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2019 16 :18
Wasser ist durch Nitrat und Pestizide aus der Landwirtschaft belastet
Es besteht Handlungsbedarf!
Um die qualitativen Schutzziele für die Schweizer Oberflächengewässer, das Grund- und das Trinkwasser zu
erreichen, besteht grosser Handlungsbedarf. Die Ziele (in Verfassung, Gewässerschutzgesetz/-verordnung
(GSchG/GSchV) sowie Trink-/Bade-/Duschwasserverordnung (TBDV)) geben der Vorsorge grosses Gewicht. Das
Ziel «keine nachteiligen Einwirkungen auf die Lebensgemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Mikroorganis-
men» wurde in der GSchV für organische Pestizide (Biozidprodukte und Pflanzenschutzmittel (PSM) mit dem
Anforderungswert von 0,1 µg/L pro Einzelstoff verdeutlicht. Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird,
darf «nach Anwendung einfacher Aufbereitungsverfahren» die Höchstwerte der TBDV für Pestizide (0,1 µg/L
pro Einzelstoff; 0,5 µg/L für die Gesamtkonzentration) nicht überschreiten. Die Einführung von Umweltquali-
tätsstandards (EQS-Werte), die Rücksicht nehmen auf die ganz unterschiedliche Toxizität der Stoffe, ist geplant.
Doch sowohl der aktuell gültige Anforderungswert als auch EQS-Werte werden in Schweizer Gewässern regel-
mässig und langanhaltend überschritten.
Beeinflusst die Landwirtschaft die Schweizer Was- • Untersuchungen der Eawag und des Ökotox-
serqualität? zentrums an kleinen Bächen in landwirtschaft-
Ja, der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln führt zur lich genutzten Gebieten fanden in mehreren
Belastung von Oberflächengewässern mit Wirk- Jahren im Schnitt während 70% der Messperi-
stoffen in Konzentrationen, die ökotoxikologische ode Konzentrationen von Pflanzenschutzmit-
Risiken darstellen. Negative Effekte auf Fortpflan- teln über dem Anforderungswert der GSchV
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zung, Entwicklung und Gesundheit von Pflanzen, von 0,1 µg/L.
Tieren und Mikroorganismen müssen befürchtet • Auch differenzierte Umweltqualitätskriterien,
werden. welche (anders als der zurzeit noch gültige,
pauschale Wert der GSchV) die unterschiedli-
Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, vor allem
che Toxizität der Stoffe berücksichtigen, wur-
ihre Abbauprodukte, treten auch im Grundwasser
den im Schnitt über zwei Drittel der Untersu-
in Konzentrationen über dem Anforderungswert 2
chungsperiode überschritten. Zeiten ohne
von 0,1 µg/L auf. Je höher der Anteil Ackerland im
oder mit tiefer Belastung, in denen sich die
Einzugsgebiet, desto höher die gemessenen Kon-
Organismen erholen könnten, fehlen.
zentrationen und desto zahlreicher die Überschrei-
• Je höher der Anteil an PSM-intensiven Kultu-
tungen des Anforderungswerts - in ackerbaulich
ren im Einzugsgebiet ist, umso geringer das
intensiv genutzten Gebieten an über 70% der 34
Vorkommen an empfindlichen Arten • •
Messstellen.
• Mit PSM belastet sind vor allem kleine Bäche.
In 45% der nationalen Grundwassermessstellen mit Diese machen bezogen auf die Gewässerlänge
Bodennutzung Ackerbau (in 14% bei Grasland) wird rund 75% des Schweizer Gewässernetzes oder
schreitung der Höchstwerte der TBDV nötige) stanzen, die dank moderner Analytik messbar sind,
Aufbereitung des Grundwassers ist teuer und aber in den heute auftretenden Konzentrationen
für viele sehr kleine Wasserversorger kaum zu nicht als problematisch eingestuft werden müssen.
leisten. Ausserdem können PSM-Rückstände
bei der Desinfektion problematische, z.B. Wurde in den bisherigen Untersuchungen zu den
tuell muss 1/3 des Rohwassers gar nicht auf- Nein. Die meisten Routinemessungen der Kantone
bereitet, 1/3 mit einfachen Methoden desinfi- können nur den kleineren Teil des Spektrums der
ziert und 1/3 mehrstufig aufbereitet werden zugelassenen Wirkstoffe abdecken. Spezialkam-
(v.a. Seewasser). pagnen erfassen mehr: Die Eawag und das Ökotox-
zentrum haben 2017 in fünf untersuchten Bächen
Stammen die Stoffe auch aus dem Siedlungsge- 181 Stoffe untersucht und 145 nachgewiesen.
biet, z.B. von Bauten oder aus Privatgärten? Einige Stoffe sind bezüglich Probenahme und Ana-
Biozide -teilweise mit denselben Wirkstoffen wie lytik sehr schwer messbar und sind momentan
in PSM - können auch aus dem Siedlungsgebiet noch nicht erfassbar. Für weitere wurden erst
stammen. Ihr Anteil am Stoffgemisch in den Ge- kürzlich neue analytische Methoden entwickelt.
wässern ist aber deutlich geringer als derjenige aus Dazu zählen die Pyrethroide, synthetische, hoch-
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der Landwirtschaft. Nur für wenige Einzelstoffe wirksame Insektizide. Die gemessenen Konzentra-
und sehr lokal liegt der Eintrag via Siedlungsent- tionen erhöhen das Risiko (zum Beispiel für eine
wässerung und Kläranlagen in einer vergleichbaren beeinträchtigte Fortpflanzung) für wirbellose Tiere
Grössenordnung wie für die diffusen Einträge aus um einen Faktor 5 - 10. Zudem hat sich gezeigt,
der Landwirtschaft. dass bisher als unkritisch (,,nicht relevant") einge-
stufte Ab- oder Umbauprodukte toxische Risiken
• Bezogen auf die Länge des Gewässernetzes ist bergen und einige Stoffe sich auch im Sediment
die Landwirtschaft dominant: 8% der Schwei- von Gewässern und in den Organismen anreichern.
zer Bäche sind von Kläranlagen beeinflusst,
30% von Acker- und Obstbau und 90% von Sind die im Biolandbau zugelassenen Pflanzen-
Grünlandflächen (ein Einzugsgebiet vereint schutzmittel unproblematisch?
meistens mehrere Landnutzungen - daher Nein, auch für den Biolandbau zugelassene Wirk-
liegt die Summe der Beeinflussungen über stoffe können im Gewässer negative Effekte auslö-
100%). Auch die Artenvielfalt wird deutlich sen. In der Regel werden aber die natürlichen
stärker von Stoffen aus der Landwirtschaft be- Pflanzenschutzmittel schneller und ohne proble-
einflusst als von organischen Verunreinigun- matische Umbauprodukte abgebaut als syntheti-
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gen aus Kläranlagen. sche Stoffe. Eine Ausnahme stellt Kupfer dar, wel-
• Um die Situation unterhalb von Kläranlagen im ches nicht abbaubar ist. Kupfer wird jedoch sowohl
Sinne der erweiterten Vorsorge zu verbessern im biologischen also auch (in grösseren Mengen)
werden in den kommenden Jahrzehnten 1,4 im konventionellen Landbau eingesetzt.
Mrd. CHF investiert in den Ausbau der Abwas-
Könnte ein konsequenterer Vollzug das Problem
serreinigung mit einer zusätzlichen Stufe ge-
lösen?
gen alle Arten von organischen Mikroverun-
Sowohl die Stickstoff- als auch die Pflanzenschutz-
reinigungen einschliesslich PSM.
mittelproblematik sind keine lokalen oder regiona-
Was sagen die Tonnenzahlen der eingesetzten len Einzelfälle und können nicht auf ein Vollzugs-
Mittel über die Risiken? problem reduziert werden. Landwirte sollten sich
Die eingesetzte Menge eines Wirkstoffs sagt nichts darauf verlassen können, dass bei fachgerechtem
über seine Toxizität und das entstehende Risiko Einsatz zugelassener PSM keine Gewässerbelas-
aus. Es gibt Stoffe, zum Beispiel gewisse Insektizi- tung entsteht. Das ist aber nicht so. Bei gewissen
de, die Gewässerorganismen bereits in Konzentra- Massnahmen (z.B. rechtskräftige Ausscheidung von
tionen von Picogrammen (Billionstel Gramm) pro Schutzzonen um Trinkwasserfassungen oder von
Liter schädigen können, bei anderen liegt diese Gewässerräumen entlang von Bächen) bestehen
Schwelle millionenfach höher. Es gibt auch Sub- jedoch tatsächlich Rückstände im Vollzug.
• Gemäss einer Studie der Uni Neuchâtel kommt Ersatzstoffes führt, der unter Umständen noch
es zu grossräumiger Verdriftung der Wirkstof- problematischer ist.
fe. So finden sich Neonicotinoide (Insektizide,
die vermutlich für den Rückgang der Bienen Welche Massnahmen sind nötig?
mitverantwortlich sind) auch auf über 80% der Die eingeleiteten Massnahmen (Aktionsplan Pflan-
ökologischen Ausgleichsflächen und auf Fel- zenschutzmittel, AP22+) gehen in die richtige Rich-
Definitionen
Für Rückfragen: Dr. Christian Stamm, Stv. Leiter Abteilung Umweltchemie, +41 58 765 5565;
christian.stamm@eawag.ch
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Anhaltend hohe PSM-Belastung in Bächen; Spycher et al., Aqua & Gas 4/2019:
https://www.eawag.ch/fil ea dm in/Doma in 1/N ews/2019/04/02/fa spych er psm belastu ng. pdf
2
Ökotoxikologische Untersuchungen: Risiko von PSM bestätigt; Junghans et al. Aqua & Gas 4/2019:
https ://www .eawag.ch/fil ead min/Doma in 1/N ews/2019/04/02/fa j unghans oekotoxikologische untersuch ung
en.pdf
3
Agriculture versus wastewater pollution as drivers of macro invertebrate community structure in streams;
Burdon, Munz et al. 2019, Science of the Total Environment, 659, 1256-1265,
www.doi.org/10 .1016/j.scitotenv .2018.12.372
4
Insektenschwund in der Schweiz und mögliche Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft; Faktenblatt Akademien
der Wissenschaften Schweiz, 2019: https://naturwissenschaften.ch/service/publications/112969-
insektenschwund-in-der-schweiz-und-moegliche-folgen-fuer-gesellschaft-und-wirtschaft
5
Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern aus diffusen Einträgen; Braun Ch., Gälli R. et al. 2015. Bundesamt
für Umwelt, Bern. Umwelt-Zustand Nr. 1514:
https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/wasser/uz-umwelt-
zu-
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en infl iessgewa esserna usd iffusen e intra egen. pdf
6
A nation-wide survey of neonicotinoid insecticides in agricultural land with implications for agri-environment
schemes; Humann-Guilleminot et al., Journal of Applied Ecology; 30 March 2019,
https://doi.org/10.llll/1365-2664.13392