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orthodoxer Religiosität als Verflechtungen zwischen West und Ost im Kalten Krieg
Author(s): Stefan Rohdewald
Source: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, Neue Folge, Bd. 57, H. 2,
Themenschwerpunkt: Religion und Photographie / Religion and Photography: The Sacred
before the Camera (2009), pp. 221-250
Published by: Franz Steiner Verlag
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/41052251
Accessed: 01-07-2017 17:41 UTC
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Stefan Rohdewald, Passau
In der Not erneuerte 1943 der sowjetische Staat mit der Zulassung der Wahl eines Patriar-
chen die Zusammenarbeit mit der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK). Die erneuerte
Symbiose setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Allerdings blieben nach dem
„Großen Vaterländischen Krieg" die Beziehungen zwischen dem übermächtigen Staat und
der weiterhin schwachen Kirche schwierig. Mitte der Sechzigerjahre zeichnete sich ein
Konflikt zwischen der offiziellen Kirche und einzelnen Priestern ab, die der Kirchenfuh-
rung vorwarfen, nicht auf der Freiheit der Kirche zu bestehen.1 Bis zur Auflösung der So-
wjetunion traten als Akteure neben die staatstreuen und die andersdenkenden Geistlichen
sehr langsam, und deutlicher erst in den Achtzigerjahren, breitere soziale Kreise als Trä-
ger einer „Wiedergeburt" religiöser Lebenswelten. Der Vorgang wurde von westlichen
Beobachtern sehr aufmerksam verfolgt.2 Neuere geschichtswissenschaftliche Forschungen
hierzu sind jedoch noch wenig zahlreich.3 Dieser Beitrag rückt die Funktionen fotografi-
scher Abbildungen von Religiosität in sowjetischen wie auch in westlichen Bildbänden in
diesem komplexen Prozess ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Die geschichtswissenschaftliche Arbeit mit Bildern hat in den letzten Jahren eine neue
Konjunktur erlebt.4 Auch im Teilbereich der Untersuchung und Interpretation der gesell-
schaftlichen Rollen von Fotografien sind neue theoretische Überlegungen5 von Gründun-
gen neuer wissenschaftlicher Zeitschriften6 begleitet worden. Im Kontext dieser Ansätze
werden auch in diesem Beitrag Fotografien nicht als eine marginale Quellengattung ange-
sehen. Vielmehr sollen sie hier im Sinne einer neuen Kulturgeschichte im Zusammenhang
mit schriftlicher Kommunikation in Situationen untersucht werden, in denen sie eine Rolle
* Ich danke Natalja Donig (Konstanz/Passau) für eine kritische Durchsicht des Textes.
1 Vgl. Konstantinow Die Kirche in der Sowjetunion, S. 333/4.
2 Eine Auswahl von Arbeiten: Bodewig Die russische Patriarchatskirche; Roepke Glasnost auch
für Gott?; Müller Die Lage der Russischen Orthodoxen Kirche; Seide Religiöse Renaissance.
3 Grundlegend: Batalden Seeking God; Davis A Long Walk to Church; Scherrer Die Rückkehr
der orthodoxen Kirche; Stricker Die gesellschaftliche Rolle der Kirchen. Deutsch Kornblatt
„Christianity, Antisemitism, Nationalism"; Im Überblick: Hildermeier Geschichte der Sowjet-
union, hier S. 981-989. Bis Chruscev: Chumachenko Church and State. Bis 1980: Hauptmann /
Stricker Die Orthodoxe Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Geschichte. Die beiden Themen-
hefte zu Religion in Russland vor der Revolution sowie zu Stalinismus und Religion haben an-
dere zeitliche Schwerpunkte: Jahrbücher für Osteuropäische Geschichte 52 (2004) H. 3 und 4,
S. 321-420, S. 481-584.
4 Nur eine Literaturauswahl: Paul Visual History; Sachs-Hombach Bildwissenschaft; Bachmann-
Medick Cultural Turns, hier zum „Iconic Turn": S. 329-380; Belting Bild-Anthropologie, hier
zur Fotografie: S. 213-239.
5 Auch hierzu nur wenige Titel: Jäger Photographie; abschnittsweise auch zur Fotografie: Sachs-
Hombach Das Bild als kommunikatives Medium, bsd. S. 221-226.
6 Photography and Culture 1 (2008) H. 1; Photography 1 (2008) H. 1. Bereits seit 1982 erscheint:
Fotografiegeschichte.
Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 57 (2009) H. 2 © Franz Steiner Verlag GmbH, Stuttgart/Germany
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222 Stefan Rohdewald
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland' im Bildband 223
Bereits mitten im Krieg publizierte das Moskauer Patriarchat 1942 mit einer Auflage von
50.000 Exemplaren einen umfangreichen Band mit 221 kleinformatigen Abbildungen und
dem Titel: „Die Wahrheit über die Religion in Russland". Sergij, der Verweser des nicht
besetzten Patriarchenamtes, schrieb einleitend: „Dieses Buch ist die Antwort vor allem auf
den , Kreuzzug' der Faschisten". Es sollte darlegen, dass die ROK keiner Befreiung bedür-
fe, und von Seiten der „Bol'seviki" keine „Verfolgungen" erleide.19 Diese Situierung in
der Propagandainteraktion des Weltkrieges war gleichzeitig die Legitimation für die so-
wjetpatriotische Publikation - Stalin rief die Kirche und ihre Heiligen „zu den Waffen".20
16 Ausgeklammert bleiben damit etwa Fotografien in Zeitschriften des Patriarchats oder westli-
cher Einrichtungen, die über die Sowjetunion berichteten.
1 7 Aust / Schönpflug Vom Gegner lernen.
18 Werner / Zimmermann Vergleich, Transfer, Verflechtung, S. 635. Zu Massenmedien als Sprach-
und Handlungsfelder grenzüberschreitender Verflechtung: Lindenberger Massenmedien im Kal-
ten Krieg. Ein weiterer exemplarischer Hinweis zu Verflechtungen im Rahmen des Kalten
Krieges: Dockrill L'Europe de l'Est.
19 (JaruSevic) / Georgievskij / Smirnov Pravda o religii, S. 7.
20 Schenk Aleksandr Nevskij, S. 382. Zum Sowjetpatriotismus: Golczewski / Pickhan Russischer
Nationalismus, S. 68-77; Oberländer Sowjetpatriotismus; Schenk Aleksandr Nevskij, S. 267-
270. Vgl. Mazour The Writing of History.
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224 Stefan Rohdewald
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland4 im Bildband 225
ses Versuchs, die Legitimität der Existenz der orthodoxen Kirche im sowjetischen wie im
internationalen Kontext zu festigen. Nur in diesem diskursiven Rahmen konnte auf die äl-
tere Geschichte zurückverwiesen werden.29 Darüber hinaus waren die Hinweise, wie sich
die Leser die vorrevolutionäre Vergangenheit der Kirche vorzustellen hätten, rar, aber ein-
deutig: Neben der angeblichen historischen Einheit der Kirche mit dem Volk30 stand die
Unterstützung jeglicher Staatsmacht.31
165 Fotografien in Schwarz- Weiß illustrierten den Band. An erster Stelle standen Por-
trätaufnahmen der Patriarchen Tichon, Sergij und Aleksij, die einen statischen Eindruck
vermitteln und in ihrem Stil der Porträtmalerei verpflichtet scheinen.32 Zahlreiche weitere
Bilder bezeugten die amtliche Tätigkeit der Kirchenfursten und ihre Beziehung zum so-
wjetischen Staat.33 Nur auf drei Fotografien waren aber auch Gläubige in kleiner und
großer Anzahl zu sehen.34 Auch bei diesen Bildern scheinen jedoch dem Fotografen die
auf ihnen mitabgebildeten Geistlichen wichtiger gewesen zu sein als die Gläubigen, die
diese umgaben, und die er schlicht nicht restlos auszublenden vermochte. Die Aufnahmen
waren kleinformatig und zeigten keine der Kamera zugewandten Gesichter. Sie waren auf
die dokumentierte Handlung, aber nicht auf die Akteure fokussiert. Nur selten sind auf
den Abbildungen gewöhnliche Gläubige sichtbar, deren Gesichter deutlich erkennbar
sind.35 Diese Fotografíen waren die einzigen im ganzen Band, die nicht die Geistlichkeit,
Seminaristen, die Architektur oder offizielle sakrale Akte abbildeten. Die durch diese Zu-
sammensetzung erstellte visuelle Nachricht überrascht, sollte es doch in dem Band um das
„Volk" und um das „kirchliche Leben" gehen. Für beides standen im Verständnis der hier
eingesetzten Text- und Bildlogik im Sinne einer offiziösen Dokumentation ganz weitge-
hend nur der amtliche und liturgische Rahmen, nicht aber eine Menge von selbstbewuss-
ten Gläubigen. Die Übersetzungen in zahlreiche Sprachen bezeugen, dass mit der Publika-
tion die Weltöffentlichkeit angesprochen werden sollte. Ihr Ziel war es, die Freiheit der
ROK in der UdSSR36 international zu beweisen und „Lüge und Verleumdung" durch „der
UdSSR feindlich gesinnte Personen" zu widerlegen.37 Im Vergleich mit einem 1959 er-
29 So wurde aus einem Appell Sergij s zitiert, der seinerseits ins Mittelalter wies: „Weder zur Zeit
der Lehnsherren noch zur Zeit des Tatarenjochs, noch zu Zeiten von Unruhen hat die Kirche ihr
irdisches Heimatland seinen Feinden preisgegeben". Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 13.
Vgl. zur Rolle des Gedenkens des „Großen Vaterländischen Krieges" in der sowjetischen und
russischen Erinnerungskultur: Scherrer Sowjetunion/Rußland.
30 „Unsere Orthodoxe Kirche aber war stets mit dem Volk". Die Russische Orthodoxe Kirche,
S. 8.
31 „Das kirchliche Leben in unserem Lande konnte auch gar keine andere Richtung nehmen, [...]
weil nach der orthodoxen Überzeugung die Staatsmacht von Gott eingesetzt ist". Die Russische
Orthodoxe Kirche, S. 16.
32 Die Russische Orthodoxe Kirche, S. [0], 8, 15.
33 Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 19, 21, 34, 43, 44.
34 Es handelt sich um Fotografien von Teilnehmern eines Festgottesdienstes und eines kirchlichen
Festes im „Troize- Sergij e wo-Kloster" in Zagorsk. Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 72, 74.
35 Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 80f, 149.
36 Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 14-23.
37 „In gewissen Auslandskreisen verbreiten der UdSSR feindlich gesinnte Personen von jeher
Verleumdungen, in der Sowjetunion werde die Gewissensfreiheit geschmälert, in unserem Lan-
de würden die Geistlichen und die Gläubigen wegen ihrer religiösen Betätigung seitens staatli-
cher Instanzen sogar gerichtlich verfolgt. Diese Lüge und Verleumdung ist schon lange katego-
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226 Stefan Rohdewald
1972 erschien einer der ersten westdeutschen Bildbände zur Lage der Kirche(n) in der So-
wjetunion: Der Benediktinerpater Chrysostomus Dahm, der wie viele deutsche Männer
seiner Generation die Erfahrung des Krieges an der Ostfront zu verarbeiten hatte, veröf-
fentlichte „im Auftrag der Aktivitas Ostkirchen" einen Band mit dem Titel „Millionen in
Rußland glauben an Gott. Enthüllungen über die Christen in Sowjetrußland". Bis 1973 er-
schienen von dieser Ausgabe zwei Auflagen mit jeweils 10.000 Exemplaren „im Großfor-
mat" mit 128 Abbildungen; bis 1976 folgten drei weitere Auflagen. Gleichzeitig verkaufte
derselbe Auftraggeber auch eine Ausgabe des Werks als Taschenbuch mit 44 Fotografien,
das 1972 bis 1974 in vier Auflagen mit ebenfalls je 10.000 Exemplaren erschien.41 Außer-
ordentlich sollte gerade an dem großformatigen Band seine Ausstattung mit zahlreichen
Fotografien sein. Die betont gefallig gestaltete Aufmachung war es, die - laut der Wer-
bung des Verlags - wirklich zählte.42 Im Werbetext heißt es: „So viele wie nur möglich
müssen es in die Hand bekommen und schon von seiner äußeren Erscheinung beeindruckt
und begeistert sein! f Dies er Band müsste in jedem Gymnasium, in jeder Familie und Uni-
versität vorliegen ' [kursiv hier und im Weiteren im Original], schreibt die betagte Schrift-
stellerin Zenta Maurina. ,Die Bilder sind von solch einer Lebhaftigkeit, dass die Gesich-
ter einen bis in den Traum verfolgen '."43 Den Fotografien wurde die Aufgabe zugedacht,
Gesichter russischer Gläubiger in das (Unter-)Bewusstsein westlicher Leser zu schleusen.
Um, wie angestrebt, einen möglichst großen Leserkreis zu erreichen, erstellten „Autor und
Verleger" aber auch eine „Taschenbuch-Ausgabe". In ihr verschob sich in der Verkaufs-
risch widerlegt worden, unter anderem von der Kirche selbst." Die Russische Orthodoxe Kir-
che, S. 24. Zitate der Berichte ausländischer Besucher sollten die Freiheit der Kirche bestäti-
gen: Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 28/9.
38 Otto Das Fenster zur Welt.
39 Plicka Praha ve fotografa .
40 Beispielsweise zwei Länderporträts, die nach dem Erscheinen von Buchern desselben Fotogra-
fen über Deutschland, Italien und Spanien auf persönliche Einladung der Regierungen Jugosla-
wiens bzw. Rumäniens erstellt worden waren: Hielscher Jugoslavien, S. XI; Hielscher Rumäni-
en, S. XV.
41 Beide Bände wurden von der katholischen Kirche zum Druck zugelassen. Dahm Millionen in
Rußland glauben an Gott, S. 284, S. 4; Taschenbuchausgabe: Dahm Millionen in Rußland glau-
ben an Gott. Enthüllungen, S. 199, S. 2.
42 „Jedem hat die Stunde geschlagen, der das aufsehenerregende Buch - im Großformat -[...] ge-
lesen hat." Weiter heißt es in der Werbung, die über diese Großausgabe im Taschenbuch ent-
halten ist: „Der Band umfaßt 160 Seiten Text und 128 - zum Teil farbige - Bildtafeln, die in
weinroten Einlegekartons gebunden sind und dem Buch eine ungewohnte und freundliche Note
geben". Dahm Millionen in Rußland glauben an Gott, S. 200.
43 Dahm Millionen in Rußland glauben an Gott, S. 200.
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland4 im Bildband 227
Vorstellung der Herausgeber das Bedeutungsverhältnis vom Bild zum Text.44 Die reflek-
tierte Kombination von Text und Fotografie sollte dem deutschen Leser nicht nur den
Blick auf die „Wirklichkeit" in Russland45 ermöglichen, sondern ihm „Herz und Auge ei-
nes Russen" verleihen. Damit war die Vermittlung einer Sicht in die vorausgesetzte „tiefe
Frömmigkeit" der Russen als das eigentliche Anliegen bestimmt.46 Obschon die in den
Band aufgenommenen Abbildungen wegen der ungünstigen Aufnahmebedingungen von
zahlreichen Fotografen stammten, sollten sie gemeinsam doch einen geschlossenen Ein-
druck ergeben. Bei der Auswahl der Bilder war das Kriterium fotografischer Professiona-
lität nicht wichtig, zumal der Verfasser eine Vielzahl selbst beitrug. Der beschriebene
Gestus des Fotografen war der des Erhaschens, der Jagd unter widrigen politischen Um-
ständen.47
Beide Ausgaben des Werks enthielten die gleichen Texte; der kleinformatige Band
wurde aber mit nur 44 Abbildungen verkauft. Der unterschiedliche Einsatz der Fotografi-
en veränderte die in den Bänden vermittelten Eindrücke: Der großformatige Band begann
mit einer Bildserie unter dem Titel „Glanzvoller Anfang".48 Die folgenden Bildtafeln zeig-
ten den „hl. Wladimir, dargestellt in einer Kolossalstatue über dem Dnjeper-Strom", die
Dächer der Kiewer „Hagia Sophia, der Mutter aller Kirchen Rußlands, von deren Gold-
kuppeln die Strahlenkreuze in den Himmel ragen. Sie warten auf den Tag, an dem sich in
der Kirche der Weisheit die Gebete der Gläubigen wieder erheben." Eine Fotografie aus
der Gegenwart sollte hier zukünftige Handlungspraktiken fördern. Die Kreuze auf der Kir-
che wurden im Text zu Wartenden vermenschlicht. Die Fotografie sollte im Licht der
Bildlegende nicht einfach die Gegenwart darstellen, sondern ihren Kontrast zur Vergan-
44 In der vierten Auflage heißt es 1974, sie sei hergestellt worden, „damit vor allem junge Men-
schen und alle, die sich den großformatigen Bild-Text-Band trotz seines niedrigen Preises nicht
leisten können, diese handlichere Ausgabe erwerben. Denn neben den Bildern ist gerade der
Text von besonderer Bedeutung." Dahm Millionen in Rußland glauben an Gott. Enthüllungen,
S. 8.
45 In einem der Vorworte, die beiden Bänden gemeinsam waren, beschrieb Chrysostomus Dahm
„[d]as Anliegen dieses Buches" als „die Hinlenkung aller Leser auf die wahre, erhebende, aber
auch ungeschminkte und oft grauenhafte Wirklichkeit, in der Millionen von Gläubigen drüben
in Rußland jetzt leben müssen [kursiv im Original]." Dahm Millionen in Rußland glauben an
Gott, S. 9; Dahm Millionen in Rußland glauben an Gott. Enthüllungen, S. 9.
46 „Versuchen wir nun - gleichsam mit Herz und Auge eines Russen - dieses Volk zu sehen, sein
Land und seine Lebensart in Wort und Bild zu erleben, vor allem aber seine tiefe Frömmigkeit,
wie sie uns damals während des Zweiten Weltkrieges und mir auf späteren Reisen durch die
Sowjetunion oft so erschütternd begegnete, und die bis auf den heutigen Tag - so unglaublich
es klingen mag - in Millionen Herzen lebendig geblieben ist." Dahm Millionen in Rußland
glauben an Gott, S. 22; Dahm Millionen in Rußland glauben an Gott. Enthüllungen, S. 22.
47 „Heute in der Sowjetunion fotografieren zu wollen, ist unmöglich. Es sei denn, die ,Potemkin-
schen Dörfer' würden einem genügen, die der staatliche Reisedienst Intourist zu fotografieren
erlaubt. Es sind die Kreml-Kathedralen, der Rote Platz und einige Sowjetfassaden in Moskau,
das Kloster Sagorsk und wenige andere Touristenobjekte in Leningrad, Kiew, Sotschi und im
Kaukasus. Wir danken daher den Fotografen und Reportern, die doch einiges mit der Kamera
von dem erhaschen konnten, was hinter den Fassaden liegt, und die uns ihre Aufnahmen zur
Verfugung stellten." Dahm Millionen in Russland glauben an Gott, S. 284; Dahm Millionen in
Rußland glauben an Gott. Enthüllungen, S. 199.
48 Dahm Millionen in Rußland glauben an Gott, S. 24.
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228 Stefan Rohdewald
49 „Über mancher Bildtafel wie dieser hier müßten die Worte stehen: ,Das war einmal/ Mit Kreuz
und Ikonen begannen früher die Prozessionen, besonders eindrucksvoll die zur heiligen Oster-
nacht." Dahm Millionen in Rußland glauben an Gott, S. 24, zu Abbildung 31.
50 Dahm Millionen in Rußland glauben an Gott, S. 24, zu Abbildung 32: „In diesem Kloster
herrscht heute der Lärm dieser Welt".
51 „Wir können nur zu Gott hoffen und wünschen, dass auch durch unser Buch vielen die Augen
geöffnet werden fur das Grauenvolle, aber auch für das Göttlich-Erhebende, das in ihm leben-
dig wird." Dahm Millionen in Rußland glauben an Gott. Enthüllungen, S. 8.
52 So wurde eine Gruppe von Frauen mit weißen Tüchern in Zagorsk gezeigt, die laut dem Be-
gleittext ,,[i]n Gebet und Meditation versunken" waren. Dahm Millionen in Rußland glauben an
Gott, S. 24, zu Abbildung 35. Vgl. in der kleinformatigen Ausgabe: Dahm Millionen in Rußland
glauben an Gott. Enthüllungen, S. 83.
53 „Diese Aufnahme könnte vor 30 Jahren gemacht worden sein, in jener Osternacht am Ilmensee,
die in diesem Buch ausführlich beschrieben ist. Es lag der gleiche verklärende Schein auf den
Gesichtern der Menschen wie in dieser Osternacht". Dahm Millionen in Rußland glauben an
Gott, Abb. 198.
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland4 im Bildband 229
tografie, die eine ältere Dame beim Anzünden einer Kerze zeigt, einen neuen Blick auf
persönliche Religiosität.54
Dahms Buch, und insbesondere dessen großformatige Ausgabe, steht für die politische
Aufladung der Gattung des vorwiegend im kunsthistorischen Bereich etablierten coffee-
table book. Um eine klare politische Botschaft mit neuesten publizistischen Methoden an
möglichst breite Leserkreise zu vermitteln, wurde eine auch visuell eingängige und gefäl-
lige Aufmachung gewählt und der Text in leicht verdauliche Portionen gegliedert. Die Ta-
schenbuchausgabe versuchte Gleiches für die weniger bemittelte Leserschaft zu leisten.
Inwiefern wurde das für dieses Buch beobachtete mediale Vorgehen für weitere Bände
vorbildlich?
1980 veröffentlichte der Verlag des Moskauer Patriarchats einen kleinformatigen, aber
mit 256 Seiten und 232 Abbildungen umfangreichen Band mit dem Titel „Die Russische
Orthodoxe Kirche", der zunächst auf Russisch und 1982 auch auf Englisch erschien. Wäh-
rend in der russischen Ausgabe abweichend von der allgemeinen sowjetischen Praxis,
aber wie bei anderen sowjetischen religiösen Publikationen eine Angabe der Auflagenhö-
he fehlt,55 wurden von der englischen Übersetzung erklärtermaßen 15.800 Exemplare ver-
öffentlicht.56 Wie bei den Bänden von 1958 sind inhaltlich keine Unterschiede zwischen
den Ausgaben erkennbar. Auch dieser Band war damit für die internationale Öffentlich-
keit bestimmt. Er gab nun nicht mehr nur einen Einblick in das „gegenwärtige Leben der
Kirche", sondern enthielt auch eine „knappe Skizze" der gesamten Geschichte der ROK.
Überdies wurde ihre „Patriotische und friedensstiftende Tätigkeit"57 in einem gesonderten
Kapitel dargestellt, genauso wie auch ihre Rolle in der ökumenischen Bewegung,58 die
Kirchenarchitektur der Alten Rus' und die Kirchenkunst. In allen diesen Bereichen liege
„das Wesen der Russischen Orthodoxen Kirche" begründet,59 wie Patriarch Pimen im Ge-
leitwort festhielt. Mit diesem Inhaltsverzeichnis verortete sich der Band gewissermaßen
als Neuauflage des Bandes von 1958. Im deutlichen Unterschied zu jenem konnte nun
aber im bereits etablierten und legitimierten Publikationsrahmen dem Rückblick in die
vorrevolutionäre Vergangenheit Platz eingeräumt werden.
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland4 im Bildband 231
Auch in diesem Bildband war das Zusammenspiel von Text und Bild entscheidend. Die
Kirche sollte hier, so das Vorwort, als „lebendiger und sich ewig entwickelnder Organis-
mus" inszeniert werden. Eine verklausulierte Formulierung rechtfertigte vor dem sowjeti-
schen Publikum sowie den Behörden die Beschreibung der vorrevolutionären Vergangen-
heit: ,,[d]er retrospektive Blick hilft, sich eine Vorstellung von den Problemen zu machen,
die unsere Kirche heute beschäftigen".76 Die ausdrücklich, wenn auch nur summarisch an-
gesprochenen „Probleme" wiesen dabei erstaunlich offen auf eine Unzufriedenheit über
die „Lage der Kirche im sowjetischen Staat" hin.77 In diesem Blick auf die Vergangenheit,
der, wie gezeigt, 1958 noch nicht am Platz gewesen war, unternahm man nun den Ver-
such, alte erinnerungskulturelle Versatzstücke orthodoxer und nationalrussischer Historio-
graphie im sowjetischen Kontext in Erinnerung zu rufen und zu neuem Leben zu erwe-
cken.78 Mit Nachdruck wurde das Verhältnis der Kirche nicht nur zum sowjetischen Staat,
sondern auch zu dessen Vorläufern sowie zum Volk idealisiert. Das Medium der Fotogra-
fíe wurde eingesetzt, diese Botschaft zu untermauern: Parallel zu einer Fotografíe der Kir-
chen des Moskauer Kremls wurde die „patriotische Tätigkeit" des hl. Sergej von Radonez
beschworen sowie die Teilhabe der Kirche an der „nationalen und kulturellen Wiederge-
burt der Rus'" nach der Abschüttelung des „mongolisch-tatarischen Jochs".79 Die histori-
sche Rolle der Kirche wurde im Rahmen des Kapitels zur „patriotischen und friedensstif-
tenden Tätigkeit" gleich noch einmal in einem Längssschnitt von der Alten Rus' bis in die
Gegenwart skizziert. Erst hier fand auch eine Fotografie einer Abbildung Aleksandr Nevs-
kijs als Kriegerheiliger Platz.80 Eine Fotografie der Panzerkolonne „Dmitrij Donskoj", die
mit „Mitteln der Gläubigen" finanziert worden sei, sollte die staatstragende und kriegeri-
sche Funktion der Kirche im „Großen Vaterländischen Krieg" unter Beweis stellen.81 Der
Kirche wurde aber eben nicht mehr nur für die Zeit des Zweiten Weltkrieges weit mehr
als religiöse Bedeutung zugesprochen. Sie wurde, ausgehend von der Grundlage des staat-
lich legitimierten Sowjetpatriotismus, mit erstarkendem Selbstbewusstsein der Autoren
zum Ausgangs- und Endpunkt russischer Identität in Vergangenheit, Gegenwart und Zu-
kunft stilisiert. Die Stellung der Kirche wurde in den Texten des Bandes allerdings sta-
tisch dargestellt; sie entwarfen einen stabilen Zustand, der keiner Veränderung oder Ver-
besserung bedürfe.82 Die Loyalität der Hierarchie gegenüber dem Staat wurde nicht nur im
Verfolgungen von 1959-1963. Wenn es heute noch offen ist, ist das dem tapferen Widerstand
der Mönche und Pilger zuzuschreiben." Vgl. auch das Kapitel „Verfolgungen der Kirche" bei
Konstantinow Die Kirche in der Sowjetunion, S. 278-315.
76 [Necaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 5.
77 [Necaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 5.
78 [Necaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 8-33. Vgl. exemplarisch: Schmiegelt Geschichte
als Begründung der Autokratie.
79 [Necaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 12. Auch: „Die russischen Hierarchen richteten
ihren Einfluss auf den Aufbau des Staates, auf die Festigung der Zentralmacht, die Einpflan-
zung der Aufklärung und der sittlichen Erziehung des Volkes." Der Satz stand neben einer Ab-
bildung des Novgoroder Denkmals zum tausendjährigen Jubiläum Russlands aus dem Jahr
1862. Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 1 1.
80 [Necaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 112. Vgl. Schenk Aleksandr Nevskij.
81 [Necaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 123. Verbal, aber ohne Abbildung hierzu bereits:
Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 215.
82 Vgl. [Necaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 33.
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232 Stefan Rohdewald
Über Rom nach Moskau: Die Übernahme des westlichen Modells des Bildbandes
durch das Patriarchat in der Zusammenarbeit zwischen West und Ost
Bereits zwei Jahre später, 1982, veröffentlichte das Moskauer Patriarchat eine großforma-
tige Monographie mit dem Titel „Die Orthodoxe Kirche in Russland" in einer englischen,
deutschen, französischen, italienischen sowie in einer russischen Ausgabe.91 Die russische
83 So machte eines der dem Kapitel über das „derzeitige Leben der Kirche" als Motto vorange-
stellten Zitate - in diesem Fall aus der Feder des Moskauer Metropoliten Filaret (Drozdov) -
unzweideutig klar: „Wer nicht Bürger seines Staates zu sein vermag, ist des Reiches Gottes
nicht würdig." [NeCaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 35.
84 [NeCaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov , S. 106.
85 [NeCaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 107, 109.
86 Die für alle byzantinisch beeinflussten Kirchen typische Ikonenmalerei wurde - begleitet durch
zahlreiche Fotografien von Ikonen - zum Ausdruck des „Geistes" einer russischen Nation stili-
siert: „Die russische Ikone - ist eine der stärksten Erscheinungen des nationalen religiösen
Geistes." [NeCaevI Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 213.
87 [NeCaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 248.
88 Vgl. Rohdewald Mother Bulgaria, Mother Russia and their Sisters.
89 [NeCaev] Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 248-253.
90 Pospielovsky The Russian Church, S. 430f.
91 Mayer Die Orthodoxe Kirche in Russland. Die Auflagenhöhe auch der deutschen Ausgabe ist
unbekannt, der Verlag gab keine Auskunft. Das Verzeichnis der Publikationen des Patriar-
chatsverlags macht für keine der Ausgaben des Bandes (Nr. 685) Angaben zur Auflage: http://
www.Patriarchia.ru (Stand vom 20.2.2008); vgl. http://www.pravkniga.ru/dokymenti.html?
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Die Wiedererfindung des »Heiligen Russland' im Bildband 233
Fassung zirkulierte aber offenbar nur im Verteilsystem des Patriarchats.92 Das Buch ent-
hielt 203 Farbfotografien hervorragender Qualität, die aus der Kamera eines professionel-
len westlichen Fotografen stammten: Fred Mayer hatte seit 1965 für die Zeitschrift „Paris
Match" und für „Magnum Photos" gearbeitet.93 Letztere war eine der angesehensten und
innovativsten Fotoagenturen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.94 Vor dem russi-
schen Band hatte der Schweizer Mayer Bildbände über Paris und London veröffentlicht.
In einem weiteren Bildband von ihm über den Vatikan heißt es in seiner Danksagung
schlicht: „Sie sehen Bildmomente." Tatsächlich sei es nur sein Ziel gewesen, für frühere
und zukünftige Romreisende „Bildmomente" aus den unterschiedlichsten Bereichen des
Vatikans zu dokumentieren.95 Der Verlag hingegen schrieb auf der Rückseite des Schutz-
umschlages, das Buch sei ein „lebenssprühendes Dokument" und stelle einen „der schöns-
ten Bildbände der letzten Jahre" dar. Hervorgehoben wurde zudem das angeblich sehr ge-
lungene Zusammenspiel von Text und Bild: „Selten haben sich ein reicher Stoff- der Va-
tikan, seine Pracht, seine wachsende Bedeutung als Treffpunkt der Menschheit - und des-
sen Darstellung in Bild und Text zu einem derart geglückten Werk verbunden."96 Tatsäch-
lich unterbrachen kurze Essays von sechs angesehenen Spezialisten den Reigen der Abbil-
dungen im Band, ohne mit diesem abgestimmt worden zu sein.
Dieses Buch über den Vatikan überzeugte die russischen Kirchenfürsten auf den ersten
Blick: Es gefiel ihnen sogleich, als sie es in ihren Händen hielten, und sie nahmen mit
dem Zürcher Verlag, der es herausgegeben hatte, Kontakt auf. Sie teilten den Mitarbeitern
mit, sie wünschten sich gerade ein solches Buch über ihre eigene Kirche, wie sich Fred
Mayer erinnert: Er wurde angerufen und fand sich bald in Russland wieder.97 Die orthodo-
xen Hierarchen, und allen voran der Leiter der Verlagsabteilung der ROK, Erzbischof Pi-
tirim von Volokolamsk, der bereits bei der Herausgabe des Bandes von 1980 federführend
gewesen war, erwiesen sich als professionell genug, Bücher über den Vatikan wahrzuneh-
men. Zudem hatten sie den Mut, ohne Scheu die visuellen und publizistischen Techniken
westlicher Verlagshäuser für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Der Verlag wiederum sah
sich unverhofft vor die Aufgabe gestellt, eine Institution zu porträtieren, die vielleicht
noch stärker als die katholische Kirche ihr Image des unbeirrbaren Traditionalismus pfleg-
te.98 Aber was erwarteten sich die Moskauer Kirchenleute von diesem Bildbandprojekt?
id=419 (Stand 7.3.2009). Das Verzeichnis nennt auch eine russische Fassung. Doris Bradbury,
die Übersetzerin des Bandes aus dem Russischen ins Englische sowie der Fotograf berichten
gleichfalls von einer Ausgabe für das Patriarchat. Fred Mayer in einer E-Mail an den Verfasser
am 21.2.2008; Doris Bradbury in einer E-Mail an den Verfasser am 25.9.2008. Laut telefoni-
scher Auskunft sind heute in der Bibliothek der Verlagsabteilung des Patriarchats aber nur aus-
ländische Fassungen des Bandes zugänglich.
92 So Doris Bradbury in einer E-Mail an den Verfasser am 25.9.2008.
93 Vgl. http://www.fred-mayer.eu/html/copyright.cfm (Stand vom 7. 12.2008).
94 Miller Fifty Years at the Front Line of History; Manchester Zeitblende.
95 Vgl. Mayer Vatikan, S. 226 [Danksagung].
96 Mayer Vatikan, Schutzumschlag Rückseite.
97 Fred Mayer in einer E-Mail an den Verfasser am 2 1 .2.2008.
98 Ein Ansporn zur medialen Reaktion Moskaus auf den Vatikanband mag die mehrfache promi-
nente Abbildung des ukrainischen unierten Erzbischofs Slipyj in dieser Publikation gewesen
sein. Nachdem dieser „17 Jahre seines Lebens in sowjetischen Gefangnissen und Lagern ver-
bracht" hatte, wie es dort hieß, wohnte er damals im Vatikan im Exil und war als fotogene Ge-
stalt unübersehbar. Mayer Vatikan, Abb. 43, Bildlegende S. 62, Abb. 1 12.
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234 Stefan Rohdewald
104 So heißt es auf dem für das westliche Publikum entworfenen Umschlag von Mayers Band
die ROK: „Der Bildband [. . .] öffnet das Tor zu einer Welt, von der man im Westen kaum ei
Vorstellung hat. Gibt es diese Welt denn noch? Ja, es gibt sie. Bisher wußten das einige Spez
listen, jetzt wissen es auch wir. [...] Der besondere Wert dieses Bildbandes liegt neben se
Erstmaligkeit auch darin, daß sich zwei grundverschiedene Betrachtungsweisen auf dense
Gegenstand richten. Im Bildteil herrscht das Auge eines westlichen Beobachters, des Schweiz
Photographen Fred Mayer. Er hat hier nach dem Vatikan zum zweitenmal ein kirchliches Th
ma aufgegriffen. Fred Mayer photographiert, wie er selber sagt, was er sieht, ohne Vorurte
und ohne Vorlieben. Dies, daß Mayer während der Arbeit nur als Auge da ist, dürfte eines d
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Die Wiedererfindung des ,Heiligen Russland4 im Bildband 235
führt - nun aber nicht als Fremdbild, wie bei Dahm, sondern als eine Selbstdarstellung
dieser Kirche, mit Hilfe der Verfahren und Kenntnisse eines westlichen Fotografen und
eines westlichen Verlags für das westliche Publikum.
Fotografien wurden hier wie schon im Vatikanband dem Text vorangestellt: Das Buch
beginnt unmittelbar mit Aufnahmen des Patriarchen Pimen. Auf der zweiten Fotografie
wurde er unter einer Menge von Gläubigen gezeigt, die alle ihre Blicke auf ihn richteten,
wobei der Fotograf ihre Gesichter frontal aufnahm.105 Hier wurde ihm der Habitus eines
populären Führers verliehen - erneut im Gegensatz zu der Rolle, die ihm in westlichen
Veröffentlichungen zugeschrieben wurde. Das Porträt des Patriarchen wurde mit einer
Aufnahme eines Banketts mit Bischöfen und Staatsbeamten fortgesetzt.106 Nur hier, und
erst nach seiner Inszenierung als ein von den Gläubigen verehrter Wortführer, erschien er
erstmals und in diesem Buch zum letzten Mal in einer engen Beziehung zum Staat. Dabei
stand auch diese Fotografie im Kontext mit dem nachfolgenden Bild (Abb. 3), das, ebenso
wie der begleitende Kommentar, erneut seine Popularität bekräftigte.107 Angesichts dieser
Aufnahmen ganz am Anfang des Buches kann kaum Zweifel daran bestehen, dass die
Herausgeber die Botschaft von der Macht und Popularität des Patriarchen vermitteln woll-
ten. Das zuletzt erwähnte Bild kann als besonders innovativ angesehen werden: Es vermit-
telte den Eindruck, spontan aufgenommen worden zu sein, und verlieh Pimen einen per-
sönlichen Charakter. Gleichzeitig kann es als ideale Verbildlichung des Ziels der kirchli-
chen Behörden bezeichnet werden, Pimens Image eines populären Patriarchen zu stärken
- auch wenn dies nicht die Intention des Fotografen gewesen sein mag. Mayer antwortete
mir auf die Frage, ob er Anweisungen gefolgt sei, welche Objekte wie aufzunehmen seien,
nicht direkt. Er vermittelte in seinen Antworten den Eindruck, nie daran gedacht zu haben,
er könne benutzt werden.108 So ist auch seine Fotografie des Erzbischofs von Vladimir und
Geheimnisse seiner hinreißenden Kunst der Menschendarstellung sein. Was hat Fred Mayer
photographiert? Die großen Feste des Kirchenjahres, die tägliche Liturgie, Taufe, Hochzeit, Be-
gräbnis, den Patriarchen in Moskau und den verheirateten Priester mit seiner Familie in irgend-
einem Dorf, den Mönch in seiner Zelle und beim Reparieren eines Lastwagenmotors, die Non-
nen eines Klosters beim Pilzesuchen, während der Liturgie, aber auch über die Buchhaltung ge-
beugt, den Priesterschüler bei der Weihe und beim Abschlußexamen. Er hat Ikonen photogra-
phiert und Kirchen und immer wieder Menschen, junge und alte, Gesichter, unvergeßliche Ge-
sichter. Er hat in hundert Verkörperungen das Gesicht des russischen Volkes photographiert,
demütig, gelassen und tapfer. Unvergänglich, ist man versucht zu sagen trotz der Skepsis, die
wir heute der globalen Rußlandbegeisterung der Jahrhunderwende entgegenbringen. In den fünf
zwischen die Bildteile eingestreuten Essays findet der Leser nun aber den komplementären Ge-
gensatz zu Mayers Bildern: Eine Selbstdarstellung der Russisch-Orthodoxen Kirche. [...] Bild-
teile und Texte wurden, soweit dies möglich war, aufeinander abgestimmt. Zum erstenmal, das
darf man wohl sagen, ist es möglich, einen tiefen Blick in die Welt der Russisch-Orthodoxen
Kirche zu tun. Sie hatte immer etwas Geheimnisvolles, und ein Rätsel ist sie - und sind die
Menschen, die sie seit 1918 weitertragen - heute erst recht." Mayer Die Orthodoxe Kirche in
Russland, Schutzumschlag Rückseite.
105 Mayer Die Orthodoxe Kirche in Russland, Abb. 2, S. 8/9.
1UÔ Mayer Die Orthodoxe Kirche in Russland, Abb. 6, S. 14/5.
107 „Nach den Pontifikalgottesdiensten wartet jeweils die Mehrzahl der Gläubigen, bis der Patri-
arch die Kirche verläßt, um ihm fur die Gebete und die Liturgie zu danken und nochmals seinen
Segen zu empfangen." Mayer Die Orthodoxe Kirche in Russland, Abb. 7, S. 16.
108 Fred Mayer in einer E-Mail an den Verfasser am 2.2.2008.
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236 Stefan Rohdewald
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland4 im Bildband 237
mit renommierten Verlagshäusern in New York, London, Rom, Paris und Zürich.120
Mayer wusste nichts von den Vorwürfen oder er kümmerte sich nicht um sie, sondern war
persönlich beeindruckt von der alltäglichen Religiosität, der er in Russland begegnete.121
Indem Mayer gemäß der Bildlogik der Agentur Magnum Aufnahmen machte, gab er wil-
lentlich oder nicht auch religiösen Praktiken ein neues Image. Wenn er damit nicht die tra-
ditionellen Praktiken, die den Kern orthodoxer Religiosität bilden, an sich veränderte, ge-
staltete er doch die visuelle Kommunikation über sie und damit ihre Wahrnehmung um.
Auch gemessen an seinen Textteilen stellte der Band eine Abkehr von den 1958 und
1980 erschienenen sowjetischen Büchern dar: Er kam ohne das gewohnte Kapitel über pa-
triotische oder friedensstiftende Funktionen aus. Zudem waren die Autoren nicht nur Ver-
treter des Moskauer Patriarchats: Zwei der fünf Texte im Band wurden von Bischöfen der
ROK im Ausland geschrieben: Bischof Longin (Talypin) von Düsseldorf sowie Bischof
Serafim (Rodionov) von Zürich. Ihre Beiträge unterschieden sich von den anderen nicht in
der nationalen Utopie ihres Kirchenentwurfes, eher im beredten Verschweigen des sowje-
tischen Kontextes. Aber auch der Beitrag von Leonid Uspenskij zu Ikonen und Fresken
ließ jede Referenz auf die Sowjetunion aus. Die Wahl der Autoren bezeugt eine west-öst-
liche Zusammenarbeit, die im damaligen kirchenpolitischen Umfeld nicht selbstverständ-
lich war.
Bereits im ersten Beitrag aus der Feder des Herausgebers Erzbischof Pitirim von Volo-
kolamsk wurde noch stärker als im Band von 1980 eine national-kulturelle Mission der
Kirche beschworen. So erschien ,,[d]as Jahr der Taufe des ganzen Volkes" als „Wende-
punkt der russischen Kultur".122 Zentral war die Rede von der „hervorragenden
kulturelle[n] Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche".123 Dabei wurde aber nicht der (welt-
lichen) Kultur, sondern dem „großen Glauben" die wichtigere Rolle zugeschrieben: Er
„bestimmte" seit der Taufe „das geschichtliche Schicksal Rußlands von nun an".124 Noch
häufiger als 1980 war die Rede von „nationalen" Geschehnissen - beispielsweise der Zer-
fall der Kiewer Rus' bzw. das „tatarisch-mongolische Joch" wurde zur „nationalen Kata-
strophe".125 Mit der Hinwendung zu einem russischen Nationalismus trat der bisherige So-
wjetpatriotismus zurück.
Im Vergleich zu den bisher besprochenen Bänden ist in dieser Publikation somit eine
insbesondere mit Hilfe von Fotografien wesentlich verstärkte Darstellung persönlicher
Frömmigkeit zu beobachten. Da das Buch in der Sowjetunion praktisch unzugänglich sein
sollte, konnte die Kirche es zu einer weitaus eindrücklicheren Plattform als die Publikati-
on von 1980 machen, um sich selbst als quicklebendige Institution darzustellen. Die Kir-
che erhielt im Rahmen des Kalten Krieges mit der Zustimmung des sowjetischen Staates
so die Chance, mit visueller Macht und im unverdächtigen Kleid des coffee-table book
einen Spielraum aufzubauen, in dem sie ihr Image in Zusammenarbeit mit westlichen Me-
dienexperten überraschend frei gestalten konnte. Gerade in diesen Jahren begann sich die
120 Die Ausgaben erschienen in diesen Verlagen: Thames and Hudson, London; Vendome Press,
New York etc.; Editions Herscher, Paris; Edizioni Paoline, Roma; Orell Füssli Verlag, Zürich.
121 Fred Mayer in einer E-Mail an den Verfasser am 2.2.2008.
122 Neòaev Zehn Jahrhunderte, S. 18.
123 NeCaev Zehn Jahrhunderte, S. 19.
124 NeCaev Zehn Jahrhunderte, S. 18.
125 NeCaev Zehn Jahrhunderte, S. 20/1.
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238 Stefan Rohdewald
Im Jahr 1990 veröffentlichte der Moskauer Verlag IKPA, ein „sowjetisch- finnisches
Joint-Venture", im Auftrag der „Moskauer Buchgesellschaft" einen weiteren Bildband mit
dem Titel „Die Russische Orthodoxe Kirche" in einer russischen sowie einer englischen
126 „In geradezu atemberaubendem Tempo konnte der Verlag des Moskauer Patriarchats in den zu-
rückliegenden Jahren seine Aktivitäten erweitern. Dies ist ausschließlich das Verdienst des bei
staatlichen Stellen respektierten und von den Gläubigen hochverehrten Metropoliten Pitirim
von Volokolamsk und Jurjew. Die Produktion von Filmen, Schallplatten, Kassetten und Dia-
serien, die Sammlung altrussischen Notenmaterials, der Druck von Bibeln, Notenbüchen und
theologischen Werken, die Pflege altrussischer Kultur ebenso wie der Umgang mit modernster
Phototechnik - im Medienkonzern des Metropoliten wird nach westlichen Standards gearbei-
tet." Roepke Glasnost auch für Gott?, S. 42.
127 Stricker Die gesellschaftliche Rolle der Kirchen, S. 89.
128 Stricker Die gesellschaftliche Rolle der Kirchen, S. 89.
129 Davis A Long Walk to Church, 202. Allgemein zur Publikationstätigkeit des Patriarchats dort
S. 197-205 sowie in Ellis The Russian Orthodox Church, S. 149-171.
130 Das Buch enthält zahlreiche Farbaufnahmen ausgezeichneter Qualität von religionsgeschicht-
lich bedeutenden Objekten, aber nur gegen Ende einige Bilder, die auch das aktuelle kirchliche
Leben zeigen. Das heilige Rußland. Bereits 1984 enthielt ein sehr eindrucksvoller westdeut-
scher Bildband, am ehesten dem Band von Mayer verwandt und mit einem Interview mit Piti-
rim von Volokolamsk, den Titel „Heiliges Rußland" als Kapitelüberschrift: Kuchinke Gott in
Rußland, S. 9. Nur mit sehr traditionellen Aufnahmen im Stile des Bandes von 1980, im Verlag
des Patriarchats publiziert: Buevskij Russkaja Pravoslavnaja Cerkov' 988-1988. Nur mit weni-
gen schwarzweißen, sehr traditionellen Tafeln zum offiziellen Handeln von Kirchenleuten:
Felmy Tausend Jahre Christentum. Ohne Aufnahmen zum aktuellen Kirchenleben: Meyer 1000
Jahre Christliches Rußland. Eine schmale Broschüre der Presseagentur Novosti mit einigen far-
bigen und schwarzweißen Aufnahmen: [Trofimov] Die russisch-orthodoxe Kirche; [Foster] The
Russian Orthodox Church. Vgl. auch Tausend Jahre Kirche in Russland; Kluge / Setzer Tau-
send Jahre Russische Kirche. Zur Erinnerungsfigur des „Heiligen Russland" nur zwei Verwei-
se: Solov'ev Holy Russia; van den Bercken Holy Russia and Christian Europe.
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland4 im Bildband 239
Fassung mit 334 Farbfotografien. Auch diese beiden Bände enthalten keine Angaben zur
Auflagenhöhe.131 Im Gegensatz zu dem Band von 1982 waren nun keine westlichen Foto-
grafen oder Autoren an dem Projekt beteiligt. Überdies handelte es sich um einen der ers-
ten umfangreichen Bildbände in der Sowjetunion über die Orthodoxe Kirche ohne eine di-
rekte Beteiligung kirchlicher Behörden - zudem dürfte dieser der einzige der hier ausführ-
lich besprochenen sowjetischen Bände sein, der ohne Zensur132 erschienen war. Immerhin
verwies eine Porträtfotografie des amtierenden Patriarchen Aleksij am Ende des Buches
mitsamt Motto und Unterschrift auf dessen Einwilligung und Segen.133 Letzterer wurde
aber nur in dieser bildlichen Form und nicht im Text oder in einem Vorwort zum Aus-
druck gebracht.
Auch dieser Band entfaltete bei der Imagination der Gegenwart und der Zukunft eines
statisch entworfenen russischen Volkes einen neuen, immer weniger sowjetischen Hori-
zont: Der Fokus verschob sich von einer religiös beeinflussten säkularen Kulturkonzepti-
on zusehends zur expliziten Religiosität. So heißt es im ersten Satz des Buches: „Das
Licht der Wahrheit Christi und des neuen Lebens in Christus erstrahlte fur das russische
Volk vor Tausend Jahren."134 Noch deutlicher als in den früheren Bänden erscheinen die
Adjektive „national"135 und „vaterländisch"136 sowie „religiös-patriotisch"137 als wegwei-
send.138 Im Gegensatz zu den bisher besprochenen sowjetischen Bildbänden wurde die
Zeit von den Dreißigerjahren bis in die Siebzigerjahre mit wenigen Sätzen abgetan - statt-
dessen wurden die Ereignisse des Jahres 1917, als das Patriarchat erneuert wurde, ausführ-
lich beschrieben.139
Während in den Bänden von 1980 und 1982 Text und Bild als zwei voneinander weit-
gehend getrennte Repräsentationsebenen funktionierten, verfolgten die Herausgeber des
Bandes von 1990 ein gänzlich anderes Konzept: Nur die Einleitung stellte einen längeren
zusammenhängenden Text dar. Der Rest des 216 Seiten umfassenden Buches bestand aus
einer engen Verflechtung von Reproduktionen von Ikonen und Gemälden, Fotografien
von Menschen, Kirchen, Kunstgegenständen und Landschaften sowie Zitaten aus der Tra-
dition religiöser und religiös-national orientierter russischer Texte sowie Bildlegenden, die
ohne Autorenangabe ebenfalls zu richtungweisenden Statements wurden. Diese konzeptu-
elle Entscheidung führte zu einer gezielten Überlagerung der sprachlich und bildlich im
Medium des Bildbandes vermittelten Nachrichten.
Erst die fünfte derartige Komposition nahm Bezug auf die Ostslaven: so wurde die Fo-
tografie einer 1988 angefertigten Ikone mit dem Titel „Die Taufe der Rus'" begleitet von
131 Karpov / Ul'janova Russkaja Pravoslavnaja Cerkov'; Karpov / Ulyanova Russian Orthodox
Church [sic].
132 Beispiele zur Zensur der Zeitschrift des Moskauer Patriarchats: Ellis The Russian Orthodox
Church, S. 158-163.
133 Karpov / Ul'janova Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 216.
134 Karpov / Ul janova Russkaja Pravoslavnaja Cerkov , S. 5.
135 Karpov / Ul janova Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 6/7, 12
136 Karpov / Ul'janova Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 6, 15.
137 Karpov/ Ul janova Russkaja Pravoslavnaja Cerkov , S. 7.
138 So habe die ROK sehr wirksame Teilhabe an der „nationalen und kulturellen Wiedergeburt der
Rus' nach der Abwerfung des mongolisch-tatarischen Jochs" gehabt. Karpov / Ul'janova Russ-
kaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 7.
139 Karpov / Ul'janova Russkaja Pravoslavnaja Cerkov', S. 14.
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240 Stefan Rohdewald
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland' im Bildband 241
Rekapitulation
Im Verlaufe von dreißig Jahren lässt sich eine grundlegende Veränderung des Einsatzes
von Fotografien und auch der Fotografien selbst in Bänden über die ROK nachzeichnen.
Hatten sie in der Sowjetunion nach Stalins Tod zunächst die Funktion, sakrale und amtli-
che Handlungen und deren Beschreibung zu dokumentieren und so die Vorherrschaft des
Staates zu inszenieren, wurden sie schon in den Siebzigerjahren in westlichen Publikatio-
nen wie den vorgestellten Bildbänden von Dahm mit der auch für den Textteil des Bandes
zentralen Aufgabe betraut, mit „Herz und Auge eines Russen" dessen „Gesicht" und seine
nach alten diskursiven Vorbildern romantisierte „tiefe Frömmigkeit" im Kontrast zur
staatlichen Unterdrückung der Religion zugänglich zu machen. Auch im Zusammenhang
mit der propagandistischen Abwehr solcher Darstellungen sowie von Fotoreportagen
westlicher Zeitschriften wie „Glaube in der Zweiten Welt", die noch stärker auf der
Grundlage der Menschenrechte argumentierten, erfolgte 1980 die partielle Übernahme des
westlichen Typus des Bildbandes durch den Verlag des Moskauer Patriarchats. In dem
Band von 1980 blieben aber Fotografien weiterhin dokumentarisch eingesetzt und weni-
ger wichtig als der Text, dem die Rolle zukam, ein neues Kapitel in der Erinnerungskultur
bzw. bei der Wahrnehmung der kirchlichen als nationale Geschichte aufzuschlagen, und
behutsam an Narrative der Jahrhundertwende anzuknüpfen. Erst als Antwort auf einen
Schweizer Band über den Vatikan wurde 1982 in der Zusammenarbeit mit einem westli-
chen Verlag sowie einem westlichen Fotografen ein modernsten Ansprüchen genügender
Bildband erstellt, der einen individualisierten und entformalisierten Blick auf die Gläubi-
gen zum Zentrum der Publikation machte. Alte Frömmigkeit wurde im „entscheidenden
Bildmoment" unter einem neuen Blickwinkel wahrgenommen und als neu und lebendig
inszeniert. Bis zum Ende der Sowjetunion lässt sich ganz gemäß dieser visuellen Logik
und damit unter dem direkten Einfluss des „Westens" eine Veränderung der Selbstdarstel-
lung der ROK beobachten. Weniger der Band Cartier-Bressons über die Sowjetunion von
1973, sondern vielmehr dieser Band von 1982 markierte durch die sowjetische Mitarbeit
und durch seine publizistische Rezeption eine imperiale Ausweitung der Techniken Car-
tier-Bressons auch auf die Sowjetunion. Der 1990 erschienene Bildband steht fur das
langfristige Ergebnis dieses bilddiskursiven Umbruchs und ist durch das besonders enge
Zusammenwirken von Zitaten und Fotografien seinerseits wieder innovativ.
Untrennbar mit der visuellen Wahrnehmung und Darstellung verbunden wandelte sich
in den skizzierten Etappen auch die verbale Beschreibung der Kirche im sowjetischen
Rahmen - an die Stelle der dem sowjetischen Staat zudienenden, sowjetpatriotischen In-
stitution trat der Entwurf und die Darstellung einer nationalbewussten und im Band von
1990 monarchiefreundlichen Frömmigkeit, die die Auflösung der Sowjetunion zugunsten
eines neuen russischen Staates visuell und verbal vorwegnahm. An die Stelle der neben-
sächlichen Dokumentationsfotografie trat damit innert dreißig Jahren die Fotografie als
wichtigster Ausdruck einer den Band beherrschenden politisch-religiösen Gesamtvision.
Versteht man die untersuchten Publikationen als einzelne Kommunikationsakte im
Rahmen des Kalten Krieges und dann der Perestrojka, lässt sich ein übergreifender Inter-
aktionszusammenhang nachzeichnen, der im Austausch zwischen West und Ost markante
Veränderungen in der Sowjetunion und in der Selbstinszenierung der Russisch-Orthodo-
xen Kirche selbst zur Folge hatte. Alle Beteiligten dieser Interaktion benutzten Fotografi-
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242 Stefan Rohdewald
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland4 im Bildband 243
Abbildung 1: Johannes Paul II. auf dem Petersplatz. Mayer Vatikan Abb. 4. Wie-
dergabe mit Bewilligung des Fotografen.
Abbildung 2: Paul IV. auf der „sedia gestatoria". Mayer Vatikan Abb.
68. Wiedergabe mit Bewilligung des Fotografen.
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244 Stefan Rohdewald
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Die Wiedererfindung des »Heiligen Russland4 im Bildband 245
Abbildung 5: Novizin beim B lumenpflücken. Mayer Die Orthodoxe Kirche in Russland Abb. 144.
Wiedergabe mit der Bewilligung des Fotografen.
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246 Stefan Rohdewald
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland4 im Bildband 247
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248 Stefan Rohdewald
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Die Wiedererfindung des , Heiligen Russland' im Bildband 249
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Summary
This contribution investigates the development of the roles that photographic illustrations played in
Western and Soviet illustrated books featuring the Russian Orthodox Church, concentrating on the
years after Stalin's death up to the renaissance of religiosity during the last days of the Soviet Uni-
on. If at first photographs were used in Soviet books as a means to document official and ceremonial
aspects of the Church, in the 1970s they served in Western publications to make the jealously exag-
gerated 'deep religiosity' of Russians accessible to Western readers. In 1980, the Moscow Patriarch-
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