Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Die Volkswirtschaft
Plattform für Wirtschaftspolitik
FOKUS
Wie die Digitalisierung
die Arbeitswelt
verändert
Wichtiger HINWEIS !
Innerhalb der Schutzzone (hellblauer Rahmen) darf
kein anderes Element platziert werden!
Ebenso darf der Abstand zu Format- resp. Papierrand
die Schutzzone nicht verletzen!
Hellblauen Rahmen der Schutzzone nie drucken!
Siehe auch Handbuch
„Corporate Design der Schweizerischen Bundesverwaltung“
Kapitel „Grundlagen“, 1.5 / Schutzzone
www. cdbund.admin.ch
EDITORIAL
Fokus
6 11 16
Arbeitskräfte auf den Schweizer Arbeitsmarkt gut Wissensintensive Branchen
Wandel vorbereiten aufgestellt schaffen Stellen
Duncan MacDonald Katharina Degen, Ursina Jud Huwiler Carsten Nathani, Corina Rieser, Pino Hellmüller
OECD Staatssekretariat für Wirtschaft Rütter Soceco
20 24 27
Berufe passen sich der Anteil der «atypischen- Das Bildungssystem
Digitalisierung an prekären» Jobs bleibt stabil entwickelt sich mit der
Jürg Schweri Michael Mattmann, Ursula Walther, Julian Frank, Digitalisierung
Eidgenössisches Hochschulinstitut für Michael Marti
Berufsbildung Ecoplan Johannes Mure, Barbara Montereale
Staatssekretariat für Bildung, Forschung und
Rolf Iten Innovation
Infras
29 33 36
Unternehmen setzen auf Roboter wirbeln Wirtschaft Die Fabrik der Zukunft
qualifizierte Arbeitskräfte und Recht auf Steven Wyatt
ABB
Spyros Arvanitis Isabelle Wildhaber, Melinda Lohmann
KOF Konjunkturforschungsstelle Universität St. Gallen
Gudela Grote
ETH Zürich
Toni Wäfler
Fachhochschule Nordwestschweiz
Martin Wörter
KOF Konjunkturforschungsstelle
INHALT
Themen
b
53
ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT
Warenhandel mit
Entwicklungsländern wird
einfacher
Raphael Jenny
Staatssekretariat für Wirtschaft
40 51
Eine Robotersteuer ist keine AUFGEGRIFFEN
b
STANDPUNKTE
55 58
43 INDUSTRIE ÄLTERE ARBEITNEHMENDE
Chancen der Digitalisierung Jedes zweite Ältere Mitarbeitende suchen
nicht im Keim e rsticken Produktionsunternehmen Erfüllung ausserhalb des
Roland A. Müller
Schweizerischer Arbeitgeberverband
erwägt Verlagerung ins Berufs
Ausland Monika Engler
Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur
Thomas Friedli, Christoph Benninghaus,
44 Christian Elbe
Elisa Streuli
Zürcher Hochschule für Angewandte
Universität St. Gallen
Digitalisierung muss Wissenschaften
Berufstätigen nützen
Daniel Lampart
Schweizerischer Gewerkschaftsbund
61
45 UNTERNEHMENSKREDITE
46
«Die technologische
Entwicklung Spots
verliert an Tempo»
i
IMPRESSUM ZAHLEN INFOGRAFIK
Herausgeber
Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung
und Forschung WBF,
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern
Redaktion
Chefredaktion: Susanne Blank, Nicole Tesar
Redaktion: Käthi Gfeller, Matthias Hausherr, Jessica Kunkler,
Christian Maillard, Stefan Sonderegger
Redaktionsausschuss
Eric Scheidegger (Leitung), Antje Baertschi, Susanne Blank,
Eric Jakob, Evelyn Kobelt, Cesare Ravara, Markus Tanner,
Nicole Tesar
Layout
Patricia Steiner, Marlen von Weissenfluh
Zeichnungen
Alina Günter, www.alinaguenter.ch
Abonnemente/Leserservice
Telefon +41 (0)58 462 29 39
Fax +41 (0)58 462 27 40
E-Mail dievolkswirtschaft@seco.admin.ch
Abonnementpreise
Inland Fr. 100.–, Ausland Fr. 120.–
Für Studierende kostenlos
Druck
Jordi AG, Aemmenmattstrasse 22, 3123 Belp
ISSN 1011-386X
App
Vogt-Schild Druck AG, Gutenbergstrasse 1, 4552 Derendingen
FOKUS
Abstract Die Verbreitung von künstlicher Intelligenz und von anderen die Verbreitung von Robotern und künstlicher
Technologien wird sich tiefgreifend auf die Arbeitswelt auswirken. Wäh- Intelligenz wird voraussichtlich den gleichen Ef-
rend der Bedarf an hoch qualifizierten Jobs steigt, sind Routinetätigkeiten fekt haben. Die Siri-Schnittstelle von Apple und
in der Produktion und im Büro besonders vom Abbau bedroht. Gut positio- die Gameshow-Dominanz der IBM-Software
niert sind Techniker und Informatiker. Dank Internetplattformen wie Uber Watson zeugen vom Tempo der Fortschritte der
oder Mechanical Turk steigt die Flexibilität der Arbeitskräfte. Gleichzeitig
künstlichen Intelligenz.
nimmt in den OECD-Staaten die Einkommensungleichheit zu. Damit die
Beschäftigten diesen Wandel möglichst problemlos bewältigen können,
müssen die Regierungen gewährleisten, dass die Arbeitskräfte auf diese Mehr hoch qualifizierte Jobs
Entwicklungen gut vorbereitet sind. Dazu müssen die Staaten die erfor-
derlichen Instrumente und Mechanismen zur Verfügung stellen. Entschei- Jüngste technologische Fortschritte wirken sich
dend sind dabei insbesondere die Kompetenzen, die für die neuen Tätig- bereits auf den Arbeitsmarkt aus: Stellen mit
keiten benötigt werden. mittleren Qualifikationsanforderungen, die
einen grossen Anteil von Routineaufgaben be-
inhalten, fallen zusehends weg. Hingegen steigt
6 Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018
Arbeit in der virtuellen Realität:
Industrial-Design-Studentin in Zürich.
KEYSTONE
DIGITALISIERUNG
auch Tätigkeiten im Dienstleistungssektor von gen t iefer als frühere Prognosen liegen, sagen sie
der Roboterisierung tangiert sein werden, nach- ebenfalls grosse Herausforderungen voraus, da
dem diese von den negativen Auswirkungen bei rund einem Drittel der Stellen ein «signifikan-
der Automatisierung lange verschont geblieben tes Risiko» von Veränderungen besteht.
sind. Das Risiko eines Jobverlusts durch Auto-
Doch es sind nicht alle Arbeitsplätze gleicher- matisierung hängt stark von der Ausbildung
massen betroffen. Entsprechend variiert das Ri- und von der technologischen Kompetenz ab.
siko, die Stelle an einen Roboter zu verlieren, je Am stärksten gefährdet sind Arbeitnehmende
nach Aufgaben und Kompetenzen. Im Rahmen mit einer verhältnismässig geringen Qualifika-
neuerer Forschungsarbeiten der OECD, die auf tion. Eine bessere Ausbildung ist zwar kein Ga-
der erwähnten Oxford-Studie beruhen, wurde rant für eine Arbeitsstelle, doch sie erhöht die
untersucht, wie individuelle Unterschiede gege- Chance, einen Job zu finden.5 Dabei spielt die
benenfalls das Automatisierungsrisiko verrin- Art der Ausbildung eine wesentliche Rolle. So
4 Arntz et al. (2016); gern.4 Im Vergleich zur Oxford-Studie sind die sind Arbeitskräfte mit einem Abschluss in den
OECD (2017d).
5 OECD (2017c). Ergebnisse dieser neusten Untersuchung weni- sogenannten Mint-Fächern Mathematik, Infor-
6 Remus und Levy (2016).
7 Autor und Salmons ger dramatisch: Bei 14 Prozent der Arbeitsplätze matik, Naturwissenschaft und Technik weniger
(2017). in den OECD-Ländern besteht ein «hohes Auto- von einem Stellenverlust bedroht als beispiels-
8 Acemoglu und Restre-
po (2017). matisierungsrisiko». Obwohl diese Schätzun- weise Rechtsanwälte – denn auch in diesem
prestigeträchtigen Beruf können die Vorarbei-
ten für Klagen, für die bislang Nachwuchskräfte
Abb. 1. Veränderung der Anteile von hoch, mittel und tief quali- zuständig waren, ebenso gut von maschinellen
fizierten Arbeitsplätzen in der Schweiz, in Deutschland und der Lernalgorithmen durchgeführt werden.6
OECD (1995 bis 2015, in Prozentpunkten)
20 in Prozentpunkten
Technologiebedingte Arbeitslosig-
keit nicht zwingend
10
Bei neuen Technologien können Spill-over-Ef-
fekte auftreten. Während in einer Abteilung
OECD 2017A / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
0
der Bedarf an Arbeitnehmenden sinkt, benö-
tigt eine andere Abteilung mehr Arbeitskräf-
–10
te.7 So kann eine technologiebedingte Pro-
duktivitätssteigerung – welche es ermöglicht,
–20 Waren und Dienstleistungen mit Arbeitskräf-
Schweiz OECD Deutschland
ten kostengünstiger herzustellen – den An-
Hoch qualifiziert Mittel qualifiziert Gering qualifiziert reiz verringern, auch die verbliebenen Stel-
len von anderen Arbeitern zu automatisieren.8
Das Phänomen ist in der Ökonomie als Jevons’
Abb. 2. Befragung zu Robotern am Arbeitsplatz (EU-28, 2017)
Paradoxon bekannt: Durch die technische Effi-
zienz verringern sich die Produktionskosten,
60 in %
wodurch sich wiederum die Nachfrage erhöht.
EUROBAROMETER (2017) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
8 Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018
FOKUS
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 9
DIGITALISIERUNG
des Programms und zur Möglichkeit, die Unter- mensbeihilfe für Arbeitslose und einem Fokus
stützungsleistungen den am stärksten benach- auf das lebenslange Lernen kombiniert werden,
teiligten Bevölkerungsgruppen zukommen zu tragen sie möglicherweise dazu bei, die Arbeit
lassen.12 Frankreich, wiederum, hat ein «Er- reibungslos den am besten geeigneten Berei-
werbstätigkeitskonto» eingeführt, in welchem chen zuzuweisen.
Arbeitskräfte während ihrer beruflichen Lauf- Diese politischen Massnahmen lassen sich
bahn – unabhängig vom Arbeitgeber – Fortbil- nicht als Einheitslösung umsetzen. In jedem
dungsanrechte sammeln können. Land müssen die politischen Entscheidungsträ-
ger die Bereitschaft der Bürger beurteilen. Sie
Fairer Arbeitsmarkt müssen sich fragen: Wo stehen wir? Wo liegt
das Ziel? Die Antworten werden unterschiedlich
Auch für jene Staaten, die keine Experimente ausfallen und dazu beitragen, einen Plan für die
wünschen, sind wirtschaftspolitische Lösun- erforderliche Entwicklung zu erarbeiten. Letzt-
gen vorhanden. Regierungen können beispiels- lich gibt es keine unvermeidlichen Ergebnisse:
weise den Arbeitsmarkt ausgewogener gestal- Wir entscheiden selber, wie wir unsere künftige
ten, indem sie den sozialen Dialog fördern sowie Arbeitswelt gestalten wollen. 12 OECD (2017b).
die Rechte und den Schutz für alle Erwerbstäti-
gen ausbauen. Um einen flexiblen Stellenmarkt
zu gewährleisten, können die politischen Ent-
scheidungsträger die Unterschiede bei den Ent-
lassungskosten zwischen den verschiedenen
Vertragsarten reduzieren und die Steuerbelas-
tung von den Lohnsteuern zu den Ertrags- oder
Konsumsteuern verlagern. Wenn diese politi- Duncan MacDonald
schen Massnahmen mit einer wirksamen Akti- Statistiker, Direktion Beschäftigung,
Arbeit und Sozialfragen, OECD, Paris
vierungspolitik, einer angemessenen Einkom-
Literatur
Acemoglu, D. und Restrepo, P. (2017). The Race Eurobarometer (2017). Attitudes Towards the OECD (2013). OECD Skills Outlook 2013: First Re-
Between Man and Machine: Implications of Impact of Digitisation and Automation on sults from the Survey of Adult Skills.
Technology for Growth, Factor Shares and Daily Life. OECD (2017a). OECD Employment Outlook
Employment, NBER Working Paper #22252. Frey, C. und M. Osborne (2013). The Future of 2017, Paris.
Arntz, M., T. Gregory und U. Zierahn (2016). The Employment: How Susceptible Are Jobs to OECD (2017b). Basic Income as a policy option:
Risk of Automation for Jobs in OECD Count- Computerisation? Oxford Martin School Wor- Can It Add Up?, Paris.
ries: A Comparative Analysis, OECD Social, king Paper. OECD (2017c). Getting Skills Right: Good Practi-
Employment and Migration Working Papers, Goos, M., Manning, A. und Salomons, A. (2014). ce in Adapting to Changing Skill Needs?, Paris.
Nr. 189, OECD Publishing, Paris. Explaining Job Polarization: Routine-biased OECD (2017d). Automation, Skills Use, and Trai-
Autor, D. (2015). Why Are There Still So Many Technological Change and Offshoring, Ameri- ning, Paris. Erscheint demnächst.
Jobs? The History and Future of Workplace can Economic Review, 104/8: 2509–2526. Remus, D. und Levy, F. S. (2016). Can Robots Be
Automation, in: Journal of Economic Perspec- Hathaway, I. und Murno, M. (2016). Tracking Lawyers? Computers, Lawyers, and the Prac-
tives, 29/3: 3–30. the Gig Economy: New Numbers, Brookings tice of Law.
Autor, D. und Salomons, A. (2017). Robocalypse Institute.
Now – Does Productivity Growth Threaten Keeley, B. (2015). Income Inequality: The Gap Bet-
Employment? NBER. ween Rich and Poor, OECD Publishing, Paris.
30
Dies betrifft vor allem Tätigkeiten, in denen
25 die Technologien mehrheitlich komplementär
zur menschlichen Arbeit eingesetzt werden.
20 Fortschritte in der Robotik oder der Sensorik
oder die zunehmenden digitalen Vernetzungs-
15 möglichkeiten unter dem Stichwort «Internet
der Dinge» ermöglichen die Entstehung neuer
10 Tätigkeitsfelder und interdisziplinärer Berufe
wie beispielsweise «Datenarchitekt» und «Bio-
5 informatiker».
Nicht-Routine: Nicht-Routine: Routine: Routine: Nicht-Routine: Nicht-Routine: Noch ausgeprägter als die Verschiebungen
analytisch interaktiv kognitiv manuell manuell Service
zwischen den Berufen und Branchen waren die
1996 2015 Veränderungen innerhalb der Berufe. So hatte
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 11
DIGITALISIERUNG
die fortschreitende Automatisierung insbeson- bereich. Wer auch in Zukunft auf dem Arbeits-
dere in der Industrie sowie im kaufmännischen markt gefragt sein will, muss die nachgefragten
und administrativen Bereich zur Folge, dass sich Kompetenzen vorweisen können. Dies bedeutet:
die Aufgabenbereiche der Beschäftigten zuneh- Die wirksamste Prävention gegen Arbeitslosig-
mend in Richtung kognitive und interaktive keit liegt in der auf die Arbeitsmarktbedürfnisse
Nichtroutineaufgaben verschoben haben. Ent- ausgerichteten Bildung.3 Neben der Anpassung
sprechend gewannen beispielsweise Tätigkeiten des obligatorischen Schulstoffs und der an-
im Bereich Kommunikation, Führung, Planung schliessenden Bildungsgänge werden die Wei-
oder Beratung an Bedeutung, während repetiti- terbildung und das lebenslange Lernen an Be-
ve Aufgaben, die nach einem wiederkehrenden deutung gewinnen.
Schema erledigt werden können, zunehmend in Die Bestandsaufnahme zeigt, dass die
den Hintergrund traten (siehe Abbildung). Die- Schweiz auch hier gut gerüstet ist. Im Grund-
se Entwicklung dürfte sich in Zukunft fortset- satz liegt die Verantwortung für die voraus-
zen. Mit den veränderten Tätigkeitsprofilen war schauende und zielgerichtete Weiterbildung in
auch eine erhöhte Nachfrage nach qualifizier- der Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Darü-
ten Fachkräften auf Sekundär- und Tertiärstu- ber hinaus sind auch die Sozialpartner und der
fe verbunden. Staat gefordert, ihren Beitrag zu leisten. So hat
Die technischen Möglichkeiten der Digita- der Bundesrat kürzlich ein Konzept zur Förde-
lisierung verändern nicht nur die Produktions- rung von Grundkompetenzen am Arbeitsplatz
und Vertriebsprozesse, sondern erlauben eine für gering qualifizierte und ältere Arbeitneh-
zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsbe- mende verabschiedet.
dingungen – sowohl in zeitlicher wie auch ört-
licher Hinsicht. So sind Homeoffice und flexible Regulierung genügt grundsätzlich
Arbeitszeiten bereits in vielen Betrieben etabliert.
Daneben ermöglichen die neuen Technolo- Die aktuelle Dynamik am Arbeitsmarkt stellt
gien auch die Entstehung neuer Geschäftsmo- auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf
delle. Beispielsweise erleichtern internetbasier- den Prüfstand. Ermöglichen diese eine zufrie-
te Plattformen wie Upwork, Uber und Airbnb die denstellende Regelung von innovativen Arbeits-
Auslagerung und Vernetzung von Tätigkeiten. formen mit Wachstumspotenzial, und sind sie
Die Verbreitung dieser plattformbasierten Be- weiterhin in der Lage, eine gleichbleibend hohe
schäftigungsmöglichkeiten ist in der Schweiz – Qualität der Arbeit zu gewährleisten? Grund-
ähnlich wie in den benachbarten Ländern – noch sätzlich zeichnet sich die Arbeitsmarktregu-
gering. Es liegen auch keine Hinweise vor, dass lierung in der Schweiz durch eine hohe Anpas-
sie zu einem Anstieg von «atypisch-prekären» sungsfähigkeit aus. Die aktuelle Regulierung
Arbeitsverhältnissen geführt haben.2 Ferner erleichterte bisher die Bewältigung von ver-
ist die Lohn- und Einkommensentwicklung im schiedensten Herausforderungen. So lässt sich
internationalen Vergleich weiterhin ausgewogen. beispielsweise das vergleichsweise junge Phä-
nomen der Telearbeit innerhalb des bestehen-
Bildung steht im Zentrum den Rahmens regeln.
Mit Blick auf die aktuelle Dynamik kann bei-
1 Auswirkungen der Digi- Die Entwicklungen im Zusammenhang mit der spielhaft erwähnt werden, dass das Arbeits-
talisierung auf Beschäf-
tigung und Arbeitsbe- Digitalisierung bergen neben Chancen auch Risi- recht verschiedene Arten von flexiblen Arbeits-
dingungen – Chancen
und Risiken, Bericht des
ken. Da es sich um einen laufenden Prozess han- einsätzen mit einem entsprechend abgestuften
Bundesrates vom 8. No- delt, sind die Auswirkungen der Digitalisierung Schutz ermöglicht. Gleichzeitig besteht etwa im
vember 2017.
2 Siehe dazu den Beitrag auf den Arbeitsmarkt noch nicht abschliessend Gesundheitsschutz und bei der Bekämpfung der
von Michael Mattmann, absehbar. Deshalb ist es wichtig, die Risiken im Schwarzarbeit ein zielgerichtetes Instrumen-
Ursula Walther, Ju-
lian Frank und Michael Blick zu halten und bei Bedarf gezielt anzugehen. tarium. Zudem wird mit der aktuellen Revision
Marti auf Seite 24.
3 Siehe dazu den Beitrag Im Zusammenhang mit den sich verändern- des Datenschutzgesetzes der gestiegenen Be-
von Johannes Mure und den Kompetenzanforderungen bestehen in deutung des Schutzes von Arbeitnehmer- und
Barbara Montereale auf
Seite 27. erster Linie Herausforderungen im Bildungs- Arbeitgeberdaten Rechnung getragen. Ferner
wird im Parlament derzeit diskutiert, inwiefern zung zwischen selbstständiger und unselbst-
das Arbeitsgesetz an die flexibilisierte Arbeits- ständiger Erwerbstätigkeit. Abgesehen von den
welt anzupassen ist. laufenden Verfahren, die diesbezüglich bei den
Eine Schlüsselrolle im Gefüge der Arbeits- Gerichten hängig sind, lohnt es sich, grundsätz-
marktregulierung spielen die Sozialpartner, liche Überlegungen anzustellen. International
die heute in allen zentralen arbeitsmarktlichen wird derzeit breit diskutiert, inwieweit die star-
Gebieten institutionell eingebunden sind. So re Unterscheidung zwischen selbstständiger
bestehen tripartite Gremien zur Definition von und unselbstständiger Erwerbstätigkeit noch
Bildungsinhalten in der Berufsbildung und zu gerechtfertigt oder weiterzuentwickeln ist. Es
Fragen der Arbeitszeitgestaltung, der Arbeits- ist zu prüfen, wie die heutigen Regelungen etwa
losenversicherung und der Arbeitsmarktbeob- im Sozialversicherungsrecht im Interesse der
achtung. Diese Rolle sollen die Sozialpartner Entstehung von neuen Arbeitsformen flexibili-
gemäss dem Bundesrat auch in Zukunft wahr- siert werden können, ohne dass damit eine Pre-
nehmen. Sollte sich die Plattformbeschäfti- karisierung und eine Lastenverschiebung auf
gung mit den eher kurzen und insofern eher die Allgemeinheit einhergehen.
losen Arbeitsverhältnissen flächendeckend
durchsetzen, wäre deshalb beispielsweise zu Herausforderungen für die Sozial-
klären, ob es für die Sicherstellung der Arbeit-
versicherungen?
nehmerinteressen gewisse rechtliche Anpas-
sungen braucht. Vor dem Hintergrund neuer Automatisierungs-
Darüber hinaus stellen sich im Sozialversi- möglichkeiten und einer veränderten Art der Lernen, lernen, lernen.
cherungs- und Arbeitsrecht Fragen zur Abgren- Arbeitserbringung rückt auch die Frage in Eine gute Ausbildung
hilft bei der Jobsuche.
ISTOCK
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 13
DIGITALISIERUNG
den Vordergrund, welche Auswirkungen der Insgesamt befindet sich die Schweiz in einer
Strukturwandel im Zusammenhang mit der ausserordentlich guten Ausgangslage, um auch
Digitalisierung auf das System der sozialen die Herausforderungen des aktuellen Struktur-
Sicherheit hat. Aktuelle Analysen zeigen, dass wandels erfolgreich zu bewältigen. Aktuell zeigt
die zentralen Herausforderungen für die So- sich auf gesetzgeberischer Ebene kein grundle-
zialversicherungen, insbesondere die Alters- gender Handlungsbedarf. Im Zentrum stehen
vorsorge, in der demografischen Alterung und vielmehr die Anpassung der Bildungsinhalte an
nicht in der technologischen Entwicklung lie- die neuen Anforderungen sowie eine punktuel-
gen. le Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen.
Es lassen sich derzeit keine negativen Aus- Darüber hinaus ist die Entwicklung der Arbeits-
wirkungen der Digitalisierung auf das System verhältnisse und der Arbeitsbedingungen eng
der sozialen Sicherheit erkennen. Weder die zu verfolgen, und es ist laufend zu prüfen, ob die
Entwicklung der Erwerbslosigkeit noch jene geltenden gesetzlichen Regelungen weiterhin
der Sozialhilfebezüger legen nahe, dass die den konkreten Bedürfnissen entsprechen.
Sozialwerke infolge des aktuellen Struktur-
wandels stärker belastet werden. Eher trifft
das Gegenteil zu, zumal das Beschäftigungs-
und Lohnwachstum der letzten Jahrzehn-
te auch zu höheren Beiträgen zuhanden der
sozialen Sicherheit geführt hat. Wie sich die
Digitalisierung und die weiteren Treiber des
Strukturwandels in Zukunft auf das System
Katharina Degen Ursina Jud Huwiler
der sozialen Sicherheit auswirken werden, PhD in Economics, wis- Dr. phil., stv. Leiterin
ist – ähnlich wie die Beschäftigungsentwick- senschaftliche Mitarbei- Leistungsbereich
lung – nicht im Detail absehbar. Entscheidend terin, Ressort Arbeits- Personenfreizügigkeit
marktanalyse und und Arbeitsbeziehungen,
ist auch in diesem Kontext, dass das ausdiffe- Sozialpolitik, Staatsse- Staatssekretariat für
renzierte Sozialversicherungssystem sich bis- kretariat für Wirtschaft Wirtschaft (Seco), Bern
(Seco), Bern
her als sehr anpassungsfähig erwiesen hat.
Wissensintensive Branchen
schaffen Stellen
Seit Mitte der Neunzigerjahre hat die Zahl der Beschäftigten in der Schweiz um ein
Fünftel zugenommen. Im Zuge der Digitalisierung wurden zahlreiche Jobs in wissens-
intensiven Branchen geschaffen, während Routinetätigkeiten zurückgegangen sind.
Carsten Nathani, Corina Rieser, Pino Hellmüller
Abstract Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Aus- faktoren sowie auf Literaturrecherchen und
wirkungen der Digitalisierung und Automatisierung auf die Beschäfti- Unternehmensfallstudien.
gung in der Schweiz hat das Forschungsunternehmen Rütter Soceco im
Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) untersucht, wie
der Strukturwandel in den letzten zwanzig Jahren verlaufen ist, welches Dienstleistungssektor wächst
die wesentlichen Treiber waren und welche Auswirkungen dies auf den
Zwischen 1996 und 2015 ist die Beschäftigung
Arbeitsmarkt hatte. Die Studienergebnisse zeigen, dass sich sowohl die
Branchenstruktur als auch Qualifikation und berufliche Tätigkeiten der in der Schweiz um 19 Prozent auf knapp 4 Mil-
Beschäftigten stark verändert haben. Der Anteil der Beschäftigten mit lionen Vollzeitäquivalente gestiegen, wobei
hoher Qualifikation und Tätigkeiten mit geringer Routineintensität ist das Wachstum ausschliesslich auf den Dienst-
deutlich gewachsen. Die wesentlichen Ursachen waren der technische leistungssektor zurückzuführen ist. Während
Wandel und in geringerem Umfang Globalisierung und Veränderungen der Industriesektor die Zahl der Beschäftigten
der Güternachfrage. Infolge eines sehr guten Bildungssystems, eines
knapp halten konnte, verzeichnete der Primär-
flexiblen und durchlässigen Arbeitsmarktes und des Zugangs zu spezia-
lisierten Arbeitskräften im Ausland konnte die Schweiz die Folgen des
sektor einen Rückgang von 30 Prozent.
Strukturwandels insgesamt gut bewältigen. Im Jahr 2015 stellte der Dienstleistungssek-
tor fast drei Viertel aller Beschäftigten. Seit Mit-
te der Neunzigerjahre haben einerseits staats-
SHUTTERSTOCK
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 17
DIGITALISIERUNG
50 Prozent. Bei eher gering qualifizierten Be- Bei den Niveaueffekten zeigt sich, dass die-
rufen mit geringer Routineintensität wie bei- se in allen untersuchten Berufsgruppen die Be-
spielsweise Gebäudeelektrikern und Kellnern, schäftigung gesteigert haben, wobei das Nach-
bei denen manuelle oder serviceorientierte Tä- fragewachstum pro Kopf wichtiger war als das
tigkeiten charakteristisch sind, stagnierte der Bevölkerungswachstum (siehe Abbildung 2). Die
Beschäftigungsanteil bei 26 Prozent. verschiedenen branchenübergreifenden Struk-
tureffekte waren hingegen in allen Gruppen
Niveau-, Struktur- und Branchen beschäftigungsmindernd. Dies gilt besonders
stark für manuelle Routineberufe. Ausschlag-
effekte
gebend war dabei vor allem, dass sich die Gü-
Hinweise auf mögliche Ursachen dieser Ent- ternachfrage zu Produkten verschoben hat, für
wicklungen gibt eine sogenannte Komponen- die weniger manuelle Routinetätigkeiten benö-
tenzerlegung. Dazu haben wir die Veränderung tigt werden. Die gestiegene Arbeitsproduktivität
der Beschäftigung zwischen 1997 und 2014 zu hat naturgemäss zu einem Beschäftigungsrück-
den drei Faktorgruppen Niveaueffekte, bran- gang in allen Gruppen geführt – besonders aus-
chenübergreifende Struktureffekte und bran- geprägt war dieser in Routineberufen und ser-
cheninterne Effekte zusammengefasst. viceorientierten Nichtroutineberufen. Bei den
Die Niveaueffekte beinhalten das Wachs- brancheninternen Effekten zeigten sich ausser-
tum der Bevölkerung und der Güternachfrage dem deutliche Verlagerungen von routineinten-
pro Kopf. Branchenübergreifende Strukturef- siven Berufen zu interaktiven Berufen mit ge-
fekte umfassen die Veränderung der Zusam- ringer Routineintensität.
mensetzung der in der Volkswirtschaft nach-
gefragten Güter, der Importanteile in den Technischer Wandel als Treiber
einzelnen Gütergruppen und der Wertschöp-
fungstiefe der Branchen. Zu den branchen- Insgesamt hat die Beschäftigung zwischen 1997
internen Effekten gehören schliesslich die Ver- und 2014 deutlich zugenommen, und zwar auch
änderung der Arbeitsproduktivität sowie die wenn man das Bevölkerungswachstum aus-
der Beschäftigungsanteile von Berufsgruppen klammert. Allerdings wäre die Beschäftigung
mit unterschiedlichem Routineprofil innerhalb bei den Routineberufen ohne den Bevölke-
der Branchen. rungsanstieg deutlich stärker zurückgegangen.
Wichtige Treiber für die oben beschriebenen
Entwicklungen waren der technische Wandel,
Abb. 1: Beschäftigungsentwicklung nach Technologieorientierung und insbesondere die Digitalisierung und die Auto-
Wissensintensität (1996–2015) matisierung, sowie in geringerem Umfang die
175 Index (1996=100)
Globalisierung und die Veränderungen der Gü-
ternachfrage infolge des demografischen Wan-
BFS: BESTA, BZ, STATENT; BERECHNUNG: RÜTTER SOCECO / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
de Wachstumsimpulse. Denn sowohl die Stei- wandels wurde auch dadurch erleichtert, dass
gerung der Arbeitsproduktivität infolge des die berufliche Mobilität zwischen Branchen
technischen Wandels als auch das Offshoring und zwischen Berufen relativ ausgeprägt ist.
im Rahmen der Globalisierung führen zu einer Allerdings bleibt der Fachkräftemangel, ins-
besseren Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer besondere in technischen und naturwissen-
Unternehmen und zu steigenden Realeinkom- schaftlichen Berufen, im Management und im
men der privaten Haushalte. Dadurch wächst Gesundheits- und Sozialwesen, eine anhalten-
die Wirtschaft. de Herausforderung für Wirtschaft und Poli-
Insgesamt verlief der Strukturwandel tik.
mit einer Geschwindigkeit, die eine Anpas-
sung durch Unternehmen und Arbeitskräf-
te möglich machte. Zudem erfolgte der Struk-
turwandel bei wachsender Bevölkerung und
Wirtschaft, was die Bewältigung ebenfalls er-
leichterte, da der Rückgang von Branchen, Be-
rufen und Qualifikationen im wachsenden
Umfeld abgefedert wurde.
Zur erfolgreichen Bewältigung des Struk- Carsten Nathani Corina Rieser Pino Hellmüller
turwandels hat unter anderem das sehr gute Dr. rer. pol., Mitglied der Projektleiterin, Wissenschaftlicher
Geschäftsleitung, Rütter Rütter Soceco, Rüschlikon Mitarbeiter, Rütter
Aus- und Weiterbildungssystem beigetra- Soceco, Rüschlikon Soceco, Rüschlikon
gen, indem es die Qualifikationsstruktur der
Arbeitskräfte verbesserte. Hilfreich waren
Literatur
zudem die Innovationskraft und die Wettbe-
Bouchiba-Schaer, S., Weber, B. (2017). Struktur- Nathani, C., Hellmüller, P., Rieser, C., Hoff, O.,
werbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen wandel dank hoch qualifizierten Arbeitskräf- Nesarajah, S. (2017). Ursachen und Auswir-
ten gut gemeistert, in: Die Volkswirtschaft, kungen des Strukturwandels im Schweizer
sowie die guten wirtschaftlichen Rahmen- 10/2017: 49–51. Arbeitsmarkt, Schlussbericht an das Staatsse-
bedingungen. Die Bewältigung des Struktur- kretariat für Wirtschaft.
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 19
DIGITALISIERUNG
ALAMY
Zufrieden mit dem
Hotelbesuch? Der
äste empfangen und bedienen sowie Gäste-
G Auftritt des P ersonals udem müssen sie digitale Zahlungsmöglich-
Z
zimmer und Aufenthaltsräume unterhalten. So beeinflusst die Gäste keiten kennen und sich der Sicherheitsrisiken
werden Checklisten, Zimmerstände und Bestel- bewertungen im bewusst sein. Mögliche Zukunftsperspektiven
Internet.
lungen heute in der Regel digital bewirtschaftet. sind laut den Experten am Workshop der Ein-
Die Interaktion und die Kommunikation mit den satz von Robotern in der Küche und am Emp-
Gästen wirken sich auf die Onlinebewertung des fang. In den Hotelzimmern regulieren intelli-
Betriebs aus: Ein Fehler des Personals kann sofort gente Systeme anhand der Körpertemperatur
zu einer schlechten Bewertung führen. Deshalb und anderer Indikatoren die Raumtempera-
wird heute von den Hotelfachleuten einerseits tur, die Beleuchtung etc. automatisch. Dank der
mehr Empathie, andererseits auch Know-how im technologischen Unterstützung werden für die
Umgang mit Social Media und Buchungsplatt- Hotelfachleute mehr Kapazitäten für die Betreu-
formen gefordert. Solche Herausforderungen ung der Gäste frei, um deren Hotelaufenthalt zu
nimmt der neu geschaffene Beruf «Hotel-Kom- einem individuellen und unvergesslichen Erleb-
munikationsfachfrau/-mann» auf, bei dem ver- nis werden zu lassen.
tiefte Sprachkenntnisse, Social-Media-Kompe-
tenz und individualisierte Gästekommunikation Spezifische und fachübergreifende
verlangt sind.
Kompetenzen
Hotelfachleute müssen den Umgang mit
komplexen Reinigungsmaschinen und Gerä- Sowohl bei Gebäudetechnikplanern als auch
ten wie Tablets beherrschen, die für die G äste bei Hotelfachleuten zeigt sich die zunehmende
in den Hotelzimmern zur Verfügung stehen. Bedeutung von kommunikativen und sozialen
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 21
DIGITALISIERUNG
Kompetenzen. Sowohl die Kooperation mit an- verändern sich mit der Technologie die Anwen-
deren Fachleuten wie auch die Kommunikation dungssituationen, in denen sowohl übergreifen-
mit Kunden gewinnt laut den Experten an Be- de wie Fachkompetenzen kombiniert eingesetzt
deutung. Für solche Aufgaben bleibt mehr Zeit, werden müssen.
weil die klassischen Arbeitsschritte (Planung,
Reinigung usw.) durch neue Technologien ra- Technologische Entwicklungen
scher und effizienter erledigt werden können.
schaffen neue Arbeitsplätze
Während soziale Kompetenzen zu den fach-
übergreifenden Kompetenzen gehören, zeigt sich In Bezug auf die Veränderung der Stellenzahl
zugleich, dass sich auch spezifische Fachkompe- in einem Beruf ist entscheidend, ob die digi-
tenzen verändern. Der allgemeine Umgang mit talen Technologien die menschliche Arbeits-
Software wie Excel und Hardware wie Tablets kraft eher ersetzen oder ergänzen. Erfahrun-
ist in vielen Berufen wichtig, jedoch finden sich gen aus Umbrüchen im 20. Jahrhundert zeigen,
auch viele Beispiele für spezifische digitale An- dass technologische Entwicklungen bislang net-
wendungen wie CAD-Programme und Buchungs- to mehr Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet
plattformen, die in den berufstypischen Situatio- haben.3 Offen ist natürlich, ob diese Erfahrun-
nen kompetent eingesetzt werden müssen. gen weiterhin Gültigkeit besitzen. Bisher lässt
3 A
utor (2015) diskutiert
die einschlägige Lite- Die Digitalisierung führt somit nicht zu einer sich sagen: In den letzten zehn Jahren ist die Be-
ratur und präsentiert
Daten insbesondere zu
Entwertung von Fachkompetenzen zugunsten schäftigung in der Schweiz angestiegen und die
den Jahrzehnten. von übergreifenden Kompetenzen. Stattdessen Arbeitslosigkeit ungefähr konstant geblieben.
100
80
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Um zu untersuchen, wie und warum sich gewachsen sind die kognitiven Routinetätigkei-
die Berufe insgesamt verändern, eignet sich ten («Rechnungen überprüfen»), während die
ein tätigkeitsbasierter Ansatz.4 Berufe werden manuellen Routinetätigkeiten («Produkte ver-
dabei als Bündel von Tätigkeiten verstanden, packen») rückläufig waren.
die von der Digitalisierung ganz verschieden Die stetige Entwicklung zeigt, wie die tech-
betroffen sein können. Da keine schweizeri- nologische Entwicklung laufend die Bedeutung
schen Daten vorliegen, verwendeten wir für die verschiedener Tätigkeiten auf dem Arbeits-
Analyse detaillierte Tätigkeitsbeschreibungen markt beeinflusst. Vertiefende Analysen be-
aus Deutschland und übertrugen sie auf die stätigen, dass sich sowohl die Tätigkeiten in-
Schweiz.5 Experten haben diese pro Beruf in nerhalb der Berufe verändern wie auch die
die Kategorie Routinetätigkeiten oder Nicht- Beschäftigungsanteile zwischen den Berufen
Routinetätigkeiten eingeteilt: Während Routi- verschieben, in Abhängigkeit von den Tätigkei- 4 A utor (2013).
netätigkeiten automatisierbar sind, ist dies bei ten, die den Beruf ausmachen. 5 Dengler et al. (2014).
Nicht-Routinetätigkeiten gemäss dem aktuellen
Stand der Technik nicht möglich. Diese Unter-
scheidung erlaubt eine direkte Aussage darüber,
ob die entsprechende Tätigkeit durch digitale
Technologien statt durch den Menschen ausge-
übt werden kann.
In den letzten zehn Jahren ist die Beschäf-
tigung bei den analytischen und interaktiven
Jürg Schweri Rolf Iten
Nicht-Routinetätigkeiten in der Schweiz am Prof. Dr. rer. oec., Dr. oec. publ., Geschäfts-
stärksten gestiegen (siehe Abbildung). Dazu ge- Co-Leiter Forschungs- leiter und Partner Infras,
schwerpunkt Steuerung Zürich
hören Tätigkeiten wie «Kunden beraten» oder
der Berufsbildung, Eid-
den «Betriebsmitteleinsatz planen». Weniger genössisches Hochschul-
stark legten die manuellen Nicht-Routinetätig- institut für Berufsbildung
(EHB), Zollikofen
keiten (z. B. «Maschinen warten») zu. Ebenfalls
Literatur
Autor, D. (2013). The «Task Approach» to Labor Autor, D. (2015). Why Are There Still So Many Dengler, K., Matthes, B. und Paulus, W. (2014).
Markets: An Overview, in: Journal of Labour Jobs? The History and Future of Workplace Berufliche Tasks auf dem deutschen Arbeits-
Market Research, 46(3): 185–199. Automation, in: Journal of Economic Perspec- markt. Eine alternative Messung auf Basis
tives, 29(3): 3–30. einer Expertendatenbank, FDZ-Methoden-
report Nr. 12. Nürnberg: Bundesagentur für
Arbeit.
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 23
DIGITALISIERUNG
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 25
DIGITALISIERUNG
Abb. 1: Anteil Personen in atypisch-prekären Arbeitsverhältnissen an lateinischen Schweiz. Entgegen den Ergebnis-
allen Erwerbstätigen (2004 bis 2016) sen bei den atypisch-prekären Arbeitsverhält-
4 Anteil Erwerbstätige, in % nissen zeigt sich hier, dass ihre Zahl mit zuneh-
mendem Alter steigt, bei Personen mit tiefer
Ausbildung unterdurchschnittlich ist und bei
07
11
16
4
08
10
12
13
15
14
uc
0
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
br
ur
07
08
10
11
12
13
14
15
16
0
0
uc
0
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
br
ur
kt
t ru
Michael Mattmann
-S
ke
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 27
DIGITALISIERUNG
des Systems liegt darin, dass die Wirtschaft eine verstärkte Koordination zwischen den ver-
die erforderlichen Kompetenzen für einen Be- schiedenen Bildungsstufen und den beteiligten
ruf definiert und kontinuierlich weiterentwi- Akteuren voraus.
ckelt.
Eine zentrale Rolle spielt auch die Weiter- Persönliche Daten schützen
bildung. Seit dem Inkrafttreten des Weiter-
bildungsgesetzes Anfang 2017 kann der Bund Während des Lehr- und Lernprozesses wird
künftig die Eigeninitiative von Privatpersonen eine enorme Datenmenge produziert. Lehrper-
unterstützen – etwa im Bereich der Förderung sonen, Schulleiter, Behörden, aber auch For-
der Grundkompetenzen. Im November 2017 scher sollten darauf Zugriff haben, um etwa die
hat der Bundesrat zudem Massnahmen verab- Lehrmethoden und die Lernbegleitung stetig
schiedet, mit denen die Kompetenzen gering zu verbessern. Mit den digitalen Daten sind je-
qualifizierter und insbesondere älterer Arbeit- doch auch Sicherheits- und Datenschutzrisiken
nehmender gefördert werden sollen. verbunden. So könnten Daten etwa völlig unbe-
merkt abgezweigt oder manipuliert werden.
Vorteile der Digitalisierung Besonders gross ist die Gefahr, wenn Soft-
ware und Server persönliche Daten zur Identi-
ausschöpfen
fikation der Nutzer verlangen. Hier muss der
Die Digitalisierung verändert den Kontext des Datenschutz wasserdicht sein: Persönliche
Lehrens und Lernens von Grund auf. Die digi- Daten müssen sowohl bei der Erhebung, der Be-
talen Medien bieten den Lernenden vielfältige arbeitung, der Nutzung als auch bei der Aufbe-
Entwicklungsmöglichkeiten. Um die Vorteile wahrung sicher und vor Missbrauch geschützt
der ICT bestmöglich zu nutzen, braucht es gute sein.
Rahmenbedingungen.
Die Schweizer Schulen sind in digitaler Hin-
sicht gut ausgerüstet. Aber die vorhandene Inf-
rastruktur könnte noch besser genutzt werden:
Es genügt heute nicht mehr, Geräte zur Verfü-
gung zu stellen und einen Internetanschluss
einzurichten. Zwingend sind auch eine stabile,
schnelle und sichere Verbindung sowie der ga-
Johannes Mure Barbara Montereale
rantierte Zugang zu digitalen Diensten. Ausser- Dr. oec. publ., Leiter Res- Projektverantwortliche,
dem müssen die Lehr- und Lernressourcen an sort Bildungssteuerung Ressort Bildungssteue-
und Bildungsforschung, rung und Bildungsfor-
die Herausforderungen der Digitalisierung an-
Staatssekretariat für schung, Staatssekretariat
gepasst sein. Schliesslich gilt es auch die Lehr- Bildung, Forschung und für Bildung, Forschung
personen zu schulen, damit sie über die not- Innovation (SBFI), Bern und Innovation (SBFI),
Bern
wendigen Kompetenzen verfügen. All dies setzt
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 29
DIGITALISIERUNG
In Grossunterneh-
men beeinflusst die
KEYSTONE
Digitalisierung die
Beschäftigung stark.
Abb. 1: Auswirkung der Digitalisierung auf die Beschäftigung im Industrie-, Bau- und Dienstleistungs-
sektor (Anzahl Nennungen in % der Firmen)
Industrie
Industrie: Hightech
Industrie: Lowtech
Bau
Dienstleistungen: Modern
Dienstleistungen: Traditionell
Total
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Zunahme Abnahme Unverändert
Abb. 2: Auswirkung auf die Beschäftigung nach Firmengrösse (Anzahl Nennungen in % der Firmen)
Klein <50 Beschäftigte in
Vollzeitäquivalenten)
Total
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Zunahme Abnahme Unverändert
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 31
DIGITALISIERUNG
aus. Die grössenbedingten Unterschiede sind Für die drei Personalkategorien mit höherer
dabei stärker als die sektorbedingten Differen- Qualifikation (Universitäts-, Fachhochschul- und
zen. Relativ stark betroffen sind die grossen Fachschulabsolventen) melden auch die kleinen
Unternehmen: 20 Prozent dieser Firmen melden und die mittelgrossen Unternehmen (KMU) Zu-
eine Zunahme der Beschäftigung bei den Uni- wächse, wenn auch in geringerem Ausmass als die
versitätsabsolventen, 31 Prozent eine Zunah- grossen Firmen. Im Gegensatz zu den grossen Fir-
me bei den Fachhochschulabsolventen und 29 men melden die KMU, insbesondere die kleinen
Prozent eine Zunahme bei den Fachschulabsol- Firmen, eine Nettozunahme der Beschäftigung
venten. Für die Gelernten wird bei den grossen für Gelernte. Die kleinen Unternehmen melden
Firmen eine – wenn auch geringe – Nettoabnah- auch bei den Auszubildenden eine etwas stärkere
me der Beschäftigung gemeldet. Bei den Ausbil- Zunahme der Beschäftigung als mittelgrosse und
4 Michaels et al. (2013) denden wiederum ist netto ein kleiner positiver grosse Firmen. Bei allen drei Grössenklassen sind
und Autor (2006). Zur Effekt zu verzeichnen. Stark negativ ist der Be- negative Beschäftigungseffekte für An- und Unge-
Situation in der Schweiz
vgl. auch Arvanitis/Lou- schäftigungseffekt allerdings bei den An- und lernte zu verzeichnen.
kis (2015), basierend auf
Daten von 2004, und Ungelernten: Ein Viertel der grossen Firmen Für die Schweiz scheint somit die internatio-
Arvanitis (2005), ba- meldet eine Abnahme der Beschäftigung bei die- nal oftmals vorgebrachte «Polarisierungsthese»
sierend auf Daten von
1999. ser Kategorie. insgesamt ungültig.4 Laut dieser These bewirkt
der technologische Wandel sowohl eine steigende
Nachfrage nach Beschäftigten mit tertiärer Aus-
Tabelle 2: Auswirkung der Digitalisierung auf die Beschäftigung nach bildung als auch nach Ungelernten – gleichzeitig
Ausbildungskategorien und Firmengrössen (Anzahl Nennungen in % der sinkt der Bedarf an Beschäftigten mit mittleren
Firmen) Qualifikationen. Allerdings gibt es für die Schweiz
Klein Mittel Gross Total Hinweise auf die Substitution wenig qualifizierter
<50 Beschäftigte 50–249 Beschäf >249 Beschäftigte Arbeit.
in Vollzeit tigte
äquivalenten
Berufslehre
Zunahme 22 8 8 16 Literatur
Abnahme 6 6 12 6 Arvanitis, S. (2005). Information Technology, Workplace Organization
and the Demand for Labour of Different Skills: Firm-level Evidence for
Unverändert 72 85 80 77 the Swiss Economy, in: H. Kriesi, P. Farago, M. Kohli and M. Zarin-Neja-
dan (eds.), Contemporary Switzerland: Revisiting the Special Case, Pal-
An- und Ungelernte grave Macmillan, New York and Houndmills, 135–162.
ARVANITIS ET AL. (2017) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Abstract Die technische und wirtschaftliche Bedeutung von Robotern che Behandlung roboterbezogener Sachverhal-
nimmt im Rahmen der vierten industriellen Revolution (Industrie 4.0) te zum Gegenstand.
weltweit zu. Diese Entwicklung wirft zahlreiche neue Rechtsfragen auf.
Deshalb setzen sich immer mehr Rechtswissenschaftler mit den recht-
lichen Konsequenzen des Einsatzes von Robotern, dem Roboterrecht,
Roboter in der Industrie 4.0
auseinander. Rechtliche Fragen stellen sich etwa bei der Zulassung von In der Industrie kommen etwa Roboter wie Yumi
selbstfahrenden Fahrzeugen oder Drohnen. Sind Roboter erst mal zuge-
von ABB zum Einsatz. Yumi ist ein erschwingli-
lassen, so will man wissen, wer für Unfälle mit Robotern haftet. Auch am
Arbeitsplatz muss klar sein, wer für Entscheide und Weisungen von ro- cher Vielzweckroboter für den Produktionsbe-
botischen Chefs einsteht. Die Einführung eines Rechtsstatus für Robo- reich, der freundlich zu Menschen ist und sich
ter, der sogenannten E-Personhood, ist einer von vielen Lösungsansätzen beispielsweise leicht für die Mitarbeit am Fliess-
für die Haftungsfrage. Nicht nur am Arbeitsplatz, sondern in sämtlichen band programmieren lässt. Auch in der Logis-
Lebensbereichen sind sensorgetriebene Roboter eine Herausforderung tik- und Transportbranche spielen Roboter be-
für Datenschutz und Privatsphäre. Dieser Herausforderung wird denn reits heute eine wichtige Rolle. Ein Beispiel ist
auch zu Recht viel Forschung gewidmet.
das Logistikzentrum Yellow Cube der Schwei-
zerischen Post in Oftringen. Dieses nimmt On-
linehändlern etwa im Bereich Modehandel die
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 33
DIGITALISIERUNG
Vernetzung im Rahmen des Internets der Din- wälzen. Beim Einsatz von Robotern am Arbeits-
ge verbreiten können. Dabei kann ein besonders platz ist ausserdem die Arbeitsplatzsicherheit
menschen- oder tierähnliches Aussehen der Ro- entscheidend: Es geht darum, Berufsunfälle und
boter den Aufbau einer Beziehung erleichtern, entsprechend Haftungsfälle zu verhindern. Zu
sodass Roboter Zugang zu intimsten Sphären diesem Zweck werden neue Normen auf natio-
erhalten und dank ihrer Mobilität ungestört he- naler Ebene (z. B. Schweizerische Normen-Ver-
rumschnüffeln können. Das Missbrauchspoten- einigung SNV) und auf internationaler Ebene
zial ist erheblich. Bereits das nicht missbräuch- (z. B. ISO) erarbeitet.
liche, funktionsinhärente Sammeln von Daten Der Einzug von Robotern – im Rahmen der
wie etwa bei selbstfahrenden Fahrzeugen stellt Industrie 4.0 und darüber hinaus – wirft zahl-
ein Datenschutzrisiko dar. Sowohl das europäi- reiche, spannende Rechtsfragen auf. Mit zuneh-
sche wie auch das schweizerische Datenschutz- mendem technologischem Fortschritt kommen
recht werden momentan revidiert. Die Bedenken laufend neue rechtliche Herausforderungen
um die Privatsphäre beim Einsatz von Big Data, hinzu. Der Gesetzgeber wird sich überlegen
Robotik und künstlicher Intelligenz kommen in müssen, ob rechtliche Grundlagen angepasst
den Revisionsbestrebungen zum Ausdruck und werden müssen oder ob es gar ganz neue Rege-
sind darüber hinaus Gegenstand der Forschung, lungen braucht. Diesbezüglich sollte man jedoch
so z. B. im Rahmen unseres SNF-Forschungspro- zurückhaltend sein, bis klar wird, dass neue Ge-
jekts «Big Brother in Schweizer Unternehmen? setze und Regulierungen wirklich nötig sind. Di-
Daten, Privatsphäre und Vertrauen am Arbeits- gitalisierung und Robotik bringen nämlich auch
platz» im Rahmen des Nationalen Forschungs- immense Chancen. Eines ist aber klar: Über die
programms «Big Data». angesprochenen Fragen müssen wir uns bereits
Auch in der Arbeitswelt sind Roboter be- heute ernsthafte Gedanken machen. Denn die
reits heute omnipräsent: Im Personalwesen gibt Brisanz der Fragen wird zunehmen, je intelli-
es von der Einstellung bis zur Beendigung von genter Roboter werden.
Arbeitsverhältnissen vielfältige Einsatzmög-
lichkeiten für Roboter. Roboter können als Vor-
gesetzte ihren Arbeitnehmern auch Weisungen
erteilen. Nach der derzeitigen Rechtslage kann
ein Roboter als Vorgesetzter mangels Rechts-
und Handlungsfähigkeit noch keine Kündi-
gung aussprechen. Im Unternehmen muss der-
zeit mangels Handlungsfähigkeit des Roboters Isabelle Wildhaber Melinda Lohmann
ein Mensch für den Einsatz und die Anweisun- Professorin für Privat- und Assistenzprofessorin für
gen des Roboters Verantwortung übernehmen. Wirtschaftsrecht, Direk- Wirtschaftsrecht, Direk-
torin des Forschungs- torin der Forschungss telle
Diese Verantwortung des Arbeitgebers kann die instituts für Arbeit und für Informationsrecht,
Geschäftsführung höchstens mittels eines Re- Arbeitswelten, Universität Universität St. Gallen
St. Gallen
gresses auf die Programmierer des Roboters ab-
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 35
DIGITALISIERUNG
GUSTAV LIND
Technologischer
Vorreiter: Die Fabrik
enger mit Robotern zusammenarbeiten müs- des Lastwagenher- fünf Prozent der Industrieroboter auf irgendei-
sen – sei es, um neues Material zu bringen, Pro- stellers Scania in ne Weise vernetzt. Dadurch gehen den Fabriken
gramme zu ändern oder neue Prozesse zu prü- Schweden ist mit 283 sehr hilfreiche Informationen verloren, welche
Hightech-Robotern
fen. Heute müssen viele Industrieroboter ihre die Leistung steigern und den menschlichen Be-
ausgerüstet.
Arbeit aus Sicherheitsgründen hinter Schutz- dienern die Entscheidungsfindung erleichtern
zäunen verrichten und ausgeschaltet werden, könnten. Hier schlummern gewaltige Potenziale.
sobald ein Mensch sich nähert. Jedes Mal die Dank der Verfügbarkeit und Konnektivi-
Produktion zu stoppen, wenn ein Mensch einem tät kostengünstiger Sensoren liegen heute viel
bestimmten Prozess nahe kommt, ist heute je- mehr Informationen in digitaler Form vor. Diese
doch nicht mehr zielführend. Informationen können beispielsweise genutzt
Darüber hinaus sind viele der 1,7 Millionen werden, um die Maschinen vorausschauend zu
weltweit betriebenen Industrieroboter nicht ans warten, auf ein verändertes Bestellverhalten zu
sogenannte Industrial Internet angebunden. reagieren oder Unfälle zu verhüten.
Dieses verbindet physikalische Maschinen mit Alle diese Veränderungen beeinflussen letzt-
Sensoren und Software. Bisher sind nur rund endlich auch die Kostenstruktur. So erfordern
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 37
DIGITALISIERUNG
die kleineren Stückzahlen und der grössere Pro- Kasten 1: Neuerungen entlang der gesamten
duktmix mehr kostspielige Entwicklungszeit Produktionskette
und mehr Unterbrechungen im Fertigungsbe-
Neue Arbeitsweisen werden die gesamte Produktionskette
reich. Zudem erhöhen kürzere Produktzyklen betreffen.
die Kosten ungeplanter Stillstandszeiten, so-
dass auch kurze Ausfälle ins Gewicht fallen.
Und wer die Produktion näher beim Kunden
ansiedeln will, findet sich vielleicht in einer Re-
gion mit ausgeprägtem Fachkräftemangel wie- Entwicklung
der (siehe Kasten 2). Von der ersten Planung an gilt das Konzept der integrierten
Fabrik. Beispielsweise wird während der Entwicklung eines
Produktes bereits auf die verwendeten Materialien und deren
Die Instrumente sind vorhanden Fähigkeit zum einfachen Recyceln geachtet. Ebenso werden
die Entscheidungen für Optionen, die der Kunde später wählen
kann, ganz zu Beginn der Planung festgelegt. Spätere Änderun-
Die Fabrik der Zukunft muss diese Probleme lö-
gen sind nur mit grossem Aufwand zu realisieren.
sen – und das nötige Werkzeug ist schon vor-
handen. So macht die virtuelle Inbetriebnah-
me es möglich, Tests und Fehlerbehebungen
bereits vor der Installation eines neuen Pro-
dukts durchzuführen, was die Einführung be-
schleunigt. Cloudbasierte Systeme können die
Betriebsdaten aller Maschinen eines Typs zu-
sammenführen, sodass diese Maschinen von-
einander und die Bediener von den Maschinen
Inbetriebnahme
lernen können, welche Warnsignale auf eine
Werkzeuge wie Virtual Reality machen es möglich, schon vor
mögliche zukünftige Störung hindeuten. der Installation eines neuen Systems Fehler zu beheben und
Unterbrechungen des Produktionsbetriebs Mitarbeitende offline zu schulen.
können durch lernfähige Maschinen auf ein Mi-
nimum reduziert werden, beispielsweise durch
sogenanntes Lead-Through Programming. Da-
bei wird der Roboter schrittweise durch den
Prozess geführt, der unmittelbar von einer Soft-
ware aufgezeichnet und gespeichert wird. Das
Schreiben von Programmzeilen durch einen Ex-
perten entfällt dabei, und die Programmierung
nimmt statt vieler Stunden nur noch einige Mi- Betrieb
nuten in Anspruch. Intuitive Dashboards – vergleichbar mit dem Armaturenbrett im
In der Fabrik der Zukunft werden verschie- Auto – werden bessere Entscheidungen ermöglichen, und das
gesamte Fertigungssystem wird bessere Daten liefern.
dene Arten von Robotern tätig sein, die in unter-
schiedlichem Mass mit dem Menschen kollabo-
rieren. Teilweise wird es sich um traditionelle
Roboter handeln, deren Geschwindigkeit und
Position von intelligenter Software so gesteu-
ert wird, dass sich Menschen – ohne Unter-
brechung der Produktion – in der Nähe dieser
SHUTTERSTOCK / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Wenn bei kollaborativen Robotern kei- entwickeln, der mit weniger menschlichen Ein-
ne Schutzgitter mehr gebraucht werden, kön- griffen Besseres leistet.
nen Hersteller ihre Produktionsabläufe flexi- Einen wichtigen Schritt auf diesem Weg
bel an Kundenanforderungen anpassen, ohne stellt die Umstellung von Roboterprogrammie-
durch fest installierte Schutzvorrichtungen rung auf das «Unterrichten» von Robotern durch
eingeschränkt zu sein. So kann ein kollabora- das Lead-Through Programming. Das ist heu-
tiver Roboter beispielsweise in der Frühschicht te schon möglich. In Zukunft werden Roboter
USB-Sticks kleben und die fertigen Produkte am eine neue Aufgabe wie das Greifen unvertrauter
Nachmittag in eine Lasergravurstation legen. Gegenstände von anderen Robotern lernen kön-
All diese Roboter werden zu Wartungszwe- nen. Möglicherweise können Roboter sich mit-
cken über das Industrial Internet an die zent- hilfe des maschinellen Lernens eines Tages auch
ralen Steuerungssysteme angeschlossen und selbst optimieren. Wie wäre es, wenn alle Robo-
darüber hinaus mit den unternehmensweiten ter, die weltweit dieselbe Aufgabe ausführen, bei
Bestell-, Einkaufs- und Versandsystemen ver- Schichtende zusammenkommen und analysie-
bunden sein. Bei einem Grossauftrag wird dann ren, was gut gelaufen ist und was sie am nächsten
automatisch sichergestellt, dass ausreichend Tag besser machen könnten?
Produktionsmaterial vorhanden ist und für die Es ist schwer zu sagen, was Richard Arkwright
Auslieferung der Produkte genügend LKW be- wohl gehalten hätte von kundenindividueller
reitstehen. Bestenfalls weiss das System sogar, Massenproduktion, enger Zusammenarbeit von
dass eine neue Werbekampagne die Nachfrage Mensch und Roboter oder von vernetzten Ro-
in der nächsten Woche steigern dürfte. botern, die lernen und nützliche Informationen
austauschen können. Eins ist jedoch klar: Her-
Der selbstlernende Roboter der steller, die heute in diese Lösungen für mehr Fle-
xibilität, Effizienz und Leistung investieren, wer-
Zukunft
den die Zukunft massgeblich mitprägen.
Heute sind Roboter darauf beschränkt, exakt
die Aufgaben zu erledigen, für die sie program-
miert wurden. Sie können noch nicht wie Men-
schen auf Änderungen in ihrem Umfeld oder an
ihren Aufgaben reagieren. Der nächste Schritt
wird deshalb die Weiterentwicklung des ma-
schinellen Lernens betreffen, eine Anwendung
künstlicher Intelligenz, die weitgehend auf der Steven Wyatt
Mustererkennung beruht. Das oberste Ziel ist Leiter Marketing und Vertrieb, Business Unit Robotics,
ABB, Zürich
es, einen bedienungsfreundlicheren Roboter zu
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 39
DIGITALISIERUNG
unterschiedlich besteuert. Das würde sie dazu werbsfähigkeit der Arbeitnehmenden steigern
bewegen, in die am geringsten besteuerten an- und deren Löhne stützen würden. Um die sozia-
statt in die effektivsten Technologien zu inves- len Vorteile einer solchen Politik zu beurteilen,
tieren. Die Folge wäre ein Produktivitätsverlust, müssen sie allerdings mit den entgangenen Ef-
der sich negativ auf das Steuersubstrat auswirk- fizienzgewinnen in Verhältnis gesetzt werden.
te. Zu Steuerausfällen käme es auch, wenn sich Zudem müssen sie mit den Kosten und Vortei-
die Unternehmen wegen der neuen Steuer zu len anderer fiskalischer Instrumente verglichen
stark eingeschränkt fühlten und deshalb lieber werden, mit denen das gleiche Resultat hätte
im Ausland investierten. erreicht werden können. Eine kürzlich in den
USA durchgeführte Studie3 hat untersucht, ob
Zu Lasten der Arbeitnehmenden eine Robotersteuer zur Verringerung der Ein-
kommensungleichheit wirksam ist. Die Studie
Über Steuern lassen sich das Verhalten und zeigt, dass der Nutzen gering wäre. Die Einbus-
die Entscheidungen von Unternehmen beein- sen bei der Wirtschaftseffizienz wären dagegen
flussen. Bei unternehmerischen Entscheidun- massiv. Die aufgrund der Robotisierung ent-
gen, deren externe Effekte für die Gesellschaft stehenden Ungleichheiten liessen sich kosten-
zu schwer wiegen, kann das sinnvoll sein. Mit günstiger verringern: durch eine angepasste
einer Robotersteuer liesse sich womöglich die Einkommensbesteuerung oder durch direkte
Einkommensungleichheit verringern, die durch Zahlungen an gewisse Arbeitnehmende. Doch Freund oder Feind?
den Einsatz von Robotern zunehmen könnte. die Gesamtkosten einer Steuer zu analysieren, Die Kommunikations-
chefin des Herstellers
Denn durch die Steuer entstehen Zusatzkos- reicht nicht. Es muss auch untersucht werden, Aldebaran umarmt
ten für diese Technologie, welche die Wettbe- wer diese letztlich trägt. den Informations
roboter Pepper.
KEYSTONE
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 41
DIGITALISIERUNG
Literatur
Abbot, R. und B. Bogenschneider (2017). Should De Backer, K. und D. Flaig (2017). The Future of Oberson, Xavier (2017). Taxing Robots? From
Robots Pay Taxes? Tax Policy in the Age of Au- Global Value Chains: Business as Usual or ’a the Emergence of an Electronic Ability to Pay
tomation?, in: Harvard Law & Policy Review. New Normal’? Direktorat für Wissenschaft, to a Tax on Robots or the Use of Robots, in:
Guerreiro, J., S. Rebelo und P. Teles (2017). Technologie und Innovation, Dokument World Tax Journal, No. 2, Mai.
Should Robots Be Taxed? NBER Working Nr. 41, OECD-Publikationen, Paris. OECD (2016). Automation and Independent
Papers No. 23806, National Bureau of Econo- Gates, Bill (2017). The Robot That Takes Your Work in a Digital Economy, Policy Brief on the
mic Research. Job Should Pay Taxes, in: Quartz-Magazin, Future of Work, OECD-Publikationen, Paris.
Bundesrat (2017). Auswirkungen der Digita- 17. Februar.
lisierung auf Beschäftigung und Arbeitsbe- Meager N. und S. Speckesser (2011). Wages,
dingungen − Chancen und Risiken. Bericht Productivity and Employment: A Review of
des Bundesrates in Erfüllung der Postu- Theory and International Data, European Em-
late 15.3854 Reynard vom 16.09.2015 und ployment Observatory, Thematic Expert Ad-
17.3222 Derder vom 17.03.2017, Bern, 8. No- hoc Paper.
vember.
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 43
DER STANDPUNKT
Gesamtarbeitsverträge und
Digitalisierung muss Weiterbildung
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 45
DIGITALISIERUNG
Herr Dorn, Sie forschen zum digitalen Wandel. Google-Software erkennt bereits Bilder von
Wie verändert die Digitalisierung Ihre eigene Gegenständen. Szenarien gehen davon aus, dass
Arbeit als Wissenschaftler? in einigen Jahren Lastwagenfahrer und schliess-
Sehr stark. Sie ermöglicht uns, in viel grösse- lich auch Chirurgen durch Roboter ersetzt wer-
rem Ausmass empirische Forschung zu betrei- den können. Verschwinden diese Berufe?
ben. Wir haben besseren Zugang zu den Daten, Nein. Die mögliche Automatisierung eines be-
die heute an vielen Orten digital erfasst und zu- stimmten Ablaufs führt nicht zwingend zum
gänglich sind. Dank leistungsfähigeren Compu- Aussterben eines ganzen Berufes. Ein Beispiel:
tern haben wir zudem die Möglichkeit, solche Die amerikanische Luftwaffe liess bereits 1947
Daten systematisch auszuwerten. Vor 20 bis 30 ein unbemanntes Flugzeug über den Atlantik
Jahren war die Ökonomik noch mathematisch- fliegen. Trotzdem ist die Beschäftigung von Pilo-
theoretisch orientiert, heute beschäftigt sie sich ten seither massiv angestiegen. Wir unterschät-
vorwiegend mit der Datenanalyse. zen hier häufig das Tätigkeitsspektrum eines Be-
rufes: Ein Lastwagenfahrer lenkt nicht nur, er
Mit der Einführung des PC zu Beginn der Achtzi- beschäftigt sich auch mit dem Beladen und Ent-
gerjahre hat sich die Digitalisierung auch auf die laden des Lastwagens und mit der Papier- und
Bürotätigkeiten ausgeweitet. Welche Tätigkei- Registrationsarbeit. Zudem kann er auf unvor-
ten hielten bisher der Automatisierung stand? hergesehene Situationen wie komplizierte Stras-
Das grundsätzliche Muster der Automatisierung senverhältnisse oder Baustellen reagieren. Diese
ist bei Büroaufgaben ähnlich wie in der indus- Dinge sind nur schwer oder gar nicht von einer
triellen Produktion: Tätigkeiten, die genauen Maschine zu bewältigen.
Arbeitsmustern folgen, werden automatisiert.
Weniger betroffen sind Tätigkeiten, in denen
Kreativität, Interaktionen mit Menschen, Prob- David Dorn
lemlösungen und Strategieentwicklung wichtig Der 38-jährige David Dorn ist Professor für Arbeitsökonomie
sind. Auch Berufe, in denen ganz grundsätzliche und internationalen Handel am UBS Center of Economics in So-
menschliche Eigenschaften wie das Erkennen ciety an der Universität Zürich. Zuvor lehrte er am Center for
Monetary and Financial Studies (CEMFI) in Madrid sowie an der
von Gegenständen, feinmotorische Bewegun-
Harvard-Universität in Boston. In seiner Forschung untersucht
gen oder räumliche Orientierung gefragt sind, er unter anderem die Auswirkungen der Globalisierung und des
bleiben bestehen. technologischen Wandels auf den Arbeitsmarkt.
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 47
DIGITALISIERUNG
Bis man sich vom Lastwagenfahrer trennt, dau- Eine viel beachtete Studie der Universität Ox-
ert es also noch. ford aus dem Jahr 2013 sagt voraus, dass in den
Hier spielt auch die gesellschaftliche Akzeptanz USA bis 2050 durch die Automatisierung rund
hinein. Wären die Gäste einer Fluggesellschaft die Hälfte aller Jobs wegfallen. Wie schätzen Sie
bereit, mit einem führerlosen Flugzeug zu rei- diese Studie als Wissenschaftler ein?
sen? Technisch ist es möglich und wird in mili- Diese Studie basiert nicht auf den aktuellsten Er-
tärischen Anwendungen auch gemacht, aber im kenntnissen. Sie sagt das baldige Verschwinden
Personenverkehr hat es nicht Einzug gehalten. vieler Berufe voraus, in denen wir trotz zuneh-
mender Verwendung von Robotern ein bestän-
Wir haben trotz zunehmen- diges Ansteigen der Beschäftigung beobachten.
«Die Einkommen sind der Automatisierung in der
zunehmend ungleicher Schweiz momentan eine tiefe Wie viele Jobs fallen Ihrer Meinung nach weg?
Arbeitslosenquote von rund 3 Im verarbeitenden Gewerbe und in bestimm-
verteilt.» Prozent. Ist also alles bestens? ten Bürotätigkeiten gibt es einen Rückgang der
Wir wissen aus den Erfah- Beschäftigung. Dieser dürfte sich auch in Zu-
rungen von mehreren Jahrhunderten des tech- kunft fortsetzen. In anderen Bereichen werden
nischen Fortschritts, dass das Ersetzen von dagegen neue Arbeitsstellen geschaffen. Das gilt
menschlicher Arbeit durch arbeitssparende nicht nur für hoch qualifizierte Jobs, sondern
Technologien langfristig keinen Anstieg der auch für niedrig qualifizierte etwa im Gesund-
Arbeitslosigkeit zur Folge hat. heitssektor und in der Altenpflege.
Die Weltbevölkerung war noch nie so zahlreich. Sind also die tief qualifizierten Berufe nicht
Es braucht zusätzliche Stellen. unter Druck?
Mehr Menschen konsumieren mehr. Wir benö- Zu einem Anstieg des Beschäftigtenanteils
tigen somit mehr Leute, die Güter und Dienst- kommt es laut den Daten sowohl in den bestqua-
leistungen herstellen und anbieten. Innerhalb lifizierten Berufen mit den höchsten Löhnen
der letzten 150 Jahre haben wir die Wirtschafts- wie bei Managern, Ingenieuren oder Naturwis-
struktur komplett auf den Kopf gestellt: Wir sind senschaftlern als auch bei den sehr niedrig qua-
von einer Agrargesellschaft über die Industria- lifizierten, tief bezahlten Dienstleistungsberu-
lisierung zu einer Dienstleistungsgesellschaft fen in Restaurants, im Reinigungsgewerbe und
übergegangen und haben immer wieder zusätz- in der Kinderbetreuung. Bei Letzteren handelt
liche, neue Arbeitsfelder erschaffen. Man denke es sich um Tätigkeiten, die von Menschen mit
etwa an den Zuwachs an Programmierern und geringer schulischer Qualifikation relativ leicht
Beschäftigten in diversen anderen IT-Berufen. auszuüben sind, die jedoch Maschinen immer
noch grösste Probleme bereiten.
Schaffen wir damit genügend Stellen?
Noch viel wichtiger ist ein anderer Wirkungs- Haben Sie ein Beispiel?
kanal: Durch den Einsatz von günstigen Pro- Es gibt schon seit Jahrzehnten grosse Bestre-
duktionstechnologien haben sich die Preise der bungen in der Roboterindustrie, gute Putzro-
Produkte wesentlich verringert. Die industrielle boter für Reinigungsarbeiten zu erschaffen.
Revolution hat in der Textilproduktion aufwen- Auch nach langer Forschungszeit ist man bis-
dige Handarbeit durch neuartige Maschinen her kaum weitergekommen. Sobald es darum
ersetzt und konnte so die Preise der erzeugten geht, die Möbel in einer Wohnung abzustau-
Kleider massiv senken. Dies ermöglichte den ben, und man die Intuition haben muss, mit
Konsumenten, einen grösseren Teil ihres Ein- welchen Bewegungen und wie viel Druck man
kommens auf andere Güter und Dienstleistun- diese anfassen sollte – da ist ein Roboter kom-
gen zu verwenden, etwa für Aktivitäten wie Fe- plett überfordert.
rienreisen und Freizeitunterhaltung. In diesen
Branchen wurden dementsprechend viele Stel- Sind also vor allem Berufe gefährdet, die eine
len geschaffen. mittlere Qualifikation erfordern?
Genau. Der Stellenverlust bei Produktions- und Es gibt ja nicht nur die Lohneinkommen.
Bürotätigkeiten betrifft häufig mittlere Quali- Seit etwa drei Jahrzehnten sehen wir in vielen
fikations- und Einkommensgruppen. Dadurch Ländern einen Rückgang beim Anteil der Arbeit-
entsteht eine Polarisierung der Beschäftigung, nehmer am Gesamteinkommen der Volkswirt-
die sich zunehmend in den höchst- und nie- schaft. Währenddessen steigt der Anteil des
drigstbezahlten Berufen konzentriert. In der Kapitaleinkommens. Wenn eine solche Ver-
Schweiz zeigt sich das sehr ausgeprägt. Das be- teilungssituation weiter fortschreitet, gewinnt
deutet nicht, dass durch die technologische Ent- auch eine Umverteilung von Kapitaleinkünften
wicklung Massenarbeitslosigkeit entsteht. Aber hin zur breiten Bevölkerung an Bedeutung.
die Einkommen sind zunehmend ungleicher
verteilt. Was braucht es für zusätzliche Massnahmen?
Es ist wichtig, dass die Menschen auch in Zu-
Führt das zu sozialen Spannungen? kunft den Eindruck haben, dass sie im Arbeits-
In manchen Ländern wie den USA sind bereits markt durch eigene Leistung eine wirtschaft-
Probleme aufgetreten: Einerseits wachsen dort liche Verbesserung erzielen können oder dass
die Einkommen der Bestbezahlten im Arbeits- zumindest die Generation ihrer Kinder bessere
markt, aber gleichzeitig haben grosse Segmente Perspektiven hat.
der Beschäftigten seit Jahrzehnten keinen An-
stieg der Reallöhne mehr erlebt. Damit sprechen Sie die Bildung an. Der Bundes-
rat genehmigte jüngst einen Zusatzkredit für
Was ist zu tun? Bildung und Weiterbildung, damit die Beschäf-
Die meisten westlichen Staaten haben heutzu- tigten den Anforderungen der Digitalisierung
tage progressive Steuersysteme. Das heisst, es gewachsen sind. Ist dies die Lösung?
gibt bereits eine automatische Stabilisierung: Es ist wichtig, in die Bildung der neuen Gene-
Wenn die Einkommen ungleicher werden, wird ration zu investieren. Die Digitalisierung im
stärker umverteilt. Arbeitsmarkt zeigt sich besonders stark bei den
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 49
DIGITALISIERUNG
jungen Generationen. Wenn weniger Produkti- Zweiten Weltkrieg. Das schwächere Produktivi-
ons- oder Buchhaltungsberufe gefragt sind, tre- tätswachstum weist darauf hin, dass die tech-
ten die Jungen nicht mehr in diese Berufe ein. nologischen Verbesserungen in der Herstellung
Sie wählen Berufe wie Programmierer oder wei- von Gütern und Dienstleistungen nicht mehr so
chen in Berufe mit niedrigen Qualifikationsan- schnell erfolgen wie früher. Bei Computern und
forderungen aus, wo es noch Beschäftigungs- in der Mobilfunktechnologie war die techno-
möglichkeiten gibt. logische Entwicklung in den letzten Jahrzehn-
ten zwar rasend schnell, aber in vielen anderen
Welche Reformen braucht Technologiebereichen war sie deutlich langsa-
«Es ist nicht erfolg- unser Bildungssystem, damit mer.
versprechend, wenn wir künftig viele gut qualifi-
zierte Leute haben? Wo beispielsweise?
man Kinder zu kleinen Wir müssen realisieren, dass Etwa in der Medizin. Gemessen an den enor-
Computern ausbildet.» wir die Computer auf ihrem men Investitionen in die Forschung, stellt sich
eigenen Territorium nicht die Frage, ob wir noch im gleichen Ausmass er-
mehr übertreffen können. Es ist heute nicht folgreich Medikamente entwickeln wie früher.
mehr erfolgversprechend, wenn man Kinder zu Es gibt auch Beispiele aus der Transporttech-
kleinen Computern ausbildet, die eine unglaub- nologie: Wir haben heute Flugzeuge, die noch
liche Merkfähigkeit haben oder ganz schnell sehr ähnlich aussehen wie in den Siebziger-
rechnen können. Wir müssen dort investieren, jahren, während sich neue Technologien wie
wo die Menschen auch in Zukunft den Maschi- Überschallflugzeuge im Personenverkehr nicht
nen überlegen sind – also in Problemlösung, durchsetzen konnten.
Kreativität und Kommunikation.
Woran liegt das?
Sie plädieren für andere Grundkompetenzen? Möglicherweise ist in vielen Bereichen das Inno-
Das haben viele Schulen mittlerweile erkannt vationspotenzial zunehmend ausgereizt. Auch
und fördern stärker Projekt- und Gruppenarbei- hier ist unsere Wahrnehmung häufig verzerrt.
ten. Die Schweiz ist im internationalen Vergleich Wir haben erlebt, wie sich die Mobilfunktech-
gut aufgestellt, weil in unserem Berufsbildungs- nologie unglaublich weiterentwickelt hat, und
system die Rückkoppelung von Marktanforde- denken deshalb, das sei die grösste und schnells-
rungen an die Ausbildung relativ schnell erfolgt. te Entwicklung, die es jemals gegeben hat. Aber
In Ländern, wo ein grösserer Teil der Ausbil- dabei vergessen wir, dass im 19. Jahrhundert in-
dung über das Schulbildungssystem funktio- nerhalb eines Jahres der Verbrennungsmotor,
niert, ist diese Anpassung hingegen eher träge. die drahtlose Datenübermittlung und das elekt-
rische Licht erfunden wurden. Jede dieser Tech-
Werden sich die Berufsprofile immer schneller nologien hat einen unglaublichen Schub von
verändern? weiteren Erfindungen ausgelöst. Die Compu-
Es gibt nur wenig Evidenz dafür, dass sich der tertechnologie stellt dagegen nur einen relativ
technologische Wandel beschleunigt. Im Gegen- schmalen Ausschnitt der Technologien dar, die
teil, wie es scheint, verliert die technologische wir heute zur Verfügung haben.
Entwicklung an Tempo. In den letzten drei Jahr-
zehnten hatten wir in den westlichen Ländern
ein wesentlich schwächeres Wirtschaftswachs- Interview: Susanne Blank, Chefredaktorin
tum als noch in den drei Jahrzehnten nach dem «Die Volkswirtschaft».
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 51
fortwährende «Jagd nach Rendite» haben mit Ausnahme von Deutschland,
Japan, Grossbritannien und Argentinien in allen G-20-Ländern zu einer
deutlichen Zunahme der Unternehmensverschuldung geführt. Die Schweiz
fällt als Nichtmitglied dieses Clubs vor allem durch die weltweit höchste Ver-
schuldung der Privathaushalte auf.
Eric Scheidegger
Dr. rer. pol., Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik,
Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern
eric.scheidegger@seco.admin.ch
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 53
ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT
KEYSTONE
Hersteller aus den ärmsten Ländern können zoll-
frei in die Schweiz exportieren. Ein afghanischer
Importware ihren Ursprung auch tatsächlich trierte Exporteure den Ursprung ihrer Ware Granatapfelproduzent bei der Ernte.
in diesem Entwicklungsland hat.3 Dazu muss selbst auf einem Handelspapier, zum Beispiel
ein Erzeugnis im Entwicklungsland entweder auf einer Rechnung, deklarieren. Das bisheri-
vollständig gewonnen werden – wie etwa vor ge Ausstellen des Standard-Ursprungszeug- dehnung dieses Systems ist auch auf Freihan-
Ort geerntetes Obst oder Gemüse – oder aus- nisses – des sogenannten Form A – durch die delsabkommen denkbar. Die EU hat beispiels-
reichend verarbeitet werden, wie etwa beim Behörden im Ausfuhrland entfällt somit. Das weise die Selbstdeklarationspflicht für regist-
Zusammennähen von textilen Zuschnitten zu spart wertvolle Zeit. Darüber hinaus leistet die rierte Ausführer als integralen Bestandteil im
einem Kleidungsstück. Die Herkunft der Ware Einführung von REX einen wichtigen Beitrag Freihandelsabkommen mit Kanada verankert.
belegt ein sogenanntes Ursprungszeugnis, das zur Digitalisierung der Zollprozesse – einem Dieses Abkommen wird seit dem 21. Septem-
von den verantwortlichen Behörden im Aus- zentralen Thema in der wirtschaftlichen Ent- ber 2017 vorläufig angewendet. Die EU plant,
fuhrland ausgestellt wird. Sind alle Angaben wicklungszusammenarbeit. Für die Umstel- REX auch bei weiteren Freihandelsabkom-
korrekt, und sind die in der Ursprungsregeln- lung auf die neuen Ursprungsnachweise ist men einzuführen. Für die Schweiz steht die
verordnung aufgeführten Bedingungen er- eine Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2020 Umstellung auf die neuen Ursprungsnach-
füllt, gewährt der Schweizer Zoll die entspre- vorgesehen. Die verantwortlichen Behörden weise im Rahmen des Allgemeinen Präferen-
chende Zollermässigung. in den Entwicklungsländern werden von der zensystems mit seinen über 130 begünstigten
Seit dem 1. Januar 2017 müssen Exporteu- Schweiz bei dieser Umstellung unterstützt. Ländern zurzeit noch im Vordergrund. Doch
re im Warenverkehr zwischen der Schweiz Mit der Einführung von REX wurden auch auch sie prüft die Möglichkeit einer erweiter-
und einem Entwicklungsland neue Ursprungs- die Beförderungsbedingungen im APS ange- ten Anwendung.
nachweise erbringen. Dazu müssen sie sich passt: Musste eine Sendung früher direkt von
einmalig auf der eigens dafür kreierten Daten- einem Entwicklungsland in die Schweiz trans-
bank registrieren. Dieses elektronische System portiert werden, kann sie heute an einem
für registrierte Ausführer (Registered Exporter internationalen Handelsknoten – unter Zoll-
System, REX) ist im Rahmen des APS der Euro- kontrolle – aufgeteilt und gestückelt in die
päischen Union (EU) eingeführt worden. Auch Schweiz transportiert werden. Damit ent-
die Schweiz und Norwegen beteiligen sich da- spricht das APS den heutigen Anforderungen
ran. Mit REX müssen Exporteure weniger For- international integrierter Wertschöpfungsket-
malitäten erledigen und sind von den Behör- ten, die ein schnelles und unkompliziertes Ver-
den unabhängiger. Denn neu können regis- senden von Waren erfordern. Raphael Jenny
Die Anwendung von REX im Rahmen des Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ressort
3 Die entsprechenden Bestimmungen dazu sind in der Ver- Handelsförderung, Staatssekretariat für
ordnung über die Ursprungsregeln für Zollpräferenzen
Allgemeinen Präferenzensystems ist nicht auf
Wirtschaft (Seco), Bern
zugunsten der Entwicklungsländer (SR 946.39) geregelt. Entwicklungsländer beschränkt. Eine Aus-
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 55
INDUSTRIE
Der Schweizer Standort ist beim Engineering innerhalb des Produktionsverbundes federführend
Der Schweizer Standort baut strategisch bedeutendes Know-how für den gesamten Produktions-
verbund auf und transferiert dieses an Produktionsstandorte weltweit
Wir produzieren komplexe und strategisch relevante Produkte und Komponenten nur am
Schweizer Standort
Der Schweizer Standort ist im ganzen Produktionsverbund die zentrale Schnittstelle zwischen
Kunde und Produktion
Wir führen unsere Produkte zunächst am Schweizer Standort ein, bevor wir die Produktion an
anderen Standorten hochfahren
Ausschliesslich der Schweizer Standort wird für die Endmontage unserer Produkte eingesetzt
1 2 3 4 5 6 7
Gesamt KMU Grossunternehmen
Durchschnittliche Bewertung. 1 = trifft gar nicht zu, 7 = trifft sehr zu. Anzahl befragter Unternehmen: 102.
nicht tarifärer Barrieren oder die Nutzung von Schritt dar, wenn es darum geht, den Unter- ten drei Jahren Verlagerungen ins Ausland
Wechselkurseffekten.3 Eine Priorisierung der nehmensstandort zu ändern. Denn bei einer vorzunehmen. Auch hier stehen Einsparun-
Standortfaktoren ist allerdings nicht mög- Verlagerung gehen nicht nur Arbeitsplät- gen bei den Produktionskosten an erster
lich, da diese entweder von Unternehmen zu ze am alten Standort verloren, sondern auch Stelle (siehe Abbildung 1). Ein weiteres kos-
Unternehmen oder sogar von Produktions- Know-how, das zum Teil über weite Stre- tengetriebenes Motiv, die Senkung der Lo-
werk zu Produktionswerk variiert. Ist bei- cken transferiert werden muss und somit in gistikkosten, kommt bereits an dritter Stel-
spielsweise für den einen Werkplatz die Kun- der Schweiz teilweise verschwindet. Deshalb le. Schweizer Produktionsstätten sind denn
dennähe ein dominierender Aspekt, so ist er müssen Unternehmen gute Gründe haben, auch bei den Studienteilnehmern im Durch-
für andere Standorte, an denen nur Zwischen- um einen solchen Schritt zu gehen. schnitt 37 Prozent teurer als ausländische.
produkte hergestellt werden, kaum rele- Als wichtigsten Grund nennen Unterneh- Bei den Grossunternehmen liegen sie durch-
vant. Allerdings kann sich die Bedeutung von men, die in den letzten drei Jahren eine Pro- schnittlich 20 Prozent höher, bei den KMU
Standortfaktoren im Laufe der Zeit ändern. Ei- duktionsstätte ins Ausland verlagert haben, sind es 43 Prozent. Dieses Ergebnis zeigt er-
nige Unternehmen berichten beispielsweise, die Einsparung von Produktionskosten. Zum neut, wie drängend das Problem der hohen
dass Standorte, die ursprünglich noch wegen selben Ergebnis gelangen auch internationa- Kosten für Schweizer Produktionsunterneh-
Kostenvorteilen gewählt wurden, heutzutage le Studien.5 Die Einsparung von Logistikkos- men ist.
potenzielle Wissens- und Lernquellen sind.4 ten ist, mit viel Abstand und im Durchschnitt Motive zur Fokussierung auf heutige und
Nationale Differenzen hinsichtlich die- beinahe neutral bewertet, der zweitwich- zukünftige Kunden folgen erst an zweiter und
ser Faktoren veranlassen Unternehmen gele- tigste Grund. Für Grossunternehmen ist die- vierter Stelle. Die Nähe zu den bestehenden
gentlich zur Verlagerungen ihrer Wertschöp- ser Punkt jedoch wichtiger als für KMU. Das- Kunden wird dabei als etwas wichtiger an-
fungsaktivitäten an Standorte mit vorteil- selbe gilt für die Verbesserung der Lieferge- gesehen als die Erschliessung neuer Märkte.
hafteren Bedingungen. Der aktuelle «Swiss schwindigkeit und -pünktlichkeit, auch sie Aber beide werden von den befragten Unter-
Manufacturing Survey» zeigt, dass bereits ist für Grossunternehmen wichtiger. Quali- nehmen im Mittel als eher neutral bewertet.
eine Vielzahl von Schweizer Unternehmen tätsverbesserungen, ein besseres juristisches Auch hier zeigt sich ein Grössenunterschied:
in den vergangenen drei Jahren Veränderun- und politisches Umfeld oder eine bessere Inf- Für grosse Unternehmen ist die Expansion in
gen bei der geografischen Konfiguration ihrer rastruktur sind dagegen kaum ein Grund, die neue Märkte wichtiger als für kleine Betrie-
Produktionsstätten vorgenommen hat. Schweiz zu verlassen. Auch die Verfügbar- be. Qualitäts- und Infrastrukturfaktoren sind,
keit von qualifizierten Arbeitskräften ist ins- wie auch bei den Faktoren bereits durchge-
Hohe Kosten vertreiben Firmen gesamt eher unwichtig – dennoch ist sie aber führter Verlagerungen, eher unwichtig. Das
für KMU wichtiger als für Grossunternehmen. zeigt, wie fortschrittlich die Rahmenbedin-
Im Vergleich zum Outsourcing, bei dem ein- gungen in der Schweizer Produktionsland-
zelne Wertschöpfungsaktivitäten des eige- Kostensenkung auch in Zukunft schaft sind.
nen Unternehmens an Dritte ausgelagert Ob das stabile politische Umfeld und die
werden, stellt eine Verlagerung des Produk-
Hauptmotiv gute Infrastruktur in der Schweiz die höheren
tionsstandortes einen ungleich grösseren Ähnlich sieht es bei den Motiven aus, die Fir- Kosten aufwiegen können, muss jedes Unter-
men dazu bringen könnten, in den nächs- nehmen letztendlich für sich entscheiden. Al-
3 Siehe Abele et al (2008), Ellram et al (2013) sowie
Ketokivi et al (2017). lerdings fällt auf, dass KMU offenbar stärker
4 Siehe Meijboom und Vos (1997). 5 Siehe Jacob und Strube (2008). an den Standort Schweiz gebunden sind als
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 57
ÄLTERE ARBEITNEHMENDE
KEYSTONE
Ältere Mitarbeitende leisten häufig Freiwilligen-
arbeit. Putzequipe im Tessiner Bavonatal.
eine T
ätigkeit umso attraktiver, je stärker In- vitäten teils deutlich zurück. Besonders gross
dividuen die eigenen Kompetenzen einset- sind die Attraktivitätsunterschiede bei der
zen können, Wertschätzung erfahren, auto- Kameradschaftlichkeit, der Beeinflussbar- Die Abweichung zwischen dem Ist- und dem
nom sind und eine gesicherte Zukunft haben. keit der Tätigkeit und der Ausrichtung auf die Sollzustand ist ein Gradmesser für die wahr-
In der Belonging-Dimension ist sie umso at- eigenen Interessen: Hier sehen über 40 Pro- genommene Unzufriedenheit: je höher die
traktiver, je stärker das Zugehörigkeitsgefühl, zent der Befragten die ausserberuflichen Be- Diskrepanz, desto grösser die Unzufriedenheit
die Unterstützung durch den Vorgesetzten tätigungen im Vorteil, während nur eine Min- bzw. desto geringer die Motivation.
und das Team ausfallen. Beim Becoming ste- derheit die Berufstätigkeit besser einschätzt. In der Untersuchung wurden die Soll-Ist-
hen das Sammeln neuer Erfahrungen sowie Im Rückstand ist die Berufstätigkeit auch Differenzen für die Berufstätigkeit erfragt. Die
das Lernen von Neuem und das Ausprobieren in der Believing-Dimension. Auch hier sind die grössten Diskrepanzen zeigten sich bei der
im Vordergrund. Und beim Believing gewinnt ausserberuflichen Betätigungen im Vorteil, Wertschätzung. Auch der Fähigkeiteneinsatz
eine Tätigkeit an Attraktivität, je stärker man bei denen die Befragten häufiger die Mög- und die Entwicklungsmöglichkeiten lagen
die Sinnhaftigkeit im Handeln erfahren, einen lichkeit sehen, etwas Sinnvolles leisten und hinter den Erwartungen zurück.
Beitrag leisten, Begründungen nachvollzie- innerliche Befriedigung erfahren zu können. Insgesamt nehmen die Soll-Ist-Differen-
hen und wertorientiert handeln kann. Einzig in der Becoming-Dimension sind zen mit steigendem Alter ab, da tenden-
Aufschlussreich ist ein Vergleich der Be- die Diskrepanzen weniger gross. Insbeson- ziell die Wichtigkeit sinkt und der Erfüllungs-
rufstätigkeit mit ausserberuflichen Tätigkei- dere jüngere Befragte sehen im Beruf mehr grad steigt. Allerdings ist die Abnahme nicht
ten in Bezug auf verschiedene Aspekte dieser Möglichkeiten zur persönlichen Weiterent- gleichmässig (siehe Abbildungen). So zeigt
Dimensionen. Zu den ausserberuflichen Tä- wicklung und Verantwortungsübernahme sich in Bezug auf den Einsatz der eigenen Fä-
tigkeiten zählen beispielsweise, wie erwähnt, als in der Freizeit. Bei den älteren Befragten higkeiten ein Rückgang der Soll-Ist-Differenz
Pflegeaufgaben oder Vereinsarbeit – Freizeit- schneiden ausserberufliche und berufliche zwischen 30 und 50 Jahren – das heisst, Jün-
beschäftigungen wie Hobbys oder Reisen ge- Tätigkeiten etwa gleich ab. gere haben häufiger das Gefühl, ihre Fähigkei-
hören jedoch nicht dazu. Dabei schneiden ten nicht in dem Ausmass einsetzen zu kön-
die ausserberuflichen Aktivitäten insgesamt Wunsch und Realität klaffen nen, wie sie dies möchten. Bis 50 nimmt die
deutlich besser ab als die beruflichen Aktivi- Soll-Ist-Lücke relativ ab, um dann erneut an-
täten (siehe Tabelle).
auseinander zusteigen. Ab 60 sinkt sie dann wieder. Ein
In den Dimensionen Being und Belon- Für die Motivation bzw. die Zufriedenheit oder ähnliches Bild zeigt sich in Bezug auf die Mög-
ging vermag die Berufswelt sowohl bei älte- Unzufriedenheit ist nicht nur wichtig, wie lichkeit, etwas Neues zu lernen: Hier nimmt
ren wie auch bei jüngeren Mitarbeitenden stark ein Merkmal – beispielsweise die Wert- die Soll-Ist-Diskrepanz ab 40 deutlich ab und
nur hinsichtlich der Ausrichtung auf die eige- schätzung im Unternehmen – ausgeprägt ist, stagniert um die 50, bevor sie ab 60 Jahren
nen Kompetenzen und Fähigkeiten zu punk- sondern auch, wie wichtig dieses Merkmal nochmals deutlich zurückgeht.
ten. Bei den vier weiteren Kriterien dieser bei- eingeschätzt wird (Soll) und wie hoch der Er- Insgesamt scheint also um das 50. Lebens-
den Dimensionen liegen die beruflichen Akti- füllungsgrad (Ist) aus Sicht der Befragten ist. jahr die grundlegende Tendenz der sinkenden
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 59
ÄLTERE ARBEITNEHMENDE
Mitarbeitende ohne Führungsfunktion, N≥1076. Die Frage in der Umfrage lautete: «Bitte vergleichen Sie die […]
nicht beruflichen Tätigkeiten mit Ihrer beruflichen Tätigkeit. Bei welcher Tätigkeit sind die folgenden Aspekte
besser erfüllt?» In der Tabelle nicht dargestellt ist die dritte Antwortmöglichkeit «kein Unterschied»; zusammen
mit den aufgeführten zwei Antwortmöglichkeiten summiert sie sich pro Alterskategorie auf 100 Prozent.
Monika Engler
Soll-Ist-Diskrepanzen unterbrochen zu wer- Attraktive Inhalte und Freiräume Dr. oec., Dozentin für Volkswirtschaftsleh
den – was sich entsprechend negativ auf die re, Zentrum für wirtschaftspolitische
Motivation in Bezug auf den Einsatz der Fähig- Das Ausmass an Zeit und Ressourcen, wel- Forschung, Hochschule für Technik und
Wirtschaft (HTW), Chur
keiten bzw. deren Entwicklung auswirkt. Die- che ältere Berufsleute für die Erwerbstätigkeit
se Beobachtung deckt sich mit Interviewaus- aufwenden können und wollen, hängt immer
sagen älterer Mitarbeitender, wonach sie sich auch von den ausserberuflichen Verpflichtun-
im Unternehmen vergleichsweise schwach ge- gen und Interessen ab. Um mehr Arbeitskräf-
fördert fühlen und ihre Chancen, eine Weiter- te zu einem längeren Erwerbsverbleib zu mo-
bildung zu absolvieren oder in andere Aufga- tivieren, muss deshalb einerseits die Attrakti-
ben und Funktionen zu wechseln, vermindert vität im Vergleich zu alternativen Tätigkeiten
sehen. Ebenso nehmen mit zunehmendem Al- gesteigert werden. Hierfür sind Ansätze zu
ter die mitarbeiterseitigen Bemühungen ab, die entwickeln, die dafür sorgen, dass die Er-
Aufgaben und Fähigkeiten aufeinander aus- werbstätigkeit interessant bleibt und den viel- Elisa Streuli
zurichten. Beides trägt im Endeffekt zu einem fältigen Einsatz und die Entwicklung der in- Dr. phil., Dozentin und Beraterin,
demotivierenden «Mismatch» zwischen mit- dividuellen Fähigkeiten zulässt. Wie aus den Institut für Angewandte Psychologie,
arbeiterseitig vorhandenen und unterneh- Umfrageergebnissen hervorgeht, sind dabei Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften (ZHAW), Zürich
mensseitig verwendeten Ressourcen bei. nicht so sehr formelle Weiterbildungsangebo-
Literatur
Alderfer, C. P. (1967). Convergent and zur längerfristigen Zukunft der Alters- Engler, M., Eich-Stierli, B., Passalacqua, Trageser, J., Hammer, S. und Fliedner, J.
Discriminant Validation of Satisfaction sicherung (IDA ForAlt), Bundesamt für S. und von Wyl, A. (2016). Aging – (2012). Altersrücktritt im Kontext der
and Desire Measures by Interviews and Sozialversicherung, Bern. Workforce. Das Potenzial erkennen und demografischen Entwicklung, Beiträge
Questionnaires, in: Journal of Applied Bundesamt für Statistik BFS (2007). mobilisieren, Basel. zur Sozialen Sicherheit, Forschungs-
Psychology, 51(6): 509. Statistik der Alterssicherung – Analyse Nohria, N., Lawrence, P. und Wilson, E. bericht Nr. 11/12, Bundesamt für Sozial-
Balthasar, A., Bieri, O., Grau, P., Künzi, K. der Vorsorgesituation der Personen rund (2001). Driven: How Human Nature versicherung, Bern.
und Guggisberg, J. (2003). Der Übergang um das Rentenalter anhand der Daten der Shapes Our Choices, San Francisco.
in den Ruhestand – Wege, Einfluss- Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung Pink, D. H. (2011). Drive: the Surprising
faktoren und Konsequenzen, Bericht (Sake) 2002 und 2005, Neuenburg. Truth About What Motivates Us.
im Rahmen des Forschungsprogramms
Abstract Das Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) untersuchte im Auftrag Die wichtigsten Finanzierungsformen für
des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) die Situation der kleinen und mittleren KMU mit Fremdkapital sind Hypotheken und
Unternehmen (KMU) in der Schweiz bezüglich Zugang zu Bankkrediten und der Ent- Kontokorrentkredite. Des Weiteren haben
wicklung ihrer Finanzierungsbedürfnisse. Die repräsentative Umfrage zeigt, dass nur auch private Darlehen von Familien, Freun-
wenige Kreditanträge abgelehnt werden. Es gibt jedoch überraschend viele Mikro- den, Aktionären oder Partnerunternehmen
unternehmen, welche trotz eines Finanzierungsbedarfs auf einen Kreditantrag ver- eine gewisse Bedeutung.
zichten. Häufige Gründe dafür sind eine erwartete Ablehnung des Antrags, administ- Im umliegenden Ausland sind Bankfinan-
rative Hürden und ein Mangel an verfügbaren Sicherheiten. zierungen unter KMU deutlich verbreiteter,
wie ein Vergleich mit einer Umfrage der Euro-
päischen Zentralbank zeigt.4 Während in der
Schweiz lediglich 32 Prozent der KMU davon
0
1 Als KMU werden Unternehmen mit weniger als 250
Mitarbeitern gezählt; BFS (2017). Die Studie konzent- Vor 1980 1980–1989 1990–1999 2000–2004 2005–2009 Seit 2010
rierte sich auf jene KMU mit mehr als 2 Beschäftigten
(in Vollzeitäquivalenten). Mikrounternehmen (2–9 Vollzeitäquivalente) Kleine Unternehmen (10–49 Vollzeitäquivalente)
2 Dietrich, Wernli, Duss (2017). Mittlere Unternehmen (50–249 Vollzeitäquivalente)
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 61
UNTERNEHMENSKREDITE
g egenüber KMU mit mehr als 10 Beschäf- verfügbaren Sicherheiten zu scheitern. Hier
Die wichtigsten Herausforderungen
tigten, von denen mehr als die Hälfte einen könnte möglicherweise eine bessere Be-
von KMU
Bankkredit hat. kanntheit des vom Bund aktiv unterstützten
Rang Herausforderung Durchschnittswert Bürgschaftswesens teilweise Abhilfe leisten.
Jungunternehmen mit (1–10 Punkte) Derzeit ist diese Option nur wenigen KMU
bekannt: Über alle Branchen haben lediglich
Finanzierungsschwierigkeiten 1. Wettbewerb 4,69
14 Prozent davon gehört. Am grössten ist der
2. Kundschaft 4,57
Doch nicht nur bei der Grösse, sondern auch Bekanntheitsgrad mit 21 Prozent in der Indus-
generieren
beim Firmenalter gibt es deutliche Zusam- trie.
menhänge mit der Finanzierungsstruktur 3. Kosten/Löhne 4,04 Es lässt sich zudem vermuten: Viele der
(siehe Abbildung). Tendenziell steigt die Häu- 4. Qualifiziertes 3,87 entmutigten KMU hätten vermutlich einen
figkeit von Bankfinanzierungen mit zuneh- Personal Bankkredit erhalten, wenn sie einen solchen
mendem Firmenalter. Ein Grund dafür ist, 5. Regulierung 3,51 beantragt hätten. Eine Studie dazu über KMU
dass KMU mit der Zeit wachsen. Zudem kann, 6. Zugang zu exter 2,85
aus den USA schätzte diesen Anteil auf zwi-
unabhängig von der Unternehmensgrös- nen Finanz schen 21 und 55 Prozent. Da die Gruppe der
Wirtschaftskennzahlen
Auf einen Blick finden Sie hier die Kennzahlen Bruttoinlandprodukt, Erwerbslosenquote und Inflation von acht Ländern, der EU und
der OECD. Zahlenreihen zu diesen Wirtschaftszahlen sind auf Dievolkswirtschaft.ch aufgeschaltet.
Bruttoinlandprodukt: Bruttoinlandprodukt:
Reale Veränderung in % gegenüber dem Reale Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal1
Vorjahr
2016 3/2017 2/2017 1/2017 4/2016
Schweiz 1,3 Schweiz 0,6 0,3 0,3 0,1
Deutschland 1,9 Deutschland 0,8 0,6 0,7 0,4
Frankreich 1,2 Frankreich 0,5 0,5 0,5 0,5
Italien 0,9 Italien 0,5 0,4 0,4 0,2
Grossbritannien 1,8 Grossbritannien 0,4 0,3 0,2 0,7
EU 1,9 EU 0,6 0,6 0,5 0,6
USA 1,6 USA 0,8 0,8 0,3 0,5
Japan 1,0 Japan 0,3 1,0 0,4 0,3
China 6,7 China 1,7 1,7 1,3 1,7
OECD 1,7 OECD 0,6 0,7 0,5 0,7
Inflation: Inflation:
Veränderung in % gegenüber dem Vor- Veränderung in % gegenüber dem
jahr Vorjahresmonat
2016 Oktober 2017
Schweiz 0,0 Schweiz 0,7
Deutschland 0,5 Deutschland 1,6
Frankreich 0,2 Frankreich 1,1
Italien –0,1 Italien 1,0
Grossbritannien 0,7 Grossbritannien 3,0
EU 0,3 EU 1,7
SECO, BFS, OECD
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 63
Durchzogene Bilanz beim CO2-Ausstoss
Die Schweizer Wirtschaft produziert mit relativ wenig CO2-Emissionen ein hohes Bruttoinlandprodukt (BIP). Gründe dafür
sind die emissionsarme Stromerzeugung sowie ein grosser Dienstleistungssektor. Seit 1990 hat sich die CO2-Effizienz des
BIP stetig verbessert. Heute liegt die Schweiz deutlich unter dem Weltdurchschnitt. Anders beim Ausstoss pro Kopf: Die
Schweiz schneidet hier schlechter als der Weltdurchschnitt ab. Schweden und Franzosen verursachen weniger CO2. China, der
weltweit grösste Emittent, steht beim Pro-Kopf-Ausstoss auf einmal besser da als Deutschland.
0,5
CO2-effiziente Schweizer Wirtschaft
Kaufkraftbereinigt, in Kilogramm CO2 pro Dollar des BIP, 2015
0,3 0,31
0,21
0,12
0,08 0,09
Grosser Industriesektor,
Grosser Dienst- Grossteil der Strom-
Grossteil der Strom-
leistungssektor. CO2- produktion aus fossiler
produktion aus fossiler
arme Stromproduktion Energie
Energie
INTERNATIONAL ENERGY AGENCY (2017), KEY WORLD ENERGY STATISTICS 2017, SHUTTERSTOCK / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
15,53
6,59 8,93
3,78 4,37 4,4 4,51
88e année N°
90. Jahrgang Nr. 5 /2015 sFr.
1-2 /2018 Frs.12.–
12.–
La
DieVie économique
Volkswirtschaft
Plattformdefür Wirtschaftspolitik
Plateforme politique économique
FOKUS