', oder als bloßer Prädikator, wie möglicherweise in Hhld 8,6). Weil
das trigrammaton aber als bloßer Name verwendet werden konnte, muß es
„bewußt getilgt oder bewußt gemieden sein - oder auch beides." (Z, 812)
Diese Tilgung bedeutet selbstverständlich nicht, daß Gottesnamen und erst
recht ,Gott' nicht faktisch als Nominatoren verwendet würden! Sie stellt
jedoch klar, daß dies eine abkünftige und logisch nicht ausweisbare Verwen-
dungsweise ist. Weil diese Indirektheit aber am Zeichen des trigrammaton
nicht darzustellen war, sondern nur am vierbuchstabigen Gottesnamen, deshalb
sei es im kanonischen Text bewußt getilgt und durch das tetragrammaton
ersetzt worden: „Verstehen läßt sich das nur so, daß das Tetragrammaton
dem Trigrammaton gegenüber nie bloßer Name war, sondern immer mit dem
vollen Spannungswert seiner theologischen Ladung auftrat, mit der es am
Dornbusch gefüllt worden war." (Z, 813)

2.6 Satzwerdung des Namens

Das tetragrammaton ist Name und beinamenhafter Satz in einem. Diese Ent-
deckung der grammatischen Erklärung des tetragrammaton galt Rosenzweig
als seine eigentliche namenslogische .Neuerung' (vgl. A, 94). Dieses Entdek-
kungsbewußtsein ist nur berechtigt, wenn die logische (also nicht etwa die ety-
mologische) Tragweite der grammatischen Erklärung im Blick ist.

Die grammatische Erklärung von Ex 3,14 findet sich, wie erwähnt, bereits bei
Raschi: ,Er nennt sich 'hyh [ICH BIN DA]; wir nennen ihn yhyh [ER IST DA].' hwh gilt
dabei als grammatische Nebenform zu hyh, ebenso yhwh als Nebenform zu yhyh.4i
Raschi erklärt das Dasein als Dabeisein. Gestützt wird diese Deutung durch den
Midrasch zu Ex 3,14a: „Sprach zu Mosche der Heilige-gelobt-sei-er: Geh, sag Israel:
- Ich bin mit ihnen gewesen in dieser Sklaverei, und ich werde mit ihnen sein in der

41
Mit Verweis auf Pred 2,22; vgl. weiter: Gen 27,29; Jes 16,4; Pred, 11,3; Neh 6,6.

250
Sklaverei der Fremdherrschaften." (A, 95 Anm. 3) Das 'hyh sei an dieser einzigen
Stelle (Ex 3,14bß) das momenthafte „Aufleuchten" der Namensbedeutung, „so daß
also kein Teil des Namens vom Sinn undurchleuchtet bleibt ... und andrerseits die
Flamme des Sinns an keiner Stelle über die Fläche des Namens hinausschlägt"
(Z, 812). Die Identifizierung von Name und (Verheißungs)Satz führt dazu, daß in
der Übersetzung Buber-Rosenzweigs 'hyh wie sonst nur das Tetragramm selbst mit
Versalien notiert ist: „ICH BIN DA schickt mich zu euch" (Ex 3,14bß BR).42

Die logische Einführung geht also v o m Namensruf (digrammaton) zur Got-


tesbezeichnung (trigrammaton) und vom bloßen Nominator zum Verhei-
ßungsnamen und -satz, aufgrund dessen die Verwendung des Namens als
bloßer Name ausgeschlossen wird (Z, 814). Der Gottesname wird zum .na-
menlosen Namen'. 4 3 Anders formuliert: Die auf der primären logischen Stufe
unproblematische Geltung des Namens als Rufname, wird auf der zweiten
Stufe situationsinvarianter Rede problematisch. „Zwischen Reden und Han-
deln m u ß [sc. jetzt] ein über das bloße Verstehen des Sinns der Wörter
hinausgehender kontrollierbarer Zusammenhang eingeführt werden, der als
Begründbarkeit von Rede erscheint." 44 Eben für diese Begründung der genui-
nen Namensverwendung, die zugleich Begründungsalternativen ausschließt,
ist die Satzwerdung des Namens in Ex 3,14f elementar!

3. ,Der Name' als Satz: Metaphorizität

3.1 ICH BIN DA - Existenzsatz und Verheißungssatz

Der Versuch, die Satzwerdung des Namens mit sprachanalytischen Mitteln zu


beschreiben, erweist die genuine semantische Selbstbezüglichkeit des ICH BIN
DA: D e r sich in diesem Namen vorstellt, lokalisiert und identifiziert sich in
der Tat allein ,von sich aus' (wir sprechen nicht mehr von .Offenbarung').
Aber was heißt das?
Der Gottesname scheint durch das Ich bin da als Kennzeichnung bestimmt
(die ein Bündel weiterer Kennzeichnungen impliziert). Jedoch: Nicht ,der I C H
BIN DA' stellt sich vor (wie die Septuaginta übersetzt: ö wv). Nicht u m eine
Kennzeichnung handelt es sich beim Namenssatz, sondern u m einen elemen-
taren Satz, genauer: u m den internen Existenzsatz ,ICH BIN DA*. Im internen
Existenzsatz kristallisiert sich aber die Frage der Bezugnahme (Referenz) und
der Verifikation von Namen in elementaren Sätzen überhaupt, also eine

,l
Zur Etymologie: E. Jenni, An. yhwh, 703; W.H. Schmidt, Exodus 1-6, 173f. 175-179.
43
K.H. Miskotte, Götter, 128.
44
K. Lorenz, Wahrheitsbegriff, 121.

251
Grundfrage des Satzverstehens.45 Die Frage nach dem Verstehen von Namen
(als singulare Termini) im Satz führt zu ihrer spezifizierenden, identifizieren-
den und vor allem zeitlich lokalisierenden Funktion: Sie teilen Dinge nicht
(wie sortierende Prädikatoren) in Beispiele und Gegenbeispiele auf; vielmehr
sondern Namen (in prädikativen Sätzen des genannten Typs) Einzelnes aus,
unterscheiden es als unvergleichlich von anderem und verorten es an einer be-
stimmten, einzelnen Wahrnehmungs- und Raumzeitstelle im System der
Raumzeitstellen.46 „Es sind diese zwei Seiten - die Situationsunabhängigkeit
im Situationsbezug -, die in der Rede von der Verifizierbarkeit von Klassifi-
kationen, die sich auf Wahrnehmbares beziehen, vorausgesetzt sind."47 Dabei
gelte eine wechselseitige, geordnete Abhängigkeit zwischen der Mannigfaltig-
keit der identifizierbaren und lokalisierbaren Dinge bzw. Ereignisse und dem
System der Raum- und Zeitstellen.48 Hinsichtlich der Verifikation kommt
jedoch dem System der Raumzeitstellen als der „Totalität möglicher Verifika-
tionssituationen" Priorität zu: Es gilt als „universales Verifikationsfeld".*9 Des-
halb führen Aussagen, in denen Namen oder Kennzeichnungen als Referen-
ten auftreten, auf elementare interne Existenzsätze, z.B. Ich bin, Er ist, N ist,
zu, die analytisch umgeformt werden können: ,Ich bin meine Zeit', ,Er ist
seine Zeit', ,N ist seine Zeit' (x existiert an t j . 5 0
Es stellt sich damit die Frage, was dieses ,ist' (bzw. .existiert an t„') der An-
wesenheit in einem Raumzeitbereich bedeutet; die Frage also, inwiefern darin
eine genuine Existenz von Individuellem behauptet wird, die sich vom Exi-
stenzquantor unterscheidet: „es gibt zwei Existenzbegriffe, mit zwei ver-

45
Zur Funktion und Bezugnahme von Eigennamen (der natürlichen Sprache) in prädikati-
ven Sätzen mit zeitlichen bzw. räumlichen Sortalprädikaten (also in raumzeitlich-gegen-
ständlichen Aussagesätzen): E. Tugendhat, Vorlesungen, 358-469. Tugendhat schränkt seine
Untersuchung auf die genannten Satztypen ein (klammert also abstrakte Gegenstandsbereiche
wie z.B. Zahlen, Klassen aus, ebd., 500). Aber für die Zwecke unserer theologischen Propä-
deutik ist gerade der von ihm untersuchte Typus des elementaren prädikativen Satzes zentral.
46
E. Tugendhat, Existence, 87 (als Reformulierung der Kantschen .Anschauung'). Zur Un-
terscheidung von .Kennzeichnung' und .Eigenname' und zur Präzisierung von Lokalisation
als Existenzbehauptung: E. Tugendhat, Vorlesungen, 376-384.407-424. - .Kennzeichnung' ist
formal eine Wortgruppe aus Zeigewort bzw. Artikel und Prädikator, bei der nicht von
vornherein feststeht und festzustehen braucht, ob sie auf einen wirklichen oder fingierten
Gegenstand referiert.
47
E. Tugendhat, Vorlesungen, 450.
48
E. Tugendhat, Vorlesungen, 464.
49
E. Tugendhat, Vorlesungen, 468.
50
Die Explikation interner Existenzsätze konnte als ontologische Schlüsselfrage gelten,
wofür nur Martin Heideggers Diktum angeführt sei: „Die Frage nach dem, was die Zeit sei,
hat unsere Betrachtung auf das Dasein verwiesen, wenn mit Dasein gemeint ist das Seiende
in seinem Sein, das wir als menschliches Leben kennen; dieses Seiende in der Jeweiligkeit
seines Seins, das Seiende, das wir jeder selbst sind, das jeder von uns in der Grundaussage
trifft: Ich bin. Die Aussage .Ich bin' ist die eigentliche Aussage vom Sein vom Charakter des
Daseins des Menschen" (Zeit, 11).

252
schiedenen Grammatiken, denjenigen, der im ,es gibt' bzw. im Existenzquan-
tor zum Ausdruck kommt, und den singulären (prädikativen) Existenzbegriff,
der einen Zeit- und gegebenenfalls Ortsbezug impliziert."51 Wenn also das
Verstehen von Namen im Satz analytisch auf (interne) Existenzsätze zurück-
führt, so können diese Sätze als für das Satzverstehen schlüsselhafte Satzform
gelten. Aber was heißt, diesen Satz zu verstehen}
Der Versuch, den Satz der Form ,N ist (seine Zeit)' formalsemantisch zu
analysieren, endet aporetisch: Der interne Existenzsatz macht zwar eine
genuine Existenz von Individuellem geltend, welche der triftigen kantisch-
fregeschen Kritik am Begriff individueller Existenz nicht unterliegt. Mit ihm
liegt also eine ausweisbar genuine Verwendung der Kopula ,sein' im Satz vor.
Aber die Frage nach ihrer Bedeutung geht ins Leere: Die Existenz des ,Ich'
sei als temporales Dasein zu bestimmen und könne nur durch Untersuchung
des Zeitpunkts seines behaupteten Daseins verifiziert werden: Zeit erweise
sich als letztes Verifikationsfeld gegenüber den in diesem Feld vorkommen-
den Gegenständen. Diese Auskunft bleibt aporetisch. Was meint, den Zeit-
punkt des Da-Seins oder die Zeit als letztes universales Verifikationsfeld
individueller Existenz untersuchen? Das ist ungeklärt.52
Theologisch ist diese Aporie aber aufschlußreich: Die formalsemantische
Analyse des Satzes ,Ich bin da' würde Zeit als letztes Verifikationsfeld auch
eines göttlichen Namens bestimmem. Nun erwies sich aber als Grundsatz der
Eschatologie: Göttliche, inkommensurable Gerechtigkeit ist umgekehrt Maß
individueller Zeit!53 ,Gott' und .göttlich' würde also primär die singulare Ve-
rifikation dieses Namens regeln: Obgleich als Name, gebraucht im Satz, dem
Verifikationsfeld meßbarer Zeit unterworfen, bemißt sich zugleich an diesem
Namen, als göttlichem Namen, individuelle Existenz in der Zeit überhaupt.
Erst diese Spannung markiert das theologische Problem der Referenz. Sie ist
im Tetragramm konzentriert.

Rosenzweigs Analyse von Ex 3,14 pointiert zunächst, daß ICH BIN DA -


unbesehen seiner Satzform - nicht primär als Aussagesatz fungiert. Dieser
Satz behauptet nicht primär das Dasein Gottes, sondern verheißt sein Dabei-
sein. .Dasein' ist transitiv, der Namenssatz also pragmatisch zu verstehen.
„Denn das hebräische hyh ist ja nicht wie das indogermanische .sein' seinem
Wesen nach Kopula, also statisch, sondern ein Wort des Werdens, Eintretens,
Geschehens." (BT, 1161) Das ICH BIN DA behauptet eine reale Relation.
Real heißt diese Relation, sofern in ihr „zwar Erfahrbarkeit Existenz, Exi-
stenz aber nicht Erfahrbarkeit impliziert und deshalb gesondert bestimmt

51
E. Tugendhat, Selbstbewußtsein, 176.
52
E. Tugendhat, Aufsätze, 13; vgl. ders., Vorlesungen, 468; Propädeutik, 197-199; und, die
Aporie zusammenfassend: Aufsätze, 126-128.
53
Dazu § 3,4.

253
werden muß."54 Was wir bisher als Externität des Namens in seiner Präsenz
grammatisch an der Homologie beschrieben haben, läßt sich logisch mögli-
cherweise präzisieren: Der Name bleibt dem homologischen Satz, den er
begründet und der ihn vergegenwärtigend verewigt, stets zugleich extern, weil
sich das in ihm verheißene Dabeisein nicht am Verifikationsfeld des ele-
mentaren Satzes bemißt. Behauptet wird ein Dabei-Sein, das nicht der zeit-
räumlichen Gegenständlichkeit als letztem Verifikationsfeld unterliegt, gleich-
wohl identifiziert, spezifiziert und lokalisiert werden kann. Diese Spannung
in der Referenz des Namens liegt der metaphorischen Rede vom Kommen
Gottes zugrunde. „Gott nennt sich nicht den Seienden,... sondern dir Gegen-
wärtigen, bei dir Anwesenden oder vielmehr zu dir Kommenden, dir Helfen-
den." (BT, 1161) hyh wird in ICH BIN DA assertorisch und promissorisch
verwendet - und deshalb metaphorisch als ,zu dir Kommen' beschrieben. Die
Rede vom Kommen, vom Advent und der Verheißung Gottes indiziert also
die „Metaphorisierung der Referenz" durch die Satzwerdung des Namens.55
Die Differenz von assertorischem Existenzsatz und pragmatischem Ver-
heißungssatz in der Satzwerdung des Namens nennt Rosenzweig den „vollen
Spannungswert seiner theologischen Ladung", mit der er „am Dornbusch
gefüllt worden war." (Z, 813) Diese Charakterisierung, die intuitiv zur ,Meta-
phernmetapher' der .Spannung' greift56, indiziert namenslogisch eine bestimm-
te Verdoppelung der Referenz. Überlegenswert - im Kontrast zur Cohen-
schen Explikation des Namens als funktionaler Korrelation - scheint die
Explikation dieser Spannung als realer Relation. Die reale Relation, die mit
der Namensverheißung behauptet ist, läßt sich nur in doppelter Differenz
explizieren: Der im Namen als der in seinem Kommen unterscheidbar, identi-
fizierbar und lokalisierbar Gegenwärtige ist gleichwohl kein raumzeitliches
Ding. Die Sprecher, die den Benannten mit dem Namen lokalisieren und
identifizieren, sind selbst raumzeitlich, müssen sie sich aber zugleich im Nen-
nen „auch in Gottes eschatologischem Identifikationssystem lokalisieren las-
sen, ohne deshalb von Gott und voneinander ununterscheidbar zu werden."57
Anders gesagt: Das Ausgeliefertsein des Namens als Verheißungswort an die
Menschen impliziert das Ausgeliefertsein der Menschen ans Gericht ihrer
Werke.

Mit dem Tetragramm gebildete Sätze lokalisieren ein bestimmtes, sichtbares öffentli-
ches Dabeisein des Benannten, so daß Widerspruch und Zustimmung möglich sind.
Darum können „die Völker sagen: Wo ist denn ihr Gott?", wie in Ps 115.2.58 Aber

M
I.U. Dalferth, Gott, 41; vgl. 40-44. Dalferth reformuliert damit den (.problematischen')
Kantischen Existenzsatz: § 4,3.
55
P. Ricceur, Metapher, 227, vgl. 252-304.
56
Zur Explikation: P. Ricceur, Metapher, 181-183.239.
57
I.U. Dalferth, Gott, 48.
58
Zu Ps 115 (hier nach der Einheitsübersetzung): S, 258-265 und § 13,4.

254
das .System der Raumzeitstellen' kann nicht das letzte Verifikationsfeld dieses Dabei-
seins sein. Die polemische Antwort lautet deshalb ganz logisch: „Unser Gott ist im
Himmel; alles, was ihm gefällt, vollbringt er" auf Erden, Ps 115,3.

Die Behauptung des Namens im Glaubenssatz versetzt den Sprecher in eine


bestimmte Strittigkeit: Er geht über in die Geltung göttlicher Gerechtigkeit
und damit in die neue, unerschöpfliche Zeit, die Präsenz des Namens (wenn man
so will: ,ins eschatologische Identifikationssystem des Namens'), dem gegen-
über das raumzeitliche Verifikationsfeld nicht mehr letztgültig ist (als .vergan-
gen' symbolisiert wird). Die Spannung der Verifikationsfelder markiert eine
Aporie des homologischen Satzes und der theologischen Aussage: Indem er
(qua Satz und Aussage) mit Namen vergegenwärtigend ausspricht, glaubt er
den Genannten als Richter und spricht ihn als kommenden Gott an.59 „Diese
Aporie genau zu formulieren und sie nicht mit falschen Fragestellungen zu
belasten, ist die vielleicht schwierigste, aber auch praktisch bedeutungsvollste
Aufgabe der Theologie".60
Diese Aporie wird überlastet, wenn isoliert nach dem Sinn .temporaler Exi-
stenz' gefragt wird.61 Wir überführen sie deshalb in die (.pragmatische') Frage,
wie (und wo!) sich diese Unterscheidung und Verdoppelung der Referenz in
der Verwendung bestimmter Sprachzeichen in inhaltlich bestimmten Sprach-
handlungen (Texten, Formularen) wie der Homologie, der Benediktion, der
Doxologie niederschlägt und wie theologische Aussagen (als universelle Sätze)
zu dieser bestimmten Verwendung anleiten.
Ein Beispiel war bereits die Unterscheidung der Präsenz ,des Namens' und
seine Vergegenwärtigung durch Namen. Sie führt zu konkreten Regeln der
Namensverwendung, die sich textuell in der Decknotation niederschlagen.
Diese Unterscheidung führt auf die Unterscheidung zwischen Präsenz und
Zukunft (.Advent') Gottes im Namen.62 Eine weitere Frage ist, wie in der ab-
geschlossenen theologischen Aussage zwischen einer vorkritischen und einer
kritischen Vergegenwärtigung Gottes zu unterscheiden ist. Man kann dies die
.Diachronie' des Namens im Aussagesatz nennen, um anzuzeigen, daß geläufi-
ge Unterscheidungen (z.B. zwischen .Futur' und .Advent') um die einzufüh-

" Die Rede von Vergegenwärtigung impliziert nicht notwendig eine Repräsentationstheorie
von .Erkenntnis'. Die Theorie der elementaren Aussage (Referenz, Prädikation. Projektion
und Verifikation) bildet einen genuinen Begriff der Vergegenwärtigung durch den Satz. Dazu:
W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 132.139; W. Kamiah, Anthropologie, 68;
insgesamt: E. Tugendhat. Vorlesungen, 459-464.
60
G. Sauter, Kritik, 242.
61
So bestimmt die Frage E. Tugendhat, Vorlesungen, 468. Wo nach .Zeit als umfassendem
Horizont der Erfahrung' gefragt wird, scheint uns die unumgängliche Aporie ähnlich
überlastet: G. Picht, Zeit und ihre Modalitäten, 362-374; Chr. Link, Schöpfung, 446-454.
494-512.
62
Zu den Termini .Präsenz' und .Advent' bereits: H. Assel, Aufbruch, 320-325.391-394.
449-452 bzw. 371f.391-394.

255
rende Unterscheidung zwischen propositionaler .Vergangenheit' (als Schema
abgeschlossener, wahrheitsdefiniter oder zumindest dialogdefiniter .Tatsäch-
lichkeit' 63 ) u n d .Diachronie' zu erweitern sind. 64
Die Frage nach der begründeten Verwendung von Sprachzeichen (Namen,
Prädikatoren, Sätzen) und nach metaphorischer Referenz wird also nicht
durch eine Theorie metaphorischer Referenz beantwortet, sondern durch die
Analyse von Beispielen, an denen Urteilskraft die konkrete metaphorische
Verwendung von Sprachzeichen erlernt. Universelle, theologische Aussagen
sind dann Sätze über diese Verwendung, Regeln der Urteilskraft.

Was Rosenzweig den .Spannungswert' des Namens .vom Sinai her' nennt, kann als
die Metaphorizität des Namens näher bestimmt werden. Der Name habe „eine Kraft
der Wandlung und Neubildung", welche „die Sprache gewandelt, das Buch gebildet
hat, - er selber Zeugnis eines Augenblicks der Offenbarung, der sich nun dem Leser
in tausend Augenblicken der Erkenntnis wiederholt und erneuert." (Z, 814) Diese
Kraft der Wandlung erweise sich vor allem anderen an der Verwendung von .Gott'
selbst. Die Ineinssetzung von ,Gott' und ,yhwh' erzeuge jene semantische Spannung,
die zum .metaphorischen' Gebrauch von .Gott' führe. „Und eben diese Ineinsset-
zung ist es, die mit ihrer aus dem ICH-BIN-DA-Ruf vom brennenden Dorn hervor-
schlagenden Glut in den Gottesnamen die ganze Bibel in eins schmiedet, indem sie
überall die Gleichung des Gottes der Schöpfung mit dem mir, dir, jedem Gegenwär-
tigen vollzieht" (Z, 810). Diese weitreichende These verlangt sorgfältige Prüfung. Es
wird sich dabei in der Tat immer wieder zeigen, daß semantische, syntaktische und
semiotische Metaphorik aus der Verwendung der gottesdienstlichen Zeichen nicht zu
eliminieren ist. U m diese generative Kraft vorläufig zu charakterisieren, kann das
Tetragramm Grundmetapher oder Wurzelmetapher genannt werden.65

3.2 Decknotation als Index semantischer Spannung

Nicht die dialogistische Behauptung eines .ewigen Du, das seinem Wesen
nach nicht Es werden kann' 6 6 trägt der semantischen Spannung des Namens-
satzes Rechnung. Die oberflächengrammatisch mehrdeutigen Verwendungen
von .Gott' k ö n n e n aber auch nicht durch Reduktion auf eine rational rekon-
struierte (z.B. synkategorematische) Verwendung von .Gott' geklärt werden. 67
Vielmehr ist zu fragen, wie die Verwendung des Namens in den verschiede-
nen Satzformen so geregelt werden kann, daß an der Aussage selbst die
besondere Verwendung des Gottesnamens im Satz für und durch die Sprecher
angezeigt wird. N i c h t Sprachzeichen als solche referieren, sondern Sprecher

63
W. Kamiah/ P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 140.
64
Zur Herkunft des Terminus .Diachronie': § 12,4.3.
65
Zu diesem Terminus: P. Ricoeur, Metapher, 233-236; I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 226.
66
Dazu: M. Theunissen, Andere, 335-346.
67
Dazu: F. Kambartel, Theo-Logisches, 67f; J. Track, Untersuchungen, 261-280.

256
(einer Sprachgemeinschaft in einem bestimmten sprachlichen Kontext) durch
den bestimmten Gebrauch der Sprachzeichen.68
Dazu wird die Verwendung des tetragrammatons gleichsam mit dem Index
einer Decknotation versehen. Die Decknotation {'dny, adonai), die die Ver-
wendung des tetragrammatons (als Lexem und Phonem) regelt, schützt den
Begegnungsnamen davor, durch Gebrauch im Satz zum bloßen Namen,
Prädikator oder zur Kennzeichnung abzusinken. Durch die Identifizierung
von ,ybwb' mit ,Gott' (exemplarisch im Sch'ma) wird die semantische Span-
nung in der Verwendung auch auf ,Gott' übertragen: „Die Deckaussprache
ihrerseits deutet einmal den Sinn des Namens insofern an, als auch sie Gott
als den nennt, der nicht in seinem Sein, in seinem Wesen verharrt, sondern
sich ins da-Sein, in die An-wesenheit herniederneigt; und zugleich deutet sie
durch ihre grammatische Unverträglichkeit mit dem logischen Fluß des
Texts" (Z, 814) die Metaphorizität des Namens an.

Die Schriftübersetzung von Buber und Rosenzweig transformiert die Decknotation


('dny, adonai) bekanntlich in die deutschen Pronomina, die als Versalien notiert wer-
den: Du, ICH, ER. .Herr' habe, entgegen seinem hebräischen Ursprung, in deutscher
Übersetzung die exklusive Vokativität verloren. Deshalb dürfe das tetragrammaton
in der Übersetzung nicht als .Herr' notiert werden. Die Notation als Du, ICH, ER
ersetze „das Dirgegenwärtigsein des Originals durch ein Mirgegenwärtigsein der
Übersetzung. Da bietet sich nun, da die vokativische Lösung sich als zu grotesk von
selber verbietet, das persönliche Fürwort, das ja in seinen drei Personen nichts
andres bezeichnet als die drei Dimensionen des Mir-Gegenwärtigseins: die Anredbar-
keit, die Vernehmbarkeit, die Beredbarkeit." (BT, 1162) Das Pronomen der zweiten
Person Du gilt als die Quelle des ICH und ER .Gottes', der zuerst der Anredende,
und insofern auch der Angeredete und Beredete sei. Zweierlei ist wohl hervor-
zuheben: Die kontingente deutsche Pronominalreihe wird damit namenslogisch
normiert. Weil die logische Einführungssituation des Namens der Dialog von Beru-
fung und Anrufung ist, soll jede Verwendungssituation von ,yhwh' oder .Gott' an
dieser logischen Einführungssituation Du ausweisbar sein, ohne darauf reduziert
werden zu müssen. Damit erübrigt sich die mißverständliche theologische Kenn-
zeichnung Bubers, der Begriff eines .ewigen Du, das seinem Wesen nach nicht Es
werden kann'.

Rosenzweig erweist die semantische Spannung, die das indexierte Tetragramm


in die Verwendung von ,Gott' (oder eines seiner Äquivalente) einträgt, an der
klassischen deutschen Deckaussprache für das Tetragramm, das die Mendels-
sohn'sche Schriftübersetzung einführte: ,der Ewige'. Dieses historische Bei-
spiel ist von sachlichem Belang. Es leitet zum nächsten Schritt über:
Mendelssohn substituiert scheinbar den biblischen Gottesnamen durch den
Schlüsselbegriff der vorkritischen rationalen Theologie (Z, 805f). Das .ewige

68
Zu Herkunft und Aspekten dieses Grundsatzes des .internen Realismus': H.-P. Groß-
hans, 32f.223.

257
und notwendig existierende Wesen' in der Kennzeichnung ,der Ewige' nor-
miert und alteriert scheinbar die Verwendung des Tetragramms: Der Ver-
heißungsname wird zur ,Idee' des ens necessarium. Allerdings führt nun
Mendelssohn selbst diese Deckkennzeichnung im Kommentar und der Über-
setzung zu Ex 3,14f ein (Z, 803f). Diese Einführung identifiziert umgekehrt
die Idee des .Ewigen' mit dem ICH BIN DA und seiner Bedeutung. Indem ,der
Ewige' den Verheißungsnamen ICH BIN DA scheinbar normiert und reduziert,
wird die Bedeutung von ,der Ewige' durch den Verheißungsnamen ICH BIN
DA selbst alteriert. Durch seine Kenose in den Augenblick des Rufs wandelt
der Name die Idee der Ewigkeit, die im gestuften Aufstieg aus der Zeit im
Nu ,als Grund der Dauer in der Zeit' widerfährt.69 „Die Sehnsucht nach sei-
ner Ewigkeit vergeht dem Menschen, der Gottes Gegenwärtigwerden in die-
ser Weltzeit erfährt und erhofft ... Vor der lebendiggewordenen Zeit lernt das
Verlangen des Menschen nach Ewigkeit zu schweigen" (Z, 815). Der Ewige,
identifiziert mit dem ICH BIN DA von Ex 3,14 wird zum sich Verheißenden,
zum .Kommenden' und .Handelnden', der .lebendiggewordene Zeiten' zei-
tigt. Doch was heißt das?

3.3 ,Der da ist, der da war und der da kommt' -


Universelle Sätze als Regeln der Urteilskraft

Gegen die zeitgenössische (dialogistische und dialektische) Reduktion der


Rede von Gott auf nicht-propositionale Aussagen pointiert Rosenzweig folge-
richtig auch die Frage der Begründung theologischer Aussagen. Diese Reduk-
tion kann, wie Rosenzweig frühzeitig beobachtet, die theologische Begrün-
dungsaporie der Glaubensaussage nicht in ein bearbeitbares Problem überfüh-
ren. Die bloße Negation der Aussage scheitert schon am transzendentalen
Argument.

Noch die Kritik an der Aussage wird in Aussageform vorgetragen und nimmt also
ihre Geltung und Begründetheit in Anspruch - sei es auch in der beständigen
Negation oder Dialektik. Das transzendentale Argument (in seiner bewußtseins-
theoretischen Form, in der es Rosenzweig ins Feld führt) rekurriert auf die tran-
szendentale Deduktion (genauer: auf ein bestimmtes Verständnis der Idee tran-
szendentaler Deduktion), welche Begründung aus der Idee der Begründung letzt-
bestimmt.70 Die Begründungsforderung beziehe ihren Anspruch daraus, „daß die
Negation der Wahrheit nicht imstande ist, das reflexive Zurückkommen des Den-
kens auf diese Negation zu verhindern, ein reflexives Zurückkommen, das in dieser

" G. Krüger, Einsicht und Leidenschaft, 278-280, vgl. 138-282. Zu Recht betont Krüger,
daß die platonische Sehnsucht nach dem Ewigen aus seiner Berührung und Zeugung nicht
Vergottung oder Teilhabe, sondern wahre Existenz in der Zeit begründet.
70
Dazu S, 428-432; BT, 824f (Rosenzweigs Kritik an Bubers Ich und Du). Den gültigen
Nachweis der Buberschen Aporie führt: M. Theunissen, Der Andere, 243-373.

258
Negation die Aussage einer Wahrheit erfaßt, die sich an die Stelle der Negation der
Wahrheit setzt: allem reflexiven Zurückkommen verheißene und gewährte Bejahung,
die bis hinein in das Bedeuten des Nichts Sein anerkennt."71 Die Aussage und ihr
Aufweis, der zu sehen veranlaßt, und also das Wissen als originär gebendes Bewußt-
sein, bleiben so gegenüber ihrer versuchten Reduktion „die letzte Rechtsquelle aller
vernünftigen Behauptungen."72 E. Levinas reformuliert diese Apriorität der Geltungs-
bedingungen in ihrem obersten Grundsatz als Synchronie der Aussage. Synchronie, die
erste Setzung des transzendentalen Ich, das „Wunder der Vorstellung" sei reine
Gegenwart, die „Leere der Zeit, die als Ewigkeit gedeutet wird".73 Sie bestimmt sich
geradezu durch den Ausschluß von Passivität.74

Rosenzweigs These von der Satzwerdung des Namens m u ß demgegenüber


auch als Ansatz zu dem Versuch gelesen werden, dem transzendentalen Ar-
gument (als einer bestimmten Theorie der Aussage und Aussagebegründung)
nicht bloß unabgegoltenen Widerspruch entgegenzusetzen. Die Frage nach
Begründung kann allerdings den transzendentalen (Letzt-)Begründungsan-
spruch nicht überbieten wollen. Vielmehr setzt er bei der genuinen Kontex-
tualität und Externität der Glaubensrede u n d theologischen Aussage an:
,Der Name' bestimmt durch seine Einführung u n d Satzwerdung seine Ver-
wendung in Benediktion und Erzählung, in Gebot und Homologie, in Bitte,
Dank und schließlich im theologischen Aussagesatz. Seine Verheißung als
Rechtsquelle der Glaubensrede weist diese an, die jeweilige Zeit der Rede
wahrzunehmen, ohne daß dadurch situationsinvariante Aussagen unmöglich
würden. Differenz wie Zusammenhang der finiten Aussage und der kontext-
gebundenen Rede kann in ein intuitives Bild gebracht werden:

„Wenn Gott uns nahkommt, erkennen wir freilich nur das Unaussagbare. Aber das
ist nicht unsre Pflicht ..., sondern wir können gar nicht anders ... Wenn wir also
anfa[n]gen, es auszusagen, geschieht das wohl, weil es selber uns das Sagen, das noch
so mangelhafte, möglich macht, indem es - nein, indem er, Gott, von uns zu wei-
chen beginnt, sich von uns entfernt. Indem er sich von uns entfernt, gibt er sich uns
als den Fernen zu erkennen, und wenn er ganz fern ist, nämlich wenn er sich ganz

71
E. Levinas, Gott, 267.
72
E. Levinas, Gott, 267.
73
E. Levinas, Totalität und Unendlichkeit, 176.
74
E. Levinas, Totalität und Unendlichkeit, 176. „Das Selbe, das sich auf das Andere
bezieht, lehnt alles ab, was seinem eigenen Augenblick, seiner eigenen Identität äußerlich ist,
um in diesem Augenblick, der von nichts abhängig ist - reine Grundlosigkeit -, alles das als
.verliehenen Sinn', als Noema wiederzufinden, was abgelehnt worden war. Die erste Bewe-
gung der Vorstellung ist negativ: Sie besteht darin, in sich den Sinn einer Exteriorität
wiederzufinden und auszuschöpfen, die gerade in Noemata umgewandelt werden kann ...Ja,
die Möglichkeit der Epoche definiert die Vorstellung." (ebd., 176) Dieser Augenblick der
Vorstellung wird reflexiv als Selbstaffektion und Selbstbewußtsein: „Derselbe bleiben heißt,
sich vorstellen ... Das Subjekt, das kraft der Vorstellung denkt, ist ein Subjekt, das seinem
Denken lauscht" (ebd., 177).

259
entfernt hat, können wir ihn sogar ... beweisen." Darin seien sogar „Sätze wie ,Gott
ist heilig' oder sogar ,Gott ist'" begründet.75

Das Bild der .(unmittelbaren, unaussagbaren) Nähe' und der .(vermittelten,


aussagbaren) Ferne' bleibt jedoch leer, wenn es keinen ausweisbaren Sinn er-
hält. Um theologisch sachgemäß nach der Begründung des propositionalen
Gehalts und nach der Rechtfertigung des Behauptens zu fragen, ist die Wahr-
nehmung und Unterscheidung von .Zeiten der Ökonomie Gottes' (so inter-
pretieren wir die Rede von ,Nähe' und .Ferne') vorausgesetzt.

Rosenzweig spricht nicht von .Ökonomie', sondern vom .Welttag Gottes' und
seinen Zeiten .Schöpfung, Offenbarung, Erlösung' (in Anlehnung an Schellings
,Weltalter'). Wenn wir stattdessen von Gottes ,oikonamia' sprechen (Eph 1,10; 3,9),
so ist dieses Wort nicht als .Heilsplan' zu übersetzen, sondern aktivisch: Veranstal-
tung, Durchführung, Verwaltung, Zeitigung. Das Wort fungiere als terminologischer
Platzhalter: Gottes Verheißungshandeln läßt sich nicht angemessen als kausales oder
teleologisches Handeln beschreiben: Er zeitigt Zeiten, ,Tage des Herrn'.76

Es erfordert Urteilskraft, um zu unterscheiden, wie das Da-sein Gottes, das im


Kommen bleibt, anzusprechen und zu prädizieren ist und wie daraufhin
.Dinge' und .Seelen' anzusprechen und zu prädizieren sind.
Die Frage nach Begründung und Rechtfertigung des jeweiligen Behauptens
und der jeweiligen Behauptung setzt die gleichsam .übersichtliche Darstel-
lung' ihrer .Zeitumgebung' voraus: Die Homologie in der Präsenz des Na-
mens, die Doxologie seiner Güte in der Erwartung des Reiches, die Benedik-
tion der geschöpflichen Dinge in ihrem diachronischen Schon-Da-Sein (um
einige im Stern exemplarische Sprachhandlungen zu nennen) sind unabding-
bar kontextuelle Sprachzeichen, deren Kontext jeweils ein bestimmtes Han-
deln oder Zeitigen Gottes ist. Die Wahrnehmung dieses Zusammenhangs
zwischen der Sprachhandlung und ihrer Gebrauchssituation, die für ihre
Begründung in der Ökonomie Gottes vorausgesetzt ist, sowie der kritische
Begriff der Ökonomie Gottes selbst verlangen Urteilskraft, die den jeweiligen
Begründungszusammenhang übersichtlich darzustellen vermag. Im Sprach-
gebrauch „herrscht Urteilskraft, und nicht etwa die situationsinvariante
Kontrollierbarkeit deduktiver sprachlicher Beziehungen ... Wesentlich ist hier
eben, daß wir (unseren) Wörtern und Sätzen außerhalb einer übersehbaren
Umgebung überhaupt keine genaue Bedeutung geben (oder ansehen) können.
Daher besteht die eigentümliche Strenge des ,Philosophierens' über die natür-
liche Sprache darin, übersichtliche Verhältnisse wiederherzustellen, wo uns
der Zusammenhang zwischen Satz und Gebrauchssituation abhandengekom-

75
JH, 70f (gegen R. Bultmann); vgl. BT, 1059.
76
Zum Terminus .Ökonomie': F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, v.a. 230-247; G.
Sauter, Einführung, 157; F. Mildenberger/H. Assel, Grundwissen, 30-41.

260
men ist."77 Theologische Urteilskraft, die Gebrauchssituationen darstellt und
Begründungszusammenhänge aufsucht und darlegt, orientiert sich allerdings
dazu selbst durch Regeln. Diese Regeln haben den Rang elementarer theologi-
scher Aussagen. Obgleich sie auch objektsprachlich verwendet werden kön-
nen, sind sie hier in ihrem Regelstatus (als Lehrsätze oder Grundsätze) von
Interesse. Wir verstehen sie als regelhafte Explikationen des Namenssatzes. Es
sind drei Urteilsregeln, die im Stern ausdrücklich expliziert werden:

- die messianische Doxologie: „ER ist gut" (z.B. Ps 73,1); sie in ihrem genui-
nen Behauptungsmodus und Geltungsanspruch zu erlernen, ist das Ziel
des Stern;
- die eschatologische Doxologie: „ER tötet und macht lebendig" (lSam 2,6);
dieser Satz leitet zur Wahrnehmung der eschatologischen Wahrheit Gottes
an, deren Reichweite den bestimmten Geltungsbereich des Namens be-
gründet und dialogisch offen hält;
- die sog. Unveränderlichkeitsformel: „ER, der da ist, der da war und der da
kommt".

Die sog. Unveränderlichkeitsformel ist nicht zufällig die traditionell jüdische


Auslegung des Gottesnamens von Ex 3,14f.78 Diese Formel expliziert das ICH
BIN DA namenslogisch (und nur darauf kommt es hier an), sofern sie klar-
stellt, daß mit diesem Satz Gottes Dasein behauptet und verheißen wird,
ohne es der Verifikationsbedingung temporaler Existenz zu unterstellen.
Insofern verstehen wir die Unveränderlichkeitsformel als einen ersten Folge-
satz des ICH BIN DA; sie wird deshalb zuerst analysiert:
Der Namenssatz wird durch die Unveränderlichkeitsformel als Verheißung
näher bestimmt, die universelle theologische Aussagen nicht ausschließt, son-
dern erfordert und begründet: Der sich augenblicklich Vergegenwärtigende
verheißt sein Kommen und verheißt, schon da gewesen zu sein, zuvor .schon
da' gewesen zu sein. Deshalb kann formuliert werden: „Gott ist nicht alles,
sondern ,von ihm und zu ihm' ist alles." (BT, 414). Oder: ,Gott ist nicht alles
in allem' aber: Er verheißt, alles in allem gewesen zu sein (vgl. IKor 15,24).
Bezogen auf diese Verheißung sind durchaus universelle theologische Aus-
sagen möglich: „Nur weil dieser dir gegenwärtig Werdende dir immer gegen-
wärtig werden wird, wenn du ihn brauchst und rufst - ich werde dasein -,
nur deshalb ist er dann unserm Nachdenken ... freilich auch der Immerseien-
de, der Absolute, der Ewige, losgelöst dann von meiner Bedürftigkeit und
meinem Augenblick, aber doch nur loszulösen, weil jeder zukünftige Augen-

77
F. Kambartel, Philosophie der humanen Welt, 155f. Dort auch der explizite Bezug auf
Wittgenstein: „Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender
Bedeutung ... Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art, wie wir die Dinge sehen."
(L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen I, 122, S.302)
71
S. Amsler, Art. bjh, 485f; vgl. Apk 1,4.8; 4,8; 11,17; 16,5.

261
blick eines jeden an der Stelle dieses meines jetzigen stehen könnte."79 Damit
werden im Grunde Genese und Status theologischer Aussagen skizziert.
Es zeigt sich, daß gerade die universelle Aussage (z.B. ,ER ist da, und war da
und kommt'), also das abgeschlossene theologische Urteil, hypothetischen
Status hat, während das situationsabhängige, zeitgebundene Sprechen des
Glaubens assertorisch (im theologischen Sinn) reden kann. Umgekehrt sind
universelle, abgeschlossene Aussagen notwendige Regeln der Urteilskraft,
damit überhaupt begründet situationsabhängig und zeitgebunden geredet
wird. Universelle Sätze sind Hypothesen, Sätze von hoher diachronischer
Allgemeinheit und in ihrem Regelstatus von empirisch generellen Sätzen zu
unterscheiden.80 Aber gerade durch sie wird es möglich, den Grad der Über-
prüfbarkeit des Redens von Gott anzugeben und zu erläutern, was unter der
Unabgegoltenheit dieser Rede zu verstehen ist. Die Orientierungskraft dieser
Sätze „erschöpft sich nicht in der Formulierung von Hypothesen von unbe-
grenzter Reichweite, sondern besteht außerdem in Präskriptionen geringerer
Reichweite im Rahmen solcher Hypothesen. Das abgeschlossene (finite) theo-
logische Reden verhält sich zum erwartungsvollen Reden wie universelle Aus-
sagen zu begrenzten Präskriptionen. Darin besteht der Spielraum theologi-
scher Produktivität" 81 - bzw. der Spielraum theologischer Urteilskraft in
ihrer Suche nach übersichtlicher Darstellung und Begründung. Die universelle
Aussage steht in einem Begründungszusammenhang, der einen erkennbaren
empirischen Ort hat und durch die Geltung des Namens und seiner Verhei-
ßung umrissen ist. „Es ist der Verständigungsraum .Kirche'" oder - wie wir
jetzt hinzufügen - ,Israel', „der nicht nur angibt, wo so ... gesprochen wird,
sondern der vor allem auch zeigt, wie solches Reden überprüft werden
kann."82
Unter den universellen Sätzen (neben den genannten sind z.B. zu nennen:
Rom 11,32: ,Gott hat alle [Juden und Heiden] in den Ungehorsam einge-
schlossen, um sich aller zu erbarmen'; 2Kor 5,17; 2Kor 5,19; Rom 11,36a)
kommt der .Unveränderlichkeitsformel' der Rang zu, überhaupt zu um-
schreiben, was theologisch unter diachronischer Allgemeinheit zu verstehen
ist. Sie umreißt die zeitlichen Erstreckungen der Ökonomie Gottes im Gel-
tungsbereich des Namens. Welche Präskriptionen zieht Rosenzweig aus dem
universellen Satz der Unveränderlichkeitsformel? Die Explikation des Na-
menssatzes durch den Unveränderlichkeitssatz begründet bei ihm vor allem

79
BT, 1161, vgl. insgesamt BT, 1158-1162 (Brief an M. Goldner, 23.6.1927).
10
„.Diachronizität' ist ein Begriff, „der die zeitliche Erstreckung sowohl der Geltung von
Aussagen wie auch ihrer Überprüfbarkeit zu erfassen sucht." (G. Sauter, Kritik, 355) Der
Terminus wird also hier anders verwendet, als der in Anlehnung an Levinas angeführte
Begriff .Diachronie'. Sachlich liegt freilich beiden Begriffen die Frage der bestimmten Zeit-
lichkeit der Glaubensrede und theologischen Aussagen zugrunde.
11
G. Sauter, Kritik, 265. Zu .Präskription' als Anweisung zu bestimmten Prüfverfahren
und seiner .intuitionistischen' Wurzel: ebd., 92.62.358.
• G. Sauter, Kritik, 319f.

262
die Kritik des spekulativen .Dogmas' (wie des kabbalistisch-nihilistischen
.Mythos'83) vom Werden Gottesl Dieser Widerspruch ist die Konstante in
Rosenzweigs Konzept eschatologischer Urteilskraft von Beginn an:
Eine der frühen Reflexionen nach dem Oktober 1913 zieht bereits diese
Folgerung. Für Hegel sei Gott „in jedem Punkt seines Werdens eins mit dem
betreffenden Punkt des Werdens der Welt. Das eben hat nachher Schelling
umgestürzt. Auch für Schelling ist das Werden der Welt Werden Gottes, aber
Gott und Welt bleiben zweie. Gott ist bei Schelling das Feste, Ruhende, das
die Welt aus sich heraus gesetzt hat und nun allerdings in der Geschichte der
Welt seine eigne Geschichte erfährt, indem nämlich die Welt sein geschichts-
unterworfener Teil ist; Gott bleibt daher seiner eignen Geschichte noch
immer transzendent."84 Diese Behauptung der transzendenten Ruhe und
Freiheit wird durch den Vorwurf .schlechter' Unendlichkeit nicht getroffen:
Gott, so formuliert der Stern, .werde' in Schöpfung, Offenbarung und Erlö-
sung bis zum Ende, aber dieses Werden bedeute kein Wachsen, kein Sichver-
ändern; es sei unveränderliches Werden: „Denn zwar für Gott sind die Zeiten
jenes [Welt]Tages eigne Erlebnisse; ihm ist die Schöpfung der Welt das Schöp-
ferwerden, die Offenbarung das Offenbarwerden, die Erlösung das Erlöser-
werden. So wird er bis zum Ende. Alles was geschieht, ist an ihm Werden.
Und da doch alles, was geschieht, gleichzeitig geschieht und in Wahrheit die
Offenbarung ja nicht jünger als die Schöpfung ist und schon deswegen auch
die Erlösung nicht jünger als beide, so ist jenes Werden Gottes für ihn kein
Sichverändern, kein Wachsen, kein Zunehmen, sondern er ist von Anfang an
und ist in jedem Augenblick und ist immer im Kommen; und nur wegen
dieses Zugleichs seines Immerwährend-, Allzeit- und Ewigseins muß man das
Ganze als ein Werden bezeichnen." (S, 287f, Kursive HA) ,Der war, der ist,
der kommt' wird in der Benediktion, in der Homologie, in der Doxologie
des Namens .verewigt'. Aber sofern Benediktion, Homologie und Doxologie
sich ihrerseits auf ihre Verifikation durch Gott hin ausstrecken, ist Gott der
Sich-Verewigende. Er ist der Sich-Verewigende und Ewige: der Unendliche,
nicht: der Werdende.85

15
H. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz.
14
BT, 161 (Tagebuch 23.6.1914), vgl. BT, 159.161f.
85
Umgeformt zur Regel der Urteilskraft liegt hier Schellings Gesetz der Simultaneität und
Sukzession der Weltalter zugrunde. Dazu § 12,5 Exkurs.

263
4. Unendlichkeit des Namens und Sätze über das Geheimnis

Es erscheint eine nicht unbedeutende Aufgabe, ein Verständnis der Unend-


lichkeit Gottes zu gewinnen, das zugleich die Behauptung eines Werdens,
einer Veränderung Gottes ausschließt.86 Denn in gewisser Weise ist die Rede
von der .Unendlichkeit' der Wahrheit der Verheißung die Konsequenz der
Namenslogik im Stern. Diese Konsequenz kann hier nur dargelegt werden,
ohne daß bereits ein geklärter Begriff von Unendlichkeit vorgeschlagen
werden könnte.
Noch einmal sei an das spezifische Problem angeknüpft, das dadurch ent-
steht, daß universelle theologische Sätze, die die Namensverheißung entfalten,
in zwei Geltungsbereichen zur Anwendung kommen und dadurch zu wider-
sprechenden Folgeaussagen führen. Dieser kontradiktorische Widerspruch sei
am Beispiel der versöhnungstheologischen Sätze dargestellt: „Gott war es, der
in Christus die Welt mit sich versöhnt hat." (2Kor 5,19) - „Heil Euch Israel!
Wer reinigt Euch und vor wem reinigt Ihr selbst Euch? Es ist Euer Vater im
Himmel." (mjoma 8,9; B Joma 85b)
Sollen beiden Aussagen in ihrem jeweiligen Geltungsbereich als in der
Verheißung des Namens begründet gelten, so muß das Verfahren der Verifi-
kation solcher Glaubensaussagen (die Verwendung von ,wahr' und ,/alsch')
nicht nur auf genuine Weise dialogisch aufgebaut werden. Es muß da-
rüberhinaus auf die eschatologische .Wahrheit' ('mt) des Verheißungsnamens
bezogen bleiben.87 Unter dem Titel der eschatologischen Wahrheit des Ver-
heißungsnamens wird dann die Souveränität der .Gerechtigkeit Gottes' als
der letztgültige Begründungszusammenhang der Aussagen des Glaubens ver-
handelt. In seiner .Gerechtigkeit' verifiziert Gott das von ihm Behauptete
und richtet die Urteilskraft des Glaubens, um über der Glaubensaussage und
am Sprecher sich selbst ,zu Ehre' zu bringen.88 Eschatologische Verifikation
der Glaubensaussagen und eschatologische Rechtfertigung des Sprechers durch
Gott kann dann allerdings nicht behaupten und gar nicht behaupten wollen,
daß Gott in seiner Gerechtigkeit universal, sichtbar und öffentlich verwirk-
licht und vindiziert, was jetzt in Christus als begründet und wahr behauptet
wird. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten kann nicht unbesehen als Prinzip
eschatologischer Verifikation der Glaubensrede durch Gott gelten.^ Stößt hier

86
Die Erneuerung des Unendlichkeits-Begriffs fordert W. Pannenberg, Metaphysik, 20-33;
Systematische Theologie 1, 429-456, ohne daß wir damit diesem Begriff eine kriterielle
Bedeutung als Rahmenbegriff von Theologie zusprechen.
17
Z, 623: „Nun die Geschichte des Namens: beginnend mit seiner Nennung, fortfahrend
mit seiner Verschweigung, durch die wir uns ans Ende stellen, seiner Ersetzung (selbst
Verdrängung durch einen andern gemeinten Namen im Christentum), endend mit seiner
Überflüssigmachung ... Auch Gottes Name ist am Ende nicht Schall und Rauch, nur Einer.
Alle Schicksale des Namens setzen aber sein Ein-für-Allemal-Gegebensein voraus."
" Ps 115,1: „Nicht uns, D u , nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre, um deine Huld,
um deine Treue!"

264
nicht vielmehr die theologische Explikation dieser Verifikation an eine
Grenze (deren Betonung selbstverständlich nicht mit Wahrheitsskepsis zu
verwechseln ist, sondern auf diese antwortet)? Diese Grenze der Urteilskraft
zu wahren, heißt freilich zu statuieren: „Wir erwarten mehr, als wir aussagen
können". 90
Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten bleibt zwar (etwa zusammen mit
dem Satz der Identität und des NichtWiderspruchs) ein selbstverständliches
formales Prinzip auch der Glaubensrede. Aber es ist entscheidend, daß der
Satz vom ausgeschlossenen Dritten hinsichtlich sich kontradiktorisch wider-
sprechender theologischer Sätze, die sich beide auf die Verheißung des Na-
mens begründend zurückführen können, nicht zugleich als Regel der Logik
des Namens gilt.91 Es ist eine unzulässige theo-logische Grenzüberschreitung,
wenn behauptet wird, eschatologische Verifikation bedeute Vindikation
christlicher Sätze und Falsifikation kontradiktorischer jüdischer Sätze. (Selbst-
verständlich ist auch die entgegengesetzte Behauptung, daß beide Sätze durch
Gott verifiziert werden, theologisch unzulässig). Solch unzulässigen Grenz-
überschreitungen liegt latent ein Begriff aktueller Unendlichkeit Gottes
zugrunde. Demgegenüber ist, im Rahmen einer dialogischen theologischen
Logik des Namens, ein theologisches Verständnis von Unendlichkeit der
Verheißung und Gerechtigkeit Gottes zu gewinnen.92
Die zitierten kontradiktorischen Sätze über die Versöhnung können ja
durchaus im bestimmten Sinn als dialogdefinit, allerdings nicht als wahrheits-
definit gelten.93 Von ihnen kann innerhalb der Logik des Namens zwar nicht
gesagt werden, daß sie im argumentativen Dialog nach endlichen Schritten
entscheidbar widerlegt und bewiesen werden können (also dialogdefinit
,wahr' oder .falsch' sind). Wohl aber können sie als begründet nicht-widerleg-
bar und also als entscheidbar unentscheidbar gelten.

89
Die Theorie eschatologischer Verifikation, die - um nur ein prominentes Beispiel für
viele weniger reflektierte zu nennen - I.U. Dalferth (Religiöse Rede, 689-702) skizziert,
mündet in diese Behauptung: „Dann wird sich das, was jetzt nur als eine Möglichkeit [sc. der
christlichen Rede von Gott] gegenüber anderen Möglichkeiten assertorisch vertreten läßt, als
die wahre Möglichkeit erweisen, deren Wahrheit die anderen Möglichkeiten rückwirkend
falsifiziert." (702) Aber bleibt eschatologisch neben der Liebe und dem Glauben nicht auch die
Hoffnung (IKor 13,13)? Zur diesbezüglichen Auslegung: A. Schlatter, Paulus, 366f.
90
G. Sauter, Rechenschaft, 316, vgl. 310.
" Zu dieser Unterscheidung von Prinzip und logischer Regel: V. Richter, Logik und
Geheimnis, 199 Anm. 19.
92
Der mathematisch-intuitionistische Begriff potentieller Unendlichkeit kann dazu freilich
nur eine Anregung bieten; zur Kritik: W. Pannenberg, Metaphysik, 27f; und bereits Kant,
Beweisgrund (1763), A 186f (2,727f).
93
Zu dieser Unterscheidung: K. Lorenz, Art. Logik, dialogische, 402f. Wahrheitswertde-
finite Aussagen sind in jedem Fall entscheidbar, entweder wahr oder falsch; dialogdefinite
Aussagen sind in jedem möglichen kontrollierbaren Dialog über sie nach endlichen Schritten
entscheidbar wahr oder falsch - oder, so fügen wir hinzu, entscheidbar unentscheidbar.

265
Der Stern der Erlösung und die hinter ihm stehenden Kontroversen zwi-
schen Franz Rosenzweig und Eugen Rosenstock-Huessy und Hans Ehrenberg
sind darin exemplarisch, daß hier kontradiktorische theologische Sätze in
einen wirklichen argumentativen theologischen Dialog gebracht sind mit dem
Ergebnis, daß hier Widerlegungen jeweils widerlegbar sind. Theologische
Sätze, deren Widerlegung widerlegt werden kann, ohne daß sie dadurch als
bewiesen gelten, können als Sätze über das Geheimnis gelten.
Solche Sätze beenden nicht, sondern ermöglichen den argumentativen Dia-
log. Dieser Dialog dient der Überprüfung der Voraussetzungen in Glaubens-
sätzen; und er gilt der Kritik der Hoffnung als genuiner Erkenntnis der
Verheißung des Namens. Wir können begründet sagen, warum und inwiefern
wir von der Gerechtigkeit Gottes mehr erwarten, als wir ausweisbar und
verifizierbar im Glauben behaupten können. Wir können damit auch begrün-
det sagen, warum und inwiefern wir nicht sprachlich behaupten, was wir
erhoffen. „Dieses Auseinanderfallen der Begriffe .Widerlegbarkeit der Nega-
tion' und .Beweisbarkeit' ist sowohl für die intuitionistische Logik als auch
für die Logik der Sätze über das Geheimnis charakteristisch. Es ist nicht
zufällig, daß dieser Unterschied gerade dort auftritt, wo die arceigov-Struktur
der menschlichen Aktivität ins Spiel kommt."94
Diese Aporie nötigt nicht zum Abbruch des theologischen Fragens. Sie
kann in ein neues .strukturelles Problem' überführt werden95, nämlich in die
Frage: Wo und wie, d.h. in welcher nicht-sprachlichen Mitteilungs- und Zei-
chenform sich die Erwartung des Namens und göttlicher Gerechtigkeit .ex-
emplifiziert'. Gottesdienstlich-liturgische, nicht-sprachliche Zeichen könnten
sich als .exemplifizierender, metaphorischer Ausdruck' des Erwarteten er-
weisen. Dann kann erneut gefragt werden, wie solche .Ausdruckszeichen' der
Hoffnung des Namens eschatologisch zu beschreiben sind.

Zusammenfassung

1. Endete der letzte Paragraph mit der Frage nach dem eschatologischen
Geheimnis der Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes, so kann jetzt eine Ant-
wort gegeben werden: Das Geheimnis des Verheißungsnamens besteht darin,
daß sich in ihm kontradiktorisch widersprechende Homologien und Orte
begründen können, und zwar so, daß sie jeweils voreinander die Wahrheit
ihrer Homologie bewähren können. Die Homologien des Namens sind dialo-
gisch finit in genau jenem Sinn, daß ihr Widerspruch entscheidbar unent-
scheidbar ist. Dieser Widerspruch dementiert die Wahrheit des Verheißungs-
namens nicht. Er lehrt vielmehr seine Unendlichkeit und also die ausstehende
Verheißung seiner Gerechtigkeit, auf die zu hoffen ist. Widerspruchsfreiheit

94
V. Richter, Logik und Geheimnis, 205.
95
Zur Terminologie: G. Sauter, Kritik, 256-260.

266
und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sind also ein Prinzip der Rede des
Glaubens, aber keine Regel der Theo-logie.

2. Der traditionell theologische, material-topische Terminus .Geheimnis'


stufte die Sätze der Trinitätstheologie, der Christologie und Erbsündenlehre,
der Pneumatologie und Soteriologie und schließlich der Sakramentslehre als
der natürlichen Vernunft (also der speziellen Metaphysik) unzugängliche,
offenbarte Glaubenswahrheiten ein. Er ist durch den Terminus .Aporie' und
die Aufgabe einer theologischen Aporetik zu ersetzen. Neue Gültigkeit als
Schlüsselbegriff christlicher Theologie erlangt .Geheimnis' jetzt in logisch-me-
tatheoretischer Verwendung, und zwar als Zentrum sei es homologischer, sei
es negativer Namenstheologie. Sätze, die aus der logisch anfänglichen Chri-
stushomologie erschließbar und dialogisch begründbar sind, ohne im namens-
theologischen Sinn schon wahrheitsdefinit zu sein (u.a. auch Sätze der ge-
nannten Lehrtopoi), sind Sätze über das eschatologische Geheimnis der Wahrheit
und Gerechtigkeit ,des Namens'. So verwendet, konzentriert sich im christlich-
eschatologischen Terminus .Geheimnis' die mögliche argumentative Ausein-
andersetzung mit kontradiktorischen, dialogisch finiten, aber nicht wahrheits-
definiten Sätzen rationaler Mystagogie oder jüdischer Namenstheologie - und
umgekehrt.

3. Diese These, deren negativer Voraussetzung der Erste Teil der Untersu-
chung gewidmet war, wurde im vorstehenden Paragraphen in Auseinanderset-
zung mit der Namenstheologie Franz Rosenzweigs entwickelt. Seine Theolo-
gie des Namens kristalliert sich in der sog. ,Ur-formel' des Stern: „Name ist
nicht ... Schall und Rauch, sondern Wort und Feuer. Den Namen gilt es zu
nennen und zu bekennen: Ich glaub ihn." (S, 209) Diese Formel charakteri-
siert zunächst, was in jüdischer Namenstheologie als Begründung des Redens
zu Gott und über Gott gelten kann: Der Zusammenhang aller Verwendungen
des Namens mit seiner Einführung als dialogisches Wort von (.erwählendem')
Ruf und (.heiligender') Anrufung. Die Namenshomologie als Anfang der
Einführung in die Lebensform .Gesetz' ist gerechtfertigt, sofern der vokativi-
sche Name (der .Gottschrei' oder .Kultruf') das logische Grundelement der
Rede aus Glauben auf Hoffnung ist.

4. ,Der Name', der sich als dialogisches Wort gibt, begründet nach Rosen-
zweig jede Verwendung im Verheißungssatz und auch im Aussagesatz: Er
wird zum Verheißungssatz ICH BIN DA! (Ex 3,14). .Verheißung', so läßt sich
generalisieren, umschreibt in Logiken des Namens nicht eine Redeform unter
anderen, sondern charakterisiert die Verwendung und Verifikation der
Sprachelemente im Satz, und zwar jeweils in einem bestimmten Geltungs-
bereich (in Abraham, in Christus). Auch im Stern der Erlösung hat .Verhei-
ßung' diesen logisch-veritativen Status (S, 278).

267
5. Was grammatisch als Zugleich von Präsenz und Externität des Namens in
der Homologie beschrieben wurde, erweist sich jetzt namenslogisch als die
irreduzibel metaphorische Referenz des Namens im Verheißungssatz ICH BIN
DA. Die Verwendung des Gottesnamens in Aussagen stellt die Sprecher in
reale Relation zu ,Gott' als .Richter' ihrer Aussagen: Derjenige, den sie mit
Namen in ihrem Verifikationsfeld identifizieren und lokalisieren, ist derjeni-
ge, der sie eben darin in seinem .eschatologischen Verifikationsfeld' identifi-
ziert und lokalisiert. Über ,Gott' redet, wer der Angeredete bleibt; ,der Na-
me' ist nie bloß auszusprechen, sondern nur anzusprechen. Diese kann jetzt
der grammatische und logische Grundsatz der Rede von ,Gott' heißen.

6. Diese Bestimmung der logisch anfänglichen Verwendung von ,Gott' ver-


langt, daß jede Verwendung von ,Gott' namenslogisch-eschatologisch rekon-
struierbar sein soll, auch wenn anders bestimmte Verwendungen im fakti-
schen Erlernen vorausgehen können und gerade weil anders bestimmte Re-
konstruktionen dieses faktischen Erlernens zwar ausgeschlossen, aber nicht
unmöglich sind. Beispielsweise widerspricht der namenstheologische Grund-
satz, im Rahmen dieser Untersuchung, der negativen Theologie praktischer
Mystagogie, die alle Verwendungen von ,Gott' auf das Faktum der Vernunft
zurückführt. Die Elimination ,des Namens' galt uns daher als logische
Grundoperation praktischer Mystagogie. Der Widerspruch möglicher Re-
konstruktionen von ,Gott' und die daraus resultierende .Spannung' in den
konkreten Verwendungen kann nicht überschritten, sondern nur wieder
selbst als Aspekt der metaphorischen Referenz des Namens expliziert werden.

7. Die Decknotation des Namens als Index des logischen Grundsatzes am


Namenszeichen selbst war eine wichtige Konsequenz. Der bestimmte Ge-
brauch universeller theologischer Sätze als Hypothesen und Präskriptionen
war eine andere Konsequenz. Gerade weil die Redeformen des Glaubens
zeitgebunden sind und - um überhaupt ausweisbare Bedeutung zu erlangen -
die übersichtliche Darstellung ihrer Gebrauchssituation verlangen, bedarf es
Urteilskraft und universeller Sätze als präskriptiver Regeln.

268
§ 11 Schöpfung-im-Anfang und Schöpfung-im-Wort

„Deus enim vocat ea, quae non sunt, ut sint, et loquitur non grammatica vocabula, sed veras
et subsistentes res, Ut, quod apud nos vox sonat, id apud Deum res est. Sic sol, Luna,
Coelura, terra, Petrus, Paulus, Ego, tu etc. sumus vocabula Dei, Imo una syllaba vel litera
comparatione totius creaturae. Nos etiam loquimur, sed tantum grammatice, hoc est, iam
creatis rebus tribuimus appellationes. Sed Grammatica divina est alia, nempe ut, cum dicit:
Sol splende, statira adsit sol et splendeat. Sic verba Dei res sunt, non nuda vocabula."1

1. Chaos der Dinge und reale Orientierung

In der Präsenz des Namens kehrt die .heidnische, plastische Welt' ins,Chaos'
zurück. Das Hören der Stimme geschieht im ,erbabenen Augenblick1, in wel-
chem die Stimme ,aus dem Feuer' spricht: „ihr hört Erschallen der Rede,
doch ihr seht keine Gestalt" (Dtn 4,12 BR).
ER spricht wie am Tag, da er Himmel und Erde erschuf, das Licht rief und
Licht von Finsternis schied: „die Erde aber war Irrsal und Wirrsal" (Gen l,lf
BR). Die gestaltlose Stimme aus dem Feuer ist die Stimme des Schöpfers des
Himmels und der Erden. „Die Präsenz [des Gebots] ist der Augenblick, der
das Chaos der Geschichte unterbricht und daran erinnert oder nur sagt, daß
.etwas da ist', bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung hat. Das ist eine
Vorstellung, die man mystisch nennen kann, da es sich um das Geheimnis des
Seins handelt."2 In diesem Anfang gilt nur die erste elementare Unterschei-
dung: des Namens vom noch namenlosen Chaos. „Diese Fülle, dieses Chaos,
ist der Erstling der Schöpfung, ... nachdem erst einmal - dies Dasein selber
ins Dasein gerufen, die Welt geschaffen ist ... das Chaos ist in, nicht vor der
Schöpfung", hingegen „der Anfang ist - im Anfang." (S, 148)
Die „Schöpfung-im-Anfang" (Gen 1,1) ist die „versiegelte Weissagung"
(S, 123) der „Schöpfung-im-Wort", also der ersten Unterscheidung im Chaos
(Gen 1,3-31): „Gott sprach. Das ist das zweite. Es ist nicht der Anfang. Es ist
schon die Erfüllung, die laute, des schweigenden Anfangs. Es ist schon das
erste Wunder. Der Anfang ist: Gott schuf. Gott schuf. Das ist das Neue. Hier
zerbricht die Schale des Geheimnisses." (S, 124) Das ,Chaos der Dinge' gilt als
Grenze der versiegelten Weissagung der Schöpfung-im-Anfang. Mit jeder prä-
dikativen Unterscheidung, die in die Grammatik der Schöpfung eingeführt
und erlernt wird, soll (als Voraussetzung prädikativen Unterscheidens) die
Erinnerung an das ,Chaos der Dinge' mitgelernt werden als Erinnerung an
das Wunder, daß schon etwas da ist.
Jedoch: „der sprachliche Ausdruck dieser Erlebnisse [ist] Unsinn ...! Wenn
ich sage: ,Ich staune über die Existenz der Welt', mißbrauche ich die Spra-

1
M. Luther, Genesis-Vorlesung, Schluß des ersten Schöpfungstages, WA 42, 17,16-32.
2
J.-F. Lyotard, Der Augenblick, 20.

269
che'"3. Schöpfung-im-Anfang soll nicht als .mystische Vorstellung' bestaunt,
sondern im Chaos der Dinge und seiner geduldigen Unterscheidung und
Benennung bewährt werden. Das .Dasein' der Dinge soll unterschieden und
gesegnet, die Güte der Dinge 50// erlernt und bewährt werden. - Solch vorab
summierende Behauptungen bedürfen der Rechtfertigung. Sie ist Aufgabe
dieses Paragraphen.

1.1 Reale Orientierung

In der Gabe des Namens kehrt die .plastische Welt' ins .Chaos' zurück: Das
.Plastische' kennzeichnet bei Rosenzweig ein bestimmtes Symbolsystem4, eine
paradigmatisch mythische Weltwahrnehmung. Das Erlernen der gottesdienst-
lichen Zeichen und des Gesetzes wird im Stern als Heimkehr aus dem Plasti-
schen (also aus einem gültigen Symbolsystem) in die Schöpfung dargestellt.
.Schöpfung' steht, um zunächst grob zu kontrastieren, für die neue Symboli-
sation: ihre grammatischen Elemente, ihren Behauptungsmodus (dem Segnen
der Dinge) und für eine bestimmte .Lebensform' der Geschöpflichkeit.5 Die
Gabe des Namens wird logisch zum Anfang realer Orientierung im Chaos
der Dinge. Das bedeutet, daß jetzt nicht mehr frei zwischen Symbolsystemen
hin- und hergewechselt werden soll. .Schöpfung' zu erlernen, heißt: unter-
scheiden lernen zwischen der plastischen Gegenständlichkeit der Dinge und
der Schöpfung-im-Wort.6 Das Zweite Gebot (Dtn 5,8f zusammen mit Dtn
4,11-18) führt also das Erste Gebot aus: Die Einzigkeit des anzurufenden
Namens enthält das Verbot plastischer Repräsentation.7
Charakteristischerweise entfaltet Rosenzweig wie vor ihm schon Cohen das
Verbot plastischer Repräsentation sehr grundsätzlich. Beide legen das Bilder-
verbot in kritischer Auseinandersetzung mit der transzendentalen Ästhetik
Kants aus. Die theologischen Probleme dieser Ästhetik wurden aufgezeigt. Es
ist daher auch eine theologische Reaktion, wenn Hermann Cohen die Tran-
szendentalität der Anschauungsformen Zeit und Raum kritisch destruiert, um

3
L. Wittgenstein, Vortrag über Ethik, 14f; präzisierend: E. Tugendhat, Aufsätze, 124-126.
4
„Ein (nicht notwendigerweise formales) Symbolsystem umfaßt sowohl Symbole als auch
deren Interpretation, und eine Sprache ist ein Symbolsystem besonderer Art. Ein formales
System ist in einer Sprache formuliert und hat ausgewiesene Grundausdrücke und Ablei-
tungswege." (N. Goodman, Sprachen, 48 Anm. 32).
5
„Welche Art von Gegenstand etwas ist, sagt die Grammatik. (Theologie als Grammatik)",
in diesem Falle die Schöpfungstheologie, L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen,
398 Nr. 37; vgl. H.-P. Großhans, 214-224.229-238.
' Damit ist nicht die konventionelle Unterscheidung von Bild und Wort, von Repräsenta-
tion und verbaler Denotation, gemeint! Zur ihrer triftigen Kritik: N. Goodman, Sprachen,
48. Nicht die Binnenstruktur eines Symbols (piktural oder verbal), sondern die Wahl des
Symbolsystems entscheidet über den Charakter eines Symbols (ebd., 213f).
7
Chr. Link, Bilderverbot, 58-85.

270
sie zu Elementen bestimmter, wissenschaftlicher oder ästhetischer Weltkon-
struktionen herabzustufen. Die „Idee des Seins von Anfang" (S, 146)8 erlaubt,
solche Weltkonstruktionen zu gebrauchen, o h n e ihren Elementen (Gal 4,3.9;
Kol 2,8.20) zu unterliegen. Ihr transzendentallogischer Anspruch wird bestrit-
ten. Rosenzweig pointiert dies noch. Seine propädeutische Schöpfungstheolo-
gie verzichtet explizit auf transzendentale, fundierende Geltung. A n die Stelle
systematisch rekonstruierter Geltungsansprüche treten Beispiele und ihre Be-
schreibung: An Beispielen wird erlernt, zwischen plastischer Repräsentation
und realer Orientierung zu unterscheiden. 9

Rosenzweig fragt neu nach Konditionen genuiner Gegenständlichkeit des Glaubens,


die sich der Schein-Alternative von gegenständlicher und nicht-gegenständlicher
Wahrnehmung entzieht.10 Aber diese neue Frage löst sich nur mühsam aus dem
Paradigma der transzendentalen Ästhetik. So notiert Rosenzweig, um ein typisches
Beispiel der Konfusion zu erwähnen, während der Konzeption des Stern zu Kants
These von der empirischen Realität und transzendentalen Idealität des Raums (vgl.
KrV B 44): „Das Verhältnis der Offenbarung aber ist zum Raum anders als zur Zeit.
Die absolut gesetzte Zeit wird von der Offenbarung erst in die Welt gebracht (die
Heiden wissen nichts davon), dagegen der absolutgesetzte Raum von ihr in der Welt
erbalten wird" (Z,88). Wenig später korrigiert und präzisiert er: Kant habe die in der
Realität bzw. Idealität der Zeit an sich bereits gelöste Frage der Realität bzw. Ideali-
tät des Raums eigens thematisiert, weil er sich über die verschiedenen Wurzeln dieser
Anschauungsformen im klaren gewesen sei: „Streng genommen hätte ja die Idealität
der Zeit die des Raumes involviert. Warum hat Kant den Raum dennoch extra
behandelt? Offenbar weil er [sc. der Raum], obwohl von der Zeit verschlungen ...,
dennoch eine eigene Wurzel hat, nämlich das Heidentum" (Z, 88, vgl. Z, 99).
Im Lichte dieser Bemerkung erweist sich Rosenzweigs Konzeption der plastischen
Welt (S, 12-16.46-58) als polemisches Konstrukt: Das Plastische, dessen Muster die
griechische, nicht die moderne Plastik ist, bringt offenbar für Rosenzweig als äs-
thetisches Phänomen eine Phänomenalität zu tage, in welcher Idealität und Realität
des Raums ineinanderliegen.
Dies Ineinander von realer und idealer Form konstituiert den plastischen Schein und
seine Magie. In den Worten Georg Pichts: „Der lebendige Löwe hat die Eigenschaft,
kräftig zu sein. Das plastische Kunstwerk präsentiert seine Kraft als solche. Es
bezahlt das damit, daß es nicht kräftig ist und niemanden verschlingen kann. Wie
aber bringt es die Kraft zur Darstellung? Durch ihre totale Negation, nämlich durch
seine Unbeweglichkeit. Der plastische Löwe ist in seine unveränderliche Kontur
eingeschlossen ... Über jeglicher Plastik liegt ein Bann, ja man muß es noch schärfer

8
Idee bedeutet an dieser Stelle (wie bei Hermann Cohen): Hypothese, zweckmäßige Grundle-
gung, die sich in der Durchführung bewährt.
' Die prädikativen Unterscheidungen, die der Glaube im Chaos der Dinge trifft, erheben
keinen kategorialen Anspruch, S, 209-213; 257. Sie begründen auch keine wissenschaftliche
Gegenständlichkeit, also durch methodische Abstraktion und Typisierung gewonnene logi-
sche Klassen und Hierarchien von Klassen.
10
Diese Differenz zum Personalismus betont W. Pannenberg, Anthropologie, 175-179.

271
formulieren: plastische Kunst ist überhaupt nichts anderes als das Vermögen, im Dar-
stellungsraum der wirkenden Kräfte Bannformeln auszuprägen, denen diese Kräfte
unterworfen werden. Plastik ist ihrem Wesen nach Magie."11 Der Bann des Leben-
digen in die .innere Form oder Idee' erweckt den Schein der Dauer in der Zeit, den
zwar das Werk (als Artefakt) dementiert, aber nicht auflöst, sondern behauptet.12
Inwiefern begründet der Name Gottes demgegenüber reale, zeiträumliche Orientie-
rung? Sinnvoll beantwortet wird diese Frage, wenn sie beim Beispiel ansetzt und
nach seiner Beschreibung fragt. Das Kunstwerk eröffnet seine genuine Welt.15
Rosenzweig exemplifiziert dies am Tempel als Wohnstatt des Namens: „Erst indem
die [Kunst-] Werke aus dem magischen Bannkreis ihres idealen Raums heraus und in
einen wirklichen Raum hineingestellt werden, erst damit werden sie selber voll-
wirklich und hören auf, bloß Kunst zu sein. Nun aber gibt es nur eine Art voll-
wirklichen Raums in der Welt; denn der Raum, in dem die Welt selber wohnt, ist
- zwar nicht von ästhetischer, aber von .transzendentaler' .Idealität': seine Wirklich-
keit ist nur wirklich in ihrem Verhältnis zu ihrem Gedachtwerden, aber nicht zum
- Geschaffensein. Geschaffen ist nur die Welt, und der Raum wie alles Logische nur
als ihr Teil; der Raum, in dem die Welt wäre, also der Raum der Mathematiker, ist
nicht geschaffen. Daher es kommt, daß wenn man ... die geschaffne Welt unter den
Formen des Raums betrachtet, man sie notwendig ihrer schlechthinnigen, über alle
Möglichkeiten hinausgehobnen Tatsächlichkeit, die sie als Schöpfung hat, entkleidet
und sie zum Spielball der Möglichkeiten verrelativisiert [sie!]. Vollwirklich ist erst
der Raum, den auf Grund der geoffenbarten Raumrichtungen und Raumverhältnisse
von Himmel und Erde, Zion und aller Welt, Bethlehem-Ephrata und den Tausenden
Judas, die Baukunst schafft: erst von ihm aus, von den Punkten, die der Baumeister
auf der Erdoberfläche, und den Maßen und Richtungen, die er innerhalb des Bau-
werks festlegt, strahlt ein fester, unverrückbarer, ein geschaffener Raum, wo klein
und groß, Mitte und Enden, oben und unten, Osten und Westen gilt, auch hinaus in
die bis dahin zwar geräumige, aber selber unräumlich geschaffne Welt und verräum-
licht sie." (S, 394f) Der Tempel als Wohnort des Namens stellt seine Welt auf,
verräumlicht Welt und orientiert sie auf das Kommen Gottes.14

Reale Orientierung vollzieht sich beschreibend und vermittelt durch exem-


plifizierende liturgische Zeichen, z.B. durch den Kultraum als Exemplifikation

11
G. Picht, Kunst und Mythos, 360, vgl. 357-362.267-269.319f.567-569.
12
Der ästhetische Begriff der .inneren Form' (S, 66) charakterisiert bei Rosenzweig die
platonische Idee in der plastischen Repräsentation, (vgl. S, 51) Sie weise zurück auf den My-
thos: „Alle Kunst steht noch heutigen Tags unter dem Gesetz der mythischen Welt" (S, 41).
Georg Pichts Vorlesungen über .Kunst und Mythos' und Jean-Luc Marions Analysen des
Idolischen bieten die Durchführung dieser These.
13
Auf seine Weise zeigt dies M. Heidegger (Der Ursprung des Kunstwerkes, 29) am Kunst-
werk des Tempels: „In-sich-aufragend eröffnet das [KunstJWerk eine Welt und hält diese im
waltenden Verbleib. Werksein heißt: eine Welt aufstellen." Kritisch: G. Picht, Kunst und
Mythos, 558-569.
14
Das gilt selbstverständlich unbesehen der .Westung' des Jerusalemer Tempels. Vgl.
Ex 40,34-38; Lev 9,23f; Ez 1,28; 19,8-17; 43,4.7; 40-48. Dazu: W. Zimmerli, Grundriß,
65-68.

272
und Ausdruck der Präsenz des Namens. Diese Beschreibung ist allerdings
voraussetzungsreich.15 Die schöpfungstheologische Explikation der elementa-
ren Prädikation, also der sprachlichen Unterscheidung im Chaos der Dinge,
ist als ihre nächste Voraussetzung zu klären.

1.2 Elementare Prädikation im Chaos der Dinge

Der elementaren Unterscheidung des Namens vom Chaos folgt logisch die
Unterscheidung des Anfangs von der Wiederholung, des Rufs vom Satz, des
Himmels (als Ort göttlicher Gerechtigkeit) von der Erde (als Ort des Chaos),
des Vergangenen vom Zukünftigen. Nun wird aber der Gebrauch von Na-
men als Namen nur erlernt, wenn er vom Gebrauch von Prädikationen unter-
schieden werden kann. Daraus ergibt sich der nächste Schritt.

Prädikationen (oder Prädikatoren) seien hier Wörter, mit denen Unterscheidungen


(wie: fester Körper/durchlässiges Gas) angezeigt und vollzogen werden. Prädikatoren
heißen also Wörter, welche die Gegenstände in Beispiele und Gegenbeispiele eintei-
len und es erlauben, .etwas' als .Fall von', als .Beispiel für' anzusprechen. Prädikato-
ren können stets mehreren oder vielen Dingen zugesprochen werden. Sie sind von
Namen (1) durch die Art der durch sie möglichen Unterscheidungen abgehoben.
Denn Namen heben nicht Einzelnes als Beispiel für hervor. Vielmehr dienen Namen
dazu, Einzelnes als Einzelnes, d.h. jeweils genau einen Gegenstand, anzusprechen. In
bestimmten Kontexten erlauben Namen, Einzelnes als unvergleichlich von Ein-
zelnem abzugrenzen. Namen können (2) Einzelnes rein sprachlich vergegenwärtigen
(d.h. ohne deiktisches Aufzeigen, z.B. .Caesar'). Sie sind abgeschlossen. Prädikatoren
hingegen sind ergänzungsbedürftig, ungesättigt (.eroberte Gallien').16

Der Glaube, der von der Anrede zum Satz übergeht, lernt mit der bestimm-
ten Verwendung des Gottesnamens im Satz eine bestimmte Verwendung der
Prädikation (zusammen mit exemplarischen Prädikatoren und ihren Regeln).
Und er lernt, welchen Wahrheitsanspruch seine elementaren prädikativen
Sätze projizieren und inwieweit sie zu bewähren sind.17
Der Stern führt also in .Schöpfung' ein, indem er die beispielhaften Unter-
scheidungen biblischer Texte (v.a. von Gen 1,1-31) oder Sprachzeichen (z.B.
Segenshandlungen) grammatisch ordnet, den bestimmten Gebrauch der Prädi-
katoren charakterisiert, in ihrer logischen Geltung und Reichweite differen-
ziert und auf das Erlernen der Lebensform .Gesetz' hin beschreibt. Dieser

ls
Erst am Ende der Untersuchung wird daher ein durchgeführtes Beispiel gegeben: § 15.
16
G. Frege, Funktion und Begriff, 29.
17
Die Verwendung von Ding wird zusammen mit der Unterscheidung von Name und
Prädikator, also synsemantisch erlernt. Wenn im Deutschen Substantive, Adjektive, Verben
oder zusammengesetzte Ausdrücke als Prädikatoren fungieren können, so kann also auch
eine Handlung ein Ding sein.

273
erlernbare Schöpfungsglaube bewährt die Güte der Schöpfung, indem er
allmorgendlich neu das Chaos der Dinge durch elementare Prädikationen zu
unterscheiden beginnt.18
Die alltägliche Wiederholung der Benediktionen setzt eingeführte Unter-
scheidungen voraus. Die Schöpfung-im-Wort (Gen 1,3-31) stellt die exem-
plarische (nicht notwendigerweise vollständige!) Einführung elementarer Un-
terscheidungen dar. Genau dies formuliert ein Grundsatz Rosenzweigs, den
wir als Schlüssel zu seiner Schöpfungstheologie verwenden: „die Welt ist auf
Grund ihrer Kreatürlichkeit, ihres immer neuen Geschaffenwerden&ÖHwens,
schon gemacht; Gott hat sie auf Grund seiner ewigen Schöpfermacht schon
geschaffen, und nur deshalb ist sie ,da' und wird allmorgendlich neu." (S, 146,
Kursive HA) Dieser Grundsatz ist nun zu entfalten.

2. Schöpfung-im-Anfang

2.1 Metaphorik und kreatürliche Urteilskraft

„Entscheidend ist ..., daß das Eintreten in das Reden von Gottes rettendem
und neuschaffendem Handeln nicht heißt, daß nun die Welt der .mensch-
lichen' Sprache verlassen wird. Es tritt vielmehr eine Rede der anderen ge-
genüber. So ist mit Paulus zu sagen: .stellt euch nicht dieser Welt gleich, son-
dern laßt euch eure Form verändern durch die (eschatologische) Erneuerung
eurer Wahrnehmung und eures Denkens' [Rom 12,2]. Im Reden von Gott
wird die Grenze .der' menschlichen Sprache nicht als abstraktes Jenseits der
Sprache, sondern als die Grenze zwischen .altem' und .neuem' Reden kennt-
lich, aber sie wird an der Differenz zwischem diesem und jenem Reden
kenntlich."19 .Neuschöpfung in Christus' oder .Heimkehr in Abraham' sind
keine mysterienhaften Verwandlungen, vielmehr der Überschritt vom alten
und zum neuen Leben ,in Christus' oder vom fremden zum .ewigen Leben
des Volkes'. Dieser Überschritt von der alten zur neuen bzw. von der poli-
tisch-historischen zur messianischen Lebensform wird als Differenz zwischen
Symbolsystemen und Sprachen, ihren Regeln und ihrer Logik kenntlich.
Metaphorik thematisiert den Übergang von Sprache zu Sprache so, daß diese
Differenz übersichtlich darstellbar wird. Die verschiedenen Sprachspiele stehen

" Als Beispiel seien jene jüdischen Morgenbenediktionen angeführt, die elementare Unter-
scheidungen wiederholen und bewähren: beginnend mit dem Dank für die Rückgabe der
Seele nach dem Schlaf, werden im Verlauf der Morgenbenediktionen erneut und eigens
pradizien: der Leib mit seinen Öffnungen und Höhlungen; die Seele, die einst eingehaucht
wurde; die Unterscheidung von Tag und Nacht; die z.T. umstrittenen Unterscheidungen des
Menschen vom Tier, des Juden vom NichtJuden, des Freien vom Sklaven, des Manns von der
Frau; im weiteren Verlauf des Morgengottesdienstes: Licht und Finsternis, Sonne und
Himmelsleuchten, verschiedene Engel usw. (Sidur, 3-5.33f).
" H.G. Ulrich, Von Gott reden lernen?, 180.

274
nämlich „in einer dialogisch-dialektischen Beziehung und müssen sich nicht
in .einer' alles in sich versöhnenden und vermittelnden Sprache vermi-
schen".20 Metaphorik ist dabei, unter Aufnahme bereits erfolgter Analysen21,
in der Polarität von Sprachpragmatik und Sprachstruktur wahrzunehmen: Sie
ist ein Phänomen pragmatischen Sprachgebrauchs: „metaphor is that figure of
speech whereby we speak about one thing in terms which are seen to be sug-
gestive of another."22 Entscheidend war dabei u.a. die Entdeckung eines
genuinen Handlungs- und Urteilstyps: Sprachhandeln impliziert reflektierende
Urteilskraft und vollzieht sich stets auch als Kunst nach Kunstregeln. Zu-
gleich ist Metaphorik ein Phänomen der (semantisch oder syntaktisch dichten
oder diskursiven) Symbolstruktur einer Sprache: Metaphorik setzt eine eta-
blierte, explizit oder implizit geregelte, logisch konstruierbare oder notational
normierte Sprache, ein Begriffsschema und seine Sphäre, voraus.
Metaphorik ist zudem, wie ebenfalls bereits gezeigt23, nicht nur Phänomen
der Prädikation, sondern auch der Namens- und Satzreferenz und des Text-
verstehens24. Sie hat nicht nur semantisch-lexikalischen Status. Zu unterschei-
den sind mithin drei Formen metaphorischer Sprachverwendung: „Die Über-
tragung (Verwendung einer alten Äußerung in einem neuen illokutiven Sinn;
z.B. ,es zieht' als Aufforderung [anstatt als Feststellung]), die Projektion, oder
... ^syntaktische Metapher' (Verwendung einer alten Komplexbildungsweise in
einem neuen Sinn ...) und die (traditionell so genannte, nun in Abgrenzung
als .lexikalisch' zu bezeichnende) Metapher."25
Insbesondere das Phänomen der syntaktischen Metapher diente und dient
der Klärung intuitiver Einsichten, die Rosenzweig in seiner Grammatik des
göttlichen Namens und der geschöpflichen Prädikation nur andeutet. Es
erweitert den projektiven Charakter des Satzverstehens. Spontaner Bruch und
Veränderung eingeführter syntaktischer Regeln erklären, daß eine die Regeln
des Verstehens erst auffindende Urteilskraft im Satzverstehen unvermeidbar
ist. Urteilskraft durchsetzt das Satzverstehen und bildet sich mit ihm.

Dies zeigt sich beim Versuch, die natürliche Sprache durch das Vergleichsmedium
einer semantisch normierten logischen Sprache als hinreichend klares Verständi-

20
H.G. Ulrich, Von Gott reden lernen?, 180f.
21
Vgl. § 4,4.5 und § 5,4.5.
22
J.M. Soskice, Metaphor, 15. Metaphorik wird nicht nur rhetorisch verstanden. Sie hat
den Status eines logischen Abstraktors.
23
Vgl. § 10,3.
2
* Zur Metapher als Textphänomen: I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 218-227.
25
H J . Schneider, Phantasie und Kalkül, 410f. Schneider nennt als simples Beispiel einer
syntaktischen Metapher in einem (Wittgensteinschen) Sprachspiel den Satz: .Diese Platten
sind drei'. Ein eingeführtes Komplexbildungsmittel (Zahlwort, eingeführt in der Verwen-
dung: .Diese drei Platten sind unbrauchbar') taucht plötzlich an einer unüblichen, bisher von
Dingeigenschaften (.unbrauchbar') besetzten Stelle im Satz auf, wodurch zu einem neuen
Handlungszusammenhang übergegangen wird (Zählhandlungen).

275
gungsmittel zu rekonstruieren 26 : „Solange nicht der Grundcharakter der Sprache auf
... drei Weisen (keine syntaktische Komplexität, Einfrierender Anwendungsmöglich-
keiten oder Begrenzung der zugelassenen .Formen der Darstellung') verändert wird,
werden auch bei dieser differenzierten Sprache Semantik und Syntax immer wieder
auseinanderfallen. Dies ist ein Aspekt dessen, was man mit der Rede von der .Leben-
digkeit' einer Sprache zum Ausdruck bringt."27 Anders gesagt: Satzverstehen läßt
sich je am Beispiel nur als ein Zusammenspiel von Leistungen schematisierender und
reflektierender Urteilskraft als Einbildungskraft beschreiben.21

Syntaktische Metaphorik als logischer Terminus erlaubt, die Lebendigkeit der


Sprache und die Urteilsbewegung im Satz und im Satzverstehen übersicht-
licher darzustellen. Er weist darauf hin, daß Satzverstehen eine Urteilsbewe-
gung hervorrufen kann, die durch die projektive Verwendung semantischer
oder syntaktischer Elemente induziert wird und erst im Entdecken des neuen
Handlungszusammenhangs zur Ruhe k o m m t . Er erklärt, warum Satzver-
stehen explorative Urteilskraft verlangt, welche neue Gebrauchssituationen
und die in ihr geltenden Regeln entdeckt und sie in ihrer Differenz und
Ähnlichkeit zu bekannten Gebrauchssituationen und Regeln erkennt. Ver-
stehen ist dann Sich-Verstehen-auf, Fortfahrenkönnen, exploratives Weiterfüh-
ren in der neu eröffneten Sprache und Lebensform.

Diese formale Beschreibung syntaktischer Metaphorik dient im folgenden zur


Beschreibung inhaltlich bestimmter Glaubensrede. Da diese voraussetzungsreich ist,
kann der Terminus syntaktische Metaphorik nur analog verstanden werden. Dazu
sei nochmals an das Beispiel des Gottesnamens und des Namenssatzes erinnert: Als
Nominator im Aussagesatz vergegenwärtigt (spezifiziert, lokalisiert und identifiziert)
der Gottesname ,Gott' raumzeitlich wie ein prädizierbares ,Ding', ein Aspekt des
.Anthropomorphismus'. ET projiziert aber als metaphorischer ,Name' (indiziert durch
den Decknamen) die Rede zu ,Gott' in seiner genuinen Präsenz. Den Satz versteht,
wer den Gottesnamen im prädikativen Satz wie in seiner Gegenwart »ansprechend
aussprechen' lernt.29 Erst auf der Basis dieses explorativen Fortführens und Suchens
können Differenz und Ähnlichkeit der Bezugnahmeweisen beschrieben werden:
„Diese Innovation des Sinnes bildet die lebendige Metapher ... Kann man nicht
sagen, daß die Metapherndeutung, indem sie auf den Trümmern des wörtlichen

26
HJ. Schneider, Phantasie und Kalkül, 472-515. Die Logische Propädeutik von W. Kam-
iah und P. Lorenzen und das daran anschließende Projekt semantisch normierter Ortho-
sprachen gelten dabei als Paradigma.
27
H J . Schneider, Phantasie und Kalkül, 514, vgl. 507f.
21
Vgl. H J . Schneider, Phantasie und Kalkül, 565f.
29
Nicht bestimmte Namen und nicht bestimmte Prädikationen werden metaphorisch
gebraucht, sondern die logisch-syntaktischen Elemente ,Name' und .Prädikator' werden über-
tragen gebraucht. Es ist z.B. eine Regel der Verwendung des Prädikators (nicht von Prädika-
toren), wenn Rosenzweig fordert: „Die .Anthropomorphismen' der Bibel sind durchweg Aus-
sagen über gottmenschliche Begegnungen. Nie wird Gott ... beschrieben. Nie nämlich
werden zwei oder mehr .Eigenschaften' untereinander in Beziehung gesetzt, wie es doch das
Grundprinzip jeder Beschreibung ist" (Z, 737).

276
Sinnes eine neue semantische Pertinenz erstehen läßt, auch eine neue Referenzper-
spektive eröffnet, die gerade durch die Aufhebung der Referenz entsteht, die der
wörtlichen Deutung der Aussagen entspricht? Das Argument beruht auf der Propor-
tionalität: die andere, gesuchte Referenz verhielte sich zur neuen semantischen
Pertinenz wie die aufgehobene Referenz zu dem wörtlichen Sinn, den die semanti-
sche Impertinenz zerstört."30

Mit der Einführung des Begriffs .syntaktische Metapher' und dem Hinweis
auf das explorative Erlernen und Entdecken von Regeln und Gebrauchs-
situationen im Sprechen wird eine intuitive Einsicht Rosenzweigs zur Klar-
heit gebracht: Die logischen Denkelemente seien Konstruktionselemente, „die
den offenbaren Lauf der Sprache zusammensetzten, mathematische Elemente,
aus denen die Bahnkurve [sc. der wirklichen Sprache] zu entwickeln ist... Je-
ne Sprache der Logik ist die Weissagung einer wirklichen Sprache der Gram-
matik" (S, 121). Genauer: Die konstruierbaren Elemente des Sprechens und
Urteilens lassen erst die irreduzible, nicht-ornamentale Metaphorik in der
Sprache und im Sprachverstehen hervortreten.

Das Beispiel für diese Polarität ist Hermann Cohens Konstruktion des Jichud Ha-
Sehern in ihrer Alternanz. Die ursprungslogischen Elemente werden in diesem Urteil
projektiv verwendet, in einer Bedeutung, die sich gemessen an ihrer logischen
Einführung nicht mehr ausweisen läßt. Das meint Rosenzweigs Bemerkung: „Die
Vernunft, die im [sc. erzeugungslogischen] System Voraussetzung ist, wird hier wirk-
lich geschaffene, offenbarte Vernunft. Cohen selbst würde sich entsetzen, wenn wir
ihm diese Folgerung auf den Kopf zusagten" (Z, 226).

Die metaphorische Verwendung logisch-syntaktischer Elemente in gottes-


dienstlichen Sprachzeichen wird zum Paradigma: „Hier, in diesem Verhältnis
zwischen der Logik der Sprache und ihrer Grammatik, haben wir nun allem
Anschein nach schon den gesuchten Gegenstand, der Schöpfung und Of-
fenbarung verbindet... Die Weissagung der Urworte der Logik findet ihre Er-
füllung in den offenkundigen Gesetzen der wirklichen Worte, den Formen
der Grammatik." (S, 122) Die Grammtik der .Offenbarung' konzentriert sich
auf exemplarische Sprachbewegungen: die dialogisch-vokative Namenshomo-
logie, die benediktionale Prädikation und den doxologischen Satz ,ER ist gut'.
Vorausgesetzt ist in dieser Grammatik, daß der .Urgedanke der Sprache'
„zum methodischen Organon der Schöpfung geworden war" (S, 123).

,Offenbarung' hat im Stern den engen Sinn einer Grammatik des Sclfma Jisrael. Sie
erhält in diesen Sätzen aber den weiten Sinn einer Logik der Sprachzeichen, die aus
der Gabe des göttlichen Namens hervorgehen. Entsprechend hat .Schöpfung' den
engen Sinn einer Grammatik prädikativer Benediktionen. Es hat aber im jetzigen
Kontext den weiten Sinn des theologischen Begriffs von Metaphorik. Schöpfungs-

P. Ricoeur, Metapher, 226f; vgl. 192-208.236f.284f.

277
theologie in diesem weiten Sinn umfaßt die theologische Kritik jedes konstitutiven,
realistischen oder nominalistischen Bildes ,des' Wirklichkeitsbezug ,der' Sprache.

Der suggestive Totalbegriff eines Urgedankens der Sprache ist irreführend. Er


kann nur als kritischer Reflexionsbegriff gelten. Als solcher dient er dazu, den
schöpfungstheo-logischen Status exemplarischer Sprachzeichen näher zu um-
schreiben: Die Sprachzeichen Benediktion, Homologie, Doxologie sind para-
digmatisch, sofern sich in ihnen Alternanz vollzieht, Sprachhandeln sich als
Widerfahrnis darstellt:
In diesen Sprachhandlungen kann die Erneuerung des Sinns (Rom 12,2) wi-
derfahren, der Übergang in Sprache und Lebensform der Geschöpflichkeit.
Solche Erneuerung wird bei Rosenzweig charakteristischerweise nicht als Neu-
schöpfung, sondern als gestaffelte Rückkehr in die anfängliche Schöpfung be-
schrieben: Die Lehre von der Schöpfung-im-Anfang enthalte „die versiegelte
Weissagung, daß Gott Tag um Tag das Werk des Anfangs erneuert. Das Wort
des Menschen ist Sinnbild: jeden Augenblick wird es im Munde des Sprechers
neu geschaffen, doch nur, weil es von Anbeginn an ist und jeden Sprecher,
der einst das Wunder der Erneuerung an ihm wirkt, schon in seinem Schoß
trägt. Aber dies ist mehr als Sinnbild: das Wort Gottes ist die Offenbarung,
nur weil es zugleich das Wort der Schöpfung ist. Gott sprach: Es werde Licht
- und das Licht Gottes, was ist es? des Menschen Seele." (S, 123) Metaphorik
ist nur Sinnbild der schöpferischen, projektiven Lebendigkeit der Sprache.
Mehr als Sinnbild ist sie, wenn in dieser Lebendigkeit ein bestimmter Ort
projiziert ist. Metaphorik projiziert dann den Übergang ins Geschaffen-
werden über dem Handeln. Diesen Übergang in die Mitgeschöpflichkeit, in
die Zugehörigkeit der .Seele' zur .armen Kreatur' und der Kreatur zur .na-
mengeborenen Seele', nennt der Stern .Erlösung durch das Gesetz', gemein-
same Rückkehr in Geschöpflichkeit als messianische Lebensform. Für dieses
Geschaffenwerdenkönnen über dem Handeln ist sprachliches Handeln und
insbesondere Metaphorik Paradigma. Eingeführte handlungstheoretische Un-
terscheidungen wie „Verwirklichung (Akt), Handlung, Herstellung und
Bewegung" greifen nicht mehr und sind zurückzunehmen.31 Im Erlernen
exemplarischer Sprachzeichen und ihrer (Kunst)Regeln bildet sich mit der
Sprache die Lebensform neu, widerfährt das .Wunder der Erneuerung' an
Menschen (Sprechern) und Dingen. Dieses „Wunder ist wesentlich .Zeichen'"
(S, 105)32. Erneuerung des Sinnes und der Dinge ist Zeichen verheißener
Rückkehr in die Schöpfung-im-Anfang, in die eschatologische Ruhe.

31
P. Ricoeur, Metapher, 295, im Kontext der Frage nach dem Ort der lebendigen Meta-
pher, welche ,die Dinge in ihrer aktuellen Verwirklichung vor Augen führt' und ,im Auf-
blühen ihrer Erscheinung' zeigt (Aristoteles, Rhetorik 1411b 24f; 1412a 12).
B
Zeichen ist im Stern prophetisches Zeichen: „Der Prophet ... enthüllt voraussehend das von
der Vorsehung Gewollte; indem er das Zeichen sagt .... beweist er das Walten der Vorse-
hung" (S, 105).

278
2.2 Schöpfung-im-Anfang: Anfangen ohne Anfangenkönnen

Die Schöpfung-im-Anfang begründet, warum der Glaube Tag für Tag neu an-
fängt, nicht: neu anfangen kann, im Chaos der Dinge zu unterscheiden, um
im Pradizieren die Güte der Dinge zu bewähren; inwieweit er darin in der
Tat produktiv und explorativ seine Welt aufbaut; und warum er gleichwohl
im Unterscheiden und Erkennen das ,Schon-Da-Sein' der Dinge behauptet.
Die Lehre von der Schöpfung-im-Anfang formuliert, warum handelnd und
redend vom ,Schon-Da-Sein' ausgegangen werden kann, ohne eine Onto-
theologie von .Existenz' zu beanspruchen. Das Chaos der Dinge bleibt der
„Erstling der Schöpfung ... dieses Chaos ist in, nicht vor der Schöpfung; der
Anfang ist - im Anfang." (S, 148)
Die rabbinische Unterscheidung von Schöpfung-im-Anfang (m 's'b br'syt) als
Geheimnis und Schöpfung-im-Wort erhält damit neuen Sinn.33

Die Unterscheidung v o n Schöpfung-im-Anfang u n d Schöpfung-im-Wort geht auf


rabbinische Sprach- u n d Schweigeregeln zurück. 3 '' Diese traditionelle Unterscheidung
w i r d aber verändert: Die Schöpfung-im-Anfang (zusammen mit dem T h r o n w a g e n
der Herrlichkeit Gottes, merkabd) galt nach dieser Regel inhaltlich als arcanum u n d
funktional als secretum rabbinischer Theologie. 3 5 Die Versuche magischer oder speku-
lativer D u r c h d r i n g u n g der göttlichen Schöpfung, als Namens-Mystik oder Namens-
Magie 36 , wurde n zunächst autoritär eingedämmt, nicht theologisch widerlegt. Erst als
der N a m e Gottes (und zwar schon in der rabbinischen Theologie) nicht m e h r als
magisches göttliches Zeichen galt, k o n n t e er als das die T o r a generierende Zeichen,
als Grundsatz reinterpretiert werden. Die Schöpfungsmittlerschaft des N a m e n s
w u r d e nicht m e h r emanatistisch, sondern gesetzestheologisch interpretiert. 3 7 Auf
diesen praktischen Sinn der rabbinischen Esoterik beruft sich H e r m a n n C o h e n : Die

33
Diese Unterscheidung ist auch in der christlichen Lehrtradition geläufig, allerdings mit
differentem Sinn: Die altprotestantische Lehre unterscheidet die creatio als productio ex nihilo
pure negativo (Gen 1,1 bzw. 1,1-3; articulus fidei mixtus) von der creatio ex materia quidem
(Gen 1,4-31; articulus fidei purus): C.H. Ratschow, 2,163, §§ 161.164.166. Schleiermacher
setzt die Zäsur zwischen Anfangsschöpfung als Gefühlssymbol und erhaltender Vorsehung
{creatio continua): F.D.E. Schleiermacher, Dialektik, 301f. Das Verhältnis von vernünftiger
und offenbarer Schöpfungserkenntnis kehrt sich bei ihm um.
34
G.A. Wewers, Geheimnis, enthält alle dafür einschlägigen rabbinischen Texte. Grundtext
ist: Chag 11,1/BerR 1,1 (4,4-7)AChag II, la; Chag II 7a (ebd., 4-13). Was vom Werk der
Schöpfung bzw. vom Text in Gen 1 geheimzuhalten ist, blieb strittig (Wewers, Nr. 25;
84a-d; 94; S.121.164.247f).
35
G.A. Wewers (X, 240) unterscheidet zwei Stränge im rabbinischen Geheimnis-Begriff:
eine inhaltlich motivierte Esoterik (das Geheimnis als arcanum des kosmologischen Anfangs)
und eine funktional motivierte Esoterik (die Geheimhaltung, das secretum der dem schriftge-
lehrten Rabbinat vorbehaltenen Spekulation über die Anfangsschöpfung).
36
Dazu: G. Scholem, Name, 19f.28-31.53f; G.A. Wewers, Geheimnis, 124-131.
37
G.A. Wewers, Geheimnis, Text 82a-d, S.124-127.128-133.318 Anm. 38-40, v.a. 133:
„Der Gottesname ist nicht mehr allein Gott, sondern primär von der gleichen Beschaffenheit
wie die göttliche Offenbarung" im Gesetz.

279
Schöpfung-im-Anfang sei Grundlegungs-Idee für das Wunder der beständigen Reini-
gung durch Gott und vor Gott; sie verbürgt je neu Umkehr und Leben des Sünders
vor dem Namen. Das secretum rabbinischer Theologie wird zum mysterium der
Vernunftreligion: „Nicht der Anfang bildet so sehr das Wunder, als vielmehr die Be-
ständigkeit im Werden, der Bestand im Wechsel ... Die Erneuerung ist demgemäß
nicht die Erneuerung aus dem Chaos oder aus dem Nichts - dann hätte es bei der
Schöpfung sein Bewenden haben können. Die Erneuerung hebt vielmehr jeden
Punkt im Werden wie einen neuen Anfang hervor" (RV, 80f, vgl. RS, 48f).

Rosenzweig setzt namenslogisch an: Für ihn umschreibt Gen 1,4-31 die Ein-
führungssituation elementarer Prädikationen und Unterscheidungen im Chaos
der Dinge. Dieser Text lehrt elementare prädikative Unterscheidungen,
elementare Prädikatorenregeln und einen bestimmten Gebrauch der Prädi-
kation. Er lehrt die Grammatik von Schöpfung als Lebensform. Die oberflä-
chengrammatische Gleichförmigkeit der Sätze in Gen 1 darf dabei nicht
täuschen: Die Sätze in Gen 1,1-3 haben besonderen Status. Das ist der Sinn
der Unterscheidung zwischen der Schöpfung-im-Anfang und der Schöpfung-
im-Wort.

- ,Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde' (Gen 1,1); dieser Satz
formuliert einen namenstheologischen Grundsatz, der über die Frage des
logischen Anfangs im Prädizieren Rechenschaft gibt. Dieser Grundsatz hat
weder ontologische noch kosmologische Valenz.
- Die sog. Billigungsformel, die Behauptung der Güte des Daseins der Dinge
(Gen I,4a.l0b.l2b.l8b.21b.25b; V.31 ist ein Sonderfall), formuliert den Modus
des Prädizierens als Benedizieren.

Beide Regeln „make ... intrasystematic rather than ontological truth claims".38
Die Logik und Grammatik, die aus diesen Grundsätzen folgt, entwirft keine
Referenztheorie noch antwortet sie auf Aporien von Referenztheorien.
Weder zeitliche Existenzsätze (singulare Existenzsätze, z.B. ,Ich bin, Ich bin
meine Zeit') noch externe Existenzsätze (z.B. ,wie gut, daß überhaupt etwas
ist') sind in ihr von Bedeutung. Die Kritik solcher Sätze als „Unsinn", als
Mißbrauch des Aussagesatzes, kann dahingestellt bleiben.39 Doch geht sie
von der Verwunderung aus, daß überhaupt Sprache schon da ist, auf die sich
,Heiden, Juden und Christen' in einer gemeinsam geteilten Welt verlassen, nicht:
verlassen können.

„... die Sprache ist wahrhaftig die Morgengabe des Schöpfers an die Menschheit und
doch zugleich das gemeinsame Gut der Menschenkinder, an dem jedes seinen beson-
deren Anteil hat, und endlich das Siegel der Menschheit im Menschen. Sie ist ganz
von Anfang, der Mensch wurde zum Menschen, als er sprach; und doch gibt es bis

38
G.A. Lindbeck, The nature of doctrine, 80, vgl. 69.
39
L. Wittgenstein, Vortrag über Ethik, 14f.

280
auf diesen Tag noch keine Sprache der Menschheit, sondern die wird erst am Ende
sein. Die wirkliche Sprache zwischen Anfang und Ende aber ist allen gemein und
doch jedem eine besondere; sie verbindet und trennt zugleich." Aber sie wird „be-
herrscht von dem Ideal der vollkommenen Verständigung, das wir uns vorstellen
unter der Sprache der Menschheit."40

Das apostrophierte, kontrafaktische Ideal der Verständigung weist nicht auf


eine Theorie kommunikativen Handelns voraus.41 Trotz des transzendental-
pragmatischen Klangs dieser Sätze: Es ist der religiöse Glaube an die Un-
reinheit der Sprache, der in der Präsenz des Namens gewonnen wird, und es
ist die Hoffnung der gereinigten Lippe, die in diesen Sätzen zugrundeliegt. Sie
lassen sich weder zu einer Theorie kommunikativen Handelns generalisieren,
noch zur radikalen Skepsis einer Sprachtheorie, nach welcher das .Geheimnis
der Sprache', der göttliche Name, unhörbar geworden sei.42
Rosenzweigs Lehre von der Schöpfung-im-Anfang thematisiert kritisch-
namenstheologisch die Aporie der Verständigung, Begründung und Verifika-
tion religiöser Rede und ist in dieser Hinsicht dem internen Realismus Hilary
Putnams vergleichbar: „Der Gedanke, alles, was wir glauben, sei bestenfalls
nur ,in unserem Sprachspiel wahr', ist nicht einmal ein kohärenter Gedanke:
Ist denn die Existenz unserer Sprache selbst nur ,in unserem Sprachspiel
wahr'? Ist unser Sprachspiel also etwas Fiktives?"43 Skeptischer Zweifel und
schwache Letztbegründungen des Bedeutungsverstehens sind demnach Kehr-
seiten einer Medaille. Alltägliche Redepraxis verläßt sich darauf, „daß manche
Dinge wahr, manche Dinge gerechtfertigt und manche Dinge vernünftig sind,
aber das können wir natürlich nur sagen, wenn wir über eine geeignete
Sprache verfügen. Über diese Sprache verfügen wir tatsächlich, wir können es
sagen und wir sagen es tatsächlich, obwohl die Sprache ihrerseits nicht auf
einer metaphysischen Garantie wie der Vernunft beruht. Worauf beruht sie
wirklich?"44 Die Antwort ist, Putnam zufolge, bestürzend schlicht:

„508. Worauf kann ich mich verlassen?


509. Ich will eigentlich sagen, daß ein Sprachspiel nur möglich ist, wenn man sich
auf etwas verläßt. (Ich habe nicht gesagt ,auf etwas verlassen kann'.)"45

Die namens- und also schöpfungstheologische Gammatik prädikativer Rede


bildet eine theologische Form der Darstellung, in der gesagt werden kann,
worauf man sich verläßt, also wo und inwiefern bestimmte prädikative Sätze
begründet und gerechtfertigt sind. Diese Sätze sind Beispiele, die explorativ

40
S, 122, vgl. 162-164.
41
J. Habermas, Der deutsche Idealismus der jüdischen Philosophen, 99-125.
42
G. Scholem, Name Gottes, 70.271 (mit Verweis auf Kafka).
43
H. Putnam, Erneuerung, 223.
44
H. Putnam, Erneuerung, 224.
45
L. Wittgenstein, Über Gewißheit, 131.

281
erlernt und fortgeführt werden sollen. Metaphorik der in ihnen verwandten
Sprachzeichen ist dann prinzipiell nicht zu reduzieren, sondern selbst theolo-
gisch zu beschreiben.
Der kritische Grundsatz der Schöpfung-im-Anfang formuliert theologisch
die Aporie, daß sich religiöse Rede im Erlernen einer Sprachpraxis auf
Sprachzeichen verläßt, ohne sich auf systematisch rekonstruierte Bedeutungen
verlassen zu können. Daß er nicht zum „Prinzip der faulen Vernunft" wird
(KrV, B 801; 4,654), gründet hier in der Hoffnung auf Reinigung der Lippe.
Insofern formuliert er Geschöpflichkeit als Geheimnis der messianischen
Lebensform .Gesetz' und des neuen Lebens ,in Christus'.

282
§ 12 Messianische Ökonomie und Grammatik des Segens

1. Messianische Ökonomie

Wie Maimonides und Cohen bestimmt Rosenzweig Schöpfung als „ruhige,


wesenhaft ins Dauernde hinausgestellte, unendliche .Eigenschaft'" Gottes
(S, 125).' „Gott der Schöpfer ist wesentlich mächtig. Sein Schöpfertum also ist
Allmacht, ohne Willkür zu sein. Gott, der in der Schöpfung Sichtbare, kann
alles, was er will; aber er will nur, was er aus seinem Wesen wollen muß." (S,
125). Charakteristisch für Rosenzweig ist der Status solcher Aussagen: Sie
gelten als Bild. Das Bild des wesentlich erschaffenden Gottes bildet nicht ab.
Es begründet und instruiert Prädikation der Dinge als Geschöpfe.2
Das wesentliche Schöpfersein Gottes ist immerwährender Grund der Dinge,
ihres allmorgentlich neuen Schon-Da-Seins. Die Korrelation von Schöpfersem
und Geschöpfwrc/en markiert eine wichtige Differenz: „So ist der Satz ,Gott
schuf die Welt' uneingeschränkte Wahrheit nur für die Beziehung zwischen
Gott und Welt; nur für sie gilt die Vergangenheitsform ... des Satzes; ... die
Schöpfung der Welt braucht ihr Ende erst zu finden in der Erlösung; erst von
dort aus ... und von dort aus gesehen dann allerdings unbedingt, müßte sie
.Schöpfung aus Nichts' sein ... In der göttlichen Schöpfung aber am Weltmor-
gen braucht die Welt nicht ein .fertig' Geschaffenes .geworden' zu sein,
sondern vorerst noch weiter nichts als - Geschöpf. Was von Gott aus gesehen
Schöpfung ist, kann von ihr aus gesehen nur den Hervorbruch des Bewußt-
seins ihrer Geschöpflichkeit, ihres Geschaffenwerdens bedeuten ... Ihr Ge-
schaffenwerden wäre von ihr selber her gesehen ihr Sich-Offenbaren als
Kreatur. Als Kreaturbewußtsein, also als Bewußtsein nicht des einmal
Geschaffenwordenseins, sondern des immerwährenden Geschöpfseins" strahlt
es zurück auf das Schöpfersein Gottes, so, daß sich dieser darin als der Vorse-
hende bestimmt: die wechselseitige Zuwendung „vergegenständlicht sich im
Gedanken der göttlichen Vorsehung" (S, 132f).
Es wird also unterschieden zwischen Schöpfung (nomen acti) im Blick auf
Gott und Schöpfung (nomen actionis) im Blick auf die Dinge: Das wesentli-
che Schöpfersein Gottes ist immerwährender Grund ihrer Erneuerung; die

1
S, 125.128.131; H. Cohen, RV 76. Zu Maimonides: D. Burrell, Knowing, 71-108.
2
Kants ontotheologischer Abgrund (§ 4,1) ist negationsdialektische Voraussetzung der
Rede vom Schöpfer: „Gottes Macht äußert sich mit reiner Notwendigkeit, weil und gerade
weil ihr Inneres reine Willkür, bedingungslose Freiheit ist" (S, 128). Rosenzweig verdeckt
hier aber unter dem Einfluß Schelling'scher Theosophie vom .Inneren und Äußeren Gottes'
die klare Einsicht, daß Umkehrung innerer absoluter Willkürfreiheit ins wesentliche Er-
schaffen zugleich Alternanz im logischen Status der Rede impliziert: die ontotheologische Idee
wird zum rhetorisch erzählten Bild. Dies unterscheidet Rosenzweig von Schellings Programm
negativer und positiver Philosophie der Offenbarung.

283
anfängliche Schöpfung der Dinge ist eschatologische Verheißung. Die Pointe
ist die Verschränkung beider Begriffe: Diese Verheißung, daß der Einzige alles
in allem gewesen sein wird, ist in der Schöpfung-im-Anfang versiegelt. N u r
G o t t selbst in seiner Treue zur Verheißung in ihrer gestaffelten Erstreckung
bewährt das anfängliche .Sehr gut' (Gen 1,31). „Das Ja des Schöpfers ist
stärker, gewichtiger, vorwärtstreibender als das Noch-Nicht der Welt!" 3
D e r gestaffelten Erstreckung der Anfangsverheißung, als der göttlichen
Ökonomie, korreliert die gestaffelte Rückkehr der Dinge in die ihnen verhei-
ßene Schöpfung. Z u m ersten Mal deutet sich hier der genuine .Messianismus
der Welt als Schöpfung' an. Rosenzweigs Lehre v o m Gesetz ist ohne diesen
Messianismus nicht zu verstehen. 4 Durch das Gesetz erlöst Israel im messia-
nischen Handeln Dinge zur Rückkehr in die Schöpfung: „Der Augenblick
der Schöpfung war zugleich der Augenblick der größten Freiheit, die er [der
Schöpfer] ihr überhaupt gegeben hat. N u n n i m m t er sie wieder ... Das Gesetz
ist der Weg, auf dem die in der Schöpfung hinausgeschleuderte Welt ihren
Weg zurück findet und Gott sich wieder einigen läßt." (Z, 627)

Diese gestaffelte Ökonomie der Dinge und ihrer messianischen Wahrnehmung stellt
für den Aufbau des Sterns „eine Schwierigkeit" dar, „deren Lösung jedoch ein Licht
über den ganzen bisher zurückgelegten Weg werfen wird" (S, 243, vgl. 98f, 132). In
der Tat wird dieser Messianismus der Dinge nur sukzessive entfaltet. Und erst am
Ende der gesamten Darstellung wird er rückblickend formuliert: „die eigentümliche,
uns schon mehrmals aufgefallene Verkehrung der Zeitfolge für die Welt erhält jetzt
ihre anschauliche Bestätigung. Der Welt geschieht ja in ihrer Schöpfung das Erlebnis
des Erwachens zum eignen offenbaren Bewußtsein ihrer selbst, nämlich zum Be-
wußtsein der Kreatur, und in der Erlösung erst wird sie eigentlich geschaffen, erst da
gewinnt sie jene feste Dauerhaftigkeit, jenes beständige Leben statt des augenblicks-
geborenen immer neuen Daseins. Diese Verkehrung der Zeitfolge, wo also für die Welt
das Erwachen dem Sein vorhergeht, begründet das Leben des ewigen Volks. Sein ewiges
Leben nämlich nimmt ständig das Ende vorweg und macht es so zum Anfang" (S,
467, Kursive HA). Die jüdische Lebensform der Hoffnung unterscheide sich darin
von der christlichen Hoffnung, wie sie das Harren der Dinge auf Erlösung wahr-
nehme. Diese messianische Wahrnehmung der Dinge ist nicht-kreuzestheologisch: Es
ist nicht das Seufzen des Geistes in den bereits offenbar gewordenen Kindern Gottes
vor Gott, in welchem die Kreatur mit ihnen und sie mit der Kreatur im Erharren
der Hoffnung leibhaft aneinander gewiesen sind (Rom 8,26.23). Ort der Zusammen-
gehörigkeit ist das .ewige Volk', das in seinem .messianischen Leben' bereits die
sabbatlich vollendete Welt vorwegnimmt. .Die arme Kreatur' harrt des verwandeln-
den Werks, um in diesen sabbatlichen Frieden mitverwandelt zu werden: „Und das
tut das ewige Volk. Es lebt für sich schon so, als ob es alle Welt und die Welt fertig
wäre; es feiert in seinen Sabbaten die sabbatliche Vollendung der Welt und macht sie zur

' G. Sauter, Zukunft, 175.


4
Zur Darstellungsweise in diesem Paragraphen ist zu bemerken: Vorgriffe sind unvermeidbar!
Die Zweckmäßigkeit mancher in diesem Kapitel eingeführten Unterscheidung erhellt sich
erst in ihrem Zusammenhang mit der Lehre vom Gesetz, die der nächste Paragraph enthält.

284
Grundlage und zum Ausgangspunkt seines Daseins." (S, 467, Kursive HA) Während im
Jichud das .ewige Volk' schon bei Gott ist, ist die Hoffnung der Kreatur noch nicht
offenbar.
Die zeitgenössische Diagnose einer , Verdinglichung'5 wird zum Entdeckungszusam-
menhang einer Lehre des Gesetzes, welche das messianische Handeln im Gesetz als
.Verwesentlichung der armen Kreatur' entfaltet: „Kreatur allein ist also recht eigent-
lich das ,arme Geschöpf, das, sowie es sich, wie es das als Natur und überhaupt im
Weltbegriff der modernen Wissenschaft tut, aus dem starken Schutz der göttlichen
Vorsehung herauswagt, stets, weil in sich selbst wesenlos und also bestandlos, ins
Nichts wegsinkt. Damit sie Gestalt werde, Reich und nicht bloß augenblicksgebun-
den erscheinendes Dasein, muß sie Wesen kriegen" (S, 247).6

2. Grammatik des Segens

„Was von G o t t aus gesehen Schöpfung ist, kann von ihr [sc. der Welt der
Dinge] aus gesehen n u r den Hervorbruch des Bewußtseins ihrer Geschöpf-
lichkeit, ihres Geschaffenwerdens bedeuten ... Ihr Geschaffen werden wäre
von ihr selber her gesehen ihr Sich-Offenbaren als Kreatur." (S, 133) Die
paradoxe Behauptung, daß die Dinge Gott ihr Geschaffenwerden offenbaren,
in welcher Offenbarung sich Gottes schöpferische Erhaltung und Vorsehung
vollzieht, beschreibt, so interpretieren wir, Charakteristika hymnischer Rede:
Irdische und himmlische Geschöpfe kehren Tag für Tag, „ohne Worte und
ohne Reden, unhörbar bleibt ihre Stimme" (Ps 19,4), ihr .Dasein' dem Schöp-
fer zu (Ps 103,20-22; 145,10). Sie wenden sich dem zu, der ihrem .Dasein' im
Schöpfungswort beständige Dauer verleiht und es als sieb wiederholendes
Dasein erhält. 7 Die worthafte Erschaffung dieses .Daseins der Dinge' legt den
G r u n d für diese H i n w e n d u n g und Rückwendung des .Daseins' wie auch (z.B.
in der Unterscheidung nach Arten bzw. Geschlechtern) den Grund für eine
differenzierte Unterscheidungspraxis und Grammatik des Segnens}

Die Bedeutung von Segnen {brk), die bei Rosenzweig zugrunde zu legen ist, geht aus
von der Institution des Grußes (salutatio) und übersetzt brk mit: .Gedeihen fördern,
durch Be- oder Auszeichnung hervorheben (signare); jemandem etwas Gutes sagen
(benedicare)'. Die Grundbedeutung ist dabei: beachten, sich zuwenden; Aufmerksam-

5
Vgl. die Abhandlung G. Lukacs' aus dem Jahre 1922: Die Verdinglichung und das Be-
wußtsein des Proletariats. K. Löwith konnte in dieser Hinsicht Rosenzweig zu Recht den
eigentlichen Zeitgenossen der Daseins-Analyse Heideggers nennen: K. Löwith, M. Heidegger
und F. Rosenzweig, 72.83-85.
6
S, 246f skizziert Stadien der Verdinglichung des Dings unter den Stichworten: Verzaube-
rung, Entzauberung und Verwesentlichung.
7
Exegetisch ist auf die Relation von Wortbericht und Tatbericht in Gen 1 zu verweisen:
O.H. Steck, Schöpfungsbericht, 66-70; H. Seebass, Genesis I, 62.68.
' Zum exegetischen Hintergrund: W.H. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 107.123.146f.

285
keit lenken auf; sich als beachtet erfahren und Beachtung widerfahren lassen (im qal).9
Segnen gilt gleichsam als intensiver Gruß. Dies ist auch die Grundbedeutung im
Stern: Segnen ist Gruß Gottes (gen. subj. und obj.), Aufleuchten seines Angesichts.
Das Segnen Gottes findet sein Korrelat im Segnen Gottes durch die Geschöpfe und
im Gruß der Erwählten.10 Dieses Segnen Gottes bewährt die Ökonomie des gött-
lichen Segens. Es unterscheidet sich darin, als wer Gott gegrüßt und anerkannt wird.
Diese Differenz im einzelnen herauszuarbeiten, ist Aufgabe der Grammatik der
Benediktion und der messianischen Doxologie. Der Segen wird aber nicht nur als
Sprachzeichen, sondern zuletzt auch als exemplifizierendes, eschatologisches Zeichen
verstanden: Als Proskynese vor dem Namen, in welcher der Name von der Ge-
meinde Besitz ergreift und sie zum endlichen Zeichen des Friedens und der Wahrheit
wandelt: „Dies Leuchten des göttlichen Angesichts allein ist die Wahrheit. Sie ist kei-
ne für sich frei schwebende Gestalt, sondern allein das aufleuchtende Antlitz Got-
tes." (S, 465)

Segnen verlangt Unterscheidung der Dinge und Zeiten] Im sog. 18-Bitten-Gebet


(Amida) folgt auf die Heiligung des Namens („Du bist heilig, und dein Name
ist heilig, und Heilige preisen dich jeden Tag"") der Dank und die Bitte für
die Gabe der Bina (bynh), des Urteilssinns als Unterscheidungssinn12: „Du
begnadest den Menschen mit Erkenntnis (d't) und lehrst den Menschen
Unterscheidung {bynh), begnade uns von dir mit Erkenntnis, Unterscheidung
und Verstand (skl)." Der Talmud erläutert lakonisch: „Bina folgt auf Kedu-
scha, weil Verstand aus der Heiligung Gottes entsteht" (bMeg 17b, vgl.
Jes 29,23f). Die Benediktion über Dingen, Ereignissen und Geboten verlangt,
die jeweilige Gebrauchssituation zu unterscheiden, um das differenzierte
Dabeisein Gottes als die bestimmte Güte der Dinge und Ereignisse zu treffen.

2.1 Schöpfungssegen und wachsendes Lebenn

Der in sich differenzierte Schöpfungssegen Gottes14 über den (tierischen) Le-


bewesen (Gen 1,20-22), über dem Menschen (adam) als Mann und Frau (Gen
1,28; vgl. Gen 5,1) und über dem Siebten Tag (Gen 2,3, vgl. Ex 20,11) spricht
Dingen ein Doppeltes zu: sich wiederholendes .Dasein', welches auch dem

' Piel: jemanden oder etwas hervorheben; pual: beachtet gemacht werden; hitpael: Beach-
tung genießen, an der Beachtung teilhaben; nifal: sich als (gebührend) beachtet erleben:
T. Arndt, Überlegungen, 49-54; M. Frettlöh, Gottes Segen, 36-56.
10
Zur strittigen Übersetzung des auf Gott bezogenen brk: lobendes Danksagen: Keller/
Wehmeier, Art. brk, 361f.
11
Sidur, 42.
12
So z.B. auch Trepp, 75: Es geht bei bina „um das Verständnis der Unterschiede der
Dinge der Welt. Die Erkenntnis des Unterschieds zwischen Sabbat und Wochentag gehört
somit folgerichtig in diese Beracha."
15
Das in diesem Abschnitt vorgreifend Skizzierte wird in § 13,3 und 4 entfaltet.
14
Theologisch aufschlußreich kommentiert bei M. Frettlöh, Gottes Segen, 307-329.

286
unbelebten .Dasein' zukommt 1 5 ; vor allem aber genuines, d.h. nicht-konatives
und nicht-teleologisches, .wachsendes Lehen'}1'

.Leben' bedeutet hier: „Übergang zum Anderen"". Dieses Verständnis vom .wachsen-
dem Leben' bildet schöpfungstheologisch die Grundlage, um das messianische Han-
deln im Gesetz als Frucht des Reiches Gottes zu beschreiben. .Wachstum des Lebens'
bemißt sich nicht am Zeitfortschritt, sondern beschreibt Dinge unter dem Aspekt
der Hoffnung, die sich gerade als Mangel an Sein und Wahrheit an ihnen zeigt.
Dinge harren der Erlösung, verlangen „noch zu ihrem eigenen inneren Wachstum,
dem prekären, weil nie seiner Dauer gewissen, Wachstum des Lebens, eine Wirkung
aus einem Außen hinzu. Diese Wirkung durchwirkt ihre Lebendigkeit in der Tat der
Erlösung" (S, 251). Erst ein „Dasein, das einmal ins Reich eingegangen ist, kann
nicht wieder herausfallen, es ist unter das Einfürallemal getreten, es ist ewig gewor-
den" (S, 250). Das Wachstum des Lebens ist in diesem Übergang vorausgesetzt, aber
davon zu unterscheiden.

2.2 Messianischer und eschatologischer Urteilssinn1*

Die Praxis der Benediktion (als Beispiel des Gesetzeswerkes) verlangt, bestän-
dig zu unterscheiden: Dinge werden rubriziert, z.B. nach rein und unrein,
Gesetze situativ appliziert, bestimmte Ereignisse und Anlässe segnend identifi-
ziert. 19 V o n besonderer Bedeutung ist in dieser Unterscheidungspraxis aber
die Unterscheidung liturgischer Zeiten und Tage nach ihrer Heiligkeit (z.B.
Werktag und Sabbat; Sabbat und Festzeit).

Eine der Grundaussagen über die Entstehung des liturgischen Gebets nennt vier
Grundformen des Gebets: „Die Männer der Großen Versammlung ordneten für
Israel Berachot [Segnungen] und Tefillot [Bitten], Keduschot und Havdalot an"

15
Der Segen des Siebten Tages ist ein Sonderfall, s. Abschnitt 4.4 Zum Aspekt genuiner
Wiederholung als Sinn des Segens, auch im Blick auf Gen 2,1-3: O.H. Steck, Schöpfungs-
bericht, 193f. Segen begründet nach dieser Deutung .Wiederholung, Institutionalisierung': In
der regelmäßigen Paarung, in der Fortpflanzung wie auch in der Nahrungsaufnahme, in der
Ehe, im (für Gott) regelmäßig wiederkehrenden Siebten Tag (ebd., 64f.l56).
16
Diesen Aspekt betont exegetisch z.B. W.H. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 148;
H. Seebass, Genesis I, 76f (Segen nicht auf Fortpflanzung des Lebens zu verkürzen).
" E. Levinas, Vorwon, 16. Das organische Leben ist nur Beispiel eines umfassenderen Le-
bensbegriffs: „Nicht bloß Lebewesen, sondern auch Institutionen, Gemeinschaften, Gefühle,
... Werke - alles, ja wirklich Alles kann lebendig sein." (S, 248) Was gesegnet werden kann,
dem kommt .wachsendes Leben' zu. Daher ist alles, was benediktional prädiziert werden
kann, lebendig.
18
Zur Entfaltung: §§ 13,2 und 3.
Die nicht gottesdienstlichen Benediktionen werden in drei Gruppen unterteilt: Benediktio-
nen vor und nach dem Genuß von Essen und Trinken o.a. (v.a. birkät hämmazon, der
Tischsegen); Benediktionen vor der Erfüllung von Geboten (birkot hammizwöi); Benediktio-
nen bei besonderen Anlässen (P. Schäfer, Benediktionen, 561f).

287
(bBer 33a). Es gibt Versuche, diese Formen als elementare Unterscheidungshand-
lungen .jüdischen Lebens' zu interpretieren.20 Doch ist dabei zu differenzieren: Auf
die hymnische Benediktion Gottes, die Grundform des Gebets, geht die Grund-
struktur aller Gebete zurück. Sie besteht aus einer Konstanten: der Anrede Gottes,
und einer Variablen: einem prädizierendem Relativsatz mit finitem Verb oder
Partizip. Unbesehen von Varianten im attributiven Relativsatz, bleibt die Anrede
Gottes konstant. Sie enthält in der Regel die Baruch-Formel, Deckname und Herr-
schaft Gottes: „Gelobt seist du, HERR, unser Gott, Herrscher der Welt ..."21 Hym-
nische Bekenntnisse (Berachoi) und Bitten (Tefillot) bilden den Kern des frühen
Gottesdienstes. Die Herausbildung des besonderen Sabbatgottesdienstes bringt die
beiden anderen Formen hinzu: die Unterscheidung des Sabbats bzw. der heiligen
Festzeit vom Werktag an ihrem Beginn in der Keduscha über dem Wein (und Brot)
(z.B. Sidur, 99f); die Unterscheidung und Heiligung des Sabbats bzw. der heiligen
Festzeit vom beginnenden Werktag an ihrem Ende in der Havdala über Wein,
Gewürz und Licht (z.B. Sidur, 198).22

Rosenzweig pointiert innerhalb dieser (in sich differenzierten) Unterschei-


dungshandlungen die fundamentale Unterscheidung .dieser' und der .kom-
menden Welt'. Die Geltung der prädikativen Unterscheidungen wird ins-
gesamt von der Reichweite des in der Anrede beanspruchten Namens abhän-
gig gesetzt. D e r Israel gegebene N a m e begründet Geltung und Geltungs-
bereich solcher Unterscheidungen (.die jüdische Welt', die messianische Le-
bensform .Gesetz'). Seine Reichweite übersteigt allerdings zugleich den Gel-
tungsbereich dieser Unterscheidungen. Er reicht weiter als der Geltungs-
bereich des Gesetzes u n d durchkreuzt zu bestimmten Zeiten die in diesem
Bereich geltenden Unterscheidungen:

„Die Welt, die jüdische, wie sie unter der Kraft des unendlich verzweigten, über je-
dem Ding gesprochenen Segens ganz entdinglicht ist und ganz beseelt, auch sie ist
doch eine doppelte und voller Zwiespalt in jedem Ding. Alles was in ihr geschieht,
hat eine doppelte Beziehung, einmal auf .diese' und dann auf die .kommende' Welt.
Dies Beieinander der zwei Welten, dieser und jener, bestimmt alles; das im Segens-
spruch beseelte Ding selber hat eine zwiefache Bestimmung; in .dieser' Welt dient es
zum gemeinen Gebrauch, kaum anders als ob es ungesegnet geblieben wäre, aber
gleichzeitig ist es jetzt einer der Steine geworden, aus denen sich die .kommende'
Welt erbaut. Der Segen spaltet die Welt, um sie inskünftige wieder zu einen, aber ge-
genwärtig ist nur die Spaltung sichtbar. Diese Spaltung durchdringt das ganze Leben,
als Gegensatz von Heilig und Gemein, Sabbat und Werktag, ,Thora und Weg der
Erde', Leben im Geist und Geschäft. Sie zerfällt, wie den Lebenstag Israels selber in
Heilig und Gemein, so auch den ganzen Erdkreis wieder in Israel und Völker"
(S, 341f).

20
Dazu: L. Trepp, 183f.
21
I. Elbogen, 241. Zur Entstehung dieser Standardform: P. Schäfer, Benediktion, 560f.
22
1. Elbogen, 240-244.

288
Der messianische Unterscheidungssinn {bind) knüpft also die in sich differen-
zierten prädikativen Unterscheidungen an die fundamentale Unterscheidung
.dieser' und der .kommenden' Welt. Aber die Geltungsgrenze der messiani-
schen Lebensform Gesetz wird in der eschatologischen .Stunde' aufgehoben:
„so werden auch des ewigen Lebens der künftigen Welt, das eben noch Israel
allein vorbehalten schien, plötzlich nicht anders auch die Frommen und
Weisen der Völker teilhaftig und die Gesegneten selber ein Segen. Ein solcher
Wirrwarr von Widersprüchen entsteht, wenn man die Elemente des jüdischen
Lebens als ruhende Elemente anzuschauen versucht." (S, 342) Weil die Gel-
tung der prädikativen Unterscheidungen in der Geltung des Namens gründet
(also als Unterscheidungen des Ersten, Zweiten und Dritten Dekaloggebots
geltend machen), weil sie somit an Präsenz und Externität des Namens
gebunden sind und weil in der Hoffnung auf den Namen die Geltungsgrenze
überschritten wird, deshalb ist bina eschatologischer Urteilssinn.

2.3 Eschatologischer Segensgruf?3

Inbegriff des eschatologischen Segens ist das leuchtende Angesicht des aa-
ronitischen Segens (Num 6,24-26): In diesem Segen legt sich in der eschatolo-
gischen .Stunde' der Name auf die Kinder Israels und nimmt sie so zu Eigen-
tum (Num 6,27), daß darin die universale Reichweite des Namens sich anzeigt.
Diesem eschatologischen Segenszeichen des Grußes korreliert das eschatologi-
sche Zeichen des Grußes: die Proskynese vor dem Namen. Die paradigmati-
sche Stunde dieses Segens sind die Feste der Erlösung: Neujahr und Jom
kippur. In der eschatologischen Stunde, „die der zur rechten Zeit und am
rechten Ort gesprochene Segen ... herbeizwingtfj], schweigt das Wort. Von
ihr der vollendet-befriedeten [Welt] heißt es: Er lasse dir leuchten sein Ant-
litz" (S, 465). Der Friede (slwm, Genüge) des aufleuchtenden Angesichts
reicht weiter als die prädikativen Unterscheidungen im Geltungsbereich des
Gesetzes.
Die Formen der Benediktion unterscheiden sich nach Zeiten in der gestaf-
felten Ökonomie Gottes. Die Grammatik des Segens setzt voraus: (a) die
Unterscheidung des Daseins der Dinge und ihres wachsenden Lebens; (b) die
Zeitigung wechselseitiger Erlösung von Ding und Seele in der messianischen
Lebensform Gesetz; (c) das Aufleuchten des göttlichen Angesichts und das
eschatologische Grußzeichen in der eschatologischen Stunde als endliches
Zeichen der Unendlichkeit des Namens. Das Erlernen der benediktionalen
Prädikation als Paradigma des Gesetzeswerks ist zugleich Erlernen der inne-
ren Grenze messianischen Unterscheidens. Erlernt hat das Segnen erst, wer
lernt, von diesem Unterscheidungshandeln unterschieden werden zu können.

25
Zur Ausführung: § 15.

289
3. Erlernen von Geschöpflichkeit: Dasein der Dinge und Prädikation

Nicht der menschliche Segen konstituiert die Güte des ,Daseins' der Dinge; er
bewährt die Hoffnung, daß dies .Dasein' schon da ist und daß es gut ist. Offen-
bar setzt der Terminus .Dasein' ein bestimmtes Verständnis von Prädikation
voraus. Dieser schwierige Terminus bedarf daher genauerer Klärung:
„Dasein bedeutet im Gegensatz zum Sein das Allgemeine, das des Besonde-
ren voll und nicht immer und überall ist, sondern - darin von dem Besonde-
ren angesteckt - fortwährend neu werden muß, um sich zu erhalten." (S, 134)
Zweifellos stehen bei dieser Bestimmung von Dasein ontologische Termini
wie .Gattung' und ,Art' Pate. Von .Gattungen' und .Arten' kann aber jetzt
nicht mehr die Rede sein.

Das ist angesichts mancher Äußerungen Rosenzweigs hervorzuheben, die ontologi-


sche Begriffe und biblische Metaphern vermengen: „Als solches fordert das Dasein in
seiner ständigen Augenblickshaftigkeit das ständig erneuerte Geschaffenwerden
heraus. Und als solches wird es denn auch von der Macht des Schöpfers ergriffen.
Gottes Vorsehung ... geht in der Welt unmittelbar nur auf das Allgemeine, auf die
.Begriffe', die .Arten', und auf die Dinge nur auf ,ein jegliches nach seiner Art', auf
das Besondere also nur vermittelst seines Allgemeinen und letzthin vermittelst des
allgemeinen Daseins überhaupt." (S, 134f) Rosenzweigs Intention wird klarer, wenn
diese Aussagen von der Maimonideischen Vorsehungslehre her interpretiert werden.
Diese schließt göttliche Vorsehung für individuelle Dinge aus. Erst vermittelt durch
das Werk des Gesetzes und das messianische Volk individualisiert sich Gottes Vorse-
hung für das individuelle Ding. Die Vorsehungslehre ist also auf die Lehre vom Ge-
setz hin angelegt.

Der Terminus ,Dasein' wird klarer, wenn man ihn mit der Funktion eines
Typus und einer Rubrik vergleicht. Typen gibt es nicht. Sie sind aber auch von
(abstraktiv erzeugten) Klassen zu unterscheiden, die es erlauben, allgemein
über ein Individuum zu reden, d.h. mittels bestimmter Listen von Prädi-
katorenregeln, die es zum Element einer Klasse machen.25 Typen normieren,
z.B. in der biologischen Systematik, und ermöglichen es erst, Ähnlichkeiten
zwischen Individuen zu gewinnen, um sie prädikativ zu benennen und zu
homogenen Klassen zusammenzufassen.26
Der Terminus .Dasein' hat ähnlich normativen Sinn, unterscheidet sich von
der Funktion eines Typus darin, daß er nicht eine wissenschaftliche Systema-
tik, also nicht der Abstraktion und Klassenbildung dient. Er regelt vielmehr
gegenständlich-prädikatives Reden neu, dient also der gegenständlich-kon-

24
D. Burrell, Unknowable God, 71-108.
25
Zu diesem Verständnis von Klasse und Abstraktion: W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische
Propädeutik, 93f; M. Langanke, Die Natur ordnen, 23-27.
26
M. Langanke, Die Natur ordnen, 27f.

290
kreten Rubrizierung. Bereits rubrizierte Bereiche werden neu rubriziert, z.B.
jetzt nach der normativen Unterscheidung: rein und unrein?7 Daß im gött-
lichen Namen reale Orientierung begründet ist, meint, daß die bereits ge-
ordnete Welt der Dinge anders und neu geordnet wird, und zwar normiert
nach dem geschöpflichen .Dasein' der Dinge.28 Umgangssprachlich oder
terminologisch sind Dinge immer schon rubriziert oder klassiert und ent-
sprechend prädiziert, wobei auf unterschiedliche Weise normative Ordnungs-
gesichtspunkte zugrundeliegen. Auf die Neuregelung dieser Gesichtspunkte
zielt der Terminus Dasein.
Ein häufig genanntes Beispiel für diese Neunormierung ist die Rede von
.großen und kleinen Lichtkörpern' in Gen 1,16.14-18. Anderweitige normati-
ve und latent oder explizit astraltheologische Unterscheidungen zwischen den
Gestirnen werden polemisch neu geregelt. Dies geschieht unter dem Gesichts-
punkt der Zeitmessung (,zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und
Jahren') und darin unter dem Gesichtspunkt der Unterscheidung von Licht
und Finsternis. Diese weist auf die erste Unterscheidung von Licht und
Finsternis zurück (Gen 1,14.18, vgl. Gen 1.4).29
,Tag' - um ein daran anschließendes, schwieriges, aber im folgenden bedeut-
sames Beispiel zu nennen - ist ein umgangssprachlicher oder terminologisch-
abstraktiver Prädikator der Zeitmessung, der als sich wiederholende Standard-
einheit periodischer Sternbewegungen oder konstruierbar-gleichförmiger Be-
wegungen galt oder gilt.30 In Gen 1 wird die Verwendung dieses Prädikators
neu geregelt. Seine normierende Verwendung in der Glaubensrede, z.B. in der
Unterscheidung und Segnung von Werktagen, Ruhetagen und Festtagen, setzt
den eingeführten Prädikator, das Zeitmaß, voraus. Er widerspricht aber der
impliziten Theologie der antiken astronomischen Standardbewegung. Die
Alternative ist allerdings nicht eine Theo-Ontologie geschaffener Zeit, welche
die Verwendung von ,Tag' als Zeitmaß überhaupt erst zu begründen hätte.31
Die Rede vom ,Dasein' der Dinge indiziert vielmehr, daß und inwiefern
eingeführte Prädikatoren und ihre normativen Unterscheidungen neu geregelt

27
Als Beispiel sei die klassifizierende Rubrizierung der Tierwelt in Lev 11,1-47 genannt,
die der Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren dient und nach den Rubriken Land,
Wasser, Luft, hinsichtlich der Landtiere sodann z.B. nach Kriechtieren bzw. Paarzehern und
Wiederkäuern aufgebaut ist. Zur logischen Grunddifferenz von Rubrizieren und Klassieren:
M. Langanke, Die Natur ordnen, 23f.28f. Zu polemischen Hintergründen der Listen z.B. W.
Zimmerli, Grundriß, 113.
2
* Man kann hier, im Unterschied zum Typus, vom .Uniformitätscharakter' sprechen: „Als
Oberbegriffe für Prädikatoren einer Rubrik und damit als Einteilungskriterien für Gegen-
stände schaffen Uniformitätscharaktere Uniformität zwischen Gegenständen, aber nicht
Homogenität im Sinn von Klassenbegriffen" (M. Langanke, Die Natur ordnen, 22).
29
Chr. Link, Schöpfung, 363f.446-454.
30
P. Janich, Protophysik der Zeit, 180-217.
31
Dies ist ein Aspekt der Zeitlehre bei Augustinus, Confessiones, XI, 23.30;24.31 im Zu-
sammenhang von XI, 3.5. Zur Kritik: P. Janich, Protophysik der Zeit, 265-271.

291
werden und worin der dann metaphorische Gebrauch dieser Prädikatoren
gründet. Er indiziert, inwiefern Ähnlichkeiten neu gesehen und also Prädika-
torenregeln neu bestimmt werden oder anders gewonnen werden (z.B. in der
Unterscheidung von sechs Arbeitstagen und einem Siebten Tag und ihrer
Zusammenfassung als .Woche'). .Dasein' regelt die prädikative Ordnung und
Unterscheidung von Dingen (z.B. als Werktage, als Sabbat) und ihre Zusam-
menfassung unter eine Rubrik (Schöpfungs-Wochen, Schöpfungs-Jahre).
Die Gültigkeit benediktionaler Unterscheidungen (z.B. der Keduscha, die un-
terscheidet „zwischen Heiligem und Unheiligem, zwischen Licht und Finster-
nis, zwischen Israel und den Völkern, zwischen dem siebenten Tag und den
sechs Tagen der Arbeit") wird namenstheologisch begründet und in be-
stimmten Verhaltensweisen bewährt (z.B. der Sabbatruhe). Der über dem
siebten Tag gesprochene Segen .beseelt' diesen Tag als Sabbat, als messiani-
schen Tag. Er individualisiert ihn sogar als singulären, jüngsten Tag, als letz-
ten Sabbat, der namentlich angesprochen wird. Das ist genauer zu entfalten.

4. Elemente theologischer Propädeutik: Prädizieren und Benedizieren

Welche Art von Gegenstand etwas ist, sagt die Grammatik; darin erweist sich
Theologie als Grammatik.32 Welcher Art das geschaffene, noch nicht erlöste
Ding ist, die arme Kreatur, zeigt im Stern die Grammatik der Geschöpflich-
keit: Ihr fehlt das Sprachzeichen des Namens. Aber ihr .Stammwort' lautet:,... ist
gut'. Sie charakterisiert Geschöpflichkeit im Status promissionis. Diese Gram-
matik wird im Stern am Beispiel von Gen 1,3-31 entfaltet: Zusammen mit
exemplarischen Unterscheidungen, ihren Prädikatoren und Regeln, wird in
die Grammatik ein zentrales Element eingeführt: der elementare Prädikator
und der prädikative Satz. Der Glaube erlernt durch prädikative Unterschei-
dungen reale Orientierung im Chaos und lernt dabei zugleich durch eine be-
stimmte Verwendung der Prädikation, was .wirklich', ,real' heißen kann.

4.1 Prädikation und prädikativer Satz

Beschrieben wird ein vereinfachtes Sprachspiel. Die Beschreibung seiner Ele-


mente erhellt die tatsächlichen, komplexeren Sprechhandlungen, z.B. die ver-
schiedenen liturgischen und nicht-liturgischen Benediktionen. Noch nicht
propädeutisch eingeführt waren ja bis jetzt jene Elemente, auf die z.B. der
attributive Satz dieser Benediktionen (und viele andere Sprachhandlungen)
beständig zurückgreifen: Prädikatoren, Indikatoren, Kennzeichnungen.33

32
L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 373 (S. 398).
33
Segenssprüche zum Genuß kreatürlicher Dinge seien Beispiele (Sidur, 289-292): „[Gelobt
seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt,] der die Frucht des Weinstocks Erschaffende."

292
(a) Die elementare .Sprechhandlung' der Grammatik der Schöpfung ist die
Prädikation: der Prädikator („das freie Sosein", S, 14234) und seine Prädikato-
renregeln (der .Zusammenhang' bzw. die .Unverträglichkeit' der Prädikato-
ren, das ,Dasein'). Der Prädikator ist auch hier von Funktion und Status des
Eigennamens zu unterscheiden.
Das Ungesättigte und Ergänzungsbedürftige des bloßen Prädikators macht
ihn für die Grammatik der Schöpfung so charakteristisch. Es fehlen in diesem
Sprachspiel noch die Vokativen Rufnamen (im eingeführten, theologischen
Sinn). Symptomatisch ist die Verwendung von .Adam' als Kennzeichnung
(nicht: Name) und Prädikator zugleich, z.B. in Gen 2,7f; 3,8; 5,1. Was auch
immer in dieser Grammatik Dingen zu- oder abgesprochen wird, sie werden
nicht namentlich angesprochen und gerufen; sie bleiben .unbeseelte' Dinge.
Weil diese Grammatik noch keine Namen kennt, können ihre Sprecher
wohl auf Besonderes, nicht aber auf Individuelles Bezug nehmen: „Wie wenig
es [sc. das Ding, dem prädiziert wird] an sich Individuum ist, wird klar, wenn
wir nur einmal an den Eigennamen denken. Es ist nicht Individuum. Um es
... zu werden, muß es sich als Glied einer Mehrheit legitimieren. Erst die
Vielheit gibt allen ihren Gliedern das Recht, sich als Individuen, als Ein-
zelheiten zu fühlen; sind sie es nicht an sich, wie das im Eigennamen bezeich-
nete singulare Individuum, so doch gegenüber der Vielheit" (S, 143).

(b) Diese Ergänzungsbedürftigkeit bleibt erhalten, wenn in der Folge Desig-


natoren in die Grammatik der Schöpfung eingeführt werden. Diese haben
zum einen die Form deiktischer Indikatoren (z.B. ,dies'; bestimmte Pronomi-
na)35, wozu auch lokale Indikatoren gehören (.über', .unter')36. Sie haben zum
anderen die Form elementarer Kennzeichnungen (z.B. mit dem unbestimmten
und bestimmten Artikel eingeführte Kennzeichnungen37).
Die Pragmatik der Grammatik, ihre Bezogenheit auf bestimmte Sprecher
und Sprechsituationen, zeigt sich auch darin, daß sie nur bestimmte modale
und temporale, pronominale und adverbiale Indikatoren enthält, die das
Vergangensein, das Schon-Da-Sein der Dinge vom Standpunkt des Sprechers
aus darstellen.38 Bewegungen werden als partizipiale Eigenschaften des Schöp-

Die Beispiele in S, 141 belegen, daß der Prädikator nicht nur als oberflächengrammati-
sches Prädikat, sondern auch als Subjekt oder Objekt (z.B. Frucht, Weinstock, erschaffend)
fungiert.
35
„Das .Dies' zeigt auf das Ding bloß hin und drückt in diesem Zeigen aus, daß hier ein
.Etwas' zu suchen sei" (S, 142).
34
Deixis wird damit als Spezifikation und Lokalisation interpretiert, vgl. E. Tugendhat,
Vorlesungen, 453-463; I.U. Dalferth, Gott, 40f.
37
W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 34.107f. I.U. Dalferth, Religiöse Rede,
248-252.
38
Umgekehrt fehlen z.B. Modi wie der Imperativ, oder Pronomina, wie z.B. Du, die
unmittelbar sprecherrelativ sind, also die Gegenwart des Sprechers voraussetzen.

293
fers oder aber gleichsam als subjektlose Vorgänge in der Vergangenheitsform
dargestellt; finite Verbformen werden in Partizipien u n d Infinitive umgewan-
delt, so daß „die Bewegung einfach in ihrer Tatsächlichkeit hingestellt wird"
(S, 144), als Sachverhalt.

Beispiele sind hymnisch-partizipiale Beschreibungen39 wie: „(ER) tötet und belebt"


(lSam 2,6 BR), oder: „(Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt) der das
Licht gebildet und die Finsternis geschaffen, Frieden stiftet und alles erschaffen" (Be-
nediktion Jozer). Vor Augen stehen - um an die Übersetzung von Gen 1,1-2,4 durch
Buber und Rosenzweig zu erinnern - die deutsche Syntax bewußt hebraisierende
Formen wie: „Braus Gottes brütend allüber den Wassern" (Gen 1,2 BR)40, „Licht
ward" (Gen 1,3 BR), „Abend ward und Morgen ward" (Gen 1,5 BR) „Es ward so"
(Gen 1,7 BR), „Dies sind die Zeugungen des Himmels und der Erde: ihr Erschaffen-
sein." (Gen 2,3 BR).41 In diesen infinit beschriebenen Sachverhalten vollende sich
„die Gegenständlichkeit des Geschehens, wie die im Artikel bestimmte Dinglichkeit
die des Seins." (S, 145)

4.2 Güte im Status promissionis

.Stammwort' der Grammatik der Schöpfung ist das .schlechthin bejahende':


„... (ist) gut" (S, 141f). Die Auszeichnung als Stammwort meint, daß, was
immer Dingen als Dasein prädiziert wird, mit dem Anspruch prädiziert wird:
Es ist gut, daß ... Dabei handelt es sich weder um eine deskriptiv-attributive,
noch um eine praktisch-präskriptive, noch um eine praktisch-absolute Ver-
wendung von .gut'42. Wie ist sein Status zu beschreiben?
Die absolute Verwendung von .ist gut' wird eingeführt in der sog. Billi-
gungsformel von Gen I,4a.l0b.l2b.l8b.21b.25b (V.31 ist Sonderfall). Gen 1
gilt also wieder als theologische Einführungssituation: ,(Gott sah), daß es gut
war'. Der Schöpfer bejaht damit das „Ding nicht einfach als Ding, sondern

39
Während der Imperativische Hymnus paradigmatisch für die Grammatik der Erlösung sein
wird, ist der partizipiale Hymnus - der andere grundlegende alttestamentliche Hymnentyp -
beispielhaft für die Grammatik der Schöpfung. Dies trifft auch den exegetischen Sachverhalt:
Hymnische Partizipialaussagen beschreiben „ein göttliches Tun, das sich in Schöpfung und
Naturvorgängen vollzieht, aber auch in typischen Eingriffen in die Menschenwelt, und zwar
zugunsten der Schwachen und Unterdrückten. Normalerweise fehlt in den Partizipialsätzen
der Jahwe-Name" (F. Crüsemann, Hymnus und Danklied, 153).
40
Nicht so in der jetzigen Druckfassung der Übersetzung. Der Übersetzung dieses Verses
widmete Rosenzweig einen Aufsatz, Z, 773-775.
41
Dazu: H.-C. Askani, Übersetzung, 225-228.
42
Zur Unterscheidung von Affirmationsmoment (Assertion, Imperativ, Optativ, Frage) und
propositionalem Gehalt, sowie zur Unterscheidung von theoretischen und praktischen Affir-
mationsmodi: E. Tugendhat, Vorlesungen, 116-123.505-514; zusammenfassend: ders., Heideg-
gers Seinsfrage, 116-121; zu den Verwendungsweisen von ,gut': Vorlesungen über Ethik,
49-64, v.a. 52-56.

294
als Werk, ... das Dasein als Schon-Dasein." (S, 168) Die absolute Billigung des
Werks durch den Schöpfer verwendet das absolute ,gut' rein gegenständlich:
Weder billigt der Schöpfer damit sich in seinem Werk, noch behauptet er
dessen Vorzüglichkeit. „Zur Sicherung dieser reinen Gegenständlichkeit des ,er
schuf darf der Schöpfer auch keinen Namen haben, er ist nur ,Gott'
schlechthin." (S, 168) Für Gott ist das Schöpfungswerk Vergangenheit. Dasein
meint Schon-Da-Sein. Die Billigungsformel lautet für Gott: ,Und siehe, es
war sehr gut'. Die Grammatik der Schöpfung konjugiert jedoch diese Billi-
gungsformel auch durch die anderen Tempora: „Es [das Werk] war und ist
und wird - ,gut'" (S, 168). ,Es war und ist und wird gut' präzisiert das verita-
tive Sein des Daseins der Dinge43: Zu verifizieren, zu bewähren ist diese Gü-
te messianisch durch das erwählte Volk und eschatologisch durch Gott selbst.

Die Termini .Dasein', .Schon-Da-Sein', ,Gut-Sein' indizieren verschiedene Bedeutun-


gen von ,ist' in der Grammatik der Schöpfung: die rubrizierend-kopulative, die
existenziell-diachrone und die veritativ-eschatologische.

Die Billigungsformel des Schöpfers über dem jeweiligen Tageswerk eröffnet


Widerspruch bzw. Homologie und Bewährung. Das Schöpfungswerk, das für
den Schöpfer abgeschlossen und gut ist, soll in seiner Güte frei bewährt
werden. Über dem Dasein soll Güte des Schöpfers bewährt werden: ER ist
gut. Eröffnet wird (a) das noch namenlose Lob des Daseins als Dasein; (b) das
namentliche Lob des Schöpfers:
(a) Jeder Tag sagt dem anderen, eine Nacht tut der anderen die Ehre Gottes
kund (Ps 19,3). Aber jeder Tag sagt es dem anderen, indem er selbst vergeht.
Die endliche, sterbliche Bewährung der Güte durch das Dasein als Dasein
wirft die Frage auf, ob der immer neue Tod die jeweils momenthaft bewährte
Güte des Daseins nicht letztlich dementiert: Es wird gut? Im Lob Gottes
stürzt die arme Kreatur, das Dasein, jeden Augenblick ins Vergehen zurück.44
Gleichwohl gilt: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut."
(Gen 1,31) Das ,es war gut' des Schöpfers reicht weiter als der Tod. Es ver-
heißt, daß selbst der Tod geschaffen ist und als solcher seinen Schöpfer zu lo-
ben hat. Diese Paradoxie pointiert der paradoxe Midrasch zu Gen 1,31: „,Gar
sehr', so lehren unsre Alten, gar sehr - das ist der Tod"45. Das ,sehr gut' führt
als letztes geschaffenes Dasein den Tod ein, der als Letztes über dieses ge-
schöpfliche Leben hinausweise. „Der geschaffene Tod des Geschöpfs ist das
Vorzeichen auf die Offenbarung des übergeschöpflichen Lebens." (S, 173)

Dieser Ausdruck wird in Analogie zur Unterscheidung verschiedener Bedeutungen von


,ist' verwendet: Existenz, Kopula, Identität, veritatives Sein. (E. Tugendhat, Seinsfrage,
90-107; Heideggers Seinsfrage, 116-121).
" „Werden doch sogar nach einer talmudischen Legende die Engel - neue jeden Augen-
blick in unzähligen Scharen - geschaffen, um, nachdem sie vor Gott ihren Hymnus gesun-
gen, aufzuhören, und in Nichts zu vergehen." (W. Benjamnin, Angelus Novus, 374).
45
S, 173; BerR IX,5; vgl. Z, 585.

295
(b) Diese mit dem prädikativen Dasein der Dinge behauptete Verheißung
.übergeschöpflichen Lebens', erfüllt sich, wenn der Name des Schöpfers
gesegnet wird: ER ist gut. Dieses .absolute Urteil' gilt nicht der Schöpfung (es
behauptet nicht antizipativ, ,daß alles gut war'), sondern es gilt dem Schöp-
fer, der verheißt, daß es gut war. Die Bewährung der Wahrheit (Treue) der
Verheißung ist das übergeschöpfliche Leben der messianischen Doxologie.
Diese Bewährung bedeutet nicht das Auffinden des .archimedischen Stand-
punkts' des absoluten Urteils, wohl aber den Übergang auf den messianischen
Standpunkt übergeschöpflichen, endlichen Lebens: „Tote können den Herrn
nicht mehr loben, keiner, der ins Schweigen hinabfuhr. Wir aber preisen den
HERRN, von nun an bis in Ewigkeit. Hallelujah!" (Ps 115,17f) Die Verheißung
,Es war und ist und wird gut' eröffnet das messianische Leben allen Fleisches,
„daß alles Fleisch den Namen seiner Heiligung segne in Weltzeit und Ewigkeit"
(Ps 145,10 BR).

Die Behauptung der Güte der Dinge versteht also, wer die doppelte Projek-
tion im schöpferischen Benedizieren versteht: Bewährt wird das verheißene
Gut-gewesen-sein im vergehenden, iterativen Dasein. Bewährt wird es in der
namentlichen Homologie des Schöpfers über dem Gesetzeshandeln.

4.3 Diachronie und Schon-Da-Sein*6

.Erlösung' meint nicht die Utopie einer Welt, in der alles individualisiert und
mit Eigennamen benannt wird. Selbst in einer solchen Welt blieben die
Dinge prädizierbar. Erlösung meint Nennung mit Namen, welche prinzipielle
Prädizierbarkeit im Augenblick negiert! Diese Individualisierung oder .Besee-
lung' des Daseins und wachsenden Lebens, impliziert, daß mit dem Ding
seine Zeit .beseelt', also ver-ewigt wird.
Begriffe sind Bedingungen der Möglichkeit, Objekte in ihrer Objektivität
durch den inneren Zeitsinn zu reproduzieren und zu repräsentieren. Begriffe
selbst sind immer schon (a priori) da. Auch dort, wo dieser Urteilstheorie mit
gutem Grund widersprochen wird, orientiert sich die Theorie der Aussage,
der Prädikation und ihrer Verifikation an der arbiträren Vergegenwärtigung
von Dingen durch Sprache, setzt also Anthropologie und Ethik voraus.
Welchen ausweisbaren Sinn hat demgegenüber die Behauptung eines nicht
zu vergegenwärtigenden Schon-Da-Seins der Dinge und ihres Lebens? Rosen-
zweigs Rede vom Schon-Da-Sein soll offenbar eine Vergangenheit indizieren,
die „älter ist als alle erinnerbare Vergangenheit und in der die Zeit sich in
ihrer Dia-chronie, die stärker ist als die Ver-gegenwärtigung, beschreiben läßt,
und zwar gegen alle Erinnerung und alle Antizipation, die diese Dia-chronie

46
Chr. Link, Schöpfung, 449-454.

296
synchronisieren."47 Die Diachronie, die der Repräsentation von Sachverhalten
in Aussagen entgegenläuft, gilt als die ,Spur' der Präsenz des göttlichen
Namens. „Es gibt ... keine Synthese, die Gott und die Welt als zwei Wesen
nebeneinanderstellte, die vor der Schöpfung koexistierten, die immer schon
vergangen ist ...; es gibt keine Synthese, die sich wie ,Gott und Mensch'
thematisch machen ließe, es sei denn als Offenbarung, in der der Mensch in
der ganzen Schärfe und Gegenwart des Jetzt angerufen wird ..., in einem
Jetzt, in dem selbst die Vergangenheit nur als vergegenwärtigt und daher ,ewig
gegenwärtig' ist".48 Die Präsenz des Namens erlaubt, von ,Gott' in der
Vergangenheit zu reden. Sie erlaubt, „von Gott wieder in der dritten Person
zu sprechen und daraus (allein daraus) die Möglichkeit sogar vom Schöpfer zu
sprechen" und von der Geschöpflichkeit, dem Schon-Da-Sein der Dinge.49
Hier schließt die Grammatik der Schöpfung an die Logik des Namens an:
„Dies Sein der Welt ist ihr Schon-da-sein ... Was wir als die Gestalt erkann-
ten, in der die Welt sich als Kreatur offenbart, das erkennen wir nun, wo wir
das Dasein als Da-Sein, Schon-da-sein ... als das entscheidende Merkmal der
Schöpfung überhaupt." (S, 146)

Nach einer traditionellen, scholastischen Unterscheidung können Prädikatoren gene-


risch verwendet werden, also innerhalb des art- und gattungsmäßig eingeteilten
Seienden und damit univok, auch wenn sie einen gewissen Vagheitsspielraum besit-
zen, der für ihre Anwendung auf immer neue Gegenstände notwendig ist. ,Univok'
heißt hier nicht mehr, als daß ein Ausdruck „an accustomed usage in established
areas of discourse" hat.50 Die generische Prädikation stiftet bestimmte generische Zu-
sammenhänge der .Dinge'. Wir sprachen hier von ,Dasein'.
Davon zu unterscheiden ist die traditionelle Verwendung der Transzendentalien.
Die Transzendentalien sind „equally at home in every category and mode of discour-
se"51. Sie werden unaufhebbar analog gebraucht. Da sich für sie kein etablierter
Gebrauchskontext angeben läßt, haben sie keinen spezifizierbaren lexikalischen
Gehalt. Auf der Basis dieser Unterscheidung ist es eine aufschlußreiche Frage,
warum sie dennoch unverzichtbar sind: „What is most startling about the terms,
then, is the fact that we find it useful, even necessary, to employ them".52 Es zeigt
sich, daß Transzendentalien weder als Prädikatoren noch als Typen verwendet
werden, sondern als Schemata, die die Bedingungen der Möglichkeit der Verwen-

47
E. Iivinas, Gott, 125f.
41
Levinas, Vorwort, 17: „... das Bindewort und in der Formel .Mensch und Welt' ist daher
konkret nur in der Antwort des Menschen auf die Offenbarung und auf Gottes Liebe, in der
Öffnung zur Welt als kommender, in der diese Welt zugleich auf ihre Art .ewig gegenwärtig'
ist; diese Öffnung zur Welt ist ... eine Beziehung zur künftigen ... Welt und insbesondere
eine Beziehung zu den anderen Menschen ... So gelangt man durch die Deformalisierung des
Formalen zu den .Urereignissen', den .Ekstasen' der Zeitlichkeit."
49
BT, 826 (vgl. Sidur, 279f; I.M. Lau, 63f).
50
D. Burrell, Analogy, 222.
51
Ebd.
52
D. Burrell, Analogy, 223, vgl. 23.

297
düng von Prädikatoren und Typen darstellen: they „both indicate and exercise our
capacity to reflect on what we are trying to do with the language we use"." Rosen-
zweigs Terminus Schon-da-Sein leistet Vergleichbares: Er normiert, wie mittels
Prädikatoren, Designatoren und Indikatoren in Sätzen prädiziert wird, und er
erlaubt die schöpfungstheologische Beschreibung dieses Prädizierens.

Der Grundsatz des ,Schon-Da-Seins' wird mit dem ersten Satz von Gen 1
eingeführt: „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde". Dieser erste
Satz, „wie er dem Schaffen vorweg die klare aktive Form der Vergangenheit
und damit der Schöpfung ihre Wirklichkeit als Zeit gibt, verleiht auch dem
Geschaffenen als Ganzem mit einem Schlage die ihm gebührende Form" des
Schon-Da-Seins. Das .analogische' Schon-Da-Sein geht der ,generischen' Prädi-
kation (und ihrem ,es gibt') logisch voran. So ist es folgerichtig, wenn in dem
Grundsatz, der dies statuiert ,der Himmel und die Erde' nicht selber als Prä-
dikatoren eingeführt werden, sondern als singulare Termini, genauer als
Kennzeichnungen.5* ,Der Himmel' und ,die Erde' seien „das einzige, was seine
Individualität nicht erst auf dem Umweg über die Vielheit bezieht" (S, 169).

Gen 1,1 ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Grammatik der Schöpfung.
Wenn in Gen 1,1 ,der Himmel und die Erde' als Kennzeichnungen eingeführt sind,
so ist vorentschieden, wie auf Zeiten und Orte in dieser Grammatik referiert wird.
Dinge sortieren sich nach ihrem besonderen Dasein, können aber an ihrem Ort und
zu ihrer Zeit individuelle Existenz haben, sofern sie mit .ihrem Namen gerufen und
genannt' werden. Die genuine örtlich-zeitliche Existenz der Dinge als Individua wird
getroffen, wenn sie in ihrer Zeh, an ihrem Ort gut geheißen, gesegnet werden.

So gilt zwar, daß Gottes Vorsehung nur auf Genera und Arten, nicht aber
auf Individuelles geht. Der im Anfang den Himmel und die Erde schuf,
verheißt aber dem Ding mit seinem Dasein seine Zeit und seinen Ort und
darin seine Benennbarkeit mit Namen. Diese Exteriorität des Dinges im
Dasein, die man die .Spur' der Externität des Namens nennen mag, ist mit
der Rede vom Schon-Da-Sein gemeint. Dinge zu ihrer Zeit anzusprechen und
sie in diesem Sinn mit ihrem Namen zu rufen - dies ist Erlösung der armen
Kreatur, ihre Rückkehr in die Schöpfung-im-Anfang.

• D. Burrell, Analogy, 225f.


M
Diese Beobachtung verstellt sich Rosenzweig selbst, der an der Oberflächengrammatik
haften bleibt, und behauptet .Himmel und Erde' würden als einzige im Text von Gen 1,1-31
sofort mit dem bestimmtem Artikel ausgezeichnet, während die Dinge durchgängig ohne
Artikel eingeführt würden (S, 169). Wir interpretieren dies als intendierte Unterscheidung
zwischen Prädikator und Kennzeichnung.

298
4.4 Sabbatsegen - Messianischer Gruß und dichte Zeit

Wie genau im Pradizieren der Dinge die Zeiten unterschieden werden, zeigt
im paradigmatischen Text von Gen 1 die Prädikation des Siebten Tages als
Voraussetzung des Sabbatgebots55: Die Segnung und Heiligung des Siebten
Schöpfungstags (nur in Gen 2,3a, worauf sich das Sabbatgebot Ex 20,11
rückbezieht) (a) institutionalisiert diesen Tag: Der Siebte Tag wird als iterati-
ves Dasein eingeführt, indem ,der Siebte Tag' (als einstweilen für Gott beson-
derer, ausgesonderter Tag) als Kennzeichnung eingeführt wird.56 Die eigentli-
che Tagesformel in Gen 2,1-3 fehlt aber (b). Der Siebte Tag habe als „auf
Dauer gestellte Anordnung ... einer besonders ausgezeichneten Zeit" zu gelten57.
Segnung und Heiligung, also seine Aussonderung für Gott, bestimmen den
Siebten Tag als nicht nur iterativ wiederkehrenden. Die Billigungsformel über
der Gesamtheit des geschaffenen Daseins vor dem Siebten Tag und die fehlen-
de Tagesformel für den Siebten Tag kennzeichnet sein Dasein in der Tat als
besonderes: „Der Schöpfungssabbat ist nicht begrenzt! Darum weist er, wie
die auffallend parallel gestaltete Sinai-Theophanie (Ex 24,15b-28 [sic!l8?] ...)
andeutet, tatsächlich auf eine letzte, alles erfüllende Gegenwart Gottes in und
mit seiner Schöpfung voraus."58 Diese besondere Auszeichnung, die sich in
der Einführung des Siebten Tages anzeigt, wird in ihrem Sinn für Israel im
Sabbat offenbar. Inwiefern?
Dem Siebten Tag fehlt von Gott her der Charakter des Vergangenen, des
Schon-Da-Seins. Das genuine Dasein des Siebten Tages, das ihn vom
geschöpflich-iterativen Dasein der anderen Tage unterscheidet, besteht darin,
daß er für Israel Zeichen des Status promissionis der Schöpfung ist: Es war und
ist und wird gut! Eben dies wird in seiner Feier als Sabbat bewährt:

„Seiner Einsetzung gemäß war der Sabbat zuvörderst Erinnerung an das Werk des
Anfangs und als solche dauernder, fester Grund des geistlichen Jahres; andrerseits
war seine Einsetzung selber doch innerhalb der Schöpfung schon das erste Zeichen
der Offenbarung - erscheint doch in den Worten der Einsetzung verhüllt zum ersten
Mal in der Schrift der offenbarte Name Gottes59; endlich aber ist er nun grade darin,
daß er beides, sowohl Zeichen der Schöpfung wie erste Offenbarung ist, auch und
sogar vor allem die Vorwegnahme der Erlösung. Was denn andres wäre die Erlösung
als dies, daß sich Offenbarung und Schöpfung versöhnten!" (S, 348)

ss
Gen 2,2f ist nicht Sabbat-Ätiologie, sondern Voraussetzung des späteren Sabbatgebots.
56
O.H. Steck, Schöpfungsbericht, 196 Anm. 829; W.H. Schmidt, Schöpfungsgeschichte,
156f (implizite Sabbatterminologie); H. Seebass, Genesis I, 88f.
57
Chr. Link, Schöpfung, 386 (Kursive z.T. HA).
»Ebd.
s
' Hingegen gilt von Gen 1,1-31: „Gott spricht, aber sein Wort ist noch als ob etwas in
ihm spräche, nicht er selber." (S, 171) „Der Schöpfer offenbart sich in der Schöpfertat; das
Schöpferwort, selbst das der letzten Schöpfung, ist kein ihn offenbarendes W o n des Offenba-
rers, sondern schließlich auch nur eine schaffende Tat des Schöpfers." (S, 172).

299
Der besondere Segen am Sabbatbeginn (Kiddusch) und am Sabbatausgang
(Havdalah) unterscheidet die Heiligkeit des Sabbat von allen anderen Tagen
und Festtagen. Er bewährt die genuine Güte des Siebten Schöpfungstages als
„das erste Zeichen der Offenbarung" (S, 348) des Namens des Schöpfers:

„Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der du unterschieden zwi-
schen! Heiligem und Unheiligem, zwischen Licht und Finsternis, zwischen Israel
und den Völkern, zwischen dem siebenten Tag und den sechs Tagen der Arbeit.
Gelobt seist du, Ewiger, der unterschieden zwischen Heiligem und Unheiligem."60

Inwiefern gilt aber der wiederkehrende Siebte Tag und der wiederkehrende
Sabbat Israels als Sabbat der erlösten Schöpfung? Insofern an jedem Sabbat
der wiederkehrende Siebte Tag und Sabbat bereits als der letzte, messianische
Sabbat mit Namen angesprochen wird.

Rosenzweig verweist dazu auf das Sabbatlied der Vorabendliturgie, die Hymne Lecha
dodi. Sie lautet im Refrain: „Auf mein Freund, der Braut entgegen, Königin Sabbat
wollen wir empfangen!"61 Bei der letzten Strophe dieser Hymne: „Kehre ein in
Frieden, Krone des Mannes, ja in Freude und Frohlocken, bei des erwählten Volkes
Treuen, kehre ein, Braut, kehre ein, Braut!", steht die Gemeinde auf und wendet
sich um, dem Synagogeneingang im Westen zu. Rosenzweig beschreibt diese Gebär-
de als messianischen Segensgruß62: „Das Allerheiligste im Tempel war im Westen.
Dadurch bekommt das Umdrehen beim Ikh dwdy noch einen besonderen Sinn. Man
betet sonst nach Jerusalem hin (d.h. man betet um die Ankunft des Messias), am
Eingang des Sabbats betet man wie in Jerusalem, d.h. wie in der messianischen
Zeit."63

Im Segensgruß wird der wiederkehrende Beginn des Siebten Tages als singulä-
rer Augenblick gegrüßt und ,ver-ewigt'. Im Moment des Eintritts des Sabbats
wird mit dem Siebten Tag die iterative Zeit gleichsam mit Namen genannt als
lebendiggewordene Zeit. Dieser Gruß gründet in einer Gerechtigkeit, die
allem ,seine' Zeit zuteilt, ohne zu vergleichen. Sie besteht in der absoluten
Inkommensurabilität und damit auch in der Unerschöpflichkeit der Zeit, die
Menschen und Dinge je haben und auch sind. Gemessene Zeit kann erschöpft
werden, diese Zeit selbst aber nicht.64

60
Sidur, 198, zur Erläuterung: L. Trepp, 75; I.M. Lau, 145f.
61
Sidur, 84. Zum Autor, dem Safeder Kabbalisten R. Salomo Alkabatz: G. Scholem, My-
stik, 313.
62
Selbstverständlich sind auch liturgiehistorische Deutungen möglich (Elbogen, 108; Trepp,
57; Lau, 122). Rosenzweig kann allerdings beanspruchen, eine ausweisbar messianische
Beschreibung dieser Gebärde zu bieten.
63
BT, 154, Nr. 214; vgl. BT, 734.780.
64
Vgl. J. Simon, Zeit, 310, in § 3,4.

300
Die Behauptung: ,Es war und ist und wird gut' versteht in ihrer projektiven
Reichweite, wer Dinge zu ihrer Zeit zu benennen, zu unterscheiden und als
gut zu bewähren weiß. Dazu muß Zeit selbst jenseits ihres kreatürlichen
Maßes benannt, unterschieden und bewährt werden. Der Segen des Sabbats
ist das Beispiel, wie der ,Tag' als kreatürliches in messianisches Maß verwan-
delt, und damit als Maß aufgehoben wird. Darin ist er, wie der Versöhnungs-
tag, Zeichen göttlicher Gerechtigkeit: ,dichte' Zeit. „Der Sabbat ist das Fest
der Schöpfung, aber einer Schöpfung, die um der Erlösung willen geschah. Er
ist offenbart am Ende der Schöpfung und als der Schöpfung Sinn und Ziel"
(S, 349).

5. Weisheit und Gesetz?

„Dem Schöpfer ... bieten sich die Dinge nur im allgemeinen Zusammenhang
des ganzen Daseins. Nur durch dieses hindurch ergreift sie seine Schöpfung,
,ein jegliches nach seiner Art'. Aber daß dieses Allgemeine nicht wesenhaft
Allgemeines ist, sondern ... momenthaft sich hervorringendes, das zeigt sich
darin, daß dies göttliche Erfassen des Daseins nicht in der ein für alle Mal
stattgehabten Schöpfung geschieht, sondern momenthaft, als zwar allgemeine,
aber in jedem kleinsten besonderen Augenblick für das ganze Dasein sich
erneuende Vorsehung, derart, daß Gott ,Tag um Tag das Werk des Anfangs
erneuert'65. Diese allmorgendliche Vorsehung ist so das, was im Gedanken der
Kreatur eigentlich angedeutet ist." (S, 135) Das Dasein der Dinge ist - wie
dieser Passus nahelegt - selbst noch einmal durch ein Allgemeines mit Gottes
Vorsehen vermittelt. Ausweisbarer Sinn läßt sich dieser Rede vom allgemei-
nen Zusammenhang des Daseins abgewinnen, wenn sie auf die .Weisheit' und
ihre Schöpfungsmittlerschaft bezogen wird (Spr 8,1-36; Hi 28; Sir 24; Weish
7,22-8, l)66. Das Dasein der Dinge wird demzufolge durch Gottes Weisheit
erhalten und bestimmt, welche zugleich die Einsicht in den weisen Zusam-
menhang des Daseins der Dinge vermittelt67: „Sie [die Weisheit] ist nur eine
und vermag doch alles; ohne sich zu ändern, erneuert sie alles. Von Ge-
schlecht zu Geschlecht tritt sie in heilige Seelen ein und schafft Freunde

65
Zitiert aus der Benediktion Jozer. „Gott, dem Gepriesenen, spenden sie [die Ophanim,
Chajoth, Seraphim] liebliche Gesänge ... Herr der Wunder, erneuert täglich beständig das
Schöpfungswerk" (Sidur, 35).
66
H. Gese, Die Weisheit, 84f: „Hier wird als Person gefaßt, was in engster Weise mit dem
Personsein Gottes zusammenhängt und damit mit dem personalen Charakter von Offenba-
rung überhaupt." So komme „etwas typisch Alttestamentliches zum Vorschein ...: die
personale Struktur der JHWH-Offenbarung, die auch die im menschlichen Erkenntnisfeld
begegnende, selbsterkannte Wahrheit in der Gestalt der Weisheit personal von der einen
göttlichen Aktivität her vermittelt sein ließ."
67
Zum logischen Sinn rhetorischer Personifikation: F. Mildenberger, Biblische Dogmatik
3, 292f.305f; zur Traditionsgeschichte: M. Wolter, Weisheit, 300f.312.

301
Gottes und Propheten" (Weish 7,27). Es wirkt wie eine Auslegung von Weish
7,27a, wenn Rosenzweig das Bild der Vorsehung summiert mit dem Satz:
„Gott in der Weisheit seiner Schöpfermacht die Welt ins Dasein rufend, die
Welt durch ihr Dasein sich in ihrer Kreatürlichkeit gegenüber der göttlichen
Vorsehung offenbarend" (S, 137). Aber was meint, daß .dieses Allgemeine
nicht wesenhaft Allgemeines ist, sondern momenthaft sich hervorringendes'?
Was meint die Behauptung, daß Weisheit gerade nicht alles erhält und erneut,
sondern, selbst n u r momenthaft, der sie erneuernden Vorsehung bedarf?
Zweifellos fand Rosenzweig in Schellings Weltaltern eine spekulative Schöp-
fungslehre, in der Weisheit als vermittlungslogisch entscheidende Potenz in
der Kontraktion u n d freien Kondeszendenz absoluter Identität bestimmt
wird. 68 Schellings Begriff der Weisheit und ihrer Privation, ihres Mangels an
Sein, ist in Rosenzweigs Formulierung vorausgesetzt.

EXKURS: WEISHEIT IN SCHELLINGS ,WELTALTER'

Die sich entfaltende Potenz Weisheit als Widerspruchseinheit von Privation und Affir-
mation kehrt an Schlüsselstellen der Potenzenlehre der Weltalter von 1813 wieder.69
(1) An der spielenden Weisheit (als Inbegriff des Möglichen und Unmöglichen, d.h.
privativ Nicht-Seienden) erweist sich der sich in sich offenbarende Gott als Sein: Seine
überseiende Freiheit70 stellt sich in der Unterscheidung des Möglichen und Unmögli-
chen als schöpferische Freiheit dar:7* „Aber alle diese Gestalten und Bildungen [sc. in
der vor dem überseienden Gott spielenden Weisheit] haben für sich keine Wirklich-
keit; denn die Natur selbst, aus der sie aufsteigen, ist gegen die allein wahrhaft
seyende Gottheit in die Potentialität, in das Verhältniß eines beziehungsweise nicht
Seyenden zurückgetreten, und bewahrt auch freiwillig dieses Verhältnis ... Also ist
dieses ganze Leben zwar nicht schlechthin und völlig nichtig; aber gegen die Gott-
heit als ein Nichts, ein bloßes Spiel, das auf keine Wirklichkeit Anspruch macht ...
Träume oder Visionen, die wohl wirklich werden könnten, wenn er den nicht
seyenden riefe, daß sie seyend sey'n".72

68
Rosenzweig beruft sich (S, 48) explizit auf Schellings Weltseele als Interpretament der
Weisheit von Spr 8; F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 252.276f [628. 652f]. Zur hohen
Bedeutung der Weltalter für die Genese des Stern: BT, 320; 655; Z, 148; auch Z, 33-37.
69
F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 240-242 [616-618]; 276-282 [652-658]; 288-290
[664-666]; 296-300 [672-676]; 335.339 [711.715].
70
„Freiheit oder der Wille, sofern er nicht wirklich will, ist der bejahende Begriff der
unbedingten Ewigkeit, die wir uns nur außer aller Zeit, nur als die ewige Unbeweglichkeit
vorstellen können [sie]. Dahin zielt alles, darnach sehnt sich alles. Alle Bewegung hat nur die
ewige Unbeweglichkeit zum Ziel, und es ist alle Zeit, auch jene ewige Zeit, nichts anderes als
die beständige Sucht nach der Ewigkeit." (Weltalter Bruchstück, 235 [611]). Ruhe Gottes ist
nichtwollendes Wollen, reine Freiheit, reine Freude und Wonne der „Übergottheit" (ebd., 236
[612], die „verzehrende Schärfe der Reinheit" (ebd. 236 [612]).
71
„Diese Scheidung, dieses innere Auseinandergehen, das Werk der wahren Sehnsucht, ist
die erste Bedingung alles Rapports mit dem Göttlichen" (Weltalter Bruchstück 240 [616]).
72
F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 280f [656f] (Original kursiv).

302
(2) Die beständige Privation (das Nein, als welches sich überseiende Freiheit am
Anderen manifestiert) wird an der sich beständig wiederholenden, aufsteigenden
Weisheit („eine unablässige Theurgie"73) zur freien Affirmation (zum Ja der Freiheit,
die in sich zurückgeht und eben darin sich selbst transzendiert74). Wird das Über-
Sein Gottes an seiner Natur zum vernichtenden Willen, so doch auch, „zwar nicht
mit gleich ursprünglicher Nothwendigkeit, aber jenes vorausgesetzt doch nothwen-
dig" (299 [675]), auch ewiges Ja, bekräftigende Liebe. Sonst wäre Gottes Übersein
nicht Wille, der nicht will, sondern bestimmter, nichts wollender Wille: „die Gottheit
ist, als das Eins, und eben weil sie das Eins ist, sowohl das Nein, als das Ja und die
Einheit von beiden." (299 [675]) „Eben weil die ewige Freiheit, kann sie sich gegen
das Seyn nur als Nein, als Ja, und als Einheit beider verhalten ... Aber auch umge-
kehrt, nur weil sie gegen das Seyn sich so verhält, ist sie die ewige Freiheit. Wäre sie
bloß Ja oder Nein, so müßte sie sich auf eine oder andere Weise des Seyns anneh-
men, es bejahen oder verneinen. Daß sie beides ist, und beides gleich wesentlich, das
eben macht, daß sie die höchste Freiheit ist. Dieß alles mußte seyn, damit nie ein
nothwendiger Grund der Welt gefunden werde, und offenbar hervorleuchte, daß
alles, was ist, nur durch den allerfreiesten göttlichen Willen sey. Hier ist also auch
der Wendepunkt zwischen Nothwendigkeit und Freiheit. Bis hieher war der Fort-
schritt des Lebens ein nothwendiger; schreitet es von jetzt an fort, so ist dieß nur
vermöge eines freien göttlichen Entschlusses."75
(3) Die in sich vermittelte Widerspruchseinheit ewiger Freiheit kann aus freiem
Entschluß sich offenbaren. In dieser Wende wird „die Simultaneität zwischen den ver-
schiedenen Gestalten [des Nein, des Ja und der Einheit] aufgehoben und in eine
Folge verwandelt werden."76 Der Widerspruch in der höchsten Steigerung bricht die
Ewigkeit und setzt „statt der Einen Ewigkeit eine Folge von Ewigkeiten (Äonen)
oder Zeiten ... Aber eben diese Folge von Ewigkeiten ist es, was wir insgemein die
Zeit nennen. In dieser Entscheidung also schließt sich Ewigkeit in Zeit auf" (302
[678]). Die Offenbarung tritt logisch zuerst als Weltalter der Vergangenheit, der
Schöpfung hervor: Die Schöpfung ist aber gerade Verneinung des privativen nicht-
göttlichen Seins. Sie wiederholt den innergöttlichen Widerspruch zwischen übersei-
ender Freiheit und privativer Natur Gottes. Auch hier vermittelt Weisheit als
Schöpfungsmittlerin die Selbsttranszendenz der Freiheit zur Liebe: „In demselben
Akt also, da Gott sich zur Offenbarung entschloß, wurde zugleich entschieden, daß
Gott als das ewige Nein Grund der Existenz des ewigen Ja seyn sollte; es wurde
eben damit zugleich bestimmt, daß Gott als die ewige Verneinung des äußeren Seyns
überwindlich seyn sollte durch die Liebe" (303 [678]). Die logisch vorrangige Schöp-
fung ist immer-schon-vergangene: Sie ist das durch Liebe verwundene und in den
ewigen Anfang zurückgesetzte Nein als Grund des Ja.

71
F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 297 [673].
74
Vgl. M. Theunissen, Aufhebung des Idealismus; D. Korsch, Grund der Freiheit.
n
F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 299f [675f]. Die Lust der Weisheit am Weisen
(vgl. Spr 8,17; Weish 7,27f) erweise den Menschen in der Dialektik seiner Seele als „Ver-
knüpfungspunkt des ganzen Weltalls", als jenes Geschöpf, welches „eigentlich die Fortpflan-
zung der anziehenden Bewegung bis ins Höchste vermittelte" (ebd. 297 [673]).
76
Weltalter Bruchstücke, 303 [679]. Zum Gesetz der Simultaneität und Sukzession: 310
[686]; Weltalter Fragmente, 175-178.

303
Die Frage kann nur sein, was diese spekulative Weisheitslehre zur Klärung
dessen beiträgt, was wir messianische Ökonomie nennen. Nur soweit sie
daraufhin ausweisbaren Sinn hat, ist sie sachlich von Interesse.77
Überseiende Freiheit des sich erniedrigenden, sieb gebenden Gottes wird bei
Rosenzweig namenslogisch verstanden. Die Figur der Simultaneität der Poten-
zen, die als Sukzession der Weltalter nach außen tritt, wird jetzt als messia-
nische Ökonomie konsequent auf die Grammatik des Segens bezogen. Daß
der göttliche Namen sich gibt und die Homologie des Namens, die Benedik-
tion kreatürlicher Dinge und die Doxologie seiner Güte begründet, aber
seinen kontradiktorischen Homologien zugleich extern bleibt wird Inbegriff
seiner Unendlichkeit und überseienden göttlichen Freiheit.
Schellings Begriff der Weisheit Gottes erlaubt, die Verschränkung von Voll-
kommenheit des Schöpfers und die Privation der Schöpfung zu denken. Ho-
heit und Vollkommenheit der schöpferischen Weisheit in ihrer Ökonomie
(Weish 7,22-8,1) und Verborgenheit der Weisheit in der Schöpfung (Hi
28,1-28; Bar 3,9-38), und zwar gerade in der .fallenden' und .nichtigen' Zeit
(Pred 1,2; 12,8; Hi 7,16; Ps 39,6), sind verschränkt. Diese Verschränkung, als
welche .Weisheit' ist, begründet den Status promissionis der geschaffenen, in
die diachrone Vergangenheit zurückgesetzten Dinge. Diese Simultaneität von
Vollkommenheit und Mangel der Weisheit in der Schöpfung ist konzen-
triertester „Ausdruck des Handelns Gottes selbst in seiner Offenbarung, die
Verheissung und nicht Enthüllung (Apokalypsis) ist. Nicht nur unser Erken-
nen des schon für Gott, bei Gott Wirklichen ist im Noch-Nicht gehalten,
sondern Gott hält sich mit dem, was er an uns tun will, noch zurück. Aber
in seiner Verheissung verweist er auf die Fülle der Erfüllung, die immer dort,
wo er an uns handelt, zum Vorschein kommt." 78 Daher ist göttliches Han-
deln Sich-Verewigen des Ewigen.
Schellings Freiheitsphilosophie bildet die Brücke zwischen Kants schöp-
fungsphilosophischer Negativität und Rosenzweigs namenslogischer Unend-
lichkeit.79 Die Aporie der Reflexionsphilosophie, der Abgrund der Idee des
absolutnotwendigen Wesens, wird zum Ungrund des freien Aus-Sich-Heraus-
tretens des Absoluten.80 In der späten Philosophie der Offenbarung wird der

77
Die ideengeschichtliche Frage nach Einflüssen tritt hier zurück. Zur Ideengeschichte:
S. Moses, System und Offenbarung, 36-43; W. Schmied-Kowarzik, Franz Rosenzweig, 51-90;
R. Gibbs, Correlations, 40-45.
71
G. Sauter, Zukunft, 367, vgl. 174-177; 295-307.
79
Vgl. E.T. Charry, Franz Rosenzweig and the Freedom of God.
10
„Die Contraction des ersten wirkenden Willens, durch welche die uranfängliche Lauter-
keit sich selber mit einem Seyn überkleidet, ist mit der unergründlichen That in Vergleich
zu setzen, wodurch das menschliche Wesen sich vor aller einzelnen oder zeitlichen Handlung
zu einem innerlich bestimmten Wesen zusammenzieht, oder sich das gibt, was wir Charakter
in ihm nennen ... So nah liegt jedem Menschen der Ungrund der Ewigkeit, vor dem er sich
entsetzt, wenn er ihm vor's Bewußtseyn gebracht wird." (F.W.J. Schelling, Weltalter Frag-
mente, 93).

304
Ungrund der Freiheit zum Mangel an Sein in der Idee Gottes selbst: „es ist
dieser in der Idee gehöhlte Mangel an Sein, diese in ihrer eigenen Sphäre nicht
zu tilgende Negatität, welche das Motiv bereitstellt zum Übergang in die
.positive Philosophie'. Diesen Übergang aus dem Scheitern der negativen Phi-
losophie selbst motiviert zu haben, das genau ist das methodologische No-
vum" der späten Philosophie der Offenbarung.81
Der in der .Weisheit Gottes' vermittelte Übergang zur Positivität der Erfah-
rung führt zwar bei Schelling erneut zu unausweisbaren, und diesmal
materialistischen Konstruktionen. 82 Wichtig ist aber, daß menschliche Weis-
heit jetzt in ihrer Posteriorität und Externität charakterisiert wird. Sie ist
nicht „objektives Hervorbringen, sondern bloß ideales Nachbilden"; Vernunft
als Weisheit „ist nicht [mehr] der magische Beweger aller Dinge", in ihr „ist
nur noch Wissen".83 Die Angewiesenheit auf die unvorgreifliche Zeit gött-
licher Ökonomie ist der Grund, warum Kontingenz der Dinge widerfahren
kann, obgleich göttliche Vorsehung geglaubt wird. Darum ist die Erkenntnis
des Glaubens auf genuine Weise empirisch.

Die Posteriorität der Weisheit gegenüber dem unvordenklichen Sein habe sich der
transzendentalen Reflexion .spiegelverkehrt' dargestellt, also als Apriorität der
Reflexionsprinzipien: Reflexion entwirft selbst noch die Idee Gottes als Idee ihres
eigenen Grundes. Aber ihr widerfährt die Nicht-Identität des Absoluten in seiner
Idee. Die inverse Ordnung, in der sich die Relation von Sein und Bewußtsein für die
Reflexion darstellt, und damit die Nicht-Identität der Reflexion in der Idee des
Absoluten, bedürfe der Kritik durch einen .apriorischen Empirismus': „Die positive
Philosophie ... geht nicht bloß vom relativen, sondern vom absoluten Prius aus, und
leitet nicht im notwendigen, sondern im freien Fortschritt... das Apriorische ab. Die
positive Philosophie, die nur im freien Denken fortgeht, bedarf der Erfahrung zum
Beweise. Zwar das absolute Prius bedarf keines Beweises, wohl aber die Folge des
Abgeleiteten bedarf eines faktischen Nachweises und Beweises. Die Erfahrung wird
zum mitwirkenden. Die positive Philosophie ist apriorischer Empirismus. Die Erfah-
rung, der sie zugeht, ist die gesamte Erfahrung ... so wie die Wirklichkeit nie ge-
schlossen ist, so auch der Beweis nicht."84

81
M. Frank, Einleitung, 59, bezogen auf F.W.J. Schelling, Philosophie der Offenbarung
1841/42, 148-160.
82
W. Schulz, Vollendung des Deutschen Idealismus; J. Habermas, Dialektischer Idealismus.
Nach der Wende zur positiven Philosophie gilt: „Sie [die erzeugende Weisheit], die das Sein
wesen läßt, ist im Grunde - jenseits der reflexiven Verkehrung des Verhältnisses - das vom
Sein Gewesene" (M. Frank, Einleitung, 65). Gott als das Anders-Sein-Könnende, also: Gott
als Herr seines blinden Seins und als der vom blinden Sein Gewesene ist sich selbst durch
Weisheit vermittelt, die der .Anfang seines Weges' ist (Philosophie der Offenbarung 1841/42,
187f mit Spr 8,22f).
85
F.W.J. Schelling, Initia philosophiae universae, 27. Zur Entdeckung der inversen Ord-
nung zwischen absolutem Subjekt und Reflexion: F.W.J. Schelling, Initia philosophiae
universae, 43-46.
84
F.W.J. Schelling, Philosophie der Offenbarung 1841/42, 147.

305
Das im Stern geübte neue Denken steht zweifelsohne in der Tradition dieser
positiven Philosophie. Es gilt seinem Autor als „absoluter Empirismus" oder
als „erfahrende Philosophie".*5 Diese allzu schlagworthafte Selbstkennzeich-
nung führte nicht selten zu existentialen Interpretationen des Stern.1''
Demgegenüber soll hier der konkrete Zusammenhang von Weisheit, als
Inbegriff messianischer Ökonomie, und Gesetz hervorgehoben werden: Die
daseienden Dinge seien bedürftig nach Sein: „Unter die Fittiche solchen Seins,
das ihm Bestand und Wahrheit verleihen würde, drängt sich seine Kreatür-
lichkeit." (S, 134, Kursive HA) Da der Mangel an Sein zugleich als Mangel an
Wahrheit beschrieben wird, ist die Unterscheidung zwischen Bedürfnis und
Begehren einzuführen.87 Die Beschreibung der Kreatur als nach verliehenem
Bestand und Wahrheit drängende, charakterisiert sie doppelt: Ihr Bedürfen ist
zugleich zum leeren Begehren korrumpiert (Rom 8,20 ist dieser Wahrneh-
mung verwandt, aber grundverschieden). Es ist die entscheidende Frage, ob
sich ein Kriterium angeben läßt, „um die überaus wichtige Frage zu beant-
worten, ob ein Begehren, das die Anmeldung eines Bedürfnisses veranlaßt,
wirklich einem Bedürfnis entspricht. Seit Sokrates und Piaton war die Frage
nach diesem Kriterium das Hauptproblem der antiken Ethik."88
In dieser Frage setzt bei Rosenzweig die Lehre vom Gesetz als Weisheit an:
Das Gesetz ist Israels Weisheit, durch welche es korrumpiertes Begehren vom
kreatürlichen Bedürfen unterscheiden soll, „hkmh ist das antiheidnische Wort
wo der Neuheide Ethos sagt. So ist das Wort schon im Deuteronomium
gemeint: das [sc. das Gesetz] ist eure .Weisheit' [und euer Verstand vor den
Augen der Völker]" (BT, 776 und Dtn 4,6; vgl. Sir 24,1-34; Bar 3,36-4,4). Die
arme Kreatur wartet auf die Weisheit des Gesetzes, auf erfüllte Werke des
Gesetzes, die messianisches Leben und sabbatlichen Frieden mitteilen. Dies
wäre gutes Leben in der Doxologie des Schöpfers: ER ist gut. Das Bedürfnis
der Kreatur nach Sein, ihre Armut weist die Richtung, „in der wir dies
.einfältige Wort der Wahrheit' ... zu suchen haben." (S, 134) Das .einfältige
Wort der Wahrheit', in der das Dasein der Dinge ins Sein kommt, ist die
messianische Doxologie: ,ER ist gut!' Sie ist das paradigmatische Werk des
Gesetzes. In ihr ist das Erste Gebot erfüllt. Im doxologischen Gesang erblüht
die arme Kreatur mit der erwählten Gemeinde zum .ewigen Leben': „Allelu-
jah, laudate DOMINUM!" (Ps 150,6)

85
Z, 161 bzw. 144; ebenso: Buechlein, 73-78.
86
Exemplarisch die frühe Arbeit von E. Freund, Existenzphilosophie Franz Rosenzweigs;
weiter: N . Rotenstreich, Philosophie der Existenz; Schmied-Kowarzik, Franz Rosenzweig,
91-120; H.-J. Goertz, Tod und Erfahrung.
87
W. Kamiah, Anthropologie, 54f: Bedürfnis ist nicht als berechtigtes Begehren zu de-
finieren. Echte Bedürfnisse (z.B. Frischluft) können in bestimmten Situationen als berechtigte
Begehren zurückgewiesen werden. Ebenso gibt es Bedürfnisse (Atemluft), die in der Regel
nicht als Begehrungen bewußt werden. Begehren ist ein Fall von Sichverhalten, Bedürfnisse
(z.B. Atmung) sind vorgegeben.
88
W. Kamiah, Anthropologie, 56.

306
Zusammenfassung

1. Die ,zwei Glaubens weisen', die sich aus der Gabe des Namens begründen,
sind vor und in das Geheimnis der Gerechtigkeit Gottes gestellt: Dies be-
stimmt ihr kontradiktorisches und dialogisches Gegenüber. Zugleich teilen sie
je auf ihre Weise und mit jeweils eigenem Zugang grundlegende, produktive
Aporien, die sich stellen, wenn Theologie sich als Theoriebildung begreift.
Die Aporie prädikativer und propositionaler Glaubensrede bildet dafür das
Beispiel: Wie stellt sich in einer Theologie des göttlichen Namens die Rela-
tion von homologischer und propositionaler, von religiöser und nicht-religiö-
ser, alltäglicher Rede dar.
Daß der Stern der Erlösung diese Aporie als exemplarisches schöpfungstheolo-
gisches Problem beschreibt, ist nicht überraschend. Auch traditionell wird die
Aporie der wahrheitsfähigen Prädikation und der Verwendung der Prädika-
tion in Aussagen in der schöpfungstheologischen Sprachlehre verhandelt.
Charakteristisch ist vielmehr, daß nicht die Analogiefähigkeit prädikativer
Rede, sondern ihre syntaktische Metaphorik Leitfrage wird, wenn Geschöpf-
lichkeit der Sprache und der Sprecher theologisch zu entziffern ist. Der
kritische Verzicht auf eine systematisch konstruierte und kontrollierte Bedeu-
tungstheorie und die Polarität von syntaktischer Metaphorik und explorati-
vem Urteilssinn gibt der Rede von Geschöpflichkeit in der messianischen
Lebensform und Grammatik klaren und kritischen Sinn. Glaube an die
Schöpfung-im-Wort verlangt, den Sprachgebrauch des Glaubens übersichtlich
darzustellen: Es soll gesagt werden können, inwiefern der Glaube die Bedin-
gungen seiner wahren und wirklichen Aussagen und seiner Weltorientierung
in sich hat, inwiefern er also .seine Welt' erschafft und miterschaffen soll;
und inwiefern sich seine prädikative Rede auf Bedingungen .außerhalb' ihrer
selbst verläßt - und verlassen soll (nicht: kann).

2. Charakteristisch für den Stern ist sodann die materiale Entfaltung prädika-
tiver Glaubensrede als reale Orientierung im Chaos der Dinge. Die Theorie
prädikativer Rede wird also, im Unterschied zur traditionellen Analogielehre,
nicht protologisch-ontologisch formuliert. Schöpfung-im-Anfang ist vielmehr
aporetischer Grundlegungsbegriff des eschatologischen Geheimnisses des
göttlichen Namens, .versiegelte Verheißung'. Der Namensglaube beansprucht
keinen Standpunkt außerhalb der Sprache. Der ausgearbeitete Verzicht auf
jedes konstitutive Bild von Sprache und Referenz ist ein Aspekt einer Schöp-
fungstheologie des Namens.

3. Die Lehre von der Schöpfung-im-Anfang entfaltet die Gabe des Namens als
logischen Anfang weiter. Indem sich der homologische Glaube ,im Namen'
vorfindet und indem er den allein anzurufenden Namen vom Chaos der
Dinge unterscheidet, sind Sprachzeichen und also Dinge .schon da'. In die
Homologie des Namens einzutreten, bedeutet Erlernen von Geschöpflichkeit.

307
Hinter das Chaos der Dinge, hinter Sprachzeichen und hinter zeiträumliche
Existenz (als Verifikationsfeld des Satzes) braucht nicht zurückgefragt zu
werden. Es soll allerdings im prädikativen Unterscheiden der Dinge die
göttliche Unterscheidung des geschöpflichen Daseins, sein wachsendes Leben,
seine Zeit und darin seine verheißene Güte erlernt, explorativ fortgeführt und
bewährt werden. Die irreführende und sinnlose Frage: .Warum ist überhaupt
etwas und nicht nichts?', wird ersetzt durch die Frage: .Über welchem Da-
sein, zu welchen Zeiten, über welchen Werken und in welchen Grenzen darf
und soll vom Schöpfer gesagt werden: ER ist gut'?

4. Die alltägliche jüdische Benediktionspraxis ist ein Beispiel solcher realen


Orientierung im Namen. Sie wird durch schöpfungstheologische Regeln,
universelle oder grammatische Sätze, dimensioniert, begrenzt und struktu-
riert. Die Bilder der ,Schöpfung-im-Anfang' und der ,Schöpfung-im-Wort'
verschränken verheißene Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung und er-
fahrbare Sehnsucht der .armen Kreatur'. Diese Verschränkung bestimmt den
Begriff messianischer Ökonomie und die temporale Staffelung von Schöpfung,
Offenbarung, Erlösung. Für die ethische und eschatologische Beschreibung
von Gesetzeswerken ist dieser Begriff grundlegend.

5. Dem beständigen Unterscheiden und differenzierten Prädizieren des Da-


seins der Dinge in der Benediktionspraxis (als einem Exempel des Lebens im
Gesetz) liegt eine Grammatik der Prädikation zugrunde, die beides zu um-
schreiben sucht: daß im sprachlichen Handeln und Segnen tatsächlich das
Dasein der .Dinge' neu unterschieden, ihr bedürftiges und begieriges Leben
wahrgenommen und .erlöst' und in seiner Güte behauptet wird; und daß
eben darin nur ihr bereits unterschiedenes Dasein, ihr geschaffenes Schon-Da-
Sein und ihre verheißene, zeitgebundene Güte geschöpflich bewährt wird.

6. Im Segen des Sabbats zeigt sich inkommensurable göttliche Gerechtigkeit


als dichte, unerschöpflich individuelle Zeit. Im Eintritt des Sabbats wird un-
verrechenbare Liebe, welche in ihrer Mitteilung inkommensurabel ist, öffent-
lich begangen. Der Segen dieses Moments ist Segen der erlösten Schöpfung in
der Pluralität freier Geschöpfe. Die Geste des Sabbatsegens ist ein ikonisches
Zeichen des unendlichen Namens.

308
§ 13 Ethik der messianischen Lebensform .Gesetz'

1. Buber und Rosenzweig über das Gesetz: Ethische Beschreibung

Am 27. März 1922, nach der Publikation des Stern und bereits nach Aus-
bruch seiner Krankheit, nennt Franz Rosenzweig in einem Brief das Erlernen
des Gesetzes „ein, nein das Zentralproblem meines Lebens (nach Abschluß des
Sterns)" (BT, 761).' Ziel dieses Lernens sei ein zweites Lebenswerk gewesen:
„Ich hoffe (oder hoffte) im Stillen, daß ich eines Tages einmal in Jahrzehnten,
die Grundsätze, die Gesetze, ,das Gesetz' weiß und dann noch einmal den
Mund auftun und lehren kann."2 Zu dieser Lehre des Gesetzes kam Rosen-
zweig nicht mehr. Es ist jedoch aufschlußreich genug, daß Rosenzweig das
lebenslange Erlernen des Gesetzes zur Voraussetzung der Lehre erklärt. Das
Erlernen des Gesetzes aus Werken und ihrer Beschreibung bildet die Vorausset-
zung seiner Lehre vom Gesetz. Rosenzweig profilierte sie exemplarisch in
seiner Auseinandersetzung mit Martin Buber über das Gesetz.3
Der Stern erwies sich im Urteil seines Autors während dieser Kontroverse
als die Propädeutik zur Lehre des Gesetzes4. Die Analyse der Kontroverse
dient also dazu, den Neuansatz Rosenzweigs präziser zu lokalisieren. Die
Kontroverse um die Geltung des Gesetzes zwischen Buber und Rosenzweig
ist im Kern - so die These - eine Kontroverse um die Konditionen prakti-
scher Beschreibung des Werkes (und des Handelnden); und dies ist eine Frage
praktischer Urteilskraft.
Buber bleibt befangen in einer kantianisierenden Beschreibung des Gesetzes
als Pflicht zur Heiligung. Gerade weil seine Kritik am Gesetz an reformatori-
sche Gesetzeskritik anzuklingen scheint und der orthodox-jüdischen Gesetzes-
theologie scharf widerspricht, ist sie doch im Prinzip problematisch antinomi-
stisch. Buber insistiert auf der absolut persönlichen Verantwortung ,vor dem
Gesetz'*. Jeder Einzelne habe unter Einsatz seiner Berufung je aus dem
positiv-historischen Gesetz das ihm geltende Gebot Gottes auszuwählen und

1
Biographisch einschneidend waren Heirat und Gründung eines jüdischen Hauses. Dies ist
für die Tora-Theologie Rosenzweigs charakteristisch. Der Lebensanlaß stellt die Frage des
Gesetzes und der erste Grundsatz lautet: „Unterschied [sc. von den Christen] ja, Scheidung
nein. Wir wollen ein Haus, kein Ghetto. Bei uns soll jeder Jude essen können, den wir laden;
aber wir wollen auch zu jedem Christen gehen können, der uns einlädt" (BT, 659, an Edith
Hahn, 13.1.1920); Bildung und kein Ende, Z, 495-497. Es sind auch hier die Speisegesetze
(kaschrut), welche Gesetzestheologie veranlassen (vgl. Gal 2,1-10; IKor 8-10; Rom 14-15).
2
BT, 762, vgl. 764; 784; 951; 1196.
3
Wichtig sind: M. Buber, Cherut, 122-144; F. Rosenzweig, Die Bauleute, Z, 699-712;
weitere Texte werden ad hoc zitiert. Zur Interpretation: G. Bonola, Franz Rosenzweig und
Martin Buber, 225-238.
4
Der Stern enthalte eine Theorie des Gesetzes in nuce, BT, 984 (25.8.1924); vgl. BT, 951.
5
Vgl. Buber an Rosenzweig, BT, 978 (13.7.1924).

309
sei darin allein Gott verantwortlich. Gott ist kein Gesetzgeber, sondern der
Mensch ist Gesetznehmer: eben weil ihn das Gesetz in die Versuchung führe,
wie Gott sein zu wollen;6 eben weil ihm dasselbe Gesetz dann zur Anklage
der Sünde werde; eben weil also das Gesetz zur Verurteilung, nicht zur
Erlösung gegeben sei, Offenbarung nicht von Gott, sondern von dem Mittler
Mose (Dtn 5,5f, vgl. Gal 3,19f);7 - eben deshalb gelte kein Gesetz und kein
Rechtsspruch (Dtn 5,28) als solcher, sondern bei jedem einzelnen sei wieder
und wieder zu fragen: „Ist das zu mir gesagt, mir zu Recht? So daß ich mich
einmal zu ys'r'l [Israel], das angeredet wird, zählen kann und ein andermal,
viele andere Male nicht. Und wenn ich irgend etwas mit ungeteiltem Herzen
mswh [mizwa] zu nennen vermag in meinem eigenen Leben, so ist es eben
dies, daß ich so tue und so lasse."8
Aber die einsame Verantwortung des Prüfens und Wählens beschreibt das
Gesetz als absolute Heiligkeit im Modus des Sollens, wobei .Sollen' Ausdruck
der Differenz von Sünder und heiligem Gott ist und - schlimmer noch -
gerade als Sollen zum Seinwollen wie Gott verführt. Dieses Gestelltsein ,vor
das Gesetz' - wie sie wenig später Kafka, der Hörer Bubers9, beschreibt -
droht vor dem Gesetz zu enden. Sie findet nicht ins Gesetz. Rosenzweig
hingegen sucht nach dem Gesetz im ,Bund des Lebens' (lSam 25,29).10 Er
geht aus von der „gott-menschliche[n] Wirklichkeit des Gebots", um sie je im
Werk aufzufinden (BT, 1004). „Die Tat entspringt - ein Sprung auch hier! -
erst an der Grenze des bloß Tubaren, da wo die Stimme des Gebots augen-
blickshaft den Funken von ,Ich muß' zu ,Ich kann' überspringen läßt. Aus
solchen Geboten und nur aus solchen erbaut sich das Gesetz." (Z, 708) Im
Werk, sofern ex post die Stimme des Gebots in ihm identifiziert wird, ist das
Gesetz aufzufinden und zu beschreiben. Im Beschreiben des im Werk .gegebe-
nen' Gebotes könne das geschriebene und tradierte Gesetz erneut Verbind-
lichkeit gewinnen. Das orthodox-nomistische", das liberal-autonomistische12

6
Buber an Rosenzweig, BT, 974 (24.6.1924): „Ich glaube nicht, daß Offenbarung je Gesetz-
gebung ist; und in der Tatsache, daß aus ihr immer Gesetzgebung wird, sehe ich die Tatsache
des menschlichen Widerspruchs, die Tatsache des Menschen." Und die verschärfte Wiederho-
lung dieses Axioms am Ende der Debatte, BT, 1039. Zur scharfen Kritik Bubers am or-
thodoxen Judentum: ders., Der Jude und sein Judentum, 112.125.136.
7
Buber an Rosenzweig, BT, 977.
' BT, 977, Brief Bubers an Rosenzweig vom 5.7.1924.
' Franz Kafka, Vor dem Gesetz, Sämtliche Erzählungen, 148f, geschrieben Herbst 1914.
Franz Kafka hörte die ersten Vorträge Bubers, die später in den Reden über das Judentum
zusammengefaßt wurden, im Verein Bar Kochba in Prag (G. Bonola, 238).
10
Die Rede vom .Bund oder Gebinde des Lebens' vermittelt schon bei Cohen die Anrech-
nung des Verdienstes der Eltern an die Kinder: „Gott gedenkt nicht sowohl der Liebe der
Väter zu ihm, sondern der Liebe Gottes zu den Vätern, welche als der andauernde Grund
der Geschichte Israels gedacht wird. Und an diesen Sinn des Satzes schließt sich der Folgesatz
an: ,und er bringt den Erlöser ihren Kindeskindern.'" (H. Cohen, RV, 373, vgl. 371).
11
Zur Kritik: Z, 703f.629.631.763f.
12
Zur Kritik vgl. BT, 1001; S, 157-161, JH, 103f; 109f.

310
und das dialogisch-antinomistische13 Verständnis von Gesetz erlangen hin-
gegen die von ihnen intendierte Verbindlichkeit nicht.14 Das Gesetz bleibt
unkenntlich, solange es nicht in Werken und einer bestimmten Lebensform
besteht. Diese zu beschreiben und ihre Lernbarkeit darzustellen, ist die Auf-
gabe der Lehre vom Gesetz.
.Theologie' stellt sich also im Stern als grammatisch-theologische Propädeu-
tik bestimmter Sprachspiele und Texte dar, die zur Beschreibung der in ihnen
vorausgesetzten Lebensform .Gesetz' hinführt.15
In welchem Sinne ist die Grammatik eingebettet in die Lebensform Gesetz?
Sofern Sprechen nicht nur durch grammatische und logische Regeln geregelt
ist, sondern durch eine Übereinstimmung in (nicht technisch-pragmatischen)
Urteilen, welche die Anwendung dieser Regeln bestimmt, d.h. in diesem Fall
durch die gemeinsame Wahrnehmung dessen, was ,an der Zeit' oder was
.Handeln' ist.16 .Gesetz' stehe also vorläufig für eine bestimmte Lebensform,
die als gemeinsame Urteilsdimension vorausgesetzt ist, damit in Werken
Gebote konsensuell aufgefunden und ausgesprochen werden können, und die
eine bestimmte Wahrnehmung der Ökonomie Gottes impliziert, die wir ,mes-
sianisch' nennen: „Nicht daß die Juden auf den Messias hoffen, sondern daß
sie auf ihn harren (d.h. ein Leben der Hoffnung führen), das macht ihren
.Messianismus' zu mehr als einem Ismus, das macht ihn zu einem Glauben,
einem Leben." (Z, 589) Die ethische Beschreibung der messianischen Lebens-
form .Gesetz' aus den Werken mit dem Ziel, das Erlernen des Gesetzes
anzuleiten, meint nicht nur die Aufgabe, die in den Werken befolgten Gebote
zu explizieren, sondern zugleich die in den Werken enthaltenen Erfüllungs-
bedingungen. Das Erlernen des Gesetzes geht einher mit dem Erlernen des
Urteilssinns der Hoffnung.
Rosenzweig führt so in gewisser Weise (und zwar gegen Bubers Kantia-
nismus) Kants Frage nach einer historisch-politischen Urteilskraft weiter: Ihm
geht es darum Widerfahrnisse und Handlungen als Werke des Gesetzes, und
Werke des Gesetzes als Früchte des Reiches Gottes zu beschreiben, und dabei
die Konditionen und Grenzen einer messianischen Urteilsöffentlichkeit freizu-
legen, die sich mit der Beschreibung jeweils erst herausbildet und nur durch

" Zur Auseinandersetzung mit Bubers Antinomismus, vgl. Z, 699-712 (Die Bauleute) und
die daran anschließende Korrespondenz: BT, 974-982.1039f.
M
Vgl. Z, 492f; 700-702; BT, 762f.
15
„Ethik kann ... verstanden werden als die Beschreibung derjenigen Lebensform, die mit
dem Reden von Gott gegeben ist" (H.G. Ulrich, Was heißt: Von Gott reden lernen?, 188).
" Diese Bestimmung ist voraussetzungsreicher als diejenige Wittgensteins, der Lebensform
als formale Urteilsdimension einführt: „Richtig und falsch ist, was Menschen sagen; und in
der Sprache stimmen die Menschen überein. Das ist keine Übereinstimmung der Meinungen,
sondern der Lebensform ... Zur Verständigung durch die Sprache gehört nicht nur eine Über-
einstimmung in den Definitionen, sondern (so seltsam das klingen mag) eine Überein-
stimmung in den Urteilen." (L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 241f,
356).

311
diese Beschreibung fortpflanzt.17 Die ethische Beschreibung der Lebensform
.Gesetz' zielt auf ein sich im Erlernen herausbildendes neues „Systemfs] von
Straßen" (BT, 764). Nicht die Rekonstruktion eines .normativen Judentums'
ist das Ziel, sondern das Auffinden des inneren Zusammenhangs der ver-
schiedenen Wege des Judentums, ihrer Übereinstimmung in der Wahrneh-
mung der Zeit und der Zeiten je im Werk. Die beiden Fragen .Was dürfen
wir hoffen?' und .Was sollen wir tun?' sind erneut in der Frage nach einem
Urteilssinn und einem konsensuellen Handeln vermittelt, das einer (nicht-na-
turalistischen, nicht-historischen) Lebensform inkorporiert ist.

2. Lebensform .Gesetz' und ihre Beschreibung

Rosenzweig setzt zur Beschreibung dieser Lebensform nicht bei einer histori-
schen Offenbarung des Gesetzes als Traditionsquelle an18, sondern bei der
Gabe des Namens an Israel, diesem Ereignis sui generis: „Das Judentum ist
nicht Gesetz. Es schafft Gesetz. Aber es ist es nicht. Es ,ist' Judesem"
(BT, 762). Israel existiert (gleichsam enhypostatisch?) im Namen Gottes, der
„sein unzugänglichstes Geheimnis [sc. ist] und doch hervorbrechend aus jeder
Gebärde und aus jedem Wort, und aus dem unbeachtetsten am meisten."
(Z, 493) Gesetzeshermeneutischer Schlüsseltext ist Dtn 30,11-14 (BR)19:
„Denn dieses Gebot, das ich heuttags dir gebiete, nicht entrückt ist es dir,
nicht fern ists ... Nein, sehr nah ist dir das Wort, in deinem Mund und in
deinem Herzen, es zu tun." Dieses im Herzen nahe Wort des Gebots und die
darin eröffnete Urteilskorrelation nannte Hermann Cohen Heiliger Geist20,
Rosenzweig Israels Weisheit, praktiziert als Urteilssinn (t'm).

2.1 Das ,Gebot, den Namen zu lieben' als Maß

Der gebietende Gott steigt herab (Ex 19,20; 34,5; Num 11,25 u.ö.)21 und
räumt Urteilsfreiheit ein: Gebot ist unbedingte Bitte, nicht Pflicht und nicht

17
.Widerfahrnisse' meint hier: Ereignisse und Vorgänge (Altern, Tod, Schlaf, Geburt), kon-
stitutiv bezogen auf menschliche Bedürftigkeit (W. Kamiah, Anthropologie, 36); im Termi-
nus .Handlung' ist .Sich-Verhalten' (als generellerer Prädikator) und .Gewohnheit' (als
speziellerer Prädikator) mitvertreten. Zum Ineinandergreifen von Widerfahrnis und Hand-
lung (ebd., 34-40). Die Unterscheidung von .Bedürfen' und .Begehren' wurde bereits einge-
führt.
18
Zur Möglichkeit historischer Kritik der Sinai-Offenbarung: Z, 703f. Darin ist sich
Rosenzweig mit Buber bis zu einem gewissen Grad einig: BT, 974.976f.977.978.
" Zur Bedeutung dieses Textes für die paulinische Hermeneutik des Gesetzes, v.a. in
2Kor 3,1-4,6: R. Hays, Echoes, 154-192.
20
H. Cohen, RV 94f zu Dtn 30,11-14.
21
Vgl. Z, 82; 629; 631; BT, 979; 1040.

312
Befehl. „Ein Absolutes, das zum Menschen spricht: nimm mich in dich aufl So
spricht eben die .Wahrheit' nicht; sie sagt: gib mich dir hin ... aber nicht:
wirke mein Werk, tue meinen Willen (was für eine Paradoxie das! der All-
mächtige, statt seinen Willen selber zu tun, verlangt von uns, wir sollen ihn
tun - und sind doch Staub und Asche). Indem aber dem Menschen dies
gesagt wird, erhält seine Maßlosigkeit und Maßallerdinghaftigkeit ihr Maß
und damit das gute Gewissen, alle Dinge zu messen"22.
Das Gebot, den Namen zu lieben (Wahabta), wird zum Kanon, genauer:
zum Maß des Gewissens. Kants Kritik des Liebesgebots behält also durchaus
ihre Gültigkeit. „Ja gewiß, Liebe kann nicht geboten werden; kein Dritter
kann sie gebieten und erzwingen. Kein Dritter kanns, aber der Eine." (S, 196)
Dieses .Gebot' steht also unter dem Vorbehalt der Präsenz und Kondeszen-
denz des Namens, in der es zur .Bitte' wird. Das Gebot, den Namen zu
lieben, kann deshalb als einziges nie Gesetzesform haben. Es ist vielmehr das
Maß der Gesetzes/ör/w. Rosenzweig antwortet also auf die theologische
Aporie des Formalismus23 mit der dialogisch-eschatologischen Ethik des Lie-
besgebots. „Deshalb, als das einzige reine Gebot, ist es das höchste aller
Gebote, und wo es als solches an der Spitze steht, da wird alles, was sonst
und von außen gesehen wohl auch Gesetz sein könnte, gleichfalls Gebot. So
wird, weil Gottes erstes Wort an die sich ihm erschließende Seele das .Liebe
mich' ist, alles, was er ihr sonst noch in der Form des Gesetzes offenbaren
mag, ohne weiteres zu Worten, die er ihr .heute' gebietet, wird zur Aus-
führung des einen und ersten Gebots, ihn zu lieben." (S, 197f, vgl. Dtn 6,6;
Ps 95,7)24 Dem Liebesgebot wird (scheinbar wie dem kategorischen Imperativ)
in bestimmter Weise blind gehorcht. „Der Imperativ des Gebots trifft keine
Voraussicht für die Zukunft; er kann sich nur die Sofortigkeit des Gehor-
chens vorstellen ... Das Gesetz rechnet mit Zeiten, mit Zukunft, mit Dauer.
Das Gebot weiß nur vom Augenblick" (S,197). Aber hier vermittelt nicht
reine praktische Urteilskraft zwischen innerem Hören und Tun, um Hand-
lungsmomente zu spezifizieren und dem freien Willen zu imputieren, der
seinen Zweck und seine Verfassung in praktischen Weltbildern entwirft.
Vielmehr vermittelt hier praktischer Urteilssinn (t'm) und Brauch die Auf-
findung der messianischen Lebensform im jeweiligen Werk des Gesetzes.

22
Z, 119f (Oktober 1917). Diese Stelle hält den Moment der Entdeckung, d.h. der ersten
klaren Formulierung des Konzepts des metaethischen Menschen fest.
23
Vgl. § 5,3.
24
Vom Kanon im strengen Sinn kann nicht die Rede sein, da es kein Regelgefüge gibt.
Dazu Rosenzweig (BT, 789): „Was unterscheidet das Gesetz vom Satz? Eben die Unrubrizier-
barkeit, die Unsystematisierbarkeit. Es hat keine Obersätze (außer dem als Gesetz, als Satz
unmöglichen der Liebe). Es gibt keine wichtigen und unwichtigen. Nur dadurch erhält jede
Gesetzeserfüllung die Note des Jetzt. Gegen jene [sc. deuteronomistischen Grundsätze, vgl.
Dtn 11,32; 6,6]: .erfülle das Gesetz als wenn es heute geboten wäre' steht der kategorische Im-
perativ (jeder!) .lebe dem Gesetz aus dem Gesichtspunkt der Ewigkeit, handle - heute - so,
daß die Maxime deines Willens Grundlage einer ewigen Gesetzgebung geben könnte.'"

313
Diese Kunst ethischer Beschreibung des Gesetzes aus dem Werk und als
Lebensform ist näher zu entfalten.

2.2 Aspekte ethischer Beschreibung

Die nahe Stimme der Bitte wird durch das Werk und seine Beschreibung zum
öffentlichen Gesetz Gottes.25 Urteilsmaß ist das Liebesgebot als Maß dieser
Beschreibung. Denn die Lebensform Gesetz erhält sich und generiert sich
durch das erwartete Handeln&ö'nnew, durch das augenblicklich widerfahrende
Handelnm««e« und durch Beschreibung von Handeln als Werk des Gesetzes
und als Frucht des Reiches Gottes: „eine einzige, Sitte und Gesetz in eins
schließende Lebensform erfüllt den Augenblick und macht ihn ewig."26
Es ist nun eines, augenblickliches Handeln als widerfahrendes und eben
darin gebotenes Werk zu beschreiben und dieses im Werk aufgefundene
Gebot sachgemäß als Gesetz zu formulieren. Es ist ein anderes nach seinem
Zusammenhang mit dem geschriebenen und tradierten Gesetz (Tora; Talmud,
Tosefta: Halacha) zu fragen oder es darin wiederzuerkennen. Diese beiden
Leistungen umfassen die eigentlich gesetzestheologische Beschreibung. Es ist
ein Drittes, anthropologische Erfüllungsbedingungen der im Werk präsenten
Lebensform zu explizieren. Es ist ein Viertes, das Werk darin als Verdienst
innerhalb der Lebensform Gesetz und als Frucht des wachsenden Reiches
Gottes eschatologisch zu beschreiben. Es ist ein Fünftes, sachgemäße gesetzes-
theologische, anthropologische und eschatologische Beschreibung als ethische
Beschreibung in ihrem Zusammenhang zu analysieren und diese ethische
Beschreibung selbst als ein genuines Handeln, als .Erlernen des Gesetzes' und
Generieren der Lebensform .Gesetz' zu bestimmen.
Eine Schwierigkeit des Stern besteht darin, daß verschiedene Beschreibungs-
weisen mitunter zugleich praktiziert werden. Zudem bietet Rosenzweig nur
ihre propädeutische Explikation - mehr nicht. Die Entfaltung der Gesetzes-
theologie beginnt erst nach Abschluß des Stern und bleibt Fragment. Das gilt
auch für ihre hermeneutischen Aspekte, die zudem am Beispiel der Schrift-
übersetzung Rosenzweigs bereits recht gut untersucht sind. Die anthro-
pologische Explikation ist beispielhaft von Emmanuel Levinas durchgeführt
(und wird deshalb in dieser Untersuchung nur gestreift). Unsere Untersuchung
konzentriert sich - auf der Linie ihrer Gesamtfragestellung - auf die Frage
eschatologischer Beschreibung als Aspekt des Erlernens des Gesetzes. Inwiefern
wird mit einer bestimmten eschatologischen Beschreibung das Erlernen des
Gesetzes selbst erlernt. Die anderen Fragen kommen nicht oder nur insoweit
in den Blick, als sie zur Explikation der eschatologischen Beschreibung von

25
Rosenzweig nennt als Beispiel der Korrelation von Kondeszendenz und Urteilsfreiheit
das Gleichnis des Rabbi Jizchak von Worki (BT, 982): M. Buber, Erzählungen, 810f.
26
S, 337 (Kursive HA), vgl. BT, 762; Z, 536; 832.

314
Bedeutung sind. Der Skizze dieses Zusammenhangs dienten die vorangehen-
den und dienen die folgenden Bemerkungen dieses Abschnittes.

(1) Brauch und Urteilssinn: Der Ansatz bei der gegebenen Lebensform Gesetz,
nicht beim Sollen, bringt es mit sich, daß der Rigorismus der Maximen-
analyse (Kant, RGV B 8-15; 7, 668-672) gleichsam zum Rigorismus ethischer
Beschreibung der messianischen Lebensform Gesetz wird. Adiaphora werden
ausgeschlossen:

„Grade das, was die Orthodoxie grundsätzlich [sc. als im Gesetz ungeregeltes,
.erlaubtes' Adiaphoron] freigegeben hatte, grade das muß jüdisch geformt werden. In
den Raum, der außerhalb jener Grenzlinie lag, tritt der Minhag, der Brauch, und der
Taam, der Sinn, also ein Positives an Stelle des negativen .Erlaubt' ... Es darf grund-
sätzlich kein Bezirk des Lebens mehr preisgegeben werden. Um je ein Beispiel für
die beiden Möglichkeiten zu sagen, die hier gemeint sind: wo jüdisch gegessen
werden soll, da müssen die zahllosen nur mündlich von Mutter zu Tochter überlie-
ferten Bräuche des Speisezettels ebenso unverletzlich sein wie die Trennung von
Milch- und Fleischdingen; und wer am Sabbat einen Geschäftsbrief selber nicht
aufmacht, darf ihn auch dann nicht lesen, wenn ein andrer ihn ihm öffnet. Überall
muß dem Brauch und dem Sinn der gleiche Rang und die gleiche Unverbrüchlich-
keit werden wie dem Gesetz." (Z, 706)

Der halachische Terminus mnhg {minhag, Brauch) wird durch den Begriff
(t'm) erläutert, der, wie erwähnt, .Urteilssinn' meint (biblisch: Geschmacks-
sinn, Geschmack; sodann: Takt, Scham, Witz, Urteilssinn, ,Herz'; schließlich:
Urteil27). Die paränetische Tradition, der Brauch, und ein genuiner Urteils-
sinn, der im Brauch das Gebotene aufzufinden weiß, sind kennzeichnend für
Rosenzweigs Verständnis von Gesetz. Denn um die aufzufindende Nähe des
Gebots im Handeln geht es (Dtn 30,11-14): „Gebot aber, Gebot das sich
unmittelbar, im Augenblick wo es vernommen wird, in Tat umsetzt, muß
das Gesetz wieder werden. Es muß die Heutigkeit wiederkriegen, die alle
großen jüdischen Zeiten als die einzige Bewährung seiner Ewigkeit empfun-
den haben." (Z, 707f) In der Lebensform .Gesetz* wird so je im Gesetzeswerk
das Gesetz Gottes wiederentdeckt. Die heutigen .Bauleute' des Gesetzes sind
.Kinder' des Verdienstes der Eltern und .Ahnen' im Bund des Lebens:

„... die letzte Wahl ist unserm Willen entzogen und unserm Können vertraut.
Freilich, sowie das Können kann, kann es nicht mehr anders; es wird Nichtanders-
können, Müssen ... Wie unser ganzes Sein, und in jedem Augenblick, vor die Auf-
gabe der Heimkehr gestellt ist ... so muß auch das Aufnehmen der Aufgabe durch
unser ganzes Sein geschehen. Die Entscheidung, die aus dem Können geschieht, kann
nicht irren, weil sie ja gar nicht zu wählen, nur zu gehorchen hat. Eben darum kann

27
H.W. Wolff, Anthropologie, 28f.84.121.254; dazu: Ps 34,9; Pred 31,18/lSam 25,33; Ps
119,66; Hi 12,20; Pred, 11,22; 26,16; Sir 25,18/Jona 3,7.

315
auch keiner den andern zur Rede stellen, obwohl jeder den andern lehren kann und
muß; denn was einer kann, weiß er nur selber ... Auch weiß keiner, ob nicht im
Nichtkönnen des andern mehr Bauarbeit an der Lehre und am Gesetz geschieht als
im eignen Können. Nur daß uns allen die Möglichkeit, zu können, gegeben ist, das
wissen wir ... Darum dürfen wir erwarten, uns irgendwie und irgendwann in jedem
Wort und in jeder Tat der Väter wiederzufinden, und hoffen, daß unser Wort und
unsre Tat für die Enkel nicht ungesprochen und nicht ungetan sein wird. Denn wir
sind, die Schrift schreibt es, .Kinder' und sind, die Überlieferung liest es, .Bauleute'."
(Z,711f, vgl. Jes, 54,13)

.Gesetze', die in den erzählten Werken der ,Väter' aufgefunden und in erzähl-
ten Werken aufbewahrt werden, umschreiben Erfüllungsbedingungen des
.ewigen Lebens', das - wie die Benediktion nach der Toralesung sagt - mit
dem Gesetz ins Volk eingepflanzt ist: „Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott,
König der Welt, der uns die Lehre der Wahrheit gegeben und ewiges Leben
in uns gepflanzt hat. Gelobt seist du, Ewiger, der die Tora gegeben."28

(2) Verdienst und Schuld: Das Werk wirkt innerhalb der Lebensform Gesetz
als Segen oder Fluch, Verdienst oder Vergehen, d.h. es ist daraufhin zu
beschreiben - wobei die charakteristische Asymmetrie von Segen und Fluch
betont wird.29 Die Imputationsfrage mit ihrem Interesse an der Konstitution
des freien ethischen Subjekts erweist sich gegenüber der zu erlernenden
anthropologischen Beschreibung als nachrangig und in ihrer modernen Fas-
sung als kritikbedürftig. .Verdienst' oder .Vergehen' sind ja weder als soterio-
logische noch als strafrechtliche Termini von Interesse, sondern bezogen auf
die messianische Lebensform. Nicht die Zuschreibung guter Werke zum
handelnden Subjekt ist von Interesse, sondern die Identifikation des Werks als
Frucht des Reiches Gottes in der messianischen Lebensform. Vor allem aber
wird der strafrechtliche Sinn der Imputation, der dem Imputationsbegriff

21
Sidur, 58. Die Benediktion vor der Verlesung lautet: „Gelobt seist du, Ewiger, unser
Gott, König der Welt, der uns erwählt hat aus allen Völkern und uns die Thora gegeben hat.
Gelobt seist du, Ewiger, der die Thora gegeben." (ebd.) Zu den Hymnen vor und nach der
Toraverlesung, Sidur, 57f.59f; Trepp, 46-48.
29
Rosenzweig erneuert also die Rede von ,Lohn' und .Vergeltung': Die Androhung von
Unheil bis ins dritte und vierte Glied und die Verheißung von Heil bis ins tausendste Glied
(Ex 20,5b.6; Dtn 5,9b. 10, vgl. Ex 34,7) zeige, daß Unheil begrenzt und sichtbar, Heil hin-
gegen übernatürlich und grenzenlos sei. Die Strafe setze voraus, daß ein diesseitsewiges Volk
existiere, in welchem zugleich Strafe und Unheil bis ins dritte und vierte Glied und Heil bis
ins tausendste Glied möglich ist. „,Bis ins tausendste Geschlecht' - das ist Metapher [der
Hoffnung]. Dagegen ,bis ins dritte und vierte Geschlecht' - das ist anschaulich gemeint: die
Lebensdauer eines Menschen, der Enkel und Urenkel sieht und auf sie einwirkt. Also grade
was Menschen Gutes tun, das überlebt sie! Das Heil ist unendlich, das Unheil ist begrenzt.
Und zwar natürlich begrenzt, durch die Lebensdauer des Menschen. Während das Heil
«^ernatürlich grenzenlos ist. Warum aber überhaupt das Unheil? Weil ein Heil ein natürli-
ches Unheil heilen muß, sonst ist es kein Heil" (BT, 779; vgl. JH, 108-110; BT, 536; Z, 608f).

316
zugrunde liegt, in der hier zu übenden anthropologischen Beschreibung neu
bestimmt. Die Idee strafrechtlicher Gerechtigkeit und individueller Imputa-
tion kann die Frage nach dem Verständnis eschatologischer Gerechtigkeit
Gottes und die Frage nach dem Schuldbekenntnis im Angesicht Gottes nicht
leiten.

Rosenzweig löst sich frühzeitig von der Imputationstheorie Kants. In einer originä-
ren Interpretation von Jes 53 notiert er: „Die Gleichung von Individualschuld und
Individualstrafe ist heidnisch, die von Individualschuld und Kollektivleiden ist offen-
bart. Durch die Kollektivbürgschaft der Einzelnen und Jesaja 53 wird sie konstituiert.
Heidnisch ist nämlich der Gedanke, daß die Schuld bemeßbar sei, offenbart dagegen,
daß sie .größer ist als daß ich sie tragen' könnte und mir also innerlich nur durch
die unergrundbare Gnade Gottes, äußerlich nur durch die unberechenbaren Leiden
der Liebe abgenommen werden kann. So wird das Strafrecht verneint" (Z, 111).3°

(3) Gesetzesform und ethische Hypothese: Die apodiktische Gesetzesform kann


nicht mehr als principium cognoscendi transzendentaler Freiheit und mora-
lischer Charaktergründung gelten. Der Charakter ist v o m W e r k u n d seinem
Widerfahrnis aus in den Blick zu nehmen. „Jetzt bleibt die Willensrichtung;
aber sie ist n u n nicht mehr einfürallemal festgelegt, sondern in jedem Augen-
blick stirbt sie u n d wird erneut." (S, 238) Die Gesetzesform projektiert die
augenblickliche Befreiung von der moralischen Pflicht des Charakters ins
finite Werk. 31 Gesetze fungieren, gerade aufgrund ihrer scheinbar kategori-
schen Form (z.B. das Gebot, den N a m e n zu lieben; das Gebot der Näch-
stenliebe; der Dekalog), eher als .ethische Hypothesen'. 3 2 Das kategorische
Sollen ist die F o r m des Hinweises auf die stets zu erwartende, weil verheiße-
ne Erfüllungssituation der Gesetze.

Praktischer und hermeneutischer Urteilssinn: Gesetze projektieren, wie es sich ver-


hält, wenn sie erfüllt sind; sie projektieren Erfüllungssituationen, in denen Werke
dem Wählen entzogen und dem Können anvertraut sind. Sie formulieren bestimmte
Anweisungen, aber in der Erwartung des Handelns Gottes. Sie projektieren ein
Können, das dann zum Müssen wird, ein Werk, das Widerfahrnis ist. Sie verbinden
- so Rosenzweig - projektierende Erzählung und lehrhaft-gebietende Pointe: Text-
hermeneutisch führt diese Beschreibung der Gesetze zur Entdeckung der „Einheit
von Erzählung und Rechtsbegriffen" im kanonischen Text (BT, 706). Dieses .Form-
geheimnis der biblischen Erzählungen' expliziert Rosenzweig 1928 als Summe seiner
übersetzerischen Erfahrung: In der biblischen Erzählung soll „genau wie im natürli-

30
Eine scharfe theologische Kritik des Imputationsbegriffs findet sich in JH, 103f.l09f;
BT, 945. Zur Gesamtfrage der Inkommensurabilität göttlicher Gerechtigkeit: § 3,4.
31
„... die Liebe des Nächsten bricht immer neu hervor; sie ist ein Immerwiedervonvornbe-
ginnen; ... Sie darf keine Vergangenheit haben und in sich selbst auch keinen Willen zu einer
Zukunft, keinen .Zweck'; sie muß ganz in den Augenblick verlorene Tat der Liebe sein."
(S, 240)
32
Vgl. G. Sauter, Hypothesen.

317
chen Gespräch, die Erzählung, soweit sie nicht Botschaft, also episch ist, sondern
anekdotisch, also Lehre, das dialogisch Zweite sein: Antwort, nicht Frage, göttlicher
Widerspruch und Zusatz zu eigenmenschlichem Spruch und Satz. Als [.epische']
Botschaft tritt sie an den Menschen heran, aber als [.anekdotische'] Lehre muß er sie
herausfordern. Offenbarung geschieht ihm, aber Gebot erzwingt er durch sein Tun
... Offenbarende Botschaft, gebietende Lehre - beides ungetrennt will die biblische
Erzählung sein." (Z, 821f) Als Beispiel dieses Ineinanders von erzählter Botschaft und
herausgeforderter Lehre nennt Rosenzweig Gen 1,1-2,4: „Die Welt geschaffen und
vollendet - aber erzählt wird es so, daß der Mensch nun weiß, weshalb er sechs
Tage arbeiten und am siebenten nach vollendeter Arbeit feiern soll." (Z, 822)
Projektierte Situation (gleichsam das Stichwort für das Gebot) und gelehrtes Gebot
(gleichsam die situationsqualifizierende Pointe) bilden einen Dialog, der den bibli-
schen Text selbst durchzieht und Texte als Momente eines Gesprächs aufeinander
bezieht: „So hat die biblische Erzählung in sich selbst Stichwort und Pointe. Und
jede Pointe kann wieder Stichwort für eine nächste werden. So daß unter Um-
ständen eine Geschichte aufgespannt ist auf ein Gerüst einer ganzen Reihe gleicher
oder formal zusammenhängender Worte oder auch formelhafter Sätze, die aber unter
sich jedes mit dem nächstvorhergehenden wie die Wendungen eines schlagfertigen
Dialogs zusammenhängen ... Die Bindungen und Verklammerungen können ganz
dicht beieinander sitzen, sie können aber auch durch weite Strecken der Erzählung
getrennt sein, ja sogar getrennte Erzählungen zu höheren erzählerischen Einheiten
verschränken."33
Der biblische Text übt selbst das „Grundprinzip der talmudischen und rabbini-
schen Exegese, wonach zum Verständnis der Bedeutung eines Verses die Frage ge-
funden werden muß, auf welche dieser antwortet"34. Die lehrhafte Pointe erweist
sich, wenn das Fragestichwort, die Situation, gefunden wird; die Situation wird zur
messianischen, wenn der biblische oder rabbinische Lehrsatz sie als Stimme des
Gebots pointiert. Daraus entsteht der „sich über viele Jahrhunderte hinziehende,
nicht abbrechende Dialog der Geschlechter, dessen Protokoll der Talmud bildet",
und dessen projizierte Lehrkontinuität „ein letzten Endes nicht eigentlich histori-
sches Medium"35 darstellt: das Gesetz als Lebensform. Der an der Dialogik der Texte
geschulte hermeneutische Urteilssinn ist der praktische und dieser praktische Urteilssinn
ist der eschatologische.i6

Erfüllungssituationen der Werke werden erwartet, zugleich aber sollen sie


urteilend und handelnd getroffen werden. Diese Urteilskorrelation geschieht,
wo und wann die Stimme des Gebots als Pointe der Situation erkannt wird.
Als Stimme des Gebots soll sie wiedererkannt werden. Es ist diese Stimme,
die im geschriebenen oder tradierten Gesetz, der .Weisheit Israels in den
Augen der Völker' (Dtn 4,6), laut geworden ist. Diese (hier n u r skizzierte)

33
Z, 822f, 817-829; vgl. BT, 1152f. Eine genaue Analyse dieser Technik und ihrer Bedeu-
tung für Buber und Rosenzweig bei H.-C. Askani, 192-205.291f.
34
S. Moses, Dialogische Struktur, 109.
35
G. Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, 67f; ders., Offenbarung und Tradition, 105.
36
Vgl. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 312-329.

318
hochvermittelte Urteilskorrelation nennt Rosenzweig die „gott-menschliche
Wirklichkeit des Gebots" (BT, 1004).

Die bestimmte Verborgenheit dieser gott-menschlichen Wirklichkeit des Gebots wird


scharf beleuchtet am Beispiel des jüdisch verstandenen Gebots der Feindes liebe: Man
werde, so bemerkt Rosenzweig zu Jehuda Halevis gleichnamigem Gedicht, der genu-
in jüdischen Feindesliebe (ebensowenig wie der missionarischen Feindesliebe der
Bergpredigt) gerecht, wenn man sie „als ethische Forderung, also unter dem Ge-
sichtspunkt der Unwirklichkeit, ansieht." 0 H , 183) Die Wirklichkeit sei im Falle
jüdischer Feindesliebe aber „nicht die einer mit den Gnaden des Siegens, sondern mit
denen des Unterliegens begnadeten Gemeinschaft." (ebd.) Die Zeit zur Feindesliebe
sei die Zeit der Verfolgung, wie sie Jehuda Halevi dichterisch beschreibe. Rosen-
zweig kommentiert: „das Wirkliche ist selten das unmittelbar Ausgesprochene; das
Wort fällt, wenn es objektiv zu werden versucht, leicht in die Unwirklichkeit... Der
Jude liebt im Feind den Vollstrecker des göttlichen Gerichts, das, weil er es auf sich
nimmt - und es bleibt ihm im Gegensatz zu allen andern Menschen nichts andres
übrig, denn er als einziger hat nicht die Juden zur Verfügung, die daran schuld sind
- , zu seinem eigenen wird." 0 H , 184).'7

(4) Erlernen des Lernens: Das Auffinden, Beschreiben und Erlernen des Gebo-
tes aus dem Widerfahrnis und dem Werk und das Auffinden der genuin
messianischen, gott-menschlichen Wirklichkeit ist schließlich selbst in emi-
nentem Sinn Werk des Gesetzes. Dieses .Erlernen des Gesetzes' gilt als exem-
plarische gottesdienstliche Handlung: „Das jüdische .Lernen' ist keine Theologie.
Es entspricht in seiner Bedeutung für uns etwa eurem Sakrament. W e n n ich
[sc. lehrend] vor Juden spreche, so ist das wie eure Abendmahlsgemeinschaft"
(BT, 728). Wenn diese Analogie triftig ist, so ergibt sich daraus eine wichtige
Konsequenz: Das Erlernen des Gesetzes ist gottesdienstliche Handlung. Als
gottesdienstliche Handlung ist es selbst im bestimmten Sinn Werk des Ge-
setzes, durch welches die Lebensform Gesetz als gott-menschliche Wirklich-
keit generiert wird. Das Erlernen des Lernens geht der eigentlichen Gesetzes-
theologie propädeutisch voran. Die Frage nach dem Erlernen des Lernens ist
die Schnittstelle einer Theorie gottesdienstlichen Handelns und einer Theorie
ethischen Handelns. Darin ist sie der Frage nach .Sakrament und Ethik'
vergleichbar. Deshalb konzentrieren wir uns im folgenden auf diese Frage:
Inwiefern wird in bestimmten gottesdienstlichen Handlungen und ikonischen
Zeichen ein bestimmtes Lernen oder Beschreiben propädeutisch erlernt.

Bei Rosenzweig liegen unterschiedliche Gebrauchsweisen von .Gesetz' vor. Diese


sind nicht ausgearbeitet, sondern nur im Umriß vorhanden (Fragen wie z.B. die-
jenige nach dem Zusammenhang von Land und Gesetz; nach Typen der Verbindlich-
keit; nach zeremonialgesetzlichen Regelungen u.v.m fehlen). Es mag aber hilfreich

37
B. Casper, Gebet, 146, zitiert aus einem unveröffentlichten Brief Rosenzweigs vom
11. November 1918 dessen frühzeitige Prognose künftiger deutscher Pogrome.

319
sein, zusammenfassend Rosenzweigs wichtigste Unterscheidungen aufzuführen: (1)
Das kanonisch-geschriebene Gesetz (Tora) und das rabbinisch-tradierte Gesetz (Tal-
mud, Tosefta: Halacha) - nur davon spricht Buber - bezieht Rosenzweig erneut auf
die paränetische Tradition, auf den Brauch (minhag) als Quelle der Halachot. (2) Das
augenblicklich vernommene Gebot, den Namen zu lieben (Wahabta), ist das ,im
Herzen' nahe Wort und das Urteilsmaß der Beschreibung des Werks und des Ge-
setzes. Es erfordert einen Urteilssinn (taam), der weder als praktische Symbolisation
(Typik des kategorischen Imperativs) noch als praktischer Syllogismus (aus obersten
praktischen Grundsätzen) zu bestimmen ist, vielmehr als Zeit- und Zeitigungssinn
im Konsens oder Dissens mit der augenblicklichen Stimme des Gebots. (3) Im Werk
ist das .ewige' göttliche Gesetz, die Weisheit Gottes, vorausgesetzt. Sie ist Inbegriff
der Erfüllungsbedingungen des Gesetzeswerks als Verdienst im Bund des Lebens und
als Frucht des wachsenden Reiches Gottes. Die Ökonomie Gottes verlangt die
Unterscheidung zwischen dem kreatürlichen .Gesetz': das Dasein der Dinge und ihr
wachsendes Lebens, und dem Augenblick der Verewigung des wachsenden Lebens
durch das Werk der Liebe. (4) Diese gott-menschliche Wirklichkeit des Gesetzes
bildet die messianische Lebensform Gesetz, die sich im Erlernen fortwährend erhält
und erbaut, so daß selbst Gott das Gesetz täglich erlernt (nach AZ 3b, vgl. Z, 703f;
S, 451f).

3. Werke als Früchte des Reiches Gottes beschreiben

Handlungen bedürfen der Zeit, einer Erfüllungssituation, die messianisch zu


nennen ist. In ihr wird das wachsende Leben der Dinge .beseelt' und in die
Lebensform Gesetz hineinverwandelt. Ex post erweist sich das, was Handlung
und Widerfahrnis war, als Frucht des wachsenden Reiches und wird doxolo-
gisch dem N a m e n zugeschrieben: ER ist gut. Der weltlose Dialog der .Seele'
mit Gott in Sch'ma u n d Jichud gewinnt darin die Öffentlichkeit einer Urteils-
dimension u n d Lebensform. Das Werk und seine konsensuelle Beschreibung
als Frucht des Reiches werden selbst z u m Exempel der Hoffnung, zur Frucht
des kommenden Reiches Gottes, z u m signum prognosticonn: .Werk', zu wel-
chem die Urteilsbildung vor G o t t selbst dazugehört, weil in ihr die Handlung
erst als Frucht des Reiches identifizierbar und beschreibbar wird, ist also ein
Begriff eschatologischer Urteilskraft (dessen anthropologische und im engeren
Sinne gesetzestheologische Aspekte jetzt abgeblendet bleiben). Das Gebot,
den Namen zu lieben (Wahabta), u n d das Gebot der Nächstenliebe projektie-
ren Erfüllungssituationen, aus welchen ex post Handlungen als Werke des

31
Der biblische Begriff enthält das eschatologische Verständnis von Handeln. Zum .Werk'
als .Frucht' des Reiches Gottes: Ps 1,3; Mt 21,43 [Früchte der Gottesherrschaft]; Mk 4,26-29
[automate. das Wachstum des Reiches ist unbegreiflich, ohne sichtbare Ursache]; Joh 15,5
[Frucht des Weinstocks]; Rom 6,22 [eure Frucht]; Gal 5,22 [Frucht des Geistes]; Eph 5,9
[Frucht des Geistes/des Lichtes]; Phil 1,11; 4,17; Hebr 12,11; Jak 3,18 [Frucht der Gerechtig-
keit]). Zum Begriff signum prognosticon und der Frage nach Eschatologie und Ethik: § 6,4.

320
Gesetzes und Werke als überraschende Frucht des Reiches Gottes zu be-
schreiben sind.39 Sie erweisen sich darin als Maßstab genuinen kommunikati-
ven Handelns. Sofern es um ethische als eschatologische Beschreibung geht
und diese eschatologische Beschreibung vor Gott selbst gottesdienstliches
Werk sein soll, überrascht es nicht, wenn der imperativische Hymnus zum
Paradigma der Grammatik der Erlösung wird. Die Aufforderung zur Doxolo-
gie des Namens in seiner Königsherrschaft'0 über Widerfahrnissen, Gütern,
Handlungen und ihren Geboten - also das Grundelement der Beracha - bildet
das propädeutische Beispiel, an dem eschatologische Beschreibung und die in
ihr implizierte Urteilsöffentlichkeit erlernt werden.41
Das dialogische Sein in der Gottesliebe soll die Öffentlichkeit einer Lebens-
form gewinnen. Dies ist Verheißung und Gebot der Nächstenliebe: „... nur
im geheimsten Herzen mag sie [sc. die Seele] bei diesem ihrem Gang aus dem
Wunder der göttlichen Liebe heraus in die irdische Welt der Alten Wort be-
wahren ... ,Wie Er dich liebt, so liebe Du.'" (S, 228)42 Die drei konstitutiven
Elemente der Nächstenliebe sind: (a) Sie ist erfülltes Handeln, hat ihre be-
stimmte, aber inkommensurable Zeit (während Gottesliebe dialogisches Sein
ist, nicht Werk); (b) sie ist Freiheit mitteilendes Handeln, .beseelt' den Näch-
sten, den die Liebe mit Namen nennt (,dir gleich') und mit dem zusammen
sie den Kern der Öffentlichkeit bildet; (c) sie ist verantwortbares, beurteil-
bares, aber nicht zurechenbares Handeln, sofern sie in die öffentliche Homo-
logie des Namens mündet.43 Diese Elemente werden in lakonischer Kürze in
den drei Kola von Lev 19,18 (BR) dargestellt:

39
Nach diesem Grundsatz stellt also z.B. Luk 10,32-45 (vor allem im Grundbestand
Lk 10,39-45) nur in dem Sinne eine ethische Beispielgeschichte dar, als dieses Gleichnis am
Beispiel die genauere Wahrnehmung der Handlungssituation und ihre eschatologische
Beschreibung anleitet. Gewiß kann dieses Gleichnis zur ethischen Beispielgeschichte gemacht
werden: Das geschieht, wenn anstatt der dramatischen Struktur und Bewegung die Per-
spektive der Handelnden (Samariter, Levit, Priester bzw. Opfer) Thema der Interpretation
wird (z.B. bei W. Kamiah, Anthropologie, 106-108). Bleibt die Auslegung bei der Struktur
selbst, so erweist sich das Gleichnis als genauere Beschreibung der eschatologischen Erfül-
lungssituation der Nächstenliebe. Es beschreibt den eschatologischen Augenblick der Wirk-
lichkeit des Gebots, indem es den Samariter als den überraschenden Nächsten eines unvorher-
sehbar Verunglückten darstellt: Nächstenliebe als unvorhersehbare, aber zu erwartende
Frucht des Reiches Gottes. Zur Interpretation: W. Harnisch, Gleichniserzählungen, 280-282.
40
Zu dieser Standardform der Anrede Gottes in der Benediktion (mälküt): P. Schäfer,
Benediktionen, 561.
41
Die vielverhandelte, fundamentalethische Frage nach dem Verhältnis von .Gebet und
Ethik' erhält mit dem Ansatz bei der beracha eine neue Variante.
42
Das zitierte Wort in Schab 133b. Rosenzweig lernte diese Sentenz von Cohen, BT, 663.
Zur Herkunft bei Cohen vgl. die genauen Nachweise A, 140 Anm. 3.
43
Zur Konstitution gottesdienstlicher Öffentlichkeit in der Selbstvorstellungsformel 'ny
yhwh als Grund von Rechtsproklamation: W. Zimmerli, Ich bin Jahwe, 11-24; Erweiswort,
125.

321
(a) „liebe deinen Genossen
(b) dir gleich
(c) ICH"44

Interpretiert Rosenzweig Lev 19,18 durch die formelhafte Talmudsentenz


,Wie ER dich liebt, so liebe Du', so bilden dieser Grundsatz und die andere
abbreviative Sentenz: ,was ist die Erlösung sonst als dies, daß das leb zum Er
Du sagen lernt? (S, 305) die Angeln seiner Explikation der Nächstenliebe als
Paradigma des Werks.

Daß mit diesen Formeln kein Entsprechungsverhältnis zwischen Gottes Liebe und
menschlicher Liebe postuliert wird, ist offensichtlich: ,Zu wollen, wie Gott will' ist
eine ebenso dialektische Forderung wie ,zu wollen, was Gott will'. Aber auch
Emmanuel Levinas', der das Liebesgebot auf die Exteriorität des ethischen Subjekts
zuspitzt, macht erneut die Konstitution ethischer Subjektivität zum Schlüsselthema.
Das läßt sich schon an Levinas' differenter Übersetzung von Lev 19,18 ablesen:
„Liebe deinen Nächsten; dieses Werk ist wie du selbst... diese Liebe des Nächsten ist
es, die du selbst bist."45

Auf der Linie der Frage nach den Konditionen eschatologischer Urteilskraft
und Beschreibung ist demgegenüber der Zusammenhang von Werk, Mit-
teilung, Öffentlichkeit und Beschreibung hervorzuheben.46 Der Werkbegriff
ist auf dieses genuine kommunikative Handeln hin angelegt. Es gilt der
Grundsatz: Werke können eine Verheißung exemplifizieren und eine Hoff-
nung ausdrücken, die durch Handelnde nicht zu intendieren, wohl aber
durch sie selbst oder andere zu beschreiben ist. Das Werk und seine Beschrei-
bung wird dann zum Signum prognosticon des wachsenden Reiches.

Eine Handlung kann als Werk der Liebe praktisch-anthropologisch beschrie-


ben werden. Dann tritt zum Beispiel ihr Widerfahrnischarakter scharf hervor.
Solche praktischen Beschreibungen finden sich auch im Stern:

„Unbestimmtheit ... ist das Zeichen, unter dem die Tat der Liebe sich ihren Gegen-
stand zum Nächsten schafft" (S, 263); „aus dem unendlichen Chaos der Welt wird
ihm ein Nächstes, sein Nächster, vor die Seele gestellt, und von diesem und zu-
nächst nur von diesem ihm gesagt: er ist wie du." (S, 267) Geliebt wird der im
Augenblick des Liebens Nächste, „der, einerlei was er vor diesem Augenblick der
Liebe war und nachher sein wird, jedenfalls in diesem Augenblick mir nur der
Nächste ist", als „Platzhalter" für alle möglichen Nächsten (S, 243).

44
Die Kolonaufteilung indiziert bereits - verglichen mit Dtn 6,4-6 - die Differenz von
Gottesliebe und Nächstenliebe. Zur eigenartigen, in Lev 19,18f singulären grammatischen
Dativkonstruktion: BT, 976; A, 140.
45
E. Levinas, Gott, 115f.
46
Vgl. H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 246.

322
Zum Werk in eschatologischer Beschreibung wird eine Handlung aber, wenn
sie (ob durch die Betroffenen oder den Chor der Beobachtenden) nicht dem
sichtbaren menschlichen Handlungssubjekt zugeschrieben wird, sondern
wenn sie als (metaphorischer) Ausdruck der Hoffnung des kommenden
Reiches und seiner Gerechtigkeit beschrieben wird: als Frucht des Reiches
Gottes. Um diese Beschreibung, die das Werk ex post dem kommenden
Reich zuschreibt, geht es hier. Sie wird eröffnet und abgeschlossen durch das
Lob: ER ist gut. Eine Handlung in ihren unabsehbaren Bedingungen und
Folgen wird zum finiten Werk, wenn sie Betroffenen wie Handelnden gleich-
sam gegenübertritt und für sie die Hoffnung der Erlösung exemplifiziert und
ausdrückt. Es wird dann keineswegs einfach Gott zugeschrieben, sondern
über dem menschlichen Werk und seinen kontingenten Erfüllungsbedingun-
gen wird der Verheißungsname .verifiziert': Ja, ER ist gut. Das Werk gerät als
Frucht des wachsenden Reiches Gottes unter die Herrschaft des Reiches und
seiner Gerechtigkeit.

„So wirken Mensch und Welt hier in unauflösbarer Wechselwirkung aufeinander


und miteinander ... Das Wirken entbindet die Tat aus dem Menschen, aber bindet
die entbundene auch wieder hinein in die Welt. Und das Warten entbindet das
Reich aus der Welt; denn wartete sie nicht, so schritte sie .fort' ins Unendliche und
das Reich käme nimmer; aber dies Warten bindet auch wieder das Entbundene an
das Wirken des Menschen. Aus dieser wechselweisen Bindung können sie also selber
sich nicht lösen; denn indem sie sich selber entbinden, binden sie sich nur fester in-
und aneinander. Sie können sich selber nicht von einander lösen, sie können nur
miteinander - er-löst werden, erlöst von einem dritten, der eines am andern, eines
durch das andere erlöst ... Aber die Erlösung der Seele an den Dingen, der Dinge
durch die Seele geschieht im gleichatmenden Zwiegesang der beiden, im Satz" ER ist
gut. (S, 2540

Die eschatologische Beschreibung der messianischen Lebensform Gesetz im


Werk richtet sich hier darauf, Eigenschaften oder Tugenden des Reiches Gottes
wahrzunehmen, die ein Werk als Frucht des Reiches Gottes metaphorisch
ausdrückt. Für diese Beschreibungsform lassen sich neutestamentliche Beispie-
le finden: „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Un-
sittlichkeit, ausschweifendes Leben ... Die Frucht des Geistes aber ist Liebe,
Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbst-
beherrschung; dem allem widerspricht das Gesetz nicht" (Gal 5,22.23).47 Das
ER ist gut über dem Werk als Frucht des Reiches eröffnet den momentanen,

47
Hermann Cohens Religionsphilosophie schließt mit einer ausgeführten Tugendlehre (RV,
464-533), welche Eigenschaften Gottes und Tugenden des messianischen Volkes korrelativ
entfaltet. Die Tugenden des Volkes gelten als Hoffnungssymbole messianischer Menschheit:
„Das erwählte Volk wird zur erwählten Menschheit ... Denn es selbst wird nun zum Sym-
bol. Der Mensch, das Volk darf Symbol werden, nur nicht der einzige Gott. Und mit dem
Volke Israel wird seine ganze nationale Geschichte zu einer Symbolik." (RV, 487).

323
flüchtigen Mitteilungsraum öffentlichen Erlernens der Hoffnung. In der
Aufforderung zum Lob bildet sich eine Öffentlichkeit, in welcher ,wir' be-
schreiben und beurteilen, was da .mitten unter uns mit uns' geschehen ist.
Genauer noch: Es entsteht ein Mitteilungsraum, in welchem ,wir' vor Gott
beschreiben und beurteilen, was da .durch uns und mitten unter uns mit uns
und an uns' geschah.48
Daß sich diese Öffentlichkeit ,vor Gott' bildet, dürfte für die ethische als
einer eschatologischen Beschreibung des Werkes entscheidend sein. In ihr
findet ja nicht weniger als der Übergang in eine Urteilsperspektive und eine
Urteilsöffentlichkeit statt. Der imperativische Hymnus ruft Menschen und
Dinge vor das Angesicht Gottes. Er begründet diesen Aufruf und damit seine
Urteilsdimension im hymnischen Grundsatz: ER ist gut. Dieser Satz spricht
den Grund aus, durch den sich vor Gott eine Öffentlichkeit bilden kann,
welche Widerfahrnisse und Handlungen als Werke des Gesetzes, Werke als
Frucht des Reiches Gottes - und (wie sich noch zeigen wird) das wachsende
Reich als Ausdruck und Exemplifikation der Herrlichkeit des Namens be-
schreibt.

4. Elemente theologischer Propädeutik: Messianische Doxologie

Der imperativische Hymnus wird im Stern zum beispielhaften .instruktiven


Sprechhandlungsmuster'49, durch das sich die Öffentlichkeit der messianischen
Lebensform .Gesetz' bildet. Er konstituiert die bestimmte Öffentlichkeit, die
in der „Gemeinsamkeit des Gesanges" doxologisch urteilt und beschreibt (S,
258).
(1) Hymnischer Imperativ: Elementar ist die Aufforderung des Hymnus:
„Danket Jahwe! Ja, er ist gut ..." (z.B. Ps 107,1; 118,1; 136,1 u.ö.) oder auch,
gleichsam an das innere Forum gewandt (im Hymnus des Einzelnen): „Lobe
den Herrn, meine Seele ..." (z.B. Ps 103,1; Ps 104,!).50 Rosenzweig deutet die
imperativisch-dialogische Aufforderung kohortativisch:

48
Vielleicht auch eine Öffentlichkeit, die beschreibt und beurteilt, was der Erfahrung nach
.mitten unter uns durch den Feind gegen uns', der unaussprechlichen Hoffnung nach aber
,für uns' geschieht. Beispiele solcher eschatologischer Beschreibungen finden sich bei:
Chr. Münz, Gedächtnis, 211-218.401-442.483.
49
Zu instruktiven Sprechhandlungsmustern: I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 194-207. Von
Bedeutung ist vor allem die formale Struktur knusitiv-tautegonscher Rede (ebd., 204-207), die
eine Uneilsoffentlichkeit eröffnet, in welcher das Uneil bewährt wird, wobei die Frage, wer
zur Öffentlichkeitskonstitution berechtigt ist, wesentlich wird.
50
Zum Rang des imperativischen Hymnus als wichtigster hymnischer Form: F. Crüse-
mann, Hymnus und Danklied. Crüsemann zeigt am Beispiel des Mirjamliedes Ex 15,21, daß
die Einleitung des Hymnus den Charakter der hymnischen Sprechhandlung entscheidet, und
daß dieser Hymnentyp (anders als der partizipiale Hymnus) konkrete geschichtliche Heils-
und Rettungstaten lobt und sie darin als solche mitkonstituiert.

324
„die Aufforderung muß im Kohortativ stehen, einerlei ob dieser Unterschied vom
Imperativ äußerlich erkennbar ist oder nicht; auch die scheinbare Aufforderung, das
.Danket', darf nur den Sinn eines .Laßt uns danken' haben; der Auffordernde dankt
selber mit, ja er fordert nur auf, um selber mit danken zu können; der Auffordern-
de, indem er seine Seele und was in ihm ist, aufruft zu loben, ruft unmittelbar
zugleich damit alle Welt auf, Meere und Flüsse und alle Heiden und die welche Gott
fürchten: Lobet den Herrn!" (S, 259)

Die hymnische Öffentlichkeit ist charakterisiert durch universelle Reichweite


des Aufrufs und partikularer Geltung der hymnischen Aussage. Hier findet
ein Wechsel des Standpunkts statt, der Übergang ins .ewige Volk'. Die hym-
nische Rhetorik ist Rede im Namen dieses Volkes; daher kann sie die ganze
zu erlösende Kreatur umfassen.

(2) Dual: Der kohortativische Imperativ wird als dualischer näherbestimmt:

„Statt des Plural, der die Dinge als einzelne Vertreter ihrer Art enthält, und statt des
Singular, in welchem die Seele ihre Geburt erlebt, herrscht also hier der Dual, jene
Form, die in den Sprachen nicht von Dauer ist, sondern im Laufe der Entwicklung
vom Plural aufgesogen wird ... Aber nur scheinbar gibt sie so ihre Herrschaft an den
Plural ab; in Wahrheit hinterläßt sie bei dieser Wanderung überall ihre Spuren, in-
dem sie in dem Plural der Dinge allenthalben das Zeichen der Singularität setzt; wo
einmal der Dual gehaftet hat, wo einer oder etwas zum Nächsten einer Seele gewor-
den ist, da ist ein Stück Welt geworden, was es vorher nicht war: Seele." (S, 262)51

Rede im Dualis, dem konstitutiv mündlichen N u m e r u s , bildet ein weiteres


Merkmal der hymnischen Öffentlichkeit. Die kohortativisch-dualen Imperati-
ve, welche die Öffentlichkeit beschreiben, stellen eine produktive Sprech-
handlung dar: Sie werden entfaltet (z.B. Ps 100,1-4; 96,1-3), sie erweitern sich
zum namentlichen Aufruf (,Du', ,Ihr') von Engeln u n d Scharen, von Sonne,
M o n d u n d Sternen, von Himmel und Wasser über den H i m m e l n , von Seeun-
geheuern und Tiefen, Feuer, Hagel, Schnee, Nebel und Sturmwind, Bergen
und Hügeln, Fruchtbäumen und Zedern ... (Ps 148,1-12, vgl. Ps 107, auch
Dan 3,57-88); und der ganze Psalter schließt mit einem einzigen Aufruf zum
Lob (Ps 150), mündend in den kultischen Namensruf: „Hallelu-jah!"
Die beschreibend konstituierte Öffentlichkeit ist nicht transzendental-ano-
n y m verfaßt, ebensowenig dialogisch-freundschaftlich; sie ist weder mit wis-
senschaftlichen noch moralischen noch politischen Öffentlichkeiten, aber
auch nicht mit deren klassischer Gegenöffentlichkeit zu verwechseln. Diese
gottesdienstliche Öffentlichkeit ist aber auch v o m einsamen Dialog der Gottes-
liebe verschieden. Sie anerkennt die Gegenwart eines Dritten, nicht eines
unbeteiligten Beobachters, wohl aber, wenn man so sagen darf, die Gegen-

51
Zum Dualis: E. Rosenstock-Huessy, Angewandte Seelenkunde, 78 lf; 486-488; E. Cassi-
rer, Philosophie der Symbolischen Formen 1, 206-208.

325
wart zugehöriger .Kinder Gottes'. Diese Gegenwart möglicher Dritter ist
nicht bedeutungslos:
Das moralische Urteil beruft sich auf die (transzendentale bzw. analytische)
Figur des unbeteiligten Beobachters, in dessen Perspektive sich die Handeln-
den und Betroffenen (bzw. der Handelnde als inneres Forum) maximen- und
emotionsrational verständigen und den sie als unparteiischen, vernünftigen,
selbstbeherrschten und zugleich sensiblen Beobachter geltend machen.52 Es ist
deshalb eine Reduktion, wenn E. Levinas statuiert: „Das Bewußtsein entsteht
als Präsenz des Dritten ... Das Bewußtsein ist der Eintritt des Dritten - fort-
währender Eintritt - in die Intimität des ,face-ä-face""3. Hier gilt als Dritter
nur der unbeteiligte Dritte der Beobachtung und Reflexion. Zwar gesteht Le-
vinas zu, daß in der Spannung zwischen ethischer Beobachtung und
phänomenologischer Beschreibung der Intimität die „ethische Sprache"54
eigentlich entsteht. Aber dabei ist übersehen, daß ,der Dritte' nicht nur als
der unbeteiligte Beobachter vorkommt, sondern auch als der gleichsam
Dritte-im-Dual, der das Forum der Kinder Gottes vertritt. Neben der phäno-
menologischen Beschreibung und dem ethischem Diskurs gibt es eine escbato-
logische Beschreibung, die zur Ausbildung .ethischer Sprache' beiträgt? Es ist
mißverständlich, wenn Liturgie mit Ethik identifiziert wird: Liturgie „ist die
Ethik selbst."is Die Frage, inwiefern sich die hymnisch-gottesdienstliche Öf-
fentlichkeit in genuin eschatologischer Beschreibung darstellt, die ethisch-
anthropologische Beschreibungen mitenthält, bleibt unausgelotet.

(3) Messtanische Homologie als Grundsatz: Das Korpus des Hymnus „Ja, ER ist
gut" kann deshalb so kurz sein, weil er „nur als eine Begründung solcher [do-
xologischer] Gemeinsamkeit" (S, 258) auftritt. Im Aufruf zum Lob werden
die Dinge beseelt, vereinen sich Seele und Seele im Namen des Gelobten: „im
gegen alles jenseitigen Dativ finden sich die Stimmen der diesseits getrennten
Herzen." (S, 260) Die Homologie ,ER ist gut' spricht aus, was diese Öffent-
lichkeit begründet.56 Als „Grundwort" (ebd.), also als Urteilsgrundsatz, kon-

52
E. Tugendhat, Ethik, 296-299; W. Kamiah, Anthropologie, 73-82.93-102.
" E. Levinas, Jenseits des Seins, 348.
54
E. Levinas, Jenseits des Seins, 211 Anm. 53: „Die ethische Sprache ist der eigentliche
Sinn der Annäherung, die sich vom Wissen abhebt. Keine andere als die ethische Sprache ist
imstande, das Paradox aufzuwiegen, in das die phänomenologische Beschreibung gerät, wo sie
ausgehend von der Enthüllung des Nächsten, seinem Erscheinen, ihn wahrnimmt in seiner
Spur, die ihn als Gesicht zum Gebot macht, gemäß einer in der Vorstellung nicht-syn-
chronisierbaren Diachronie."
* E. Levinas, Die Spur des Anderen, 218 (Kursive HA).
56
Die folgenden Zitate stammen aus Rosenzweigs berühmten Brief an Martin Buber
(BT, 824-827), der in nuce die spätere Kritik des Dialogismus vorwegnimmt. Franz Rosen-
zweig skizziert in diesem Brief eine Apologie des homologischen Satzes gegen dessen dialogi-
stische Reduktion. Zur Interpretation: B. Casper, Franz Rosenzweigs Kritik an Bubers „Ich
und Du", 225-238.

326
stituiert das ,ER ist gut' eine genuine Dimension, aus welcher es sich als
Grundwort beweist und in welcher es bewährt wird. Diese Dimension kürzt
Rosenzweig als Wir-Es ab: Jch kann nicht wesentlich Es sagen, aber ER
kanns und Wir könnens. (NB: in dem Wir-Es liegen die Antworten auf all
jene Probleme, die von der Philosophie in dem Pseudo-Grundwort Ich-Es zu
beantworten gesucht werden). Indem aber Wir Es sagen, wird Es zu - Es."
(BT, 826) ,Wir-Es' steht mithin als Abbreviatur für eine bestimmte hym-
nische Öffentlichkeit: Israel als .ewiges' Volk mit der ihm zugehörigen, im
Segen und im Gesetz erlösten .armen Kreatur'.

(4) ,Ewiges' Volk als Lebensform und Kultur: In bestimmter Hinsicht ist in
dieser Öffentlichkeit das Reich Gottes bereits gegenwärtig: „in der im Dank
geschehenen Vereinigung der Seele mit aller Welt ist das Reich Gottes, das ja
eben nichts ist als die wechselweise Vereinigung der Seele mit aller Welt,
gekommen und alles jemals mögliche Gebet erfüllt." (S, 260) Dinge und ihr
wachsendes Leben werden augenblicklich verwandelt in die hymnische Öf-
fentlichkeit: Das .wachsende Leben' des Hauses Israel (Ps 115,12a), des Hauses
Aaron (12b), der Gottesfürchtigen (13a), der Geschlechterfolge von Kleinen
und Großen (13b) gerät im Hymnus unter die Herrschaft des Namens und
wird ver-ewigt. „Tote können den Herrn nicht mehr loben, keiner, der ins
Schweigen hinabfuhr. Wir aber preisen den Herrn von nun an bis in Ewig-
keit. Halleluja." (Ps 115,17f)57 Die hymnische Öffentlichkeit drückt dann
.ewiges Leben' aus, das sie tatsächlich, aber nicht buchstäblich besitzt.51 Die
erste Tugend der messianischen Lebensform ist .ewiges Leben'.

(5) Bewährung: Der Bestand des messianischen Volkes in der Bedrohung be-
währt ,sichtbar vor den Völkern' das im Namen und der Namenshomologie
behauptete Dabeisein Gottes bei Israel. Indem der Glaube ihn rühmt, teilt
sich der Name an ihn mit. Das ,ewige Leben' des Volkes bringt die Wahrheit
des Namens sichtbar zum Ausdruck, es heiligt ihn. Im Wir der Doxologie ist
„die Wahrheit... offenkundig, sichtbar vor den Augen alles Lebendigen."59 Was
aber meint: .sichtbar vor den Augen alles Lebendigen bewähren'?
Es meint nicht, daß die politisch-historische Existenz Israels Hoffnung sicht-
bar bewährt. Diese Fortexistenz trotz vieler „Kalamitäten" ist nicht unmittel-
bar „das natürlich-geschichtliche Monument der Liebe und Treue Gottes, in
konkreter Gestalt der Inbegriff des frei erwählten und begnadeten Menschen,

57
Die Hallel-Psalmen 111-118, v.a. Ps 115, sind dafür paradigmatisch (S, 279-282).
58
Zum metaphorischen Besitz als tatsächlichen, nicht buchstäblichen: § 4,5. Dazu Rosen-
zweigs Äußerung (S, 281): „.Aber Wir sind ewig' - hat unser großer Meister [sc. Hermann
Cohen, Z, 221] als seiner Weisheit letzten Schluß ausgerufen, als er das letzte Mal vor Vielen
über das Verhältnis seines Wir [Israel] zu seiner Welt [das Deutschland von 1920] sprach. Die
Wir sind ewig; vor diesem Triumphgeschrei der Ewigkeit stürzt der Tod ins Nichts."
• S, 280 (Kursive HA).

327
als lebendiger Kommentar zum Alten Testament der einzige, dafür schlagende
außerbiblische Gottesbeweis."60 Das behauptete messianische Leben erfüllt sich
durch die messianische Homologie, welche die Güte des göttlichen Namens
bewährt. Darin ist Israels Existenz Signum prognosticon, messianisches Zeichen,
insofern dann auch politisch-historisches Zeichen (vgl. lKön 19,18). Ge-
schichtszeichen ist dieses Zeichen im negativen Sinn: Es ist Zeichen, daß diese
politisch-geschichtliche Existenz nicht ausschließlich politisch-geschichtlichen
Bedingungen der Selbsterhaltung unterliegt.61

(6) Die innere Grenze der messianischen Doxologie: „Nicht uns, HERR, nicht
uns, sondern deinem Namen gib Ehre um deiner Huld und Wahrheit willen."
(Ps 115,1, vgl. S, 280) Die Reichweite des Namens ist nicht identisch mit der
hymnischen Öffentlichkeit. Gerade weil sie im Hymnus die Grenze der
Geltung des Namens scharf zieht („Die Götzen der Völker sind nur Silber
und Gold, ein Machwerk von Menschenhand ... Die sie gemacht haben, sol-
len ihrem Machwerk gleichen, alle, die den Götzen vertrauen" Ps, 115,4.8),
stößt die hymnische Öffentlichkeit selbst auf ihre Grenze.62 Ihre Doxologie
bedarf selbst der Verifikation und beansprucht sie: „es ist eine Forderung an
die göttliche Wahrheit, daß den Wir dereinst Ehre gegeben wird" (S, 280).
Diese Reichweite des Namens faßt ein anderer doxologischer Grundsatz
zusammen: „Sagen sie einmal mmyt wmhyh! [er tötet und macht lebendig;
lSam 2,6], dann haben Sie dies Grundwort gesagt und haben es ganz wesent-
lich gesagt." (BT, 825)63 Dieses Grundwort nannten wir eschatologische Doxo-
logie64. Sie übersteigt das Lob der Güte des Schöpfers.
Die Doxologie des tötenden und belebenden Gottes bekennt die eschatologi-
sche Wahrheit und Gerechtigkeit als das Licht des kreatürlichen Lichts: „Denn
bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht" (Ps
36,10). Dieser doxologische Satz charakterisiert die der messianischen Homo-
logie externe Wahrheit und Gerechtigkeit (Ps 36,6f) des souveränen Richters
(Ps 22,4). Das zeigt sich schon an der Form des doxologischen Satzes selbst:
„Nur jenes Weder-Noch von tot und lebendig, nur jener zarte Punkt, wo sich
Leben und Tod berühren und in eins verschmelzen, verwehrt sich nicht dem
bezeichnenden Wort. Gott lebt weder noch ist er tot, aber er belebt das
Tote, er - liebt. Er ist der Gott der Lebendigen wie der Toten, grade weil er

60
Karl Barth, KD IV,3, 1005f (Kursive HA).
61
Sh. Eisenstadt, Transformation der israelitischen Gesellschaft, 828-843, v.a. 842.
a
Das klare Bewußtsein von dieser Grenze des Hymnus erweist sich daran, daß bestimmte
polemische Teile des Hallel (Ps 115,1-11; Ps 116,1-11) an bestimmten Festtagen (z.B. am
dritten Tag des Passah) nicht gesungen werden. Dies wird u.a. damit begründet, daß der
Untergang der Ägypter nicht Teil der Fest-Freude sein könne (Trepp, 82.45).
63
Dieser Satz ist nahezu identisch mit der zweiten Benediktion der Amida (des 18-Bitten-
Gebets), die summarisch die Machttaten Gottes bekennt: „Du bist mächtig in Ewigkeit,
HERR, belebst die Toten, du bist stark zum Helfen" (Sidur, 41).
H
Vgl. § 10,3.3.

328
selber weder lebendig noch tot ist" (S, 423f, Kursive HA). Die Unendlichkeit
des Namens, der sich der Doxologie mitteilt, um sie zu begründen und sie zu
rechtfertigen, bleibt ihr extern. Dies nannten wir die Unendlichkeit der
Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes. „Gott ist die Wahrheit. Wahrheit ist sein
Siegel, daran er erkannt wird, auch wenn einst alles, woran er in der Zeit
seine Ewigkeit zu erkennen gab, alles ewige Leben [sc. des ewigen Volks],
aller ewige Weg [sc. des Leibes Christi], sein Ende fand, dort wo auch Ewiges
sein Ende findet: in der Ewigkeit ... Es verwandelt sich: wenn es sich aber
verwandelt hat, so ist das Verwandelte nicht mehr. Das Leben stieg ins
Licht." (S, 423)
Im doxologischen: ,ER ist gut!' ist der Geltungsbereich der Lebensform
Gesetz eröffnet. Die aus dieser Öffentlichkeit Ausgeschlossenen, die Toten
und die Übergangenen, loben den Namen nicht. Diese Doxologie wider-
spricht der Homologie .Kyrios Jesus!'.
Wenn überhaupt, so ist an dieser Stelle von einer eschatologischen Erlösung
Gottes zu reden, die in der messianischen Erlösung noch verborgen ist: „Die
Erlösung erlöst Gott, indem sie ihn von seinem offenbarten Namen löst. Im
Namen und seiner Offenbarung vollendet sich die in der Schöpfung an-
gehobene Niederkunft der Offenbarung, ,1m Namen' geschieht fortan alles
was geschieht. Heiligung wie Entweihung des Namens - es gibt keine Tat seit
der Offenbarung, die nicht eins oder das andre wirkte; der Gang der Erlösung
in der Welt geschieht im Namen und um des Namens willen. Aber das Ende
ist namenlos, über allen Namen." (S, 426)
Der Name über allen Namen ist Licht des Lichtes, oder .Feuer'. Die Dichte
des Namens kommt der Geltung der differenten Homologien zuvor. Die
Frage ist, wo und wie sich nicht-aussprechbare Hoffnung auf den Namen über
allen Namen zeigt und ausdrückt.

(7) ,Dichte' - Licht und Feuer als Metapher ikonischer Unendlichkeit: Die Rede
von der .Dichte des Namens', seiner .dichten Herrlichkeit', vom .Licht des
Lichts' oder vom .Feuer des Namens' nimmt die Metaphorik des Stern auf,
die an dieser Stelle begrifflich nicht reduzibel ist65. Unendlichkeit, als namens-
logischer Begriff, wird dadurch jetzt als ikonische Unendlichkeit bestimmt,
als Dichte, die sich in nicht-verbalen Zeichen anzeigt und mitteilt.
Zu beachten ist zunächst, daß Rosenzweig metaphorisch die Unterschei-
dung kreatürlich-logischer und göttlicher Wahrheit einführt: „Im ersten ,Es
werde Licht' ist sowohl das Licht dieser Welt geschaffen wie das andre, das
Gott schied und aufsparte für jene Welt der Vollendung." (S, 436, unter
Rekurs auf die talmudische Auslegung von Gen 1,3 in Chag 12a) Was in
dialogisch finiten, geltungsfähigen sprachlichen Homologien bewährt werden
kann, ist zu unterscheiden von der Reichweite des Namens und seiner nicht

65
H. Blumenberg, Metaphorologie, 12-46.

329
mehr logischen Wahrheit. Endliche Wahrheit ist an sprachliche Aussagen und
Urteile gebunden. „Daß Gott schuf, dies vorbedeutungsschwere erste Wort
der Schrift verliert seine Kraft nicht, bis alles erfüllt ist. Nicht vorher ruft
Gott dies erste Wort, das von ihm ausging, wieder in seinen Schoß zurück ...
Die letzte Wahrheit ist selber nur - geschaffene Wahrheit." (S, 463f) Inwie-
fern hat es dann aber Sinn, von göttlicher Wahrheit jenseits wahrer sprach-
licher Aussagen - zu sprechen?66 Wo zeigt sich nicht auszusprechende Hoffnung
des Namens über allen Namen so, daß sie sprachlich beschrieben werden kann?

Zusammenfassung

1. Der ethischen Reflexion Bubers setzt Rosenzweig die Frage nach ethischer
Beschreibung der Lebensform .Gesetz' entgegen, die von der ,gott-mensch-
lichen Wirklichkeit des Gesetzes', Israels Weisheit, ausgeht. In Handlungen
ist die Stimme des Gebots aufzufinden, wiederzuerkennen und als lebendiges
Gesetz zu erlernen.

2. Die Aufgabe ethischer Beschreibung der messianischen Lebensform .Ge-


setz' umfaßt verschiedene Aspekte, die ineinanderliegen und der Differenzie-
rung bedürfen: gesetzestheologische, hermeneutische, anthropologische, escha-
tologische und fundamentalethische. Der eschatologischen Beschreibung der
Handlung als Werk des Gesetzes, des Werkes als Frucht des wachsenden
Reiches kommt besondere Bedeutung für das propädeutische Erlernen des
Lernens in der ,gott-menschlichen Wirklichkeit Gesetz' zu.
Liebe bestimmt, was Handeln und Gebot heißt: Handeln antwortet auf die
Bedürftigkeit wachsenden Lebens, der armen Kreatur, um konative Begierde
vom Bedürfnis nach Frieden zu unterscheiden. Das Gebot hat im messia-
nischen Augenblick die Form der Bitte. Das wechselseitige erlösende Handeln
von ,Ding' und .Seele' ist Beseelung in dialogischer Unendlichkeit. Solches
Handeln ist verantwortbar, beurteilbar, aber nicht zurechenbar. Es mündet in
die öffentliche Homologie des Namens. Das Gesetzeswerk wird als Frucht
des Reiches beurteilt, in welchem Urteil Hoffnung auf die Güte des Schöpfers
zum Ausdruck kommt. Hoffnung in der messianischen Lebensform des Gesetzes
ist Praxis guten, kreatürlichen Lebens.6'

66
Dies wird behauptet: „Gott ist wahrhaftig der Herr. Als solcher offenbarte er sich in der
Macht seines Schöpfertums. Wenn wir ihn im Licht der ewigen Wahrheit so anrufen - es ist
der Schöpfer von Anfang, der Rufer des ersten .Werde Licht', den wir da anrufen ... Er ist
ist wahrhaftig der Erste und der Letzte. Ehe denn Berge geboren wurden und die Erde sich
wand in Wehen - von Ewigkeit zu Ewigkeit warst du Gott. Und warst von Ewigkeit, was
du in Ewigkeit sein wirst: Wahrheit." (S, 464)
67
Kants negative Hoffnung als Praxis guten, kreatürlichen Lebens (§ 6 Zusammenfassung)
findet hier ihr namenstheologisches Gegenstück.

330
3. Die Formen ethischer Beschreibung, die z.B. um die Perspektive prakti-
scher Selbstbeschreibung erweitert werden müßten, stehen insgesamt in einer
bestimmten Öffentlichkeit. Begründet wird diese durch die messianische Do-
xologie. Sie spricht aus, was in aller ethischen Beschreibung beansprucht
wird: nicht menschliches Rühmen, sondern der Ruhm des Namens ,ER ist
gut'. Im Werk des Gesetzes als Frucht des Reiches erhält sich und generiert
sich die Lebensform Gesetz, das messianische Volk.

4. Die messianische Doxologie bildet das Ziel der Einführung in Zeichen des
Namens und seine Hoffnung: Wer die Elemente, die grammatischen und
logischen Regeln, den Geltungsbereich und die Reichweite der messianischen
Homologie erlernt, erlernt eben darin das Erlernen des Gesetzes neu und
kehrt in die Lebensform und Öffentlichkeit des Gesetzes zurück. Die Analyse
des imperativischen Hymnus als Paradigma der messianischen Doxologie
schließt deshalb die namenstheologische Einführung in diese Lebensform ab
- bliebe nicht die Frage der Reichweite des Namens über diese Lebensform
hinaus. Es bleibt die Frage, ob nicht jedes Werk als Frucht des Reiches und
signum prognosticon mehr exemplifiziert und weiter reicht, als gegenwärtig
beschrieben werden kann.

5. Ethische Beschreibung antwortet auf die Frage der Verallgemeinerung


nicht durch Wechsel in die Perspektive des unbeteiligten Beobachters. Sie
bleibt vor dem Forum der dem Namen zugehörigen .Kinder Gottes'. Deshalb
gilt: „kein einzelnes Gebot, keine einzelne Mizwo ist einem Außenstehenden,
mag er noch so guten Willens und Verständnisses sein, als .religiöse' Forde-
rung begreiflich zu machen. Während ««5 jener allgemeinste theologische
Zusammenhang [sc. von Erwählung und Gesetz] selbst doch erst da und dann
lebendig wird, wo wir ihn selber als einzelnes Gebot erfüllen dürfen und er
aus der Objektivität einer theologischen Wahrheit in das Du des Lobspruchs tritt:
wenn der zur Tora Aufgerufene den vorherigen und nachherigen Dank für
das Gesetz mit dem Dank für die .nationale' Erwählung aus allen Völkern
und die .religiöse' zu ewigem Leben in eins schmilzt." (BT, 1003, Kursive
HA) Im exemplarischen Augenblick und am paradigmatischen Werk erfolgt
dieser Übergang und Standpunktwechsel: „Wir wissen es [sc. das Gesetz]
anders, nicht immer und nicht in allem, aber immer wieder und wieder.
Denn wir wissen es nur, wenn wir - tun." (BT, 1003) Die rituelle Benedik-
tion der Tora antizipiert diesen Übergang, in welchem im Werk das Gesetz
und im Gesetz .ewiges Leben' mit Gott aufgefunden wird. Dies ist die ,gott-
menschliche Wirklichkeit des Gebots": „in diesem Augenblick [des Tuns] wissen
wir gar nichts andres als eben diesen Augenblick, ihn aber in der ganzen gott-
menschlichen Wirklichkeit des Gebots, aus der wir sagen dürfen: Gelobt seist
Du. Nur so ... ist Gott im einzelnen Gebot - nicht aus-, sondern nur an-
zusprechen. Wer ihn aussprechen möchte, dem wird der Unaussprechliche
zum Unauffindbaren. Die Stimme des Gebieters vernimmt man nur im

331
Gebot." (BT, 1004) Aber diese .Stimme' spricht nicht nur vom Sinai her,
sondern gleichsam aus der Zukunft der Verheißung: „Nicht also zwischen
Göttlich und Menschlich geht ... die Scheidung ..., sondern zwischem einem
[sc. Gesetz], dessen [sc. historische] Herkunft wir erkennen in aussprechbarer,
mitteilbarer, formulierbarer Erkenntnis, und einem andern, dessen Herkunft
wir nicht minder erkennen, aber nur in unaussprechbarer, unmitteilbarer und
unmittelbarer Erkenntnis" (BT, 1005).

Kehrt damit im Zentrum ethischer Beschreibung das Kantische ,mysterium'


wieder? Das mysterium einer praktisch einsehbaren, doch unaussprechbaren,
unmitteilbaren und unmittelbaren Erkenntnis?68 Keineswegs! Unaussagbarkeit
steht jetzt für die dichte Herrlichkeit des göttlichen Namens in ikonischen
Zeichen. Unmittelbarkeit steht für eine Hoffnung, die weiter reicht als die
sprachliche Homologie und Doxologie, aber in diesen Zeichen beschrieben
werden kann. Am Ende der katechetischen Einführung in das Erlernen des
göttlichen Namens und des messianischen Gesetzes geht die ethische Be-
schreibung zur eschatologisch dichten Beschreibung ikonischer Zeichen des
Namens über. „So wie sich .Unsagbarkeit' nach der Analyse in Dichte und
nicht in ein Mysterium verwandelt, so wird .Unmittelbarkeit' zu einer Sache
der Exemplifikation und nicht der Nähe - zu einer Funktion der Richtung
und nicht der Distanz."69

611
Vgl. § 7,3 und Zusammenfassung.
69
N . Goodman, Sprachen, 233.

332
§ 14 Ikonische Zeichen: ,Der Name' als Feuer
„Und in dem Augenblick, wo ich ... zum ersten (und einfüralle-) Mal die Hoffnung
erlebte, war die objektive Grundlage (der Schnittpunkt im Unendlichen) gefunden
... Auf dieser Grundlage [sc. des Himmels der Zukunft] steht seitdem alles bei mir."1

1. Von der Apologetik zum Dialog

1.1 Unentscheidbare Differenz als Bedingung des Dialogs

Die Verheißung Gottes (Gen 15,1-6; Rom 4,1-25) findet mindestens zwei
kontradiktorische Antworten, die „beiden in aller Zeit unversöhnlichen
Messiaserwartungen ...: die des kommenden und die des wiederkommenden"
(Z, 159). Diese differenten Antworten sind weder als differente Hoffnungs-
traditionen noch als differente messianische Ideen zu rekonstruieren oder zu
relativieren. Die begründet unentscheidbare Differenz der Homologien läßt
sich nicht in einem dritten Beobachterstandpunkt vermitteln: „Der Andere
antwortet anders auf diese [Gottes] Treue: nämlich im Nein zu diesem Chri-
stus und damit auch im Nein zur Anrufung Gottes, der Jesus Christus von
den Toten auferweckt hat. Dieses andere Reden von Gott nötigt zu fragen,
wie es mit der eigenen Antwort auf diese Treue bestellt ist, und wie sie sich
zur Antwort des Anderen verhält."2
Diese Differenz fordert eschatologische Beschreibung der messianischen
Lebensformen. Sie erlaubt erst den Dialog. Sie markiert nicht die Grenze
sprachlicher Verständigung überhaupt.3 Postmoderne Skepsis wäre nicht
weniger problematisch als das transzendentale Ideal von Kommunikation,
dem sie widerspricht! Stattdessen ist nach konkreten, ikonischen Zeichen zu
fragen, in denen die Namensverheißung allem menschlichen Nein und Ja zu-
vorkommt. Inwiefern begründen solche Zeichen „zwischen Christen und Juden
die engste Verwandtschaft: die der Wahrheit"?4
Dieser konkrete Dialog kann zunächst Voraussetzungen aufdecken, die ohne
das opponierende Gegenüber im blinden Fleck der Selbstwahrnehmung
blieben. Rosenzweig setzt eine konkrete, nicht formale Symmetrie dieses
Dialogs voraus. Der christlichen Mission antwortet die jüdische Apologetik der
eigenen Lebensgestalt.5 Der Stern kann durchaus als neue Form apologetischer

1
F. Rosenzweig an R. Ehrenberg vom 25.8.1919, BT, 643.
2
G. Sauter, Rechenschaft, 297.
' Vgl. J.-F. Lyotard/E. Gruber, Ein Bindestrich.
' E. Levinas, Vorwort, 13.
5
Lebensgestalt im Unterschied zu Lebensform zeige an: Authentische Beschreibung der
Lebensform .Gesetz' ist von apologetischer Konstruktion der Lebensgestalt Judentum'
methodisch zu unterscheiden.

333
Theologie gelesen werden: als argumentativ-konstruktive Verteidigung der
jüdischen Lebensgestalt angesichts der christlichen.1' Die geforderte Apologetik
- so Rosenzweig - solle „nichts beschönigen, noch weniger einen angreif-
baren Punkt umgehen, sondern gerade die bedrohtesten Punkte zur Basis der
Verteidigung machen" (Z, 686). Der bedrohteste Punkt ist der Anspruch
eschatologischen Urteils, und zwar auch über Christus und Christen. Er werde
nur „mit der Wahrheit selbst, der ganzen Wahrheit nämlich, ent-schuldigt."
(Z, 686)
Daß dieser bedrohteste Punkt überhaupt thematisch wird, ist das am wenig-
sten Selbstverständliche. „Wer über das Judentum nachdenken sollte, der
mußte irgendwie, wenn nicht seelisch, dann doch mindestens geistig, an die
Grenze des Judentums gerissen sein." (Z, 679f) Der „wahre Zentralgedanke
des Judentums", „der allein das Gesetz verständlich machen und allein die
Erhaltung des jüdischen Volks erklären kann, der Gedanke der Auserwähltheit
Israels" (Z, 677), des Schon-beim-Vater-Seins, sei nirgends unter jenen eschato-
logischen .Dogmen' jüdischer Theologie genannt, deren Leugnung den Juden
seines Anteils an der künftigen Welt verlustig gehen lasse.7
Für die ,Kirche als Leib Christi' gelte hingegen: Sie spreche in der Homolo-
gie ,Kyrios Jesus' aus, was sie begründet. Diese Homologie eröffnet die nicht
abschließbare christologisch-trinitarische Explikation ihrer Gründe. Die Expli-
kation der Gründe der Erwählung wird nicht theologisch, sondern nur do-
xologisch .abgeschlossen', und zwar im Lob der .Gemeinde aus Juden und
Heiden' (Eph 1,3-14). „Hier wird gerade das immer erneute Insbewußtseinhe-
ben der Grundlage des Daseins, in diesem Fall also die immer wiederholte
Neuformulierung des christologischen Dogmas, zur inneren Bedingung für
den äußeren Fortbestand der Gemeinschaft. Unzugängliches Geheimnis steht
da gegen unerschöpfliches" (Z, 678).
Diese Entgegensetzung in ihrer pointierten Konstruktion markiert aber nur
den Ausgangspunkt. Die entscheidbare Unentscheidbarkeit der sich wider-
sprechenden homologischen Sätze eröffnet gerade eine offene dialogische
Situation, in der nach ikonischen Zeichen des .Geheimnisses' des Namens
gefragt werden kann. In der Beschreibung dieser Zeichen kann die ausstehen-
de Verheißung hypothetisch, experimentierend und auch kontrovers ausgelo-
tet werden. Wir sprechen daher von einer dialogisch-eschatologischen Be-
schreibung, um sie von der ethisch-eschatologischen Beschreibung der Werke
des Gesetzes zu unterscheiden, die den Geltungsbereich der Lebensform
.Gesetz' konstituiert, aber auch begrenzt. Daß zwischen beiden Beschrei-
bungsweisen ein innerer Zusammenhang besteht, ergibt sich aber schon
daraus, daß die Beschreibung des Gesetzes selbst an eine innere Grenze stößt:

6
F. Rosenzweig im Aufsatz .Apologetisches Denken', Z, 679 (die nächsten Seitenverweise
aus diesem Aufsatz.)
7
Vgl. z.B. die dreizehn Glaubensartikel Maimonides' und ihre (spätere) Poetisierung als
gottesdienstliches Bekenntnis (Sidur, 2).

334
die Reichweite des Namens über die messianische Lebensform .Gesetz' hin-
aus.
Der Übergang von der Apologetik z u m neuen Dialog zeichnet sich bei
Rosenzweig selbst ab: Apologetik überwiegt insbesondere in jener Phase, in
der Rosenzweig seine jüdische Rekonversion gegenüber den konvertierten Eu-
gen Rosenstock u n d H a n s Ehrenberg verteidigt. 8 Pointiert wird die Differenz
der jüdischen u n d christlichen Lebensgestalt der Hoffnung als Differenz in
der Wahrnehmung der Ö k o n o m i e Gottes:

„Ich sehe, ich muß dir [sc. Hans Ehrenberg] das jüdische Verhältnis zum .Zwischen-
reich' etwas aus größerer Nähe (also etwas dialektischer) auseinandersetzen. Daß der
Christ aus dem Anfang, der Jude aus dem Ende des Zwischenreichs lebt - so habe
ich dir doch wohl geschrieben - genügt nicht. Also genauer: Das christliche Verhält-
nis zum Zwischenreich ist bejahend, das jüdische verneinend. Was wird bejaht bzw.
verneint? das Zwischen. Wie bejaht man ein Zwischen? indem man einen Anfang
positiv, als gewesen, ein Ende negativ, als noch nicht gewesen setzt. Das ist also
nicht etwa dein [Ehrenbergs] Verhältnis zum Zwischenreich, sondern das christliche
Verhältnis überhaupt. Das Positive ist aber immer das, wenigstens zunächst, Durch-
schlagende; so ist auch hier die Positivität des Anfangs das Begriffsbestimmende, das
Setzende, Thetische; und erst die Dialektik der Entwicklung kann auch den negati-
ven Anteil zu selbständiger Bedeutung bringen. Weiter gefragt: Wie verneint man
ein Zwischen? Schärfer noch: wie drückt man in der Form des Zwischen aus, daß
etwas nicht zwischen ist? ... Also wie verneint man in dieser Weise ein Zwischen?
Indem man den Anfang negativ, als noch nicht gewesen, das Ende positiv, als schon
gewesen, setzt, - also Anfang und Ende zwar nicht vertauscht, aber umwertet. Dies
ist das Judentum. Der Anfang des Zwischenreichs, die Ankunft des Messias, ist noch
nicht gewesen; das Ende, das Gottesreich, hat schon angefangen, ist schon da, ist für
jeden Juden in dem unmittelbaren endgültigen Verhältnis zu Gott selbst, in dem tägli-
chen ^iufsichnehmen des Jochs des Himmelreichs' durch die Erfüllung des Gesetzes schon
heute gegeben." (BT, 560f, Kursive HA)

Das Beispiel einer dialogisch-eschatologischen Beschreibung zeigt sich demge-


genüber Jahre später in der Auseinandersetzung über Judenmission und
Zionismus. Die Beendung der Judenmission ist die (im jüdisch-christlichen
Dialog meistzitierte) Konsequenz der Rosenzweigschen Apologetik. In der
Tat zog Rosenzweig sie in der Debatte mit Ehrenberg explizit genug: „Es
wird auch weiter Judentaufen geben ... aber eine organisierte Judenmission
darf es nicht geben. Das ist die kirchenpolitische Pointe des Sterns."9 Al-
lerdings wird stets übersehen, daß Rosenzweig selbst diese apologetische
Beschreibung revidiert, weil er ihre Grundlage revidiert. Das Entscheidende

* Vgl. die brieflich dokumentierten Kontroversen mit Eugen Rosenstock-Huessy und Hans
Ehrenberg zwischen 1913 und 1918: BT, 280-289.290-293.543f.553-556.558-563.577-580.
' BT, 1076 (1.1.1926). Zu den zugrundeliegenden geschichtstheologisch-idealistischen Kon-
zepten bei Rosenzweig: A. Altmann, Rosenzweig on History, 123-131.

335
seiner späteren Retraktation ist dabei keineswegs die veränderte Haltung zur
in der Tat problematischen und definitionsbedürftigen Judenmission! Ent-
scheidend ist, daß die Apologetik auf seiten Rosenzweigs und die Mission auf
Seiten Ehrenbergs übergehen in einen offenen argumentativen und kontro-
versen Dialog über signa prognostica, welche die konstruierten Lebensgestalten
durchkreuzen: Zeichen, die das Geheimnis der oikonomia Gottes anzeigen. Sie
erfordern ein Sensorium für die Zukunft, in der Bestimmtes geschehen oder
versäumt werden kann. Die Beurteilung konkreter Ereignisse, vor allem die
nie abschlossene Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen politischen
Zionismus10 als messianischem Zeichen ermöglicht Rosenzweig auch die
Neubeschreibung der christlichen Mission als einer messianischen Praxis, wie
sie Hans Ehrenberg in Analogie zum Zionismus bestimmt: „Deine Gleichung
Judenmission-Zionismus hat mich überrannt. Also beide die in jeder Zeit
durch das Ergebnis blamierten und doch um der Ernsthaftigkeit der End-
zeiterwartung jederzeit vorwegzunehmenden endzeitlichen Verheißungen.
Sozusagen die notwendigen und doch frevelhaften Experimente (zu deutsch:
Gottversuchungen), ob die Zeit nicht vielleicht doch schon da ist. Und wegen der
natürlichen Entgegengesetztheit der beiderseitigen Endzeithoffnungen jede
dem andern gründlich zuwider."11

1.2 Realpräsenz und kultische Zeit

Die sich hier abzeichnende methodische Ambivalenz zwischen Apologetik


und Dialog prägt nun - so eine zweite These - Rosenzweigs Theorie des
Festes und des Festjahres (S, 331-422). Fest und Festjahr werden als Paradig-
men der jeweiligen Wahrnehmung der Ökonomie Gottes dargestellt: „In der
alltäglich-allwöchentlich-alljährlichen Wiederholung der Kreise des kultischen
Gebets macht der Glaube den Augenblick zur .Stunde', die Zeit aufnahme-
bereit für die Ewigkeit; und diese, indem sie Aufnahme in der Zeit findet,
wird selber - wie Zeit." (S, 324) Der Sabbat und seine Woche als die Keim-
zelle des Kultes12 bestimmen die jüdische Festzeit messianisch. Das wurde

10
BT, 774 (12.4.1922): „Darf ich mich einer messianischen Bewegung entziehen? Weil sie
nur möglicherweise messianisch ist? Welche wäre es nicht bloß .möglicherweise'?" Zur wei-
teren Annäherung v.a. BT, 1145 (17.5.1927)! BT, 968f.977f.1139.H49f; auch JH, 218.251-255.
- Dem steht die frühe, von Cohen bestimmte Kritik des Zionismus gegenüber: BT, 399f!
11
BT, 1153 (1.6.1927, Kursive HA). Dabei wird die verschiedene Bedeutung der Mission
und der Zionstheologie hervorgehoben: „Aber wenn es so ist, dann wäre ich eher bereit, ob-
wohl mir das noch gestern nachmittag undenkbar erschienen wäre, die Judenmission als
christlich zulässig anzuerkennen als den Zionismus als jüdisch unzulässig. Du hingegen wohl
umgekehrt. U n d darin zeigt sich doch die verschiedene Wertigkeit der beiden."
12
„Die Woche ist mehr, als was sie als menschgesetztes Gesetz der Kultur ist: irdisches
Gleichnis des Ewigen; als gottgesetztes Gesetz des Kults zieht sie das Ewige nicht bloß
gleichnishaft, sondern in Wirklichkeit hinein ins Heute." Von ihr gehe „alle göttlich-über-

336
bereits gezeigt. Der Sonntag, das Gedächtnis des auferweckten Gekreuzigten,
orientiert demgegenüber, als Ursprung des christlichen Festjahres13, die Zeit-
wahrnehmung auf den christologischen Anfang hin.
Aus dieser Differenz im messianischen und christologischen Ansatz kon-
struiert Rosenzweig die Differenz jüdischer und christlicher Festzeit. Diese
Konstruktion zeigt allerdings klar die Grenze apologetischer Beobachtung:

„Auf soziologischer Grundlage wird also hier Judentum und Christentum neben-
und gegeneinander gestellt. Daraus ergibt sich eine Darstellung, die beiden nicht
ganz gerecht wird" (ND, 156). Es dürfe nämlich nicht vom „eignen Bewußtsein der
beiden" ausgegangen werden, also weder vom Gesetz noch vom Christus-Glauben,
„sondern von der äußeren, sichtbaren Gestalt, durch die sie der Zeit ihre Ewigkeit
abringen, beim Judentum also von der Tatsache des Volks, beim Christentum vom
gemeindegründenden Ereignis" (ebd.). Konstruktive Apologetik suspendiert dialogi-
sche authentische Beschreibung (ND, 157).

Die Konsequenz dieser methodischen Vorentscheidung zeigt sich am klarsten


an der Konstruktion der christologischen Kultzeit als Realpräsenz. Zweifellos
steht bei dieser Konstruktion Rosenzweigs Hegel-Kritik Pate14:
Die liturgiehistorische Tatsache, daß der Sonntag und die beiden christli-
chen Festkreise Ostern und Weihnachten christologisch bestimmt sind, wird
konsequent nach dem Paradigma sakramentaler Realpräsenz rekonstruiert, die
als das gemeindegründende Ereignis gilt. .Sakrament' wird zum Inbegriff der
Festzeit und des liturgischen Zeichens als Sakrament des Wortes (S, 397f), des
Mahles (S, 404) und der Taufe (S, 415f).
Dieser durchaus vielversprechende Ansatz wird von der Durchführung
konterkariert. Methodisch wiederholt Rosenzweig nämlich Hegels Konstruk-
tion der Christologie aus der spekulativen Logik der Realpräsenz Gottes als
Geist der Gemeinde15:
Die sakramentale Realpräsenz unterbreche das Zeitkontinuum, die Ewigkeit
der Zeit, und konstituiere eine Zeit der Ewigkeit: „Solch Geschehen müßte
von jenseits der Zeit kommen und in ein Jenseits der Zeit münden. In jeder
Gegenwart zwar wäre es in der Zeit; aber weil es sich in seiner Vergangenheit
und Zukunft unabhängig von der Zeit weiß, so fühlt es sich stark gegen sie.
Seine Gegenwart steht zwischen Vergangenheit und Zukunft."16 Charakteristi-
scherweise expliziert Rosenzweig die sakramentale Präsenz Jesu Christi dann

irdische Verewigung des Augenblicks aus", auch jene des Tages und des Jahres (S, 324).
15
H. Auf der Maur, 26-53; J. Roloff, Gottesdienst im Urchristentum, 48-54.
14
Dazu: F. Rosenzweig, Hegel und der Staat.
15
Vgl. W. Jaeschke, Die Vernunft in der Religion, 323-348 und die Textpassagen aus
Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion in: „Versöhnung" als Thema der
Theologie, 85-106.
16
S, 374. Zum (differenzierteren) Kontrast von „Ewigkeit der Zeit" und „Zeit der Ewig-
keit": M. Theunissen, Negative Theologie der Zeit, 314f.

337
aber nur anamnetisch, nicht eschatologisch: Sie vergegenwärtige das durch die
Auferweckung verewigte Kreuz Christi in der Gegenwart der feiernden
Gemeinde ebenso wie die jeweilige Gegenwart der feiernden Gemeinde unter
dem Kreuz, in der Gegenwart des Gekreuzigten: „So ist dem Christen ... das
Kreuz immer gegenwärtig ... Diese Gegenwärtigkeit macht nun das Osterfest
auch zum eigentlichen Fest des Sakraments ... er [sc. der Festteilnehmer] muß
das Haupt voll Blut und Wunden grüßen, unmittelbar von Angesicht zu
Angesicht." (S, 406)
Die Gegenwart Christi bestimmt die geschichtstheologische Epochenset-
zung: „Alle folgende Zeit von Christi Erdenwandel an bis zu seiner Wieder-
kunft ist nun jene einzige große Gegenwart, jene Epoche, jener Stillstand,
jene Stundung der Zeiten, jenes Zwischen, worüber die Zeit ihre Macht
verloren hat". (S, 375)17 Die fortwährende (nicht fortschreitende) Missionie-
rung werde in dieser Epoche zur „Form ihrer Selbsterhaltung" (S, 379): Nur
in der jeweils neuen Missionierung des jeweiligen historischen Augenblicks
erweise sich, daß auch dieser Augenblick Moment der Gegenwart des Ge-
kreuzigten sei.18 In der feiernden Gemeinde selbst, mit Hegel zu reden: in
ihrem Selbstbewußtsein als Reich des Geistes, sei „Christus nicht Stifter noch
Herr seiner Kirche, sondern Glied, er selber Bruder seines Bundes." (S, 382)
In Christus würden die Feiernden, „Menschen verschiedensten Antlitzes" (S,
383), vergleichzeitigt: „Das ist der tiefste Grund, weshalb es in der heid-
nischen Welt, die ja eben die Zeitlichkeit ist, unmöglich war, seinen Näch-
sten zu lieben, wie sich selbst. Aber in der Ewigkeit [sc. des Geistes-als-Ge-
meinde] gibt es Gleichzeitigkeit ... so läßt sie alle die Verfeindeten, Grau-
samen, Neidischen, Beschränkten sich einander als Brüder erblicken in dem
einen gleichen mittleren Augenblick der Zeit." (S, 383f)19
Diese scharfsinnige Rekonstruktion trifft gewiß die latente Vermittlungs-
logik, durch welche Christologie, Realpräsenz und Festzeit oft genug be-
stimmt waren und sind. Diesem radikalchristologischen Typ gilt die typisierte
jüdische Kritik: Im christlichen Sakrament bleibe die Hoffnung auf das ausste-
hende Gericht Gottes und seine Erlösung ortlos.20 Der christologischen Real-

17
Im Hintergrund steht eine bestimmte Rezeption der augustinischen Geschichtstheologie
und Eschatologie, vgl. Z, 101; BT, 358f; dazu. J. Wohlmuth, Jesu Weg, 70f.
18
Zu dieser Theorie-Praxis-Relation: F. Rosenzweig, Hegel und der Staat 2, 75-187: Nur
„weil und wo das Vernünftige anerkannt wird als das zu Verwirklichende, [sc. dürfe und
müsse] auch das Wirkliche als Verwirklichung des Vernünftigen erkannt werden" (176).
Zustimmend M. Theunissen, Die Verwirklichung der Vernunft, 25-28.
19
Dieses Selbstbewußtsein der Abendmahlsgemeinschaft illustriert: D. Bonhoeffer, Sancto-
rum Communio, 168f. J. Wohlmuth, Jesu Weg, 72-77, übersieht in seiner zustimmenden
Darstellung die Ursprünge dieser Versöhnungslogik.
20
S, 407-409. Katholische Christologie und Liturgik versuchen neuerdings dieser Kritik zu
begegnen. Das triduum paschale (die Feier von Kreuz und Auferstehung) wird eschatologisch
reinterpretiert: J. Wohlmuth, Jesu Weg, v.a. 69-104.135-178; vgl. H. Heinz/K. Kienzler/J.J.
Petuchowski, Versöhnung in der jüdischen und christlichen Liturgie.

338
präsenz ermangele das Noch-Nicht der Verheißung. Hingegen sei der jüdische
Gottesdienst, insbesondere durch Neujahr und Versöhnungstag, eschatolo-
gisch bestimmt: „So drängt sich das christliche Bewußtsein, ganz versenkt in
Glauben, hin zum Anfang des Wegs, zum ersten Christen, zum Gekreuzig-
ten, wie das jüdische, ganz versammelt in Hoffnung, hin zum Manne der
Endzeit" drängt, genauer: zur Hoffnung auf Gott selbst (S, 385f).21 So triftig
allerdings diese Konstruktion sein mag, sie ist nicht Rosenzweigs letztes
Wort.

1.3 These

Rosenzweigs Theorie der Liturgie bietet, neben dieser Konstruktion, Beispiele


einer dichten eschatologischen Beschreibung ikonischer Zeichen der Liturgie. Diese
dichte Beschreibung liturgischer Zeichen des Geheimnisses des göttlichen
Namens ist von hoher Innovationskraft. Sie enthält die Quintessenz der
Grammatik und Logik des göttlichen Namens im Stern der Erlösung. Die
Aporie der Wahrheit des göttlichen Namens, das Geheimnis im Erlernen des
Namens wird in das semiotische Problem dichter Beschreibung seiner ikoni-
schen Zeichen überführt. Damit führt Rosenzweig ein neues Paradigma argu-
mentativen Dialogs zwischen jüdischer und christlicher Theologie ein.

2. Dichte des Namens und Dialektik der Hoffnung (Rom 11,25-36)

Die göttliche Verheißung bestimmt die Grenze der Homologie und Doxolo-
gie, indem sie ihr zuvorkommt. Homologie und Doxologie, die daraußin
ihre Geltungsgrenze überschreiten, können allerdings ,Gott versuchen'. Dies
ist der namenstheologische Grund einer möglichen Dialektik der Hoffnung.22

Die paulinische interzessorische Klage (l-5a) und Gerichtsdoxologie Gottes (5b)23 in


Rom 9,1-5 (sie wird in Rom 10,1 aufgenommen) diene als Beispiel.

In der Klage ist der Glaube „durch sein priesterthum ... gottis mechtig, denn
gott thut was er bittet und wil"24. Diese Freiheit des Gebets - Luther entfal-
tet sie als Inbegriff christologisch begründeter Urteilsfreiheit - wird bei

21
Es sei „Quelle zugleich und Mündung alles jüdischen Messiasglaubens", „daß schließlich
Gott selbst der Erlöser [sei], ,er selbst und kein anderer'" 0H, 157).
22
Kants Dialektik der praktischen Urteilskraft und des Gewissens ist aufgenommen und
transformiert, vgl. die Anspielung auf Kant S, 325.
23
E. Käsemann, Römer, 249f; U. Wilckens, Römer 2, 189.
24
M. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), WA 7, 28,15f.

339
Rosenzweig Inbegriff messianischer Urteilsfreiheit25: Der Betende müsse gera-
dezu lernen, „an seine Freiheit zu glauben. Er muß glauben, daß sie, wenn
sonst vielleicht auch überall beschränkt, Gott gegenüber ohne Grenzen ist."
(S, 296f) Weil ihm diese Freiheit eingeräumt ist, kann das Gebet versucht
sein, in Gottes Verheißung einzugreifen und ihrem Wahrwerden vorzugrei-
fen: „das Gebet ist eingespannt zwischen diese zwei Möglichkeiten; indem es
sich vor Gottes Versuchung fürchtet, weiß es doch in sich die Kraft, Gott
selber zu versuchen." (S, 297) Die eschatologische Beschreibung des Werks als
Frucht des Reiches bleibt, sofern sie auf das Ende aller Dinge vorgreift,
angefochten: die Tat der Liebe selber ist noch blind, sie weiß nicht, was
sie tut ...; sie ist rascher als das Wissen; sie tut das Nächste, und was sie tut,
dünkt sie das Nächste. Aber das Gebet ist nicht blind, es stellt den Augen-
blick und in ihm die soeben getane Tat und den grade entschlossenen Willen,
Nächst-Vergangenes also und Nächst-Zukünftiges dieses einen einsamen
Augenblicks, in das Licht des göttlichen Antlitzes. Es ist Bitte um Erleuch-
tung ... Das Gebet stiftet die menschliche Weltordnung." (S, 297f, Kursive HA)
Menschliche Weltordnungen der Hoffnung werden gestiftet, wo im Gebet
die Bitte um Erleuchtung sich erfüllt. Dem erhörten und erleuchteten Gebet
zeigt sich die Tiefe des Reichtums der oikonomia Gottes.26 Doch sie zeigt sich
so, daß eben in dieser offenbaren Tiefe ihr .Geheimnis' zukünftig bleibt.27

" K.H. Miskotte nennt dies das .ethisch-magische' Lebensgefühl („het ethisch-magisch
levensgevoel") als Konstitutivum jüdischer Religion (Wezen, 372f.416.455.483.544f).
26
TO ßdöoc, (ÄXOÜTGU) Rom 11,33; vgl. IKor 2,10; in den Deuteropaulinen steht der .Reich-
tum der Herrlichkeit' im Kontext der Rede vom eschatologischen Christusmysterion:
Kol 1,27; 2,2; Eph 3,8; 1,7.9f. Zum Hintergrund: M. Wolter, Weisheit, 311 Anm. 59.
27
Das paulinische und deuteropaulinische Verständnis von .Geheimnis' behält einen
konstitutiv promissorischen Aspekt: „Weil in der Offenbarung das (ivoTT|gLov Gottes als solches
enthüllt wird, wird mit seiner Verkündigung immer zugleich seine Verborgenheit offenbar.
Der Gegensatz, der mit dem uixmjgiov gesetzt ist, ist 1. der Gegensatz zwischen Einst und
Jetzt Rom 16,25; Eph 3,5.9f; Kol 1,26; 2. der fortbestehende Gegensatz zwischen den Ar-
chonten der Welt und denen, die Gott lieben 1. Kor 2,6 ff. Dazu kommt 3. der Gegensatz
zwischen Jetzt und Dereinst: in dem |iwm]Qi.ov kündigt sich die kommende Verherrlichung
der Glaubenden erst an. In ihm ist .der Reichtum der Herrlichkeit' schon eingeschlossen, aber
er ist zugleich noch darin eingeschlossen, Christus ist die Hoffnung der Herrlichkeit. In
Christus sind die Schätze der Weisheit und der Erkenntnis noch verborgen (Kol 2,3). Das
offenbarte Mysterium verhüllt also zugleich die endliche Vollendung; das eschatologische
Geschehen eröffnet sich vorerst nur im Wort, die Vollendung des Alls erscheint vorerst nur
durch die Kirche, die 66£<x kommt in der Verhüllung der öXi^eic, (Kol l,24f; Eph 3,13)" (G.
Bornkamm, uwrrr|Qiov, 828). Dieser Sicht widerspricht M. Wolters traditionsgeschichtliche
Analyse der Revelationsschemata von Kol l,26f; Eph 3,4-7.8-12 und Rom 16,25f (ders.,
Weisheit, 306-311). Wolter sieht die temporale Gegenüberstellung auf das Einst und Jetzt
beschränkt. Die Pointe der Revelationsschemata sei die israelkritische Substitution des
Gesetzes als Weisheit Gottes durch das paulinische Evangelium (ebd., 317). Würde dies
zutreffen, so müßten die Revelationsschemata als Fallbeispiele der Dialektik eschatologischer
Urteilskraft gelten.

340
Erneut seien Rom 9,1-5 und 11,25-32 Beispiel: Es gilt als .bestechende Hypothese'28,
daß die prophetische Offenbarung des .Geheimnisses' von Rom 11,25b.26a der Be-
scheid auf die interzessorische Klage des Apostels sei: „Verstockung ist teilweise
Israel widerfahren, bis zu dem Zeitpunkt, da die Vollzahl der Heiden eingegangen
ist; und so wird ganz Israel gerettet werden".29 Prophetische Offenbarung als Be-
scheid auf interzessorische Klage stiftet hier eine .menschliche Weltordnung' der
Hoffnung.

Trotz (oder sogar wegen) des paulinischen Beispiels ist festzuhalten: Das
erleuchtete Gebet kann zwar alles von Gott erbitten; es stößt aber gerade in
der Erfüllung an seine innere Grenze. Die Tiefe des Reichtums Gottes ist zu
dicht, um sprachlich abschließend artikuliert zu werden. Das ist auch die
Grenze von Rom 11,25b.26a.
Rosenzweig formuliert diese Einsicht grundsätzlich: „Das Gebet nämlich,
wenn es erleuchtet, zeigt dem Auge das fernste Ziel ... Und so kommt das
Gebet, das an sich keine magischen Kräfte hat, dennoch, indem es der Liebe
den Weg erleuchtet, zu magischen Wirkungsmöglichkeiten. Es kann in die
göttliche Weltordnung eingreifen. Es kann der Liebe die Richtung geben auf
etwas, was noch nicht reif zur Liebe, noch nicht reif zum Beseeltwerden ist
... Solche Bevorzugung ist aber in Wahrheit Bevor-zugung, Hervorziehen der
zögernd hergezogen kommenden Zukunft, ehe diese Zukunft nächst gegen-
wärtiger Augenblick und als solcher reif zur Verewigung geworden ist... aber
das Himmelreich läßt sich nicht vergewaltigen, es wächst." (S, 301f)30 Wenn
die offenbare Tiefe des Reichtums Gottes die Versuchung des Gebets begrün-
det, so erhebt sich die Frage nach dem Gebet ,wie sich's gebührt' (Rom
8,26b). Die Antwort ist, daß nirgends anders als im Gebet selbst seine Grenze
jeweils neu erlernt wird, und zwar als seine innere Grenze. Daraufhin ist die
Schlußdoxologie von Rom 11,32.33-36 zu interpretieren:

Diese Doxologie scheint aus dem „sie" (.teilweise Israel') und „ihr" (die Ge-
meinde aus Juden und Heiden) antizipierend ins „(uns) alle" überzugehen:
„Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen"
(Rom 11,32). Doch damit überschritte sie eine Grenze, die Paulus wahrt. Es
trifft nicht zu, daß die Gerichtsdoxologie von Rom 11,33-36 wie die Akkla-
mation von Phil 2,11 „die kosmische Huldigung antizipierend aufnimmt]".
Vielmehr wird Hoffnung mit einem tief verwurzelten Verständnis aktueller
Unendlichkeit verwechselt, wenn behauptet wird, daß im „Lobpreis der
Gemeinde ... schon jetzt laut [wird], was einst alle Welt bekennen und mit

28
U. Wilckens, Römer 2, 254, mit Bezug auf: U.B. Müller, Prophetie, 225-232.
29
Übersetzung nach: U. Wilckens, Römer 2, 251.
50
Falls diese Interpretation zutrifft, dürfte Rosenzweigs Rede von der Versuchung des
Gebets Luthers Auslegung der sechsten Vaterunser-Bitte nahe kommen, vgl. BSLK 514,29-
39; 685,40-688,37.

341
ihrem Amen bestätigen muß." 31 Das doxologische Wir von Rom 11,33-36 ist
in der .Tiefe des Reichtums der Weisheit' verborgen. Es kann sprachlich
nicht antizipiert werden.
Die Doxologie wird zur .Paradoxologie': „Die Doxologie wacht über die
Hoffnung, daß von Gottes Handeln mehr und anderes erwartet wird als alles,
was aus menschlicher Antwort darauf ersichtlich werden kann, möge nun die
Antwort bejahend oder verneinend ausfallen."32 Das logisch Paradoxe mar-
kiert die innere Grenze des doxologisch Aussagbaren. „Erwählung und Hoff-
nung hängen aufs engste zusammen: Erwählungsglaube kann sich nur in der
Hoffnung auf Gottes Treue aussprechen ... Durch die Hoffnung wird die
Grenze zwischen dem, was wir sagen können, und dem, was wir noch nicht
sagen können, markiert."33

Die am Beispiel von Rom 11,32.33-36 gewonnene Einsicht läßt sich generali-
sieren: Die Doxologie des Verheißungsnamens ist Sprachhandlung, als Sprach-
handlung aber ist sie auch Text und Aussage. Als Proposition ist sie aber nur
auszuweisen, wenn sie opponierbar ist. Dann würde sich zeigen, daß diese
Doxologie christlich und jüdisch nach widersprechenden Regeln verstanden
würde, deren Unentscheidbarkeit zwar entschieden, deren Verifikation aber
unvorgreiflich ist. Würde die Doxologie durch die Gemeinde antizipiert, so
führte dies in performativen Selbstwiderspruch: In jedem ,Wir' des Lobes
würde das ,Ihr' tatsächlichen oder möglichen Widerspruchs ausgeschlossen. In
diesem Sinne ist Rosenzweigs These gemeint, mit der die Grammatik der
Erlösung schließt: Alle gesungene Doxologie der Güte Gottes sei noch Wort
und als Wort kein Letztes. „Das Wort ist nie Letztes, ist nie bloß Ge-
sprochenes, sondern immer ist es auch Sprechendes. Das ist ja das eigentliche
Geheimnis der Sprache, dieses ihr eigenes Leben: das Wort spricht. Und so
spricht aus dem gesungenen Wir das gesprochene Wort und spricht: Ihr." (S,
264)

Was sich in dieser Paradoxie anzeigt, nennen wir Dichte des Namens, der mehr
,verheißt', als gegenwärtig sprachlich artikuliert werden kann. Es ist deshalb nur
scheinbar widersinnig, vielmehr die zusammenfassende Pointe des bisherigen
Gedankengangs, wenn gilt: „Im Blick auf das, was wir noch nicht sagen
können - und dies ist etwas anderes als das, was wir uns nicht vorstellen
könnten! -, könnte hoffentlich ein Gespräch von Israel und Kirche in Gang
kommen: im Blick darauf, was keines von uns bisher aussagen kann, wovon
wir aber nicht schweigen dürfen, weil Gott verheißungsvoll zu uns gespro-
chen hat ,auf vielerlei Weise ...' (Hebr. 1,1). Wenn wir aber davon reden,

" E. Käsemann, Römer, 311 (Abschluß der Exegese von Rom 9-11).
32
G. Sauter, Rechenschaft, 299.
33
Ebd., 302. Zur Auslegung von Rom 9-11 insgesamt: W. Kraus, Paulinische Perspektiven,
v.a. 166f: „Gottesvolk' ist für Paulus ein Verheißungsbegriff' (167).

342
schweigen wir zugleich: über das, was aus guten Gründen noch nicht gesagt
werden kann"34.
Die entscheidende methodische Frage lautet dann: Wie kann im Blick auf
das, was sich nicht sagen läßt, ein Gespräch entstehen? Eine Antwort kann
lauten: Zu reden über Hoffnung, die sich noch nicht aussagen läßt, heißt
Reden über Hoffnung, die sich sichtbar zeigt. „Bei allem was geschieht, kannst
du sagen, ob es Wiederholung (Erneuerung) der Offenbarung ist - dann ist es
nämlich ... bloß Wort, wie das Gebet usw. - oder ob es Vorklang der Erlö-
sung ist - dann ist es nämlich sichtbar. Auf die Sichtbarkeit kommt es an."
(BT, 737) Diese überraschende und erläuterungsbedürftige These nimmt zu-
nächst nur eine paradoxe Aussage des täglichen jüdischen Gebets auf: „Einzig
Er, unser Gott, Er ist unser Vater, Er ist unser König, und Er in seinem Er-
barmen wird nochmals vor den Augen aller Lebenden es hören lassen: Ich will
euch zum Gotte sein."35
Daß die Doxologie an die innere Grenze des Gebets als Sprachzeichen
stößt, läßt aufmerksam werden auf nicht-sprachliche Zeichen, in denen sich
Verheißung exemplifiziert und Hoffnung ausdrückt. Liturgische Zeichen
können als ikonische Zeichen Hoffnung .sichtbar hören' lassen. Dichte
Beschreibung dieser Zeichen ist konstitutiv dialogisch.

3. Ikonische Zeichen und dichte Beschreibung

Es ist eine geniale Intuition Rosenzweigs, den Dialog zwischen Kirche und
Israel mit der Hypothese anzusetzen, daß sich in liturgischen Zeichen die den
kontradiktorischen Homologien und ihrer Geltung zuvorkommende Dichte
der Verheißung .sichtbar hören' lassen könnte. Für die Eschatologie des Stern
gewinnen bestimmte liturgische Zeichen „eine ähnliche Organonstellung" wie
die Grammatik der Sprachzeichen für die Explikation des jüdischen Erwäh-
lungsglaubens (S, 327): Die Formen der Grammatik „sind innerhalb des Wun-
ders selber wieder das Wunder, offenbare Zeichen einer offenbaren Welt. Sie
sind ihrer Welt genau gleichzeitig" (S, 327). Die grammatisch analysierten
Sprachzeichen fungieren vornehmlich denotativ: Sie vergegenwärtigen sprach-
lich. Selbstverständlich fungieren auch viele liturgische Zeichen auf .anarn-
netische' Weise repräsentativ, wie zum Beispiel die verschiedenen Zeichen des
Passahmahls. Einige liturgische Zeichen fungieren jedoch in entgegensetzter
Weise. „Sie sind das Licht, in welchem wir das Licht schauen, stille Vor-
wegnahme einer im Schweigen der Zukunft leuchtenden Welt."36 Solche
Zeichen bringen Hoffnung zum Ausdruck. Sie exemplifizieren und fordern

34
G. Sauter, Rechenschaft, 318.
35
Aus Keduschat haschem der Mussaf-Amida, Sidur, 126f (Kursive HA); Trepp, 70, Diese
Gebetsformel wird zitiert: S, 206; BT, 737.
36
S, 327 (vgl. Ps 36,10).

343
eschatologische Beschreibung heraus, die danach sucht, jene Hoffnung zu
beschreiben, die sie anzeigen.37
Die innere Grenze der Doxologie als Sprachzeichen ist nicht die Grenze der
Hoffnung, sondern läßt zum liturgischen Zeichen übergehen.38 Liturgische
Zeichen bieten unbeschadet ihrer Konventionalität eschatologischen Neube-
schreibungen Raum, sofern sie auch als exemplifizierende, nicht nur denotie-
rende Zeichen fungieren können. „Daher kommt es, daß das Höchste der Li-
turgie nicht das gemeinsame Wort ist, sondern die gemeinsame Gebärde. Die
Liturgie erlöst die Gebärde von der Fessel, unbeholfne Dienerin der Sprache
zu sein, und macht sie zu einem Mehr als Sprache. In der liturgischen Gebär-
de allein ist die .geläuterte Lippe' vorweggenommen" (S, 329).

Der Übergang von Sprache zu Gebärde (von Symbolsystem zu Symbolsystem) ist


auch Übergang in der Referenzweise der Zeichen, Übergang vom Gedächtnis des
Vergangenen (Ps 111,4) zur Hoffnung. Am Beispiel des Versöhnungstages wird sich
der Übergang von Sprache und Gebärde, von Gedächtnis und Hoffnung als fließen-
der erweisen als die Unterscheidung nahelegt. Ein und dasselbe liturgische Zeichen
(z.B. die Proskynese am Versöhnungstag, aber auch das Brotbrechen des Herren-
mahls) kann denotieren, repräsentieren und exemplifizieren.

In liturgischen Gebärden wird nicht nur der Gabe des Namens an Israel ge-
dacht. Es kommt darüber hinaus - dies ist die These - die zentrale Hoffnung
der geläuterten Lippe von Zeph 3,9 und Sach 14,9 zum Ausdruck: JDann
aber wandle den Völkern ich an eine geläuterte Lippe, - daß sie alle ausrufen
Seinen Namen, mit geeinter Schulter ihm dienen ... An jenem Tag brauchst du
dich nicht zu schämen all deiner Handlungen, womit du mir abtrünnig wur-
dest", und: ,,/ltt jenem Tag wird ER der Einzige sein und sein Name der einzige"
(Zeph 3,9.11 und Sach 14,9 BR). Gebärden exemplifizieren den Namen,
dessen Homologie noch aussteht.
Rosenzweig tastet nach Begriffen, um seine Intuition zu operationalisieren.
Anleihen bei einer Rhetorik des Unmittelbaren sind Symptome fehlender
zeichentheoretischer Unterscheidungen. Die Tiefe des Reichtums Gottes, das
Licht des Lichts, das Feuer des Sterns der Erlösung zeige sich schweigend: „Das
Licht redet nicht, es leuchtet ... das Licht verschenkt, veräußert sich nicht
wie die Sprache, wenn sie sich äußert, sondern es ist sichtbar, indem es ganz

37
E. Levinas, Vorwort, 12, sucht auf seine Weise nach treffenden Termini: Liturgische
Zeichen zeigen keinen „Mangel des Erkennens, sondern ein Mehr, das auf halbem Wege zwi-
schen dem Bedeuten des Bedeuteten und seiner Erfüllung liegt".
38
Nach dem letzten Wort der Doxologie folgt nicht Schweigen, sondern die Proskynese
vor dem Angesicht, das Sich-Zeigen des Namens: „Und alle Geschöpfe im Himmel und auf
der Erde, unter der Erde und auf dem Meer, alles, was in der Welt ist, hörte ich sprechen:
Ihm, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm gebühren Lob und Ehre und Herrlichkeit
und Kraft in alle Ewigkeit. Und die vier Lebewesen sprachen: Amen. Und die vierund-
zwanzig Ältesten fielen nieder und beteten an." (Apk 5,13f)

344
bei sich selber bleibt; es strahlt eigentlich nicht aus, es strahlt nur auf; es
strahlt nicht wie ein Brunnen, sondern wie ein Antlitz, wie ein Auge strahlt,
das beredt wird ohne daß sich die Lippen zu öffnen brauchen. Hier ist ein
Schweigen ... das des Worts nicht mehr bedarf. Es ist das Schweigen des
vollendeten Verstehens. Ein Blick sagt da alles." (S, 328) Aber dieses flüchtige
Aufleuchten bedarf sehr wohl der Beschreibung und setzt den sprachlich
vorstrukturierten Blick voraus - wie Rosenzweig ahnt: „Weil in der Ewigkeit
das W o r t erlischt i m Schweigen des einträchtigen Beisammenseins - denn nur
im Schweigen ist man vereinigt, aber die Vereinigten schweigen - darum m u ß
der Brennspiegel, der die Sonnenstrahlen der Ewigkeit im kleinen Kreis des
Jahres sammelt, die Liturgie, den Menschen in dieses Schweigen einführen.
Auch in ihr freilich kann das gemeinsame Schweigen erst das Letzte sein, und
alles was vorhergeht, ist nur Vorschule auf dies Letzte. In solcher Erziehung
waltet noch das W o r t . Das W o r t selber m u ß den Menschen dahin führen,
daß er gemeinsam schweigen lerne." (S, 342f) Auch die schweigende Gebärde
und ihre Beschreibung wird erlernt - und solches Erlernen steht der Kritik
offen. Dies ist an der paradigmatischen Hoffnungsgebärde auszuweisen, zu
der Rosenzweigs Liturgik hinführt: der Proskynese des Versöhnungstages Qes
45,23, vgl. Phil 2,10).

Falsch soll eine Beschreibung eschatologischer Zeichen nicht nur heißen, wenn sie
der Grammatik der Verheißung widerspricht. .Falsch' ist sie auch, wenn sie die Be-
zugnahmeweisen des Zeichens reduziert. Als Beispiel einer Fehlbeschreibung diene
die kultische Proskynese in christlicher Liturgie. Die Proskynese hat ihren Ort in
der Karfreitagsliturgie, insbesondere in der Kreuzesanbetung der Improperien. Un-
mittelbar vor dieser Sequenz, im Übergang vom Wortgottesdienst zur Kreuzesvereh-
rung und den Improperien, stehen die Karfreitagsfürbitten, die mit dem Gebet für
die Juden enden. Zu dieser letzten Fürbitte für die Juden lautete der traditionelle
agendarische Vermerk (seit dem 8. Jh.): ad ultimum pro luden nonflectant genua. Das
Pontificale Romanum (gültig bis 1965) nennt als Grund für das Weglassen der
Kniebeugung bei dieser Fürbitte die Tatsache, daß die Juden aus Spott die Kniee
beugten vor dem leidenden Herrn. 3 ' Die Proskynese verliert durch diese Beschrei-
bung ihren Charakter als eschatologisches Zeichen. Sie droht zur einfachen religiö-
sen Huldigungsgeste zu werden, in der sich eine religiöse Gemeinschaft von der
anderen unterscheidet. So verdoppelt diese Beschreibung nicht nur die Differenz der
Glaubensbekenntnisse. Die Beschreibung verdeckt vor allem, daß das ikonische Zei-
chen das zukünftige Geheimnis exemplifiziert, daß sich im Namen über allen Na-
men alle Knie beugen sollen.40

H. auf der Maur, Feiern, 109, der auf die stark antijudaistische Stoßrichtung der orienta-
lischen und der abendländischen Improperientradition in der Karfreitagsliturgie seit frühester
Zeit hinweist, 111. Zur konziliaren Änderung und zur Neuinterpretation: J. Wohlmuth,
Weg, 146f; K. Richter, Ostern, 77f.
40
Auch die Gerichtsdoxologie des Improperiengesangs (Trishagion, Mi 6,3f; Jes 5,1-7), in
der Gott als Richter Israel und Kirche gegenüber tritt, wird durch die Beschreibung des
liturgischen Zeichens konterkariert.

345
§ 15 Dichte und Unendlichkeit des Namens -
Der Versöhnungstag

„Gesten sind Bewegungsmuster, die sich durch langen Gebrauch unter den Menschen
eingebürgert haben ... Es gibt viele Gefühle, die sich auf so vielfache Weise zum Ausdruck
bringen lassen, daß es ein einziges Muster für sie eigentlich nicht gibt. Zum Beispiel die
Hoffnung hat keine Gestalt"'.

„Daß vor Gott sich beuge jegliches Knie, bleibt die wahre Form, unter der die Erlösung
gefeiert wird." (S, 41 lf)

Das Geheimnis der Hoffnung des Namens, der über allen Namen ist, zu erler-
nen, ist Ziel des Sterns der Erlösung. Die Unendlichkeit des Namens zeigt sich
in ikonischen Zeichen der Liturgie als Dichte, welche die unaussprechliche
Hoffnung exemplifiziert und metaphorisch ausdrückt. Sie zeigen an der
Kultgemeinde, auf die sich der Name ,legt' (Num 6,27a), das leuchtende
Angesicht an, jene translogische Wahrheit des Namens, die sich logisch als
unentscheidbare Differenz der Homologien darstellt.2 Ikonische Zeichen
drücken eine Reichweite der Namensverheißung aus, die über die ausweisbare
Geltung der Sprachzeichen hinaus reicht. Negativität der Hoffnung ist also
nicht das letzte Wort, vielmehr der Übergang zur dichten Beschreibung
ikonischer Zeichen: Diese sucht liturgische Gesten als Ausdruckszeichen nicht-
aussagbarer Hoffnung zu beschreiben. Liturgische Gebärden werden dazu nicht
primär als denotative bzw. repräsentative Zeichen verstanden (die sie auch
sind), sondern als exemplifizierende Ausdruckzeichen.
Die nicht abschließbare, dichte Beschreibung ikonischer Kultzeichen, .Sakra-
mente', ist eine genuine Quelle produktiver und innovativer, dialogischer
Theologie des göttlichen Namens. Das wird abschließend an Rosenzweigs
dichter Beschreibung des jüdischen Versöhnungstags dargestellt, insbesondere
an der kultischen Proskynese dieses Tages.
Der Kniefall in der Mussafliturgie des Versöhnungstages ist Zeichen des
Gedächtnisses (signum rememorativum) an den Tempel und das hohepriesterli-
che Opfer des Versöhnungstages, während welchem einmal im Jahr der
göttliche Name ausgesprochen wurde.3 Er wird aber, das ist das Neue im
Stern, zugleich als Ausdruck der Hoffnung des Namens über allen Namen
{signum prognosticon) beschrieben. Schließlich ist er auch Mitteilung göttlicher
Gerechtigkeit, effektives Zeichen gereinigter Lippen {signum demonstrativum).

1
D. Humphrey, The Art of Making Dances, New York, bei: N . Goodman, Sprachen, 56.
2
„Dies Leuchten des göttlichen Angesichts allein ist die Wahrheit. Sie ist keine für sich frei
schwebende Gestalt, sondern allein das aufleuchtende Antlitz Gottes." (S, 465) Namens-
ausrufung und Namensauflegung bedeutet Deklaration eines Eigentumsrechts: K. Seybold,
Der aaronitische Segen, 41.44.
3
pjoma 40d; bjoma 39b; TJoma 11,2.

346
Der Stern der Erlösung, als katechetische Heimkehr ins Geheimnis oder in die
Unendlichkeit des Namens, führt am Ende in die ikonische Dichte dieses
Zeichens ein. Eine Theorie ikonischer oder .sakramentaler' Zeichen ist mithin
für eine katechetische Theologie des göttlichen Namens unverzichtbar.

1. Repräsentierende Anamnese?

Selbstverständlich steht der Kniefall durch sein gottesdienstliches Syntagma in


einer Fülle denotativer und repräsentativer Bezugnahmen. Sein Kontext ist die
große Erinnerung an den Tempeldienst des Versöhnungstags (Avoda4), die
wiederum eingebettet ist in eine Rekapitulation von Schöpfung, Abfall und
Sintflut, der Erwählung, Gabe des Gesetzes und Einsetzung des levitischen
und aaronitischen Priesterstamms. Aus der Erzählung von Schöpfung und
Sinaioffenbarung geht der Pijut in die dramatische Vergegenwärtigung des
kultischen Geschehens des Versöhnungstages über5, im Zentrum das dreifache
Sündenbekenntnis des Hohenpriesters für sich, für die Priesterschaft, für die
Gemeinde, während dessen der Hohepriester das Tetragramm ausspricht:

„O Du, sie haben gesündigt, sie haben gefehlt, gefrevelt vor dir, dein Volk, das Haus
Israel. O Du mit deinem heiligen Namen sühne doch die Sünden, die Verfehlungen,
die Frevel, die sie gesündigt, gefehlt und vor dir gefrevelt, dein Volk, das Haus Israel.
Wie in der Lehre deines Knechtes Mosche auf Ausspruch deiner Herrlichkeit ge-
schrieben: Denn am heutigen Tag sühnt er euch, euch von allen euren Sünden, vor
IHM werdet ihr rein".
„Und die Priester und das Volk, die im Vorhofe standen, wenn sie hörten, daß der
erhabene, ehrfurchtbare Name des Ewigen deutlich ausgesprochen in Heiligkeit und
Reinheit aus dem Munde des Hohenpriesters kam, knieten sie nieder, bückten sich,
warfen sich huldigend aufs Angesicht nieder und sprachen: Gelobt sei der Name der
Ehre seines Reichs immer und ewig.
Und er achtete darauf, den Namen zu vollenden mit den Huldigenden, und rief
ihnen dann zu: Ihr werdet rein werden. Und du, Ewiger, in deiner Güte, laß rege
werden dein Erbarmen und verzeihe der Gemeinde Jeschurun."*

Der göttliche Name eröffnet im Blut- und Sühneritus des Hohenpriesters Ver-
söhnung und neue Begegnung mit sich, Heiligung im Namen: vor IHM und
durch IHN werdet ihr rein.7 Doch der hohepriesterliche Sühneritus wurde nach

4
Machsor Versöhnungstag, 200-212. Dazu: L. Trepp, 140-142; I. Elbogen, 153.216f.
5
Den Avoda-Pijjutim liegt ein altes Schema zugrunde: I. Elbogen, 217; L. Trepp, 141.
6
Machsor Versöhungstag, 206, vgl. 203f, Übersetzung teilweise modifiziert nach L. Trepp,
140. Dieser Bericht geht nur vermittelt auf Lev 16 zurück. Die eigentliche Quelle sind v.a.
die Kapitel 3,4,6 des Mischnatraktats Joma. Vgl. Sh. Safrai, Versöhnungstag, 32-41.
7
Daß Gott Versöhnung gewährt, betonen: J.J. Petuchowski, Zur Dialektik der Kappara,
195f; H. Gese, Die Sühne, 85-106. Zur kritischen Diskussion: C. Breytenbach, Versöhnung,
59-79; H. Merklein, Sühnetod, 155-183.

347
der Zerstörung des Tempels unmöglich. Lediglich der Kniefall der synagoga-
len Mussaf-Liturgie nimmt die Geste des Tempelritus auf. Von daher entwik-
kelt sich die gängige Beschreibung: Die priesterlichen Konsekrations-, Opfe-
rungs- und Inkorporationszeremonien würden hier zu einer repräsentierend-
anamnetischen Gebärde verdichtet.8 Aber die Fülle der denotativ-repräsentie-
renden Bezüge der Mussaf-Liturige auf den Sühneritus (und darin womöglich
auf die Sinai-Szene) schließt keineswegs aus, daß die Gebärde des Kniefalls
zum eschatologischen Ausdruckszeichen werden kann. Dafür spricht, daß nicht
der vollzogene Ritus in seiner Repräsentation, sondern die gewährte Zeit, die
Stunde und der Tag der Versöhnung .durch ihn und vor ihm', für das Ver-
ständnis von Umkehr und Reinigung entscheidend sind. Der Kniefall am Jom
Kippur erinnert und repräsentiert dann nicht primär den Sühneritus des
Tempels (und die Sinaiszene): Er geschieht im und vor dem Namen über allen
Namen. Das Stehen und Knien vor dem Richter ist also nicht primär anam-
netisches, sondern eschatologisches Zeichen. Die Frage des Opfers stellt sich
dann übrigens neu.9

2. Ikonische Hoffnung

Rosenzweig stellt die Avoda in den festzeitlichen Kontext der gewaltigen Tage
Neujahr und Versöhnungstag. Sie sind der eschatologischen Richterschaft
Gottes gewidmet. Diese bestimmte Festzeit entscheidet, worauf die liturgi-
schen Zeichen Bezug nehmen. In diesen Tagen stehen die Einzelnen als
Gemeinde vor dem Richter: An Neujahr wird das Urteil geschrieben, an Jom

8
Das Musterbeispiel einer solchen Beschreibung bietet H. Gese, Sühne, 104: „wir sehen [sc.
im zentralen Jom-Kippur-Ritus] kultisch abgebildet die Sinaiszene: Die von der Offenba-
rungswolke verhüllte göttliche Doxa und der vor Gott erscheinende Repräsentant Israels."
Rosenzweig pointiert hingegen, daß der zentrale Jom-Kippur-Ritus die eschatologische Theo-
phanie des künftigen Richters des Menschen als Menschen exemplifiziert.
' Das Opfer wird für Rosenzweig zum messianischen Zeichen des restituierten Friedens
zwischen Gott und Welt. In der zwischen liberalen und orthodoxen Gemeinden strittigen
Frage des Gebets um Wiederherstellung des Tempelopfers (D. Ellenson, Opfer und Versöh-
nung) bietet Rosenzweigs Liturgik eine originäre Alternative (BT, 737-739): Die messianische
Sichtbarkeit des Friedens zeige sich nicht nur in der Beseelung der Dinge, sondern auch in der
restituierten Herrschaft über die Dinge. Das im restituierten Tempel wiederherzustellende
Opfer bringe diese restituierte menschliche Herrschaft über die Dinge zum Ausdruck, näm-
lich ihre Beschränkung um des Friedens willen. Sinn der deuteronomistischen Kultzen-
tralisation und Opferbeschränkung sei gewesen, die Menge der Opfer auf das durch Gott ge-
ordnete Opfer zurückzuführen (BT, 980). Das beschränkte, nicht alles aufopfernde Opfer
„setzt voraus einen geordneten Stand der Dinge", wie er erst im messianischen restituierten
Tempel erneuen ist. „Wenn jüdisch geopfert werden darf, ist die Ordnung der Dinge wie
Gott sie will, hergestellt. Sie wird nicht durch Opfer hergestellt. Sondern das Opfer ist das
sichtbare Zeichen, daß sie hergestellt ist." (739) Zum Sühne-Begriff: B. Janowski, Sühne als
Heilsgeschehen; I.U. Dalferth, Kategorie des Opfers, 173-194.

348
Kippur versiegelt. Dieses Stehen vor Gericht begeht Unetanne Tokef, eines der
zentralen Gebete des Neujahrsfests, auf dem das Dies irae fußt:

„Wir wollen die Größe der Heiligkeit des Tages schildern, er ist furchtbar und ernst
... In Wahrheit, du bist der Richter, der zurechtweist, der weiß und Zeuge ist, der
schreibt, besiegelt, zählt und berechnet und alles Vergessenen gedenkt, du öffnest das
Buch des Gedenkens ... Am Neujahrstage werden sie eingeschrieben und am Tage
der Versöhnung besiegelt, wie viele dahinscheiden sollen und wie viele geboren
werden, wer leben soll und wer sterben, wer zu seiner Zeit und wer vor seiner Zeit
... Doch Rückkehr, Gebet und Wohltun wenden das böse Verhängnis ab! Denn wie
dein Name, so ist dein Ruhm, schwer zu erzürnen, leicht zu besänftigen, du willst
nicht den Tod des Todesschuldigen, sondern daß er von seinem Wandel ablasse und
lebe ... dein Name entspricht dir, und du entsprichst deinem Namen, und uns hast
du nach deinem Namen benannt. Tue es um deines Namens willen und heilige dei-
nen Namen über denen, die deinen Namen heiligen."10

Begehen diese Festtage Gericht, Umkehr und Hoffnung, so sind ihre Zeichen
eschatologisch zu beschreiben. Entscheidend ist dann der in der Liturgie
begangene Übergang zur ikonischen Sichtbarkeit des unendlichen Namens,
seiner inkommensurablen Gerechtigkeit, seiner Unendlichkeit. Den Übergang
der Symbolsysteme beschreibend darzustellen und zu erlernen, meint: dicht
beschreiben. Dafür bietet Rosenzweig eine Probe:
(1) Stehen vor Gott: Im Schuldbekenntnis des Versöhnungstags {Widduj)
stehen die Schuldigen vor dem Richter aufrecht. Aufrechtes Stehen vor dem
Richter sei nicht Zeichen der Ehrfurcht, sondern jener genuinen kreatürlichen
Würde, zu welcher der Mensch erst in der Hoffnung findet." Im messia-
nischen Volk stehe am Versöhnungstag der Mensch als solcher vor dem
Richter: „die Wir sind an diesem Tage nicht die Wir des geschichtlichen
Volks ... Sondern an diesen Tagen steht der Einzelne unmittelbar in seiner
nackten Einzelheit vor Gott, in der Sünde des Menschen schlechtweg; nur
diese menschliche Sünde wird in der erschütternden Aufzählung der Sünden,
,die wir gesündigt haben', genannt" (S, 360f). Das Sündenbekenntnis {Widduj)
umfaßt daher nicht Verstöße gegen kultische oder rituelle Gebote, die nur
Israel kennt. Bekannt wird die „Sünde des Menschen schlechtweg" (S, 361). n
Diese eschatologische Beschreibung des Stehens am Versöhnungstag wird
sorgfältig vorbereitet.13

10
Machsor Neujahrsfest A, Mussaf, 107-109; dazu Trepp, 121.287f. „Trotz der erschauern-
den Ehrfurcht und dem Fasten sind diese Tage Festtage, die mit tiefer Seelenfreude erfüllt
sind." (Trepp, 110).
" Diese Beschreibung bereitet sich bei H. Cohen, RV, 256f, vor.
12
Vgl. H. Cohen RV, 256. Auch darin unterscheidet sich das Sündenbekenntnis des
Versöhnungstages vom dreifachen hohenpriesterlichen Sündenbekenntnis im Tempel, das
gerade die kultische Verunreinigung bekannte.
" J. Taubes, Politische Theologie, 52, verkennt den eschatologischen Sinn. Zum .Stehen
vor Gott im Geist' als eschatologisches Zeichen: G. Sauter, Einführung, 211f.

349
(2) Kol Nidre: Dazu wird zunächst die umstrittenste Sequenz der gesamten
Versöhnungstagsliturgie neu beschrieben: die Eingangssequenz Kol Nidre. Sie
besteht aus der dreifachen Einladung an die ,Übertreter' und der dreimal wie-
derholten Formel Kol Nidre. Kol Nidre gab dem Vorabendgebet des Versöh-
nungstages seinen N a m e n :

Der Rabbiner und zwei Gemeindeälteste deklarieren als Gerichtshof die Aufhebung
des synagogalen Bannes für die Dauer des Versöhnungstages: „Mit Autorität des
Gerichtshofes in der Höhe und der Autorität dieses Gerichtshofes hier unten, mit
Zustimmung des Allgegenwärtigen und mit Zustimmung der Gemeinde, erlauben
wir, mit den Übertretern zu beten".14
Der Vorbeter singt (während die Gemeinde leise Wort für Wort wiederholt): „Alle
Gelübde, Verbote, Bannsprüche, Umschreibungen und Nebenbezeichnungen dersel-
ben, Strafen und Schwüre, die wir geloben, schwören, als Bann aussprechen, uns als
Verbot auferlegen von diesem Versöhnungstage an bis zum heilbringend herankom-
menden nächsten Versöhnungstage. Alle bereue ich, alle seien aufgelöst, erlassen,
aufgehoben, ungültig und vernichtet, ohne Rechtskraft und ohne Bestand. Unsere
Gelübde seien keine Gelübde, unsere Schwüre keine Schwüre." - „Verziehen werde
der ganzen Gemeinde der Kinder Israel und dem Fremden, der in ihrer Mitte weilt,
denn vom ganzen Volke geschah es aus Unwissenheit [schegaga]]"iS

Rosenzweig kommentiert diesen forensischen Akt so: „,Mit den Sündern' ist
sich Israel bewußt zu beten. U n d das heißt ...: als Ganzes der Menschheit
,mit' einem Jeden. D e n n Jeder ist ein Sünder. Mag die Seele von Gott dem
Menschen rein gegeben sein, so ist sie nun hineingerissen in den Streit der
beiden Triebe seines zwiegespaltenen Herzens. Und mag er in immer neu ge-
sammeltem Willen mit Vorsatz und Gelübde immer neu das Werk der Eini-
gung und Reinigung des zwiespältigen Herzens beginnen, - an der Scheide
zweier Jahre, die die Ewigkeit bedeutet, wird ihm aller Vorsatz zu nichte, alle
Weihe entweiht; alles gottzugekehrte Gelübde zerbricht, und was Sein wissen-
des Kind begann, das wird dem wähnenden - vergeben." (S, 361)16 Singular ist
Kol Nidre, weil das W ä h n e n des Herzens (Wähnen übersetzt hier den Termi-
nus schegaga), seine innere Lüge bekennt. Dies ist der Sinn der prospektiven
Lösung von Gelübden, Verboten, Bannsprüchen, Strafen und Schwüren, die
dem guten Willen entspringen. D e r gute Wille wird zum Wähnen erklärt. Die

14
Übersetzung nach Trepp, 128; vgl. Machsor Versöhnungsabend, 17. Historische Er-
klärungen (z.B. Lau, 190f) überzeugen nicht. Zur Interpretation: J. Taubes, Politische
Theologie, 48f; Art. Kol Nidre, in: EJ 10 (1971) 1166-1169.
15
Machsor Versöhnungsabend, 17. Es gilt die Regel: Wenn etwas dreimal wiederholt wird,
ist es kein Gebet, sondern eine forensische Formel. Zur umstrittenen Herkunft und zu
Überlieferungsvarianten: Lau, 190f; Trepp, 128f; Elbogen, 153f, J. Taubes, 49f. Von Bedeu-
tung für die Rezeption von Kol Nidre (gegen den Widerspruch des Rabbinats) ist die be-
sondere Kantillation.
16
Zum .Streit der beiden Triebe': § 9,3.

350
Wirklichkeit innerer Lüge wird vor G o t t anerkannt. 1 7 Kol Nidre benennt die
Dialektik jener Pflicht, die im ethischen Idealismus die erste ist: Die Pflicht
zur Sich-Selbst-Durchsichtigkeit und Selbst-Richterschaft. Es benennt die
Dialektik humaner Zurechnung und Hoffnung. Es anerkennt die Unfreiheit,
Zeit und Stunde des Guten wahrzunehmen:

„Precisely because the individual's errors have been errors in wish, Rosenzweig seems
to say, rather than errors in deed, as Cohen ... maintains, the miracle of Divine
redemption through regulär prayer ist required for their forgiveness. It follows that
t'shuvah or repentance for Rosenzweig becomes not so much a ,return' to the
infinite ethical demands of the world, as a .return' to the .acceptable' daily, weekly,
monthly, and yearly prayers of the Jewish liturgy ... For Rosenzweig, the necessary
purification of the human heart therefore requires above all the ongoing regulating
of the human heart by means of liturgical prayer.""

Rückkehr zum täglichen, wöchentlichen, monatlichen, jährlichen Gebet ist


Erneuerung des Urteilssinn und der Sinne (des Herzens). Das kultische Gebet
ist Praxis erneuerter Wahrnehmung der Zeit z u m G u t e n , Einübung ins
.wachsende' Reich. Insofern wird Erharren u n d Erwarten der Zeit der Liebe
bei Rosenzweig (nicht: Wahrhaftigkeit, wie bei Cohen) zur Kardinaltugend
des Gebets. N u r das Werk zu seiner Zeit beschleunigt das K o m m e n des
Reiches.
Doch Rosenzweigs dichte Beschreibung von Kol Nidre geht noch darüber
hinaus: Innere Lüge wird beschrieben als Dialektik messianischen Hoffens
aufgrund der Dichte des Namens. 19 Sie manifestiert sich in der Versuchung
des Gebets, das Kommen des Reiches von G o t t zu erzwingen. In Kol Nidre
wird daher die Grenze zwischen Erwählten und Übergangenen - sie ist
identisch mit der Grenze der messianischen Lebensform Gesetz - aufgehoben.
Mit Kol Nidre wird am Beginn des Versöhnungstages die Reichweite des
göttlichen Namens über diese Grenze hinaus begangen. D e r N a m e reicht
extensiv und intensiv weiter, er ist von dichterer Herrlichkeit als die H o m o -
logie des Namens. Die messianische Gemeinde stellt sich mit Kol Nidre unter
diese Verheißung: Sie hebt für die Dauer des Versöhnungstags den synagoga-
len Bann auf!20 Für einen Tag lang - es ist der Gerichtstag! - wird die gültige
Scheidung zwischen Gesetzestreuen und Exkommunizierten (so die herkömm-
liche Deutung), zwischen Erwählten u n d Übergangenen (so Rosenzweigs
Beschreibung) ausgesetzt: Gottes Gericht ist F o r u m und Rechtsgrund der
Erlaubnis, mit den .Übertretern' zu beten.

17
Zur Aporie innerer Lüge: § 3,2.
" So der jüdische Liturgiewissenschaftler Martin D. Yaffe, Liturgy and ethics, 226.
"Vgl. §14,2.
20
Diesen historischen Hintergrund der Einladung an die Übertreter bei Rabbi Me'ir von
Rothenburg betonen: Trepp, 128f; Elbogen, 154.

351
(3) Avoda und Alenu: Die Proskynese der Erwählten mit den Übergangenen
vor dem sich gebenden Namen in der Avoda-Liturgie wird Ausdruck der Hoff-
nung über das jetzt schon Aussagbare hinaus: Der Richter, der über Benedik-
tion und Malediktion des göttlichen Namens thront (Ps 22,2), reinigt in der
Proskynese die Lippen.
Die Proskynese gilt dem König und Richter und darin dem eschatologischen
Namen jenseits der offenbaren Namen, der sich beim Schall des Schofar zeigt. 21
Sie geschehe „im Schauen der unmittelbaren Gottesnähe, also in einem Zu-
stand, der über die irdische Bedürftigkeit des Heute hinausgehoben ist"
(S, 359). Die Bitte u m das Kommen des Reiches schweige an diesem Tag und
gehe über in die Proskynese: Die Gemeinde „ergreift schon in der Gegenwart,
im vollen Bewußtsein, daß die eigne Gemeinde noch nicht der Eine Bund
alles Geschaffnen ist, den Augenblick der ewigen Erlösung: und was die
Gemeinde sonst im Jahre nur sagt, hier tut sies: sie fällt aufs Angesicht vor
dem König aller Könige." (S, 360) Der Kniefall begeht jene ikonische Hoff-
nung, die im zentralen Eröffnungsgebet Alenu zuvor angekündigt wird: 22

„[Der Vorbeter stimmt an:] An uns ist, zu preisen den Herrn des Alls, dem Schöpfer
alles Anbeginns Größe zu bringen. Denn er macht uns nicht gleich den Sippen der
Erde...
[Die Gemeinde fällt auf die Knie, verbeugt sich und spricht mit] ... wir knien
nieder und beugen uns vor dem König der Könige aller Könige, dem Heiligen,
gesegnet sei er,
[Der Vorbeter wiederholt die Worte, kniet nieder und verbeugt sich. Er fährt fort:]
Er wölbt den Himmel und gründet die Erde, der Sitz seiner Ehre ist im Himmel
oben und die Stätte seiner Macht in den höchsten Höhen. Er ist unser Gott, keiner
sonst, in Wahrheit unser König, keiner außer ihm ...
Darum hoffen wir auf Dich, Du, unser Gott, bald die Herrlichkeit Deiner Macht
zu schauen, wenn die Greuel von der Erde verschwinden und die Götzen vertilgt
werden unter der Herrschaft des Allmächtigen und alle Menschen Deinen Namen
anrufen. Wenn Du alle Frevler der Welt sich Dir zu wenden läßt und alle Bewohner
des Weltalls erkennen und wissen werden, daß jedes Knie sich Dir beugen und jede
Zunge Dir Treue schwören muß Qes 45,23]. Vor Dir, Du, unser Gott, knien sie und
werfen sich nieder und der Majestät Deines Namens bringen sie Ehre dar, wenn sie
alle Dein Reich auf sich nehmen und Du allein über sie regieren wirst, bald und für
immer und ewig ... wie es heißt: ER wird werden zum König über alles Erdland. An
jenem Tag wird ER der Einzige sein und Sein Name der einzige [Sach 14,9]"23.

21
So die zentralen liturgischen Sequenzen des Neujahrsfestes: Malcbijjot, Sichronot und
Schofarot (Machsor Neujahrsfest A, 93-98.118-137; dazu: Trepp, 122-125).
22
Am Neujahrstag hat die Rezitation von Alenu ihren ursprünglichen Ort: Es leitet die
Malchijjot, Sichronot und Schofarot ein, welche die Königsherrschaft Gottes preisen. Von
hier aus gelangte es in die Avoda-Liturgie des Versöhnungstages. Zur Stellung von Alenu am
Schluß des täglichen Gottesdienstes: Sidur, 65.93.118f; vgl. Trepp, 139.122.
23
Machsor Neujahrsfest A, 93f, modifiziert nach Trepp, 50f.l22. Machsor Versöhnungstag,
199.

352
Bilden Kol Nidre, Widduj und Alenu das Syntagma der Avoda und ihrer
Proskynese, so läßt sich zusammenfassen:

- im paradoxen Geständnis innerer Lüge;


- in der paradoxen Aussetzung exklusiver Erwählung durch Erwählte;
- in der paradoxen Homologie mit unreiner Lippe

zeigt sich die Herrlichkeit des Namens in der Proskynese, um durch sich zu
heiligen, zu reinigen und zu erlösen. Der Name ,legt sich auf, nimmt in
Besitz. Die Paradoxie der Gebete, auf's Äußerste zugespitzt, wird im Kniefall
zum absoluten Übergang. Der Kniefall wird zum ikonischen Namenszeichen; er
drückt Frieden aus. „Daher kommt es, daß das Höchste der Liturgie nicht das
gemeinsame Wort ist, sondern die gemeinsame Gebärde ... In der liturgischen
Gebärde allein ist die .geläuterte Lippe' vorweggenommen ... Unglaube und
Glaube vereinen ihr Gebet" (S, 329).

(4) ,Das Kleid der Gerechtigkeit': Steht der Einsame im Schuldbekenntnis


.unmittelbar in seiner nackten Einzelheit vor Gott', so wird er durch den
Namen, den Schöpfer, Offenbarer, Erlöser, gereinigt und .bekleidet'. .Der Na-
me' gibt sich, um zu verhüllen, damit der Mensch im Namen niederfallen
kann, ohne vor dem Namen zu vergehen. Kleidung ist Metapher für Kultfä-
higkeit, die göttlich gewährt wird, Nacktheit biblische Metapher für Schande,
die Gottes Angesicht nicht erträgt.24 Kleidung ist Ausdruck von Gerechtig-
keit: „Ein vollkommen sichtbares Zeichen stellt diesen Grundton der gewalti-
gen Tage, daß sie das Ewige für den Einzelnen unmittelbar in die Zeit hin-
einrücken, für ihre ganze Dauer fest" (S, 361): das Kleid am Versöhnungstag.
Das weiße Gewand des Versöhnungstages bezeichnet die sühnende, sich
mitteilende göttliche Gerechtigkeit, die allein erlaubt, im Namen nieder-
zuknieen. Es bezeichnet die Ökonomie Gottes als Grund der Gerechtigkeit,
die sich an die Sünder mitteilt: „Der Beter kleidet sich an diesen Tagen in
sein Sterbekleid." (S, 361)25 Als leibliches Sterbekleid bezeichnet das liturgi-
sche Gewand der Feiernden ihre sterbliche Geschöpflichkeit.26 Als Hoch-
zeitskleid, das der Mann erstmals vollständig an seinem Hochzeitstag unter

24
H. Seebass, Genesis I, 130 zu Gen 3,21; vgl. 2Kor 5,1-10.
25
Der weiße Kittel ist und war, insbesondere in Deutschland (I. Elbogen, 500), das traditio-
nelle Kleid des Versöhnungstags. Er trug den mittelhochdeutsch-jiddischen Namen .Sargenes':
.Sargkleidung'. Als biblische Referenz gilt im zeitgenössischen Judentum, das den Brauch
weißer Kleidung am Versöhnungstag weiterhin pflegt, u.a. Jes 1,18: „Wären eure Sünden
auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee".
26
Als Zeichen der Geschöpflichkeit werden Teile des Gewandes zu jedem Gottesdienst und
an jedem Sabbat getragen (gemeint ist der große und kleine Tallit, der als Untergewand
täglich und sabbatlich getragen wird, auch am Versöhnungstag, Lau, 19f).

353
dem Brauthimmel trägt27, bezeichnet es zugleich Beseelung durch die Liebe,
die stark ist wie der Tod. Als Sterbekleid der Seele bezeichnet es schließlich
am Versöhnungstag das Stehen vor Gott: „wie in diesem [sc. Sterbekleid] der
Mensch einst, wenn man es ihm anziehen wird, allein ist, so ist ers auch im
Gebet dieser Tage. Auch sie stellen ihn in nackter Einsamkeit unmittelbar vor
Gottes Thron ... Nun ist er reif zum Bekennen der eignen Schuld vor Gott
in immer neuen Wiederholungen. Es gibt ja keine Schuld vor Menschen
mehr." (S, 363)
Doch steht die Seele ,nackt und einsam' vor Gott? Die Antwort ist das Zei-
chen des weißen Gewandes, sofern es nicht nur das Reifsein zum Gericht,
sondern die .Überkleidung mit dem himmlischen Haus' anzeigt (2Kor 5,2)!
„Und solch gemeinsam-einsamem Flehen einer Menschheit in Sterbekleidern,
einer Menschheit jenseits des Grabes, einer Menschheit von Seelen, neigt sein
Antlitz der Gott, der den Menschen liebt vor seiner Sünde wie nachher ...,
der barmherzig ist und gnädig, langmütig, voll unverdienter Huld und voll
Treue, der seine Liebe aufbewahrt dem zweimaltausendsten Geschlecht und
vergibt Bosheit und Trotz und Schuld und begnadigt den, der umkehrt. Also
daß der Mensch, dem so das göttliche Antlitz sich neigte, aufjubelt in dem
Bekenntnis: Er, dieser Gott der Liebe, er allein ist Gott" (S, 363f).

27
„Und wie die Offenbarung, indem sie etwas in der Schöpfung erweckt, was stark ist wie
der Tod, diesem und mit ihm der ganzen Schöpfung ihre Neuschöpfung, die Seele, im Leben
selber das Überirdische, entgegenstellt, so trägt der Bräutigam unterm Trauhimmel das
Sterbekleid als Hochzeitskleid und sagt dem Tode, in dem Augenblick da er ganz eingeht in
das ewige Volk [sc. durch Ehe und Zeugung], Kampf an, - stark wie er." (S, 362) Als
Zeichen der Offenbarung wird das liturgische Gewand auch am Passahabend getragen.

354
Zusammenfassung:
Ikonische Zeichen des Namens und Sakramente

„Daß vor Gott sich beuge jegliches Knie, bleibt die wahre Form, unter der
die Erlösung gefeiert wird." (S, 41 lf) Der Name legt sich auf die anbetende
Gemeinde und nimmt sie zu Besitz, .überkleidet' sie mit Gerechtigkeit; der
Augenblick der Proskynese ist Ausdruck des Friedens. Die Proskynese in der
Dichte ihres Bezugs (der Körper- und Gewandcode; die Zeit- und Raum-
symbolik: Tempel und Sinai, Richtspruch und Versiegelung; die Sprachbewe-
gungen von Kol nidre, Widduj, Avoda und Alenu) bringt die Dichte des
Namens sichtbar zum Ausdruck.
Es war Ziel der Interpretation, den Stern der Erlösung als Programmschrift
katechetischer Theologie des Namens darzustellen, die folgerichtig zum Pro-
gramm dichter eschatologischer Beschreibung der Hoffnungserfahrung in
ikonischen Zeichen wird. Entscheidend für diesen Versuch ist die kategoriale
Unterscheidung zwischen anamnetisch-repräsentativen und eschatologisch-
exemplifizierenden, metaphorischen Ausdruckszeichen. Rosenzweig hat, ohne
diese semiotischen Unterscheidungen zu verwenden, eine klare Intuition von
den verschiedenen Bezugssystemen und den verschiedenen Bezugnahmeweisen
kultischer Zeichen. Das zeigt seine Beschreibung eschatologischer Zeichen:
Hoffnung „müßte lernen, frei zu werden von der Vorstellung der schon in
der Welt vorhandenen Gestalt, und selber Gestalt hinstellen: sie müßte
Gebärde werden. Denn die Gebärde allein ist jenseits von Tat und Rede;
nicht die Gebärde freilich, die etwas sagen will ... und auch nicht die Gebär-
de, die ein Tun des andern hervorlocken will; ... sondern die Gebärde, die
ganz frei, ganz schöpferisch geworden ist und nicht mehr auf dieses oder
jenes, auf diesen oder jenen geht; die Gebärde, die den Menschen ganz zum
Sein, zu seiner Mensch-heit und damit zur Menschheit vollendet." (S, 413)
Selbstbezügliche Bewegungen des Tanzes, die keine konventionellen Hand-
lungsmuster darstellen, sondern noch ungesehene und unbeschriebene Rhyth-
men und dynamische Figuren exemplifizieren, sind Paradigma solcher Zei-
chen.28 „Diese Bewegungen so aufzufassen, als illustrierten sie wortsprachliche
Beschreibungen, wäre natürlich absurd; die treffende Formulierung läßt sich
nur selten finden. Eher ist das Etikett, das durch eine Bewegung exemplifi-
ziert wird, wohl diese selbst; eine solche Bewegung, die keine vorgängige
Denotation hat, übernimmt die Aufgaben eines Etiketts, das bestimmte
Handlungen einschließlich seiner selbst denotiert. Hier wie häufig auch
anderswo in den Künsten entwickelt sich das Vokabular zusammen mit dem,
zu dessen Vermittlung es gebraucht wird."29

21
„... der Tanz und alles was sich aus ihm entwickelt, alle jene Selbstdarstellungen, bei
denen es keinen Zuschauer gibt oder von rechtswegen geben dürfte" (S, 414).
29
N. Goodman, Sprachen, 70.

355
Versuche, der Liturgie durch Dauerkreation neuer Zeichen und Gebärden
auf die Sprünge zu verhelfen, gründen demnach in einem Mißverständnis.
Entscheidend ist, .eingesetzte' Zeichen in ihrer unauslotbaren Dichte zu be-
schreiben. Die Unendlichkeit des trinitarischen Namens im christlichen Got-
tesdienst als ikonische Dichte neu zu sehen und neu zu beschreiben, setzt
begriffliche Arbeit voraus, die jedoch von der unerschöpflichen Belebung
neuen Sehens inspiriert ist. Das Vokabular der Beschreibung entwickelt sich
mit dem, zu dessen Vermittlung es gebraucht wird. Darin besteht zu nicht
geringen Teilen theologische Innovation aus dem Gottesdienst heraus.
In der vorstehenden Untersuchung wurde gezeigt, wie sich im Stern der
Erlösung solche neue Formen der Darstellung herausbilden: Das erneute
Erlernen gottesdienstlicher Sprachhandlungen führt zur Grammatik und
Logik des Namens und der Namen. Das erneute Erlernen der messianischen
Lebensform Gesetz führt zur ethischen Beschreibung des Gesetzes und des
Handelns nach der Tora. Die dialogische Bewährung der Geltung und Reich-
weite des Namens führt zum Übergang von der apologetischen Konstruktion
zur dichten, eschatologischen Beschreibung ikonischer Zeichen der Liturgie.
Gerade weil sich in ikonischen Zeichen die extensive und intensive Reich-
weite des göttlichen Namens, die Dichte seiner Herrlichkeit, zeigt, erschöpft
dieser reiche und komplexe Gewinn neuer und semantisch dichterer Katego-
rien solche Zeichen keineswegs! Im Gegenteil: Je präziser die semantische
Struktur der Beschreibung ist, um so klarer zeigt sich die Unauslotbarkeit
durch diskursive Beschreibung. Das Sehen, welche Eigenschaften ein iko-
nisches Zeichen exemplifiziert oder zum Ausdruck bringt, kann „mit der Ver-
wendung eines skalenlosen Meßgerätes" verglichen werden; das Sagen der
exemplifizierten Eigenschaften ist dann „eine Frage des Einpassens der richti-
gen Wörter aus einer syntaktisch unbegrenzten und semantisch dichten
Sprache ... Sagen, was ein Bild exemplifiziert, ist wie Messen ohne Angabe
von Toleranzbereichen."30 Je semantisch präziser die gefundene Beschreibung
wird, um so klarer zeigt sich, daß die Dichte des Zeichens mit dem .Meßge-
rät' theologischer Sprache zwar immer genauer, aber nicht definitiv zu messen
ist. Die Aufgabe eschatologisch dichter Beschreibung ist also unabschließbar.
Sakramente als ikonische Zeichen des Geheimnisses des göttlichen Namens
begründen Theologie als Grammatik und dichte Beschreibung.

Zusammenfassend läßt sich jetzt über Geheimnis und Sakrament, ihren metatheo-
retischen Status und ihre Vermittlungsdialektik, sagen: .Sakrament'fungiert als
semiotischer Term, der kultische und nicht-kultische Zeichen als ikonische Zeichen
bestimmt und ihre dichte Beschreibung regelt. .Geheimnis'fungiert als logischer
Term31, der die innere Grenze ausweisbarer, dialogisch entscheidbarer Verwendun-

50
N . Goodman, Sprachen, 217. Zum Paradigma des Messens: § 4,5.
51
Vgl. § 10,3. Präziser: .Geheimnis' fungiert in der Grammatik und Logik des Namens
wie ein logischer Abstraktor, der die Verwendung von wahr und falsch regelt.

356
gen sprachlicher Zeichen des göttlichen Namens formuliert und darin die genuine
Wahrheit und Gerechtigkeit des göttlichen Namens, seine Unendlichkeit, be-
schreibt. Das ,Geheimnis des göttlichen Namens' begründet darüberhinaus, wa-
rum Theologie die Form katechetischer Theologie annimmt, also die Form einer
Einführung in gottesdienstliche Zeichen, d.h. in den Übergang von grammati-
schen zu ikonischen Zeichen des Namens: Die Unendlichkeit des Namens, sein
Geheimnis, exemplifiziert sich in der Dichte ikonischer Zeichen, in Sakramenten.
Der Übergang zu einem doxologischen Reden, das sich der Verfügbarkeit entzieht,
gerade darin aber ,den Namen' ausdrückt, wird paradigmatisch im Kult began-
gen und erlernt. Dies begründet die Irreduzibilität kultischer Zeichen in jeder
Theologie, die mit dem göttlichen Namen beginnt, erfordert aber zugleich Arbeit
an der kritischen Theorie des Kultes. Das prägt den Charakter katechetischer
Theologie. Die Rede vom Geheimnis des Namens, verstanden als theologische
Struktur32, formuliert die Unableitbarkeit dieses Übergangs, die Unverfügbarkeit
dichter Erfahrung und die konstitutive Dialogizität ihrer Beschreibung. Das
Erlernen des Lernens, die katechetische Theologie, kann enden, wenn Lernen in
seiner Unableitbarkeit, Unverfügbarkeit und Unabschließbarkeit und in seiner
Dialogizität erlernt ist.

Die Beschreibung des Gottesdienstes wird bestenfalls semantisch präziser,


dichter; der Gottesdienst selbst aber kann zur .dichten Erfahrung' werden. In
ikonischen Zeichen besitzt die kultische Gemeinde die Unendlichkeit des
Namens als Dichte, metaphorisch, nicht buchstäblich, aber tatsächlich.33
Nicht zufällig schreibt Rosenzweig .Eigenschaften' des göttlichen Namens
und Angesichts der gottesdienstlichen Geste selbst als metaphorischen Besitz
zu:

- Die Proskynese besitzt als endliches Zeichen die räumliche Inkommensura-


bilität des Namens, zugleich aber die unerschöpfliche Individualität des
Raums, in der körperliche Personen sind: „Jene letzte ganz allmensch-
heitliche Gebärde des Kniefalls an unsern Erlösungsfesten ... sprengt
jeglichen Raum, wie sie alle Zeit vertilgt. Im Talmud wird unter den
Wundern des Heiligtums in Jerusalem auch dies genannt, daß die im
geschlossnen Vorhof versammelte Menge so dicht bei dicht drängte, daß
kein Plätzchen mehr frei war; aber im Augenblick, wo die Stehenden aufs
Angesicht fielen, war noch unendlich viel Platz." (S, 414, vgl. Abot V, 8)

12
Zum wissenschaftstheoretischen Begriff der theoretischen Struktur, durchgeführt am
Beispiel der christlichen Trinitätslehre: E. Maurer, Der lebendige Gott, 226-229.
33
N . Goodman, Sprachen, 233: „Eine Erfahrung ist insofern exemplifizierend, als sie es mit
Eigenschaften zu tun hat, die durch ein Symbol exemplifiziert oder zum Ausdruck gebracht
werden - also mit besessenen oder vorgezeigten Eigenschaften -, und nicht bloß mit Dingen, die
das Symbol denotiert."

357
- Die Proskynese besitzt als Segensgruß des göttlichen Angesichts die dialogi-
sche Unendlichkeit des Angesichts, zugleich aber die unerschöpfliche
Individualität der Zeit; die Zeit des Anderen ist dann der Andere, seine
und meine Zeit sind nicht vergleichbar. Aber in der dialogischen Un-
endlichkeit des Angesichts ist die Negation der individuellen Unmittelbar-
keit ertragbar. Das wäre der Zustand einer Gerechtigkeit, die allem .seine'
Zeit zuteilt, ohne zu vergleichen. Sie bestünde in der absoluten Inkom-
mensurabilität und damit auch in der Unerschöpflichkeit der Zeit, die wir
je haben und auch sind34: „Das gemeinsame Knien vor dem Herrn der
Dinge in aller Welt und der Geister in allem Fleisch öffnet der Gemein-
schaft35, und freilich nur ihr und den Einzelnen nur in ihr, den Heraus-
tritt in die Allgemeinschaft, wo jeder jeden kennt und ohne Wort ihn
grüßt - von Angesicht zu Angesicht." (S, 359)36
- Die Proskynese besitzt die logische Unendlichkeit des Namens, zugleich
aber die kontradiktorische Unvereinbarkeit der Homologien der gött-
lichen Namen. In der jüdischen oder christlichen Homologie des Namens,
und darin: im einsamen Dialog der Seele mit Gott kommt das ganze Volk
Gottes zur Ruhe. Dieser „Gruß Aller an Alle [ist] erst die höchste Ge-
meinschaft, das Schweigen, das nicht mehr gestört werden kann." (S, 357)

Diskursive Beschreibung des metaphorischen Ausdrucks ikonischer Zeichen


nötigt zur Präzision der semantischen Struktur der Begriffe. Diese semanti-
sche Struktur bestimmt die antinomische Dialektik der Beschreibung, ihre
genuine Lebendigkeit und unauslotbare Dichte:

- Inkommensurabilität des kultischen Raums und unerschöpfliche Indivi-


dualität körperlicher Personen sind zugleich zu beschreiben;
- dialogische Unendlichkeit der Zeit und unerschöpfliche Individualität dia-
logischen Personseins im Gruß sind zugleich zu beschreiben;
- Unendlichkeit des Namens und Unvereinbarkeit der Namenshomologien
sind zugleich zu beschreiben.

Rosenzweig stößt daher nicht zufällig auf eine genuine Version der Unter-
scheidung eines localiter, diffinitive und repletive esse des Namens, der auf

54
Vgl. § 3,4 Schluß.
35
Die in Hörweite der Tora versammelte, im generationenübergreifenden Erlernen der
Tora vermittelte Gemeinschaft.
34
Rosenzweig unterscheidet den messianischen Gruß am Ende des Passahmahls vom escha-
tologischen Gruß des Versöhnungstags: „Geht man jetzt [sc. nach dem Passahmahl] ausein-
ander, so ist man nicht mehr unbekannt. Man grüßt sich, wenn man sich begegnet. Der
Gruß ist dies höchste Zeichen des Schweigens: man schweigt, weil man einander kennt."
(S, 357) Dieser Gruß bleibt aber gebunden an die messianische Hoffnung des Wiederaufbaus
Jerusalems. Er ist noch nicht der Gruß aller an alle. Erst „dieser Gruß Aller an Alle" ist „die
höchste Gemeinschaft, das Schweigen, das nicht mehr gestört werden kann." (S, 357)

358
der Kultgemeinde liegt, sie in Besitz nimmt und ihr metaphorisch seine
Eigenschaften mitteilt. Diese Mitteilung vollzieht sich nicht in Entsprechun-
gen, sondern in gleichursprünglichen Gegensätzen, die nicht aufeinander ab-
zubilden sind. In dieser strukturierten Antinomie und Inkongruenz bestim-
men sie sich aber so, daß darin das unableitbare Ereignis dichter Erfahrung
wirklich und beschreibbar wird:

- Die talmudische Legende aus Pirke Abot V,8 beschreibt, so gesehen, daß
die Festteilnehmer, die den Tempelvorhof bzw. die Synagoge localiter, als
körperliche Personen, ausfüllen, ihn aber als Gemeinde in der Proskynese
zugleich diffinitive ausfüllen. Der Tempel und sein Vorhof, als Wohnort
des präsenten Namens, ist von inkommensurabler Räumlichkeit. Der
personalisierte Raum des Namens, in dem der Name ganz gegenwärtig ist,
begründet körperliche Verräumlichung der Personen als Gemeinde des
Namens, so daß ihr „co(e)rper nicht greifflich an eim ort ist/ vnd sich
nicht abmisset nach dem räum des orts/ da es ist/ sonder kan etwa [ein-
mal] viel raums/ etwa wenig raums einnemen"37.
- Die Beschreibung der Proskynese als Friedensgruß aller an alle, der Leben-
den an die Toten und Kommenden, der Erwählten an die Übergangenen
impliziert, daß sich im Gruß die Ewigkeit und Wahrheit des Namens
ausdrückt, ,der da ist, da war und kommt', der .tötet und belebt', und der
„an allen o(e)rten ist vnd alle o(e)rte fullet/vnd doch von keinem ort abge-
messen vnd begriffen wird nach dem räum des orts/da es [bzw. er] ist."38

Die Analogie zu Luthers Beschreibungsformen eines localiter, diffinitive und


repletive esse göttlicher Präsenz im Sakrament ist insofern und insoweit nicht
zufällig, als in Luthers Sakramentslehre die Struktur der Synekdoche, also eine
bestimmte Struktur metaphorischer Übertragung, die Beschreibung des
Sakramentsgeschehens regiert.39 Die Person Jesu Christi im Abendmahl wird
als ,Leib' Christi dreifach beschrieben: als real präsenter .leiblicher Name', als
ikonisches Zeichen des ,leibs brots' und .Blutswein'40 im Element und als
.Geistleib' der Gemeinde, in welchem die unerschöpfliche Individualität der
Person in Glaube, Liebe und Kreuz41 dicht erfahren wird.
Die Unterscheidung des localiter, diffinitive und repletive esse Jesu Christi'
als des leiblichen Namens Gottes und die beschriebene Kommunikation seiner
Eigenschaften haben keinen ontologischen Status, sofern mit Ontologie Theorie
der einen Wirklichkeit gemeint sein sollte, sondern semiotischen Status. Sie
fungieren als semantische Struktur, durch welche die metaphorisch real, aber nicht

37
M. Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, StA 4, 88,14-89,1.
,!
M. Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, StA 4, 89,28-30.
3
' M. Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, StA 4, 85,5-15; 185,1-186,27
40
M. Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, StA 4, 186,21.24.
41
M. Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, StA 4, 153,20.

359
buchstäblich besessenen Eigenschaften der Person Jesu im ,Leibsbrot' und im
ßlutswein' im gottesdienstlichen Augenblick, in dem sich der leibliche Name in
den Elementen auf die Gemeinde legt, beschrieben werden können. Auch hier
herrscht nicht Analogie als Repräsentation zwischen realer Präsenz Jesu,
Elementen und dem Geistleib der Gemeinde, wie es der Begriff realsymbo-
lischer Handlungen der Gemeinde suggeriert. Vielmehr ist die Relation von
Personpräsenz und Realpräsenz (als res-Präsenz) oder die Relation von Real-
präsenz (als res-Präsenz) und Gemeindehandeln von strukturierter Antinomik
und Inkongruenz der Relata bestimmt. Sie beschreibt präzise das unableitbare
Ereignis dichter Erfahrung im metaphorischen Ausdruck des Einen durch das
Andere. Die Pluralität des .Leibes Christi' ist so relationsontologisch zu be-
schreiben.42 Der Sprachgewinn dichter Beschreibung ist das eigentliche Er-
lernen des Geheimnisses Jesu Christi' im Sakrament.
Solches Erlernen wirkt auf bereits gewonnene grammatisch-namenslogische
Unterscheidungen zurück. Die Wechselwirkung von Wort und Sakrament
und die gegenseitige Übertragung struktureller Eigenschaften dieser Sym-
bolsysteme ist ein grundlegender und wichtiger Aspekt des Lernens.43 Die
Suche nach dichten Beschreibungen des Gottesdienstes, seiner namenslogi-
schen und ikonischen Zeichen, kann dann zu einer Quelle der Innovation
werden, z.B. in der Lehre von Jesus Christus, von der Kirche, von den Sakra-
menten oder vom Menschen als Person-im-Geist. Sie begründet zugleich den
dialogisch-eschatologischen Charakter dieser Lehrstücke: Im selben Maße, in
dem wir Sakramente als sichtbare Verheißung des Namens verstehen lernen, ler-
nen wir die Homologie des HERRN Jesus Christus, die eucharistische Benedik-
tion und die Doxologie des trinitarischen Namens als hörbares und sagbares
Geheimnis verstehen.

4
Proben einer dichten Beschreibung des Sakramentsgeschehens gibt E. Maurer, Der
Mensch im Geist, 269-276, ausgehend von Luther-Texten.
43
N . Goodman, Sprachen, 239: „Musik kann nicht nur die Wahrnehmung anderer Töne
beeinflussen, sondern auch die Wahrnehmung der Rhythmen und Strukturen dessen, was wir
sehen."

360
Schluß

Leiblicher Name - Gebet im Geist


Zur evangelischen Lehre vom Sakrament*

Die semiotische Struktur, die sich im Begriff .Sakrament' zusammenfaßt, ent-


faltete sich zur Dialektik grammatischer und ikonischer Zeichen und zur
Aufgabe ihrer dichten Beschreibung. Die namenstheologische Struktur, die
sich im Begriff .Geheimnis' zusammenfaßt, entfaltete sich zur Dialektik der
endlichen göttlichen Namen, des unendlichen göttlichen Namens und zur
Aufgabe katechetischer Einführung in die unverfügbare, unableitbare und un-
abschließbare Anbetung des unendlichen Namens im endlichen Namen Got-
tes. Die Untersuchung schließt, indem sie von der semiotischen und namens-
theologischen Grundlegung aus den weiteren Weg zu einer evangelischen
Lehre vom Sakrament skizziert.1
Diese Skizze beschreibt exemplarisch. Sie stellt am Beispiel dar. Sie umreißt
Grundzüge einer christologisch-namenstheologischen und pneumatologisch-
eschatologischen Lehre vom Sakrament am Beispiel Abendmahl. Und sie wird
- im Gegenüber zur Namenstheologie Hermann Cohens und Franz Rosen-
zweigs - die Dialektik von endlichen Namen und unendlichem Namen
trinitarisch formulieren.

Evangelische Abendmahlslehre wird heute von außen und von innen kriti-
siert. Zwei Einwände nehme ich in den ersten beiden Abschnitten auf. Ge-
rade diese Kritik wird jedoch die Konzentration auf das .leibliche, äußere
Wort' im Abendmahl vertiefen. Das .leibliche, äußere Wort' 2 bleibt der An-
fang evangelischer Abendmahlslehre. Ich werde aber pointieren: Im Abend-
mahl ist Jesus Christus' als leiblicher Name Gottes gegenwärtig. Den Grund
des Abendmahls namenstheologisch zu vertiefen, ist die christologische Auf-
gabe heutiger Abendmahlslehre. Auf dieser Grundlage beschreibe ich sodann
die Abendmahlsfeier als Gebets- und Zeichenhandeln der Gemeinde. In der
ökumenischen Diskussion wird das Abendmahl als Eucharistie verstanden:

Dem Schluß liegt ein überarbeiteter Vortrag vom 12. Mai 2000 zugrunde, gehalten vor
der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Münster. Anmerkungen und Verweise auf die
Gesamtuntersuchung sind nachträglich hinzugefügt.
1
Dieser Skizze wird in erwartbarer Frist ein Lehrbuch zur Sakramentstheologie folgen, das
in der Reihe Theologische Bücherei publiziert wird.
2
Confessio Augustana, Art. 5, BSLK 58,12f, deutsche und lateinische Fassung.

361
Dank an den Vater im Gedächtnis des Sohnes und im Herabrufen des Gei-
stes.3 Ich werde aber diesen Zugang kritisch modifizieren: Essen von Brot und
Teilen des Kelchs sind im Gebetshandeln der Eucharistie intensivstes Gebet
und extensivste Mitteilung des Todes Jesu - gerade weil die Gemeinde in
diesen Zeichenhandlungen schweigt, ißt und trinkt. Ihr Stehen vor Gott wird
sichtbares Wort. Diese Empfangshandlung ist einzigartig. Ich nenne sie Gebet
im Geist. Sie neu zu beschreiben, ist die pneumatologische Aufgabe heutiger
Abendmahls- und Sakramentslehre in ökumenischer Absicht. Dazu der dritte
Abschnitt.

1. Leiblicher Name. Theo-logischer Anfang

„Die höchste Form des Kultes wäre das richtig verstandene und geführte Leben
selbst ... Daher ist in den religiösen Dingen das richtige Schweigen über sie
immer die höhere Form gegenüber der besonderen religiösen Rede und
Praxis."4 Diese Sätze des Frankfurter Philosophen Friedrich Kambartel formu-
lieren eine sehr klare Kritik am Abendmahl als religiöser Praxis. Religiöse
Praxis, also auch das Abendmahl, ist nur in den Grenzen humaner Vernunft-
kultur bedeutungsvoll und wahr. Diese Haltung nenne ich rationale Mystik.
Kambartel mißt der Religion einen ausweisbaren lebensweltlichen Ort zu:
Religion sei Einstellung zum Mysterium des Lebens im Ganzen. Der Trost
der Religion sei das widerfahrende gute Leben selbst. Haben wir dieses Leben
unverstellt gesehen, dann können wir beruhigt sterben. Es gibt über das
Leben hinaus nichts Neues auf der Welt. Religiöse Praxis vergegenwärtigt
dieses richtig verstandene, gute Leben. Sie bedarf dazu „keiner externen ...
Stütze"5. Möchte sie mehr, möchte sie zum Beispiel eine externe .Gegenwart
Gottes' vergegenwärtigen, so richtet sich dagegen das richtige, mystische
Schweigen. Nun ist aber das Abendmahl eine religiöse Praxis, die über das
Leben als ganzes hinausweist: Es behauptet die reale Gegenwart und Ver-
gegenwärtigung Gottes im toten und erhöhten Jesus. Es verkündet Tod und
Kommen Jesu. Es vergegenwärtigt dieses bestimmte Jenseits des Lebens als
Geheimnis guten Lebens. Reale göttliche Präsenz im Tod Jesu, in menschlichen
Zeichenhandlungen vergegenwärtigt? Gegen diese .Abgötterei' richtet sich
logische Kritik und richtiges Schweigen.
Evangelische Abendmahlslehre kann sich dieser Kritik stellen. Sie soll sich
aber auch einer dialogischen Situation stellen, in der ihr kultisches und
sakramentales Handeln von außen her kritisch beschrieben wird. Sie soll sich
dem präzisen Verdacht der .Abgötterei' stellen, den rationale Mystagogie und
jüdische Namenstheologie in nicht zu überhörender Klarheit an sie richten.

5
Methodisch beispielhaft ist die sog. Lima-Erklärung: Taufe, Eucharistie und Amt, 18-28.
4
F. Kambartel, Welt, 102, vollständig dargestellt in § 6,2 und § 7.
5
F. Kambartel, Welt, 100.

362
In dieser dialogischen Situation beginnt die hier zu skizzierende Lehre vom
Sakrament des Abendmahls mit dem Ersten Gebot als Axiom. Sie beginnt
mit der Frage nach dem Ersten Gebot im kultischen und sakramentalen
Handeln. Die Frage nach Präsenz und Heiligung des göttlichen Namens im
Sakrament bildet den theo-logischen Anfang reformatorischer Abendmahls-
lehre. Deshalb konzentriert diese sich so hartnäckig auf die reale Präsenz des
göttlichen Namens (a) in Tod und Erhöhung Jesu, (b) in Brot und Wein und
(c) im Essen des Brots und Teilen des Kelchs.6 In der dialogischen Situation
pluraler Vernunftkultur ist dieser Anfang neu zur Geltung zu bringen.
Evangelische Abendmahlslehre beginnt mit dem Sich-Vergegenwärtigen des
göttlichen Namens im Tod Jesu. Sie entfaltet zuerst das externe Begründungs-
ereignis der realen Präsenz Jesu. Daran entscheidet sich, ob Beten und Han-
deln der Gemeinde überhaupt bedeutungsvoll und wahr sind - und inwieweit
sie bedeutungsvoll und wahr sein können. In der Wahl dieses Anfangs war
die reformatorische Sakramentslehre theo-logisch unübertrefflich klar. Im
Zur-Geltung-Bringen dieses Anfangs jeder Sakraments- und Abendmahlslehre
sehe ich auch den bleibenden Beitrag evangelischer Sakramentslehre zur
ökumenischen Diskussion.
Ich setze an bei der Verheißung über Brot und Wein, bei dem aller Anerken-
nung, allem Glauben, allem Gebet und allem Zeichenhandeln zuvorkommen-
den ,für euch' Jesu. In diesem ,für euch' Jesu wird der göttliche Name Wort,
er wird Verheißungswort. Er wird /äußeres, leibliches Wort'. Ja, er wird
„heilig, göttlich Ding und Zeichen", wie der Große Katechismus pointiert7.
Der göttliche Name wird .Dingwort', weil er im Tod Jesu zuvor leiblicher
Name geworden ist. Dem gekreuzigten Jesus Christus ist der Name .Kyrios'
verliehen, zur Ehre Gottes des Vaters, wie Phil 2 formuliert. Diese Erhöhung
Jesu Christi zum leiblichen Namen Gottes, unterschieden vom Namen des
Vaters und zur Ehre seines Namens, wird im Abendmahl erinnert und gefei-
ert, verkündet und ausgeteilt.8 Der im Ersten Gebot und endlich in seinem
Handeln am gekreuzigten Jesus Christus' sagt, wer er ist, sucht im Abend-
mahl nach Menschen, die diesen seinen trinitarischen Namen anerkennen. Er
sucht nach der Gemeinde, die diesem Namen Recht gibt. Thema der Abend-
mahlstheologie ist das Ausgeliefertsein des göttlichen Namens als leiblicher Name
im leiblichen Wort an die Gemeinde und deshalb das Ausgeliefertsein der Ge-
meinde an diesen Namen. Der Name, der in sich heilig ist, soll im Gebrauch
dieses leiblichen Worts in ihr und an ihr geheiligt werden.

6
Dies ist der namenstheologische Kern in der reformatorischen Warnung vor dem „Greu-
el" der Messe (Martin Luther, Schmalkaldische Artikel 11,2, BSLK, 416,8f) und vor ihrer „ver-
maledeyte[n] Abgötterey" (Heidelberger Katechismus 80, BSKORK, 169,4f), vgl. IKor
10,16f.21. Das Erste Gebot wird mittlerweile in zeitgenössischen katholischen Sakramentsleh-
ren kritischer zur Geltung gebracht als in evangelischen: Th. Freyer, Sakrament, 39.
7
M. Luther, Großer Katechismus, Von der Taufe, BSLK 694,29-34, 33f.
8
Vgl. § 10 dieser Untersuchung.

363
Es ist nun richtig zu sagen: Der Glaube anerkennt die Niedrigkeit des
göttlichen Namens. Der Glaube .rechtfertigt' den Namen im leiblichen Wort.
Nur im Glauben wird das zuvorkommende ,für euch' ,für uns' und ,für
mich' gültig und gewiß. Aber dieser Glaube handelt im Abendmahl: er dankt
dem Vater, er gedenkt des Sohnes, er steht auf, tritt zum Tisch des Herrn,
nimmt Brot und Kelch, ißt und trinkt, er ruft darüber den Geist herbei. Das
leibliche Wort glaubt und versteht, wer in ganz bestimmter Weise zum
Gedächtnis Jesu handelt. Gerade weil das Abendmahl im leiblichen Namen
begründet ist, sind diese Gebetshandlungen der Gemeinde als Zeichen des Na-
mens zu beschreiben. Die Realpräsenz des Namens im leiblichen Wort zieht
daher unweigerlich die Frage nach dem richtigen Gebrauch des Namens in
seinen gottesdientlichen Zeichen nach sich. Auch in dieser Frage nach dem
richtigen Gebrauch sakramentaler Zeichen - namenstheologischer und ethi-
scher Kern der traditionellen Frage nach dem würdigen Gebrauch des Sakra-
ments -, zeigt sich, wie konsequent evangelische Abendmahlslehre vom
Ersten Gebot her begründet ist.
Wer ist dann würdig? Anders gefragt: Kann das Zeichenhandeln der Ge-
meinde den göttlichen Namen repräsentieren? Kann es den zuvorkommenden
leiblichen Namen im verborgenen Glanz seiner Präsenz kultisch in Gebrauch
nehmen - wie es soll? Kann es über diesem leiblichen Namen Jesus Christus'
den göttlichen Namen anbeten - wie dies der Name .Eucharistie' bean-
sprucht? Diese Frage bewegt die Abendmahlshandlung: Eucharistie und Mise-
rere nobis, „die Herzen in die Höhe!" und „erbarm dich unser!" - beides zu-
gleich bestimmt diese Feier, ihre innere Spannung und Lernbewegung.
Reale Präsenz des unendlichen göttlichen Namens im endlichen leiblichen
Namen, in menschlichen Zeichenhandlungen vergegenwärtigt und repräsen-
tiert? Dies kann nur behaupten, wer die Gegenwart des göttlichen Namens
zugleich als Krise des eucharistischen Gebets beschreibt. Die logische Kritik
des religiösen Kults wird jetzt zur theologischen Kritik der Eucharistie. Die
Aporie christlichen Zeichenhandelns in der Eucharistie ist als öffentliches
Geheimnis des trinitarischen Namens zu beschreiben.
Meine Antwort auf die Frage nach der wahren Eucharistie lautet daher:
Dem gegenwärtigen göttlichen Namen im leiblichen Namen kann nur jene
Gemeinde Dank sagen, die weiß, daß sie nicht beten kann, wie sie soll, und
die weiß, was sie noch nicht beten kann. Eucharistie, dieses Gebetshandeln
der Gemeinde im Abendmahl, ist ein gutes Werk, das zu tun und zu erlernen
ist. Aber auch dieses Handeln bleibt Werk und also unter dem Gericht über
die Werke. Vielmehr aber: Ihm gilt die Verheißung des zukünftigen wahren
Gebets zum einzigen Namen. Daß der HERR am Tage seiner Königsherr-
schaft „der einzige sein wird und sein Name der einzige", diese Verheißung
künftiger Anbetung des einzigen Namens aus Sacharja 14,9 (vgl. Offb 19,6),
mit welcher der jüdische Gottesdienst schließt, bleibt auch Hoffnung der
christlichen Eucharistie.

364
Das Geheimnis des göttlichen Namens im leiblichen Namen ist die Grenze
der Eucharistie. Es ist das präzise Jenseits' der Eucharistie in der verbalen
Gebetshandlung. Aber es sind nicht-sprachliche Zeichen eingesetzt, in denen
die Hoffnung auf den einzigen Namen genuin zum Ausdruck kommt. Die
innere Grenze der sprachlichen Eucharistie ist nicht die Grenze der Hoffnung
überhaupt. Die Hoffnung kann zum non-verbalen Zeichen, zum sichtbaren
Wort' und zum ,ikonischen Zeichen' des gemeinsamen Essens und Trinkens
übergehen. Das Höchste der Abendmahlsfeier ist das gemeinsame Essen von
Brot und das Teilen des Kelchs. Essen von Brot und Teilen des Kelchs wird
zur dichten Erfahrung des göttlichen Namens im leiblichen Namen.
Inwiefern ist dieses Zeichen dichte, non-verbale Gebetshandlung? Ich möch-
te antworten: Weil im Übergang zum non-verbalen, ikonischen Zeichen
paradoxerweise die .geläuterte, gereinigte Lippe' vorweggenommen ist. Dies
ist die andere Verheißung, die dem eucharistischen Zeichenhandeln gilt,
Zephanja 3,9 (BR): „Dann aber wandle ich den Völkern an eine geläuterte,
gereinigte Lippe, - daß sie alle ausrufen SEINEN Namen, mit geeinter Schulter
ihm dienen".9 Die zukünftige Heiligung des göttlichen Namens mit geläuter-
ter Lippe und die Hoffnung einer noch nicht sagbaren Anbetung des einzigen
Namens sind für die Beschreibung der Zeichenhandlung von Brot und Kelch
konstitutiv. Dieses Zeichen verkündet, von seiner Einsetzung her, den Tod
Jesu als Ermöglichung des vollendeten Reiches Gottes.10 Gottes Name wird
sich zu seiner Wahrheit bringen, weil er sich in Jesu Tod zur Wahrheit
gebracht hat. Das Abendmahl bringt im non-verbalen, ikonischen Zeichen,
im Essen von Brot und Teilen des Kelchs, diese Hoffnung auf das nahe Reich
schon jetzt zum Ausdruck. Verkürzt zusammengefaßt: Das Abendmahl ist
Sakrament des Leibes und Blutes Jesu und darin Sakrament des Namens Gottes,
des erhofften Namens in seiner Einzigkeit.

2. Anamnetische Christusrepräsentation im Geist?

Wir sind jetzt in der Lage, die wichtigste Entwicklung der evangelischen
Abendmahlslehre in den letzten Jahrzehnte zu beurteilen: die Wiederentdek-
kung der eucharistischen Anamnese. Der Akzent hat sich ja gleichsam vom
„Das ist mein Leib" auf das: „Solches tut zu meinem Gedächtnis" verschoben.

' Sach 14,9 und Zeph 3,9, angewandt auf die Eucharistie und ihre eschatologische Be-
schreibung, sind die beiden Lehnsätze, die ich aus den dargestellten jüdischen Theorien des
Gottesdienstes übernehme, s. § 9,2, § 10,4, § 14 und § 15,2 dieser Untersuchung.
10
Diese These nimmt zwei Ergebnisse exegetischer Rekonstruktionen des letzten Mahls
Jesu auf. (1) Das eschatologische Becherwort aus Mk 14,25 ist der Schlüssel zum Verständnis
des letzten Mahls, wie zuletzt Helmut Merklein vorschlägt (Erwägungen, 172): Jesus erwartet
darin über seinen Tod hinaus das Neutrinken des Bechers in der hereinbrechenden, sich voll-
endenden basileia. (2) Die Sühneverheißung ,für die vielen' ist abschließende Bekräftigung
und Radikalisierung des Heilsangebots an Israel, wie Jürgen Roloff zeigt (Kirche, 51-57).

365
Oder genauer: Beides zugleich wird schwebend akzentuiert. Gegen die Kon-
zentration auf das leibliche Wort in den Elementen, also auf die Frage der
Präsenz Jesu, wird das eucharistische Gedächtnis der Gemeinde hervorgeho-
ben: Im Gedenken der Gemeinde vergegenwärtige sich Jesus Christus durch
seinen Geist selbst. Wie durch eine ökumenische Zauberformel scheinen sich
mit dem Verständnis des Abendmahls als anamnetischer Christusrepräsentation
alte Kontroversen zu lösen. Dem ökumenischen Wandel korrespondieren
Reformen der Liturgie und eine veränderte Praxis der Gemeinden. „Der ent-
scheidende Fortschritt über alle Schranken hinweg ... besteht darin, daß der
ganze eucharistische Gottesdienst als Anamnese und diese Anamnese sozu-
sagen als der ,Ort' der Realpräsenz Christi in der Feier des Abendmahls
verstanden wird"11 - so eine Prognose.
Wolfhart Pannenberg, von dem diese Prognose stammt, hat in seiner Lehre
vom Abendmahl die Entwicklung eindrucksvoll zusammengefaßt. Ihm zuvor
erweiterte Peter Brunner die reformatorische Konzentration auf die Konsek-
ration der Elemente im Vollmachtswort und Befehlswort Jesu - bei Brunner
der bleibende Grund der Abendmahlsrealität - um die effektive Repräsenta-
tion Jesu in der geistbestimmten Anamnese der Gemeinde.12 Ulrich Kühn
verschob nach ihm den Akzent bereits eindeutig: Die Sakramentsfeier sei real-
symbolische Handlung der Gemeinde im Geist. Die Gemeinde repräsentiere
in ihrem symbolischen Glaubenshandeln Jesus Christus gegenüber dem Ein-
zelnen. ,In, mit und unter' dem symbolischen Glaubenshandeln der feiernden
Gemeinde sei Jesus selbst in der Hoheit seines göttlichen Wirkens gegenwär-
tig, um seine Gemeinschaft zu gewähren.13 Wolfhart Pannenberg verdichtet
schließlich diese Verschiebung zu einem neuen Begriff vom Abendmahl als
anamnetischer Christus-Repräsentation. Ich nenne Stichworte: Die Gegenwart
Christi durch den Geist in seiner Gemeinde setzt die Gemeinde aus sich
heraus und versetzt sie hinein in den Ursprung des Abendmahls in der Nacht
des Verrats. Ist die Gemeinde im Gedächtnis bei Jesus Christus auf dem Weg
zum Kreuz, so kommt Jesus Christus in der Hingabe seines Opfers darin zu
ihr, in ihre Gegenwart. Die aktuale Gegenwart Christi im Geist-Gedächtnis
der Gemeinde ist „Grund" seiner realen Gegenwart in Brot und Wein.14 Der
Geist wandelt wie Brot und Becher so die Gemeinde in ihrer Gedächtnis-
handlung in den Leib Christi. Die Gemeinde wird zum Sakrament des Rei-
ches Gottes und seiner universalen Festgemeinschaft. Die Gemeinde im Geist
ist „.Sakrament des Reiches'"15.
Die sachliche Ausgewogenheit Peter Brunners, die ökumenische Absicht
Ulrich Kuhns und die trinitarische Durchführung bei Wolfhart Pannenberg

11
W. Pannenberg, Systematische Theologie 3, 343.
12
P. Brunner, Gottesdienst, 343f, vgl. 228-238; dazu: G. Wenz, Für uns gegeben, 242-249.
" U. Kühn, Sakramente, 312, vgl. auch 73.
14
W. Pannenberg, Systematische Theologie 3, 356, vgl. 337-357.
15
W. Pannenberg, Systematische Theologie 3, 59 (mit J. Moltmann).

366
wären je für sich darzustellen und zu würdigen. Stattdessen aber frage ich
sogleich kritisch: Kann die neue Lehre vom Abendmahl, die sich seit Kühn
und Pannenberg abzeichnet, eine zunehmende kirchliche Verengung des
Abendmahls verhindern? Setzt nicht die Eigendynamik der Sakramentspraxis
bald Beschreibungen eigener Art aus sich heraus? Rückgekoppelt an das
Erlebnis gottesdienstlicher Bekenntnishandlungen entstehen Beschreibungen,
nach denen die Gemeinde im Abendmahl ihre immer schon gegebene Chri-
stusgemeinschaft symbolisiert und feiert. Dies führt zu grundsätzlichen
Anfragen:
- Bleibt die fundamentale Differenz zwischen der realen Präsenz Jesu Christi
und dem repräsentierenden Gedenken der Gemeinde erhalten?
- Wird die Gemeinde im Abendmahl hier wirklich in ihrem sozialen und
religiösen Selbstbewußtsein als versöhnte Gemeinde unterbrochen und her-
ausversetzt in die „Nacht des Verrats", in die Krise ihrer Jüngerschaft?
- Kann Gemeinde .Sakrament des Reiches Gottes' sein, wenn ihre wahre
Heiligung des Namens noch aussteht?
Diese Fragen zielen im Grunde auf eine präzisere Rede von der Christus-
Anamnese. Präziser in zweifacher Hinsicht: Die eucharistische Anamnese der
Kirche findet ihre Grenze an der Tiefe der Hingabe und des Gebets Jesu ,in
der Nacht, da er verraten ward'. Und sie findet ihre Grenze an der Reichweite
dieser Hingabe und dieses Gebets Jesu. Ich erläutere diese These.

Die folgende Präzisierung der christologischen Referenz des sakramentalen Zeichen-


handelns ist voraussetzungsreich. Die vorausgesetzte Christologie ist an anderer
Stelle entfaltet.16 Ich nenne ausdrücklich drei Voraussetzungen: Das christologische
Thema bestimme ich namens- und kreuzestheologisch. Zeichen referieren auf das
Kreuz als Erhöhung Jesu zum göttlichen Namen und als versöhnendes Handeln
Gottes in ihm und an ihm. Dies führe ich mittels eines christologisch-pneumatologi-
schen Personbegriffs und einer Metaphorik des Todes Jesu durch.

Die eucharistische Anamnese findet ihre Grenze an der Tiefe der Hingabe
Jesu ,in der Nacht, da er verraten ward'. Ich bestimme also die Referenz, den
Bezug der Anamnese kreuzestheologisch und folge darin der frühen Chri-
stologie Luthers.17 Die dialektischen Formeln dieser Kreuzeschristologie
lenken Gedächtnis und Hoffnung auf das Begründungsereignis des Abend-
mahls, das als Verheißung zu erzählen ist. Kreuzeschristologie leitet so zu
einer Anamnese an, welche die größere Tiefe und Reichweite der Hingabe
Jesu im Geist nicht zu repräsentieren trachtet, sondern in ihrer Einmaligkeit
und Unendlichkeit zum Ausdruck bringt. Das möchte ich am Erzählzusam-
menhang von Abendmahlsstiftung und Gebet in Gethsemane verdeutlichen.

16
Vf., „... für uns zur Sünde gemacht ...", 187-205.
17
Insbesondere folge ich der christologischen Kurzformel, die Luther 1521 gegen Latomus
geprägt hat: „Christus ... factus est peccatum metaphorice" (WA 8, 86,3lf).

367
- Gedenkt die Gemeinde im Abendmahl der Hingabe Jesu, so ist sie mit ihm
in die Nacht des Verrats versetzt: in die Stunde der Krise der Jüngerschaft
und in die Stunde des Gebets Jesu in Gethsemane.
- Nicht die Jünger, sondern der Stifter des Mahls setzt sich in dieser Stunde
dem Namen Gottes aus. Die Jünger schlafen in Gethsemane. Das Gebet Jesu
vor dem Gott Israels ist dort „lautes Geschrei" (Hebr 5,7). Hier ist vom
Seufzen des Geistes im Gebet Jesu zu reden, einem Seufzen, das Leib und
Blut Jesu umfaßt.18 Das .Selbstopfer' und Personsein Jesu ist von diesem
Seufzen des Geistes in ihm her zu verstehen."
- Jesus nennt in seiner Bitte das Kommende den Kelch Gottes (Mt 26,39; Mk
14,36). Der ,Kelch' ist die Metapher des göttlichen Gerichts.20 Er steht für die
Stunde, in der sich der göttliche Name zur Wahrheit bringt und den ganzen
Menschen richtet, .verifiziert'.
- Der, der zuvor das Abendmahl stiftete, setzt sich im Garten diesem Gericht
aus. Was bedeutet es, wenn Jesus sich mit der Vaterunser-Bitte dieser Stunde
aussetzt: „Es geschehe dein Wille" (Mt 26,42, vgl. Mk 14,36)? Es ist hart und
provokant, diese Bitte wortwörtlich zu nehmen. Jesu Hingabe an den Kelch
Gottes: „es geschehe dein Wille" ist, wortwörtlich verstanden, - Gerichts-
doxologie. „Es geschehe dein Wille" bedeutet: ,An dir allein habe ich gesün-
digt! Du hast recht in diesem deinem Gericht!' Man denke an Achans Ge-
richtsdoxologie (Jos 7,19) oder an Davids Bekenntnis vor Nathan (2Sam
12,13). Über dem Bekenntnis der Tat und des Täters wird der göttliche Na-
men anerkannt. Erst diese Zuspitzung verdeutlicht: In der Gethsemane-Peri-
kope wird von Jesus Christus als peccatum metaphoricum Gottes erzählt. Auf
ihn ist die Gerichtsdoxologie übertragen, die jeder sprechen soll und keiner
sprechen kann. So wird der Austausch zwischen Christus und den Seinen an
der Person Jesu erzählt: Der Sohn Gottes wird in Jesu Gebet und also in Jesu
Person mit zur Sünde gemacht. Sünde wird zur „Sünde Gottes"21.
- In diesem Gebet wird die Stunde der Krise ein- für allemal verwandelt. Das
Gebet Jesu, in dem er ,zur Sünde gemacht' ist, heiligt .für uns' in dieser
Stunde den Namen.
- Jesus Christus' wird in diesem Ereignis selbst leiblicher Name Gottes.
Johannes erzählt dieselbe Stunde der Krise als Stunde der Verherrlichung Jesu
durch den Vater (Joh 12,27-32). Im Namen Jesu ist der Name des Vaters
verherrlicht und nur in diesem Namen wird er künftig verherrlicht.
Deshalb sage ich: Die Hingabe und das Gebet Jesu haben eine Tiefe und eine
Reichweite, die weit über die Grenzen des Gebets der Gemeinde hinaus reichen.

Luk 22,44; vgl. M. Luthers Auslegung von Ps 22,2 mit Rom 8,29 und 2Kor 5,21 in den
Operationes in psalmos (1519/21), WA 5, 607,29-33.
Hebr 9,14: Jesus hat sich selbst als ein Opfer ohne Fehl durch den ewigen Geist dar-
gebracht. Dazu G. Bader, Symbolik, 237.
20
Vgl. Jer, 25,15; Jes 51,17; Ps 75,9; Jer 51,7; 49,12; Klgl 4,21; Ez 23,31f; Hab 2,16f.
21
M. Luther, Wider Latomus, WA 8, 91,llf.

368
Ich fasse zusammen: Die liturgische Erneuerung der Eucharistie, Anamnese
und Epiklese ist sachgemäß. Aber ökumenische Weitung der Abendmahlsfeier
setzt sich nicht einfach in integrativer Abendmahlslehre fort. Die Logik der
Lehre verlangt vielmehr konzentriertes pneumatologisches Durchdenken der
liturgischen Reform vom namens- und kreuzestheologischen Anfang aus.
Daraus resultieren zwei Thesen und eine Aufgabe.

3. Zwei Thesen, eine Aufgabe

(1) Gebet und Gedächtnis der Gemeinde können Hingabe und Gebet Jesu
nicht repräsentieren. Sie können Tiefe und Reichweite dieser Hingabe nicht
ausschöpfen und ermessen. Diese Hingabe sprengt das Gedächtnis der Ge-
meinde. Dieses Gebet übersteigt ihre Eucharistie.22 In der Hingabe Jesu ist
Gottes Name ein- für allemal geheiligt, das Erste Gebot bekräftigt. Teilnahme
an der Hingabe Jesu ist im Abendmahl eingesetzt in Form von Nicht-Repräsenta-
tion. Dieser Einsetzung folgt die Gemeinde, indem sie vom verbalen Zeichen
zum ikonischen Zeichen übergeht, vom Gebet zum richtigen Schweigen.
(2) Essen von Brot und Teilen des Kelchs sind neu als dichtes Zeichen der
Hoffnung (signum prognosticon) zu beschreiben. Die Gemeinde hat in Brot
und Wein Anteil an Jesu Heiligung des göttlichen Namens. Sie hat Anteil an
Jesus Christus' als leiblichem Namen Gottes. Zugleich bleibt ihr die wahre
Anbetung des göttlichen Namens in ihm zukünftig verheißen.
Daraus ergibt sich die Aufgabe: Das Abendmahlshandeln ist als metaphori-
scher Ausdruck des Namens Jesus Christus' und der in ihm begründeten
Hoffnung zu beschreiben. Das sei abschließend am Beispiel vorgeführt.

4. Stehen vor Gott im Geist

Die Gemeinde kann mit Jesus Christus nur beten im Gedächtnis daran, daß
er für sie in der Stunde der Krise bittet. Das Abendmahl lenkt deshalb den
Blick vom Gebet der Gemeinde auf die Gaben und auf das Gebet Jesu in der
Nacht des Verrats. Tiefe und Reichweite des Gebets Jesu sind für die Ge-
meinde in den Gaben eingesetzt und präsent. Im Teilen von Brot und Kelch
erhält sie Anteil am Gebetsopfer Jesu. Dann bittet der Geist in ihr mit ihm
vor dem Vater (Rom 8,26.34). Der Geist bringt über dem Teilen von Brot
und Kelch an der Gemeinde den Namen zur Wahrheit. Diese kann und soll
jetzt schweigen im Wissen, was sie nicht mehr zu beten braucht und noch
nicht beten kann. Im richtigen Schweigen über Brot und Wein als eingesetz-

22
Die Lima-Erklärung ist am entscheidenden Punkt der Opfer-Frage zu korrigieren, wenn
sie behauptet: „In Danksagung und Fürbitte ist die Kirche mit dem Sohn, ihrem großen
Hohenpriester und Fürsprecher, vereinigt" (Taufe, Eucharistie und Amt, 20 Nr. 8).

369
ten Gaben verkündet sie den Tod Jesu bis er kommt. Der Geist bringt an ihr
das Opfer Jesu tiefer und weitreichender zum Ausdruck, als sie sprachlich
auszusagen vermag.
Das, gemessen an antiken Mysterien und postmodernen events, erlebnisarme
Abendmahl ist dichter Ausdruck der Hoffnung. Es so zu beschreiben, ist
ungewohnt. Ich gehe deshalb von einem Beispiel aus, das eher vertraut ist.
Dietrich Bonhoeffer beschreibt in seinem Werk Sanctorum Communio die
Abendmahlsgemeinde als Bekenntnisgemeinde: Die Predigtgemeinde sei Hör-
gemeinde, die Abendmahlsgemeinde sei Bekenntnisgemeinde. Der Kreis der
Hörgemeinde sei weiter als der Kreis der Abendmahlsgemeinde, die den
innersten soziologischen Kreis der Kirche darstellt. Bonhoeffer beschreibt den
Gang zum Abendmahl als sichtbare Bekenntnishandlung. Diese Handlung sei
nicht selbst gewählt, sondern eingesetzt. Der Ortswechsel vom Hören zum
Bekennen im Abendmahl werde von Gott sichtbar anerkannt und versiegelt.
Dies beschreibt Bonhoeffer an der großstädtischen Abendmahlsgemeinde:

„Man hat es beklagt daß großstädtische Abendmahlsgemeinschaften darunter leiden


müssen, daß sich die Teilnehmer nicht kennen ..., die Feier verliere an persönlicher
Wärme. Dagegen ist zu fragen: ist nicht gerade eine solche Gemeinde eine überwälti-
gende Predigt von der alle menschliche Gemeinschaft übersteigenden Bedeutung und
Wirklichkeit der Heiligen? ... Ist nicht gerade hier der Wirklichkeitsernst der sancto-
rum communio, in der Jude Jude und Grieche Grieche, Arbeiter Arbeiter und
Kapitalist Kapitalist bleibt, und wo sie doch alle Leib Christi sind, viel eher gewahrt,
als dort, wo jene Härte mild verschleiert wird? Wo das wirkliche Bekenntnis zur
Gemeinschaft der Heiligen da ist, da kann die Fremdheit und ... Kälte nur die Glut
des echten Feuers Christi anfachen"23.

Bonhoeffer beschreibt die Handlung des Abendmahlsgangs konsequent als


Zeichen. Es ist durch den Wechsel seines Bezugssystems bestimmt. Es ist dies
der Wechsel von der Hörgemeinde zur Bekenntnisgemeinde. Im räumlich
unscheinbaren Gang von der Kirchenbank zum Altar geschieht ein Orts-
wechsel, eine Grenzüberschreitung. Hier tritt man aus der Sozialform des
Hörens in die des Bekennens in Brot und Kelch über. Die sichtbare An-
erkennung dieser Bekenntnishandlung durch Gott kommt an der Gemeinde
metaphorisch zum Ausdruck: Die Glut des echten Feuers Christi zeige sich an
ihr. Die Kälte der Großstadtgemeinde entfache allererst das echte Feuer
Christi. Die Abendmahlsgemeinde werde zum sichtbaren Wort.
Bonhoeffers dichte Beschreibung ist aber jetzt weiter zu führen. Neben die
soziologische Beschreibung der Abendmahlsgemeinde tritt die pneumatologi-
sche Beschreibung: Die Gemeinde ist im Geist vor Gott gestellt. Wie der
Geist die Gemeinde vor Gott vertritt, so vertritt er Gott bei ihr. Es ist jener
Geist, der den göttlichen Namen in Jesu Gebet zur Wahrheit gebracht hat. Es

25
D. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, 168f.

370
ist jener Geist, der ihn an der Gemeinde Christi zur Wahrheit bringen will.
Jetzt wird gefragt nach der Abendmahlshandlung als Gebet im Geist, also
nach Tiefe und Reichweite der an dieser Handlung sichtbaren Verheißung.
Dieses Zeichen, Teilen von Brot und Kelch, reicht tiefer und weiter, als die
Grenzen der Bekenntnisgemeinde im Wort. In der soziologischen Beschrei-
bung ist die Abendmahlsgemeinde der engste, innerste Kreis. In der pneuma-
tologischen Beschreibung hat sie zugleich an einer Einheit teil, die ihren Kreis
transzendiert, so weit transzendiert, daß sie dies noch gar nicht in ihr Be-
kenntnis einholen kann. Im Abendmahl tritt die gottesdienstliche Gemeinde,
die im trinitarischen Namen Gottes begründet ist und die diesen Grund im
Glaubensbekenntnis ausspricht, heraus in ein Stehen vor Gott, das sie in ihre
sprachliche Homologie und Eucharistie noch nicht einholen kann. Dies ist
das Werk des Heiligen Geistes über den Gaben von Brot und Wein.
- Mit dem Abendmahl ist eine Zeichenhandlung eingesetzt, in welcher der
leibliche Name Jesus Christus' als göttlicher Name bezeugt wird. An dieser
Handlung teilnehmen bedeutet, in den anderen Handlungsformen des Gottes-
dienstes innezuhalten, aus ihnen herauszutreten, für eine bestimmte Zeit. Im
Übergang zum Abendmahl wird nicht nur eine soziologische Grenze über-
schritten, sondern auch eine pneumatologische: hin zu einem Wir, das so
unmittelbar in Gott versetzt ist, daß es sich noch nicht einmal mittels der
Sprache erkennen und identifizieren kann.
- Der Abendmahlsgang bezeichnet Gedächtnis des Gebets Jesu und Hoffnung
auf die Vollendung des Reiches in der Einzigkeit des Namens. Die Euchari-
stie ist wahr und bleibt in Geltung. Und doch steht die Anbetung des Na-
mens in seiner Wahrheit noch aus. Dies ist das Geheimnis der Hoffnung, das
im Tode Jesu zu verkünden ist.
- Es wird verkündet durch die Teilhabe an Brot und Kelch als Leib und Blut
Christi. Sie unterbricht die Eucharistie wie eine Generalpause. Verkündet
wird in ihr der Tod des Herrn, der in seinem Tod das Erste Gebot bewährt
und den Namen verherrlicht hat. Auf ihn richtet sich die Hoffnung der
Gemeinde, die weiß, was sie noch nicht sagen kann und nicht mehr zu beten
braucht.
- Das Abendmahl ist so Verkündigung des Kreuzes Jesu in schärfster, end-
lichster Form, in ausschließlicher Geltung. Es ist innerster Kreis der Kirche
als Leib Christi. Es ist innigste Vereinigung mit diesem leiblichen Namen im
Glauben. Und doch ist das Abendmahl zugleich Ausdruck der Hoffnung auf
den göttlichen Namen in seiner Einzigkeit und Unendlichkeit.

Daß das Endliche das Unendliche umfaßt, daß der endliche leibliche Name
den unendlichen Namen umfaßt - das kann kein metaphysischer Satz sein. Es
ist jene Hoffnung, die im Abendmahl begangen wird und die im Leben als
Geheimnis des guten Lebens zu bewähren ist. Sie erlaubt die freimütige Aus-
einandersetzung mit jenen, die es für den Inbegriff der Unwahrheit halten,
daß ,Gott' Name ist und daß dieser Name Jesus Christus' heißt.

371
Anhang
Liste der Sigel
Immanuel Kant
KrV Kritik der reinen Vernunft
KpV Kritik der praktischen Vernunft
KU Kritik der Urteilskraft
GMS Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
Prol. Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissen-
schaft wird auftreten können
MS Metaphysik der Sitten
MSR Metaphysik der Sitten, Rechtslehre
MST Metaphysik der Sitten, Tugendlehre
RGV Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft
EMBg Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des
Daseins Gottes
Denken Was heißt: sich im Denken orientieren?
Theodizee Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theo-
dizee
Ende Das Ende aller Dinge
Ton Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Phi-
losophie
Streit Der Streit der Fakultäten
Anthropologie Anthropologie in pragmatischer Hinsicht
Logik Jasche Immanuel Kants Logik ein Handbuch zu Vorlesungen
AA Akademie-Ausgabe

Hermann Cohen
RV Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums
LrE Logik der reinen Erkenntnis
RS Der Begriff der Religion im System der Philosophie

Franz Rosenzweig
BT Briefe und Tagebücher 1: 1900-1918; 2: 1918-1929
S Der Stern der Erlösung
z Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken
JH Jehuda Halevi. Fünfundneunzig Hymnen und Gedichte
A Sprachdenken. Arbeitspapiere zur Verdeutschung der Schrift
BR Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz
Rosenzweig

372
Stellenregister Kant, Cohen, Rosenzweig
Die Schriften Kants, Cohens und Rosenzweigs sind in der Reihenfolge der Sigel
aufgeführt. Kants Schriften werden nach den Seitenzahlen der Erst- (A) oder Zweit-
auflage (B) verzeichnet.

KrVB 642 79 72 122, 125


670-693 83 96 119
XXX 35 736 34 101 124
XXXIX 177 757f 125 110 120
19 26 758f 121 115 123
170f 35 762f 36 116 181
172 107 765 41 121f 132
173f 28, 107 801 282 130 179, 180
180f 107 803 75 131 119
193f 35 805 75, 150 135 179
198 93 823f 34,35 139 179
274-279 177 824 124 143 180
275f 177 826 34 160f 119
276f 177 828 40 163 119
294f 31,47 830 39,45 175 121
324 97 831 37,40 176f 121
326 150 832 38,45 179-185 117
348f 216 833 23,24, 31, 37, 39, 69 194 53
364 76 835f 40 197 53
373 44 836 36, 40, 41, 42 198 53
375 44 837f 42f 211f 180
388f 76 840 40 212 181
393 44,76 840f 43 213f 181
394f 45 842f 46 225 53,71
568 121 844 46 235f 160
574 121 846 39 259 Anm 54
581 121 856 35,43 288 178
612 77 289 178, 183
615 78
619 94 KpV, A
626 92,94 KU, H
627 94 25 54
640f 75 55f 118 32 84
641 71, 75, 77, 78 57 122 67 181

373
KU, B 238 92 MSR.B
240 108
xixf 69 254-260 80,81 7-13 57, 161
xxv-xxxvm 83 256 128 29 162
xxvn 84 257 129 36 185
XXIX 84 258f 82,92 45 185
LV-LVI 87 286 83
8f 100 291 90 MST, A
15 100 295f 83
21 106 339-344 82, 87, 95 2-10 57, 161
22 100 340f 95 28-30 51
27 100 341 90, 95, 96 30 58
30 102 345 89,90 35 171
31 103 346 96 56 57
32 104 349f 90 83 57
34 89 367 90 98-103 50, 163, 175
42 160 427-429 52 lOOf 57
46 4!1,59 ,131 433 54 102 135
62f 105 439 55 103 180
63f 106 462 48 104 64
67 106 463 48, 59, 131 108 175
68 105 158 67
78 181 176 160
92 178 GMS.B 177f 160
94 178;, 179 181f 140, 149
96 178,, 181 1 52, 119 184f 150
100 178 16 37 187 150
101 179 35 37 188 150, 160
105 181 52 36
121f 156 64 85
125 32, 156 66f 85, 135 RGV, B
155 101 70 134
156 110 74 135 vnif 50, 51
157 106 75f 136 IXf 48, 60
159 106 82 85 XI 51
160 104 128 125 Xllf 52, 53
162 109 XXIf 147
166f 109 1 169
168f 110 5 179, 180
170 109 Prol., A 6 148, 173
172 109, 110, 180 8 174, 175, 315
182 104 166f 127 llf 186
192 130 175f 128 13 56
234-245 8C), 81 181 127 15 168

374
16 Anm 116, 169 215 187, 190, 192 516f 60
17 172 216 188 518f 66
18 171 217f 192 520f 67
19 171 256 151 521 67
20 120, 189 256-260 150
21 189, 192 257 65 Ton, A
25 65, 151 259 111
26 173 275 79 41 lf Anm 49, 79, 129
30 183 287 175 411 79
38 171 288 50, 58, 122, 171 413 Anm 80
51 Anm 179, 180 302 145, 182 414f 79,80
54 63, 116, 168, 169 304f 182 418 148, 192
55 164, 173 305f 178 419 124f, 166
57-59 117, 182 306 Anm 183
59 180 307 178, 183 Streit, A
60 116
70 165 EMBg, A XVI 139, 149
73 174 60 141, 143
82f 175 8 92 70 142
85 63, 64, 164 180 76 83f 143
95 173 86 64
102 168 Denken, A 88f 143
103 122 90 143
106 169 32 165, 170 92f 144
107 170 311 54 93 147, 171
132 58 329 Anm 165, 170 94 143
134 56, 137, 188 132 29, 152, 155, 158
135 56 Theodizee, A 141 158
136 137 142 157
135-137 30, 137 212 170 143 155, 156, 157
138f 160 215 160 144f 156f
144 67 219 31,98 148f 157
153f 141 156 158
178 117 Ende, A 160 157
180 116, 172
184 60 495 64 Anthropologie
186 151 497f 64
189f 151 499-503 60 B8 107
197f 151 509 60 B23 185
204 189 509-514 60 B230f 184, 185
207f 192 511 64,65 B232 184
209 186, 189 513 61,64 A234f 120
210f 189, 190, 192 514f 61 B245 120
211f 190 515 65 B268f 169

375
Logik Jäsche, A RV 463 225
480 225
172f 36 25 226 487 202, 323
220f 125 48 211, 200, 224 507 225
50 224
58 220 LrE
Akademie-Ausgabe 59 220
74 222 25-28 220
4,63 122 80f 280 84-87 221
4,631 122 94 224 86f 221
10, 318 26 95 218 89 221, 222
11, 429 23 96 218 112-114 221
15/2, 60 188 97 218 240-245 222
16, 127 86 102f 224 358-360 220
19, 172 37 106 237
19, 175-179 164 122 224 RS
16, 245 98 185 223
19, 629 192 186 223 48f 280
19, 630 190 216 229
19, 637f 182 220f 229 BT
19, 641 174 225 229
19, 642 67, 141 226 229 132f 213
19, 643 80, 146 228 229 134f 214
19, 647-649 146f 230 230 154 300
19, 649 160 234 230 157f 204
19, 650 160 235 231 159 262
19, 652 191 239f 231 161 263
20, 439 141 242 231 165 211, 214
23,95 141, 143, 144 244 231 257f 194
23,96 144 247 226 261 194
23, 451 131 256 349 280 212
27/1, 308 43 258 229, 232 284 234, 235
28.2/2, 1117 118, 169 260 232 291 204
261 232 292 244
295 202 320 302
363 215 358f 338
Fragmente , Nachlaß 364 215 399f 336
373 202, 310 414 261
323 134, 169 399 231 447 228
402f 225 449f 225
441 225 462 235
Ethik Menzer 442f 225 514f 228
448 225 536 316
207 169 462 226 560f 335

376
637f 209 1145 336 178 215
642f 194, 212, 333 1149f 336 182 215
659 309 1152f 318, 336 189 216
663 321 1160 249 190 227
695 302 1161 253,, 254, 261 191 216, 218, 234
706 317 1162 243, 257 195 233
720 193 1196 309 196 233, 313
720 203 197 313
728 197, 319 S, Stern der Erlösung 200f 227
734 300 204 247
737 343 1-99 198 206 343
761 309 12-16 271 207 241, 248
762 196, 309, 311f, 314 41 272 208 238, 246, 247
764 309, 312 46-58 271 209 237, 248, 249, 267
774 336 48 302 209-213 271
776 306 51 272 222 208
779 316 66 272 222-224 208
780 300 105 278 224 208
784 309 121 277 225 215, 217
787 196 122 277, 281 226 217
789 313 123 269,, 277, 278 228 321
824f 258, 328 124 205, 269 238 317
826 297, 327 125 283 240 317
945 317 128 283 243 284, 322
951 309 131 283 246f 285
968f 336 132 283 247 285
974 310, 312 133 285 248 287
976 312, 322 134 290, 306 250 287
977 310, 312, 336 135 301 251 287
978 309, 312 137 302 254f 323
979 312 141 293, 392 258 324, 326
980 348 142 293 258-265 254
982 314 144 294 259 325
984 309 145 294 260 326, 327
1001 310 146 271,, 274, 297 262 325
1003 331 148 269, 279 263 322
1004 310, 319, 332 157-161 310 264 342
1005 332 168 295 267 322
1015 226, 244 169 298 278 267
1039 310, 311 171 299 279-282 327
1040 312 173 295 280 327, 328
1059 260 174 208, 215 281 327
1076 335 174-209 204, 207, 209 287f 263
1139 336 175f 234 296f 340

377
301f 56, 341 Z, Zweistromland 686 334
305 322 696 218, 219
324 336, 337 33-37 302 703f 310 , 312, 320
325 339 37 204 706 315
327 343 66 162 707f 315, 310
328 345 82 312 711f 316
329 344, 353 86 226 737 276
337 314 88 271 763f 310
342 288, 289, 345 91 213 773-775 294
348 299, 300 99 271 803f 258
349 301 101 338 805f 257
352 327 111 317 810 256
357 358 119f 241,313 811 244
359 352, 358 125 218 ,246 812 249;, 250, 251
360 349, 352 148 302 813 248:, 250, 254
361 349, 351, 353 159 333 814 239;, 244,;250f, 256f
362 354 161 306 815 236, 258
363 354 206 226 821f 318
374 337 208 226 832 314
375 338 209f 226
379 338 211 226
382 338 212 228 JH, Jehu da Halevi
383 338 213 152
385f 339 225-227 226 70f 260
394f 272 226 223 ,277 lOOf 207
397f 337 235-237 226 103f 310, 317
404 337 237 226 108-110 316
406 338 462 194 109f 157, 317, 339
407-409 338 463 194 158 213
41 lf 346, 355 492f 311 ,312 183 319
413 355 536 314 184 319
414 355, 358 585 295 203 225
415f 337 589 311 218 336
423 329 60 lf 241 251-255 336
426 329 608f 316
428-432 258 622 216
436 329 623 264 A, Arbeitspapiere
440 234 626 219
450f 237 627 284 93f 238, 353
45 lf 320 629 310, 312 93-98 352
463f 330 631 310, 312 94 250
465 286, 346 649 244 95 238, 243, 251
467 284, 285 677 334 140 210, 321, 322
465-472 211 678f 334 167 210
Begriffsregister

Abendmahl 12, 73, 113, 149, 168, 191, 197, Anruf/Anrufung 198, 226, 244, 246, 248,
337, 359, 361-369 257, 267, 333, s.a. Ruf
Abgrund 47, 71, 73, 77f, 158, 161, 172, Anschauung 29, 31, 36, 62f, 65, 81, 83, 86,
189, 212, 283, 304 90, 93, 95, 104f, 108, 119, 121, 128f, 132f,
- Gottes (.abyssos dei') 71-79, 172 176, 182f, s.a. Dialektik, Ikonisch
Abraham 233, 235, 238, 274 - inexponible 108
- ,in Abraham' 195, 233f, 236, 245, 247f, - intellektuelle 41, 63f, 118
267 Antinomie 60, 65, 143f
Absolute, das 71, 76-78, 90, 146, 182, 304f, Aporie 4, 8f, 25, 27, 33, 62f, 70, 82, 84, 96,
313 117, 121-126, 138, 148, 172, 191, 255,
Achtung 44, 51f, 54f, 66, 110, 119, 122f, 266f, 280-282, 304, 307
131, 150, 160, 171, 176, 178-180, 183 - des Formalismus 125f, 313
Ästhetik - der Ontotheologie 71f
- transzendentale 31, 62, 121, 176, 270f - der Urteilskraft 90f
- praktische 119, s.a. Achtung - der rationalen Mystagogie 168
- s.a. das Schöne, Erhabene - semiotische 33, 165, 184, 192
Affekt/Affektion 93, 119, 156, 178f, 183f Aporetik 4-6, 8f, 15, 18, 20f, 28f
s. a. Enthusiasmus, Gefühl, Leidenschaft Apperzeption, transzendentale 93, 133
Affirmation 61, 302f .arcanum' 279, s.a. Geheimnis
Ahabat olam 210, 216, 227, 234 Aufklärung 46, 67, 79, 124, 126, 151, 167,
Akroamatisch-diskursiv 27, 34, 36, 117, 183
148, 165 Augenblick 33, 64, 164, 176-179, 188, 203,
Alenu 352f, 355 205, 207f, 239, 244, 246, 248, 256, 258,
Alternanz lOf, 30-33, 48, 70, 131, 167, 171, 262f, 269, 278, 284, 295f, 300f, 313, 317,
182, 187, 191, 205, 223, 277f, 283 321f, 330f, 336, 338, 340f, 352, 355, 360
- der Urteilskraft 69, 81, 98, 102, 130, - beständig vergangener 172
161, 165 Ausdruck 14f, 102, 113, 115, 323f, 352,
Amphibolie der Reflexionsbegriffe 149f 355, 367, 369
Analogie 17, 41, 56, 80, 89, 119, 123, 129, - exemplifizierender 266
131, 174, 184, 197 - metaphorischer 14, 16, Ulf, 115, 266,
Analyse, sich entdeckende 28, 82, 88, 106, 339, 358, 360
108, 165 - realsymbolischer 16
Anamnese 13, 71, 347, 364-366 Ausdruckszeichen 185, 266, 346
Anbetung 80, 182, 217, 367 - anamnetisch-repräsentative 355
- des Namens 10, 18, 361, 363f, 369 - eschatologische 348, 355
Anfang 5, 64f, 198, 203-205, 235, 246-249, - exemplifizierende 346, 355
263, 269, 273, 278, 280, 299, 301, 303, - liturgische 339
305, 307, 339, 361f Aussage 261f, 296f, 307, 325, 330
Anfangen 46f, 70, 153, 156, 168 - universelle 256, 26 lf
Angesicht 234, 289, 317, 344, 353, 357f Aussagesatz 253, 259, 275, 280
Anlage, moralische 143f, 146f, 162, 168, Außen 82, 84, 102, 283, 287, s.a. Externität
170-172, 181, 186f Autonomie 27, 50, 84, 118, 134-136, 147,
Anrede 183, 243f, 273, 288 160-163

379
Avoda 347f, 352f, 355 Bitte 231, 241, 259, 288, 312-314, 330, 366
Axiom 36f, 117, 146, 362 Böse, das 56, 59, 63, 119, 123, 166
- das radikale) 33, 51, 59, 116, 138, 150,
Baruch Sehern 210f, 215f, 219, 242 165, 173-176, 229
Bedürfnis 39, 55, 65, 77f, 147, 155f, 306, Brauch 315, 320
330 Buße 64, 164, 168, 172, 191, 229-231, 236
Begehren/Begierde 306, 330
Begegnung 244f, 276, 347 Charakter 19, 45f, 61, 103, 120-122, 133,
Begriff 9, 12, 33f, 36f, 41, 48, 53, 69, 75, 155, 171, 227, 317
77f, 83, 95-97, lOOf, 107, 122, 129f, 133f, - intelligibler 39f, 63f, 86, 116, 120f, 166
243, 296, 344 - phänomenaler 166
- absoluter 77, 130 - der Theologie 4f, 11
- des Guten und Bösen 123 Chaos 245f, 269-271, 273f, 279f, 292, 307
- Leben des 130 Credo 18, 21, 369, s.a. Bekenntnis
Begründungszusammenhang 43, 97, 153, Christentum 5, 9, 66f, 139f, 162, 195, 213f,
190, 260-262, 264 337
Behutsamkeit im Bezeichnen 31, 98, 161 Christologie 11, 21, 175, 267, 337f, 360,
Beispiel 28, 61, 82, 87, 91, 99, 106f, 110, 365
112, 171, 174f, 196, 198, 200, 203, 252, corpus mysticum 42, 46
256, 271-275, 277, 282, 292, 294, 299,
301, 321, 339, 341, 344 Dabeisein 238, 243, 250, 253-255, 286, 327
Bekenntnis 202, 213-217, 220, 224, 227, Dasein 33, 75, 78, 80, 85, 93, 109, 177, 238,
229f, 232, 236-240, 288, 345, 368f 253, 257, 269f, 280, 284f, 287, 289, 291f,
Benediktion 15, 195, 200, 206, 210, 216, 294-296, 298-302, 308, 320, 334
234, 255, 259f, 263, 274, 277f, 286-289, - Gottes 34, 43, 71, 253, 260f, 290
292, 304, 308, 316, 328, 331, 352, 360 s.a. Existenz, Faktizität, Faktum
Berufung 61, 163f, 190, 257, 309 Deckname 250, 255-257, 268
Beschreibung 4-8, 17, 20, 24, 29, 62, 82, Decknotation 240, 276, 288
84, 91, 97-99, 103-105, 108, 130, 168, decreta Gottes 190
185, 195, 214, 244, 271f, 276, 294, 298, Deduktion 17, 106, 108, 122
306, 309-322, 345, 348, 355-359 - transzendentale 28, 99, 102, 258
- dichte 1, 4, 14-16, 21f, 104, Ulf, 114f, Demütigung, sinnliche 178-180
193, 195, 201, 203, 332, 339, 343, 346, Denken 29, 31f, 36, 54, 65, 71-76, 91, 94f,
351, 355f, 360, 364, 368 97, 221, 223, 259, 306
- eschatologische 15, 29, 74, 111, 153, - absolutes 72, 76f
159, 195, 200f, 211, 314, 320-324, 326, - diskursives 37, 223
330, 333-335, 339f, 344, 349, 355f Denkungsart 50, 106f, 155, 157
- ethische 153, 159, 205, 309, 311f, 314f, - erweiterte, liberale 66, 106
321, 330-332, 356 - plurale 50
- grammatische 195, 198, 206, 228, 235 Denotation, s. Bezugnahme
Besondere, das 80-85, 90, 96, 99, 107 Determinismus 33, 117
Betrachtung, s. Anschauung, ästhetische Diachronie 172, 256, 262, 296f, 326
Bewährung 235f, 239, 295f, 308, 327 Dialektik 7, 10, 33, 35, 47, 51, 53-55, 63,
Bewußtsein 102, 118f, 122f, 125, 151, 175, 72, 78f, 90, 99, 219, 223, 258, 351, 358
177, 180, 259, 283-285, 326, 337, 339 - der Anschauung 182
Bezugnahme, 112-114, 355, 367f - der Aufklärung 46, 151, 167
Bibel 141-143, 149, 171, s.a. Heilige Schrift - des Gewissens 24, 33, 48, 58f, 148, 164
Billigungsformel 280, 294f, 299 - der Hoffnung 6, 49, 51, 65, 150, 176,
Bild(er) 113, 115, 132f, 203, 205-208, 215, 339f, 351
259, 283, 307, 356, s.a. Typus - radikaler Kultkritik 148
Bina 286, 289 - reiner Mystik 146

380
- reflektierender Urteilskraft 97 Erfüllungssituation 318-321
- praktischer Vernunft 24, 33, 35, 41, Erhabene, das 181, 184, 192
48f, 54, 56, 58, 225 Erhebung, intellektuelle 178, 180
Dialog 2, 20, 48, 137, 195, 199, 201, 206, Erinnerung 121, 139, 269, 296, 299, s.a.
208-210, 233, 248, 257, 265f, 318, 320, Gedächtnis
325, 333-336, 339, 343 Erkennen auf der Grenze, s. Grenze
Dichte 15, 114f, 163, 235, 332, 343, 356- Erkenntnis 4, 8f, 25-27, 34, 36f, 39, 43, 45,
358, 366 52, 54, 64, 70-72, 81, 83f, 90, 93, 95f,
- ikonische 201, 205, 329, 356, 366 100, 102, 105, 123, 127-130, 170, 221,
- des Namens 205, 329, 339, 342, 346, 266, 286, 305, 332
351, 355, s.a. Unendlichkeit Erkenntnisvermögen 28, 35, 84, 95f, 103,
s.a. Beschreibung, Erfahrung 132
Differenz 2, 4, 16, 19, 64, 69, 82, 87, 91, Erlernen 4, 21, 124, 165, 194, 196, 198-
95, 235f, 239, 246, 274, 333, 337, 345, 200, 235, 237, 243, 247, 270, 273, 277,
365 282, 289, 292, 309, 311f, 314, 324, 332,
digrammaton 238, 243f, 251 345, 356, 360
dissimilitudo, lyrische 217 - des Lernens 198, 200, 319, 330, 357
Doxologie 3, 15, 184, 195, 200, 236, 255, Erlösung 61, 229, 231f, 260, 263, 278, 283f,
260f, 263, 278, 304, 306, 321, 327-329, 287, 289, 294, 296, 298f, 301, 308, 310,
332, 339, 341-344, 360 321-323, 329, 338, 342f, 352, 355
- messianische 200, 206, 261, 286, 296, Erneuerung 274, 278, 283, 351, 366
324, 328, 331 Erwählung 117, 163f, 190, 244, 331, 334,
- eschatologische 261, 289, 341-344, 246 342, 347, 353
Dual 325 Erwartung 266, 317, s.a. Hoffnung
Eschatologie 1, 4-8, 11, 15, 21, 24f, 62, 65,
Ehre 150f, 160f, 190, 264, 328 146, 153, 168, 191, 194, 213f, 236, 253,
Einbildungskraft, s. Urteilskraft 343
Einführung, 118, 168, 241-244, 247f, 250f, Eschatologie der Sinne und des Sinns 29,
267, 274, 277, 332, 357 HOf, 176f, 188f
Einführungssituation, 241-244, 257, 280, Ethik 57, 137, 140, 153f, 159, 196, 296,
294 309, 319, 326, s.a. Gesetz, Liebe
Einigung des göttlichen Namens 194, 196, - der Ethik 60, 154f
218, 227, 23 lf, 236, 350 Etikett 112f, 355
Einzige, der 213, 284, 352 Eucharistie 361-369
Einzigkeit 122, 200, 217-220, 227, 232, Ewigkeit 33, 60, 64f, 71, 73, 76, 152, 236,
236, 270, 284, 352, 364, 369 258, 296, 302f, 315, 327, 329, 330, 336f,
Elimination 18, 137, 144, 162, 166, 186 345, 350, 359
- göttlichen Namens 7, 11, 15, 145f Exemplifikation 14, 16, 111-113, 324, 332,
- kultischer Zeichen 7, 15, 147 339
Ende aller Dinge 6, 24, 33, 60, 64, 99, 136, Existentialuneil 92f, s.a. Position, Relation
153, 155, 159, 170, 340 Existenz 27, 54, 70, 74, 84, 91-98, 109f,
Endlichkeit, s. Geschöpflichkeit 121, 138, 179, 236, 252f, 279, 298, 303,
Endzweck 24, 48, 50-56, 58, 60f, 65f, 145 307, 327f
Enthusiasmus 131, 145, 156f, 159, 165f, - des Besonderen 91
185f, 188 - Gottes 82, 96, 236
Entdeckungszusammenhang 58, 285 - intelligible 179, 186
Erfahrung 34, 37-41, 45, 49, 52, 72, 84, - temporale 8, 255, 261
93f, 101, 103, 143f, 158, 164, 206, 221, s.a. Faktizität, Position, Relation, Zeit
245, 249, 305, 355 Existenzsatz 92, 251-254, 267, 380
- dichte 201, 357, 359f Externität 89, 109, 131, 198, 201, 204, 248,
- mystische 55, 143 258, 267, 289, 298, 305, 322, 339

381
- Jesu Christi 12 Gebet 7, 145, 148, 168, 173, 178, 181-183,
- des göttlichen Namens 200, 206-208, 187, 225-229, 234, 242, 244, 267, 288,
218, 235, 254 310, 318, 320, 327, 339-343, 351, 353,
361-369
Faktizität 18, 20, 117, 119f, 125f, 226, 236 Gebetshandlung 361-364
- praktischer Freiheit 26, 37, 126f Gebot 43f, 147, 159f, 241f, 309-321, 330f
Faktum 39, 66, 68, 169 - Erstes Gebot 270, 306, 362f, 369
- der reinen Vernunft 26f, 33, 37, 69, Gebrauchssituation 260f, 268,275, 277, 286
116-118, 120, 123, 125f, 138, 146f, 149, Gedächtnis 344, 361-367, 369
162, 168f, 175f, 179f, 190, 241 Gedächtniszeichen, s. signum rememorati-
- der Religion 66f, 140f, 145f, 162, 168, vum
188, 196, 202, 226 Gefallen 65, 99, 104, 110, s.a. Wohlgefallen
s.a. Augenblick, kategorischer Imperativ Gefühl 44, 51, 55, 82f, 86, 88f, 96-99,
Feindesliebe 319 101-104, 106, 110, 113, 123, 131, 148,
Festzeit 337-339 178-183
Fiktion 56-60, 137, 185 - ästhetisches, kognitives 29, 88, 91, 99,
- polemische 56, 59, 75, 77, 136, 150, 187, s.a. Lust, Wohlgefallen
174, s.a. ethischer Naturzustand - des Gebets, s. Anbetung
Formalismus 30-32, 123, 125f, 166, 313 - moralisches 110, 119, 171
Fortschritt 28f, 41, 45, 61-64, 152, 155, - mystisches 143
157f s.a Achtung, Freiheit, Geheimnis
Französische Revolution 29, 58, 155, 158 Gegenwart 19, 189, 259, 236, 276, 299, 228,
Freiheit 2, 29, 34, 39f, 42, 46, 72, 75, 86, 362-365
90, 92, 94, 109f, 117, 120, 122-126, 132, Geheimnis 1-15, 18, 20-29, 74, 76, 79, 98f,
147, 154-156, 170, 179, 184f, 187, 190f, 109, 124-127, 144f, 162, 182, 186-192,
283f, 302f, 305, 339 194, 200f, 214, 218, 228, 232, 235f, 240,
- absolute 6, 74, 82, 89, 136, 172, 186 264, 266f, 269, 279, 28 lf, 307f, 312, 334,
- anfangend-arbiträre 33, 45, 47, 166, 186 336, 339-342, 345-347, 356, 360-369
- fühlbare 145, 164 - absolutes 9f, 12
- geschöpfliche 4, 6, 8, 27, 33, 62, 65, - begreifbar unbegreifbares 6, 114, 192
117, 145, 159, 162, 164, 167, 183, 186, - geschöpflicher Freiheit 27, 33, 62, 65,
200 125, 159, 167, 172, 183, 186
- ikonische 33, 109, 179-181 - negatives 33, 78, 167, 192, s.a. Negati-
- intelligible 39, 87, 109, 118, 121, 317 vismus
- praktische 26-28, 33f, 37-39, 43, 45, - fühlbares 27, 65, 147, 165, 178, 183,
85, 117, 119, 121, 124-127, 135, 157 186
- schöpferische 74, 134, 161, 181, 302 - öffentliches 10, 14, 167
- überseiende 303f - Gottes 2-6, 9-12, 20f, 25, 78, 148, 165,
- unendliche 4, 6-8, 27, 33, 70, 74, 117 172, 186f, 191, 239, s.a. Gott
s.a Geheimnis, Lebensform, Urteilskraft - des göttlichen Namens 3, 6, 9, 13, 19,
Freiheitsleidenschaft 184f 195, 197, 201, 203, 357
Frieden 72, 75, 284, 286, 289, 306, 330, - der Hoffnung 3-5, 8f, 11, 13, 24, 26f,
348, 353, 355 48, 62, 148, 164, 191, 212, 266, 307
Frucht des Reiches Gottes 287, 311, 314, - der Religion 32, 147
317, 320-324, 330f, 340 s.a. Aporetik, .arcanum', .mysterium',
.secretum', ikonisch, Mysterium, Wahr-
Gabe ,des Namens' 145, 162, 198, 204, 206, heit
210, 218, 235f, 239, 245, 247, 266, 270, Geist 9f, 21, 62, 68, 130, 154f, 163, 181,
277, 307, 312, 344 225, 233, 245, 284, 323, 337f, 361, 363-
Gebärde, liturgische 22, 243, 300, 312,344- 369
346, 348, 353, 355-357 - des Gebets 145, 18 lf, 242

382
- Heiliger 1, 5, 223f, 232, 312, 369-371 Gesetzmäßigkeit 69, 119, 122, 126f, 131,
Geistesgefühl, negativistisches 181, 191 133f, 166
Geistleib 359f, 369-371 Gewissen 24, 29f, 33, 48, 50f, 56-59, 62,
Geltung 17, 21, 91, 138, 183, 231, 233, 64, 66f, 98, 119-122, 138, 146-148, 154,
236f, 242, 247, 251, 255, 258, 261f, 273, 161f, 164-166, 169-171, 173-175, 180,
288, 309, 325, 328f, 343, 346, 369 182, 186-188, 190-192, 313, 339
Geltungsbereich(e) 233, 237, 26lf, 264, 267, - böses 120f, 190
288f, 329, 331, 334 - dijudikatorisches 165
Gemeinsinn, s. sensus communis - imputatives 120
Gemeinde 21f, 67, 228, 230, 236, 239f, - Instinkt 119f, 162
248f, 334, 337f, 341f, 348, 351f, 355, 357, s.a. Dialektik, Imputation, sensus com-
359-369 munis, Urteilssinn
Gerechtigkeit 3, 17, 57, 64f, 67f, 99, 136, Gewissenhaftigkeit 31, 66, 98, 135, 166
142, 147, 150f, 153, 155, 167, 172, 185f, Gewissensrevolution 164, 168
23 lf, 300f, 308, 323, 328f, 347, 349, 353, Gewissheit 27, 36, 75, 122, 225, 227, 247f
355, 357f Glaube 2, 10, 24, 35, 61f, 72, 140, 154, 199,
- Gottes 25, 33, 60-62, 64, 68, 138, 140, 209, 216, 234f, 239, 247f, 262, 264, 266-
145, 147-149, 160f, 234-236, 264, 266, 268, 271, 273, 279f, 305, 307, 311, 327,
307 336, 339, 359, 362f, 369
s.a. Gericht, Imputation, Versöhnung - homologischer 236
Gericht 2, 33, 60, 62f, 65, 152-154, 189, - moralischer 35, 43f, 48, 55, 82, 148
202, 211-213, 232, 237f, 254, 319, 349, Glaubensbekenntnis, s. Bekenntnis, Credo
351, 354, 362, 364, 366 Glaubensrede 199, 259, 264-268, 274f, 291
Gerichtsdoxologie 233, 340f, 345, 368 Glaubensaussage 139, 255, 258, 264, 266
Geschichte 40f, 67, 73, 140f, 152, 194, 202, Gleichnis 208, 215, 217
249, 269 Glückseligkeit 38-44, 50-55, 67, 71, 180,
- wahrsagende 29, 152, 155, 157-159 188
Geschichtstheologie 33, 38-42, 46, 152, 158 Glückswürdigkeit 38, 40-44, 51, 53
Geschichtszeichen 29, 152, 156-159 Götter 78
Geschmack 29, 81, 99f, 103, 108, 110 göttlicher Name, s. Name Gottes
Geschmackskritik 29, 99, 155 Gott 1-8, 11, 20f, 25, 33f, 37f, 42-47, 49,
Geschmacksurteil 99-105, 107f, HOf 54f, 58, 61f, 64f, 70-74, 76-79, 82, 84, 90,
Geschöpflichkeit 27, 33, 85, 117, 127, 135, 97, 125, 135, 142f, 147f, 154-156, 187,
169f, 172, 185, 190f, 199, 270, 278, 282f, 189-191, 201, 207, 220, 222, 225, 227,
285, 292, 297, 307, 353 229-232, 234, 239f, 242f, 247, 256f, 259-
s.a. Freiheit, Kreatürlichkeit 262, 264-266, 268, 274f, 278, 283-285,
Gesetz 29, 33f, 39f, 42-48, 50-55, 57f, 66, 289f, 295, 297, 299, 304f, 310-312, 317,
69, 80, 84, 86, 92, 110, 118-120, 122-126, 320, 323, 326-328, 331, 335f, 342, 350,
130f, 134f, 137, 141, 144, 157, 171, 179f, 353f, 366-369, s.a. Name Gottes
185, 194-196, 200, 205, 213f, 237, 270, - allerrealstes Wesen 79, 129
278, 284f, 287-289, 301, 306, 308f, 311, - Gesetzgeber 136, 146, 161
313f, 316-321, 323, 327, 331, 334, 347, - Grund 79f
356 - Herzenskündiger 62-64,135,159f, 163,
- in uns gegebenes 116, 118 164f, 170
- messianisches 332 - Ideal 46, 70f, 80
- Stimme des 6, 147, 162, 169, 172, 190, - Regent 30, 147, 151, 161
241 - Schöpfer 136, 146
s.a. Faktum, Kategorischer Imperativ, - Souveränität 5, 136, 186
Lebensform, Werk s.a. Absolutes, Ewigkeit, Existenz, Frei-
Gesetzgeber 30, 48, 58, 134, 136, 146f, 159, heit, Gerechtigkeit, Gericht, Liebe, Posi-
161, 188, 310 tion, Richter, Versöhnung, Wahrheit

383
Gottesbeweis 33, 49, 70f, 74f, 77f, 117, 328 299, s.a. Bibel, Gesetz, Metapher, Meta-
Gottesdienst 4, 7, 15, 20f, 74, 183, 194f, phorik, Verheißung
288, 357, 360 Heiligung des Namens 194, 196f, 213, 219,
- christlicher 15, 149, 151, 356 225, 237, 286, 299, 309, 329, 347, 362,
- jüdischer 15, 152, 194 364f, 367
- innerer 189, 191 Heiligkeit 66, 116, 287, 300, 310
- öffentlicher 149, 201 Heimkehr 193f, 196, 202, 211, 213, 229,
Gottesidee, s. Idee Gottes 270, 274, 307, 315, 347
Gottesname, s. Name Gottes Hermeneutik 125-127, 206, 317f
Grammatik 15f, 20f, 33, 36, 140, 148, 168, - juristische 123
191, 193, 195, 201, 206, 212, 219, 237, - praktische 141, 317f
253, 269, 277, 280f, 292, 307f, 311, 356 Herrlichkeit 235, 237, 240, 279, 324, 329,
- der Erlösung 294, 321, 342 332, 351, 353, 356
- des göttlichen Namens 215, 275, 339, Herz 66, 116, 160, 164, 170f, 227, 232, 312,
356 315, 320, 350, s.a. Gewissen
- des Segens 285f, 289, 304 Herzensgrund 63
- der Schöpfung 293-298 Herzenskündiger 62-64, 135, 159f, 163-
- praktischer Vernunft 139f, 161 165, 170
- kultischer Zeichen 15, 197f, 203, 205, Hingabe 365-367
343 Hören, das 117, 145, 147, 162, 233f, 241,
Grenze 4, 11, 21, 32, 44, 47, 50, 59, 62, 79, 269, 313, 368
91, 127-130, 178, 219, 240, 265, 269, 274, Hörgemeinde 367f
308, 310, 333, 339-344, 351, 361, 368 Hoffnung 1-9, 11, 13-15, 23-28, 30, 32-51,
- innere 200, 209, 236, 289, 328, 334, 54, 59-65, 69f, 86f, 99, 111, 127, 131,
341-343, 356, 363, 366 133, 136, 147, 149-151, 154, 159, 164-
Grund 11, 20, 57-59, 61, 70, 76, 78, 80, 87, 166, 168, 175f, 180, 185-187, 191f, 194f,
89-91, 95-98, 128f, 249, 258, 283, 285, 197, 199-201, 203, 209, 211f, 216, 220,
299, 303, 305, 353, 365, 369 225, 235f, 239-240, 266, 28 lf, 284f, 287,
Grundsatz 35-38, 40-43, 88, 93f, 117, 119, 289, 311, 320, 323f, 327, 329-332, 335,
124, 139, 142, 268, 274, 280, 282, 298, 338-346, 349, 351f, 355, 363f, 367, 369
324, 326, s.a. Kanon, Regel - augenblickliche 59-65, 165, 176
Gut, das höchste 7, 38f, 42-46, 48, 50-54, - Dialektik der 49, 51, 150, 176, 339
58, 61, 71, 86, 127, 137, 188, 225 - ikonische 1, 2, 165f, 192, 348f, 352
Gute, das 48, 54, 56, 63, 119, 123f, 132f - negative 30, 48, 63, 65, 146, 155, 162,
Güte 67, 99, 231, 270, 273, 279f, 286, 290, 173, 175
294-296, 300, 304, 308, 328, 342, 390 - sichtbare 16, 151, 343, 348
s.a. Enthusiasmus, Gericht, Gott, höch-
Handeln/Handlung 8, 18, 22, 40, 46, 51- stes Gut, Reich Gottes, sensus commu-
53, 56f, 62, 65, 73, 120f, 123f, 132, 136, nis, Urteilssinn, Verheißung, Wahrheit
158, 200, 206, 260, 274, 278, 311, 314f, Hoffnungsfrage 23-26, 30-38, 42-47, 54,
319-324, 330, 355f, 360, 368f 58, 69f, 83, 99, 168, 187
- freies 41, 51, 122, 154 Hohelied 208, 217
- Gottes 61f, 154-156, 189, 194, 304, homo noumenon 63f, 144
317, 342 Homologie 2, 4f, 15, 162, 195f, 198f, 202,
- kommunikatives 281, 322 204-206, 208-213, 216, 218-220, 226,
- politisches 46, 153-155 235f, 239f, 254f, 259f, 263, 266f, 277f,
- sakramentales 13f, 73, 230, 362f 295f, 304, 326-330, 332-334, 339, 343f,
s.a. Freiheit, Konsens, Praxis, Repräsen- 346, 351, 353, 358, 360, 369
tation, Sprache, Sprachhandlung, Werk Hymnus 294, 321, 324, 331
Heautonomie 54, 84, 92 Hypothese 16, 48, 70, 75, 78, 91, 262, 268,
Heilige Schrift 142, 147, 161, 201, 206, 248, 317, 343

384
,Ich bin da' 196, 238, 243, 248, 250f, 253f, Kennzeichnung 251, 256f, 292f, 298f
256, 258, 261, 267 Kirche 1, 12f, 17f, 20, 67, 73, 140f, 262,
Ideal 24, 38, 42, 46, 48f, 53f, 66, 70f, 74f, 334, 338, 342f, 345, 367, 369-371
78-80, 87, 91, 127, 143 Kol Nidre 227, 350f, 353, 355
Idealismus 26, 39, 81, 204, 351 Kommen Gottes 254, 260f, 263, 272, 351f
Idee(n) 29, 34, 38, 40f, 44f, 48f, 54, 56, 61f, - Jesu 362
65, 70, 72, 77, 8lf, 86, 89-91, 95-97, 106, Konflikt 33, 39, 51, 57, 130f, 142, 187
113, 124, 126, 129f, 219f, 222f, 225, 241, - der Interpretation 56-59, 127-131, 184
258, 271f, 283, 304 Konsens 17, 21, 64, 107f, 111, 156, 312,
- Gottes 32, 42, 49, 81, 90, 92, 97, 129, 320
135, 182, 201, 305 Korrelation 27, 98, 117, 128f, 217-220,
Idol 60, 70, 77-80 223-226, 228f, 231, 236, 254, 283, 312,
Idololatrie 79, 149, 174 318f
Ikonisch lf, 33, 109f, 165f, 179-181, 192, Kreatur 285, 297, 306, 325
201, 205, 214, 329, 348, 352, 356, 361-371 - arme 184, 278, 284f, 292, 295, 298, 306,
s.a. Anschauung, Dichte, Freiheit, Ge- 308, 327, 330
heimnis, Hoffnung, Sakrament, Sehen, Kreatürlichkeit 10, 29, 65, 85f, 109, 149,
Sinn, Unendlichkeit, Zeichen 166, 187, 274, 306
Imperativ 27, 34, 38-43, 45, 119, 138, 165, - negative 27, 37, 78
324, s.a. Kategorischer Imperativ - praktischer Freiheit 27, 117, 125
Imputation 68, 120f, 123, 316f s.a. Freiheit, Geschöpflichkeit, Geheim-
Indikator 292f, 298 nis
Individuum 229, 293, 339, 358 Kreuz 10, 12, 72f, 174, 200, 213, 234, 239,
Instinkt, s. Gewissen 338, 359, 365, 367-369
Interferenz 17, 112 Kriegszustand 33, 56-58, 60, 75, 185
Israel 20, 152, 242, 262, 284, 288, 299f, 306, Krise 364-367, s.a. Gericht
310, 312, 323, 327f, 334, 341-346, 349f Kult 149, 151, 167f, 194, 230, 336, 357, 361
- der Vernunft 148f
Jesus Christus lf, 4, 9, 11-13, 19, 61, 72f, Kultkritik 148, 150f, 201
174, 188, 195, 227, 233f, 242, 245, 264, Kultruf 247, 267
274, 333f, 337f, 359f, 361-371 Kultschrei 244, 250
- ,in Christus' 200, 228, 233, 236, 247f, Kultur 59, 139, 141, 161f, 199, 327
267, 282 - des Gewissens 33, 60, 66
s.a. Kreuz, Menschenfreund, Geheimnis - der Hoffnung 159
Jichud Haschern 196, 198, 202, 205f, 209, - der Vernunft 27, 30, 59, 137, 139, 142,
211, 214f, 218, 228, 233, 235-237, 240, 159, 168
242, 277, 285, 320 Kunstregeln 97, 103-105, 111, 198f, 275,
Jom Kippur 213, 232, 239, 289, 348f 278
Judentum 5, 151, 162, 193-195, 213f, 226, Kyrios (Jesus) 199, 213, 239, 329, 334, 362
312, 334, 337
Leben 53, 101, 126, 130, 144, 154, 167,
Kanon 8f, 35-39, 41, 116, 122, 124, 131, 202, 234, 274, 280, 295f, 315, 320, 328
165, 313 - ewiges 194, 284, 316, 327, 329, 331
Kappara 201, 228, 232f - gutes 33, 138, 159, 162f, 165, 200, 306,
Katechese 182, 186, 197, 205, s.a. Mystago- 330, 361f
gie, Propädeutik - im Geheimnis 27f, 126, 167, 189
Kategorien 13f, 94, 104, 123, 129 - jüdisches 288f
Kategorischer Imperativ 27, 30, 33, 35-37, - messianisches 194, 214, 284, 296, 306,
40f, 48f, 54, 64, 85f, 109, 117f, 122-124, 311, 328
126, 133-135, 147, 162, 164, 183, 241, -wachsendes 286f, 289, 295-297, 308,
313, 320 320, 327, 330

385
Lebensform 4, 10, 27, 33, 127, 139f, 145f, 75f, 79f, 85f, 92, 107, 109-111, 116, 118,
148, 159, 190f, 194-196, 200, 205, 270, 120, 122f, 125-127, 131-138, 141, 143f,
274f, 278, 280, 314-321, 327 146f, 150-152, 154-157, 160, 162, 169f,
- geschöpflicher Freiheit 6, 151, 186f, 172-174, 176, 182-185, 188f, 229, 231,
190f 254, 278, 281, 297, 310, 312, 318, 327,
- jüdische/christliche 193f, 284 349f, 353-355, 366
- messianische 195f, 213, 235, 277f, 307, Menschenfreund 66-68, s.a. Jesus Christus
313, 316f, 327, 333 Menschheit 12, 18, 85f, 145, 147, 160, 174,
- Gesetz 194f, 200, 214, 267, 273, 282, 185, 280f, 323f, 354f
288f, 309, 311f, 314-316, 319f, 323f, Messianismus 194, 202, 213f, 225, 284, 311
329-331, 334f, 351, 356 Metapher 113, 128, 130, 132, 217, 237,
- praktischer Vernunft 140, 145, 191 275-277, 316, 329, 367-371
Leib Christi 42, 334, 359f, 364, 366, 368f - Metaphernmetapher 30, 354
Leidenschaft 138, 184-186, 223 Metaphorik 8, 113, 116, 127f, 161, 163,
Lernen 30, 115, 194, 196-198, s.a. Erlernen 199, 205, 237, 251, 256f, 274-278, 282,
Letztbegründung 27, 36, 88, 117, 138, 154, 355, 367-371
165, 181, 212 - biblische 30, 33, 59, 62, 76, 130f, 136,
Liebe 7, 9, 33, 51, 54f, 65-68, 109f, 131, 163, 290, 353
145, 150, 162, 176, 185, 188, 205, 207f, - semantische 130, 198f, 256
215, 227, 232, 235, 302, 308, 317, 320, - semiotische 198, 256
327, 330, 340f, 351, 353f, 359 - syntaktische 130, 198f, 256, 276, 307
- dialogische 207-209 - des Namens 30-32, 251-263, 367-371
- erwählende 203, 209, 215 Metaphysik 10, 23f, 27, 37f, 45, 52, 72-74,
- göttliche 10, 174, 208, 216 116-118, 121
Liebesgebot 241, 313f Methode, s. akroamatisch-diskursiv
Liebesbedürfnis 54-56 Mitgeschöpflichkeit 191, 278
Lippe, geläuterte 200, 219f, 225, 236, 281f, Mitteilung 68, 99f, 104f, 107, 111, 121, 191,
344, 347, 353f 322, 359, s.a. sensus communis
Liturgie 20, 201f, 230f, 339, 344-346, 349, Moral 27, 43f, 46, 48-50, 59, 125f, 138f
353, 356 Moralität 39, 41-44, 54, 138f, 155, 182
Liturgik 20, 151, 326, 345, 348 Mystagogie 10, 16, 186
Lob 2, 295, 324-326, 328, 334, 342, s.a. - rationale 6, 9, 33, 65, 146, 165, 167f,
Doxologie, Hymnus 190, 197
Logik 21, 52, 119, 126, 228, 265, 277, 280, - patristische 167
366 Mysterium 1, 3f, 9, 12, 186, 191f, 226
- dialogische 198 - des Lebens 145, 361
- des Namens 237f, 240f, 244-246, 248, - Jesus Christus 17f, 361-370
265, 267, 297, 339, 356 .mysterium' 167, 183, 189, 280, 332
- formale 34 Mystik, reine 27, 144-146, 161, 361
- praktische 34
- spekulative 337 Name(n) 241, 241-246, 249f, 250-256, 273,
- transzendentale 31, 35f, 98, 130 275, 292f, 296, 298, 300, 321, 325
Lüge, innere 33, 51, 56-59, 138, 161, 165, Name Gottes 2-7, 9-11, 14-19, 21, 30-33,
172f, 175f, 350f, 353 74, 140-148, 151, 162, 166-168, 182-184,
Lust 82, 88f, 96f, 100-104, 108-110, 178f 186, 192, 194-201, 203-211, 213f, 219f,
- ästhetische 108 215-220, 223-228, 234-236, 241, 244,
- der Reflexion 92, 101, 108 247-257, 258-268, 272f, 275-277, 279-
281, 286-289, 291-293, 295-300, 304,
Maxime 36, 40, 43, 55f, 58, 63, 65f, 106f, 307f, 312f, 317, 320f, 324-332, 333f, 339,
116, 120, 122-124, 126, 135, 218 342, 346f, 351-353, 355-359, 362-364,
Mensch 37, 39-41, 46, 49-58, 61-67, 72, 366f, 369

386
- Jesus Christus' 2, 4, 16, 213f, 239f, 308, 310, 312, 318, 329, 341, 343, 353
361f, 366f, 369-371 - Elimination 144, 218
- leiblicher 359f, 361-363, 367f, 369-371 Ontologie lOf, 13, 16, 24, 95, 127, 359
- ,der Name' 199f, 208, 211, 223f, 226, Ontologisches Argument, s. Gottesbeweis
229, 231, 233, 329, 357-371 Ontotheologie 8, 70,95f, 191, 279, 291, s.a.
- Name über allen Namen 200, 213f, Aporie
329f, 345f, 348, s.a. Dichte Opfer 151, 229-231, 234f, 348, 365-367
- trinitarischer Name 2, 9, 13, 195, 356, Orientierung 5, 24, 54f, 69f, 74, 81, 148,
360, 361-371 161, 187, 248
- unendlicher 1-3, 5, 15, 22, 205, 264, - reale 70, 80, 199f, 246f, 269-272, 29 lf,
289, 308, 329, 346f, 349, 357f, 361, 307f
370f - praktische 29, 41, 43, 86, 99
- Won und Feuer, s. Ur-Formel s.a. Weltorientierung
s.a. Deckname, Elimination, Geheimnis,
Gott, Negativismus, Tetragramm, selbst- Paradox 3, 120, 122f, 125, 172f, 188, 217,
bezügliches Zeichen 295, 326, 342, 353
Namenshomologie 206, 277, 327, 358 Personsein 120
Namensruf 199, 209, 241f, 244-246, 248, - christologisch 17, 367f
251, 325, s.a. Ruf Pflicht 30, 44, 49-52, 55f, 66, 80, 116, 124,
Namensverheißung 254, 264, 333, 339, 346 136f, 159f, 165, 173, 188f, 309, 312, 317,
Natalität 50f, 59-65 351
Naturgesetz 39f, 46, 83f, 132 - gegen Gott 148f
Naturzustand, ethischer 56-60, 136f, 164f, - der Menschheit gegen sich selbst 137f,
174, 176, 185, 188 150, 161, 190
Negation 85, 222, 258f Pflichtformel(n) 53, 137, 173
Negativismus 6f, 62, 144f, 148, 179, 182f, Pluralitat 50f, 65, 68, 78, 127, 199, 308, 360
346, s.a. Enthusiasmus - grammatische 130, 142
Negativität 62, 68, 70, 191, 304 Pneumatologie, s. Geist, Heiliger
Nichts 52, 72f, 216, 221, 246, 285, 302 Position 84f, 91-98, 104, s.a. Existenz
Nihilismus 151, 187 - absolute 71, 91, 93
Nominator, s. Name(n) - logische 92
Notwendigkeit 42, 44, 78, 80, 93, 101, Postulat 34, 61, 63, 70f, 94
105f, 126, 283 Postulatentheologie 33, 49, 79
- absolute 70-76, 90 Prädikation 91-98, 114, 273-277, 280, 283,
289f, 292f, 296, 298f, 307
Öffentlichkeit 12, 67f, 107, 111, 138, 141, Prädikator 242, 250, 252, 256f, 273, 291-
152, 157, 168, 171, 173f, 200, 230, 308, 293, 297f
320-322, 324-329, 331 Präsenz 63, 109, 146, 179, 182, 198, 204,
- eschatologische 12, 152f 211, 218, 254, 267, 276, 289, 337, 359f,
- gottesdienstliche 152, 311, 325-328 362
- revolutionäre 157, 159 - ,des Namens' 207f, 210, 215-217, 219,
s.a. Dialog, Diskursethik, ethisches ge- 235f, 255, 260, 269, 272, 281, 297, 313,
meines Wesen, Volk Gottes 363, 365
Ökonomie s.a. Augenblick, Gegenwart, Diachronie,
- göttliche 200, 210, 236, 260, 262, 284, Realpräsenz
286, 289, 305, 311, 320, 335f, 340, 353 Präskription 262, 268, s.a. Beschreibung
- messianische 283, 304, 306, 308 Praxis 33, 136, 159, 225, 36lf
Offenbarung 2, 9, 65, 73f, 118, 122, 141- Prinzip 2, 36, 40, 46, 49f, 52, 56, 69, 71,
144, 146-149, 172, 191, 199, 204-206, 77, 89, 95, 130, 142, 265
215, 217f, 237, 239, 246f, 249, 256, 260, - der Urteilskraft 84
263, 278, 283f, 295, 297, 299f, 303-305, - der praktischen Vernunft 116

387
- der Vernunftreligion 116, 137, 172 - der Gesinnung 116
Privatsprachlichkeit 57f, 66 - des Herzens 116, 164
Privation 302-304 Rezeption ohne Rezeptivität 162
Propädeutik 131-134, 324-330 Rezeptivität 37, 119, 185
Proskynese 239, 286, 289, 344-346, 352f, Richter, göttlicher 30, 56-58, 64, 135f, 150,
355, 357-359 156, 159f, 189, 226, 255, 268, 328, 345,
348f, 352
Realpräsenz 336-339, 360, 362f, 369-371 Richterschaft 56, 58, 60, 63, 67, 135f, 150,
Realsymbol 13, 17, 19, 366f 174, 186-188
Rechtfertigung 46, 55, 160, 227, 230, 264 - dijudikatorische 162, 190, 187f
Rechtfertigungsbedürfnis 55, 154-156 - eschatologische 146, 161, 348
Referenz 31, 253-256, 267, 275, 277, 280, Ritual 230
307, 365, s.a. Bezugnahme Ritus, s. Sühneritus
Reflexion 31, 38, 41, 43, 48, 58, 64f, 67, 70, Rubrik 290-292
72, 76, 79, 84, 87-92, 101f, 103, 106, 108, Ruf 217, 226, 233, 243, 248, 258, 267, 273
HO, 128f, 131, 148, 189, 304f, 326 Rückkehr 278, 284, 351, s.a. Umkehr
- der Reflexion 28, 70, 80f, 87, 89-91,
96-98, 100, 102, 111, 130, 155, 165, Sabbat 284, 288, 292, 299-301, 308, 336
171, 186f Sakrament 1-5, 7, 11-14, 16-22, 73, 148f,
s.a. Amphibolie, Denken, Urteilskraft 152f, 157f, 166, 183, 191, 197, 319, 337f,
Regel 2, 36f, 40, 43, 63, 80, 100, 104f, 107, 346, 355-357, 359-360, 361-371
113, 128-131, 175, 198f, 261, 265, 267, - Jesus Christus 4, 12, 361-371
275, 277, 342 s.a. Ikonisch, Zeichen
- der Urteilskraft 80, 132, 256, 258, 262 Satz 2, 8, 24, 31, 34, 72, 266, 276f, 282,
s.a. Kategorien, Kunstregeln 292, 298, s.a. Aussage, Verheißungssatz
Reich 46, 132, 135, 160, 163f, 175, 186, - universeller 258, 262, 264f, 268
260, 285, 320-324, 330f, 340, 351f, 369 - vom ausgeschlossenen Dritten 2, 240,
- Gottes 12, 17f, 24, 41, 48, 56, 59, 61, 264, 267
65, 127f, 136f, 140, 142, 174, 187-191, Satzwerdung des Namens 238, 243, 250f,
200, 225, 287, 311, 314, 317, 323, 327, 254, 259
335, 364f, s.a. höchstes Gut, Zweck Sch'ma Jisrael 196, 198f, 205f, 208-210,
Reichweite 17f, 21, 107, 197, 237, 261f, 215f, 218-220, 228, 233-237, 257, 277,
273, 288f, 301, 325, 331, 346, 365-368 320
- des Namens 235f, 328f, 335, 351, 356 Schöne, das 29, 31, 81, 94, 99-102, 108f,
Reinigung 163f, 171, 220, 224f, 227, 229, 111, 186, 192
232, 236, 280, 282, 348, 350 Schon-Da-Sein 260, 279, 283, 295-299, 308
Relation 30, 70, 109, 129 Schöpfer 74, 96, 118, 136, 146, 150, 189,
- reale 8, 91-98, 223, 226, 236, 253f, 268 222, 269, 283, 294f, 300f, 304, 306, 328,
Religion 16, 24, 27, 34, 48f, 59, 66, 135, 330, 353
137, 144-149, 151, 161f, 168, 191, 196, Schöpfung 48, 74, 79, 86, 127, 134, 150f,
202, 226, 361 178f, 187-190, 247, 260, 271, 273f, 277f,
- eigentliche 140-142, 149, 161 280, 283-285, 293-295, 297-301, 303f,
- natürliche 35, 139f, 149 307f, 329, 347, 353
- politische 7, 148, 151f, 161, 174 - Neuschöpfung 116, 274
Religionstheorie 6f, 9, 11, 14, 18f, 27 - Schöpfung-im-Anfang 269f, 274,
Repräsentation 13f, 16, 112, 114, 191, 270f, 278-282, 284, 298, 307f
297, 339, 348, 360, 367 - Schöpfung-im-Wort 269f, 274, 279f,
- anamnetische Christusrepräsentation 307f
13, 364-366, 367 Schuld 68, 316f, 354, s.a. Sünde
Revolution 63, 155-158, 168-170, 172f, Schuldbekenntnis 198, 201f, 227f, 230f,
175f, 186, 188 236, 249, 353, s.a. Sündenbekenntnis

388
Schweigen 10, 167, 182, 234, 343-345, 358, - verfassungsrechtliche 157
361f, 367 Spannung 70, 101, 130, 156, 248, 253f,
,secretum' 167, 279f, s.a. Geheimnis 256f, 326
Seele 34, 130, 227, 278, 289, 313, 320, 325f, Spiel, der Vermögen 100, 102-104, 108
330, 350, 354, 358f Sprache 1, 57, 76, 98, 115, 128f, 274, 276f,
Segen 285-292, 299-302, 304, 308, 316, 327 280f, 296, 307, 342, 344, 369
- Sabbatsegen 299f - ethische 58f, 138, 141, 161, 326
Segensgruß 289, 300, 357 s.a. Grammatik, Handeln
Sehen 8, 29, 111 Sprachbewegung 208, 217f, 237, 355
- ikonisches 2, 108f, 111, 145, 176, 191 Sprachgemeinschaft 247, 257
- intuitives 27, 117 Sprachhandlung 232, 237, 245, 249, 255,
Sein 18, 78, 92-94, 97, 195, 22lf, 224, 302f 260, 275, 278, 325, 342, 356
- absolutes 70f, 89, 91, 222 Sprachspiel 195, 274, 281, 292, 311
- intelligibles 121 Sprachzeichen 30, 33, 59, 206, 243f, 247,
- in Christus 140, 200, 369-371 255-257, 260, 273, 277f, 282, 286, 292,
s.a. Existenz, Position, Relation 307, 343f, 346
Selbstbeurteilung 39f, 50, 63f - liturgische 15, 209, 214, 277
Selbstbewußtsein, s. Bewußtsein Standnahme, experimentierende 142
Selbsterneuerung 23 lf Stellvertretung 235, 367f
Selbstgesetzgebung, s. Autonomie Staunen 2, 6, 25, 48
Selbstheiligung 229, 231 Stimme
Selbstrichterschaft 33, 351 - des Gebots 310, 314, 318, 320
Selbstvorstellung(sformel) 238f - des Gesetzes 6, 147, 162, 169, 172, 190,
Selbstzufriedenheit 110, 145, 179-181 241
Selbstzweck(formel) 85 Streit der Fakultäten 141
Selicha 198, 201, 209, 227f, 231f, 236f Subjektivität 25, 72f, 93, 121
Semiotik s. Ikonisch, Symbolik, Typik, Substrat, übersinnliches 81-91, 179
Zeichen, Zeichentheorie Sünde 17, 173, 229-231, 280, 310, 349, 353,
sensus communis 29f, 50, 66, 100, 104-107, 366-371
HOf, 171, 183, 186f, 191 Sündenbekenntnis 228, 347, 349
Sichtbarkeit 1, 109, 111, 343, 348f s.a. Bekenntnis, Schuldbekenntnis
Sidur 194 Sühneritus 347f
signum demonstrativum 3, 152, 158, 174, Symbiose, Wahrheits- 193
347 Syllogismus, praktischer 320
signum prognosticon 3, 29f, 99, 152f, 155, Symbol 12, 16-18, 30, 59, 64, 81, 111-114,
158, 168, 174, 195, 320, 322, 328, 331, 116, 127f, 132-134, 163, 189, 224, 275,
336, 346, 367 366f
signum rememorativum 3, 152, 158, 174, - eschatologisches 164, 194
346 - juridisches 134
simul iustus et peccator 17, 173, 227 - praktisches 13 lf, 134-136
Sinn 4, 29, 59, 278 Symbolik 54, 65, 116, 127, 133, 151, 164f
- innerer 63, 99-103, 107, 111, 175f, 178f - juridische 169, s.a. Typik
- semiotischer 2, 10, 176, s.a. Urteilssinn Symbolisation 25, 80f, 97, 99, 108, 128,
- fürs Unendliche 8, 11 149f, 163, 192, 270, 320
Sittengesetz 38-41, 53, 86, 122-124, 126, Symbolsystem 112, 114f, 270, 274, 344,
132 349, 360
Sittlichkeit 38-43, 48, 52f, 59, 131, 142, Synchronie 259
223 Synekdoche 359
Sollen 39, 41, 45, 190, 310, 315, 317 System 35, 40-46, 52f, 70, 82-84, 140
Souveränität 6, 136, 170, 264
- göttliche 186

389
Tat, intelligible 173, 175 Unveränderlichkeitsformel 261-263
Taufe 1, 12, 73, 149, 168, 173, 191, 337 Unterscheidung 105, 114, 146, 242, 245-
Tetragramm 2, 198, 207, 209, 238f, 240- 248, 255f, 260, 265, 269, 271, 273f, 278-
244, 248-250, 253f, 256-258, 347 280, 285-289, 291f, 297f, 302, 306, 308,
s.a. Name Gottes 320, 344, 355, 358, 360
Teleologie 46, 51, 82 Ur-Formel des .Stern der Erlösung' 237f,
Theologie 1-11, 19, 21, 24, 33f, 46, 49, 59f, 267, 333
69-71, 76, 80, 113, 141, 143, 223, 271, Urteil 25, 29, 31, 50, 75, 85-89, 92f, 98,
274, 278, 307, 311, 346 101-107, 120, 132f, 136, 175, 206, 219f,
- katechetische 4, 6, 14, 167, 197, 201, 262, 277, 311, 320
347, 355, 357 - ästhetisches 82, 86, 88f, 91, 97, 99-102,
- natürliche 7, 96, 117 104f, 108
- negative 33, 61, 204 - eschatologisches 152, 161, 202, 334
- politische 6f, 33, 41-47, 117, 152f, 158, - exemplarisches 107, 110
161, 187 - Gottes 63, 231
- transzendentale 7, 28, 33, 46f, 59f - praktisches 60, 62, 99, 127, 139, 146,
Theorie der Theologie 5-11, 24 155
Theorie der Urteilskraft 28, 33, 70, 81f, 89, s.a. Existentialurteil, Logik, Position,
97, 103, 152 Prädikation, Regel, Satz
Tiefe 366-371 Urteilsbildung 99, 103, 106f, 136, 196f, 320
- des Reichtums Gottes 340-342, 344 - eschatologische 152, 155, 203
- der Hingabe Jesu 365-371 - ethisch-politische 152f
Tod 61, 73, 78, 235, 295, 328, 354, 361f, - historische 99, 155
364, 367, 369 Urteilsdimension 311, 320, 324
Topik 66, 184, 192 Urteilsfreiheit 7, 100, 153f, 161, 164f, 172,
- transzendentale 70, 97f, 130 312, s.a. Freiheit
Tora 237, 279, 314, 320, 331, 356, 358 Urteilsgefühl, s. Gefühl, sensus communis
Totalität 41, 44f, 47, 53f, 76-78, 178, 202 Urteilsgrammatik, s. Grammatik
trigrammaton 238, 243, 249-251, s.a. Name Urteilsgrundsätze, s. Grundsatz
Gottes Urteilskonsens, s. Konsens
Tugendkampf 64, 168 Urteilskorrelation, s. Korrelation
Typen 28, 31, 81f, 89, 127, 136, 163, 297f Urteilskraft, 25-29, 35-38, 57, 69f, 74, 79-
- praktischer Urteilskraft 28, 131, 203 85, 91f, 95-103, 130-132, 152, 158, 161,
Typik 33, 54, 59, 116f, 127, 130-134, 149, 165, 176, 178, 191f, 203, 256, 258, 260-
161, 163, 165, 184, 320 262, 264f, 268, 274f
Typus 86, 132f, 290, 338 - ästhetische 14, 25f, 29, 31, 33, 66, 70,
83, 89, 91, 96f, 110
Übersinnliche, das 54, 69, 81, 87, 92, 125, - bestimmende 36, 54, 69, 83, 95
144, 148 - eschatologische 33, 121, 148, 168, 174,
Umkehr 229-231, 236, 280, 348f 203, 214, 263, 320, 322, 339f
Unbedingte, das, s. das Absolute - explorative 198, 203, 276
Unbegreifbarkeit 3, 6, 29, 61, 66, 72, 80, - geschöpfliche 25-27, 83f
127, 145, 181 - moralische 50, 83, 121, 171
Unendlichkeit 1-3, lOf, 15, 17, 74, 183, - praktische 25-27, 31, 34, 38f, 43, 49,
186, 188, 192, 199-201, 231, 240, 263- 56, 59, 69, 110, 120, 122-126, 131f,
266, 304, 341, 349, 356, 361, 369-371 134, 136, 139, 146, 149, 309, 313, 339
- dialogische 68, 308, 330, 357f - reflektierende 27, 54, 69, 70, 74, 79-89,
- des göttlichen Namens 3, 5, 15, 205, 95-97, 111, 276
264, 289, 329, 346f, 357f - sich selbst richtende 59, 121
- schlechte 62, 64, 68, 166, 263 - teleologische 85, 89f, 113
Unentscheidbarkeit 334, 342 s.a. Alternanz, Symbolisation, Typik

390
Urteilspraxis 66, 118, 125, 138, 141f, 161, - rezeptive 27
170, 187, 189, 191 - spekulative 45, 70f, 75, 77
- öffentliche 147f - theoretische 35, 38, 41f, 47, 53, 77, 121
Urteilsregel, s. akroamatisch-diskursiv, Ka- - utopische 66
non, Kategorien, Kunstregel, Regel Vernunftbedürfnis 54f, 70, 78
Urteilssinn 24-26, 28f, 33, 50, 70, 96, 99, Vernunftdialektik, s. Dialektik
187, 197, 286f, 307, 311f, 315, 320, 351 Vernunftglaube 144, 147
- eschatologischer 8, 21, 192, 287, 289, Vernunftkultur 67, 139, 159, 162, 195, 199,
318 361
- hermeneutischer 317f Vernunftreligion 7, 35, 116, 137, 140f, 143,
- praktischer 313, 317f 147, 149, 172, 280
Versöhnung 151, 189, 201, 224, 226-229,
.Vater' 67, 233-235, 240, 242, 361-363, 366 232, 236, 265, 347f
Verantwortung 30, 46, 59, 134, 135f, 145, Versöhnungstag 76, 201f, 211, 228, 230f,
159, 161, 172, 309f 301, 339, 344-354, 358
verbum, tamquam visibile lf Verstand 30, 36, 76, 79-82, 84, 86, 88-90,
Verborgenheit 304, 319, 340 94-96, 99f, 105, 132f, 176
Verdinglichung 285 Verwendung 247, 250, 267, 273
Verewigung 215-219 Verwendungssituation 241f, 244, 248, 257
Vergangenheit 14, 155, 236, 256, 295-298, Verzweiflung, moralische 52
303f, 337 Volk
Vergebung 68, 198, 202, 211, 227, 231 - ewiges 212f, 216f, 235, 242, 284f, 325,
Vergegenwärtigung 3, 154, 167, 235, 255, 327, 354
296, 347, 362-366 - Gottes 12, 18, 159, 163, 171, 173, 194,
Verheißung 2f, 6, 8, 18, 2lf, 25, 30, 37, 42- 295, 300, 323
48, 61, 67, 130f, 141f, 147, 153f, 173, 189, - messianisches 201, 290, 323, 327, 331,
199f, 211, 219, 233-235, 242, 248, 254, 349
259, 261f, 264-266, 284, 292, 294f, 299, Vorsehung 283, 285, 290, 298, 301f, 305
304, 307, 321f, 332-334, 336, 339f, 343,
345, 351, 360, 362-364, 368 Wahrheit 2, 3, 10, 12, 20, 44, 63, 77-79,
- des Gesetzes 33f, 48, 159 98, 107, 122, 124, 142, 145, 147, 159,
s.a. Namensverheißung, Metaphorik 165, 167, 170, 175, 186, 195, 200f, 212,
Verheißungshandeln 260, 339 218f, 225, 233, 235, 237, 241, 244f, 259,
Verheißungsname 11, 15, 21, 196f, 248, 261, 264, 266, 286f, 296, 306, 313, 327-
251, 258, 264, 266, 323, 342, s.a. Name 331, 333f, 346, 357, 359, 364, 368f
Gottes s.a. Unendlichkeit, Verifikation
Verheißungssatz 198, 251, 254, 267 Wahrheitsverwandtschaft 193f, 333
Verifikation 146, 237f, 251f, 263-265, 281, Wahrnehmen 70, 97f, 105, 132f, 250, 270f,
296, 328, 342 284, 311, 333, 335f, 351
Verifikationsfeld 252-255, 268, 307 W'ahabta 210, 241f, 313, 320
Vernunft 26f, 30, 32-45, 48, 50-55, 59-61, Weisheit 5, 33, 36, 63, 65, 124, 131, 133,
66f, 69, 74-78, 83, 98, 116-118, 120, 123, 170, 178, 183, 203, 237, 301, 303-306,
125, 129f, 137, 145-149, 159, 162, 168f, 312, 318, 342
175f, 179f, 190, 199, 201, 236, 241, 281, - göttliche 61, 320
305 - kreatürliche 62, 133, 161, 165
- praktische 24-26, 28, 32f, 35, 37, 39- - negative 28, 61, 99, 157, 159, 170, 176
41, 47-54, 56, 59f, 71, 80, 86, 91, 109f, - praktische 28, 161, 176, 183, 185, 189f
116f, 119, 121-124, 128, 131, 138-140, Welt 1, 10, 38, 50-52, 86, 109, 127, 131f,
142, 145, 161, 179, 191, 220, 225 263, 269-272, 284, 288f, 361
- reine 27, 32, 35-40, 42, 45, 47, 51, 75f, - jüdische 194, 196
88, 91, 121, 223 - künftige 35, 42, 45, 124, 288f

391
- intelligible 38, 42-44 Zeichen 14-21, 29, 62, 65, 70, 115, 146,
- moralische 41, 44, 54 s.a. Typik 186, 214, 266, 278, 299-301, 331, 344-
Welterfahrung 25, 38, 133, 159, 190 346, 363f, 367f
Weltorientierung 44, 46, 69, 163, 200 - anschauungsgesättigte 109
Werk 133, 154, 254, 289, 295, 299, 301, - endliche 183, 286, 357
306-322, 331, 340, 363, 369 - eschatologische 3, 14f, 19, 151, 201,
- des Gesetzes 196, 237, 290, 319, 324, 286, 328, 336, 345, 348, 355
330, 334 - gottesdienstliche, kultische, liturgische
Wesen, ethisches gemeines Wesen 30, 58, 3f, 7f, 14f, 18f, 21, 111, 147f, 152, 155,
137-139, 141, 145, 150, 157, 159, 161, 166, 168, 183, 193, 195-198, 200-203,
164, 168, 173f, 176, 186, 188f 205, 214, 228, 270, 272, 237, 343f, 348,
Widduj 198, 201, 209, 227-230, 236f, 349, 355-357
353, 355 - historische 8, 328
Widerfahrnis 48, 65, 89, 91, lOOf, 105, 111, - ikonische, sakramentale 2-4, 8, 11, 14-
169, 278, 311f, 317, 319-321, 324 18, 20, 62, 191, 197, 308, 319, 332-334,
Wiedergeburt 116, 164, 169, 172 339, 343, 345-347, 355, 358, 360
Wiederholung 247, 273f, 336, 343, 354 - selbstbezügliche 109, 116, 119, 145,
Wille 24, 34, 39f, 46, 49f, 52-54, 56, 58, 162, 242f
66f, 69, 71, 80, 85f, 89, 118, 120, 123- - zeichenlose(s) 18 If
125, 134-136, 160, 170, 302f, 313, 350 s.a. Geheimnis, Ikonisch
- göttlicher 48, 61, 80 Zeichenhandlung 17, 361-364
Wirklichkeit 10, 28, 44, 55, 67, 79, 82f, 88, Zeichentheorie 14, 16, 20, 23, 30, 103, 112,
93, 95, 124, 240, 298, 302, 305, 310, 167, 185, 203
319-321, 330f, 350, 359 Zeit 64f, 68, 72f, 174-176, 178, 253, 255,
Wissen 39, 72, 85-87, 102f, 118f, 122, 124, 258f, 271, 287, 291, 296, 299-305, 308,
138, 145, 259, 367 311f, 320, 336f, 348, 351, 358
Wohlgefallen 81, 91f, lOOf, 103, 105, 110, - inkommensurable 65-68, 300, 308
156, 179f Zufriedenheit 51, 59-65, 110, 179, 180f,
Wort 10, 15, 17, 21f, 72f, 142, 237, 240, 185, 188, 190
243-249, 278, 289, 312f, 319f, 330, 337, Zukünftigkeit Gottes 3f, 6, s.a. Wahrheit
342-346, 360, 368 Zukunft 14, 194, 236, 255, 313, 332, 337,
- dialogisches 204, 226, 243f, 246, 267 341, 343, 355
- leibliches 361-364 Zweck an sich 86, 109, 135, 150, 160, 176
- sichtbares 361, 364 Zweistämmigkeit der Erkenntnis 83, 90,
Würde 160, 185, 190, s.a. Selbstzweck 95, 221
Würdigkeit 363

392
Verzeichnis der zitierten Literatur
Die Abkürzungen folgen dem „Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie
und Grenzgebiete" (IATG) von Siegfried Schwertner. Die Abkürzungen des Rabbi-
nischen Schrifttums folgen der R G G \ Die Umschrift hebräischer Buchstaben folgt
den Richtlinien der ZAW. Bei mehreren Titeln eines Autors bzw. einer Autorin ist
der verwendete Kurztitel durch Kursive hervorgehoben. [ ] bedeutet: Einfügung
durch den Autor.

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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling


Das in den .Sämmtlichen Werken' und in der .Münchner Ausgabe' publizierte
.Bruchstück (1813)' der .Weltalter' wird nach dem Text der Münchner Ausgabe zi-
tiert. Seitenzahlen der Erstausgabe von K.F.A. Schelling werden zuerst genannt,
Seitenzahlen der Münchner Ausgabe in eckigen Klammern jeweils hinzugefügt.

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