Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
• Egal, ob Sie anlegen, ansparen oder für die Zukunft vorsorgen möchten,
wir haben eine passende Lösung für Sie
• Auch mit kleinen Beträgen: Schon ab 25,– Euro monatlich sind Sie dabei
• Sie bleiben flexibel, denn Ihr Geld ist grundsätzlich bewertungstäglich verfügbar
Wenn Sie mehr wissen möchten, fragen Sie Ihren Berater bei der Volksbank Raiffeisenbank.
Oder besuchen Sie uns auf www.geld-anlegen-klargemacht.de.
Weitere Informationen, die Verkaufsprospekte und die wesentlichen Anlegerinformationen erhalten Sie kostenlos in deutscher Sprache bei
allen Volks- und Raiffeisenbanken oder direkt bei Union Investment Service Bank AG, Weißfrauenstraße 7, 60311 Frankfurt am Main, unter
www.union-investment.de oder telefonisch unter 069 58998-6060. Stand: 1. Februar 2016.
26
Schaffenskraft im Doppelpack:
die Zwillinge Uwe und Gert Tobias
JUSTIN LANE / PICTURE-ALLIANCE / DPA, ILONA HABBEN / SPIEGEL WISSEN, JÉROME GERULL / SPIEGEL WISSEN, MAREN AMINI / SPIEGEL WISSEN, JAN PHILIP WELCHERING / SPIEGEL WISSEN, ROBERT SAMUEL HANSON / SPIEGEL WISSEN
sowie andere Künstlerduos
20
Freiluftmalerei: „Urban
Sketchers“ halten die
Welt mit Aquarellpinsel
oder Zeichenstift fest.
38
Wie kreativ sind Sie? Der
große SPIEGEL-WISSEN-
Test verrät es.
K A P I T E L 1 K A P I T E L 2
85
Dossier „Social Design“
mit Leserwettbewerb:
„Gute Ideen für unsere
Straße“
112 Wikipedia statt
Brockhaus: Innovationen
des digitalen Zeitalters
D O S S I E R K A P I T E L 3
DA S I N S P I R I E R T E I C H
„Beim Einschlafen kann man „Die Muse küsst die, „Eigentlich alles sehr simpel,
sich sehr schön in seine eigene die sich trauen, eine schlechte aber vom Geschmack
Welt träumen. Da fallen mir Idee aufzuzeichnen. ist es überraschend, weil es
auch gute Sachen ein, die Man muss die schlechte Idee salzig, scharf und süß ist.
man in Deutschland aber leider weiterentwickeln. Kreativität in der Küche heißt
aus finanziellen Gründen Das klingt nicht cool, ist auch, dass man den Gast
nicht realisieren kann.“ aber so.“ überrascht.“
Schwarz und
Weiß
VO M E I G E N E N KO P F M AT T
G E S E T Z T : D E R S C H AC H F I L M
„BAUERNOPFER“.
„Mentaler Juckreiz“
das Spiel verlaufen könnte. Edward
Zwicks Film „Bauernopfer“, der das
Leben des amerikanischen Schach-
weltmeisters rekapituliert, spielt an
D E R W I S S E N S C H A F T S A U TO R C A R L N A U G H TO N H Ä LT N E U G I E R der Grenze unseres Vorstellungs-
F Ü R E I N E U N T E R S C H ÄT Z T E Q U A L I TÄT. vermögens. Wie viele Varianten kann
das menschliche Gehirn voraus-
berechnen, und wie kommt es plötz-
SPIEGEL: Herr Naughton, warum interes- Naughton: Interessanterweise wird „Neu- lich auf einen Zug, der auf den ersten
siert Sie Neugier? gier“ immer als Gegenpol zur „Routine“ Blick keinen Sinn ergibt, aber 20 Züge
Naughton: Egal, ob Partnerbörse, Stellen- genannt. Aber das ist ein Irrtum: Wenn später zum Matt führt? Der Film, der
inserat oder Innovationskampagne – Neu- neugierige Menschen es mit einfachen am 28. April in deutschen Kinos
gier wird überall gefordert. Nur haben we- Aufgaben zu tun bekommen, entwickeln startet, umkreist seinen Helden (Tobey
nige sie bisher untersucht. Beim Recherchie- sie Strategien, um diese interessanter zu Maguire) wie eine Blackbox, in der
ren fand ich überhaupt erst heraus, was sie machen. sich ein ebenso wirrer wie kreativer
alles kann: Wer neugierig ist, hat ein besse- SPIEGEL: Wie kann man Neugier fördern? Geist verbirgt, die sich aber nie ganz
res Gedächtnis, lebt gesünder, ist kreativer. Naughton: Es gibt unterschiedliche Arten öffnen lässt. Jenseits des Schachbretts
SPIEGEL: Wieso kreativer? von Neugier. Sie alle eint das unangenehme neigte Fisher zu paranoiden Hirn-
Naughton: Neugierige sind per se offener Gefühl, gerade eine Lücke im eigenen Wis- gespinsten. Als er 1972 gegen den Rus-
für neue Ideen. Sie haben richtiggehend sen entdeckt zu haben. Dieser Zustand ist sen Boris Spasski antrat, drohte er fast
Lust auf Neues. Das Kopfklima ist nötig, für das Gehirn quälend, wie ein mentaler den Verstand zu verlieren, weil er sich
um kreativ zu sein. Dazu kommt, dass Neu- Juckreiz. Erst die fehlende Information lin- ständig verfolgt fühlte. Allein die Kon-
gierige laut Studien gewissenhafter sind. dert das Leid. Wer so tickt, sollte ruhig im- zentration auf das Spiel ermöglichte
Sie bleiben automatisch länger dran, wollen mer wieder nach Wissenslücken suchen. es Fisher offenbar, seine Vorstellungs-
verstehen und durchdringen. Das ist nütz- kraft unter Kontrolle zu bekommen.
lich fürs Umsetzen neuer Ideen – sei es in CARL NAUGHTON: „Neugier. So Er musste seine Kreativität extrem
Beziehungen oder in der Firma. schaffen Sie Lust auf Neues und Ver- kanalisieren, um nicht ihr erstes Opfer
SPIEGEL: Brauchen wir Neugier im Alltag? änderung“. Econ; 296 Seiten; 19,99 Euro. zu sein.
10
„Mehr
Fachleute
für Sex“
U M F R AG E I : WO F E H LT E S I N
UNSERER GESELLSCHAFT
A N I N N OVAT I O N ?
E I N E A N T WO R T VO N A N N -
MARLENE HENNING, 51,
S E X U A LT H E R A P E U T I N .
Ann-Marlene
Henning
VIELE ELTERN wünschen sich, dass 2. Einmal in der Woche unternehmen Groß
ihr Nachwuchs Freude am Malen oder Mu- und Klein etwas zusammen, was beide
sizieren entwickelt. Aber wie klappt das? schön finden: Museumsbesuch, Schwimm- „Die einzig revolutionäre
Die US-Kreativitätstrainerin Julia Came- bad, Roboter basteln.
ron rät davon ab, Kinder überehrgeizig in 3. Eltern sollten sich eigene Kreativzeiten Kraft ist die Kraft der
Kurse und Fördergruppen zu stecken. Statt gönnen. Zum Beispiel mit der „Morgensei-
dessen schlägt sie vor, kleine Veränderun- ten“-Technik – nach dem Aufstehen ein- menschlichen Kreativität,
gen im Tagesablauf vorzunehmen: fach drei Seiten Papier mit den Gedanken die einzig revolutionäre
1. Kurz vor dem Schlafengehen erzählen vollschreiben, die gerade auftauchen.
sich Kind und Erwachsener gegenseitig Kraft ist die Kunst.“
vom schönsten Moment des Tages – so be- JULIA CAMERON: „The Artist’s Way
J O S E P H B E U YS
kommen die Eltern mit, was dem Kind for Parents: Raising Creative Children“.
wichtig ist, und können es aufgreifen. TarcherPerigee; 288 Seiten; 16,24 Euro.
DAS TOLLSTE AM FILMEMACHEN IST FÜR MICH, den Stoff Beim Einschlafen kann man sich sehr schön in seine eigene Welt
zu entwickeln. Und da ich mich selbst gut kenne und manchmal träumen. Da fallen mir auch gute Sachen ein, die man in Deutsch-
fad finde, mache ich das gern im Austausch mit anderen Menschen. land leider aus finanziellen Gründen nicht realisieren kann, und
Im Dialog entsteht ein Spiel, in dem sich Ideen entwickeln: Ah, das nach dem Aufwachen landet man wieder in der Realität. Science-
ist gut, das ist eine spannende Wendung. Man sieht den Film schon Fiction zum Beispiel, deshalb dreht Roland Emmerich ja lieber in
vor sich. Das macht mir Spaß, und ich möchte bei der Arbeit eine Hollywood.
gute Zeit haben. Es heißt ja, wer glücklich ist, könne nicht kreativ
sein oder Großes schaffen. Ich habe aber keine Lust, unglücklich WENN MAN SO RICHTIG FESTSTECKT beim Schreiben, ist
zu sein und meinen Schmerz dann in Kunst umzuwandeln. das nicht auszuhalten. Da geht einem der Hut hoch. Hitchcock hat
Ideen kann man nicht erzwingen, sie kommen einfach, wenn mit seinen Schreibern angeblich eine Bootsfahrt auf der Themse
man um etwas kreist. Früher habe ich deshalb ein Notizbuch ge- gemacht, wenn sie nicht weiterkamen. Ich gehe spazieren. Bewe-
führt, aber das mache ich nicht mehr. Nur manchmal schreibe ich gung, Licht, frische Luft, das ist gut. Das bringt eine Perspektivver-
einen Gedanken auf. Oder ich fotografiere, vor allem auf Reisen. schiebung.
Ich bewundere Woody Allen, der ganz strukturiert mit einem Zet- An einem historischen Stoff, der in der Mongolei spielt, arbeiten
telsystem arbeitet und deshalb jedes Jahr einen Film abliefert. Ich wir schon seit 15 Jahren. Als ich 2002 in die Mongolei gereist bin,
kann das überhaupt nicht. wusste ich, dass sich nichts so umsetzen lassen würde, wie ich es
Viele Autoren geben sich ein zeitliches Gerüst: Sie arbeiten früh- mir vorgestellt hatte. Wir haben uns in den 15 Jahren immer wieder
morgens oder spätabends, wenn es ruhig ist und keine Mails herum- in verschiedenen Konstellationen zusammengesetzt, um den Stoff
sausen. Als ich mit Ernst Kahl das Drehbuch für „Wir können auch weiterzuentwickeln. Am lustigsten war der Tag, als die anderen
anders“ geschrieben habe, haben wir beide nach dem Mittagessen Haschkekse gegessen hatten, ohne es zu wissen. Nur ich nicht,
erst mal geschlafen, dann gab es abends den philosophischen Wein, weil ich keine Lust auf Kekse hatte. Ich war völlig irritiert, was
und das Filmthema wurde unter diesem Einfluss etwas lockerer mit den anderen los war; die Dramaturgin, die sonst immer Notizen
besprochen, das gab ganz andere Töne. Ernst Kahl ist ja Maler und machte, schlief ein, und was die anderen sagten, habe ich überhaupt
muss eine große Disziplin haben, denn er steht allein vor der nicht verstanden. Ich glaube, es ist trotzdem etwas dabei heraus-
Staffelei. Da gibt es keinen Austausch mit Drehbuchschreibern, gekommen, auf jeden Fall habe ich nachhaltige Erinnerungen an
Redakteuren oder Produzenten. Da sind nur der Maler und sein diesen Tag.
Bild. Das ist auch nicht einfach. Aber man kann nicht einfach Hilfsmittel wie Drogen oder Kaffee
nehmen und erwarten, dass man einen guten Einfall hat. Wir haben
zuletzt ein Jahr lang relativ kontinuierlich an dem Drehbuch ge-
arbeitet. Nun müssen wir das Geld für die Produktion auftreiben.
DETLEV BUCK Auch da muss man sich wieder etwas einfallen lassen. Ich nenne
solche Projekte „Nilpferde schieben“.
wurde 1996 mit „Männerpension“ bekannt. Und dann ist man beim nächsten Film wieder ein Anfänger. Und
Seine „Bibi & Tina“-Filme gehören zu den erfolg- manchmal kommt man im Verlauf des Projekts an einen Punkt, wo
reichsten deutschen Kinderproduktionen. man noch mal von vorn anfangen muss. Man ist dauernd unsicher.
Nächstes Jahr ist Buck, 54, als Schauspieler in Als ich zur Schule ging, dachte ich: Ich will später nie wieder eine
der Sven-Regener-Verfilmung „Magical Mystery“ Prüfung machen. Jetzt ist jeder Film eine Prüfung. Aber wenn ich
im Kino zu sehen. keine Filme mehr machen würde, wäre mir langweilig.
Es gäbe keinen
Fortschritt, wenn
die Menschen
nicht den schöp-
ferischen Drang
hätten, ihre Welt
immer wieder
neu zu gestalten.
WAS ALLES KANN MAN mit einem Zie- gel in der Pfütze, beides Verwendungen, die der Präsident der American Psychological
gelstein machen? Denken Sie mal eine Mi- nach dem Schwammprinzip funktionieren Association, Joy Paul Guilford, im Jahr 1950
nute darüber nach, und schreiben Sie eine und längst in der Hydrokultur verbreitet sind. seine Kollegen aufgefordert hatte, sich end-
Liste auf ein Blatt Papier. Und was ist mit dem Stoned Chicken? lich der Kreativität zu widmen und diese
Und? Gemahlenen Ziegelstein übers Hähnchen systematisch zu erforschen. Jahrhunderte-
Also, man kann mit einem Ziegelstein zu verteilen, ist fraglos ein ungewöhnlicher lang hatte man Kreativität für das Ergebnis
eine Mauer bauen, man kann ihn als Brief- Einfall, aber wer ihn ausprobiert, wird zwei eines Geistesblitzes gehalten – und es bei
beschwerer benutzen oder als Buchstütze, Dinge lernen: Erstens müssen die Gäste an- dieser Erklärung belassen. Doch auch, als
man kann ihn im Ofen aufheizen und das schließend zum Zahnarzt; und zweitens ist Ende des 19. Jahrhunderts die naturwissen-
Bett damit anwärmen, man kann ihn Men- nicht alles, was originell ist, auch kreativ. schaftliche Psychologie Fahrt aufnahm,
schen, auf die man sauer ist, an den Kopf Denn ein kreatives Produkt ist nur eines, blieb Kreativität ein Randthema.
werfen, man kann ihn in kleine Stücke zer- das wirklich neu ist, darüber hinaus einen Als Guilford seine Erweckungsrede hielt,
trümmern und als Drainage in Blumentöp- Nutzen hat und für jemanden relevant ist. beschäftigte sich weniger als 0,2 Prozent
fen verwenden, man kann ihn in eine Pfütze Die Ziegelstein-Frage ist einer der ältes- der psychologischen Forschung mit Kreati-
stellen und Wasser aufsaugen, man kann ihn, ten Kreativitätstests in der psychologischen vität. Warum? Vermutlich, weil sie so
falls das scharfe Paprikagewürz ausgegan- Forschung. Er wurde entwickelt, nachdem schwer zu definieren und zu messen ist, und
gen ist, pulverisieren, übers Brat- wohl auch, weil sie uns so fasziniert
hähnchen streuen und den Gästen wie einschüchtert: Die meisten
als Stoned Chicken servieren. Menschen bewundern kreative
Das sind acht Möglichkeiten, Leistungen und wären gern selbst
und sicherlich gibt es acht Millio- geniale Schöpfer. Kreativität wird
nen weitere – aber die Frage, um – bis heute – mystifiziert.
die es hier geht, lautet: Welche die- Und wenn sich doch jemand an
ser Vorschläge sind sehr kreativ? die Erforschung der Kreativität ge-
Oder wenigstens ein bisschen? Eine wagt hatte, dann ging es meist um
Mauer mit einem Ziegelstein zu Einzelfallanalysen mit der Frage,
bauen, ist es jedenfalls nicht, denn was eine kreative Person ausmacht:
auf diese Idee sind die Menschen Welchen IQ hatten Johann Wolf-
vor Jahrtausenden gekommen, und gang von Goethe und Martin Lu-
schon immer schlagen Menschen ther (210 und 170)? Sind Genies
mit allem aufeinander ein, was ih- zwangsläufig psychisch krank (Der
nen in die Hände kommt. labile Maler Vincent van Gogh! Der
Den Ziegelstein als Brief- depressive Komponist Robert Schu-
beschwerer zu benutzen, ist kreativ, mann! Der schizophrene Mathema-
wenn man das noch nie vorher ge- tiker John Nash!)?
sehen hat. Ihn als Buchstütze zu ver- 66 Jahre nach Guilfords State-
wenden, ist aber im Prinzip die glei- ment gibt es viele psychologische
che Idee – und daher nicht mehr Kreativitätstheorien und sehr, sehr
kreativ. Heiße Steine im Bett sind viele Experimente und Studien.
ein Klassiker, in puncto Kreativität Mal stehen kognitive Fähigkeiten
also ein Ausfall. im Fokus, etwa zur Problemlösung,
Dasselbe gilt für die Ziegelstein- Das Phänomen Disruption: mal geht es um Talent, um Nonkon-
schicht im Blumentopf und den Zie- Motoren ersetzten Pferde. formismus oder um die Bedeutung
D A S E N D E D E R K U T S C H E
A
ls der Ingenieur Carl Benz am 3. Juli 1886 mit dem Benz- ma“ eingeführt. Er zeigte auf, dass Unternehmen zugrunde gehen,
Patent-Motorwagen Nummer 1 durch Mannheim knat- wenn sie sich an den aktuellen Bedürfnissen der Kunden orientieren
terte, war nicht nur das Auto mit Verbrennungsmotor er- und nicht an den zukünftigen. Disruptive Innovationen dagegen
funden und der Mobilität eine neue Dimension eröffnet, sondern schaffen einen neuen Markt und zerstören einen existierenden.
der Niedergang eines Wirtschaftszweiges hatte begonnen: der Bran- Das Dampfschiff löste das Segelboot als Transportmittel ab, die
che der Pferdekutscher und Droschkenhersteller. Eine Nebenwir- energiesparende LED-Lampe bedeutete das baldige Aus für die
kung der Kreativität ist gelegentlich Zerstörung – Disruption ist Glühbirne. Die Digitalkamera machte Filmrollen überflüssig und
das nicht ganz so gewalttätig klingende Fachwort für solche um- zerstörte das Geschäft von Kodak und Polaroid (siehe auch Bild-
stürzlerischen Erfindungen, die das Alte überflüssig machen und strecke „Mit aller Kraft der Zerstörung“, S. 112). Christensens Buch
hinwegfegen. Den Begriff „disruption“ hat der Harvard-Professor wurde vom „Economist“ zu einer der wichtigsten Wirtschaftsana-
Clayton Christensen 1997 in seinem Buch „The Innovator’s Dilem- lysen aller Zeiten gekürt.
das Pestizid Glyphosat oder die Atombombe. gehören zusammen wie Und hier eine gute Nachricht für dieje-
Kreativität determiniert den Neuigkeits- nigen, die ihr verschüttetes kreatives Poten-
wert, aber nicht den moralischen Wert einer „Eier und Speck“. zial ausbuddeln wollen: Die vielen Ratgeber
Idee, sie teilt nicht ein in Gut und Böse. Da- zur Talentförderung Erwachsener haben
für gibt es gesellschaftliche Normen – Ge- durchaus ihren Sinn, denn Talent kann in
setze oder Abkommen beispielsweise, die jedem Alter noch entdeckt und gefördert
werden. Der irischstämmige Lehrer Frank An diesen Beispielen sieht man: Es Schottland ist immer noch nicht zu unter-
McCourt schrieb erst nach seiner Pensio- braucht nicht nur eine kreative Person, die schätzen, denn hier lebt auch Johanna Bas-
nierung die eindrucksvolle Autobiografie in einem kreativen Prozess ein kreatives Pro- ford, die zarte, liebevolle Fantasiewelten ge-
„Die Asche meiner Mutter“, die 1996 zum dukt entwickelt – auch die Umgebung, der staltet, in die anschließend die Fans ihrer Aus-
internationalen Bestseller wurde. Zeitgeist, die Umstände sind maßgebliche malbücher Farbe bringen. Damit hat Basford
Allerdings geht es nicht ohne Ausdauer Faktoren. Der US-amerikanische Wirt- nicht nur in den vergangenen Jahren einen
und Geduld, denn es gilt das „Zehn-Jahres- schaftstheoretiker Richard Florida entwi- Trend, sondern auch eine Bereicherung ge-
Gesetz“: Zwischen dem ersten Entdecken ckelte vor gut zehn Jahren die Theorie der schaffen, für beide Seiten. Auch ihr Beispiel
von Mathematik, Musik oder Biologie und „Creative Class“: Danach ist das Wirtschafts- zeigt, dass vom Zeitgeist abhängt, was als
der Aneignung von genug Expertise, um et- wachstum einer Region oder Stadt davon ab- kreativ empfunden wird und Menschen fas-
was Kreatives in dem Feld zu schaffen, liegt hängig, wie viele kreative Köpfe dort leben. ziniert – oder welcher Erwachsene hätte vor
eigentlich immer eine Dekade. Heute ist das Silicon Valley so ein Hot- zehn Jahren freiwillig Bilder bunt gemalt?
spot der Kreativität. Im 18. Jahrhundert war Dem Maler Paul Klee wird das poetische
es Schottland, wie der Autor Eric Weiner in Zitat zugeschrieben: „Eine Linie ist ein
„Ein Punkt, der seinem neuen Buch „The Geography of Ge- Punkt, der spazieren geht.“ Kreativität be-
spazieren geht“ nius“ belegt. Dort wurde nicht nur das WC deutet demnach nicht nur, etwas zu erfin-
Als Sir John Harington 1596 das Wasserklo- erfunden, sondern auch das Leistungsmaß den, zu entdecken oder etwas Neues zu ge-
sett für seine Patentante Queen Elizabeth I. der Pferdestärke, die Encyclopaedia Britan- stalten. Kreativität bedeutet auch, Dinge neu
und für sich selbst erfand, war die Zeit noch nica und die künstliche Kühlung. Wenig zu interpretieren und ihnen eine andere Di-
nicht reif für so viel Hygiene – es geriet in überrascht, dass es in diesen Zentren der mension zu geben. Oder Dinge, die schein-
Vergessenheit. 1775, knapp 200 Jahre später Ideen und Entdeckungen immer eine Uni- bar nicht zusammenpassen, zu etwas Neu-
also, erfand Alexander Cumming das WC versität gibt. Im Silicon Valley an der US- em zusammenzufügen.
noch mal und ließ es patentieren. In den fol- Westküste ist es die Stanford University, auf Der Apple-Mitgründer und Smartphone-
genden drei Jahren kamen zwei weitere Klo- der anderen Landesseite ist es die Techno- Übervater Steve Jobs formulierte es so:
Varianten auf den Markt. logiehochschule MIT in Cambridge. „Kreativität heißt: Dinge miteinander zu ver-
binden“, was der Definition des Wirtschafts-
theoretikers Joseph Schumpeter (1883 bis
1950) nahekommt. Jobs hat vermutlich auch
Schön umständlich: Schumpeters Ansicht geteilt, dass Kreativi-
der elektrochemische Telegraf tät, die in der Wirtschaft meist „Innovation“
genannt wird, nicht aus ökonomischem Ei-
gennutz entsteht – also etwa aus dem
Wunsch, immer reicher zu werden –, son-
dern aus psychologischen Motiven. Nämlich
der „Freude am Gestalten“. Obwohl, das
muss man dazu sagen, bei Apple praktischer-
weise Freude am Gestalten und Freude am
wachsenden Reichtum zusammenfallen.
Voller Freude, also glücklich zu sein, ist
eine der kraftvollsten Motivationen, die Men-
schen antreibt. Sogar dazu, sich jahrelang zu
quälen, in Laboren und Werkstätten, an
Schreibtischen, Computern und Klavieren,
vor Staffeleien, bis sie endlich das befreiende
„Heureka“ rufen können. Wobei es auch schon
glücklich macht, wenn man sich in eine Auf-
gabe vertieft und in einen „Flow“ kommt, wie
G E S C H E I T E R T E E R F I N D U N G E N
D
ie Geschichte der Kreativität ist auch eine Geschichte verbunden, das mit einer Elektrolytlösung gefüllt ist. Die Kabel
der Irrtümer, jedenfalls rückblickend gesehen. Der Na- starten und enden am jeweils gleichen Zeichen. Wenn der Sender
turforscher Samuel Thomas Soemmerring (1755 bis 1830) am Schaltpult ein Zeichen auswählt, wird der Stromkreis geschlos-
war einer der bedeutendsten deutschen Anatome. Er erfand aber sen, und am anderen Ende der Leitung steigt über dem entspre-
1809 auch den elektrochemischen Telegrafen. Bei diesem aus- chenden Zeichen eine Luftblase auf. Das System ist schon umständ-
gesprochen originellen Kommunikationsgerät wird eine Art Schalt- lich zu erklären – die Blubber-SMS zu entziffern, war aber noch
pult über 35 sehr lange Stromleitungen mit einer Art Aquarium mühsamer. Und definitiv langsamer als eine Brieftaube.
Diese Mission motiviert mehr, den Unterneh- ist aufgerufen zum das wäre eine andere Geschichte.
menserfolg mit neuen Ideen voranzutreiben,
als das stylishe Interior Design im Silicon-Val- Basteln, Tüfteln, Malen.
ley-Headquarter und der monatliche Gehalts- Marianne Wellershoff wird beim
scheck (siehe Interview mit Google-Innova- Bassspielen kreativ, wenn sie nach 22 Uhr
tionschef Frederik Pferdt auf S. 68). mit ihrer Band Hansagold probt.
Mein Bild
der Welt
1. 3. 6.
Wir zeichnen vor Ort, Unsere Zeichnungen Wir unterstützen
drinnen oder draußen, nach sind eine Aufzeichnung einander und zeichnen
direkter Beobachtung. der Zeit und des Ortes. zusammen.
2. 4. 7.
Unsere Zeichnungen Wir bezeugen unsere Wir veröffentlichen
erzählen die Geschichte Umwelt wahrhaftig. unsere Zeichnungen online.
unserer Umgebung,
der Orte, an denen wir 5. 8.
leben oder zu Wir benutzen alle Wir zeigen die Welt, Zeichnung
denen wir reisen. Arten von Medien. für Zeichnung.
Organisation mit einem Acht-Punkte-Mani- Der 47-Jährige begreift sich selbst nicht aber so.“ Und voilà, die Angst vor dem wei-
fest (siehe Kasten). Ihr Motto: die Welt zei- als Urban Sketcher. Sein Leitfaden „Mut ßen Blatt Papier schwindet.
gen, Zeichnung für Zeichnung. zum Skizzenbuch“ wirkt allerdings wie ein Ein anderer Helfer in kreativer Not ist
Lehrwerk für die Community und hat mit Danny Gregory, ein ehemaliger Werber aus
URBAN SKETCHERS VERNETZEN sich einer Auflage von 45 000 Exemplaren uner- New York. „Kümmere dich nicht um die
über die sozialen Plattformen und treffen wartet großen Erfolg. Noch besser verkauft Qualität deiner Zeichnungen“, sagt er. „Ma-
sich regelmäßig, lokal und global. 45 000 sich sein Nachfolgeband „Wasserfarbe für che deine eigenen Bilder, und du schaffst
Mitglieder weltweit hat die offizielle Face- Gestalter“. dir deine eigenen Erinnerungen.“ Jede
book-Gruppe heute, 68 registrierte Ableger Scheinberger ist einer meiner Mutma- Zeichnung sei eine Erfahrung. 2008 schon
gibt es. In Deutschland sind es mehr als tau- cher, wenn die dreidimensionale Welt so gar gab Gregory „An Illustrated Life“ heraus,
send Urban Sketchers. Die Community nicht auf die zwei Dimensionen meines Blat- mit Auszügen aus Skizzenbüchern von
wächst noch immer, sagt Brenda Murray, tes passen will, wenn ich Vorbilder und In- Künstlern, Illustratoren und Designern. Vor
die in den USA für Kommunikation zustän- spiration brauche. „Die Muse küsst die, die zwei Jahren startete er mit der Niederlän-
dig ist. Viele Designer, Architekten und sich trauen, eine schlechte Idee aufzuzeich- derin Koosje Koene die Online-„Sketch-
Künstler sind dabei, aber auch Freizeit- nen“, sagt er, „man muss die schlechte Idee book Skool“. Im Schnitt nehmen 1500 Schü-
zeichner wie ich. „Den meisten fehlt der weiterentwickeln. Das klingt nicht cool, ist ler an einem bis zu sechswöchigen Video-
Mut, allein in der Öffentlichkeit zu zeich- kurs teil, 17 500 waren es bisher insgesamt.
nen“, sagt Murray. „Unser Ziel ist es, inte- Warum Zeichnen so beliebt geworden
grativ zu sein. Die Gruppen sind offen für ist? „Wir wollen nicht nur unterhalten wer-
alle.“ Für mich sind solche Treffen Motiva- den“, sagt Gregory, 55, „wir wollen etwas
tion, wenn ich im Alltag vergesse, wie gut erschaffen. Kreativ zu sein befriedigt uns.“
mir Zeichnen tut. Und es ist großartig, Men- Urban Sketchers und Sketchbook Skool:
schen zu treffen, die dasselbe lieben wie Eigentlich stellen sie eine Gegenbewegung
ich. zum Digitalen dar, zugleich wurden sie erst
Warum aber erlebt das Zeichnen seit ei- durch das Internet möglich. Wie sie die
niger Zeit eine Renaissance? Urban Sket- Welt schrumpfen lassen und wie global die
ching sei ähnlich wie Slow Food, sagt André Sprache der Bilder verstanden wird – mich
Sandmann, Designer und Gründer der fesselt das: Wenn ich in einem Blog von Jan
Schweizer Urban-Sketchers-Gruppe: eine aus Neufundland lese, die 2000 Kilometer
Gegenbewegung zum schnellen Konsum, entfernt von einem Künstlerbedarf lebt und
zum „massenhaften Bilderpflücken“ mit auf Schiffslieferungen warten muss. Mit
der Digitalkamera. meinem Tablet reise ich stellvertretend
„Die digitale Welt ist so brachial in unser durch viele Länder und erlebe mit, wie die
Leben, auch unser Privatleben, hineinge- Urban Sketcherin Liz Steel Sydneys Archi-
prescht, dass wir uns an die Wand gedrückt tektur erkundet, Nina Johansson sich die
fühlen“, sagt Felix Scheinberger, Professor Viertel von Stockholm aneignet und der
für Illustration an der Fachhochschule Berliner Radfahrer Jens Hübner sich durch
Münster. „Das Echte ist wieder gefragt, ge- den Sudan zeichnet.
rade weil das immer seltener und vieles aus-
tauschbarer wird. Zum Authentischen zählt Handarbeit: Für Autorin Antje Blinda UNTERWEGS SEIN und malen, dafür übe
Handgemachtes – Schreinern, Häkeln und braucht Zeichnung „keine Sprache, sie ist ich im Alltag. Zeichnend die Welt entde-
bestimmt auch Zeichnen.“ selbst Kommunikation“. cken? Ein Traum. Skizzenbuch, Buntstifte
und Aquarellkasten schleppe ich mit in je- „Wichtiger als die Dokumentation glaubhaft zeigen oder das Dächermeer von
den Urlaub, von Amrum bis Marokko und des Straßenlebens ist mir der Moment Marrakesch? Auch wenn ich dabei allein
Vietnam. Kunst ist es vielleicht nicht, was des Zeichnens“, sagt Antje Blinda. bin, ist dies keinesfalls eine introvertierte
ich mache, bestenfalls die Kunst, den Au- Tätigkeit – so ein Skizzenbuch ist manch-
genblick zu genießen. Denn wichtiger als mal wie ein Hund: ein perfektes Mittel, um
die Dokumentation von Tempeln, Straßen- mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Nie-
leben oder Stränden ist mir der Moment des mand würde fragen, was ich in einem Café
Zeichnens. Das Jetzt, das ich bewusst erlebe; WEITERLESEN in mein Tagebuch schreibe, aber wenn ich
all die Details, die ich nicht wahrgenommen male, ist das Interesse oft groß.
hätte, würde ich vorbeischlendern und ein GABRIEL CAMPANARIO: „Ur- Als ich eine Tankstelle im Jemen skiz-
paar Fotos machen. „Man schaut intensiver, ban Sketching“. Frech Verlag, zierte, wunderten sich unsere Beduinen-
weil man länger steht als beim Fotografie- Stuttgart; 320 Seiten; 24,99 Euro. Fahrer. Als ich die Gesichtszüge einer
ren“, sagt Felix Scheinberger. Und in dieser Buddha-Statue in Sri Lanka zu erfassen
Zeit passiere etwas: Jemand spricht einen DANNY GREGORY: „An Illus- versuchte, hatte ich einen Trupp kichern-
an, eine Taube fliegt vorbei, ein Geruch weht trated Journey“. F&W Publica- der Kinder um mich herum und viel Spaß.
herüber – was einen berührt, das krieche in tions Inc, Blue Ash (Ohio); 272 Zeichnung braucht keine Sprache, sie ist
die Skizze. „Ein Foto ist allgemeingültiger, Seiten; 21,95 Euro. selbst Kommunikation. Und jede Skizze ver-
objektiver“, sagt er, „eine Zeichnung ist per- spricht eine Geschichte, etwas, das hinter
JÉROME GERULL / SPIEGEL WISSEN
sönlich, eine individuelle Sicht.“ JENS HÜBNER: „Ein Jahr Ur- Strichen, Farbklecksen und Schattierungen
Wenn ich mein Skizzenbuch vor mir ban Sketching“. Edition Michael liegt. antje.blinda@spiegel.de
habe und die Zeit vergesse, bin ich zufrie- Fischer, Igling; 144 S.; 19,99 Euro.
den. Ich gucke mir Linie für Linie die Welt
ab, nehme mir die Freiheit, meine Version FELIX SCHEINBERGER: „Mut
VIDEO: Unterwegs mit
der Wirklichkeit zu erschaffen und meine zum Skizzenbuch“. Verlag Her- einer Urban Sketcherin
eigene Zeichensprache zu entwickeln. Wie mann Schmidt, Mainz; 160 Seiten; spiegel.de/sw022016zeichnen
kann ich die Tiefe einer toskanischen Ebene 29,80 Euro.
Mister Crazy
[1]
[3]
[1]
[2] Edwards mit
„Aerolife“-
Nahrungsergän-
zungsspender.
[2]
Essbare
Verpackung
„Wikicell“
[3]
Kolben „Le Whaf“
zum Inhalieren von
Getränkedunst
NEIN, DA SEI KEIN ZUCKER DRIN, Satz, der ihm auf die Frage nach seiner Ju- gen durchs Grenzland zwischen Kunst und
sagt David Edwards und hebt den silbernen gend einfällt. Die Lehrer hätten ihn darauf Wissenschaft aufbrechen. In der „Innova-
Behälter vom Tisch: „Das ist der Lautspre- gedrillt, in vorgefertigten Bahnen zu denken. tionsecke“ seines Cafés lässt sich studieren,
cher meines Geruchstelefons.“ Seit Jahren Und daran habe sich auch an der Universität wohin ihn sein Erfindergeist nun treibt. Im
werkelt der Unternehmer, Erfinder und wenig geändert. „Überall bin ich auf Wände Zentrum seines Interesses, sagt er, stünden
Harvard-Professor daran, der Nase den ihr gestoßen“, sagt Edwards. jene Sinne, die in der modernen Welt ver-
gebührenden Platz in der digitalen Welt zu Er möchte es anders machen. Sein Har- nachlässigt würden. „Viele Menschen ver-
schaffen. Jetzt endlich sei das Produkt vard-Kurs trägt den Titel: „Wie man Dinge bringen heute einen Großteil ihres Lebens
marktreif, sagt er höchst zufrieden und erschafft und dafür sorgt, dass sie bedeutend in der digitalen Welt“, sagt er. „Dort aber
schraubt den Behälter auf. „Ende April wer- sind.“ Ziel ist es, die Kreativität der Studen- sind von unseren fünf Sinnen nur zwei ver-
den wir es in New York vorstellen.“ ten zu wecken, zum Unterricht lädt er sie treten: das Sehen und das Hören.“
Unter dem Deckel kommen drei Düsen in sein Café. Dort dürfe es keine Denkver-
zum Vorschein, die Duftstoffe versprühen bote geben, sagt der Professor: „Gleich am ERST GESCHMACK UND GERUCH aber
können. „Sehen Sie, ich wähle auf meiner Anfang sage ich ihnen, dass sie sich bewah- gäben den Dingen ihren vollen emotionalen
App einen Geruch aus“, sagt Edwards und ren sollen, was die meisten Studenten als Gehalt. Eine Welt, die dieser Sinne beraubt
tippt zur Demonstration den Button Allererstes loswerden wollen: ihre Naivität.“ ist, werde schal und fad. Um das zu verhin-
„Sonnencreme“ auf dem Bildschirm seines Vor Semesterbeginn sei eine Studentin dern, hat er zum Beispiel Verpackungen aus
Telefons an, „und jetzt riechen Sie.“ Tatsäch- zu ihm gekommen, die sich nicht traute, sei- essbaren Polymeren ersonnen, in die sich
lich weht einen Moment lang eine Ahnung nen Kurs zu belegen. „Sie hatte Angst, dass Eis, Joghurt oder auch Getränke hüllen las-
von Strand durch den Raum. sie keine Ideen hätte“, sagt Edwards. Ach sen. Orangensaft verkauft er nun in Gestalt
Gerüche per SMS versenden – natürlich was, erklärte er ihr, er habe jeden Tag hun- walnussgroßer orangefarbener Perlen. Gaz-
weiß Edwards, dass manch einer diese Idee dert Einfälle, und nicht etwa, weil er so vielpacho gibt es in Form tomatenroter Kügel-
für verrückt halten wird. Aber gerade das kreativer sei. „Ich habe einfach eine höhere chen, beim Wein entschied sich Edwards
gefällt ihm, „crazy“ ist eines seiner Lieblings- Toleranz dafür, was ich eine Idee nenne“, für den violetten Farbton reifer Trauben.
wörter. Er kann sich Spinnereien leisten – Besonders stolz aber ist er auf eine Er-
spätestens seit sich seine erste Firma für 114 findung, die er „Le Whaf“ getauft hat. „Ich
Millionen Dollar verkauft hat. Edwards, 54, zeige es Ihnen“, sagt er und spurtet in die
ist Ingenieur, er hat angewandte Mathema- Küche. Das Gerät besteht aus einem bauchi-
tik studiert. Doch das ist Vergangenheit. Die „Überall bin ich auf gen Glaskolben, in den Edwards ein wenig
ungebändigten Locken, der struppig-grau- Whiskey füllt. „Sie können auch jedes ande-
melierte Bart und vor allem seine über-
Wände gestoßen.“ re Getränk nehmen“, erklärt er, während er
schwängliche Art signalisieren, dass er sich das Gefäß auf eine Art Herdplatte stellt. Pie-
schon lange nicht mehr als Techniker, son- zoelektrische Kristalle im Sockel des Kol-
dern als Künstler versteht. bens erzeugen Ultraschall, dessen Schwin-
Nahe des Tech Square im US-Universi- sagte er der Schülerin. Keine Angst vor der gungen die Flüssigkeit im Handumdrehen
tätsstädtchen Cambridge, wo sich die Start- Blamage, das sei die erste Lektion. vernebelt. Diese Schwaden lässt Edwards
up-Szene tummelt, betreibt Edwards das Es war vor allem ein Gedankenblitz, der in ein Glas strömen, aus dem er den Whis-
„Café Artscience“, ein Restaurant und Kul- ihm die Freiheit gab, seinen Ideen nachzu- key-Dunst durch einen Strohhalm inhaliert:
turzentrum. Er hat es als Begegnungsstätte gehen. Mitte der Neunzigerjahre arbeitete „Purer Geschmack, ohne eine einzige Kalo-
konzipiert, in der sich Kunst und Wissen- er in einem MIT-Labor in Cambridge. Der rie“, verkündet er.
schaft wechselseitig befruchten sollen. „La- Laborleiter ließ Edwards prüfen, ob sich In- Und dann ist da natürlich noch seine
boratorium“ nennt er diese Garküche der sulin auch über die Lunge aufnehmen lasse. jüngste Erfindung: die Kommunikation über
Ideen. In Ausstellungen, Vorträgen und Diabetiker könnten das Medikament dann Gerüche. „Mit meinem Geruchstelefon kön-
Workshops soll die Grenzzone zwischen inhalieren und wären so unabhängig von nen Sie nicht nur einzelne Aromen versen-
analytischem und kreativem Denken erkun- den lästigen Injektionen. Edwards ersann den, sondern ganze Geruchsmusik“, erklärt
det werden. Stets, sagt Edwards, habe ihn neuartige, hochporöse Insulin-Partikel. Und Edwards. Wie die Töne einer Melodie wür-
der Graben gestört, der die Welt der Künst- tatsächlich: In dieser luftigen Form gelangte den dabei die Duftstoffe nacheinander frei-
ler von derjenigen der Forscher trennt. das Hormon viel leichter ins Blut. gesetzt. Um das Prinzip vorzuführen, zieht
Als er vor rund 15 Jahren nach Harvard Er kann sich noch gut an das mulmige Edwards zunächst Symbole in eine Art Text-
kam, hatte das Schlagwort „Interdisziplina- Gefühl erinnern, das ihn befiel, als sich ein zeile auf seiner App: „Sonnencreme“, „Ko-
rität“ Konjunktur. Allerorten wurden Pro- Banker bei ihm meldete: „Ich hatte ja keine kosöl“, „Ananas“. Dann bleibt nur noch ei-
jekte geboren, in denen Forscher unter- Ahnung, was Risikokapital eigentlich ist.“ nes zu tun: Nachdem er die Komposition
schiedlicher Fachdisziplinen aufeinander- Gleichzeitig aber schmeichelte ihm das seiner kleinen olfaktorischen Strandserena-
treffen sollten. Doch schon bald fiel Ed- Interesse: Insulin zum Inhalieren – in der de vollendet hat, drückt er auf „Senden“.
wards auf: Die Bildhauer, Dichter und Ar- Pharmabranche versprach man sich davon johann.grolle@spiegel.de
chitekten blieben beim Dialog außen vor. ein gewaltiges Geschäft.
NICOLAS BUISSON
Er selbst dagegen fühlte sich vom emo- Zwar erwies sich das Produkt später als
tionalen, sprunghaften und assoziativen wenig erfolgreich, doch Edwards hatte seine
Denken der Kreativen angezogen. „Ich Firmenanteile rechtzeitig verkauft, konnte Johann Grolle wird kreativ, wenn es um die
mochte die Schule nie“: Das ist der zentrale nun als Multimillionär zu seinen Streifzü- Kreativität anderer geht.
Gemeinsame Sache
Inspiration im Doppelpack:
Fünf kreative Duos aus Musik, Mode,
Design und Kunst
TEXTE ANNETTE BRUHNS UND TOBIAS BECKER
Schnipo Schranke
Friederike Ernst, 26, und Daniela Reis, um, oder wir machen das, was von Belang ist.“
27, haben etwas Anständiges gelernt – und daraus Also gründeten sie eine Band: Schnipo Schranke.
etwas Unanständiges gemacht. Sie lernten sich Der Name steht für Schnitzel mit Pommes,
an der Hochschule für Musik und Darstellende Mayonnaise und Ketchup, einen deftigen Imbiss-
Kunst in Frankfurt am Main kennen, Reis studier- klassiker, und deftig-derbe sind auch die Texte,
te Cello, Ernst Blockflöte. Ein halbes Jahr lang die Ernst und Reis singen („Warum schmeckt es,
teilten sie sich ein Zimmer. „Wir saßen den ganzen wenn ich dich küsse, untenrum nach Pisse“). Für
JENNY SCHÄFER
Tag rum, kifften und zockten ,Big Brain Academy‘, den ironischen Bruch sorgen ihre zarten Stimmen
so ein IQ-Spiel auf der Wii“, erzählt Ernst. Irgend- – und die Flötenklänge, mit denen sie die garstigen
wann sagte Reis: „Entweder wir bringen uns jetzt Zeilen gern unterlegen.
Rodarte
Die Mulleavy-Schwestern geben Rät- richten namenlos und erzählen die Geschichten
sel auf: Kate, 36, und Laura, 35, haben nie Mode der jeweils anderen, als wären es die eigenen. Ihre
studiert oder Schneidern gelernt – und gehören Mode ist punkig, fetzig und ungefällig, „Laura und
trotzdem zu den besten amerikanischen Mode- ich waren todunglücklich, als wir mal zu hören
designerinnen, ihre Kleider, Schuhe und Taschen bekamen, wir hätten ein ,hübsches Kleid‘ ge-
werden in den wichtigsten Museen gezeigt. Auch macht“, hat Kate Mulleavy verraten. Immerhin,
menschlich sind die Kalifornierinnen ein Myste- das Geheimnis hinter dem Namen ihres Labels ist
rium. Sie agieren, als wären sie eine Person, teilen gelüftet: Es ist der Mädchenname ihrer Mutter.
denselben E-Mail-Account, verschicken ihre Nach- Sie brachte ihren Töchtern das Nähen bei.
Macklemore und
Ryan Lewis
Zwei weiße Jungs von der amerikanischen Westküste
steigen auf zu Hip-Hop-Stars – und schämen sich dafür. Mack-
lemore (bürgerlich: Ben Haggerty) singt über das unverdiente
Glück, als Weißer in den USA geboren zu sein und Musik ma-
chen zu können. Andere Themen: Schwulenehe, Konsumwahn,
Starkult. Kennengelernt hat sich das international erfolgreiche
Gespann mit dem schlechten Gewissen vor zehn Jahren auf
MySpace: Macklemore, heute 32, hatte einen Song hochgela-
den, der seinem jetzigen Produzenten Ryan Lewis, 28, gefiel.
Damals war der rothaarige Macklemore noch hauptberuflich
Sozialarbeiter – und drogensüchtig. Zwei Jahre und einen Ent-
zug später taten sich die beiden zu einem Duo zusammen; 2014
katapultierte sie ihr Album „The Heist“ in den Grammy-Him-
mel. „Ryan ist einer meiner besten Freunde“, sagt Macklemore,
„ich vertraue auf sein Gehör und seinen Blick.“ Ohne Ryan
Lewis hätte er nie so viel erreicht. Und außerdem: „Es macht
viel mehr Spaß, gemeinsam mit einem Freund Kunst zu ma-
chen, Fans zu gewinnen und in der Welt herumzureisen.“
Studio Job
Kitsch oder Kunst? Ein hübsches Paar
macht hübsche Dinge; es verewigt, so sehen es
die beiden, seinen Alltag in Gegenständen. Der
Flame Job Smeets, 45, und die Niederländerin
Nynke Tynagel, 38, lernten sich vor zwei Jahr-
zehnten an der Eindhovener Design-Akademie
kennen – sie das neue It-Girl unter den Studenten,
RENE VAN DER HULST, BEN RAYNER / NYT / REDUX / LAIF
www.spiegel-geschichte.de
X Auch als App für iPad, Astrologie Die Erfindung der Sternbilder
Android sowie für PC/Mac. Gilgamesch-Epos Ein Held auf Sinnsuche
Hier testen:
spiegel-geschichte.de/digital Gesetze Hammurapis strenge Regeln
ESSENZ
„Eine langweilige
Karotte will ja keiner
essen“
32 SPIEGEL WISSEN 2 / 2016
ESSENZ
VIELE MENSCHEN, die ihn getroffen haben, sagen, Europas bes- rösteten Haselnüssen, Schafsmilchjoghurt, geräuchertem Lamm-
ter junger Koch sei ein Autist. Ein Mann, der liebevoll, doch ir- fond, Birnen-Balsam-Essig, Lammgrammeln und römischem
gendwie anders im Kopf sei, der kaum spreche und eine soziale Schildampfer. Aber sein Schweigen umgibt diesen Mann wie ein
Störung habe, der aber eine Gabe besitze, die alles andere nivelliere. Schutzschild. Man traut sich nicht zu fragen. Woher kommt die
Eine Gabe, die manche für angeboren halten, die im Zusammen- Inspiration? Wie lernt man das? Und was sind bitte Grammeln?
spiel seiner Finger, seiner Geschmacksknospen und seiner Hirn- Später am Tag steht er in der Küche seines Restaurants, von der
synapsen zu der Fähigkeit führt, ein Essen auf den Tisch zu stellen, aus er auf einen Weinberg schaut, er gießt Blut in eine Schale für
dass den Kritikern die Gabel vor Entzücken aus der Hand fällt. Mit die Blutwurst, er hackt Kalbsbries, er rührt in einem Topf mit Ka-
19 wurde er Chefkoch der Saziani Stub’n in der Steiermark. Die rotten. In der Küche arbeiten noch drei weitere Köche, und auch
Tester des „Gault Millau“, die wichtigsten Restauranttester in Öster- hier schweigen die Menschen.
reich, gaben diesem Mann drei Hauben, was extrem viel ist, und Spitzengastronomie ist bekannt für die Lautstärke in den Kü-
schrieben über seine Speisen: „Im Herzbries mit Kamillentee, Son- chen und den ruppigen Ton. Da schreit gern mal ein Küchenchef
nenblumenkernrisotto, Honig und Buttermilch möchte man sich und wirft mit Pfannen, da wird gequatscht, auch weil es normal
am liebsten eingraben, und der mit Pimientos, Glasnudelsalat und ist, dass sich der ein oder andere Koch eine Linie Kokain gönnt,
geräuchertem Paprikafond servierte Bauch vom Milchferkel lässt um dem Druck standzuhalten, da läuft Musik, da ist Druck im Kes-
viele vergleichbare Gerichte der Konkurrenz alt aussehen.“ sel, und das scheppert. In der Küche Harald Irkas hört man kaum
Der Mann, der dieses Essen kochte und ein Autist sein soll, heißt etwas, nur den satten Klang von geschliffenem Stahl auf Plastik-
Harald Irka, er ist inzwischen 24 Jahre alt, ein Junge mit einer wil- brettern, das Summen der Knetmaschine, das feine Geräusch, wenn
den, schwarzen Punkerfrisur, einer engen roten Jeans und ausge- Miklos, der Küchenjunge, das Marzipan in kleine Bröckchen brö-
latschten Vans. selt, das Geräusch von siedendem Lammfond.
An diesem Morgen sitzt er in seinem Auto und fährt ziemlich Nach einer Ewigkeit rührt Irka in einem kleinen Topf, kostet
schnell über die Landstraßen. Er schweigt, er will in einen Wald mit einem Löffel und sagt: „A bisserl a Knoblauch.“
an der slowenischen Grenze, Kräuter sammeln, hat der Besitzer Unklar, mit wem er spricht. Unklar, was er damit meint. Soll da
des Weinguts gesagt, Albert Neumeister, dem das Restaurant gehört, mehr Knoblauch rein? Ist da „a bisserl a Knoblauch“ drin? In jedem
in dem Irka kocht. Irka selbst hat nichts weiter gesagt, er murmelte Fall passiert nach diesem Satz erst mal nichts mit Knoblauch. Zwei
einen Morgengruß, stieg in den Wagen, trank ein paar Schluck Red der anderen Köche sagen nur leise: „Ja.“ Dann geht das stille Kochen
Bull und gab Gas. weiter.
An einem Waldrand parkt Irka, steigt aus und läuft still den Vorn im Gastraum sitzen Menschen, die teilweise von weit her-
Weg entlang. Er schweigt nun seit einer halben Stunde. Er geht in gekommen sind, um diese Küche zu probieren, und denen es na-
die Hocke und rupft ein paar grüne Blätter und weiße Blüten aus türlich egal ist, wie redselig sich der Koch gibt. Der Gast entscheidet
der Erde. „Vogelmiere“, sagt er. sich zwischen Menü „Grün“ und
„Schmeckt total intensiv nach Mais Menü „Terroir“. Sieben Gänge kos-
und Erbsen.“ ten hundert Euro.
Im Wald singen die Baumpieper, Das Essen lässt sich folgender-
am Wegesrand fließt die Mur. Irka maßen zusammenfassen: Es ist der
läuft umher, füllt eine Plastikschale Oberhammer.
mit Grünzeug und sagt Sätze wie: Ob es ein, zwei oder drei Sterne
„Junge Linde. Wenn man die Blät- bekommen sollte, bleibt den Test-
ter kocht, schmecken die wie Spi- essern des Michelinführers über-
nat.“ Oder: „Knollen vom Bärlauch lassen, aber der Laie wird Irkas
kannst du kochen wie kleine Kar- Stub’n mit dem Gefühl verlassen,
toffeln.“ Er schabt ein wenig Moos an etwas Großartigem teilgenom-
von einem toten Baum. „Wenn man men zu haben. Auf der Karte steht
das trocknet und dann kocht, zum Beispiel der Gang „Zucchini“,
schmeckt das wie Pilze.“ der sich zusammensetzt aus einer
Eigentlich soll Irka erklären, wie gerollten gedämpften Zucchini,
Kreativität in der Küche funktio- Sauce béarnaise, mit Holunderblü-
niert. Wie er zum Beispiel auf die ten eingekochtem Rhabarber, kurz
Idee kommt, ein Gericht zu kochen Für seine vegetarische Chefin begann Irka, mit mehr sautierten jungen Erbsen, Vogel-
aus: gedämpften Lauchherzen, ge- Gemüse zu kochen: „Das hat dann Spaß gemacht.“ miere (der aus dem Wald), Butter-
bröseln und Erbsencreme. Es schmeckt frisch, neu, leicht, nach leer löffeln. Das Püree schmeckt süß und erdig, intensiv nach Mohr-
Frühling und intensiv nach, nun ja, Zucchini. rüben und so lecker, dass man sich fragt, warum man in seinem bis-
herigen Leben so selten Karotte aß.
INSGESAMT PRÄSENTIERT sich die Küche als sehr aufgeräumt, Die Nachspeisen sind auch Granaten: vor allem der getrocknete
sehr klar, fast puristisch. Dann gibt es noch ein paar irre Sachen auf Kräutersaitling aus dem Marchfeld, der mit Pistazieneis, Biskuit
der Karte, zum Beispiel Hahnenkämme und Bluttaube. Das ist eine aus grünem Tee und Thymian an den Tisch kommt und jeden Zwei-
Taube, der nicht der Kopf abgehauen wurde, bevor sie auf den Teller fel daran, ob ein Pilz in ein Dessert gehört, verschwinden lässt.
kommt, sondern die zu Tode gewürgt wurde, damit das Blut im Vo- Es ist also, alles in allem, fantastisch, was Herr Irka da in seiner
gel bleibt. Das Fleisch ist dadurch für Geflügel ungewohnt rot und Küche kocht, aber es bleibt die Frage, wo seine Ideen herkommen.
sehr saftig. Es wirkt ein wenig gestört, so etwas zu essen, und an Als die Gäste nach Hause gehen, der letzte Kräutersaitling über
alle Tierschützer unter den Lesern: Bitte nicht das Restaurant bom- den Pass geschickt ist, entkorkt Irka in der Küche eine Flasche Sau-
bardieren. Die Bluttaube, die mit Kartof- vignon und schenkt sich und seinen Kö-
felpüree, rotem Rübenmus mit Kren, Ge- chen ein. Lisa aus dem Service ist auch
würzapfelcreme und rotem Jaipur-Curry da, sie hat an einer unmöglichen Stelle
serviert wird, schmeckt, unter uns gesagt, ihres Körpers einen Wolf tätowiert und
ziemlich großartig. ist Irkas Freundin. Nach einer Flasche,
Es gibt in diesen Tagen wieder guten als die Küche blank gewienert und der
Grund, daran zu zweifeln, ob ein Gott Boden gewischt ist, gehen Irka, Lisa und
existiert, und in diese Leere und diese Mitbewohner und erster Offizier Chris-
Zweifel schickt Harald Irka seine Möhr- toph in ihre gemeinsame Wohnung am
chen aus der Küche, den Gang „Ochsen- Waldrand und stellen noch ein paar Fla-
herz-Karotte“, und beim ersten Bissen schen Weißwein des eigenen Bergs auf
wird deutlich: Da ist gar keine Leere. Da den Tisch.
ist eine Schöpfung, und alles hat einen Und dann, nach dem ein oder ande-
Sinn. Das Leben ist schön. Die Schöpfung ren Glas, nach einer großen Mahlzeit
offenbart sich als Püree einer in Salz ge- und vielen Lobesworten, wird klar, dass
backenen Ochsenherz-Karotte (eine nor- Harald Irka kein Autist ist, sondern ein-
male Möhre, ohne Herz), mit rotem fach ein Mann, der erst mal zuhört, be-
Mangold, kandierter Grapefruit und ge- vor er redet. Vielleicht haben all die Men-
röstetem Sesam. Wer das isst, möchte am schen, die ihn getroffen haben und au-
liebsten einen Nachschlag bestellen oder tistisch nannten, einfach zu wenig Ge-
gleich in die Küche schleichen und zwi- duld gehabt oder nicht zugehört oder
schen den schweigenden Köchen den „Ich wusste in Wahrheit gar nichts“: sich nicht getraut, die richtigen Fragen
Topf mit dem Möhrchenmus finden und Irka wurde schon mit 19 Jahren Chefkoch. zu stellen.
SPIEGEL: Herr Irka, wir wollen über Krea- Irka: Die Idee dahinter war, dass wir ein Ge- Irka: Die hat gutbürgerlich gekocht, wie
tivität reden, okay? richt machen wollten rund um das Ei. Mir man es heute leider nur noch wenig kennt.
Irka: Okay. ist in den Sinn gekommen: das Huhn, sein Die hat auch ihr Brot selbst gebacken und
SPIEGEL: Sie sind berühmt für Ihr pochier- Futter und das Ei. Die Inspiration war also ständig Apfelstrudel gemacht.
tes Ei. Wieso? die Natur, und das kam dann in Kombina- SPIEGEL: Isst man den eigentlich mit Va-
Irka: Ist nicht so einfach, wie es klingt, das tion mit den Techniken, die ich gelernt habe. nilleeis und Schlag?
Ei ist ganz schön aufwendig in der Produk- SPIEGEL: Sie haben schon mit zehn Jahren Irka: Na, das ist ein Sakrileg. Man isst nur
tion. Wir haben im Teller unten getrocknete angefangen mit dem Kochen. den Strudel. Mein Opa hat immer Leinöl
Hühnerhaut gemischt mit dem, was ein Irka: Ich hab immer gern mit meiner Mutter drübergegossen, das schmeckt furchtbar, ist
Huhn so frisst, also Mais und Getreide, ver- und Oma gekocht. Wie ich zehn war, haben aber wahrscheinlich gesund.
schieden zubereitet, einmal fast wie ein Ri- meine Eltern beide gearbeitet, aber wenn SPIEGEL: Was ist denn mal schiefgegangen
sotto, einmal gekocht, getrocknet und frit- mein älterer Bruder von der Schule kam, beim Experimentieren?
DANIEL GEBHART DE KOEKKOEK / SPIEGEL WISSEN
tiert, dass es aufpufft, und dazu Chips aus musste irgendwer kochen. Das war ich. Ich Irka: Ich esse wahnsinnig gern Schnitzel
selbst gemachten Cornflakes. Wir haben für habe dann selber probiert, etwas zu entwi- und wollte mir mittags eines machen, aber
die Basis auch Haferschleim gekocht, ge- ckeln in der Küche. es war natürlich nichts da für ein Schnitzel,
trocknet gemahlen und mit Hühnerhaut ver- SPIEGEL: Was denn so? aber dann habe ich einfach Spaghetti
mischt. Das Ei wird dann bei 63 Grad eine Irka: Reis konnte ich relativ gut. gekocht und Kugeln daraus geformt, die
Stunde lang gedämpft, dadurch ist es durch SPIEGEL: Reis? paniert und frittiert. Das war ziemlich
und durch wachsweich, dann lassen wir es Irka: Ich hab auch experimentiert, irgend- furchtbar.
abkühlen, machen die Schale ab und erwär- was zusammengerührt und geschaut, was SPIEGEL: Wie ging Ihr Weg weiter?
men es wieder. Obendrauf kommt geräu- passiert, wenn ich das zusammengieße. Irka: Ich hab nach der Hauptschule eine
cherte Butter. SPIEGEL: Haben Sie das von Ihrer Oma ge- Ausbildung in der Hotelfachschule gemacht,
SPIEGEL: Woher kommt so eine Idee? lernt? drei Jahre lang. Ich war ziemlich faul, und
Bouillabäh
setzt daraus nun neue Kombinationen zu-
sammen. „Das System erkennt, welche Zu-
taten man durch andere ersetzen kann“, sagt
Pinel, der eine Kochausbildung genossen
hat. „Bevor man sich versieht, hat man es
mit einer Billion oder einer Billiarde Rezep-
Wie gut kocht der Computer? te zu tun.“
jeder kennt – einer Bouillabaisse. Und suppe nach „Chef Watson“-Rezept zu. schnuppert, schlürft und verzieht das Ge-
staunt nicht schlecht: Chef Watson listet sicht: „Genau so schmeckt es auch.“
nicht einfach die Standardzutaten für das Twitter: @hilmarschmundt
französische Fischgericht auf. Sondern setzt stellte die geniale Mathematikerin Gräfin
einen kulinarischen Paukenschlag: Meeres- Ada Lovelace im Morgengrauen der Com-
früchte mit Vanille und … Chicken Wings. puterära vor rund 170 Jahren.
VIDEO: Computeressen –
„Eigenwillig, aber das muss ja nicht schlecht Heute ist diese Frage entschieden mit ei- schmeckt das?
sein“, sagt Freeman etwas skeptisch. Er ist nem Ja beantwortet – das findet zumindest spiegel.de/sw022016rezept
bereit, sich überraschen zu lassen. Vielleicht Florian Pinel, einer der beteiligten IBM-Pro-
Man kann in der Küche beim Handwerk das schen süß und sauer haben wir auch. Bei frische Milch mit der Kanne. In der Kanne
Rad nicht neu erfinden, es gibt in Wahrheit ist unten die magere Milch, darauf die Sah-
schon alles, alle Garmethoden und so, ist al- ne, darauf die Haut. So ist auch das Gericht
les schon da. Man lernt überall Kombinatio- aufgebaut. Wir kochen die magere Milch
nen und Techniken, die einem selbst nicht
einfallen würden. Man findet bei anderen
„Ich glaube, das ist ein, bis sie karamellisiert, das wird relativ
süß, deswegen haben wir zum Gegensteu-
auch Inspiration. So wie die getrocknete eine Handschrift, die ern ein paar fermentierte Käferbohnen da-
Hühnerhaut, das ist ein berühmtes Rezept bei. Darauf ist so ein Blätterteig, wo ein we-
von René Redzepi aus Kopenhagen. Da habe
nur ich habe.“ nig Butter drin ist, darauf ist eine Schicht
ich mal gegessen und das kennengelernt. So sahniges Milcheis mit Kren, das ist leicht
was nimmt man mit und baut das bei sich scharf. Darauf liegt die Haut, die wir in der
Pfanne karamellisieren, bis sie knusprig ist. gibt es eine Wurst, Naem, darin steckt fa- Gericht. Wir haben oft für jede Speise einen
Eigentlich alles sehr simpel, aber vom Ge- schierter Schweinebauch, der mit Reis und eigenen Essig, weil das den Geschmack hebt
schmack ist es überraschend, weil es salzig, viel Knoblauch vermischt wird, in Bananen- und so eine Reduktion auf ein Gemüse erst
scharf und süß ist, ich find es sehr cool. blätter gepackt und einfach in die Sonne ermöglicht. Eine langweilige Karotte will ja
Kreativität in der Küche heißt auch, dass gelegt wird, das ist auch Fermentation. keiner essen.
man den Gast überrascht. Das haben wir probiert, und es war furcht- SPIEGEL: Wie schaffen Sie es, aus einem
SPIEGEL: Funktioniert der Schaffenspro- bar. Möhrchen so viel rauszuholen?
zess bei Ihnen im Team? SPIEGEL: Heißt Kreativität bei Ihnen auch Irka: Frau Neumeister, die Chefin hier, ist
Irka: Würde ich gern so haben, aber meis- Reduktion? Vegetarierin. Die hat gesagt, koch doch mal
tens mache ich es. Wir haben das im Team Irka: In der Reduktion wird es noch schwe- Gemüse, so hat das angefangen. Und das hat
immer wieder probiert, aber die anderen rer, gut zu sein, aber deswegen machen wir dann Spaß gemacht. Bei einem Rinderfilet
verstehen oft nicht, was ich denke. Am Ende es. Da hat das Ergebnis dann viel mit dem bin ich eingeschränkt, was ich damit mache.
ist es dann so, dass ich sage, gute Idee, aber Spiel zwischen Säure und Süße in den Spei- Aber mit einer Karotte kann ich entsaften,
wir machen das so, wie ich es will. sen zu tun. Diese Erkenntnis kommt sicher Eis machen, sie trocknen, einlegen, sie fer-
SPIEGEL: Wieso klappt Kreativität in der auch daher, dass ich bei einem Weinbauern mentieren. Die Karotte ermöglicht mir
Küche nicht im Team? arbeite. Der Herr Neumeister hat mir vom Freiheit. Und ich kann probieren und so die
Irka: Jeder hat viel gelesen, gegessen und ge- ersten Tag an gepredigt, dass das Wichtigste Leute überraschen. Ich glaube, der bessere
kocht und hat ein eigenes Ideal, wie gute Kü- beim Geschmack das Spiel zwischen süß Geschmack ist möglich, weil wir in dieser
che sein soll. Und viele verstehen nicht bis und sauer ist. Das ist beim Wein auch sehr Küche Respekt vor dem Produkt haben.
ins Detail, was unser Stil hier im Haus ist. wichtig. Das habe ich erst mit der Zeit ver- SPIEGEL: Was heißt Respekt vor einer Ka-
SPIEGEL: Gehört Scheitern zum kreativen standen. Wir arbeiten immer ungefähr mit rotte?
Prozess? zehn verschiedenen Essigen und mit Verjus, Irka: Dass man eine Karotte genau so an-
Irka: Bei uns geht dauernd etwas schief, dem Saft der unreifen Weintrauben, einem schaut wie ein extrem teures Stück Fleisch.
vor allem beim Fermentieren. In Thailand Zitronenersatz, der ist bei uns fast in jedem Dass man sie nicht zu Tode kocht.
Wie wichtig das Spiel zwischen Säure und Süße ist, hat Irka vom Besitzer der Saziani
Stub’n gelernt, einem Weinbauern: „Das habe ich erst mit der Zeit verstanden.“
Geistesblitzschnell
1. AUFGABE:
LÖSUNGEN FINDEN
In einer alten Villa wurde das erste Stockwerk restau-
riert. Als Innenarchitekt sind Sie dafür verantwortlich,
Wege zu finden, wie die teilweise recht sperrigen Mö-
bel wieder in den ersten Stock transportiert werden.
Sie haben zwei Minuten Zeit, so viele Ideen wie möglich
aufzuschreiben, wie der Transport bewerkstelligt werden
kann. Nehmen Sie ein leeres Blatt, und beginnen Sie jetzt.
2. AUFGABE:
ERKLÄRUNGEN FINDEN
WER HERAUSFINDEN WILL, wie viel Kreativität Schreiben Sie für folgenden Sachverhalt so viele mög-
andere besitzen, braucht selbst findige Ideen. Und liche Erklärungen auf, wie Ihnen einfallen:
selbst wenn man gute Aufgaben gefunden hat, sind Die Zahl der Zugvögel, die den Sommer in Deutsch-
die Ergebnisse häufig nicht so einfach auszuwerten. land verbringen, hat über längere Zeit abgenommen.
Denn anders als in Intelligenztests, in denen Fragen Im letzten Sommer war jedoch wieder ein erheblicher
so konzipiert sind, dass es eine richtige Lösung gibt, Anstieg zu verzeichnen. Was könnten die verantwort-
geht es bei der Messung von Kreativität eher darum, lichen Faktoren sein?
dass Testkandidaten möglichst viele originelle Einfälle Sie haben für das Finden von Erklärungen drei
generieren sollen, die man später auszählt. Heinz Minuten Zeit.
Schuler, der an der Universität Hohenheim 28 Jahre
lang den Lehrstuhl für Psychologie innehatte, ist ein
Experte für Eignungsdiagnostik und Testkonstruktion.
Er hat das Fachbuch „Kreativität“ (Hogrefe Verlag)
geschrieben und gemeinsam mit seinen Mitarbeitern
mehrere wissenschaftliche Kreativitätstests entwi-
ckelt.
Exklusiv für SPIEGEL WISSEN hat er eine Reihe
von Testfragen konzipiert, mit denen Sie Ihre Kreati-
vität auf die Probe stellen können. „Die Fragen geben
einen ersten Eindruck, wo die eigenen kreativen Stär-
ken und Schwächen liegen“, erklärt Schuler. Wer es
genauer wissen will, sollte allerdings einen standardi-
sierten Test machen.
VORBEREITUNG
Sie brauchen für die Aufgaben etwa 30 Minuten Zeit.
Bitte suchen Sie sich einen ruhigen Ort, schalten Sie
jede Musik aus. Sie brauchen mehrere Blatt Papier,
U N D S O G E H T E S W E I T E R
Wenn Sie möchten, schicken wir Ihnen ab dem 20. fragen. Um die Aufgaben zu lösen, sind Kreativität
Mai acht Wochen lang jeweils freitags eine Aufgabe und Intelligenz gefragt. Anmelden können Sie sich
per Mail zu – und natürlich später die Lösung. Ei- unter www.spiegel.de/kreativitaetstraining/ . Dort
nige Beispielaufgaben stammen aus dem Bereich finden Sie dann nach und nach auch alle acht Auf-
„Problemlösen“, andere sind ausgeklügelte Rätsel- gaben und deren Lösungen.
6. AUFGABE:
KATEGORIEN BILDEN
Sie bekommen jetzt eine Reihe von Begriffen. Es geht
darum, Kategorien zu bilden, in die jeweils drei Dinge
passen.
Hier einmal ein Beispiel: Angenommen, Sie haben
die Wörter Haus, Iglu, Pfeife, Käfig, Kamin, Lagerfeuer.
Dann lassen sich etwa die Kategorie „Brandstellen“
(Pfeife, Kamin, Lagerfeuer) und die Kategorie „Behau-
sungen“ (Käfig, Iglu, Haus) bilden.
3. AUFGABE:
SÄTZE BILDEN I
Ihnen werden jetzt vier Buchstaben vorgegeben. Diese
sind die Anfangsbuchstaben für Wörter, aus denen Sie
Sätze bilden sollen. Versuchen Sie, möglichst viele
schlüssige Sätze zu finden.
Beispiel: Sie haben hier die Buchstaben S – B – D
– W. Mögliche Lösungen wären Sätze wie „Sie weiß
darüber Bescheid“ oder auch „Wer sagt das bitte?“.
Bei den verschiedenen Lösungen darf maximal ein
Wort gleich sein! (Der Satz „Das sagt Bernd wieder“)
wäre eine ungültige Lösung, weil zwei Wörter, die
schon im zweiten Beispielsatz vorkamen, wieder auf-
tauchen.)
Jetzt geht es los. Finden Sie möglichst viele Sätze
zur Buchstabenkombination:
E–I–D–B
Sie haben dazu drei Minuten Zeit.
5. AUFGABE:
BAUEN UND ERFINDEN 7. AUFGABE:
Sie sollen nun aus den Gegenständen der folgenden KRITIK ÜBEN
Liste etwas herstellen: In dieser Aufgabe geht es darum, möglichst viele Ar-
Gießkanne, Fotostativ, Schilf, 3 Holzbalken, Rha- gumente gegen einen Standpunkt zu finden – und
barberblätter, 2 Pappkartons, Fußmatte, 4 Plastiktüten, zwar unabhängig davon, ob es Ihr eigener ist:
8. AUFGABE:
IDEEN ANPREISEN
Sie arbeiten in der Entwicklungsabteilung einer Firma,
die Lesegeräte herstellt, mit denen Bücher vorgelesen
werden können. Sie haben eine Technik erfunden, die
Texte ab sofort nicht nur vorliest, sondern auch gleich
stilistisch verbessert und inhaltlich ergänzt. Wie „ver-
kaufen“ Sie Ihren Vorgesetzten – die sehr skeptisch
sind – diese Idee?
Finden Sie möglichst viele Argumente. Sie haben
dafür drei Minuten Zeit.
AUFGABE 3: Mit dieser Art von Aufgabe wird gemes- Lösungen von geringer Kreativität, mehr als sechs Ant-
sen, wie gut jemand mit Wortschatz und Satzbau „spie- worten dagegen von hoher.
len“ kann. Außerdem ist zur Lösung eine gewisse Ge-
dankenflüssigkeit wichtig. Wer in dieser Aufgabe auf- AUFGABE 6: Bei der Kategorien-Aufgabe geht es
fallend schlechter abschneidet als in anderen, hat um sprachliche Kreativität, um Abstraktionsvermö-
wahrscheinlich im sprachlichen Bereich nicht seine gen, aber auch um eine Fähigkeit, die man Konzept-
größten Stärken. Kombination nennt. Damit bezeichnet man das Po-
Auswertung: Um eine durchschnittliche Leistung zu tenzial, zwei bekannte, bereits bestehende Ideen zu-
erreichen, sollte man drei oder mehr Sätze formuliert sammenzufügen und etwas Neues daraus zu machen.
haben, für eine hohe Leistung ab sechs. Einige kreativ arbeitende Menschen nähern sich Ide-
en und Problemen grundsätzlich auf diese Weise.
AUFGABE 4: Wie Aufgabe 3, nur ist die hier vorgege- Auswertung: Ab drei Kategorien beginnt die „nor-
bene Buchstabenkombination schwerer. male“ Kreativität , etwa ab sechs Lösungen beginnt die
Auswertung: Jetzt ist die Leistung ab zwei Sätzen überdurchschnittliche Kreativität.
passabel, ab vier Sätzen überdurchschnittlich.
AUFGABE 7: Diese Aufgabe misst die Urteilsfähigkeit
AUFGABE 5: Bei dieser Aufgabe war ein gewisses und das Vermögen, eine geäußerte Idee kritisch zu
räumliches Vorstellungsvermögen gefragt. Speziell bewerten. Auch das ist eine kreative Fähigkeit, die be-
testet sie aber etwas, das in der Psychologie „geringe sonders im beruflichen Kontext in Kreativ- und Ent-
funktionale Gebundenheit“ genannt wird: Man ver- wicklungsprojekten sehr wichtig ist.
sucht herauszufinden, wie stark sich jemand gedank- Auswertung: Drei Argumente und mehr zeigen eine
lich von der eigentlichen Funktion eines Gegenstands durchschnittlich kreative Leistung, ab fünf Argumenten
entfernen kann. Klar: Je mehr man ein Ding zweck- liegt eine gute Leistung vor.
entfremden kann, desto kreativer ist man – zum Bei-
spiel, indem man ein Tipi aus Holzbalken, Hanfseil AUFGABE 8: Hier soll getestet werden, ob jemand
und Rhabarberblättern baut. Diese Form des Einfalls- in der Lage ist, eine Idee auch zu „verkaufen“ und da-
reichtums war oft Schwerpunkt in den Kreativitäts- für wiederum kreative Argumente zu finden. Auch
tests der Siebzigerjahre. Häufig findet man dort Auf- dieser Punkt wird besonders in Tests berücksichtigt,
gaben wie „Was kann man alles mit einer Zeitung ma- die berufsbezogene Kreativität messen. Dass hier ein
chen?“ oder „Was kann man alles als Bilderrahmen be- Nonsens-Produkt angepriesen wird, erhöht übrigens
nutzen?“. Doch diese Aufgaben waren ungleich leich- die Genauigkeit der Messung: Wenn man realistische
ter – und meist auch für Kinder konzipiert – als die Neuerungen wählen würde, hätten diejenigen Vorteile,
hier formulierte Übung. die sich in der Materie auskennen.
Auswertung: Für diese neuartige Aufgabe gibt es Auswertung: Auch hier sollten mindestens zwei Ar-
noch keine Vergleichswerte in der Wissenschaft. Vor- gumente gefunden werden, um im Bereich der „normalen“
sichtig geschätzt zeugen weniger als drei gefundene Kreativität zu sein. Ab etwa fünf Argumenten: sehr gut.
DR.
seien die Proteine – Kettenmoleküle mit ei-
ner schier grenzenlosen Vielfalt von Eigen-
A L LW I S S E N D
schaften. Das nützlichste unter all den vie-
len Proteinen finde die Natur heraus, indem
sie verschiedene Varianten ausprobiert.
Doch halt: Eine einfache Rechnung of-
fenbart, dass dies nur ein Teil der Wahrheit
Was macht die Natur sein kann. Ein kleines Protein besteht aus
100 Aminosäuren, und wer ausrechnet, wie
Kann all das wirklich Zufall sein? Bibliothek vorstellen. Sie stöbert durch die
Alle Phänomene der belebten Natur, so Regale, greift mal hier, mal dort nach einem
lehren es die Biologen, hat die Evolution her- Band. Die Art der Sortierung kommt ihr sehr
vorgebracht, beruhend allein auf dem Wech- entgegen, denn für Überraschungen ist stets
selspiel von zufällig auftretenden Mutatio- gesorgt. Und wenn sich, rein zufällig, er-
nen, Genkombinationen und anschließender weist, dass der Band, den sie gerade schmö-
Selektion. Doch ist das die ganze Wahrheit? kert, etwas nie zuvor Gelesenes enthält, ist
Zwar scheint es zunächst, als könnten das Leben um eine Innovation reicher.
die Biochemiker das Erfolgsrezept der Na- Johann Grolle
Auf
fühle ich mich stark.“
Die Geschichte von Vanessas Wandlung
klingt märchenhaft. Aber ihr Retter ist kein
Prinz. Der Mann hat eine Plauze und lichtes,
rotblondes Haar, er heißt Jens Niemeier und
ist von Beruf Musiker und Theaterpädagoge.
Niemeier leitet den Kurs, den Vanessa so
Kresch-
liebt: „Kresch“. Kresch steht für „Kreative
Schule“, und das ist wörtlich gemeint. „In
meinen Kursen sind die Schüler aktiv“, er-
klärt Niemeier. „Statt Lernstoff zu konsu-
mieren, gestalten die Jugendlichen den Un-
terricht.“ Sie dichten, trommeln, malen, fil-
Kurs
men, stricken, „Hauptsache, am Ende steht
ein gemeinsam erarbeitetes Projekt.“
Die Gesamtschule Weierheide ist die viel-
leicht einzige Schule in Deutschland, bei
der Kreativität auf dem Unterrichtsplan
steht, als Wahlpflichtfach für die Klassen-
stufen acht bis zehn. Äußerlich fügen sich
die Schulbauten nahtlos ein in die triste Ar-
chitektur angejahrter Ruhrpott-Bauten in An einer Ruhrpott-Gesamt-
der Umgebung. Umso mehr fällt der seltsa-
me Vierbeiner aus Mosaiksteinchen auf, der schule steht Kreativität auf
vor dem Eingang des Unterstufenhauses
steht: ein Elch, das Wappentier der „Gewei“,
wie Schüler und Lehrer ihre Schule liebevoll
dem Stundenplan. Seitdem
nennen. Die Botschaft wird schon an der
Pforte klar: Hier geht es um Fabelhaftes, um
geschehen hier kleine Wunder.
Neues, Originelles.
Jedes Jahr ist der Ansturm auf die Plätze TEXT ANNETTE BRUHNS F OTO S HENNING ROSS
groß, weit mehr Eltern wollen ihre Kinder
anmelden, als die Schule aufnehmen kann.
Die Gewei-Schüler entfalten ihre Fantasie
Schulleiterin Doris
Sawallich, selbst Musikerin,
auf einer Schulhofbank.
Innen- und Außenwände
der Gewei sind
von Schülern bemalt.
45
LERNEN
nicht nur in den Kresch-Kursen, sondern Dass die Oberhausener Gesamtschule Schülersprecher
überall, ob im Chemielabor oder in der Kü- mit ihren rund tausend Schülern zu einer Pascal Jakuly: „Von
che. Eindrucksvolles Beispiel: Als das Ober- Art Laboreinrichtung für Kreativität gewor- Kresch habe ich
hausener LVR-Industriemuseum 2014 eine den ist, hat sie vor allem ihrem Gründer zu das Selbstbewusstsein
Ausstellung über das Leben vor 100 Jahren verdanken. Hermann Dietsch, 66, seit letz- für meine Ziele.“
organisierte, kamen gleich aus 25 Klassen tem Jahr im Ruhestand, ist ein herzlicher
Exponate. Ein Deutschkurs hängte Anti- Mann in grauem Pulli, von Haus aus Che-
kriegsgedichte an die Museumswände; im mielehrer. Seine Rührigkeit hat der 19 Jahre
Chemieunterricht waren riesige Styropor- alten Schule die vielen Plaketten am Ein-
modelle von Giftgasmolekülen entstanden, gang beschert: „Schule im Sporthelfer-Pro-
die von der Decke der alten Zinkfabrik bau- gramm“, „Zukunftsschulen NRW“, „Strate-
melten; die Sportler hatten das „vaterländi- gische Schulpartnerschaft“ und einige
sche Turnen“ erkundet und die Hauswirt- mehr. Als Dietsch 2010 vom bundesweiten
schaftler Rezepte für die Mangelküche ent- Förderprogramm „Kulturagenten für krea-
wickelt: Steckrüben in allen Varianten. tive Schulen“ hörte, war er auch daran so-
„Wir hatten mehrere Schulen um Beiträ- fort interessiert. Nicht zuletzt, weil für die
ge gebeten“, sagt Museumsleiter Burkhard ersten vier Jahre für jede Schule stolze
Zeppelfeld. „Aber die Flut von Arbeiten aus 50 000 Euro zu holen waren.
der Weierheide hat alle unsere Erwartungen
übertroffen. Fast jedes Fach hatte den Ers- DIE IDEE: Sogenannte Kulturagenten, die
ten Weltkrieg zum Thema gemacht.“ Der an den Schulen eingesetzt werden, sollen
nordrhein-westfälische Bildungsplan, so Lehrer und Schüler mit Kulturinstitutionen
hatte das Schulkollegium herausgetüftelt, – Theater, Bibliotheken, Museen – vernet-
lässt dies tatsächlich zu. zen. Unterstützt werden sie durch Künstler,
die an den beteiligten Schulen unterrichten. „Die Jugend von heute“. In zwei Gruppen
Die Kulturagentin an der „Gewei“ heißt schreiten sie die Aula ab, von rechts, von
Anke Troschke, sie sieht sich als Übersetze- links, Stöpsel in den Ohren, kaugummikau-
rin zwischen den Welten. „Galerien oder end, hüpfend oder schleichend.
Theater ticken total anders als Schulen“, er- Ein Schüler tritt vor. „Meine Gedanken
klärt sie. „Während ein Museum mit drei bis kreisen oft um meine tote Familie“, beginnt
vier Jahren Vorlauf plant, überblicken Leh- der Junge seinen Monolog, „meine Mutter
rer höchstens ein Schuljahr.“ und meinen Bruder, die ich beide nie ken-
„Wir mussten Schule neu denken“, gibt nenlernen durfte. Und meinen verscholle-
Hermann Dietsch zu. Im Kollegium ent- nen Vater. Selbst meinen sogenannten
spann sich ein hoch emotionaler Dialog. Freunden erzähle ich nichts davon, weil ich
„Zuerst mussten wir einen Kulturfahrplan mich dabei unwohl fühle.“ Der Junge tritt
aufstellen. Am Ende konnten wir unser altes ab, die Musik setzt wieder ein, die Schüler
Schulprogramm wegschmeißen.“ Ein zwei- fallen erneut in den Trott ihrer Figuren.
Den Theaterpädagogen tägiger künstlerischer Workshop für alle Fünf weitere Sprecher treten noch vor. Sie
Jens Niemeier dürfen Lehrer habe Wunder gewirkt. Zwei enga- erzählen, das spürt man, von echten eigenen
alle duzen. Masimbonge gierte jüngere Lehrer sind ins Programm Sorgen und Ängsten.
(l.) erzählt auf der fest eingebunden, und Jahrgang für Jahr- Am Ende fallen alle gemeinsam in einen
Bühne sein Schicksal. gang wurde Kreativität im Schulalltag ver- Sprechgesang: „Ist es normal, nur weil alle
ankert, Gesang in Klasse 5, Perkussion in es tun?“ Der Refrain ist ein Zitat aus einem
Klasse 6, Tanz in 7, für die Älteren schließ- Hip-Hop-Song der „Fantastischen Vier“, die
lich Kresch. Schüler wiederholen ihn, wieder und wie-
der, stampfen dazu, drängen nach vorn.
ES IST DONNERSTAGMITTAG, der Bei der Nachbesprechung gibt es eine
Kresch-Kurs tagt in der Aula. Musiktheater- Überraschung. „Masimbonge, ist das deine
profi Niemeier beratschlagt sich mit den 29 Geschichte?“ Der Schüler, der von seiner
HENNING ROSS / SPIEGEL WISSEN
Schülern für ihre anstehende Aufführung Familie erzählt hat, nickt. „Ich komme aus
bei den „Duisburger Akzenten“, einem Südafrika. Meine Mutter starb, als ich drei
Theaterfestival. Kulturagentin Troschke hat war. Ich wurde nach Deutschland adoptiert.“
dafür gesorgt, dass die Schule eingeladen Die anderen starren ihn an. Jens Niemeier
wird. Der Druck ist groß, 600 Zuschauer erklärt: „Eigentlich sollen die Schüler ihre
werden erwartet. Die Schüler haben ein ei- Texte untereinander tauschen. Aber Masim-
genes Stück geschrieben und proben es jetzt: bonge wollte seinen unbedingt vortragen.
www.spiegel-biografie.de
ein kreatives Leben zu führen“ (Verlag zwischen die Arbeitsphasen, um Ruhe und Abstand zu erzeugen.
Hermann Schmidt; 192 Seiten; 29,80 SPIEGEL: Abstand, Ruhe, Routine: Das sind nicht gerade Begriffe,
Euro) wurde zum Überraschungserfolg. die wir mit Kreativen verbinden.
zusammen, überall ist Lärm, Ablenkung. Viel besser wäre Abge- bisschen schöner zu hinterlassen, als sie vorher war. Das reicht.
schiedenheit. Virginia Woolf hat formuliert, dass Kreativität ent- Doch Kreativität per se ist noch nicht sinnstiftend. Wir verlieren
steht, wenn man etwas Geld hat und ein Zimmer für sich. das gern aus dem Blick: Auch wer eine Bombe baut, ist kreativ. Ge-
SPIEGEL: Die äußeren Bedingungen können wir oft nicht ändern. sellschaftlich gesehen gestalten gerade sehr unterschiedliche Kräfte
Berzbach: Stimmt. Die Suche nach Ruhe ist aber auch ein inneres sehr stark die Welt mit, ob es Friedensstifter, Nachhaltigkeitsfreun-
Thema. Auch wenn wir eigentlich konzentriert sein könnten, er- de oder Terroristen sind. Deshalb finde ich, dass Kreativität und
tragen wir die Stille oft nicht. Ich frage Studierende häufig, was sie die Frage nach Werten zusammengehören. Nur wenn sie sich an
als Erstes tun, wenn sie nach Hause kommen. Die meisten schalten Werten orientiert, ist Kreativität sinnstiftend.
37
249 000 70
Jahre alt war Albert Einstein,
als die allgemeine Relativitäts-
theorie veröffentlicht wurde –
Unternehmen im Kreativsektor er- laut einer Studie ein typisches Dezibel laute Hintergrundgeräusche –
wirtschafteten in Deutschland 2014 einen Alter für den Höhepunkt kreati- etwa der Pegel in einem Restaurant –
Jahresumsatz von 146 Milliarden Euro. ven Schaffens. fördern die Kreativität mehr als
absolute Stille, fanden Forscher der
Universität Illinois heraus.
15 425
129 864 880 Euro verdient ein
freischaffender Künstler in
Bücher existierten im August 2010 Deutschland durchschnittlich
laut einer Google-Schätzung auf der Welt. pro Jahr.
72 8000
Prozent aller Befragten in
einer Kreativitätsstudie gaben an, Kaugummis, die auf der Straße
dass ihnen Ideen klebten, bemalte der Street-Art-Künstler
unter der Dusche zufliegen. Ben Wilson in London.
I M E I N FA L L S R E I C H
„Wir leben ökonomisch und öko- „Man muss versuchen, über „Der Veränderungsdruck
logisch über unsere Verhältnis- eine Situation nachzudenken durch Globalisierung,
se. Wir müssen aufpassen, dass wie ein Busfahrer, Digitalisierung und Automatisie-
uns die Probleme nicht über den ein Lehrer, ein Wissenschaftler: rung steigt nicht mehr linear,
Kopf wachsen. Wir brauchen Wie würde das sondern exponentiell, das
mehr Menschen, die intelligente Problem aus deren spüren sowohl Individuen
Lösungsbeiträge entwickeln.“ Perspektive aussehen?“ wie Unternehmen.“
„Und Gretel“-Gründerinnen
Roth, Dettmann: „Es war
wie ein Heiratsantrag, und ich
habe sofort Ja gesagt.“
Die Schönheits-
königinnen
Ein Berliner
Kosmetik-Label
setzt auf Öko mit
Glamour – ein
überraschendes
Erfolgsrezept
TEXT
BETTINA MUSALL
F OTO S
NORMAN KONRAD
Wohlbefinden verbessern. Äußerliche Schön- Als Christina Roth erfuhr, dass sie allein
macher mit Tiefenwirkung, so war ihr Ziel. eine halbe Million Euro brauchen würde,
Ihr Handwerk hat Roth gelernt. Die um ihre Produktpalette zu entwickeln, hätte
Homepage der Make-up-Artistin versam- sie beinahe schlappgemacht. „Da fange ich
melt Glitzernamen aller Art. Von Franziska lieber nur mit einem Lipgloss an“, war ihr
van Almsick und Iris Berben bis Sophie Rois, erster Gedanke. Aber dann wäre die kauf-
Nora Tschirner und Katarina Witt reicht kräftige Kundschaft, die sie im Blick hatte,
das Promi-Portfolio der Schminkkünstlerin, weiterhin vom Puder bis zur Wimpern-
die neue Mrs Murdoch firmiert in der Liste tusche auf andere Fabrikate angewiesen ge-
ihrer Kundinnen noch als Jerry Hall. Män- wesen. Der Freund, mit dem sie jahrelang
Eine „nachhaltige Seele“ ner wie Daniel Brühl, Herbert Grönemeyer, an ihrer Idee herumgedacht hatte, verließ
gehöre zu den Inhalts- Oskar Roehler und Tom Tykwer haben sich beide, Frau und Projekt. So suchte Christina
stoffen, sagt die Make-up- den Pinseln und Quasten der lebhaften Visa- Roth „einen Mann, der Ordnung in die Zah-
Artistin Christina Roth. gistin anvertraut, sogar raue Hänsels wie len bringt“.
Jürgen Vogel und Wotan Wilke Möhring fin-
den sich unter ihren VIPs. AUF DEM BALKON NEBENAN fand sich
Jahrelang legte die Kosmetikerin Hand stattdessen eine Frau. Die Marketingexper-
Lippenstift, Wimperntusche, Lidschat- an die Haut der Hautevolee, ebnete Fältchen tin Stephanie Dettmann hatte bei interna-
ten, Kompaktpuder & Co. – all die kleinen ein, puderte Pausbäckchen zurück und Joch- tionalen Unternehmen gelernt, zügig Ent-
Helfer, um weibliche Gesichter mit ein biss- beine hervor, tupfte, zupfte, klopfte, lackte. scheidungen zu treffen. „Sie saß da und ar-
chen Farbe, ein bisschen Frische, ein biss- Doch die Tinkturen, Gels und Gloss, die sie beitete eigentlich immer“, erinnert sich
chen Glamour aufzutunen. Darauf soll ir- verwendete, wurden von mehr und mehr Roth. Die Frauen kamen ins Gespräch, im-
gendjemand gewartet haben? ökobewussten Kunden als zu künstlich, zu mer intensiver auch über das „Und Gretel“-
Offensichtlich. Jedenfalls, wenn sie von chemisch empfunden. „Die Haut ähnelte Projekt. Dettmann gefielen Roths Einfalls-
„Und Gretel“ produziert werden. Von wem? nach einem Film- oder Fotoshooting oft ei- reichtum und ihre unverwüstliche Energie.
Christina Roth, Erfinderin und Mitgründe- ner Wüstenlandschaft“, sagt Roth. Benutzte Und als die zum Aufbruch in die Selbststän-
rin des neuen Kosmetik-Labels, rutscht auf sie rein pflanzliche Schönmacher, sahen die digkeit Entschlossene ihr bei einem Tee den
ihrem Konferenzstuhl herum wie eine Schü- Models zwar so natürlich aus wie Eier aus Vorschlag machte, das Abenteuer gemein-
lerin, die endlich ihre Geschichte vorlesen Bodenhaltung, aber alles andere als makel- sam zu wagen, sagte Dettmann so spontan
darf. „Es sollte ein deutscher Name sein, der los zurechtgemacht fürs Studiofoto mit zu, als hätte sie darauf nur gewartet: „Es
auf alte Werte verweist, irgendwie traditio- High-Definition-Make-up. war wie ein Heiratsantrag, und ich habe so-
nell, irgendwie märchenhaft.“ Brainstorming Roth wollte beweisen, dass beides zusam- fort Ja gesagt.“
am Lagerfeuer, man kam auf die Brüder mengeht: topmodische Looks und Naturkos- Aber die erfahrene Agenturfrau wusste
Grimm, Hänsel und Gretel, „da geht es um metik. Hochkünstliche Geschöpfe schaffen, auch, dass man eine Marktstudie und eine
Intellekt und Intuition“, meint Roth, Hänsel irgendwo zwischen Schneewittchen und Finanzierungsstrategie braucht, Partner,
versuche mit allen Tricks, drohendes Unheil Schneeweißchen, aber mit unbedenklichen Fachleute, Unterstützer. Dass so ein Master-
abzuwenden, „und Gretel schafft es, weil sie Produkten. Mit Rohstoffen, die nicht nur plan von der Produktidee über Herstellung,
die Hexe einfach in den Ofen stößt“. Hänsel verschönern, sondern der Haut auch guttun, Design, Verpackung, Werbung bis zum
und Gretel also – aber wieso Hänsel, wenn natürlich ohne Tierversuche und Konser- Verkauf wie am Schnürchen abrollen muss.
es um Make-up für Frauen geht? Übrig blieb vierungsstoffe. „Zum Glück ahnt man ja trotz aller Profes-
„Und Gretel“. Dass die Leute bei dem Namen Märchen, Mythen, Lagerfeuer, eine Frau sionalität nicht“, sagt Dettmann, „was für
NORMAN KONRAD / SPIEGEL WISSEN
stutzen, findet Roth „gerade gut“. und ihre Vision: Ist es wirklich so einfach, ein Slalom aus Umwegen und Rückschlägen
Die blonde Schwäbin hatte eine Vision. aus einem Einfall ein „blühendes Geschäft“ vor einem liegt.“
Mithilfe ihrer Schönheitsmittel sollten sich zu machen, wie das „Handelsblatt“ acht Mo- Zwei Frauen gründen eine Firma, worauf
Frauen in Paradiese versetzt fühlen, wo Bü- nate nach der Einführung schrieb? In einem kommt es an? „Fragen, fragen, fragen“, sagt
roangestellte und Verkäuferinnen auf einen Markt, der allein in Deutschland elf Milli- Roth, „wir haben jedem, dem wir zutrauten,
Blush zu Prinzessinnen erblühen. Sich mit arden Euro umsetzt und in dem die Natur- etwas beizutragen, Löcher in den Bauch ge-
ihren Produkten zurechtzumachen, das soll- kosmetik heute immerhin schon ein Zehntel fragt.“ Gibt es EU-Mittel für Existenzgrün-
te nicht nur das Spiegelbild, sondern das ausmacht? der? Gibt es. Macht es Sinn, gleich ein gan-
Glückliche Kühe
Es pieselt. So heißt es hier, wenn es nie-
selt. Hinter dem Kuhstall verläuft ein Mod-
Innovation im Stall: Drei derweg, links zieht Bauer Hubert seine Krei-
se. Und rechts liegt der Ort, an dem alles be-
Freunde aus dem Münsterland gann: eine Hütte im Ententeich. Hier haben
sie gehockt und überlegt, wie man den
Schiet wegkriegt: „Was meinste?“, hat Anto-
erfinden Praktisches nius Bengfort, genannt Töne, den Ralf da-
mals gefragt. „Mmmh“, hat der gesagt.
für Bauern. Und machen Heinz Werner Temminghoff, Spitzname
Heinzi, hat mit Pfeilen die Dart-Scheibe
Millionenumsatz damit. durchbohrt und gemeint: „Stabil muss es
sein, damit die Viecher drüberrennen kön-
nen.“ Töne hat ergänzt: „Und draufkacken.“
TEXT SILVIA DAHLKAMP F OTO S JAKOB SCHNETZ „Ne Zeitschaltuhr wäre gut“, hat Ralf ge-
sponnen und den Töne gefragt: „Kannste
was frickeln?“ Der hat gesagt: „Mmmh, mal
sehen.“ Dann haben sie Cognac Royal ge-
kippt, Billigfusel aus Holland, und die Sache
HACH, WILMA kann eine Zicke sein. Seit aus. Bennink lässt einen Trecker passieren. erst mal vergessen.
einer Stunde gibt sie die Diva, blockiert die Darauf sitzt Bauer Hubert, der rumpelt vor- Schließlich konnte niemand wissen, dass
Massagebürste. Sie hat schon ihre Zähne ge- bei, hebt die Hand zum Gruß. Wilma hebt die Scheißidee ihr ganzes Leben verändern
putzt, die Kuhle im Nacken staubfrei gerub- ihren Schwanz und entleert ihren Darm.
belt, ihr Becken massiert. Bodypflege endlos, Ralf Bennink hebt auch die Hand. Der Fla-
obwohl draußen andere Rindviecher war- den klatscht auf den Boden, dampft. Land-
ten: Berta, Lotte, Greta – und wie sie alle leben eben. Aber nicht das aus Hochglanz-
heißen. Jede will ein bisschen Wellness an heften, in denen immer Lavendel blüht. Hier
diesem grauen Frühlingstag. Doch Wilma riecht es nach Mist. Und genau der macht
genießt, steckt ihren Po in die Borsten und im westlichen Münsterland aus Bauern Er-
muht. finder.
So geht Zickenkrieg in Wennewick, ei- Im Stall ziehen dicke Ketten einen Drei-
nem Kaff direkt an der niederländischen Meter-Flitscher über den Boden. Wilmas
Grenze, in dem es mehr als 500 Kühe und Klacks verschwindet in einer Rinne. Der
nur 300 Menschen gibt. Und Ralf Bennink, Durchgang ist wieder sauber. Eine Erfin-
45, hat Spässken, als er das Spektakel sieht: dung von Bennink, so wie die Kuhbürste.
„Tja, Kühe sind eben auch nur Frauen.“ Er „Jungs, die Kühe versinken in ihrer Scheiße“,
muss es wissen. Seine Firma Betebe hat die fluchte Huberts Vater vor 19 Jahren. „Baut
Bürste schließlich erfunden und noch vieles mal was gegen den Dreck.“ So begann die Hier fing alles an: Antonius Bengfort,
mehr, was Kühe glücklich macht. ungewöhnliche Karriere von Ralf, Heinzi Ralf Bennink und Heinz Werner Tem-
Grüne Gummistiefel, grauer Hoodie, da- und Töne – einem Landwirt, einem Schlos- minghoff in ihrer Hütte im Ententeich.
rüber ein Parka. So sieht also ein Erfinder ser und einem Studenten.
der ihn damals gelockt. Doch er bockte: ren, haben sie aus Blechen und Rohren eine
„Denkste, ich will komisch werden?“ Bei sei- Art Ölplattform geschweißt. Der erste Ent-
nem Vater, einem Elektriker, hat er Flexen, wurf passte nicht durchs Scheunentor. Pech.
Löten, Schweißen gelernt. Später ist er Den zweiten haben sie im Teich versenkt –
Schlosser geworden. neben dem Entenhaus. Bauer Bengfort hat
Ralf Bennink hat schon als Zehnjähriger getobt.
Wildgänse gefangen und vertickt, später
beim Kutschenbauer gejobbt: Holz biegen, DIE JUNGEN hatten ein schlechtes Gewis-
Eisen aufziehen, Räder drechseln. Er hat sen. Deshalb konnten sie sich nicht drücken,
Landwirt und Schlosser gelernt. als der Landwirt bölkte: „Zur Strafe schafft
Antonius Bengfort, heute 48, kämpfte ihr die Kuhscheiße weg.“ Der Prototyp war
sich durch die Sexta, Quinta, Quarta. Doch simpel: Ein Motor treibt ein Rad an, das
eigentlich hockte er lieber im Schuppen und zieht eine Kette. An ihr hängt ein Stab mit
Auch ’n Laufsteg: Wenn Kühe in die schweißte mit Heinzi Tandems zusammen. Gummilippe, der den Boden schubbert. Da-
Matte pieschern, versickert der Urin. In der 8. Klasse war er wieder bei seinen für sorgte eine Steuerung, die Töne aus Pla-
Freunden – auf der Hauptschule. Später hat tinen zusammengefummelt hatte. Blieb das
er noch sein Fachabi gemacht und einige Se- Ding stehen, half ein Tritt. Irgendwann hat
mester Elektrotechnik studiert. ein niederländischer Händler es entdeckt
Nicht gerade Voraussetzungen für eine und gefragt: „Wo kümmt dat denn wech –
würde. Schon ein Jahr später haben sie steile Erfinderkarriere – denkt man. Und woher stammt das denn?“
beim Steuerberater gehockt und ihn gefragt: doch können die drei, was nur wenigen ge- Der mechanische Kuhmistschieber war
„Wie geht das – Sachen verkaufen?“ An- lingt: Mechanik mit Elektrik, Handwerk mit eine Revolution. Jeder Bauer wollte so ein
schließend hat Lehrer Kleingries einen Technik zusammenbringen. Im vergange- Schietding haben. Die ersten sind in einem
Brief ans Patentamt in München geschrie- nen Jahr gingen beim Deutschen Patentamt alten Kuhstall entstanden. Heute produziert
ben – damit niemand die Idee klaut. Es war über 66 000 Anmeldungen ein. Zwei Drittel Betebe in großen Hallen. Jahresumsatz: 8,5
die erste von vielen. Seitdem sind die drei davon in der Regel von Konzernen. Ein Millionen. Allerdings ist aus dem einfachen
im Tüftlergeschäft, finden immer neue knallhartes Geschäft mit Riesenkonkurrenz. Kettenflitscher inzwischen ein Hightech-
Tricks, die das Leben der Bauern erleich- Und wer klaut, ist weg vom Fenster. Manch- Entmistungsflitzer geworden.
tern: Melkstände, die hoch und runter fah- mal auch, wenn er gar nichts geklaut hat. Es ist ein Freitag, kurz nach 15 Uhr. Die
ren. Roboter, die Rinder füttern. Mit zwei Auch Betebe hätte es fast erwischt. Eines meisten der 50 Angestellten sind schon zu
Hochschulen haben sie einen Hightech- Tages kam Post von einem dänischen Melk- Hause, aber in Halle drei fährt immer wie-
Entmister entwickelt. Und Töne frickelt technikkonzern: „Sie verletzen unser Pa- der ein Testroboter gegen die Bande. So ein
schon wieder: an einer Maschine, die Gülle tent.“ Es ging um eine Kuhbürste, die sich Mist. Er ist die neueste Weiterentwicklung
so lange auswringt, bis daraus fester Dünger nach allen Seiten dreht. Ihre erste Reaktion ihrer ersten Geschäftsidee – ein intelligenter
wird. Das restliche Stickstoffwasser wird war: „Die haben wohl ’ne Meise?“ Bis sie ka- Flitscher, aber noch zu dumm, um selbst-
gefiltert, bis es sauber ist. Damit weniger piert haben: „Die haben mehr Knete.“ Sie ständig um die Ecke zu biegen.
Nitrate in den Boden gelangen und die Bau- mussten klein beigeben: „Die hätten uns Um Arbeitsvermeidung geht es immer ir-
ern nicht mehr mit Chemie nachhelfen durch alle Instanzen gejagt, Millionen Scha- gendwie, wenn die drei ihre Köpfe zusam-
müssen. densersatz gefordert, unsere Pupsfirma ein- menstecken. „Ein Kehrmaschinenschieber
fach weggefegt“, sagt Bennink. Heute prü- wäre cool“, hat Töne vor sechs Jahren sin-
DOCH ZURÜCK ZUR HÜTTE am See fen sie genau, ob vor ihnen nicht schon ein niert. Heinzi hat gefragt: „Einer, der die Fla-
und noch viel weiter in die Vergangenheit. anderer den Geistesblitz hatte. den aufsaugt, aber ohne Fahrer?“ „Aber er
JAKOB SCHNETZ / SPIEGEL WISSEN
Zurück in eine Bullerbü-Kindheit im Müns- Die Hütte am See. Das war auch so ein darf keine Kuh umnieten“, hat Ralf überlegt
terland, zurück zu drei Schuljungen, die lie- Geistesblitz. „Nicht auf meinem Grund“, und Töne gefragt: „Kannst du ihn so pro-
ber auf dem Trecker als in der Schule saßen. brauste der alte Bauer Bengfort auf, als sie grammieren, dass er sich nicht im Stall ver-
Zurück in ein Dorf, in dem von 30 Kindern ein Plätzchen suchten zum Feiern und Klö- irrt?“ Der hat gebrummt: „Mhmm, mal se-
höchstens 3 aufs Gymnasium gingen – nur nen. Aber Sohn Töne konnte das nicht ak- hen.“ Dann haben sie ihre Stullen gegessen
die eingebildeten Pinsel. zeptieren: „Wasser“, so erklärte er deshalb und die Idee erst mal verdaut.
„Du kriegst jeden Tag ’ne Mark, wenn du den Freunden, „ist ja nicht Grund.“ Das Schließlich konnten sie ja nicht wissen,
aufs Gymnasium gehst“, so hat Heinzis Bru- leuchtete ein. Als die Eltern im Urlaub wa- dass sie 2011 für diese Idee den Oskar be-
kommen würden – den Großen Preis des Projekt erklärte: ein Stall mit Plexiglasdach, im Stall. Vielleicht eine Spinnerei, vielleicht
Mittelstands für pfiffige Unternehmer. Vor- in dem Bäume und Sträucher wachsen. Ein aber die Zukunft.
nehmer Empfang in einem feinen Hotel, mit Paradies ohne Boxen. Die Schwarzbunten Immerhin: Jetzt will König Willem-Ale-
Abendgarderobe und Lobeshymnen. „Klar wandeln auf weichen Kunststoffböden. Au- xander der Niederlande die Erfinder Ralf,
fühlt man sich gebauchpinselt, aber wir ste- ßen stehen All-you-can-eat-Futtertröge mit Heinzi und Töne empfangen und für ihr
hen nicht auf so einen Fez“, sagt Bennink. Silage, in der Mitte Delikatesshäppchen: Bu- Öko-Kuhfladenhaus ehren. Weil sie helfen,
chen für den Pansen, Kirschen für die Ver- dass die Pole nicht so schnell schmelzen
IM FÜNF-STERNE-STALL von Biobauer dauung, Efeu gegen Husten. Die Idee: Kühe, und die Niederlande nicht im Meer ver-
Bomers fühlt er sich sichtlich wohler. Stolz die komfortabel leben, werden älter, bekom- sinken.
zeigt er auf den Roboter, erste Generation, men mehr Kälber, geben mehr Milch.
der gerade eine Runde dreht – nicht durch Und vor allem: Sie verrichten ihr Ge-
irgendeinen Kuhstall, sondern durch den schäft umweltfreundlich. Weil der Urin in
Silvia Dahlkamp ist kreativ darin,
ersten Kuhgarten weltweit. „Du willst mich geschreddertem Gummi versickert, entwi- Ausreden zu finden, wenn ihre
verscheißern“, hat Bennink gesagt, als ein ckeln ihre Fladen keine giftigen Ammoniak- Freundinnen sie mal wieder mit
niederländischer Naturschützer ihm das gase. Das ist gut für das Klima – nicht nur zum Zumba schleppen wollen.
LIEBLINGSBUCH
nenden Rachegelüsten gegen den großen
Walt, der ihn einst unter fadenscheinigen
Gründen aus seinem aufstrebenden Zeich-
nerteam entfernt hatte.
Genau das gibt Jungks literarischem Dis-
Was der Schriftsteller Peter Henning als ney-Close-up seinen großen zeitlosen Reiz.
Denn die meisten Biografien jenes Mannes,
Lektüre zum Heftthema empfiehlt der als Erster Zeichentrickfiguren Persön-
lichkeit verlieh, der als Erster einen abend-
füllenden Zeichenfilm produzierte und un-
term Strich 32 Oscars einheimste, beten un-
kritisch oder gar ehrfurchtsvoll die Erfolgs-
story seines Lebens und seiner (immer noch
fortwirkenden) Karriere herunter. Jungk da-
gegen treibt seine Sätze tiefer ins nicht sel-
ten knarrende Gebälk der Disney-Legende.
Er gibt Dantine die Stimme eines Mannes,
der im Hinblick auf sein einstiges großes
Idol bis zuletzt gefangen bleibt in einer un-
auflöslichen Ambivalenz – schwankend zwi-
schen Bewunderung für den großen Kreati-
ven und Hass auf den großen Egomanen.
artiger Roman über den Begründer des mo- und Stillstand – und darum bis zuletzt, be-
dernen Trickfilms, Walt Disney, ist so le- reits den eigenen Tod vor Augen, schuftete
bendig, farbenprächtig und intensiv ge- und schuftete. So klingt das bei Jungk:
schrieben, dass er sich wie ein Film liest. „Ich bin tonangebend“, dachte er, „ich bin
Jungk gelingt in seinem Buch das Kunst- einer der Glorreichen der Welt.“ Wie ein Echo
stück, Disney auf gerade mal 244 Seiten auf hallen diese Worte in Walts Innerstem wider.
PETER HENNING die ganz große Literaturleinwand zu holen. „Mehr Menschen auf Erden haben meinen Na-
Er bedient sich dabei eines so einfachen wie men im Ohr als den von Jesus Christus. Ich
schwärmt für Peter Stephan Jungks 2001 er- genialen Tricks: Er beschreibt die letzte bin ein Mythos. Die Maus ist beliebter als das
schienenen Walt-Disney-Roman „Der König Schaffensphase im ruhelosen Leben des Christkind und der Weihnachtsmann zusam-
von Amerika“ (Klett Cotta). Henning, 57, ver- bereits tödlich an Lungenkrebs erkrankten mengenommen. Ich habe ein Universum ge-
öffentlichte zuletzt den Roman „Die Chronik Filmpioniers – und zwar aus der Sicht eines schaffen. Mein Ruhm wird Jahrhunderte an-
des verpassten Glücks“ (Luchterhand). früheren, gleichwohl fiktiven Mitarbeiters dauern.“
„Die Kunst
ist,
sich
zu trauen“
D I E F O T O S
Die seltsame, technoid-bedrohliche und manch-
mal auch sehr kuriose Welt der Forschungslabore
hat der deutsche Fotograf DANIEL STIER in sei-
ner Bilderserie „Ways of Knowing“ festgehalten
(o.: Hirnforschung an der Universität Birmingham;
u.: Schwindelambulanz der Universität München).
Ergänzt hat Stier die Dokumentation mit eigenen,
künstlerischen Installationen. Seine Fotoserie ist
auch als Buch erschienen.
www.ways-of-knowing.com
SPIEGEL: Herr Pferdt, hat jeder Mensch SPIEGEL: Ein Beispiel bitte.
das Potenzial, kreativ zu sein? Pferdt: Ich mache nur selten zweimal das
Pferdt: Mehr noch als nur das Potenzial: Gleiche. Wenn ich einmal ein Restaurant be-
Wir alle sind von Natur aus kreativ und sucht habe, gehe ich das nächste Mal in ein
werden mit dieser Eigenschaft geboren. Wir anderes. Wenn ich einmal in einem Hotel
beschäftigen uns bei Google mit dem Thema in Tokio gewohnt habe, buche ich das nächs-
sehr intensiv und haben dabei unter ande- te Mal ein anderes. Wenn ich einen bestimm-
rem gelernt, dass Kreativität wie eine er- ten Weg gelaufen bin, wähle ich das nächste
neuerbare Energie ist: Man muss sie zwar Mal einen anderen, selbst wenn er länger
manchmal neu aufladen, aber sie geht uns FREDERIK PFERDT ist. Meine Frau hat sich an dieses Verhalten
nie aus. gewöhnt, meine Freunde treibe ich damit
SPIEGEL: Aber es muss wohl eine Eigen- ist Head of Innovation and Creativity aber ehrlich gesagt oft in den Wahnsinn.
schaft sein, die meist unter der Oberfläche Programs bei Google und Mitgründer Aber so fördert man, was ich Forschergeist
schlummert. Im Alltag erscheint Kreativität der „Garage“ auf dem Google-Cam- nenne.
als eher seltenes Gut. pus, einer Art Mega-Bastelwerkstatt. SPIEGEL: Diesen offensiven Forschergeist
Pferdt: Das liegt vor allem daran, dass uns Der promovierte Wirtschaftspädago- versuchen Sie bei Google den Mitarbeitern
oft einfach das Selbstbewusstsein fehlt, Pro- ge lehrt an der Stanford Universität, systematisch beizubringen. Wie gehen Sie
bleme wirklich auf neue, kreative Art zu lö- an der er selbst studierte. Pferdt, 38, vor?
sen. Die Kunst ist, sich zu trauen, die Ideen wuchs in Ravensburg auf. Pferdt: Man muss lernen, die Perspektive
auch wirklich in die Tat umzusetzen. zu wechseln, sich in andere Menschen hi-
SPIEGEL: Aber gibt es nicht Menschen, die neinzuversetzen. So vermeidet man die ei-
von Natur aus kreativer sind? Picasso zum genen Vorurteile und Tendenzen, die Pro-
Beispiel oder Mozart? blemlösungen oft im Weg stehen. Man muss
Pferdt: Verwechseln Sie das nicht mit künst- versuchen, über eine Situation nachzuden-
lerischem Talent. Das ist eine sehr spezifi- ken wie ein Busfahrer, ein Lehrer, ein Wis-
sche Begabung. Bei Kreativität geht es zu- senschaftler: Wie würde das Problem aus
nächst viel allgemeiner darum, neue Ideen deren Perspektive aussehen?
zu entwickeln, Lösungen für Probleme zu SPIEGEL: Es geht also um Empathie?
finden. Und dazu muss man vor allem Mut Pferdt: Exakt, das Nachempfinden, sich in
entwickeln. andere einfühlen, ist ganz zentral. Der zweite
SPIEGEL: Selbstbewusstsein und Mut las- Punkt, auf den wir viel Wert legen, ist die Su-
sen sich aber nicht so leicht antrainieren. che nach Lösungen, die nicht nur ein biss-
Pferdt: Ganz im Gegenteil. Man kann mit chen besser sind, sondern zehnmal besser.
gezielten Übungen sehr gut daran arbeiten, Radikale Lösungen, radikale Verbesserungen.
mehr Kreativität aus sich herauszuholen. Es SPIEGEL: Klingt anstrengend.
NORBERT VON DER GROEBEN
geht vor allem darum, aus der Alltagsroutine Pferdt: Ist es aber gar nicht. Man muss ei-
auszubrechen: Wir sprechen immer mit den gentlich nur ein Wort im täglichen Sprach-
gleichen Leuten, gehen denselben Weg, sit- gebrauch verändern. Statt immer „Ja, aber“
zen immer am gleichen Platz. Das behindert auf einen Vorschlag oder eine Idee zu ant-
enorm. Man muss Monotonie durchbre- worten, müssen wir uns angewöhnen, „Ja,
chen, so oft es geht. und“ zu sagen.
Google Campus
spiegel.de/sw022016google
„ICH
BRAUCHE
MUSIK
IN MEINEM
KOPF.“
Hajo Winkler, 60,
Change Director und
Musiker
MATTHIAS HASLAUER / SPIEGEL WISSEN
LEBENSKUNST
„ICH WAR IM
FIEBER.“
Uta Behnfeld,
42, Bürokauffrau und
Fotografin
Die Kulturrevolutionäre
Die Arbeitswelt verändert sich rasant, Computer
übernehmen immer mehr Aufgaben. Gerade darum
haben kreative Querdenker ganz neue Chancen.
TEXT EVA-MARIA SCHNURR F OTO S MARIA FECK & DAVID CARRENO HANSEN
HINTER EINER STELLWAND wirft sich Die School of Design Thinking am Has- te? Vielleicht sogar wichtiger als Fachwis-
ein Mann einen Arztkittel über, am Fenster so-Plattner-Institut für Softwaresystemtech- sen? Und welche Art von Kreativität ist ge-
hat jemand Zettel mit Slogans wie „Wilde nik ist eine Art Brutkasten in Sachen Inno- nau gefragt?
Ideen ermutigen“ oder „Früh und oft vation: Hier werden Menschen mit unter- „Wir stehen an der Schwelle zu einem
scheitern“ mit Neonklebeband angebracht, schiedlichen fachlichen Hintergründen im Zeitalter, in dem Ökonomie und wirtschaft-
neben einer Gitarre liegt ein Büschel Bana- „Design Thinking“ ausgebildet, einem An- liches Wachstum primär auf Wissen und
nen – das hier wird keine übliche Business- satz, der Probleme der Wirtschaftswelt mit Kreativität basieren“, prognostizierte das
präsentation, so viel ist gleich klar. Ab- unorthodoxen Fragestellungen und Blick Zukunftsinstitut 2012. Jobs mit vielen Rou-
schlusstag an der School of Design Think- auf Kundenbedürfnisse lösen soll. tinen, und zwar selbst geistig anspruchsvol-
ing in Potsdam. Drei Monate lang haben 40 Entwickelt wurde Design Thinking in le wie die von Programmierern oder Daten-
Teilnehmer des Aufbaustudiengangs an den Achtziger- und Neunzigerjahren in Ka- analysten, werden von billigen Arbeitskräf-
Projekten für Kunden gewerkelt: Firmen lifornien, gerade drängt es mit Macht nach ten irgendwo auf der Welt oder von Robo-
wie die Deutsche Bahn oder Volkswagen Deutschland. Der Ansatz: die Bedürfnisse tern erledigt, so die Vorhersage der Zu-
haben Fragestellungen aus dem echten Le- der Kunden erforschen, experimentieren, kunftsforscher. Intelligenz bleibt kein
ben an die Studenten weitergereicht und rasch Prototypen entwickeln, testen, kriti- menschliches Alleinstellungsmerkmal, weil
viel Geld bezahlt, damit die sich Gedanken sieren und die Idee wieder überarbeiten – auch Computer immer schlauer werden.
machen. Nun sitzen die Firmenleute im of- oder verwerfen und etwas Neues erdenken. Kreativität werde deshalb zur Schlüsselqua-
fenen Foyer zwischen Studenten auf Bän- Etwa die Hälfte der größten Unterneh- lifikation.
ken im Halbkreis und hören sich die Ergeb- men in Deutschland praktiziert Design
nisse an. Thinking bereits, die Lufthansa ebenso wie ABER STIMMEN SOLCHE Vorhersagen?
Oder besser: Sie genießen die Show. die Telekom, SAP oder die Deutsche Bank. Oder sind Kreativität und Innovation gerade
Denn keines der Projektteams kommt mit Hier in Potsdam probieren Firmen im Rah- einfach „Buzzwords“, mit denen sich Geld
schnöden Power-Point-Folien. Sie haben men der Studentenprojekte oft zum ersten verdienen lässt, weil Firmen wie Menschen
aufwendige Videos gedreht, demonstrieren Mal aus, ob Design Thinking auch etwas für verunsichert sind – und in Wahrheit verän-
ihre Ideen in Rollenspielen, zeigen in Ani- sie sein könnte – die Warteliste ist lang. dert sich gar nicht so viel?
mationen, wie ihre Antworten auf die Fra- Die Schule ist also die perfekte erste An- Ulrich Weinberg, der Leiter der Potsda-
gen der Unternehmen aussehen. Das Publi- laufstelle für die Suche nach Prognosen zur mer School of Design Thinking, kommt viel
kum jubelt und lacht, hakt kritisch nach – Arbeitswelt von morgen: Welche Rolle wer- herum in Unternehmen, steht im ständigen
es sieht aus, als seien die Präsentationen ein den Kreativität und Innovationsgeist spie- Austausch mit Forschungschefs und Perso-
großer Erfolg. len? Werden sie entscheidender sein als heu- nalverantwortlichen, und für ihn ist die Sa-
Leider darf man nicht schreiben, worum che klar: Ohne Kreativität geht in Zukunft
es genau geht; alles streng geheim, durchaus noch weniger als heute. Er nutzt allerdings
möglich, dass die eine odere andere Idee einen anderen Begriff, er spricht von „ver-
später umgesetzt wird, heißt es. In früheren netztem Denken“.
Workshops haben Studenten schon Produk- Erforschen, entwickeln, Der ehemalige Professor für Computer-
te erfunden, die auf dem Markt sind oder animation und Vizepräsident der Medien-
weiterentwickelt werden: einen Staubsau-
kritisieren, verbes- hochschule in Babelsberg, glatzköpfig und
ger etwa, den man umbauen und so an un- sern – das ist das neue ganz in Schwarz gekleidet, schnappt sich ei-
terschiedliche Bedürfnisse anpassen kann. nen Stift und skribbelt an der Wand des Be-
Oder einen speziellen Trolley für den Si- „Design Thinking“. sprechungsraums, während er erläutert, wa-
cherheitscheck im Flughafen, der die War- rum er das vernetzte, kreative Denken für
tezeiten verkürzen soll. die entscheidende Brücke in die Zukunft
hält: „Der Veränderungsdruck durch Globa- als Ingenieurbüro‚ entwickelt und produ- ben und so Wartungszeiten minimieren und
lisierung, Digitalisierung und Automatisie- ziert das Unternehmen inzwischen an meh- Ausfälle verhindern. Ein erster Schritt in
rung steigt nicht mehr linear, sondern ex- reren Standorten weltweit Kühlaggregate eine vernetzte Produktwelt, Industrie 4.0,
ponentiell, das spüren sowohl Individuen für Schaltschränke sowie Warnleuchten für also das, was Experten als nächste Evolu-
wie Unternehmen.“ Die Komplexität wach- die Industrie. Keine hippen Konsumgüter, tionsstufe der Wirtschaft vorhersagen: „Je-
se, das Tempo nehme zu, die Entwicklungen nichts, woran man beim Stichwort Kreati- der weiß, das wird kommen, aber keiner
seien immer weniger vorhersagbar. Viele vität sofort denken würde. Und doch, sagt weiß, wie das Geschäftsmodell aussehen
Unternehmensberater rieten deshalb zu Ver- Firmenchef Andreas Pfannenberg, erziele wird“, sagt Pfannenberg – es gelte also zu
einfachung, Komplexitätsreduktion. man mehr als 40 Prozent des Umsatzes mit experimentieren oder den Anschluss zu
Weinberg empfiehlt stattdessen, Grenzen Produkten, die jünger als vier Jahre sind. verlieren.
zu überschreiten: solche von Zuständigkei- Pfannenberg empfängt in einem Konfe-
ten, Hierarchien, Abteilungen ebenso wie renzraum im Stil der Achtzigerjahre, Kunst- DIE DIGITALISIERUNG und Automatisie-
die einzelner Köpfe. Nur in gemischten, un- drucke an den Wänden, runder Tisch mit rung der Wirtschaft, durch die intelligente
hierarchischen Teams könne der Einzelne Thermoskannenkaffee und Schokoriegeln. Computer mehr und mehr Arbeit überneh-
sein kreatives Potenzial wirklich entfalten. Sein Unternehmen sei schon immer inno- men, werden in den kommenden Jahren zu
Und nur mit Kreativität komme man auf Lö- vativ gewesen, sagt Pfannenberg, logisch, Umwälzungen führen – und zwar nicht nur
sungen, die einen wirklich weiterbrächten. sie sind ja Ingenieure, Erfinder also, und na- für Unternehmen, sondern auch für Ange-
türlich sind neue Entwicklungen immer not- stellte, so prognostizieren Wissenschaftler.
IN DER DESIGN-THINKING-SZENE kur- wendig für Produktivität in der Wirtschaft. Bei rund 47 Prozent aller Arbeitsplätze in
siert die Aussage eines deutschen Konzern- Doch in den vergangenen Jahren habe die den USA bestehe ein hohes Risiko, dass sie
oberen. Der habe gestanden, wenn seine Fir- Geschwindigkeit mächtig angezogen, meint der Automatisierung zum Opfer fallen wer-
ma die Aufgabe bekommen hätte, das Taxi Pfannenberg: „Die Innovationszyklen sind den, berechneten Forscher der Universität
der Zukunft zu bauen, hätten sie das luxu- viel kürzer geworden.“ Oxford. Übertragen auf Deutschland sieht
riöseste, bestausgestattete Taxi überhaupt Immer mehr Wert legt er deshalb auf die Sache nicht viel besser aus: Bis zu 42
entwickelt. Doch einen Taxiservice ganz Mitarbeiter, die nicht mehr in „Silo-Struk- Prozent der Jobs wären hier gefährdet.
ohne Taxis, mit privaten Fahrern, die über Zwar streiten Ökonomen, wie zuverläs-
das Internet organisiert werden, wäre ihnen sig solche Vorhersagen sind, einige sehen
wohl niemals eingefallen. Das fiel nur einem die Entwicklung weniger pessimistisch, und
Branchenfremden ein, dem kalifornischen andere glauben, dass durch die neuen Tech-
Start-up Uber, das in vielen Ländern den Wer mutig ist, quer und niken sogar neue Arbeitsplätze entstehen
Personentransport durcheinanderwirbelt.
Die alten Denkmuster halten sich hart-
wild denkt, besitzt werden. Doch klar ist inzwischen, dass
längst nicht nur Routinetätigkeiten eine un-
näckig – Querdenken und Experimentieren entscheidende Fähig- gewisse Zukunft haben. Schon heute wer-
ist in vielen Unternehmen nicht gefragt. Da- den Computer eingesetzt, die medizinische
bei gibt es genug abschreckende Beispiele: keiten für die Zukunft. Diagnosen, zum Beispiel bei Brustkrebs,
Viele Firmen scheitern an mangelnder Fan- exakter stellen als Ärzte. Es existieren Pro-
tasie für die eigene Zukunft – und werden gramme, die in Sekunden alle relevanten Ur-
von jungen, agilen Unternehmen überholt, teile aus juristischen Datenbanken zusam-
die näher an den Bedürfnissen der Kunden turen“ denken, wie er das nennt, sondern mensuchen oder einfache Rechtsfälle auto-
sind. Der Handyhersteller Nokia etwa: Bis die ihre Perspektive wechseln können. Spe- matisch abwickeln, ebenso solche, die für
2008 waren die Finnen Marktführer im ent- zialisten zwar, doch solche, die auch nach Zeitungen Börsenmeldungen oder Sport-
stehenden Smartphone-Markt, cool und in- rechts und links gucken, die den Kunden berichte texten. Sogar mit maschinellen Vor-
novativ, doch das Management wehrte sich im Blick haben. „Die Welt verändert sich standsvorsitzenden wird experimentiert, sie
gegen Touchscreens, setzte zu lange auf die so rasant, dass Fachwissen immer schneller treffen zum Teil bessere Entscheidungen
Strahlkraft der Marke und ihre hochwerti- überholt ist“, sagt Pfannenberg. Umso wich- als ihre menschlichen Kollegen.
gen Produkte – Nokia-Telefone verschwan- tiger sei die Bereitschaft zum Wandel, dazu, „Mit der zunehmenden Digitalisierung,
den in der Bedeutungslosigkeit. Bei den Gewohntes infrage zu stellen, Neues zu Vernetzung und Automatisierung unserer
Kult-Sofortbildkameras Polaroid fehlte die lernen. Welt rückt die Frage in den Mittelpunkt,
Idee, wie man weiterhin eine eigene Nische Seit einiger Zeit bietet Pfannenberg allen was uns Menschen unersetzlich macht“,
neben der digitalen Fotografie besetzen Mitarbeitern Kreativitätsworkshops an, bei heißt es in einer Studie des Branchenver-
konnte. Und dem Filmhersteller Kodak, in Treffen mit Kunden und Lieferanten den- bands Informationswirtschaft, Telekommu-
den Neunzigerjahren eine der wertvollsten ken sie über neue Produkte oder Verbesse- nikation und neue Medien im Februar 2015.
Marken der Welt und sogar Erfinder der ers- rungen der alten nach. Doch er betont, dass Die Antwort der Studienautoren überrascht:
ten tragbaren Digitalkamera, fiel keine Stra- Innovationsgeist nicht nur Sache des Ein- Künstlerisches Denken und Talent seien –
tegie ein, wie man das Unternehmen neu zelnen sei, sondern eine Frage der Unter- neben Empathie und sozialen Kompeten-
positionieren könnte. nehmenskultur. Und dass er, der Chef, vo- zen – die Alleinstellungsmerkmale des Men-
Den wachsenden Veränderungsdruck rangehen, Risiken eingehen müsse. Auch schen, jedenfalls bis auf Weiteres. Sie emp-
spüren selbst mittelständische Familienun- deshalb trauen sie sich jetzt in ein für sie fehlen deshalb, das kreative Denken schon
ternehmen wie die Elektrotechnikfirma neues Feld: Sie tüfteln an Kühlgeräten, die vom Kindergarten an stärker in alle Ausbil-
Pfannenberg in Hamburg. 1954 entstanden per Internet über ihren Status Auskunft ge- dungswege einzubeziehen.
SPIEGEL WISSEN
2 / 2016
83
EINER DER AUTOREN der Studie will, sollte weichen Fächern Raum
ist Dirk Dobiéy, viele Jahre Manager geben“, so das Fazit der Forscher.
beim Walldorfer Softwarekonzern Genau das versuchen sie beim
SAP. Vor einem Jahr gründete er Stuttgarter Elektronikriesen Bosch.
„Age of Artists“, ein Forschungs- und In der obersten Etage des neuen
Beratungsnetzwerk, mit dem er he- Zentrums der zentralen Forschungs-
rausfinden will, was Unternehmer und Vorausentwicklung in Rennin-
und Arbeitnehmer von Künstlern gen eröffnete im vergangenen Okto-
lernen können. ber die „Platform 12“, ein für Außen-
Denn wenn man nach Spezialis- stehende verbotener Ort, in dem die
ten im Umgang mit Ungewissheiten Entwickler jede Menge Freiräume
und Risiken sucht, stoße man rasch haben. Erfunden hat ihn die Innova-
auf Künstler, so Dobiéy – schließlich tionsmanagerin Birgit Thoben, ge-
wissen die am Anfang des Schaffens- meinsam mit der Berliner Agentur
prozesses selten, wohin sie ihre Ar- „Wimmelforschung“. Thoben be-
beit führen wird, müssen Wagnisse richtet, dass die Forscher mit allen
eingehen, um bahnbrechend Neues möglichen Materialien basteln und
zu schaffen. werkeln, mit Legosteinen bauen, die
Dobiéy entschied sich, die Ar- Fenster vollschreiben oder unkom-
beitsweise von Berufskreativen zu pliziert miteinander ins Gespräch
analysieren. Mehr als hundert Inter- kommen – all das soll Ideen wecken,
views hat er inzwischen gemeinsam die Perspektive weiten.
mit Kollegen geführt, mit Künstlern Vor allem aber, und das ist wirk-
wie Norbert Bisky, mit Regisseuren lich neu, arbeitet in einer Ecke des
und Musikern, mit Menschen aus Die Dinge auf den Kopf stellen: Raumes ein Künstler. Es gab schon
dem Kulturbetrieb, mit Wissen- Kunst ist inzwischen eine gefragte Workshops über die „Freiheit im
schaftlern. Sie arbeiten ergebnisof- Inspirationsquelle für Innovation. Denken“ oder über das „Nichts“,
fen, hat Dobiéy herausgefunden, Kunstwerke stehen im Raum he-
spielerisch und dennoch mit klarer rum, anfangs irritierten sie die For-
Haltung. Und sie gehen anders an ihre che es neue, kreative Ansätze: Offenheit, Lei- scher, nach und nach entstand ein Aus-
Aufgaben heran als normale Angestellte: denschaft, Wagemut – also alles, was künst- tausch zwischen den Bosch-Leuten und
Mindestens ebenso viel Zeit wie auf das lerisches Arbeiten ausmacht. den Kreativen, die jeweils mit einem drei-
Kunstwerk selbst verwenden sie auf die Vor- Für Ohren, die nüchternes Management- monatigen Stipendium in der „Platform 12“
bereitung: Sie nehmen intensiv ihre Um- Sprech gewohnt sind, klingt seine Idee erst arbeiten. Die Sache ist ein Experiment, ob
welt wahr, suchen ein Thema oder einen einmal pathetisch, überzogen, geradezu daraus irgendein Nutzen für Bosch entsteht,
Anknüpfungspunkt, reflektieren, testen, romantisch. Doch Dobiéy liegt damit im lässt sich noch nicht sagen. Aber das ist,
experimentieren mit ihren Einfällen, ver- Trend: Kunst ist eine gefragte Inspira- glaubt man den Beteiligten, auch nicht
werfen viel, bevor sie Ausgewähltes konkre- tionsquelle für Innovation und Perspektiv- oberstes Ziel. Es gehe darum, die Köpfe zu
tisieren. wechsel in der Wirtschaft – gerade weil öffnen, über das eigene Tun und die Gesell-
Dobiéy tastet sich gerade an sein neues dort vollkommen andere Prinzipien und schaft zu reflektieren. „Indem die Künstler
Arbeitsfeld heran, noch weiß er nicht wirk- Werte gelten. unsere Arbeit und unsere Strukturen spie-
lich, wie er seine Ergebnisse in der Beratung Unternehmensberater arbeiten mit Bild- geln, regen sie die Entwickler an, Dinge zu
umsetzen wird, er lebt seinen künstleri- betrachtungen, um Führungskräfte zum hinterfragen, anders zu denken“, sagt die
schen Ansatz also selbst. Wie der Design- Querdenken anzuregen, an amerikanischen Innovationsmanagerin Thoben.
Thinker Weinberg träumt er von einer Art Universitäten trainieren Ärzte mit Kunst- Noch ist der kreative Ansatz vor allem
Kulturrevolution: Auch um gesellschaftliche werken ihre Wahrnehmung, um später eine Verheißung, für den Einzelnen ebenso
Herausforderungen wie den Klimawandel etwa Röntgenbilder besser verstehen zu wie für Unternehmen: Denn wer mutig ist,
MARIA FECK & DAVID CARRENO HANSEN / SPIEGEL WISSEN
oder die Flüchtlingsfrage zu meistern, brau- können. Und in einer Stellungnahme des quer und wild und grenzenlos denkt, so die
„Handelsblatt“-Forschungsinstituts hieß es Erwartung, der fürchtet sich nicht vor Un-
im vergangenen Jahr, die einseitige För- sicherheit. Der traut sich, die Dinge infrage
WEITERLESEN derung von mathematisch-naturwissen- zu stellen. Und verlässt sich darauf, dass ihm
schaftlichen Fächern an Schulen und am Ende schon irgendeine Lösung einfallen
ERIK BRYNJOLFSSON, AN- Universitäten sei falsch, weil das der wird. Kurz gesagt: Der besitzt ziemlich si-
DREW MCAFEE: „The Second Entwicklung des Kreativitätspotenzials cher die entscheidenden Fähigkeiten für die
Machine Age“. Plassen Verlag; schade – dies aber sei für die Zukunfts- kommenden Zeiten.
368 Seiten; 24,99 Euro. fähigkeit von Unternehmen zentral, denn eva-maria.schnurr@spiegel.de
es gehe immer mehr darum, schöpferisch
ULRICH WEINBERG: „Net- mit neuen Techniken und Computerpro-
Eva-Maria Schnurr hat die besten Ideen
work Thinking“. Murmann Ver- grammen zusammenzuarbeiten. „Wer in- beim Spazierengehen oder im Zug – und
lag; 232 Seiten; 25 Euro. novative Ingenieure und Mathematiker deshalb immer etwas zu schreiben dabei.
SOCIAL DESIGN
DESIGN: KJOSK; ILLUSTRATION: ROBERT SAMUEL HANSON / SPIEGEL WISSEN
Deckelthermometer
Porzellanemaillierung
Grillbesteckhaken
199,-
Holzkohle-Kugelgrill 'Sunset Special' Mehr
Grillfläche Ø 57 cm, indirektes Grillen möglich, Asche-
topf inkl. Hitzeregulierung, porzellanemaillierter Kessel Auswahl
mit Deckel, Maße ca. 58 x 69 x 105 cm
23607338 im Online-Shop
Alle Informationen zur Firma und Anschrift Ihres Fachcentrums finden Sie unter www.bauhaus.info/fachcentren www.facebook.com/bauhaus
oder kostenlos unter Tel. 0800-3905000. Produkte sind nicht in allen Fachcentren verfügbar. www.youtube.com/bauhausinfo
Abrisshaus: Bürger gestalten ihre Viertel selbst. Solche Social-
Die Stadt
87
Zusammen
baut
man
weniger
allein
TEXT MORITZ AISSLINGER
FOTO IMMO KLINK
DER ANRUF KAM UNVORBEREITET. Man wolle Am anderen Ende aber: Zögern. Keine Zusage. Nur
ihnen, der Architektengruppe Assemble, den Turner- eine Frage: Können wir Sie zurückrufen?
Preis verleihen, wichtigste Kunstauszeichnung des Ver- „Wir wollten das zunächst mit den Menschen aus
einigten Königreiches. Die Jury habe sich für ihr Projekt der Granby Street besprechen“, sagt Maria Lisogors-
Granby Four Streets entschieden; ein Projekt, bei dem kaya. „Ohne ihre Zustimmung hätten wir den Preis
Assemble das Arbeiter- und Elendsviertel Toxteth in nicht angenommen.“ Sie erzählt fast schüchtern von
Liverpool gemeinsam mit dessen Bewohnern renoviert. diesem Anruf, der in der Kunstwelt für viel Wirbel und
Ob man den Preis annehme? Keine Frage eigentlich, Empörung sorgte. Erstmals sollte der Turner-Preis
mehr pro forma. Englische Anstandsregel. nicht an einen klassischen Künstler gehen, sondern an
ein Architekturbüro, dessen Mitglieder sich bis dato
niemals gefragt hatten, ob das, was sie da machen, viel-
leicht Kunst ist.
Warum? Was ist das Besondere an dieser Gruppe?
89
et zte ein Ze
i ss ic he
re
n:
rP
Ku
De
m
a
ef
it
b re
n le n a
me Pro ble
90
Deshalb ist es einfach gut, mit ihnen zu reden“, sagt Li- meistbefahrenen Straßen Londons, machten die Jung- A
S
sogorskaya. architekten mit rund 200 Freunden, Freiwilligen und
S
In Zusammenarbeit mit den Bewohnern plante As- Passanten ein schillerndes Kino. Sie nähten an das Tank- E
semble die Erneuerung individuell. Über die Freifläche stellendach einen Vorhang aus schwerem, goldfarbenem M
zwischen zwei Reihenhäusern etwa zog die Gruppe ein Stoff, zimmerten Reihen von Klappstühlen aus einfa- B
L
Glasdach, fertig war ein Wintergarten für die Gemein- chem Holz, am Eingang lief eine Popcornmaschine. „Als
E
schaft. Aus einem Haus mit eingestürzter Zwischen- die Menschen tatsächlich kamen, Tickets kauften, die
decke machten sie einen Raum mit doppelter Geschoss- Vorstellung sahen – das hat mich echt beeindruckt“,
höhe. Die Umbauarbeiten eröffneten den Bewohnern sagt Lisogorskaya.
zudem die Möglichkeit zur Mitgestaltung. Die Architek- Danach folgte ein Projekt nach dem anderen. Assem-
ten zeigten Anliegern in einer gemeinsamen Werkstatt, ble baute ein provisorisches Theater, einen Abenteuer-
wie sie Möbel für ihre Wohnungen zimmern können. spielplatz, eine Kunstgalerie. Und in Berlin-Pankow
Jugendliche lernten in Workshops, mit Holz zu arbeiten zeigten sie, wie neues Wohnen für alte Menschen aus-
und Beton zu mischen, sie konnten dabei handwerkliche sehen kann.
Qualifikationen erlangen. Die Bevölkerung von Granby Dort, in der Stillen Straße 10, hatten Senioren 2012
nahm die Zukunft ihrer Straße selbst in die Hand. ein Haus besetzt, das ihnen bislang als Freizeit- und
Da keiner von ihnen die finanziellen Mittel hatte, Begegnungsstätte gedient hatte, nun aber verkauft wer-
die Renovierung ihrer Häuser allein zu stemmen, orga- den sollte. Sie demonstrierten gegen die Räumung,
nisierten sie sich in einer Genossenschaft, um öffentli- kämpften gegen Verdrängung und die zunehmende
che Gelder zu erhalten. Zudem verkauften sie Kacheln, Gentrifizierung ihres Stadtteils. Die Hausbesetzung
Stühle und Handtücher, die sie in Handarbeit während machte Schlagzeilen, Medien in der ganzen Welt be-
des Projekts in der Werkstatt produzierten, um die Er- richteten von den rüstigen Rentnern, die sich nicht ver-
neuerung zu finanzieren. treiben lassen wollten. Auch Assemble erfuhr davon,
sie waren fasziniert.
INMITTEN DIESES PROZESSES platzte die Nach-
richt vom Turner-Preis. Man nahm sie mit gemischten GEMEINSAM MIT DEN SENIOREN entwickelten die
Gefühlen auf. „Wir hatten die Befürchtung, die Kunst- Architekten ein experimentelles Wohnmodell für das
welt würde durch den Preis Granby als Kunstobjekt ver- Leben im Alter. Lisogorskaya und ihr Kollege Lewis
stehen“, sagt Lisogorskaya. „Es geht bei dem Projekt Jones flogen nach Berlin, um sich mit den Rentnern
aber um die Menschen und um das Viertel.“ Deshalb auszutauschen. Im Gespräch erfuhren die beiden Ar-
sprach man zuerst mit den Anwohnern. Die konnten chitekten, wie sich die Älteren ein angenehmes Woh-
kaum glauben, was sie da hörten, waren stolz, sagten nen vorstellen: Sie wünschten sich ein Haus fürs Mit-
IMMO KLINK / SPIEGEL WISSEN, JEFF J MITCHELL / GETTY IMAGES, ALAN TOWSE / CAMERA PRESS / DDP IMAGES, LEWIS JONES / ASSEMBLE STUDIO
zu. Es sei, erzählte ein Genossenschaftsmitglied, gewe- einander, in dem man in Gemeinschaftsräumen mit
sen wie damals, 2008, als Liverpool europäische Kul- Nachbarn und Bekannten jederzeit zusammenkommen
turhauptstadt war: Die Menschen tanzten auf den Stra- kann, das zugleich aber den individuellen Bedürfnissen
ßen, weil sie etwas gewonnen hatten – obwohl niemand aller Parteien und dem Wunsch nach Privatheit gerecht
wusste und sich darum scherte, was das war, das sie da wird. Eine Durchmischung der Generationen forderten
gewonnen hatten. die Senioren und Wohnungen, die sich je nach Lebens-
Der Preis machte Assemble weltweit bekannt. Plötz- lage – wenn etwa der Partner stirbt oder die Enkelin
lich war die Gruppe Mittelpunkt einer eigenartigen Dis- oft zu Besuch kommt – verkleinern oder vergrößern
kussion: Ist das eigentlich Kunst, was die machen? Viele lassen.
Galeristen, Kritiker, Künstler waren sich einig: nein. Im April 2015 präsentierten Lisogorskaya und Lewis
Architekten seien keine Künstler. Die Jury setzte mit den Bewohnern ihren Entwurf samt Finanzierungskon-
der Wahl aber ein Zeichen: dass Kunst sich immer auch zept: Ein Bauherr erstellt einen mehrgeschossigen Roh-
mit realen Problemen zu befassen hat; dass sie sich in bau mit rund 20 Wohneinheiten und einer Gemein-
ihrer Praxis auch sozialen Fragen stellen muss. Es ist schaftsfläche über das gesamte Erdgeschoss. Für den
eine Art engagierte Architektur, die Assemble antreibt weiteren Ausbau sind die Bewohner selbst verantwort-
und die sie für die Turner-Jury auszeichnungswürdig lich, dafür können sie die Wohneinheit viel günstiger
gemacht hat. Die Gruppe selbst hätte, als sie sich vor als marktüblich kaufen. Jede Wohnung besteht aus zwei
knapp zehn Jahren fand, niemals erwartet, sich je mit gleich großen Teilen, durch eine Wand getrennt. Der
dieser Frage auseinandersetzen zu müssen. eine Teil dient als herkömmliche Zweizimmerwohnung
und wird von den Senioren gekauft. Der andere Teil
DER GROSSTEIL DES KOLLEKTIVS lernte sich in kann hinzugemietet werden.
Cambridge kennen, sie studierten gemeinsam Architek- Ob ein solches Haus jemals in Pankow oder anders-
tur. Waren eine Clique. Später jobbten sie in Architek- wo gebaut wird? Das ist noch offen. Doch in einem Hin-
turbüros, nach Feierabend trafen sie sich, diskutierten, terhof in London versuchen sie sich an ungewöhnlichen
träumten, entwarfen Visionen. So auch irgendwann an Lösungsideen; sie versuchen, Antworten zu finden auf
einem Abend 2009: ein Geburtstag, ein Pub, viele Biere. die drängenden Wohnungsfragen unserer Zeit.
Und eine Idee. „Wir quatschten so herum, tranken und „Wohnraum ist heutzutage in den meisten Großstäd-
hatten diesen gemeinsamen Traum, etwas als Gruppe ten Europas unerschwinglich, die Schere zwischen Arm
aufzubauen“, erzählt Lisogorskaya. Man müsse nur end- und Reich wird immer größer“, sagt Lisogorskaya. „Ar-
lich anfangen. chitektur kann den Menschen mehr Macht und Mög-
So entstand das „Cineroleum“. Aus einer leerstehen- lichkeiten geben, Alternativen zu entwickeln, sodass je-
den Tankstelle in Clerkenwell, gleich neben einer der der Zugang zu einem guten Leben finden kann.“
91
Die
Anti-
Bürokraten
M
93
M Die junge Frau war völlig überfordert mit den An- KANN MINDLAB DAS ALSO LEISTEN: einen
I
trägen, Formblättern, Beglaubigungen, die sie einrei- Wandel der Gesellschaftspolitik durch innovatives Den-
N
D chen musste, gab irgendwann einfach auf. MindLab half ken? Thomas Prehn ist davon überzeugt, spricht von
L nicht nur der Krankenschwester; das zuständige Natio- einer „kulturellen Mondlandung“.
A nalkomitee für Arbeitsunfälle wurde auf den Fall auf- Dass MindLab Teil der dänischen Regierung ist, ist
B
merksam. Und arbeitet seitdem mit MindLab an einem momentan noch etwas Besonderes. Viele kreative
groß angelegten Projekt, das Erwerbsunfähigen helfen Labors sind bei der Uno oder an Universitäten zu
soll, wieder arbeiten zu können. finden, manche agieren dagegen selbstständig. Mind-
Schon in den Siebzigerjahren hat die Wissenschaft Lab hat den großen Vorteil, dass es auf die Macht
das, was Prehn und seine Laboranten in Kopenhagen und die Ressourcen der Ministerien zurückgreifen
tun, „soziale Innovation“ genannt. Heute gilt sie als kann.
Schlüssel für viele gesellschaftliche Themen unserer Wenn es gut geht, so der Traum, werden irgendwann
Zeit – ob überfällige Bildungsreformen, Nachhaltigkeit auch die staatlichen Stellen den „MindLab-Way“ über-
und Umwelt, demografischer Wandel, Veränderung und nommen haben. Dann wäre der Weg frei für eine un-
Beschleunigung der Arbeitswelt. Denn die traditionel- bürokratische Bürokratie.
len Maßnahmen des Staates greifen oft nicht mehr.
2009, da war das Unternehmen schon sieben Jahre
alt, beschäftigte sich die internationale Politik erstmals
mit dem Konzept der sozialen Innovation. In das EU- e n e in e n e
rd u
Wirtschaftsprogramm „Europa 2020“ wurde das Schlag-
e
w
wort an prominenter Stelle aufgenommen; Großbritan-
Ge
niens Regierung gründete einen Thinktank nach dem
„Wir
Vorbild der dänischen Kollegen. Selbst in Brasilien
s e l ls c h af
kennt man die jungen Innovativen – seit Dezember 2015
helfen Prehn und sein Team beim Aufbau eines ähnli-
chen Labs.
ts
n.
po
fe f l itik
sch a
94
Für ein besseres Leben.
Sichern Sie sich jetzt 6 x SPIEGEL WISSEN und Ihre Wunschprämie!
Für Sie
zur Wahl
€ 10,– BestChoice-Universalgutschein
Machen Sie sich eine Freude! Über 200 Händler
mit über 25 000 Filialen oder Online-Shops stehen
zur Auswahl.
Ja, ich lese SPIEGEL WISSEN für 1 Jahr (6 x) für nur € 43,20, spare fast 9 % und erhalte eine Prämie!
Meine Wunschprämie: Heftpaket „Besser leben“ (5280) Fleece-Decke in Blau, Zzlg. € 1,– (5255)
Anschrift:
€ 10,– Universalgutschein (5032) Fleece-Decke in Fuchsia, Zzlg. € 1,– (5256)
Frau
Genießen Sie das Magazin Herr
Name/Vorname
für ein besseres Leben.
19
Gläubiger-Identifikationsnummer DE50ZZZ00000030206
Chaos“
U
R
97
Der
S O C I A L D E S I G N AWA R D
große
besten Vorschlag, der Leben in die Straße bringt.
den dritten Social Design Award für den
Leserwettbewerb
ES IST DAS DRITTE MAL, dass der Social Design
Award vergeben wird. In den beiden Jahren zuvor ging
es um Ideen für ein besseres Zusammenleben in der
Stadt und um gute Ideen für die Schule. Gewonnen ha-
ben 2014 das Berliner Studentenprojekt des Treibhauses
„U-Rangerie“, das geheizt oder gekühlt wird von der U-
Bahn-Abluft, und die „Mitfahrerbank“ im ländlichen
Raum der Eifel, die in einer Gegend mit unzureichen-
dem Nahverkehr Mobilität ermöglicht. 2015 siegten das
Bienenprojekt „Schulblüte“ des Friedrich-Dessauer-
Gymnasiums in Frankfurt am Main und die „Säule des
ES GIBT SCHNELLSTRASSEN, Durchgangsstraßen, Erfolgs“ des Schweizer „SBW Haus des Lernens“, wo
Einfallstraßen – Trassen, in denen Menschen nur als bunte Bälle in einer Plexiglassäule die Erfolge von Schü-
Randerscheinung des rasenden Autoverkehrs vorgese- lern und Schule dokumentieren.
hen sind. Und dann gibt es die anderen Straßen, die Mitmachen kann bei dem Wettbewerb auch in die-
Straßen zum Bummeln, Schlendern, Spielen, Einkaufen, sem Jahr jeder, und zu gewinnen gibt es wieder zwei
Herumsitzen, Klönen. Die Straßen, die Menschen mit Preise, die mit jeweils 2500 Euro dotiert sind: den Jury-
Geselligkeit füllen, indem sie Baumscheiben bepflanzen, preis und den Publikumspreis (alle weiteren Details
Bänke aufstellen, Flohmärkte veranstalten. Die Straßen zum Wettbewerb finden Sie auf Seite 99 und unter
für Menschen, für Nachbarn, für Freunde. Die Lebens- www.spiegel.de/socialdesignaward).
ROBERT SAMUALL HANSON / SPIEGEL WISSEN
98
Gute Ideen für unsere Straße
Jetzt mitmachen beim Ideenwettbewerb 2016! So kommt Leben in die Straße!
Worum geht es? Wie kann man teilnehmen? Wie läuft der Wettbewerb ab? Was gibt es zu gewinnen?
Straßen sind vollgeparkt, Mitmachen kann jeder! Aus allen Beiträgen stellen Vergeben werden ein
Bürgersteige verwaist, und Die Einreichungsfrist für wir die zehn besten Ideen ab Jurypreis und ein
die Menschen kennen sich den Social Design Award Anfang Oktober 2016 auf Publikumspreis.
höchstens vom Sehen. Das läuft bis zum 31. August 2016. SPIEGEL ONLINE vor. Beide Preise sind jeweils
soll sich ändern: Wir suchen Die Wettbewerbsunterlagen Die Leser können dann ihrem mit 2500 Euro dotiert.
gute Ideen für eine lebens- und das Onlineformular Favoriten eine Stimme geben. Der Rechtsweg
werte und schöne Straße, für die Beiträge gibt es unter Die Gewinner geben wir am ist ausgeschlossen.
in der aus Anwohnern www.spiegel.de/ 13. Dezember 2016 in SPIEGEL
Nachbarn werden. socialdesignaward Wissen 6/2016 und auch auf
SPIEGEL ONLINE bekannt.
In Kooperation mit
www.bauhaus.info
www.facebook.com/bauhaus
www.youtube.com/bauhausinfo
ZWISCHENRUF
„JEDE GENERATION LACHT über Mo- Oder liegt es am Ton? Vielleicht sollten
den, aber folgt den neuen treu“, beobachtete Anhänger des Bestehenden ihre Argumente
der amerikanische Philosoph Henry David bloß ein bisschen weniger larmoyant, eher
Thoreau. Heute ist das Neue selbst die neu- spöttisch vortragen. „Überhaupt hat der
este Mode: Es muss auf jeden Fall das schöp- Fortschritt das an sich, dass er viel größer
ferisch Gewagte sein, die Innovation um je- ausschaut, als er wirklich ist“, stichelte
den Preis, neben der alles Bisherige überholt schon 1847 der Bühnensatiriker Johann Ne-
aussieht – vom einträglichen Patent bis zum pomuk Nestroy. Nicht minder launig hat der
bloß umgestylten Logo. Philosoph Odo Marquard in seinen Essays
Aber ist Frische der Frische wegen nicht vorgeführt, wie Machbarkeit – zumal des
selbst schon Ideologie? Liegt das Heil wirk- Neuen – regelmäßig an dem scheitert, was
lich in der Novität? Menschen vergangener man altmodisch Schicksal nennen könnte.
Zeitalter hätte das heute geradezu hek- Für das verflixt kurze Leben des Menschen
tische Neuerungstempo tief verstört: „Re- seien „Üblichkeiten“ nicht nur unvermeid-
rum novarum cupidus“ (auf Neues begierig) lich, sondern ein Segen. Zukunft brauche
zu sein, das war im alten Rom gleichbedeu- immer Herkunft, Zufriedenheit trainiere
tend mit staatsgefährdendem Umstürzler- man am besten durch konservative Skepsis,
tum. Noch im Mittelalter bemäntelte man und für Neues gelte: „Die Beweislast hat der
einen philosophischen Geistesblitz nach Veränderer.“
Möglichkeit als Rückkehr zur ewigen, gött- Natürlich war das nicht als Freibrief für
lich garantierten Weltordnung. Erst seit einfallslose Faulpelze gemeint. Aber mit
Beginn der Neuzeit haben Innovateure in dem netten alten Sprichwort „If it ain’t
den meisten Lebensbereichen freie Hand, broke, don’t fix it“ – frei übersetzt: Was funk-
vor allem infolge des wirtschaftlichen Wett- tioniert, brauchen wir doch nicht zu repa-
bewerbs. rieren – lässt sich Neuerungssüchtigen
Natürlich melden sich immer mal Zweif- schon recht gut entgegentreten. Alles wei-
ler. So hat der Lyriker Rainer Maria Rilke tere Beharrungsvermögen, in Fachkreisen
schon um 1900 vor der Rastlosigkeit der als Trägheit bekannt, hat eigentlich gar kein
großen Städte gewarnt: „Und ihre Men- Plädoyer mehr nötig: Physisch wie mora-
schen dienen in Kulturen / und fallen tief lisch kann man, was schon da ist, gewöhn-
aus Gleichgewicht und Maß / und nennen lich nur recht mühsam aus der Welt schaf-
Fortschritt ihre Schneckenspuren / und fah- fen; im Universum steht folglich das Neue
ren rascher, wo sie langsam fuhren / und prinzipiell unter Bewährungsdruck, nicht
fühlen sich und funkeln wie die Huren / erst seit Darwin.
und lärmen lauter mit Metall und Glas.“ Bis Und für alle, die glauben, beim Wissen
hin zur ökologischen Wachstums- und Kon- sei das anders, ist da noch die Anekdote vom
sumkritik gab und gibt es etliche solcher Chef der Bonner Sternwarte. Als Preußens
Stimmen, doch fast immer bilden sie eine König Friedrich Wilhelm IV. ihn bei einer
Minderheit. Visite 1845 fragte: „Na, Argelander, was gibt
Wer vom Reiz des Neuen mit seinen an- es Neues am Himmel?“, erwiderte der As-
geblichen Vorzügen unbeeindruckt bleibt, tronom: „Kennen Majestät schon das Alte?“
gilt als Spielverderber, Reformbremse und
törichter Antimodernist. Stillstand, so heißt
Johannes Saltzwedel hat besondere Freude
es dann, behindert das Wachstum; Rück- daran, sich unerwartet bei einem Einfall zu
wege können nur Rückschritte sein. ertappen – und sei es bloß ein flapsiger Kalauer.
„Man muss systematisch eine „Die Leute da im Silicon „Kreativität entsteht immer im
neue Idee entwickeln. Es ist Valley liegen fundamental Auge des Betrachters. Es gibt
nicht mehr wie in der deutschen daneben mit ihrem naiven nichts objektiv Neues, das hängt
Romantik, dass man in den Wald Glauben, dass Technologie vom Beobachter, vom
geht und darauf wartet, dass prinzipiell die Welt verbessert. Interpreten ab, der etwas als
einem eine Idee kommt, weil Dafür gibt es mehrere offen- neu anerkennt und von
der Geist in einen hineinfährt.“ sichtliche Gegenargumente.“ etwas Altem unterscheidet.“
„Heiterkeit
im Raum“
U M F R AG E I I I : WO F E H LT E S
A N I N N OVAT I O N ? E I N E
A N T WO R T VO N M A R G OT
K Ä S S M A N N , 57, B OT S C H A F -
T E R I N D E S R AT E S D E R
E VA N G E L I S C H E N K I R C H E
IN DEUTSCHLAND
Margot
Käßmann
Lauter kluge Köpfe: der In-
formatiker Vincent Cerf, der
ehemalige US-Präsident
Jimmy Carter, die Neurolo-
gin Rita Levi-Montalcini
Angeknipst
Weitere Antworten aus unserer Umfrage finden
Sie auf unserer Facebook-Seite unter
www.facebook.com/spiegelwissendasheft.
P E T E R B A D G E P O R T R ÄT I E R T N O B E L P R E I S T R ÄG E R .
„Ich verstehe nicht,
warum die Menschen „WARUM WOLLEN SIE alte Männer fotografieren?“, fragte der 82-jährige Atomphysiker
Hans Georg Dehmelt den Fotografen Peter Badge, als dieser ihn in Los Angeles besuchte.
Angst vor neuen Doch Badge hat gute Gründe: Seit 2001 macht er Bilder von Nobelpreisträgern, will die
Ideen haben. Ich habe Menschen hinter der Wissenschaft sichtbar machen. Die meisten der Fototermine sind
derart entspannt und informell abgelaufen, dass Badge nun auch ein Buch mit anekdoti-
Angst vor den alten.“ schen Berichten über seine „Weltreise“ herausgebracht hat. Man erfährt, dass Desmond
Tutu Football liebt, Doris Lessing eine launische Katze hatte und Jimmy Carter es hasst,
J O H N C AG E
wenn Technik nicht funktioniert. (Peter Badge, Sandra Zarrinabal: „Geniale Begegnun-
gen: Weltreise zu Nobelpreisträgern“. Daab; 576 Seiten; 29,95 Euro)
„Wissensrausch“
GRÜNDERIN HANNAH HURTZIG ÜBER IHRE
„ M O B I L E AC A D E M Y “ , B E I D E R W E LT W E I T E X P E R T E N
U N D P U B L I K U M I N D I A LO G T R E T E N .
PA PIE RE, SPIEGEL: Frau Hurtzig, Sie haben eine Rei- vor Ort und entdecken spezifische Themen:
BITT E! he von Performanceabenden erfunden als
„Schwarzmarkt für nützliches Wissen und
In Liverpool, einer kämpferischen Stadt,
die historisch viele Niederlagen ertragen
Nicht-Wissen“. Inszeniert werden 100 musste, war das Thema „Müll“.
DESIGNER UND Zwiegespräche, Experte und Zuschauer sit- SPIEGEL: Werden die Abende aufge-
F L Ü C H T L I N G E G E S TA LT E N zen sich gegenüber. Warum? zeichnet?
Z U S A M M E N PÄ S S E . Hurtzig: Im Dialog entsteht ein anderer Hurtzig: Wir haben mittlerweile 1000 Ge-
Austausch als bei Vorträgen oder Talk- sprächsmitschnitte in einem Archiv
„WER SICH Integration wünscht, soll- runden. Man muss miteinander gesammelt. Entscheidend ist
te Geflüchtete legitimieren.“ Aus die- verhandeln, hofft auf Ver- aber, was Zuschauer erleben:
sem Gedanken heraus entwickelten De- ständnis, es ist mehr Zeit, Sie navigieren sich selbst
signer der Münchner Agentur Kon- über Missverständnisse durch den Abend, kon-
trastmoment die Idee, zusammen mit und Vorurteile zu spre- struieren quasi eine eige-
Flüchtlingen in einem Kreativwork- chen. Wir beschreiben ne Wissenserzählung.
shop auf eigene Faust Reisepässe zu ge- das oft mit einem Satz SPIEGEL: Warum ist
stalten. Gemeinsam malten sie kleine von Oswald Wiener: „Erst das reizvoll?
Geschichten oder stempelten Parolen als ich hörte, wie du mich Hurtzig: Wahrscheinlich
wie „SOS“ in die gebastelten Reise- verstehst, wusste ich, was weil ein öffentlicher Raum
dokumente. Das Projekt „Servus Refu- ich gesagt hatte.“ Dabei ent- bereitsteht, in dem das loka-
gee“ soll nicht nur Kontakt und Kom- stehen neue Erkenntnisse. le Wissen sich mit Wissen-
munikation fördern, sondern auch sym- SPIEGEL: Passen die jeweiligen schaft und Weltwissen trifft und vo-
bolische Geste sein. Die hat offenbar Themen eigentlich zu den Städten, in de- rübergehend ein kollektiver Wissensrausch
Eindruck gemacht: Für das Projekt be- nen Sie gastieren? entsteht.
kam das Team jetzt den German Design Hurtzig: Wir wollen lokales Wissen sicht- Infos unter mobileacademy-berlin.com oder
Award. bar machen, deshalb suchen wir Experten www.blackmarket-archive.com.
Schönschrift üben
Als Anna-Maria Koy zum ersten Mal die mit der Feder gezeichneten
Schriftzeichen einer Künstlerin sah, hatte sie sofort Lust, das Kalligrafieren
auszuprobieren. Seitdem schreibt sie abends Goldbuchstaben.
NACH EINEM VOLLZEITARBEITSTAG, Häkeldecken, die im Wohnzimmer auf den quellen, sie tingeln von Designmarkt zu De-
unten in der spiegelfassadenglatten Hafen- nächsten Regentag warten. Die Nachricht, signmarkt wie Schausteller über Jahrmärk-
City mit Blick auf die Elbphilharmonie, setzt dass Stiftehersteller in Sonderschichten pro- te. Man kann auf Etsy ganz hervorragend
sich Anna-Maria Koy abends an den Tisch duzieren, weil so viele Deutsche das Ausma- bedruckte Geschirrtücher oder Holzfinger-
in ihrer Hamburger Wohnung, um der Welt len für sich entdeckt haben. Den Strickklub ringe mit Landschaftsmotiven kaufen. Vor
ihre eigene Handschrift zu verpassen. Sie im Wollladen des Vertrauens, der jetzt Knit allem aber kann man auf Etsy ganz hervor-
taucht eine Schreibfeder in Tinte, schwarz Nights anbietet. ragend sehen, dass die Do-it-yourself-Hand-
oder gold, und führt die Hand über das Blatt. Während die Welt digital geworden ist, arbeitskultur längst von einer Gegenbewe-
Koy ist Kalligrafin. wollen wir plötzlich wieder selbst Bier brau- gung zu einem Massenphänomen geworden
Zumindest am Abend. Tagsüber tippt en und selbstgesiedete Seife kaufen. ist. Und dass es nicht nur ums Machen geht,
Koy Buchstaben in ihren Computer. Sie ar- Das ist das Etsy-Paradox. sondern auch ums Nachmachen.
beitet für ein Hochzeitsportal, ist den gan- Und dafür ist auch Lisa Blum-Minkel ver-
zen Tag damit beschäftigt, Bildstrecken zu antwortlich. Blum-Minkel entwickelt Bastel-
durchsuchen und Trends zu entdecken und anleitungen für Zeitschriften. Gerade sitzt
zu prognostizieren, was den Leuten gefällt. sie an einem Projekt für die „Landlust“.
Koy ist 29 Jahre alt und von Selfie-geschul-
ter Schönheit. Sie fotografiert und schreibt „Ausmalen ist WANN IMMER eine Zeitschrift gern eine
einen Modeblog, für den sie sich regelmäßig Strecke hätte mit Filzanhängern oder Strick-
die schönsten Kleider von überall her schi-
Yoga mit pullovern für den Winter, meldet sie sich bei
cken lässt. Koy ist gut darin, die Dinge zu Buntstiften.“ Blum-Minkel. Dann geht Blum-Minkel in
finden, die bald jeder gut finden wird. ihr Atelier und zieht eine ihrer Arbeitsschür-
Auf einer Messe, die sie für ihren Job be- zen an. Sie besitzt eine Schürze zum Nähen,
suchte, sah sie die Kalligrafien einer Künst- eine zum Malen, eine für Dreckarbeiten, wie
lerin und bekam sofort Lust, das auszupro- sie das sagt, und eine gute, auf die sie selbst
bieren. in zögerlicher Schreibschrift „the future is
Es gibt ja den alten Schnack über die mo- Etsy ist ein Onlinemarktplatz für Selbst- female“ gestickt hat. Sie hat sich damals viele
derne Kunst, bei deren Anblick jeder Muse- gemachtes. Das E-Bay des Bastelns, wenn Gedanken gemacht über die hohe Anzahl
umsbesucher denkt: Das kann ich auch! Im man so will, nach dessen Vorbild sich in weiblicher Analphabeten, deshalb sollte die
Bereich der Handarbeiten wird er gerade Deutschland Dawanda gegründet hat. Bei Schrift so unbeholfen aussehen. Und über
immerzu wahr. Etsy trifft alles zusammen – das Selbstge- den Zusammenhang zwischen Feminismus
Immer gibt es die eine Freundin, die ge- machte, das Digitale, die Lust an der Kreati- und Handarbeit denkt sie sowieso nach. So
rade in einem Kurs das Sockenstricken ge- vität und die Zwänge. Wegen dieser E-Com- ist das mit der Schürze, und so ist das auch
lernt hat. Die Mitbewohnerin, die ein Stick- merce-Plattformen geht es bei vielen Sel- mit allem anderen, was Blum-Minkel macht.
set aus dem Bastelladen mit nach Hause bermachern nicht mehr nur um Zeitvertreib, Hinter allem, was sie stickt, steckt eine Ge-
bringt, für den nächsten Fernsehabend. Die sondern auch um Vertrieb, auch wenn we- schichte oder mindestens ein Gedanke.
Bekannte, die sich jetzt Bienen auf dem nige als Verkäufer davon leben können. Vie- Blum-Minkel ist jetzt bald 50 Jahre alt,
Hausdach hält. Die eigenen angefangenen le haben eine ganze Reihe von Einnahme- auch wenn sie sich eine freundliche Mäd-
sich. Eine der Schwestern hat eine Ausbil- Etsy und auf Messen verkaufen. Es sind schö- oder dem Tragen dieser Taschen stillen lässt.
dung zur Sattlerin gemacht, genau wie ihr ne Taschen, aus weichem Leder und mit maren.keller@spiegel.de
Großvater, der Karl Oeltjen hieß und immer durchdachten Riemen. Aber wann immer es
so viele Geschichten zu erzählen wusste, um die Tasche geht – bei Wettbewerben oder
dass die Kunden extra Zeit einplanten, und in Designzeitschriften –, geht es irgendwann
Maren Keller hat den Herbst damit
der sich einen Briefkasten aus einem alten um den Großvater, um das Fortführen von zugebracht, ihrem Pferd eine Ab-
Regenrohr selbst gebaut hat, lange noch be- Traditionen, um die Geschichte hinter dem schwitzdecke aus Islandwolle zu stricken.
W I E S I N D S I E K R E A T I V ?
Mit
Z F OTO
S JA N P
HILIP
erstö
WELC
HE R I NG
r ung
Spotify vs. CD
Wer über FÜNFZIG ist , erinnert sich noch an Plat-
ten, dann kamen Kassetten und der Walkman, dann
CDs, dann MP3 und der iPod – aber inzwischen kann
man getrost alle Tonträger verschrotten. Streaming-
dienste wie Spotify sorgen dafür, dass praktisch die
gesamte Musikgeschichte jederzeit und überall übers
Internet verfügbar ist. Statt fürs Einzelprodukt zahlt
man, wenn überhaupt, fürs Musikabo. Spotify, 2006
gegründet und inzwischen in 60 Ländern verbreitet,
hat derzeit 30 Millionen zahlende Abonnenten.
ANIMATION: Share
Economy - Teilen ist in
spiegel.de/sw022016teilen
Wann nützt ihnen die Veränderung? lohnt es sehr, die türkische Minderheit
zu integrieren. Die psychologische For-
schung hat gezeigt, dass es für den einzel-
Der Evolutionsforscher nen Menschen eine Reihe von Indikatoren
gibt, durch die sich vorhersagen lässt, ob
Jared Diamond rät zur Bereitschaft, jemand mit großen Veränderungen gut
umgehen wird. Aber wie ist das bei Gesell-
von anderen zu lernen. schaften?
SPIEGEL: Das wüssten wir gerne von Ih-
nen.
INTERVIEW THOMAS SCHULZ Diamond: Die Geschichte zeigt, dass die-
jenigen Gesellschaften Herausforderungen
am besten meistern, die bereit sind, von an-
deren Gesellschaften zu lernen. Die Japaner
haben das sehr erfolgreich gemacht.
SPIEGEL: Inwiefern?
SPIEGEL: Herr Diamond, in Deutschland Diamond: Das Land war lange völlig abge-
ist eine erbitterte Debatte darüber entbrannt, riegelt von der Außenwelt. Aber die Japa-
wie unsere Gesellschaft mit den Flüchtlin- ner haben gemerkt, dass sie überrannt wer-
gen umgehen soll, die ins Land strömen. Vie- den würden, wenn sie sich nicht schnell
le sagen: Wir brauchen Immigranten, denn wandeln. Sie haben dann begonnen, sich
nur so kann sich unsere Gesellschaft weiter- das Beste aus der westlichen Welt heraus-
entwickeln. Aber es gibt auch Menschen, die zusuchen, etwa europäische Kleidung und
glauben: Alles muss bleiben, wie es ist, Wan- Militärstrukturen. Und doch haben sie sich
del ist gefährlich. Was lehrt uns die Geschich- nicht wahllos angepasst. Das Gegenteil sind
te der menschlichen Zivilisation? heute die USA: Wandel wird hier gerade
Diamond: Darauf gibt es leider keine ganz nahezu komplett abgelehnt.
eindeutige Antwort. Immigration hat viel SPIEGEL: Das ist erstaunlich, denn Ameri-
mit der Identität eines Landes zu tun. Die ka galt lange als das fortschrittlichste Land
USA zum Beispiel sind schon immer ein Ein- der Welt. Muss man da nicht gerade sehr
wanderungsland gewesen und können da- offen sein für Veränderungen?
mit gut umgehen. Japan dagegen ist stolz Diamond: Die USA versteifen sich zu sehr
PIERRE CROM / GETTY IMAGES, PHOTOCAKE.DE / PLAINPICTURE, STEVE SCHOFIELD / THE GUARDIAN
darauf, sehr homogen zu sein. Und die auf eine Haltung, die sich „American Excep-
Europäer ähneln eher den Japanern. Aber tionalism“ nennt: Wir sind total anders als
diese homogenen Gesellschaften altern nun alle anderen, wir sind außergewöhnlich und
sehr schnell. Das spricht, neben den mora- können deswegen von niemandem etwas
lischen Gründen, für mehr Einwanderung. lernen. Die Deutschen dagegen sind viel
Die Frage ist nur: wie viel? anpassungsfähiger. Nach dem Zweiten Welt-
SPIEGEL: Aber müssen Gesellschaften krieg haben sie das sehr gut gemacht. Das
nicht sogar den Wandel suchen, ist Stagna- habe ich ja hautnah miterlebt.
tion nicht die größte Gefahr? SPIEGEL: Das müssen Sie näher erklären.
JA R E D D I A M O N D Diamond: Ja, aber nur bis zu einem gewis- Diamond: 1961 habe ich in München gelebt
sen Punkt. Mit genau diesem Problem und am Max-Planck-Institut geforscht. Seit-
erforscht den Zusammenhang beschäftige ich mich in dem Buch, an dem dem bin ich Ihrem Land sehr eng ver-
zwischen Natur und Kultur, unter ich gerade schreibe. Der Titel lautet „Krise bunden. Immer wenn ich nach Deutschland
anderem mit Feldstudien in und Wandel“, und es geht um die Frage, wie fahre, nehme ich einen leeren Koffer mit
Neuguinea. In seinem mit einem Nationen mit großen Herausforderungen und fülle ihn mit Andechs-Bier. Und mein
Pulitzer-Preis ausgezeichneten umgehen. Ein Beispiel ist dabei Deutschland Sohn Max ist benannt nach meinem besten
Buch „Arm und Reich“ analysiert nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch Freund in Deutschland. Für mich war im-
er, wie Landschaft und Klima die Finnland zu Beginn des 20. Jahrhunderts mer sehr auffällig, wie Deutschland seine
Entwicklung von Gesellschaften und Japan im 19. Jahrhundert. Vergangenheit viel effektiver aufgearbeitet
determinieren. Diamond, 68, lehrt SPIEGEL: Das sind sehr verschiedene Ge- hat als etwa die Japaner.
heute Geografie an der University sellschaften in sehr verschiedenen Epochen. SPIEGEL: Und das hat die Gesellschaft
of California in Los Angeles. Was vereint sie trotzdem? vorangebracht?
Experimente,
„Wood Shop“, „Staff Only“, ebenso die Geräte
und Schubladen in der Küche, „Dishwasher“,
„Trash Bags“, „Cutlery“. Etwa ein Drittel der
Besucher und Kunden spricht kein oder kaum
bitte!
Deutsch; die Szene ist sehr international.
Das erste Fab Lab wurde 2002 an der Eli-
teuniversität MIT in Cambridge, Massachu-
setts, initiiert, das erste deutsche 2009 an
der Rheinisch-Westfälischen Technischen
Hochschule Aachen. Heute gibt es beinahe
In „Fab Labs“ trifft neueste in jeder größeren Stadt eins. „Was wir hier
machen, hat einen riesigen Einfluss darauf,
Technik auf den alten wie wir in 50 Jahren arbeiten und zusam-
menleben“, sagt Jeschonnek – und bremst
Traum einer besseren Welt. die Erwartungen sofort wieder: „Die deut-
schen Industrieunternehmen haben große
Angst, von der Digitalisierung überrollt zu
TEXT TOBIAS BECKER F OTO S KAI MÜLLER
werden. Die meisten Pläne für komplexe, di-
gital gefertigte Produkte sind aber von der
Marktreife noch weit weg.“
Der größte 3-D-Drucker des Berliner Fab
DIE MENSCHEN, die an der Zukunft bas- Labs druckt gerade die Sitzschale eines
teln, blicken auf die Vergangenheit. Auf eine Stuhls. Bis sie fertig ist, vergehen noch zwei
Backsteinfabrik aus dem 19. Jahrhundert, Tage. 3-D-Drucker sind so etwas wie die Sym-
Industrieromantik. Früher brauten die Ar- bole der Fab-Lab-Bewegung. Ihr Verspre-
beiter der Bötzow-Brauerei auf diesem Ge- chen: Jeder kann zum Produzenten werden.
lände Bier, heute sitzen junge Menschen mit Dank ihnen, so die Idee, bauen Start-ups
Mütze an MacBooks und trinken Club-Mate. nicht mehr nur Websites und Apps, sie bauen
Rote und weiße Designerstühle an schlich- Produkte zum Anfassen. Die Hardware.
ten Schreibtischen, unter der Decke Strick-
girlanden. Willkommen im Fab Lab Berlin, DER PRODUKTDESIGNER Olaf Thiele, 30,
15 Fußminuten entfernt vom Alexander- nutzt das Fab Lab, um an seinem Traum zu
platz im Stadtteil Prenzlauer Berg. arbeiten: einem Maßschuh aus dem 3-D-
Die Abkürzung steht für „Fabrication La- Drucker, einem wirklichen Unikat, aufbau-
boratory“, Fertigungslabor. Ein Ort für Ex- end auf einem Scan und einer Druckpunkt-
perimente. Geschäftsführer ist Wolf Jeschon- messung des Kundenfußes. Das weiße, lab-
nek, 33, ein schlaksiger Mann in Turnschu- berige Modell, das Thiele in Händen hält, er-
hen, grauen Chinos und einem dunkelblauen innert jedoch mehr an eine Socke als an ei-
Troyer, einem Arbeitspulli, wie ihn früher nen Schuh. „Im Moment ist noch nicht plan-
Seemänner trugen. Jeschonnek ist in Flens- bar, wo sich das alles hin entwickelt“, sagt
burg aufgewachsen und hat es als Segler bis er. „Das dauert sicher noch ein paar Jahre.“
in die deutsche Nationalmannschaft ge- 3-D-Drucker sind die wichtigsten, aber
schafft; seine Karriere begann mit einer nicht die einzigen Maschinen in einem Fab
Selbermacher: Wolf Jeschonnek hat selbst gebauten Jolle. Später studierte er Pro- Lab. Es geht, ganz generell, um die Digitali-
Produktdesign studiert und 2013 das duktdesign an der Weißensee Kunsthoch- sierung der Produktion. Im Fab Lab Berlin
Berliner Fab Lab gegründet. Der schule Berlin und reiste nach seinem Diplom gibt es auch Näh- und Strickmaschinen, Fo-
3-D-Drucker (r.) ist so etwas wie das drei Monate durch die USA, von Fab Lab zu lienplotter, Lasercutter, CNC-Fräsen. Mit ei-
Symbol der Do-it-yourself-Bewegung. Fab Lab. 2013 gründete er sein eigenes. ner wird gerade die Frontplatte eines Synthe-
Fab Labs sind die Hobbytheken der Ge-
genwart. Öffentlich zugängliche Hightech-
Werkstätten, die digitale Produktionsanlagen
bereitstellen. Viele von ihnen haben politi- Fab Labs
sche Ziele: Widerstand gegen die Wegwerf-
gesellschaft, Befreiung aus den Klauen der sind lokale Werkstätten, in denen Profis
Großkonzerne mit Do-it-yourself. Selberma- wie Laien computergestützte Maschinen
chen als neue industrielle Revolution. Das nutzen können, zum Beispiel 3-D-Drucker.
Fab Lab Berlin ist weniger linksideologisch. Weltweit gibt es mehr als 360 Fab Labs,
Auf der Firmen-Homepage firmiert Je- in Deutschland über 30. Eine Liste
schonnek als „Founder“ und „Managing Di- findet sich unter www.fablabs.io/labs.
unterzeichnete. Der Ottobock-Inhaber Hans sagt Frank, „das Fab Lab ist ein Paradies für
Georg Näder hat das Gelände der ehemaligen Nerds wie uns.“ Er nickt dem 13-jährigen
Bötzow-Brauerei vor einigen Jahren gekauft Sami zu. Und Sami strahlt.
und erschließt es nach einem Masterplan des tobias.becker@spiegel.de
Stararchitekten David Chipperfield. Wenn al-
les fertig ist, soll es ein öffentliches Schwimm- Tobias Becher schaut gern anderen beim
bad auf dem Gelände geben, eine Brauerei Kreativsein zu. Er ist Theaterkritiker.
WA S WÄ R E D I E W E LT
ganz einfach: eine Fragestellung, eine Hand-
voll Menschen in einem Raum, jeder darf sa-
OHNE ...
gen, was er will, keinerlei Kritik. Und je mehr
Vorschläge, desto besser. Zum Schluss werde
sich in dem Wirrwarr aus Gedanken und Ide-
en stets auch ein Geniestreich finden.
Brainstorming?
Die Methode erschien so einleuchtend,
dass sie mühelos die letzten 70 Jahre über-
stand. Der Siegeszug des Brainstormings als
angeblicher Kreativitätsschleuder ist global,
bei keinem Meeting eines Start-ups darf es
fehlen, kein Volkshochschultreffen ohne.
Dumm nur, dass Dutzende empirischer
Studien, die erste bereits 1958 an der be-
rühmten US-Universität Yale, zu einem er-
nüchternden Ergebnis kommen: Brainstor-
ming in Gruppen bringt nicht viel, je größer
die Zahl der Teilnehmer ist, desto sinnloser
wird es. Wolfgang Stroebe, einer der bedeu-
tendsten deutschen Sozialpsychologen, no-
tierte vor Jahren: „Gruppen generieren im
Brainstorming insgesamt weniger und auch
weniger erfolgreiche Ideen, als würden sich
die Teilnehmer allein Gedanken machen.“
Aber warum das denn? In Gruppen wer-
den eher konventionelle Ideen entwickelt. Vie-
le Teilnehmer sind gehemmt, weil sie Angst
haben, sich vor den anderen lächerlich zu ma-
chen. Gleichzeitig will kaum jemand eine
wirklich originelle Idee mit den anderen tei-
len, da er dann das Copyright daran verlieren
würde. Der Geistesblitz wäre nicht mehr sei-
ner. Und auch das Verbot jeglicher Kritik ist
kontraproduktiv: Ohne Widerspruch entste-
hen kaum wegweisende Ideen, auch das zei-
gen wissenschaftliche Analysen.
EIN BRAINSTORMING, was ist das noch Aber wieso ist Brainstorming trotzdem so
mal? beliebt? Es erfüllt das Harmoniebedürfnis
‣ „Da denken mehrere Leute gemeinsam der Menschen. Zusammen mit anderen ir-
über eine Sache nach, jeder sagt einfach, gendwie kreativ zu sein, das erfreut das Herz
was ihm so in den Kopf kommt.“ der meisten Büroarbeiter und fühlt sich gut
‣ „Ein wildes Sammeln von Einfällen, das an. Danach denkt jeder, dass man toll etwas
helfen kann, neue Ideen zu entwickeln.“ geschafft habe, mag das Gesamtergebnis
‣ „Eine aufgesetzte Diskussionsrunde, in der noch so klein sein.
oft nur gelabert wird, nett, aber sinnlos.“ Gehört das Brainstorming also ausgemus-
OLIVER SCHWARZWALD / SPIEGEL WISSEN
‣ „Meist hat niemand Lust dazu, aber der tert, weg in die Ablage „Mythen von gestern“?
Chef will es.“ Nein. Denn ein Brainstorming hilft durchaus:
So, das war ein kleines Brainstorming Es verbessert das soziale Klima in einer Grup-
zum Thema Brainstorming. pe. Auch das kann die Wissenschaft beweisen.
Aber wer hat’s eigentlich erfunden? Der Wir müssen also nur ehrlich sagen, was
amerikanische Werbefachmann und Autor wir mit einem Brainstorming erreichen wol-
Alex Osborn. Der Partner der New Yorker len: Die Kreativität fördern? Welch ein
Werbeagentur BBDO veröffentlichte 1948 Quatsch. Die Atmosphäre unter den Kollegen
das Buch „Your Creative Power“, womit er verbessern? Wunderbar. JOACHIM MOHR
FOTOCREDIT LINKS
S T R U K T U R WA N D E L
für Frauen mit Vätern wie meinem angebo- Ruine statt einer Wohnung in Berlin suchen
ten. „Frauen-Power pur“ werden sie bewor- sollte. Oder ich könnte meine Dienste an-
ben. „Alles allein hinbekommen – dank der bieten. Bei anderen Leuten alles vollfliesen,
Workshops für Frauen, die sich trauen.“ Flie- bis das Gerümpel in meinem Kopf quasi
senlegen ist im Angebot. Ich weiß zwar nicht, weggekachelt ist. Mich macht dieses Erleb-
was Fliesenlegen für Frauen, die sich trauen, nis sehr froh. Froh und heiter. Ich freue
sein soll. Vielleicht heißt das ja, dass wir die mich, etwas gelernt zu haben.
Fliesen mit Eierlikör ankleben und jedes Mal, SILKE BURMESTER Nur andere scheinen noch mal einen
wenn eine sitzt, „Stößchen!“ rufen, aber ir- Kurs machen zu müssen. Zwei Herren vom
gendwo muss man ja mal anfangen. stöbert in den Ecken und Nischen des Baumarkt. Sie kommen vorbei und wollen
Tatsächlich gibt es Sekt. Rotkäppchen, deutschen Alltags. Hier schreibt sie „mal gucken“. Ja, und natürlich den einen
halbtrocken. Bloß nicht zu viel Staub in die regelmäßig über ihre interessantesten oder anderen Spruch loswerden. Über Frau-
Kehle kriegen. Das ist es dann aber auch an Entdeckungen. en und Handwerk. Ho, ho, ho.
I M P R E SS U M
SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein
1
GmbH & Co. KG
Ericusspitze 1,
20457 Hamburg
TELEFON (040) 3007-0, -2700 (Kundenservice)
TELEFAX (040) 3007-2246 (Verlag),
(040) 3007-2247 (Redaktion)
E-MAIL spiegel@spiegel.de
MATTHIAS SCHMIEDEL / SPIEGEL WISSEN, FRANCESCO GUIDICINI / CAMERA PRESS / DDP IMAGES, MARC SCHÄFER / DPA, DAGMAR SCHWELLE / LAIF
VERANTWORTLICH FÜR ANZEIGEN
Dr. Michael Plasse
ANZEIGENOBJEKTLEITUNG
Johannes Varvakis
VERANTWORTLICH FÜR VERTRIEB
Stefan Buhr
ZEIT FINDEN
DRUCK appl druck GmbH, Wemding
OBJEKTLEITUNG Manuel Wessinghage
GESCHÄFTSFÜHRUNG Thomas Hass Statt Hetze, Eile, Zeitnot: im eigenen Rhythmus leben
© SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH &
Co. KG, Mai 2016 ISSN 1868-4378
und arbeiten. Wie das im Alltag gelingt,
was sich gesellschaftlich ändern muss, davon handelt
die nächste Ausgabe.
Abonnementbestellung
Coupon bitte ausschneiden
und im Briefumschlag senden an: LANGSAMKEIT ÜBEN: Im Brotbackkurs lernt man Rezepte – und Geduld [1]
SPIEGEL-Verlag,
Abonnentenservice,
20637 Hamburg „CAFÉ ZIFERBLAT“: Hier zahlt man nicht nach Verzehr, sondern nach Verweildauer [2]
oder per Fax (040) 3007-3070,
Ich bestelle SPIEGEL WISSEN zum Vorzugspreis DIE ZEIT ZUM TANZEN BRINGEN: Warum Nachtleben so wichtig für Großstädte ist [3]
von zurzeit € 7,10 pro Ausgabe
statt € 7,80 im Einzelkauf. Ich kann den Bezug
jederzeit zur nächsterreichbaren Ausgabe DER MÜSSIGGÄNGER: Tom Hodgkinson hat aus der Faulheit eine Karriere gemacht [4]
kündigen. SPIEGEL WISSEN erscheint sechsmal
im Jahr.
Bitte liefern Sie SPIEGEL WISSEN an:
130
Alle bisher erschienenen Ausgaben erhältlich
unter: amazon.de/spiegel
Noch mehr
Wissen!
Bestellen Sie
jetzt unter:
amazon.de/
spiegel
01/16 Ich bin ich – … und das ist gut so: Mut zum eigenen Weg 06/15 Erfüllt leben – 05/15 Weniger ist mehr –
Meine Werte, mein Glaube, Wege aus Überfluss und
mein Glück Überforderung
04/15 Gelassenheit – 03/15 Versteh mich nicht 02/15 Bewegung – 01/15 Richtig scheitern –
Die Kunst der Seelenruhe falsch! – Erfolgreiche Fit bleiben, Spaß haben, Wie Niederlagen zum Erfolg
Kommunikation in der Liebe, länger leben führen können
im Beruf, in der digitalen Welt
www.spiegel-wissen.de
LANSERHOF GOES
KITZBÜHEL
Das erfolgreiche LANS Med Concept bekommt für
kurze Zeit eine neue Heimat: Von Mai bis November
wird das Gesundheitsresort in Lans erneuert und
erweitert. Erleben Sie in dieser Zeit das Team aus Lans
im Hotel Schwarzer Adler im traumhaften Kitzbühel.
Modernste Medizin verbunden mit traditionellen
Naturheilverfahren an einem der schönsten Orte der
Alpen. Sieben Übernachtungen im Doppelzimmer
inkl. medizinischen Basispakets ab 2.391 EUR p.P.