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Jeder Mensch ist wertvoll – Mangelware Organe


von Moni Schmid

Nachdem im Januar das Transplantationsgesetz neu gefasst wurde, fiel mir auf, dass massiv Werbung fürs
Organspenden gemacht wird, beispielsweise mit Plakaten in Bushaltestellen und ähnlichem.

Die seit dem neuen Gesetz geltende Lösung, dass eine explizite Entscheidung dazu getroffen werden soll,
finde ich noch akzeptabler als die Widerspruchslösung. Hier würden alle zu Organspendern, die nicht
ausdrücklich widersprochen haben – auch Menschen mit geistiger Behinderung, Demenz, vielleicht sogar
Menschen die sich nicht legal in Deutschland aufhalten und verunglücken. Ab 16 Jahren darf man in
Deutschland Organe spenden.

Mein Unbehagen betrifft nicht so sehr die Organspenden von lebenden Personen (Blut-, Nieren- oder Teile
der Leber), sondern vor allem die ganze Situation um die Spenden, die Toten entnommen werden.

In den meisten Ländern ist hier der Hirntod das ausschlaggebende Kriterium, teilweise auch noch der
Herztod. Die Definitionen, wann der Hirntod eingetreten ist, haben sich im Lauf der Zeit verändert. Je nach
Mangelsituation der benötigten Organe sind sie nicht starr.

Zum Zeitpunkt der Todesfeststellung schreibt Wikipedia:

„Erst durch die Verschärfung des Organmangels kommt es seit den 1990er Jahren auch in einigen
anderen Staaten (z. B. USA, Niederlande) wieder vermehrt auch zu Entnahmen nach einem
irreversiblen Kreislaufstillstand ohne Feststellung des Hirntods. In der Schweiz und seit Ende 2013 in
Österreich muss der Hirntod auch vor einer Entnahme nach einem irreversiblen Kreislaufstillstand
festgestellt werden. In Deutschland ist eine Organexplantation nach Herztod verboten.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Organspende

Simon Hofmann schreibt in seinem Buch Umstrittene Körperteile (Transcript Verlag) zu den Grundlagen des
Verfahrens:

„Sie bestehen zunächst in einem Paradoxon. Der Spender muss zwar tot sein, um seinen Körper zu
öffnen und dessen Teile entnehmen zu können. Dieser Körper und seine Teile müssen aber zwingend
noch lebendig und funktionstüchtig sein.“

Simon Hofmann: Umstrittene Körperteile. Transcipt-Verlag.

In seinem Buch beschreibt er die Geschichte der Organspende in der Schweiz. Er berichtet, dass 1985 von
Vertretern der Transplantationsmedizin eine Stiftung gegründet wurde, deren Hauptzweck es war, die
Organbeschaffung zu intensivieren. Die Organ-Ressourcen sollten längerfristig sichergestellt werden.

Dies führt mich zum zentralen Punkt, der mir beim Lesen der verschiedenen Gegenargumente aufgefallen
ist. Angehörige beklagten sich, dass der Sterbende nur noch als Organ-Pool gesehen wird: Welche Teile
können wiederverwendet werden, welche kann man beispielsweise an eine Knochenbank weitergeben?
Die Verwertbarkeit der Einzelteile des Sterbenden. Die Verwandlung der Menschen in ein Warenlager.

Nochmals Wikipedia:

„Organhandel ist in den meisten Staaten verboten. Ausnahme bilden hier der Iran und die
Philippinen, die einen regulierten Organmarkt institutionalisiert haben. Guyana hat keine Gesetze
gegen Organhandel, sodass es zu Organkäufen kommt. Außerdem werden auch Bolivien, Pakistan,
Peru und Albanien häufig im Zusammenhang mit Organhandel genannt. Um bei Lebendspenden
Organhandel zu verhindern, sehen viele Organentnahmeregelungen nur einen bestimmten
Personenkreis vor. Dabei handelt es sich meist um enge Verwandte oder unter Umständen mit dem
Spender persönlich verbundene Personen.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Organspende

Philippinen
Die Philippinen erlauben seit 2002 als einer der wenigen Staaten Lebendnierenspenden für Personen, die
nicht aus dem persönlichen Umfeld des Spenders stammen, gegen eine Sondervergütung im Wert von
insgesamt etwa 275.000 ₱ (umgerechnet etwa 4.927 €) und einer gesetzlichen Krankenabsicherung für den
Zeitraum von zehn Jahren, wobei in etwa das Doppelte der Geldsummen in der Praxis toleriert wird.
Obwohl das Gesetz den Verkauf von Organen ausdrücklich ausschließt, ist im Zuge dieser Regelungen so
genannter Organtourismus entstanden, sodass seit 2009 Organspenden an Ausländer untersagt worden
sind. Generell haben sich unter diesen Umständen die Resultate aus diesen Fremdspenden sowohl für den
Empfänger medizinisch unterdurchschnittlich als auch für den Spender sozioökonomisch nicht von Vorteil
erwiesen.

Ökonomie
Da kein freier Organhandel existiert, kann man Organspenden nur nach ihrem Nutzen im Vergleich zu
Substitutionsdienstleistungen wie Dialysen in Relation zu Nierenspenden ökonomisch bewerten. Hier zeigt
sich, dass Nierentransplantationen langfristig und bei durchschnittlichem Organüberleben deutlich günstiger
als vergleichbare Dialysen sind. Für die Vereinigten Staaten wird so ein Ersparniswert von 94.000 US-$
(85.431 €) pro gespendeter Niere veranschlagt, was noch nicht den Wert an hinzugewonnener
qualitätsadjustierter Lebenszeit beinhaltet. Selbst bei sehr konservativen Schätzungen beträgt dieser Wert
etwa 50.000 US-$ (45.442 €) pro Organüberlebensjahr mit einer derzeitigen Halbwertzeit von etwa zehn
Jahren. Demgegenüber stehen selbst bei Lebendnierenspenden maximal etwa 20.000 US-$ direkte Kosten
sowie ein sehr kleines, nicht quantifiziertes Gesundheitsrisiko beim Spender.
Aus utilitaristischer Sicht bedeutet die Nicht-Verwertung transplantationsfähiger Organe von Leichen also
die routinemäßige Vernichtung einer sehr wertvollen Ressource.

Diese auf Bentham zurückführbare Ethik – richtig ist, was der Allgemeinheit nützt – kommt hier voll zum
Tragen. Natürlich wird dies nicht so ausgesprochen, es geht um Nächstenliebe, im Leid noch weiteres Leid
zu lindern usw. Die „Empfängerseite“ steht im Vordergrund.
Jeder sollte also – im Namen der Nächstenliebe – für die maximal mögliche Verwertung zur Verfügung
stehen. Denn die Organe sind einerseits eine sehr knappe Ware, andererseits gäbe es jedoch ausreichend
Menschen, nur deren Organe sind nicht frei verfügbar. Die Bestrebungen dies zu ändern und notfalls allen,
die nicht widersprochen haben, die verwertbaren Teile zu entnehmen, finde ich erschreckend. Wie Lewed
2004 in „Von Menschen und Schafen“ schreibt, versucht hier die souveräne Macht die Verfügungsgewalt
über die Einzelnen auszuweiten.

Auf die Versuche, Organe im 3D-Drucker herzustellen oder in Tieren zu züchten, gehe ich hier nicht ein.
Diese spielen derzeit keine Rolle.
Passenderweise belohnen auch einige Krankenkassen „gesundes“ Verhalten mit Prämien für
beispielsweise Teilnahme an Gesundheitsprogrammen.
Die Zurichtung für den Markt beginn, wie Peter Samol in seinem Buch Leistungsdiktatur zeigt,
optimalerweise schon vor der Geburt. Sie endet aber nicht mit dem Todeseintritt, auch im Sterben kann
man als Recyclingressource noch für den Markt brauchbar sein.

Wessen Eigentum ist der sterbende Körper und wer darf Teile davon verwerten oder veräußern?
Dass mit den Waren Profit gemacht wird, ist unstrittig. Daher überraschen auch die Skandale sowohl um
Lebendspenden als auch bei den Transplantationszentren nicht wirklich.

Logisch fände ich als nächsten Schritt in der Entwicklung den freiwilligen Verkauf der einzelnen Organe, wie
dies bei Blutplasma schon üblich ist. Dies könnte jeder in einer „Sterbeverfügung“ regeln, sodass die
Angehörigen/Erben als Eigentümer des toten Körpers auch den entsprechenden Gegenwert bekommen
könnten. Vermutlich würde das doch einige Unentschlossene motivieren.

Literatur

https://gesundheitsberater.de/organspende-nie-wieder-organtransplantation-aus-der-sicht-einer-
betroffenen/ [1]
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3232-3/umstrittene-koerperteile/ [2]
https://www.zeit.de/2016/33/organtransplantation-ethik-moral-organe-spenden [3]
http://www.krisis.org/2004/von-menschen-und-schafen/ [4]
[3]https://www.zeit.de/2016/33/organspende-deutschland-pro-contra [5]

https://www.krankenkassenzentrale.de/wiki/organspende [6]
https://de.wikipedia.org/wiki/Organspende [7]
https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/mensch-tier-hybride-100.html [8]
https://www.tagesschau.de/ausland/mittelohr-drucker-101.html [9]

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URL zum Beitrag: http://www.krisis.org/2020/jeder-mensch-ist-wertvoll-mangelware-organe/

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[1] https://gesundheitsberater.de/organspende-nie-wieder-organtransplantation-aus-der-sicht-einer-
betroffenen/ : https://gesundheitsberater.de/organspende-nie-wieder-organtransplantation-aus-der-
sicht-einer-betroffenen/
[2] https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3232-3/umstrittene-koerperteile/ : https://www.transcript-
verlag.de/978-3-8376-3232-3/umstrittene-koerperteile/
[3] https://www.zeit.de/2016/33/organtransplantation-ethik-moral-organe-spenden : https://www.zeit.de
/2016/33/organtransplantation-ethik-moral-organe-spenden
[4] http://www.krisis.org/2004/von-menschen-und-schafen/: http://www.krisis.org/2004/von-menschen-
und-schafen/
[5] https://www.zeit.de/2016/33/organspende-deutschland-pro-contra : https://www.zeit.de/2016/33
/organspende-deutschland-pro-contra
[6] https://www.krankenkassenzentrale.de/wiki/organspende : https://www.krankenkassenzentrale.de
/wiki/organspende
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Organspende : https://de.wikipedia.org/wiki/Organspende
[8] https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/mensch-tier-hybride-100.html : https://www.mdr.de/wissen
/mensch-alltag/mensch-tier-hybride-100.html
[9] https://www.tagesschau.de/ausland/mittelohr-drucker-101.html: https://www.tagesschau.de/ausland
/mittelohr-drucker-101.html

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