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Frost Urteilskraft Kant PDF
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MICROFILMED 1992
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AUTHOR:
FROST, WALTER
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Die Grundlagen des Begriffs der Urteils-
Inaugiiral -Dissertation
zur
der
Walter Frost,
Regieningsbaulührer a. D.
Opponenten:
Herr Dr. Walter Rindfleisch, Oberarzt a. d. medizin. Klinik u. Privatdozent.
Königsberg i. Pr.
Hnr.h- QuiJ stftiudruckerei vou Otto Kümmel.
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gewidmet.
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Einleitung.
ciplinen der Philosophie (Aesthetik und Teleologie) eine mit der Vernunft ziehe ich den Schluss. (Kr. d. r. V.,
kurze Behandlung nicht gut zulässt. Indem diese Ar- Transc. Dial. „Vom logischen Gebrauche der Vernunft".
beit ihre Aufmerksamkeit vielmehr allem dem zuwendet, Kehrbach-Ausgabe S. 267—68). Dies ist die zusam-
was Kant ausserhalb der „Kritik der Urteilskraft^ über menhängendste Erklärung, die Kant giebt ; denn alle
diesen Begriff gesagt hat, will sie gleichsam gewisse drei oberen Erkenntnisvermögen werden in ein bestimm-
logische Grundfragen und Voraussetzungen dieses Buches tes Verhältnis zu einander gesetzt. Das ist sehr wert-
im Zusammenhange für sich behandeln.*) voll, denn man kann über die Natur des einen Ver-
Was insbesondere die psychologische mögens sich erst dann vollkommen klar werden, wenn
Vermögens-
lehre Kants angeht, so weist Cohen nachdrücklich darauf man einsieht, was die andern neben ihm bedeuten. Für
hin, dass dies reiche Gebiet Kantischer Gedankenarbeit Kant ist es ausserdem wichtig, dass er seine Vermögens-
bisher noch nicht gehöriger lehre an die formale Logik anknüpfen kann er glaubt
in Weise studiert sei. ;
ziisehr auseinandergehen, ist es wohl besser, die Krage Hiermit wären die beiden Species der reflektierenden
nach der Kicbtigkeit dieser Ableitung auf sich beruhen und der bestimmenden Urteilskraft bezeichnet. (Vgl. u.
zu lassen. Suchen wir statt dessen lieber zunächst ein- a. I^ogik § 81.)
mal den Begriff der Urteilskraft für sieb zu gewinnen ! Die Einheit zwischen bestimmender und reflektie-
Die Beispiele, Erläuterungen und Anwendungen, die render Uiteilskraft liegt nicht im Wesen der geistigen
Kant für diesen Begriff uns vorführt, geben dnzu hin- Vorgänge, sondern nur darin, dass beide ihr Resultat in
Die Urteilskraft betätigt sich in der für sie eigen- analytischen Urteils. So muss es wenigstens vorläufig
tümlichsten Weise, wenn es sich um die Beurteilung scheinen. Wollte man dem wirkhchen geistigen Vor-
eines bestimmten, einzelnen Gegenstandes bandelt. Der gange in der Sprache mehr Rechnung tragen, so müsste
Mensch durchdenkt diesen Gegenstand, gemäss der man etwa das eine Mal sagen : ,,Zu den crystallinischen
Frage „Worauf kommts an?^ Dies sei die typiscbe Körpern gehört auch der Zucker". Und das andere
Frage der Urteilskraft, sagt Kant in seiner Anthropo- Mal : ,,Unter den Merkmalen des Zuckers kann es für
logie § 57. Im einfachsten und allgemeinsten Falle nun mich wesentlich werden, dass er ein crystallinischer Kör-
wird dieser Vorgang des Durcbdenkens damit enden, per ist*^ Nun sagt man aber : Der Zucker ist ein
dass man irgend ein Merkmal des betrachteten Gegen- crystallinischer Körper, und damit ist der Erkenntnis-
standes herauszuheben sieb veranlasst sieht. Die Form, vorgang verschleiert und eine blosse Form des Aus-
in der dies geschieht, wird ein analytisches Urteil sein. drucks steht uns vor Augen, die der herkömmlichen
Also könnten wir sagen : Die Urteilskraft sei das Ver- formalen Logik genug zu sagen scheint.
mögen der analytischen Urteile. Diese blosse Form schwebt Kant bisweilen so leb-
Gehen wir von diesem Satze aus, so ergiebt sich haft vor Augen, dass es ihm ganz gleichgültig zu sein
sogleich eine Erweiterung für die Betätigungen der Ur- scheint, ob ihr Inhalt auf diese oder jene Art entstan-
teilskraft. den gedacht wx'rden kann, ja sogar gedacht werden muss.
Ein analytisches Urteil enthält einen besonderen Ein Beispiel dafür ist folgende Unebenheit der Aus-
und einen allgemeinen Begriff. Die Verknüpfung beider drucksweise aus der Deduktion der Geschmacksurteile
kann aus zwei ganz ungleichartigen geistigen Prozessen (sj 38 Anm. Kehrbach- Ausg. S. 153): Das Geschmacks-
hervorgehen : entweder nämlich ist der besondere Be- urteil behauptet, dass wir berechtigt sind, dieselben sub-
griff zuerst gegeben und man hebt aus ihm den allge- jektiven Bedingungen der Urteilskraft allgemein bei
meineren heraus, oder der allgemeinere Begriff ist zu- jedem Menschen vorauszusetzen, die wir in uns antreffen,
erst gegeben und man ergänzt ihn durch einige Zusätze. und „dass wir unter diese Bedingungen das gegebene
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Objekt richtig subsumiert haben.'' Der Ausdruck sub- den könnte. Ein verhältnismässig reiner Fall des Re-
sumieren muss auffallen. Das G^schmacksurteil ist doch flektierens liegt vor, wenn ein Liiine die Fülle der
ein Reflexionsurteil. Es hätte heissen müssen : dass eine Pflanzenwelt in Ordnungen bringt, ohne an schon vor-
richtig eingeleitete geistige Bewegung von dem gegebe- handenen Oberbegriffen einen Anhalt zu haben. Und
nen Objekte bis zu den allgemeinen subjektiven Bedin- doch ist anch diese Arbeit mit fortwährenden Controll-
gungen der Urteilskraft fubren musste etc. Man siebt, gedanken subsumierender Art durchsetzt.
dass die Ausdrücke subsumieren und reflektieren nach Dies häufige Durcheinander der bestimmenden und
Belieben gebraucht werden, sobald Kant nur die fertige der reflektierenden Funktion lässt es verständlich er-
indiff'erente Form des Urteils vor Augen hat. scheinen, dass die anthropologischen Beispiele Kants von
Der tiefere Grund dafür, dass subsumierende jeher beide Funktionen voraussetzen, während seine
und reflektierende Urteilskraft als zwei nahe verwandte logische Begründung anfänglich nur der bestimmenden
Arten eines und desselben Vermögens betrachtet werden Urteilskraft gerecht wurde. Es war also keine Künstelei,
dürfen, liegt nun aber nicht in der gemeinsamen logischen wenn Kant später den Begiifl' der reflektierenden Ur-
Form ihrer Resultate, sondern in folgendem: re- teilskraft erfand, etwa nur, wie man gemeint hat, um
flektieren und subsumieren sind in concreto ein fort- die ästhetische und die teleologische Urteilskraft künst-
währendes Hin - und - Her in unsern geistigen Bewegun- lich zusammenzukoppeln ; sondern die Species der re-
gen ;
dies Hin - und - Her erst macht einen einheitlichen llektierenden Urteilskraft lag von Anbeginn in dem an-
Prozess aus, der zu einem abgerundeten Resultate führt, thropologischen Begriff der Urteilskraft enthalten.
das nun bald mehr vom Charakter des Reflektierens und Wenn man den Begriff' der Urteilskraft kdiglich
l)ald mehr vom Charakter des Subsumierens zu haben aus den Beispielen Kants in der Anthropologie zu ent-
scheint. Reflektieren und Subsumieren sind abstrakte er- wickeln hätte, so würde man auf den Unterschied seiner
kenntnistheoretische Begriffe, die in concreto nur sehr beiden Unterarten vielleicht garnicht geraten sein. Man
selten, vielleicht niemals, in voller Reinheit erkennbar würde dünn vielleicht sagen : Die Urteilskraft vermittelt
werden. Ein verhältnismässig reiner Fall des Subsumie- zwischen Anschauung und Begriff; oder auch: zwischen
rens liegt vor, wenn man sich für den 8atz eines Philo- der Erkenntnis in concreto und in abstracto; oder auch :
sophen oder für einen schwierigen sittlichen Begriff ein zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen. So
Beispiel ausdenkt. Und doch reflektiert man auch da,
drückt sich ja auch Kant in der Kritik der Urteilskraft
wenigstens zur Nachprobe, indem man zusieht, ob das in
aus. — Wie die Urteilskraft das Vermitteln macht, ist
Aussicht genommene Beispiel nicht auch für entgegen- für die Psychologie bisher ein Geheimnis. Es ist, als
gesetzte Sätze und Begriffe in Anspruch genommen wer- ob zwei einander gegenüberstehende Lager von psychi-
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hieiTon ab und deukeii wir uns das analytische Urteil weitesten Sinn des Wortes Beurteilung fügt sich auch
lediglich in seiner Rolle und Bedeutung für unsere Ge- die ästhetische und die teleologische Beurteilung ein.
dankenbildung in uns selbst, so könnten wir sagen: es Einstweilen dürfen wir es aber als die Hauptsache und
muss entweder eine praktische oder eine Erkenntnisrück-
die (irundlage aller Beurteilung ansehen, das eine
sichtvorhanden sein, die uns das betreffende Merkmal
Eigenschaft eines Dinges hervorgehoben wird.
bedeutsam erscheinen lässt. Wenden wir uns daher
Welches sind nun diejenigen intellektuellen In-
einmal dieser Erkenntnisrücksicht zu!
teressen, welche die Wichtigkeit eines Merkmals begründen,
Obgleich man alle Merkmale, die einen Begrifi'
wenn es nicht die Gewinnung eines überbegrifi'es
konstituieren, als wesentliche beseichnet, so lassen sich doch
allein ist?
noch unter ihnen besonders wichtige herausfinden. Nicht
unser Interesse, sondern die Natur selbst vermag uns
Das Vermögen, das allem theoretischen Denken
einzelne als besonders wichtig zu bezeichnen: es sind
die Richtung giebt, heiss bei Kant die theoretische
das diejenigen, die bei einer Vernunft; das Vermögen, das allem praktischen Denken
allgemeinen Klassifikation
der Natur die Oberbegritl'e bihien müssten. die Richtung giebt, lieisst die praktische Vernunft.
Das Klassi-
fizieren ist nur zum Teil unserer Willkür überlassen; im Kant glaubte wohl, dass alle spezielleren [nteressen-
Tierreich, in der Sternenwelt, kreise zuletzt in diese beiden grossen Systeme ein-
in der Chemie geben wir
immer sorgsam darauf acht, ob die Natur auch die von münden müssten. Man kann es nun als wahrscheinlich
uns antizipierten Klassifikationen bestätigt. M:»n kann
bezeichnen, dass Kant ein gemeines Vermögen der
also sagen, es sei das Princip der analytischen Vernunft neben der reinen, transcendentalen apiiorischon
ReHexions-
urteilen im Dienste der Naturerkenutuis: würde anerkannt haben. Die letztere wäre gleichsam
den natur-
gemässen be r b eg r i f f z u finden. die prinzipielle Zusammenfassung der gemeinen V^er-
Beurteilung ist eigentlich jeder uuuft. Die gemeine Vernunft aber wäre das Vermögen
Gedanke, der
sich mit intellektueller Natürlichkeit
überhaupt, sich Principien im Denken zu setzen, das
an die Wahr-
nehmung eines Gegenstandes Vermögen aller einzelneu theoretischen Denkinteressen
auschliesst. Man „be-
urteilt'* einen Magneten danach, Kant spricht ja doch auch im psychologischen Sinne
welches Eisenge wicht
er wohl tragen könnte; ein
von Vernunft, d. h. im Sinne einer Eigenschaft, die
historisches Ereignis be-
urteilt man vielleicht nach seinen
man mehr oder weniger besitzen kann „Der General
soziologischen Be-
dingungen. Es liegt auf der Hand, muss Vernunft besitzen". (Anthropologie § 40). Schliess-
dass sich die Be-
urteilung bei einem lich kommt es auf den Namen ja nicht an; auf jeden
und demselben Gegenstände in den
verschiedensten Richtungen bewegen kann. In diesen
Fall sind wir genötigt, dem Einheitsstreben der reinen
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angehen zu lassen.
Stempel auf.
lange nicht so sehr davon ab, ob die Regel Ausnahmen elektrischen Leitungsschnüre als „Pferdeleinen" und die
hat, als vielmehr davon, ob man 'glaubt, diese Merkmals- Fledermäuse als „lederne Schwalben". Welche Wissen-
synthese sei eine naturgemässe. Glaubt man, dass sie schaft könnte wohl dabei herauskommen? — In diesem
einen innern Grund habe, so wird derselbe auch für die-
Sinne schildert Kant den Witz, als der Urteilskraft ent-
jenigen Fälle wirksam sein, die wir noch nicht kennen. gegengesetzt (Anthropologie § 53): „Es ist angenehm,
— Das luduktioiisurteil, dass das Hellsehen bei Menschen beliebt und aufmunternd, Aehnlichkeiten unter ungleich-
möghch sei, wird uns durch eine Anzahl von Beispielen
artigen Dingen aufzufinden . . ., was der Witz tut .
."
nahe gelegt, und dennoch behaupten wir immer wieder,
„Des vergleichenden Witzes Tun und Lassen ist mehr
jeder dem äussern Tatbestande nach unbestreitbare Fall Spiel; das der Urteilskraft aber mehr Geschäft". „Witz
sei Zufall, weil wir es mit unserer Natur principiell für hascht nach Einfällen: Urteilskraft nach Einsichten".
unvereinbar halten. Wir bilden also das uns zugemutete
Erst das Princip der Urteilskraft macht die Er-
Induktionsurteil nicht.
fahrung zu einer solchen, die diesen Namen verdient,
Kants Theorie der Induktion gipfelt darin, dass zu einer Erfahrung im logischen Sinne.
zwischen die blose Synthese von Merkmalen, die sich
in einzelnen Beobachtungen ergab, und die allgemeine Wenn das Induktionsurteil seine endgültige Prägung
Regel, die daraus erschlossen wird, ein Princip, gleich- durch die Urteilskraft erhält, so bleibt wohl die Frage
sam als Prämisse, tritt, und dieses lautet (Logik § 83): übrig, welche Erkenntniskraft es in seinem ungeprägten
„dass Vieles nicht ohne ein gemeinschaftlichen Grund Zustande bildete.
in einem zusammenstimmen, sondern dass das, was Nun werden die Materialien zu einem Induktions-
Vielem aut diese Art zukommt, aus einem gemeinschaft-
uiteil der Urteilskraft entweder vom Verstände oder
lichen Grunde notwendig sein werde'*. Nur wo dieses von der Einbildungskraft geliefert. Kant dürfte meist
Princip anwendbar ist, da kommt ein logisch vollwertiges nur den ersteren Fall vor Augen gehabt haben. Den-
Induktionsurteil zustande.
jenigen Teil der intellektuellen Vorgänge, der sich im
Freie Synthesen, d. h. Begriffe ohne Bestätigung Gebiete der Sinneswahrnehmungen abspielt, hat Kant
der Urteilskraft, wären das, was Kant vielleicht „reine verhältnismässig wenig berücksichtigt, und das mag mit
Erfahrung^' genannt haben würde, wenn ihm dieses seiner Zurückhaltung gegen die psychologische Methode
Wort von einer sensualistischen Opposition her bekannt zusammenhängen. Daraus folgt für unser Problem, dass
geworden wäre. Was eine Erfahrung ohne Urteilskraft auch die ersten Anfänge und Stoffsammlungen der
wäre, kann mau an manchen Induktionen der Kinder Induktionsbildung in der Kantischen Erkenntnislehre
sehen. Manches Kind bezeichnet die roten und grünen keine hinreichende Erörterung finden. Denn sicherlich
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E^iir Kant also führt der Verstand der Urteilskraft zu den analytischen Reflexionsurteilen.
die Materialien zur Tnduktionshilduiig zu. Er fiiulet die Das Princip. das in den tnduktions- und Analogie-
erforderlichen Begriffe und Merkmale in seinen früher Urteilen lebt, ist das gleiche, wie jenes, das wir in den
gesammelten Schätzen vor; er braucht sich ihrer nur zu analytischen Urteilen der reflektierenden Urteilskraft
freilich nicht mehr zu Wege, als unter alten Erfahrungen Je mehr man aber der inneren Verwandtschaft
neue Beziehungen herzustellen. beider Urteilsarten nachspürt, um so mehr wird auch
Der Synthesen liefernde Verstand ist kein aktives die Gegenfrage sich geltend machen : wodurch unter-
Vermögen. Er trägt nur alte Regeln aus dem Ge- scheiden sie sich denn? — Der Spruch der Urteilskraft
dächtnisse zusammen ; er bildet sie nicht. Der Vertand hat im analytischen Urteil mehr Zuversichtlichkeit. Im
heisst bei Kant das ,, Vermögen der Regeln". Vermögen Indukrionsurteil erwartet man, dass die Sache einen ge-
aber ist bei Kant ott nur ein Sammelname für gewisse, meinsamen Grund haben w^erde; im analytischen Urteil
selbst untätige Inhalte, Auch das Zusammentragen der glaubt man schon die systematische Hauptsache gefun-
Regeln ist nicht als eine bewusste Aktivität aufzufassen, den zu haben. Das ist letzthin der Unterschied.
sondern als ein zutälliges Einfallen. Können doch Diejenigen Induktionsurteile, die sich an einen
solche Einfälle, ehe die Urteilskraft über sie entschieden Hauptl)egrifT von bereits feststehendem Umfange anlehnen
hat, ebensowohl dem Witze als der Erkenntnis dienen! und sich damit begnügen, eine neue Einzelheit bekannt
Allenfalls können die Einfälle durch das Interesse, das zu geben, können als Vorbereitungen zu einem tieferen
von der Vernunft herkommt, auf ein bestimmtes Gebiet Verständnis des HauptbegrifiFs angesehen werden. Das
hingelenkt werden. Verständnis einer Sache wird um so tiefer, je systemati-
Das System ist der Zweck, die Induktion ist ein vor-
nur wird das eine oder das andere relativ mehr bean-
sprucht. Der Hausdiener muss eine Menge Regeln im
Kopfe haben ; er muss z. B. wissen, welche Bestandteile
wie Kant ihn sich denkt. Für diesen gibt es zwar auch
eine Reihe von Vorschriften darüber, was er bei dieser
und bei jener Lage der Dinge zu tun habe, aber es ist
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könnte. Daher nennt sie auch Cohen blosse Bausteine Anschauungsformen zu besorgen hätte: Die transcenden-
des Apriori, nicht das eigentliche Apiiori selbst. (Kants tale Urteilskraft. — Raum und Zeit nennt Kant die
Begründung der Aesthetik^'. S. 106.) Schemata für die reinen Verstandsbegriffe, und die so-
Somit ist die Vermittlerrolle, die die Urteilskraft eben gekennzeichnete Aufgabe der transcendentalen Ur-
hier spielen soll, eine gänzlich andere, als wir sie an teilskraft nennt er den transcendentalen Schematismus. —
der gemeinen Urteilskraft kennen gelernt haben. Dort Es Hesse sich gegen diesen Gedankengang wohl ein-
hatte die Vermittelung Schwierigkeiten und brachte Be- wenden, dass die Irrtümer früherer Metaphysiken auch
wegung in das Denken; hier ist sie zu einem blossen auf anderem Wege entstanden sein könnten.
Gedanken der Vermittelung herabgesunken — zwischen Dass die soeben gegebene Darstellung richtig ist,
Teilen, die von vornherein immer nur verbunden auf- zeigen folgende Kantstellen:
lativen, nannte.
Man erkennt an dieser letzten Unterscheidung
Die für diese Probleme entscheidende Stelle lautet Kant den
zweier „Geschäfte'* der Urteilskraft, dass sach-
(Kr. d. Urt. § 59): „Das Intuitive der Erkenntnis muss
lichen Unterschied von schematischer und symbolischer
dem Discursiven (nicht dem Symbolischen) entgegen-
Urteilskraft einerseits und gemeiner Urteilskraft andrer-
gesetzt werden. Das erstere ist nun entweder schema-
hier deutlich vor Augen gehabt hat. Denn die
seits
tisch durch Demonstration, oder symbolisch als Vor-
Uebertragung der ,, Regel der Reflexion" ist Sache der
stellung nach einer blossen Analogie.*' Ferner heisst es
gemeinen Urteilskraft. (Vgl. über Schlüsse der Urteils-
in diesem Paragraphen: „Alle Hypotypose (Darstellung
kraft nach der Analogie, Logik § 84). Nur die Auf-
subjectio ad adspectum) als Versinnlichung ist zwiefach:
findung eines Symbols für einen Vernunftbegriff ist
entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Ver-
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gehören schematische und symbohsche Urteilskiaft eng ihren Zusammenhang für einleuchtend; es dürfte aber
Natur
hier nur um ein Problem der Specification des Begriffes
ihre Erscheinungen nach Arten und Gattungen ordne
oder „gemäss der Form eines logischen Systems".
der Kausalität handelt, also um eine Angelegenheit der
Allein
gemeinen Urteilskraft.
in dieser Bestimmung erschöpft sich das Princip der
Urteilskraft nicht, sondern es erhält vielmehr die „allge- Fast könnte man sagen, dass die Probleme, die
meine und unbestimmte'' Fassung eines Princips der sich auf dem Boden der Teleologie sowohl als der
„subjektiven Zweckmässigkeit der Natur für die Ur- Aesthetik des weiteren ergeben, mehr metaphysischer und
gemeine Urteilskraft bezieht, wird diese Einschränkung gezwungen ist, aus den Kreisen miteinander zusammen-
hinsichtlich der letzten Fassung des Princips inso- hängender Probleme sich eine kleinere Gruppe von
Ihesen,
1. Das Verhältnis des gemeinen Verstandes zur ge-
Diese Dissertation wird in erweiterter Form in der meinen Urteilskraft ist dies: Die Urteilskraft
„Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik'^ bildet die Urteile, der Verstand enthält sie,