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Die Volkswirtschaft
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FOKUS
Ist der Schweizer
Wichtiger HINWEIS !
Föderalismus aus
Innerhalb der Schutzzone (hellblauer Rahmen) darf
kein anderes Element platziert werden! dem Lot?
Ebenso darf der Abstand zu Format- resp. Papierrand
die Schutzzone nicht verletzen!
Hellblauen Rahmen der Schutzzone nie drucken!
Siehe auch Handbuch
„Corporate Design der Schweizerischen Bundesverwaltung“
Kapitel „Grundlagen“, 1.5 / Schutzzone
www. cdbund.admin.ch
EDITORIAL
4 8
FOKUS
12 Finanzausgleich: 16 Programmvereinbarungen:
Anpassungen sind nötig Kantone ziehen grundsätzlich
Pascal Utz eine positive Bilanz
Eidgenössische Finanzverwaltung Laetitia Mathys
Universität Lausanne
40 48
THEMEN
DOSSIER
Abstract Der fortschreitende gesellschaftliche und wirtschaftliche Wan- institutionelle föderale Gefüge zugleich formell
del stellt den Schweizer Föderalismus vor grosse Herausforderungen. Es wie informell überlagern und sich kaum mehr
sind dabei vor allem fünf Strukturprobleme, die den schweizerischen Bun- politisch steuern lassen. Gleichzeitig hat die Zu-
desstaat grundlegend an seine Grenzen bringen: die föderale Kleinräumig- sammenlegung kleiner Kantone zu grösseren
keit, die zunehmenden Unterschiede zwischen den Kantonen, das Demo-
funktionalen Räumen mittels Gebietsreformen
kratieparadoxon, das Privileg der ehemaligen Sonderbundskantone und
der Sprachenkonflikt. Föderalismusreformen scheinen in der Zukunft un-
keine Chance auf politische Mehrheiten, wie
vermeidlich. die gescheiterten Fusionsbeispiele von Waadt
und Genf sowie der beiden Basel in den vergan-
genen Jahren gezeigt haben. Damit besteht für
4 Die Volkswirtschaft 6 / 2018
Appenzell Innerrhoden
zählt etwa 16 000 Einwohner.
Alpabzug in Schwende.
KEYSTONE
FÖDERALISMUS
6 Die Volkswirtschaft 6 / 2018
FOKUS
territorial konzentriert auftreten und über- konflikten, die wirtschaftliche Dominanz der
durchschnittlich häufig im Mittelpunkt politi- Deutschschweiz und die Transformation von
scher Spannungen stehen. Dazu zählen etwa die ursprünglich vielfältigen kantonalen zu sprach-
Bewohner der urbanen Kernstädte sowie die la- lich segmentierten Mediensystemen (zum Bei-
teinischen Minderheiten (z. B. Romandie, Tes- spiel Gratiszeitungen) haben in den letzten
sin) bei Verfassungsabstimmungen mit Volks- Jahren zu einer Stärkung der Sprachgemein-
und Ständemehr. schaften auf Kosten der quer zu den Sprachräu-
men stehenden Kantone geführt. Dieser Iden-
Der neue «Röstigraben» titätswandel drückt sich insbesondere in der
Stärkung einer «identité romande» aus, die die
Historisch zeichnet sich das politische System früheren politisch-kulturellen Unterschiede in-
der Schweiz dadurch aus, dass seine Grundlage nerhalb der französischen Schweiz stark einge-
nicht auf einer gemeinsamen Sprache oder Re- ebnet hat.
ligion beruht, sondern auf dem gemeinsamen Insbesondere die Harmonisierung des ob-
politischen Willen zu einem multinationalen ligatorischen Schulunterrichts innerhalb der
Staat und gemeinsamen nationalen Institutio- Sprachgemeinschaften und in diesem Zusam-
nen. Trotzdem bestehen in der politischen Pra- menhang die kontroverse Frage des Fremdspra-
xis seit Langem verschiedene kulturelle Wert- chenunterrichts in den einzelnen Sprachräumen
haltungen, abweichende Staatsverständnisse haben in jüngster Zeit zu heftigen Reaktionen
und unterschiedliche sozioökonomische Inter- und einer verstärkten Repolitisierung des Spra-
essen zwischen der deutschen und der französi- chenkonflikts geführt. Für die Zukunft scheint
schen Schweiz. Zu den wichtigsten Spannungs- die gestiegene Bedeutung des Sprachenkon-
linien zwischen den Sprachregionen zählen flikts als Ausdruck einer zunehmenden kollekti-
insbesondere Fragen der internationalen Öff- ven Identität der einzelnen Sprachgruppen eine
nung und des Umweltschutzes. Dabei hat sich der grössten Herausforderungen für die mehr-
die Polarisierung bei Volksabstimmungen zwi- sprachige Schweiz darzustellen.
schen den beiden grössten Sprachregionen seit Der kurze Überblick über zentrale Heraus-
den Achtzigerjahren wieder verschärft. forderungen des Bundesstaates führt abschlies-
Neben der Aussenpolitik haben in den letz- send zur grundlegenden Frage, ob die seit Mitte
ten Jahren auch in der Migrationspolitik die des 19. Jahrhunderts geltenden und seither un-
sprachkulturellen Einstellungsunterschiede zu- veränderten Föderalismusregeln zur Problem-
genommen. Die Gemeinsamkeit dieser beiden lösung einer modernen Gesellschaft auch im 21.
Politikfelder liegt dabei in der Frage nach der Jahrhundert noch angebracht sind. Es ist wohl
Identität beziehungsweise der Rolle der Schweiz keine zu gewagte Prognose, zu behaupten, dass
in einer zunehmend globalisierten und interde- die skizzierten Herausforderungen uns zwin-
pendenten Welt. Während sich die Westschwei- gen werden, in Zukunft auch grundlegende und
zer eher für eine Öffnung aussprechen, befürch- politisch unpopuläre Föderalismusreformen
tet die Mehrheit der Deutschschweizer einen zumindest ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Verlust der nationalen Identität. Die unter-
schiedlichen Einstellungen der lateinischen und
der deutschen Schweiz zur Aussen- und Migra-
tionspolitik bergen dabei beträchtliches Kon-
fliktpotenzial, kann doch die sonst erfolgreiche
Strategie von regional differenzierten Vollzugs-
lösungen in diesen Bereichen kaum angewendet
werden. Adrian Vatter
Neue Entwicklungen wie die abnehmen- Professor für Politikwissenschaft und Direktor am Insti-
tut für Politikwissenschaft, Universität Bern
de Bedeutung von Konfessions- und Klassen-
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 7
FÖDERALISMUS
Abstract Seit einigen Jahren sind in der Schweiz eine rückläufige Verbun- «Subsidiaritätsprinzip» (siehe Kasten) in Zeiten
denheit der Bevölkerung mit dem Föderalismus und eine Aushöhlung der globaler Märkte und hoher Mobilität der Pro-
föderalen Strukturen zu beobachten. Sind dies Indizien dafür, dass der Fö- duktionsfaktoren noch haben. Um Erkenntnis-
deralismus als tragende Säule des Staatswesens überholt ist? Empirische se hierzu zu erlangen, untersucht eine von den
Untersuchungen zeigen, dass der Wettbewerbsföderalismus der Leis-
Autoren mitverfasste Studie die Wirkungen des
tungsfähigkeit und der Effizienz des öffentlichen Sektors zuträglich ist
und der Bewältigung von wirtschaftspolitischen Herausforderungen wie Schweizer Föderalismus auf unterschiedliche
soliden Staatsfinanzen, Wirtschaftswachstum und Regulierung dient. Es Aspekte der staatlichen Leistungsfähigkeit.3
drängt sich somit keine grundlegende Reform der föderalen Strukturen
auf. Um den Zentralisierungs- und Verflechtungstendenzen entgegenzu-
wirken und den Föderalismus für die Zukunft zu stärken, bedarf es jedoch
Theorie bringt wenig Klarheit
einer Neujustierung des Finanzausgleichs und einer Rückbesinnung auf Aus theoretischer Sicht ist der Zusammenhang
das Subsidiaritätsprinzip und den Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz. zwischen Föderalismus und staatlicher Leis-
tungsfähigkeit nicht eindeutig. Befürworter
8 Die Volkswirtschaft 6 / 2018
FOKUS
KEYSTONE
Blick von der Rigi
auf die ressourcen-
Problemlösungen entwickeln und durch Nachah- starken Kantone hin gehen, wo sie niedrigere Steuern zahlen.
mung verbreiten. Die Vorteile föderaler Struktu- Zug und Schwyz mit Schliesslich werden die Vorteile von Dezentra-
ren dürften insbesondere zum Tragen kommen, Zugersee (links). lisierung mit Verweis auf das Vorliegen von Ex-
wenn die Dezentralisierung einen Wettbewerb ternalitäten und Grössenvorteilen sowie auf die
zwischen den Gebietskörperschaften anstösst. erhöhte Komplexität von Mehrebenensystemen
In Analogie zum Markt sollte der gliedstaatli- bezweifelt. Finanztransfers sind zwar grund-
che Wettbewerb um mobile Produktionsfaktoren sätzlich dazu geeignet, mögliche Nachteile von
Anreize schaffen, eine attraktive Standortpolitik Steuerwettbewerb und externen Effekten abzu-
zu betreiben und öffentliche Güter möglichst ef- gelten, jedoch bergen sie die Gefahr, Fehlanreize
fizient und in Übereinstimmung mit den lokalen zu setzen, die Ineffizienzen fördern.
Präferenzen bereitzustellen. Angesichts dieser vielfältigen Wirkungska-
Demgegenüber argumentieren Kritiker, der näle wird klar: Der Zusammenhang zwischen
föderale Wettbewerb führe zu einem ruinösen Föderalismus und einer effizienten öffentlichen
Abwärtswettlauf bei den Steuersätzen und Re- Leistungserbringung lässt sich nicht anhand
gulierungen («race to the bottom»). Ärmere Re- eines einzelnen Indikators überprüfen. Eine
gionen würden im Steuerwettbewerb um mobi- Aussage zum Zusammenhang zwischen Föde-
le Produktionsfaktoren gegen reichere Regionen ralismus und staatlicher Effizienz gelingt nur,
nicht bestehen können und daher immer weiter wenn verschiedene Indikatoren in die Betrach-
zurückfallen. Dies antizipierend, dürften Effi- tung einbezogen werden.
zienzanstrengungen bei den ärmeren Regio-
nen von Anfang an unterbleiben. Zudem sei der Steuerwettbewerb funktioniert
Wohlfahrtsstaat gefährdet, wenn ärmere Bür-
ger dorthin wandern, wo sie höhere Transfers Der theoretische Zusammenhang zwischen Fö-
bekommen, und wohlhabendere Bürger dort- deralismus und Effizienz basiert insbesondere
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 9
FÖDERALISMUS
auf einem funktionierenden Wettbewerb zwi- investitionen – nicht jedoch in den OECD-Staa-
schen den föderalen Gebietskörperschaften. ten. In den entwickelten Volkswirtschaften
Für die Schweiz zeigen die Forschungsergeb- sind die Direktinvestitionen signifikant höher,
nisse, dass die Kantone ihre finanzpolitischen wenn der Körperschaftssteuersatz im Geber-
Entscheidungen nicht isoliert treffen, sondern land über jenem im Empfängerland liegt. Die-
in Abhängigkeit von der Finanzpolitik anderer ses Ergebnis ist für die Schweiz vor dem Hin-
Kantone.4 Die Gebietskörperschaften nutzen tergrund der subnationalen Steuerautonomie
also ihre Steuerautonomie, um sich im födera- und der gegenwärtigen Diskussion um eine Re-
len Wettbewerb zu engagieren. Passend dazu form der Unternehmensbesteuerung von be-
lassen sich die Steuerzahler in der Regel dort sonderem Interesse.
nieder, wo sie die angenehmsten Steuerbedin- Passend dazu zeigt sich, dass der Schwei-
gungen finden.5 Der Steuerwettbewerb scheint zer Wettbewerbsföderalismus für die wirt-
dabei weder den Wohlfahrtsstaat noch die Leis- schaftliche Leistungsfähigkeit und das Wirt-
tungserbringung durch die öffentliche Hand zu schaftswachstum der Kantone nicht schädlich
gefährden. Ein Abwärtswettlauf findet tenden- ist. Entgegen häufigen Vermutungen besteht ein
ziell nicht statt. positiver Zusammenhang zwischen Steuerwett-
Angesichts des gliedstaatlichen Wettbe- bewerb und wirtschaftlicher Entwicklung. Im
werbs verwundert es nicht, dass Studien eine Gegensatz dazu legt die Analyse einen schädli-
disziplinierende Wirkung des Schweizer Föde- chen Einfluss des Schweizer Finanzausgleichs-
ralismus auf die öffentlichen Finanzen und die systems auf die wirtschaftlichen Erfolgsvaria-
Grösse des öffentlichen Sektors finden. So wei- blen nahe, wobei der Effekt nach der NFA etwas
sen die stärker föderal organisierten Kantone schwächer ausfällt. Dieses Ergebnis ist aufgrund
und Gemeinden tendenziell niedrigere Schul- von methodischen Schwierigkeiten zwar vorsich-
den, Einnahmen und Ausgaben und damit eine tig zu interpretieren, es deutet aber darauf hin,
niedrigere Staatsquote auf.6 Im Einklang mit dass die Ausgestaltung des Finanzausgleichssys-
internationaler Evidenz haben die föderalen Fi- tems für dessen Wachstumswirkung relevant ist.
nanztransfers hingegen eine ausgabenerhöhen- Der negative Wachstumseffekt steht ver-
de Wirkung.7 Für Politiker scheint es demnach mutlich im Zusammenhang mit den geringen
attraktiv, die durch Transfers vereinnahmten beziehungsweise negativen «Margen» auf zu-
zusätzlichen Mittel zu verausgaben, anstatt sätzliche Unternehmensgewinne im Finanzaus-
sie – zumindest teilweise – für Steuersenkun- gleich. Die Marge gibt an, wie viel einem Kanton
gen zu verwenden. In der Volkswirtschaftsleh- nach der Umverteilung durch den Finanzaus-
re wird dies als «Fliegenpapiereffekt» bezeich- gleich aus zusätzlichem Steuersubstrat effektiv
net: Geschenktes Geld bleibt dort kleben, wo es bleibt. Entscheidend ist dabei, ob die aufgrund
hinfliegt. des erhöhten Ressourcenpotenzials veränder-
te NFA-Zahlung mit den höheren Steuerein-
Wohlstand als Indikator nahmen kompensiert werden kann. Eine nega-
tive Marge für Nehmerkantone bedeutet, dass
Als Indikator für eine effiziente Staatsführung der Verlust an Transferzahlungen die zusätzli-
bietet sich auch der Wohlstand einer Volks- chen Steuereinnahmen übersteigt. Damit sind
wirtschaft an. Dieser spiegelt sich insbesonde- die Anreize zur Pflege der eigenen Steuerbasis
re in der wirtschaftlichen Entwicklung, für die geringer, je niedriger die Marge ist. Die Margen
4 Feld und Reulier (2009),
Eugster und Parchet
vor allem Investitionen und der darin enthal- lagen 2016 in 13 der 19 Nehmerkantone im ne-
(erscheint demnächst). tene technische Fortschritt bedeutsam sind. gativen Bereich. So führte ein von einem Unter-
5 Schmidheiny (2006),
Brülhart et al. (2012). Der Einfluss von Föderalismus auf die auslän- nehmen erwirtschafteter Neugewinn von 100
6 Freitag und Vatter
(2004), Feld und Kirch-
dischen Direktinvestitionen hängt dabei vom Franken in diesen Kantonen zu keiner Verbesse-
gässner (2003), Feld et Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft ab: rung, sondern zu einer Belastung der kantona-
al. (2010).
7 Schaltegger und Feld Die Anzahl staatlicher Ebenen hat nur in den len Finanzen in Höhe von 1 bis 14 Franken. Die
(2009).
8 Schaltegger und Leisi-
Nicht-OECD-Staaten einen schädlichen Ein- Geberkantone verfügten im Jahr 2016 hingegen
bach (2017). fluss auf die Höhe der empfangenen Direkt über positive Margen.8
Die Studie liefert zudem Hinweise auf Allerdings läuft das erfolgreiche Schweizer
einen funktionierenden «Laborföderalis- Föderalismus-Modell Gefahr, infolge der Pro-
mus» in der Schweiz. So nutzen die Kanto- blematik der negativen Anreize innerhalb des
ne ihren gesetzgeberischen Handlungsspiel- Ressourcenausgleichs zu erlahmen. Zudem
raum bei der Regulierung unterschiedlich. drohen die komplexen Aufgabenverflechtun-
Die Regulierungslandschaft zeichnet sich gen zwischen den staatlichen Ebenen mit ent-
dabei insbesondere durch (sprach)regiona- sprechenden Verbundfinanzierungen das Sys-
le und siedlungstopografische Unterschiede tem auszuhöhlen. Um diesen Entwicklungen
aus: Beispielsweise regulieren die urbanen so- entgegenzuwirken und den Wettbewerbsföde-
wie die französisch- und italienischsprachi- ralismus für die Zukunft zu sichern, sollte der
gen Kantone umfassender als die ländlichen Finanzausgleich neu justiert und die Aufgaben-
Kantone der Deutschschweiz. Ein Unterbie- entflechtung vorangetrieben werden. Innerhalb
tungswettbewerb im Sinne einer zunehmen- des Ressourcenausgleichs könnte etwa eine ge-
den Deregulierung oder eine konvergierende ringere Gewichtung der Unternehmensgewin-
Entwicklung des Regulierungsumfangs sind ne in der Berechnung der Transferzahlungen zur
weder gegenwärtig noch für die Vergangen- Stärkung der kantonalen Standortpolitik beitra-
heit auszumachen. gen. Bei einer weiteren Aufgabenreform sollten
das Subsidiaritätsprinzip und der Gedanke der
Anpassungsbedarf bei der NFA fiskalischen Äquivalenz wieder gestärkt werden.
Literatur
Brülhart, M., Jametti, M. und Schmidheiny, K. Feld, L.P., Kirchgässner, G. und Schaltegger, Schaltegger, C.A. und Feld, L.P. (2009). Do
(2012). Do Agglomeration Economies Reduce C.A. (2010). Decentralized Taxation and the Large Cabinets Favor Large Governments?
the Sensitivity of Firm Location to Tax Diffe- Size of Government: Evidence from Swiss Evidence on the Fiscal Commons Problem for
rentials?, in: Economic Journal, 122: 1069–1093. State and Local Governments, in: Southern Swiss Cantons, in: Journal of Public Econo-
Eugster, B. und Parchet, R. (erscheint dem- Economic Journal, 77: 27–48. mics, 93: 35–47.
nächst). Culture and Taxes, Journal of Political Feld, L.P., Schaltegger, C.A., Burret, H.T., Schaltegger, C.A. und Leisibach, P. (2017). Wenn
Economy. Schmid, L.A. et al. (2017). Föderalismus und Unternehmensgewinne die Kantonsfinanzen
Feld, L.P. und Kirchgässner, G. (2003). The Im- Wettbewerbsfähigkeit in der Schweiz, NZZ belasten, Neue Zürcher Zeitung vom 14. Fe-
pact of Corporate and Personal Income Taxes Libro, Zürich. bruar 2017.
on the Location of Firms and on Employment: Freitag, M. und Vatter, A. (2004). Föderalismus Schaltegger, C.A., Winistörfer, M.M. und Fäss-
Some Panel Evidence for the Swiss Cantons, und staatliche Verschuldung: ein makro-quan- ler, L. (2017). Verflechtungen bedrohen Föde-
in: Journal of Public Economics, 87: 129–155. titativer Vergleich, in: Österreichische Zeit- ralismus, in: Die Volkswirtschaft, 12: 42–45.
Feld, L.P. und Reulier, E. (2009). Strategic Tax schrift für Politikwissenschaft, 33: 175–189. Schmidheiny, K., (2006). Income Segregation
Competition in Switzerland: Evidence from a Oates, W.E. (1999). An Essay on Fiscal Federa- and Local Progressive Taxation: Empirical Evi-
Panel of the Swiss Cantons, in: German Econo- lism, in: Journal of Economic Literature, 37: dence from Switzerland, in: Journal of Public
mic Review, 10: 91–114. 1120–1149. Economics, 90: 429–458.
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 11
FÖDERALISMUS
Finanzausgleich:
Anpassungen sind nötig
Die vor zehn Jahren eingeführte Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben
teilung (NFA) funktioniert grundsätzlich gut. Allerdings erhalten die ressourcen
schwachen Kantone derzeit mehr Geld als vorgesehen. Pascal Utz
Abstract Im jüngsten Wirksamkeitsbericht zur Neugestaltung des Fi- wahrgenommene Aufgaben entflochten und
nanzausgleichs und der Aufgabenteilung (NFA) stellt der Bundesrat fest, zahlreiche Aufgaben entweder der vollumfäng-
dass die Ziele des Finanzausgleichs weitgehend erreicht wurden. So nah- lichen Verantwortung des Bundes oder der Kan-
men die Unterschiede bei der finanziellen Leistungsfähigkeit zwischen den tone zugeordnet. Dabei waren die Prinzipien der
Kantonen ab, und die Wettbewerbsfähigkeit blieb sowohl im nationalen
Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz
also auch im internationalen Vergleich erhalten. Hingegen verfehlte man
das Ziel bei der Steuerbelastung, wo die Disparitäten leicht zunahmen.
massgebend.
Handlungsbedarf gibt es beim Ressourcenausgleich, wo derzeit 937 Mil- Gemäss dem Subsidiaritätsprinzip soll die
lionen Franken mehr als nötig im System sind. Eine Arbeitsgruppe hat im übergeordnete Gebietskörperschaft eine Aufga-
Auftrag der Konferenz der Kantonsregierungen (KDK) einen Lösungsvor- be nur dann übernehmen, wenn sie dies nach
schlag ausgearbeitet: Sie schlägt vor, die Mindestausstattung des ressour- weislich besser, d. h. mit tieferen Kosten und/
censchwächsten Kantons bei 86,5 Prozent des schweizerischen Mittels zu oder höherer Qualität erfüllen kann als die un
fixieren. Allerdings können auch mit diesem Ansatz gewisse Fehlanreize im tergeordnete Staatsebene. Das Prinzip der fis-
System nicht beseitigt werden.
kalischen Äquivalenz drückt aus, dass sich im
Rahmen einer staatlichen Aufgabe der Kreis der
KEYSTONE
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 13
FÖDERALISMUS
Abb. 1: Ressourcenausgleich: Abweichung vom Mindestausstattungs- Durchschnitts erreicht. Dieses Ziel wurde mehr
ziel von 85 Prozent (2008–2018) als erfüllt: Mit 88,3 Prozent für das Jahr 2018
liegt der derzeit ressourcenschwächste Kan-
1000 In Mio. Fr.
ton Jura deutlich über der Vorgabe. In Franken
750
ausgedrückt, bedeutet dies, dass 937 Millionen
mehr im System sind, als notwendig wären (sie-
500
he Abbildung 1). Dieser Betrag wird durch den
250
Bund (knapp 60 Prozent) und die sieben ressour
censtarken Kantone Zürich, Zug, Genf, Schwyz,
Schaausen •
Basel-Stadt
• Thurgau
Aargau Zürich
• Basel-
Landscha
Jura Appenzell
Solothurn Ausserrhoden • • Appenzell
Innerrhoden
St. Gallen
Zug
Luzern Schwyz
Neuenburg Glarus
• Nidwalden
Bern Obwalden
Uri
Freiburg Graubünden
Waadt
Tessin
8
Kantone mit einem Ressourcenindex von <100 sind ressourcenschwach. Sie erhalten Zahlungen aus dem Ressourcen-
ausgleich. Demgegenüber müssen die ressourcenstarken Kantone (>100) einzahlen.
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 15
FÖDERALISMUS
Programmvereinbarungen: Kantone
ziehen grundsätzlich eine positive Bilanz
Die Zahl der Programmvereinbarungen zwischen Bund und Kantonen nimmt zu.
Die Kantone sind mit dem 2008 erstmals eingeführten Instrument zufrieden, wie eine
Studie zeigt. Allerdings ist die Situation unübersichtlich. Laetitia Mathys
Abstract Vor zehn Jahren wurden infolge der Neugestaltung des Finanz- nanzierungsverfahren von Bund und Kanto-
ausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) nen tiefgreifend. Indem der Bund beispielsweise
sogenannte Programmvereinbarungen eingeführt. Die gemeinsame Finan- Global- oder Pauschalbeiträge über eine Perio-
zierung bestimmter öffentlicher Aufgaben über vier Jahre fällt in der Regel de von vier Jahren gewährt, erhalten die Kan-
zur Zufriedenheit der Kantone aus, wie eine Dissertation der Universität
tone mehr Handlungsspielraum.2 Darüber hin-
Lausanne zeigt. Untersucht wurden fünf Verbundaufgaben zwischen 2014
und 2018 in insgesamt sechs Kantonen. Während die Integrationsprogram-
aus beteiligen sich die Kantone an einem System
me in den Kantonen Zürich und Genf zu den erwarteten Ergebnissen füh- des Bundes mit Mechanismen zur Kontrolle
ren, ist die Förderung der Regionalpolitik im Kanton Uri mit beträchtlichen («Controlling»), Überwachung («Monitoring»)
strukturellen und finanziellen Komplikationen verbunden. Insgesamt zeigt und Erarbeitung von Berichten («Reporting»).
sich, dass die Programmvereinbarungen die Effizienz öffentlicher Leistun- Prominente Beispiele für Programmverein-
gen verbessern und die Zusammenarbeit verstärken. Handlungsbedarf barungen sind das nationale Gebäudesanie-
gibt es angesichts der steigenden Zahl der Programmvereinbarungen. rungsprogramm von 2010 und die spezifische
Integrationsförderung von 2014.
KEYSTONE
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 17
FÖDERALISMUS
Bundes nicht anerkannt. Zum anderen be- siv mit seinen 45 Gemeinden zusammen. Dies
klagt die Hälfte der Kantone ein geringes In- stimmt mit der von Frankreich geprägten Tra-
teresse des Bundes. Dies ist hauptsächlich bei dition der Westschweizer Kantone überein, die
der Denkmalpflege der Fall, wo die Bundes- eine stärkere Zentralisierung bewirkt. Trotz
beiträge nicht ausreichen. Hier sehen sich die dieser Unterschiede ist auch das Genfer In-
Kantone sowohl für die Umsetzung in der Pra- tegrationsprogramm (PIC I) ein Erfolg. Beim
xis als auch für die strategische Steuerung zu- nächsten Programm sollen jedoch die Part-
ständig. nerschaften mit den Gemeinden mithilfe einer
Steuerungsgruppe intensiviert werden. An der
Positive Bilanz in Zürich und Genf Erarbeitung der kantonalen Integrationspro-
gramme (KIP I und KIP II) wirken über 300 Ak-
Von allen untersuchten Programmvereinba- teure und verschiedene Konferenzen mit.
rungen sticht die Integrationsförderung im Die am wenigsten überzeugende Pro-
Kanton Zürich für die Jahre 2014 bis 2017 am grammvereinbarung stammt aus dem Kan-
positivsten hervor. Eindrücklich ist dabei die ton Uri: Sie betrifft die Förderung der Regio-
Zusammenarbeit des Kantons mit den Ge- nalpolitik für den Zeitraum 2008 bis 2015. Die
meinden: Im Jahr 2015 beteiligten sich 61 der Projekte Andermatt-Sedrun (2010) und Gott-
insgesamt 169 Gemeinden an der Umsetzung hard-Tunnel (2012) haben zwar zur Entwick-
und unterzeichneten freiwillig einen Leis- lung des Kantons beigetragen, doch kämpft Uri
tungsvertrag, der mit dem Modell der Pro- mit grossen Defiziten und strukturellen Her-
grammvereinbarung vergleichbar ist. Dank ausforderungen. Der Zentralschweizer Kanton
der Zusammenarbeit mit den Gemeinden sah sich daher gezwungen, im Tourismusbe-
konnte der Kanton zusätzliche Finanzierungs- reich gewisse Projekte aufzugeben oder aufzu-
quellen erschliessen und Erfahrungen austau- schieben. Ausserdem weist der rechtliche Rah-
schen. Da der Kanton Zürich über kein kanto- men der Neuen Regionalpolitik Lücken und
nales Integrationsgesetz verfügt, übernimmt Mängel auf. Dadurch besteht das Risiko, dass
er im Allgemeinen die Richtlinien des Bundes. die Gelder teilweise für andere Ausgaben ver-
Im Gegensatz zum Kanton Zürich verfügt wendet werden. Schliesslich werden die Akti-
der Kanton Genf seit 2001 über ein eigenes In- vitäten des Kantons in diesem Bereich durch
tegrationsgesetz und arbeitet weniger inten- mangelnde interne Kontrollen beeinträchtigt.
3,5
2,5
MATHYS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
1,5
1
Umfang der Verwaltungsaufgaben Austausch zwischen den Kantonen Austausch mit dem Bund Vollzugskontrollen durch den Bund
Lesebeispiel: Bei der Programmvereinbarung zum Strassenlärm waren die kantonalen Akteure der Auffassung, dass der
Verwaltungsaufwand gering ausfiel (3,6), aber der Austausch mit dem Bund nur durchschnittlich war (2).
Literatur
Eidgenössische Finanzkontrolle (2014). Pro- Interface (2015). Evaluation Programmvereinba- Mathys, Laetitia (2018). La collaboration verti-
grammvereinbarungen – Risiken und Heraus- rungen im Umweltbereich, Bericht im Auftrag cale dans le système fédéral suisse au regard
forderungen: Synthesebericht, April 2014. des Bafu, Luzern. de la réforme de la répartition des tâches, Dis-
Bundesrat (2001). Botschaft zur Neugestaltung Mathys, Laetitia (2016). Les conventions-pro- sertation, Universität Lausanne, erscheint im
des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwi- grammes : Un nouvel outil pour la collabora- Juni 2018.
schen Bund und Kantonen (NFA), 14. Novem- tion verticale en Suisse, Cahier de l’IDHEAP Vatter, Adrian (2017). Asymmetrien, Paradoxe
ber 2001, BBl 2002, S. 2291–2559. 294/2016. und Privilegien, NZZ vom 24. August 2017.
Bundesrat (2018). Wirksamkeitsbericht 2016–
2019 zum Finanzausgleich zwischen Bund und
Kantonen.
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 19
FÖDERALISMUS
Abstract Ökonomische und gesellschaftliche Beziehungen spielen sich tren und deren Peripherie. Je nach Themenfeld
oft in «funktionalen Räumen» ab, welche über die Gemeinde- und Kan- ändert sich die Raumgrösse. So sind Einzugsge-
tonsgrenzen hinausgehen. Dank der Zusammenarbeit über Grenzen biete von Universitäten und Spitälern zum Bei-
hinweg werden Synergien genutzt und effiziente Lösungen gefunden. spiel nicht deckungsgleich.
Allerdings sind funktionale Räume politisch nicht verankert. Die Stand-
In funktionalen Räumen ergänzen sich Zen-
ortförderung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) fördert des-
halb gemeinsam mit den Kantonen Projekte in funktionalen Räumen
tren und ländliche Räume. Städtische Räume
besonders. Wichtige Instrumente sind beispielsweise die Neue Regio- bringen Dichtevorteile: Sie sind oft Innovati-
nalpolitik (NRP) und die gemeinsam mit anderen Bundesstellen unter- onshubs und Sitz von Unternehmenszentralen,
stützten «Modellvorhaben nachhaltige Raumentwicklung». haben aber auch entsprechende Nachteile wie
etwa Verkehrsüberlastungen oder Platzmangel.
Demgegenüber können sich ländliche Räume
KEYSTONE
Das Mattertal setzt
auf nachhaltigen Tou-
eine Gemeinde oder einen Kanton. Entsprechend rismus: Hängebrücke Funktionale Räume haben diverse Vorteile:
empfiehlt das «Raumkonzept Schweiz», welches in Randa VS. Durch Zusammenarbeiten über Grenzen hin-
im Jahr 2012 von den drei Staatsebenen und den weg werden Synergien genutzt, und es können
Städten verabschiedet wurde, vermehrt in funk- oft effizientere Gesamtlösungen gefunden wer-
tionalen Räumen zu handeln.1 den. Dank der Zusammenarbeit mit Nachbarn
Die verschiedenen Ebenen nutzen das kann jede Region ihre eigenen Stärken ausspie-
Raumkonzept heute in der Planung ihrer raum- len und von Leistungen der Nachbarn profitie-
relevanten Sektoralpolitiken. Vielerorts ent- ren. Oft wird erst dank Räumen, die politische
standen regionale Raumkonzepte auf kleinerer Grenzen überschreiten, eine kritische Grösse
Massstabsebene. Etliche Kantone organisieren erreicht, die Massnahmen in Wirtschaft, Bil-
Standortpromotionsaktivitäten in funktiona- dung oder Verkehr umsetzbar machen.
len Räumen, wie etwa die Greater Zurich Area. Denken und Handeln in funktionalen Räu-
Beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ist men ist jedoch auch mit zahlreichen Herausfor-
das Raumkonzept insbesondere für die Regio- derungen verbunden. So verfügen funktionale
nalpolitik eine wichtige Orientierungshilfe. Räume normalerweise weder über eine adminis-
Auch verwaltungsexterne Akteure sehen trative Struktur noch über Ressourcen, was ihre
die Wichtigkeit der funktionalen Räume. So Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Auch be-
empfahl die Organisation für wirtschaftliche steht bei Entscheiden in funktionalen Räumen
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ein gewisses «Demokratiedefizit», da diese Räu-
ihrem Territorialexamen Schweiz bereits im me keine eigene Parlamentsstufe haben. Zum
Jahr 2011, vermehrt in funktionalen Räumen Teil existieren grenzüberschreitende parlamen-
zu denken, und der liberale Thinktank Avenir tarische Kommissionen. Demgegenüber ist es
Suisse macht in seinem letztjährigen Bericht häufig einfacher, eine gemeinde- oder kantons-
zum Strukturwandel in Berggebieten auf die 1 S iehe Bundesrat et al. weite Lösung umzusetzen, weil die staatlichen
funktionalen Räume der einzelnen Talschaften (2012).
2 OECD (2011) und Avenir
Entscheidungsträger in institutionellen Räu-
aufmerksam.2 Suisse (2017). men verankert sind.
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 21
FÖDERALISMUS
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Willome
Schneider-Ammann
Schneider-Ammann Staatssekretär
Staatssekretär Mitglied
Mitglied
des des
Global Global
Integration
Integration CEO CEO Group CEO
Group CEO
Bundesrat
BundesratDirektor
Direktor
der DEAder DEA Vorstands
Vorstands LeaderLeader de SededeAG
Sede AG Conzzeta
Conzzeta
Vorsteher
Vorsteher
des WBF
des WBF SiemensSiemens
AG AG Actelion
Actelion
Partner Partner
FÖDERALISMUS
Regionale Autonomie
entschärft Konfliktpotenzial
In Katalonien und im kurdischen Teil des Irak verhärten sich die Fronten zur jeweiligen
Zentralregierung. Konzessionen gegenüber regionalen Autonomiebestrebungen könn-
ten die Situation beruhigen, wie ein Blick auf die politische Forschung zeigt.
Lars-Erik Cederman, Simon Hug, Julian Wucherpfennig
Zentralstaates die Entwicklung des Konfliktes Politikbereiche. Dies beeinflusste die Stimmbe-
beeinflussen: Konzessionen gegenüber Autono- völkerung und führte zu einem (für Cameron)
miebewegungen reduzieren die Konfliktträch- positiven Ausgang des Referendums.
tigkeit signifikant.5 Als Antwort auf explizite In Spanien und im Irak führten hingegen die
Sezessionsbestrebungen hilft regionale Auto- Verweigerung von Konzessionen und die eigen-
nomie allein jedoch oft wenig. sinnige Haltung der Eliten in den Regionalregie-
rungen zu einer Eskalation der Spannungen. In
Beruhigung in Schottland – Spanien unterband das oberste Gericht auf Be-
streben der Zentralregierung eine Ausweitung
Konfrontation in Katalonien
des Autonomiestatus Kataloniens, und die Ant-
Die empirischen Resultate lassen darauf schlies- wort der Regierung in Barcelona setzte sich über
sen, dass regionale Autonomie geeignet ist, die spanische Verfassung hinweg. Dadurch ver-
Konfliktpotenziale zu verringern. Allerdings stärkten sich die Spannungen nach der Annah-
braucht es dazu immer zwei Akteure: Auf der me des Unabhängigkeitsreferendums.
einen Seite befinden sich die Zentralregierun- Auch Kurdenführer Masud Barzani setzte
gen und ihre Handlungen bezüglich der Auto- eigenmächtig ein Referendum an, ohne auf das
nomie- oder Sezessionsbestrebungen gewisser Einvernehmen der Zentralregierung in Bagdad
ethnischer Gruppen, auf der anderen Seite ste- zu warten. Diese verhängte darauf Sanktionen,
hen die Autonomie- und Sezessionsbewegun- welche den Luftraum betrafen. 5 Cederman et al. (2015b).
gen und ihre mehr oder weniger ausgeprägte Ra-
dikalisierung. Lars-Erik Cederman
Betrachten wir nun die drei eingangs er- Professor für Internationale Konfliktforschung,
ETH Zürich
wähnten Fälle vor diesem Hintergrund: Im Ver-
einigten Königreich machte Premierminister Simon Hug
Cameron im Vorfeld der Abstimmung sowohl Professor für Politikwissenschaft, Universität Genf
Bibliographie
Bednar, Jenna (2008). The Robust Federation, Cederman, Lars-Erik, Simon Hug, Andreas Cederman, Lars-Erik, Simon Hug, und Julian
New York: Cambridge University Press. Schädel und Julian Wucherpfennig (2015a). Wucherpfennig (2015b). Autonomy, Secession
Bormann, Nils-Christian, Lars-Erik Cederman, Territorial Autonomy in the Shadow of Futu- and Conflict: a Strategic Model. Das Paper wur-
Scott Gates, Benjamin A.T. Graham, Simon re Conflict: Too Little, Too Late?, in: American de am Annual Meeting of the American Politi-
Hug, Kaare Strom und Julian Wucherpfennig Political Science Review 109.2, 354–370. cal Science Association in San Francisco (1. bis
(2018). Power-sharing: Institutions, Behavi- 4. September 2015) präsentiert.
or, and Peace, in: American Journal of Political Gurr, Ted Robert (2000). Ethnic Warfare on the
Science (im Erscheinen). Wane, in: Foreign Affairs 79.3, 52–65.
Abstract Der Föderalismus ist ein praktisches und effizientes Regierungs- konzentriert das politische und wirtschaftliche
system, mit dem sich auch grosse Staaten oder ethnisch, sprachlich und Leben in vielen anderen Staaten auf eine – häu-
kulturell vielfältige Länder erfolgreich organisieren lassen. Trotz die- fig übervölkerte – Hauptstadt.
ser Vorteile gibt es heute nur wenige Föderationen, unter anderem die
«Klassische» Föderationen verdanken ihre
Schweiz. Ist das übergrosse Ego von Politikerinnen und Politikern schuld
Stabilität insbesondere den erwähnten Quali-
daran, dass diese ihre Macht nicht teilen wollen? Im Beitrag werden positi-
ve und negative, manchmal überraschende, häufig aber ernüchternde Bei- täten. Die Vereinigten Staaten (Gründungsjahr
spiele präsentiert, die veranschaulichen, mit welchen Schwierigkeiten der 1787), die Schweiz (1848), Kanada (1867), Aust-
Föderalismus heute zu kämpfen hat. Während die Ukraine und Sri Lanka ralien (1901) und Deutschland (1949) gehören zu
mit dem Beharren auf einem zentralistischen System einen verhängnisvol- den wohlhabendsten Staaten. Indien (1950) wie-
len Weg einschlugen, könnten Nepal und die Philippinen ein Hoffnungs- derum gilt als grösste Demokratie der Erde.
schimmer für den asiatischen Föderalismus von morgen sein. Diese Länder prosperieren, weil alle ihre Re-
gionen entwickelt sind. In der Schweiz zum Bei-
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 27
FÖDERALISMUS
Weitsicht und einem fehlenden Respekt gegen- stellt werden, dass beide Länder den Übergang
über Minderheiten der politischen Führungsfigu- zu echten Föderationen nicht geschafft haben.
ren zeugen. Das einzige Anliegen dieser Politiker Nebst dem Referendum in Katalonien fand ver-
scheint darin zu bestehen, ihre Macht auszu- gangenes Jahr auch im irakischen Kurdistan
bauen. Verhängnisvoll ist, dass dieser Mangel an eine umstrittene Volksabstimmung über die
Vernunft auch in den föderalistischen Einhei- Unabhängigkeit statt. Der Wunsch nach einer
ten auftreten kann. Gewisse Föderationen haben Abspaltung ist stark, weil es weder in Spanien
dies nicht überlebt. So implodierte Jugoslawien noch im Irak gelang, die staatliche Macht so auf-
infolge von Rivalitäten zwischen den einzelnen zuteilen, dass die Regionen und Gemeinschaf-
Republiken. ten ihre Eigenheiten bewahren und gleichzeitig
In anderen Föderationen versuchen Staats- Teil eines grösseren Gesamtstaates sein kön-
chefs vom Zentrum aus, die Macht an sich zu nen. Seit Menschengedenken werden Minder-
reissen. In Venezuela oder Russland haben heiten verfolgt: In der Türkei gelten Kurden so-
«charismatische» Präsidenten die föderalisti- gar als «Terroristen».
sche Dimension ihres Landes ausgehebelt. Noch Die Weigerung, jegliche Souveränität ab-
Ende der Neunzigerjahre wurde grosse Hoff- zugeben, bremst auch den europäischen Auf-
In der Ukraine nung in die «Quasi-Föderationen» Spanien und bauprozess. Die amerikanischen Staaten oder
führten Differen- Südafrika gesetzt. Zwanzig Jahre später muss die Schweizer Kantone hatten seinerzeit be-
zen mit der Zentral angesichts der Katalonien-Krise und der Ver- griffen, dass Einheit stark macht. Heute ist die
regierung zum Krieg:
Knabe mit Fahne
einnahmung der Macht durch die Elite des Af- Idee der «Vereinigten Staaten Europas», wie sie
der Volksrepublik rikanischen Nationalkongresses (ANC) festge- dem französischen Schriftsteller Victor Hugo
Donezk.
KEYSTONE
am Herzen lag, kein Thema mehr. Gründerväter und seit 1972 mindestens 100 000 Opfer gefor-
der EU wie Jean Monnet oder Richard Couden- dert haben soll. Dennoch bleibt dort der Begriff
hove-Kalergi müssen sich angesichts von Brexit «Föderalismus» tabu.
und EU-Skepsis im Grab umdrehen. Besonders Die Unfähigkeit eines Staates, seine Vielfalt
ernüchternd ist, dass ein föderalistisches Euro- zu berücksichtigen, kann zu einer Katastrophe
pa heikle Situationen wie die Griechenland-Kri- führen. Entsprechend existiert Somalia nicht
se oder die Migration einfacher hätte bewälti- mehr, und der Jemen könnte dasselbe Schick-
gen können. Dennoch scheint kein europäischer sal ereilen, da sich verschiedene Fraktionen, die
Staat bereit, auch nur einen Bruchteil seiner von aussenstehenden «Alliierten» unterstützt
Souveränität zugunsten der europäischen Föde- werden, in einem verheerenden Bürgerkrieg bis
ration zu opfern. aufs Blut bekämpfen.
Diese festgefahrene Haltung kann auf allen In diesem traurigen Panorama des zeitge-
Ebenen Probleme aufwerfen. Dänemark zum nössischen Föderalismus sind jedoch auch ge-
Beispiel, das die Idee des Föderalismus stets ab- wisse Lichtblicke erkennbar. So wurde Nepal
gelehnt hat, scheint nun seine Inseln zu verlie- mit der Annahme der Verfassung 2015 zu einem
ren. Im Mai 1944 (wer erinnert sich noch dar- föderalistischen Staat mit sieben Provinzen. Al-
an?) beendete die isländische Bevölkerung die lerdings gestaltet sich der Aufbau der Institu-
Union mit Dänemark zugunsten der Unabhän- tionen als schwierig. Auf den Philippinen will
gigkeit mit einem Volksmehr von 95 Prozent. Präsident Rodrigo Duterte, der für seine verba-
Derzeit wird auch auf den Färöer-Inseln und in len Entgleisungen bekannt ist, seinen Archipel
Grönland über die Ablösung von Dänemark dis- in eine Föderation transformieren. Da dieser
kutiert. Prozess in seinen Augen überlebenswichtig im
Auch Frankreich, das so sehr auf seine Ein- Kampf gegen Armut und die islamischen Auf-
heit bedacht ist, könnte Neukaledonien verlie- stände ist, hat er beispielsweise im rebellischen
ren, das am 4. November 2018 über eine Loslö- Süden bereits die autonome Region Bangsamoro
sung abstimmen wird. In Paris selbst wirft der geschaffen. Die Anhänger der Zentralisierung
Sieg der korsischen Nationalisten bei den Regio- sehen im Föderalismus allerdings weiterhin
nalwahlen vom vergangenen Dezember delikate eine Bedrohung für die Einheit des Landes, auch
Fragen auf. wenn die Beispiele aller historischen Föderatio-
nen, beginnend mit der Schweiz, das Gegenteil
Tragödien und Hoffnung beweisen.
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 29
«Aus meiner Sicht gibt es auch mehr
Zentralisierung, weil der Einfluss der
Interessenverbände zugenommen
hat.» Benedikt Würth vor dem Haus der
Kantone in Bern.
Herr Würth, bündeln Sie im Haus der Kantone Rechnung getragen. Die Anreizthematik wur-
die Verhandlungsmacht der Kantone gegenüber de besser gelöst und die Subsidiarität gestärkt.
dem Bund? Zwischen Wettbewerbs- und Solidaritätsele-
Ja. Die Kantone haben ein elementares Interesse menten herrscht heute eine gute Balance. Das
daran, sich intern abzustimmen und ihre Kräf- hat die Verantwortung der Kantone gestärkt.
te zu bündeln. Das kommt auch dem Bund zu-
gute. In der Schweiz sind viele zentrale Bereiche Dann ist alles in Ordnung?
wie die Steuern, der Verkehr, die Bildung, das Nein. Die Verflechtung zwischen den Staatsebe-
Gesundheitswesen oder die Sicherheit entwe- nen hat zugenommen. Zudem belastet vor allem
der kantonale oder geteilte Zuständigkeiten von das Gesundheits- und Sozialwesen die kanto-
Bund und Kantonen. Dies bedingt ein intensives nalen Finanzhaushalte. Seit dem Inkrafttreten
Zusammenwirken. des Finanzausgleichs 2008 hat dieser Bereich
über alle Kantone gerechnet zu Mehrkosten von
Der neue Finanzausgleich zwischen Bund und 2,7 Milliarden Franken pro Jahr geführt. Dabei
Kantonen ist seit zehn Jahren in Kraft. Was wa- sind die Kantone stärker vom demografischen
ren damals die Hauptziele? Wandel betroffen als der Bund, wie die langfris-
Diese Reform war ein Meilenstein. Seit 1848 war tigen Perspektiven des Eidgenössischen Finanz-
die Geschichte der Schweiz eine Geschichte der departementes zeigen.
Zentralisierung mit einem ineffizient geworde-
nen Finanzausgleich. Das ist in den Neunziger- Ist das eine neue Lastenverschiebung vom
jahren als Mangel erkannt worden. Im alten Fi- Bund zu den Kantonen?
nanzausgleich waren die Bundessubventionen Im Ergebnis wirkt es sich so aus. Der Bund ist
in den jeweiligen Ausgabenbereichen zweckge- in diesem Fall der Regulator und Gesetzgeber
bunden und von der Finanzkraft eines Kantons des Krankenversicherungsgesetzes. Die finan-
abhängig. Diese Vermischung von Anreiz- und ziellen Auswirkungen – sowohl bei der Spital-
Umverteilungszielen führte zur erwähnten In- finanzierung als auch bei der Pflegefinanzie-
effizienz. rung – liegen jedoch bei den Kantonen sowie
bei den Versicherern. Die Gesundheitsausga-
Wurden die Schwächen des alten Systems mit ben machen rund 0,4 Prozent des Bundeshaus-
der Reform überwunden? haltes aus. Bei den Kantonen sind es 14 Prozent.
Ja, die Mittel aus dem Finanzausgleich sind seit-
her frei einsetzbar für die Kantone. Weiter wur- Benedikt Würth
den zwei Ausgleichsinstrumente geschaffen, Der 50-jährige CVP-Politiker Benedikt Würth ist seit 2011 Re-
welche die exogenen Lasten, das heisst die so- gierungsrat des Kantons St. Gallen und seit 2016 Vorsteher des
ziodemografischen und geografisch-topografi- Finanzdepartements. Seit April 2017 präsidiert er die Konferenz
der Kantonsregierungen (KDK). Zuvor hat er als Gemeindeprä-
schen Besonderheiten der Kantone, abfedern.
sident von Jona die Gemeindefusion vorbereitet und war von
Und mit dem Ressourcenausgleich hat man 2007 bis 2011 erster Stadtpräsident von Rapperswil-Jona. Der
der unterschiedlichen Steuerkraft der Kantone studierte Jurist ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 31
FÖDERALISMUS
Indem die Bundesebene die hauptsächliche Re- punkte setzen will. Aus meiner Sicht gibt es
gulierungsmacht ausübt und die Kantone die fi- auch mehr Zentralisierung, weil der Einfluss der
nanziellen Konsequenzen tragen, wird das öko- Interessenverbände in den letzten Jahren zuge-
nomische Prinzip der fiskalischen Äquivalenz nommen hat.
verletzt. Dieses besagt: Wer zahlt, befiehlt.
Wie wirkt sich das aus?
Warum nimmt die Zentralisierung zu? Die Lobbyisten haben ein Interesse daran, auf
Das Verständnis für unterschiedliche Lösun- Bundesebene Lösungen zu finden. So können
gen sinkt tendenziell. Diese Entwicklung berei- sie viel gezielter Einfluss nehmen, als wenn sie
tet uns Sorgen. in 26 Kantonen anklopfen müssen.
verbilligungen vor Ort am besten abschätzen harmonisierung – und damit verbunden die
können. Auch der Bahninfrastrukturfonds wird Zentralisierungsdynamik – wieder stärker. Und
auf Bundesebene gesteuert. Die Planungsregio- das wollen w
eder Nehmer- noch Geberkantone.
nen können zwar Inputs machen, aber die Ent-
scheidung liegt beim Bund. Gleichzeitig zah- Die Kantone Wallis, Jura, Freiburg und Neuen-
len wir jedes Jahr eine halbe Milliarde in diesen burg sind dagegen, der Kanton Bern enthält
Fonds, ohne mitzuentscheiden, wo die Gelder sich.
schlussendlich hinfliessen. 2015 gab es zwischen den Kantonen erhebliche
Spannungen. Deshalb ist es bereits eine hervor-
Die Finanzkraft der Kantone ist sehr unter- ragende Leistung, dass 21 Kantone diesem Kom-
schiedlich. promiss zustimmen. Ich hoffe
Das ist ein Spiegelbild der unterschiedlichen, his- natürlich nach wie vor, dass
torisch gewachsenen Wirtschaftsstrukturen im man die verbleibenden oppo- «Eine Nivellierung
Land. Ertragskraft der Unternehmen und Löhne sitionellen Nehmerkantone ist nicht das Ziel des
sind in einem von Finanz- oder Pharmaclustern auch noch gewinnen kann.
geprägten Kanton anders als beispielsweise in Aber letzten Endes ist es viel-
Finanzausgleichs»
einem gewerblich-touristisch geprägten Kanton. leicht vermessen, zu glauben,
Zur Schweiz gehört aber die ganze Vielfalt. Eine dass man alle ins Boot holen kann. Schon bei
Nivellierung ist nicht das Ziel des Finanzaus- der Volksabstimmung 2004 haben drei Kantone
gleichs. Aber man will den Kantonen eine soge- Nein gesagt.
nannte Mindestausstattung des schweizerischen
Mittels garantieren. Die Höhe dieser Mindestaus- Abgesehen vom Finanzausgleich: Wo verlau-
stattung wird politisch diskutiert. fen die verschiedenen Konfliktlinien zwischen
den Kantonen? Gibt es einen Röstigraben oder
Im Finanzausgleich ist die Mindestausstattung einen Stadt-Land-Graben?
bei 85 Prozent des schweizerischen Mittels Nein, eine Konfliktlinie entlang der Sprachgren-
festgelegt. Momentan wird sie aber durch alle ze habe ich in der Konferenz der Kantonsregie-
Kantone übertroffen. Was nun? rungen bis jetzt noch nie erlebt. Die Unterschie-
Das ist einer der Streitpunkte. Diese 85 Pro- de verlaufen entlang konkreter Interessenlagen.
zent waren ursprünglich ein Richtwert. Der Beim Finanzausgleich sind die Perspektiven von
Finanzausgleich ist momentan noch so aus- Gebern und Nehmern logischerweise unter-
gestaltet, dass das Bundesparlament die Dotie- schiedlich. Beim Thema Personenfreizügigkeit
rung der Töpfe steuert. Dabei kann dieser Richt- sind es beispielsweise Grenzkantone wie Tessin
wert über- oder unterschritten werden. Beides oder Genf mit vielen Grenzgängern, die stren-
ist schon vorgekommen. Momentan liegt er bei gere flankierende Massnahmen befürworten.
88,2 Prozent. Ausserdem gibt es ganz spezifische Interessen
der Bergkantone, wie etwa die Diskussion um
Sie schlagen einen neuen Mechanismus vor. die Wasserzinse zeigt.
Der Kompromissvorschlag der Kantone ist es,
eine Mindestausstattung von 86,5 Prozent Das Stimmvolk der Kantone Genf und Waadt
zu garantieren und im Gesetz festzulegen. hat 2002 die Vorlagen zur Kantonsfusionierung
Der Mechanismus würde dann jährlich ange- verworfen. Das Gleiche gilt für Basel-Stadt und
wandt, ohne dass das Parlament darüber ent- Basel-Landschaft im Jahr 2014. Auf Gemeinde-
scheidet. Für die Nehmerkantone wird die Re- ebene gibt es viele Fusionen. Warum nicht auf
form zu spürbaren Mindereinnahmen führen. Kantonsebene?
Trotzdem unterstützen die grosse Mehrheit Ich persönlich finde, dass solche Strukturrefor-
der Nehmerkantone und der Bundesrat diesen men diskutiert werden sollen. Die gesellschaftli-
Vorschlag. Ohne einen breit getragenen, funk- che und wirtschaftliche Mobilität hat zugenom-
tionierenden Finanzausgleich wird möglicher- men. Die Bedeutung funktionaler Räume ist
weise der Ruf nach einer materiellen Steuer- gestiegen. Wenn man versucht, die territoriale
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FÖDERALISMUS
Ordnung stärker dieser Realität anzunähern, ist einem vielsprachigen und so vielfältigen Land
das legitim. Aber offenbar wollen die Leute das keinen Zentralstaat aufbauen kann. Das lehrt
nicht, wie die letzten Urnengänge dazu zeigen. uns momentan ja auch die Geschichte mit Spa-
Die Fusionswelle bei den Gemeinden ist eben- nien und Belgien, wo es weniger gut läuft. Das
falls etwas abgeebbt – zumindest im Kanton föderale Prinzip hält die
St. Gallen, der in den letzten zehn Jahren viele Schweiz zusammen.
erfolgreiche Gemeindefusionen erlebt hat. «Eine Konfliktlinie ent-
Wird sich also nichts verän- lang der Sprachgrenze
Wie wichtig ist den Bürgern die föderale Struk- dern?
tur der Schweiz? Natürlich gibt es Trends wie
habe ich in der KDK
Die meisten Menschen beurteilen generell die Digitalisierung und den noch nie erlebt.»
nur die Qualität der Aufgabenerfüllung in der demografischen Wandel. Wie
Schweiz. Dabei differenzieren sie kaum, ob die Digitalisierung auf die verschiedenen Wirt-
Bund, Kanton oder Gemeinde eine Aufgabe er- schaftsbranchen wirkt, kann heute niemand
füllen, sondern beurteilen das Gesamtangebot mit Sicherheit sagen. Eine Prognose ist, dass die
der öffentlichen Dienstleistung. Bei Bildung, Finanzindustrie eher zurückgeht und die klassi-
Gesundheit, Sicherheit und Verkehr hat die sche Hightech-Industrie dazugewinnt. Zudem
Schweiz dank dem föderalen Aufbau und dank wird auch das Thema Stadt-Land an Bedeutung
Subsidiarität einen hervorragenden Service pu- gewinnen, denn in den städtischen Gebieten ist
blic. Das Tolle an unserem Föderalismus ist, die demografische Veränderung weniger gravie-
dass jede Ebene effektiv auch Entscheidungs- rend als in den ländlichen Räumen. Das hat Ein-
macht hat und über Steuerhoheit verfügt. fluss auf Ressourcen und Lasten.
Abstract Seit acht Jahren steigt die Leerwohnungsziffer in der Schweiz kontinuier- tieferen Leerstand. Dies gilt insbesondere
lich. Betroffen sind vor allem neue Mietwohnungen mit unterdurchschnittlicher Er- für die attraktivsten Städte. Insgesamt ist
reichbarkeit. Auch in den nächsten Jahren wird der Wohnungsleerstand weiter das Leerstandsrisiko auf der (Makro-)Ebe-
zunehmen. Damit erhält das Thema mehr Gewicht bei der Wohnbauplanung. Infolge- ne «Gemeinde» aber nicht systematisch er-
dessen dürften zukünftig vermehrt Wohnungen an guten Lagen realisiert werden, was klärbar.
der angestrebten Siedlungsentwicklung nach innen Schub verleiht. Der Zusammenhang zwischen Lage und
Leerstand wird deutlicher, wenn man auch
die Mikrolage innerhalb einer Gemeinde be-
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tum um ein Drittel reduzierte. Institutionel- Berechnet werden leerstandsbedingte Einnahmeausfälle in den Jahresabrechnungen 2016. Dargestellt
le Investoren bevorzugen unter anderem den ist der Leerstandsmedian von Liegenschaften mit vorwiegender Mietwohnungsnutzung. Die Leerstands-
Bau von Mietwohnungen, da Wohneigentum quote ist nicht mit derjenigen des Bundesamtes für Statistik (BFS) vergleichbar.
den Anlagenotstand nicht entschärft: Deren
Einmalerlöse müssen schliesslich wieder an-
gelegt werden – und das in Zeiten von Nega- Abb. 2: Leerstandsquoten (1995–2017)
tivzinsen. Drittens hat das Haushaltswachs- 15 In %
tum wegen der tieferen Nettozuwanderung
BFS UND WÜEST PARTNER / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
12,5
abgenommen. Zu- und Wegzüger sind in
10
der Regel Mieter und leben häufig in kleinen
Haushalten. Der Rückgang der Zuwanderung 7,5
hat daher grossen Einfluss auf die Anzahl der
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Mietwohnungshaushalte.
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massgeblich von der Lage, dem Baujahr und Alle Wohneinheiten Mietwohnungen Neubauten (nicht älter als 2 Jahre)
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 35
WOHNUNGSMARKT
der Leerstand einer Mietwohnliegenschaft Mieterwechsel dürfte zunehmen bildung 1). Denn erstens bleibt die Wohn-
mit zunehmendem Gebäudealter ab (sie- bautätigkeit bis im nächsten Jahr hoch, da
he Abbildung 1). Das hat einerseits mit der Wie ist der Mietwohnungsleerstand von viele Projekte umgesetzt werden. Zweitens
Lage zu tun: Liegenschaften an besserer Lage 2,4 Prozent zu werten? Zunächst: Der Leer- dürften die Mieten nur leicht sinken, was
sind tendenziell älter, und jede Neuvermie- stand nimmt Druck von den Wohnungsmie- die Nachfrage nach zusätzlichen Wohnun-
tung braucht Zeit. Andererseits – und das ist ten und ermöglicht den Bewohnern eine er- gen nur schwach belebt. Und drittens ist die
ein anderer entscheidender Punkt – könnten giebigere Wohnungssuche. Und damit dürfte Nettozuwanderung limitiert, solange es der
bei einigen neueren Liegenschaften die Miet- es gerade in Städten, in denen sich der Miet- europäischen Wirtschaft gut geht.
zinsforderungen für eine Vollvermietung zu wohnungsmarkt etwas entspannt hat, häufi- Ab 2020 wird sich wohl zumindest die Zu-
hoch sein. Dies gilt umso mehr, als vielerorts ger Mieterwechsel geben. nahme des Leerstandes abschwächen. Der
die Anfangsmieten spürbar höher liegen als Ein gewisser Wohnungsleerstand ist nor- Grund ist die schwierigere und länger andau-
die Bestandesmieten von langjährigen Mie- mal, weil sowohl der Markt für Mietzinse als ernde Vermarktung von Neubauten. So stand
tern. Nicht nur die Lage- oder Objektqualitä- auch jener für Bautätigkeiten lange Zyklen auf- im Juni 2017 – gemäss der Berechnungsme-
ten alleine, sondern auch der verlangte Miet- weisen respektive rigide sind. Zum Vergleich: thode des BFS – von den weniger als zwei-
zins entscheidet darüber, ob eine Wohnung Am Ende der Immobilienkrise in den Neunzi- jährigen Wohneinheiten jede zehnte Einheit
leer steht oder nicht: Je mehr Mietzins für gerjahren war die Mietwohnungsleerstands- leer (siehe Abbildung 2). Das entspricht bei-
eine Wohnung verlangt wird, desto höher ist quote rund 0,5 Prozentpunkte höher als heute. nahe einer Verdoppelung gegenüber dem
das Leerstandsrisiko. Im Weiteren führt der aktuelle Bauboom Jahr 2009. Dies dürfte die Planung von Neu-
Insgesamt reagiert der Leerstand aller- dazu, dass die CO2-Emissionen des Woh- bauprojekten insgesamt dämpfen und dazu
dings «unelastisch» auf Mietpreisänderun- nungsparks im laufenden Betrieb zurückge- führen, dass die Investoren die Lagekriterien
gen. Mit anderen Worten: Der positive Zu- hen, weil moderne Gebäude deutlich klima- stärker gewichten.
sammenhang zwischen den prozentualen verträglicher sind als Altbauten. Eine bessere Da der Leerstand ein immer wichtigeres
Mietzinsveränderungen und dem in Prozen- Klimaverträglichkeit kann auch durch öko- Thema bei der Planung von neuen Mietwoh-
ten gemessenen Leerstand ist schwach aus- logische Sanierungen von bestehenden Ge- nungen wird, bestehen heute stärkere An-
geprägt, wie die Berechnungen der Preis- bäuden erreicht werden. Umfassende ökolo- reize als früher, die Projektentwicklungen an
elastizität zeigen. Als Datenbasis dienten gische Sanierungen werden durch die Leer- gut erschlossenen Wohnlagen zu realisieren.
uns Abrechnungen von Mietwohnungen, standszunahme allerdings eher gehemmt. Es besteht also die Hoffnung, dass zukünftig
für welche Lage- und Objektqualitäten be- Denn je anspruchsvoller die Vermietungssitu- vermehrt dort gebaut wird, wo viele Men-
kannt sind. ation ist, desto harziger verläuft die Überwäl- schen leben möchten. Eine solche Fokussie-
Zur Maximierung der Mietzinseinnah- zung der beim Eigentümer anfallenden Sanie- rung der Bautätigkeit an den gut erschlosse-
men kann es sich für den Vermieter somit rungskosten auf die Wohnungsmieter. nen Lagen strebt auch die Raumplanung an:
unter Umständen lohnen, einen gewissen Der zunehmende Leerstand dürfte der nach
Leerstand in Kauf zu nehmen. Allerdings ist Weniger Neubauten ab 2020 innen gerichteten Siedlungsentwicklung
der Einzelfall zu betrachten, denn in einzel- also erheblich Schub verleihen.
nen Teilmärkten kann eine Mietpreissenkung Problematisch an der jetzigen Situation sind
den Leerstand ausreichend reduzieren. Hinzu die hohen Leerstandsziffern in einzelnen Ge-
kommt, dass der Leerstand dem Eigentümer genden. In den vom Bundesamt für Statis-
nebst dem Ausfall von Mietertragseinnah- tik festgelegten «MS-Regionen» Oberaargau
men einen zusätzlichen Aufwand einbrockt: und Siders ist mehr als jede zehnte Mietwoh-
Auch eine leer stehende Wohnung muss ge- nung unbewohnt. Indirekt betroffen ist auch
heizt und der Umschwung muss gereinigt die Altersvorsorge, da Pensionskassen wie
werden. Schliesslich fallen bei einer Wieder- auch andere Immobilieninvestoren eine tie-
vermietung höhere Ausgaben an. Wenn die fere Rendite mit ihren Renditeliegenschaften
Leerstandsquote sehr hoch ist, können die erzielen. Jörg Schläpfer
Verwaltungskosten um bis zu 10 Prozent des In den nächsten Jahren wird die Leer- Dr. sc. ETH, Leiter Makroökonomie, Wüest
Partner, Zürich
Jahresmietertrages höher ausfallen. standsquote wohl weiter steigen (siehe Ab-
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 37
ALAMY
EINBLICK VON CHRISTIAN BELZ
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 39
GESUNDHEITSWESEN
Abstract Beschäftigung und Ausgaben im Gesundheitswesen weisen seit Jahr- Aufgrund dieser Herausforderungen ist
zehnten ein hohes Wachstum auf. Es ist daher von politischem Interesse, detaillierte die Steigerung der Arbeitsproduktivität zen-
Kenntnisse über die Entwicklung der Arbeitsproduktivität im Gesundheitswesen tral. Eine höhere Arbeitsproduktivität bedeu-
zu erhalten. Das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) untersuchte tet, dass mit einem bestimmten Personalbe-
in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen, inwieweit der Indikator Arbeits- stand mehr Gesundheitsleistungen erbracht
produktivität verlässliche Informationen über den ökonomischen Zustand des werden können. Oder umgekehrt: dass für ein
Gesundheitswesens liefert. Es zeigt sich, dass aufgrund konzeptioneller Heraus- bestimmtes Versorgungsniveau weniger Per-
forderungen und zahlreicher Mess- und Datenprobleme der Indikator nur sehr be- sonal benötigt wird (siehe Kasten 1). Im Auf-
schränkt dazu geeignet ist, Effizienz und technologischen Fortschritt im Gesund- trag des Bundesamtes für Gesundheit hat das
heitswesen zu messen. Zur Verifizierung der Entwicklungen muss daher auf Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien
ergänzende Informationen zurückgegriffen werden. (Bass) gemeinsam mit der Universität St. Gal-
len untersucht, wie es um die Arbeitsproduk-
tivität im schweizerischen Gesundheitswesen
Geringes Produktivitätswachstum
Gesundheitswesens 11,9 Prozent des Brutto- Die dynamische Beschäftigungsentwicklung
inlandprodukts. Tendenz steigend. Die ho- im Gesundheitswesen weckt in der Politik Die Wertschöpfung je Vollzeitäquivalent lag
hen Krankenkassenprämien belasten insbe- ausserdem die Befürchtung, dass es zu einem 2014 im schweizerischen Gesundheitswe-
sondere die Mittelschichtshaushalte immer Fachkräftemangel kommen könnte, sodass sen mit 120 755 Franken rund 15 Prozent unter
stärker.1 Und auch die öffentliche Hand muss der Gesundheitssektor im Wettbewerb um dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt.
qualifiziertes Personal zunehmend auch an- Zwischen 1999 und 2014 ist die Produktivi-
1 Siehe Bundesrat (2016). dere Wirtschaftsbereiche konkurriert. tät im Gesundheitswesen gemäss offiziellen
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KEYSTONE
Hightech-Medizin in Bern: Operationssaal
am Inselspital.
Zahlen des Bundesamtes für Statistik preis- zeichnen konnten, waren die Slowakei, Gross-
bereinigt nur um knapp 6 Prozent gestiegen, britannien, Frankreich, Spanien, Deutschland
trotz hohen Investitionen in diesem Sektor. und Dänemark. heitsleistungen nimmt deshalb der Anteil
Gleichzeitig hat die Wertschöpfung im Ge- des Gesundheitswesens an der Gesamtwert-
sundheitswesen um 61 Prozent zugenommen. Baumolscher Effekt? schöpfung zu. Neuere Studien2 kommen zum
Dieser Wertschöpfungszuwachs wurde auf- Schluss, dass die baumolsche Kostenkrank-
grund des geringen Produktivitätswachstums In der Wissenschaft wird seit langer Zeit in- heit im Gesundheitswesen eine gewisse Re-
hauptsächlich durch eine starke Ausweitung tensiv diskutiert, inwieweit das Produktivi- levanz besitzt. Die Grenzen der baumolschen
der Beschäftigung erzielt: Gemessen in Voll- tätswachstum im Gesundheitswesen gerin- Theorie liegen allerdings darin, dass sie ledig-
zeitstellen nahm diese um 52 Prozent zu. Es ist ger ist als in der Gesamtwirtschaft und damit lich eine Erklärung für das Kostenwachstum
davon auszugehen, dass die Nachfrage nach einen immer grösseren Anteil an der gesamt- liefert. Sie kann keine Aussage darüber ma-
Gesundheitsleistungen auch weiterhin zu- wirtschaftlichen Wertschöpfung ausmacht. chen, inwieweit diese Entwicklungen gesamt-
nehmen wird. Um den Druck auf die Fachkräf- Die Diskussion findet unter dem Begriff der gesellschaftlich erwünscht oder effizient sind.
tenachfrage und die Gesundheitskosten zu baumolschen Kostenkrankheit statt, auf die In Bezug auf die Effizienz sind folgende
senken, wird es daher zentral sein, die Arbeits- der US-amerikanische Wirtschaftswissen- Überlegungen relevant: Im Gesundheitswe-
produktivität auch in Zukunft zu steigern. schaftler William J. Baumol 1967 erstmals auf- sen sind die Preise vielerorts reguliert, und
Im internationalen Vergleich bewegt sich merksam gemacht hat. die obligatorische Krankenversicherung so-
die Schweiz trotz geringen Zuwachsraten Gemäss dieser Theorie entwickeln sich in wie weitere Sozialversicherungen finanzieren
punkto Entwicklung der Arbeitsproduktivi- flexiblen Arbeitsmärkten die Löhne in Sekto- einen substanziellen Anteil der Kosten. Oft-
tät im Mittelfeld. Über den Zeitraum von 1999 ren mit hohen und in Sektoren mit tiefen Pro- mals drücken daher die Preise im Gesund-
bis 2014 wurde das Wertschöpfungswachs- duktivitätssteigerungen – typischerweise der heitswesen die Zahlungsbereitschaft der
tum in der Mehrheit der untersuchten OECD- öffentliche Sektor und andere arbeitsinten- Nutzer nicht adäquat aus. Die fehlende Sig-
Länder hauptsächlich durch zunehmende Be- sive Dienstleistungsbereiche – parallel. Die nalwirkung der Preise impliziert, dass die er-
schäftigung realisiert (siehe Abbildung). Aus- Lohnstückkosten in den wenig produktiven brachten Leistungen der Gesundheitsprodu-
nahmen, die in den vergangenen Jahren ein Sektoren steigen dadurch stetig. Bei einer re-
relativ hohes Produktivitätswachstum ver- lativ unelastischen Nachfrage nach Gesund- 2 Siehe Bates und Santerre (2013) sowie Colombier (2017).
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 41
GESUNDHEITSWESEN
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 43
UNLAUTERER WETTBEWERB
Der Rückgang dürfte zum einen auf eine tech- Während die Beschwerden innerhalb der Eine Verbesserung für die Telefonbenut-
nische Massnahme der Swisscom zurückzu- Schweiz rückläufig waren, verdoppelte sich zer dürfte die geplante Teilrevision des Fern-
führen sein: Seit November 2016 bietet das die Zahl der Reklamationen aus dem Ausland meldegesetzes bringen. So will der Bun-
Telekomunternehmen die Möglichkeit, Num- auf 570 Beschwerden. Die Zunahme ist in ers- desrat Telekomanbieter verpflichten, einen
mern von Werbeanrufern im Fix- und im Mo- ter Linie auf Beanstandungen von Nutzern der Spam-Filter bei Werbeanrufen einzurichten.
bilnetz zu sperren. Zum anderen scheinen die Plattform Viagogo zurückzuführen. Am meis- Ferner soll im UWG eine ausdrückliche ge-
Selbstregulierungsbemühungen der Kran- ten Beschwerden stammten aus Frankreich setzliche Grundlage für den Widerruf und die
kenversicherungsbranche Früchte zu tragen: (211), gefolgt von Grossbritannien (67) und Aus- Sperrung von .ch- und .swiss-Domainnamen
Seit 2016 verpflichten sich die Mitglieder der tralien (47). und von Rufnummern durch die Staatsan-
Branchenverbände Santésuisse und Curafu- Von sämtlichen 2017 eingereichten Be- waltschaft oder das Gericht geschaffen wer-
tura, keine Kunden durch Werbeanrufe zu ak- schwerden stammten 16 729 von Privatper- den.
quirieren. sonen und 967 von Unternehmen.
25 000
20 000
15 000
Abstract Das Parlament berät in der diesjährigen Sommersession abschliessend die grösser geworden. Viele der Abweichungen
Entwürfe zu einem Finanzinstituts- und einem Finanzdienstleistungsgesetz. Bei- dürften sich als unproblematisch erweisen,
de Gesetze sollen den Anlegerschutz erhöhen und die für den Zugang zum europäi- da sie Randbereiche betreffen. Es gibt aber
schen Binnenmarkt nötige Äquivalenz des schweizerischen Rechts zum europäischen auch problematische Punkte.
Finanzmarktrecht herstellen. Ob dies gelingt, muss nach derzeitigem Stand der Be- So ist im internationalen Vergleich eher
ratungen bezweifelt werden. Denn in zentralen Bereichen weicht die Vorlage vom ungewöhnlich, dass die prudenzielle Aufsicht
europäischen Recht ab. Das gilt insbesondere bei der Interessenwahrungs- und Sorg- über sogenannte unabhängige Vermögens-
faltspflicht, aber auch bei den Retrozessionen, bei denen die vorgeschlagene Trans- verwalter durch «Aufsichtsorganisationen»
parenzlösung nach neuesten verhaltensökonomischen Erkenntnissen zu paradoxen und nicht direkt durch die Eidgenössische Fi-
Resultaten führen wird. Diese Punkte erweisen sich aber auch rein national betrachtet nanzmarktaufsicht (Finma) erfolgen soll, wie
als problematisch und sollten daher überdacht werden. es im Finig vorgesehen ist. Da die EU keinen
bestimmten Aufbau der Aufsicht vorschreibt,
dürfte dieser Weg gangbar sein, solange die
KEYSTONE
Mit der Finanzmarktrichtlinie Mifid II will
die EU mehr Transparenz in der Vermögens
beratung schaffen. Die Schweiz muss nun lösung mag auf den ersten Blick vielleicht bei EU-Marktzugang noch unsicher
nachziehen. der Anlageberatung funktionieren, bei der ein
mündiger Anleger sich nach den Retrozes- Will die Schweiz den Zugang zum EU-Binnen-
sionen bei den vorgeschlagenen Anlageob- markt für Finanzdienstleistungen sicherstel-
übrigens. Denn jede Einzeltransaktion hat jekten erkundigen kann. Bei der Vermögens- len, muss sie ihr Recht äquivalent ausgestal-
Auswirkungen auf die Risiken eines vorhan- verwaltung besteht diese Möglichkeit nicht. ten. Ob ihr dies gelingt, ist angesichts der ge-
denen Gesamtportfolios, und deshalb stellt Denn der Verwalter trifft die Anlageentschei- nannten Regelungen des Fidleg jedoch fraglich.
sich die Frage, ob eine rein transaktionsbezo- dungen ohne Rücksprache mit dem Kunden. Darüber hinaus widersprechen diese auch den
gene Beratung überhaupt sinnvoll sein kann. Dieser wird erst im Nachhinein durch den Re- Zielen, die das Fidleg verfolgt. Denn der Anle-
Zudem belastet man mit einer solchen Unter- chenschaftsbericht über die getätigten Ge- gerschutz wird dadurch herabgesetzt und die
scheidung die Branche: Denn es ist im Ein- schäfte informiert. Darin erfährt er allerdings Finanzdienstleister werden mit unnötigen Ab-
zelfall schwierig, zu beweisen, wann welche nicht, ob es alternative Anlageobjekte mit grenzungsproblemen konfrontiert. Diese Punk-
Form der Anlageberatung vorlag. Deshalb weniger oder gar ohne Retrozessionen gege- te sollte man daher nachbessern – nicht zuletzt
wäre es besser gewesen, für die Anlagebera- ben hätte. Der Kunde hat also ein Kontrollpro- auch zum Schutz des inländischen Marktes.
tung generell den Eignungstest vorzuschrei- blem. Deshalb verbietet Mifid II solche Retro- Zu bedenken ist schliesslich, dass der Zu-
ben. Der Finanzdienstleister wird bereits aus- zessionen in der Vermögensverwaltung nun gang zum Binnenmarkt eine weitere Hür-
reichend geschützt, indem er keinen Eig- ganz. Das Fidleg wählt hingegen die deutlich de aufweist: Die Feststellung der Äquiva-
nungstest schuldet, wenn sich ein Kunde unterlegene Transparenzlösung der veralte- lenz des Finanzmarktrechts hat neben der rein
weigert, Angaben zu seinem Gesamtportfo- ten Mifid I. Diese Lösung scheint jedoch auf technischen Seite auch eine politische Kompo-
lio zu machen. den zweiten Blick sogar für die Anlagebera- nente, denn auf einen positiven Bescheid der
Schliesslich stellen auch die Retrozessio- tung kontraproduktiv. Denn die Verhaltens- EU-Kommission besteht kein Anspruch.
nen bei der Vermögensverwaltung ein Prob- ökonomie hat Anzeichen dafür gefunden,
lem dar. Dabei handelt es sich um geldwer- dass manche Kunden durch eine allgemein
te Vorteile oder Sachvorteile, die ein Anla- gehaltene Aufklärung sogar noch sorgloser
geberater oder Vermögensverwalter von werden. Ganz nach dem Motto: «Wenn der
einem Dritten als «Vertriebsentschädigung» Berater mir schon solche schlimmen Sachen
oder «Bestandespflegekommission» an- aufdeckt, kann ich ihm bedenkenlos vertrau-
nimmt. Mifid II verbietet diese bei der Vermö- en.» Nötig wäre also eine Aufklärung über die
gensverwaltung, denn solche Zuwendungen Gefahren im konkreten Einzelfall. Auch beim
schaffen Anreize für Interessenkonflikte und Berater können Fehlanreize entstehen: Die Rolf Sethe
verschleiern den wahren Preis einer Dienst- Transparenz setzt seine Hemmschwelle he- Professor für Privat-, Handels- und Wirt-
leistung. In Mifid I war es noch ausreichend, rab, Zuwendungen in seine Entscheidungen schaftsrecht an der Universität Zürich
den Kunden über die Höhe solcher Zuwen- einfliessen zu lassen – denn er hat den Kun- und Leiter des Universitären Forschungs-
schwerpunkts Finanzmarktregulierung
dungen aufzuklären. Diese Transparenz den ja gewarnt.
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 47
FINANZMÄRKTE
Abstract Die Digitalisierung führt auf dem Markt für Zahlungsdienste zu neuen Pro- E-Commerce-Händlern und den Webpor
dukten und neuen Anbietern aus dem Nichtbankensektor. Das verschärft nicht nur talen der Bank, die einen einfachen Zahlungs
den Wettbewerb, sondern erhöht auch das Risiko von unbefugten Zugriffen auf die vorgang ermöglicht. Bei beiden Diensten ge-
Konten von Bankkunden. Wie sollen die Banken mit diesen neuen Akteuren umgehen? währt die Kundin den Zahlungsdienstleistern
Und wie kann man die Kontosicherheit erhöhen? Die EU hat mit der zweiten Zahlungs- einen direkten Onlinezugriff auf ihr Bankkon-
diensterichtlinie (PSD2) klare Entscheidungen getroffen. Sie forciert die Öffnung der to, indem sie ihre persönliche PIN oder Trans-
Banken gegenüber neuen Anbietern (Fintechs) und erhöht die Sicherheitsanforde- aktionsnummer auf dem Webportal der ex-
rungen bei elektronischen Zahlungsvorgängen. In der Schweiz besteht seitens der ternen Zahlungsdienstleister eingibt. Dieser
Banken Widerstand gegen einen entsprechenden Regulierungsansatz. Mittelfristig Vorgang, den man «screen scraping» nennt,
lassen sich allerdings gewisse regulatorische Eckpunkte für die neuen Anbieter nicht ist anfällig für Hackerangriffe (sogenannte
vermeiden; spätestens dann wird sich aber die Frage einer forcierten Marktöffnung Man-in-the-Middle-Attacken).
für Zahlungsdienste aus dem Nichtbankensektor erneut stellen. Auch in der Schweiz haben sich Konto-
informationsdienste und Zahlungs auslöse
D ie technologiegetriebenen Innovationen
im Zahlungsverkehr haben eine Vielzahl
von neuen Produkten und Anbietern hervor-
von Bankkunden, namentlich durch Hacker
angriffe.
Die EU hat bereits darauf reagiert. Das Auf-
dienste etabliert. Wer diese Dienste nutzt,
trägt zurzeit aber die gesamte Verantwor-
tung für Störvorgänge, insbesondere auch
gebracht. Spontan denkt man an Bitcoin, Et- treten von Anbietern ohne Banklizenz und die für Hackerangriffe auf das Bankkonto. Denn
hereum oder Ripple oder an eine weitere der erhöhte Gefahr von Hackerangriffen wurden die Schweizer Banken untersagen in ihren All-
rund 1500 Kryptowährungen. Diese dienen mit der Revision der ersten Zahlungsdienst- gemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) den
allerdings heute nur selten als Zahlungsmit- erichtlinie aus dem Jahr 2009 angegangen. Kunden, ihre PIN und Transaktionsnummer
tel; sie werden primär als Anlageinstrumen- Die zweite Zahlungsdiensterichtlinie (Second an Externe weiterzugeben.
te eingesetzt. Doch auch im eigentlichen Payments Services Directive, PSD2) gilt seit
Zahlungsverkehr gibt es Innovationsschü- Anfang 2018. EU verbessert Kundenschutz
be, die unübersehbar sind, wie etwa die Ne-
ar-Field-Technologie, die von Apple Pay oder Zahlungsdienste ohne Banklizenz Ganz andere Wege geht die EU mit der PSD2.
der Schweizer Bezahl-App Twint verwendet Die Banken werden darin ausdrücklich ver-
wird. Die neuen Technologien sind in den letz- Mit der neuen EU-Richtlinie PSD2 wer- pflichtet, den Dritten Zahlungsdienstleistern
ten Jahren zur Gewohnheit geworden und ha- den drei Kategorien von sogenannten Drit- den Zugang zu den Konten zu gewähren, falls
ben die Abwicklung von Zahlungsvorgängen ten Zahlungdienstleistern auf dem Markt für die Kunden dies wünschen. Allerdings muss
stark verändert und beschleunigt. Zahlungsdienste zugelassen: Kontoinforma- das über eine separate Schnittstelle gesche-
Getrieben werden die Entwicklungen tionsdienste, Zahlungsauslösedienste und hen, denn das Screen Scraping wird in der EU
nicht zuletzt durch die sogenannten Finanz- Drittemittenten von Zahlungskarten. Letzte- nach einer Übergangsfrist verboten. Zudem
technologieunternehmen (Fintechs). Sie re gibt es auf dem Markt noch nicht, weshalb werden die Banken allgemein zur Koopera-
brechen die traditionelle Wertschöpfungs- sich die gegenwärtige Diskussion auf die ers- tion mit den neuen Zahlungsdienstleistern
kette der Banken auf, nutzen aber vielfach ten beiden konzentriert. verpflichtet: So müssen Überweisungen, die
deren Infrastruktur für die eigene Dienst- Kontoinformationsdienste wie etwa per Zahlungsauslösedienste angestossen
leistung. Ein Zahlungsverkehr ganz ohne Qontis ziehen sämtliche Kontoinformatio- werden, gleich schnell und zu denselben Kos-
Banken, wie ihn die Blockchain-Technolo- nen eines Bankkunden bei den verschiede- ten ausgeführt werden, wie wenn sie von der
gie verspricht, ist momentan noch Wunsch- nen Banken zusammen und erlauben einen Bank selbst vorgenommen werden. Gemäss
denken. benutzerfreundlichen Überblick über des- Richtlinie muss die Bank auch dann mit dem
Das «Surfen auf der Bankinfrastruktur» sen gesamte Finanzlage. Sie werden meist Zahlungsauslösedienst kooperieren, wenn
verschärft die Problematik der Datensicher- mit anderen Diensten, wie Liquiditätstools kein Vertrag zwischen den beiden besteht.
heit und des Datenschutzes, die beim elek- oder Budge tierungs
tools, kombiniert. Bei Das bedeutet, dass die Banken diesen Zugang
tronischen Zahlungsverkehr ohnehin schon den Zahlungsauslösediensten wie zum Bei- unentgeltlich zur Verfügung stellen müssen.
bestehen. Eng damit verbunden ist die Ge- spiel Klarna (früher Sofort GmbH) handelt es Das Trittbrettfahren von Dritten Zahlungs
fahr von unbefugten Zugriffen auf die Konten sich um eine Softwarebrücke zwischen den dienstleistern wird also bewusst gefördert.
KEYSTONE
te neue Zahlungs dienst
leister und fördert
durch den zunehmenden Wettbewerb, dass
Wer in der Schweiz Zahlungsdienstleistungen
von Nichtbanken nutzt, trägt die Verantwortung
die Wertschöpfung im Zahlungsverkehr auch
bei Hackerangriffen selber. unabhängigen Gerät, etwa einem Smart- Drittanbietern offensteht. Gleichzeitig ver-
phone, erhält und mit diesem Code gleichzei- langt sie hohe Sicherheitsstandards und er-
tig mitgeteilt wird, an wen die Zahlung geht weitert den Kundenschutz.
Die EU erhofft sich davon einen verstärkten und welche Summe überwiesen werden soll. In der Schweiz hat sich die Bankiervereini-
Wettbewerb auf dem Markt der Zahlungs- So werden typische Man-in-the-Middle-At- gung in einem Positionspapier vom Septem-
dienste. Für die Dritten Zahlungsdienstleis- tacken erkennbar. ber 2017 gegen eine entsprechende schweize-
ter ist die forcierte Marktöffnung allerdings Zudem werden die hohen Sicherheitsstan- rische Regulierung ausgesprochen. Die Kritik
mit dem Preis einer Regulierung verbunden: dards in der EU nicht nur regulatorisch, son- richtet sich insbesondere gegen den regulatori-
Sie benötigen eine Lizenz, und es gilt für sie dern auch über die Haftungsverteilung durch- schen Zwang zur Marktöffnung für die Konkur-
ein umfangreiches Pflichtenheft bezüglich gesetzt. Verlangt die Bank für die elektronische renz aus dem Nichtbankensektor. Gemäss der
Datenschutz und Datensicherheit. Zahlungsauslösung keine starke Kundenau- Bankiervereinigung stellt dieser einen unnöti-
In der Schweiz werden die Drittanbieter thentifizierung, muss sie den unbefugt ab- gen Eingriff in einen funktionierenden Markt
hingegen nicht reguliert. Konkret bedeutet gezogenen Betrag auch dann ersetzen, wenn dar. Zudem sei die Öffnung aus Sicherheits-
das, dass diese Dienstleister nach wie vor die Kundin sich im Umgang mit ihren persönli- gründen bedenklich, und die Kunden müssten
das Screen Scraping betreiben dürfen und chen Legitimationsmitteln grob fahrlässig ver- die damit verbundenen Kosten tragen.
die Kunden das volle Risiko für Fehlvorgän- halten hat. Nur gerade bei betrügerischer Ab- Die PSD2 ist keine leicht verdauliche Regu-
ge tragen. sicht kann die Bank also das Risiko einer unau- lierungskost. Sie hat aber den Vorteil, dass die
torisierten Transaktion auf die Kundin abwäl- neuen Anbieter von Zahlungsdiensten in die
Unbefugter Zugriff zen. Darüber hinaus begrenzt die EU das Risiko Regulierung eingebunden sind. Das schafft
der Kunden selbst bei einem starken Kunden- für die Nutzer von Zahlungsdiensten mehr
auf Bankkonten authentifizierungsverfahren auf 50 Euro, wenn Sicherheit. Mittelfristig ist es unvermeidbar,
Auch beim heute wohl grössten Risiko im diese leicht fahrlässig gehandelt haben. Aller- dass man für diesen Sektor regulatorische
elektronischen Massenzahlungsverkehr, den dings sollten solche Konstellationen nach Ein- Eckpunkte setzt. Dann wird man allerdings
Hackerangriffen, geht die EU andere Wege als führung der starken Kundenauthentifizierung auch die Frage eines regulatorisch vorgege-
die Schweiz. So verpflichtet die PSD2 die Ban- nicht mehr vorkommen. Denn: Wer trotz An- benen Open Banking erneut diskutieren müs-
ken im Zusammenhang mit elektronischen gabe des Zahlungsempfängers und des Über- sen, bei dem auch Drittanbieter Zugang zum
Zahlungsvorgängen regulatorisch zu einer weisungsbetrags eine unbefugte Zahlung frei- Markt für Zahlungsdienstleister haben.
sogenannten starken Kunden authentifi gibt, muss sich grobe Fahrlässigkeit vorhalten
zierung. Das bedeutet, dass die persönlichen lassen.
Legitimationsmittel aus mindestens zwei un- Anders in der Schweiz: Zwar hat sich auch
abhängigen Authentifizierungselementen hier die 2-Faktoren-Authentifizierung mit PIN
bestehen müssen und der Zahlungsvor- und Transaktionsnummer etabliert, aber die
gang dynamisch mit der Überweisungssum- wenigsten Finanzin stitute bieten eine star-
me und dem Zahlungsempfänger verknüpft ke Kundenauthentifizierung nach dem EU-
sein muss. Die Freigabe eines Online-Zah- Muster an. Zudem sehen die AGB der Schwei-
lungsvorgangs, der beispiels weise per PIN zer Banken vor, dass eine Zahlung immer dann Susan Emmenegger
und Transaktionsnummer am Computer aus- als autorisiert gilt, wenn sie unter Verwen- Professorin für Privat- und Bankrecht und
gelöst wird, kann nur erfolgen, wenn die Kun- dung der personalisierten Legitimationsmit- Direktorin des Instituts für Bankrecht, Uni-
versität Bern
din zusätzlich einen weiteren Code auf einem tel erfolgt. Das Risiko für Hackerangriffe trägt
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 49
FINANZMÄRKTE
Abstract Im Herbst 2008 haben Bund, Nationalbank und Eidgenössische Bankenkom- BIP nach 2008 ab, weil die Schweizer Wirt-
mission (heute Finma) die UBS mit einem Rettungspaket vor der Insolvenz gerettet. Ein schaft international stark verflochten ist. An-
Grund für diese Notfallmassnahme waren die ungenügenden Eigenmittelvorschriften ders als in zahlreichen anderen Staaten muss-
von Basel II. Der Artikel zeigt, dass die UBS heute unter Anwendung der verschärf- te in der Schweiz allerdings kein Finanzinsti-
ten Eigenmittelvorschriften von Basel III krisenresistenter wäre und kein staatliches tut definitiv geschlossen oder mit staatlicher
Rettungspaket benötigen würde, um die zwischen 2007 und 2009 erlittenen Verluste Hilfe mit einem gesunden Institut fusioniert
zu absorbieren. Die Ende 2017 öffentlich kommunizierte Weiterentwicklung der Re- werden.
gulierung (Basel IV) wird allerdings die künftig erforderliche Kapitalausstattung ver- Auch die Schweizer Grossbanken UBS
ändern, da die Summe der zu unterlegenden risikogewichteten Aktiven für Banken mit und Credit Suisse (CS) waren gemäss den
eigenständigen Risikobewertungsmodellen höher ausfällt. Offen bleibt, ob und allen- Rechnungslegungsvorschriften von IFRS
falls inwieweit die Umsetzung in das schweizerische Recht zu einer Verschärfung der und US GAAP gezwungen, hohe Wertbe-
gegenwärtigen Eigenmittelanforderungen für die beiden Grossbanken UBS und CS richtigungen zu verbuchen, insbesonde-
führen wird. re bei den US-Subprime-Obligationen (Fair
KEYSTONE
FINANZMÄRKTE
Value-Accounting). Die UBS realisierte von –– Szenario 1: Berechnung auf Basis der Ende (sog. Basel IV).6 Die im Zieljahr 2027 zu er-
2007 bis 2009 deutlich höhere Verluste als 2017 effektiv vorhandenen Eigenmittel der reichende CET1-Quote sinkt dadurch um
die CS (siehe Tabelle 1). Doch beide konn- UBS-Gruppe, berechnet nach Basel-III-Vor- 3,2 Prozentpunkte, die Quote des regu-
ten ihre Resilienz vorerst dank der Aufnah- schriften, wie sie Anfang 2020 in Kraft tre- latorischen Gesamtkapitals sinkt um 4,1
me neuen Eigenkapitals am Markt erhö- ten. (sogenannter Look-through-Ansatz).5 Prozentpunkte.7
hen. Aufgrund des Konkurses von Lehman –– Szenario 2: Berechnung auf Basis der per
Brothers reichten für die UBS die aus eige- 31.12.2017 effektiv vorhandenen Eigen- Gemäss Szenario 1 betrug das effektiv vor-
ner Kraft beschafften Mittel allerdings nicht mittel der UBS-Gruppe. Im Unterschied handene harte Kernkapital (CET1) Ende 2017
mehr aus. Im September 2008 schwanden zu Szenario 1 werden die risikogewich- 13,8 Prozent der RWA. Die von 2007 bis 2009
ihre Refinanzierungsmöglichkeiten und das teten Aktiven nach den Beschlüssen des erzielten Verluste betragen 6,5 Prozent der
öffentliche Vertrauen so stark, dass sie im Basler Ausschusses für Bankenaufsicht
Oktober 2008 ein Rettungspaket des Bunds (BCBS) vom Dezember 2017 berechnet
und der Nationalbank (SNB) benötigte. Die- 6 Für die UBS wird von einem Anstieg der RWA um 30,6
Prozent ausgegangen, dies aufgrund einer unterstell-
ses bestand aus einer Kapitalbeteiligung ten Risikodichte von 35 Prozent. Siehe SNB (2017). Alle
des Bunds von 6 Milliarden und aus einer 5 Verluste UBS ohne Rekapitalisierung, Betrachtung auf anderen Vorschriften (insbesondere der Swiss Finish)
Basis Look-through (d. h. gemäss Regeln per 31.12.2019). bleiben unverändert.
Auslagerung von illiquiden Aktiven im Um- Quelle für die Daten von Szenario 1: UBS, 31 December 7 Der angenommene Rückgang der CET1-Quote liegt
fang von rund 44 Milliarden Schweizer 2017 Pillar 3 Report. UBS Group and Significant Regula- zwischen der Schätzung der Citibank von 1,8 und von
ted Subsidiaries and Sub-groups, Eligible Loss-absor- Morgan Stanley mit 4,2 Prozentpunkten. Siehe «Finanz
Franken in eine «Bad Bank» (Stabfund), in bing Capacity, S. 87. Online auf Ubs.com. und Wirtschaft», 9.12.2017, S. 8–9.
der die SNB federführend war.2 Das Vertrau-
en konnte so weitgehend wiederhergestellt
werden. Trotz dieser aus heutiger Sicht ge-
lungenen Rettung, die Bund und SNB einen Tabelle 1: Gewinn und Marktkapitalisierung von UBS und Credit Suisse
Gewinn von rund 6 Milliarden bescherte, (2006–2012), in Mrd. Franken
hat sich die Marktkapitalisierung der bei- 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
den Grossbanken zwischen 2006 und 2012 UBS-Gruppe
um rund zwei Drittel verringert. Reingewinn* 12,3 –5,2 –21,3 –2,7 7,5 4,2 –2,5
Aufgrund der Krisenanfälligkeit der sys- Eigenkapital* 49,7 36,9 32,5 41,0 46,8 53,4 45,9
temrelevanten Banken und der Too-big-to- Marktkapitalisierung 154,0 109,0 44,0 57,0 59,0 43,0 55,0
fail-Problematik wurden mit Basel III die
Credit-Suisse-Gruppe
globalen Standards der Bankenregulierung
Reingewinn* 11,3 7,8 –8,2 6,7 5,1 2,0 1,3
der Bank für Internationalen Zahlungsaus-
JANS (2018), S. 47
Eigenkapital* 58,9 43,2 32,3 37,5 33,3 33,7 35,5
gleich angepasst (siehe Kasten). Die neuen
Anforderungen an die Eigenmittel müssen Marktkapitalisierung 91,0 76,0 34,0 61,0 44,0 27,0 29,0
bis Anfang 2020 vollständig erfüllt werden. *Den Aktionären zurechenbar
Die Schweiz hat diese Schritte mitgetra-
gen und frühzeitig in ihr nationales Recht
transformiert.3 Was hat sich mit diesen Vor-
Tabelle 2: Eigenmittel der UBS (2017) und Verluste (2007–2009), in Prozent der
schriften für die UBS geändert?
risikogewichteten Aktiven (RWA)
Szenario 1 Szenario 2
Der Fall UBS (Zieljahr 2020) (Zieljahr 2027)
Die UBS erzielte 2007 bis 2009 Verluste Hartes Kernkapital (CET1) 13,8 10,6
von 6,5 Prozent der risikogewichteten Ak- High-Trigger-LA-Tier-1-Kapital (Trigger 7% RWA) 2,9 2,2
tiven (RWA).4 Die nachfolgende Analyse soll Low-Trigger-LA-Tier-1-Kapital (Trigger 5,125% RWA) 1,0 0,8
aufzuzeigen, ob die Ende 2017 effektiv vor- Total Gesamtkapital 17,7 13,6
handenen Eigenmittel diese Verluste ohne
Verluste 2007–2009 6,5 6,5
staatliches Rettungspaket hätten absorbie-
ren können. Eine rein hypothetische, mit Hartes Kernkapital CET1 minus Verluste 2007–2009 7,3 4,1
Vereinfachungen arbeitende Überschlags- Zielwert hartes Kernkapital (CET1) 10,0 10,0
rechnung soll dies beantworten. Unter- Manko hartes Kernkapital CET1 (zu 10%) 2,7 5,9
schieden werden dabei zwei Szenarien: Trigger-CET1-Quote (LA-Tier-1-Kapital) 7,0 7,0
Hartes Kernkapital (CET1) inkl. gewandelten High-Trigger- 7,3 6,3
2 Vgl. Jans/Passardi (2012), S. 501. Der vollständig von LA-Tier-1-Kapitals
der SNB beherrschte Stabfund führte dazu, dass die
Nationalbank eine Konzernrechnung erstellen musste
Gesamtkapital minus Verluste 11,2 7,1
EIGENE BERECHNUNGEN DER AUTOREN
RWA (siehe Tabelle 2).8 Nach Verrechnung die- Szenarien würde der «Point of Non-Viability» chende Diskussion auf adäquat aufbereiteten
ser Verluste verbleibt eine CET1-Quote von von 5,125 Prozent10, bei dem es zu einer ge- Daten basieren, welche die Unterschiede in
7,3 Prozent (13,8%–6,5%). Ende 2017 verfüg- ordneten Abwicklung der Bank käme, nicht der Berechnung der RWA nach den verschie-
te die UBS über High-Trigger-Additional-Loss- erreicht. denen Ansätzen offenlegt. Unsere Berech-
Absorbing-Tier-1-Anleihen mit einem Schwel- nung ist dazu, aufgrund nicht öffentlich publi-
lenwert von 7 Prozent CET1 im Umfang von Lockerung der Eigenmittel zierter Daten, leider nicht in der Lage.
2,9 Prozent der RWA. Solche Anleihen wer-
den beim Unterschreiten des Schwellenwer-
anforderungen gefährlich
tes («Trigger») automatisch in Eigenkapital ge- Gemäss unseren Berechnungen war die UBS
wandelt. Da die CET1-Quote nach Abdeckung Ende 2017 also deutlich krisenresistenter als
der Verluste nicht unter 7 Prozent sinkt, wird im Oktober 2008. Mit den Ende 2017 vor-
dieser Schwellenwert nicht unterschritten, handenen Eigenmitteln hätte sie 2008 ohne
sodass die Anleihen (unter Anwendung der staatliches Rettungspaket fortgeführt wer-
Vorschriften von Basel III) nicht in Eigenkapi- den können. Allerdings hätte sie ihre Eigen-
tal umgewandelt werden müssen. mittel innerhalb der vereinbarten Frist wieder Armin Jans
In Szenario 2 sinkt die CET1-Quote nach auf das vorgeschriebene Zielniveau anheben Professor emeritus für Volkswirtschaftsleh-
Abzug der Verluste auf 4,1 Prozent (10,6%– müssen. re, ehemals School of Management & Law,
ZHAW Winterthur
6,5%). Deshalb müssen die dafür vorgese- Ein Einwand bleibt: Die Beschlüsse des
henen High-Trigger-Additional-Loss-Absor- BCBS bezüglich der neuen Berechnungs-
bing-Tier-1-Anleihen in hartes Kernkapital methoden für die RWA vom Dezember 2017
umgewandelt werden, die Gläubiger müssen (sog. Basel IV) müssen erst in schweizerisches
auf ihre Zinsforderungen verzichten und wer- Recht umgesetzt werden, bevor sie Rechts-
den zu Aktionären der Bank. Das harte Kern- kraft erlangen. In Szenario 2 wurde ange-
kapital steigt aufgrund dieser Massnahme auf nommen, dass die gegenwärtigen Eigenmit-
6,3 Prozent der RWA (4,1% zuzüglich 2,2%). telanforderungen im Swiss Finish, welche bei
Bei beiden Szenarien würde die gefor- der Kernkapitalquote und der ungewichteten
derte Zielquote von 10 Prozent für das har- Kapitalquote über die internationalen Vorga- Christoph Lengwiler
te Kernkapital CET1 und von 14,3 Prozent für ben nach Basel III hinausgehen, unverändert Professor für Banking und Finance, Institut
das Gesamtkapital somit unterschritten. Die bleiben. Es ist allerdings zu erwarten, dass die für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ), Hoch-
schule Luzern
minimale Gesamtkapitalquote von 8 Pro- beiden Grossbanken den Swiss Finish lockern
zent würde nur in Szenario 1 erreicht. Da die- wollen. Sollte ihnen dies gelingen, würde sich
se Zielquoten in Szenario 1 erst im Jahr 2020 das Eigenmittelmanko in Szenario 2 entspre-
und in Szenario 2 erst 2027 zu erreichen sind, chend reduzieren.
müsste die UBS der Finma in der Zwischen- Aber Vorsicht: Die beiden Grossbanken
zeit aufzeigen, mit welchen Massnahmen sind im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft sehr
und innerhalb welcher Frist sie diese errei- bedeutend, und entsprechend besteht immer
chen kann. Mögliche Lösungswege wären noch eine hohe Risikoexposition. So erreichte
etwa eine Kapitalerhöhung, das Einbehal- 2016 ihre aggregierte Bilanzsumme 270 Pro-
ten von Gewinnen (geringere oder gar keine zent des Schweizer Bruttoinlandproduktes. Marco Passardi
Gewinnausschüttung) oder eine angepasste Eine Lockerung des Swiss Finish wäre deshalb Professor für Accounting, Institut für
Entschädigungspolitik. kaum zielführend. Zudem sollte eine entspre- Finanzdienstleistungen Zug (IFZ), Hoch-
Zwischen 2015 und 2017 erzielte die UBS schule Luzern und Lehrbeauftragter an den
Universitäten Zürich und Neuenburg
kumuliert rund 10,8 Milliarden Franken Ge- 10 Vgl. Art. 132 Abs. 4 ERV.
winn.9 Das sind 4,5 Prozent der RWA. Mit
etwa zwei Dritteln dieser Ertragsüberschüsse
Literatur
könnte die UBS in Szenario 1 das Eigenmittel-
BCBS (2017). Basel III: Finalising FSB (2015). Historical Losses and Passardi, Marco; Jans, Armin (2018).
manko von 3,1 Prozent bis 2020 ausgleichen. Post-crisis Reforms, Basel. Recapitalisation Needs, Findings Eigenmittelvorschriften, in: Jans,
In Szenario 2 würde hingegen selbst eine voll- Bundesrat (2017). Bericht des Report, 9.11.2015, Table A1, S. 23; Armin; Lengwiler, Christoph; Pass-
ständige Einbehaltung der Gewinne während Bundesrates zu den system- UBS: Figure 1–2, S. 8. ardi, Marco: Krisenfeste Schweizer
relevanten Banken (Evaluation Jans, Armin (2018). Einführung, S. Banken?, Zürich, S. 177–200.
dreier Jahre nicht ausreichen. Allerdings liegt gemäss Artikel 52 Banken- 27–56, in: Jans, Armin; Lengwiler, PricewaterhouseCoopers (2017).
in diesem Szenario das Zieljahr auch erst im gesetz), 28.6.2017. Christoph; Passardi, Marco: Krisen- Basel IV: «Big Bang» oder «the
Jahr 2027. EFD (2018). Erläuternder Bericht feste Schweizer Banken?, Zürich. Endgame of Basel III»: BCBS ver-
zur Änderung der Eigenmittelver- Jans, Armin; Passardi, Marco (2012). öffentlicht die finale Reform der
In der Realität müsste die UBS der Finma ordnung (Gone-concern-Kapital, Hätte die UBS 2008 unter Basel III Risk-Weighted Assets (RWA).
in einem solchen Fall eine Frist zur Zielerrei- Beteiligungsabzug und weitere kein Rettungspaket benötigt, in: Scheffler, Falk; Buchs, Arno (2018).
chung vorschlagen. Kann die UBS das Ziel in- Anpassungen) vom 23. Februar Der Schweizer Treuhänder, 8/2012, Problematik der Risk-Weighted
2018. S. 498–503. Assets, S. 201–230, in: Jans, Armin;
nerhalb der Frist nicht erfüllen, kann die Fin- European Banking Authority (2016). Jans, Armin; Passardi, Marco (2018). Lengwiler, Christoph; Passardi,
ma Schutzmassnahmen anordnen. In beiden Cumulative Impact Assessment of Regulierungskritik, S. 669–710, in: Marco: Krisenfeste Schweizer
the Basel Reform Package, London. Jans, Armin; Lengwiler, Christoph; Banken? Zürich.
8 Vgl. FSB (2015). Passardi, Marco: Krisenfeste Schweizerische Nationalbank (2017).
9 Den Aktionären zurechenbares Konzernergebnis, nach Schweizer Banken?, Zürich. Financial Stability Report 2017.
Steuern.
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 53
FINANZMÄRKTE
Abstract Die digitale Innovationsfähigkeit ist die Grundlage jedes erfolgreichen rale Clearingstelle und ist durch die dezentral
Finanzplatzes. Die Schweiz befindet sich erfreulicherweise in der Gruppe der global gespeicherten Datensätze besser vor exter-
führenden Standorte für innovative Finanztechnologie. Das trifft insbesondere in nen Angriffen geschützt. Die einzelnen Ein-
den Bereichen Blockchain und Kryptowährungen zu. Die zahlreichen Anwendungs- träge sind zudem aufgrund ihrer gegenseiti-
möglichkeiten der Blockchaintechnologie dienen sowohl der Entwicklung neuer gen Verknüpfung im Nachhinein nicht mehr
Geschäftsmodelle als auch der Effizienzsteigerung bei bisherigen Aktivitäten. Es manipulierbar. Gleichzeitig werden aber eta-
gilt, Innovationen rund um die Blockchaintechnologie zu fördern, aber auch die Ri- blierte Intermediäre und ihre bisherigen Ge-
siken durch regulatorische Massnahmen zu minimieren. Nur wenn die global besten schäftsmodelle durch die Blockchain vor
Rahmenbedingungen vorherrschen, wird die Schweiz im globalen Standortwettbe- grundlegende Herausforderungen gestellt.
werb weiterhin führend sein und im Inland Wachstum und Wertschöpfung fördern Sie müssen deshalb stärker auf ihr Know-how
können. in Finanzgeschäften, auf ihre breite Kunden-
basis und auf das grosse Vertrauen, das sie
geniessen, fokussieren.
11,7% 15,5%
keit bleibt das Vertrauen der Kunden in die 16,3%
50 16,7%
Dienstleister jedoch eine unabdingbare Kon- 17,9% 21,1% 24,1%
1 Institut für Finanzdienstleistungen Zug (2018). IFZ Distributed-Ledger-Technologie (bspw. Blockchain, Smart Contracts) Bankeninfrastruktur Datenanalyse
FinTech Studie. Einlagen und Kredite Anlageverwaltung Zahlungsverkehr
tut für das traditionelle Fiatgeld. Denn die genössische Finanzmarktaufsicht (Finma) Auch grenzüberschreitende Zahlungen
drei Grundfunktionen von Geld, als Zah- hat in diesem Zusammenhang im Februar könnte die Blockchain effizienter, transpa-
lungsmittel, als Wertaufbewahrung oder als 2018 als eine der weltweit ersten Aufsichts- renter und günstiger durchführen. Dasselbe
Wertmessung, erfüllen die heutigen Kryp- behörden die unterschiedlichen Tokens hin- gilt für Handelsfinanzierungen und Lieferket-
towährungen nur bedingt. Die Transferkos- sichtlich ihrer Funktion als Zahlungsmittel, ten: Die heute noch vornehmlich papierba-
ten und die Transaktionsdauer der bisheri- Wertpapier oder Nutzungszugang für digi- sierten Transaktionen sind meist schwerfäl-
gen Kryptowährungen sind deutlich höher tale Dienstleistungen systematisiert.2 Da- lig und anfällig für Betrug. Basierend auf der
als bei konventioneller elektronischer Über- mit legt sie die Grundlage für eine zukünfti- Blockchain und mithilfe von Smart Contracts
weisung. Die starken Fluktuationen inner- ge Regulierung, die Rechtssicherheit schaf- könnten wichtige Dokumente digitalisiert,
halb weniger Stunden machen sie zudem als fen und Missbräuchen vorbeugen soll. der Güterverkehr laufend verfolgt und Be-
Wertaufbewahrungs- und Wertmessungs- trugsversuche minimalisiert werden.
mittel ungeeignet. Zurzeit arbeiten daher Effizienzsteigernde Anwendungen Einsatzmöglichkeiten gibt es auch bei der
viele Herausgeber von Kryptowährungen digitalen Identität. Seit letztem Jahr stellt die
daran, die Transaktionszeit und die Energie- Eine weitere Anwendung der Blockchaintech- Stadt Zug ihren Einwohnern im Rahmen eines
kosten markant zu senken. nologie sind sogenannte Smart Contracts. Pilotprojekts eine Blockchain-basierte digi-
Im Zusammenhang mit Kryptowährun- Diese ermöglichen die automatisierte Aus- tale Identität zur Verfügung. Damit soll bei-
gen haben auch die Initial Coin Offerings führung von zuvor definierten Vertragsbe- spielsweise ein einfacherer Zugang zu allen
(ICOs) deutlich zugenommen. Mit ICOs dingungen. Dadurch können beispielsweise elektronischen Behördendienstleistungen
können Firmen öffentlich und unbürokra- Vermögenswerte für eine bestimmte Zeit zu- oder ein digitalisiertes Parking-Management
tisch Kapital für unternehmerische Zwecke rückgehalten werden wie im Falle einer Eigen- ermöglicht werden.3 Mit einem ähnlichen An-
beschaffen, denen andere Finanzierungs- tumsübertragung nach erfolgter Zahlungs- satz könnten auch Legitimationsprüfungen
möglichkeiten bislang verwehrt blieben. Im abwicklung. Ausserdem kann so eine vertrag- bei Banken zur Verhinderung von Geldwä-
vergangenen Jahr haben Start-ups in der lich festgelegte Auszahlung, zum Beispiel für sche und Terrorismusfinanzierung effizienter
Schweiz damit über 270 Millionen Schwei- eine Versicherungsleistung bei Eintritt eines und transparenter durchgeführt werden, in-
zer Franken erhalten, was deutlich über den Schadenfalls, ausgelöst werden. Smart Con-
3 Siehe «Blockchain-basierte digitale ID für alle Ein-
rund 130 Millionen Schweizer Franken durch tracts gewährleisten damit eine hohe Erfül- wohner jetzt erhältlich», Medienmitteilung der Stadt
traditionelles Risikokapital liegt (siehe Abbil- lungsgarantie zu niedrigen Kosten. Zug vom 15. November 2017.
dung 2). Bei ICOs werden digitale Tokens he-
rausgegeben, mit denen der Anleger unter- 2 Finma (2018). Wegleitung für Unterstellungsfragen In Zug ist man innovativen Technologien wie
schiedliche Rechte erwerben kann. Die Eid- betreffend Initial Coin Offerings (ICOs). Blockchain nicht abgeneigt. Stadtpräsident Dolfi
Müller präsentiert die städtische digitale ID.
KEYSTONE
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 55
FINANZMÄRKTE
dem redundante Datensilos abgeschafft und tiven lanciert, um die regulatorischen Rah-
Abb. 2: Kapitalbeschaffung von
erfasste Daten bankenübergreifend verfüg- menbedingungen weiter zu optimieren. Dazu
Start-ups nach Finanzierungsart,
bar gemacht würden. gehört die Arbeitsgruppe Blockchain4, die bis
in Mio. Franken (2017)
Ende 2018 klare Empfehlungen für die weitere
Herausforderungen für Entwicklung des Themas Blockchain für den
59,8 Finanzplatz Schweiz ausarbeiten wird.
die Schweiz Auch die Schweizerische Bankiervereini-
Der Schweizer Finanzplatz befindet sich in gung steht diesbezüglich in engem Kontakt
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Abstract In den letzten 45 Jahren ist den Rezessionen in den USA immer eine soge- regelmässig eine Zinsinversion vorausgegan-
nannte Zinsinversion vorausgegangen, bei welcher die kurzfristigen Zinsen über den gen ist (siehe Abbildung 1). Vor jeder US-Re-
langfristigen Zinsen liegen. Dieses Muster ist so deutlich, dass es sich kaum leugnen zession befanden sich die kurzfristigen Zin-
lässt. Allerdings gibt es viele mögliche Erklärungsansätze, wie sich eine Zinsinversion sen oberhalb oder gleichauf mit dem Niveau
kausal auf den Konjunkturverlauf auswirkt. Dieser Artikel vertritt die Auffassung, dass der langfristigen Zinsen. Direkt nach Aus-
die Aktienmärkte die Zinsinversion als Vorzeichen deuten und die Zukunft schlechter bruch der Wirtschaftskrise drückte die Zen-
bewerten. Der Zusammenhang zwischen Zinsinversion und Konjunktur scheint auch tralbank die kurzfristigen Zinsen jeweils wie-
jetzt wieder bedeutsam. Denn die aktuellen Zinsdaten zeigen auffällige Bewegungen der nach unten und produzierte so ein «nor-
am Rand. males» Zinsumfeld.
Natürlich ist jede Rezession der Wirt-
schaftsaktivität ein Einzelfall, und es gibt für
Regelmässiger Vorläufer
Es gibt viele mögliche Erklärungen für den
Zusammenhang zwischen einer Rezession
und einer Zinsinversion. Eine lautet, dass es
bei einer Zinsinversion für das Bankensystem
unattraktiv wird, Kredite zu sprechen. Denn
KEYSTONE
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 57
FINANZMÄRKTE
Denn letztlich ist ja der kurzfristige Zins damit Inflationstendenzen wenn möglich Fallende Aktienkurse als Reaktion
ein Politikinstrument der Zentralbank. Und so im Keime zu ersticken – eben beispielswei-
ist es auch kein Zufall, dass den meisten sol- se mit der Zinspolitik. Die Zinsinversion löst Erhellend ist ein Blick auf die Aktienbörsen.
chen Zinskonstellationen ein Anstieg der In- sich sofort wieder auf, wenn der Wirtschafts- Denn dort wird die Zukunft fundamentaler
flationsraten vorausgeht. Schliesslich ist es abschwung einsetzt und der Inflationsüber- Unternehmensdaten gehandelt. Nämlich die
die Hauptaufgabe der Zentralbank, für eine druck aus dem System entweicht (siehe Ab- Erwartungen bezüglich Umsätzen, Gewin-
stabile Kaufkraft der Währung zu sorgen und bildung 1). nen und Renditen. Bei positiven oder nega-
tiven Anzeichen, welche die gegenwärtigen
Einschätzungen relativieren, werden die Be-
Abb. 1: Rezessionen und Zinsstruktur in den USA (1972–2018) wertungen sofort angepasst. Eine plötzliche
25 Zins in % Inversion der Zinsstrukturkurve könnte ein
solches Anzeichen sein. Wenn sich aufgrund
einer neuen Zinskonstellation der Konjunk-
20
turhimmel verdunkelt, werden die Aktienbe-
wertungen sofort nach unten angepasst.
15 Diese Hypothese wäre dann bestätigt,
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kurzfristige Geldmarktzinsen (3-Monats-Sätze, Treasury Bill Rate) einem Abschwung ansetzen. Entsprechend
langfristige US-Zinsen (Rendite 10-jähriger Staatsanleihen) Zinsinversionen
ist es denn auch kein Zufall, dass in verschie-
Rezessionsphasen des realen US-Bruttoinlandprodukts
denen Ländern die Aktienkurse zu den vor-
auslaufenden Indikatoren der Konjunkturent-
wicklung gehören.
Abb. 2: Rezessionen und Aktienkurse in den USA (1972–2018)
Heute herrscht eitel Sonnenschein an der
3200 Index
Konjunkturfront. Es ist die beste Situation, die
man sich vorstellen kann: tiefe Inflationsraten,
1600
gutes Wachstum, erfreuliche Unternehmens-
gewinne, Optimismus überall. Doch wie wird
800
sich die Zinskurve entwickeln? Die Zentralban-
ken werden über kurz oder lang die in der Fi-
REUTERS, DATASTREAM / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
400
nanzkrise geschaffene Liquidität abschöpfen
müssen. Das wird kaum ohne Zinssteigerungen
200
vonstattengehen. In der Tat bewegt sich die
Zinsstruktur in den USA bereits auf eine Zins-
100 inversion zu, wie die sich angleichenden Kurven
in Abbildung 1 zeigen. Deswegen lohnt es sich,
0 in den nächsten Monaten die US-Zinsstruktur
sehr genau zu beobachten. Sollten wir weiter in
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Wirtschaftskennzahlen
Auf einen Blick finden Sie hier die Kennzahlen Bruttoinlandprodukt, Erwerbslosenquote und Inflation von acht Ländern, der EU und
der OECD. Zahlenreihen zu diesen Wirtschaftszahlen sind auf www.dievolkswirtschaft.ch aufgeschaltet.
Bruttoinlandprodukt: Bruttoinlandprodukt:
Reale Veränderung in % gegenüber dem Reale Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal1
Vorjahr
2017 4/2017 3/2017 2/2017 1/2017
Schweiz 1,0 Schweiz 0,6 0,6 0,3 0,3
Deutschland 2,2 Deutschland 0,6 0,8 0,6 0,7
Frankreich 1,8 Frankreich 0,6 0,5 0,5 0,5
Italien 1,5 Italien 0,3 0,5 0,4 0,4
Grossbritannien 1,7 Grossbritannien 0,4 0,4 0,3 0,2
EU 2,4 EU 0,6 0,6 0,6 0,5
USA 2,3 USA 0,6 0,8 0,8 0,3
Japan 1,6 Japan 0,1 0,3 1,0 0,4
China 6,8 China 1,6 1,7 1,7 1,3
OECD 2,5 OECD 0,6 0,6 0,7 0,5
Inflation: Inflation:
Veränderung in % gegenüber dem Vor- Veränderung in % gegenüber dem
jahr Vorjahresmonat
2017 März 2018
Schweiz 0,5 Schweiz 0,8
Deutschland 1,7 Deutschland 1,6
Frankreich 1,0 Frankreich 1,6
Italien 1,2 Italien 0,8
Grossbritannien 2,7 Grossbritannien 2,5
EU 1,7 EU 1,5
SECO, BFS, OECD
Die Volkswirtschaft 6 / 2018 59
Brot und Kartoffeln
sind «inferiore Güter»
Ein inferiores Gut ist ein Produkt, bei dem die Nachfrage bei steigendem Einkommen absolut abnimmt. Dies ist oft bei Grund-
nahrungsmitteln der Fall, zu denen auch Brot und Kartoffeln gehören. Mit einem höheren Lebensstandard ist die Nachfrage nach
diesen Produkten zurückgegangen. Gleichzeitig hat die Vielfalt der aus Getreide oder Kartoffeln hergestellten Produkte zugenom-
men. Diese Güter müssen nicht mehr zwingend inferior sein. Die Nachfrage nach ihnen kann mit steigendem Einkommen sogar
zunehmen und sie damit zu normalen oder superioren Gütern machen.
Verzehr pro Kopf und Tag, Verzehr pro Kopf und Tag
in % aller Ausgaben
19. Jahrhundert 2015 19. Jahrhundert 2015
Diversifizierung des Konsums BFS, BLW, HISTORISCHES LEXIKON DER SCHWEIZ, SCHWEIZER BROT, SWISSPATAT / SHUTTERSTOCK / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Dem rückläufigen Konsum von Brot und Kartoffeln steht eine Diversifizierung gegenüber: Wenn man nicht
nur das Brot, sondern alle Getreideprodukte betrachtet, bleibt der Konsum insgesamt stabil, da Substitutions-
güter (z. B. Reis) oder verarbeitete Getreideprodukte wie Pasta hinzukommen. Ähnliches gilt für die Kartoffel:
Von den heute verzehrten 125 Gramm pro Tag handelt es sich nur bei 51 Gramm um unverarbeitete Kartoffeln,
die restlichen 74 Gramm entfallen auf Verarbeitungsprodukte.
IM NÄCHSTEN FOKUS
Wie steht es um die Bildung in der Schweiz? Dieser Frage ist der dritte nationale Bil-
dungsbericht von Bund und Kantonen nachgegangen, der im Juni erscheint. Im nächsten
Fokus befassen wir uns mit den Herausforderungen in der Bildungspolitik. So dringt die
Digitalisierung immer stärker in die Schulzimmer, Berufslehrstätten und Vorlesungssäle
vor. Mögliche Lösungen sind eine übergeordnete Berufsbildungsstrategie und eine klar
geregelte Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen.
IMPRESSUM
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Bildung und Forschung WBF, Staatssekretariat für Für Studierende kostenlos
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Redaktionsausschuss 91. Jahrgang, mit Beilagen.
Eric Scheidegger (Leitung), Antje Baertschi, Kontakt
Susanne Blank, Eric Jakob, Evelyn Kobelt, Holzikofenweg 36, 3003 Bern Der Inhalt der Artikel widerspiegelt die Auffassung
Cesare Ravara, Markus Tanner, Nicole Tesar Telefon +41 (0)58 462 29 39 der Autorinnen und Autoren und deckt sich
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