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Praktische Konsequenzen –
Die Gründung der Gruppe FelS
Einleitung (1992)
Dieser Reader ist ein Zusam- folgt dann die Kritik an den licht. Versäumt haben wir es,
menschnitt der seit Sommer Autonomen, die so genannte Zusammenfassungen unserer
’91 gelaufenen Organisations- Heinz-Schenk-Debatte. Der Seminare zu schreiben. Für
debatte, von der Heinz-Schenk- dritte Teil stellt die praktische die Zukunft gedenken wir
Debatte bis zur Entstehung der Konsequenz, die wir aus der nach Abschluss einzelner
Gruppe FelS. Debatte gezogen haben, dar, Seminarreihen eigene Reader
Der erste Teil des Readers die Gründung der Gruppe herauszugeben.
beinhaltet die im Vorfeld der FelS. Die meisten der hier Wir sind weiterhin eine offene
Heinz-Schenk-Debatte entstan- vorliegenden Texte (bis auf Gruppe für alle, die auf der
denen Texte zur Organisa- das Resümee von 6 Monaten Basis unseres Selbstverständ-
4 tionsfrage noch innerhalb der FelS) wurden bereits in der nisses bei uns mitarbeiten
Autonomen. Im zweiten Teil Berliner „Interim“ veröffent- möchten.
Gibt es ein Leben vor dem Tod?
Unsere noch relativ dünne waren zu Instantrezepten II. Ein kalter Winter
Personaldecke kann die Mitar- erklärt worden. Linke Politik und noch mehr
beit in einem unserer Projekte wurde eher als Kampf „gut Missverständnisse
gebrauchen, wir sind aber auch gegen böse“ denn als kompli-
für die Gründung neuer AGs zierte Vermittlung zwischen Der Anfang von FelS lag
offen. Ebenso sind wir auch Gegebenem und Gewolltem atmosphärisch dort, wo wir
über Berlin hinaus an einer begriffen. Ob unser Versuch, inhaltlich aufhören wollten.
Zusammenarbeit mit Gruppen eine Gruppe zu gründen, die Im Versammlungsraum eines
und Einzelpersonen, die in eine außerhalb bestehender Denk- besetzten Ostberliner Hauses,
ähnliche Richtung arbeiten, strukturen revolutionäre Politik wo es selbst dann noch bitter-
interessiert. machen wollte, gelingen würde, kalt war, wenn der Ofen zwei
war am Anfang sehr fraglich: Stunden vorher angeheizt
I. Der Austritt und Sehr wenige schienen sich auf wurde.
seine Folgen ein neues Projekt einlassen zu Manchmal wurde deshalb das
wollen. Selbst viele derjeni- Treffen in einen der Privaträume
Als wir im vergangenen Herbst gen, die unsere Kritik teilten, verlegt, was den improvisiert-
schrieben „Unsere Papiere sind konnten sich Politik nicht chaotischen Eindruck unseres
eine Art Austrittserklärung aus außerhalb der Einordnung in Unternehmens noch verstärken
den Autonomen“ machte sich die eingeübten Schemata RAF- musste.
die Häme über uns vor allem an RZ-Autonome vorstellen. Die eigentlichen Probleme
dieser ironisch, aber absichts- begannen jetzt erst. Auf der
voll gewählten Bemerkung fest. Angesichts erster harscher einen Seite stand die Notwen-
Wir könnten nur in Parteistruk- Reaktionen haben wir uns digkeit, als offene Gruppe zu
turen denken und hätten nun manchmal gefragt, ob nicht arbeiten, da sich neue Organi-
endlich gemerkt, dass die doch wir die Verrückten sind. sationen und Debatten nicht als
Autonomen keine Partei seien. Ob wir uns nicht einbilden, Zirkel herausbilden.
Vor allem deshalb seien wir der Stein des allgemeinen Zudem glaubten wir, dass die
enttäuscht, aber nun könnten Anstoßes zu sein, bloß weil wir bisherigen Versuche, linksradi-
wir ja unsere eigene Partei selbst aus Ungeschick überall kale Politik zu verändern, auch
aufmachen. anstoßen. Ob das Szeneleben daran gescheitert waren, dass
Das „Missverständnis“ hätte nicht doch so viel zu bieten sich bloß neue abgeschlossene
nicht größer sein können. Was hat, dass es uns lebenslänglich Grüppchen gebildet hatten, die
uns an sämtlichen Gruppen der reichen würde. über ihren Tellerrand nicht mehr
deutschen radikalen Linken Eine nette WG, gelegentlich hinauskamen.
genervt hatte, woran wir uns auf Demos den Ärger rauslas- Auf der anderen Seite war
die Köpfe angerannt hatten, sen oder einfach nur mitlaufen klar, dass viele bloß deshalb zu
war der Dogmatismus der und sich – wie am 1. Mai als uns stoßen würden, weil wir
undogmatischen Linken. Viele fühlen zu können. Sicher, einem weit verbreiteten Gefühl
Strukturen und jahrelange sicher, da war das Wissen um der Unzufriedenheit Ausdruck
Denkweisen durften nicht mehr die Szenepsychos – aber gab verliehen hatten, sich ihre und
hinterfragt werden, geschweige es nicht auch Ausnahmen, die, unsere Unzufriedenheit aber aus
denn, dass Möglichkeiten zu die es geschafft hatten, sich verschiedenen, oft entgegenge-
ihrer Veränderung von innen ganz gut im Leben und mit der setzten Motiven speiste.
heraus zu sehen waren. Die Szene einzurichten. Ich erinnere mich da noch an 5
Formen politischen Handelns einen Februarabend, an dem
nur 1/4 der Anwesenden die III. Mühen und Freuden Trotzdem, auch subjektiv, denke
eigentliche Gründungsgruppe der Ebene ich, haben wir in diesem Jahr
ausmachte und wir ständig einiges gewonnen. Endlich
zwischen den 3/4 Erstbesucher- Das Schlimmste dürfte erstmal politisch planen zu können und
Innen vermitteln mussten – hinter uns liegen. Zwar haben nicht wie der Kampagnenheinz
darunter so entgegengesetzten wir natürlich weiterhin Probleme, auf den nächsten Schlag des
wie denen, die meinten, dass die die wir angehen müssen, aber Gegners warten zu müssen, hat
Autonomen nicht genug drauf- nicht letztlich vom Tisch wischen uns ein Stück Selbstbestimmung
hauten und zu viel lesen würden können: zum Beispiel das von zurückgegeben.
und einer kleinen trotzkistischen unterschiedlichen Wissens- Wir sind nicht mehr die
Sekte, die wohl in der Hoffnung ständen und Fähigkeiten in der einsamen Don Quijotes gegen
zu uns gekommen war, hier Gruppe. Oder das Problem der die Windmühlenflügel der auto-
frustrierten, ratlosen und daher Dialektik zwischen subjektiven nomen Betriebsamkeit.
dankbaren Autonomen eine Bedürfnissen und objektiver Und neben uns regen sich trotz
neue Orientierung geben zu Politik, zwischen Konkretem und aller Unterschiedlichkeit einige
können. Abstraktem. Gruppen, die Hoffnung auf
Für Außenstehende müssen Bis jetzt gibt es weder ein eine gemeinsame Perspektive
diese Abende immer sehr bizarr FeIS-Sanatorium noch Ideen, die machen, Gruppen aus allen drei
bis lächerlich gewirkt haben. die Finanzierung der Einzelnen großen linksradikalen Strömun-
Der Name FelS war eher eine kollektiver gestalten könnten. gen der ’80er Jahre haben be-
Verlegenheitslösung, mit der Es scheint so sein zu müssen, gonnen, dogmatisch verhärtete
wir bis heute wohl nicht ganz dass je schlechter die Linke Positionen zu hinterfragen.
zufrieden sind. dasteht und damit auch Das Prinzip Hoffnung kann
Wir hatten zwar genug Phanta- meistens ihre Individuen, desto wieder in die linke BRD-
sie, uns eine andere Linke vor- abstrakter eine erste Phase Geschichte eintreten:
zustellen, aber bei Namensge- neuer linker Politik sein muss,
bungen versagt sie regelmäßig um dann langfristig erfolgreich
(bei der Namensgebung für die an den konkreten Bedürfnissen „Nur wenn das Unmögliche
beiden von uns geplanten Zei- ansetzen zu können. immer wieder gedacht wird, lässt
tungen sind ähnliche Notlösun- Die derzeitige Arbeit, die aus sich das Mögliche retten: das,
gen zu befürchten). viel Lesen und Schreiben was wir kennen, ist nicht alles.“
„Linke Strömung“ – der Begriff besteht, ist jedenfalls notwendig, Rossana Rossanda
„Strömung“ sagt nicht, als aber eben nicht nur befriedi-
Strömung innerhalb von was gend.
er gedacht ist. Innerhalb der Wir hoffen darauf, dass unter
revolutionären Linken – dann anderem die Zusammenarbeit
würden wir jene unsinnigen mit anderen Gruppen, die in
Rechts-/Links-Klassifizierungen eine ähnliche Richtung denken
innerhalb der kommunistischen (Kongress im nächsten Früh-
Gruppen vor allem der 20er jahr?) diesen einseitig einsamen
Jahre wiederholen. Innerhalb Arbeitsstil etwas einschränken
der Gesellschaft – damit würden wird.
wir ein pluralistisches Gesell-
schaftsbild ausdrücken, in dem
zum Beispiel kapitalistische wie
6 antikapitalistische Strömungen
nebeneinander Platz haben.
Thesen zum Kulturbegriff
Keine Revolution ohne andere das sich meine gesellschaftliche Lebensformen stückchenweise
Kultur, ohne andere Umgangs- Identität stellen würde. Sie sind schon vor der Revolution vor-
und Lebensformen, ohne eine sicherlich prägend, können mich weggenommen (auch wenn die
Veränderung der Menschen, die mitziehen und mir neue Sachen Veränderungen immer wieder in
sich an ihr beteiligen. So weit, zeigen, aber ihr Rhythmus die objektiven gesellschaftlichen
so klar – aber darüber, wie eine definiert nicht meinen. Warum Bedingungen zurückfallen).
andere Kultur entsteht und wie ausgerechnet wir Linken eine Gegenkultur ist also „präven-
ihr Verhältnis zur Politik aussieht, neue Protestkultur kreieren tive Revolution“, aber sie kann
darüber wird in der Linken sollten, ist mir deswegen die Revolution als Prozess
wenig geredet. Deswegen diese schleierhaft. der Machtübernahme nicht
Gedanken zum Kulturbegriff: ersetzen.
2.) An gesellschaftlichen Ich glaube, dass die kulturelle
1.) Gegen-/Protestkulturbewe- Prozessen sind mir die bewusst- Subversion als „beharrliches
gungen so wie die antiautoritäre machenden Elemente wichtig. Aushöhlen des alten Systems“
Bewegung ab 1968 oder die Diese Bewusstsein-schaffenden alleine zu keiner bleibenden
Jugendrevolte 80/81 sind für Momente finden sich in Kultur- Veränderung führt. Jede
mich im Wesentlichen zweierlei: bewegungen genauso, wie in gesellschaftliche Transforma-
a.) das Ausprobieren von neuen Kämpfen um Lohn, ein Zentrum tion braucht politische und
Formen, wobei diese Formen usw. – oder auch in unvermittelt militärische Strategie.
relativ willkürlich gewählt und ausbrechender Klassengewalt Ohne diese Strategie, die von
sogar reaktionär sein können (z. B. die Jugendbanden und Organisationen oder Organi-
(z. B. Skins). Dieses Auspro- ihre Konfrontation mit den sationskernen vermittelt wird,
bieren erschöpft sich sehr Bullen). wird Protest oder Gegenkultur
schnell. Wie in jedem gesell- Darüberhinaus aber noch in x- zurückintegriert (z. B. die Kom-
schaftlichen Prozess lässt die Sachen, oft Kleinigkeiten, mehr. merzialisierung des Punk, die
Euphorie nach. In ihnen beginnen Menschen Integration der Alternativen, der
b.) Der Ausbruch aus der ihr Untertanensein ein Stück „Marsch“ der Antiautoritären): –
Einsamkeit als sich neu konsti- aufzusprengen: sie werden an genauso wie politische Strategie
tuierende Gemeinschaft (wobei einzelnen Stellen eigenständige ohne gegenkulturelle Elemente
dieser Ausbruch eben auch Subjekte ohne sich dadurch nur lustfeindlich und formalis-
außerhalb von Protestbewegun- aber gleich „ganz“ zu finden. tisch sein kann.
gen stattfinden kann). In ihrer Bewusstsein-schaffende Mo-
Spontanität sind gesellschaftli- mente sind Schritte auf einem 4) Natürlich gibt es einen
che (und damit meistens auch Weg, noch nicht das Ziel selbst. Bereich der spontanen Entwick-
kulturelle) Ausbrüche unkontrol- lung von Kultur, oder besser:
lier- und steuerbar. Selbst wenn 3.) Gegenkultur kann über den Entfaltung der menschlichen
das anders wäre, würde so eine Bewusstwerdungsprozess, Vielfalt. Das ist, wenn wir auf
Kontrolle wenig interessant sein. der in ihr abläuft, ein konstitu- der Straße singen, tanzen, uns
Klar ist auf jeden Fall auch, dass ierendes Element der neuen unvermittelt und unreflektiert
diese Aufbrüche ihre Schat- Gesellschaft sein. Das Men- ausdrücken. Darüber brauchen
tenseiten haben. Ich persönlich schenbild einer Gesellschaft wir aber auch nicht zu reden.
mißtraue ihnen ein bißchen, weil wird beispielsweise durch die Daneben gibt es aber auch
ihr oft jähes Ende auch mich Kunst zum Ausbruch gebracht, bewusst zu entwickelnde
mit hinabzieht. Sie sind für mich aber auch weitergetrieben. Gegenkultur, die außerhalb 7
daher auch kein Fundament, auf So werden revolutionäre von spontanen Aufbrüchen
entsteht. Das ist für mich vor intervenieren, gesellschaftlich Organisationsansätze als ML-
allem der Austausch mit vielen wahrgenommen zu werden. Sektierertum und Psychozirkel
verschiedenen Menschen, Egal, was wir sagen und den- geendet sind, überzeugt mich
Gemeinschaftlichkeit, ein Über- ken, jede Struktur misst sich nicht vom Gegenteil. Die ML-
Sich-Hinausgehen – also ein natürlich auch an ihrer Effizienz. Phase (die K-Gruppen Anfang
Annähern an kommunistische Genau das ist für uns alle sub- der ’70er) war meiner Ansicht
Lebensformen. jektiv ausgesprochen wichtig, nach nur die undialektische
Diese Lebensformen gehen denn wer macht schon gerne Negation der antiautoritären
nicht aus individuell erlernbaren eine zeitraubende Arbeit, wenn Bewegung, so wie wir weitge-
Fähigkeiten hervor, sondern sind sie nicht wenigstens manchmal hend die undialektische Nega-
kollektive Entwicklungsprozesse, Erfolgserlebnisse vermittelt? tion der ML-Phase sind.
die mensch – hauptsächlich als Wildwuchs ist tendenziell (außer
systematischen Lernprozess in Bewegungshochzeiten) ziem- Zum Schluss:
– durch die Arbeit an einem lich ineffektiv, die frustierende (so „subjektiv“ wie nur
gemeinsamen Prozess macht. Arbeit bleibt an wenigen hän- irgendwas) – mir macht
gen, die gleiche unangenehme politische Arbeit da Spaß, wo
5) Das mir naheliegendste Arbeit wird drei oder vier mal sie über den eigenen Teller-
gemeinsame Projekt der Linken gemacht. Auch deshalb müssen rand hinaus auf andere soziale
ist die revolutionäre Organi- wir über die „wildgewachsene“, Realitäten zugeht, denn da höre
sation. – Warum? Wenn mir subkulturell definierte Szene ich auf, nur für mich denkendes
an der Szene etwas auf die hinaus. Subjekt zu sein und treffe mich
Nerven geht, dann ist es ihre mit anderen: Dahinter steht für
Beschäftigung mit sich selbst, Zusammengefasst: mich die gedankliche Kette:
ihre Selbstlähmung, die aus dem In ihrer Plan- (und deswegen Klebstoff zwischen den Verein-
vorherrschenden bürgerlichen Perspektivlosigkeit) verstellt uns zelten sein – Konsens schaffen
Individualismus hervorgeht die „Szene“ als Organisations- – kommunistische Lebensfor-
und ihn reflektiert. „Jeder ist form das Gefühl des Vorankom- men aufbauen.
sich selbst am nächsten“, heißt mens (es sei denn, die Zu der in Mode geratenen Dis-
die bürgerliche Variante des Bewegungsdynamik verschafft kussion über den Widerspruch
autonomen „Subjektivismus“. uns dieses Gefühl auch ohne zwischen eigener Subjektivität
Die entscheidende Frage ist unser Zutun): In ihrer subkul- und abstrakter Politik: Politik ist
also, wo und wie wir unsere turellen Abschottung verhindert zwangsläufig Abstraktion von
individuelle Subjektivität zu einer sie die Auseinandersetzung sinnlichen Wahrnehmungen.
verschmelzen. Der Prozess mit außen, blockiert also auch Das ist nicht weiter schlimm. Auf
bewusster Organisierung (als das befreiende Aufgeben des der anderen Seite sind wir als
Organisation) ist eine solche bürgerlichen Individualismus. ganzheitliche Menschen aber
Verschmelzung, also Arbeit Meine These ist deswegen, sehr viel mehr als nur „Den-
an der Kollektivität, an der dass es gerade in Bewegungs- kende“.
Gegenkultur, an der neuen tiefs für uns RevolutionärInnen Für mich heißt das, meine Spon-
Gesellschaft. subjektiv notwendig ist, über ein tanität und Kreativität genauso
Zum anderen hängt damit auch so abstraktes Thema wie die auszuleben wie mein Bedürfnis
eng die Frage nach Erfolg und Organisationsfrage zu reden, nach bewusst geplanter und
Nichterfolg zusammen. Erfolg, weil wir anders kaum mehr als erfüllter politischer Arbeit. Be-
das heißt für mich, neue Leute nur uns selbst wahrnehmen wusstsein und Spontanität. Krea-
zu gewinnen, an einzelnen können und keine gesellschaftli- tivität und Systematik sind für
8 Punkten Zwischenerfolge zu che Relevanz erlangen werden. mich dialektische Begriffs-paare,
erringen, richtig bestimmt zu Die Tatsache, dass andere die sich gegenseitig benötigen.
Die jetzigen Formen des Szene- der Jugendrevolte wahrscheinlich Also nicht Partei statt Szene,
Wildwuchses reichen mir nicht. kulturell, wenn man die eigene sondern Gegenkultur, soziale
Ich mache Politik immer mehr Herkunft und die Außenbedin- Bewegung und revolutionäre
außerhalb von autonomen gungen berücksichtigt, gar nicht Organisation als unterschied-
Zusammenhängen, mache dabei schlecht (oft nicht anders als liche, sich ergänzende Sphären.
gute Erfahrungen und kann die Umwelt, oft noch individua- Unsere individuelle Perspektiv-
mir vorstellen, ganz aus ihnen listischer, aber manchmal eben losigkeit kann nur eine kollektive
herauszuwachsen. Dagegen doch umwerfend revolutionär). strukturelle Antwort haben,
schätze ich „autonome“ oder Politisch dagegen ist sie unbefrie- unser Problem lässt sich mit der
linksalternative Lebens- und digend, völlig überholt von den gemeinsamen Abstraktionsleis-
Kulturformen nach wie vor: Ich Wirklichkeiten einer immer här- tung lösen.
lebe gerne in der linken WG, teren sozialen Realität. Und: Auch Deswegen sind unsere Schwie-
liebe Kiez-Discos, mag das EX, für das Zusammenleben (also die rigkeiten mit Alltag und unserer
umgedrehten Kleiderzwang kulturelle „Sphäre“) wäre erfolg- „Kultur“ eng mit der Organisa-
und Nicht-bezahlen-müssen auf reichere (d. h. systematischere) tionsfrage verbunden.
Voküs. politische Arbeit sinnvoll, denn
Die Szene ist als Erbin der befriedigte Menschen haben Zettelknecht
antiautoritären Bewegung und weniger Psychos miteinander.
.
sich durch nichts belegen ließ.
Die Ablehnung, überhaupt
noch konkrete Forderungen zu
haupt keine Linie mehr: Jede
Gruppe betreibt Bündnispolitik
nach ihrem eigenen Gut-
nen und keine gesellschaftliche
Relevanz erlangen werden.“
Thesen zum Kulturbegriff
stellen („Wir sind einfach nur dünken und mit einer gewis-
.
da“).
Das Ablehnen jeglicher Bünd-
nisse mit ReformistInnen bzw.
sen Beliebigkeit. Das Ergebnis
der Olympia-Kampagne wird
sein:
Auch dem Reformismus-
Problem ist nicht anders bei-
zukommen. Eine revolutionäre
mit allen, die nicht zur militanten Die AL wird gestärkt aus der Bewegung kann sich nicht in
Linken gehören. Das Ergebnis Konfrontation hervorgehen, der Form von Bürgerinitiativen
ist gleich null. die sie braucht, um ihren (zumal meist klandestinen)
Entweder man übte sich in zwangsläufigen Image- und organisieren, oder sie wird
praktischem Existentialismus Profilverlust durch die Koalition deren Ergebnisse erzielen:
und konnte jenseits des unmit- wieder wettzumachen. Die einzelne Projekte zu verhindern,
telbaren Angriffsziels einer Autonomen werden am Ende um damit den gesellschaftlichen
Randale kein politisches Ziel wieder ratlos auf den nächsten Normalzustand zu sichern und
mehr benennen (siehe 1. Mai). Anlass zu militantem Vorgehen zu festigen.
Was letzten Endes den Verlust warten, allenfalls werden sie
der politischen Ebene über- die personellen Verluste aus- Die politische Seismographen-
haupt bedeutet. Oder man/frau geglichen haben, die sie ihre funktion, die die Protestbewe-
musste die Erfahrung machen, Politik immer wieder kostet. gungen für das System der
dass Reformismus nicht eine D. h. die AL geht auf jeden BRD mittlerweile haben, haben
Frage des Themas und jedes Fall politisch gestärkt aus auch die Autonomen. Ebenso
Thema letzten Endes reformi- der Kampagne hervor, die wie diese zeigen sie gesells-
stisch zu besetzen ist. Folge Autonomen nicht einmal dann, chaftliche Konflikte frühzeitig an,
war dann doch wieder die alte wenn sie ihr unmittelbares erlauben somit eine rechtzeitige
Arbeits-teilung, wie sie schon politisches Ziel, die Olympia- Korrektur der herrschenden
12 jetzt in der Olympia-Kampagne Verhinderung, durchsetzen Linie, ohne den Konflikt bzw.
präsent ist: sollten. das entstandene Konflikt-
potential organisatorisch weiter sich um uns herum alles den neuen Aufgaben und den
anbinden zu können. verändert, sich umso verzwei- neuen Epochen anzupassen,
Wenn sich reformistische felter an das alte zu klammern. nicht immer verstehen sie sich zu
Konzepte durchsetzen, ist Mindestens langfristig wird dies entwickeln gemäß den komplex-
dies meistens auch eine Folge zum Scheitern verurteilt sein. en Kräfteverhältnissen (und den
politischer Schwäche und Eine Gruppe, die sich den his- entsprechenden Positionen ihrer
Unfähigkeit der revolutionären torischen Veränderungen nicht Klassen) in einem bestimmten
Linken. Es ist keine Lösung, stellt, wird, wenn überhaupt, Land oder auf internationaler
keine konkreten Forderungen nur als Sekte ohne politische Ebene. In der Analyse dieser
mehr aufzustellen. Das ist der Relevanz weiterexistieren. Entwicklung der Parteien muss
Luxus für diejenigen, die Erfolge Heinz Schenk man unterscheiden: die gesells-
wie das Erkämpfen von weniger chaftliche Klasse; die Masse
Miete, kein Olympia, Bleiberecht der Partei; die Bürokratie und
für Flüchtlinge nicht notwendig „Mit dieser Reihe von Phänome- den Generalstab der Partei. Die
haben. Entscheidend ist, wer nen ist eine der wichtigsten, die Bürokratie ist die gefährlichste
aus konkreten Kämpfen gestärkt politische Partei betreffenden gewohnheitsmäßig konservative
hervorgeht. Dies kann jegliche Fragen verknüpft; nämlich, ob Macht; wenn sie schließlich ein
politische Formation nur, wenn die Partei fähig ist, gegen die solidarisches, für sich bestehen-
sie gesamtgesellschaftliche Macht der Gewohnheit und des, sich unabhängig von der
Konzepte vorlegen kann, wenn gegen die Tendenz zu reagieren, Masse fühlendes Korps bildet,
sie in den Kämpfen beteiligte zu mumifizieren und anachro- wird die Partei anachronistisch
Menschen für längerfristige nistisch zu werden. Die Parteien und in den Augenblicken akuter
Arbeit gewinnen kann. entstehen und konstituieren Krise wird sie ihres gesellschaftli-
sich zu Organisationen, um chen Inhalts entleert und bleibt in
Die Kampagne wird trotz die Situation in geschichtlich der Luft schweben.“
unserer Kritik stattfinden. Das ist lebenswichtigen Momenten für Antonio Gramsci
der Konservatismus der Linken: ihre Klasse zu meistern; aber
in schlechten Zeiten, in denen nicht immer verstehen sie sich
.
sind,
dass es kaum ein Bewusstsein
darüber gibt, dass wir unsere
Begriff versteht.
Ich habe das Gefühl, dass er
alles das, was er selbst als
einer beschränkten, vulgären
Konsumentenideologie zum
Ausdruck).“ (G.Klaus, Philoso-
eigene Geschichte aufbewahren verletzend, frustrierend und phisches Wörterbuch, DDR)
und Erfahrungen weitergeben verwirrend in autonomen
müssen: entsprechend wird Zusammenhängen erlebt hat, „Ansicht, nach der das Subjekt
das auch nicht systematisch auf diesen Begriff projiziert. Die (das Ich) das primär gegebene
.
angefasst,
dass so, wie wir uns gegen-
seitig (und auch selbst) unsere
einzige Definition, die ich im Text
gefunden habe, ist die: „volun-
sei, alles andere Schöpfung des
Bewusstseins dieses Subjekts
taristischer Subjektivismus, (Verneinung objektiver Erkennt-
Ansprüche um die Ohren hauen, d. h., dass die Revolution dann nisse, Werte, Wahrheiten).“
daran nicht unsere Fähigkeiten, stattfindet, wenn die Menschen (Duden-Fremdwörterlexikon)
sondern nur Angst und schlech- es wollen.“
.
tes Gewissen wachsen,
dass wir ein distanziertes, oft
ziemlich beliebiges und dadurch
Nun, das ist sowieso eine
Selbstverständlichkeit: mit der
Definition können wir also nicht
So, wie HS den Begriff einsetzt,
bezieht er ihn aber nicht so sehr
auf das Ich als Ausgangspunkt
instrumentelles Verhältnis zu viel anfangen. Weil er den Sub- des Erkennens und Urteilens,
den Menschen haben, auf die jektivismus im Text aber immer als auf Lust oder Unlust des ein-
wir uns „beziehen“, also die wir wieder als Begründung her- zelnen Subjekts, und das kann
zu agitieren oder zu mobilisieren anzieht, habe ich mal nachge- sich ja nun ständig ändern.
versuchen. schaut, was so die Definitionen Ich denke, er verwechselt hier
des Begriffs sind: Subjektivismus mit Voluntaris-
Zu Recht weist HS darauf hin, „Die Lehre, dass Form und Inhalt mus, in unserer Sprache: das
dass diese Form von Unorgani- des Erkennens vom Subjekt Bock-Prinzip. Das bedeutet,
siertheit, die wir als politischen bestimmt werden, im ethischen keinerlei Verbindlichkeiten
Inhalt verteidigen, von ihrer Bereich relativiert der Subjekti- einzuhalten, die Forderungen, 23
Erscheinungsform her recht gut vismus alle sittlichen Werte, die die mensch gestern noch an
die anderen gestellt hatte, heute Nun überprüfe ich nicht bei Kampf gegen die Gewalt, mit
vom Tisch zu wischen, wenn sie jeder Gelegenheit, wie ein Ver- der ich konfrontiert werde,
einem/r lästig sind, usw. halten, zu dem es mich drängt, heißt, Kampf gegen den Herr-
Das ist aber gerade das Ge- auf die Wahrnehmung meiner schaftsanspruch über mich.
genteil von Subjektivismus, wie eigenen Interessen zurück- Das heißt, Kampf gegen den
ich ihn als konstituierend für zuführen ist. Ich denke, es bildet Anspruch auf Verantwortung
das autonome Politikverständnis sich in der Auseinandersetzung für mich, mit der Herrschaft be-
ansehe. sowas wie ein Rechts- und gründet wird. (Herrschaft wird
Wir sprechen von der „Politik Unrechtsbewusstsein heraus, praktisch immer mit Verantwor-
der ersten Person“ und meinen das verhaltensbestimmend wird tung begründet, bzw. mit der
damit, dass wir nicht stellvertre- und in dem die Erfahrung, was Unfähigkeit der Beherrschten,
tend für andere handeln können dem eigenen Interesse dient, die Verantwortung für sich
und wollen. Es gibt nichts und aufgehoben ist. selbst zu übernehmen.)
niemand, auf dessen Auftrag Je mehr dieses Rechtsbe- Mit dem Anspruch auf Selbst-
und Legitimation wir uns dabei wusstsein von der EIGENEN bestimmung fällt also auch die
berufen könnten. Jede Recht- Erfahrung und Auseinander- Verantwortung auf mich zurück,
fertigung unseres Handelns fällt setzung bestimmt ist, und je und zwar vollkommen! Ich
auf uns selbst zurück und muss weniger von gesetzten und kann niemand anderem mehr
in uns selbst begründbar sein. blind übernommenen Werten, die Schuld geben, wenn es mir
Und zwar letzlich in jedem/r desto stabiler dürfte es im schlecht geht.
Einzelnen. Leben eines/r jeden von uns (Jede politische Argumenta-
Das entspricht der materialis- handlungsbestimmend sein. Das tion, die auf der Empörung
tischen Auffassung, dass die ist der Grund für antiautoritäres über zugefügte Gewalt aufbaut,
letzte Handlungsmotivation Verhalten. schreibt ein stückweit die Ver-
immer im eigenen Interesse Eine antiautoritäre Haltung ist antwortung anderer dafür fest
begründet liegt. auch die Basis der autonomen und damit auch die Herrschaft,
Das klingt genau nach der Bewegung. Sie ist aber einen gegen die sich die Argumenta-
Ideologie, die die völlig verein- Schritt weiter als die antiauto- tion ja richten soll!)
zelte und damit ohnmächtige ritäre Bewegung von vor 20 Heißt das nun, dass wir als
Gesellschaftsstruktur aufspannt, Jahren, jedenfalls in der Theorie: Autonome immer selbstgeißelnd
von der wir Teil sind und unter Sowohl die Bindung an die die Ursache aller Scheiße bei
der wir leiden. Autorität als auch die Rebel- uns selbst suchen müssen?
Das stimmt aber nicht. Denn das lion dagegen bleiben im Prinzip Keineswegs: Es gibt einen Un-
eigene Intreresse ist auf kompli- an diese gebunden. Erst der terschied zwischen „Ursache“
zierte Weise mit dem Interesse Versuch einer EIGENEN Bestim- und „Schuld“. Die Ursache
Anderer verbunden. Solidarität ist mung ist der Schritt in Richtung von etwas herauszufinden,
danach das Eingreifen im Konflikt der Befreiung. „Autonom“ heißt: dient dazu, ein angemessenes
zwischen Anderen aus der eigenes Gesetz! Das heißt, der Handeln zu entwickeln, um sich
Erkenntnis heraus, dass es dabei Name ist Programm! Nun ist dagegen zu wehren. Anderen
um die eigenen Interessen geht. die gängige Vorstellung (auch die Schuld für etwas zu geben,
Diese Motivation unterscheidet ich habe bisher keine andere heißt, unter Berufung auf ein
sich durchaus von der, die sich gefunden), dass der Weg in die gemeinsames Rechtsverständ-
auf einen moralischen Imperativ Selbstbestimmung nur im Kampf nis ein anderes Verhalten
stützt, die durch Gruppendruck gegen die Fremdbestimmung einzuklagen (Schuld kommt
erzwungen wird oder die durch gefunden werden kann. Das von: etwas schulden). Aber da
24 das Versprechen einer Bezahl- hat Konsequenzen, auf die ich kann mensch lange warten und
ung im Jenseits erkauft wird. gleich noch zurückkomme. klagen.
Ich bin davon überzeugt: gewaltsamer erscheinen denen Es ist ein seltsames Phänomen
Verändern kannst du letzlich nur die vermuteten Ansprüche. Aber bei vielen Autonomen, dass sie
das eigene Verhalten, die Ver- die Abwehr wird nun auch nicht äußerst brutal im Austeilen von
haltensänderung der Anderen mehr ausgesprochen, sondern Schlägen, aber sehr empfindlich
ist allenfalls eine Reaktion da- nur noch durch Abwehrhaltung beim Einstecken derselben sind.
rauf. Also, mit der Selbstbestim- signaIisiert. Was das, genauer betrachtet,
mung fällt auch die Verantwor- So arbeiten wir uns wortlos für Ursachen hat, kann ich so
tung vollkommen auf uns selbst aneiander ab und rücken dabei aus dem Stand nicht sagen,
zurück. emotional oft immer weiter aus- aber was es für Folgen hat:
Das ist aber gerade der Grund, einander. Den Meisten, die Angst Gemessen daran, wie mensch
warum Voluntarismus in diesem vor dem Verlust ihrer Freiheit sich selbst durch eine Kritik
Rahmen eigentlich ausgeschlos- und Selbstbestimmung durch die angekachelt fühlt, kommt es
sen ist. Wenn ich die Konse- Wünsche Anderer haben, fehlt die einem/r viel zu schwächlich vor,
quenzen meines Handelns Erfahrung, dass sie schlicht und einfach zu sagen: Ich will das
immer selbst tragen muss, kann einfach, „nein“ sagen können und und das nicht, oder, das und
ich es mir kaum leisten, einfach dürfen. Das bringt sie dazu, alles, das finde ich nicht richtig.
meinen Lüsten und UnIüsten was sie in die Situation bringen Die eigene Meinungsäußerung
nachzugeben. könnte, „nein“ sagen zu müssen, wird aufgerüstet mit beißender
Das kann ich gerade nur, wenn schon im Vorfeld zurückzuschla- Ironie, mit einem bombastischen
ich weiß, das Notwendige zu gen. Vokabular, mit donnernden,
tun kann ich im Zweifelsfalle je- Im Extrem: Was wir den Flüchtlin- doch von allen anerkannten
mand anderem aufdrücken, also gen gegenwärtig an Fürsorge Prinzipien, usw. Es war ja
wenn ich weiß, dass es immer förmlich aufdrängen, verweigern wirklich nur eine Frage der Zeit
noch eine Instanz nach mir gibt. wir uns gegenseitig hartnäckig: bis die seelischen Schläge, die
Das heißt, ernstgenommene Wo wir da alle Anstrengungen wir uns dauernd zufügen, in
Selbstverantwortung erzwingt aufwenden, verständnisvoll und körperliche Prügel umschlagen.
auch in einem gewissen Maß solidarisch zu sein, werden wir un- Ich kann also vieles der Kritik
Selbstdisziplin. tereinander hart und gleichgültig. von HS nicht nur unterschrei-
Zurück zu dem Punkt, dass die ben, sondern sogar noch eins
Selbstbestimmung über den Um sich in solchen Verhältnissen draufsetzen. Aber welche Kon-
Kampf gegen die Fremdbestim- zu behaupten, muss mensch sequenzen zieht er daraus?
mung führt: Die wütendsten schon eine wahnsinnige eigene Er will „austreten“, sagt er.
Kämpfe führen wir da leider Willenskraft aufbringen, die Aber wenn er glaubt, er kann
gegeneinander! Ich weiß wiederum mit der Klarheit der „austreten“, dann ist er nie
auch nicht warum, vielleicht, eigenen Zielvorstellungen zu tun „eingetreten“.
weil sie das Nächstliegende hat: Aber wer kann schon aus sich Die Autonomen sind keine,
sind. Der Hauch einer Erwar- selbst heraus Ziele finden und klar wenn auch noch so diffuse
tung, ja, schon der leidende behalten...? Organisation. Autonomie ist eine
Gesichtsausdruck wird oft Viele fallen dabei durch die Roste, innere Haltung.
als eine Forderung, somit als so wie HS das auch beschrie- Wer sich einmal durchgerun-
Versuch gewertet, uns einen ben hat. Zu spät erkennen die gen hat, die Verantwortung
fremden Willen aufzuzwingen. Anderen, dass die vermeintlichen für sich selbst zu übernehmen,
Je besser jemand, geschädigt Ansprüche nichts anderes als wird wohl schwerlich dahinter
durch solche Erfahrung, seine/ Hilferufe waren. Eine andere Kon- zurückfallen können, selbst
ihre Wünsche vor anderen sequenz ist, dass wir das Gefühl wenn er/sie daran zweifelt.
zu verbergen sucht, desto dafür verlieren, was Schmerzen Die ganze Art, wie HS seine 25
hinterlistiger und somit potentiell zufügt. Kritik vorbringt, zeigt, dass er
in der autonomen Szene etwas der Autorität. Wenn ihm das kann sich darin auf die Dauer
gesucht hat, was diese nicht möglich ist, dann war er in der nur aufrechterhalten, wer keine
ist und aus ihrem Selbstver- autonomen Bewegung wirklich Alternative hat.
ständnis auch nicht sein kann: falsch. Zurück zu den Kritikpunkten
eine politische Heimat, die Kraft von HS. Ich habe gesagt, dass
und Orientierung bringt, die Aber die Freiheit, die nichts ich sie zu einem großen Teil
die Anstrengungen mit Schutz ist als Härte und Kälte, als die berechtigt finde. Sie sind daher
und Geborgenheit belohnt. Er Gesetze der freien Wildbahn, die mit dem Grundsätzlichen, was
klagt die autonome Bewegung hat ja nun wirklich nichts Attrak- ich hier auszuführen versucht
an, als wäre ihm diese etwas tives. Doch ich glaube, so sind habe, auch nicht erledigt.
schuldig, als hätte sie ihm etwas die Verhältnisse nicht vollständig Aber das sollte doch wenig-
versprochen. beschrieben. stens zeigen, wie mit den
Er versucht, die Szene anzu- Es gibt eine Geborgenheit in Kritikpunkten umzugehen ist:
greifen, aber wo er hingreift, der Kollektivität, sie setzt die Wenn jemand die Verhältnisse
ist Nebel: Alles fällt auf ihn Bereitschaft zur Selbstverant- wirklich verändern will und nicht
selbst zurück. Nun sucht er eine wortung voraus und ermöglicht nur eine Rechtfertigung für das
neue (alte) Verkörperung von sie gleichzeitig. Die Balance eigene Aufgeben sucht, dann
Kollektivität, die sich greifen läßt. des Konflikts in autonomen muss er/sie so lange hart-
Die läßt sich aber natürlich nur Zusammenhängen, die zwi- näckig „warum?“ fragen, bis die
greifen um den Preis, dass sie schen dem/r Einzelnen und dem kritischen Phänomene auf ihren
auch die Verantwortung an sich Ganzen pulsierende Kraft, das Kern des falsch verstandenen
zieht, d. h. sie muss Unterwer- ist etwas sehr schwer begrifflich (oder unterschiedlichen) Inter-
fung unter die herrschende zu Fassendes. Noch schwerer, esses zurückgeführt sind.
Rationalität fordern. vielleicht sogar unmöglich, ist Dann läßt sich daraus auch
HS also möchte sich, erschreckt es, sich daraus ein erfolgver- ableiten, was er/sie tun kann.
über die Kälte der Freiheit, sprechendes Verhaltensmuster
zurückfallen lassen in den Schoß zu stricken. Und ich denke, es Lotta
35
Der nachfolgende Text stand Die hier folgende Kritik an nisse von Unorganisiertheit
eigentlich nicht im unmittel- dem Göttinger Papier von in der autonomen Linken
baren Zusammenhang mit einem Han Solo wurde von theoretisch zu rechtfertigen.
der Heinz-Schenk-Debatte. uns inhaltlich nicht geteilt. Als Antwort auf den Han-So-
Er ist eine Antwort auf den Wir empfanden den Han- lo-Text (und auf andere Be-
sehr konkreten, an die Grup- Solo-Text als den Ausdruck tonungen der Unmöglichkeit
pen der antifaschistischen einer zum Teil widersprüchli- unseres Anliegens) entstand
Bewegung gerichteten Or- chen und manchmal bornier- der Aufsatz „Sich dem Kapi-
ganisierungsvorschlag der ten Geschichtsschreibung, talismus nicht ergeben“ – der
Göttinger Antifa (M), der im deren wichtigstes Ziel es letzte lange Text der Heinz-
Oktober 1991 in mehreren schien (zumindest lasen wir Schenk-Diskussion, der im
linksradikalen Zeitschriften den Artikel in diesem Sinn), Anschluss zum Han-Solo-
veröffentlicht wurde. die bestehenden Verhält- Text abgedruckt ist.
Selbstverständnis
Wozu ein Selbstverständnis? einfacher. Die uns wichtigen Szene Diskussionen führen und
Punkte wollen wir hiermit eine eigene Praxis entwickeln.
Mit diesem Selbstverständnis darstellen, ohne damit ein fer- Als Gruppe haben wir uns
wollen wir das Projekt unserer tiges Konzept bieten zu können. seit ca. anderthalb Monaten
politischen Gruppe offenlegen neu konstituiert, wobei wir
und kritisierbar machen. Für Der folgende Text ist als Kopro- unsere Arbeit parallel zu den
eine Diskussion unterschiedlicher duktion von Zettelknecht, Heinz gemeinsamen Plena schon in
Gruppen miteinander und für Schenk, Roberto Blanco, Rita AGs aufgeteilt haben. Zur Zeit
das Dazukommen neuer Leute Pavone, Adriano Celentano und arbeiten wir in zwei Arbeitsge-
ist es notwendig, dass mensch einigen weiteren GenossInnen meinschaften: Die „Kontakt-AG“
die Linie der einzelnen Gruppen entstanden. Wir wollen hier kümmert sich darum, dass wir
kennt. Im heutigen Szene- nicht nur unsere Diskussionen Verbindungen zu verschiedenen
Zusammenhang gibt es diese und Ideen offenlegen und damit Gruppen, die ebenfalls die
Kenntnis nur für Insider. Wenige kritisierbar machen, sondern Organisationsfrage diskutieren
Gruppen haben im Moment ihr auch interessierte Genoss- oder diskutieren wollen, und
Konzept zusammengefasst und Innen dazu einladen, sich an zwar in Berlin sowie der übrigen
veröffentlicht, obwohl sich in der den Debatten zu beteiligen (sei BRD bekommen. Die AG orga-
Praxis doch immer wieder zeigt, es, dass Ihr schreibt oder bei nisiert die Diskussion mit diesen
dass vage unterschiedliche uns direkt vorbeikommt). FelS Gruppen und soll Treffen mit ih-
72 Theorien zugrundeliegen. Eine will zu verschiedenen Themen nen ermöglichen, sowie interes-
Diskussion wird dadurch nicht auch außerhalb der autonomen sante Diskussionen aus anderen
Ländern übersetzen bzw. als wir es aber für ebenso wichtig, nach kann die Linke die „Krise
Reader veröffentlichbar machen. auch auf eine Organisation ihrer Inhalte“ nicht durch
Unsere zweite Arbeitsgemein- hinzuarbeiten, die – über die einen Rückzug in die Theorie
schaft ist die „Lern-AG“, die unmittelbaren Unterdrück- lösen. Sie braucht wie immer
Theoriearbeit nicht so versteht, ungsverhältnisse hinaus und gleichzeitig theoretische und
dass in einem abgeschloss- die Teilkämpfe vereinend – praktische Arbeit, die in einem
enen Zirkel neuartige Konzepte einen gesamtgesellschaftlichen kontinuierlichen wechselseitigen
entwickelt werden, sondern Kampf um Befreiung führt. Entwicklungsprozess stehen.
Wissen für viele Menschen, also Damit denken wir nicht an eine Beides kann sie nur bewältigen,
öffentlich, zur Diskussion gestellt Führungsorganisation, die wenn sie sich den Rahmen für
wird. Es geht der AG darum, die sich an die Spitze spezifischer Diskussion und politische Arbeit
Diskussion verschiedenartiger Kämpfe stellt, sondern an eine schafft.
Organisations- und Struktur- Form gesamtgesellschaftlicher
modelle voranzubringen, wobei politischer Organisierung, die 3. Der Aufbau einer eigenen
konkret schon eine Veranstal- es im Moment nicht gibt und politischen Gruppe (FelS) ist für
tungsreihe in Planung ist, die die fehlt. (Man kann Probleme uns desweiteren auch ein Mittel,
Anfang Februar mit einem zwar konkret erkennen, aber zwei der bestimmenden Eigen-
Seminar zum Spontaneismus um ihre gesellschaftlichen schaften des modernen Kapi-
beginnen wird. Ursachen umfassend zu be- talismus, die Objekthaftigkeit,
greifen, muss man abstrahieren, mit der die Mehrheit so lange
1. „Wir“, das sind Frauen d. h. verallgemeinern können, zum Opfer gemacht wird, bis sie
und Männer, in diesem Land um von dort zum Konkreten/ selbst nicht mehr glaubt, auch
geborene Menschen ebenso Einzelnen zurückzukehren.) Subjekt sein zu können, und
wie ImmigrantInnen. Da unsere Ganz konkret bedeutet das, die Vereinzelung angreifen zu
bisherigen Erfahrungsbereiche zu verhindern, dass – wie oft können. Eine politische Gruppe,
u. a. durch Alter und Lebens- in der Geschichte – durch das die ihre Initiative bewusst plant
stil/Kultur sehr stark eingeengt Entstehen eines übergreifenden und realisiert, kann eigenes und
sind, wollen wir so breit wie Organisationsansatzes andere gemeinsames Handeln ermögli-
möglich die verschiedensten unmittelbare Ansätze (siehe chen. Zielrichtung ist es, nicht
gesellschaftlichen Realitäten oben) unterdrückt werden. Bei mehr nur zu reagieren, sondern
von Menschen kennenlernen unserer Organisierung wollen selbst Inhalte und Strategien
und zusammnenbringen. Es gibt wir ein gemeinsames Vonein- zu bestimmen und wirklich
zwei verschiedene Mögli- ander-Lernen erreichen, sind gemeinsam zu handeln: über die
chkeiten, Kämpfe zu führen, uns aber bewusst, dass hier Kleingruppe und die (im Grunde
ausgehend von der Realität Widersprüche existieren. genommen individualistische)
einer sozialen Gruppe, sozialen anonyme Zufallsbewegung
Klasse oder sexuellen Gruppe 2. Unser mittelfristiges Ziel hinaus.
einerseits und quer zu diesen ist es, einer von mehreren
Realitäten andererseits. Wir Orientierungspunkten in der 4. Wir verstehen Revolution als
halten die zuerst genannte notwendigen Diskussion um das einen dialektischen Bewusst-
Möglichkeit sich zu organisieren Entstehen einer revolutionären seins- und Lernprozess, der
für notwendig, und als Einzelp- Organisation zu sein, wie auch sich in verschiedensten sozialen
ersonen sind wir auch in vielen eine organisierte Position in Kämpfen in der kapitalistischen
Bereichen entlang spezifischer sozialen Kämpfen. Dabei stellt Gesellschaft entwickeln muss
Unterdrückungsverhältnisse/ sich als zentrales Problem das und weder erst mit dem
gesellschaftlicher Widersprüche des Verhältnisses von Theorie bewaffneten Aufstand beginnt, 73
organisiert. Daneben halten und Praxis. Unserer Ansicht noch nach einer Machtüber-
nahme durch RevolutionärInnen unsere jetzigen Kulturformen Gruppe für alle Leute offen, die
beendet sein kann. Vielmehr feststehende Wahrheiten sein. mit uns bestimmte Grundein-
geht es ständig darum, gegne- Das heißt, es geht uns nicht um schätzungen teilen, welche hier
rische Macht zurückzudrängen die Vermittlung von Erkenntnis- formuliert sind. Die Gruppe stellt
und in dem zurückgelassenen sen (von den Wissenden zu den ihre Diskussionen nach außen
Vakuum Gegenmacht aufzubau- Massen), sondern um einen dar, ist ansprechbar und erreich-
en (aber nicht als abgeschottete gemeinsamen/gegenseitigen bar (siehe oben). Dazu nutzt
Subkultur). Das bedeutet Lernprozess. Zum Vorantreiben sie verschiedene Medien auch
aber, Erfolge weniger an dem dieses Prozesses sind aber außerhalb der autonomen Szene
plakativ radikalen Aussehen unserer Meinung nach folgende und geht mit Zielen wie Pro-
einzelner publikumswirksamer Herangehensweisen gänzlich grammen nicht konspirativ um.
Ereignisse zu messen, sondern ungeeignet: Diese Offenheit bedeutet auch,
stärker an ihrer Bedeutung dass wir mit Veröffentlichun-
auch als winzige Schritte in a.) Es gibt eine akademistische gen nicht warten, bis unsere
einem Gesamtprozess sozialer Art, Politik zu machen, die sich Diskussionen abgeschlossen
Befreiung. Erfolge sind Kämpfe, darauf beschränkt, Theorie um sind, sondern dass wir auch den
die der solidarischen Organi- ihrer selbst willen zu betreiben Diskussionsprozess selbst mit
sierung und dem revolutionären und bestenfalls soziale Kämpfe seinen Widersprüchlichkeiten
Denken und Handeln Terrain kommentiert, ohne je Teil von transparent machen.
erobern, sei es auch dadurch, ihnen sein zu können.
dass der herrschenden Klasse b.) Als das andere Extrem zeich- 7. Obwohl sich FelS explizit als
Zugeständnisse abgerungen nen sich manche Gruppen aus, Versuch begreift, außerhalb des
werden, – die ja dann Ausgangs- die meinen, dass die einzelnen autonomen Rahmens Politik zu
punkte für verstärkte Kämpfe unabhängigen Kämpfe und machen, geht es uns nicht um
werden können. Das wird Verweigerungshaltungen aus die Schaffung eines bezüglich
tendenziell dann erreicht, wenn ihrer eigenen Dynamik heraus drinnen und draußen klar
wieder mehr Dialog zwischen zur Revolution führen und keine abgegrenzten Körpers (Partei,
den Vereinzelten hergestellt verbindende Organisation und Szene...). Das bedeutet vor
wurde und das Gefühl der Ohn- Strategie brauchen (spontane- allem, dass wir den Fehler der
macht gegenüber den zahllosen istische Position). traditionellen linken Organisa-
Herrschaftsmechanismen durch c.) Ebenso eindimensional tionen und Parteien, nämlich für
eigenes Handeln durchbrochen sind andere Gruppen, die die die eigene Linie zu rekrutieren,
wird. D. h. wir finden die Revolution in erster Linie als ein nicht wiederholen wollen. Mehr
Durchsetzung von konkreten Problem der Machtübernahme als das Wachsen der eigenen
Verbesserungen auch innerhalb durch die RevolutionärInnen im Gruppe muss die Entwicklung
der heute bestehenden gesells- militärischen Sinne betrachten einer übergreifenden Diskussion
chaftlichen Ordnung notwendig und sich vor allem auch auf eine zur Organisierung Messlatte
und positiv, wenn in ihr die hierarchische Wertung der so- der eigenen Praxis sein. Das
oben angesprochenen Elemente zialen Kämpfe stützen (Haupt- beinhaltet für uns, dass unter uns
enthalten sind, sie also eine und Nebenwiderspruch). unterschiedliche Standpunkte
Verbesserung von Kampfbedin- Raum finden müssen, und zwar
gungen für systemfeindliche Wir wollen uns mit dem Aufbau einmal in Form verschiedener
Bewegungen darstellt. einer eigener politischen Strömungen und zum anderen
Gruppe außerhalb dieser drei in der gemeinsamen Erkenntnis,
5. Dabei können weder unser Positionen stellen dass sich unterschiedliche Praxis
74 aktueller Begriff von den (z. B. radikale HausbesetzerInnen
Inhalten der Befreiung noch 6. Grundsätzlich ist unsere – Engagements in der Institution
Mietergemeinschaft, Arbeiter- lich auf persönlichen Beziehun- heute TrägerInnen eines
Innenselbstorganisierung – Mit- gen aufbauen kann. Außerdem revolutionären Projekts, noch
gliedschaft in der Gewerkschaft) bedarf politische Arbeit – wie wird ein revolutionäres Projekt
in ihrer Widersprüchlichkeit jede andere Arbeit auch – neben ausschließlich aus ihnen her-
durchaus ergänzen kann. der Lustorientiertheit und Kreati- vorgehen. Eine Organisations-
Zusammengefasst heißt das vität der Planung und innerhalb diskussion kann sich deshalb
– um klarzustellen, wo wir einer Gruppe der arbeitsteiligen nicht auf die autonome Szene
grundlegende Unterschiede zur Organisierung, beschränken.
vorherrschenden autonomen 3. Eine gesamtgesellschaftlich 6. Veröffentlichungen in ver-
Position erkennen: ausgerichtete Organisierung schiedenen Medien auch außer-
1. Offenheit, d. h. das offensive über die unmittelbaren, individu- halb der Autonomen sollen nicht
Darstellen und Anbieten linker ellen Bedürfnisse und unbedingt abgeschlossene Stel-
Konzepte und Organisationsfor- die spezifischen Unterdrück- lungnahmen darstellen, sondern
men ist für einen gesellschaftlich ungsverhältnisse hinaus ist den Diskussionsprozess unserer
emanzipatorischen Prozess notwendig. Gruppe in seiner Widersprüch-
unverzichtbar. 4. Dazu ist es unserer Meinung lichkeit transparent machen.
2. Politik ist wesentlich zielgerich- nach nötig, eine revolutionäre
tete Arbeit an der Gesellschaft Organisation aufzubauen; das ist Für eine linke Strömung!
(Bruch mit der Hinterzimmer- ein Prozess, in dem wir ein
politik). D. h. einerseits, dass Orientierungspunkt von mehre-
eine gesamtgesellschaftliche ren sein wollen.
Organisierung nicht hauptsäch- 5. Weder sind die Autonomen
..
Schließlich ist der Aktionismus
also das planlose Rumrödeln
nur bei den wenigsten eine
bestätigen zu lassen, andere
erwarteten stillschweigend
nicht eine am Anfang stehende
ausbauen möchte.
Da die Heinz-Schenk-Dis-
kussion nicht zu einer breiten
Politikform, für die sie sich Gruppe von etwa 20 Leuten, in Diskussion über eine Neu-
bewusst entschieden hätten. Bei der man erst in einer gemein- bestimmung geführt hatte –
den allermeisten ist Aktionismus samen Anstrengung zu neuen dafür fehlte es ihr an positiven
einfach eine Praxis, an die man Positionen kommen musste, Denkansätzen und an der
sich gewöhnt hat, weil man sondern eine politische Heimat Bereitschaft in der autonomen
sich keine Alternativen dazu mit einem tragfähigen und Bewegung, über die Debatte
vorstellen kann, und weil die dif- überzeugenden Programm. Ein „hat Heinz recht oder nicht?“
fuse Bewegung grundsätzliche anderer Teil blieb weg, weil er grundsätzliche Fragen zuzulas-
Fragen immer wieder abwehrt. die Vorstellungen und Konzepte sen – standen wir isoliert vor
Eine einfache Revision der ganz einfach nicht teilte. der selbstgestellten Aufgabe, 77
Autonomen, ein allmähliches Wahrscheinlich war diese Antworten zu finden.
Wir haben uns dabei offensicht- seien und innerhalb kürzester keinen definitiven Schutz gegen
lich verzettelt, wie es in so Zeit zu einer akademischen La- Repression. Aber auf der an-
vielen Gruppen der Fall ist. Es bertruppe“ werden würden, hat deren Seite bringen klandestine
ist eben grundsätzlich immer sich als unberechtigt heraus- Verhaltensweisen (die ja stets
etwas anderes, sich eine Sache gestellt. Eher das Gegenteil ist auf Kosten der offenen Debatte
vorzunehmen, und sie dann der Fall, wir sind näher daran, gehen) weniger Sicherheit als
auch tatsächlich umzusetzen. eine normale Aktionsgruppe ein intensiver, durchaus auch
Aber das kann kein Vorwurf als ein Theoriezirkel zu werden. kritischer Umgang miteinander,
sein. Schließlich können neue Anscheinend ist die Gefahr der das persönliche nicht außen
Projekte ohne ein Nach-vorne- zu theoretisch zu werden, in vor lässt.
Drängen nicht auskommen. unserem Spektrum geringer als Bedeutender als die Repression
Dass man sich gerade in Situa- vielfach angenommen. waren die Probleme von Fluktua-
tionen ungebändigten Enthu- tion und Wissensunterschieden/
siasmus mit Arbeit überlädt, und Die Notwendigkeit eines Hierarchien einer offenen
dann nur die Hälfte umsetzen echten Bruchs Gruppe. Dadurch dass ständig
kann, bleibt wohl eine Tatsache, neue Leute dazukommen und
mit der man leben muss. Die entscheidende Frage lautet auch wieder wegbleiben können,
zweifellos, ob und wie es uns werden Diskussionen zurückge-
Four months after gelungen ist, etwas anders zu worfen und bereits vorhandene
machen als bisher. Dazu lässt Konsensmeinungen in Frage
4-5 Monate, nachdem das sich Unterschiedliches sagen: gestellt. Ein Versuch damit
Interesse spürbar abgeflaut ist, umzugehen war es, den offiziel-
stehen wir vor einer Situation, a) Weitgehend neu und richtig len Termin früher zu beginnen
die man ungefähr so beschrei- war, die ungeklärte Vermi- als das eigentliche Treffen. Das
ben kann: Der erste, bei den schung von klandestiner und aber brachte wenig, weil a) die
verschiedenen Leuten unter- offener Praxis, die sich meistens Fluktuation sowieso abgenom-
schiedlich stark vorhandene in abgeschotteten Kleingrup- men hat und b) neue Leute eben
Enthusiasmus ist verschwunden, pen ausdrückt (und im Grunde selten wirklich pünktlich sind.
und es hat sich eine zähe, genommen eher mit dem Hang Auf die Dauer hilft hier wohl nur
unspektakuläre Arbeit einge- zur Kleinfamilie als mit einer Geduld sowie Grundsatztexte,
stellt, deren Erfolge nicht politischen Bestimmung zu tun die alle paar Monate als Diskus-
unmittelbar zu sehen sind. Die hat), aufzugeben. Dass wir sionsergebnisse verabschiedet
Gruppe wächst im Augenblick eine erreichbare Gruppe mit werden und Fixpunkte für die
wenig, dafür aber solide (d. h. festen Bürozeiten und offenen Debatte darstellen. Wer neu
neue Leute gehen nicht gleich Treffen sind, ist ein eindeutiger dazukommt, muss dann eben
wieder). Die von uns begon- Pluspunkt. einige Sachen lesen...
nene Seminarreihe ist zwischen- Unser Konzept hat zwar nicht zu Das zweite Problem, das der
durch längere Zeit steckenge- einem Massenansturm geführt, Hierarchien und Wissensunter-
blieben, weil wir kräftemäßig aber es lässt sich an der Zusam- schiede, ist das größere einer
überfordert waren. Die vor dem mensetzung von FelS durchaus offenen Gruppe. Noch stärker als
1. Mai von einigen von uns erkennen, dass offene Gruppen in abgeschlossenen Kleingrup-
mitinitiierte Plattform wartet auf eben doch Leute zusammen- pen, die sich lange kennen,
genauere Diskussionen und schließen können, die sonst nur kristallisieren sich Führungs-
praktische Konsequenzen. sporadisch aktiv wären. Trotz persönlichkeiten heraus, mani-
Die massivste Kritik dagegen, dieser Offenheit haben wir uns festiert sich das Ungleichgewicht
78 die wir zu hören bekamen, dass nicht der Repression ausgeliefert. bei Diskussionen und Initiativen.
wir nämlich „zu theoretisch Es gibt mit Sicherheit überhaupt Wir haben auf dieses Problem
keine Antwort. Es wäre wohl muss man sich darum bemühen, Protokollen und schriftlich festge-
verträumt zu glauben, dass es Distanz abzubauen, auf andere, haltenen Arbeitszielen haben es
Gruppen geben kann, in denen fremde Menschen zuzugehen uns ermöglicht, den roten Faden
grundsätzlich (d. h. in abseh- und sich anstehenden Konflik- nicht zu verlieren. Das Gefühl
barer Zukunft) alle gleich viel ten offen zu stellen, Wissen des auf der Stelle-Tretens, der
Initiative und damit Anerkennung ohne Arroganz zu vermitteln sichere Tod jeder Gruppe also,
besitzen. Unter den gegebenen und kranken, frustrierten oder lässt sich mit einer strukturierten
Bedingungen lassen sich die isolierten GenossInnen auch ein Arbeit zwar nicht ausschließen,
Widersprüche weder durch Sta- wenig „hinterherzulaufen“. Das aber es wird unwahrscheinlicher.
tute noch durch Willenserklärun- Entstehen anderer Organisa- Oft ist es ja gar nicht so sehr
gen oder Dogmen aufheben. tionsformen bedarf eben ganz die Praxis, die unzulänglich ist,
Oder wie es die VerfasserInnen stark bewusster Verhaltensfor- sondern das Bewusstsein über
der Uni-Broschüre zu „Auto- men. die eigene Praxis.
nomen Seminaren“ schreiben: Trotz der von uns beschriebenen Der nur mit einer gewissen
Probleme aber halten wir daran Portion Selbstdisziplin mögliche
„Unterschiedliche Wissensstände fest, dass das Entstehen offener Prozess von Vorausdenken-
(und nicht nur das, Anm. d. V.) Gruppen eine der Grundvoraus- Handeln-Reflektieren in Form
sich klar machen und zu nutzen setzungen für das Wieder- von Protokollen, festgehaltenen
versuchen, Wissen muß nicht im- erstarken der Linken darstellt. Arbeitszielen, Aufarbeitungen
mer Macht über andere (Grup- Wenn es uns nicht gelingt, dass und niedergeschriebenen Selbst-
pen-)Teilnehmerinnen bedeuten, Menschen unterschiedlicher kritiken ist keine Unterwerfung
eine Gruppe muß auch Leute Sozialisierung und Erziehung, mit unter die Bürokratie wie wir
mit unterschiedlichen Wissens- verschiedenen Ansichten, Inter- glauben. Er ist unserer Erfahrung
ständen zueinander bringen kön- essen und Bedürfnissen in einer nach gerade der Ausbruch aus
nen. Hierarchien vermeiden und politischen Gruppe/Organisation einer Form der Fremdbestim-
ExpertInnen zulassen(...)“ sowie: zusammenarbeiten können, dann mung, nämlich der Unterwerfung
„Zusammen aufpassen, daß können wir auch das Konzept unter die vorgegebene Eigendy-
Menge und Qualität der Arbeiten einer befreiten Gesellschaft, namik und Eigengesetzlichkeit
bei allen ungefähr gleich verteilt d. h. einer Gesellschaft, wo die von Bewegungen.
sind, Ziel und Zweck individuel- verschiedenen Gesellschaftsteile
ler Vorleistungen gemeinsam eben nicht mehr entfremdet c) Darüber ob es uns gelungen
vorbereiten (Kleingruppen statt miteinander umgehen, verges- ist, Theorie und Praxis in ein
einzelner Meister-Werke); breite sen. wechselwirkendes (= dialek-
gemeinsame Aufgabenverteilung tisches) Verhältnis zu setzen,
und Kontrolle (nicht immer b) Gut an unserer Arbeit war haben wir kein abgeschlossenes
dieselben Doofen, die schriftli- auch, dass sie zumindest in Urteil. Sicherlich steht außer
che Vorlagen machen); rundum Grundzügen strukturiert war und Frage, dass wir uns bemüht ha-
wechselnde Funktionen (Pro- ist. Gerade weil wir Organi- ben, Theorie als etwas notwen-
tokoll, Redeleitung, Vorbereitung, sierung nicht als bloßes Zusam- diges, nach vorne bringendes
Vertretung nach außen); für alle menkommen, sondern als eine zu betrachten. Die intensiven
und immer verbindliche Rede- gesonderte Anstrengung betrach- Bemühungen um die Seminare
regeln (z. B. ausreden lassen) ten, für die abstrakte Denkleis- zeigen das deutlich. Trotzdem ist
und regelmäßige Gruppenkritik.“ tungen und planende Schritte es uns bisher nicht gelungen, mit
Darüber hinaus würden wir notwendig sind, haben wir uns unserer Reihe („Spontanität und
behaupten, dass offene Gruppen immer wieder gezwungen, über Bewusstheit bei den KlassikerIn-
auch die persönliche Offenheit die nächste Aktion hinauszuden- nen, in der deutschen Revolution 79
der Einzelnen brauchen. Bewusst ken. Ein ganzer Stapel von 1918/19 und der BRD-Linken
nach 68“; „die marxistische Il len, eindeutigen Antworten Solidarität sind gesellschaftliche
Manifesto Gruppe in Italien in wollen wir nicht. Was wir leisten, Phänomene, die nicht von der
den ’70ern“; „die Linke in Griech- ist nicht mehr als ein Ausschnitt Schlechtigkeit der Autonomen/
enland und Euskadi“) eine weit- aus den notwendigen Diskus- Linken herrühren. Um daran et-
erführende Diskussion außerhalb sionen und beweist sich in seiner was zu verändern, brauchen wir
unserer Gruppe auszulösen. Kontinuität. Ehrlichkeit/Genauigkeit und nicht
moralischen Druck. Solange
Bei uns selbst hat sich durch Zum zweiten können wir nach z. B. die Linke ein nur wenig
die Seminarreihe manches mehreren Monaten Seminar- erfolgversprechendes Projekt
unspektakuläres getan, z. B. hat reihe feststellen, wie schwierig ist, ist es ziemlich normal, dass
sich das Problembewusstsein, das gemeinsame Lernen ist. Die viele ihre Einzelinteressen nach
was mechanistische Vorstel- Auseinandersetzung mit Befrei- Beziehung, Urlaub, Ausbildung
lungen über gesellschaftliche ungspädagogik, d. h. mit Lernfor- höher bewerten als die politische
Prozesse angeht, geschärft. Aber men, bei denen Wissen nicht Gruppe. Was eine Gruppe sich
gleichzeitig ist uns auch mehr- eingetrichtert wird, sondern zu gegenseitig abverlangen kann,
mals der rote Faden abhanden selbständigem Denken angeregt ist ein gewisser Realismus, dass
gekommen. wird, ist ausgesprochen wichtig. der/die Einzelne, das was er/
Auf der anderen Seite stellt auch Bis jetzt fehlt es uns sicher sie übernimmt, auch erledigt.
klar heraus, dass Bildungsarbeit an Phantasie und Erfahrung. Ansonsten hängt die Dynamik
ein langfristiges Projekt ist, das Interessant auch hier, was die einer Gruppe davon ab, ob
sich nur sehr vermittelt auf eine GenossInnen aus der Uni dazu Einzelne Andere motivieren
andere Politik auswirkt. Zu glau- schreiben: oder mit ihrem Optimismus
ben, dass man mit Seminaren „Die neverending Suche nach anstecken können. Diejenigen,
oder Theoriearbeit überhaupt anderen Formen, – Gruppe- die das können, sollten ihre
Antworten auf die drei oder vier narbeit, vorbereitete Diskus- Rolle als Orientierungspersonen
brennenden Fragen der Zeit sionen/Rollenspiele, Planspiele, annehmen, auch wenn das dem
finden kann, ist naiv. Gerade die Fingerfarben, und alles wofür wir Mythos des „wir sind alle so
Beschränkung auf einige wenige so Verachtung haben – überlegt gleich“ widerspricht. Der Zeige-
Hauptdiskussionsstränge, von einsetzen. Und auf alte Bücher finger dagegen („du musst doch
denen man Handlungsan- zum Thema zurückgreifen, sich einsehen...“), der die wirklichen
weisungen erwartet, würde über Ideen und Erfahrungen Bedürfnisse übersieht, drängt
eine fatale Einengung linker mit anderen Gruppen aus- die Leute nur hinaus. Natürlich
Theorie nach sich ziehen. Es tauschen...“ sollten alle versuchen, das ihnen
ist kontinuierliches Entdecken Mögliche beizutragen, aber ein
neuer Hauptwidersprüche, Zen- d) Außerdem können wir objektiver Maßstab – „alle müs-
tralthemen und revolutionärer sehen, dass eine Reihe von sen die gleiche Verantwortung
Subjekte (die Marginalisierten, Eigenschaften, die wir bei den tragen, gleich viel arbeiten...“ –
die farbige Frau im Trikont, die Autonomen kritisiert haben, bei verhindert die Entwicklung der
SubsistenzbäuerInnen in der uns genauso auftauchen wie in Individuen, weil er die unter-
ganzen Welt, die ImmigrantInnen anderen Gruppen: die Schwierig- schiedlichen Voraussetzungen
usw.), was zu einer revidierten keiten mit der Verbindlichkeit, nicht beachtet.
Neuauflage jenes mechanisti- die fehlende Bereitschaft, ein e) Der Punkt, bei dem wir am
schen Geschichtsverständnisses gemeinsames Projekt auch selbstkritischsten sind, ist der der
führt, bei dem sich Befreiung als einmal über ein individuelles zu gesellschaftlichen Öffnung. Hier
eindeutige Kausalkette begreifen stellen, die Unfähigkeit, Initiative haben wir in den ersten sechs
80 lässt. Die Theoriearbeit der zu entwickeln oder mangelndes Monaten sehr wenig zustande
„großen Würfe“, d. h. der schnel- Verantwortungsbewusstsein und gebracht. Sicherlich haben wir
uns bemüht, mit Leuten
außerhalb des Tellerrands ins
Sachen beteiligt zu sein, auch
seine Berechtigung hat, ist nicht
.
Planung-Aktion-Reflektion.
Offene Gruppen mit Ansprech-
punkten und der ernstgemeinten
Gespräch zu kommen, aber ganz klar zu beantworten. Zwar Bereitschaft, neue Leute zu
bisher macht das noch keine brauchen wir mehr Überlegung integrieren, sind unverzichtbar.
politische Perspektive aus. und theoretische Begründung Offene Konzepte sind weder
In der Öffentlichkeitsarbeit – das für diese oder jene Initiative, aber schutzlos der Repression aus-
wären z. B. gesteckte Stadtteilzei- auf der anderen Seite ist auch geliefert noch blockieren sie sich
tungen zum Thema Rassismus, der Blick der politischen Elite durch ihre innere Widersprüch-
ein eigener 1. Mai-Aufruf oder
eine Aktion gegen die faschis-
tischen Parteien zur BVV-Wahl
(der Avantgarde und Checker)
gefährlich, der Protestpotentiale
ausforscht, um sich zu ihnen zu
.
lichkeit selbst.
Theorie und Praxis lassen sich
nicht sinnvoll voneinander tren-
– haben wir wenig Initiative begeben. Das ist nicht mehr als nen; das bedeutet nicht, dass die
entwickelt. Bei aller Kritik an die Festschreibung der Trennung Theorie ausschließlich Anwei-
der Kreuzberg-Fixiertheit des in politisch bewusste Revolu- sungen für die Praxis zu liefern
ersten Teils des (vierseitigen) 1. tionärInnen und die ganz netten, hat. Im Gegenteil – Theorie muss
Mai-Aufrufs war dieser ein ganz aber etwas blöden Massen. frei forschen können. Was wir
gutes Beispiel dafür, wie wir uns Insgesamt können wir nicht ablehnen, ist die Auftrennung in
wieder an die Öffentlichkeit rich- behaupten, die Artworten auf DenkerInnenzirkel und Aktions-
ten könnten. Auch die Plakate
von Antifa-Gruppen zu den
faschistischen Organisationen
die in der Heinz-Schenk-Debatte
gestellten Fragen gegeben zu
haben. Aber von einer kleinen
.
gruppen.
Die Linke muss sich ohne Auf-
gabe revolutionärer, internatio-
vor der BVV-Wahl waren eine Gruppe mit sechs Monaten nalistischer Ziele und system-
gute Aktion. In dieser Richtung Praxis ist das auch kaum zu sprengender Forderungen auf
sollten wir weiter überlegen, erwarten. Obwohl einige gemes- konkrete Bedürfnisse der Bevöl-
und vor allem kontinuierlicher sen an ihrer Anfangseuphorie kerung beziehen. Die Ignoranz
werden. zeitweise enttäuscht gewesen gegenüber der Bevölkerungs-
Für uns steht fest, dass die Neu- sind, machen wir eine positive mehrheit ist genauso falsch wie
bestimmung der revolutionären/ Einschätzung dieses ersten ein unkritisch-populistisches
radikalen Linken vor allem über halben Jahres. Wir glauben auf Verhältnis. Wenn die Linke jede
den Kampf um die breite Öffent- einem Weg zu sein, der weder Verbesserung der Lebensver-
lichkeit läuft. Herzen und Köpfe die Verlängerung autonomer hältnisse (damit meinen wir
zu gewinnen, und zwar sowohl Praxis noch eine Parteigrün- nicht die Erhöhung der Konsum-
über politische Überzeugungsar- dungsinitiative im klassischen möglichkeiten für die Kernarbei-
beit und gemeinsame Organi- Sinne ist. Der Bruch mit den terklasse, sondern Forderungen
sierung als auch über praktische, Dogmen ist ein wichtiger Schritt nach z. B. mehr Gesundheit,
direkte Aktionen, ist die richtige gewesen. Wir halten an unseren mehr Bildung und weniger Ar-
Parole der Zeit. Hier muss die Thesen fest: beit) im bestehenden System als
ganze Linke einiges lernen.