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92. Jahrgang   Nr. 5 /2019 Fr. 12.

Die Volkswirtschaft
Plattform für Wirtschaftspolitik

INTERVIEW FACHKRÄFTEMANGEL BUNDESFINANZEN DOSSIER


Investor Mathias Ruch setzt Demografie trifft Baugewerbe Pessimistische Digitale EU-Binnenmarkt-
auf die Blockchain am stärksten Budgetprognosen strategie
26 43 46 53

FOKUS
Blockchain:
Mehr als ein Hype?

Wichtiger HINWEIS !
Innerhalb der Schutzzone (hellblauer Rahmen) darf
kein anderes Element platziert werden!
Ebenso darf der Abstand zu Format- resp. Papierrand
die Schutzzone nicht verletzen!
Hellblauen Rahmen der Schutzzone nie drucken!
Siehe auch Handbuch
„Corporate Design der Schweizerischen Bundesverwaltung“
Kapitel „Grundlagen“, 1.5 / Schutzzone
www. cdbund.admin.ch
EDITORIAL

Brauche ich eine Blockchain?


Die Blockchain-Technologie ist in aller Munde. Ein regelrechter Hype ist ausgebrochen.
Umso erfrischender ist der Running Gag in den sozialen Medien, der so aussieht: Im für
Informatiker beliebten Format eines Entscheidungsbaums steht: «Do I need a block-
chain?» Die lapidare Antwort lautet: «No.»
Die «Volkswirtschaft» möchte es genauer wissen. Was will der Bundesrat betreffend
Blockchain-Gesetzgebung? Welche Anwendungen stehen neben Kryptowährungen
im Vordergrund? Ist die Technologie ökonomisch von Be-
deutung? Was macht den Kanton Zug zum Crypto Valley?
Auf politischer Ebene ist die Stossrichtung klar. Der
Bundes­rat will kein Blockchain-Gesetz. Vielmehr schlägt
er vor, das Bundesgesetz punktuell anzupassen. So
schreibt Michael Manz vom Staatssekretariat für interna-
tionale Finanzfragen, wie etwa das Obligationenrecht
und das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
­Konkurs angepasst werden sollen.
Die Anwendungen der Technologie reichen neben den
Kryptowährungen etwa von der Temperaturkontrolle bei
Medikamenten über Stromabrechnungen mittels Block-
chain bis Flugversicherungen gegen Verspätung und Aus-
fall, bei denen die Entschädigung automatisch abläuft. Bei den Blockchain-­Projekten
flache sich der Boom in der Schweiz ab, schreiben die Autoren Thomas Bocek und
Burkhard Stiller von der Hochschule für Technik Rapperswil bzw. von der Universität
Zürich. Investor und Blockchain-Experte Mathias Ruch räumt im Interview ein,
dass «viele Blockchain-Projekte erst Zukunftsmusik» seien.
Ob wir die Blockchain also brauchen, sprich, ob die Technologie alltagstauglich wird,
werden wir erst in den nächsten Jahren erfahren.

Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre.


Susanne Blank und Nicole Tesar
Chefredaktorinnen «Die Volkswirtschaft»
INHALT

6 18

FOKUS

Blockchain: Mehr als ein Hype?


5 D
 ie Schweiz ist eine der 6 Blockchain: Welche 8 W
 ie funktioniert die
führenden ­Nationen gesetzlichen Blockchain?
im Bereich Fintech und Anpassungen braucht es? Jan Thomas Frecè, Sebastian Höhn
Blockchain Berner Fachhochschule
Michael Manz
Staatssekretariat für internationale
Bundespräsident Ueli Maurer
Finanzfragen
Eidgenössisches Finanzdepartement

9 T
 echnologieneutralität als 12 W
 arum die Blockchain-
Richtschnur im Umgang mit Technologie ökonomisch
der Blockchain relevant ist
Noël Bieri, Kaspar Ulmann Mathias Bucher
Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Hochschule Luzern

15 L ieferketten dank Blockchain 18 D


 en Strom mit Blockchain
­überwachen abrechnen
Thomas Bocek Matthias Egli
Hochschule für Technik Rapperswil Postfinance
Burkhard Stiller
Universität Zürich

20 Blockchain eröffnet 23 W
 as taugt die Blockchain 26 INTERVIEW
Perspektiven im für die Registerführung?
Gesundheitswesen Andreas Spichiger
«Selbst die Gegner
Sandro Morghen
Berner ­Fachhochschule ­können sich der Block-
Nexum
chain nicht verweigern»
Im Gespräch mit Investor Mathias Ruch

63 WIRTSCHAFTSZAHLEN  65 VORSCHAU   65 IMPRESSUM


INHALT

50 61 12

THEMEN

Kitas, Big Data und Schuldenbremse


31 AUFGEGRIFFEN 33 EINLAGENSICHERUNG 36 DIE STUDIE
Ruhig Blut bewahren bei Finanzmarkt: Gesetzgebung
 Kindertagesstätten steigern
Big Data auf der Zielgeraden den B­ eschäftigungsgrad von
Eric Scheidegger Bruno Dorner, Oliver Zibung Müttern
Staatssekretariat für Wirtschaft Staatssekretariat für internationale
Laura Ravazzini
Finanzfragen
Universitäten Neuenburg und Lausanne

38 GESUNDHEITSWESEN 41 UNLAUTERER WETTBEWERB 43 FACHKRÄFTEMANGEL


Referenzpreis: Sparmassnahme Werbeanrufe: Filter der Provider Demografischer Wandel
auf Kosten der Patienten? zeigen Wirkung verschärft Fachkräftemangel
Marc Bill, Beatrice Mäder, Harry Telser Philippe Barman, Stefan Sonderegger Conny Wunsch, Manuel Buchmann
Polynomics Staatssekretariat für Wirtschaft Universität Basel
Cornel Kaufmann, Stefan Rieder
Interface Politik­studien Forschung Beratung
Matthias Schwenkglenks 46 BUNDESFINANZEN
Universitäten Zürich und Basel
Pessimistische Budgetprognosen
wegen der Schuldenbremse?
DOSSIER Christoph A. Schaltegger
Universitäten Luzern und St. Gallen

Digitale EU-Binnenmarkt­strategie

Michele Salvi
­Universität Luzern

54 Die Schweiz ist gewappnet 56 Cyberrisiken sind eine 50 RAUMENTWICKLUNG


Marco Eichenberger ernsthafte Bedrohung
­Staatssekretariat für Wirtschaft
Manuel Suter
Wie sieht die Schweiz im Jahr
Eidgenössisches Finanzdepartement 2040 aus?


Cyril Lyner
Staats­sekretariat für Wirtschaft
59 Der digitale Gang zur Behörde 61 Geoblocking: Die Grenzen
Anna Faoro des Internets
Informatiksteuerungsorgan des Bundes Sabrina Konrad 64 INFOGRAFIK
Eidgenössisches Institut für Geistiges
Eigentum Hin und her:
Pendeln in der Schweiz
Krypto-Mine in den Alpen:
Computer der Firma Alpine Tech in
Gondo VS.
KEYSTONE
FOKUS

BUNDESPRÄSIDENT UELI MAURER

Die Schweiz ist eine der führenden ­Nationen


im Bereich Fintech und Blockchain
Die Schweiz ist eine erfolgreiche Volkswirt- entwickelt, das bereits weltweite Anerkennung
schaft in einem globalen Markt. Um Arbeits- geniesst.
plätze und Wohlstand zu sichern, sind die Deshalb ist es unabdingbar, dass der Bun-
Schweizer Wirtschaft und der Finanzplatz desrat mit einer effizienten und ausgewogenen
permanent auf tragfähige Innovationen an- Regulierung Rechtssicherheit schafft, Inno-
gewiesen. Wozu unsere Unternehmen in dieser vationen ermöglicht und dafür sorgt, dass die
­Beziehung fähig sind, haben sie in den ver- Integrität und die
gangenen Jahren auch im Bereich der Digitali- gute Reputation des
sierung und deren Einfluss auf den Struktur­ Finanz- und Wirt- «Anstatt ein Blockchain-­
wandel bewiesen. schaftsplatzes ge- Gesetz zu e­ ntwickeln,
Die Digitalisierung ermöglicht vor allem währleistet sind. passt die Schweiz sechs
auch im Finanzbereich neue, innovative Ge- Dazu hat er vom
schäftsmodelle. Getrieben werden diese Ent- Staatssekretariat
bestehende Gesetze an.»
wicklungen durch die technologischen Fort- für inter­nationale
schritte und die Blockchain-Technologie. Finanz­fragen (SIF) in Zusammenarbeit mit der
Fintech-Start-ups und technologiegetriebene Branche den Blockchain-Bericht entwickeln
Unternehmen entwickeln laufend neue An- lassen, der als eigentliche Pionierleistung be-
wendungen, welche in der Praxis die verschie- reits im März 2019 in die Vernehmlassung ging.
densten Prozesse und Transaktionen verein- Anstatt ein Blockchain-Gesetz zu entwickeln,
fachen. Auch traditionelle Finanzintermediäre passt die Schweiz sechs bestehende Gesetze an.
wie Banken und Versicherungen sind in diesen Der Bundesrat achtet darauf, dass die Regulie-
Bereichen aktiv und integrieren solche Innova- rung technologieneutral erfolgt: Die Branche soll
tionen zunehmend in ihre Geschäftsmodelle. Lösungen entwickeln, und der Markt soll ent-
Prozesse, Produkte und Strukturen werden auf scheiden, welche Geschäftsmodelle und Tech-
den Kopf gestellt und erfordern neues Wissen nologien sich durchsetzen. Der Bundesrat legt
und Fähigkeiten von Mitarbeitenden auf allen zudem hohen Wert auf einen regelmässigen Aus-
Stufen. tausch mit der Branche. Mit diesen Grundsätzen
Die Schweiz zählt heute in den Bereichen will er sicherstellen, dass die Schweiz auch im
Blockchain und Fintech zu den führenden ­digitalen Zeitalter erfolgreich sein wird.
Standorten. Namentlich im Finanzbereich hat
sich in den letzten Jahren im Inland ein wach- Bundespräsident Ueli Maurer ist Vorsteher des
sendes Fintech- und Blockchain-Ökosystem ­Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD).

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  5
BLOCKCHAIN

Welche gesetzlichen
Anpassungen braucht es?
Statt eines umfassenden Spezialgesetzes für Blockchain schlägt der Bundesrat vor, das
Bundesrecht punktuell anzupassen. Entsprechende Vorschläge hat er im März in die
Vernehmlassung geschickt.  Michael Manz

Abstract    Die Digitalisierung verändert unser Leben, unsere Wirtschaft freien Innovationsraum (eine sogenannte Sand-
und den Finanzsektor. Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) – insbe- box) und dehnte unter anderem mit Blick auf
sondere die Blockchain-Technologie – ist eine der Neuerungen, die die Ent- Fintech-orientierte Geschäftsmodelle die Frist
wicklung der Finanzbranche vorantreiben. Der Bundesrat hat dazu in De- für Abwicklungskonten auf 60 Tage aus. Mit
zember 2018 einen umfassenden Bericht veröffentlicht. Der Bericht zeigt
diesen Massnahmen werden bestimmte, inno-
auf, dass der Schweizer Rechtsrahmen gut geeignet ist, mit neuen Techno-
logien, inklusive Blockchain, umzugehen. Er weist aber auch auf punktuel-
vative Geschäftsmodelle von der Bankenregu-
len Anpassungsbedarf hin. Um diesem Rechnung zu tragen, hat der Bun- lierung ausgenommen und so Markteintritts-
desrat im März 2019 Vorschläge zur Anpassung des Bundesrechts an die hürden gesenkt. Ein Jahr später verabschiedete
Entwicklung der DLT in die Vernehmlassung geschickt. das Parlament eine auf Fintech zugeschnittene
Bewilligungskategorie im Bankenrecht. Diese
Massnahme ist im Januar 2019 in Kraft getreten.

I  m Finanzbereich hat sich in der Schweiz ein


wachsendes und dynamisches Fintech- und
Blockchain-Cluster entwickelt. Die möglichen
Auch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht
(Finma) hat überprüft, ob die Regeln und die
Prozesse in ihrem Zuständigkeitsbereich tech-
Anwendungen dieser Technologien im Finanz- nologieneutral und ohne digitale Hürden an-
sektor gehen dabei weit über die Kryptowäh- wendbar sind. Wo möglich, hat sie Verbesserun-
rungen oder Initial Coin Offerings (ICO) hinaus, gen gemacht. Beispielsweise bei der Video- und
welche bislang oft im Fokus der medialen Auf- Online-Identifizierung).
merksamkeit gestanden haben. Weitere Anwen-
dungsmöglichkeiten bestehen beispielsweise im Kein eigenes Gesetz zu Blockchain
Zahlungsverkehr, im Wertschriftenhandel und
bei der Abrechnung und Abwicklung von Wert- Im Januar 2018 rief das Staatssekretariat
schriftentransaktionen, in der Vermögensver- für  internationale Finanzfragen (SIF) eine
waltung oder im Versicherungsbereich. Auch im Arbeitsgruppe ins Leben. Diese hat die recht-
Rohstoffhandel sind Anwendungen denkbar. lichen Rahmenbedingungen für finanzsektor-
Der Bundesrat will die bestmöglichen Rah- spezifische Anwendungen evaluiert, die auf so-
menbedingungen schaffen, damit sich die Schweiz genannten Distributed-Ledger-Technologien
als ein führender, innovativer und nachhaltiger (DLT) wie Blockchain basieren. Um den Hand-
Standort für Fintech- und Blockchain-Unterneh- lungsbedarf zu identifizieren, kontaktierte die
men und generell für innovative Unternehmen Arbeitsgruppe gezielt Vertreter der Branche
etablieren und weiterentwickeln kann. Gleichzei- und führte auch eine informelle Konsultation
tig legt er hohen Wert darauf, die Integrität und die durch. Basierend auf den Erkenntnissen der
Reputation des Finanz- und Wirtschaftsstandorts Arbeitsgruppe, verabschiedete der Bundesrat
Schweiz weiterhin zu gewährleisten.1 im Dezember 2018 einen umfassenden Bericht
Erste Schritte im Finanzmarktbereich sind zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der
gemacht: Im Sommer 2017 senkte der Bundesrat DLT-Technologie im Finanzsektor.
1 Siehe Beitrag von die Hürden für den Markteintritt von Fintech-­ Gemäss dem Bericht drängen sich keine
Bundespräsident
Ueli Maurer auf Seite 5. Unternehmen. So schuf er einen bewilligungs- grundlegenden Anpassungen des Schweizer

6  Die Volkswirtschaft  5 / 2019
KEYSTONE
Expertenrunde am
Crypto Valley Summit
Rechtsrahmens auf. Angesichts des prinzipien- Dienstleistungen in den Bereichen Handel, 2018 in Zug. Franklyn
basierten und flexiblen bestehenden Rahmens Abrechnung, Abwicklung und Verwahrung Richards, Litecoin,
Victor Philippenko,
scheint kein eigentliches Blockchain-Gesetz mit DLT-basierten Effekten anbieten können. Ammer Capital, und
notwendig. Gleichzeitig sieht der Bundesrat Schliesslich soll es künftig möglich sein, auch Maria Gomez, ­Crypto
punktuellen Anpassungsbedarf. Im Auftrag des für den Betrieb eines organisierten Handelssys- Valley Association
Bundesrates erarbeitete das Eidgenössische Fi- tems eine Bewilligung als Wertpapierhaus zu er- (von links).
nanzdepartement (EFD) in enger Zusammen- halten. Dies erfordert eine Anpassung des künf-
arbeit mit dem Eidgenössischen Justiz- und tigen Finanzinstitutsgesetzes.
Polizei­
departement (EJPD) deshalb Vorschlä- Im Bereich der Geldwäschereibekämpfung
ge, die darauf abzielen, das Bundesrecht an die sieht der Bundesrat – wie im Dezember 2018
oben beschriebenen technologischen Entwick- dargelegt – einen Bedarf für Präzisierungen der
lungen punktuell anzupassen. Die Vernehmlas- geltenden Praxis. Diese Anpassungen auf Ver-
sung dazu begann im März 2019. ordnungsstufe sind jedoch nicht Teil der im
Die Vorschläge wollen die Rechtssicher- März lancierten Vernehmlassungsvorlage, son-
heit erhöhen, die Hürden für DLT-basierte An- dern sollen bei der im Rahmen der angelaufenen
wendungen beseitigen und neue Risiken be- Revision des Geldwäschereigesetzes vorgesehe-
grenzen. Konkret schlägt der Bundesrat vor, im nen Anpassung der Geldwäschereiverordnung
Obligationen­recht die Möglichkeit einer elekt- integriert werden.
ronischen Registrierung von Rechten zu schaf- Die Vernehmlassung dauert bis Ende Juni
fen, welche die Funktionen von Wertpapieren 2019. Nach deren Auswertung soll in einem
gewährleisten kann. Damit soll die Rechtssi- nächsten Schritt zügig eine Botschaft zuhanden
cherheit bei der Übertragung von DLT-basierten des Parlaments erarbeitet werden.
Vermögenswerten erhöht werden.
Weiter soll im Bundesgesetz über Schuld-
betreibung und Konkurs die Aussonderung
krypto­basierter Vermögenswerte im Fall eines
Konkurses ausdrücklich geregelt werden. Diese
Massnahme dient ebenfalls der Erhöhung der
Rechtssicherheit. Im Finanzmarktinfrastruk-
turrecht wiederum soll eine neue Bewilligungs-
Michael Manz
kategorie für sogenannte DLT-Handels­systeme Dr. rer. pol., stellvertretender Leiter Finanzsystem
geschaffen werden. Diese sollen regulierten Fi- und Finanzmärkte, Staatssekretariat für internationale
Finanzfragen (SIF), Bern
nanzmarktakteuren und auch Privat­ kunden

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  7
Wie funktioniert die Blockchain?
Die Blockchain-Technologie gilt als fälschungssicher. Die bekannteste Anwendung ist die
Kryptowährung Bitcoin.  Jan Thomas Frecè, Sebastian Höhn

Die Grundidee hinter der Blockchain ist ein- Konsens eingesetzt, und der Ressourcenver-
fach: Mehrere Parteien führen gemeinsam eine brauch kann deutlich reduziert werden.
Datenbank und teilen sich die Verantwortung In einer Blockchain gelten Daten als «unverän-
dafür. Bei einer Blockchain gibt es keine zentra- derbar». Was bedeutet dies? Die in der Block-
le Institution, bei der die Fäden zusammenlau- chain gespeicherten Daten können wie alle digi-
fen. Alle Teilnehmenden halten gleichgestellte tal gespeicherten Dokumente verändert werden.
Kopien der Blockchain. Neue Einträge werden in Veränderungen an den Daten werden durch den
alle Kopien übernommen, sobald Konsens über Einsatz von digitaler Signatur, Verschlüsselung
den jeweils aktuellen Stand hergestellt wird. Für und Redundanz jedoch erkannt. Zudem kann je-
die Verteilung der Daten und die Herstellung des der Teilnehmer, der die korrekten Daten vorlegt,
Konsenses werden je nach Art der Blockchain auch beweisen, dass diese korrekt sind.
unterschiedliche Methoden eingesetzt. Als pro- Wie muss man sich «Datenkonsens» vorstel-
minentes Beispiel basiert die Kryptowährung len? Anders als bei einer zentralen Datenbank,
­Bitcoin – sprich deren Transaktionsdatenbank – die voraussetzt, dass man der Stelle vertraut,
auf dieser Technologie. die sie führt, werden bei einer Blockchain neue
Für die Speicherung in der Blockchain werden Daten nur dann hinzugefügt, wenn eine vorab
die Daten in Blöcken zusammengefasst, wo be- definierte Anzahl von Teilnehmern diese (voll-
liebige Daten abgelegt werden können. Löschen automatisiert) geprüft und mittels kryptografi-
ist hingegen nicht möglich. Anschliessend wer- scher Verfahren bestätigt hat. Dadurch ist Ver-
den die Blöcke miteinander kryptologisch ver- trauen in einzelne Teilnehmer nicht notwendig;
kettet, sodass es nachweisbar ist, falls einer fehlt einzelne betrügerische Teilnehmer können die
oder verändert wurde. Wie bei einer fortlaufen- Korrektheit der Daten nicht gefährden.
den Rechnungsnummer kann so die Vollständig- Ein spannendes Forschungsfeld sind soge-
keit der in der Blockchain gespeicherten Daten nannte Smart Contracts: Dies sind im Kontext
erkannt werden. Soll ein neuer Datenblock hin- der Blockchain ausführbare Computerprogram-
zugefügt werden, so muss eine vorher festge- me, die dynamische Verträge repräsentieren. Mit
legte Anzahl der Teilnehmer dessen Richtigkeit den Mechanismen der Blockchain lassen sich die
elektronisch bestätigen. Jeder neue Block bestä- Unveränderbarkeit des Computerprogramms
tigt alle früheren Blöcke an Transaktionen, so- ­sowie die Unveränderbarkeit der Ausführungs-
dass Manipulationen erkennbar sind. umgebung sicherstellen. Dadurch lassen sich
zum Beispiel sichere, vollautomatische Lösungen
Veränderungen fallen auf für Zahlungsverkehr oder Warennachverfolgung
Für eine öffentlich betriebene Blockchain ist der umsetzen, die eine grosse Anzahl von unter-
Aufwand für das Einfügen eines neuen Blocks schiedlichen Kunden und Lieferanten massge-
mit einem hohen Rechenaufwand verbunden. So schneidert integrieren können.
wird bei Bitcoin häufig der hohe Stromverbrauch
Jan Thomas Frecè
bemängelt. Der Grund ist der «Proof of Work» Dr. des., wissenschaftlicher Mitarbeiter, E-Government-­
(POW). Dieser verhindert, dass Angreifer mas- Institut, Berner Fachhochschule, Bern
senweise manipulierte Blöcke in die Blockchain Sebastian Höhn
schreiben. Ist der Teilnehmerkreis hingegen be- Dr. rer. nat., Dozent, E-Government-Institut,
kannt, werden effizientere Verfahren für den Berner Fachhochschule, Bern
SHUTTERSTOCK
FOKUS

Technologieneutralität als Richtschnur


im Umgang mit der Blockchain
Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) lässt sich bei der Beurteilung von Block­
chain-­Projekten vom Prinzip der Technologieneutralität leiten. Sie will I­ nnovationen er-
möglichen und gleichzeitig damit verbundene Risiken beschränken.  Noël Bieri,
Kaspar Ulmann

Abstract    Die Anwendung geltenden Aufsichtsrechts auf Fintech und auseinander.1  Wie lassen sich solche Entwicklun-
Blockchain im Speziellen birgt Herausforderungen. Die Eidgenössische gen auf Basis des geltenden Aufsichtsrechts ein-
Finanz­marktaufsicht (Finma) verfolgt dabei einen technologieneutralen ordnen? Bei der Beantwortung dieser Frage lässt
Ansatz: Ungerechtfertigte Innovationshemmnisse sind abzubauen, ohne sich die Finma vom Prinzip der Technologieneu-
das Schutzniveau oder die Wettbewerbsneutralität zu beeinträchtigen. Die
tralität leiten: Dies bedeutet zunächst, dass Hin-
Wegleitung zu Initial Coin Offerings (ICO) ist ein Beispiel, wie die prinzipien­
basierte Schweizer Regulierung in der praktischen Anwendung für legiti­
dernisse für neuartige Formen der Dienstleis-
me Innovation offensteht, Umgehungen und Missbrauch aber unterbindet. tungserbringung zu hinterfragen und  – sofern
Auch der Gesetzgeber sollte sich vom Prinzip der Technologie­neutralität keine überwiegenden Schutzbedürfnisse be-
leiten lassen. Dies schliesst nicht aus, dass vereinzelt auf technologie­ stehen – abzubauen oder anzupassen sind. So hat
spezifische Herausforderungen ebensolche Antworten gesucht werden. die Finma beispielsweise sämtliche Schriftlich-
So scheinen beispielsweise Mindestanforderungen an jene dezentralen keitserfordernisse in ihren Rundschreiben ent-
Register bedenkenswert, mit denen künftig gesetzlich anerkannte, real­ fernt und ermöglicht den papierlosen Austausch
wirtschaftliche Verfügungen vorgenommen werden können.
von Dokumenten über ihre elektronische Zu-
stellplattform. Ferner passte sie die Anforderun-

A  m Anfang war der Bitcoin. Die virtuelle


Währung ist die älteste und in der öffentli-
chen Wahrnehmung wohl nach wie vor die pro-
gen an die Sorgfaltspflichten nach dem Geldwä-
schereigesetz an die Erfordernisse des digitalen
Geschäftsverkehrs an: Seit 2016 ist eine Video-
minenteste Anwendung der Blockchain-Tech- identifikation (sofern gewisse Mindestanforde-
nologie. Sie ist aber bei Weitem nicht mehr die rungen erfüllt sind) der persönlichen Vorsprache
einzige: Die Website Coinmarketcap.com listete beim Bankschalter gleichgestellt.2
Anfang April über 2100 Kryptowährungen auf. Der Entscheid, ob sich neue Produkte oder
Viele davon wurden während des «Krypto- Dienstleistungen durchsetzen, soll dem Markt
booms» vor zwei Jahren im Rahmen von soge- überlassen werden. Aus Sicht der Aufsichtsbe-
nannten Initial Coin Offerings (ICO) ausgegeben. hörde muss dies im Umkehrschluss aber auch
Diese rasante Entwicklung hat neben Krypto- bedeuten, dass Innovationen nicht gegenüber
millionären auch zahlreiche Missbrauchsfälle herkömmlichen Geschäftsmodellen bevorzugt
und Geprellte hinterlassen und Aufsichtsbehör- werden sollen: Was bisher reguliert war, sollte
den, Gesetzgeber und internationale Organisa- es auch im neuen Kleid bleiben. Innovationen,
tionen auf den Plan gerufen. die auf die Umgehung des bestehenden Regulie-
rungsgefüges abzielen, verdienen keinen Schutz.
1 D ie Autoren vertreten Zwischen Technologieverboten
im Beitrag ihre persön-
liche Meinung, die nicht und Laisser-faire Der «Duck Test»
zwingend mit derjeni-
gen der Finma überein- Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Fin- Was bedeutet dies beispielsweise für die Fin-
stimmt.
2 Vgl. Finma (2018): ma setzt sich im Rahmen ihrer Aufsichts-, Re- ma bei der Beurteilung von Initial Coin Offe-
Rundschreiben 2016/7 gulierungs- und Enforcementtätigkeit schon seit rings? Vereinfacht gesagt, geschieht bei einem
«Video- und Online-­
Identifizierung». Längerem mit Fintech-Trends wie Blockchain
­ ICO Folgendes: Initiatoren, die finanzielle M
­ ittel

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  9
BLOCKCHAIN

für ein Projekt benötigen, umschreiben ihre Dividenden oder Zinszahlungen. Sie qualifi-
Idee in einem sogenannten Whitepaper. Die fi- zieren sich als Effekten gemäss dem Finanz-
nanziellen Mittel sammeln sie üblicherweise in marktinfrastrukturgesetz.4
Form von Bitcoin oder Ether. Im Gegenzug er-
halten die Investoren sogenannte Token, das Erfüllt ein Token mehrere Kategorien gleich-
heisst Blockchain-basierte Werteinheiten, wel- zeitig (sogenannte hybride Token), kommen
che einen Zusammenhang mit dem Projekt und die rechtlichen Anforderungen kumulativ zur
die im Whitepaper umschriebenen Eigenschaf- Anwendung. So zum Beispiel, wenn Nutzungs-
ten aufweisen. Die Investoren setzen auf den Er- oder Anlage-Token gleichzeitig auch als Zah-
folg des Projekts und damit verbunden auf eine lungsmittel konzipiert und genutzt werden.
Wertsteigerung der Token. Da sämtliche Trans- Mit der wirtschaftlichen Funktion des To-
aktionen über die Blockchain erfolgen, muss kens kann sich zudem auch dessen Qualifi-
keine der Parteien eine Bank beiziehen. Dies än- kation ändern. Ist etwa mit einem Token das
dert sich erst, sobald die Initiatoren die erhal- Versprechen auf Nutzung künftiger, im Aus-
tenen Kryptowährungen versilbern, etwa um gabezeitpunkt noch nicht verfügbarer Dienst-
Anschaffungen zu tätigen oder die Löhne von leistungen verbunden, handelt es sich um
Entwicklern zu bezahlen. einen Anlage-Token. Denn zum Ausgabezeit-
Wie ist dieser Vorgang einzuordnen? Han- punkt steht für den Emittenten die Kapitalauf-
delt es sich um eine technische Spielerei fern- nahme und für den Käufer die Spekulation auf
ab des Finanzmarkts? Handelt es sich um eine Rendite im Vordergrund. Sobald der Token tat-
finanzmarktrelevante Tätigkeit? Oder gar um sächlich zum Erwerb einer Nutzung oder einer
eine schädliche Wirtschaftsaktivität, die verbo- Dienstleistung befähigt, wandelt er sich zum
ten gehört? ­Nutzungs-Token.
Die Finma hat eine Vielzahl von Initial Coin Die Wegleitung hat die Rechtssicherheit im
Offerings näher untersucht und im Februar Markt erhöht und wurde entsprechend positiv
2018 in einer Wegleitung erläutert, nach wel- aufgenommen. Die Token-Taxonomie der Fin-
chen Kriterien sie beurteilt, ob ein ICO unter das ma hat sich inzwischen international als eine
geltende Finanzmarktrecht fällt.3 Entsprechend Art De-facto-Standard etabliert. Dies darf aber
dem Grundsatz «Substance over Form» fokus- nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie
siert die Finma auf die wirtschaftliche Funktion vor viele Fragen einer Einzelfallbeurteilung be-
und den Zweck der ausgegebenen Token. Das dürfen.
Vorgehen wird umgangssprachlich als «Duck
Test» umschrieben: «Wenn etwas aussieht wie «Ente» gut, alles gut?
eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt
wie eine Ente, dann ist es wahrscheinlich eine Die ICO-Wegleitung adressiert die erstmalige
Ente.» Dieses Prinzip führt zu einer Klassifi- Ausgabe von Token, den sogenannten Primär-
zierung in Zahlungs-, Nutzungs- und Anlage-­ markt. Lassen sich mit dem darin verfolgten
Token: technologieneutralen Ansatz auch sämtliche
–– Zahlungs-Token übernehmen wirtschaftlich weiteren Fragen rund um die Regulierung von
die Funktion als Zahlungsmittel. Ihre Ausga- Blockchain-basierten Anwendungen im Finanz-
3 F inma (2018): Weg- be fällt unter das Geldwäschereigesetz. bereich lösen? Nicht ganz.
leitung für Unterstel-
lungsanfragen be- –– Nutzungs-Token sind Token, die Zugang zu Die inhärenten technischen Eigenschaften
treffend Initial Coin
Offerings (ICOs),
einer im Ausgabezeitpunkt bereits verfüg- der Blockchain-Technologie bergen auch Chan-
­16. ­Februar. In einer baren digitalen Nutzung oder Dienstleistung cen und Risiken, die auf sie zugeschnittene, das
«Unterstellungsan-
frage» schildert ein ohne Kapitalmarktbezug vermitteln sollen. heisst technologiespezifische Antworten erfor-
Anfrager einen Sach- Sie sind finanzmarktrechtlich nicht reguliert. dern. Dies betrifft etwa das Gebiet der Finanz-
verhalt und ersucht
die Finma um Bestäti- –– Anlage-Token repräsentieren kapitalmarkt- marktinfrastrukturen, den Integritätsschutz
gung, dass dieser nicht
zu einer Unterstellung relevante Forderungen und damit Ver- des Finanzplatzes und die Sicherstellung der
unter die Finanzmarkt-
gesetze führt.
mögenswerte wie Anteile an Realwerten, Resilienz von Blockchain-Applikationen, wenn
4 Art. 2 Bst. b FinfraG. Unternehmen, Erträgen oder Anspruch auf diese künftig zur Abbildung realwirtschaftli-

10  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


FOKUS

ALAMY
Um Blockchain-­
Projekte zu beurtei-
cher Transaktionen eingesetzt werden sollen. len, wendet die Finma dabei die Flexibilität, um legitime Innovation
Der Bundesrat hat deshalb in einem Bericht zur den «Duck Test» an: auch künftig zu ermöglichen, Umgehungen
Distributed-Ledger-­Technologie vom Dezem- «Wenn etwas aus- und Missbrauch aber zu unterbinden.
sieht wie eine Ente,
ber 2018 den gesetzgeberischen Handlungs-
schwimmt wie eine
bedarf aufgezeigt und am 22. März 2019 die Ente und quakt wie
Vernehmlassung für entsprechende Gesetzes- eine Ente, dann ist es
anpassungen eröffnet.5 wahrscheinlich eine
Ente.»
Mit dem Vorschlag für eine Fintech-Lizenz,
dem Abbau unnötiger Hürden in ihren Regel-
werken und der Schaffung von Rechtssicher- 5 B undesrat (2018): Bericht
des Bundesrates «Recht-
heit im ICO-Bereich durch eine Wegleitung liche Grundlagen für Dis-
hat die Finma wichtige Schritte umgesetzt. tributed-Ledger-Tech-
nologie und Blockchain
Sie setzt sich weiterhin intensiv mit den Her- in der Schweiz», De-
ausforderungen im Zusammenhang mit den zember; Bundesrat Noël Bieri Kaspar Ulmann
(2019): Bundesrat er-
Leiter Regulierung, Senior Legal & Policy
neuen technologischen Entwicklungen ausei- öffnet Vernehmlas-
­Eidgenössische Finanz- ­Specialist Regulierung,
sung zur Verbesserung
nander, sei es bei Bewilligungsfragen, in den der Rahmenbedingun- marktaufsicht FINMA, Eidgenössische Finanz-
Bereichen Aufsicht oder Regulierung. Eine gen für Blockchain/DLT, Bern marktaufsicht FINMA,
Medienmitteilung vom Bern
prinzipien­basierte Regulierung gewährleistet 22.3.2019.

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  11
BLOCKCHAIN

Warum die Blockchain-Technologie


ökonomisch relevant ist
Netzwerke, die auf der Blockchain-Technologie basieren, haben einen ökonomischen
Vorteil gegenüber Monopolen wie Facebook: Sie stellen die Nutzer ins Zentrum.  
Mathias Bucher
Abstract  Dezentralität und kryptografisch gesicherte Interaktionen sind se nichts Schlechtes: Aus Sicht eines Mitglieds
ein Grundbestandteil der Blockchain-Technologie. Diese Eigenschaften er- steigt der Nutzen mit jedem zusätzlichen Teil-
möglichen neue Organisationsformen von Netzwerken, bei denen die Be- nehmer. Und: Ein Monopol hat per ­Definition die
nutzer gleichzeitig die Netzwerkbesitzer sind und der Nutzen aller Teil- meisten Nutzer. Entsprechend kann ein Netz-
nehmer optimiert wird. Dies dürfte Netzwerke wie Facebook langfristig werkmonopol, unter den richtigen Umständen,
unter Druck bringen. Eine Herausforderung auf dem Weg dorthin ist die
zu einem maximalen Nutzen jedes Teilnehmers
Governance solcher Blockchain-basierter Netzwerke.
führen.
Bei Netzwerken in Firmenbesitz sind die

V  iel wurde die vergangenen Monate über die


Blockchain geschrieben. Zuerst – im Zuge
der Bitcoin-Blase – oft mit sich überbietenden
Umstände aus Nutzersicht aber nie optimal,
weil Firmen für ihre Aktionäre den grösstmög-
lichen Profit erwirtschaften müssen. Sobald die
Superlativen über die bahnbrechende Wirkung entsprechende Marktmacht vorhanden ist, ex-
der Technologie und ihre disruptiven Potenzia- trahieren Firmen, die ein Netzwerk besitzen,
le. Anschliessend, nach erfolgter Preiskorrektur, entsprechend eine Rendite. Diesen Mechanis-
oft verharmlosend und im Sinne einer Klassifi- mus bezeichnet man als «Extraction Imperati-
zierung als «Fussnote der Technologiegeschich- ve». Möglichkeiten hierzu sind vielfältig: Netz-
te». Das Meinungspendel schlägt derzeit auch werkfirmen können Nutzerdaten verkaufen,
deshalb weit aus, da es noch früh ist, das öko- dem Nutzer Werbung vorsetzen oder Zugangs-
nomische Potenzial der Blockchain-Technologie gebühren verlangen. Weiter bestehen für den
quantitativ abzuschätzen. Besitzer eines Netzwerkes Anreize, Dienstleis-
Trotzdem sei hier eine Prognose gewagt: Die tungen nicht mehr von Dritten zu beziehen,
Blockchain-Technologie wird Netzwerkstruktu- sondern diese zu internalisieren.
ren verändern. Netzwerke sind ein gewichtiger
ökonomischer Einflussfaktor. Gemäss einer Studie Spielregeln dank Token einhalten
der Venture Firma NFX bestimmt der sogenannte
Netzwerkeffekt 70 Prozent der Wertschöpfung im Demgegenüber vermag die Blockchain-Tech-
Tech-Umfeld. Dieser Effekt ist intuitiv leicht ver- nologie die Anreize von Netzwerknutzern und
ständlich: Ein Netzwerk ist umso wertvoller, desto Netzwerkbesitzern in Übereinstimmung zu
mehr Teilnehmer sich darin tummeln. bringen: Wenn nämlich Nutzer und Besitzer
Wenn Netzwerke wachsen, bilden sich na- identisch sind, fällt der Zwang dahin, Nutzer
türliche Monopole: Je mehr Teilnehmer ein zugunsten der Aktionäre schröpfen zu müssen.
Netzwerk aufweist, desto grösser ist der Anreiz Wie funktioniert das? Eine Blockchain kann
für Aussenstehende, sich dem Netzwerk eben- verstanden werden als kryptografisch gesi-
falls anzuschliessen. Gleichzeitig werden für cherte, global verteilte Datenbank, in welcher
bestehende Teilnehmer die Wechselkosten ste- Daten nur hinzugefügt werden, nie aber ge-
tig grösser, da sie bei einem Wechsel den Zugang löscht werden können. Diese Daten (das Resul-
1 V
gl. Beitrag von zu den anderen Teilnehmern verlieren würden. tat der Transaktionen aller Teilnehmer) sind
Noël Bieri und K­ aspar
Ulmann (Finma) auf
Beispiele sind soziale Netzwerke wie Facebook fälschungssicher und unveränderlich gespei-
Seite 9. oder Linkedin. Ein Netzwerkmonopol ist per chert. Moderne Blockchains können zusätzlich

12  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


FOKUS

Computerprogramme (sogenannte Smart Con- meisten Token sind standardisiert und global
tracts) ausführen, die ebenfalls unveränderlich über ihre jeweiligen Blockchains transferierbar.
abgespeichert sind. Mittels dieser Token ermöglicht die Block-
Ökonomische Anreize mittels sogenannter chain-Technologie neue Organisationsformen:
Token sorgen dafür, dass die Spielregeln bei der Organisationen werden nicht als Firmen struk-
Benutzung der Blockchain, aber auch der auf der turiert, sondern inhärent dezentral aufgebaut.
Blockchain aufsetzenden Applikationen einge- Dezentralität ist oft erstrebenswert, wenn die
halten werden. Unter einem Token versteht man Anreize aller Teilnehmer (Besitzer, ­Angestellte,
ein digitales Recht auf der Blockchain. Ein Token Kunden) eines Systems in Einklang gebracht
kann die Form einer Kryptowährung annehmen werden sollen. Diese Vorteile sind bei Netzwerk-
(etwa Bitcoin oder Ether). Solche Token klassifi- strukturen offensichtlich.
ziert die Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht
Finma als «Zahlungs-Token».1 Ein Token kann Aufbau in Etappen
aber auch Nutzungsrechte gewähren für Services
oder Infrastruktur, welche auf der Blockchain Das 2-Kammer-­ Die vollständige Dezentralität eines Netzwer-
System als Vorbild für
bereitgestellt sind («Nutzungs-Token»), oder er ­Blockchain-basierte
kes ist aber – zumindest in der Aufbauphase –
repräsentiert einen Wert («Anlage-Token»). Die Netzwerke? Stände- nicht realisierbar, da es eine Instanz braucht,
ratssaal.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  13
BLOCKCHAIN

die den Netzwerkaufbau koordiniert. Besteht werk weiterentwickeln können muss. Dies ist
das Ziel darin, dem «Extraction Imperative» zu wichtig, um veränderten regulatorischen Rah-
entfliehen, bieten sich gemeinnützige Non-Pro- menbedingungen gerecht zu werden oder um
fit-Stiftungen als Koordinationseinheit an. Ein neue Funktionalitäten zu erschliessen.
dezentrales, von einer Non-Profit-Organisation Hier spielen Smart Contracts eine wichti-
koordiniertes Netzwerk impliziert aber nicht, ge Rolle: Sie erlauben es, die Governance des
dass die Netzwerknutzung gratis ist (oder sein Entwicklungsprozesses für alle Teilnehmer
soll): Bei jeder vollständig frei zugänglichen Res- transparent festzuschreiben und direkt auf der
source besteht nämlich die Gefahr der Übernut- Blockchain durchzusetzen. Es gibt verschiede-
zung – ein Phänomen, das in der Ökonomie als ne Möglichkeiten, Token-Besitzer zur Verände-
«Tragik der Allmende» bekannt ist. rung des Netzwerks zu berechtigen. Die optima-
Genau hier besteht die grosse ökonomische le Ausgestaltung dieser On-Chain-Governance
Relevanz der Blockchain-Technologie: Sie er- ist momentan Inhalt intensiver Forschung, wo-
laubt es, die Nutzung eines Netzwerks mittels bei vom naiven «one token – one vote»-Mecha-
Token effizient zu regulieren, ohne das Netz- nismus über «Quadratic Voting» bis zu Formen
werk dabei zu zentralisieren. Dies lässt sich an des «Majority Judgement» viel ausprobiert wird.
einem typischen Blockchain-basierten Netz- Beide Wahlverfahren gehen über das Ja-Nein-
werk illustrieren, wo es keine Aktionäre und kei- Schema hinaus und lassen Abstufungen zu.
ne Firma gibt. Stattdessen existieren spezifische Ein vielversprechender Ansatz erscheint
«Netzwerk-Token», welche jeder Teilnehmer des dabei, Erkenntnisse zu berücksichtigen, wel-
Netzwerks zwecks Zugang und Nutzung besit- che über Jahrhunderte in sozialen Konsen-
zen muss. Solche Token können im Einzelfall sussystemen gewonnen wurden. Als Beispiel
unterschiedlich ausgestaltet sein: Im simpelsten sei hier das Zweikammernsystem der Schweiz
Fall kann der Token den Besitzer ermächtigen, oder der USA erwähnt, welches die Dominanz
am Netzwerk teilzunehmen. Token können aber einer Machtgruppe verhindert und, im Block-
auch das Zahlungsmittel für durch das Netz- chain-Kontext richtig umgesetzt, zum Beispiel
werk angebotene Dienstleistungen sein, oder sogenannte 51-Prozent-Attacken verhindern
sie können als «Belohnung» für externe Dienst- kann. Am Beispiel der «ABC Platform» kann
leister des Netzwerks dienen sowie das Ökosys- dies illustriert werden: Hier übernimmt die als
tem der Netzwerkentwickler «befruchten». Ein Netzwerkkoordinator wirkende gemeinnützige
Beispiel für ein solches Netzwerk findet sich im Stiftung die Rolle einer Kammer; die Rolle der
Rohstoffhandel: Die dezentrale «ABC Platform» zweiten Kammer übernehmen die Netzwerk-
erlaubt es, für schwer handelbare Rohstoffe via teilnehmer. Beide Kammern müssen einver-
Blockchain Marktliquididät zu schaffen. Zugang standen sein, dass die Netzwerkregeln geän-
zum Netzwerk haben nur Rohstoffhändler, die dert werden. Mit diesem Ansatz wird einerseits
über ein Plattform-Token verfügen und mittels verhindert, dass sich eine Gruppe von Netz-
dieser Token auch für in Anspruch genommene werkteilnehmern zum Nachteil des Restes zu-
Leistungen auf dem Netzwerk bezahlen. sammenschliesst. Sprich: Die Stiftung gibt
Gegensteuer. Andererseits sind die Teilnehmer
Veränderung als Knacknuss der Stiftung nicht ausgeliefert – diese muss
sich zum Wohle der Teilnehmer verhalten.
Die Regulation des Netzwerkzugangs über To-
ken ist ein Schlüsselaspekt in der Gestaltung
Mathias Bucher
eines dezentralen, langfristig lebensfähigen Dr. oec., Dozent für Blockchain-Technologie, Institut für
Netzwerks. Gleichzeitig muss der Tatsache Finanzdienstleistungen (IFZ), Hochschule Luzern, Zug;
Gründer «ABC Platform»
Rechnung getragen werden, dass sich ein Netz-

14  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


FOKUS

Lieferketten dank Blockchain


­überwachen
Dank der Blockchain-Technologie können Firmen und Kunden die Lieferketten von
­Produkten besser nachverfolgen. In der Schweiz werden derzeit Anwendungen in der
Pharmabranche und in der Milchproduktion getestet.  Thomas Bocek, Burkhard Stiller

Abstract    Die Anwendungen der Blockchain-Technologie gehen über die (Distributed Ledger) entwickelt. Dabei handelt
Finanz­branche hinaus. Auch für die Pharmabranche ist die Technologie inte- es sich um eine Art Datenbank, die auf mehrere
ressant: Der «Temperatur-Logger» des Zürcher Start-ups Modum.io über- Nutzer verteilt ist, wobei keinem einzelnen Teil-
wacht beispielsweise die Temperatur von Arzneien entlang der Lieferkette. nehmer «vertraut» werden muss. In einem Dis-
Dank der Verschlüsselungstechnologie können die Daten nicht unentdeckt
tributed Ledger können Daten nur hinzugefügt
manipuliert werden – wodurch die Qualität der Pharmaprodukte gewähr-
leistet wird. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit der Technologie ist das werden, Änderungen und Löschungen sind hin-
sogenannte Location Tracking. Hier wird das Produkt entlang der Liefer­ gegen nicht möglich.
kette geografisch geortet. In einem Schweizer Forschungsprojekt werden
die Möglichkeiten der Blockchain in der Milchproduktion geprüft.
Temperaturkontrolle bei
Medikamenten

I  n den vergangenen zwei Jahren ist viel Geld in


die Finanzierung von Blockchain-Projekten
geflossen (siehe Abbildung). Inzwischen flach-
Diese Eigenschaften von Blockchains bieten An-
wendungsmöglichkeiten, die über die ­Finanz-
te der Boom ab – nun müssen die Anwendungen und IT-Branche hinausgehen. M ­ odum.io, ein
beweisen, dass sie im Markt bestehen können. Spin-off der Universität Zürich, hat beispiels-
Viele dieser Projekte finden sich in der Finanzin- weise einen «Temperatur-­Logger» entwickelt,
dustrie sowie in der Blockchain-Infrastruktur. um die Temperatur von pharmazeutischen
Blockchains wurden ursprünglich als öffent- Produkten entlang der Lieferkette zu überwa-
lich und global zugängliche verteilte Register chen. Dazu arbeitet das ­Jungunternehmen mit

Finanzierung von Blockchain-Projekten mit Initial Coin Offering (2018)


2    In Mrd. Dollar

1,5

1
ICODATA.IO / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

0,5

0
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No

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Ein Initial Coin Offering (ICO) ist eine Form von Crowdfunding, die auf Kryptowährungen basiert. Der Wert in Dollar
­wurde bei jedem ICO für den Ausgabezeitpunkt berechnet.

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  15
BLOCKCHAIN

der Universität Zürich und der Hochschule für kontrolle (eingehalten bzw. nicht eingehalten)
Technik Rapperswil zusammen. mitsamt der Signatur abgespeichert werden.
Hintergrund sind verschärfte Vorschriften Die zweite Blockchain ist für den Produktivein-
des Bundesamtes für Gesundheit (BAG): Seit satz bestimmt und basiert auf der Open-Source-­
2016 müssen die Temperaturen auch während Blockchain Hyperledger.
des Transports von Arzneimitteln überwacht Die gesammelten «Trusted Events» können
werden.1 Beim Temperatur-Logger erfolgt die firmenübergreifend weiterverwendet werden.
Temperaturüberwachung automatisiert. Die Bei wenigen Firmen stellen sich die Vorteile
Daten werden per Bluetooth übertragen, wobei einer Blockchain mit ihrer dezentralen Infra-
das physische Paket im Transport verschlossen struktur als weniger sichtbar dar, aber je mehr
bleibt. Die empfangenen Daten werden auf dem Parteien diese «Trusted Events» verwenden,
Logger kryptografisch signiert, sodass sicher- desto interessanter wird der Einsatz der Techno-
gestellt wird, dass die Daten nicht unentdeckt logie. So ist es beispielsweise denkbar, dass Lie-
manipuliert werden können. Neben den Tem- feranten, Kunden und Behörden eine Meldung
peraturdaten wird zusätzlich ein Zeitstempel erhalten, wenn die Temperatur vom Sollwert
mitgeschickt, wodurch diese Daten als «Trusted abweicht. Beim Empfänger könnte dies auto-
Event» in der Blockchain auch noch anderweitig matisch eine Beanstandung auslösen. Und Lie-
verwendet werden können. Modum.io setzt zwei feranten hätten einen Anreiz, die Qualität der Temperatur-Logger
Blockchains ein: Für einfache Anwendungsfäl- Kühlung zu verbessern. Bei der Schweizerischen der Firma Modum.io:
le wie zum Beispiel zu Demonstrationszwecken Post ist eine entsprechende Blockchain-basierte Das Gerät überwacht
die Temperatur von
wird die öffentliche Ethereum-Blockchain ver- Lösung für die Temperaturkontrolle von Pake- wärmeempfindlichen
wendet, wo die Auswertungen der Temperatur- ten bereits im Einsatz. Gütern wie Medika-
menten.

MODUM.IO

16  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


FOKUS

Woher stammt die Milch? wo ein finanzieller Mehrwert entsteht. Block-


chain-basierte Systeme mit nachweisbaren
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit für Block- Effizienzgewinnen und Kosteneinsparungen
chains ist das sogenannte Location Tracking. werden eine erfolgreiche Zukunft vor sich ha-
Dieses erlaubt, ein Produkt entlang der Liefer- ben. Darüber hinaus könnten sich dezentrale
kette geografisch zu orten. Gerade in der Land- Blockchain-­Lösungen als Gegentrend zu zen-
wirtschaft, wo die Hersteller über das ganze tralisierten Angeboten der Technologiegigan-
Land verteilt sind, können sich Blockchains eig- ten etablieren.
nen, um die Rückverfolgbarkeit von Produkten Bei der entscheidenden Frage zum Vertrau-
zu erleichtern. en (in Partner, Teilnehmer, Applikationen oder
Die Universität Zürich und das Berner For- Systeme) hat man nun die Möglichkeit, entwe-
schungs- und Beratungsunternehmen Foodways der eine zentrale Instanz einzusetzen (Trusted
Consulting analysieren in einem Forschungs- Third Party) oder, dezentral, eine Blockchain –
projekt, ob die Technologie für die Rückver- ganz im Stil von Bitcoin, der ersten Blockchain,
folgbarkeit von Nahrungsmitteln geeignet ist. ganz ohne Vermittler oder Intermediär. Diese
Das Projekt wird vom Bundesamt für Landwirt- fundamentalen Änderungen werden kaum von
schaft (BLW) unterstützt. Konkret wurde die heute auf morgen zentrale Instanzen ersetzen,
Milchproduktion ausgewählt: Vom Landwirt denn viele der heutigen Prozesse sind eng an
über den Transport bis zum Verarbeiter wur- ebendiese zentralen Instanzen gebunden. Da-
den relevante Produktdaten definiert, welche mit werden Änderungen eher langsam Einzug in
1 V
gl. Bundesamt für
die Rückverfolgbarkeit des Endproduktes erlau- die IT-Landschaft halten, da sich mit den Tech- ­Gesundheit: GDP-­
ben, ohne dass eine zentrale Instanz, ein Regis- nologieänderungen auch Prozesse über die Zeit Leitlinien, Anpas-
sung an das EU-Recht
ter oder ein Mediator involviert ist. Befragungen hinweg fundamental ändern müssen. (2013/C 343/01).
zeigen, dass die Landwirte diese Transparenz
schätzen und als Qualitäts­merkmal betrachten,
da zum Beispiel für regionale und rückverfolg-
bare Produkte höhere Preise für entsprechende
Zielprodukte erzielt werden können.

Langer Prozess
Die Blockchain-Technologie wird die IT-Land- Thomas Bocek Burkhard Stiller
schaft verändern. Grundsätzlich ist das Verän- Professor an der HSR Professor für
derungspotenzial mit demjenigen von E-Mail Hochschule für Technik Kommunikations­systeme,
Rapperswil, Leiter Dis- Leiter der Communication
oder Wikipedia vergleichbar – allerdings ist tributed Systems and Systems Group, Institut
das Ausmass schwer abschätzbar. Der Durch- ­Ledgers Lab, Institut für für Informatik, U
­ niversität
Software, Rapperswil Zürich
bruch dürfte dort am schnellsten erfolgen,

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  17
BLOCKCHAIN

Den Strom mit Blockchain abrechnen


Immer mehr Immobilienbesitzer speisen den Strom ihrer Solaranlagen ins Netz. Die in
der Schweiz entwickelte Blockchain-Anwendung «B4U» erleichtert ihnen die komplexe
Abrechnung.  Matthias Egli

Abstract  Das neue Energiegesetz ermöglicht es Hauseigentümern, ihren sel- cherweise sogar darauf, eine Fotovoltaik­anlage
ber produzierten Strom weiterzuverkaufen. Dies bringt neue Chancen, aber zu installieren. Aus ökonomischer Sicht muss
auch Herausforderungen mit sich: Die Weiterverrechnung des Stroms ist kom- daher die Verrechnung vereinfacht werden.
pliziert. «Blockchain for Utility» (B4U) von Postfinance und Energie Wasser
Bern bietet hier eine Lösung: Über intelligente Stromzähler werden Verbrauchs-
und Produktionsdaten direkt mit der Blockchain verknüpft und die Verrech- «Blockchain for Utility»
nung automatisch abgewickelt. Der Roll-out von B4U startet im Mai 2019.
Eine Lösung bietet «B4U», ein Produkt der
Post-Tochter Postfinance und des Energieversor-

D  er Energiemarkt ist im Umbruch. Bis Ende


2017 war die Abrechnung von Strom Sa-
che der Energieversorgungsunternehmen. Die
gers Energie Wasser Bern (EWB). Das Akronym
B4U steht für «Blockchain for Utility», zu Deutsch:
Blockchain für Energiedienstleistungen.
Energieversorgung war zentral mit Grosskraft- Wie funktioniert das? In den Miethaushal-
werken und einem entsprechenden Verteilnetz ten werden intelligente Stromzähler installiert.
organisiert. Das Anfang 2018 in Kraft getrete- Diese messen laufend die Stromverbrauchs- und
ne neue Energiegesetz hat diese Monopolstel- gleichzeitig die Stromproduktionsdaten der ZEV.
lung aufgelockert. Neu können Hauseigentü- Die Zähler sind als Internet-of-Things-Kompo-
mer oder ganze Quartiere den Strom, den sie nenten mit der Blockchain verknüpft, wo sie
beispielsweise mit ihrer Fotovoltaikanlage sel- gespeichert und für die Abrechnung genutzt
ber produzieren, direkt ihren Mietern oder den werden. So entfällt für den ZEV die mühsame
Nachbarn verkaufen. Überschüssigen Strom Verrechnung zwischen dem selber produzierten
können sie wiederum zurück ins schweizwei- und dem aus dem Netz bezogenen Strom.
te Netz einspeisen. Gleichzeitig können solche Alle Daten rund um die Stromproduktion und
«Zusammenschlüsse für Eigengebrauch» (ZEV) den Verbrauch kann der ZEV-Verantwortliche je-
bei Bedarf ergänzend Strom aus dem Netz be- derzeit online auf der B4U-Plattform einsehen.
ziehen. Im «Cockpit» findet er, grafisch aufbereitet, alle
Durch diese Veränderung wird die Strom- wichtigen Kennzahlen. So behält er den Über-
produktion vermehrt dezentral, der Konsum blick und kann direkt über die Web-Plattform
gleichzeitig stärker lokal. Konsumenten, die die Verrechnung der Kosten an die Strombezüger
selber teilweise Strom produzieren, bezeichnet kontrollieren. Es ist lediglich eine einmalige Re-
man als «Prosumers». gistrierung nötig, danach läuft die Verrechnung
Die Dezentralisierung hat Vorteile. So sparen automatisch. Auch die Mieter erhalten Zugriff auf
die ZEV-Gesellschaften beispielsweise Netzkos- die Applikation. Sie können dort jederzeit die De-
ten, wenn sie den Strom aus ihrer Fotovoltaik- tails zu ihrem persönlichen Stromverbrauch ein-
anlage selber verbrauchen. Gleichzeitig ist die sehen, den Eigenverbrauch lenken und anpassen.
Verrechnung des Stroms aufwendig. Der Eigen-
verbrauch muss mit dem aus dem Netz bezoge- Erfolgreicher Marktpilot
nen Strom verrechnet und korrekt auf jeden ein-
zelnen Mieter heruntergebrochen werden. Die Bewährungsprobe hat B4U bereits bestan-
Diese komplexe Verrechnung bereitet vie- den: In einer Wohngenossenschaft und einem
len ZEV Kopfzerbrechen. Bei einem zu grossen privaten Mehrfamilienhaus im Kanton Bern
administrativen Aufwand verzichten sie mögli- wurde B4U im vergangenen Herbst auf Herz

18  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


KEYSTONE
Wie verrechnet man
den Strom aus Solar-
und N­ ieren getestet. Der Marktpilot bestätigte: anlagen? Eine Block- gespeichert, und die Infrastruktur erfüllt die ho-
B4U deckt ein Bedürfnis der neuen dezentralen chain-Lösung ver- hen S
­ icherheitsanforderungen von Banken.
Energieversorgung über die ZEV. Anhand der Er- spricht Abhilfe für
Immobilienbesitzer.
kenntnisse, die Postfinance und EWB bezüglich Zukunftsweisende Technologie
Montage in Luzern.
der Integration einer Smartmeter-Infrastruktur
in die Blockchain sammeln konnten, wird B4U Die Geschäftsleitung hat das Potenzial der
nun zur Marktreife weiterentwickelt. Blockchain-Technologie schon früh erkannt
Ziel von B4U ist es, dass ZEV einfach, trans- und deshalb für die im Rahmen des Innova-
parent, vertrauenswürdig und mit geringem per- tionsprozesses von Postfinance entstande-
sonellem Aufwand betrieben werden können. ne Idee zu B4U grünes Licht gegeben. Seit zwei
Die Blockchain-Technologie bietet dafür die idea- Jahren arbeitet ein interdisziplinäres Team von
le Basis. Dass Daten auf der Blockchain rückwir- Spezialisten von Postfinance und Energie Was-
kend nicht verändert, sprich nicht manipuliert, ser Bern am Vorhaben.
und Transaktionen sicher nachgewiesen werden Der nächste Meilenstein für B4U steht be-
können, schafft Vertrauen. Dieser Aspekt ist bei reits vor der Tür: Im Mai 2019 ist ein erster
der Speicherung von Finanztransaktionsdaten Roll-out mit sechs Partnerkunden aus der gan-
wie im Falle von B4U besonders wichtig. zen Schweiz geplant, darunter Energieversor-
Während des Marktpilots im Herbst 2018 lief ger und Dienstleister aus der Energiebranche.
die Buchführung der Messdaten über eine priva- Anschliessend soll B4U breitflächig mit weite-
te Blockchain-Plattform im Netz der Schweizeri- ren Kunden ausgerollt werden – und auch für sie
schen Post. Die zugrunde liegende Technologie die Komplexität der Verrechnung von Strom aus
war Hyperledger Fabric, eine Open-Source-Soft- Eigenproduktion massiv vereinfachen.
ware der Linux Foundation. Für den Roll-out, der
im Frühjahr 2019 startet, wird B4U auf der neu-
en, gemeinsam von der Schweizerischen Post
und Swisscom betriebenen Blockchain-Infras-
truktur laufen. Diese ist die erste «private Block-
chain» der Schweiz, die von zwei Partnern ge-
meinsam betrieben wird. Sie bietet eine Lösung,
die sich in wesentlichen Punkten von anderen Matthias Egli
privaten Blockchains in der Schweiz unterschei- Umweltingenieur, Strategie-Manager und
­Verantwortlicher für B4U bei Postfinance, Bern
det: Alle Daten werden vollständig in der Schweiz

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  19
BLOCKCHAIN

Blockchain eröffnet Perspektiven


im Gesundheitswesen
Das Gesundheitswesen scheint für den Einsatz von Blockchain-Anwendungen ­besonders
geeignet. So könnte das elektronische Patientendossier dereinst auf dieser Technologie
basieren.  Sandro Morghen

Abstract    Im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz über das elektroni- mens Healthineers, um die Gunst von Spitälern,
sche Patientendossier (EPDG), das seit 2017 in Kraft ist, wird die Blockchain-­ Pflegeheimen und Arztpraxen.
Technologie als mögliche Basis für digitale Patientenakten gehandelt. Auch Beim Wettbewerb um das beste System
in anderen Gebieten eröffnen Blockchain-Anwendungen neue Perspektiven rückt die Blockchain-Technologie immer öfter
für das Gesundheitswesen: Während die Pharmabranche Lieferketten ver-
ins Zentrum der Aufmerksamkeit, denn eine
bessern, Produktfälschungen bekämpfen oder die Medikamentenentwick-
lung revolutionieren möchte, arbeiten die Krankenkassen an Wegen, um
der zentralen Anforderungen des EPDG ge-
dank Blockchains Prozesse und Kundenerlebnisse zu optimieren. hört zu den Kernstärken des Blockchain-Prin-
zips: die dezentrale Ablage und Verwaltung der
Daten sowie der Beibehalt der Datenhoheit beim

S  eit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes


über das elektronische Patienten­ dossier
(EPDG) im April 2017 gilt: Teile des Schwei-
User, in diesem Fall beim Patienten. Eine weite-
re wichtige Voraussetzung für das elektronische
Patientendossier erfüllen sogenannte Smart
zer Gesundheitswesens sollen im Rahmen der Contracts. Smart Contracts sind in der Block-
E-Health-Strategie umfassend digitalisiert wer- chain abgelegte Vereinbarungen, die ausgelöst
den. Das elektronische Patientendossier ist eine werden, sobald bestimmte hinterlegte Bedin-
virtuelle Akte, in der behandlungs­ bezogene gungen erfüllt werden. Im elektronischen Pa-
Patienten­daten wie Rezepte, Diagnosen oder tientendossier sollen sie dafür sorgen, dass die
Laborberichte digital verwaltet werden. Diese verschiedenen Leistungsträger im Gesundheits-
Daten sollen allen für die Behandlung relevan- sektor schnell, einfach und transparent – und
ten Parteien des Gesundheitswesens – Ärzten, zur richtigen Zeit – auf die jeweiligen Daten zu-
Spitälern, Pflegeheimen, Labors etc. – zugäng- greifen können.
lich gemacht werden. Durch den vernetzten
Austausch soll die Behandlungsqualität der Pa- Pharmabranche entdeckt
tienten gesteigert und Informationsverluste
­Blockchain
verhindert werden.
Das Bundesgesetz bietet für das elektroni- Im Schatten der laufenden Debatte zur bes-
sche Patientendossier lediglich den regulato- ten Technologie für das elektronische Patien-
rischen Rahmen – grundsätzlich sind die ver- tendossier öffnen sich auch in anderen Berei-
schiedenen Akteure bei der Wahl der konkreten chen des Gesundheitswesens Perspektiven für
technischen Lösung frei. Aber: Die Zeit drängt. die Anwendung von Blockchains. Erst kürzlich
Während die Nutzung des elektronischen Dos- hat ein Konsortium aus Vertretern der EU sowie
siers für die Patienten freiwillig bleibt, müssen einer Gruppe von Pharmaherstellern1 unter dem
Spitäler bis 2020, Pflegeheime bis 2022 zwin- Dach der europäischen «Innovative Medicine
gend die Möglichkeit einer digitalen Patien- Initiative» die Bildung eines neuen Programms
tenakte anbieten. So buhlen gegenwärtig ver- mit dem Titel «Blockchain-Enabled Healthcare»
1 N
ovartis, J&J, Bayer, schiedene private Anbieter von technischen bekannt gegeben. Das Konsortium hat sich zum
Sanofi, Astra ­Zeneca, Lösungen, darunter auch eine Partnerschaft Ziel gesetzt, verbindliche technische Leitlinien
UCB, Pfizer, Novo
Nordisk und Abb Vie. zwischen der Schweizerischen Post und Sie- für den Einsatz von Blockchain-Lösungen im

20  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


Pharmaunternehmen wollen die Block-
chain-Technologie im Kampf gegen
Produktfälschungen einsetzen.
KEYSTONE
BLOCKCHAIN

Health-Sektor festzulegen, vergleichbar mit den Spitäler oder Pflegeheime), haben Kranken­
technischen Internetstandards des World Wide kassen grundsätzlich keinen Zugriff – auch
Web Consortium. dann nicht, wenn dies der Patient wünschen
In der Pharmaindustrie stehen vor allem An- sollte. Aus diesem Grund arbeiten Krankenver-
wendungen zur Diskussion, die mit der Wert- sicherungen an eigenen E-Health-Projekten,
schöpfungskette rund um die Entwicklung die unter anderem auch auf Blockchain-Lösun-
neuer Medikamente oder der Lieferlogistik zu- gen basieren. Mögliche Anwendungen betreffen
sammenhängen. So können im Rahmen der Me- beispielsweise die Plausibilisierung, die Abglei-
dikamentenentwicklung Blockchain-Protokolle chung und die Kontrolle von Versichertendaten.
dabei helfen, Patienteneinwilligungen bei klini- Weitere Projekte haben zum Ziel, den Versiche-
schen Studien für alle Stakeholder transparent rungsbetrug zu bekämpfen. Andere Lösungen
und nachverfolgbar zu verwalten. Die Technolo- betreffen das Sanktionieren und Belohnen be-
gie vermag die Qualität der erhobenen Resultate stimmter Verhaltensmuster der Versicherten.
sicherzustellen. Ein anderes Einsatzfeld betrifft Oder es geht darum, den jährlich anstehenden
die Organisation und die Plausibilisierung des Krankenkassenwechsel für den Kunden einfa-
Prozesses rund um die Einreichung neuer Medi- cher, schneller und komfortabler zu gestalten.
kamente bei den Gesundheitsbehörden. Egal, ob sie für die sichere Verwaltung von
Patienten- und Behandlungsdaten, bei der Op-
Was machen die Krankenkassen? timierung der Lieferkette von Medikamenten,
in der Pharmaforschung, bei der Verbesserung
In der Logistikkette rund um das Geschäft krankenkasseninterner Prozesse oder der Opti-
mit Medikamenten können passende Block- mierung der Kundenerlebnisketten in der Kran-
chain-Lösungen ebenfalls nutzenstiftend ein- kenversicherung verwendet wird: Die Block-
gesetzt werden. Ein Augenmerk gilt dabei der chain-Technologie kann auf verschiedenen
Verifizierung von Medikamenten, die von Apo- Ebenen dazu beitragen, das Vertrauen in die Di-
theken oder Grosshändlern retourniert werden. gitalisierung des Gesundheitswesen zu stärken
Und im Kampf gegen Produktfälschungen  – und die Qualität der Gesundheitsversorgung
ein grosses Problem im Pharma-E-Commerce – spürbar zu steigern.
sollen transparentere und nachverfolgbare-
re Produktlieferketten für mehr Vertrauen und
Sicherheit sorgen. Gerade angesichts des anstei-
genden Onlinegeschäfts mit Medikamenten ha-
ben Pharmaunternehmen ein vitales Interes-
se an wirksamen Lösungen zur Steigerung der
Produktsicherheit und zur besseren Kontrolle
der Logistikketten.
Während das Gesetz zum elektronischen
Patientendossier den Einblick in die digitalen Sandro Morghen
Daten ausschliesslich für die in der Behandlung Senior Experience Designer, Beratungsunternehmen
Nexum, Bern
involvierten Parteien vorsieht (also für ­Ärzte,

22  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


FOKUS

Was taugt die Blockchain


für die Registerführung?
Einzelne Kantone und Gemeinden experimentieren bereits mit der Blockchain-Techno-
logie. Wie sinnvoll ist deren Einsatz für Personenregister?  Andreas Spichiger

Abstract    Aufgrund der Eigenschaften Verfügbarkeit und Integrität ben werden und dass sich diese Informationen
scheint die Blockchain-Technologie für die Führung von Verzeichnissen von den bisherigen und wenn möglich von allen
wie Personenregistern prädestiniert zu sein. Eine genauere Betrachtung künftigen Einträgen genügend differenzieren.
zeigt allerdings: Die ebenfalls wichtigen Eigenschaften Vertraulichkeit und
Bei einer späteren Re-Identifikation soll Sicher-
Intervenierbarkeit sind nicht abgedeckt. Für eine umfassende Einhaltung
heit bestehen, dass es sich um dieselbe Person
der Informationssicherheit und der Privatheit sind beim Einsatz von Block-
chains für die Registerführung deshalb zusätzliche Mittel und Massnah- handelt.
men notwendig. Zudem ist die Registerführung auf Organisationen des Bei der Registrierung werden die identifizie-
Vertrauens angewiesen. Der Einsatz der Technologie ist deshalb nur be- renden Daten ins Register eingetragen. Typi-
dingt für Registerführung geeignet. scherweise wird nach der Registrierung ein Aus-
weis ausgestellt, der die Identifikation im Alltag
stark vereinfacht. Der Ausweis selbst wird auch

E  inwohner-, Handels- und Liegenschafts­ registriert. Öffentliche Register könnten in einer


register: Die Registerführung ist eine der «Public Blockchain» geführt werden, sodass die
zentralen Aufgaben eines Staats. Nachdem über Bürger die Möglichkeit haben, am Konsens mit-
Jahrhunderte Register auf Papier geführt wor- zuwirken.
den sind, ergeben sich durch die Digitalisierung Die Revokation dient dem Rückzug des Aus-
neue Möglichkeiten. So hat die Schweiz unter weises und hat nur einen Bezug zum Register der
anderem die Gemeinden 2006 aus statistischen Ausweise, jedoch nicht zu den Registerdaten.
Gründen verpflichtet, Einwohnerregister elekt- Bei der Authentifikation geht es darum, zu be-
ronisch zu führen.1 stätigen, dass es sich um die entsprechende Per-
Seit rund zehn Jahren gibt es mit der Block- son handelt. Dies wird im Normalfall nicht mit
chain eine Technologie zur dezentralen Spei- Zugriff auf das Register, sondern mithilfe des
cherung von Transaktionsdaten. Mit der ga- Ausweises erreicht. Das kritischste Element in
rantierten Integrität der Informationen scheint den Prozessen ist die (Re-)Identifikation, welche
sie besonders geeignet, um in der Registerfüh- durch qualifizierte Personen – typischerweise
rung eingesetzt zu werden. Im Folgenden gehen einer Behörde – durchgeführt werden muss, die
wir der Frage nach, inwiefern die Blockchain-­ Vertrauen geniessen.
Technologie auf dem heutigen Stand für ein Per-
sonenregister geeignet ist. Experimente in Zug und Genf
Die relevanten Prozesse zur Führung eines
Personenregisters sind Identifikation, Regis- Auch wenn es sich bei der Blockchain um eine
trierung, Revokation und Authentifikation. neue Technologie handelt, sind bereits einige
Bei der Identifikation geht es um die eindeuti- Behörden daran, gemeinsam mit Technologie-
ge Feststellung der Identität der Person. Dazu unternehmen erste Gehversuche mit der Block-
ist das Register selbst nur bedingt im Einsatz, chain zu unternehmen. Die Stadt Zug bietet bei-
weil die Zuordnung der identifizierenden Per- spielsweise eine «digitale Identität» an, welche
sonenmerkmale zur Person anderweitig sicher- statt auf einem Server der Stadtverwaltung auf
1 Bundesversammlung
zustellen ist. Wichtig ist, dass über die Person dem Mobiltelefon der Person gespeichert wird.
(2015). genügend identifizierende Informationen erho- Die Stadt nimmt lediglich die Identifikation

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  23
BLOCKCHAIN

der Person vor, die Blockchain dient der Siche- die Echtheit des Dokumentes und dessen Her-
rung der Integrität der Daten auf dem Mobiltele- kunft garantiert.
fon. Auch der Kanton Zug experimentiert mit Bei all diesen Beispielen werden keine Re-
der neuen Technologie: Das dortige Handelsre- gisterdaten in die Blockchain eingetragen. Die
gisteramt hat mit Partnern auf der Basis einer Blockchains werden primär dazu verwendet,
Blockchain den kompletten Gründungsprozess einen verteilten Prozess zu vereinfachen oder
einer Aktiengesellschaft inklusive Eintragung Ausweise zu bestätigen.
ins Handelsregister demonstriert. Die Regis-
terführung bleibt in diesem Fall in der bisheri- Informationssicherheit und
gen Handelsregister-Lösung, die Gründung mit
­Privatheit
Beteiligung mehrerer Partner wird hier durch
«Smart Contracts» in der Blockchain unter- Ein wichtiger Aspekte bei Registern ist die Infor-
stützt. Smart Contracts sind fix programmierte mationssicherheit.2 Dabei geht es unter anderem
Verhalten, die in Blockchains gespeichert sind um Verfügbarkeit, das heisst, um die Möglichkeit,
und ausgeführt werden. Niemand kann deren in nützlicher Frist auf Information zuzugreifen.
Ausführung kontrollieren, und daher sind diese Weiter geht es bei der Informationssicherheit um
Die Blockchain-­ für alle vertrauenswürdig. Integrität: Damit ist gemeint, dass die erhaltenen
Technologie kann Im Kanton Genf schliesslich kann man dank Daten die Realität korrekt abbilden. Schliesslich
hilfreich sein, um die
Echtheit von Daten zu
der Blockchain-Technologie einen Registeraus- geht es um Vertraulichkeit – um die Verhinde-
bestätigen. Handels- zug bestellen. Mit der Blockchain werden zudem rung eines unberechtigten Zugriffs.
registerarchiv in Zug.

KEYSTONE

24  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


FOKUS

Während Verfügbarkeit und Integrität durch hat sich deshalb bewährt, dass Register korri-
Blockchains gut unterstützt werden, ist die Ver- giert werden konnten. Ein Recht auf Vergessen
traulichkeit durch den Einsatz der Blockchain kann zudem auch für Registereinträge gelten.
langfristig nicht gegeben: Weil Daten ewig in Die Korrektur eines Registereintrags ist daher
Blockchains bleiben, diese kryptografisch aber gleichzubehandeln wie eine relevante Kontext-
nicht für unbeschränkte Zeit geschützt wer- änderung.
den können, sollten nur unkritische Informa-
tionen in Blockchains geschrieben werden. In Nachteile ernst nehmen
der Praxis führt dies dazu, dass Blockchains
nicht zur Sicherstellung der Verfügbarkeit der Was ist die Quintessenz dieser Ausführungen?
Daten selbst, sondern nur zur Sicherstellung der Informationssicherheit und Privatheit sind in
Datenintegrität verwendet werden. Dies zeigen der Registerführung zentrale Herausforderun-
auch die oben erwähnten Beispiele. gen. Die direkte Idee, Blockchains in der Regis-
Privatheit setzt Informationen mit Perso- terführung für die Datenhaltung zu verwenden,
nenbezug voraus. Dieser kann auch bei Regis- erweist sich aus heutiger Sicht als nicht umsetz-
tern von Dingen nie vollständig ausgeschlos- bar. Stattdessen werden Blockchains heute ver-
sen werden, weil Personen an der Identifikation wendet, um Prozessvereinfachungen zu reali-
beteiligt sind oder anderweitig Rückschlüs- sieren und die Integrität der Registerdaten zu
se von Dingen auf Personen möglich sind. Die bestätigen.
Daten-Eigentümerschaft (Ownership) ist bei Um Vertraulichkeit und Intervenierbarkeit
Privatheit zweitrangig.3 sicherzustellen, ist es notwendig, das eigent-
Während Transparenz durch Blockchains liche Halten der Registerdaten aus heutiger 2 Hansen et al. (2015);
gut unterstützt werden kann und Unverknüpf- Sicht nicht mit der Blockchain-Technologie ab- vgl. auch Spichiger et
al. (2019).
barkeit sowieso durch den Kontext gelöst wer- zudecken, sondern anders zu lösen. Bei der Si- 3 Privatheit ist seit 2018
den muss, ist die Intervenierbarkeit (wegen der cherstellung der Integrität und, je nach Kon- europaweit in der Ver-
ordnung zum Schutz
Nichtveränderbarkeit der Daten) gesondert um- text, auch der Transparenz können Blockchains natürlicher Personen
bei der Verarbeitung
zusetzen. unterstützend eingesetzt werden. Inwiefern personenbezogener
sich dies nicht einfacher durch andere Techno- Daten (EU General Data
Protection Regulation
Registerführung als langfristige logien realisieren lässt, ist noch offen. GDPR) geregelt.

Herausforderung
Veränderungen eines Registers sind wegen ihrer
langen Einsatzzeit normal. Da Änderungen auf
Ebene der Technologien (Technologiewechsel)
wahrscheinlich sind, muss die gewählte Tech-
nologie offen für einen Systemwechsel sein.
Mit anderen Worten: Bei einer Veränderung auf
technischer, semantischer, organisatorischer Andreas Spichiger
oder juristischer Ebene müssen die Informa- Prof. Dr., Leiter E-Government-Institut, Berner
­Fachhochschule
tionssicherheit und die Privatheit weiterhin ge-
währleistet werden.
Im Zusammenhang mit der (Re-)Identifika-
tion und der Registrierung kann es im Prozess Literatur
auch zu inhaltlichen Fehlern kommen. Auch Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (2015).
Bundesgesetz über die Harmonisierung der Einwohnerregister und
bei einem Smart Contract kommt es letztlich anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungs­
auf den Kontext an: Der Kontext der Block- gesetz, RHG). Switzerland, S. 1–10.
Hansen M., M. Jensen und M. Rost (2015). Protection Goals for Privacy
chain muss mit technischen, semantischen, Engineering, Proc. – 2015 IEEE Secur. Priv. Work, S. 159–166.
Spichiger A., H. Rötzer und A. Neuroni (2019). Hoheitliches Han-
organisatorischen und rechtlichen Regelun- deln und Registerführung, in: Handbuch E-Government – Technik­
gen sicherstellen, dass die Eingabedaten hin- induzierte Verwaltungsentwicklung, Springer R., J. Stem-
ber, W. ­Eixelsberger, A. Spichiger, A. Neuroni, F.-R. Habbel und
reichend korrekt sind. In der Vergangenheit M. ­Wundara, Hrsg. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  25
«Zug ist für das Crypto Valley das, was
RETO PROBST / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Palo Alto für das Silicon Valley ist»:


Mathias Ruch im Co-Working-­Space
von Crypto Valley Venture Capital in
Zug.
FOKUS

«Selbst die Gegner können sich der


Blockchain nicht verweigern»
Investor Mathias Ruch sagt, weshalb sich die Blockchain-Technologie trotz dem Platzen
der Bitcoin-Blase durchsetzen wird. Ein Indiz ist für ihn, dass bereits die Hälfte der welt-
weit hundert grössten Firmen eigene Blockchain-Projekte verfolgen.  Nicole Tesar

Herr Ruch, bisher war Zug bekannt für tiefe Steu- sehr wertvoll waren. Zudem hat die Schweiz
ern und Kirschtorten. Wieso siedeln sich ­gerade ein attraktives Stiftungsrecht.
hier so viele Blockchain-Unternehmen an?
Steuern haben sicher eine Rolle gespielt, aber Warum ist Letzteres entscheidend für die
nicht die ausschlaggebende. Angefangen hat al- Blockchain-Firmen?
les damit, dass sich 2013 das Blockchain-Unter- Das Schweizerische Stiftungsrecht legt die
nehmen Ethereum in Zug niedergelassen hat. Besitzrechte in die Hände der Organisation
Das ist in etwa so, als hätte Google seine Gara- selbst, der Zugriff von aussen wird damit er-
ge nicht im Silicon Valley, sondern in Zug aufge- schwert. Und auch wenn es etwas kitschig
baut. Viele andere Start-ups sind diesem Vorbild tönt: Die föderalistische Struktur der Schweiz
gefolgt, und daraus hat sich ein Ökosystem aus mit den Kantonen und Gemeinden – also dass
Start-up-Firmen, Investoren, Anwälten und an- zum Beispiel jeder Kanton die Schule und das
deren Dienstleistern gebildet: das Crypto Valley. Steuersystem nach seiner Vorstellung gestal-
Seither haben Netzwerkeffekte eingesetzt, die ten kann  –, das war für diese ausländischen
weitere Firmen anziehen. Pioniere sehr inspirierend. Diese Konsensme-
chanismen verbunden mit der dezentralen
Aber wieso Zug? Waren die Regulierungen in Struktur der Schweiz haben sie absolut fas-
Zug lascher als anderswo? ziniert. Das war nicht unbedeutend, denn die
Nein, aber die liberale Haltung der Zuger Regie- ersten Kryptowährungen waren eine Art anar-
rung half sicherlich. Dank der Industrie, die sich chistisches Projekt: Es ging darum, das Finanz-
über die Jahre in Zug angesiedelt hat, ist man system umzukrempeln und eine Machtver-
hier offen gegenüber Unbekanntem und fragt schiebung zu erreichen. Und dazu braucht es
sich, wie man die Firmen unterstützen kann, gemäss den Pionieren dezentrale Strukturen.
anstatt sie einzuschränken. Wenn man die
Blockchain-Unternehmen fragt, war das durch- Heute gibt es auch in der Westschweiz und im
aus ausschlaggebend. Viele haben sich zwischen Tessin Blockchain-Firmen. Ist das eine neue
Singapur und Zug letztlich für Zug entschieden. Entwicklung?
In der Schweiz existieren rund 750 Block-
Was sprach für die Schweiz als Standort? chain-Firmen, davon rund 400 im Raum Zug-­
Wichtig war, dass die Schweizerische Finanz-
marktaufsicht Finma im Vergleich zu anderen
Mathias Ruch
Ländern früh kommuniziert hat, dass man eine
Der 42-jährige Mathias Ruch ist Mitgründer und Chef des ers-
offene Haltung einnehmen und Blockchain-­ ten Blockchain-Investors der Schweiz, der Crypto Valley Ven-
Geschäftsmodelle grundsätzlich tolerieren ture Capital (CV VC) in Zug. Als Unternehmer und Investor ist
will. Das hat schon 2017 zu einer Art Rechts- Ruch seit 20 Jahren in der digitalen Start-up-Szene tätig. Er
ist zudem Initiator, Vorstandsmitglied und Vorsitzender des
sicherheit geführt. Zwar keiner umfassenden,
Expertenrats der Swiss Blockchain Federation, einer öffent-
aber immerhin. Später folgten dann konkrete lich-privaten Partnerschaft mit dem Ziel, die Attraktivität der
Richtlinien der Finma, welche für viele Firmen Schweiz als globale Blockchain-Drehscheibe zu fördern.

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  27
BLOCKCHAIN

Zürich. Da die ersten Anwendungen aus dem für eine Idee zu geben, die auf drei Seiten be-
Finanzsektor kamen, machte es Sinn, dass sich schrieben ist, eine farbige Website hat und drei
diese Firmen im Finanzzentrum Zürich ansie- Leute, die sie umsetzen wollen. Deshalb woll-
delten. Aber auch Genf ist sehr aktiv. Und es gibt ten wir zuerst ins Ökosystem investieren und
spannende Entwicklungen im Tessin, in Neuen- haben einen Co-Working-Space eröffnet. Wir
burg, in Glarus, Basel und Bern. Ein Grund da- haben uns gesagt: Sobald weitere Projekte hin-
für ist sicher, dass der frühere Bundesrat Johann zukommen und wenn alles etwas fundierter
Schneider-Ammann die Crypto Nation ausge- wird, wollen wir das Inkubationskonzept um-
rufen hat. Man hat sich auf die Fahne geschrie- setzen. Erste Signale dafür haben wir Anfang
ben, dass die Schweiz eine Vorreiterrolle spielen 2018 beobachtet.
soll. Das hat geklappt. Damit kleinere Hubs wie
das Tessin oder Genf wachsen können, braucht Was macht Ihr Unternehmen genau?
es neben der Regulierung und der Steuersitua- Wir investieren in die verschiedenen Stufen im
tion eine Community bestehend aus Start-ups, Lebenszyklus eines Start-ups. In der Frühpha-
Dienstleistern, Universitäten und so weiter. Zug se der Start-ups machen wir sogenannte Inku-
ist diesbezüglich auch heute noch das Herz die- bation. Das heisst: Wir schauen uns weltweit
ser Community – sozusagen das, was Palo Alto rund 500 Blockchain-Start-ups an und wäh-
für das Silicon Valley ist. len davon bis zu 20 Jungfirmen aus, die für ein
zehnwöchiges Programm nach Zug kommen.
Sie sind Gründer und Chef von Crypto Valley Mit einem Mentorenprogramm wollen wir sie in
Venture Capital in Zug, die es seit 2018 gibt und zehn Wochen auf ein bestimmtes Level bringen,
aus dem Start-up-Investor Lakeside Partners sie inhaltlich coachen und auch für rechtliche
entstanden ist. Warum war die Zeit reif für den Aspekte sensibilisieren. Gerade bei Geschäfts-
ersten Blockchain-Inkubator? modellen mit sogenannten Tokens braucht es
Wir haben festgestellt, dass die Projekte aus Know-how, das die meisten Start-ups unter-
dem Crypto Valley im Vergleich zu anderen schätzen. In jedes dieser Start-ups investieren
Start-ups einen sehr tiefen Reifegrad haben. wir bis zu 125 000 Franken; im Gegenzug erhal-
Es macht keinen Sinn, jemandem 50 Millionen ten wir Anteile.

28  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


FOKUS

Woher kommen diese Start-ups? tischen Form gleichzeitig auf verschiedenen


Die Mehrheit kommt aus Europa, aber es gibt Computern abgesichert. Je mehr Speicherorte in
auch Unternehmen aus den USA, China, Indien diesem System teilnehmen, desto mehr Kopien
oder Afrika. gibt es, und umso schwieriger ist es, diese Daten
zu verändern.
Und die Schweiz?
Die Schweiz führt die Liste mit knapp 20 Prozent Und welches sind die weiteren Technologien?
aller Bewerbungen an. Gemessen an der Bevölke- Da ist die Kryptografie: Dabei werden die Daten
rungsgrösse der Schweiz ist das bemerkenswert. verschlüsselt und sind des-
halb sehr sicher. Zudem gibt es
Die Investoren investieren in Ihr Unternehmen noch sogenannte Konsensus-­ «Wissen Sie etwa bis ins
und nicht in konkrete Projekte. Entscheiden Algorithmen über das Ganze: Detail, wie Ihr Smart-
Sie, welches Projekt wie viel Geld erhält? Das heisst, wenn die teilneh-
Beides trifft zu. Aber grundsätzlich funktioniert menden Rechner übereinkom-
phone funktioniert?»
auch Crypto Valley Venture Capital nach dem men, dass ein Zustand stimmt,
Modell, dass wir für unsere Investoren die Invest- wird er auf allen Computern abgespeichert und ist
mentopportunitäten aufspüren und dann für alle überall identisch. Möchte jemand diesen Zustand
zusammen investieren, genauso wie bei einem ändern, müsste er die Mehrheit dieser Computer
Investmentfonds. Als Venture-Capital-Firma der gleichzeitig angreifen. Das ist fast nicht möglich.
nächsten Generation ist es uns besonders wich-
tig, etablierte Prozesse und Strukturen zu über- Wo liegt nun der zusätzliche Nutzen der
nehmen. So gibt es natürlich auch bei uns ein ­Blockchain?
Investitionskomitee, welches die Projekte aus- Sie macht Prozesse effizienter, macht Mittels-
wählt. Die Investoren wissen im Vorfeld also ge- männer überflüssig und bringt schliesslich Pro-
nau, nach welchem System wir investieren. dukte und Dienstleistungen günstiger auf den
Markt. Zudem braucht es keine Vertrauensbezie-
Wer sind die Investoren? hung mehr zwischen zwei Vertragsparteien, weil
Privatinvestoren, Family-Offices, aber auch die Technologie diese bereits integriert hat. Und
Unternehmen. Einige sind aus der Dotcom-Ära, schliesslich werden bisher bestimmten Eliten vor-
andere aus der Old Economy. Viele suchen eine behaltene Werte wie Aktien und Güter wie Immo-
Investitionsmöglichkeit, mit der sie breit in bilien durch die Tokenisierung und die Demokra-
Blockchain-Projekte investieren können, ohne tisierung des Zugangs allen zugänglich gemacht.
sich mit Details beschäftigen zu müssen. Die Ein Gründer sagte einmal: «Once you understand
Komplexität in diesem noch jungen Bereich ist what the blockchain is you can’t sleep anymore.»
nicht zu unterschätzen. Hier bieten wir eine Art Er meinte damit, dass man durch den Einsatz der
Sorglospaket für Investoren an. Technologie beginnt, existierende Prozesse, Sys-
teme und Rollen zu hinterfragen. Viele trauen des-
Können Sie einem Laien in wenigen Worten halb der Blockchain auch zu, Demokratisierungs-
­erklären, was die Blockchain ist? prozesse in Ländern loszutreten.
Eigentlich muss man nicht wissen, wie diese
Technologie funktioniert. Oder wissen Sie etwa In welchen Bereichen sind die Schweizer
bis ins Detail, wie Ihr Smartphone funktioniert? Blockchain-­Firmen aktiv?
Die Finanzdienstleistungen machen immer noch
Nein. Aber ich höre mir gerne an, wie ein einen grossen Teil aus. Aber die Anwendungsmög-
­E xperte die Blockchain erklärt. lichkeiten sind breit. Bei Immobilien gibt es bei-
Eigentlich ist keine der Technologien bei der spielsweise die Möglichkeit, mittels Blockchain
Blockchain komplett neu. Es ist eine Kombina- die Finanzierung eines Hauses in kleinere Einhei-
tion aus Technologien, die es seit Jahrzehnten ten zu zerlegen und so die Zahl der möglichen In-
gibt. Am wichtigsten ist die dezentrale Speiche- vestoren zu vergrössern. Ein anderes Beispiel sind
rung von Daten. Die Daten werden in einer iden- Landregister. Landbesitzer in Ländern, in denen

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  29
BLOCKCHAIN

Besitz nicht wie bei uns durch lange etablierte Sys- Sehen Sie auch in der Blockchain-Technologie
teme gesichert ist, könnten dann beweisen, dass eine mögliche Blase?
ihnen das entsprechende Grundstück gehört. In Ich glaube nicht. Was die wenigsten wissen: Von
unserem engsten Umfeld sind über 30 Branchen den hundert grössten Firmen weltweit verfolgt
vertreten: Sie reichen von Datenanalyse bis Me- die Hälfte eigene Blockchain-Projekte. Das zeigt
dien und Unterhaltung. Im Medienbereich geht es uns, dass die Technologie vielversprechend ist.
etwa um die Vergütung von Lizenzgebühren von Über sie sind derart grosse Effizienzsteigerun-
Songs, die bisher sehr kompliziert organisiert war. gen möglich, dass sich das hundertprozentig
durchsetzen wird. Selbst die Gegner können
Wir sind aber noch weit davon entfernt, dass sich der Blockchain nicht verweigern, nehmen
die Blockchain unseren Alltag bestimmt. Sie die Banken: Vor Kurzem hat die US-Bank JP
Wahrscheinlich ist das so. Und wir sind in der pri- Morgan Chase den JPM-Coin lanciert, um den
vilegierten Schweiz vielleicht die Falschen, um das Interbankentransfer abzuwickeln.
zu beurteilen. Wenn Sie aber in Botswana oder in
Venezuela leben und weder die Möglichkeit ha- Der gegenwärtige Hype ist also nicht mit der
ben, Ihre Identität zu beweisen, noch Zugang zum Dotcom-Blase vergleichbar?
Finanzsystem haben noch Ihren Besitzanspruch Die Dimensionen sind ganz unterschiedlich. Die
geltend machen können – dann denken Sie viel- Marktkapitalisierung in der Dotcom-Blase war
leicht etwas anders über diese Themen. Wenn Sie rund ein Dutzend Mal grösser als bei der Block-
bedenken, dass fast alle dieser Menschen heute chain. Ich glaube, die Blockchain ist ein Hype­
ein Mobiltelefon haben und damit mittels digita- thema, klar. Wenn Freunde, die vorher keine
ler Währungen wie Bitcoin Zugang zum Finanz­ Berührungspunkte mit Kryptowährungen hat-
system haben könnten, dann sehen Sie die Ver- ten, plötzlich fragen, ob sie in Bitcoin investie-
heissung, die für viele in dieser Technologie steckt. ren sollen, dann ist das ein Zeichen. Das Narra-
tiv hat sich in den Medien aber verändert und
Viele Projekte sind ja erst Versprechungen setzt sich nun mit den realistischen Möglichkei-
für die Zukunft. Gibt es schon Unternehmen, ten der Technologie auseinander.
die Geld damit verdienen?
Viele Blockchain-Projekte sind erst Zukunfts- Wohin geht die Blockchain-Reise 2019?
musik. Hier in unserem Co-Working-Areal ver- 2019 ist ein Jahr der Bereinigung, der Blockchain-­
dienen erst wenige Geld damit. Eine Ausnahme Bereich wird erwachsen. Ich erwarte zum Bei-
ist das Projekt Etherisc, das eine Flugversiche- spiel im Grundlagenbereich grosse Fortschritte.
rung für Flugverspätungen und -ausfälle anbie- Gerade im Finanzbereich müssen die Strukturen
tet. Mit wenigen Klicks kann man eine Versiche- erst den Bedürfnissen der wirklich grossen Mit-
rung für einen bestimmten Flug abschliessen. spieler angepasst werden. Diese Infrastruktur
Gespeichert wird sie in einer Blockchain. Die entsteht jetzt. Im täglichen Leben werden wir das
Auszahlung erfolgt dann automatisch. erst später, vielleicht in fünf Jahren spüren.

Es gab auch schon Rückschläge. Beispielsweise Sind die Banken also die Motoren oder die
ist bei den Kryptowährungen letztes Jahr eine ­Gegner der Blockchain?
Blase geplatzt. Das kommt sehr darauf an, wen Sie fragen. Eini-
Ja, wenn der Kurs von knapp 20 000 auf 4000 ge Banken wie JP Morgan starten nach anfäng-
Franken fällt, wie bei Bitcoin, dann ist das wahr- licher Skepsis eigene Grossprojekte. Andere, da-
scheinlich das Platzen einer Blase. Das ist aber runter auch Banken in der Schweiz, sehen mehr
auch gut so. Diese Korrektur war notwendig. Es Risiken als Chancen und stecken den Kopf in den
war definitiv ein Hype-Thema. Tatsächlich gab Sand. Ich persönlich wünsche mir für die kleine
es in den letzten Monaten auch kaum mehr Ini- Schweiz, dass sie etwas grösser denkt, oder an-
tial Coin Offerings in der Schweiz. Ich glaube zu- ders gesagt: etwas mehr Mut zum Risiko zeigt.
dem auch nicht, dass es weltweit 2000 verschie-
dene Kryptowährungen braucht. Interview: Nicole Tesar, Co-Chefredaktorin.

30  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


AUFGEGRIFFEN VON ERIC SCHEIDEGGER

Ruhig Blut bewahren bei Big Data


Das Modell scheint einfach: Wer auf elektronischen Plattformen viele Daten
sammelt, diese geschickt auswertet und in ein internetbasiertes Geschäfts­
modell integriert, stösst bei den Nutzern auf Begeisterung. Er erhält dadurch
täglich Unsummen von Klicks, wird zum Shootingstar der Plattformen und
zum milliardenschwer bewerteten Unternehmen. So könnte man verkürzt den
kometenhaften Aufstieg der «GAFA»-Firmen Google, Apple, Facebook und
Amazon skizzieren. Sie stehen stellvertretend für übermässig erfolgreiche
Unternehmen des digitalen Zeitalters – und für eine neue Herausforderung der
Wirtschaftspolitik: Wie geht man mit marktdominierenden Internetgiganten um?
Die «Superstarfirmen» haben auch unter Ökonomen eine negative Konnotation.
Ihnen wird vorgehalten, sie tendierten aufgrund von positiven Netzwerk­
effekten zu marktbeherrschender Dominanz: Je mehr Nutzer eine Plattform
hat, desto mehr Daten hat sie zur Verfügung, desto interessantere Leistungen
kann sie entwickeln, und desto mehr potenzielle Werbekunden steigen wieder-
um ein. In der Folge erobert sie so noch mehr Marktanteile. Diese mikroökono-
mische Sichtweise wird von Makroökonomen um eine kritische Dimension
ergänzt: Weil solche Superstarfirmen typischerweise einen relativ geringen
Lohnanteil an der Wertschöpfung haben, erodiert mit ihrem Aufstieg auch der
Anteil der Löhne am gesamtwirtschaftlichen Einkommen. Und dies könnte die
soziale Ungleichheit erhöhen.
Verschiedene Elemente dieser vereinfachten Gedankenführung sind empirisch
erhärtet. Das heisst aber nicht, dass die gesamte Argumentationskette richtig
ist. Erstens bedeuten mehr Daten nicht zwingend mehr Marktmacht. Das
jährlich weltweit produzierte Datenvolumen beträgt zurzeit 33 Zettabyte – das
ist die Zahl mit den 21 Nullen. Das tönt beeindruckend, doch relevant ist nicht
die Menge, sondern die Qualität. Banken und Detailhändler verfügen über
aussagekräftigere Daten als die von mir verwendeten Suchmaschinen. Zudem
verlieren Angaben rasch an Relevanz: So sind meine Nutzerdaten von 2017
bereits veraltet. Und schliesslich sind Daten spezielle «Produkte»: Sie sind nicht
ausschliessende und nicht abnutzende Güter. Das heisst, dieselben von mir
produzierten Daten können von verschiedenen Unternehmen immer wieder

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  31
AUFGEGRIFFEN

erhoben und verwendet werden. Sie müssen nicht zwingend nur auf ein Unter-
nehmen konzentriert sein.
Zweitens ist eine beeindruckende Marktstellung von digitalisierten Unterneh-
men nicht per se mit beeinträchtigtem Wettbewerb gleichzusetzen. Denn die
starke Position spiegelt eben auch den Erfolg eines Geschäftsmodelles. Ent-
scheidend ist vielmehr, dass grosse Marktakteure ihre Stellung nicht missbrau-
chen, um etwa den Markteintritt neuer Konkurrenten zu erschweren. Und
gerade bei digitalen Plattformen sind die Voraussetzungen für potenziellen
Wettbewerb grundsätzlich günstig. In Teilbereichen einzelner elektronischer
Angebote – wie etwa an Werbeeinnahmen gekoppelte Nachrichtendienste mit
Fotoaustausch – befinden sich grosse Plattformen in Konkurrenz. Allein im
Markt für Musik- und Filmstreaming gibt es verschiedene erfolgreiche Konkur-
renten mit leistungsfähiger Technologie und wertvollen Kundendaten.

Verhältnismässig niedrige Eintrittshürden


Zudem sind die Marktzutrittshürden bei digitalen Geschäftsmodellen grund-
sätzlich überwindbar. Vereinfacht gesagt: Potenzielle Konkurrenten mit aus-
sichtsreichen Geschäftsideen benötigen für den Markteintritt nur Zugang zu
Servern, Datenzentren, Software, Ingenieuren, Businesspartnern und Büroräu-
men; sie müssen keine industriellen Produktionsanlagen mit hohen Fixkosten
aufbauen. Und falls sie nach dem Markteintritt nicht erfolgreich sind, können
sie ihre Sachgüter relativ einfach wieder veräussern. Das galt damals auch für
Google. Für den Neuankömmling war es deshalb einfach, den damaligen Platz-
hirsch Altavista als stärkste Suchmaschine zu verdrängen.
Die Wettbewerbsbehörden verfolgen die Digitalisierung der Märkte mit Auf-
merksamkeit. Aufgrund der Vielfalt innovativer Geschäftsmodelle richten sie
ihr Augenmerk gezielt auf Einzelfälle. Angesichts der dynamischen Entwick-
lungen üben sie sich bewusst in Zurückhaltung und bewahren ruhig Blut. Denn
vermeintliche digitale Problemfälle können sich dank des Wettbewerbs von
allein lösen.

Eric Scheidegger ist Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik des Staatssekretariats
für Wirtschaft (Seco) in Bern.
eric.scheidegger@seco.admin.ch

Mit diesem Aufgegriffen verabschiedet sich Eric Scheidegger von dieser Kolumne.

32  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


EINLAGENSICHERUNG

Finanzmarkt: Gesetzgebung auf


der Zielgeraden
Die Verordnungen zum Finanzdienstleistungsgesetz und zum Finanzinstitutsgesetz e­ rhalten
derzeit den letzten Schliff. Die Gesetzespakete, die unter anderem den Anlegerschutz
­verbessern, sollen Anfang 2020 in Kraft treten.  Bruno Dorner, Oliver Zibung

Abstract    Das Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) und das Finanzinstitutsgesetz Börse (oder einem anderen Handelsplatz)
(FINIG) sind zentral für den Schweizer Finanzplatz: Das FIDLEG bringt Verhaltens- ein Gesuch um deren Zulassung stellen wol-
regeln für alle Finanzdienstleister, die Prospektpflicht für Effekten, ein Basisinfor- len. Der Prospekt enthält für die Anleger de-
mationsblatt für Finanzinstrumente und obligatorische Ombudsstellen. Das FINIG taillierte Angaben zum Emittenten und zum
konsolidiert die Anforderungen an die verschiedenen Vermögensverwalter. Die unab- Wertpapier. In der Vernehmlassung stiessen
hängigen Vermögensverwalter, Trustees und Verwalter von Vorsorgevermögen fal- diese Prospektregeln kaum auf Kritik.
len neu unter eine prudenzielle Aufsicht. Das Börsengesetz wird aufgehoben, und das Der grosse Umfang dieses Verordnungs-
Kollektivanlagengesetz mutiert zu einem reinen Produktgesetz. Im Februar endete teils ergibt sich daraus, dass in ihren Anhän-
die Vernehmlassung zu den entsprechenden Verordnungen, welche das Staatssekre- gen für jede Effektenkategorie (Beteiligungs-
tariat für internationale Finanzfragen (SIF) derzeit überarbeitet. Diese sollen zusam- und Forderungspapiere, Derivate etc.) ein
men mit den beiden Gesetzen auf 1. Januar 2020 in Kraft treten. eigenes Schema zu Form und Inhalt des je-
weiligen Prospekts abgebildet werden muss-
te. Diese Schemata orientieren sich im We-

I  m Juni 2018 hat das Parlament mit dem Fi-


nanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) und
dem Finanzinstitutsgesetz (FINIG) zwei für
stimmungen namentlich zum Auftrag, an den
bewährten Regeln der Selbstregulierung so-
wie am EU-Recht. Konkretisiert werden ins-
sentlichen an den aktuellen Regularien der
Schweizer Börse SIX Swiss Exchange. Die Ver-
ordnung regelt im Weiteren die Prüfung und
den Schweizer Finanzplatz zentrale branchen- besondere die Pflichten der Finanzdienstleis- die Veröffentlichung des Prospekts, die neu
übergreifende Erlasse verabschiedet.1 Sie ver- ter zur Information des Kunden, zu einer Eig- eingeführte Prüfstelle für Prospekte und de-
einheitlichen die Wettbewerbsbedingungen, nungs- und Angemessenheitsprüfung sowie ren Beaufsichtigung durch die Eidgenössi-
verbessern den Kundenschutz und entschla- zur entsprechenden Dokumentation und Re- sche Finanzmarktaufsicht (Finma). All diese
cken die Finanzmarktgesetzgebung. Die bei- chenschaftsablage. Weiter finden sich in der Regeln entsprechen materiell international
den Gesetze müssen nun in Verordnungen Verordnung Vorgaben zur Bearbeitung und üblichen Standards.
ausgeführt werden. In einer Vernehmlassung, zur bestmöglichen Ausführung von Kunden- Erwähnenswert ist, dass bei diversen For-
die im Februar endete, hat der Bundesrat den aufträgen («best execution»). Sodann wird men von Anleihen und auch bei strukturier-
Branchenverbänden und politischen Akteuren geregelt, wie Finanzdienstleister verhindern ten Produkten eine Prospektprüfung auch
entsprechende Entwürfe unterbreitet. müssen, mit ihren Vergütungen an die Mit- erst nach der Platzierung auf dem Markt er-
Derzeit wertet das Eidgenössische Finanz- arbeitenden Anreize zur Missachtung gesetz- folgen kann. Dies erleichtert es den Emit-
departement (EFD) die Rückmeldungen aus. licher Pflichten oder für schädigendes Verhal- tenten, ein marktnahes Angebot zu erstel-
Worum geht es? ten gegenüber den Kunden zu schaffen. Die len. Was die im Finanzdienstleistungsgesetz
Verordnung zum FIDLEG regelt schliesslich vorgespurten Erleichterungen für kleine und
Klare Regeln für den Umgang mit Interessenkonflikten, die mittlere Unternehmen (KMU) angeht, so hat
Registrierung von Kundenberatern sowie die sich während der Arbeiten an der Verordnung
Finanzdienstleistungen konkreten Anforderungen an die neue, pri- ergeben, dass auf solche weitgehend verzich-
Die Finanzdienstleistungsverordnung (FID- vat zu organisierende Registrierungsstelle für tet werden kann und soll. Dies deshalb, weil
LEV) konkretisiert zum einen die mit dem Kundenberater. zum einen kleinere Unternehmen bereits von
FIDLEG eingeführten zeitgemässen auf- Die Reaktionen in der Vernehmlassung er- der Sache her im Prospekt oft gar keine An-
sichtsrechtlichen Verhaltensregeln, welche geben im Wesentlichen, dass bei den Verhal- gaben zu machen haben und die entspre-
Finanzdienstleister beim Angebot und beim tensregeln vor allem noch Klärungsbedarf zu chenden Rubriken leer lassen können und
Erbringen ihrer Dienstleistungen beachten den Definitionen des Angebots und der Finanz- zum anderen der Investor auch oder gerade
müssen. Die Regeln gelten beispielsweise dienstleistung besteht. Beide Begriffe sind zen- bei wenig bekannten KMU einen berechtig-
beim Kauf und Verkauf von Finanzinstrumen- tral für die Frage, wer mit welcher seiner Tätig- ten Anspruch auf Transparenz hat. Es hat sich
ten – wie etwa Aktien, Fonds und struktu- keiten unter das Gesetz fällt und wer nicht. hiebei als äusserst schwierig herausgestellt,
rierten Produkten –, bei der Vermögensver- Der grösste Teil der Verordnung zum FID- für die Transparenz wichtige von unwichti-
waltung und bei der Anlageberatung. Sie LEG besteht in Ausführungsbestimmungen gen Informationen zu trennen.
orientieren sich an den privatrechtlichen Be- zum Prospekt, den die Emittenten für ihre Die gleichen Probleme bestehen offen-
1 Die Gesetzestexte (FIDLEG und FINIG) sind im Bundes-
Wertpapiere veröffentlichen müssen, bevor bar auch in der EU, wo der «Wachstums-
blatt abrufbar. sie diese öffentlich anbieten oder bei einer prospekt» von seinem nun vorgegebenen

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  33
EINLAGENSICHERUNG

KEYSTONE
Wer eine Aktie herausgeben möchte, muss zahl-
reiche Regeln beachten. Büro der Schweizer Börse
SIX Swiss Exchange in Zürich. rungsanlageprodukte» (PRIIP) an, ohne diese wird – mit entsprechenden Folgen für die
indes unbesehen zu übernehmen. Insbeson- konkrete Ausgestaltung ihrer Vermittlungs-
dere wird darauf verzichtet, zwingend die tätigkeit.
Inhalt her kaum mehr wie angekündigt der Verwendung eines Risikoindikators vorzu-
KMU-Förderung dient. Zu bedenken ist vor schreiben, da dieser für die Anleger irrefüh- Vorgaben für Vermögens­
allem aber auch, dass das Schweizer Par- rend sein kann. Ferner regelt die Verordnung
lament in den Beratungen zum FIDLEG die zum FIDLEG die Modalitäten der Bereitstel-
verwalter und Trustees
Ausnahmen von der Prospektpflicht deut- lung des Basisinformationsblattes sowie die Die Verordnung zum Finanzinstitutsgesetz
lich ausgeweitet und auch mit Blick auf die Gleichwertigkeit ausländischer Dokumente (FINIV) regelt die Bewilligungsvorausset-
KMU grosszügig ausgestaltet hat. So ist von mit dem Schweizer BIB. Diese Bestimmun- zungen und Pflichten für die einzelnen Fi-
vornherein kein Prospekt zu erstellen für öf- gen stiessen in der Vernehmlassung weitge- nanzinstitute sowie die Grundzüge der Fi-
fentliche Angebote, die einen Gesamtwert hend auf Zustimmung. nanzmarktaufsicht. Zuunterst in der Be-
von 8 Millionen Franken nicht übersteigen, Die Vorschläge zur erleichterten Durch- willigungskaskade stehen die neu einer
oder für solche, die sich an weniger als 500 setzung von Kundenansprüchen (wie etwa prudenziellen Aufsicht unterstellten unab-
Anleger richten. Branchenschiedsgerichte, Prozesskosten- hängigen Vermögensverwalter und Trus-
fonds oder offene Parteikostenverteilung) tees.2 Deren Anforderungen insbesondere
Basisinformationsblatt überstanden die Vernehmlassung nicht oder zu Organisation, Aufgaben und ihrer Über-
wurden spätestens vom Parlament verwor- tragung, Risikomanagement und interner
für Privatkunden fen. Kontrolle, Mindestkapital und Eigenmitteln
In der Verordnung zum FIDLEG werden so- Übrig geblieben ist neben der Pflicht auf sind tiefer ausgestaltet als bei den übrigen
dann die Vorgaben für das Basisinforma- Herausgabe des Kundendossiers das Obli- Finanzinstituten.
tionsblatt (BIB) konkretisiert, das neu für gatorium für Finanzdienstleister, sich einer Die laufende Aufsicht über die Ver-
komplexe Finanzinstrumente zu erstellen Ombudsstelle ihrer Branche anzuschliessen. mögensverwalter und die Trustees wird
ist, die Privatkunden angeboten werden. Es Das Gesetz sowie die Ausführungsregeln von Aufsichtsorganisationen nach Mass-
soll nicht mehr als drei Seiten umfassen und in der FIDLEG-Verordnung überlassen die gabe eines risikobasierten Aufsichtskon-
muss insbesondere Angaben enthalten zum Gründung von Ombudsstellen dem Markt. zepts ausgeübt. Für dieses gibt die Fin-
Ersteller, zur Art des Produkts, zum Risiko- So wie es heute aussieht, werden sich ver- ma ein System zur Risikobeurteilung sowie
profil des Produkts und zu den Kosten. Die schiedene Interessenten um eine Anerken-
2 Als Trustee im Sinne des FINIG gilt, wer gestützt auf
entsprechenden Vorschriften lehnen sich nung durch das EFD bewerben. In der Ver- die Errichtungsurkunde eines Trusts im Sinne des
eng an die europäische «Verordnung über nehmlassung hat sich gezeigt, dass die ge- Haager Übereinkommens vom 1. Juli 1985 gewerbs-
mässig Sondervermögen zugunsten der Begünstigten
Basisinformationsblätter für verpackte An- setzliche Vorgabe der Unabhängigkeit der oder für einen bestimmten Zweck verwaltet oder dar-
lageprodukte für Kleinanleger und Versiche- Ombudsstellen unterschiedlich ausgelegt über verfügt.

34  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


EINLAGENSICHERUNG

­ indestanforderungen vor. Die Bewilli-


M Verwalter von Kollektivvermögen, Fonds- mission für Wirtschaft und Abgaben statt,
gungsvoraussetzungen und die Aufsichts- leitungen und Wertpapierhäuser werden bevor sie der Bundesrat wohl Ende Oktober
tätigkeiten der Aufsichtsorganisationen durch die Finma beaufsichtigt, wobei die 2019 verabschiedet und mit dem FIDLEG und
sind in einer eigenständigen Aufsichtsor- Überwachung über die Einhaltung der vor- dem FINIG zusammen auf den 1. Januar 2020
ganisationenverordnung geregelt. sorgerechtlichen Vorschriften durch Verwal- in Kraft setzt. Die Schweiz verfügt damit in
In der Vernehmlassung kamen aus der ter von Vorsorgevermögen im Kompetenzbe- Zukunft über eine in weiten Bereichen wieder
Vermögensverwalter- und der Trustbranche reich der für die Vorsorgeeinrichtungen zu- zeitgemässe Finanzmarktgesetzgebung.
Anpassungsvorschläge zu den Betriebsanfor- ständigen Aufsichtsbehörden verbleibt. Im
derungen sowie zur Aufsicht. Diese betrafen Rahmen der Vernehmlassung gingen zu die-
namentlich die Organe, die finanziellen Mittel sem Teil der Verordnung nur vereinzelt An-
und die Rechnungslegung. passungsvorschläge ein.
Nebst Vermögensverwaltern und Trus-
tees erfasst die Verordnung zum FINIG Einführung bereits 2020
auch die Verwalter von Kollektivvermö-
gen (das heisst von kollektiven Kapitalanla- Die Verordnungen zu FIDLEG und FINIG wir-
gen und neu auch von Vorsorgeeinrichtun- ken sich auf andere Bundesratsverordnungen
gen), Fondsleitungen und Wertpapierhäuser aus. So soll die Börsenverordnung aufgeho- Bruno Dorner
(vormals Effektenhändler). Für diese in der ben werden. Die meisten übrigen Änderun- Fürsprecher, Leiter Rechtsdienst, Staats-
Bewilligungskaskade über den Vermögens- gen betreffen die Kollektivanlagenverord- sekretariat für internationale Finanzfragen
(SIF), Bern
verwaltern und Trustees stehenden Insti- nung und sind durch Anpassungen auf Ge-
tute gelten abgestufte und teils höher aus- setzesstufe bedingt (Überführung in die
gestaltete Anforderungen zu Organisation, Verordnung zum FINIG, Anpassungen bei der
Aufgaben und ihrer Übertragung, Risikoma- Terminologie und bei Verweisen usw.). Nur
nagement und interner Kontrolle, Mindest- wenige Änderungen sind materieller Natur.
kapital und Eigenmitteln. Dazu werden die in In der Vernehmlassung fanden die Vorschlä-
der geltenden Kollektivanlagenverordnung ge weitgehend Zustimmung.
und der Börsenverordnung enthaltenen Be- Das Staatssekretariat für internationale Fi-
stimmungen über Vermögensverwalter kol- nanzfragen (SIF) wertet die Rückmeldungen
lektiver Kapitalanlagen, Fondsleitungen und zur Vernehmlassung bis zum Sommer aus und Oliver Zibung
Effektenhändler grundsätzlich materiell passt die Verordnungen entsprechend an. Im Dr. iur., MAES, Advokat, Stv. Leiter Rechts-
unverändert in die FINIG-Verordnung über- Herbst 2019 findet eine Konsultation der Ver- dienst, Staatssekretariat für internationale
Finanzfragen (SIF), Bern
nommen. ordnungen durch die parlamentarische Kom-

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Die Volkswirtschaft  5 / 2019  35
DIE STUDIE

Kindertagesstätten steigern den


­Beschäftigungsgrad von Müttern
Dank zusätzlichen familienergänzenden Betreuungsplätzen für Kinder konnten bereits
­berufstätige Frauen ihre Erwerbstätigkeit teilweise noch ausbauen. Nicht davon profitiert
haben allerdings einige benachteiligte Bevölkerungsgruppen.  Laura Ravazzini

Abstract    Das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinder­ Die Schweiz ist noch weit vom Niveau an-
betreuung ist seit dem 1. Februar 2003 in Kraft. Dabei handelt es sich um ein Impuls- derer Staaten wie etwa der skandinavischen
programm, mit dem die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen gefördert werden Länder oder Spaniens entfernt. Dort wurde
soll, damit die Eltern Familie und Erwerbsarbeit (oder Ausbildung) besser vereinbaren praktisch für alle Kinder ein Betreuungsange-
können. Frauen mit Wohnsitz in Kantonen, in denen sich die Betreuungsstrukturen am bot geschaffen.
stärksten an diesem Programm beteiligt haben, haben ihre Erwerbstätigkeit zehn Jah- Das Impulsprogramm wurde mit weiteren
re später leicht ausgebaut. Am meisten profitiert vom Impulsprogramm haben Frauen familienpolitischen Massnahmen kombiniert.
mit zwei Kindern. 2005 wurde etwa ein 14-wöchiger Mutter-
schaftsurlaub mit einem Erwerbsersatz von
80 Prozent des Erwerbseinkommens einge-

M  it der Bildungsexpansion und der deut-


lich stärkeren Arbeitsmarktbeteiligung
der Frauen um die Jahrtausendwende erhöhte
Vor 2018 hat das Impulsprogramm die Ta-
rife für die Eltern, welche Betreuungsstruk-
turen wie Kindertagesstätten oder Tages-
führt. Ausserdem haben mehrere Kantone für
Eltern mit schulpflichtigen Kindern einen An-
spruch auf schulergänzende Betreuung fest-
sich auch der Bedarf an familienergänzender schulen nutzten, nicht beeinflusst. Vielmehr gelegt.3 Die durchgeführten familienpoli-
Kinderbetreuung (siehe Abbildung). Solche wurden mit dem Programm Betreuungsstruk- tischen Massnahmen waren wichtig, auch
Betreuungsstrukturen sollen es den Familien turen eröffnet und zusätzliche Krippenplät- wenn im Bundesgesetz bislang kein Vater-
insbesondere ermöglichen, Erwerbsarbeit ze gefördert: Von 2003 bis 2018 wurden so schaftsurlaub verankert ist. Nun wird erwar-
und familiäre Verpflichtungen zu vereinba- 33 103 Plätze in vorschulischen Einrichtungen tet, dass die Vereinbarkeit von Familie und Be-
ren.1 Angesichts des steigenden Bedarfs an und 24 280 Plätze in öffentlichen und priva- ruf weiter verbessert wird.
Krippenplätzen hat der Bund reagiert und ten schulergänzenden Betreuungsstruktu-
fördert zusätzliche Stellen für die Tagesbe- ren geschaffen. Trotz dieses Erfolgs gab fast Grössere Wirkung als andere
treuung von Kindern: Nach dem Inkrafttreten die Hälfte der Einrichtungen an, dass sie die
des Bundesgesetzes über Finanzhilfen für fa- Nachfrage wegen unzureichender Zeitfenster
Massnahmen
milienergänzende Kinderbetreuung (KBFHG) während der Ferien und an bestimmten Wo- Das Impulsprogramm ist zwar noch nicht ab-
am 1. Februar 2003 lancierte er ein Impulspro- chentagen nicht decken können.2 Angesichts geschlossen, doch die mittelfristigen Aus-
gramm, das mittlerweile seit 16 Jahren läuft. der vielen Frauen, die Teilzeit arbeiten, ist dies wirkungen auf die Erwerbsbeteiligung konn-
Dieses Programm wurde zweimal verlängert, nicht erstaunlich: 2014 hatten 59,2 Prozent ten bereits beurteilt werden. Dazu wurde ein
und bis heute wurden insgesamt 370 Mil- der berufstätigen Frauen und 81 Prozent der elektronischer Fragebogen an die für die fa-
lionen Franken investiert. Im September erwerbstätigen Mütter eine Teilzeitstelle. milienergänzende Kinderbetreuung zustän-
2018 verabschiedeten die eidgenössischen Zudem haben nicht alle Kantone und Ge- digen kantonalen Verwaltungen gesandt.4
Räte die dritte Programmverlängerung mit meinden die Betreuungsplätze gleich stark Die Ergebnisse bis 2014 zeigen, dass sich die
einem zusätzlichen Verpflichtungskredit von ausgebaut. Zum Vergleich: Die Kantone Tes- bereits recht hohe Erwerbsbeteiligung durch
124,5 Millionen Franken bis im Januar 2023. sin und Graubünden haben ihr Angebot um das Impulsprogramm nicht verändert hat.
Zusätzlich wurde im Juli 2018 ein Programm mehr als 300 Prozent erhöht, die Kantone Lu- Konkret: Die grössere Verfügbarkeit von Be-
mit Finanzhilfen bereitgestellt, das mit einem zern und Aargau jedoch lediglich um rund treuungsplätzen für Kinder hat nicht zu mehr
Kredit von 100 Millionen Franken dotiert ist. 20 Prozent. Die Absicht, hoch qualifizier- erwerbstätigen Frauen und Männern geführt.
Damit sollen einerseits diejenigen Kantone te Arbeitskräfte zu gewinnen, und die Ver- Trotzdem war das Impulsprogramm hinsicht-
und Gemeinden unterstützt werden, welche fügbarkeit von geeigneter Infrastruktur und lich der Erwerbstätigkeit kein Misserfolg.
ihre Subventionen erhöhen, um die Kosten qualifiziertem Personal für die familiener- Denn die bereits berufstätigen Frauen ha-
der familienergänzenden Kinderbetreuung gänzende Kinderbetreuung hatten zur Folge, ben ihre Wochenarbeitszeit von weniger als
für die Eltern zu senken. Andererseits sollen dass das Betreuungsangebot in der Schweiz 20 Stunden auf teilweise bis zu 36 Stunden
damit Projekte gefördert werden, die das Be- unterschiedlich ausgebaut wurde. Trotz die- verlängert. Allerdings haben nicht alle Frau-
treuungsangebot besser an die Bedürfnisse sem Ausbau stehen im internationalen Ver- en ihren Beschäftigungsgrad erhöht, son-
erwerbstätiger Eltern anpassen. Dieses Pro- gleich nach wie vor nur wenige Krippenplät- dern vor allem Frauen mit einer Ausbildung
gramm ist auf fünf Jahre begrenzt. ze für Kinder unter vier Jahren zur Verfügung.
3 Felfe, Lechner und Thiemann (2016).
1 BFS (2016). 2 BSV (2018). 4 Ravazzini (2018).

36  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


DIE STUDIE

Ausserdem gewährleistet der freie Zugang


Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen (1992–2014)
zur familienergänzenden Kinderbetreuung
100   % eine hohe Betreuungsqualität. Und er soll-
te auch die Unterschiede ausgleichen, die bei

SCHWEIZERISCHE ARBEITSKRÄFTEERHEBUNG (SAKE) 1992–2014 / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten
90 von Kindern auftreten können aufgrund der
finanziellen Möglichkeiten und des Bildungs-
niveaus ihrer Eltern.
80
Ein Ausbau der familienergänzenden Kin-
derbetreuung entspricht daher einer attrakti-
70 ven Familienpolitik. Sie ist jedoch für die öf-
fentliche Hand mit ziemlich hohen Kosten
verbunden. Eine spätere Ausweitung dieser
60 Kinderbetreuung hinsichtlich des Angebots
und der Tarife hängt wahrscheinlich von ver-
schiedenen Faktoren ab: den Prioritäten der
50 Familien bei der familienergänzenden Kinder-
betreuung, der Geburtenrate, den Beziehun-
93

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gen zwischen den Generationen, der Tätig-


  Männer       Frauen         Väter        Mütter
keit und der persönlichen Zufriedenheit am
Die Stichprobe umfasst Personen im Alter von 20 bis 50 Jahren. Die betreffenden Mütter und Väter haben Arbeitsplatz und selbstverständlich von der
Kinder unter 15 Jahren. Entwicklung der Geschlechterrollen sowie
der Aufgabenverteilung bei der Haushalts-
arbeit.
auf Sekundarstufe II, die mit einem Partner den meisten Haushalten die Frau für die Kin-
und zwei Kindern zusammenleben. Daraus derbetreuung zuständig ist.
lässt sich der Schluss ziehen, dass einige be- Die zusätzlichen Betreuungsplätze hatten
nachteiligte Bevölkerungsgruppen wie allein- eine stärkere Wirkung als andere familien-
erziehende Mütter, kinderreiche Familien und politische Massnahmen, wie beispielswei-
Frauen mit niedrigem Bildungsstand nicht se die Einführung des Mutterschaftsurlaubs
vom Programm profitiert haben. auf Bundesebene. Dass der Effekt beim Mut-
Dies ist auf mehrere Gründe zurückzufüh- terschaftsurlaub schwächer war, hängt damit
ren: Erstens haben bestimmte Bevölkerungs- zusammen, dass gegen Ende der Neunziger-
gruppen, wie etwa alleinerziehende Mütter, jahre bereits eine Mehrheit der Arbeitgeber Laura Ravazzini
bei der Zuteilung subventionierter Betreu- einen solchen Urlaub gewährleistete. Postdoc, Institut für Soziologie, Universität
ungsplätze Priorität. Somit bleiben sie weni- Neuenburg und Wirtschaftswissenschaftliche
ger lange auf den Wartelisten. Für diese Perso- Fakultät (HEC), Universität Lausanne
Sind wir auf dem richtigen Weg?
nen ist es deshalb nicht so erheblich, ob mehr
Krippenplätze geschaffen werden. Gleichzei- Ein Ausbau der familienergänzenden Kinder- Literatur
tig sind familienergänzende Betreuungsplätze betreuung ist in mehrfacher Hinsicht wün- Felfe C., Lechner M. und Thiemann P. (2016).
für Kinder in der Schweiz teuer. Deshalb kön- schenswert. Ein Grund ist, dass diese Mass- After-school Care and Parents’ Labor Supply, in:
Labour Economics, 42: 64–75.
nen sich einige Haushalte solche Betreuungs- nahme im Gegensatz zum derzeitigen El- Bundesamt für Statistik (2016). Machbarkeitsstudie
angebote möglicherweise nicht leisten. ternurlaub kein Geschlecht diskriminiert. Der für eine Statistik zur familienergänzenden Kinder-
betreuung auf Angebotsseite. Neuenburg.
Bei der Beurteilung der familienpoliti- derzeitige Elternurlaub besteht nur aus dem Bundesamt für Sozialversicherungen (2018). Finanz-
schen Massnahmen zeigt sich: Die höhere Mutterschaftsurlaub und schliesst somit die hilfen für familienergänzende Kinderbetreuung:
Bilanz nach fünfzehn Jahren (Stand 1. Februar 2018).
Anzahl Plätze für die familienergänzende Ta- Vaterschaft und die gemeinsame Elternschaft Bern.
gesbetreuung von Kindern hat die informelle aus. Nach einer Erhöhung der Zahl der Krip- Ravazzini L. (2018). Childcare and Maternal Part-time
Employment: a Natural Experiment Using Swiss
Betreuung (Unterstützung durch die Gross- penplätze hingegen sind Frauen nicht unter Cantons. In: Schweizerische Zeitschrift für Volks-
eltern usw.) und die nicht institutionellen anderen Bedingungen erwerbstätig als Män- wirtschaft und Statistik, 154:15.
Dienste (private Tagesmütter usw.) nicht ver- ner. Ebenso sollte eine gute Politik für die fa-
drängt. Zudem hat das Impulsprogramm die milienergänzende Kinderbetreuung unab-
Zusammensetzung der Bevölkerung in den hängig von Migrationshintergrund und inter-
verschiedenen Kantonen nicht verändert, kantonaler Mobilität einen gleichwertigen Schweizerische
aus der «Schweizerischen Zeit-
Gesellsc
Aktuelle wissenschaftliche Studien

und auch die Geburtenrate wurde nicht er- Zugang zum Arbeitsmarkt sicherstellen: So Société suisse und
schrift für Volkswirtschaft d’économ
Sta-
tistik» mit einem starken Bezug zur
höht. Das Programm wirkte sich ausschliess- können Personen ohne familiäres Netz exter-
lich auf die Erwerbstätigkeit von Frauen aus. ne Unterstützung in Anspruch nehmen, um Società
schweizerischen svizzera di econ
Wirtschaftspoli-
tik erscheinen in einer Kurzfassung
Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass in Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Swiss Society of Econom
in der «Volkswirtschaft».

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  37
GESUNDHEITSWESEN

Referenzpreis: Sparmassnahme auf


Kosten der Patienten?
Der Bundesrat plant mittels Referenzpreisen für patentabgelaufene Arzneimittel das Kosten­
wachstum im Gesundheitssystem zu dämpfen. Eine Studie rechnet mit Einsparungen im
niedrigen dreistelligen Millionenbereich. Beeinträchtigt wird hingegen die Patienten- und
Versorgungssicherheit.  Marc Bill, Cornel Kaufmann, Beatrice Mäder, Stefan Rieder,
Matthias Schwenkglenks, Harry Telser

Abstract  In der Strategie «Gesundheit 2020» sieht der Bundesrat mit dem Referenz- Im Auftrag des Bundesamts für Gesund-
preissystem eine Massnahme zur Kostendämpfung vor. Der Grund: Verglichen mit dem heit (BAG) und des Staatssekretariats für
Ausland sind die Generikapreise in der Schweiz hoch. Deshalb soll im Markt für pa- Wirtschaft (Seco) haben wir eine vertiefte
tentabgelaufene Arzneimittel für jeden Wirkstoff ein Maximalpreis definiert werden, Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) für
welcher die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) übernimmt. Eine Regu- ein solches Referenzpreissystem durchge-
lierungsfolgenabschätzung der Beratungsunternehmen Polynomics und Interface zu- führt.3 Mit einer RFA können die Folgen einer
sammen mit der Universität Basel kommt zum Schluss, dass direkte Einsparungen bei geplanten Regulierung auf verschiedenen
der OKP im niedrigen dreistelligen Millionenbereich realisiert werden können. Aller- Ebenen bereits im Vorfeld untersucht wer-
dings wird eine Verschlechterung der Patienten- und Versorgungssicherheit erwartet. den. Das schafft mehr Transparenz, bessere
Insgesamt bleibt es eine politische Entscheidung, wie die Effekte gegeneinander abge- Entscheidungsgrundlagen und kann mögli-
wogen werden und ob ein staatliches Handeln überhaupt nötig ist. che Alternativen aufzeigen.

Alle Akteure betroffen


G  enerika sind in der Schweiz im Durch-
schnitt rund doppelt so teuer wie in an-
deren europäischen Ländern. Um den Preis-
Wirkstoffzusammensetzung vorliegen. Die
Festlegung des Referenzpreises erfolgt
entweder anhand eines Preisabschlags auf
Um die Auswirkungen eines Referenzpreis-
systems zu identifizieren, wurde in einem
wettbewerb zu verstärken, wurde 2011 die den Auslandpreisvergleich für das Origi- ersten Schritt anhand der Erkenntnisse aus
Generikapreisfestlegung angepasst und ein nalpräparat oder mittels eines definier- der Literatur ein Wirkungsmodell erstellt.
differenzierter Selbstbehalt eingeführt. Die ten Perzentils der Preisverteilung (siehe Dieses wurde dann mit Experten aller Ak-
angestrebten Einsparungen konnten jedoch Kasten). Zusätzlich zum Referenzpreis soll teursgruppen4 in Interviews und Fokusgrup-
nicht realisiert werden. Der Bundesrat sieht eine Preisobergrenze für alle Arzneimittel pen konkretisiert und validiert. Neben der er-
daher im Rahmen von «Gesundheit 2020» im Referenzpreissystem definiert werden, wünschten Wirkung, dass ein Referenzpreis-
als eine Massnahme der Kostendämpfung die dem heutigen maximalen Generika- system die OKP-Kosten senkt, sind auch zwei
im Gesundheitswesen die Einführung eines preisniveau2 entspricht. Der Referenzpreis unerwünschte Wirkungen zu erwarten: na-
Referenzpreissystems im Markt für patent- wird jährlich überprüft und nur dann ange- mentlich Risiken bei der Patienten- und der
abgelaufene Arzneimittel vor. passt, wenn aus der Überprüfung ein nied- Versorgungssicherheit. In einem zweiten
Das geplante Referenzpreissystem legt rigerer Preis hervorgeht. Wird aus medizini- Schritt haben wir geschätzt, wie hoch die
einen Maximalpreis für patentabgelaufe- schen Gründen ein Arzneimittel mit einem maximalen Einsparungen in der OKP bei der
ne Wirkstoffe fest, der von den Krankenver- Preis über dem Referenzpreis verschrieben, Einführung eines Referenzpreissystems sind.
sicherern im Rahmen der obligatorischen werden dessen Kosten weiterhin komplett
Krankenpflegeversicherung (OKP) vergütet durch die OKP vergütet. 3 Die vollständige Studie ist online verfügbar auf
Seco.admin.ch.
wird. Bei Preisen, die über diesem Referenz- 4 Ärzte, Spitäler, Patienten, Apotheker, Grossisten,
preis liegen, müssen die Versicherten die 2 Gemäss Art. 65c KVV respektive Art. 34g KLV. Pharmaunternehmen, Krankenversicherer.
Differenz zum Referenzpreis grundsätzlich
aus der eigenen Tasche bezahlen.1 Bei Prei-
sen unterhalb des Referenzpreises erfolgt Wie wird der Referenzpreis bestimmt?
keine Rückerstattung der Differenz.
Ein Referenzpreis ist aber nicht für alle Variante 1: wird ein zusätzlicher fixer pro- rauf basierender Festlegung
Der Referenzpreis entspricht zentualer Preisabschlag an- des Referenzpreises auf einem
patentabgelaufenen Medikamente vor-
dem heutigen Generikapreis- gewandt. Die Höhe des Preis- definierten Perzentil der Preis-
gesehen. Ein Wirkstoff soll nur dann in niveau, welches über einen abschlags war in der Analyse verteilung und einem Preis-
das System aufgenommen werden, wenn Preisabschlag auf dem durch zwischen 10 und 30 Prozent zu zuschlag. Die Höhe des Preis-
mindestens drei Arzneimittel mit gleicher einen Auslandpreisvergleich variieren. zuschlags war in der Analyse
bestimmten Preis für das zwischen 0 und 10 Prozent zu
1 Dies gilt unabhängig von der heutigen Regelung des Originalpräparat ermittelt wird. Variante 2: variieren.
Selbstbehalts, wo eine Deckelung bei 700 Franken In Referenzpreisgruppen mit Modell mit regelmässiger Preis-
stattfindet. mindestens vier Arzneimitteln meldung der Anbieter und da-

38  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


GESUNDHEITSWESEN

Eine quantitative Abschätzung der Auswir- die gleiche Marge zu erzielen. Versorgungs- Für die Apotheker und vor allem für die
kungen auf die Patienten- und die Versor- probleme, die bereits heute vor allem bei Ärzte in eigener Praxis sowie im Spitalam-
gungssicherheit war hingegen nicht möglich. Billigprodukten zu beobachten sind, könn- bulatorium6 dürfte ein Referenzpreissys-
Pharmaunternehmen könnten auf die ten sich dadurch akzentuieren und Generi- tem zumindest in einer ersten Phase den
niedrigeren Preise auf zwei Arten reagieren: kainnovationen ausbleiben. Schliesslich ist Arbeitsaufwand steigern. Bei beiden wür-
Einerseits könnten sie einzelne Produkte in anzunehmen, dass bei internationalen Ver- de sich der Informationsaufwand gegenüber
der Schweiz nicht mehr vertreiben oder mit sorgungsengpässen die weniger lukrativen den Patienten vergrössern. Die Ärzte müss-
dem ganzen Sortiment aus dem Schweizer Märkte später bedient werden. ten die Patienten zudem bei einem Medi-
Markt austreten.5 Dieses Risiko besteht vor Für Grossisten, Apotheken und selbst kamentenwechsel teilweise neu einstellen,
allem bei den Generikaherstellern, da bei ih- dispensierende Ärzte – also Ärzte, die sel- was zu zusätzlichen Arztkonsultationen füh-
nen ein grösserer Teil ihrer Produktpalette ber Arzneimittel abgeben können – bedeu- ren und entsprechend die Einsparungen bei
unter das Referenzpreissystem fiele und ihr tet ein Referenzpreissystem vor allem nied- der OKP schmälern würde. Medikamenten-
Preisvorteil gegenüber dem Originalpräpa- rigere Einnahmen. Wegen der jährlichen An- wechsel können sich insbesondere bei ge-
rat geschmälert würde. Bei gewissen Wirk- passung des Referenzpreises sind sie zudem wissen Krankheitsbildern auch negativ auf
stoffen können sich solche Marktaustritte aber auch mit einem höheren Risiko der La- die Patientensicherheit auswirken. Aller-
negativ auf die Versorgungssicherheit aus- gerhaltung konfrontiert, weil gewisse Pro- dings sind Medikamentenwechsel wohl vor
wirken. Zudem können sie die Einsparungen dukte potenziell nach der Anpassung nicht allem bei der Einführung des Referenzpreis-
der OKP reduzieren, wenn dadurch weniger mehr komplett von der OKP vergütet wür- systems zu erwarten. Um dieses Risiko für
als drei Arzneimittel in einer Referenzpreis- den. Die Apotheken und Ärzte werden da-
gruppe verbleiben, weil dann kein Referenz- her vermutlich versuchen, ihre Lagerhaltung 6 Mögliche Auswirkungen auf die stationären ­Spitäler
schätzen wir als gering ein. Insbesondere weil die
preis mehr gilt. zu reduzieren, wodurch sich automatisch die ­Medikamentenausgaben im stationären Bereich durch
Möglich ist andererseits aber auch, dass Rolle der Grossisten bei der Lagerhaltung die Fallpauschale abgegolten werden. Deshalb unter-
liegt die Vergütung der Medikamente dort nicht dem
die Herstellerfirmen versuchen werden, die verstärkt. Für diese wiederum könnte sich Referenzpreis.
Produktionskosten zu senken, um weiterhin der Anreiz vergrössern, das Sortiment auf lu-
krative Arzneimittel einzuschränken, was die
5 Bereits heute gibt es in der Schweiz eine beträchtli- Die Pharmaunternehmen könnten sich bei
che Zahl patentabgelaufener Arzneimittel, für die kein
Versorgungssicherheit negativ beeinträchti- einem Referenzpreis auf Medikamente aus dem
­Generikum auf dem Markt ist. gen könnte. ­Schweizer Markt zurückziehen – mit negativen
Folgen für die Versorgungssicherheit.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  39
GESUNDHEITSWESEN

die Patientensicherheit zu mindern, ist eine ken ist etwa an zusätzliche Arztbesuche, La- und Versorgungssicherheit voraussichtlich
Ausnahmeregelung vorgesehen. Diese be- boruntersuchungen und die Behandlung von höhere Einsparungen generiert.
sagt, dass die OKP aus medizinischen Grün- Nebenwirkungen bei Umstellungen der Me- Um die negativen Aspekte der geplan-
den verschriebene Arzneimittel mit einem dikation sowie Folgekosten durch Therapie- ten Regulierung abzumildern, schlagen wir
Preis oberhalb des Referenzpreises vergü- abbrüche oder Fehlmedikationen. die Prüfung von drei Begleitmassnahmen
ten muss. Durch diese Ausnahmeregelung vor. Die negativen Folgen für die Patienten-
könnte es allerdings wiederum zu zusätzli- Mögliche Alternativen prüfen sicherheit könnten erstens durch die Aus-
chen Auseinandersetzungen mit den Kran- nahme gewisser problematischer Krank-
kenversicherern7 kommen. Wir sehen grundsätzlich drei Alternativen heitsbilder vom Referenzpreissystem und
zum Referenzpreissystem, welche ebenfalls zweitens durch die Anwendung des Re-
Geringere Medikamentenkosten eine Senkung der Medikamentenausgaben ferenzpreises ausschliesslich auf Erstver-
in der OKP erlauben würden. Prüfenswert schreibungen10 reduziert werden. Drittens
erwartet scheint uns insbesondere die bestehen- könnte der Verzicht auf die neue Preisober-
Unsere Schätzungen betreffend die poten- de Preisregulierung – sprich die Höhe der grenze die Generikadurchdringung und
ziellen Einsparungen ergeben, dass sich die Preisabschläge zur Festlegung des Generi- eventuell auch den Generikawettbewerb
Medikamentenkosten in der OKP durch die kapreisniveaus und die Regelung zum dif- fördern. Denn das wichtigste Differenzie-
Einführung eines Referenzpreissystems ferenzierten Selbstbehalt – zu verschärfen. rungsmerkmal der Generika gegenüber den
nach Variante 1 (siehe Kasten) maximal in Vorteilhaft dabei wäre, dass die heutige Originalen, nämlich der Preisvorteil, bliebe
der Grössenordnung von 310 bis 480 Millio- Preisregulierung nicht weiter verkompli- dadurch eher erhalten.
nen Franken8 reduzieren. Bei Variante 2 sind ziert würde. Im Arzneimittelmarkt werden neben dem
die maximalen Einsparungen etwas gerin- Eine zweite Alternative wäre die verpflich- Referenzpreissystem derzeit andere Stell-
ger, nämlich 190 bis 250 Millionen Franken9. tende Generikasubstitution respektive die schrauben neu definiert: die Vertriebsmar-
Für diese statische Analyse gehen wir davon Wirkstoffverschreibung. Dabei wären die gen, die leistungsorientierte Abgeltung der
aus, dass das Mengengerüst unverändert Leistungserbringer verpflichtet, für patent- Apotheker und das Heilmittelgesetz. Die kon-
bleibt und dass die Ärzte darauf verzichten, abgelaufene Arzneimittel das preisgünstigste krete Ausgestaltung dieser Stellschrauben
ihren Patienten aus medizinischen Grün- Präparat abzugeben respektive anstelle des hat auch einen Einfluss auf das Verhalten der
den ein Medikament mit einem Preis über Präparates den darin enthaltenen Wirkstoff Akteure unter einem Referenzpreissystem.
dem Referenzpreis zu verschreiben. Eben- zu verordnen. Eine dritte Alternative wäre der Wir empfehlen deshalb, mit dem konkreten
so nehmen wir an, dass keine Hersteller aus Abbau von Marktzugangshemmnissen; bei- Entscheid für oder gegen ein solches Sys-
dem Markt austreten. Ein Grossteil der Ein- spielsweise könnten die Vorschriften bei der tem mindestens noch so lange zuzuwarten,
sparungen in der OKP – rund 70 bis 80 Pro- Zulassung von Generika reduziert werden. bis diese zentralen Stellschrauben neu defi-
zent – gehen auf Kosten der Pharmaindust- Alle drei Massnahmen dürften voraussicht- niert sind, und in der verbleibenden Zeit die
rie. Die restlichen 20 bis 30 Prozent werden lich die bisher geringe Generikadurchdrin- erwähnten Regulierungsalternativen einge-
eingespart, weil sich die Vertriebsmarge der gung erhöhen und/oder den Preiswettbe- hender zu prüfen.
Grossisten, Apotheker und selbst dispensie- werb verstärken. 10 Bereits ärztlich behandelte Patienten (Folgeverschrei-
renden Ärzte reduziert. Insgesamt erscheint es plausibel, dass ein bungen) müssten nicht auf eine neue Medikation
Unsere dynamische Analyse zeigt aber, Referenzpreissystem die OKP-Kosten durch ­umgestellt werden.

dass diese Einsparungen nicht vollständig niedrigere Medikamentenkosten zumin-


realisiert werden können. Eine Reduktion der dest kurzfristig reduzieren kann. Wir rech- Marc Bill
Einsparungen ergibt sich beispielsweise auf- nen mit Einsparungen im niedrigen dreistel- Projektleiter, Polynomics, Olten
grund der Ausnahmeregelung, dass aus me- ligen Millionenbereich. Diesen Einsparun- Cornel Kaufmann
dizinischen Gründen verschriebene Arznei- gen stehen jedoch wahrscheinlich (teilweise Dr. phil., Projektleiter, Interface Politik­
mittel mit einem Preis oberhalb des Refe- temporäre) Verschlechterungen der Patien- studien Forschung Beratung, Luzern
renzpreises durch die OKP vergütet werden ten- und Versorgungssicherheit gegenüber.
Beatrice Mäder
müssen. Zudem zeigen die Erfahrungen aus Eine Empfehlung für oder gegen die Regu- Dr. oec. HSG, Beraterin, Polynomics, Olten
dem Ausland, dass es in der langen Frist zu lierung können wir deshalb nicht abgeben,
einer Verlagerung der Nachfrage hin zu pa- weil unbekannt ist, ob der negative Nutzen Stefan Rieder
tentgeschützten Arzneimitteln kommen von potenziellen Verschlechterungen bei Dr. rer. pol, Geschäftsführer, Interface
­Politikstudien Forschung Beratung, Luzern
kann. Zusätzlich könnte es in anderen Berei- der Patienten- und Versorgungssicherheit
chen zu Zusatzkosten kommen, welche die grösser ist als der positive Nutzen aus den Matthias Schwenkglenks
Einsparungen wieder reduzieren. Zu den- eingesparten OKP-Kosten. Insgesamt bleibt Titularprofessor für Gesundheitsökono-
es deshalb eine politische Entscheidung, wie mie und Public Health, Universität Zürich,
­Forschungsleiter am Institut für Pharma-
7 Mögliche Auswirkungen auf die Krankenversicherer die Effekte gegeneinander abgewogen wer- zeutische Medizin, Universität Basel
werden in Form von zusätzlichem administrativem Auf-
wand zur Überprüfung der Preise und der Ausnahme- den und ob ein staatliches Handeln über-
regelung erwartet. Dieser sollte aber vermutlich gering haupt notwendig ist. Variante 1 wird als die Harry Telser
ausfallen. Dr. oec. publ., Stellvertretender Geschäfts-
8 In Abhängigkeit der Höhe des Preisabschlags (10–30%).
bessere der zwei Varianten beurteilt, da sie
führer, Polynomics, Olten
9 In Abhängigkeit der Höhe des Preiszuschlags (0–10%). bei ähnlichen Wirkungen auf die Patienten-

40  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


UNLAUTERER WETTBEWERB

Werbeanrufe:
Filter der Provider zeigen Wirkung
Seit drei Jahren ist die Zahl der Beschwerden, die beim Seco wegen unlauterer Geschäfts-
praktiken deponiert werden, rückläufig. Die meisten Meldungen betreffen unerwünschte
Werbeanrufe.  Philippe Barman, Stefan Sonderegger

N  icht alle respektieren den Sterneintrag


im Telefonbuch: Im vergangenen Jahr
gingen beim Staatssekretariat für Wirtschaft
regulierungsbemühungen der Krankenver-
sicherer ebenfalls etwas dazu beizutragen:
Seit 2016 verpflichten sich die Mitglieder der
meldegesetzes: Die Telefonanbieter müssen
unlautere Werbeanrufe auf Wunsch der Kon-
sumenten blockieren. Forschungs­ institute
(Seco) 11’369 Beschwerden wegen Werbean- Branchenverbände Santésuisse und Curafu- sind davon ausgenommen. Künftig können
rufen trotz Sterneintrags ein. Im Vergleich tura, keine Kunden durch Werbeanrufe zu ak- Strafbehörden zudem Telefonnummern von
zum Vorjahr ging die Zahl der Beschwerden quirieren. Unternehmen sperren, die den Sterneintrag
damit um ein Fünftel zurück (siehe Abbil- Es bleibt zu hoffen, dass der Abwärtstrend missachten.
dung). Gegenüber 2015, als fast 28 000 Be- in Zukunft weitergeht: Im vergangenen März Ein Ärgernis für viele Telefonkunden
schwerden beim Seco eintrafen, beträgt der hat das Parlament beschlossen, den Werbe- bleibt das sogenannte Spoofing. Davon
Rückgang fast 60 Prozent. anrufen einen Riegel zu schieben. Gemäss spricht man, wenn auf dem Display der an-
Ein Grund für die rückläufige Entwicklung der Motion der ständerätlichen Kommission gerufenen Person eine falsche Nummer er-
sind technische Massnahmen der Telefonan- für soziale Sicherheit und Gesundheit kann scheint. So wird die wahre Identität des An-
bieter: Seit zwei Jahren bietet namentlich die der Bundesrat die Branchenvereinbarung von rufers verschleiert und gegebenenfalls eine
Swisscom ihren Festnetz- und Mobilnetz- Santésuisse und Curafutura für allgemeinver- falsche Identität vorgetäuscht.
kunden einen Callfilter an, der Anrufe von un- bindlich erklären. Er erarbeitet nun einen ent-
seriösen Anbietern blockiert. Zudem gibt es sprechenden Gesetzesentwurf.
Smartphone-Apps, die Werbeanrufe hinaus- In die gleiche Richtung zielt die ebenfalls Eine verbreitete Art der Irreführung ist der
filtern. Und nicht zuletzt scheinen die Selbst- im März verabschiedete Revision des Fern- ­«Enkeltrick»: Um an Geld zu gelangen, gibt sich
der Anrufer als Verwandter aus.

ISTOCK

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  41
UNLAUTERER WETTBEWERB

das Zustandekommen eines Vertrags zu täu-


Beschwerden wegen Werbeanrufen trotz Sterneintrags (2012 bis 2018)
schen. Stylelux bestreitet weiterhin die gegen
30 000 sie erhobenen Vorwürfe.
Nebst Werbeanrufen und Irreführung wa-
ren Adressbuchschwindel (223), Vorauszahl-
25 000 betrügereien (107) und Spamming (63) oft ge-
nannte Beschwerdegründe.
Insgesamt hat das Staatssekretariat für
20 000 Wirtschaft im vergangenen Jahr 49 Unter-
nehmen abgemahnt. Bei den zuständigen
kantonalen Staatsanwaltschaften hat das
15 000
Seco 18 Strafklagen eingereicht. Im Jahre
2018 ergingen 20 Strafbefehle, Entschei-
de sowie Urteile kantonaler Staatsanwalt-
10 000
schaften bzw. Gerichte aufgrund vom Seco
eingeleiteter Verfahren. Ferner ist es in

SECO / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


7 Fällen zu Nichtanhandnahme-, Einstel-
5000
lungs- und Sistierungsverfügungen ge-
kommen.
Wer von Werbeanrufen oder anderen un-
0
lauteren Geschäftspraktiken betroffen ist,
2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
kann sich über ein Formular auf der Website
des Seco beschweren. Dies hat den Vorteil,
dass Meldungen gebündelt zur Anzeige ge-
Ticket-Wiederverkauf für den Kunden beispielsweise klar sein, dass bracht werden können. Dabei sind genaue
sorgt für Empörung er ein Konzertticket im Wiederverkauf er- Angaben wichtig. Gerade bei Werbeanrufen
wirbt. Ferner muss von Anfang an der End- ist es oft schwierig, die Identität des Anrufers
Werden auch die Beschwerden von Perso- preis beziehungsweise der tatsächlich zu be- zu ermitteln.
nen, die über keinen Sterneintrag verfügen, zahlende Preis der Tickets angegeben wer-
zu den 11 369 Beschwerden gezählt, erhält den. Die weltweit tätige Firma bestreitet,
man 12 675 Meldungen wegen unerwünsch- unlauter zu handeln.
ter Werbeanrufe. Insgesamt gingen 2018
beim Seco 14 775 Beschwerden wegen unlau- Vergleich im Kosmetikbereich
terer Geschäftspraktiken ein.1 Die entspricht
einem Rückgang um 17 Prozent gegenüber In einem weiteren Fall von mutmasslicher Ir-
dem Vorjahr. reführung konnte das Seco im vergangenen
Zahlenmässig hinter den Werbeanrufen Jahr einen gerichtlichen Vergleich erzielen.
rangierten Meldungen wegen Irreführung: Das nun abgeschlossene Zivilverfahren rich- Philippe Barman
Hier gelangten 1312 Meldungen ans Seco. Fast tete sich gegen den dänischen Onlinehänd- Rechtsanwalt, Gruppenleiter UWG, R ­ essort
die Hälfte der Beschwerden in dieser Rubrik ler Lux International Sales ApS (Stylelux), der Recht, Staatssekretariat für Wirtschaft
(Seco), Bern
betrafen die Geschäftspraktiken der Ticket-­ Kosmetikprodukte vertrieb. Beim Seco hat-
Wiederverkaufsplattform ­ Viagogo – wobei ten sich zahlreiche Personen beschwert, sie
viele Meldungen aus dem Ausland stamm- hätten nach dem Besuch auf der Website
ten. Bereits im Jahr 2017 hatte das Seco eine ­Stylelux.ch Waren erhalten, ohne eine Bestel-
Zivilklage gegen das Unternehmen mit Sitz lung ausgelöst zu haben. Auch würden bei
in Genf initiiert, um für mehr Transparenz auf der Lieferung Gebühren und Zollkosten ver-
den Websites von Viagogo zu sorgen. Das rechnet, die nicht erwähnt worden seien.
Verfahren vor dem Handelsgericht Zürich ist Das Unternehmen hat sich verpflich-
immer noch hängig. Aus Sicht des Seco muss tet, potenzielle Nutzer nicht mehr mit der
Schweizer Internetdomain (www.stylelux.ch)
sowie via Facebook und Instragram über den Stefan Sonderegger
1 Zahlen finden sich unter dem Stichwort «Unlauterer Redaktor, Die Volkswirtschaft
Wettbewerb» auf www.seco.admin.ch.  tatsächlich zu bezahlenden Preis sowie über

42  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


FACHKRÄFTEMANGEL

Demografischer Wandel verschärft


Fachkräftemangel
Die Nachfrage nach Handwerkern, Ärzten und IT-Spezialisten dürfte in den nächsten Jahren
weiter zunehmen. Verantwortlich dafür ist die zunehmende Alterung der Bevölkerung. 
Conny Wunsch, Manuel Buchmann

Abstract    Im Rahmen eines Nationalfonds-Forschungsprojektes hat die U ­ niversität aufgrund vermehrter Pensionierungen ein
Basel zusammen mit dem Forschungsinstitut Infras eine schweizweite Unternehmens­ Mangel an bestimmten Fachkräften abzeich-
befragung durchgeführt. Diese zeigt auf, auf welche Art sich der demografische ­Wandel net, können sie etwa Arbeitskräfte, die über
auf Unternehmen verschiedener Branchen auswirken wird. Am d ­ eutlichsten werden eine tiefere Qualifikation verfügen, intern
das Baugewerbe und das Gesundheitswesen den demografischen Wandel ­spüren. Da- ausbilden. Einen weiteren Ausweg bietet der
bei gibt es grosse Unterschiede zwischen den Branchen und den Kompetenz­niveaus. technologische Fortschritt: Möglicherwei-
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass mehr Handwerker, Ärzte und hoch qualifizierte se müssen einzelne Fachkräfte dank digitalen
IT-Spezialisten ausgebildet werden sollten, um den inländischen Fachkräftebedarf in Lösungen oder dank automatisierten Prozes-
Zukunft decken zu können. sen gar nicht ersetzt werden. Ob und in wel-
chem Umfang solche Massnahmen möglich
sind, hängt von vielen Faktoren ab, die sich

I  n den kommenden Jahren werden die ge-


burtenstarken Jahrgänge der Fünfziger-
und Sechzigerjahre pensioniert. Dadurch ver-
Doch nicht alle Branchen sind vom demo-
grafischen Wandel gleichermassen betrof-
fen. Die offensichtlichste Quelle von poten-
von Branche zu Branche unterscheiden. Ob-
jektive Daten zur Verfügbarkeit solcher Mass-
nahmen sind leider kaum verfügbar.
ändert sich der Arbeitsmarkt: Während im Jahr ziellen Unterschieden liegt in unterschiedli- In einem vom Schweizerischen National-
2015 noch 62 Prozent der Schweizer Bevölke- chen Altersstrukturen. Eine Branche wie das fonds (SNF) unterstützten Forschungspro-
rung zwischen 20 und 64 Jahre alt waren, dürf- Gesundheitswesen, wo mehr als 28 Prozent jekt untersuchen wir die Auswirkungen des
te dieser Anteil bis zum Jahr 2035 auf 56 Pro- der Beschäftigten über 50 Jahre alt sind, ist demografischen Wandels auf den Arbeits-
zent sinken.1 Unternehmen bekunden bereits vom demografischen Wandel stärker be- markt.2 Im Rahmen dieses Projekts befrag-
heute Mühe, qualifizierte Fachkräfte zu rekru- troffen als beispielsweise die IT-­Branche, wo ten wir letztes Jahr zusammen mit dem For-
tieren. Dieser Fachkräftemangel wird sich ver- weniger als 22 Prozent der Beschäftigten in schungsinstitut Infras Unternehmen in der
stärken. diese Altersgruppe fallen. deutsch-, französisch- und italienischspra-
1 Bundesamt für Statistik (2018): Entwicklung der ständi-
Dem Fachkräftemangel können Unterneh- chigen Schweiz. Dazu kontaktierten wir in
gen Wohnbevölkerung nach Altersgruppen. men gegensteuern. Wenn sich ­beispielsweise den Monaten Mai und Juni 5000 Unterneh-
men aus allen Branchen des sekundären und
tertiären Sektors. Insgesamt erhielten wir
Abb. 1: Demografischer Wandel: Betroffenheit nach Branche und Kompetenz- 695 vollständige Rückmeldungen, was einem
niveau Rücklauf von 14 Prozent entspricht.
60    Index (0–100)

Sechs Komponenten
Das Ausmass der Betroffenheit vom demo-
40
grafischen Wandel bildeten wir in einem In-
BUCHMANN UND WUNSCH (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

dex ab, der folgende sechs Komponenten be-


rücksichtigt:
–– Digitalisierung: Wie einfach ist es mög-
lich, wegfallende Arbeitskräfte durch Di-
20
gitalisierung und Automatisierung zu er-
setzen?
–– Aktueller Mangel: Besteht bereits heute ein
Mangel an Fachkräften? Wird für die nähe-
0 re Zukunft ein Fachkräftemangel erwartet?
Baugewerbe Gesundheits- Industrie Handel, Verkehr IT Sonstige
wesen und Lagerei Dienstleistungen
–– Alter der Beschäftigten: Welcher Anteil
der Beschäftigten ist über 50 Jahre alt, das
  Total         Kompetenzniveau 1        Kompetenzniveau 2        Kompetenzniveau 3        Kompetenzniveau 4
2 SNF-Projekt 169532: Consequences of the Demogra-
Ein Indexwert von 100 bedeutet starke Betroffenheit. Das Kompetenzniveau 1 ist am höchsten phic Change for the Swiss Labour Market. Mehr Infos
­(Akademiker) und das Kompetenzniveau 4 am tiefsten (Hilfskräfte). unter www.unibas.ch.

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  43
FACHKRÄFTEMANGEL

KEYSTONE
Das Baugewerbe leidet am stärksten unter
dem demografischen Wandel. Arbeiter im
heisst, wird in der näheren und mittleren ziert. Das Kompetenzniveau 1 umfasst vor al- ­Bözberg-Tunnel.
Zukunft pensioniert? lem akademische Fachkräfte (Naturwissen-
–– Nachwuchs: Wird innerhalb der Schweiz schaftler, Betriebswirtschafter etc.). Niveau
genug Nachwuchs ausgebildet, um die Ba- 2 enthält spezialisierte Fachkräfte mit eher Betrachtet man die Subindizes etwas ge-
byboomer zu ersetzen? In welche Richtung praktischen Tätigkeiten wie etwa ingenieur- nauer, stellt sich heraus, dass sich die betrof-
geht der Trend? technische Fachkräfte. Auf dem Niveau 3 fol- fenen Kompetenzniveaus stark unterschei-
–– Abhängigkeit vom Ausland: Welcher An- gen einfachere praktische Berufe, die aber in den. Während im Baugewerbe vor allem das
teil der Arbeitskräfte wird bereits heute der Regel eine mehrjährige Ausbildung erfor- Kompetenzniveau 3 (Mittelqualifizierte) vom
aus dem Ausland rekrutiert? Gibt es noch dern (beispielsweise Bau- und Ausbaufach- demografischen Wandel betroffen ist, sind
Potenzial, entstehende Lücken durch Aus- kräfte, Bürokräfte oder Pflegeberufe). Zum im Gesundheitswesen die Indexwerte beim
länder zu schliessen? Kompetenzniveau 4 schliesslich zählen Hilfs- Kompetenzniveau 1 (Ärzte und Chirurgen) am
–– Substituierbarkeit: Wie gross ist der Auf- arbeitskräfte, die meist nur über eine kurze höchsten. Dahinter folgen die Niveaus 2 (Me-
wand, Arbeiter aus einem tieferen Kompe- oder gar keine spezialisierte Ausbildung ver- dizintechniker, Fachangestellte Gesundheit)
tenzniveau intern weiterzubilden, um feh- fügen. und 3 (Pflegeberufe).
lende spezialisierte Fachkräfte zu ersetzen? Für jede Branche und jedes Kompetenz- Verantwortlich für diese hohen Wer-
Können entstehende Lücken unterneh- niveau wurde ein Indexwert zwischen 0 und te im Gesundheitswesen sind strikte Re-
mensintern geschlossen werden? 100 berechnet, wobei 100 die höchste Be- gulierungen. Interne Weiterbildungen sind
troffenheit darstellt (siehe Abbildung 1). Die- meist verunmöglicht, und trotz Digitalisie-
Sechs Branchen se Werte wurden anschliessend zu einem rung sind menschliche Arbeitskräfte unver-
Subindex für jedes Kompetenzniveau und zichtbar. Unternehmen im Gesundheitswe-
Die befragten Unternehmen wurden nach jede Branche aggregiert. In einer letzten sen können deshalb nicht flexibel auf de-
Branchenzugehörigkeit wie folgt zusammen- Aggregationsstufe wurden die Subindizes mografische Trends reagieren. Pensionierte
gefasst: Baugewerbe, Gesundheitswesen, IT, dann, gewichtet mit dem Anteil der Ange- Fachkräfte werden durch neu ausgebilde-
Industrie, «Handel, Verkehr und Lagerei» so- stellten des entsprechenden Kompetenz- ten Nachwuchs oder ausländische Fachkräf-
wie die Sammelkategorie Sonstige Dienst- niveaus, zu einem Gesamtindex pro Branche te ersetzt werden müssen. Hinzu kommt,
leistungen.3 Zusätzlich wurde nach dem aggregiert. Mit einem Wert von 49 schnei- dass die demografischen Trends die Nach-
Kompetenzniveau der Arbeitskräfte differen- det das Baugewerbe insgesamt am schlech- frage nach Gesundheitsdienstleistungen er-
testen ab, darauf folgt das Gesundheitswe- höhen, was wiederum die Nachfrage nach
3 Noga: F, Q, J, C/E, G/H sowie I/K-P/R-S. sen mit 47 Punkten. Fachkräften antreibt. Die Ausbildung von

44  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


FACHKRÄFTEMANGEL

Abb. 2: Betroffenheit im Baugewerbe: Nach Komponenten und Kompetenzniveaus (Indexwerte)

61 54 80 –

BUCHMANN UND WUNSCH (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


17 61 12 64 22 76 29 76

Kompetenz- Kompetenz- Kompetenz- Kompetenz-


niveau 1 niveau 2 niveau 3 niveau 4
36 Ø 37 34 40 Ø 37 32 63 Ø 59 83 42 Ø 32 4

13 22 32 10

  Substituierbarkeit (Ø Baugewerbe 72)       Digitalisierung (Ø 72)       Aktueller Mangel (Ø 57)       Alter der Beschäftigten (Ø 25)       Nachwuchs (Ø 53)      Abhängigkeit vom Ausland (Ø 21)

Ein Indexwert von 100 bedeutet starke Betroffenheit. Das Kompetenzniveau 1 ist am höchsten (Akademiker) und das Kompetenzniveau 4 am tiefsten (Hilfskräfte). Über
alle Kompetenzniveaus hinweg beträgt die durchschnittliche Betroffenheit 49 Punkte.

ausreichend hoch qualifiziertem Nachwuchs Mittelqualifizierten (Niveau 3) etwas schlech- den Schweizer Arbeitsmarkt vor grosse Her-
im Gesundheitswesen sollte daher hohe ter ab. Der Bereich «Handel, Verkehr und La- ausforderungen. Insbesondere im Gesund-
Priorität haben. gerei» erreicht bei den Hoch- und Mittelqua- heitswesen, in der IT-Branche und in den
lifizierten leicht bessere Werte als die Indus- klassischen Handwerksberufen des Bauge-
Dringend gesucht: Handwerker trie, bei den Hilfsarbeitskräften aber leicht werbes dürfte sich der Fachkräftemangel er-
schlechtere. Leicht weniger bedroht vom de- heblich verstärken. Dieser Effekt kann zudem
Die starke Betroffenheit des Baugewerbes mografischen Wandel ist die IT-Branche mit durch Automatisierung und Digitalisierung
äussert sich insbesondere in einer Knapp- einem Indexwert von 42 Punkten. Insbeson- nur in beschränktem Ausmass abgeschwächt
heit an Arbeitskräften mit Kompetenzniveau dere bei den Kompetenzniveaus 3 und 4 er- werden. Zukünftig muss die Schweiz ver-
3, welche einen grossen Teil (57%) der in die- zielt die Branche sehr gute Werte. Dies liegt stärkt eigene Fachkräfte in diesen Bereichen
ser Branche Beschäftigten ausmachen (siehe vor allem am relativ tiefen Durchschnitts- ausbilden. Die Politik muss hierfür die not-
Abbildung 2). Dabei handelt es sich um die im alter sowie an der Flexibilität, durch Digitali- wendigen Rahmenbedingungen schaffen,
Baugewerbe typischen Lehrberufe wie Bau- sierung und interne Weiterbildungen intern zum Beispiel durch eine Erhöhung der Stu-
und Ausbaufachkräfte, Elektriker oder ähnli- Lösungen für die kommenden Trends finden dienplätze für Medizin.
che Berufe. Die befragten Firmen aus dieser zu können. Während zwischen den Kompe-
Branche beschweren sich bereits heute über tenzniveaus 1 und 2 jedoch relativ einfach in-
eine akute Knappheit an Fachkräften mit sol- tern substituiert werden kann, fällt dies zwi-
chen Ausbildungen und bemängeln insbe- schen den Kompetenzniveaus 2 und 3 deut-
sondere die Nachwuchssituation. Viele jun- lich schwerer. Insgesamt fehlt es somit auch
ge Arbeitskräfte entscheiden sich heute für in der IT-Branche an hoch qualifizierten und
eine höhere Ausbildung, beispielsweise an gut ausgebildeten Fachkräften.
einer Fachhochschule, oder eine Ausbildung
in einer anderen Branche, sodass die klassi- Mehr Ärzte ausbilden
schen Lehrberufe des Baugewerbes an At- Conny Wunsch
traktivität verloren haben. Gleichzeitig ver- Als relativ heterogene Sammelkategorie Professorin für Arbeitsmarktökonomie,
fügen viele ausländische Arbeitskräfte nicht sind die sonstigen Dienstleistungen schwer Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät,
Universität Basel
über schweizerisch anerkannte Ausbildun- zu beurteilen. Die aktuelle Situation (aktu-
gen und werden daher als Hilfsarbeitskräfte eller Mangel und Nachwuchssituation) wird
eingesetzt. Diese Trends, verbunden mit der als gut bewertet, und die Branchengruppe
kommenden Pensionierung der Babyboomer, ist leicht weniger vom Ausland abhängig als
die heute noch in diesen Berufen tätig sind, andere Branchen. Höhere Indexwerte zeigen
werden in der nahen Zukunft zu einer deutli- sich bei der Substituierbarkeit und den Mög-
chen Knappheit an klassischen Handwerkern lichkeiten durch Digitalisierung, insbesonde-
im Baugewerbe führen. re bei den Kompetenzniveaus 3 und 4. Ins-
Demgegenüber weisen die Branchengrup- gesamt scheint diese Gruppe etwas weniger
pen Industrie, «Handel, Verkehr und Lagerei» stark vom demografischen Wandel betroffen
tiefere Indexwerte auf. Im Vergleich zum Ge- als andere. Manuel Buchmann
sundheitswesen schneidet die Industrie bei Das Fazit aus der Unternehmensbefra- Doktorand, Wirtschaftswissenschaftliche
Fakultät, Universität Basel
den Hochqualifizierten etwas besser, bei den gung lautet: Der demografische Wandel stellt

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  45
BUNDESFINANZEN

Pessimistische Budgetprognosen wegen


der Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse steht in der Kritik: Sie sei für die Fehleinschätzungen des Bundes­
budgets mitverantwortlich und bremse zu stark. Muss das Finanzinstrument angepasst
­werden?  Christoph A. Schaltegger, Michele Salvi

Abstract  Der Bund wurde einmal mehr von unerwartet guten Zahlen überrascht. Der schätzt. In jedem einzelnen Jahr überstiegen
Überschuss in der ordentlichen Finanzrechnung betrug im vergangenen Jahr 2,9 statt die nicht aufgebrauchten «Kreditreste» die
der geplanten 0,3 Milliarden Franken. Das sorgt für Kritik: Der Bund begrenze durch nachträglich eingeforderten «Nachtrags-
strategisch schlechtere Prognosen den Ausgabenspielraum. Hier kommt die Schul- kredite». Dies könnte ein Indiz sein, dass die
denbremse ins Spiel: Wegen der Fiskalregel kann nur so viel für Ausgaben budgetiert Schuldenbremse etwas mit dem Budgetpes-
werden, wie voraussichtlich auch eingenommen wird. Sollte, um den Pessimismus simismus zu tun hat. Um mehr Klarheit zu er-
im Budget zu adressieren, also die Schuldenbremse angepasst werden? Eine Analyse langen, haben wir auch die Budgetgenauig-
zeigt: Die Budgetprognosen würden damit nicht genauer. Zudem besteht die Gefahr, keit in unseren deutschsprachigen Nachbar-
dass durch eine Anpassung die Ausgabenquote ansteigen würde. ländern näher beleuchtet.

Sonderfall Verrechnungssteuer
E  s ist wieder passiert: Die Rechnung des
Bundes schloss im Jahr 2018 deutlich
besser ab als budgetiert. Damit bestätigt sich
aber merklich verbessert werden. Also alles in
Ordnung?
Nicht unbedingt, denn auf der Ausgaben-
Der Vergleich über die ganze Zeitreihe seit dem
Jahr 1870 offenbart, dass auch Deutschland
der Trend seit der Einführung der Schulden- seite hat sich die Richtung der Fehleinschät- und Österreich ihre Einnahmen tendenziell
bremse im Jahr 2003: In 14 von 16 Jahren fiel zungen im Verlauf der Neunzigerjahre ver- unterschätzen. Die Schweiz prognostiziert
die ordentliche Finanzierungsrechnung des ändert: von einer Unter- zu einer Überschät- ihre Einnahmen dabei am wenigsten genau.
Bundes besser aus als vorgesehen. Der Über- zung der Ausgaben in den Voranschlägen. Insbesondere seit der Einführung der Ver-
schuss beträgt allein im vergangenen Jahr 2,9 Die getätigten Ausgaben des Bundes la- rechnungssteuer sind die Prognosefehler im
statt 0,3 Milliarden Franken. Während die Ein- gen seit der Einführung der Schuldenbrem- Schnitt deutlich höher als in Deutschland und
nahmen um über 2 Milliarden Franken unter- se signifikant unter den bewilligten Ausga- Österreich. Die beiden Nachbarländer kennen
schätzt wurden, resultierte ein ungenutz- ben. Zwar weist die Analyse der Abweichun- keine solche Quellensteuer, die unter anderem
ter Ausgabenspielraum in der Höhe von fast gen bereits ein Jahrzehnt vor Einführung der auf Zinsen und Dividenden erhoben wird.
einer halben Milliarde Franken. Das wird von Schuldenbremse vermehrt zu hoch budge- Nach 2003 sind die Einnahmenschätzun-
verschiedener Seite kritisiert: Der Bund be- tierte Ausgaben auf. Jedoch wurden die Bun- gen des Bundes im Vergleich zu den beiden
grenze durch strategisch schlechte Progno- desausgaben seit 2003 durchwegs unter- Ländern zwar durchschnittlich deutlich bes-
sen den Ausgabenspielraum. Mitverantwort-
lich für diesen Budgetpessimismus sei nicht
zuletzt die Schuldenbremse. Bundesfinanzen in der Schweiz, Deutschland und Österreich: Durchschnittliche
Sind die Budgetabweichungen tatsächlich Abweichung des Budgets vom Voranschlag (in Prozent des Voranschlags)
ein neueres Phänomen? Und ist die Schweiz
1870–2018 1946–2018 2003–2018
international demnach gar ein Sonderfall? Ein
(ohne Weltkriegsjahre) (post Verrechnungssteuer) (post Schuldenbremse)
Blick zurück offenbart, dass die Schätzung
der Einnahmen und Ausgaben seit je eine ge- Ausgaben
wisse Ungenauigkeit aufweist (siehe Abbil- Schweiz 1,56 0,25 –1,76
dung 1). So wurden die Bundeseinnahmen Deutschland 1,70 0,59 –1,14
seit dem Jahr 1870 im Schnitt um rund 8 Pro-
SALVI, SCHALTEGGER UND JARCK (2019).

Österreich 3,10 3,02 0,86


zent zu tief budgetiert. Der Bund schätzt die
Einnahmen
Einnahmen in der Tendenz über alle Untersu-
Schweiz 6,38 5,47 1,88
chungsperioden hinweg zu pessimistisch ein
(siehe Tabelle). Deutschland 2,79 1,16 1,39
Die Ausgaben des Bundes wurden im his- Österreich 6,16 3,63 2,37
torischen Durchschnitt jedoch leicht unter-
Die Verrechnungssteuer wurde 1944 eingeführt; aufgrund des Zweiten Weltkrieges wird die zweite
schätzt: Es wurde jeweils rund 2 Prozent
Zeitreihe ab 1946 aufgeführt. Da sich positive oder negative Prognosefehler bei Ausgaben und Einnah-
mehr ausgegeben als budgetiert. Trotz der men über den Zeitverlauf gegenseitig ausgleichen können, wurde zusätzlich das Mittel der absoluten
zum Teil beachtlichen Abweichungen in den Prognose­fehler in Prozent des Voranschlags berechnet. Diese Werte sind auf Anfrage bei den Autoren
letzten Jahren konnte die Budgetgenauigkeit erhältlich.

46  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


BUNDESFINANZEN

KEYSTONE
Finanzminister Ueli Maurer (rechts) und Serge
Gaillard, Direktor der Eidgenössischen Finanz-
ser geworden. Dennoch scheint die Verrech- besondere im Vergleich zu Deutschland. Die verwaltung, an einer Medienkonferenz.
nungssteuer die Budgetierung der Einnah- Schweiz ist also kein Sonderfall. Doch was
men in der Schweiz erheblich zu erschweren. sind die Gründe für die Budgetabweichungen?
Auf der Ausgabenseite zeigt sich ein dif- posten, welche auf konkreten Fallzahlen ba-
ferenzierteres Bild. Über den ganzen Beob- Kein Problem der Schuldenbremse sieren – wie etwa im Migrations- oder So-
achtungshorizont budgetieren alle drei Län- zialversicherungsbereich –, sind schwierig
der ihre Ausgaben im Durchschnitt zu tief. Die Da die Einnahmenentwicklung stark von der im Voraus zu bestimmen. Zusätzlich enthält
Schweiz weist hier die höchste Prognosege- Wirtschaftslage abhängt, ist es schwierig, ge- die Ausgabenzuteilung eine starke politöko-
nauigkeit auf. Interessant sind die Jahre nach naue Prognosen zu formulieren. Besonders ak- nomische Komponente. Jedes Ressort in der
der Einführung der Schweizer Schuldenbrem- zentuiert ist dieses grundlegende Problem bei Budgeteingabe ist in Konkurrenz mit den an-
se: Sowohl die Schweiz als auch Deutschland der Verrechnungssteuer, deren Volumen ent- deren Ressorts um die gleichen öffentlichen
sind ab 2003 im Gegensatz zu Österreich in scheidend von den Unternehmensabschlüs- Mittel. Dieses Problem ist als «fiskalische All-
Sachen Genauigkeit besser geworden. Und sen sowie den ausgeschütteten Dividenden mende» bekannt: Was als öffentliche Mittel
beide scheinen ihre Ausgaben in der Tendenz abhängt. Hinzu kommt als weiterer Unsicher- der einen Verwaltungseinheit zugestanden
nun zu überschätzen. Da die vorsichtigere heitsfaktor der Zeitpunkt der Rückforderung. wird, kann nicht gleichzeitig der anderen Ver-
Budgetierung auch für Deutschland bereits Gerade in Zeiten von Negativzinsen sind die waltungseinheit versprochen werden.1
für die Neunzigerjahre beobachtet werden Anreize für allfällig verzögerte Rückforde- In dieser Situation ist jedes Ressort an
kann, scheint es sich mehr um einen allge- rungen gross. Seit 2012 ein neues Schätz- einer hohen Schätzung der Kosten inter-
meinen Trend zu handeln – und weniger um modell für die Verrechnungssteuer verwen- essiert. Reicht das Budget Ende Jahr zur Fi-
eine Folge der Schuldenbremse. det wird, hat sich die Fehlerquote verringert. nanzierung der gesetzlichen Aufgaben nicht
Somit lässt sich festhalten: Prognosefehler Dennoch bleibt sie nur schwer prognostizier- aus, kann es die Mehrkosten nicht nachträg-
beim Budgetieren von Einnahmen und Aus- bar und unterliegt im Zeitablauf erratischen lich einer anderen Verwaltungseinheit anlas-
gaben sind historisch nichts Ungewöhnli- Schwankungen. ten. Es müsste den aufwendigen und verpön-
ches, und sie werden immer kleiner. Die Mus- Auch die Ausgabenseite unterliegt ge-
ter der Schätzfehler ähneln sich zudem – ins- wissen Unsicherheiten. Gerade Ausgaben- 1 Buchanan und Wagner (1977); Weingast et al. (1981).

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  47
BUNDESFINANZEN

Abb. 1: Budgetabweichungen vom Voranschlag seit 1870


Ausgaben
50     Prognosefehler, in %

40

30

20

10

–10

–20
19 –99

19 09
19 –19
19 29
19 39
19 –49
19 –59
19 69
19 –79
9
90

92

94
18 –79
18 –89

96

98

02

10

12

14

16

18
0
0
–8

0
0

20

20
20

20
20

19

19
19

20
19

20
20

19

20

20
10
70

70
20
30

50
40
80

80
60
90
00
18

Einnahmen
60     Prognosefehler, in %

50

40

30

SALVI, SCHALTEGGER UND JARCK (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


20

10

–10

–20

–30
92

94
18 –79
18 –89
19 –99

19 09
19 –19
19 29
19 39
19 –49
19 –59
19 69
19 –79
9
90

96

98

02

10

12

14

16

18
0
0
–8

0
0

20

20
20

20
20

19

19
19

20
19

20
20

19

20

20
10
70

70
20
30

50
40
80

80
60
90
00
18

  Schweiz       Deutschland       Österreich

Für die bessere Leserlichkeit wurden von 1870 bis 1990 die Durchschnittswerte pro Jahrzehnt dargestellt. Das Mittel der Prognosefehler in Prozent des Voranschlags
misst den Durchschnitt des prozentualen Fehlers über einen bestimmten Zeitraum. Er zeigt die Richtung der Abweichung. Ein positiver Wert entspricht einer Unter-
schätzung und ein negativer Wert einer Überschätzung der tatsächlichen Werte. Bei den Ausgaben stellt eine Unterschätzung eine zu optimistische, bei den
Ein­nahmen eine zu pessimistische Prognose dar. Das Gegenteil gilt für die Überschätzung der Ausgaben und Einnahmen.

Abb. 2 Die Funktionsweise der Schweizer Schuldenbremse (vereinfachte Darstellung)


In den Folgejahren relevant
Voranschlag

Einnahmen Ausgaben

Projizierte Einnahmen Konjunktur- Ausgabenplafond


Faktor

Einnahmen Ausgaben Ausgleichskonto


Rechnung

SALVI UND SCHALTEGGER (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Tatsächliche Einnahmen Tatsächliche Ausgaben Saldo

Konjunktur-Faktor
Tatsächliche Einnahmen
unter Berücksichtigung des Tatsächliche Ausgaben Überschuss Defizit
Konjunkturfaktors

Differenz (positiv oder negativ) Schuldenabbau

48  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


BUNDESFINANZEN

ten Weg eines Nachtragskredits gehen. Sind noch grösseren Schätzfehlern auf der Aus- gabenquote ist entsprechend stabil. Mit der
die Kosten hingegen geringer ausgefallen als gabenseite gerechnet werden: Der Anreiz zu heutigen Ausgestaltung der Schuldenbrem-
vom Ressort ursprünglich geschätzt, fallen strategischem Pessimismus der Verwaltungs- se als Ausgabenregel bewegen sich die Aus-
einzig Kreditreste an – ohne Folgen. einheiten im Budgetprozess würde nämlich gaben im Gleichschritt mit der Wirtschafts-
noch verstärkt, denn die entstehenden Kre- leistung.
Das «Dezemberfieber» ditreste verfielen jetzt nicht mehr, sondern
behielten für das entsprechende Ressort Der Versuchung widerstehen
Untersuchungen von kantonalen Daten deu- ihren Wert in den kommenden Budgets.
ten darauf hin, dass Fiskalregeln die Genauig- Diese Vermutung bestätigt ein Blick über Würde der Ausgabenplafond um einen Kor-
keit der Einnahmenprognose grundsätzlich die Landesgrenze: In Österreich wollte man rekturfaktor erhöht, dann wäre tendenziell
verbessern.2 Die Schuldenbremse beeinflusst vor zehn Jahren das Dezemberfieber durch mit einer stetig höheren Ausgabenquote zu
die Einnahmenprognosen indirekt über die eine Haushaltsreform aus der Welt schaf- rechnen. Falls politisch allerdings gewünscht
erhöhte Transparenz (siehe Abbildung 2). Zu- fen. Nicht zuletzt mit der Erlaubnis, aus nicht ist, bei gleichzeitig stabiler Ausgabenquo-
dem begrenzt sie die maximal zulässigen Aus- ausgegebenen Geldern Rücklagen zu bilden, te mehr Schuldenfinanzierung zuzulassen,
gaben sowohl im Voranschlag wie auch in der die in den folgenden Jahren verbraucht wer- müssten konsequenterweise die Steuern ge-
Rechnung. Die Anreizsituation im Budgetpro- den können. Das Dezemberfieber wurde da- senkt werden. Hierfür wäre ein Mechanismus
zess der Ausgaben bleibt allerdings unabhän- durch zwar kurzfristig etwas gesenkt, es ent- notwendig, welcher die Ausgaben zwar be-
gig von der Schuldenbremse: Die fiskalische stand aber ein neues Problem: Die Rücklagen grenzt, die Aufteilung zwischen Steuer- und
Allmende wird durch den Ausgabenplafond türmten sich bis ins Jahr 2014 rasant auf und Schuldenfinanzierung aber vorgibt. Dies wür-
zwar beschränkt, der individuelle Übernut- erreichten die Summe von knapp 18 Milliar- de einer komplexen Anpassung der Schulden-
zungsanreiz jeder Verwaltungseinheit im den Euro.5 Hätte die Verwaltung die gesam- bremse bedürfen – was zulasten der Budget-
Budgetprozess jedoch nicht verringert. ten 18,4 Milliarden Euro abgerufen, wäre das genauigkeit ginge.
Budgetreste sind in erster Linie Aus- Budgetdefizit explodiert und der Schulden- Was bleibt zu tun? Die Schuldenbremse
druck einer funktionierenden Verwaltung: stand sprunghaft gestiegen. Die Budgetge- hat zu einem erheblichen Schuldenabbau bei-
Während des Rechnungsjahres unterstehen nauigkeit wurde aber nicht verbessert.  getragen.6 Sie hat aber durch die konjunktur-
die getätigten Ausgaben der Ressorts einer adjustierte Deckelung des Ausgabenniveaus
strengen Kontrolle durch Politik, Medien Bremst die Schuldenbremse auch die Möglichkeit der Verschwendung
und Überwachungsstellen wie der Finanz- öffentlicher Mittel – insbesondere in Pha-
kontrolle. Daher sind unbegründete Mehr-
zu stark? sen der Hochkonjunktur – erheblich einge-
ausgaben mittlerweile nicht mehr zu beob- Dann doch lieber den Konjunkturfaktor an- schränkt. Die Ausgabenquote wurde stabili-
achten.3 Auch Phänomene wie das «Dezem- passen? Dieser korrigiert den Ausgaben- siert. Gleichzeitig ist die dem Budgetprozess
berfieber», bei dem am Ende des Jahres noch plafond gemäss der konjunkturellen Lage. inhärente Neigung zu Kreditresten im Rah-
versucht wird, den Ausgabenrahmen mög- In Phasen der Hochkonjunktur liegt der men der Schuldenbremse sichtbar geworden.
lichst auszuschöpfen, wurden effektiv ad- Ausgabenplafond unter den Einnahmen: Dies zu ändern, bedarf, wenn überhaupt, An-
ressiert. Was würde mit der Budgetgenau- Das heisst, der Bund erwirtschaftet einen passungen im Budgetprozess – nicht an der
igkeit passieren, wenn die Schuldenbremse Überschuss. Umgekehrt lässt die Formel in Schuldenbremse.
angepasst würde? Rezessionen ein Defizit zu. Vielfach wur- 6 Salvi, Schaltegger und Schmid (2018).
de allerdings moniert, die Schulden­bremse
Anpassungen verschärfen schränke die Ausgaben des Bundes zu stark
ein und führe zum Staatsabbau. Zu Recht?
das Problem Nein, denn die Bundesausgaben sind ste-
Christoph A. Schaltegger
Professor für Politische Ökonomie an
Ein Vorschlag fordert, dass Kreditreste statt tig gestiegen, allein von 2003 bis 2018 von der Universität Luzern und Direktor des
für den Schuldenabbau für zusätzliche Aus- rund 50 auf knapp 71 Milliarden Franken – ­Instituts für Finanzwissenschaft und
­F inanzrecht der Universität St. Gallen
gaben in den Folgejahren verwendet werden eine Steigerung von 41 Prozent. Das Brutto-
dürfen.4 Eine gute Idee? Leider müsste mit inlandprodukt ist zwischen 2003 und 2017
ebenfalls um 41 Prozent gewachsen. Die Aus- Michele Salvi
2 Luechinger und Schaltegger (2013); Chatagny (2015). Wissenschaftlicher Assistent an der
3 Schaltegger und Salvi (2018).  ­Universität Luzern
4 «Neue Zürcher Zeitung» (2019). 5 Köppl-Turyna (2017).

Literatur
Buchanan, J. M. und Wagner, R. E. (1977). Köppl-Turyna, M. (2017). Das gefährliche Salvi, M.; Schaltegger, C. A. und Schmid, Schaltegger, C. A. und Salvi, M. (2018). Die
Democracy in Deficit: The Political Lega- Dezemberfieber grassiert – Hektische L. (2018). Do Fiscal Rules Cause Lower Verwaltung sollte ihren Budgetprozess
cy of Lord Keynes. New York: Academic Ausgaben der öffentlichen Hand zum Debt? – A Case Study from Switzerland, überdenken. Neue Zürcher Zeitung NZZ,
Press. Jahresende. Agenda Austria, Wien. Working Paper, Universität Luzern. Gastbeitrag, 1. Juni 2018.
Chatagny, F. (2015). Incentive Effects of Luechinger, S. und Schaltegger, C. (2013). Salvi, M.; Schaltegger, C. A. und Jarck, J. Weingast B. R.; Shepsle, K. A. und Johnsen,
Fiscal Rules on the Finance Minister’s Fiscal Rules, Budget Deficits and Budget (2019). Erhebungen von Bundeseinnah- C. (1981). The Political Economy of Bene-
Behaviour: Evidence from Revenue Pro- Projections. in: International Tax and men und -ausgaben in den historischen fits and Costs: A Neoclassical Approach
jections in Swiss Cantons, in: European Public Finance 20 (5), 785–807. Haushaltsrechnungen von der Schweiz, to Distributive Politics, in: Journal of
Journal of Political Economy 39, 184–200. Neue Zürcher Zeitung (2019). Die Finanz- Deutschlands und Österreichs in den je- Political Economy 89(41), 642–664.
lage des Bundes ist prächtig – und sorgt weiligen Universitätsbibliotheken. Wird
doch für Ärger. 13. Februar 2019. im Verlauf des Jahres 2019 publiziert.

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  49
RAUMENTWICKLUNG

Wie sieht die Schweiz im Jahr 2040 aus?


Megatrends wie Digitalisierung, Globalisierung und Bevölkerungswachstum verändern die
Lebensräume in der Schweiz. Aus raumplanerischer Sicht sind Wirtschaftswachstum und
­Lebensqualität kein Widerspruch. Die öffentliche Hand ist gefordert.  Cyril Lyner

Abstract    Im Auftrag des Bundesrates hat der Rat für Raumordnung, eine ­ständige tet die Urbanisierung in den Schweizer Städ-
ausserparlamentarische Kommission, den Blick auf die Zukunft gerichtet: Welche ten voran, und die Nutzung der Landschaft
Raumentwicklung ist nötig, um im Jahr 2040 weiterhin über attraktive Lebens- und als Tourismus- und Erholungsraum nimmt zu.
Wirtschaftsräume zu verfügen? Aus dem Bericht ergeben sich relevante Schlüsse für Weitere Megatrends sind die Digitalisie-
die künftige Wirtschaftspolitik: Die Qualität der Schweiz als Wirtschaftsstandort ist rung und die Individualisierung. Die poten-
untrennbar mit der Qualität der räumlichen Entwicklung verbunden. Die Herausfor- ziellen Auswirkungen auf die Raumentwick-
derungen des demografischen und digitalen Wandels können nur über administrative lung betreffen die Arbeitswelt genauso wie
und sektoralpolitische Grenzen hinweg gelöst werden. die Mobilität und die Güterproduktion (In-
dustrie 4.0).
Der demografische Wandel – als weiterer

D  ie Schweiz im Jahr 2040: Die 10-Mil-


lionen-Bevölkerung ist Realität. Die
Digitalisierung und die anhaltende Glo-
Mit Megatrends werden Trends und Ent-
wicklungen bezeichnet, die einen weitrei-
chenden sozialen, ökonomischen, politi-
Megatrend – führt zu einem Bevölkerungs-
wachstum. Eine Ursache ist die Migration;
gleichzeitig nimmt der Anteil der über 65-Jäh-
balisierung haben die Schweiz in sozialer schen und technologischen Wandel antrei- rigen an der Gesamtbevölkerung zu. Bereits
und wirtschaftlicher Hinsicht umgewälzt. ben und unsere Werte sowie unser Denken heute zählt jeder sechste Einwohner zu die-
Der Klimawandel beeinflusst die Entwick- und Handeln langfristig prägen. Gemäss dem ser Altersgruppe. Aus Optik der Raument-
lung der Städte genauso wie der ländlichen Zukunftsinstitut Frankfurt sind Megatrends wicklung besteht bei einer wachsenden Be-
Räume und Berggebiete nachhaltig. Diese globale Phänomene, welche je nach Kontext völkerung die Gefahr einer unkoordinierten
Megatrends und Entwicklungen sind bereits unterschiedlich, ja sogar widersprüchlich wir- Siedlungsentwicklung.
heute spürbar, doch wie wirken sich diese ken können und sich auch gegenseitig beein- Mit dem Klimawandel gehen schliesslich
nach weiteren 20 Jahren auf die Raument- flussen. eine Intensivierung ausserordentlicher Wet-
wicklung der Schweiz aus? Welche Lösun- terereignisse und eine globale Erwärmung
gen sind nötig, damit die Schweiz auch 2040 Urbanisierung nimmt zu einher. In den Berggebieten sind die Aus-
ein attraktiver Lebens- und Wirtschafts- wirkungen zwiespältig: Zum einen nehmen
raum bleibt? Ein Megatrend, der die Raumentwicklung die Naturgefahren aufgrund von Bergrut-
Ein Bericht, welcher der Rat für Raum- in der Schweiz prägt, ist die Globalisierung. schen und Steinschlag zu, und die Schnee-
ordnung (ROR) im Auftrag des Bundesrates Angesichts der wachsenden Handelsströ- mengen sind rückläufig; zum anderen gewin-
erstellt hat, liefert Antworten auf diese Fra- me steigt die Bedeutung von Mobilität und nen die Berglagen im Sommer mit ihrer fri-
gen.1 Der Rat für Raumordnung ist eine stän- Transportinfrastrukturen. In der Folge schrei- schen Luft an Bedeutung für den Tourismus.
dige ausserparlamentarische Kommission,
bestehend aus Experten aus Politik, Praxis
und Forschung in den Bereichen Regional- Raumtypen der Schweiz
ökonomie, Raumplanung und Verwaltungs-
führung. Er berät den Bundesrat sowie das
Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und
das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE),
welche für Regionalpolitik und Raument-
RAT FÜR RAUMORDNUNG (2019) / SIMPLYMAPS/ DIE VOLKSWIRTSCHAFT

wicklung zuständig sind.


Der Rat für Raumordnung stützt sich im
Bericht auf die Trends und Herausforderun-
gen, welche heute in der Schweiz feststell-
bar sind, und macht Aussagen mit einem
Horizont von 20 bis 25 Jahren. Anhand von
Empfehlungen zeigt er auf, wie vor diesem
Hintergrund eine nachhaltige Raument-
wicklung möglich ist.

1 Rat für Raumordnung (2019): Megatrends und die


Raumentwicklung in der Schweiz. Wird demnächst   Urbane Ballungszentren            Tourismuszentren           Mittelland mit Agglomerationen, kleinen und mittleren Städten         
unter www.are.admin.ch veröffentlicht.   Jurabogen            Voralpine Räume            Alpine Gebiete

50  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


RAUMENTWICKLUNG

KEYSTONE
Der Grossraum Chur dürfte in den nächsten Jahren
stark wachsen. Blick über die Altstadt.
Im ­Flachland häufen sich heisse und trockene oder Bellinzona –, Tourismuszentren wie Da-
Sommer sowie klimatische Extremereignis- vos, Andermatt und Zermatt sowie ländlich
se wie Stürme und Starkregen. Die Folgen für geprägte Seitentäler und periphere Räume. Aarau, aber auch Agglomerationen um Sitten
den Lebensraum Schweiz sind absehbar: un- Während Erstere mit steigenden Siedlungs- und Altdorf werden als attraktive Wohn- und
bewohnbare Orte in den alpinen und voralpi- und Verkehrsproblemen konfrontiert sind, Arbeitsorte entdeckt, welche in ihren Ange-
nen Räumen sowie unangenehme bis schädli- kämpfen die Randgebiete gegen Abwande- boten den grossen Städten in nichts nachste-
che Lebensbedingungen in den Städten. rung und Überalterung. hen.
Den Kern des Berichts bildet der Blick auf Ausserhalb dieser Siedlungszonen ist es
Wachstumsstarke die Schweiz im Jahr 2040. In fünf sogenann- gelungen, grössere intakte Landschaften zu
ten Fenster auf Morgen zeichnet der Bericht erhalten. Gut vernetzte Bergdörfer bilden
­Agglomerationen das Bild einer Schweiz, in der sich die Auswir- attraktive Wohnorte für digitale New High-
Ob und allenfalls wie sich Megatrends auf die kungen der verschiedenen Megatrends tief- landers und Sommeraufenthalter. In den
Raumentwicklung auswirken, ist von der Si- greifend entfaltet haben, wobei es aber ge- entlegenen Dörfern vermag aber auch die
tuation vor Ort abhängig: In den urbanen lungen ist, die Schweiz als attraktiven Le- digitale Erschliessung die Bevölkerungsab-
Zentren (siehe Abbildung) führt das Wirt- bens- und Wirtschaftsraum zu erhalten. wanderung nicht zu stoppen. Die weitläu-
schaftswachstum grundsätzlich zu einer stei- figen Wildnisgebiete, welche sich in entvöl-
genden Lebensqualität – allerdings steigen Die 10-Millionen-Schweiz kerten Talschaften bilden, eröffnen dabei
die Wohnungspreise, und der Verkehr nimmt Gemäss diesen «Fenstern» ist die Schweiz im neue touristische Potenziale.
zu. In den ländlichen Räumen – insbesonde- Jahr 2040 weiterhin eine Nutzniesserin der Im Flachland ist die arbeitende Bevölke-
re im Umkreis der Ballungszentren – schreitet Globalisierung. Die anhaltende Zuwanderung rung im Jahr 2040 oft unterwegs und weni-
die Zersiedlung voran. Dabei stellen die klein- hat die 10-Millionen-Schweiz Realität werden ger an klassische Unternehmen gebunden.
räumigen administrativen Einheiten eine He- lassen. Damit verbunden ist ein anhaltendes Infolge der Verbreitung neuer Geschäfts-
rausforderung dar. Gleichzeitig verfügt der bauliches Wachstum in den Ballungszentren, modelle (Blockchain, Crowdworking, «Ich-
ländliche Raum nach wie vor über weitläufi- aber nicht nur. Mit der effizienter werdenden AGs») hat die Zahl der Freelancer stark zu-
ge intakte Landschaften. Mobilität und der Digitalisierung, mit welcher genommen; diese leben teilweise aber in
Der alpine Raum schliesslich, der rund die die Menschen immer ortsunabhängiger wer- einer wirtschaftlich instabilen Situation. Mit
Hälfte der Fläche der Schweiz ausmacht, ist den, lässt es sich überall in der Schweiz gut der Industrie 4.0 ist die Schweiz als Produk-
äusserst heterogen. Er umfasst wachstums- leben und arbeiten. Vor allem die kleinen und tionsstandort wettbewerbsfähig und bietet
starke Agglomerationen – wie Sitten, Chur mittleren Städte zwischen Langenthal und weiterhin genügend Arbeitsplätze. Zudem

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  51
RAUMENTWICKLUNG

gibt es immer noch eine grosse Anzahl Tä- hen 2040 ausreichende Flächen für die Land- tionalen Räumen zu stärken. Hier stehen die
tigkeiten, welche nicht von Maschinen über- wirtschaft zur Verfügung, welche sich trotz Kantone gemeinsam mit dem Bund in der
nommen werden können, weil sie Kreativität Abbau der Handelsschranken und einem ra- Verantwortung.
und Empathie verlangen. dikalen Strukturwandel dank digital unter- Laut dem Rat für Raumordnung soll die
stützten Produktionsmethoden auf grossen öffentliche Hand den digitalen Wandel pro-
Anteil der Senioren steigt Flächen behauptet. aktiv mitgestalten. Voraussetzung dafür ist
Welche Weichen müssen heute gestellt unter anderem, dass der Internetzugang flä-
Eine wachsende Bedeutung haben die über werden, damit diese Schweiz im Jahr 2040 chendeckend in hoher Bandbreite zur Ver-
65-Jährigen, welche 2040 rund 25 Prozent der Realität wird? Der Rat für Raumordnung fügung steht. Wie könnte man das umset-
Bevölkerung ausmachen. In alpinen und länd- nimmt in seinem Bericht aus seiner fachli- zen? Beispielsweise könnte der Bund priva-
lichen Regionen beträgt ihr Anteil teilweise chen Perspektive mit 18 Empfehlungen zu te Initiativen zur Entwicklung neuer, digitaler
sogar fast die Hälfte. Viele Senioren sind ge- den wichtigsten Handlungsfeldern Stellung. Geschäftsmodelle fördern. Bei Wertschöp-
sund und mobil, müssen aber aufgrund des Diese Empfehlungen regen weiterführen- fungsketten, die auf Crowdworking bauen,
gestiegenen Rentenalters oder auch auf- de Überlegungen zu den kurz- und langfris- könnten Bund, Kantone und Gemeinden zum
grund einer ungesicherten Altersvorsorge tigen Aufgabenstellungen der Wirtschafts- Beispiel über digitale Vernetzungs-Plattfor-
länger arbeiten. Wegen der Altenpflege sind politik an. men dazu beitragen, die Transaktionskosten
die Freiwilligenarbeit und die Zuwanderung Damit die Schweiz 2040 weiterhin zu den zu senken und gleichzeitig Rechtssicherheit
von ausländischem Fach- und Pflegepersonal Gewinnern der Globalisierung zählt, emp- und Arbeitnehmerschutz sicherzustellen.
weiterhin unerlässlich. fiehlt der Rat für Raumordnung in seinem Be- Weiter empfiehlt der Rat für Raumord-
Die Städte im Jahr 2040 sind sogenann- richt, den wirtschaftlichen Rahmenbedin- nung, die digitalen Kompetenzen der Er-
te Smart Cities, in denen Infrastrukturen, gungen Sorge zu tragen. Dazu ist eine gute werbsbevölkerung zu stärken. Insbesondere
Dienstleistungen und Verkehrsmittel intel- Anbindung an internationale Infrastruktu- bei Jugendlichen, bei älteren Arbeitnehmen-
ligent vernetzt und effizient genutzt wer- ren in den Bereichen Energie, Mobilität (ins- den und bei Menschen mit Migrationshin-
den. Veränderte Einkaufs- und Arbeitsver- besondere Luft und Schiene) und Datenver- tergrund besteht diesbezüglich ein grosses
halten haben in den Stadt- und Dorfzentren kehr zentral. Die Empfehlungen zielen aber Potenzial. In den ländlichen Regionen und
seit den 2010er-Jahren verstärkt zu einem vor allem darauf ab, dass auch in einer 10-Mil- Berggebieten kann schliesslich die Kombi-
Ladensterben und zu einem Rückgang der lionen-Schweiz die spezifischen räumlichen nation aus attraktiver Landschaft und guter
Nachfrage nach Büroflächen geführt. Die Qualitäten der Siedlungen und Landschaften digitaler Vernetzung in Wert gesetzt wer-
freien Flächen und sinkenden Mieten haben erhalten bleiben. den – zum Beispiel über die Positionierung
jedoch Möglichkeiten für Zwischennutzun- als attraktive Standorte für internationale
gen, Pop-up-Betriebe und Kultureinrichtun- Digitalisierung als Schlüssel Start-ups.
gen eröffnet, welche den Zentren ein neu- Solche Ansätze verlangen von der öffent-
es, attraktives Gesicht verleihen. Nicht nur Tatsächlich können intakte Landschaften, lichen Hand Flexibilität und Voraussicht. Dar-
trotz, sondern auch wegen der zunehmen- aber auch die attraktiven Städte mit ihren über hinaus müssen Bund, Kantone und Ge-
den virtuellen Interaktionen sind öffentliche vielfältigen Angeboten in ihrer Bedeutung für meinden ihre Massnahmen koordinieren. Um
Räume als Begegnungsorte im Jahr 2040 die Schweiz als internationalen Wirtschafts- nachhaltige Lösungen zu finden, ist deshalb
wichtiger geworden. In den ländlichen Räu- standort nicht überschätzt werden. Auch der Blick über den Tellerrand unabdingbar.
men und Berggebieten ist die Wertschät- ausserhalb der Städte gilt es die Regionen als
zung für Landschaft und lokale Baukultur attraktive Wohn- und Arbeitsräume zu erhal-
gestiegen. ten. Die wirtschaftsrelevanten Sektoralpoli-
tiken müssen der Lebensqualität deshalb als
Lebensqualität als Standortvorteil entscheidender Voraussetzung für die Wett-
bewerbsfähigkeit und die Wertschöpfung
Dank intelligenten, miteinander vernetzten Rechnung tragen. In einer immer stärker ver-
Fahrzeugen und einem Güterverkehr, der zu netzten Welt ist es dabei von grosser Bedeu-
grossen Teilen mit autonomen Transportsys- tung, dass sich die einzelnen Städte und Re-
Cyril Lyner
temen, unterirdisch und mit Drohnen abge- gionen gemäss ihren Potenzialen positio- Wissenschaftlicher Mitarbeiter,
wickelt wird, rollt der Verkehr flüssiger. In der nieren und Herausforderungen über enge ­Geschäftsstelle Rat für Raumordnung,
Folge musste das Strassennetz nicht mehr Gemeindegrenzen hinweg angehen. Der Rat ­Ressort ­Regional- und Raumordnungs­
ausgeweitet werden. Deshalb und aufgrund für Raumordnung weist denn auch auf die politik, Staats­sekretariat für Wirtschaft
(Seco), Bern
der geordneten Siedlungsentwicklung ste- Notwendigkeit hin, die Governance in funk-

52  Die Volkswirtschaft  5 / 2019


SHUTTERSTOCK

Digitale EU-Binnenmarktstrategie
Die EU will einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt ohne Grenzen schaffen. Dazu
hat sie bereits die Roaminggebühren für EU-Bürger innerhalb der EU abgeschafft und
das Geoblocking verboten. Schwerpunkte setzen will sie auch bei Cybersicherheit
und E-Government. Wo steht die Schweiz bei diesen Themen? Mehr dazu im Dossier.
EU-DIGITALSTRATEGIE

Die Schweiz ist gewappnet


Die Europäische Union will einen digitalen Binnenmarkt schaffen, der die nationalen Märkte
zu einem einzigen zusammenführt. Die Schweiz muss dieses EU-Vorhaben im Auge behalten,
damit sie den Anschluss nicht verliert.  Marco Eichenberger

Abstract  Die Europäische Kommission verfolgt mit ihrer Strategie für einen digitalen fördern. Die Cybersicherheit ist hier ein zen-
Binnenmarkt das Ziel, Hürden für den elektronischen Handel abzubauen und eine ge- trales Thema. Und drittens soll schliesslich
samteuropäische digitale Infrastruktur zu schaffen. Dazu wurden seit 2015 zahlreiche das Wachstumspotenzial der digitalen Wirt-
Gesetzesvorschläge und politische Initiativen in die Wege geleitet. Für die Schweiz als schaft ausgeschöpft werden, unter anderem
Nichtmitglied des Binnenmarktes sind solche EU-Integrationsschritte grundsätzlich mit dem Vorantreiben des E-Governments.
risikobehaftet, da der Marktzugang für Schweizer Unternehmen dadurch erschwert Zur Umsetzung dieser Massnahmen legte
werden könnte. Eine fundierte Analyse zeigt, dass der Bundesrat die möglichen Aus- die EU-Kommission bis zum Herbst 2018 ins-
wirkungen der EU-Strategie frühzeitig erkannt und notwendige Massnahmen diffe- gesamt bereits 29 Rechtsetzungsvorschlä-
renziert an die Hand genommen hat. Die Entwicklungen in der EU sind weiterhin auf- ge sowie 37 politische Initiativen vor. Einige
merksam zu beobachten, auch um sich bietende Chancen für die Schweiz nutzbar zu dieser Regulierungen werden derzeit noch
machen. im EU-Parlament und im EU-Rat verhandelt,
andere wurden bereits verabschiedet oder
sogar in Kraft gesetzt.

E  s ist eines der wichtigsten Ziele der ak-


tuellen EU-Kommission unter Jean-Clau-
de Juncker: der Aufbau eines digitalen Bin-
Handel sowie eine gemeinsame digitale Infra-
struktur für alle Mitgliedsstaaten.
Einige dieser Verordnungen haben auch
in der Schweiz zu Diskussionen geführt: So
wurden etwa die Roaminggebühren inner-
nenmarkts innerhalb der Europäischen Keine nationalen Alleingänge halb der EU abgeschafft. Seit Juni 2017 fal-
Union. Damit will die EU-Kommission errei- len für EU-Bürger bei der Nutzung von mobi-
chen, dass Wirtschaft und Gesellschaft das Im Wesentlichen umfasst die Strategie zen- len Daten im EU-Ausland keine Zusatzkosten
Potenzial der digitalen Transformation besser trale Massnahmen, die auf drei Säulen beru- mehr an. Auch Film- und Musikdienste wie
nutzen können und Europa auch weiterhin hen (siehe Abbildung). Mit der ersten Säule Netflix, Sky oder Spotify sind seit April 2018
wettbewerbsfähig bleibt. Im Mai 2015 prä- will man den Zugang von Unternehmen und innerhalb der EU-Staaten nutzbar. Zudem gilt
sentierte die EU-Kommission erstmals ihre Bevölkerung zu digitalen Gütern und Dienst- seit Dezember 2018 ein sogenanntes Geoblo-
Strategie für einen digitalen EU-Binnenmarkt leistungen verbessern. Dabei soll etwa das cking-Verbot. Damit ist ein Online-Diskrimi-
(Digital Single Market, DSM). Der Plan ist am- Urheberrecht modernisiert werden. Mit der nierungsverbot aufgrund der Staatsangehö-
bitioniert. Die EU-Kommission erhofft sich zweiten Säule will man die Rahmenbedin- rigkeit oder der Niederlassung gemeint. Bis-
damit einen kontinuierlichen Abbau der re- gungen optimieren, um Investitionen und her wurden beispielsweise bestimmte Inhalte
gulatorischen Hindernisse im elektronischen transparente Wettbewerbsbedingungen zu in einigen EU-Ländern blockiert und die User

Die Schwerpunkte und Themen des digitalen EU-Binnenmarktes

1. Säule 2. Säule 3. Säule

Europaweiten Zugang zu digitalen Optimale Rahmenbedingungen Wachstumspotenzial der digitalen


Gütern und Dienstleistungen für schaffen für die Entwicklung digitaler Wirtschaft und der Gesellschaft
Unternehmen und Bevölkerung Netze und Dienste, um Investitionen (digitale Kompetenzen) bestmöglich
verbessern und transparente Wettbewerbsbe- ausschöpfen.
dingungen zu fördern
• Vertragsrecht Onlinehandel • Tech-Exzellenzzentren
• Konsumentenschutz • Verbesserung Internet­ • Cloud-Infrastruktur
• Grenzüberschreitende konnektivität • Open (Government) Data
Paketzustellung • 5G-Mobilfunkfrequenzen • IT-Hochleistungsinfrastruktur
• Ungerechtfertigtes Geoblocking • Mindestregulierung audiovisueller • Europäische Normen
• Wettbewerb Sektoruntersuchung Mediendienste • E-Government
• Modernisierung Urheberrecht • Plattform-Ökonomie • Förderung digitaler Kompetenzen
• Portabilität Online-Inhalte • Online-Privatsphäre
• Ursprungslandprinzip Radio & TV • Cybersicherheit
SECO / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

• Mehrwertsteuer • Netzwerk- und Informations-


sicherheit

54  Die Volkswirtschaft 5 / 2019


DOSSIER

stattdessen auf teurere Sites umgeleitet. Die- kannt und notwendige Massnahmen einge- in den EU-Staaten noch einige Jahre in An-
se Praxis ist nun verboten. Noch ist unklar, in- leitet hat. Die Analysen verdeutlichen, dass spruch nehmen kann.
wiefern die DSM-Strategie zu mehr Innova- die DSM-Strategie thematisch sehr breit ist.
tion und Wohlstand in der EU führen wird. Die Wirkungsfelder unterscheiden sich zu- Entwicklungen beobachten
Doch wie wirken sich die EU-Massnahmen dem auch darin, ob sie rechtlich bindend und
auf die Schweiz aus? wie weit sie in der Gesetzgebung bereits fort- Die derzeit absehbaren Auswirkungen der
geschritten sind. Es ist entsprechend kaum EU-Massnahmen auf die Schweiz sind also
Auswirkungen auf die Schweiz möglich, die Auswirkungen des DSM auf die erkannt und weitgehend abgedeckt. Aller-
Schweiz im Rahmen eines Gesamtfazits zu dings gilt es zu beachten, dass die DSM-­
unklar benennen. Vielmehr bedürfen die einzelnen Strategie kein starres Regelwerk ist und in
Die Schweiz ist stark mit dem europäischen Massnahmen einer individuellen Analyse, wie Zukunft mit weiteren Massnahmen ergänzt
Wirtschaftsraum verflochten, obschon sie dies auf den folgenden Seiten in diesem Dos- werden könnte.
nicht Teil des EU-Binnenmarkts ist. Wer- sier gemacht wird. Was kann also in absehbarer Zeit er-
den innerhalb der EU regulatorische Hürden wartet werden? Für die Rechtsetzungsvor-
abgebaut, kann dies dazu führen, dass der Schweiz teilweise schläge, die noch vom EU-Parlament und
Marktzugang für Unternehmen aus Drittlän- vom EU-Rat genehmigt werden müssen,
dern wie der Schweiz erschwert wird oder
fortschrit­tlicher als EU lassen sich die Ergebnisse der Gesetzge-
dass Schweizer Unternehmen nicht gleich So vielfältig wie die DSM-Strategie sind auch bungsprozesse noch nicht abschliessend
vom Abbau solcher Handelshemmnisse pro- die laufenden Arbeiten des Bundes. Zum einschätzen. Im Mai 2019 finden zudem
fitieren wie EU-Unternehmen. einen sind zurzeit mehrere DSM-relevante Europawahlen statt, welche die Aktivitä-
Um die Entwicklungen in der EU zeitnah Gesetzesrevisionen in parlamentarischer Be- ten der EU-­Institutionen für mehrere Mo-
und kritisch zu verfolgen, wurde im Rah- ratung. Am Beispiel der laufenden Revisio- nate verzögern dürften. Es ist davon aus-
men der Strategie «Digitale Schweiz» eine nen des Fernmeldegesetzes und des Urhe- zugehen, dass die regulatorischen DSM-­
bundesinterne Koordinationsgruppe gebil- berrechts ist ersichtlich, dass regulatorische Massnahmen grösstenteils ab 2020 ihre
det. Diese besteht aus Vertretern des Bun- Massnahmen frühzeitig und teilweise bereits Wirkung entfalten. Die Schweizer Koordi-
desamtes für Kommunikation, der Direktion vor Bekanntgabe der DSM-Strategie an die nationsgruppe wird die Entwicklungen ge-
für europäische Angelegenheiten und der Hand genommen wurden. meinsam mit den zuständigen Bundesstel-
Schweizer Mission in Brüssel, des Staatsse- Zum anderen beteiligt sich die Schweiz len aber auch in Zukunft aufmerksam be-
kretariats für Wirtschaft und des Informa- aktiv in zahlreichen EU-Expertengruppen obachten, damit die Schweiz die Chancen
tiksteuerungsorgans des Bundes. Seit Sep- und relevanten Digitalisierungsprojekten. des DSM nutzen und notwendige Mass-
tember 2016 analysiert die Gruppe gemein- Dazu gehören beispielsweise die Cybersi- nahmen frühzeitig koordinieren kann.
sam mit den betroffenen Bundesstellen cherheit, die Cloud-Infrastruktur für die
laufend die möglichen Auswirkungen des Wissenschaft sowie die Hochleistungs-
DSM auf die Schweiz. Insbesondere sollen rechenzentren. Die Analyse des Bundes-
auch die potenziellen Chancen und Vortei- rates zeigt weiter, dass viele bestehende
le für die Schweiz ermittelt werden, die sich DSM-relevante Vorschriften und Regulie-
aufgrund der EU-Regulierungen eröffnen. rungen hierzulande weitgehend äquivalent
Die Arbeiten der Koordinationsgruppe so- mit jenen der EU sind, etwa im Kartell-
wie eine umfassende Analyse zuhanden des recht oder in der Netzwerk- und IT-Sicher-
Bundesrates1 zeigen, dass die Schweiz den heit. Schliesslich ist die Schweiz in einigen
derzeit notwendigen Handlungsbedarf im Bereichen der Digitalisierung sogar fort- Marco Eichenberger
Zusammenhang mit dem DSM frühzeitig er- schrittlicher als die EU: so etwa bei den Wissenschaftlicher Mitarbeiter, ­Ressort
Mobilfunkfrequenzen für die künftige 5G-­ Wachstum und Wettbewerbspolitik
1 Siehe Bundesrat (2018). Auswirkungen des digitalen (DPWW), Staatssekretariat für Wirtschaft
EU-­Binnenmarkts auf die Schweiz. Medienmitteilung
Technologie. Diese wurden hierzulande be-
(Seco)
vom 7.12.2018. reits in diesem Jahr vergeben, während dies

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  55
EU-DIGITALSTRATEGIE

Cyberrisiken sind eine ernsthafte


Bedrohung
Cyberangriffe nehmen in der Schweiz zu. Mit seiner neuen Strategie will der Bundesrat des-
halb auch Unternehmen und Privatpersonen beim Kampf gegen kriminellen Datendiebstahl
unterstützen.  Manuel Suter
Abstract  Cyberangriffe sind allgegenwärtig und betreffen sowohl Privatpersonen als kationsanbieter, Spitäler oder Banken. Im
auch Unternehmen und Behörden. Sie entwickeln sich rasant weiter und gefährden Gegensatz dazu verlangt die neue NCS expli-
den Nutzen der Digitalisierung. Der Bund reagiert auf diese Bedrohungen mit einer zit, dass der Bund alle Unternehmen und die
neuen «Nationalen Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken» (NCS). Da­ Bevölkerung beim Schutz vor Cyberrisiken
rin ist vorgesehen, dass zu deren Umsetzung ein Kompetenzzentrum Cybersicherheit unterstützt. Die Strategie beinhaltet aber
unter der Leitung eines Delegierten des Bundesrates geschaffen wird. Neu sollen zu- nicht nur Massnahmen, um den unmittelba-
dem nicht mehr nur kritische Infrastrukturen im Kampf gegen Cyberangriffe unter- ren Schutz zu stärken. Sie will die Cybersi-
stützt werden, sondern auch Unternehmen und Privatpersonen. cherheit auch mit längerfristig ausgerichte-
ten Massnahmen verbessern. Beispielsweise
durch den Ausbau von Fähigkeiten und Wis-

T  äglich werden in der Schweiz Rechner


angegriffen. Oft handelt es sich bei die-
sen Cyberangriffen um breit angelegte, welt-
vergangenen Jahr wegweisende Entschei-
de getroffen. Bereits im April 2018 hat er die
neue «Nationale Strategie zum Schutz der
sen in der Schweiz, aber auch durch die För-
derung und Pflege von internationalen Be-
ziehungen. Von besonderer Bedeutung sind
weit durchgeführte Versuche, Daten zu ent- Schweiz vor Cyber-Risiken (NCS)»1 für die dabei für die Schweiz die Aktivitäten der
wenden oder finanzielle Transaktionen zu Jahre 2018 bis 2022 verabschiedet und darin Europäischen Union zur Stärkung der Cyber-
manipulieren. Vor allem Erpressungen über Handlungsfelder und Massnahmen definiert. sicherheit in Europa. Der bereits fertig aus-
Cyberangriffe haben zugenommen. Dabei Im Vergleich zur Vorgängerstrategie von gehandelte Rechtsakt zur Cybersicherheit
verschlüsseln die Täter die Daten beispiels- 2012 bis 2017 trägt die neue NCS dem Um- in der EU2 sieht einen europäischen Zerti-
weise mithilfe von Verschlüsselungstroja- stand Rechnung, dass Cyberrisiken zu einer fizierungsrahmen für Produkte, Verfahren
nern, sodass nicht mehr auf sie zugegriffen relevanten Bedrohung für alle Unternehmen und Dienste vor. Die Schweiz wird die Ent-
werden kann. Dann verlangen sie Geld, meist und für die Sicherheit und das Wohlbefinden wicklung dieses Zertifizierungsrahmens auf-
in Kryptowährungen, um die Daten wieder der Bevölkerung geworden sind. Die Vor- merksam beobachten und bei Bedarf die nö-
zu entschlüsseln. Bei anderen Erpressungs- gängerstrategie fokussierte noch vornehm- tigen Schritte einleiten, damit die Schweizer
methoden schicken die Täter ihren Opfern lich auf den Schutz kritischer Infrastruk-
2 Siehe European Commission (2017). Regulation of the
Auszüge aus gestohlenen Datensätzen und turen wie Energieversorger, Telekommuni- European Parliament and of the Council on ENISA, the
drohen bei ausbleibendem Lösegeld mit der «EU Cybersecurity Agency», and Repealing Regulation
(EU) 526/2013, and on Information and Communication
Veröffentlichung von sensiblen Personen- 1 Die vollständige Strategie ist online auf Isb.admin.ch Technology Cybersecurity Certification («Cybersecurity
daten. Perfide dabei ist, dass es den Opfern verfügbar. Act») (nur in Englisch verfügbar).
kaum möglich ist, abzuschätzen, ob die Täter
tatsächlich über diese sensiblen Daten verfü-
gen oder nicht. So will der Bundesrat den Bereich Cyberrisiken reorganisieren:
Neben diesen breit angelegten Angriffen
sind Unternehmen und Behörden auch mit Cyberausschuss des Bundesrats
sehr gezielten Attacken konfrontiert. Dafür (EFD, EJPD, VBS)

investieren die Angreifer viel Zeit und Geld,


um in die Systeme einzudringen. Bei solchen Delegierte/r
Angriffen steht aber nicht die unmittelbare fi- für Cybersicherheit
nanzielle Bereicherung im Zentrum. Vielmehr
wollen die Täter an wertvolle Informationen Kerngruppe Cyber Steuerungsausschuss
kommen, welche ihnen längerfristige wirt- (Departemente) (Bund, Kantone, Wirtschaft, Hochschulen)
schaftliche oder politische Vorteile verschaf- • Beurteilt die Bedrohungslage und die Schutz­dispositive • Begleitung und Weiterentwicklung der Strategie
• Beaufsichtigt die Bewältigung von s­ chwerwiegenden
fen.
BUNDESKANZLEI/ DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Cybervorfällen

Neue Strategie zum Schutz


vor Cyberrisiken Kompetenzzentrum
Cybersicherheit (EFD)
Wie schützt sich die Schweiz vor solchen einschliesslich Melde- und Analyse­stelle
Cyberangriffen? Dazu hat der Bundesrat im Informations­sicherung (Melani)

56  Die Volkswirtschaft 5 / 2019


Informatikstudenten an der Hochschule Luzern in Rotkreuz.
Beim Schutz vor Cyberrisiken will der Bund auch mit den
Hochschulen zusammenarbeiten.
KEYSTONE
EU-DIGITALSTRATEGIE

Wirtschaft mit den europäischen Vorgaben Delegierten für Cybersicherheit und ein Kom- aktuell noch in Erarbeitung ist, legt fest, wer
zur Cybersicherheit kompatibel bleibt. petenzzentrum geben. Der oder die Delegier- welche Aufgaben übernimmt. Er wird somit
Mit der Verabschiedung der NCS hat der te wird die zentrale Ansprechperson des Bun- die Grundlage für die koordinierte Zusam-
Bundesrat auch entschieden, die Bundes- des für Cybersicherheit. Sie ist direkt dem De- menarbeit aller Akteure bilden. Die Umset-
stellen im Bereich Cyberrisiken neu zu orga- partementsvorsteher des EFD unterstellt. Ihre zungsarbeiten zur NCS mit den wichtigsten
nisieren (siehe Abbildung). Diesen Januar hat Aufgaben sind die strategische Leitung des Partnern zu koordinieren, ist der Zweck der
er die dazu nötigen Beschlüsse gefasst und Kompetenzzentrums Cybersicherheit sowie gemeinsamen Plattform des Steuerungsaus-
einen Cyberausschuss geschafft, in dem das der Vorsitz über die Koordinationsgremien schusses NCS.
Finanzdepartement (EFD), das Justiz- und «Kerngruppe Cyber» und «Steuerungsaus- Mit der Verabschiedung der NCS, der Stär-
Polizeidepartement (EJPD) sowie das Vertei- schuss NCS». Der oder die Delegierte führt kung und Klärung der Strukturen des Bundes
digungsdepartement (VBS) vertreten sind. somit die wichtigsten Gremien des Bundes im und den geschaffenen Gremien für die Zu-
Damit hat der Bundesrat seine eigene Füh- zivilen Bereich der Cybersicherheit. Ausser- sammenarbeit sind nun die wesentlichen Vo-
rungsrolle in diesem Bereich gestärkt. Die dem steht er oder sie in der Verantwortung, raussetzungen für einen effektiven Schutz
Vorstehenden der drei Departemente wer- die Umsetzung der NCS voranzubringen, die vor Cyberrisiken vorhanden. Es steht den ver-
den sich künftig regelmässig über die Cyber- Strategie und die Organisation des Bundes antwortlichen Stellen und Gremien jedoch
sicherheit austauschen und dafür sorgen, weiterzuentwickeln und den Bund im Bereich viel Arbeit bevor. Die in der NCS festgehalte-
dass die Strategie zielgerichtet umgesetzt Cybersicherheit zu repräsentieren. nen Massnahmen müssen rasch umgesetzt
wird. Unterstützt werden sie dabei von zwei Mit dem Kompetenzzentrum für Cyber- werden, und neue Herausforderungen müs-
Gremien: der «Kerngruppe Cyber» und dem sicherheit will der Bundesrat schliesslich die sen rechtzeitig erkannt und angegangen wer-
«Steuerungsausschuss NCS». In der Kern- Forderungen aus Politik und Wirtschaft nach den. Strategien und Organisationsstruktu-
gruppe beraten Vertreter der drei Departe- einer nationalen Anlaufstelle umsetzen. Das ren sind zwar wichtige Grundlagen, um den
mente unter situationsbedingtem Einbezug Zentrum basiert auf der bestehenden Mel- Schutz vor Cyberrisiken zu verbessern, sie er-
weiterer Departemente und der Kantone die de- und Analysestelle Informationssiche- füllen ihren Zweck aber nur, wenn sie durch
Lage im Cyberbereich. Zudem beurteilen sie rung (Melani), die so ausgebaut werden soll, ein grosses, breit abgestütztes Engagement
die vorhandenen technischen und organisa- dass sie die Funktion einer nationalen Anlauf- getragen werden. Zudem müssen alle betei-
torischen Schutzdispositive des Bundes. Der stelle übernehmen kann. Zudem soll sich das ligten Akteure verstehen, dass Cybersicher-
Steuerungsausschuss NCS stellt die koor- Kompetenzzentrum stärker bei der Sensibili- heit im Umfeld der digitalen Transformation
dinierte und zielgerichtete Umsetzung der sierung engagieren und gemeinsam mit Part- eine Daueraufgabe und die gemeinsame Ver-
NCS-Massnahmen sicher und erstattet dem nern aus der Wirtschaft und den Kantonen antwortung aller ist.
Bundesrat jährlich Bericht über den Stand der dazu beitragen, die Bevölkerung über Cyber-
Umsetzung. Im Steuerungsausschuss vertre- sicherheit zu informieren.
ten sind nicht nur die zuständigen Bundes-
stellen, sondern auch Vertretungen der Kan- Zusammenarbeit aller Akteure
tone, der Wirtschaft und der Hochschulen.
Weil Cyberrisiken alle betreffen, können sie
Ein Kompetenzzentrum für auch nur durch gemeinsame Anstrengun-
gen bekämpft werden. Der Bund ist deshalb
­Cybersicherheit beim Schutz der Schweiz vor Cyberrisiken auf Manuel Suter
Neben der Stärkung der Führungsrolle des die Zusammenarbeit mit den Kantonen, der Dr. sc. ETH, Leiter Koordinationsstelle NCS,
Bundesrates und der verbesserten Koordina- Wirtschaft und den Hochschulen angewie- Eidgenössisches Finanzdepartement (EFD),
Bern
tion soll es neu auch eine Delegierte oder einen sen. Der Umsetzungsplan zur NCS, welcher

58  Die Volkswirtschaft 5 / 2019


DOSSIER

Der digitale Gang zur Behörde


Bund, Kantone und Gemeinden wollen das E-Government mit einer neuen Strategie
­vorantreiben. Auch digitale Sprachassistenten sollen in Zukunft bei Behördenanfragen
­mithelfen.  Anna Faoro

Abstract  Mit dem E-Government können Bevölkerung und Wirtschaft Inter­aktionen und Gemeinden sollen bei der Bereitstellung
mit dem Staat im Internet erledigen, und auch die Verwaltungen können untereinan- von Informationen und Diensten künftig digi-
der elektronisch verkehren. Bund, Kantone und Gemeinden arbeiten seit 2008 zu- tale Kanäle priorisieren. Dabei müssen wich-
sammen, um die elektronische Verwaltungstätigkeit voranzutreiben. Mit der neuen tige Prinzipien befolgt werden, die auch Teil
Strategie erfolgt nun eine Neuausrichtung der gemeinsamen Tätigkeiten. Das Motto der europäischen E-Government-Deklaration
des Leitbildes lautet «Digital First». Die Bereitstellung von Informationen und Diens- von Tallinn sind: Die Prozesse sollen automa-
ten über den elektronischen Kanal soll damit zukünftig priorisiert werden. Weitere tisiert und zielgruppengerecht ausgestaltet
­Prinzipien, die auch Teil der europäischen E-Government-Deklaration von Tallinn sind, sein, und es sollen innovative Technologien
sollen der E-Government-Strategie Schweiz 2020–2023 zugrunde liegen. Die Eckwer- zum Einsatz kommen. Ausserdem müssen die
te hat der Bundesrat im November 2018 gutgeheissen. einzelnen Behördenstellen zusammenarbei-
ten und ihre Daten austauschen, sodass die
Daten gemeinsam verwaltet werden können.

D  ie heutige Verwaltung funktioniert


nach der Zuständigkeitslogik: Meinen
Baube­willigungsantrag reiche ich bei der Bau­
dent Ueli Maurer. Momentan erarbeiten Fach-
leute aller Staatsebenen die E-­Government-
Strategie Schweiz für die Jahre 2020 bis 2023.
In Zukunft könnte ein Behördengang im
Internet, der auf diesen Prinzipien beruht,
wie folgt aussehen: Eine Bürgerin aktiviert
direktion ein, mit Fragen zur Steuer­verfügung Bis Ende 2019 soll sie dem Bundesrat, der auf ihrem Smartphone ihre Verwaltungsap-
wende ich mich ans Steueramt, und beim Ver- Konferenz der Kantonsregierungen sowie plikation, auf der ihre staatlich anerkannte
lust meines Fahrzeugausweises gehe ich zum dem Städte- und dem Gemeindeverband zur elektronische Identität hinterlegt ist. Sie sagt
Strassenverkehrsamt. Ausserdem ist es heu- Unterzeichnung vorliegen. Bereits im Sommer dem digitalen Sprachassistenten, dass sie fi-
te in der Regel die Nutzerseite – also Bürger wird sie ihnen zur Konsultation unterbreitet. nanzielle Unterstützung für die Kindertages-
oder Unternehmen –, die einen Antrag stellt Als Grundlage für die Strategie hat der stätte beantragen möchte. Das Programm
und Daten und Belege liefert. Das gängige Steuerungsausschuss bereits wichtige Eck- leitet sie auf die entsprechende Oberfläche
Instrument für diesen Prozess ist das For- werte vorgelegt. Diese bestehen aus einem weiter, wo sie nur wenige Informationen an-
mular. Es hat sich in der Papierform etabliert, Leitbild, sieben Prinzipien und vier Hand- geben muss, beispielsweise ab wann und in
wurde im Zuge der Internetnutzung als PDF lungsfeldern (siehe Abbildung). Der Bundes- welcher Institution die externe Kinderbe-
für die elektronische Nutzung adaptiert und rat hat diese Eckwerte im November 2018 treuung beginnt. Je nachdem, welchen Kanal
ist heute beispielsweise bei der Deklaration gutgeheissen. sie wählt, erhält die Bürgerin anschliessend
der Online-Steuererklärung zum vollelektro- eine Eingangsbestätigung der Anfrage über
nischen Prozess geworden. Doch nur das Me- Automatisierter Behördengang die Verwaltungsapp oder per E-Mail und er-
dium hat sich verändert, die Rollen sind gleich fährt, bis wann sie mit einem Entscheid rech-
geblieben: Bürger und Unternehmer agieren Der Fokus des Leitbildes lautet «Digital First». nen kann. Zeitgleich löst die Anfrage auch bei
und liefern, die Verwaltungen prüfen und re- Und der Name ist Programm: Bund, Kantone der k­ ommunalen V ­ erwaltung einen Prozess
agieren.

Eine neue Strategie ist unterwegs Leitbild, Prinzipien und Handlungsfelder der E-Government-Strategie 2020–2023

Die E-Government-Strategie der Schweiz Digital First


2020–2023 soll das ändern. Das Ziel: weg
von der Zuständigkeitslogik und vom reakti-
ven Formularmodus, hin zu einer Behörde, die
Zielgruppengerechte Gemeinsame
einen direkten Zugang zu Informationen und Automatisierung Offenheit und Transparenz
E-GOVERNMENT SCHWEIZ / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Informationen und Dienste Datenverwaltung


Diensten bietet und die Prozesse so weit als
möglich automatisiert.
Innovationsförderung und
Um die Ausbreitung elektronischer Behör- Austausch und Zusammenarbeit Standards und Interoperabilität
Technologiemonitoring
denleistungen voranzutreiben, haben Bund,
Kantone und Gemeinden 2008 gemeinsam
die Organisation E-Government Schweiz ge- Interaktion und Basisdienste und Organisation und
Vertrauen und Wissen
gründet. Der Steuerungsausschuss setzt sich Partizipation Infrastruktur rechtliche Grundlagen
zusammen aus politischen Vertretern aller drei
Staatsebenen. Vorsitzender ist Bundespräsi-   Leitbild       Prinzipien       Handlungsfelder

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  59
EU-DIGITALSTRATEGIE

aus: Beim Zivilstandsamt werden die nötigen pation werden allerdings vor allem Kantone Die Verwaltung ins digitale
Daten des betroffenen Kindes eingeholt und und Gemeinden betreffen, denn der Gross- ­Zeitalter befördern
bei der kantonalen Steuerbehörde das Jahres- teil der Behördenkontakte findet dort statt.
einkommen der betreffenden Familie abge- Eine mögliche Massnahme hier könnte sein, Der Umsetzungsplan zur E-Government-­
fragt – alles ganz automatisch, wohlgemerkt. dass Kantone und Gemeinden bei der Opti- Strategie 2020–2023 ist momentan noch in
Auf der Grundlage dieser Daten entscheidet mierung der Bedienbarkeit, der Zugänglich- Arbeit. Erst wenn die Strategie per 1.1.2020
die Behörde dann, ob ein Anrecht auf finan- keit und bei der Bereitstellung von Inhalten in Kraft getreten ist, wird der Steuerungs-
zielle Unterstützung besteht. Den Entscheid zusammenarbeiten. So könnten sie heuti- ausschuss auch den Umsetzungsplan verab-
kommuniziert sie der Bürgerin per E-Mail. ge Hürden bei der Nutzung von elektroni- schieden. Ein Entwurf wird allerdings bereits
Einige der strategischen Prinzipien finden schen Verwaltungsdienstleistungen ausräu- im Sommer 2019 an Bund, Kantone und Ge-
in diesem Beispiel Anwendung. So kommen men und den Umsetzungsaufwand der Be- meinden geschickt, wenn diese gemeinsam
etwa mit der künstlichen Intelligenz im di- hörden reduzieren. die Strategie konsultieren.
gitalen Sprachassistenten innovative Tech- Im Handlungsfeld Basisdienste und Infra- Werden die Eckwerte konsequent umge-
nologien zum Einsatz. Ausserdem findet die struktur werden schweizweite Anstrengun- setzt, wird die E-Government-Strategie die
Bürgerin den gesuchten Service ohne Prob- gen nötig sein. Nur so lassen sich die anste- Verwaltungstätigkeit ins Zeitalter der Digi-
leme, sie muss keinen Registrierungsprozess henden Herausforderungen, beispielsweise talisierung befördern. Dies kann nur gelin-
durchlaufen, und sie gibt nur jene Daten an, bei der Etablierung einer staatlich anerkann- gen, wenn Bund, Kantone und Gemeinden
welche die Verwaltung noch nicht kennt. Die ten Identität und einer gemeinsamen, be- an einem Strang ziehen und eng zusammen-
übrigen erforderlichen Angaben holt die Be- hördenübergreifenden Datenverwaltung er- arbeiten. Damit sich Bürgerinnen und Bürger
hörde bei den betroffenen Verwaltungsstel- folgreich meistern. Auch im Bereich Organi- zukünftig nicht mehr mit Verwaltungszustän-
len selbst ein. Zwar ist der Prozess nicht voll- sation und rechtliche Grundlagen braucht digkeiten und dem Sammeln von Belegen
ständig automatisiert, er kommt also nicht es eine übergeordnete Koordination. Pro- aufhalten müssen, sondern mit minimalem
ganz ohne Antrag seitens der Bürgerin aus, jekte, um den Rechtsetzungsbedarf abzu- Aufwand ihre Behördengänge im Internet er-
aber der Aufwand beschränkt sich auf ein klären und die Steuerung in den Bereichen ledigen können.
Minimum. Digitalisierung und E-Government zu ver-
bessern, wurden bereits Ende letzten Jah-
Kantone und Gemeinde sollen res gestartet. Die daraus entstandenen Aus-
sprachepapiere werden die weiteren Arbei-
kooperieren ten von E-Government Schweiz in diesem
Um das oben skizzierte Szenario eines Be- Handlungsfeld vorgeben. Massnahmen im
hördengangs zu realisieren, hat der Steue- Bereich Vertrauen und Wissen betreffen vor
rungsausschuss vier Handlungsfelder defi- allem den Kulturwandel, der bei der Verwal-
niert. Sie bezeichnen die Bereiche, in denen tung, der Bevölkerung und in der Wirtschaft
Massnahmen weiterzuführen oder neu in anzustossen ist. Denn nur wenn der Nut-
den Umsetzungsplan aufzunehmen sind. zen der Digitalisierung bekannt ist, kann das
Die Massnahmen können nationale Vorha- Vertrauen in ihre Vorteile gestärkt werden. Anna Faoro
ben oder auch lokale Projekte sein, um in- Mögliche Massnahmen dazu könnten etwa Stellvertretende Leiterin E-Government
novative Ansätze zu prüfen. Massnahmen niederschwellige Weiterbildungs- und Infor- Schweiz, Informatiksteuerungsorgan des
Bundes (ISB), Bern
im Handlungsfeld Interaktion und Partizi- mationsangebote sein.

60  Die Volkswirtschaft 5 / 2019


DOSSIER

Geoblocking: Die Grenzen des Internets


Das Internet scheint grenzenlos zu sein. Doch der Schein trügt. Gerade bei digitalen Inhalten
wie Filmen und Livesendungen sind Ländergrenzen noch ganz konkret: Wer ins Ausland
reist, hat oft keinen Zugriff mehr auf gewisse Inhalte.  Sabrina Konrad

Abstract    Abonnenten von Onlinediensten möchten auch in den Ferien oder auf Der Grund für die Sperren liegt beim Er-
Ausland­geschäftsreisen auf ihr gewohntes Programm zugreifen. Mobile Geräte wie werb der Nutzungslizenzen für die Inhalte.
Laptops, Smartphones oder Tablets ermöglichen rein technisch heutzutage den Zu- Denn die Rechte an Filmen, Songs und Sport-
griff auf Onlinedienste – unabhängig vom Standort der Abonnenten. Trotzdem gelingt veranstaltungen werden meist nicht weltweit
dies nicht immer. Der Grund dafür ist das sogenannte Geoblocking, das je nach Stand- vertrieben, sondern mittels Gebietslizenzen
ort den Zugang zu Inhalten blockiert. Die EU hat mit der Portabilitätsverordnung auf in jedem Land einzeln verkauft. Für einen An-
das Geoblocking reagiert. Und wie sieht die Situation in der Schweiz aus? Dieser Frage bieter macht es deshalb wenig Sinn, eine Li-
geht aktuell die Beobachtungsstelle für technische Massnahmen nach. zenz für einen Film über Homosexuellenrech-
te in Ländern zu erwerben, wo Homosexuali-
tät strafbar ist. Solche Lizenzen für Gebiete, in

W  er kennt es nicht: Da will man in den


Ferien im Ausland die neuste Episo-
de der Lieblingsserie oder die Liveübertra-
nenten auch auf das lokale, fremdsprachige
Angebot um.
denen keine sinnvolle Verwertung stattfindet,
führen zu vermeidbaren Mehrkosten und ver-
teuern unnötig das Angebot für die Abonnen-
gung eines Fussballmatches auf dem Tablet Nationale Nutzungslizenzen ten. Um gleichzeitig aber Vertragsverletzun-
schauen und erlebt eine unschöne Über- gen zu vermeiden, müssen die Diensteanbie-
raschung – anstelle des erwarteten Films
schränken ein ter sicherstellen, dass die lizenzierten Inhalte
oder Spiels erscheint eine Anzeige auf dem Solche Sperren nennt man auch Geoblo- nur im vereinbarten Gebiet zugänglich sind.
Bildschirm: «Dieser Titel steht in Ihrer Ge- cking. Technisch bedeuten sie, dass der Zu- Dazu dient das Geoblocking. Dahinter können
gend nicht zum Ansehen zur Verfügung.» gang zu Onlineangeboten regional begrenzt also auch relevante Interessen der Rechtein-
Wenn Abonnenten von Streamingdiensten ist. Das System des Diensteanbieters erkennt, haber und Diensteanbieter stehen. Doch was
während Auslandreisen den abonnierten von welchem Land aus der Abonnent auf den ist mit den Abonnenten? Auch sie haben Inter-
Dienst nutzen wollen, sind Enttäuschun- Dienst zugreifen will, und ist dies nicht das essen. Nämlich: dass sie das bezahlte Angebot
gen nicht ausgeschlossen. Das gewünsch- Land, in welchem er gewöhnlich seinen Auf- möglichst uneingeschränkt nutzen können.
te Programm kann zum Teil gar nicht oder enthalt hat, wird der Zugriff auf den Dienst
nur mit Verspätung angeschaut werden. In blockiert. Doch warum sollte ein Anbieter Kann in den Ferien zu Enttäuschungen führen:
einigen Fällen leitet der Dienst den Abon- Geoblocking überhaupt einsetzen? Der Zugriff auf Streamingdienste ist nur im
­Inland gewährleistet.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  61
EU-DIGITALSTRATEGIE

Der Interessenkonflikt, der mit Geoblo- virtuellen Privaten Netzwerks (VPN) zu um- formieren sich Abonnenten in diversen Inter-
cking verbunden ist, zeigte sich beispielswei- gehen, doch eine solche Umgehung könnte netforen, wie sie aktiv Blockingmassnahmen
se in der EU. Denn obwohl die EU in vielen Be- ein strafrechtlich relevantes Verhalten dar- umgehen können. Viele scheinen hingegen
reichen bereits einen gemeinsamen Markt stellen. zu akzeptieren, dass sie während ihrer Aus-
hat, war das Angebot einiger Onlinedienste landferien nicht ihr gewohntes Programm
bis vor Kurzem noch immer auf den Wohn- Schweiz sucht nach Lösungen schauen können. Doch auch die Anbieter sind
sitzstaat beschränkt. nicht untätig. Sie versuchen ihr Angebot zu
Aktuell analysiert die Beobachtungsstelle für optimieren, um die Erwartungen der Konsu-
Die EU bekämpft Ländersperren technische Massnahmen (BTM), welche As- menten zu erfüllen: Sie stellen Downloads
Um auch hier einen gemeinsamen Markt zu pekte für Schweizer Abonnenten beim The- von einzelnen Filmen oder Songs zur Verfü-
schaffen und das Geoblocking zwischen den ma Geoblocking relevant sind. Die seit 2018 gung, welche die Abonnenten auch ortsun-
Einzelstaaten zu vermeiden, hat die EU die ins Eidgenössische Institut für Geistiges abhängig konsumieren können. So sind Fern-
sogenannte Portabilitätsverordnung einge- Eigentum (IGE) integrierte Fachstelle unter- sehsendungen zwar oftmals nicht live, je-
führt. Sie ist seit dem 1. April 2018 in Kraft. sucht den Einsatz technischer Massnahmen doch zumindest zeitverzögert verfügbar. Die
Die Verordnung ermöglicht es, dass Abon- wie Kopiersperren oder Geoblocking und in- Untersuchung der BTM ist zurzeit noch nicht
nenten von bezahlten Onlinediensten auch wiefern diese mit dem Urheberrecht kompa- abgeschlossen. Ein Bericht wird voraussicht-
bei temporären Aufenthalten im EU-Ausland tibel sind. Konkret geht es bei der aktuellen lich noch in diesem Jahr vorliegen.
auf den Dienst zugreifen können. Und um Untersuchung der BTM um die Portabilität
dies zu ermöglichen, bedient sich die Ver- von Onlineinhalten während vorübergehen-
ordnung einer Fiktion. Diese besagt, dass der der Auslandaufenthalte. Nicht untersucht
Zugriff auf den Dienst während eines vorü- werden verwandte Themen wie beispielswei-
bergehenden EU-Auslandaufenthaltes recht- se Geoblocking beim Onlineshopping oder
lich so behandelt wird, als ob er im Wohnsitz- Roaminggebühren beim Telefonieren und
mitgliedsstaat erfolgt wäre. Nutzen von Daten im Ausland.
Doch die Portabilitätsverordnung gilt nur Um die Frage nach der Portabilität zu klä-

© REMO EISNER
im europäischen Binnenmarkt und nur für ren, hat die BTM mit verschiedenen Konsu-
Abonnenten mit Wohnsitz in der EU. Weil die mentenorganisationen, Verwertungsgesell-
Schweiz nicht Teil des EU-Binnenmarktes ist, schaften, Produzenten und Diensteanbietern Sabrina Konrad
können sich Schweizer Abonnenten nicht auf Kontakt aufgenommen. Erste Abklärungen Leiterin Beobachtungsstelle für techni-
diese Fiktion berufen. Zwar gibt es die Mög- weisen darauf hin, dass die Portabilitätsfrage sche Massnahmen (BTM), Eidgenössisches
­Institut für Geistiges Eigentum (IGE), Bern
lichkeit, die Sperren durch das Errichten eines in der Schweiz durchaus interessiert. So in-
SPINAS CIVIL VOICES

Ich gebe dem Radio


Ich gehe meine Stimme.
Ich hatte zur Abstimmung. Tochter Tuli, 13, Bangladesch

kein Stimmrecht. Mutter Rita


Grossmutter Jannomukhi

Mitbestimmen, Einfluss nehmen, Chancen packen. So verändern


Frauen mit der Unterstützung von Helvetas ihr Leben.
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ZAHLEN

Wirtschaftskennzahlen
Auf einen Blick finden Sie hier die Kennzahlen Bruttoinlandprodukt, Erwerbslosenquote und Inflation von acht Ländern, der EU und
der OECD. Zahlenreihen zu diesen Wirtschaftszahlen sind auf Dievolkswirtschaft.ch aufgeschaltet.

Bruttoinlandprodukt: Bruttoinlandprodukt:
Reale Veränderung in % gegenüber dem Reale Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal1
Vorjahr
2018 4/2018 3/2018 2/2018 1/2018
Schweiz 2,5 Schweiz 0,2 –0,2 0,7 0,6
Deutschland 1,4 Deutschland 0,0 –0,2 0,5 0,3
Frankreich 1,6 Frankreich 0,3 0,4 0,2 0,2
Italien 0,9 Italien –0,1 0,0 0,2 0,3
Grossbritannien 1,4 Grossbritannien 0,2 0,6 0,4 0,1
EU 1,9 EU 0,3 0,3 0,4 0,4
USA 2,9 USA 0,5 0,9 1,0 0,5
Japan 0,8 Japan 0,5 –0,3 0,7 –0,2
China 6,6 China 1,5 1,6 1,8 1,4
OECD 2,3 OECD 0,3 0,5 0,7 0,5

Bruttoinlandprodukt: Erwerbslosenquote:3 Erwerbslosenquote:3


In Dollar pro Einwohner 2017 (PPP2) in % der Erwerbspersonen, Jahreswert in % der Erwerbspersonen, Quartalswert
2017 2017 3/2018
Schweiz 65 096 Schweiz 4,8 Schweiz 4,4
Deutschland 50 705 Deutschland 3,8 Deutschland 3,4
Frankreich 42 698 Frankreich 9,4 Frankreich 9,0
Italien 39 823 Italien 11,2 Italien 10,3
Grossbritannien 43 857 Grossbritannien 4,4 Grossbritannien –
EU 40 920 EU 7,6 EU 6,8
USA 59 535 USA 4,4 USA 3,8
Japan 43 896 Japan 2,8 Japan 2,4
China – China – China –
OECD 43 800 OECD 5,8 OECD 5,3

Inflation: Inflation:
Veränderung in % gegenüber dem Veränderung in % gegenüber dem
Vorjahr ­Vorjahresmonat
2017 Februar 2019
Schweiz 0,5 Schweiz 0,6
Deutschland 1,7 Deutschland 1,5
Frankreich 1,0 Frankreich 1,3
Italien 1,2 Italien 1,1
Grossbritannien 2,7 Grossbritannien 1,8
EU 1,7 EU 1,6
SECO, BFS, OECD

USA 2,1 USA 1,5


Japan 0,5 Japan 0,2
China 1,6 China 1,5
Weitere Zahlenreihen
OECD 2,3 OECD 2,1
1 Saisonbereinigt und arbeitstäglich bereinigte Daten.
www.dievolkswirtschaft.ch d Zahlen
2 Kaufkraftbereinigt.
3 Gemäss Internationaler Arbeitsorganisation (ILO).

Die Volkswirtschaft  5 / 2019  63
Die Mehrheit nimmt
das Auto
Die Zahl der Pendler, die mit
dem Auto zur Arbeit fahren,
schwingt oben aus, wie die
Zahlen von 2017 zeigen
(in Weiss). Doch seit 1990
(in Blau) ist vor allem der
Anteil der Zugpendler
gestiegen.

o
Au t
5250%
%
Tram und Bus zu Fuss und mit Velo Zug
14% 15% 17%
17% 18% 11%

Hin und her:


Pendeln in der Schweiz
Immer mehr, immer länger, immer weiter: 71 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz arbeiten
ausserhalb ihrer Wohngemeinde. Im Jahr 1990 waren es 59 Prozent. Zugenommen haben vor
allem die langen Arbeitswege und die Zahl der Zugpendler.

A B 4h 1h
BFS, PENDLERMOBILITÄT / SHUTTERSTOCK /DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Für Distanzen über Gemäss Arbeitslosen­ Der Anteil Pendler mit mehr
50 Kilometer nimmt die Mehr- versicherungsgesetz ist ein als 60 Minuten Arbeitsweg
heit der Pendler den Zug. Hin- und Rückweg von total hat sich seit 1990 beinahe
4 Stunden pro Tag zumutbar. vervierfacht. Heute liegt er
bei 9 Prozent.
VORSCHAU

IM NÄCHSTEN FOKUS Ausgabe


Die nächste 3. Mai 2019

Kostbares Wasser
m2
­erscheint a

In der Schweiz eine Selbstverständlichkeit: Hahn auf, und das Wasser fliesst. Jede Person verbraucht
täglich 142 Liter Wasser – für Duschen, WC-Spülung, Waschen und vieles mehr. Dahinter steht eine
­riesige Infrastruktur von Reservoirs, Wasserleitungen, Kanalisationen und Abwasserreinigungs-
anlagen, die aktuell überwiegend im Besitz der öffentlichen Hand sind. Investitionen in den Erhalt
der Anlagen stehen bevor. Soll die Privatwirtschaft diese mitfinanzieren? Lesen Sie mehr dazu in der
nächsten Ausgabe.

Wasserversorgung aus ökonomischer Sicht Privatisierung der Wasserversorgung:


Urs Trinkner, Samuel Rutz, Swiss Economics Blick ins Ausland
Klaus Lanz, International Water Affairs
Trinkwasserressourcen und Nutzungskonflikte
Michael Schärer, Bundesamt für Umwelt, Professor Urs von Knappes Gut Wasser:
Gunten, ETH-Wasserforschungsinstitut Eawag
Globale Herausforderungen
Guy Bonvin, Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit
Wasser- und Abwasserinfrastruktur:
Die unterschätzte Herausforderung Haben wir auch in trockenen Sommern
Professor Max Maurer und Sabine Hoffmann, genügend Wasser?
ETH-Wasserforschungsinstitut Eawag Interview mit André Olschewski, Leiter Bereich Wasser,
Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfaches

IMPRESSUM
Herausgeber Abonnementpreise Druck
Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Inland Fr. 100.–, Ausland Fr. 120.– Jordi AG, Aemmenmattstrasse 22, 3123 Belp
­Bildung und Forschung WBF, Staatssekretariat für Für Studierende kostenlos
App
Wirtschaft SECO, Bern
Layout Vogt-Schild Druck AG, Gutenbergstrasse 1,
Redaktion Patricia Steiner, Marlen von Weissenfluh 4552 Derendingen
Chefredaktion: Susanne Blank, Nicole Tesar
Redaktion: Jessica Alvarez, Matthias Hausherr, Illustrationen
Thomas Nussbaum, Stefan Sonderegger Cover: Claudine Etter, atelier-c.ch Erscheint 10x jährlich in deutscher und franzö­
Aufgegriffen: Alina Günter, www.alinaguenter.ch sischer Sprache (französisch: La Vie économique),
Redaktionsausschuss 92. Jahrgang, mit Beilagen.
Eric Scheidegger (Leitung), Antje Baertschi, Kontakt
­Susanne Blank, Eric Jakob, Evelyn Kobelt, Holzikofenweg 36, 3003 Bern Der Inhalt der Artikel widerspiegelt die Auffassung
Cesare Ravara, Markus Tanner, Nicole Tesar Telefon +41 (0)58 462 29 39 der Autorinnen und Autoren und deckt sich
Fax +41 (0)58 462 27 40 nicht notwendigerweise mit der Meinung der
Leiter Ressort Publikationen Redaktion.
Markus Tanner E-Mail: dievolkswirtschaft@seco.admin.ch
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durch die Redaktion, unter ­Quellenangabe ge-
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stattet; Belegexemplare ­erwünscht.
Fax +41 (0)58 462 27 40 Social Media: Folgen Sie uns auf Facebook,
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