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MÜVES, Vortrag 19.

März
TAG DER OFFENEN TÜR
WAS IST DER WAHRE CHARAKTER DES SPIRITISMUS?

Wir sehen einem alten Menschen ins Gesicht. Eine Brille, ein
schwarzer Mantel, graues Haar und Falten. Fragen tauchen auf. Wie
heißt du? Woher kommst du? Was hast du erlebt? Vielleicht kenne
ich dich. Vielleicht lernen wir uns noch näher kennen. Vielleicht aber
auch nicht. Man weiß ja nie, wen man vor sich hat. Man weiß nicht,
welche Masken der andere trägt. Manche Masken durchschaut man
sicherlich, andere sind vielleicht so gut, dass man sie lange Zeit nicht
erkennt. Vielleicht hat er gar keine Masken. „Ein wahrer Charakter
hat keine Masken nötig“, heißt es. Doch was ist denn schon ein
„wahrer Charakter“? Wer kann das schon sagen? Was heißt denn
Charakter?
Das Wort Charakter kommt aus dem Griechischen „charassein“ und
heißt „einprägen“.
Die Falten in deinem Gesicht haben sich eingeprägt. Eingeprägt
durch dein Lachen, durch dein Weinen, durch dein Grübeln und
durch deine Erfahrungen. Charakter ist die eigene, ganz persönliche
Note eines Menschen. Charakter ist gleichsam tief im Herzen zu
spüren, als auch durch äußere Merkmale erkennbar. Charakter
entsteht aus Erfahrungen, Begegnungen und Entscheidungen. Es
betrifft das ganze Sein eines Menschen, sein Tun, seine
Entscheidungen, seine Vergangenheit und seine Zukunft.

Doch nicht nur Menschen haben ihren eigenen Charakter, ebenso


spricht man auch vom Charakter einer Kultur, einer Philosophie oder
einer Religion. Auch der Spiritismus hat seinen eigenen Charakter
und ich möchte im Folgenden versuchen, mich diesem zu nähern. Ich
bleibe dabei noch kurz beim menschlichen Charakter. Erlauben sie
mir einen Vergleich.

Erinnern sie sich bitte an ihre eigene Schulzeit zurück. Stellen sie sich
vor, sie kommen nach den Ferien wieder in die Schule und erfahren,
dass sie eine neue Lehrerin bekommen. Sie kennen die neue Lehrerin
nur vom Sehen und möchten mehr über sie erfahren. Sie wissen von
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einem Freund, der diese Lehrerin mal hatte und fragen ihn aus. Die
meisten der folgenden Fragen an ihren Freund werden sich um den
Charakter der „Neuen“ drehen.
„Ist sie streng?“, „Was lehrt sie?“, „Welche Regeln stellt sie auf?“,
„Ist sie nett?“, „Muss man bei ihr viel lernen?“, „Ist sie eine gute oder
schlechte Lehrerin?“
Der Freund wird nun hoffentlich nach bestem Wissen und Gewissen
Rede und Antwort stehen und je nach seiner Sicht, nach seinen
Ausschmückungen und erlebten Anekdoten die Lehrerin
beschreiben. Ähnlich fragt jemand nach dem Spiritismus wenn er ihn
kennen lernt: „Welche Ziele hat der Spiritismus?“, „Was lehrt er
eigentlich genau?“, „Ist er streng?“, „Welche Regeln gibt es?“, „Was
kann man hier lernen?“, „Ist es eine gute oder schlechte Lehre?“
Ich möchte diese Fragen noch um die Fragen, die man eher im
Geheimen stellt, oder nicht gleich stellt, erweitern: „Ist er gut für
mich?“, „Kann er Menschen Schaden zufügen?“, „Gibt es vielleicht
sektenhafte Züge oder steht eine unbekannte Machenschaft
dahinter?“, „Stehen Werte wie Offenheit, Ehrlichkeit, ein ,Ich-darf-
so-sein-wie-ich-bin’ dahinter?“, „Kann mich diese Lehre in meinem
Leben voran bringen, mir helfen, mich befreien und vielleicht ein
Stück zufriedener machen?“, „Muss jeder Mensch dieser Lehre
folgen um glücklich zu sein oder gibt es auch andere Wege des
Glücks?“
Ich denke, dass gerade die letzte Frage eine sehr entscheidende Frage
ist, wenn man sich dem Charakter einzelner philosophischer oder
religiöser Strömungen nähern möchte. Nochmals möchte ich diese
Kernfrage stellen: „Kann mich diese Lehre, diese Philosophie, diese
Religion voran bringen, mir helfen, mich befreien, mich ein Stück
zufriedener machen, vielleicht sogar so etwas Glück und Liebe
erleben lassen?“ Leider hat diese Frage schon oft zu Streitereien und
Zerwürfnissen geführt. Mit der Frage „Kann mich die Lehre voran
bringen?“ wurde auch gleichzeitig oft die Frage gestellt „Kann mich
diese Lehre am besten voran bringen?“, „Welche ist denn die beste,
die einzige, die wahre Lehre?“ Aus dem Streit welche die beste sei,
wurde oft ein Krieg unter den einzelnen Lehren. Krieg, der uns durch
alle Zeiten und in vielen Variationen begegnet. Ich denke hier an die
Ereignisse rund um den 11. September, an die Anschläge und
Vergeltungsaktionen in Israel, an die gegenseitige Ermordung von
Protestanten und Katholiken in Irland. Ich erinnere mich an die
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Kreuzzüge, zu der Papst Urban II. mit den Worten „Gott will es!“
aufrief, oder an die Übergriffe von Buddhisten an Hindus in der
Frühphase des Buddhismus.

Ich komme nochmals auf das Beispiel mit der neuen Lehrerin zurück.
Es gibt, wie gesagt, unglaublich viele Möglichkeiten wie der Freund
die neue Lehrerin beschreiben und charakterisieren kann. Eng
verknüpft mit seinen Antworten ist sein eigener Standpunkt. Das gilt
noch viel mehr für die Charakterisierung von religiösen Strömungen.
Angenommen der Standpunkt der Beurteilung einer Religion wird
aus Sicht des Atheismus gesehen, dann wird von dieser Warte aus
Religionen als eher unnütz gesehen. Religionen sind in den Augen
des Atheismus unlogisch, Gewalt produzierend, sie basieren auf
Verdrängung, oder auf Beruhigung und gehören demnach zur
Volksverdummung. Aus atheistischer Sicht kann man nur schlecht
eine Religion beurteilen, da keinerlei Differenzierung vorgenommen
wird, denn alle Religionen sind aus dieser Sicht mehr oder weniger
als schlecht anzusehen.
Vielleicht sollte der Schulfreund für eine objektive Beurteilung der
Lehrerin einen Vergleich mit den anderen Lehrern der Schule
anstellen. Übertragen auf die Beurteilung von Religionen hieße das,
man sammelt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede aller religiösen
Strömungen, um daraus eine Charakterisierung ableiten zu können.
Nahezu alle religiösen Strömungen sprechen zum Beispiel in
irgendeiner Form von einem Leben nach dem Tod, oder von
Offenbarungserfahrungen. Die Erstellung einer solchen Sammlung
wäre allerdings ein sehr mühseliger Weg. Außerdem bietet solch eine
Liste, falls sie jemals fertig werden könnte, auch kein echtes
Beurteilungswerkzeug, da sie ja nur auflistet, aber in kleinster Weise
eine differenzierte Charakterbeschreibung vornimmt.

Doch seit den 80er Jahren hat sich in der Philosophie weltweit ein
Modell durchgesetzt, mit Hilfe dessen es möglich wurde, Religionen
sinnvoll zu beurteilen: das Klassifikationsmodell des Exklusivismus,
Inklusivismus und des Pluralismus.
Ich beginne mit der Klassifikation des
Exklusivismus.
Was ist Exklusivismus? Eine Rose steht auf einer Wiese. Sie sagt von
sich: „Ich bin die schönste unter allen Blumen hier. Ich bin die
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einzige, die wahre, die, die immer gepflückt wird. Wer eine andere
pflügt ist selber schuld, er kann nie mit einer anderen glücklich
werden. Er wird es früher oder später bereuen.“
Exklusive Strömungen und Religionen behaupten demnach von sich,
nur, bei Ihnen alleine findet man die ganze religiöse Wahrheit, nur
sie haben die einzige und echte Offenbarung inne. Nur in ihr kann
man glücklich werden, Heil erfahren, nur sie wurde von dem
Höchsten alleine vorgesehen, um den Menschen auf den rechten Weg
zu führen.
Um auf die Rose zurückzukommen hieße das: Es gibt nur eine einzig
wahre Blume, alle anderen Blumen sind nur Abglanz, sie können
niemals jemanden entzücken. Ein bekannter Spruch des
Christentums, der in Variationen sowohl von katholischer, als auch
von protestantischer Seite den Exklusivismus auf den Punkt bringt
lautet: „Außerhalb der Kirche kein Heil“. So verkündet
beispielsweise das Konzil von Florenz 1442: „Die katholische Kirche
glaubt fest, bekennt und verkündet, dass niemand außerhalb der
Kirche, weder Heide, noch Jude, noch Ungläubiger, des ewigen
Lebens teilhaftig wird wenn er sich nicht vor dem Tod der Kirche
anschließt“. Ähnlich formulierte es 1529 Martin Luther in seinem
Großen Katechismus: „Wo man nicht von Christus predigt, da ist
kein Heiliger Geist, der die christliche Kirche macht und außerhalb
derer niemand zu dem Herrn Christus kommen kann.“ Beispiele für
eine exklusivistische Haltung finden sich natürlich auch in den
anderen Weltreligionen. Ich möchte mich im Folgenden
hauptsächlich auf Beispiele aus dem Christentum beschränken, ohne
dabei einseitig oder gar verurteilend sein zu wollen.
Man unterscheidet innerhalb der Position des Exklusivismus drei
Varianten: Da wäre zunächst der radikale Exklusivismus zu nennen.
Radikaler Exklusivismus heißt, dass alle, die nicht zum Christentum
gehören nie ganz erlöst werden, nie das Heil, das ewige Leben
erfahren, wenn sie sich nicht ausschließlich zur christlichen
Gemeinschaft bekennen. Das hieße also, nur eine Rose darf wachsen
und die anderen Blumen haben kein Existenzrecht.
Neben dem radikalen Exklusivismus findet sich der gemäßigte
Exklusivismus.
Gemäßigter Exklusivismus meint, dass ein Nichtchrist wenn er z.B.
das Christentum zeitlebens nicht kennen gelernt hat, sei es, weil er
vor Christus lebte oder aus einer Gegend kommt, in der er vom
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Christentum nichts erfahren konnte, die Möglichkeit im Jenseits
bekommt, sich zum Christentum zu bekennen. In so einem
posthumen Bekennungsakt nach dem leiblichen Tode kann er doch
noch das Heil erfahren.
Somit heißt das, dass er „die Mitgliedskarte des einen und einzigen
Clubs doch noch im letzten Moment erhalten kann bzw. zu guter
letzt die einzig glücklich machende Blume doch noch erleben darf.“
Ähnliche Vorstellungen eines nachtodlichen
Zugehörigkeitsbekenntnisses finden sich unter anderem im
konservativen Islam.
Als dritte und letzte Variante des Exklusivismus findet sich der
unentschiedene Exklusivismus, der die Frage nach der
Heilsmöglichkeit des „Nicht-zur-Gemeinschaft-Gehörigen“ offen
lässt. Nach der Position des unentschiedenen Exklusivismus kann
man sich nicht festlegen, ob außerhalb der eigenen Gemeinschaft Heil
gefunden werden kann. Diese Frage kann nicht entschieden werden
und deshalb erklärt man die Sache schlichtweg für nicht
entscheidbar, für Unentschieden. Das hieße „Bei uns ist auf jeden Fall
die einzig wahre Blume zu finden, ob die anderen auch was
anzubieten haben und ob das genauso glücklich macht, das können
wir nicht sagen, dafür können wir nicht garantieren, das interessiert
uns auch nicht.“
Es gibt zwei sehr gravierende Einwände gegen den Exklusivismus.
Zunächst wäre da ein einfaches Problem: Wenn Gott alle Menschen
liebt, liebt Er dann manche mehr? Will Er demnach wirklich wie es in
der Bibel (1 Thim 2,4) heißt, „dass alle Menschen gerettet werden und
zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen?“ Kann die Aussage „Gott
liebt alle Menschen“ mit der Position im Einklang stehen, dass es
außerhalb des Christentums keine Heilsmöglichkeit gibt? Sollte ein
Gott, der das Heil aller Menschen will, dafür nicht auch überall die
vorhandenen Voraussetzungen geschaffen haben? Ist es wirklich
logisch, oder gar liebevoll nur einer einzigen religiösen Gemeinschaft
das Heil zu ermöglichen?
Als zweiter gewichtiger Einwand gegen den Exklusivismus ist zu
sagen, dass in allen Religionen viele gemeinsame Positionen
anzutreffen sind. Vereinfacht gesagt wird Gott im Hinduismus „Das
Viele“, im Islam „Allah“, im Taoismus „Der Weg“, im Judentum
„Jahwe“ - der ich bin für dich da - genannt. Dahinter stehen immer
ähnliche Werte wie Liebe, Hoffnung, Rettung, Vertrauen,
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Allgegenwart, Allmacht. Hat die Liebe Gottes nicht viele Gesichter,
nicht viele Kleider, nicht viele Strahlen?

Der Spiritismus kennt auch viele Übereinstimmungen mit den


angeführten Werten. Er will nicht die oberste, exklusivste Religion
sein, er sieht als erstes die wissenschaftlichen Fakten und kombiniert
sie mit der Ethik, die z.B. aus dem Glauben an eine Existenz nach
dem Tod wächst. Er sieht sich nicht als exklusiv, nicht mal als
Religion oder Religionsersatz an. Der Spiritismus ist vielmehr eine
Wissenschaft mit religiösem Charakter.
Zurück zum Exklusivismus. Exklusivisten argumentieren auf
verschiedene Weise gegen die Gemeinsamkeiten der Religionen. So
heißt es interessanterweise von äußerst konservativen Christen wie
Moslems gleichermaßen, dass diese Parallelen geschickte Schachzüge
des Satans sind, um die Menschen zu verwirren. Dieser Vorwurf
wird auch dem Spiritismus von Beginn an gemacht. Weiter wird
dagegen argumentiert, dass diese Parallelen Projektionen, Prüfungen
oder Vorstufen des einzig wahren Glaubens sind. Ich will diese
Argumente hier nicht näher kommentieren, sie sind gleichermaßen
so anzusehen, als wenn der Schulfreund die neue Lehrerin als das
böseste Geschöpf der Schule schlechthin darzustellen versucht.

Eine zweite religionsphilosophische Klassifikation zur


Charakterisierung ist die Position des Inklusivismus.
Aufgrund der Schwächen des Exklusivismus sind viele religiöse
Gemeinschaften und Weltreligionen mittlerweile zur
inklusivistischen Position übergegangen. So wird z.B. in der römisch-
katholischen Kirche seit dem II. Vatikanischen Konzil, also seit den
60er Jahren, eine inklusivistische Haltung offiziell vertreten. Was ist
nun die Position des Inklusivismus? Ich will noch mal ein Bild aus
der Botanik gebrauchen. Sehen wir uns einen Garten an. In diesem
Garten finden wir viele Blumen, Büsche, Sträucher und Kräuter.
Auch im Nachbargarten gibt es Blumen. Doch nur bei uns findet man
alle Blumen. Nur bei uns kann man alles zum glücklich werden
finden. Beim Nachbarn gibt es zwar die ein oder andere schöne
Blume, aber nicht alles inklusive.
Auf das katholische Christentum angewandt hieße es, dass es nicht
mehr nur die eine Möglichkeit zum glücklich werden gibt, sondern
auch in anderen Religionen sich heilsame Spuren finden, die im
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Sinne der Kirche sind. Aber nur in der Kirche, nur durch die Person
Jesus Christus findet sich die göttliche Offenbarung als
unüberbietbaren und vor allem kompletten Höhepunkt wieder.
Um auf den Garten zurückzukommen bedeute es: Nur unser Garten
ist vollständig, nur unser Garten enthält die Vielfalt der Botanik und
ist mit allen Raffinessen der Gartenarchitektur ausgestattet. Natürlich
gibt es andere Gärten und manche davon sind vielleicht nicht einmal
hässlich, allerdings ist keiner so gut und vor allem nicht so
vollständig, nicht so allumfassend, nicht so glücklich machend, wie
der unsere. Nur unsere Religion ist vollständig, inklusive allem, „all-
inclusive” ...
Der Schulfreund antwortet über den Charakter der neuen Lehrerin:
„Ja, die ist mindestens so gut wie der Herr Meier und die Frau Otto,
aber nur bei ihr wirst du richtig lernen können, richtig betreut, richtig
belohnt.“
Ziel dieser Haltung ist es natürlich, sie dennoch als die Beste
darzustellen, oder auf das Christentum umgemünzt, man möchte alle
Nichtchristen zur vollständigen Lehre, zum Christentum bekehren.
Auch hier gibt es Schwierigkeiten. Die erste Schwierigkeit taucht auf,
wenn man nach Beweisen sucht, dass das Christentum tatsächlich
den anderen überlegen ist, also wirklich mehr Glück, Heil, Freude
und im weitesten Sinne Liebe ermöglicht. Ist das so? Gibt es hierfür
empirische Belege?

Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass auf unserem Planeten
Religionen sehr vielfältig in Erscheinung treten. Kann man die
Ausübung der Liebe zu Gott, zu dem Höchsten und den daraus
entstehenden Gemeinschaften, Werken, Entwicklungen und
Moralitäten wirklich nur eine Umsetzung zubilligen? Kann man Gott
auf einen „all-inclusive Garten“, auf eine „all-inclusive Lehrerin“
reduzieren?
Ganz allgemein gesprochen kann es „Liebe-im-Sinne-Gottes“ nur
eine geben. Aber gibt es deshalb auch nur eine Form ihrer
Verwirklichung? Sind wir alle nicht viel zu unterschiedlich und
kommen aus verschiedenen Traditionen um alle im selben Garten
glücklich zu werden? Ist das nicht auch ein bisschen anmaßend, gar
arrogant, allen Menschen nur eine Weggemeinschaft vorzuschreiben?
Sind denn die Weltreligionen und die religiösen Gemeinschaften
nicht einfach unterschiedliche Schritte, unterschiedliche Gesichter mit
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unterschiedlichen Geschichten auf demselben Weg, dem Weg des
Glücklich-Werdens, dem Weg der Liebe? Ist nicht die Vielfalt die
eigentliche Bereicherung? Und wie ist das nun mit der eigenen
Entscheidungs- und Willensfreiheit bei der Auswahl einer Religion?

Ich lasse diese Fragen vorerst offen und möchte einen Schritt
weitergehen, zu den dritten und letzten Klassifikationsschemata,
dem des
Pluralismus.
Dieser Standpunkt findet sich in der philosophischen Forschung
heute im angelsächsischen Raum wieder, ein sehr bekannter
Vertreter ist John Hick, im deutschsprachigen Raum wäre hier Paul
Tillich zu nennen. In der Geschichte der Weltreligionen sind zum
Pluralismus nur wenige Ansätze, wie z.B. im Taoismus, oder der
mystischen Bewegung des islamischen Suffismus vorhanden. Man
findet diese Ansicht auch im Spiritualismus und Spiritismus.
Interessanterweise hielt das Schema des Pluralismus auch durch den
angelsächsischen Spiritualismus, der eng verbundenen
Geschwisterbewegung des Spiritismus nach Allan Kardec, Einzug in
die philosophische Forschung.
Was ist nun Pluralismus? Ein letztes Mal will ich über Gärten
sprechen. Ein Mensch streift durch alle Gärten. Er sieht rote, blaue,
lila Blumen, Sträucher und Bäume. Er entscheidet selbst, welche ihm
am besten gefallen, welche ihm gut tun und sieht gleichzeitig, dass
dies alle Geschöpfe Gottes sind und alle einzigartig sind und zum
Stauen anregen können. Die pluralistische Position macht demnach
mit dem Gedanken ernst, dass es wahre Religion in pluraler Gestalt
geben kann, dass es ebenbürtige Wege demnach tatsächlich gibt. Das
Verständnis um eine Pluralität schließt also bewusst Begriffe wie
„Gleichwertigkeit“ oder „ungefähre Gleichwertigkeit“ in ihre
Beurteilung mit ein.
John Hick formuliert das für das Christentum so:
„Die großen Weltreligionen sind unterschiedliche Antworten auf das
Wirkliche oder Unbedingte. Es gibt eine Vielfalt von göttlichen
Offenbarungen, die eine Vielfalt menschlicher Erkenntnisse
ermöglicht.“
Vergleicht man John Hicks Worte wieder mit der neu ankommenden
Lehrerin, dann könnte man im Sinne des Pluralismus sagen, es gibt

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mehrere gleichwertige Lehrer, die gut, nett, voran bringend sind, also
zu einem gelingenden Leben beitragen können.
Trotz aller Unterschiedlichkeiten des Aussehens, des Alters, der
pädagogischen Vorprägung bieten alle auf ihre Art die Möglichkeit
an, sich im Sinne der Liebe, Gott zu nähern.
Das heißt aber natürlich nicht, dass nun jeder Lehrer dies ermöglicht.
Bei einigen Lehrern stehen Gehorsam, Machtgelüste oder Sicherung
des Lebensunterhalts im Vordergrund ihres Charakters. Hier ist
Toleranz oder Akzeptanz selten anzufinden, hier wird eingeengt und
nicht befreit, hier geht es nicht um den Menschen, kurzum, hier wird
nicht im Sinne der Liebe gehandelt. Bezogen auf den Garten der
Religionen und Weltanschauungen hieße dies, dass Organisationen
und Methoden beispielsweise von gewissen Sekten oder manch
anderen radikalen Bewegungen keine „Gleichwertigkeit“
zugestanden werden kann. Das gilt auch für viele Lehrmeinungen
und einzelne Meinungsträger innerhalb der Weltreligionen. Ich
betone nochmals, dass im Sinne des Pluralismus also nicht jede
religiöse Meinung oder Vereinigung als „gleichwertig“ zu sehen ist.
Gradmesser ist hier sehr vereinfacht und ganz allgemein ausgedrückt
„Liebe“. Dort wo unterdrückt, Hass gepredigt, Fehlinformationen
weitergegeben werden, oder dort, wo nur an eine Machthierarchie,
an einen materiellen Gewinn gedacht wird, ist kein Raum für
Entfaltung, für Befreiung, für Fürsorglichkeit und für Gott.
Natürlich sind religiöse Aussagen unterschiedlich interpretierbar. Oft
zeigt die Wahrheit der Liebe, wie schon angedeutet, viele Gesichter,
Symbole, Handlungen und Gleichnisse. Was unaussprechbar ist und
trotzdem in Worte gefasst wird, sieht nur auf den ersten Blick
gänzlich anders aus. Dennoch sind die Gesetze Gottes für alle
Menschen gültig.
Der Spiritismus betont ebenfalls, dass seine Tatsachen und Prinzipien
bis ins Altertum zurück reichen, sie nicht erst durch die spiritistische
Bewegung bekannt oder entdeckt wurden. Es finden sich mehr oder
weniger deutliche Spuren des Spiritismus auch heute bei allen
Völkern und Religionen.

Aus christlicher und spiritistischer Sicht bliebe aber noch ein


Problem. Der Spiritismus nach Allan Kardec hat eine christliche
Ausprägung und sieht in Christus den erhabensten Geist an. Passt
das zusammen mit einer Haltung des Pluralismus?
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Auch diese Antwort ist ganz einfach, wenn man sich auf folgenden
Gedanken einlässt. Wenn Gedanken über Liebe formuliert werden,
dann brauchen sie einen Rahmen, eine Art Kleid. Man kann
philosophisch nicht so einfach über „Liebe“ sprechen, denn es ist ja
eine Mischung aus Gefühl und Werten. Die Physik hat es mit
Formeln einfacher, Einstein konnte mit seiner einfachen Formel e =
mc2 das Weltbild der Physik revolutionieren. Wer philosophisch über
Liebe spricht, dem helfen aber keine Formeln weiter. Er braucht
dafür Geschichten, Bilder, Metaphern, Symbole, Paradoxien,
meditative Übungen oder Taten. Jesus verwendete in seiner
Philosophie der Liebe gerne Gleichnisse. Im Spiritismus standen am
Anfang Phänomene, die wissenschaftlich untersucht wurden. Dabei
entdeckte man die Existenz nach dem Tod. Durch die Kenntnis einer
Existenz nach dem Tode wächst die Verantwortung für das Leben,
wir erkennen, dass wir geliebt werden und lieben dürfen. Somit ist
die Liebe ein wesentlicher Bestandteil des Spiritismus. Hierfür wurde
als Einkleidung das christliche Kleid gewählt. Einerseits weil es uns
kulturell vertraut ist und andererseits, weil es auf einfache und doch
geniale Weise Liebe beschreiben kann. Sehen wir vergleichsweise den
Spiritismus als Bild an, das von Liebe erzählen will, dann ist seine
„Liebesfarbe“ christlich gewählt. Dennoch sieht der Spiritismus alle
anderen Farbmöglichkeiten der anderen religiösen Liebesgedanken
als ebenso gut an. Gleichsam einer Sonne, die für alle strahlt, sind die
christlich gewählten Strahlen eine Möglichkeit, um über Liebe
sprechen, um Liebe erfahren, um Liebe leben zu können.
Was will aber der Spiritismus mit Jesus bezwecken? Wir Spiritisten
gehen davon aus, das wir uns unaufhörlich vorwärts entwickeln.
Durch viele Lernschritte und Erfahrungen (hier und drüben) werden
wir eines Tages Jesus ähnlich werden. Damit ist nicht die historische
Person gemeint, sondern etwas anderes. Dadurch, dass alle
Menschen den göttlichen Funken, das Abbild Gottes, das „imago
dei“, den unsterblichen Anteil in sich tragen, haben wir alle das
Potential, Christus ganz ähnlich zu sein, nur eben noch lange nicht so
weit entwickelt. Gleichsam einem Rohdiamanten schleifen wir in
unserer Entwicklung an unserem Ideal, dem Ideal der Liebe, dem
Ideal, das der Spiritismus als Philosophie mit christlichen Worten
beschreibt. Die Menschen anderer religiöser Gemeinschaften haben
natürlich auch den unsterblichen göttlichen Anteil in sich. Sie sind
also auch auf dem Weg zur Liebe - in spiritistischen Worten auf dem
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Weg zur vollkommenen Glückseeligkeit- nur nennen sie dasselbe
Entwicklungsideal eben nicht so. So kann sich also ein Schamane
vollkommen gleichwertig diesem Ideal nähern und nennt es einfach
anders.

Menschen mit Nah-Tod-Erfahrungen sprechen oft von einem Licht


der Liebe, das sie gleichsam sehen als auch spüren konnten. Dieses
Licht der Liebe kann man unterschiedlich auffassen oder nennen. Es
umspannt die Erde und ist gleichsam allen zugänglich. Liebe ist das
höchste Gut, das wonach sich alle sehnen und woran man sich
orientieren kann. Ich möchte nochmals betonen, dass damit nicht der
historische Jesus und auch nicht der kirchliche Christus gemeint ist,
wir meinen mit Christus Geist vereinfacht gesagt das Licht und den
Weg zur Liebe Gottes, so wie es andere Strömungen ebenfalls tun
und mit anderen Worten benennen.
Bleibt also zusammenfassend über den Pluralismus zu sagen, dass
religiöse Gemeinschaften unter bestimmten Gesichtspunkten als
gleichwertig angesehen werden können. Persönliche, religiöse
Erfahrungen dürfen, ja müssen sogar unterschiedlich sein. Auf den
zweiten Blick gibt es unendlich viele Gemeinsamkeiten der einen
Wahrheit, wie das Christusbeispiel gerade aufzeigen möchte.

Bleibt noch zu klären, warum man sich dann überhaupt einer


religiösen Gemeinschaft anschließen sollte, bzw. warum es sich
lohnen sollte, sich ausgerechnet dem Spiritismus anschließen?
Warum sollte ich mir nicht aus allen Teilen für mich das Beste ziehen,
wenn sowieso alle irgendwie ähnliches sagen? Warum darf ich mir
nicht meine eigene Religion „stricken“? „Das ist doch auch mit
Pluralismus gemeint, oder?“
Nein. Ich möchte auch hier wieder einen kleinen Vergleich anstellen,
nun im Bereich der Musik. Wenn ich Musik und die Liebe Gottes
bildlich vergleichen darf, kann ich sagen, sie ist für alle Menschen
mehr oder weniger gleich erfahrbar, auch für gehörlose Menschen.
Sie ist einfach da. Musik ist Musik, Liebe ist Liebe, für alle Menschen
gleich. Aber habe ich nicht bestimmte Vorlieben, bestimmte
Erfahrungen? Ich habe sicherlich das Recht, mir das Instrument
auszusuchen, auf dem ich bestmöglich lernen kann, für das ich die
besten Lehrerinnen und Lehrer, also die für mich am besten
geeigneten diesseitigen und geistigen Helfer finden kann, damit ich
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vor allem glücklich werden kann. Natürlich kann ich mehrere
Instrumente spielen lernen, aber wie schön ist es, wenn man ein
Lieblingsinstrument hat und dieses richtig beherrscht? Gerade hier
kann ich viele Fortschritte machen und darf Freude erleben. Lerne ich
sehr viele Instrumente und diese womöglich auch noch gleichzeitig,
dann verzettle ich mich. Ich brauche einen roten Faden, eine
Richtung. Von dieser Richtung aus kann ich andere beobachten und
Teile für mich nutzen. Ein weiterer Gewinn ist die Gruppe. Eine
Gemeinschaft kann einen durch Gespräche, durch Fragen und
Antworten, durch Erlebnisse, Erfahrungen auch sehr gezielt voran
bringen.
Im Vergleich mit der neuen Lehrerin hieße dies, es tut mir nicht gut,
wenn ich alleine gleichzeitig in einem Raum viele Lehrer hätte. Wie
können ich und meine Mitschüler differenziert und vor allem vertieft
die vielen Lehrer sehen?

Ich möchte noch einen wichtigen Charakteraspekt ansprechen. Ich


erwähnte bereits, dass sich der Spiritismus nicht als Religion versteht.
Der Spiritismus nach Allan Kardec besteht aus Mitteilungen,
Antworten und Belehrungen von Geistwesen auf Fragen, die von
Menschen gestellt wurden. Diese wurden gesammelt und geordnet.
Der Spiritismus ist eine Lehre mit drei Seiten:
Experimentalwissenschaft, Philosophie und Morallehre mit
religiösen Aspekten. Der Spiritismus gründet auf das Dasein und die
Kommunikation mit Geistwesen. Er hat diese Kommunikation weder
erfunden, noch entdeckt. Er hat Gesetzmäßigkeiten erforscht und
protokolliert, die seit Beginn der Menschheit existieren und die in
vielen religiösen Gemeinschaften in der Vergangenheit und heute
praktiziert werden. Der Spiritismus will also keine exklusive Position
einnehmen. Er beansprucht nicht, dass nur durch ihn das Heil
erfahren werden kann, dass nur durch ihn die Welt sich zum Guten
wendet. Man zürnt auch niemanden, der anderer Meinung ist. Was
nun die religiösen und inhaltlichen Aspekte betrifft, möchte ich Allan
Kardec selbst sprechen lassen.

Ich zitiere aus dem Werk „Der Spiritismus in seinem einfachsten


Ausdruck“:
„Was den religiösen Gesichtspunkt anbetrifft, so hat der Spiritismus
die Grundwahrheiten aller Religionen zur Basis: Gott, die Seele, die
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Unsterblichkeit, die künftigen Strafen und Belohnungen; aber er
kommt ohne Riten und Kult aus.“
Erste Anmerkung. Hier löst sich der Spiritismus vom Inklusivismus.
Man beansprucht nicht eine eigene oder gar vollständigere Wahrheit.
Weiter Kardec: „Als Glaube an die Geister gehört er ebenfalls allen
Religionen sowie allen Völkern an, da überall, wo es Menschen gibt,
es auch Seele und Geister gibt und Offenbarungen in allen Religionen
ohne Ausnahme zu finden sind.“
Zweite Anmerkung: Mit diesem Satz „Er gehört allen Religionen
an...“ nimmt der Spiritismus nun Teil am Gedanken der
„Gleichwertigkeit“ am Gedanken des Pluralismus.
Weiter heißt es bei Kardec dass man demnach griechisch-(orthodox)
oder römisch- katholisch, Protestant, Jude oder Moslem sein kann
und dennoch an die Offenbarungen der Geister glauben und folglich
ein Spiritist sein. Denn der Spiritismus hat Anhänger in allen
Religionen. In allen Erdteilen, bei allen Menschen und bei allen
religiösen Strömungen kann mittels der inneren Stimme, dem
Daimonion, wie es Sokrates nennt, in Träumen und mit allen anderen
spiritistischen Verständigungsmöglichkeiten mit Geistwesen
kommuniziert werden. Die Interpretation der Mitteilungen ist oft
eine Frage der Bewusstheit, des Wissens und der Erfahrung des
jeweiligen Senders und natürlich ebenso des Empfängers.

Der Spiritismus hat in seiner Beschreibung der Liebe also den


christlichen Weg gewählt. Erinnern sie sich bitte an den Vergleich mit
dem Erlernen von Musik. Der Spiritismus sieht im Christusgeist, im
Geiste Christi, im Licht der Liebe eine uns vertraute, eine einfach zu
verstehend und dennoch anspruchsvolle Form. Wie gesagt, mit dem
Vergleich des Christus, den wir alle in uns entwickeln und der
gleichsam der Sonne allen von außen geschenkt wird, ist diese
gewählte Form auch legitim und will sich nicht über andere stellen.
Diese gewählte Form verletzt nicht andere wertvolle religiöse
Erkenntnisse, eine gewählte Form entspricht einem vertieften
Studium und meint nicht, dies sei der einzige oder gar beste Weg.

Es ist wahr, der Spiritismus ist gegen gewisse Glaubensauffassungen


und zwar diejenigen, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen
wie z.B. den Gedanken an eine Hölle mit der Ewigkeit der Strafen
oder die von der Personifizierung des Teufels. Es geht allerdings bei
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solchen Gedanken nicht mehr nur um Pluralismus, sondern man
sollte es sich zur Pflicht machen, gegen Gedanken vorzugehen, die
Angst machen, die einengen bzw. die unterdrücken. Diese
entsprechen nicht der Liebe. Es ist nicht im Sinne des Spiritismus,
wenn Glaube zur Gewalt, Unterdrückung und Macht benutzt wird.
Kardec meint hierzu: „Wenn Glaube zum Instrument der Verfolgung
wird, muss er als schädlich bekämpft werden.“
Der Spiritismus basiert sowohl auf der Naturwissenschaft z.B. durch
seine Experimente, als auch auf der Geisteswissenschaft durch sein
philosophisches Gedankengut. So hat er zwar religiöse Züge, stellt
aber keine Dogmen auf. Für entwickelte Geistwesen ist eine religiöse
Formel nichts, für sie zählen nur die Gesinnung und die Taten im
Sinne der Liebe.
Auf die Frage eines Geistlichen namens Abbè „Welche Religion die
beste ist?“ in dem Werk „Was ist der Spiritismus?“ antwortet Kardec:
Die Geister „beschränken sich darauf, zu sagen: Gott ist gütig und
gerecht, er will nur das Gute. Daher ist die beste von allen Religionen
die, welche nur das lehrt, was mit der Güte und Gerechtigkeit Gottes
im Einklange steht, welche den Menschen gut und tugendhaft macht,
sich untereinander wie Brüder zu lieben. Keine Religion kann der
Vorwand zu irgendetwas Bösem sein!“
So sagen die Geistwesen auch nicht „Außerhalb des Spiritismus kein
Heil“ sondern „Außerhalb der Nächstenliebe kein Heil“. Sie stellen
nicht Christus in den Mittelpunkt der Lehre, sondern die Liebe und
deren Ursprung, nämlich Gott.
Ich denke, man kann hier Lehren wie Schamanismus oder die
Anthroposophie nach Steiner auch Plural sehen. Diese Lehren sind
natürlich sehr unterschiedlich und sicherlich gibt es hier auch viele
Scharlatane, wie es leider auch Fälscher gibt, die sich Spiritisten
nennen. Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass ernsthafte
Vertreter und Gruppierungen der genannten Lehren liebevoll mit
hohen Ebenen der geistigen Welt kommunizieren, eben auf ihre Art
und doch sehr deutlich.
Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie spricht in seinem
Vortrag „Die Geschichte des Spiritismus“ vom 30. Mai 1904 von
Allan Kardec äußerst gleichwertig. Er nennt den Spiritismus als, ich
zitiere: „im Einklang stehend mit den uralten Weisheitslehren der
Theosophie“. Das ist reiner Pluralismus ausgehend von der
Theosophie gegenüber dem Spiritismus.
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Auch schamanische Richtungen, die ja quer über den ganzen Erdball
verteilt sind und oft unterschiedlichste Ausprägungen haben,
kommunizieren seit vielen tausend Jahren mit Geistwesen. Sie
kleiden ihre Philosophie über die Liebe oft mit Naturbildern,
insbesondere Tiergestalten. Auch hier gibt es viele Beispiele an
reinster Liebe, die dem Spiritismus absolut ebenbürtig sind.

Ich persönlich halte es für äußerst wichtig, neben dem Spiritismus


auch andere religiöse Richtungen kennen zu lernen und anzusehen.
Der Spiritismus will gerade unseren Ideenkreis erweitern und uns
tiefer in die Gesetze Gottes und der Liebe einführen. Da kann eine
Horizonterweiterung nicht schaden, ja gerade zu nützlich sein und
vor allem Freude bringen.
Zusammenfassend heißt das, der Spiritismus will dem Menschen
nach seiner Art bestmöglich helfen, sich auf dem Weg der Liebe zu
entwickeln. Er will sich nicht aufdrängen, denn eine erzwungene
Überzeugung ist laut Kardec „ein Unding“. Im Gegenteil, die
Geistwesen und auch Kardec befürwortet eine ernsthafte Prüfung der
spiritistischen Lehre, alle ehrlichen Zweifel sind erlaubt. Denn alles
darin soll einer vernünftigen Prüfung standhalten.
Auf die Frage, ob man auch ohne Spiritismus glücklich werden kann,
antwortet Kardec mit „Einverstanden!“

Nun mag mancher einwenden, wenn das alles so gut klingt, wenn
jeder in solch einer Gemeinschaft Platz hat, wo ist dann in dieser
Bewegung der Haken?
Steckt nicht vielleicht doch sogar etwas ganz anderes dahinter? Ist
vielleicht der wahre Charakter des Spiritismus doch eine Sekte?
Friedrich-Wilhelm Haack, Theologe und Beauftragter der
evangelischen Kirche für Sektenfragen stellte eine Charakterisierung
zusammen, wonach man Sekten erkennen kann. Aus diesem
Charakterisierungskatalog entspricht der Spiritismus nach Kardec
keiner dieser Kategorien. Ich möchte drei davon kurz ansehen.

1. Das Weltbild der Sekte eröffnet bereits beim ersten Kontakt eine
vollkommen neue Sicht der Dinge.
Der Spiritismus kann zwar Dinge in einem neuen Licht erscheinen
lassen, aber ein vertieftes Studium dauert Jahre und kann nicht schon
bei einem einzigen Treffen alles erklären. Außerdem weiß der
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Spiritismus weder auf alle Fragen Antworten und er sieht sich, wie
bereits gesagt, nicht als einzig glücklich machende Gruppierung an.
Er will nicht, dass man Beziehungen abbricht, die Treffen sind
kostenlos und er hat keinerlei Machtinteressen.

2. In einer Sekte wird nichts überprüft, nachdenken ist nur


einseitig in Ordnung, eine eigene Meinung haben oder nachfragen
ist nicht erwünscht.
Laut Kardec darf und sollte man alles prüfen, man muss nicht in
allen Punkten der gleichen Meinung sein. Fragen werden als
wünschenswert gesehen, weil alle ernst gemeinten Fragen (und
erscheinen sie auch noch so primitiv) Raum haben sollen. Kardec
fragt auch ganz einfach in seinen Büchern: „Gibt es Gott?“, „Gibt es
ein Leben nach dem Tod?“, „Wie sieht es im Jenseits aus?“, „Werde
ich meine Geliebten wieder sehen?“, „Macht mein Leben Sinn?“

3. Die Lehre der Sekte gilt als einziges und wahres Wissen, Kritik
von außerhalb ist immer auch als Beweis für die Richtigkeit der
Sektenlehre zu sehen. Die Sekte ist die Elite der Menschheit und
grenzt sich ab, Verhalten wird vorgeschrieben und die Welt wird
untergehen, nur Sektenangehörige haben eine Chance auf Rettung.
Der Spiritismus ist weder Wächter noch Pächter der Wahrheit. Er
gibt auf Phänomene Antwort, wie es auf ähnliche Weise andere
Philosophien auch tun. Kritik ist erwünscht, denn der Spiritismus
sieht sich auf dem Weg und nicht auf dem Höhepunkt seiner
Vollendung. Spiritisten sind in kleinster Weise besser oder elitärer als
andere Menschen. Wir sind vor Gott alle gleich, haben den gleichen
Ursprung. Der Spiritismus schreibt keinerlei Verhalten vor, er pflegt
keine religiösen Rituale. Der Spiritismus hat eine positive Sichtweise
gegenüber der Welt. Die Welt rast nicht auf eine Katastrophe zu,
sondern die Welt entwickelt sich. Probleme und Katastrophen
werden als Chance zum Lernen und als Ausdruck der Willensfreiheit
gesehen. Der Spiritismus sagt lediglich, dass gutes ethisches Handeln
die eigene Entwicklung und die Entwicklung der Welt voran bringt.
Dieses ethisch gute Handeln ist so verschieden wie die Menschen.
Äußerst unterschiedliche Menschen aus allen Orten und Milieus
dieser Erde sind Spiritisten. Sie sehen im Spiritismus kein
abgeschiedenes Handeln, sondern sie wissen, dass das Leben der

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eigentliche Lehrmeister ist und somit im Alltag und nicht in einer
elitären Gruppe der Spiritismus gelebt wird.

Und ich will es auch gar nicht verschweigen. Die pluralistische


Sichtweise hat natürlich auch Nachteile. Wenn man verschiedener
Meinung sein darf, dann heißt es auch, dass man
Meinungsverschiedenheiten aushalten muss. Wenn man seine Kritik
äußern darf, dann heißt es auch, dass man bereit ist, den anderen
immer ernst zu nehmen, auch wenn es anders leichter wäre. Wenn
man für alle Fragen offen ist, heißt es Geduld und Achtsamkeit zu
haben, denn Wissensvorsprung soll kein Machtvorsprung sein. Wenn
man nicht für alle Probleme eine Antwort hat, dann weiß man auch,
dass der Spiritismus keine wissenschaftliche Forschung oder
Therapien ersetzen möchte, höchstens ergänzen kann. Dafür stehen
echte Werte im Charakter des Spiritismus: Wertschätzung aller
Menschen, Sinnhaftigkeit des Daseins, Selbstentfaltung und Erleben
von Liebe.
Die Liebe ist in jeglicher Begegnung mit anderen Menschen und mit
mir selbst der Gradmesser. Selbst wenn ich mein Instrument nahezu
perfekt beherrsche, also der „beste“ Spiritist der Welt bin, aber mir
kommt die Liebe abhanden, war alles umsonst. So sagt auch Paulus
im Hohelied der Liebe (1 Kor 13): „Und wenn ich prophetisch reden
könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn
ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte,
hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.“

Zum Schluss möchte ich ein letztes Mal auf die Frage der beiden
Schulfreunde nach der neuen Lehrerin kommen. Der Schulfreund
kann nur aus seiner persönlichen Sichtweise antworten. Auch ich will
auf die Frage, warum ich den Spiritismus mag persönlich antworten.
Zunächst weil ich Antworten auf meine Fragen bekomme und
dennoch meine eigene Meinung bilden kann, weil ich mich
verstanden fühle und auch Dinge über das Leben besser verstehe,
weil ich mich entwickeln kann ohne dass ich harte Gebote oder gar
Verbote beachten muss, schließlich weil ich viel Freude, Tiefe und
vor allem Liebe darin gefunden habe und Tag für Tag auf das Neue
finde.

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Liebe und Freude, zwei einfache Wörter, die unendliche
Dimensionen eröffnen.

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