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Intrazerebrale Blutung (ICB)

Ätiologie

Die ätiologische Zuordnung ist u.a. wichtig für die Rezidiv- bzw. Sekundärprophylaxe .

• Spontane ICB

-Arterielle Hypertonie (ca. 35%, häufigste Ursache bei Patienten zw. 40–70 Jahre)

-Zerebrale Amyloidangiopathie (ca. 20%, häufigste Ursache bei Patienten >70 Jahre [1])

-Hämorrhagische Diathese

• Iatrogen (Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmung) (ca. 15%)


• Andere systemische Gerinnungsstörungen (ca. 5%)

-Gefäßfehlbildungen (ca. 5%, häufigste Ursache bei Patienten <40 Jahre)

-Sonstige Ursachen

• Tumoren (sekundäre Einblutungen)


• Ischämien (sekundäre Einblutungen)
• Intoxikation (insb. Kokain, Amphetamine)
• Vaskulitis

Unbekannte Ursache (kryptogen, ca. 20%)

• Nicht-spontane ICB (traumatische ICB)


• Im Rahmen schwerer Schädel-Hirn-Traumata (SHT)

Symptome/Klinik

• Meist plötzlich auftretende Symptomatik


• Defizite abhängig von Ort und Größe der Blutung

-Stammganglien

• Kontralaterale Hemiparese
• Konjugierte Blickdeviation zur Läsionsseite (sog. Déviation conjuguée)
• Aphasie (wenn dominante Hemisphäre betroffen)
• Homonyme Hemianopsie

-Thalamus

• Vigilanzminderung
• Kontralaterale sensomotorische Hemisymptomatik
• Vertikale Blickparese

-Kleinhirn: Erbrechen, Ataxie, Schwindel, Spontannystagmus, Dysarthrie


-Pons

• Koma und Tetraparese


• Kontralaterale Hemisymptomatik
• Isolierte Hirnnervenausfälle und/oder gekreuzte Hirnstammsyndrome

-Lobärblutung: Symptomatik abhängig von Ausdehnung und betroffenem Lappen

• Fokale sensible oder motorische Defizite


• Häufiger epileptische Anfälle
• Okzipital: Kontralaterale homonyme Hemianopsie
• Kopfschmerzen
• Epileptische Anfälle
• Progression der Symptomatik infolge Hämatomausdehnung möglich

Eine sichere klinische und anamnestische Unterscheidung zwischen einer intrazerebralen Blutung und
einem ischämischen Schlaganfall ist nicht möglich!

Diagnostik

Akutbildgebung

CT des Kopfes (Goldstandard)

Allgemeines: Sensitivität nahezu 100%

Akute Blutung

Hyperdense, meist rundliche intrazerebrale Raumforderung (50–70 HU)

Weitere mögliche Befunde

• Perifokales Ödem um Blutung (hypodens)


• Ggf. mit Zeichen der Raumforderung (Mittellinienverlagerung, Kompression der Ventrikel)
• Ventrikeleinbruch (Spiegelbildung im Hinterhorn)
• Liquorzirkulationsstörung
• Hinweise auf ein Trauma (z.B. Kalottenfraktur)

Subakute Blutung (nach einer Woche)

• Verkleinerung des hyperdensen Areals zugunsten eines zunehmenden hypodensen Saumes


• Rückbildung eventueller Raumforderungszeichen

Chronische Blutung (nach etwa sechs Wochen)

• Hypodenses Residuum
• Ggf. kleine Verkalkungen oder Substanzaussparungen

Verlaufskontrolle

• Bei klinischer Verschlechterung


• Bei klinischer Stabilität nach hausinternen Leitlinien
MRT des Kopfes

• Allgemeines: In Akutdiagnostik dem CT diagnostisch gleichwertig


• Nachteil: Längere Untersuchungsdauer, Patienten-Monitoring eingeschränkt und aufwändiger
• In der Diagnostik von Mikroblutungen (<10 mm) und chronischen Blutungen
dem CT überlegen (suszeptibilitätsgewichtete Sequenzen)

Labordiagnostik

• Blutbild, Gerinnung (PTT, INR, TZ), Elektrolyte, Nierenretentionswerte, Leberparameter,


Blutzucker
• Thrombozytenfunktionstest (bei Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern)
• Substanzspezifische Anti-Xa-Aktivität (bei Einnahme neuer oraler Antikoagulantien)
• Ggf. Vaskulitisserologie (im Verlauf)

Differentialdiagnosen

• Ischämischer Schlaganfall
• Subarachnoidalblutung

Die wichtigste Differentialdiagnose der intrazerebralen Blutung ist der ischämische Schlaganfall.

Die Unterscheidung in der Akutsituation mittels Bildgebung ist aufgrund der unterschiedlichen
Therapiestrategien von außerordentlicher Bedeutung!

Die hier aufgeführten Differentialdiagnosen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Therapie

Konservative Therapiemaßnahmen

Intrazerebrale Blutung - Überwachung und Stabilisierung

-Aufnahme auf Stroke-Unit oder Intensivstation

-Kontinuierliche (intensivmedizinische) Überwachung und bedarfsgerechte Versorgung

• Atemwegsmanagement: Spätestens bei Vigilanzminderung sollte


der Atemweg durch Intubation gesichert und eine maschinelle Beatmung eingeleitet werden
• Venöse Zugänge: Mindestens 2 periphere Venenzugänge, ggf. ZVK-Anlage
• Kontinuierliches Monitoring: (Arterielle) Blutdruckmessung, Pulsoxymetrie, EKG, ggf. EEG, ggf.
ICP über Parenchymsonde
• Stündliches Monitoring: Pupillomotorik, fokale Defizite, Vigilanz, Körpertemperatur,
Urinausscheidung

-Schmerztherapie, je nach Schmerzstärke Paracetamol oder Opioide, etwa Piritramid

-Neuroprotektive Basismaßnahmen

• Normoglykämie -Fiebersenkung mit dem Ziel der Normothermie (<37,5°C)

-Ggf. Stressulkusprophylaxe (etwa bei Beatmung >48 Stunden, Sepsis, Nierenversagen)


Intrazerebrale Blutung - Blutdrucksenkende Therapie

-Frühzeitige Blutdrucksenkung: Zielwert systolischer Druck <140 mmHg

-Kurzwirksame i.v. Medikation (gute Steuerbarkeit)

• Keine Gabe von Nitraten


• Nach Stabilisierung (überlappende) Umstellung auf orale Antihypertensiva

Normalisierung der Gerinnung bei Therapie mit Antikoagulantien

-Absetzen der Antikoagulation bzw. der Thrombozytenaggregationshemmer

-Normalisierung der Gerinnung bei bestehender Gerinnungsstörung bzw. vorheriger Therapie


mit Antikoagulantien

• Vitamin-K-Antagonisten und erhöhter INR: Vitamin


K und Gerinnungsfaktorenkonzentrat PPSB oder Blutplasmatransfusion
• Ziel-INR: ≤1,2
• Keine prokoagulatorischen Substanzen (etwa rFVIIa) bei spontaner ICB

Hirndrucktherapie

-Faktoren für Hirndrucksteigerung

• Hämatom
• Perifokalödem
• Ggf. Hydrozephalus
• Ggf. sekundäre Ischämien

-Indikation: Intrakranieller Druck (ICP) >20 mmHg

-Maßnahmen

• Oberkörperhochlagerung um 30°
• Suffiziente Analgosedierung
• Osmotische Hirndrucktherapie (Glycerin -Mannitol ) Kontrolle: Serumosmolarität 2×/Tag
(Zielwert: 300–320 mOsm)
• Externe Ventrikeldrainage (EVD) bei Hydrozephalus
• Zieldruck 15–20mmHg
• Durchführung: Operative Anlage in Vorderhorn eines Seitenventrikels
• Messung des intrakraniellen Drucks über integrierten Druckwandler
• Komplikation: Hohes Risiko für Ventrikulitis und/oder Meningitis von mind. 5%
• Hyperventilation
• Hyperventilation → pCO2↓ → Zerebrale Gefäße kontrahieren → Cerebral Blood Pressure (CBP)↓
und Cerebral Blood Volume (CBV)↓ → ICP↓
• Bei intrazerebraler Blutung unzureichend untersucht, nur vorübergehend mit Ziel-pCO2 30–35
mmHg möglich
• Hypothermie
• Hämatomevakuation (s.u.)
• Nicht empfohlen: Dexamethason

Operative Therapie (Hämatomevakuation)
-Immer eine Einzelfallentscheidung

-Faktoren für den Entscheidungsprozess: Lokalisation und Ausmaß der Blutung, Ventrikeleinbruch,
Vigilanz, Alter, Begleiterkrankungen

Thromboseprophylaxe
• Frühe Mobilisierung
• Medikamentöse Thromboseprophylaxe
• Niedermolekulare Heparine
• Unfraktionierte Heparine (PTT-Kontrolle)
• Heparinoide
• Alternativ: Intermittierende pneumatische Kompression bei immobilen Patienten (in Deutschland kaum
verbreitet)

Komplikationen

Intraventrikuläre Blutung (IVH, Ventrikeltamponade)

• Häufigkeit: Häufig (bis zu 50% der Patienten mit ICB)


• Klinik: Kopfschmerzen, Erbrechen, Vigilanzminderung
• Diagnostik: cCT, ggf. MRT
• Komplikationen
1. Behinderung des Liquorabflusses → Hydrocephalus occlusus
2. Arachnoiditis → Hydrocephalus malresorptivus
• Therapie: Bei Hydrocephalus externe Ventrikeldrainage bzw. langfristig ventrikuloperitonealer
Shunt
• Prognose: Schlechteres Outcome und höhere Mortalität als bei ICB ohne Ventrikeleinbruch

Sonstige Komplikationen
• Pneumonie
• Blutungsbedingte Schluckstörungen mit Aspiration von Speichel oder Nahrung: Risikofaktor für
• Epileptische Anfälle (etwa 10%)
• Keine medikamentöse Prophylaxe empfohlen
• EEG bei unklarer Vigilanzminderung oder -schwankung bzw. kontinuierliches EEG-Monitoring bei
analgosedierten Patienten
• Antikonvulsive Therapie bei Bedarf
• Akuttherapie: Benzodiazepine
• Dauertherapie: Levetiracetam, Valproat, ggf. Phenytoin
• Kardiale Komplikationen
• Herzrhythmusstörungen
• Herzinfarkte

Gh.Z 27.06.2019

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