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Wasser ist durch Nitrat und Pestizide aus der Landwirtschaft belastet

Es besteht Handlungsbedarf!
Um die qualitativen Schutzziele für die Schweizer Oberflächengewässer, das Grund- und das Trinkwasser zu
erreichen, besteht grosser Handlungsbedarf. Die Ziele (in Verfassung, Gewässerschutzgesetz/-verordnung
(GSchG/GSchV) sowie Trink-/Bade-/Duschwasserverordnung (TBDV)) geben der Vorsorge grosses Gewicht. Das
Ziel «keine nachteiligen Einwirkungen auf die Lebensgemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Mikroorganis-
men» wurde in der GSchV für organische Pestizide (Biozidprodukte und Pflanzenschutzmittel (PSM) mit dem
Anforderungswert von 0,1 µg/L pro Einzelstoff verdeutlicht. Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird,
darf «nach Anwendung einfacher Aufbereitungsverfahren» die Höchstwerte der TBDV für Pestizide (0,1 µg/L
pro Einzelstoff; 0,5 µg/L für die Gesamtkonzentration) nicht überschreiten. Die Einführung von Umweltquali-
tätsstandards (EQS-Werte), die Rücksicht nehmen auf die ganz unterschiedliche Toxizität der Stoffe, ist geplant.
Doch sowohl der aktuell gültige Anforderungswert als auch EQS-Werte werden in Schweizer Gewässern regel-
mässig und langanhaltend überschritten.

Beeinflusst die Landwirtschaft die Schweizer Was- • Untersuchungen der Eawag und des Ökotox-
serqualität? zentrums an kleinen Bächen in landwirtschaft-
Ja, der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln führt zur lich genutzten Gebieten fanden in mehreren
Belastung von Oberflächengewässern mit Wirk- Jahren im Schnitt während 70% der Messperi-
stoffen in Konzentrationen, die ökotoxikologische ode Konzentrationen von Pflanzenschutzmit-
Risiken darstellen. Negative Effekte auf Fortpflan- teln über dem Anforderungswert der GSchV
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zung, Entwicklung und Gesundheit von Pflanzen, von 0,1 µg/L.
Tieren und Mikroorganismen müssen befürchtet • Auch differenzierte Umweltqualitätskriterien,
werden. welche (anders als der zurzeit noch gültige,
pauschale Wert der GSchV) die unterschiedli-
Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, vor allem
che Toxizität der Stoffe berücksichtigen, wur-
ihre Abbauprodukte, treten auch im Grundwasser
den im Schnitt über zwei Drittel der Untersu-
in Konzentrationen über dem Anforderungswert 2
chungsperiode überschritten. Zeiten ohne
von 0,1 µg/L auf. Je höher der Anteil Ackerland im
oder mit tiefer Belastung, in denen sich die
Einzugsgebiet, desto höher die gemessenen Kon-
Organismen erholen könnten, fehlen.
zentrationen und desto zahlreicher die Überschrei-
• Je höher der Anteil an PSM-intensiven Kultu-
tungen des Anforderungswerts - in ackerbaulich
ren im Einzugsgebiet ist, umso geringer das
intensiv genutzten Gebieten an über 70% der 34
Vorkommen an empfindlichen Arten • •
Messstellen.
• Mit PSM belastet sind vor allem kleine Bäche.

In 45% der nationalen Grundwassermessstellen mit Diese machen bezogen auf die Gewässerlänge

Bodennutzung Ackerbau (in 14% bei Grasland) wird rund 75% des Schweizer Gewässernetzes oder

der Nitrat-Zielwert von maximal 25 mg (NO3 -) pro 48'000 Kilometer aus.


Liter nicht eingehalten. • Die im Grundwasser festgestellten Konzentra-
tionen von PSM sind bisher für Konsumenten
In Bezug auf Antibiotika sind erst wenig Daten unbedenklich. Humantoxikologische Richtwer-
verfügbar. Es werden sowohl in Oberflächenge- te der Weltgesundheitsorganisation WHO lie-
wässern als auch im Grundwasser Antibiotika und gen meist 1-3 Grössenordnungen darüber.
resistente Bakterien oder Resistenz-Gene gefun- Dennoch sind PSM im Trinkwasser uner-
den, auch Mehrfachresistenzen. Welche Anteile wünscht und Verunreinigungen bleiben auf
aus Kläranlagen und welche aus der Landwirtschaft Grund der langen Aufenthaltszeiten im
kommen, ist offen. Grundwasser lange bestehen. Eine (bei Über-

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schreitung der Höchstwerte der TBDV nötige) stanzen, die dank moderner Analytik messbar sind,
Aufbereitung des Grundwassers ist teuer und aber in den heute auftretenden Konzentrationen
für viele sehr kleine Wasserversorger kaum zu nicht als problematisch eingestuft werden müssen.
leisten. Ausserdem können PSM-Rückstände
bei der Desinfektion problematische, z.B. Wurde in den bisherigen Untersuchungen zu den

krebserregende Reaktionsprodukte bilden. Ak- P11anzenschutzmitteln alles erfasst?

tuell muss 1/3 des Rohwassers gar nicht auf- Nein. Die meisten Routinemessungen der Kantone

bereitet, 1/3 mit einfachen Methoden desinfi- können nur den kleineren Teil des Spektrums der

ziert und 1/3 mehrstufig aufbereitet werden zugelassenen Wirkstoffe abdecken. Spezialkam-

(v.a. Seewasser). pagnen erfassen mehr: Die Eawag und das Ökotox-
zentrum haben 2017 in fünf untersuchten Bächen
Stammen die Stoffe auch aus dem Siedlungsge- 181 Stoffe untersucht und 145 nachgewiesen.
biet, z.B. von Bauten oder aus Privatgärten? Einige Stoffe sind bezüglich Probenahme und Ana-
Biozide -teilweise mit denselben Wirkstoffen wie lytik sehr schwer messbar und sind momentan
in PSM - können auch aus dem Siedlungsgebiet noch nicht erfassbar. Für weitere wurden erst
stammen. Ihr Anteil am Stoffgemisch in den Ge- kürzlich neue analytische Methoden entwickelt.
wässern ist aber deutlich geringer als derjenige aus Dazu zählen die Pyrethroide, synthetische, hoch-
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der Landwirtschaft. Nur für wenige Einzelstoffe wirksame Insektizide. Die gemessenen Konzentra-
und sehr lokal liegt der Eintrag via Siedlungsent- tionen erhöhen das Risiko (zum Beispiel für eine
wässerung und Kläranlagen in einer vergleichbaren beeinträchtigte Fortpflanzung) für wirbellose Tiere
Grössenordnung wie für die diffusen Einträge aus um einen Faktor 5 - 10. Zudem hat sich gezeigt,
der Landwirtschaft. dass bisher als unkritisch (,,nicht relevant") einge-
stufte Ab- oder Umbauprodukte toxische Risiken
• Bezogen auf die Länge des Gewässernetzes ist bergen und einige Stoffe sich auch im Sediment
die Landwirtschaft dominant: 8% der Schwei- von Gewässern und in den Organismen anreichern.
zer Bäche sind von Kläranlagen beeinflusst,
30% von Acker- und Obstbau und 90% von Sind die im Biolandbau zugelassenen Pflanzen-
Grünlandflächen (ein Einzugsgebiet vereint schutzmittel unproblematisch?
meistens mehrere Landnutzungen - daher Nein, auch für den Biolandbau zugelassene Wirk-
liegt die Summe der Beeinflussungen über stoffe können im Gewässer negative Effekte auslö-
100%). Auch die Artenvielfalt wird deutlich sen. In der Regel werden aber die natürlichen
stärker von Stoffen aus der Landwirtschaft be- Pflanzenschutzmittel schneller und ohne proble-
einflusst als von organischen Verunreinigun- matische Umbauprodukte abgebaut als syntheti-
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gen aus Kläranlagen. sche Stoffe. Eine Ausnahme stellt Kupfer dar, wel-
• Um die Situation unterhalb von Kläranlagen im ches nicht abbaubar ist. Kupfer wird jedoch sowohl
Sinne der erweiterten Vorsorge zu verbessern im biologischen also auch (in grösseren Mengen)
werden in den kommenden Jahrzehnten 1,4 im konventionellen Landbau eingesetzt.
Mrd. CHF investiert in den Ausbau der Abwas-
Könnte ein konsequenterer Vollzug das Problem
serreinigung mit einer zusätzlichen Stufe ge-
lösen?
gen alle Arten von organischen Mikroverun-
Sowohl die Stickstoff- als auch die Pflanzenschutz-
reinigungen einschliesslich PSM.
mittelproblematik sind keine lokalen oder regiona-
Was sagen die Tonnenzahlen der eingesetzten len Einzelfälle und können nicht auf ein Vollzugs-
Mittel über die Risiken? problem reduziert werden. Landwirte sollten sich
Die eingesetzte Menge eines Wirkstoffs sagt nichts darauf verlassen können, dass bei fachgerechtem
über seine Toxizität und das entstehende Risiko Einsatz zugelassener PSM keine Gewässerbelas-
aus. Es gibt Stoffe, zum Beispiel gewisse Insektizi- tung entsteht. Das ist aber nicht so. Bei gewissen
de, die Gewässerorganismen bereits in Konzentra- Massnahmen (z.B. rechtskräftige Ausscheidung von
tionen von Picogrammen (Billionstel Gramm) pro Schutzzonen um Trinkwasserfassungen oder von
Liter schädigen können, bei anderen liegt diese Gewässerräumen entlang von Bächen) bestehen
Schwelle millionenfach höher. Es gibt auch Sub- jedoch tatsächlich Rückstände im Vollzug.

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• Gemäss einer Studie der Uni Neuchâtel kommt Ersatzstoffes führt, der unter Umständen noch
es zu grossräumiger Verdriftung der Wirkstof- problematischer ist.
fe. So finden sich Neonicotinoide (Insektizide,
die vermutlich für den Rückgang der Bienen Welche Massnahmen sind nötig?

mitverantwortlich sind) auch auf über 80% der Die eingeleiteten Massnahmen (Aktionsplan Pflan-

ökologischen Ausgleichsflächen und auf Fel- zenschutzmittel, AP22+) gehen in die richtige Rich-

dern, die biologisch bestellt werden.


6 tung, aber es besteht weiterer Handlungsbedarf,
insbesondere, weil Massnahmen noch nicht ver-
• Bei der Zulassung von PSM wurden bisher
bindlich festgelegt und die dafür nötigen Ressour-
gewisse Eintragspfade nicht berücksichtigt,
cen noch nicht gesichert sind. Zudem erfüllen
etwa, dass Wirkstoffe über Drainagen sehr
selbst die gesetzten Ziele (zum Beispiel im Aktions-
rasch in die Bäche gelangen können.
plan Pflanzenschutzmittel) die gesetzlichen Anfor-
• Mehrfachbelastungen im Verlauf der Saison
derungen noch nicht!
und additive Effekte durch Pestizidmischungen
werden bei der Zulassung kaum berücksichtigt.
Es gibt zusätzliche Handlungsmöglichkeiten, die
• Für die Beurteilung der Gewässerqualität wer- noch nicht ausgeschöpft sind, z.B.:
den in der Regel Mischproben über mehrere
Tage bis Wochen gesammelt. Damit werden • Einbezug von Stoffen, die in besonders niedri-
die Konzentrationsspitzen gar nicht erfasst. gen Konzentrationen bereits toxisch sind, in
Die trotzdem über praktisch die ganze Vegeta- die routinemässigen Gewässerbeurteilungen
tionszeit gemessenen hohen PSM- und Erarbeitung von Vorsorgemassnahmen
Konzentrationen legen nahe, dass es sich um • Berücksichtigung von Drainagen und Mehr-
ein flächiges und andauerndes Problem han- fachbelastungen im PSM-Zulassungsverfahren
delt und die Risiken nicht, jedenfalls sicherlich • Verbesserung der landwirtschaftlichen Bera-
nicht einzig, auf einzelne ,,Unfälle" (z.B. eine tung und deren Finanzierung
falsche Handhabung beim Auswaschen von • Verbindliche Umsetzung des Prinzips der Ge-
Geräten) zurückzuführen sind. wässerabstände und des maximal extensiv ge-
• Hohe Risiken bestehen nicht nur in besonders nutzten Gewässerraums.
intensiv genutzten Gebieten oder dort, wo • Verstärkte Förderung einer standortgerechten
Spezialkulturen wie Reben, Beeren oder Obst Landwirtschaft (insbesondere in Bezug auf Bo-
angebaut werden. Aufgrund der vorliegenden den- und Grundwasserhydrologie und Nähe
Messungen und der Landnutzung ist davon der Kulturen zu Gewässern)
auszugehen, dass es im Schweizer Mittelland • Verstärkte Förderung des Biolandbaus und des
in rund 13'000 Kilometern Bachläufen zu ökologischen Ausgleichs
ökotoxikologisch kritischen Konzentrationen
von PSM oder PSM-Abbauprodukten kommt.

Könnte ein Verbot von besonders problemati-


schen Wirkstoffen das Problem lösen?
Anlass zu dieser Zusammenstellung geben die
• Den Einsatz von besonders problematischen
beiden Volksinitiativen ,,Trinkwasser-Initiative" und
Stoffen vom Direktzahlungssystem auszu-
,,Pestizidverbots-lnitiative". Die Eawag gibt jedoch
schliessen oder ganz zu verbieten, wäre ein
als unabhängige Forschungsstelle keine Empfeh-
Schritt in die richtige Richtung. Im Pestizid-
lungen zu diesen Begehren ab. Ob, wo und wie die
Paket für die Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) ist
beiden Initiativen zu Verbesserungen der Wasser-
das angedacht, aber noch nicht verbindlich
und Gewässerqualität führen würden, ist mit dem
festgelegt. Die Untersuchungen der Eawag ha-
aktuellen Wissensstand schwer abzuschätzen.
ben allerdings gezeigt, dass nicht nur wenige,
Auswirkungen bei einer Annahme der Initiativen
sondern über 30 Stoffe zu Risiken führen und
wären abhängig von der Art ihrer Umsetzung, aber
dass sich die Stoffpalette von Jahr zu Jahr auch
auch von weiteren Faktoren wie dem Verhalten
am gleichen Bach stark verändern kann. Zu-
der Konsumentinnen und Konsumenten und der
dem muss sichergestellt werden, dass ein Ver-
internationalen Agrarpolitik.
bot des einen Stoffes nicht zur Nutzung eines

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Definitionen

Pestizide: Sammelbegriff für Pflanzenschutz- Biozide: schützen Gebäude und Materialien


mittel und Biozide vor schädlichen Organismen (Desinfektions-
mittel, Rattengift, Holzschutzmittel, Fassaden-
Pflanzenschutzmittel (PSM): schützen Pflan- schutz etc.). Es gibt Substanzen die sowohl als
zen und werden vor allem in der Landwirt- Biozid als auch als PSM zugelassen sind.
schaft eingesetzt, aber auch im Garten. PSM
umfassen Herbizide, Insektizide, Fungizide, PSM-Rückstände: Damit bezeichnen wir die
Algizide und Moluskizide als wichtigste Grup- Wirkstoffe selbst aber auch Abbauprodukte
pen, also Mittel gegen unerwünschte Pflanzen (Metaboliten), von denen einige auch ökoto-
(,,Unkräuter"), Insekten, Pilze, Algen und
xisch wirken.
Schnecken.

Für Rückfragen: Dr. Christian Stamm, Stv. Leiter Abteilung Umweltchemie, +41 58 765 5565;
christian.stamm@eawag.ch

1
Anhaltend hohe PSM-Belastung in Bächen; Spycher et al., Aqua & Gas 4/2019:
https://www.eawag.ch/fil ea dm in/Doma in 1/N ews/2019/04/02/fa spych er psm belastu ng. pdf
2
Ökotoxikologische Untersuchungen: Risiko von PSM bestätigt; Junghans et al. Aqua & Gas 4/2019:
https ://www .eawag.ch/fil ead min/Doma in 1/N ews/2019/04/02/fa j unghans oekotoxikologische untersuch ung
en.pdf
3
Agriculture versus wastewater pollution as drivers of macro invertebrate community structure in streams;
Burdon, Munz et al. 2019, Science of the Total Environment, 659, 1256-1265,
www.doi.org/10 .1016/j.scitotenv .2018.12.372
4
Insektenschwund in der Schweiz und mögliche Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft; Faktenblatt Akademien
der Wissenschaften Schweiz, 2019: https://naturwissenschaften.ch/service/publications/112969-
insektenschwund-in-der-schweiz-und-moegliche-folgen-fuer-gesellschaft-und-wirtschaft
5
Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern aus diffusen Einträgen; Braun Ch., Gälli R. et al. 2015. Bundesamt
für Umwelt, Bern. Umwelt-Zustand Nr. 1514:
https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/wasser/uz-umwelt-
zu-
sta n d/m ikroveru n rein igungen infl iessgewaesserna usdiffuseneintraegen .pdf .download .pdf/m ikroverun rein igung
en infl iessgewa esserna usd iffusen e intra egen. pdf
6
A nation-wide survey of neonicotinoid insecticides in agricultural land with implications for agri-environment
schemes; Humann-Guilleminot et al., Journal of Applied Ecology; 30 March 2019,
https://doi.org/10.llll/1365-2664.13392

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