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93. Jahrgang   Nr. 4 / 2020 Fr. 12.

Die Volkswirtschaft
Plattform für Wirtschaftspolitik

INTERVIEW DIE STUDIE INTERNETANSCHLUSS DOSSIER


Die britische Botschafterin Allfällige Treibstoff­abgabe Glasfaser bis in die Berge Das Image der Schweiz
Jane Owen zum Brexit bremst Wirtschafts­ 39 53
28 wachstum kaum
34

FOKUS
Der Brexit und
die Schweiz

Wichtiger HINWEIS !
Innerhalb der Schutzzone (hellblauer Rahmen) darf
kein anderes Element platziert werden!
Ebenso darf der Abstand zu Format- resp. Papierrand
die Schutzzone nicht verletzen!
Hellblauen Rahmen der Schutzzone nie drucken!
Siehe auch Handbuch
„Corporate Design der Schweizerischen Bundesverwaltung“
Kapitel „Grundlagen“, 1.5 / Schutzzone
www. cdbund.admin.ch
EDITORIAL

Der Brexit ist ein Prozess


Rund um den Brexit stellten wir uns die im Vergleich wenig folgenschwere Frage:
Schreiben wir Vereinigtes Königreich oder Grossbritannien? Streng genommen um­
fasst Grossbritannien nur die Hauptinsel mit England, Wales und Schottland. Nord­
irland hingegen nicht. Angesichts der Schlüsselrolle, die Nordirland im Austritts­
prozess spielt, haben wir uns in diesem Fokus für die Formulierung «Vereinigtes
Königreich» (UK) entschieden. Gemäss Austrittsvertrag
bleiben die Grenzen zwischen Nordirland und Irland
offen, und Zollkontrollen werden in der Irischen See
vorgenommen.
Bald sind vier Jahre vergangen seit dem Brexit-­Referendum
vom 23. Juni 2016. Der Austritt des UK war und bleibt ein
Prozess – sowohl für die Briten als auch für die EU und
die Schweiz. In den nächsten Monaten wollen das UK
und die EU ihre künftige Zusammenarbeit regeln. Unter
anderem verhandeln sie ein Freihandelsabkommen.
Die Schweiz und das UK sind wirtschaftlich eng ver­
flochten. Das UK war im Jahr 2018 der sechstwichtigste Exportmarkt für Schweizer
Güter. Täglich gibt es mehr Flüge zwischen der Schweiz und dem UK als direkte Zug­
verbindungen zwischen Bern und Zürich. Die Schweiz hat daher im Rahmen ihrer
«Mind the Gap»-Strategie bereits verschiedene Abkommen mit dem UK abgeschlossen.
Darunter findet sich auch ein Handelsabkommen. Die Schweiz und das UK möchten
die bestehenden gegenseitigen Rechte und Pflichten sichern. Wie die Beziehungen
UK - Schweiz künftig aussehen, hängt auch davon ab, wie die Beziehungen zwischen
dem UK und der EU ausgestaltet sein werden.
Neben dem Brexit finden Sie in der aktuellen Ausgabe unter anderem eine Studie zur
Internet-Erschliessung ländlicher Regionen sowie Hinweise darauf, was ein «gutes
Land» ist oder warum Touristen in die Schweiz kommen.

Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre.


Guido Barsuglia und Nicole Tesar
Chefredaktion
INHALT

12 20

FOKUS

Der Brexit und die Schweiz


4 «Mind the Gap»: Die Antwort 24 Weiterhin reger Handel
der Schweiz auf den Brexit zwischen der Schweiz DOSSIER
Roberto Balzaretti, Marie Bertholon
Eidgenössisches Departement für auswärtige
Angelegenheiten


und dem UK
Vincent Pochon
Staatssekretariat für Wirtschaft
Das Image
der Schweiz
8 Von ausserhalb mit der 54 Landesimage zwischen
EU­ zusammenarbeiten Stabilität und Wandel
Nicole Sykes Diana Ingenhoff, Jérôme Chariatte
Head of EU Negociations, Verband der Universität Freiburg
britischen Industrie, London

57 Von der Imageanalyse zur


12 Handelsabkommen Schweiz - ­Landespromotion
UK: Ungemütliches Abwarten Severina Müller
Stefan Flückiger, Claudio Wegmüller Präsenz Schweiz
Staatssekretariat für Wirtschaft

60 Der Wert der Schweiz als


17 Arbeitsmarkt zwischen Reiseland
Schweiz und UK bleibt offen Urs Eberhard
Cornelia Lüthy Schweiz Tourismus
Staatssekretariat für Migration

28 INTERVIEW

20 Finanzdienstleistungen: «Jetzt wissen wir, 62 «Gute» Länder geniessen


was wir wollen» gutes Ansehen
Brexit-­Vorbereitungen
Simon Anholt
fortgeschritten Politikberater
Christoph König, Christoph Feuz Im Gespräch mit der britischen Botschafterin
Staats­sekretariat für internationale in Bern, Jane Owen
Finanzfragen
INHALT

42 10 60

THEMEN

Infrastruktur, Internet und Coworking


32 DIE SICHT DER CHEFÖKONOMEN 34 DIE STUDIE 37 U NTERNEHMENSSTANDARDS
Hautnah in der Realität Serie CO2-Reduktionen: Verkehr Verantwortungsvolle
Daniel Lampart nicht vergessen Unternehmens­führung –
Schweizerischer ­Gewerkschaftsbund was macht der Bund?
Philippe Thalmann, Marc Vielle
EPFL Lausanne
Amina Joubli, Alexander Kunze
Staatssekretariat für Wirtschaft

39 INTERNETANSCHLUSS 42 COWORKING 45 WERKPLATZ SCHWEIZ


Breitbandinternet: Verpassen Coworking-Spaces erobern Produktion in der Schweiz
die ­ländlichen Regionen den die Peripherie lohnt sich
Anschluss? Jana Z’Rotz, Timo Ohnmacht Thomas Friedli, Christian Elbe,
Hochschule Luzern Dominik Remling, Ferdinand Deitermann
Lorenz Bösch, Jürg Kuster
Universität St. Gallen
Hanser Consulting
Fabian Heimsch, Markus Rach
Fachhochschule Nordwestschweiz

47 FÖRDERPROGRAMME 50 KÜNSTLICHE INTELLIGENZ 64 INFOGRAFIK


Infrastrukturexporte: Künstliche Intelligenz: Schweiz als Drehscheibe im
Schweiz stärkt ihre Position Wie geht der Bund damit um? globalen Rohstoffhandel
Martin Roth Christian Busch
Staatssekretariat für Wirtschaft Staatssekretariat für Bildung, Forschung
Andreas Klasen und Innovation
Hochschule Offenburg

65 VORSCHAU / IMPRESSUM
BREXIT

«Mind the Gap»: Die Antwort


der Schweiz auf den Brexit
Der Brexit hat die Schweiz gezwungen, mit den Briten neue bilaterale Abkommen
auszuhandeln. Dabei gilt es die bestehenden Beziehungen zu erhalten oder auszu­
bauen – insbesondere beim Handel und bei den Rechten der Bürgerinnen und Bürger.   
Roberto Balzaretti, Marie Bertholon

Abstract  Der Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) aus der EU hat Fol- die Abkommen geregelt, welche die Schweiz mit
gen für die Schweiz: Wenn dereinst die bilateralen Abkommen zwischen der EU abgeschlossen hat. Im Mittelpunkt stehen
der Schweiz und der EU für das UK nicht mehr gelten, wird der gesamte namentlich die bilateralen Abkommen und das
vertragliche Rahmen der bilateralen Beziehungen mit dem UK ersetzt Freihandelsabkommen von 1972.
werden müssen. Nach dem britischen Referendum vom 23. Juni 2016 hat
Sobald das Vereinigte Königreich kein
die Schweiz vorgesorgt, um die Auswirkungen des Brexit zu bewältigen.
Bis Ende 2020 gilt für die Beziehungen zwischen der EU und dem UK eine
EU-Mitgliedsstaat mehr ist (oder vielmehr
Übergangsphase, die verlängert werden kann. Sobald diese Phase endet, nicht mehr als Mitgliedsstaat im Sinne dieser
treten verschiedene Nachfolgeabkommen zwischen der Schweiz und dem Abkommen betrachtet wird), gelten die Ab­
UK in Kraft. In Bereichen, in denen ein gegenseitiges Interesse besteht, kommen für das UK nicht mehr. Für die Be­
streben die beiden Staaten an, die Zusammenarbeit auszubauen. Der Bun- ziehungen zwischen der Schweiz und dem UK
desrat will mit der «Mind the Gap»-Strategie die engen Beziehungen zum drohte deshalb eine Rechtslücke. Solche Lücken
Vereinigten Königreich aufrechterhalten. beunruhigen nicht nur Juristen, sondern füh­
ren auch zu konkreten Problemen im Alltag.
Dazu ein Beispiel: Eine Schweizer Bürgerin, die

N  un ist es offiziell: Seit dem 31. Januar 2020


um Mitternacht gehört das Vereinigte
Königreich (UK) nicht mehr zur Europäischen
im Vereinigten Königreich lebt und arbeitet,
hätte plötzlich einen unklaren Aufenthalts­
status. Oder: Eine Fluggesellschaft, die Flüge
Union (EU). Momentan gilt eine Übergangs­ zwischen Genf und Bristol anbietet, würde von
phase, während der die bisherigen Beziehungen einem Tag auf den andern die Rechtsgrundlage
bis mindestens Ende 2020 erhalten bleiben. In für den Flugbetrieb verlieren.
der verbleibenden Zeit wollen das UK und die Das Vereinigte Königreich ist ein be­
EU ihre künftige Zusammenarbeit regeln. deutender Partner der Schweiz und um­
Was die Beziehungen zwischen der Schweiz gekehrt (siehe Abbildung auf S. 6). Dies gilt
und dem UK betrifft, ändert sich vorerst insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht:
nichts. Die bilateralen Abkommen zwischen Mit einem jährlichen Handelsvolumen (Export
der Schweiz und der EU gelten während der und Import, inklusive Wertsachen) von über 36
Übergangsphase weiter.1 Dank der «Mind the Milliarden Franken war das UK im Jahr 2018
Gap»-Strategie des Bundesrats ist die Schweiz gemäss der Eidgenössischen Zollverwaltung
gut auf die Zeit nach der Übergangsphase vor­ der sechstgrösste Absatzmarkt für den Export
bereitet. von Schweizer Produkten. Als die Bundesver­
waltung die «Mind the Gap»-Strategie ent­
Wozu eine Brexit-Strategie? wickelte, stellte man beispielsweise fest, dass
1 V
gl. EDA (2020).
pro Tag mehr Flüge zwischen der Schweiz und
EU-Austritt des Ver- Das britische Brexit-Votum wirkt sich direkt dem Vereinigten Königreich angeboten wurden
einigten Königreichs:
Bilaterale Verträge auf Schweizer Unternehmen und Bürger aus. als direkte Zugverbindungen zwischen Bern
Schweiz - EU gelten Denn: Die bilateralen Beziehungen zwischen der und Zürich. Dies zeigt, wie eng die wirtschaft­
weiter. Medienmit-
teilung vom 31.1.2020. Schweiz und dem UK werden hauptsächlich durch lichen Beziehungen sind.

4  Die Volkswirtschaft  4 / 2020
Niemand soll auf die Gleise
fallen, wenn der britische
«Waggon» vom europäischen
SHUTTERSTOCK

«Perron» wegfährt.
BREXIT

Der Bundesrat gleiste die «Mind the Gap»-­ Bürgerinnen und Bürger ab. Das letztgenannte
Strategie schon im Oktober 2016 auf. Innerhalb Abkommen schützt die Rechte, die Schweizer
des Departements für auswärtige Angelegen­ und britische Bürger gemäss dem Abkommen
heiten (EDA) gab die Direktion für europäische über den freien Personenverkehr (FZA) vor
Angelegenheiten (DEA) den Anstoss dazu. Seit­ dem Ende der Übergangsphase erworben
her koordiniert die DEA die Anstrengungen haben werden.
des Bundes im Zusammenhang mit dem Brexit, Dank dem mit dem Vereinigten Königreich
und alle betroffenen Bundesämter sind in einer im Februar 2019 abgeschlossenen Handels­
Steuerungsgruppe vertreten. abkommen können im Wesentlichen die
Rechte und Pflichten beibehalten werden,
Beziehung aufrechterhalten die im Rahmen der Abkommen mit der EU in
den Bereichen Wirtschaft und Handel verein­
Die Strategie des Bundesrats in Bezug auf die bart wurden. Das sind unter anderem die aus
Beziehungen zwischen der Schweiz und dem dem Freihandelsabkommen resultierenden
UK nach dem Brexit zielt darauf ab, bestehende Rechte und Pflichten. Um sich auf einen mög­
Rechte und Pflichten so weit wie möglich zu er­ lichen Brexit ohne Abkommen vorzubereiten,
halten und sie in den Bereichen zu erweitern, in wurden zudem zwei befristete Abkommen
denen ein Interesse besteht. Die Bezeichnung über die gegenseitige Zulassung zum Arbeits­
«Mind the Gap» nimmt Bezug auf die Londoner markt und über die Koordination der Sozial­
U-Bahn. Auch wenn sie zum Schmunzeln ver­ versicherungen ausgehandelt. Die Nach­
leitet, beschreibt sie den Zweck der Strategie folgeabkommen treten in Kraft, sobald die
recht gut: Niemand soll auf die Gleise fallen, bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz
wenn der britische «Waggon» vom europäischen und der EU in Bezug auf das UK ihre Gültigkeit
«Perron» wegfährt. verlieren – das heisst nach Ablauf der Über­
Die Schweizer Unterhändler haben mit gangsphase.
ihren britischen Partnern vertragliche Lö­ Die zusätzliche Zeit, die dank der Über­
sungen erarbeitet, um für die Zeit nach dem gangsphase bis Ende 2020 zur Verfügung steht,
Brexit einen rechtlichen Rahmen für die engen nutzt der Bundesrat nun, um die «Mind the
Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Gap»-Strategie weiter voranzutreiben und um
UK sicherzustellen. Entsprechend wurden in die verbleibenden Lücken in den bilateralen
den Jahren 2018 und 2019 fünf hauptsächliche Regelungen mit dem UK zu schliessen. Ge­
Abkommen abgeschlossen.2 Diese decken die wisse Lücken werden sich jedoch weiterhin
Bereiche Handel, Luft- und Strassenverkehr, nur schwer beseitigen lassen, da sie vom Er­
2 V
gl. weitere Beiträge in
Versicherungen sowie erworbene Rechte der diesem Fokus. gebnis der Verhandlungen EU - UK abhängen.

Langjährige Beziehungen Schweiz - UK


EDA, SEM, WBF, PRÄSENZ SCHWEIZ (2019), QS WORLD UNIVERSITY RANKING,
SCHWEIZ TOURISMUS / SHUTTERSTOCK / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Luftverkehr Tourismus Investitionen


Täglich verkehren 150 Flüge zwischen der Britische Reiseveranstalter begannen bereits Die Schweiz ist die viertgrösste Investorin
Schweiz und dem UK. im 19. Jahrhundert die Destination Schweiz zu im UK nach der EU, den USA und Japan.
vermarkten. Mit 1,6 Millionen Übernachtungen
pro Jahr stellen die britischen Gäste die dritt-
grösste Tourismusgruppe in der Schweiz.

Bildung Staatsbürgerschaft
Die europäischen Universitäten in den Top 10 Ende 2019 lebten rund 37 000 Schweizer
des weltweiten Hochschulrankings finden sich Staatsangehörige im UK und 44 000 britische
im UK (Oxford, Cambridge, UCL und Imperial Staatsangehörige in der Schweiz.
College of London) sowie in der Schweiz
(ETH Zürich).

6  Die Volkswirtschaft  4 / 2020
FOKUS

Darunter finden sich etwa bestimmte Aspekte europäischen Staaten weiterhin eine kohärente
des Abkommens über die gegenseitige An­ Politik zu verfolgen – wobei die EU weiterhin
erkennung von Konformitätsbewertungen die wichtigste Partnerin der Schweiz bleibt.
(MRA) sowie des Veterinärabkommens. Aufgrund dieser Überlegungen lässt sich der
Schluss ziehen, dass der Brexit kein Ereignis,
Kooperation vorantreiben sondern ein Prozess ist. Mit dem EU-Austritt des
Vereinigten Königreichs am 31. Januar 2020 ist
Es ist nun an der Zeit, auch die Arbeiten am dieser bei Weitem nicht abgeschlossen. Im März
Ausbau der Partnerschaft mit dem UK auf­ haben die EU und das UK Verhandlungen über
zunehmen. Hier verfolgt der Bundesrat eine ihre künftigen Beziehungen aufgenommen.
ehrgeizige Strategie: Er will bestehende gegen­ Klar ist: Der Brexit wird das politische Umfeld
seitige Rechte und Pflichten nicht nur erhalten, in Europa noch länger prägen. Somit bleibt die
sondern erweitern. Die Beziehungen sollen «Mind the Gap»-Strategie für die Arbeiten der
in jenen Bereichen ausgebaut und vertieft Schweiz mit dem Vereinigten Königreich in
werden, in denen ein gegenseitiges Interesse nächster Zeit massgebend.
besteht. Entsprechende Möglichkeiten bieten
sich beispielsweise bei den Finanzdienst­
leistungen, beim Handel und bei der Sicher­
heit. So haben die beiden Staaten im Juli 2019
eine Absichtserklärung zur Vertiefung der
Polizeikooperation unterzeichnet. Künftig
wollen sie – insbesondere in Fällen von orga­
nisierter Kriminalität und Terrorismus – enger
zusammenarbeiten. Roberto Balzaretti Marie Bertholon
Eine verstärkte Kooperation eröffnet der Dr. iur., Staatssekretär und Wissenschaftliche
Direktor der Direktion für Mitarbeiterin, Sektion
Schweiz interessante Perspektiven. Dies sehen europäische Angelegen- Politik und Institutionen,
auch die britischen Unterhändler so, wie heiten (DEA), Eidgenös- Direktion für europäische
sisches Departement für Angelegenheiten (DEA),
Sondierungsgespräche vermuten lassen. Letzt­ auswärtige Angelegen- Eidgenössisches Departe-
lich ermöglicht die «Mind the Gp»-Strategie heiten (EDA), Bern ment für auswärtige
der Schweiz, auf dem europäischen Kontinent Angelegenheiten (EDA),
Bern
mit den EU-Staaten sowie mit allen anderen

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  7
BREXIT

Von ausserhalb mit der EU


­zusammenarbeiten
An den Beziehungen zwischen der EU und dem UK wird sich nicht viel ändern – ­zumindest
kurzfristig. Doch wie kann das UK langfristig europäische und weltweite Regulierungen
beeinflussen?  Nicole Sykes

Abstract  An der Ausarbeitung künftiger Regulierungen der Europäischen EU-Datenschutzrichtlinien an. Überdies spielt
Union ist das Vereinigte Königreich seit Februar 2020 formell nicht mehr die EU eine wichtige Rolle in regelsetzenden Or­
direkt beteiligt. Die britische Wirtschaft hat indessen ein grosses Interesse ganisationen wie der Welthandelsorganisation
daran, dass ihre Anliegen in Brüssel und anderswo weiterhin Gehör finden. (WTO) und den Vereinten Nationen. Der dritte
Dazu stützt sie sich zum einen auf etablierte bilaterale Kontakte und multi-
Grund ist: 71 000 Unternehmen in Nordirland
laterale Organisationen und zum anderen auf informelle Kanäle. Besonders
wichtig ist es, das Vorgehen der verschiedenen britischen Akteure und
müssen die EU-Vorschriften weiterhin direkt
deren Äusserungen zu koordinieren. Der Verband der britischen Industrie befolgen.
(CBI) fordert die britische Regierung zum Handeln auf.
Die Veränderung kommt

D  as Leuchtdisplay am Regierungssitz in der


Downing Street, das den Countdown bis
zum Brexit anzeigte, ist mittlerweile erloschen.
Zwar verlassen viele britische Politiker Brüs­
sel. Doch glücklicherweise bleibt ein grosser
Teil der britischen Präsenz in der EU erhalten.
In der Praxis hat der EU-Austritt vom 31. Januar So ist das Diplomatische Korps in Brüssel
in erster Linie zur Folge, dass das Vereinigte weiterhin einsatzbereit und erkundet neue
Königreich (UK) in Brüssel formell nicht mehr Möglichkeiten. Zudem pflegen Tausende bri­
mitreden kann: kein EU-Kommissar, keine tische Staatsbürger, die in Kontinentaleuropa
Teilnahme an den Ratssitzungen und keine arbeiten, nach wie vor enge Beziehungen zu
britischen Abgeordneten im Europäischen ihren europäischen Arbeitskollegen. Auch die
­Parlament. britischen Unternehmen werden sich künftig
Dieser fehlende offizielle Einfluss ist für Gehör verschaffen  – sowohl im Rahmen ihrer
die britische Wirtschaft aus drei Gründen eigenen direkten Beziehungen zu den EU-Insti­
von Bedeutung. Erstens sind Tausende briti­ tutionen als auch indirekt über Wirtschaftsver­
scher Unternehmen betroffen, die in die EU bände. Entsprechend vertritt der Verband der
exportieren beziehungsweise Produkte an britischen Industrie (CBI) seine Mitglieder im
Exporteure verkaufen: Sie alle müssen die gel­ europäischen Arbeitgeberverband Businesseu­
tenden EU-Vorschriften auch nach der Über­ rope. Dieser organisiert regelmässig Treffen mit
gangsphase einhalten. Wenn sie beispielsweise Regierungschefs und EU-Kommissaren, um die
Eier verkaufen, müssen sie diese gemäss den Anliegen der Unternehmen einzubringen.
Vorgaben der EU bei einer Temperatur von Darüber hinaus werden die Gespräche zwi­
höchstens 4 Grad Celsius lagern. Oder wenn schen dem UK und der EU formell fortgesetzt.
sie Autoteile vertreiben, sind Hunderte von EU- Die Politische Erklärung zur Festlegung des Rah­
Tests zu bestehen. mens für die künftigen Beziehungen zwischen
Zweitens reichen die EU-Regulierungen der EU und dem Vereinigten Königreich, die
weit über die Unionsgrenzen hinaus. So hal­ am 19. Oktober 2019 zusammen mit dem Aus­
ten sich viele multinationale Unternehmen trittsabkommen unterzeichnet wurde, sieht die
weltweit an das System der EU-Chemikalien­ Möglichkeit einer sektorbezogenen Zusammen­
verordnung, und viele Staaten wenden die arbeit zwischen den Regulierungsbehörden in

8  Die Volkswirtschaft  4 / 2020
FOKUS

Bereichen wie dem Datenschutz sowie die Mit­ Erste diesbezügliche Überlegungen wurden
arbeit in wichtigen EU-Agenturen vor. In der bereits angestellt. Seit einem Jahr koordiniert
Vergangenheit spielte das UK in diesen Orga­ die UK-Vertretung in Brüssel Treffen zwischen
nisationen eine bedeutende Rolle. Gemeinsam den dortigen britischen Organisationen und
mit Frankreich beeinflusste es beispielsweise Einrichtungen. Diese Anlässe bieten britischen
zwei Drittel der Vorschriften der Europäischen Entscheidungsträgern eine Plattform, um In­
Agentur für Flugsicherheit. Auch in Zukunft formationen auszutauschen und gemeinsam zu
profitieren beide Seiten von Informationen planen. Doch dies ist nur ein erster Schritt – nun
aus diesen Organisationen. Ein Beispiel: Die muss sich aus diesen Treffen eine tiefgreifende
EU-Agentur für Lebensmittelsicherheit befasst und spezifische Strategie ergeben. Beispiels­
sich mit Daten zu Pestiziden, zur Vogelgrippe weise müssen die britischen Akteure auch
und zu genetisch veränderten Organismen. ausserhalb der EU Kontakte knüpfen und dabei
Lehren aus den Erfahrungen von Staaten wie
Gemeinsam planen der Schweiz ziehen.
Der Verband der britischen Industrie setzt
Die britische Regierung, die Unternehmen, sich dafür ein, dass das UK eng mit der Wirt­
die Zivilgesellschaft und die Experten sind in schaft zusammenarbeitet, seine strategischen
Für die britische
Europa nach wie vor tief verwurzelt. Allerdings und wirtschaftlichen Interessen in jedem Industrie ist ein gutes
muss sich die Art und Weise, wie sie mit der EU EU-Mitgliedsstaat abklärt und seine Be­ Verhältnis zwischen
interagieren, ändern. Um wirklich geschätzte ziehungen ausbaut – sei dies in Bezug auf In­ der Regierung und der
Partner von Brüssel und der EU-Mitglieds­ novationen mit Italien oder Dienstleistungen EU wichtig. EU-Kom-
missionspräsidentin
staaten zu sein, müssen sich die britischen Ak­ mit Spanien. Als Ersatz für den regelmässigen Ursula von der Leyen
teure gemeinsam verändern. Austausch in der EU-Kommission müssen und Premier Boris
Johnson.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  9
BREXIT

neue Wege beschritten werden, um weiterhin Königreich und die EU überall – von den Klima­
bilaterale Beziehungen mit den Mitglieds­ zielen über nachhaltige Finanzen bis hin zur
staaten zu pflegen. Mit einigen EU-Ländern Cybersicherheit – weiterhin gemeinsame Ziele
werden bereits jährliche bilaterale Treffen auf verfolgen. Eine Möglichkeit ist es, die Präsenz
informeller Ebene durchgeführt. Dazu zählen des UK in der Welthandelsorganisation (WTO)
beispielsweise das «Colloque» mit Frankreich auszubauen. Dadurch könnte das UK zum
und das von der britischen Denkfabrik Chat­ einen eng mit der EU zusammenarbeiten – bei­
ham House organisierte «Belvedere Forum» für spielsweise um die auf Regeln basierende inter­
den Austausch mit Polen. nationale Ordnung zu stärken. Zum andern
Die britischen Unternehmen setzen sich könnte die Einflussnahme auf die EU erhöht
dafür ein, dass für die Regierung des Vereinigten werden – etwa im Bereich des E-Commerce,
Königreichs laufende Kontakte mit bedeutenden indem vereinbarte Regeln auf beiden Seiten
europäischen Staaten weiterhin prioritär des Ärmelkanals direkt angewandt werden.
sind. Wichtig sind etwa jährliche Treffen auf Letzteres gilt auch für OECD-Vorschriften, die
Ministerebene mit allen europäischen Staaten beispielsweise die Besteuerung der digitalen
ab 2021. Dazu müssen die britische Regierung Wirtschaft regeln.
und die Wirtschaft eng zusammenarbeiten. Nur Der formelle Einfluss des Vereinigten König­
so wird gewährleistet, dass die bestehenden reichs hat in Brüssel seit Februar 2020 stark
Plattformen produktiv und im Interesse des abgenommen. Deshalb muss alles dafür getan
Vereinigten Königreichs genutzt werden – und werden, dass britischen Auffassungen in Europa
nicht zu Schwatzbuden verkommen. weiterhin Rechnung getragen wird. Das UK er­
Auch wenn es auf den ersten Blick paradox reicht seine Ziele nach dem Brexit am ehesten
erscheint: Um die Beziehungen mit Brüssel auf jenen Gebieten, in denen es wertvolles
zu stärken, möchten die britischen Unter­ Know-how besitzt, konstruktiv mitarbeiten
nehmen, dass das UK weit über Europa hinaus kann und eine gesamteuropäische Agenda an­
agiert. Auf den zweiten Blick wird klar, warum: führt. Gleichzeitig muss es sich auf diejenigen
Die Europäische Union verfügt über 140 Ver­ Fragen konzentrieren, auf die es Einfluss neh­
tretungen im Ausland – von Afghanistan bis men will. Wobei alle verfügbaren Möglichkeiten
Sambia. In jenen Bereichen, in denen das UK und Beziehungen genutzt werden müssen.
und die EU ihre Prioritäten aufeinander ab­ Die britische Wirtschaft will dazu einen
gestimmt haben, ist die Zusammenarbeit in Beitrag leisten – und tut dies auch bereits. Dabei
Drittländern weiterhin von gegenseitigem Nut­ ist sie nicht auf sich allein gestellt. Zahlreiche
zen. So konnte das UK beispielsweise in Bezug ehemalige und aktive Politiker, Experten und
auf das geistige Eigentum in China grosse Führungskräfte möchten sich ebenfalls zur
Fortschritte erzielen, indem es eng mit der Verfügung stellen. Der Verband der britischen
EU-­Delegation in Peking zusammenarbeitete. Industrie empfiehlt der britischen Regierung
Dabei tauschte sich die EU-Delegation auch rasches Handeln, um die Anstrengungen dieser
mit den USA, Japan und Australien aus. Die einsatzbereiten Freiwilligen zu koordinieren.
Voraussetzungen für eine weitere Zusammen­
arbeit sind also gegeben.

Der weitere Weg


Natürlich reicht die internationale Diplomatie
weit über Brüssel hinaus. Abgesehen von den
bilateralen Beziehungen sind deshalb multi­ Nicole Sykes
laterale Institutionen von entscheidender Be­ Head of EU Negociations, Verband der britischen
Industrie (CBI), London
deutung. Ausserdem werden das Vereinigte

10  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

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Die Volkswirtschaft  4 / 2020  11
BREXIT

Handelsabkommen Schweiz - UK:


Ungemütliches Abwarten
Die Schweiz und das Vereinigte Königreich haben für die Zeit nach dem Brexit mit
einem Handelsabkommen vorgesorgt. Doch Klarheit wird erst herrschen, wenn die
Wirtschaftsbeziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geklärt ist.   
Stefan Flückiger, Claudio Wegmüller

Abstract  Am 31. Januar 2020 ist das Vereinigte Königreich (UK) aus der EU der EU binnenmarktähnliche Verhältnisse.
ausgetreten. In der Praxis ändert sich in den Beziehungen zwischen der Schweizer Unternehmen sind damit in der EU
Schweiz und dem UK vorerst nichts. Während der Übergangsphase – bis Wettbewerbern aus der EU im Wesentlichen
mindestens Ende 2020 – verbleibt das UK im EU-Binnenmarkt und in der gleichgestellt. Mit dem Brexit von Ende Januar
Zollunion. Sämtliche bilateralen Abkommen Schweiz - EU gelten in dieser
2020 verlässt das UK dieses gemeinsame Ge­
Zeit in Bezug auf das UK weiter. Das 2019 abgeschlossene Handelsab-
kommen zwischen der Schweiz und dem UK tritt erst nach Ende der Über-
füge. Damit drohte gegenüber der Schweiz eine
gangsphase in Kraft. Wieweit die aktuellen Handelsbeziehungen ab 2021 Verteuerung der Ein- und Ausfuhren ohne Frei­
weitergeführt werden können, hängt davon ab, ob und wie sich das UK und handelsabkommen und Agrarabkommen, da
die EU auf neue Handelsbeziehungen einigen. Diese Verhandlungen haben erneut Zölle erhoben werden. Ohne das «Mutual
Anfang März begonnen. Recognition Agreement»-Abkommen (MRA)
sind zusätzliche Zertifizierungsverfahren er­
forderlich, und der heute praktisch frei flies­

D  as Vereinigte Königreich (UK) ist nach der


EU, den USA und China der viertwichtigste
Handelspartner der Schweiz. Bei einem un­
sende Warenhandel unterliegt ohne das Zoll­
erleichterungs- und Zollsicherheitsabkommen
wieder physischen Grenzkontrollen. Für den
geregelten Brexit – der vorerst abgewendet ist – Handel mit tierischen und pflanzlichen Produk­
wären als Grundlage für die Handelsbeziehungen ten braucht es ohne Agrarabkommen zusätz­
mit der Schweiz einzig die Regeln der WTO und liche physische Kontrollen. Schliesslich ist der
die dort festgehaltenen Zölle verblieben. erweiterte Zugang zu wichtigen öffentlichen
Die Gespräche der Schweiz mit dem UK über Beschaffungen gefährdet. 
ein bilaterales Handelsabkommen führten ein­
mal mehr vor Augen, wie umfangreich und Deal or No Deal?
tief die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der
Schweiz und der EU geregelt sind. Den Grund­ Nach dem Brexit-Referendum von Juni 2016 war
stein bildet das Freihandelsabkommen von lange unklar, ob zwischen der EU und dem UK
1972, das Zölle für Industrie- und verarbeitete ein Austrittsabkommen zustande kommt. Erst
Agrarprodukte beseitigte. Später folgten die seit Anfang Jahr ist der Brexit definitiv – die bi­
bilateralen Abkommen I (1999) und II (2004). lateralen Abkommen Schweiz - EU bleiben aber
Der darin enthaltene Abbau nicht tarifärer während einer Übergangsphase bis mindestens
Handelshemmnisse, der Zugang zu öffentli­ Ende 2020 gültig.
chen Beschaffungsmärkten und zum Arbeits­ Für die Schweiz war die Situation seit dem
markt, die Zusammenarbeit in der Forschung Brexit-Referendum im Sommer 2016 mit vie­
sowie der Zugang zu den Luft- und Landver­ len Unwägbarkeiten behaftet. Nebst der Un­
kehrsmärkten sind mittlerweile für Schweizer sicherheit über eine Einigung zwischen dem
Firmen nicht mehr wegzudenken. UK und der EU auf ein Austrittsabkommen
Die Angleichung an EU-Recht schafft in war unklar, wie die Beziehungen zwischen der
wichtigen Bereichen zwischen der Schweiz und Schweiz und dem UK in Zukunft aussehen. Es

12  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

KEYSTONE
Wie geht es nach dem
Brexit weiter? Aus
bestand – und besteht auch zum jetzigen Zeit­ Grundlage für ein langfristiges Abkommen zu Schweizer Sicht sind
punkt wieder – entsprechend die Verlockung, legen. Klar war: Um wettbewerbsfähig im UK noch einige Punkte
mit Verhandlungen zuzuwarten, um neue zu bleiben, müssen Schweizer Unternehmen offen.
Erkenntnisse über die langfristigen Handels­ einen Zugang zum britischen Markt erhalten,
beziehungen zwischen dem UK und der EU der mindestens gleichwertig ist mit jenem der
einzubeziehen. Ausserdem bleibt die Ge­
­ EU-Firmen. Entsprechend diesen beiden Haupt­
fahr eines ungeregelten Austritts («No Deal») zielen bereiteten wir ein flexibles Abkommen
weiterhin real. vor, das in unterschiedlichen Szenarien An­
Kurz nach dem Brexit-Referendum ent­ wendung finden konnte.
wickelte der Bundesrat deshalb die so­
genannte Mind-the-Gap-Strategie, um sich Acht Abkommen
für alle Eventualitäten zu wappnen. Für das
Handelsabkommen mit dem UK setzte er Eine interne Analyse kam 2016 zum Schluss,
sich zwei Hauptziele: Erstens wollte er nicht dass acht bestehende bilaterale Abkommen zwi­
nur ein «klassisches Freihandelsabkommen» schen der Schweiz und der EU in das Verhältnis
für den Güterhandel aushandeln, sondern Schweiz - UK übergeführt werden müssen, um
strebte auch eine Lösung für jene Bereiche im Handelsbereich möglichst wenig Lücken
an, in denen die Schweiz am EU-Binnenmarkt zu hinterlassen. Darunter finden sich das Frei­
­teilnimmt. handelsabkommen von 1972, das Abkommen
Zweitens galt es in der knappen Frist Rechts­ über bestimmte Erzeugnisse der Landwirtschaft
sicherheit im Hinblick auf den EU-Austritt des und der Fischerei von 1972, das Abkommen
UK zu schaffen und gleichzeitig eine optimale über bestimmte Aspekte des öffentlichen

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  13
BREXIT

­ eschaffungswesens von 1999, das Abkommen


B Konkurrenten aus der EU. Dank dem Agrar­
zum allgemeinen Präferenzsystem von 2000 abkommen wiederum werden bestimmte
und das Betrugsbekämpfungsabkommen von technische Vorschriften in den Bereichen
2004. Diese fünf Abkommen haben keinen di­ Pflanzengesundheit, Futtermittel, Saatgut,
rekten Bezug zu EU-Vorschriften und konnten biologische Landwirtschaft, Wein und Spiri­
daher problemlos in ein bilaterales Verhältnis tuosen sowie die Qualitätsnormen für Früchte
Schweiz - UK übergeführt werden. und Gemüse als gleichwertig anerkannt. Und:
Komplizierter ist es beim Abkommen über Für den Handel mit tierischen Produkten wie
die gegenseitige Anerkennung von Konformi­ Käse, Fleischspezialitäten, Eiern und Honig
tätsbewertungen (MRA) von 1999, beim Agrar­ sowie mit lebenden Tieren entfallen gegen­
abkommen von 1999 sowie beim Zollerleich­ seitige veterinärrechtliche Grenzkontrollen.
terungs- und Zollsicherheitsabkommen von Das Zollerleichterungs- und Zollsicher­
2009: Bei diesen drei Abkommen braucht es heitsabkommen schliesslich vereinfacht die
eine Harmonisierung oder eine gegenseitige Kontrollen und Formalitäten im Warenhandel
Anerkennung der Vorschriften zwischen der zwischen der Schweiz und der EU und regelt
EU und dem UK. Sie können daher nicht in die Zusammenarbeit im Zollsicherheits­
ihrer Gesamtheit mit dem UK repliziert wer­ bereich. Dies wird vor allem durch die gegen­
den, solange das endgültige Verhältnis zwi­ seitige Anerkennung der Gleichwertigkeit der
schen der EU und dem UK nicht geklärt ist Kontrollen und Dokumente sichergestellt. In
(siehe Abbildung). Zollsicherheitsfragen wird die Schweiz damit
Das MRA gewährleistet, dass die Zerti­ grundsätzlich gleich wie ein EU-Mitgliedsstaat
fizierungs- und Zulassungsverfahren von behandelt.
Industrieprodukten nur einmal – entweder
in der EU oder in der Schweiz – durchgeführt Handelsabkommen steht
werden müssen. Es garantiert den Wirt­
schaftsbeteiligten der Schweiz in 20 Produkt­ Das Handelsabkommen wurde am 11. Februar
bereichen einen gleichwertigen Zugang 2019 von Bundesrat Guy Parmelin und dem
zum europäischen Binnenmarkt gegenüber damaligen Secretary for International Trade,

Handelsabkommen Schweiz - UK

Anwendung teilweise abhängig


Sofort anwendbare Anwendung abhängig von
von zukünftiger Regelung
Sektoren zukünftiger Regelung UK - EU
UK - EU

Agrar- und Fischereierzeugnisse Technische Handelshemmnisse Zollerleichterungen und Zollsicherheit


Briefwechsel über bestimmte Agrar- und Abkommen über die gegenseitige Anerkennung Abkommen über Zollerleichterungen und
Fischereierzeugnisse von 1972 von Konformitätsbewertungen von 1999 Zollsicherheit von 2009
(MRA):
Freihandel ✓✓ Gute Laborpraxis
Freihandelsabkommen von 1972, inkl. Protokoll ✓✓ Inspektion der guten Herstellungspraxis für
Nr. 2 und Nr. 3 Arzneimittel und Zertifizierung der Chargen
✓✓ Kraftfahrzeuge
Öffentliches Beschaffungswesen ✗✗ andere Produktekapitel
Abkommen über das öffentliche Beschaffungs-
wesen von 1999 Landwirtschaft
Agrarabkommen von 1999
Allgemeines Präferenzsystem
SECO / SHUTTERSTOCK / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Briefwechsel betreffend das allgemeine Anhänge:


Präferenzsystem von 2000 ✓✓ 1–3 Zollkonzessionen
✗✗ 4 Pflanzenschutz
Betrugsbekämpfung ✗✗ 5 Futtermittel
Betrugsbekämpfungsabkommen von 2004 ✗✗ 6 Saatgut
✓✓ 7 Wein
✓✓ 8 Spirituosen
✓✓ 9 Bioprodukte
✓✓ 10 Obst und Gemüse
✗✗ 11 «Veterinärabkommen»
✓✓ 12 Ursprungsbezeichnungen

14  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

Liam Fox, in Bern unterzeichnet. Damit war schen dem UK und der EU einerseits die An­
die Schweizer Wirtschaft auf den Brexit, wie passungen in den drei Abkommen durchzu­
immer er auch ausgefallen wäre, weitgehend führen und andererseits Verhandlungen über
vorbereitet. Bei der Unterzeichnung wiesen den Ausbau unserer Handelsbeziehungen zu
sowohl Bundesrat Parmelin wie Secretary Fox führen und abzuschliessen.
darauf hin, dass es sich um das erste Post-
Brexit-­Handelsabkommen handelte. Fast 50 Jahre her
Aufgrund des ursprünglich bereits für
Ende März 2019 vorgesehenen Austritts­ Nebst der Harmonisierung gibt es beim Abschluss
datums waren wir einem grossen Zeitdruck eines neuen schweizerisch-britischen Handels­
ausgesetzt, die Verhandlungen mit dem UK abkommens eine weitere Herausforderung: Die
bis Ende 2018 abzuschliessen. Angesichts benutzte «Vorlage», die zugrunde liegenden
der knappen Frist und der Vielfältigkeit der Abkommen zwischen der
überzuführenden Abkommen Schweiz - EU Schweiz und der EU, ist in die
einigten sich die Schweiz und das UK auf ein Jahre gekommen. Das Frei­ Mit den Briten könnte
pragmatisches Vorgehen: Es wurden nicht handelsabkommen stammt nun der digitale Aussen­
vollständig neue Abkommen verhandelt, son­ aus dem Jahr 1972 – über 20
dern nur die nötigen Abweichungen zu den Jahre vor der Gründung der
handel geregelt werden.
Abkommen Schweiz - EU. Den Rahmen bildet WTO.
ein sechsseitiges Abkommen. Dieses besagt, Im Vergleich zu modernen Freihandelsab­
dass die «inkorporierten» (von Schweiz - EU kommen anderer Partner der EU, die voraus­
auf Schweiz -  UK angepassten) Abkommen sichtlich vom UK übernommen werden, weist
und Abkommensteile automatisch in Kraft das im Februar 2019 unterzeichnete Handels­
treten, sobald der Brexit – nach Ablauf der abkommen daher Lücken auf. So ist ein um­
Übergangsphase – vollzogen wird. fassendes Dienstleistungsabkommen mit
Die drei erwähnten Abkommen, die auf der der EU bisher nie zustande gekommen, vor
Angleichung von Produktvorschriften mit der allem wegen der befürchteten Auswirkungen
EU basieren, können einvernehmlich in einem auf den Service public in der Schweiz, die
Eilverfahren abgeschlossen werden, falls und Kantonalbanken oder die Schweizer Gebäude­
wenn das UK und die EU zu einer Lösung fin­ versicherungen. Auch könnten neuere The­
den. Ein Beispiel: Einigen sich die EU und das men wie der digitalen Aussenhandel, ein um­
UK auf ein Verbleiben des UK im Veterinär­ fassender Schutz des geistigen Eigentums oder
raum, kann auch das Veterinärabkommen die Nachhaltigkeit, die noch nicht Eingang in
Schweiz - UK angewendet werden. ein Abkommen Schweiz - EU gefunden haben,
Um darüber hinausgehende künftige mit den Briten geregelt werden.
Handelsbeziehungen zwischen dem UK und
der EU zu berücksichtigen sowie um den Was geschieht jetzt?
gegenseitigen Marktzugang auszubauen, sieht
das Handelsabkommen zwischen der Schweiz Im März haben die formellen Verhandlungen
und dem UK eine Revisionsklausel vor. Ausser­ über die zukünftigen Handelsbeziehungen
dem haben das Staatssekretariat für Wirt­ zwischen dem UK und der EU begonnen.
schaft (Seco) und das britische Departement Die im Austrittsabkommen zwischen dem
for International Trade (DIT) ein Memoran­ UK und der EU vereinbarte Übergangsphase
dum of Understanding unterzeichnet, in dem dauert bis Ende 2020. Die Frist kann um ein
der beidseitige Wille festgehalten wird, das oder zwei Jahre verlängert werden, wenn das
Handelsabkommen innert nützlicher Frist UK und alle EU-Mitgliedsstaaten zustimmen.
zu ersetzen und zu modernisieren. Erste in­ Ob mit oder ohne Verlängerung der Über­
formelle Kontakte dazu fanden im Sommer gangsperiode – die Zeit für die Aushandlung
2019 statt. Ziel ist es nun, mindestens im eines umfassenden neuen Handelsregimes ist
Gleichschritt mit den Verhandlungen zwi­ ­äusserst knapp.

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  15
BREXIT

Damit ein neues Abkommen zwischen der Den Abschluss des bilateralen Handels­
EU und dem UK in Kraft treten kann, muss es abkommens darf die Schweiz als Erfolg werten.
von beiden Partnern ratifiziert werden. Je nach Es bietet den Wirtschaftsakteuren für wichtige
Ausgestaltung des Abkommens muss es nicht Bereiche Sicherheit und Voraussehbarkeit. Der
nur von der EU genehmigt werden, sondern Prozess ist aber noch nicht abgeschlossen.
auch von den nationalen Parlamenten der Auch dreieinhalb Jahre nach der Brexit-­
EU-Mitgliedsstaaten, was zusätzlich Zeit be­ Abstimmung weiss niemand, wie sich die
anspruchen wird. Es ist deshalb davon auszu­ Beziehungen zwischen dem UK und der EU
gehen, dass bis zum Ablauf der Übergangsphase gestalten werden. Diese Unsicherheit hat den
nur für die wichtigsten Teilbereiche Lösungen gesamten Verhandlungsprozess zwischen der
zwischen der EU und dem UK ausgehandelt und Schweiz und dem UK begleitet und bleibt eine
ratifiziert werden. Wie in jeder Verhandlung Herausforderung, wenn in den nächsten Mo­
kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass naten das schweizerisch-britische Handels­
schlussendlich gar keine Einigung zustande abkommen parallel zu den Verhandlungen­
kommt («No Deal»). EU - UK ergänzt werden soll.

Warten auf Resultate


Wie schon die Gespräche über das im Februar
2019 unterzeichnete Handelsabkommen gezeigt
haben, sind unsere britischen Gesprächspartner
stark mit den Verhandlungen mit der EU und da­
rüber hinaus mit zahlreichen Drittstaaten – mit
denen das UK gleichzeitig Freihandels­abkommen
Stefan Flückiger Claudio Wegmüller
abschliessen möchte – beschäftigt. Die etablier­ Botschafter, ­Delegierter EU-Koordinator,
ten Kontakte, der gezeigte Pragmatismus wäh­ des Bundesrats für ­Direktionsbereich, Staats-
rend der letzten Verhandlungen und weitgehend Handelsverträge, Leiter sekretariat für Wirtschaft
Leistungsbereich Aussen- (Seco), Bern
deckungsgleiche Ziele in vielen Bereichen sollten wirtschaftliche Fach-
in diesem komplizierten Prozess aber eine rasche dienste, Staatssekretariat
für Wirtschaft (Seco), Bern
Lösungsfindung unterstützen.

16  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

Arbeitsmarkt zwischen Schweiz


und UK bleibt offen
Die Schweiz und das Vereinigte Königreich verfügen über ein Abkommen, das einen
hohen Grad an Mobilität auch in Zukunft gewährleistet. Doch der Vertrag gilt nur für
Staatsangehörige, die sich bereits im jeweiligen Land befinden.  Cornelia Lüthy

Abstract  Im Rahmen seiner «Mind the Gap»-Strategie hat der Bundesrat Wegfall des FZA unberührt bleiben.2 Das
verschiedene Massnahmen ergriffen, um die bilateralen Beziehungen der ­Abkommen muss nun noch vom Parlament ge­
Schweiz zum Vereinigten Königreich (UK) über dessen Austritt aus der EU nehmigt werden. Der Nationalrat wird sich als
hinaus zu sichern. Im Migrationsbereich haben die beiden Staaten bisher Erstrat voraussichtlich im Mai 2020 mit dem
zwei Abkommen abgeschlossen: das Abkommen über die erworbenen
Abkommen beschäftigen.
Rechte der Bürgerinnen und Bürger und das befristete Auffang­abkommen
über die Zulassung zum Arbeitsmarkt im Falle eines ungeordneten ­Austritts
Bis Ende Jahr wird das Abkommen nicht be­
des UK aus der EU. nötigt, da das FZA auch in der Übergangsphase
weiterhin zur Anwendung gelangt. Es tritt
somit frühestens ab Anfang 2021 in Kraft  –

E  nde 2019 lebten rund 43  800 britische


Staatsangehörige in der Schweiz und 36 800
Schweizerinnen und Schweizer im Vereinigten
derzeit finden hinsichtlich der Regelung der
künftigen Beziehungen im Migrationsbereich
Gespräche zwischen der Schweiz und dem UK
Königreich (UK).1 Für diese Personen verliert das statt.
Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz
und der EU (FZA) voraussichtlich Ende 2020  – Gegenseitiger Rechtsschutz
nach Ablauf der Übergangsperiode – seine
Gültigkeit. Das Abkommen über die erworbenen Rechte der
Lange war nicht klar, wann das Freizügig­ Bürgerinnen und Bürger deckt drei Anhänge des
keitsabkommen nicht mehr anwendbar sein FZA ab: die Freizügigkeit im engeren Sinne, die
wird, da der Austritt des UK mehrfach ver­ Koordinierung der Systeme der sozialen Sicher­
schoben wurde. Diese Unsicherheit war ins­ heit und die gegenseitige Anerkennung von
besondere seitens der Wirtschaft in Bezug auf Berufsqualifikationen. Das Abkommen schützt
die Rekrutierung von Fachkräften, aber auch die Rechte von schweizerischen und britischen
seitens der mit der Umsetzung betrauten zu­ Staatsangehörigen, die während der Zeit, in
ständigen kantonalen Migrations- und Arbeits­ der das FZA anwendbar ist, von ihrem Recht
ämter spürbar. Hinzu kam die Unsicherheit auf Personenfreizügigkeit Gebrauch gemacht
der betroffenen Bürger, welche mit konkreten haben. Das Abkommen ist hingegen nicht an­
Fragen an das Staatssekretariat für Migration wendbar auf schweizerische und britische
(SEM) gelangten. Staatsangehörige, die nach dem Wegfall des
Um die erworbenen Freizügigkeitsrechte FZA neu in den jeweils anderen Staat einreisen
von schweizerischen und britischen Staats­ und sich dort aufhalten möchten.
angehörigen über den Brexit hinaus zu schüt­ Im neuen Abkommen werden Aufenthalts­
zen, haben die Schweiz und das UK im No­ rechte (mit oder ohne Erwerbstätigkeit), das
1 A us Gründen der Les-
vember 2018 deshalb das «Abkommen über Recht auf Familiennachzug, die Erwerbstätig­
barkeit wird im Folgen- die erworbenen Rechte der Bürgerinnen und keit von Grenzgängern, die Weiterführung von
den nur die männliche
Form verwendet. Die Bürger» abgeschlossen. Als rechtliche Grund­ angefangenen personenbezogenen Dienst­
weibliche Form ist
immer mitgemeint.
lage dient das FZA. Dieses sieht vor, dass die leistungserbringungen von bis zu 90 Tagen
2 Art. 23 FZA. erworbenen Rechte von Einzelnen bei einem pro Kalenderjahr durch Unternehmen und

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  17
BREXIT

SHUTTERSTOCK
Die Aufenthalts-
rechte von Schweizer
Staatsbürgern im UK Selbstständige mit Sitz in der Schweiz oder im erkennungsentscheide über den Brexit hinaus
sind mit einem neuen Vereinigten Königreich sowie das Recht auf gültig. Nach dem Wegfall des FZA können
Abkommen geschützt. Immobilienerwerb geschützt. Bei gewissen schweizerische und britische Staatsangehörige
Pass­kontrolle am
­Flughafen Heathrow.
Punkten in Bezug auf die Freizügigkeit ist es während vier Jahren nach den bisherigen Be­
restriktiver als das FZA und verweist auf die stimmungen einen Anerkennungsentscheid
innerstaatlichen Rechtsvorschriften. Dies beantragen.
gilt insbesondere für den Nachzug des künf­
tigen Ehepartners, die Erlangung des Dauer­ Worst Case abgewendet
aufenthaltsstatus, den rechtsbegründenden
Charakter der Aufenthaltsbewilligung, die öf­ Nebst dem Abkommen über die erworbenen
fentliche Ordnung sowie die Dienstleistungs­ Rechte der Bürgerinnen und Bürger verfügt
erbringung. die Schweiz über ein sogenanntes Auffang­
Im Anhang zur sozialen Sicherheit sollen abkommen mit dem UK. Dieses war für den
in erster Linie die Koordinationsregeln der Fall eines ungeordneten EU-Austritts im Jahr
EU weiter angewendet werden, wobei die 2018 aufgegleist worden. Aufgrund des ge­
Spezifitäten des FZA eingehalten wurden. Bei ordneten Austritts des Vereinigten Königreichs
der gegenseitigen Anerkennung von Berufs­ wird es in der jetzigen Form jedoch nicht mehr
qualifikationen schliesslich bleiben An­ ­benötigt.

18  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

Das Auffangabkommen wäre nur auf Per­ Aktuell steht für die Verhandlung und den
sonen anwendbar gewesen, welche nach dem Abschluss eines Abkommens für die Zeit nach
ungeordneten Austritt in die Schweiz oder in der Übergangsphase nur wenig Zeit zur Ver­
das Vereinigte Königreich einreisen und in den fügung. Der Umfang und der Regelungsbereich
Arbeitsmarkt eintreten wollen. Es ist vom mate­ eines oder mehrerer Abkommen sind heute
riellen Gehalt her auf den Zugang zum Arbeits­ noch offen. Am Ende wird es aber auch darum
markt beschränkt. Nichterwerbstätige, Perso­ gehen, Rechtssicherheit für Bürger und für die
nen im Familiennachzug, grenzüberschreitende Wirtschaft zur Rekrutierung von benötigten
Dienstleistungserbringer und Studenten fallen Arbeitskräften zu gewährleisten.
nicht in den Geltungsbereich des Abkommens,
sondern unterliegen weiterhin den Zu­
lassungsvoraussetzungen des Ausländer- und
Integrationsgesetzes (AIG).
Wie geht es ab Januar 2021 weiter? Nach­
dem die «Vergangenheitsbewältigung» ab­
geschlossen ist und die Rechte der Bürger
gesichert sind, gilt es nun, die zukünftigen Be­
ziehungen im Migrationsbereich mit dem UK zu
regeln und zu verhandeln. Grundsätzlich muss
Cornelia Lüthy
gewährleistet werden, dass Schweizer Staats­ Vizedirektorin und Leitern des Direktionsbereichs
angehörige gegenüber EU-Staatsangehörigen Zuwanderung und Integration, Staatssekretariat für
Migration (SEM), Wabern bei Bern
im UK nicht schlechtergestellt sind.

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BREXIT

Finanzdienstleistungen: Brexit-­
Vorbereitungen fortgeschritten
Die EU und das UK wollen weiterhin enge Finanzmarktbeziehungen pflegen. Davon pro­
fitieren auch Schweizer Banken und Versicherer. Die Verhandlungen sind allerdings noch
nicht abgeschlossen.  Christoph König, Christoph Feuz

Abstract  In den letzten zwanzig Jahren fanden eine schrittweise Harmoni- Die fast 50-jährige EU-Mitgliedschaft des
sierung des Finanzmarktrechts in der Europäischen Union sowie eine Ver- UK hat die Entwicklung Londons als führendes
tiefung des EU-Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen statt. Als Folge Finanzzentrum für Europa massgeblich mit­
des Austritts des Vereinigten Königreichs (UK) aus der EU wird der global geprägt und erfolgte vor dem Hintergrund einer
agierende Finanzplatz London nach Ablauf einer Übergangsperiode nicht
zunehmenden Verzahnung der europäischen
mehr Teil dieses EU-Binnenmarkts sein, und die bestehende Kooperation
zwischen den Finanzmarktakteuren und -behörden des Vereinigten König-
Finanzmärkte. In den letzten zwanzig Jahren
reichs, der EU und den EU-Mitgliedsstaaten muss neu geordnet werden. wurde der EU-Binnenmarkt für Finanzdienst­
Auch für die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem UK leistungen schrittweise ausgebaut. Insbesondere
ist der Austritt nicht folgenlos, doch konnten im Rahmen der «Mind the die Finanzkrise 2007/2008 hatte eine kata­
Gap»-Strategie des Bundesrats auch im Finanzmarktbereich adäquate lysierende Wirkung und hat die Finanzmarkt­
Massnahmen zur Sicherung des Status quo getroffen werden. Mit Blick auf regulierung auf EU-Ebene sowie die Schaffung
die Zukunft gibt es Opportunitäten zur Stärkung der Zusammenarbeit. einer EU-weiten Finanzmarktaufsichtsarchi­
tektur beschleunigt. Durch Harmonisierung
der Rechtsvorschriften wird innerhalb des

M  it dem geordneten EU-Austritt des Ver­


einigten Königreichs (UK) Ende Januar
2020 ist das No-Deal-Szenario abgewendet.
EU-Binnenmarktes die Erbringung von Finanz­
dienstleistungen, sei es direkt grenzüber­
schreitend oder über Niederlassungen, ermög­
Am 1. Februar 2020 hat nun eine Übergangs­ licht und vereinfacht (sogenanntes Passporting).
periode bis mindestens Ende 2020 begonnen, Die City of London hat aufgrund der positi­
in welcher das UK im EU-Binnenmarkt ven Standortattribute – globale Vernetzung des
sowie in der Zollunion verbleibt und sich Finanzplatzes, grosser Talentpool im Finanz­
verpflichtet hat, weiterhin die Rechte und bereich oder Tiefe des Kapitalmarkts etc. – die
Pflichten des EU-Acquis einzuhalten. Damit stetige Integration der EU-Finanzmärkte genutzt
ändert sich vorläufig auch für die europäische und die führende Stellung in Europa gefestigt.
Finanzindustrie nichts. Allerdings bestehen Heute beheimatet London den grössten Kapital­
für diese Planungsunsicherheiten, da das zu­ markt in Europa, und internationale Finanz­
künftige Verhältnis EU - UK im Finanzbereich gruppen aus Drittstaaten (insbesondere aus
erst während der Übergangsperiode geregelt Japan und den USA) haben aufgrund des attrakti­
werden soll. ven Ökosystems häufig ihre Hubs zur Bedienung
London befindet sich nach New York auf Posi­ der europäischen Märkte in der Themsestadt
tion zwei der global führenden Finanzzentren zentralisiert. Zudem verfügen viele kontinental­
(gefolgt von Hongkong und Singapur) – trotz europäische Finanzunternehmen über eine
Brexit-Unsicherheiten. In Europa bilden London Niederlassung in London. Umgekehrt ermöglicht
und Zürich die zwei wichtigsten Finanzplätzen das Passporting EU-Firmen und -Privatpersonen
(gefolgt von Frankfurt, Paris und Luxemburg). den Zugang zu einem global ausgerichteten
1 R
ankings gemäss Mit Genf verfügt die Schweiz bereits auf Platz Finanzhub mit umfassendem Dienstleistungs­
dem Global Financial
Centres Index (Ausgabe
6 über ein weiteres bedeutendes europäisches angebot innerhalb des EU-Netzwerks. Mit dem
September 2019). Finanzzentrum.1 EU-Austritt stellen sich aber für die zukünftige

20  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

Viele Schweizer Finanzdienstleister sind in


London präsent. Swiss-Re-Niederlassung.

KEYSTONE
BREXIT

Entwicklung der europäischen Finanzmärkte Monate werden zeigen, ob die angestrebte Um­
neue Fragen, allen voran wie sich der Markt­ setzung gelingen wird.
zugang für britische Finanzmarktakteure aus der Es lässt sich aufgrund dieser noch un­
City of London in die EU respektive die einzelnen sicheren Ausgangslage zum jetzigen Zeitpunkt
EU-Mitgliedsstaaten ausgestalten wird. nicht verlässlich abschätzen, wie gross die
Auswirkungen des Brexit auf die europäische
Neue Ausgangslage Finanzindustrie am Ende tatsächlich sein wer­
den. Es ist davon auszugehen, dass die City of
Da sich nach dem Brexit-Referendum vom Juni London auch weiterhin einen global führen­
2016 zwischen dem UK und der EU zu Beginn den und in Europa verorteten Finanzplatz be­
keine klare Stossrichtung über die zukünftige heimaten wird. Aus einer gesamteuropäischen
Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für Sicht ist jedoch die Fragmentierung der euro­
Finanzinstitute abzeichnete, trafen die in der EU päischen Kapitalmärkte, die mit dem Brexit
und im UK domizilierten Finanzunternehmen angestossen wurde, kritisch zu sehen, da sie
umfassende Massnahmen, um die Geschäfts­ sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der
beziehungen auch nach dem EU-Austritt des europäischen Finanzplätze auf globaler Ebene
UK sicherzustellen. Diese firmenspezifischen auswirken kann.
Anpassungen wurden durch gezielte gesetz­ Schweizer Finanzunternehmen sind von
liche Massnahmen und aufsichtsrechtliche der Neuordnung der Zusammenarbeit EU - UK
Anpassungen im UK und in der EU unterstützt. im Finanzbereich nicht unmittelbar betroffen,
Insgesamt gilt der Finanzsektor als einer der­ sofern diese direkt aus der Schweiz heraus in
jenigen Wirtschaftssektoren, die in ihren Bre­ der EU oder im UK tätig sind. Hingegen stellen
xit-Vorbereitungen am weitesten fortgeschritten sich für Schweizer Finanzunternehmen, die ihr
sind. Eine Herausforderung stellt die Kontinuität EU-Geschäft von London aus strukturiert oder
bestehender mehrjähriger Verträge im Privat­ den Finanzhub London über EU-Strukturen ge­
sektor – etwa im Derivatebereich – dar. Um nutzt haben, ähnliche Herausforderungen wie
Rechtssicherheit zu gewährleisten, müssten viele für britische oder andere Finanzunternehmen
dieser zum Zweck grenzüberschreitender Dienst­ aus dem EU-Raum.
leistungserbringung abgeschlossenen Verträge
erneuert werden – ein Prozess, der immer noch «Mind the Gap»
im Gang ist.
Ungeachtet dieser Anpassungen haben das Mit seiner «Mind the Gap»-Strategie will der
UK und die EU im Rahmen der zusätzlich zum Bundesrat die geltenden gegenseitigen Rechte
Austrittsabkommen ausgehandelten politi­ und Pflichten zwischen der Schweiz und dem
schen Absichtserklärung festgehalten, dass der UK bestmöglich sicherstellen. Bisher basierten
Finanzdienstleistungshandel künftig auf dem die Wirtschaftsbeziehungen massgeblich auf
sogenannten Äquivalenzmodell basieren soll.2 den bilateralen Abkommen Schweiz - EU. Da
Das Finanzmarktrecht der EU wie auch jenes des diese nach Ende der Übergangsperiode nicht
UK enthalten zahlreiche Bestimmungen, welche mehr auf das UK anwendbar sind, mussten ad­
das Verhältnis zu Drittstaaten und/oder ihren äquate Nachfolgelösungen gefunden werden.
Akteuren regeln. Diese Bestimmungen bieten Im Finanz- und Steuerbereich ist das Direkt­
je nach Ausgestaltung eine Marktzugangs­ versicherungsabkommen3 vom Brexit betroffen:
2 Political Declaration
Setting out the
möglichkeit und/oder aufsichtsrechtliche Er­ Damit die Versicherungsunternehmen ihre Ge­
Framework for the leichterungen, falls ein Drittstaat über eine schäfte nahtlos weiterführen können, haben
Future Relationship
Between the European gleichwertige Regulierung (Äquivalenz) verfügt. die Schweiz und das UK am 25. Januar 2019 ein
Union and the United
Kingdom, Rz. 35–37.
Das UK und die EU streben an, die notwendigen bilaterales Nachfolgeabkommen unterzeichnet.
3 SR 0.961.1. Äquivalenzprüfverfahren bis Ende Juni 2020 Dieses führt die bestehenden Regeln im Direkt­
4 Der Abkommenstext
sowie weitere Infos durchzuführen, behalten sich aber ihre jewei­ versicherungsbereich lückenlos weiter.4 Es
sind auf der Länder-
website des SIF zum UK
lige Autonomie respektive den Beschluss zur ermöglicht Schweizer Versicherungsunter­
einsehbar. Äquivalenz ausdrücklich vor. Die kommenden nehmen auch zukünftig, Zweigniederlassungen

22  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

im UK zu errichten und über diese am UK-Ver­ Finanzmarktaufsichtsbehörde (Finma) eine


sicherungsmarkt im Nichtlebengeschäft teil­ Anerkennung der Gleichwertigkeit, die sie vor­
zunehmen, etwa im Bereich der Hausrats-, der läufig bereits der EU erteilt hatte, über den Bre­
Motorfahrzeug-, der Reise- und der Haftpflicht­ xit hinaus auf das UK ausgedehnt.7
versicherung. Umgekehrt geniessen britische
Versicherungsgesellschaften dieselben Rechte Kontinuität gewährleistet
in der Schweiz.
Ebenfalls vom UK-Austritt betroffen ist Insgesamt kann mit diesen Vorkehrungen für
das Abkommen über den Automatischen die bilateralen Beziehungen Schweiz - UK im
Informationsaustausch in Steuersachen (AIA) Finanzbereich über den Ablauf der Übergangs­
zwischen der Schweiz und der EU.5 Nach dem periode hinaus ein hohes Mass an Kontinuität
Ende der Übergangsperiode soll der Auto­ gewährleistet werden. Dies ist wichtig, da viele
matische Informationsaustausch gestützt auf schweizerische Finanzinstitute im UK – und
das multilaterale Übereinkommen des Europa­ umgekehrt viele britische Finanzunternehmen
rats und der OECD über die gegenseitige Amts­ in der Schweiz – präsent sind.
hilfe in Steuersachen und das multilaterale Beide Finanzplätze sind offen ausgestaltet,
Übereinkommen der zuständigen Behörden internationalen Standards verpflichtet und
über den Informationsaustausch in Steuer­ global orientiert. Diese Kooperation soll auch in 5 S R 0.641.926.81.
sachen (MCAA) weitergeführt werden. Zukunft fortgesetzt und vertieft werden, etwa 6 Richtlinie 2009/138/EG
(Solvency II) sowie Ver-
Darüber hinaus bilden Äquivalenzen einen im Bereich der Vermögensverwaltung, im Ver­ ordnung Nr. 648/2012
Bestandteil der bilateralen Finanzbeziehungen sicherungsgeschäft oder auch in Bereichen wie (EMIR).
7 Finma-Aufsichtsmittei-
zwischen der Schweiz und der EU. So wurde die Sustainable Finance und der Digitalisierung. lung 1/2019.
Schweiz in den letzten Jahren in verschiedenen
Bereichen der Finanzmarktregulierung von der
EU als gleichwertig anerkannt – etwa im Ver­
sicherungsbereich oder bei zentralen Gegen­
parteien.6 Das UK hat der Schweiz zugesichert,
die bestehenden Äquivalenzentscheide der
EU für die Schweiz über das Ende der Über­
gangsperiode hinaus unilateral zu garantieren. Christoph König Christoph Feuz
Die Schweiz verfügt hingegen über ein offe­ Leiter Sektion Grundsatz- Rechtsanwalt und Dr. iur.,
nes, reziprok ausgestaltetes Marktzugangs­ fragen und Internationale Policy Advisor, Staats­
Beziehungen, Staats­ sekretariat für internatio-
regime, das kein mit der EU vergleichbares sekretariat für internatio- nale Finanzfragen (SIF),
Äquivalenzkonzept vorsieht. Im Bereich der nale Finanzfragen (SIF), Bern
Bern
Derivateregulierung hat die Schweizerische

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  23
BREXIT

Weiterhin reger Handel zwischen


der Schweiz und dem UK
Der Entscheid des Vereinigten Königreichs, aus der EU auszutreten, hat die Handels­
beziehungen mit der Schweiz nicht getrübt. Ein wichtiger Treiber für die Schweizer
Exporte ist das britische Wirtschaftswachstum – der Wechselkurs spielt hingegen eher
eine untergeordnete Rolle.  Vincent Pochon

Abstract    Trotz aller Unsicherheiten, die der Austritt des Vereinigten Dienstleistungen als Waren (ohne Wertsachen)
Königreichs (UK) aus der Europäischen Union mit sich bringt, hält sich gehandelt wurden. Dies ist damit zu erklären,
der Handel zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich gut. dass sich das UK seit Langem auf Dienst­
Im Dienstleistungsbereich ist das UK seit Längerem der drittwichtigste leistungen insbesondere im Finanzbereich und
Handelspartner der Schweiz. Beim Warenverkehr dominieren Wertsachen
bei Unternehmensberatungen spezialisiert hat.
wie Gold. Bei den Ein- und Ausfuhren von Chemikalien und Pharmazeutika
waren in den vergangenen drei Jahren erhebliche Schwankungen festzu-
Den grössten Anteil bei den Dienstleistungs­
stellen, die sich jedoch nicht eindeutig auf den Brexit zurückführen lassen. exporten ins UK hatten in den ersten drei Quar­
Der Handel mit anderen Waren entwickelt sich relativ stabil und weist talen 2019 Lizenzen mit 17 Prozent, gefolgt von
weiterhin einen Exportüberschuss aus. Schweizer Exporte ins UK sind den Finanzdiensten sowie den Telekommuni­
stärker von der britischen Konjunktur abhängig als vom realen Wechsel- kations-, Computer- und Informationsdiensten
kurs von Pfund und Franken. (ICT) mit 16 beziehungsweise 14 Prozent. Bei
den Dienstleistungsimporten lagen die Unter­
nehmensberatung (26%), die ICT (19%) und der

A  m 23. Juni 2016 stimmte die britische


Bevölkerung für einen Austritt des Ver­
einigten Königreichs (UK) aus der Europäischen
Tourismus (14%) vorne. Während von 2012 bis
2017 aufgrund der umfangreichen Schweizer
Importe in den Bereichen Forschung und Ent­
Union. Obwohl dieser Entscheid viele Unsicher­ wicklung sowie ICT ein Dienstleistungshandels­
heiten mit sich brachte, blieben die Handels­ defizit zu verzeichnen war, resultierte ab An­
beziehungen zwischen der Schweiz und dem UK fang 2018 ein Überschuss. Der Grund dafür ist
bisher insgesamt stabil. Das UK gehört zu den die starke Zunahme der Lizenzenexporte seit
wichtigsten Wirtschaftspartnern der Schweiz: Ende 2016.
Im Jahr 2018 lag es hinter Deutschland und den
USA mit einem Gesamthandelsvolumen (in­ Wertsachen dominieren
klusive Dienstleistungen und Wertsachen) von
über 56  Milliarden Franken auf dem dritten Beim Handel mit Wertsachen – mit einem Volu­
Rang. Diese Zahl setzt sich aus Exporten aus men von 25,9 Milliarden im Jahr 2019 – ist das
der Schweiz von 21 Milliarden Franken und Im­ UK sogar der wichtigste Partner der Schweiz.1
porten aus dem UK von 35 Milliarden Franken Dies hat zwei Gründe: Erstens verfügen beide
zusammen. Länder über starke Finanzplätze, zwischen
Auffällig ist der hohe Anteil an Dienst­ denen entsprechend viele Wertsachen (Gold­
leistungen, der sich im Jahr 2018 auf 19,5 Mil­ barren usw.) gehandelt werden. Zweitens wird
1 S iehe auch Exkurs «Die liarden Franken belief (Importe und Exporte). ein Grossteil des weltweit verkauften Goldes in
wichtigsten Handels- Hinter den USA und Deutschland ist das UK in Raffinerien in der Schweiz verarbeitet und wie­
partner der Schweiz» in
den Konjunkturtenden- diesem Bereich der wichtigste Handelspartner der exportiert – insbesondere nach China und
zen Winter 2019–2020
des Seco. Daten zum der Schweiz. In den ersten drei Quartalen 2019 Indien. Ein Grossteil dieses Goldes stammt aus
Warenhandel sind gehörte das Vereinigte Königreich zu den we­ dem Vereinigten Königreich, wo sich die welt­
bereits für das Gesamt-
jahr 2019 verfügbar. nigen Partnern der Schweiz, mit denen mehr weit wichtigsten Edelmetallbörsen befinden.

24  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

Der Handel mit Wertsachen schwankt jedoch (siehe Kasten). Zwischen Anfang 2013 und Mitte
von Jahr zu Jahr stark. Dies zeigt sich in einer 2016 haben sich die Chemie- und Pharmaexporte
hohen Volatilität beim Gesamtwarenverkehr – sogar mehr als verdoppelt – danach sind sie
insbesondere mit dem UK. So betrug der Anteil aber wieder eingebrochen (siehe Abbildung 1).
der Wertsachen an den Gesamtexporten der Im Gegensatz zur MEM-Industrie gewann die
Schweiz im Jahr 2019 beispielsweise 67 Prozent, Uhrenindustrie an Bedeutung: Der Exportan­
während dieser 2018 nur 15 Prozent ausmachte. teil der Uhrenindustrie betrug 6 Prozent im Jahr
Bei den Importen schwankte der Wertsachen­ 2009  – zehn Jahre später waren es fast 15  Pro­
anteil zwischen 43 Prozent im Jahr 2019 und 70 zent. Die Schweiz verfügt über einen komparati­
Prozent im Jahr 2018. ven Vorteil in diesem Bereich.
Angesichts des markanten Einbruchs
Kehrtwende beim Pharmahandel der Schweizer Pharmaexporte ab Mitte 2016
stellt sich die Frage nach den Ursachen. Diese
Abgesehen von den Wertsachen sind Chemie- überraschende Kehrtwende kurz nach dem
und Pharmaprodukte die wichtigste Export­ Brexit-Referendum von 2016 könnte einem
rubrik des Warenhandels mit dem Vereinigten Strategiewechsel von einem oder mehreren
Königreich: Im Gesamtjahr 2019 wurden Chemie- Unternehmen im UK in diesem Zeitraum zu­
und Pharmaprodukte im Wert von über 3 Milliar­ zuschreiben sein – ob der Brexit die Ursache
den Franken ins UK exportiert. Dahinter folgen ist, bleibt unklar. Einzig belegt ist ein «Vorzieh­
Maschinen, Metalle und Präzisionsinstrumente effekt» im ersten Quartal 2019: Damals stockten
mit 2 Milliarden Franken (MEM-Industrie) sowie zahlreiche Unternehmen ihre Lager auf, weil sie
Uhrenexporte in der Höhe von 1,4  Milliarden sich für den ursprünglich am 29. März 2019 vor­
Franken. Die realen Chemie- und Pharmaexporte gesehenen Austritt des Vereinigten Königreichs
ins UK haben in den Jahren 2000 bis 2016 deut­ aus der EU wappnen wollten. Dieser Effekt ist Beim Handel mit
Wertsachen wie
lich zugelegt, wie eine Schätzung der realen in den meisten Import- und Exportrubriken er­ Gold ist das UK der
Warenexporte ins UK nach Warengruppen zeigt kennbar. wichtigste Partner
der Schweiz.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  25
BREXIT

Abb. 1: Schweizer Warenexporte ins UK (reale, saisonbereinigte Reihen)

4   in Milliarden Franken Anteil (nominal) 2019

100%
2

SECO / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


1
33%
30%
22%
0 15%

16
0

02

10

12

14

18
0
0

0
0

20

20
20

20
20
20

20
20

20
20

  Total (ohne Wertsachen)         Chemie und Pharma        MEM-Industrie        Uhren         Übrige

Bei den Warenimporten aus dem UK lagen Unternehmen ausgehen und sollte deshalb nicht
die Chemie- und Pharmaprodukte mit einem als grundlegender Trend interpretiert werden.
Volumen von 5,2  Milliarden Franken im Jahr Die Betrachtung nach Produktgruppen hat
2019 ebenfalls an der Spitze (siehe Abbildung 2). gezeigt, dass der Warenhandel zwischen der
Die MEM-Importe beliefen sich auf 1,2 Milliar­ Schweiz und dem UK von diversen Faktoren
den Franken. Seit den Achtzigerjahren haben beeinflusst wird. Um vertiefte Erkenntnisse zu
diese Produkte markant an Bedeutung verloren: den Schweizer Exporten zu erhalten, wurden
Während sie im Jahr 1988 noch einen Anteil von die realen Warenexporte nach Handelspartnern
43  Prozent an den gesamten Warenimporten anhand eines einfachen Fehlerkorrektur­
hatten, waren es im Jahr 2019 nur noch 12 Pro­ modells2 modelliert. Wertsachen sowie Che­
zent. Ein etwas weniger starker Abwärtstrend mie- und Pharmaprodukte, die wesentlich we­
zeigt sich seit 2012 bei der Rubrik Fahrzeuge niger auf die Konjunktur und den Wechselkurs
(Autos, Züge, Flugzeuge usw.). reagieren als die übrigen Produkte, wurden
ausgeklammert. Das Modell ermöglicht unter
Warenexporte: BIP entscheidend anderem, innerhalb einer «Kointegrations­
beziehung» zwischen lang- und kurzfristiger
Die Chemie- und Pharmaimporte haben Dynamik zu unterscheiden. Alle Variablen
sich  – im Gegensatz zu den Exporten in dieser sind in realen Werten erfasst: Damit wird zum
2 F ür weitere Anwendun-
Sparte  – zwischen Mitte 2016 und Mitte 2019 Beispiel der substanziellen Inflationsdifferenz
gen dieses Modells auf verdoppelt. Das Wachstum wurde getrieben von zwischen der Schweiz und dem UK in den ver­
die Schweizer Exporte
siehe Indergand und chemischen und organischen Grundstoffen. gangenen Jahren Rechnung getragen. Mit dem
Mahlstein (2012) und Diese Entwicklung dürfte jedoch von einer Modell werden auch Schätzungen für Deutsch­
Hanslin Grossmann et
al. (2016). sehr beschränkten Zahl von Produkten und land, die USA, Frankreich und die gesamte Welt

Realer Warenhandel nach Handelspartnern


Weil keine realen Reihen zum Aussen- wichtigsten Produktgruppen korrigiert. entwickeln. Weiter resultieren durch
handel der Schweiz nach Handelspartner Diese Methode wird auch bei der den desaggregierten Ansatz aufgrund
vorliegen, basiert die Analyse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Gewichtung der verschiedenen
Handelsflüsse auf nominalen Werten. angewendet.a Weil für die einzelnen Produktgruppen je nach Handelspartner
Dies kann Interpretationsfehler zur Produktgruppen keine Preisindizes nach unterschiedliche Entwicklungen der
Folge haben – beispielsweise, wenn Handelspartner verfügbar sind, wird Gesamtpreise im Export und im Import.
Preisänderungen als konjunkturelle für alle Länder derselbe Gesamtindex
Schwankungen gedeutet werden. Deshalb verwendet. Es ist nämlich wahrscheinlich, a Siehe BFS (2015) für die Deflationierung der
Schweizer Exporte und Yoruzo et al. (2017)
wurde der Warenhandel für die einzelnen dass sich die Preise vieler gehandelter für die Anwendung auf die verschiedenen
Länder um die Preisänderungen in den Güter in verschiedenen Ländern ähnlich Handelspartner.

26  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

Abb. 2: Schweizer Importe aus dem UK (reale, saisonbereinigte Reihen, 2000–2019)

4   in Milliarden Franken Anteil (nominal) 2019

100%
2

SECO / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


1 55%

21%
0 12%
12%
0

02

12

14

16

18
0
0

1
0
0

20

20
20

20
20
20

20
20

20
20

  Total (ohne Wertsachen)         Chemie und Pharma        MEM-Industrie        Fahrzeuge        Übrige

durchgeführt, um die verschiedenen Elastizitä­ deutlicher Handelsüberschuss für diese Waren­


ten der schweizerischen Exporte zu vergleichen. gruppen: 2019 überstiegen die Exporte die Im­
Kurzfristig weisen die Exporte ins Vereinigte porte um fast 2 Milliarden Franken.
Königreich ähnliche Elastizitäten wie bei den Die Aussichten für den bilateralen Handel
anderen Handelspartnern der Schweiz auf: Die werden natürlich von zahlreichen weiteren Fak­
Auslandnachfrage hat einen wesentlich stärke­ toren mitbestimmt. Dazu gehören insbesondere
ren Einfluss als der Wechselkurs, was dadurch die Entwicklung in einzelnen Branchen wie
bedingt sein kann, dass die Unternehmen im Chemie und Pharma sowie die bilateralen Be­
Allgemeinen etwas zuwarten, bevor sie ihre ziehungen zwischen dem UK und der EU wäh­
Preise anpassen. Langfristig hingegen spielt rend und nach der bis mindestens Ende 2020 3 Die geschätzten
Elastizitäten können
der Wechselkurs beim Handel mit dem UK eine dauernden Übergangsphase, aber auch die je nach Spezifikation
des Modells und der
deutlich geringere Rolle als bei den übrigen Reaktion der europäischen Volkswirtschaften Wahl des Zeithorizonts
Partnern: Während ein Anstieg von 1  Prozent auf den Brexit und der Erfolg der «Mind the etwas variieren
(hier: 1. Quartal 1988–
des Wechselkurses bei den übrigen Partnern Gap»-Strategie des Bundesrats. 3. Quartal 2019).
mit einem Rückgang der Schweizer Exporte um
mindestens 0,6 Prozent einhergeht, beträgt die­
ser Wert für das UK lediglich 0,2 Prozent.3
Somit ist die relative Stabilität der Schweizer
Warenexporte (ohne Wertsachen sowie Chemie-
und Pharmaprodukte) seit dem Brexit-Referen­
dum damit zu erklären, dass sich die britische
Wirtschaft ebenfalls relativ solide entwickelt
hat: Das Wirtschaftswachstum des UK fiel seit­ Vincent Pochon
her insgesamt nur leicht unterdurchschnittlich Dr. rer. pol., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ressort
Konjunktur, Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern
aus. Dabei resultierte aus Schweizer Sicht ein

Literatur
BFS – Bundesamt für Statistik Hanslin Grossmann, Sarah, Lein, Indergand, Ronald und Mahlstein, Yoruzo et al. (2017). Real Exports
(2015). Inventory of Methods Sarah und Schmidt, ­Caroline Kornel (2012). Schweizer Waren- and Real Imports : ­Methodology
Used to Estimate Switzerland’s (2016). Exchange Rate and exporte im Zeichen der Fran- and Tips for A­ nalysis. Bank of
GDP and GNI. Foreign GDP Elasticities of Swiss kenstärke. Die Volkswirtschaft, Japan Reports and R ­ esearch
­E xports Across Sectors and 1/2–2012. Papers, April 2017.
­Destination Countries. Applied
Economics, 48:57.

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  27
MARLEN VON WEISSENFLUH / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

«Die Schweiz und das UK können


viel zu einem erfolgreichen
Europa beitragen»: Botschafterin
Jane Owen in Bern.
FOKUS

«Jetzt wissen wir, was wir wollen»


Seit dem Brexit habe sich etwas «Fundamentales» verändert, sagt Jane Owen, britische
Botschafterin in der Schweiz. Nun könne das UK Freihandelsabkommen aushandeln.
Statt sich einem Club wie der Efta anzuschliessen, setze das Land auf globale Partner­
schaften.  Guido Barsuglia, Nicole Tesar

Frau Botschafterin, bald sind vier Jahre v­ er­gangen der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta).
seit dem historischen Brexit-­Referendum vom Wohin müsste sich die Efta oder ein ähnlicher
23. Juni 2016. Was war damals Ihr erster Gedanke, «Club» entwickeln, damit er für das UK interes-
als Sie von den 51,9 Prozent Ja-­Stimmen erfuhren? sant würde?
Ich lebte damals in London. Ich bin nach dem Das UK will sich keinem Club anschliessen. Wir
Abstimmungstag gegen fünf Uhr morgens auf­ haben eine eigene Stimme, und wir haben et­
gestanden und habe auf meinem Handy das Er­ was zu sagen. Wir glauben an eine regelbasier­
gebnis gelesen. Mein erster Gedanke war: Das ist te Weltwirtschaftsordnung, und diese möch­
eine historische Entscheidung für unser Land – ten wir stärker mitgestalten. Deshalb setzen
als Angestellte der Regierung gibt das sehr viel wir auf globale Partnerschaften – multilateral
Arbeit. Bald habe ich aber auch an die Chancen und bilateral. Das UK ist die fünftgrösste Wirt­
für das Vereinigte Königreich gedacht. schaft, der weltweit drittgrösste Geldgeber in
der internationalen Entwicklungszusammen­
Die Verhandlungen über den EU-Austritt arbeit. Zudem sind wir der grösste Nato-Geld­
waren langwierig und wurden drei Mal ver- geber in Europa, nur um einige Beispiele zu
längert. Erst am 31. Januar 2020 war der nennen.
Austritt definitiv. Wie gehen Sie als Diplomatin
damit um? Sie kamen im Dezember 2017 in die Schweiz,
Diese vielen Jahre waren wichtig. Der Austritts­ zum Verhandlungsauftakt verschiedener
prozess war ein demokratischer Prozess, mit ­bilateraler Abkommen zwischen der Schweiz
einer harten, aber demokratisch geführten De­ und dem UK. Was haben Sie dabei über die
batte. Ohne die Diskussionen im ganzen Land Schweiz gelernt?
und im Parlament hätten wir das heutige Ergeb­ Die Schweiz ist ein zielorientierter und enga­
nis nicht erreicht. So hatten alle Zeit, sich auf gierter Verhandlungspartner. Wie meine Regie­
die Zukunft vorzubereiten. Jetzt wissen wir, was rung stieg auch die Schweiz damals sehr prag­
wir wollen. matisch in diese Verhandlungen ein. So konnten
wir die ersten bilateralen Abkommen rasch ab­
Sagen Sie es uns. schliessen. Mich hat die positive Herangehens­
Im UK hat sich seit Februar etwas Fundamenta­ weise beeindruckt.
les geändert: Wir können jetzt damit beginnen,
mit Drittstaaten Freihandelsabkommen auszu­
handeln. Wir wollen ein Freihandelsabkommen
Jane Owen
mit der EU. Jetzt haben wir noch zehn Monate
Die 56-jährige Jane Owen ist seit Dezember 2017 Botschafterin
Zeit dafür. Wir wollen als eigenständiger Part­ des Vereinigten Königreichs (UK) für die Schweiz und Liechten-
ner auf gleicher Augenhöhe mit der EU weiter­ stein. Sie studierte in Cambridge Russisch, Französisch und
gehen. Deutsch und lebte als Diplomatin bereits in Japan, Vietnam,
Indien und Norwegen. Sie wird voraussichtlich bis Ende 2022
die Interessen des UK in der Schweiz vertreten. Die Anzahl
Sie waren Botschafterin in Norwegen. Das Land Mitarbeitende in ihrer Botschaft hat sich seit 2018 auf 50
ist mit der Schweiz der zweite grosse Player in Personen verdoppelt.

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  29
BREXIT

Das Handelsabkommen Schweiz - UK sowie Abkommen stehen die EU, die USA, Australien,
eine Handvoll weiterer bilateraler Abkommen Neuseeland und die transpazifische Partner-
sind abgeschlossen. Die Schweiz ist jedoch in- schaft CPTPP. Wieso wird die Schweiz nicht
direkt über mehr als 100 bilaterale Abkommen erwähnt?
zwischen der Schweiz und der EU mit dem UK Da wir bereits ein bilaterales Handelsabkom­
rechtlich verknüpft. Welche Abkommen davon men haben, ist es nicht notwendig, dass wir
wird es auch künftig zwischen den beiden unmittelbar Verhandlungen über ein Freihan­
Ländern geben? delsabkommen miteinander aufnehmen. Mei­
Sämtliche für beide Seiten relevanten Bereiche ne Regierung ist dieses Jahr intensiv mit der EU,
sollen durch Abkommen abgedeckt werden be­ den USA, Australien und Neuseeland und Japan
ziehungsweise sind teilweise bereits abgedeckt beschäftigt. Für uns ist klar: Wir streben keine
(Anm. d. R. Handel, Luftverkehr, Versicherun­ Aushöhlung der bestehenden Regulierungen
gen, Landverkehr, Rechte der Bürgerinnen und an. Mit dem Austritt aus der EU verbleiben wir
Bürger, Sozialversicherung, Arbeitsmarkt). Die auf der gleichen Regulierungsebene, und dies
Anzahl ist dabei weniger entscheidend. So um­ wird sich nicht sofort ändern. Wir erwarten
fasst beispielsweise das Handelsabkommen deshalb keine wesentlichen Handelshemmnis­
zwischen der Schweiz und dem UK rund acht bi­ se mit der Schweiz. Über neue Regulierungen
laterale Einzelabkommen zwischen der Schweiz werden wir jedoch künftig selbstständig ent­
und der EU. Zudem sind auch weitere Abkom­ scheiden.
men in Bereichen wie etwa bei den Dienstleis­
tungen denkbar, in denen selbst die EU und die Sowohl die Schweiz als auch das UK befinden
Schweiz wenig aneinander gebunden sind. sich nun ausserhalb der EU: Was können die
beiden Länder voneinander lernen?
Durch das Übergangsabkommen mit der Unsere Ausgangslagen in Bezug auf die EU
EU bleibt das UK bis Ende 2020 noch im sind sehr verschieden. Daher werden wir auch
EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Somit unterschiedliche Beziehungen zur EU pflegen.
ändert sich im Moment in unseren bilateralen Doch bereits vor dem Brexit zogen wir in ge­
Beziehungen nicht viel, oder? wissen Sektoren am gleichen Strang. Das wer­
Das stimmt. Wir behalten die Rechte, die wir als den wir auch künftig so handhaben. Wir ha­
EU-Mitgliedsstaat hatten, und somit bleiben die ben zum Beispiel beide grosse Finanzzentren.
Beziehungen mit der Schweiz gleich. Aber auch London ist der zweitwichtigste Finanzplatz der
für Briten in der EU und für Welt.
EU-Bürger im UK ändert sich
«Unsere Ausgangslagen nichts. Im UK müssen die Stichwort Rahmenabkommen Schweiz - EU:
in Bezug auf die EU sind knapp 4 Millionen EU-Bürger Wie nehmen Sie die Diskussion rund um das
und die rund 37 000 Schwei­ Rahmenabkommen wahr?
sehr verschieden»
zerinnen und Schweizer ein­ Das ist ein Prozess. Ich kann mir vorstellen, dass
zig ihren Aufenthaltsstatus online bestätigen wie beim Brexit manches Familienabendessen
lassen. Das dauert nur ein paar Minuten. Der von dieser Diskussion dominiert wird. Das zu
Antragsteller erhält dann die Aufenthaltsge­ verfolgen, hat für mich natürlich einen hohen
nehmigung für das UK. Nach fünf Jahren kön­ Stellenwert.
nen diese Personen eine permanente Aufent­
haltsbewilligung beantragen. Ab Januar 2021 Welche Elemente des möglichen Rahmen-
führen wir dann für die Migration ein neues abkommens nimmt das UK besonders unter die
System ein. Wir wollen für gut ausgebildete Ta­ Lupe?
lente aus der ganzen Welt attraktiv sein. Es gibt tatsächlich einzelne Punkte, die im Fo­
kus stehen. Beispielsweise will das UK nicht,
Die Schweiz ist nach der EU, den USA und China dass in strittigen Fällen die Meinung des Euro­
der viertwichtigste Handelspartner des UK. päischen Gerichtshofs eingeholt wird und diese
Auf der Prioritätenliste des UK für bilaterale Einschätzung dann bindend ist.

30  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FOKUS

Die Schweiz nimmt dank der bilateralen In unserer Geschichte gab es nur wenige Referen­
Abkommen am Binnenmarkt teil. Gleichzeitig den. Unsere repräsentative Demokratie b ­ ietet
wahrt die Schweiz ihre Souveränität. Wäre das Raum für offene Diskussionen. Das Schwei­
«Modell Schweiz» für das UK ein gangbarer zer System der direkten De­
Weg? mokratie ist einzigartig. Ich
Wie zu Beginn erwähnt wollen wir mit der EU und meine britischen Kolle­ «Innerhalb der gleichen
ein Freihandelsabkommen abschliessen – und gen waren überrascht, dass Generation kann man
zwar eines der neuesten Generation, ähnlich die Bevölkerung die Abstim­
wie jenes zwischen der EU und Kanada. In die­ mung über «6 Wochen Fe­ nicht zwei Mal über die
sem Abkommen gibt es keinen Europäischen rien für alle» ablehnte: Dieses Frage der Unabhängig­
Gerichtshof, keine Verpflichtung zur automati­ konkrete Beispiel zeigt die keit abstimmen»
schen Anpassung an EU-Vorschriften und auch Vernunft der Schweizer und
keine Personenfreizügigkeit. Die Schweiz ist ins­ ihren Blick für die grossen
besondere in Bezug auf den Arbeitsmarkt oder wirtschaftlichen Zusammenhänge. In Grossbri­
über den Schengen-Raum viel enger mit der EU tannien hätten wir wohl ein anderes Ergebnis
verknüpft, als das UK das künftig wünscht. gehabt. (lacht)

Was beschäftigt die Menschen im UK im Hin- Eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen mit
blick auf den 1. Januar 2021? der EU spielt Nordirland: Wie wird die Grenze
Den britischen Bürgern ist Gewissheit wichtig. zu Irland nach der Übergangszeit in der Praxis
Sie wollen wissen, wie es weitergeht, ob sie wei­ aussehen?
terhin Ferien in Europa machen können oder Wir sind sehr erfreut, dass das Protokoll zu
welche Zollformalitäten künftig gelten. Jetzt Nordirland im Austrittsabkommen der EU ent­
können sich Bürger und Unternehmen auf die halten ist – das ist wichtig. An der Grenze zwi­
Zukunft vorbereiten. Wir wissen, wie es be­ schen Irland und Nordirland wird sich nichts
züglich Verhandlungen weitergeht. Davor do­ ändern. Auch wird es keine Personenkontrol­
minierte die Haltung: abwarten. Während in len geben. Da Nordirland in der Zollunion mit
den vergangenen Jahren im UK Unsicherheit dem UK ist, wird es Teil künftiger Freihandels­
herrschte, sprechen jetzt Bürger, Unternehmer abkommen des UK. Andererseits unterliegt der
und Staatsangestellte immer mehr von Chan­ Export von Gütern aus Nordirland in die EU
cen und der künftigen Flexibilität. Es darf dabei den Zollbestimmungen der EU. Ich bin sicher,
nicht vergessen werden, nebst dem Brexit gibt dass das neue System nächstes Jahr reibungs­
es noch andere Themen: die Digitalisierung, die los funktionieren wird. Ein für die Schweiz und
künstliche Intelligenz, den Klimawandel oder das UK wichtiger Punkt ist: Alle zwischen der
die explodierenden Gesundheitskosten. Es ist Schweiz und dem UK ausgehandelten Abkom­
eine spannende Zeit – mit oder ohne Brexit. men gelten auch für Nordirland.

Wie geht es weiter mit Schottland? Welche Message liegt Ihnen am Herzen?
Schottland ist ein wichtiger Teil des Vereinigten Wir sollten aufhören, über den Brexit zu spre­
Königreichs. Im Referendum im Jahr 2014 ent­ chen, und dafür die Chancen sehen. Wir wohnen
schied sich Schottland im UK zu verbleiben. Der in Europa. Europa steht vor vielen Herausforde­
Premierminister hat klargemacht, dass man in­ rungen in der Welt, und wir sollten diese Her­
nerhalb der gleichen Generation nicht zwei Mal ausforderungen zusammen lösen. Die Schweiz
über die Frage der Unabhängigkeit abstimmen und das UK können viel zu einem erfolgreichen
kann. Genauso wie man nicht über den Brexit Europa beitragen. Einem Europa, das in der Welt
nochmals abstimmt. stärker gehört wird.

Sehen Sie eine Tendenz zu mehr direkter


Demokratie im UK, sprich, werden künftig mehr Interview: Guido Barsuglia, Nicole Tesar,
Abstimmungen vor das Volk kommen? Chefredaktion

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  31
KEYSTONE
Serie DIE SICHT DER CHEFÖKONOMEN

EINBLICK VON DANIEL LAMPART

Hautnah in der Realität


Als ich neulich ein Referat an einer Gewerk­ mir. Doch mit der Zeit wird man damit vertraut.
schaftsversammlung von Postangestellten Wobei ich auch noch heute nie etwas veröffent­
hielt, kämpfte eine Frau mit den Tränen. Sie liche, was nicht seriös von den Kollegen aus den
fürchte sich vor der Pensionierung, weil die Rechtswissenschaften überprüft wurde.
Rente tief sei und sie sich keine 3. Säule leisten
könne. Das sind sehr emotionale Momente. Draht zur Basis
Dabei handelt es sich um keinen Einzelfall – Das Wichtigste und Schönste an meiner Tätig­
die Sorge um die Rente ist in der Bevölkerung keit ist der Austausch mit den Menschen –
viel grösser, als das beispielsweise in den Me­ schweizweit zählen die Gewerkschaften rund
dien zum Ausdruck kommt. Analysen des 800 000 Mitglieder. Sie stammen aus allen
­Bundes mit Steuerdaten sprechen eine deut­ Berufen und Schichten: von der Malerin zum
liche Sprache: Nur besser verdienende Haus­ Orchestermusiker oder vom Koch zur Leh­
halte können die Rentenlücke, die aus den sin­ rerin. Die Gewerkschaftsbasis spiegelt die
kenden Pensionskassenleistungen entsteht, berufliche und soziale Realität in der Schweiz.
über private Vorsorge einigermassen schlies­ Wer als Ökonom in diese Realität eintaucht,
sen. stösst auf einen Reichtum an Erfahrung und
Das ist für Wenigverdienende natürlich kein Wissen, den es wohl nirgendwo sonst gibt.
Trost. Als Gewerkschaftsökonom muss man Die vielen Begegnungen und Gespräche geben
den Mitgliedern Lösungen aufzeigen kön­ einen einzigartigen Einblick in ökonomische
nen. So entspannte sich die Stimmung im Saal Zusammenhänge, soziale Lebenslagen und
deutlich, als ich sagte, dass die Gewerkschaf­ individuelle Schicksale.
ten bald mit der Unterschriftensammlung Die Themen und Fragestellungen fliegen
für die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente einem als Gewerkschaftsökonom mit einem
starten werden. manchmal beängstigenden Tempo zu. Denn
Dieses Beispiel gibt einen guten Einblick in Berufstätige haben viele Probleme, die sie
die Arbeit von Gewerkschaftsökonomen. Wir heutzutage beschäftigen. Von der mittlerweile
helfen mit, die Lage der Berufstätigen in der hohen Erwerbslosigkeit in der Schweiz über
Schweiz zu analysieren und Probleme frühzei­ den Lohndruck und den Stress am Arbeits­
tig zu erkennen. Wir geben aus ökonomischer platz bis zu den grösser werdenden Renten­
Sicht Inputs, wenn es Prioritäten festzulegen problemen.
und Lösungsvorschläge auszuarbeiten gilt. In den Gewerkschaften geben die Mitglieder
­Wobei hier auch generalistische Qualitäten ge­ den Weg vor. Vom Gewerkschaftsökonomen
fragt sind. erwarten sie, dass er rechtzeitig auf mög­
Ein Schreckmoment in meiner Berufslaufbahn liche Probleme aufmerksam macht. Er muss
als Gewerkschaftsökonom war, als man von Lösungsvorschläge entwickeln und diese
mir erstmals verlangte, einen Gesetzesartikel durchzusetzen helfen. Damit es den Berufs­
für eine bestimmte Verbesserung der Arbeits­ tätigen im Land besser geht.
losenversicherung zu formulieren. Das können Daniel Lampart ist Chefökonom des Schweizerischen
doch nur Juristinnen und Juristen, dachte ich ­Gewerkschaftsbundes (SGB), Bern.

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  33
DIE STUDIE

CO2-Reduktionen: Verkehr nicht vergessen


Um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, muss auch der Verkehr berücksichtigt
­werden. Eine CO2-Abgabe, die auch Treibstoffe erfasst, würde das Wirtschaftswachstum
kaum abschwächen und sich nur geringfügig auf die Wohlfahrt der Haushalte auswirken. 
Philippe Thalmann, Marc Vielle

Abstract    Mit den bereits ergriffenen und den derzeit geplanten klima- und ener- ren allgemeinen Gleichgewichtsmodells4 die
giepolitischen Massnahmen werden im Jahr 2050 rund 54 Prozent der gesamten Dekarbonisierung der gesamten Schweizer
CO2-Emissionen auf den Verkehrssektor zurückzuführen sein. Zum Vergleich: Im Wirtschaft simuliert – mit und ohne Vorzugs-
Jahr 2017 waren es noch 41 Prozent. Wie eine Studie der Eidgenössischen Technischen behandlung der Treibstoffe. Auf diese Weise
Hochschule Lausanne zeigt, ist ein signifikanter Beitrag des Verkehrsbereichs erfor- liess sich der Beitrag des Verkehrssektors zu
derlich, um die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf eine Tonne CO2-Äquivalente pro den allgemeinen Dekarbonisierungsanstren-
Einwohner und Jahr zu senken. Dies entspricht dem ehrgeizigsten Ziel des Bundes- gungen beurteilen.
rats bei der Begrenzung der Klimaerwärmung auf 2°C. Daher müssen eine ­schrittweise
Erhöhung der CO2-Abgabe und ihre Ausweitung auf Treibstoffe in Betracht gezogen Drei politische Szenarien
werden. Mit einer neuen Mobilitäts- und Innovationspolitik könnten die durch die
CO2-Abgabe entstehenden Wohlfahrtskosten verringert werden. Ausgangspunkt unserer Simulationen war eine
Projektion der technischen, politischen und
wirtschaftlichen Entwicklung ohne wesent-

I  m Jahr 2017 verursachte der Verkehr


41 Prozent der CO2-Emissionen der
Schweiz. Unter Berücksichtigung der der-
gehende Dekarbonisierung – also: eine koh-
lenstoffarme Wirtschaft – nicht realistisch.
Im Rahmen einer Studie2 der Eidgenös-
liche Änderungen der heutigen Situation. In
diesem Referenzszenario gehen wir davon aus,
dass die 2020 eingeführte Emissionsvorschrift
zeit geltenden und der auf politischer Ebene sischen Technischen Hochschule Lausanne für neue Personenwagen von 95 Gramm CO2
geplanten Massnahmen wird dieser Wert bis (EPFL) wurden die Wohlfahrtskosten der Vor- pro Kilometer bis 2050 beibehalten wird. Die
2050 voraussichtlich auf 54 Prozent anstei- zugsbehandlung des Verkehrsbereichs analy- CO2-Abgabe ist weiterhin auf Brennstoffe be-
gen. Die Pläne der Schweiz hinsichtlich ihrer siert. Grundlage dafür war die erwartete Ent- schränkt und beträgt 120 Franken pro Tonne
CO2-Emissionen im Verkehrsbereich wir- wicklung der CO2-Emissionen in diesem Sek- CO2. Der Erdölsektor (hauptsächlich Raffine-
ken im Vergleich zu den Vorhaben der Euro- tor. Für diese Studie wurden Simulationen rien), die energieintensiven Industrien (Papier-
päischen Union sehr bescheiden. Bis im Jahr einer weitgehenden Dekarbonisierung ge- fabriken, Glasproduzenten, Zementherstel-
2012, als sich die Schweiz an den europäi- nutzt, die im Rahmen der Swiss Energy Mo- ler usw.) und die Elektrizitätsbranche nehmen
schen Vorschriften ausgerichtet hat, konnte delling Platform realisiert wurden.3 Zu diesem an einem nationalen Emissionshandelssystem
die Automobilbranche ihre Ziele bei der Ver- Zweck haben wir mittels eines berechenba- (EHS) teil. Der Preis der Emissionszertifikate
besserung der Energieeffizienz im Wesentli-
chen selbst festlegen. Von der 2008 einge- 2 Siehe Thalmann und Vielle (2019). 4 Für weitere Einzelheiten zur Methodik siehe Thalmann
führten CO2-Abgabe sind Treibstoffe nach 3 Landis et al. (2019). und Vielle (2019).
wie vor ausgenommen, und die Revision des
CO2-Gesetzes, das im Parlament beraten
wurde, ging vor der Frühjahrssession 2020 CO2-Preis und Wohlfahrtskosten im Jahr 2050, nach verschiedenen Szenarien
noch in die gleiche Richtung. 3500  Franken/Tonne CO2 Wohlfahrtsverlust, in %   2,1
THALMANN UND VIELLE (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Gemäss dem offiziellen Referenzszena- 3000 1,8


rio ist davon auszugehen, dass der Perso-
2500 1,5
nenverkehr in der Schweiz zwischen 2010
2000 1,2
und 2040 um 25 Prozent und der Güterver-
kehr gar um 37 Prozent zunehmen wird.1 Die 1500 0,9
Verteilung auf die verschiedenen Verkehrs- 1000 0,6
träger wird sich dabei wahrscheinlich nicht 500 0,3
wesentlich ändern. Der Strassenverkehr wird 0 0
daher voraussichtlich im gleichen Ausmass Szenario 1 Szenario 2 Szenario 3 Referenzszenario
zunehmen. Deshalb sind rigorose politische   CO2-Abgabe auf Brennstoffe       CO2-Abgabe auf Treibstoffe       CO2-Abgabe oder Zertifikate-Preis für energie­
Massnahmen erforderlich, um die gesamten intensive Branchen       Wohlfahrtsverlust im Vergleich zum Referenzszenario (rechte Skala)
CO2-Emissionen des Verkehrssektors zu re-
Die Szenarien 1 bis 3 zeigen die im Jahr 2050 erforderlichen CO2-Preise, damit das Ziel von einer Tonne
duzieren. Ohne Einbezug des Verkehrs in die
CO2-Ausstoss pro Einwohner erreicht werden kann, sowie den Wohlfahrtsverlust in Prozent des priva-
Klimamassnahmen des Bundes ist eine weit- ten Konsums. Bei diesen Wohlfahrtskosten sind die Vorteile nicht berücksichtigt, die aus der geringeren
Luftverschmutzung und den tieferen Unfallzahlen resultieren. Die Einzelheiten der verschiedenen
1 ARE (2016). Szenarien sind in der Tabelle dargestellt.

34  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


DIE STUDIE

KEYSTONE
Der Verkehr ist für rund 40 Prozent der
CO2-Emissionen der Schweiz verantwortlich.
steigt abhängig von Nachfrage und Angebot, Tabelle). Sie alle zielen darauf ab, die Treib-
wobei Letzteres jedes Jahr um 1,74 Prozent ver- hausgasemissionen der Schweiz bis 2050 auf
knappt wird.5 Insgesamt geht das Angebot an eine Tonne CO2-Äquivalente pro Einwohner eine Ausweitung der CO2-Abgabe auch auf
Emissionszertifikaten so zwischen 2013 und zu reduzieren. Diese Reduktion entspricht Treibstoffe vor, behält aber das EHS für ener-
2050 um 48 Prozent zurück. Die CO2-Emissio- dem ehrgeizigsten Ziel, das der Bundesrat in gieintensive Unternehmen bei. Beim drit-
nen werden sich also entsprechend den poli- der langen Frist angepeilt hatte, bevor er 2019 ten Szenario wird eine CO2-Abgabe auf Treib-
tischen Massnahmen und dem Wirtschafts- das Netto-null-Emissionen-Ziel für 2050 be- stoffe vorgeschlagen, die einem Viertel der
und Bevölkerungswachstum entwickeln. kannt gab. auf Brennstoffe erhobenen CO2-Abgabe ent-
Dieser Artikel stellt drei einfache politi- Das erste Szenario geht davon aus, dass spricht – am EHS würde sich in diesem Szena-
sche Dekarbonisierungsszenarien vor (siehe die gegenwärtigen Massnahmen, welche den rio nichts ändern.
CO2-Ausstoss verteuern, durch eine einheitli-
5 Gemäss der Abnahmerate der europäischen EHS-Ober-
che CO2-Abgabe auf alle fossilen Energieträ- Zahl der Elektrofahrzeuge
grenze im Zeitraum 2013–2020. ger ersetzt werden. Das zweite Szenario sieht
Sollen die Emissionen in den Sektoren, die
dem EHS unterstellt sind, unter der Ober-
3 Szenarien und ihre Instrumente grenze bleiben, muss der Preis der Emis-
CO2-Abgabe auf CO2-Abgabe auf Emissionshandelssystem sionszertifikate beim Referenzszenario bis
Brennstoffe Treibstoffe (EHS) für energie­intensive 2050 auf 252 Franken pro Tonne CO2 steigen
Unternehmen (siehe Abbildung). Mit einer auf Brennstoffe
beschränkten CO2-Abgabe von 120 Franken
Referenzszenario 120 Franken pro Tonne Vollständige Befreiung Der CO2-Preis reagiert auf
CO2 die sinkende Emissions- pro Tonne sinken die gesamten CO2-Emis-
obergrenze sionen durchschnittlich nur um 0,9 Prozent
pro Jahr. Folglich würde der CO2-Ausstoss
Szenario 1 Kontinuierliche Erhö- Wie die CO2-Abgabe auf EHS wird aufgehoben und pro Einwohner im Jahr 2050 immer noch
hung zur Erreichung Brennstoffe durch CO2-Abgabe ersetzt
des Emissionsziels
2,6 Tonnen betragen. Dank einer Verkehrs-
verlagerung auf die Schiene6, einer höhe-
Szenario 2 Kontinuierliche Erhö- Wie die CO2-Abgabe auf Der CO2-Preis reagiert auf ren Energieeffizienz der Fahrzeuge und der
hung zur Erreichung Brennstoffe die sinkende Emissions- Verbreitung von Biotreibstoffen und Elekt-
des Emissionsziels obergrenze
THALMANN UND VIELLE (2019)

rofahrzeugen wird es beim Strassenverkehr


Szenario 3 Kontinuierliche Erhö- ¼ der CO2-Abgabe auf Der CO2-Preis reagiert auf voraussichtlich zu einer ähnlichen Abnahme
hung zur Erreichung Brennstoffe die sinkende Emissions- kommen. Bei Personenwagen, Lieferwagen,
des Emissionsziels obergrenze
6 Gemäss Prognos (2012).

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  35
DIE STUDIE

Lastwagen, Bussen und Cars dominieren ses Rückgangs hängen hauptsächlich mit der behandlung geniessen, müssen die anderen
Treibstoffe auf Erdölbasis zwar nach wie vor, zunehmenden Verbreitung von Elektrofahr- Emittenten (Gebäude, nicht befreite Unter-
doch es kommen zunehmend Elektroautos zeugen und Biotreibstoffen zusammen. Hin- nehmen) eine bis zu dreimal höhere CO2-Ab-
für den privaten Gebrauch auf den Markt. Im gegen tragen effizientere Motoren von Ben- gabe entrichten.
Jahr 2050 werden sie 22 Prozent der Privat- zin- und Dieselautos nur wenig zu diesem Die Dekarbonisierung erfordert da-
autos ausmachen. Bei den übrigen Katego- Emissionsrückgang bei. Die Verbesserungen her eine starke Verbreitung von Elektro-
rien beträgt der Anteil der Elektrofahrzeuge resultieren daher in erster Linie aus einem autos und von mit Biotreibstoffen betriebe-
7 Prozent. Insgesamt werden 8 Prozent des Wechsel des Energieträgers. Eine niedrigere nen Fahrzeugen. Diese muss mit politischen
Fahrzeugbestands mit Biotreibstoffen be- CO2-Abgabe wie in Szenario 3 begrenzt die- Massnahmen zur Förderung von Bioraffine-
trieben. sen Wechsel und damit auch den Beitrag des rien und Ladeinfrastrukturen unterstützt
Will man das Ziel von einer Tonne Strassenverkehrs zur CO2-Reduktion. werden. Sofern eine neue Mobilitäts- und
CO2-Äquivalente pro Einwohner erreichen, Wenn Grossemittenten die CO2-Abgabe Innovationspolitik umgesetzt wird, könnte
muss der CO2-Ausstoss im Jahr 2050 um 70 mit der Teilnahme an einem Emissionshan- das Reduktionsziel auch mit tieferen Treib-
Prozent tiefer liegen als im Referenzszena- delssystem umgehen können wie in Szena- stoffpreisen und Wohlfahrtskosten erreicht
rio. Eine solche Reduktion erfordert hohe rio 2, steigen die Kosten für die Haushalte. werden, als sie in dieser Studie vorgesehen
CO2-Preise, wenn die CO2-Abgabe das ein- Dasselbe gilt bei einer Vorzugsbehandlung sind.
zige Instrument ist, um die Energieeffizienz von Treibstoffen wie in Szenario 3. Denn
zu erhöhen und um CO2-arme Energieträ- eine solche Bevorzugung erfordert wieder-
ger und Veränderungen bei Produktion und um viel höhere CO2-Abgaben für die anderen
Verbrauch zu fördern. Ausserdem müssen Sektoren (Gebäude, nicht befreite Unter-
die CO2-Preise in der Schweiz höher sein als nehmen usw.).
in Ländern mit einer bedeutenden Schwer-
industrie und einer auf fossilen Brennstoffen Ohne Abgabe: Ziel verfehlt
beruhenden Stromerzeugung.
Beim Szenario 1 beträgt der CO2-Preis im Wie unsere Simulationen zeigen, kann die
Jahr 2050 1089 Franken pro Tonne. Dieses Er- Schweiz ihre energiebedingten CO2-Emissio- Philippe Thalmann
gebnis ist mit den Resultaten anderer Modelle nen bis 2050 also auf eine Tonne pro Einwoh- Wirtschaftsprofessor, Leiter ­Lehrstuhl
vergleichbar, wo der CO2-Preis zwischen 970 ner reduzieren. Das gelingt zum einen mit für Städte- und Umweltökonomie,
und 1140 Franken liegt.7 Dieser hohe Preis, der einer Ausweitung der bestehenden CO2-Ab- ­Eidgenössische Technische Hochschule
Lausanne (EPFL)
schrittweise eingeführt würde, drosselt das gabe auf alle fossilen Energieträger und zum
Wirtschaftswachstum kaum und hat verhält- anderen mit einer schrittweisen Erhöhung
nismässig geringe Wohlfahrtskosten zur Fol- dieser Abgabe bis 2050: und zwar von 96
ge: Im Vergleich zum Referenzszenario würde auf 1089 Franken pro Tonne CO2. Dies ent-
der private Konsum um höchstens 1,88 Pro- spricht einer Erhöhung der Treibstoffpreise
zent sinken. Auch dieses Ergebnis ist mit den um 2.54 Franken pro Liter Benzin und um 3.01
Resultaten anderer Studien vergleichbar. Franken pro Liter Diesel. Diese Höchstbeträ-
Mit einer einheitlichen Abgabe auf alle ge würden indessen erst 2050 erreicht, wenn
CO2-Emittenten wie in Szenario 1 kann das Benzin und Diesel nur noch von etwa 14 Pro-
Ziel zu den geringstmöglichen Kosten er- zent des Autoverkehrs verwendet werden –
Marc Vielle
reicht werden. Im Vergleich zum Referenzsze- während heute beinahe 100 Prozent fossile Dr. oec., wissenschaftlicher ­Mitarbeiter,
nario liegen die CO2-Emissionen von Autos Treibstoffe verwenden. Lehrstuhl für Städte- und Umwelt­
im Jahr 2050 um 80 Prozent tiefer. Ein Drittel Ohne eine solche Erhöhung der Treib- ökonomie, Eidgenössische Technische
Hochschule Lausanne (EPFL)
dieses Rückgangs ist auf eine geringere Be- stoffpreise wird es sehr schwierig, bei der
nutzung des Autos zurückzuführen, die teil- Reduktion der CO2-Emissionen ein so ambi-
weise durch mehr Bahnreisen kompensiert tiöses Ziel zu erreichen. Insbesondere dann,
Schweizerische Gesellschaft
Aktuelle wissenschaftliche Stu-
dien aus dem «Swiss Journal of
wird. Insgesamt nimmt so die Mobilität der wenn die Energieeffizienznormen bis 2050
Haushalte ab. Die restlichen zwei Drittel die- nicht deutlich verschärft und auf alle Autos Société
Economics and suisse d’économie
Statistics» mit
einem starken Bezug zur schwei-
et
(nicht nur auf Neufahrzeuge) ausgeweitet Società svizzera di
zerischen Wirtschaftspolitik er- economia
7 Siehe insbesondere Landis et al. (2019), Bretschger et al.
werden. Wenn die energieintensiven Unter- scheinen in einer Kurzfassung in
(2011) und Ecoplan (2012). nehmen überdies weiterhin eine Vorzugs- Swiss Society of Economics a
der «Volkswirtschaft».

Literatur
ARE – Bundesamt für Raumentwicklung Ecoplan (2012). Energiestrategie 2050 – Landis Florian, Marcucci Ardriana, Rausch Thalmann Philippe und Vielle Marc (2019).
(2016). Verkehrsperspektiven 2040. volkswirtschaftliche Auswirkungen. Sebastian, Kannan Ramachandran und Lowering CO2 Emissions in the Swiss
Bern. Analyse mit einem berechenbaren Bretschger Lucas (2019). Multi-Model Transport Sector. In: Swiss Journal
Bretschger Lucas, Ramer Roger und Gleichgewichtsmodell für die Schweiz. Comparison of Swiss Decarbonization of Economics and Statistics, 155(1),
Schwark Florentine (2011). Growth Bericht im Auftrag des Bundesamtes für Scenarios. In: Swiss Journal of Economics Dezember.
Effects of Carbon Policies: Applying a Energie. Bern. and Statistics, 155(1), Dezember.
Fully Dynamic CGE Model with Hetero- Prognos (2012). Die Energieperspektiven für
geneous Capital. In: Resource and Energy die Schweiz bis 2050. Energienachfrage
Economics, 33(4), 963–980. und Elektrizitätsangebot in der Schweiz
2000–2050. Technischer Bericht im Auf-
trag des Bundesamtes für Energie, Basel.

36  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


UNTERNEHMENSSTANDARDS

Verantwortungsvolle Unternehmens­
führung – was macht der Bund?
Der Bundesrat unterstützt Firmen bei der verantwortungsvollen Unternehmensführung.
Dazu hat er zwei Aktionspläne verabschiedet.  Amina Joubli, Alexander Kunze

Abstract  Die verantwortungsvolle Unternehmensführung steht in der Schweiz ver- fung ist eine Chance für die Unternehmen:
stärkt im gesellschaftlichen und politischen Fokus. Mit der Verabschiedung der aktu- Sie ermöglicht ihnen, Risiken betreffend bei-
alisierten Aktionspläne zu Corporate Social Responsibility (CSR) sowie zu Wirtschaft spielsweise Wasserverschmutzung, Zwangs-
und Menschenrechten bestätigt der Bundesrat sein Engagement zur Förderung der arbeit in der Zulieferkette oder Bestechung
verantwortungsvollen Unternehmensführung für die Legislaturperiode 2020–2023. von Amtsträgern zu erkennen. Auf dieser Ba-
Durch eine langjährige Verantwortungskultur und Innovationsbereitschaft hat die sis können sie geeignete Massnahmen er-
Schweizer Wirtschaft gute Voraussetzungen, die Herausforderungen der Zukunft zu greifen, wobei sie deren Wirksamkeit laufend
meistern. überprüfen (siehe Abbildung auf S. 38) und
darüber berichten müssen.
Weiter fördert der Bund den Dialog zwi-

D  ie Debatte zur Konzernverantwortungs-


initiative und der Klimawandel haben
die verantwortungsvolle Unternehmens-
forderungen. Berücksichtigen Kunden nach
wie vor Bijouterien, die aufgrund von Kinder-
arbeit in der Goldlieferantenkette in den so-
schen Interessengruppen wie Nichtregie-
rungsorganisationen, Wirtschaftsverbän-
den und Wissenschaft, um gemeinsame Lö-
führung in den gesellschaftlichen und poli- zialen Medien angeprangert werden? Füh- sungen (zum Beispiel zur Bekämpfung des
tischen Fokus gerückt. Auch in der Agenda ren Banken weiterhin Unternehmen in ihren Klimawandels) zu finden. Bei vermutlichen
2030 für Nachhaltige Entwicklung der Ver- Portfolios, die nicht auf erneuerbare Ener- Verstössen gegen die OECD-Leitsätze für
einten Nationen ist der Privatsektor ein wich- gien setzen? Wie können kleinere und mitt- multinationale Unternehmen bietet der Na-
tiger Akteur. Doch welche Aktivitäten sind lere Unternehmen (KMU) mit vertretbarem tionale Kontaktpunkt Mediationen zur Kon-
zielführend? Und: Welche Rolle kommt dem Aufwand über Nachhaltigkeit berichten oder fliktlösung an. So trug er zu zukunftsgerich-
Bund zu? eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung teten Lösungen zur Achtung der Menschen-
Gesellschaft und Politik erwarten von durchführen? Um Antworten auf solche Fra- rechte durch die Credit Suisse, die Fifa und
Unternehmen verantwortungsvolles Han- gen zu finden, müssen sich Unternehmen mit Lafarge Holcim bei.
deln im In- und Ausland. Zur Unternehmens- einer Vielzahl internationaler Richtlinien und Der Bundesrat erwartet von Unterneh-
nachhaltigkeit gehören die Achtung der Men- Standards der verantwortungsvollen Unter- men mit Sitz oder Tätigkeit in der Schweiz,
schenrechte, würdige Arbeitsbedingungen, nehmensführung wie auch mit sich ändern- dass sie internationale Standards und Prin-
die Einhaltung von Umweltstandards sowie den Wertehaltungen und Bedürfnissen von zipien der verantwortungsvollen Unterneh-
der Verzicht auf Korruption und Täuschung Kunden, Arbeitnehmenden und weiteren In- mensführung einhalten. In erster Linie han-
von Konsumenten. Heutzutage reagiert die teressengruppen auseinandersetzen. delt es sich dabei um die Leitsätze für multi-
Öffentlichkeit – nicht zuletzt über Social nationale Unternehmen der Organisation für
­Media – schneller und vehementer auf ver- Zwei Aktionspläne wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
mutete oder tatsächliche Verstösse. wicklung (OECD) sowie um die Leitprinzipi-
Gestiegene gesellschaftliche Erwartun- Zur Förderung der verantwortungsvollen en für Wirtschaft und Menschenrechte und
gen, der technologische Wandel sowie die Unternehmensführung hat der Bundesrat den Global Compact der Vereinten Nationen.
Komplexität der internationalen Lieferketten im Januar 2020 den Aktionsplan zur gesell- Der Bund bringt sich aktiv bei der OECD und
stellen die Unternehmen vor neue Heraus- schaftlichen Verantwortung der Unterneh- bei der UNO für international abgestimmte
men (Corporate Social Responsibility, CSR) Rahmenbedingungen ein, unterstützt Unter-
und den Nationalen Aktionsplan für Wirt- nehmen bei der operativen Umsetzung (sie-
Nachhaltiger Kakao schaft und Menschenrechte (NAP) verab- he Kasten), verbessert die Gouvernanz und
schiedet. Beide Pläne gelten für den Zeit- die Unternehmenspraxis in Entwicklungs-
Bis 2025 sollen mindestens 80 Prozent der
Schweizer Kakaoimporte aus nachhaltigem An- raum 2020 bis 2023. Der CSR-Aktionsplan und Transitionsländern für die Thematik und
bau stammen. Langfristig soll die Gesamtheit der stellt den Unternehmen eine breite Auswahl fördert die Transparenz beispielsweise durch
Importe Nachhaltigkeitskriterien nachweislich an Instrumenten zur Verfügung, um die Ein- Nachhaltigkeitsberichterstattung.
berücksichtigen. Dieses Ziel verfolgt der 2018
haltung der Arbeits- und Menschenrechte,
gegründete und vom Bund unterstützte Verein
Schweizer Plattform für Nachhaltigen Kakao. die Korruptionsprävention und den Umwelt- Fokus auf Menschenrechte
Der Verein umfasst bereits über 60 Akteure der schutz zu verbessern. Er enthält 16 Massnah-
gesamten Schweizer Kakaobranche. Er führt mit men, die hauptsächlich die Nachhaltigkeits- Während der CSR-Aktionsplan breiter ge-
den beteiligten Akteuren einen Dialog und ent-
wickelt innovative Lösungen für soziale und öko-
berichterstattung und die Sorgfaltsprüfung fasst ist, konzentriert sich der NAP auf Ins-
logische Herausforderungen in der Kakaowert- zur verantwortungsvollen Unternehmens- trumente zur Achtung der Menschenrech-
schöpfungskette. führung betreffen. Gerade die Sorgfaltsprü- te. Er basiert auf den drei Säulen «Staatliche

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  37
U NTERNEHMENSSTANDARDS

ventionelle Fahrzeuge verantwortungsvoll


Sechs Schritte der Sorgfaltsprüfung
5 | Kommunikation 2 | Bestimmen und Bewerten negativer Effekte
herzustellen, sondern es geht vielmehr dar-
über Umgang in Geschäftstätigkeiten, Lieferketten um, ökologische, verkehrstaugliche und wirt-
mit Effekten und Geschäftsbeziehungen schaftliche Verkehrsmittel zu entwickeln. Da-
bei sollen auch innovative Konzepte der ge-

BASIEREND AUF DER OECD DUE DILIGENCE GUIDANCE FOR RBC / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
teilten Mobilität zum Einsatz kommen. Weiter
ermöglicht etwa die Blockchain- Technologie
eine bessere Rückverfolgbarkeit und mehr
Transparenz bei Lieferketten, was eine effizi-
1 | Verantwortungsvolle 6 | Leisten von oder entere Sorgfaltsprüfung ermöglicht. Eine He-
­Unternehmensführung verankern ­Kooperation bei rausforderung ist dabei der Datenschutz; zu-
in Strategien und Wiedergutmachung,
Managementsystemen wo angemessen dem ist es für lokale Interessengruppen wie
etwa Kakaobauern anspruchsvoll, die Daten-
qualität zu gewährleisten.
Die Schweizer Wirtschaft hat gute Vor-
aussetzungen, um diese Herausforderungen
4 | Nachverfolgen 3 | Beseitigen, Vermeiden
von Umsetzung und oder Mindern zu meistern. Sie ist innovativ und baut auf
Ergebnissen negativer Effekte einer langjährigen Kultur von Verantwortung
und Respekt auf. Entscheidend ist auch die
Unternehmenskultur der einzelnen Firmen:
S­ chutzpflicht», «Unternehmensverantwor- an international vereinbarten Instrumenten Die Vorbildrolle der Geschäftsleitung und des
tung» und «Zugang zur Wiedergutmachung». wie den OECD-Leitsätzen für multinationa- Verwaltungsrats, deren Bereitschaft zum Dia-
Beispielsweise unterstützt der Bund die le Unternehmen oder den UNO-Leitprinzipi- log mit den externen Interessengruppen so-
Unternehmen bei der Umsetzung der men- en für Wirtschaft und Menschenrechte. Aber wie die Risikobereitschaft für Innovation sind
schenrechtlichen Sorgfaltsprüfung, indem auch KMU handeln verantwortungsvoll, in- zentral. Dies wird nicht zuletzt von den so-
er in Zusammenarbeit mit Handelskammern, dem sie unter anderem Arbeitsplätze schaf- genannten Millennials, den zukünftigen Mit-
Wirtschafts- und Branchenverbänden Work- fen, flexible Arbeitsmodelle zur Vereinbarkeit arbeitenden, Führungskräften und Konsu-
shops organisiert. Zudem fördert der Bund von Privatleben und Beruf anbieten und inno- menten, erwartet.
sektorielle und private Initiativen, welche die vative nachhaltige Produkte entwickeln. Klar ist: Eine verantwortungsvolle Unter-
Umsetzung der menschenrechtlichen Sorg- Gleichzeitig ist die Liste der globalen He- nehmensführung stärkt die Wettbewerbsfä-
faltsprüfung gemäss den UNO-Leitprinzipi- rausforderungen lang: Die natürlichen Res- higkeit und die Marktstellung eines Unter-
en für Wirtschaft und Menschenrechte zum sourcen sind begrenzt, die Altersvorsorge ist nehmens, mindert potenzielle Reputations-
Ziel haben. angesichts der demografischen Alterung ge- risiken und ist eine wichtige Voraussetzung
Aufgrund erhöhter menschenrechtlicher fährdet, die gesellschaftlichen Erwartungen für eine nachhaltige wirtschaftliche, gesell-
Risiken in Hochrisikoländern arbeitet der an Unternehmen steigen, und die Digitalisie- schaftliche und ökologische Entwicklung.
Bund mit den Schweizer Botschaften zusam- rung erfordert neue Arbeitsmodelle. Konkret
men. Handlungsbedarf gibt es beispielswei- müssen Schweizer Unternehmen zur Errei-
se bei der Kinderarbeit: Weltweit arbeiten ge- chung der Ziele des Pariser Klimaabkommens
mäss der Internationalen Arbeitsorganisation beitragen, eine bessere Vereinbarkeit von Be-
über 150 Millionen Kinder.1 Um hier Gegen- ruf und Familie sowie die Bedürfnisse der älte-
steuer zu geben, möchte sich die Schweiz an ren Mitarbeitenden stärker berücksichtigen.
der globalen Allianz 8.7 gegen Kinderarbeit, Auch die vierte industrielle Revolution
Zwangsarbeit und Menschenhandel beteili- mit der zunehmenden Digitalisierung birgt
gen. Chancen und Risiken für die verantwortungs- Amina Joubli
Für Schweizer KMU hat der Bund eine volle Unternehmensführung. Beispielswei- Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Interna-
Broschüre publiziert, welche einen prakti- se entstehen im Dienstleistungssektor kom- tionale Arbeitsfragen, Staatssekretariat für
Wirtschaft (Seco), Bern
schen Überblick über die Chancen und Her- plett neue Arbeitsformen. Da sogenann-
ausforderungen der verantwortlichen Unter- te Cloud-Worker aus Entwicklungsländern
nehmensführung gibt. Die Broschüre er- vermehrt Routineaufgaben wie die Unter-
klärt, welche Schritte zur Umsetzung der nehmensbuchhaltung für Schweizer Firmen
menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung auf übernehmen, stellt sich für diese die Frage,
Unternehmensebene notwendig sind. wie würdige Arbeitsbedingungen sicherge-
stellt werden können.
Unternehmen sind gefordert
Innovation als Schlüssel
Viele Schweizer Unternehmen handeln Alexander Kunze
schon heute verantwortungsvoll. Insbeson- Bei der Lösung der zukünftigen gesellschaft- Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ressort
dere grössere Unternehmen orientieren sich lichen Herausforderungen spielt Innovation Internationale Investitionen und multina-
eine entscheidende Rolle. Dies lässt sich am tionale Unternehmen, Staatssekretariat für
Wirtschaft (Seco), Bern
1 Zahlen von 2016. Beispiel Mobilität zeigen: Es reicht nicht, kon-

38  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


INTERNETANSCHLUSS

Breitbandinternet: Verpassen die


­ländlichen Regionen den Anschluss?
Firmen in peripheren Gebieten der Schweiz verfügen oft über einen unzureichenden Internet­
anschluss. In einzelnen Tälern haben regionale Akteure aber den Ausbau des Glasfasernetzes
vorangetrieben.  Lorenz Bösch, Fabian Heimsch, Jürg Kuster, Markus Rach

Abstract  Ein Breitband-Internetanschluss ist für Betriebe in der Schweiz wichtig. In das Streaming eines Films in Ultra-HD sind
einer vom Staatssekretariat für Wirtschaft initiierten Studie wurde die Internet-Er- mindestens 15 Mbit/s nötig. Für die Ein-
schliessung in der Schweiz und insbesondere in den Zielgebieten der Neuen Regio- richtung eines Videokonferenzsystems im
nalpolitik (NRP) untersucht. Unternehmen in grossstädtischen Gebieten sind häufiger Unternehmen können ebenso schnell über
mit leistungsstarken Technologien (Glasfaser) ausgestattet als jene in den NRP-Ziel- 20 Mbit/s anfallen. Im Vergleich hierzu benö-
gebieten – allerdings gibt es auch periphere Gebiete mit hoher Erschliessungsquali- tigt das Versenden einer E-Mail mindestens
tät. Die Hälfte der NRP-Zielgebiete weist aber mittlere Download-Raten von unter 100 1 Mbit/s mit Anhängen.
Mbit/s aus, was für verschiedene digitale Anwendungen nicht ausreicht. Aufgrund der heterogenen Bedürfnisse
der einzelnen Unternehmen haben wir ver-
schiedene Nachfrageszenarien erstellt. Diese

F  ür Unternehmen in der Schweiz ist die


Digitalisierung zu einem Faktor im inter-
nationalen Wettbewerb geworden. Damit sie
dem Netz, dann werden rasch Download-­ reichen von einer geforderten Übertragungs-
Kapazitäten von mehreren Hundert Megabits leistung von 10 Mbit/s bis hin zu 1000 Mbit/s.
pro Sekunde (Mbit/s) benötigt. Das Angebot an Breitbandinfrastruktur wur-
die neuen Geschäftsmöglichkeiten nutzen de anhand der physischen Internetanschlüs-
können, wird nebst technologischen Kom- Unterschiedliches Tempo se eines Betriebs analysiert – Mobilfunktech-
petenzen vor allem auch eine leistungsfähige nologien wie 5G wurden nicht berücksichtigt.
Infrastruktur benötigt. Dabei spielt ein leis- Um allfällige Erschliessungslücken in der Entscheidend für die Internetkapazität ist, ob
tungsfähiger Internetanschluss eine wichti- Schweiz zu erkennen, haben wir im Auftrag das Glasfasernetz bis in die Büros reicht oder
ge Rolle. des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) ob die letzte Meile mit Kupferleitungen er-
Eine unzureichende Breitbanderschlies- untersucht, wie gut die Zielgebiete der Neuen schlossen ist. Während durchgängige Glasfa-
sung hat potenzielle Produktivitätsverlus- Regionalpolitik (NRP) mit Breitband erschlos- seranschlüsse symmetrische Download- und
te zur Folge und kann die Kundenakquise er- sen sind.2 Folgende Bezeichnungen klassifi- Upload-Datenraten von 1000 Mbit/s ermög-
schweren.1 Die Nachfrage nach Breitbandan- zieren die Breitbandinfrastruktur: Breitband lichen, variiert die Bandbreite bei Mischfor-
bindung wird von verschiedenen Faktoren (1 Mbit/s bis 30 Mbit/s), Hochbreitband (30 men von Glasfaser und Kupfer stark. So redu-
wie der Anzahl Mitarbeitenden, den digita- Mbit/s bis 100 Mbit/s) und Ultrahochbreit- ziert neben der Limitation der Kupferleitung
len Applikationen oder der standortübergrei- band (über 100 Mbit/s). Zur Einordnung: Für beispielsweise auch eine längere Distanz zum
fenden Vernetzung beeinflusst. Allerdings va- 2 Bösch et al. (2019).
Anschlusspunkt der Glasfaser die Kapazität.
riieren die Bedürfnisse sogar innerhalb einer
Branche stark, und aus dem Grad der Digitali-
sierung kann nicht direkt auf die erforderliche Abb. 1: Erschliessungslücken nach Nachfrageszenarien und Gemeindetypen (2018)
Leistungsfähigkeit des Breitbandanschlus-
ses geschlossen werden, denn es gibt zahlrei- Download 10 Mbit/s
che (auch hochwertige) digitale Anwendun-
gen, die nicht zu grossen zu übertragenden Download 30 Mbit/s
Datenmengen führen.
FHNW UND HANSER CONSULTING / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Nachfrage-Szenario

Download 80 Mbit/s
Besonders datenintensiv sind bewegte
Bilder. Dies zeigt sich etwa in der Hotellerie:
Upload 80 Mbit/s
Dort hängt die Wahl des Internetanschlus-
ses in erster Linie vom Bedarf der Gäste ab – Download 100 Mbit/s
beispielsweise für das Streaming von Filmen
oder die TV-Nutzung – und nicht davon, ob Download 300 Mbit/s
das Hotel moderne Buchungsplattformen
verwendet. Auch der Digitalisierungsgrad der Download 1000 Mbit/s

Haustechnik ist zweitrangig. Surfen die Gäs- 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
te eines mittelgrossen Hotels gleichzeitig auf Erschliessungslücke

  Grossstädtische Gemeinden         Städtische Gemeinden        Periurbane ländliche Gemeinden     


1 Bösch et al. (2019).   Alpine Tourismuszentren        Periphere ländliche Gemeinden        Schweiz

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  39
INTERNETANSCHLUSS

Glasfaser bietet Stabilität optimal erschlossenen Räume als Unterneh- Beim Nachfrageszenario mit einer Down-
mensstandorte kann dadurch beeinträch- load-Kapazität von 80 Mbit/s weisen bei-
Auffallend sind die Unterschiede zwischen tigt werden. spielsweise die Regionen Urserental (UR),
Download- und Upload-Geschwindigkeit. Die meisten NRP-Regionen sind relativ Stoos-Muotathal (SZ), Oberes Reusstal (UR),
So sind bei der kupferbasierten ADSL-Tech- schlecht erschlossen, wie die Studie zeigt.3 Hinteres Schächental (UR), Thal (SO), Prätti-
nologie Downloads von 7,9 Megabits pro Se- 3 Die Auswertung basiert auf Daten der Swisscom. Ein-
gau/Davos (GR), Région La Gruyère (FR) und
kunde möglich – die Upload-Geschwindig- zelne Regionen sind womöglich mit anderen Anbietern Äussere Seegemeinden (UR) eine Erschlies-
keit ist jedoch auf 0,6 Mbit/s beschränkt. besser abgedeckt als dargestellt.

Wenn das Gebäude ans Glasfasernetz ange-


schlossen ist – die Büros aber weiterhin mit Abb. 2: Regionale Erschliessungslücken gemäss Nachfrageszenario 80 Mbit/s
Kupferleitungen verbunden sind (Fibre to Download-Kapazität (2018, in %)
the Building) –, betragen die Download- und
die Upload-Geschwindigkeit 285 Mbit/s und
66,9 Mbit/s. Nur Betriebe mit einer Glasfa-
sererschliessung bis in die Betriebsräumlich-
keiten (Fibre to the Home) verfügen über
symmetrische Download- und Upload-Ka- Schanfigg
pazitäten von je bis zu 1000 Mbit/s, was für
verschiedene digitale Anwendungen wie Bei Abb. 2 «in %» ausnahmsweise im Titel belassen.
etwa Cloud-Applikationen wichtig ist.

FHNW UND HANSER CONSULTING / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


Im Jahr 2018 waren noch 2 Prozent der Stefan Sonderegger
Betriebe mit ADSL erschlossen. Nach wie
vor weitverbreitet ist der Kupferanschluss
Poschiavo
im primären Wirtschaftssektor: 17 Prozent
der Forst- und Landwirtschaftsbetriebe ge-
Leventina
hen über ADSL ins Internet. Demgegenüber
verfügt im tertiären Sektor lediglich 1 Pro-
zent der Firmen noch über einen solchen An-
schluss.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Glas-
fasertechnologie: Nur 4 Prozent der Betrie- 0% 50% 100%
be des primären Sektors sind ans Glasfaser-
netz angeschlossen – gegenüber 36 Prozent
im tertiären Sektor. Diese markanten Unter- Abb. 3: Abdeckung der Betriebsgebäude in der Schweiz mit 5G-Antennen (2020)
schiede sind vor allem darauf zurückzufüh-
ren, dass sich viele Landwirtschaftsbetriebe
in einer ländlichen Region befinden, die nicht
mit Breitbandinternet erschlossen ist.

Stadt-Land-Graben
Den prozentualen Anteil der Betriebe in
einer Region, deren Breitbandanbindung
nicht genügt, um ein bestimmtes Nachfra-
geniveau nach Down- und Upload-Kapazi-
FHNW UND HANSER CONSULTING / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

täten zu befriedigen, bezeichnet man als Er-


schliessungslücke. Beim Nachfrageszenario
mit einer Download-Kapazität von 80 Mbit/s
beträgt diese beispielsweise 36 Prozent (sie-
he Abbildung 1). Dabei zeigt sich ein Stadt-
Land-Graben: Während in peripheren Ge-
meinden über die Hälfte der Unterneh-
men ungenügend erschlossen ist, ist dies Anzahl Antennen
Betriebsgebäude nach Anzahl 5G-Antennen in Reich-
in grossstädtischen Gemeinden nur bei weite (ohne Berücksichtigung der Topografie)
rund einem Viertel der Fall. Die grösste Er- 0 50 100
schliessungslücke findet sich mit 63 Prozent Dargestellt ist die Abdeckung respektive die Erreichbarkeit der Betriebsgebäude in der Schweiz durch
im Nachfrageszenario mit einer Upload-Ka- 5G-Antennen. Blau eingefärbte Gebäude werden von 0 bis 3 Antennen erreicht. Sie sind schlecht er-
schlossen. Kommt hinzu: Die Topografie ist in der Grafik nicht berücksichtigt, und die Erschliessung mit
pazität von 80 Mbit/s – wobei auch hier der 5G ist nur anhand der Distanz zur Antenne und deren Sendeleistung abgebildet. Zudem kann ein Nutzer
Unterschied zwischen Stadt und Land mar- in einem Betriebsgebäude aufgrund der blossen Erreichbarkeit mit 5G-Antennen nicht sicher sein, dass
kant ist. Die Wettbewerbsfähigkeit der sub- «sein» Anbieter eine dieser Antennen betreibt.

40  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


INTERNETANSCHLUSS

sungslücke von mindestens 80 Prozent auf rohre – nutzen können. Dadurch könnte man Zahl an weit auseinanderliegenden Gebäu-
(siehe Abbildung 2). die Tiefbaukosten wesentlich verringern. den noch eine Reihe von Fragen zum flächen-
Eine periphere Lage bedeutet aber nicht Eine Möglichkeit wäre es, die Eigentümer be- deckenden Einsatz von 5G – zum Beispiel
automatisch eine schlechte Erschliessung. stehender Leitungsnetze per Gesetz dazu zu zum bestehenden wie auch zum notwendi-
So sind die Bündner Regionen Poschiavo und verpflichten. gen Ausbau an 5G-Antennen.
Schanfigg ähnlich gut erschlossen wie gross- Ausserdem könnte die öffentliche Hand
städtische Regionen. Das Gleiche gilt für den Breitbandausbau mit finanziellen Beiträ-
Lorenz Bösch
die Leventina im Tessin. Diese Regionen ha- gen an die nicht amortisierbaren Ausbaukos- Ingenieur, Partner Hanser Consulting,
ben den Glasfaserausbau in Eigeninitiative ten in dünn besiedelten Regionen unterstüt- ­Zürich
mit Netzanbietern vorangetrieben und zum zen. Denkbar wäre etwa ein Impulsprogramm
Teil finanziell unterstützt. Umgekehrt gibt «Breitband». Ebenso scheint es wichtig, dem
es auch im Mittelland verschiedene Regio- digitalen Wandel durch die Schaffung und Fabian Heimsch
nen, die nicht optimal erschlossen sind – bei- Nutzung digitaler Kompetenzen in den Be- Prof. Dr., Dozent für Statistik und B
­ usiness
spielsweise das freiburgische Greyerzerland trieben zusätzlichen Schub zu geben. Analytics, Fachhochschule Nordwest-
schweiz, Olten
oder das Luzerner Seetal.
5G für Randgebiete?
Mögliche Massnahmen des Jürg Kuster
Eine Alternative zum Glasfasernetz ist der
Bundes leistungsstarke Mobilfunkstandard 5G. Der-
Dr. phil. nat., Projektleiter Hanser
­Consulting, Zürich
Was kann der Bund beziehungsweise die Re- zeit bauen die Telekomanbieter schweizweit
gionalpolitik tun, um die Erschliessungs­ ein 5G-Netz auf (siehe Abbildung 3). Die neue
lücken dort, wo sinnvoll, zu schliessen? Technologie ermöglicht beispielsweise mo- Markus Rach
Wichtig ist es, die nationalen und regiona- bile und flächendeckende Anwendungen für Prof. Dr., Dozent für Statistik und B
­ usiness
Analytics, Fachhochschule Nordwest-
len Infrastrukturanbieter auf bestehende betriebs- und branchenübergreifende Wert-
schweiz, Olten
Versorgungslücken aufmerksam zu machen. schöpfungsketten. Solche innovativen An-
Deshalb sind regelmässige Datenerhebun- wendungsfelder gilt es zu beobachten und im
gen sinnvoll. Austausch mit Akteuren der Wirtschaft, der Literatur
Bei der Erweiterung des Glasfasernet- Politik und der Wissenschaft zu entwickeln. Lorenz Bösch, Fabian Heimsch, Jürg Kuster und Markus
zes sollten die Infrastrukturanbieter und die Auch für das NRP-Gebiet stellt 5G eine Rach (2019). Breitbanderschliessung in den Zielgebie-
ten der Neuen Regionalpolitik, Studie im Auftrag des
Gemeinden prüfen, ob sie bestehende Lei- Chance dar. Allerdings stellen sich aufgrund Seco, 19.12.2019. Begleitung seitens Seco: Jacqueline
tungen – wie etwa Stromleitungen als Leer­ der vielen Täler und Berge und der grossen Hofer, Ressort Regional- und Raumordnungspolitik.

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  41
COWORKING

Coworking-Spaces erobern die Peripherie


Schweizweit existieren bereits 50 Coworking-Spaces im ländlichen Raum. Damit wird
die Arbeitsform zusehends zum regionalpolitischen Wirtschaftsfaktor. 
Jana Z’Rotz, Timo Ohnmacht

Abstract  Ursprünglich vor allem in den Grossstädten beliebt, finden sich Coworking-­ Befragten arbeiten dort höchstens seit zwei
Spaces zusehends auch im ländlichen Raum: Von den über 200 Coworking-Spaces in Jahren in dieser Arbeitsform.
der Schweiz liegen heute bereits rund 50 abseits der urbanen Zentren. Eine Umfrage Schweizweit arbeitet die Mehrheit der Be-
bei Nutzern von Coworking-Spaces zeigt: Die meisten Befragten arbeiten mindes- fragten mindestens einmal pro Woche einen
tens einmal pro Woche einen Tag im Coworking-Space, wodurch sie Pendlerwege Tag (während 5 Stunden oder mehr) in einem
reduzieren können. Dank der neuen Arbeitsform erweitern sie ihr berufliches Netz- Coworking-Space, im ländlichen Raum sind
werk. Weiter fördern Coworking-Spaces innovative Ideen. Für die Gemeinden im es sogar über 8 Stunden auf mehrere Tage
ländlichen Raum entstehen durch die Arbeitsgemeinschaften positive Nebeneffekte: verteilt. Bei mehr als jeder dritten Nutzerin
Coworking-Spaces fördern dezentrales Arbeiten und schaffen ein attraktives Mikro- befindet sich der Coworking-Space in ihrer
cluster. Wohngemeinde – im städtischen Raum ist
dies sogar bei der Hälfte der Befragten der
Fall. Bei rund 4 von 5 Personen befinden sich

A  rbeit hängt als Folge der Digitalisie-


rung immer weniger von einem fixen
Standort ab, sondern findet zu Hause, unter-
fenden, vom Schweizerischen Nationalfonds
finanzierten Studie.2 Teilgenommen haben
250 Nutzende aus schweizweit über 80 Co-
Coworking-Space und Wohnort in der glei-
chen Arbeitsmarktregion. Viele pendeln also
nicht weit bis zum Coworking-Space und spa-
wegs im Zug oder in Coworking-Spaces working-Spaces. ren dadurch potenziell Reisezeit ein.
statt. Diese zunehmende räumliche und zeit- Seit 2007 sind in der Schweiz über 200 Co- Die Nähe zum Wohnort ist für viele Befrag-
liche Flexibilität widerspiegelt sich auch in working-Spaces mit rund 10 000 Nutzenden te ein wichtiger Grund für Coworking. Ge-
der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung entstanden (siehe Abbildung auf S. 44). Rund rade im ländlichen Raum wird die Nähe zum
(Sake) des Bundesamts für Statistik (BFS)1: ein Viertel dieser Gemeinschaften befindt Wohnort als besonders wichtig eingeschätzt.
Während im Jahr 2001 knapp 250 000 Er- sich im ländlichen Raum. Ländliche Cowor- Weitere Gründe für Coworking sind die zeitli-
werbstätige in der Schweiz gelegentlich von king-Spaces umfassen nach unserer Definition che Flexibilität, die Alternative zu Homeoffice
zu Hause aus arbeiteten, waren es 2018 be- diejenigen Standorte mit einer Einwohnerzahl sowie der Austausch mit anderen Nutzerin-
reits über eine Million. von weniger als 50 000 oder Coworking-Spa- nen. Viele Befragte schätzen dabei die räum-
In dieser Entwicklung zeigt sich auch das ces, die nach der Gemeindetypologie des BFS liche Unabhängigkeit zwischen Wohnen und
Potenzial von Coworking-Spaces. Cowor- periurbanen und ländlichen Gemeinden zuge- Arbeiten – wobei der Coworking-Space aber
king-Spaces sind flexibel geteilte Arbeits- ordnet werden.3 Darunter befinden sich etwa in kurzer Distanz von zu Hause liegen soll.
räume mit fester Infrastruktur wie Drucker, das «Coworking Büro» im aargauischen Wü- Coworking-­Spaces bieten folglich eine Alter-
Sitzungszimmer und Aufenthaltsraum. Ein renlingen, «6280.ch» im luzernischen Hoch- native zum Pendeln und stärken die Attrakti-
Arbeitsplatz ist entweder frei wählbar oder dorf oder «Frischloft» in Appenzell. vität der Gemeinde als Wohnort.
kann fix jeweils tage- oder monatsweise ge- Etwa die Hälfte der Befragten ist selbst-
bucht werden. Im Unterschied zu herkömm- ständig erwerbstätig. Die übrigen sind Ange- Sozialer Austausch
lichen Grossraumbüros stehen die Nutzerin- stellte, die meist als Fach- oder Führungskraft
nen und Nutzer beim Coworking-Space im in kleinen bis grossen Unternehmen arbei- Die verschiedenen Arbeitszeiten der Nut-
Zentrum: Sie tauschen sich aus, unterstüt- ten. Branchenmässig arbeiten die meisten zenden sowie häufige personelle Wechsel
zen sich gegenseitig und arbeiten zusammen. Befragten im Gebiet der freiberuflichen, wis- führen dazu, dass sich das soziale Umfeld
Dabei kommen sie aus unterschiedlichen Be- senschaftlichen oder technischen Dienstleis- im Coworking-­Space stetig verändert. Die
reichen und Branchen – wobei viele freibe- tungen sowie in Berufen der Informations- «Community» ist grundsätzlich ein wich-
rufliche Dienstleistungen erbringen oder in und Kommunikationstechnologien. tiger Aspekt von Coworking-Spaces: Die
der Kommunikationsbranche arbeiten. Da- meisten Befragten tauschen sich über Prob-
durch entsteht ein ständig wechselndes so- Alternative zum Pendeln leme aus, diskutieren Ideen, diskutieren über
ziales Umfeld. das Geschehen im Coworking-Space oder
Um zu analysieren, warum sich jemand Im ländlichen Raum sind Coworking-Spaces über Privates. Die Hälfte spricht mindestens
für diese Arbeitsform entscheidet, haben wir ein relativ neues Phänomen: Zwei Drittel der alle paar Besuche über diese Themen – jede
Nutzende von Coworking-Spaces zu ihren Fünfte bei jedem Besuch. Wie die Umfrage
Mobilitätsbiografien sowie zu ihren Einstel- 2 Timo Ohnmacht, Thao Vu, Widar von Arx, Jana Z’Rotz zeigt, muss sich eine Community zuerst ent-
und Nada Endrissat (2020). Digital Lives in Coworking
lungen und Präferenzen im Arbeitsumfeld be- Spaces: Do Mobile Lifestyles Reduce Rural-Urban Di- wickeln. Nebst der Bereitschaft, sich zu en-
fragt. Die Umfrage ist Teil einer seit 2018 lau- sparities? Laufendes Forschungsprojekt der Hochschu- gagieren, spielen dabei auch die Betreiben-
le Luzern – Wirtschaft und der Berner Fachhochschule.
3 BFS (2012): Gemeindetypologie und Stadt/
den eines Coworking-Spaces eine wichtige
1 BFS (2019): Teleheimarbeit. Land-Typologie. Rolle.

42  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


Zürich ist mit 30 Standorten das
Coworking-­Mekka der Schweiz.
KEYSTONE

Arbeitende im «Impact Hub».


COWORKING

von Coworking-Spaces sinnvoll, weil sie eine


Coworking-Spaces in der Schweiz (2019)
Plattform bieten sowie die Attraktivität und
die wirtschaftliche Vernetzung der Region für
10 Unternehmen und Arbeitnehmende steigern.
7
2 2
3
2 30
6 Gerade im ländlichen Raum tragen
Coworking-­Spaces auch dazu bei, dass alte,
2
2 ungenutzte Gebäude in neue Nutzungen
6 2
7 übergeführt werden. Beispielsweise befinden
4 2
sich das «Office Lab» in Zug und «das Ma-

SEBASTIAN IMHOF, HOCHSCHULE LUZERN / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


7

4
2 cherzentrum» im sankt-gallischen Lichtens-
2 teig in den Räumlichkeiten der alten Post.
Beim «Neubad» in Luzern handelt es sich
2 18 um das alte Hallenbad. Solche Umnutzun-
2
gen werten die Standorte auf und begünsti-
13 gen das Entstehen von neuen Mikroclustern.
3 Öffentlich unterstützte Coworking-­
Spaces können folglich als Instrument für die
Regionalentwicklung eingesetzt werden, um
2 nachhaltige Impulse im ländlichen Raum aus-
zulösen. In einem weiterführenden Projekt
  Städtisch       Ländlich     2+   Mehrere Coworking-Spaces pro Ortschaft
untersuchen wir derzeit, ob sich Coworking-­
Dargestellt sind die rund 200 Coworking-Spaces gemäss der Raumtypologie des Bundesamtes für Statistik. Spaces von einem Arbeitsort zu einem Ort für
soziale Innovationen weiterentwickeln kön-
nen: Sind Coworking-Spaces soziale Treff-
Bei rund der Hälfte der Coworking-­Spaces titutionen. Die Beteiligten profitieren folg- punkte, und vermögen sie die Lebensqualität
findet mindestens einmal im Monat eine Ver- lich vom interdisziplinären Austausch, indem einer Gemeinde zu verbessern?
anstaltung statt; bei einigen sogar mindes- sie einander andere Perspektiven aufzeigen
tens einmal pro Woche. Beispiele sind in- und neue Impulse geben. Infolgedessen bie-
formelle Community-Meetings, Netzwerk- ten Coworking-­Spaces mit den verschiede-
anlässe mit externen Unternehmen oder nen Nutzenden und Aktivitäten ein attrakti-
Inputreferate. Die meisten Befragten neh- ves Mikrocluster. Dadurch entsteht eine neue
men rege an diesen Events teil. Zum einen Dynamik in der Gemeinde beziehungswei-
fördern solche Veranstaltungen die Entwick- se in der Region, und das stärkt die Wettbe-
lung der Community, zum andern bringen sie werbsfähigkeit der lokalen Unternehmen.
die Nutzenden mit Unternehmen aus der Re- Auch die lokale Wirtschaft profitiert: Viele Jana Z’Rotz
gion in Kontakt. Im ländlichen Raum dürf- der Befragten nutzen die Angebote der Gast- Ökonomin, wissenschaftliche Mitarbeiterin,
ten Coworking-­Spaces somit den regionalen ronomie und des Detailhandels, aber auch an- Institut für Betriebs- und Regionalökonomie
Austausch beleben – und einen Beitrag zur dere Dienstleistungen wie die Post, den Coif- (IBR), Hochschule Luzern – Wirtschaft
wirtschaftlichen Entwicklung einer Gemein- feursalon oder Freizeitangebote. Insgesamt
de leisten. zeigt sich: Indem viele Nutzerinnen und Nut-
zer in der Gemeinde arbeiten und wohnen so-
Innovative Ideen wie lokale Angebote konsumieren, entstehen
Wertschöpfung und Arbeitsplätze.
Coworking-Spaces tragen aus Sicht der Be-
fragten dazu bei, das berufliche Netzwerk Tool der Regional­entwicklung
zu erweitern. Im gegenseitigen Austausch
entstehen oft innovative Projekte, Produk- Mit der «Kreativfabrik 62» in Oberkirch wur-
te, Geschäftsmodelle oder Kooperationen. de einer der ersten Coworking-Spaces im Timo Ohnmacht
Coworking-Spaces bieten zudem die Gele- ländlichen Raum unter anderem mithilfe der Prof. Dr. phil., Forschungskoordinator,
genheit für Forschungs- und Entwicklungs- Neuen Regionalpolitik des Bundes (NRP) ge- Dozent, Institut für Tourismuswirtschaft
(ITW), Hochschule Luzern – Wirtschaft
prozesse ausserhalb der traditionellen Ins- schaffen. Aus Sicht der NRP ist die Förderung

44  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


WERKPLATZ SCHWEIZ

Produktion in der Schweiz lohnt sich


Eine Umfrage bei Produktionsunternehmen von Mitte 2019 zeigt: Trotz ein­getrübter
­Wirtschaftsaussichten plante fast die Hälfte die Fertigungs­kapazitäten in der Schweiz
auszubauen. Der starke Franken scheint dabei als H ­ indernis an Bedeutung verloren zu haben. 
Thomas Friedli, Christian Elbe, Dominik Remling, Ferdinand Deitermann

Abstract  Vergangenes Jahr hat das Institut für Technologiemanagement der Univer- nur 6 Prozent der Unternehmen produzieren
sität St. Gallen (ITEM-HSG) bereits zum dritten Mal den Swiss Manufacturing Survey nicht mehr in der Schweiz (siehe Abbildung
durchgeführt. Dabei wurden knapp 220 produzierende Unternehmen mit mindestens auf S. 46).
einem Standort in der Schweiz befragt, beispielsweise zu ihren aktuellen Herausfor- Für den Zeitraum 2019 bis 2022 wollte fast
derungen, Innovationen und Investitionen. Es zeigte sich, dass viele Unternehmen die Hälfte der befragten Unternehmen die
trotz wieder stärker werdenden Frankens an der Produktion in der Schweiz festhalten Fertigungskapazität in der Schweiz ausbauen.
wollen. Knapp die Hälfte der Teilnehmer plante, die Fertigungskapazität in der Schweiz Etwas mehr als ein Drittel wollte diese zumin-
zwischen 2019 und 2022 auszubauen. Erstmals hat ITEM-HSG 2019 zudem den Swiss dest konstant halten, und nur 18 ­Prozent sa-
Manufacturing Award verliehen. Er zeichnet ein Unternehmen aus, das sich besonders hen einen Abbau vor.
um den Werkplatz Schweiz verdient gemacht hat. Die Umfrage und die Auszeichnung Insgesamt zeigt sich ein klarer Unterschied
zeigen datenbasiert und beispielhaft, dass und wie sich allen Unkenrufen zum Trotz zwischen KMU und grossen U ­ nternehmen.
Produktion in der Schweiz auch weiterhin lohnt. So bauten 39 Prozent der grossen Unter­
nehmen die Fertigungskapazität im Jahr 2018
aus, während dies weniger als ein Drittel der

E  nde Juli 2019 ist der Schweizer Fran-


ken zum ersten Mal seit über zwei Jah-
ren wieder unter die Marke von 1.10 Franken
ten Quartal 2019 gewachsen ist. Insbeson-
dere die Schweizer Uhrenbranche wird zu-
sätzlich durch die unsichere Lage in Hong-
befragten KMU taten. Bei den Zukunftsplä-
nen ist es genau umgekehrt: Über die Hälf-
te der KMU plante eine Kapazitätserweite-
zum Euro gefallen. Seither mehren sich die kong und das Coronavirus beeinträchtigt. rung für die Jahre 2019 bis 2022 gegenüber
Berichte über Auftrags-, Umsatz- und Ex- Einzig die Pharmaindustrie scheint sich die- 34 ­Prozent der grossen Unternehmen.
portrückgänge bei produzierenden Unter- sem Abwärtstrend bisher widersetzen zu
nehmen in der Schweiz. Der Branchenver- können.2 Frankenschock überwunden
band Swissmem sprach Ende August 2019 Im Swiss Manufacturing Survey 2019
von einer «besorgniserregenden Entwick- (SMS) zeigt sich der Abwärtstrend (noch) Im Swiss Manufacturing Survey aus dem Jahr
lung» in der Schweizer Maschinen-, Elekt- nicht.3 Die Umfrage wird vom Institut für 2017 hatten noch 46 Prozent der befragten
ro- und Metall-Industrie.1 Neben dem star- Technologiemanagement an der Universi- Unternehmen angegeben, Verlagerungen ins
ken Franken machen die weltweite Konjunk- tät St. Gallen jährlich durchgeführt und soll Ausland zu erwägen.4 Viele Exportunterneh-
turverlangsamung und die zunehmenden die Situation der produzierenden Industrie men standen damals unter dem Schock der
Handelskonflikte mit Protektionismus der in der Schweiz näher untersuchen (siehe Kas- Aufhebung des Mindestkurses zum Euro zwei
Schweizer Industrie zu schaffen, auch wenn ten). Im Jahr 2019 haben zwischen Mitte April Jahre zuvor.
die Schweizer Wirtschaft insgesamt im drit- und Anfang August 219 Unternehmen aus 21 Demgegenüber schliesst die Umfrage
Branchen vom Maschinenbau über die Elek- vom vergangenen Sommer an einen mehr-
1 Swissmem (2019). tro- und die Textilindustrie bis hin zur Phar- jährigen wirtschaftlichen Aufschwung an.
maindustrie daran teilgenommen. Knapp 60 Dies hat vermutlich die Wahrnehmung der
Prozent der Teilnehmer waren kleine und befragten Unternehmen beeinflusst, auch
Swiss Manufacturing Survey mittlere Unternehmen (KMU) mit weniger als wenn 2019 in den Medien schon von einer
Das Institut für Technologiemanagement der 250 Mitarbeitenden. Abkühlung der Konjunktur zu lesen war. Den-
Universität St. Gallen untersucht seit 2017 im noch erwarten nur 18 Prozent der Unterneh-
jährlichen Swiss Manufacturing Survey die ak-
Gute Stimmung 2018 men einen Abbau von Fertigungskapazitäten
tuelle Situation und die zukünftigen Entwick- in der Schweiz zwischen 2019 und 2022.
lungen des produzierenden Gewerbes in der
Schweiz. Dieser Wirtschaftssektor hat gemäss Die Hälfte der befragten Unternehmen hielt Im Vergleich zur Umfrage aus dem Jahr
dem Bundesamt für Statistik einen Anteil von im Jahr 2018 ihre Fertigungskapazität in Form 2017 empfinden die Befragten den Wech-
knapp 20 Prozent am Bruttoinlandprodukt (BIP). von Maschinen, Ausrüstung und Anlagen in selkurs im SMS 2019 als kleineres Hindernis
In der Umfrage werden die Unternehmen unter
der Schweiz konstant. Ein weiteres Drittel für die Produktion in der Schweiz.5 Dassel-
anderem zu ihren Standortentscheidungen,
der Innovationsfähigkeit, der Bedeutung von ­erhöhte die Kapazität sogar. Lediglich 11 Pro- be gilt für die Personalkosten und mangeln-
Marktnähe sowie den Stärken des Schweizer zent gaben an, ihre Schweizer Fertigungska- de Aufträge. Dafür ist die fehlende Verfüg-
Werkplatzes befragt. Die Teilnahme ist kosten- pazität im Jahr 2018 verringert zu haben und barkeit von Maschinen und Anlagen in den
los, und jedes befragte Unternehmen erhält eine
firmenspezifische Auswertung, welche einen 4 Friedli, Benninghaus und Elbe (2018).
Vergleich mit der eigenen Branche und allen 2 Rütti (2019) und Ruch (2020). 5 Friedli, Benninghaus und Elbe (2017); Friedli et al., 2019;
Teilnehmern ermöglicht. 3 Friedli et al. (2019). Friedli et al. (2018).

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  45
WERKPLATZ SCHWEIZ

ausschliesslich Unternehmen aus margen-


Fertigungskapazität Schweizer Unternehmen
starken Branchen gut abschneiden. Die Di-

FRIEDLI ET AL. (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


mension Investitionen bezog sich auf be-
2018 reits getätigte und geplante Kapazitäts-
erweiterungen am Standort Schweiz und
auf Investments in digitale Technologien in
der Produktion. Die fünf Unternehmen, die
2019 bis 2022 am besten abschlossen, interviewten wir
telefonisch, um die Ergebnisse aus dem SMS
2019 zu verifizieren und weitere Einzelheiten
0% 25% 50% 75% 100%
zum Investitionsverhalten und den dazuge-
  Ausgeweitet bzw. Zunahme erwartet          Gleich geblieben bzw. keine Veränderung erwartet        hörigen Plänen des Unternehmens zu erfah-
  Verringert bzw. Abnahme erwartet               Keine Fertigung ren. Anschliessend erstellten wir fünf Fall-
studien. Eine unabhängige Jury wählte dar-
Anzahl befragte Unternehmen: 219. aus den Gewinner des SMA 2019.
Die Auszeichnung steht stellvertretend
für alle Firmen, die täglich in den Produk-
Vordergrund gerückt. Als Standortvorteil der nen und autonome Roboter, um die Produk- tionsstandort Schweiz investieren und damit
Schweiz bezeichneten die Befragten die Pro- tion weiter zu optimieren. zeigen, dass sich Produktion in der Schweiz
zess- und Produktqualität sowie die Lieferge- Weitere Finalisten waren die Unterneh- trotz allen Herausforderungen lohnt.
schwindigkeit und -zuverlässigkeit. men Aluwag, DGS Druckguss Systeme, SUSS
Micro-Optics und Urma. Diese Industriebe-
Award für Flugzeugbauer Pilatus triebe haben unter anderem gemeinsam, dass Thomas Friedli
sie sich auf die Produktion hochwertiger Teile Titularprofessor für Betriebswirt-
schaftslehre, Direktor des Instituts für
Um die Stärken des Werkplatzes Schweiz in der Schweiz spezialisiert haben und andere Technologie­management, Universität
hervorzuheben, verlieh das Institut für Tech- Tätigkeiten konsequent auslagern. Sie setzen St. Gallen
nologiemanagement im Jahr 2019 zum ersten vor allem auf gut ausgebildete Mitarbeiter
Mal den Swiss Manufacturing Award (SMA). und investieren bis zu zehn Prozent ihres Um-
Mit dem SMA wird ein Unternehmen aus dem satzes in neue beziehungsweise verbesser- Christian Elbe
Teilnehmerkreis des Swiss Manufacturing te Prozesse, Maschinen und Gebäude in der Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut
für Technologiemanagement, Universität
Survey ausgezeichnet, das im Jahr 2018 seine Schweiz. So bleiben sie mit ihrer Produktion St. Gallen
Produktion in der Schweiz besonders weiter- in der Schweiz international konkurrenzfähig.
entwickelt hat. Letztes Jahr ging der SMA an
den Flugzeugbauer Pilatus. Zweistufige Auswahl Dominik Remling
Im Zuge des Ausbaus der Produktion für Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut
für Technologiemanagement, Universität
den Privatjet Pilatus PC-24 hat das Unterneh- Die Auswahl des Gewinners erfolgte in
St. Gallen
men in den letzten Jahren über 100 Millionen einem zweistufigen Vorgehen. Im ersten
Franken investiert und 180 neue Arbeitsplät- Schritt bewerteten wir alle befragten Unter-
ze in der Produktion geschaffen. Damit konn- nehmen in den Dimensionen Performance Ferdinand Deitermann
te es die Fertigungskapazität um etwa 30 Pro- und Investitionen. Durch die Verwendung Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut
zent steigern. Gleichzeitig nutze es vermehrt relativer Indikatoren in der Performance-­ für Technologiemanagement, Universität
St. Gallen
digitale Technologien wie vernetzte Maschi- Dimension konnten wir vermeiden, dass

Literatur
Friedli, T., Benninghaus, C. und Elbe, C. Friedli, T., Benninghaus, C., Elbe, C. und Friedli, T., Elbe, C., Remling, D. und Rütti, N. (2019). Die Schweizer Wirtschaft
(2017). Swiss Manufacturing Survey – Remling, D. (2018). Swiss Manufactu- Deitermann, F. (2019). Swiss Manufac- wächst unerwartet kräftig. NZZ,
A National Study. St. Gallen. ring Survey 2018 – A National Study. turing Survey 2019 – A National study. 29. November
Friedli, T., Benninghaus, C. und Elbe, C. St. Gallen. St. Gallen. Swissmem. (2019). MEM-Industrie:
(2018). Jedes zweite Produktionsunter- Ruch, I. (2020). Diese Aktien gibt’s mit ­Besorgniserregende Entwicklung,
nehmen erwägt Verlagerung ins Ausland. Corona-Rabatt. FuW, 11. Februar ­Medienmitteilung vom 28. August.
Die Volkswirtschaft, 91(1–2), 55–57.

46  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FÖRDERPROGRAMME

Infrastrukturexporte: Schweiz stärkt


ihre Position
Im Wettbewerb um Aufträge für grosse Infrastrukturprojekte unterstützen ausländische
­Regierungen ihre Exporteure oft mit weit ausgebauten Fördermassnahmen. Demgegenüber
verbessert die Schweiz die Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren – ohne dem
Staat übermässige Risiken zu übertragen.  Martin Roth, Andreas Klasen

Abstract    Angesichts des grossen Bedarfs an Infrastrukturinvestitionen weltweit So erhält die Geschäftsstelle früh Kenntnis
unterstützen viele ausländische Regierungen ihre Exporteure mit Massnahmen wie über geplante Grossprojekte.
politischer Flankierung, Netzwerkbildung und diversen Finanzierungsinstrumenten. Das Vereinigte Königreich wiederum
Dies zeigt eine Studie von Professor Andreas Klasen von der Hochschule Offenburg agiert sehr strategisch und handelt nach
im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft. Ergänzend zu den Anstrengungen den vier Stufen «Ermutigung, Information,
der Industrie erleichtert die Schweiz den Zugang ihrer Wirtschaft zu ausländischen Vernetzung und Finanzierung». Italien tritt
Infra­strukturgrossprojekten ebenfalls. Im Fokus steht eine enge Koordination zwi- ebenfalls proaktiv auf und kombiniert di-
schen der Industrie sowie den relevanten Stellen und Instrumenten des Bundes. Ers- verse staatliche Instrumente. Auch in Japan
te neuartige Förderansätze sind bisher insbesondere im Bereich der Exportrisiko­ geniessen Infrastrukturexporte eine hohe
versicherung (Serv) entwickelt und getestet worden. politische Priorität. Unter Premierminister
Shinzo Abe profitieren Exportunternehmen
von Lobbying auf höchster Ebene. Der japa-

D  er weltweite Bedarf an Infrastruktur-


investitionen wird bis zum Jahr 2040
auf fast 90 Billionen Dollar geschätzt. Da-
Exporteure daher mit Komponenten oder
Ingenieurleistungen als Zulieferer von aus-
ländischen EPC-Generalunternehmern und
nische Staat hilft mit, wenn es darum geht,
Projekte zu generieren und Konsortien zu
bilden. Zudem stellt er breit aufgestellte
bei hat sich das Umfeld für grosse Projekte deren Unterakkordanten. öffentliche Exportfinanzierungen, Export-
in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheb- Um ihren Exporteuren den Zugang zu risikoversicherungen und Instrumente der
lich verändert. Heute sind zahlreiche neue Grossprojekten zu erleichtern, unterstüt- Entwicklungshilfe zur Verfügung.3 Auch
Wettbewerber aus China, Japan, Südkorea zen viele Regierungen ihre Exporteure mit Südkorea setzt zahlreiche finanziell auf-
oder der Türkei im Bereich Infrastrukturex- teils weitreichenden Fördermassnahmen. Sie wendige Massnahmen ein, über welche die
porte aktiv. Viele davon sind Generalunter- unterstützen sie politisch, schaffen natio- Schweiz nicht oder nicht im gleichen Aus-
nehmer, sogenannte Engineering-Procure- nale Wirtschaftsnetzwerke und bauen ihre mass verfügt.
ment-and-Construction-Firmen (EPC), die Instrumente zur Versicherung und Finan-
den Kunden schlüsselfertige Lösungen an- zierung von Exporten aus. Darüber hinaus «Team Sweden»
bieten.1 Zudem sind die Verhandlungen här- stellen sie immer öfter auch Finanzierungs­
ter geworden, denn die Käufer diktieren in instrumente der Entwicklungszusammen- Als Vorbild für einige Länder gilt Schwe-
zunehmendem Masse die Preise und machen arbeit zur V
­ erfügung. den, welches auf ein strategisches ­«Eco(n)
Vorgaben zu lokalen Produktionsanteilen so- system»4 setzt: Seit 2015 formulieren diver-
wie zur Finanzierung. Wie machen es andere? se staatliche und private Organisationen ge-
Der riesige Investitionsbedarf ist eine meinsame Ziele, um sich bei ihren Ausland-
Chance für Investoren, Auftragnehmer, Im Auftrag des Staatssekretariats für Wirt- aktivitäten untereinander abzustimmen, sich
Betreiber und Anbieter. Das gilt auch für schaft (Seco) hat Andreas Klasen von der zu vernetzen und einheitlich aufzutreten. So
Schweizer Firmen, die Infrastrukturleistun- Hochschule Offenburg untersucht, über wel- arbeiten beispielsweise der Exportförderer
gen exportieren. Dazu gehören beispiels- che Fördermassnahmen ausgewählte Han- Business Sweden, die beiden Exportkredit-
weise Schienenfahrzeugbauer, E­ nergie- delspartner der Schweiz verfügen.2 Insge- agenturen EKN und SEK sowie der Entwick-
und Umwelttechnikunternehmen. Über samt gibt es grosse Unterschiede, und die lungsfinanzierer Swedfund zusammen. Bei
EPC-Generalunternehmer verfügt die Massnahmen sind oft industriepolitisch ge- Bedarf kommen auch andere Organisationen
Schweiz allerdings kaum mehr. Die gros- prägt. Deutschland agiert beispielsweise ver- wie die Tourismus-Förderorganisation Visit
se Mehrheit der Schweizer Firmen und vor gleichsweise zurückhaltend – hat jüngst aber Sweden hinzu.
allem kleine und mittlere Unternehmen die Geschäftsstelle «Strategische Auslands- Die Zusammenarbeit in Schweden geht
(KMU) können keine Gesamtverantwortung projekte» beim Bundesministerium für Wirt- weit über den Zugang zu Infrastrukturpro-
für Grossprojekte im Ausland übernehmen. schaft und Energie eingerichtet. Diese ist jekten hinaus und wird zusätzlich mit der
In der Regel positionieren sich Schweizer nahe beim Ausschuss angesiedelt, der sich Dachmarke «Team Sweden» unterstützt. Die-
um die Exportrisikoversicherung kümmert.
3 Vgl. Yoshimatsu (2017).
1 Vgl. World Bank (2019); Uner, Cavusgil und Cavusgil 4 Vgl. Meyer und Klasen (2013), Klasen (2020) sowie
(2018) sowie Picha, Tomek und Löwitt (2015). 2 Klasen (2019). ­Valaskivi (2016).

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  47
FÖRDERPROGRAMME

KEYSTONE
Im Zuge des Grossprojekts «Grand Paris
­Express» wird derzeit das Pariser U-Bahn-Netz
se wird auch bei Delegationsbesuchen sowie ge, dass die vorhandenen Kenntnisse über erweitert.
Missionen und Projekten im Ausland genutzt. Grossprojekte nicht genügend gebündelt
werden können. Auch ist es schwierig, ge-
Was tut die Schweiz? meinsame Prioritäten festzulegen. Ende 2019 Analog zum «Team Sweden» scheint
hat der Bundesrat deshalb Massnahmen er- z­udem ein «Team Switzerland»-Ansatz prü-
In der Schweiz soll weiterhin primär die pri- griffen, um die Schweizer Exportwirtschaft fenswert: Indem relevante Bundes­stellen und
vate Initiative erleichtert und ergänzt wer- zu stärken. Im Fokus steht dabei eine enge Privatwirtschaft besser zusammenwirken, soll
den. Das heisst, dass die Projektidentifika- Koordination zwischen sämtlichen relevan- Schweizer Firmen der Zugang zu attraktiven In-
tion in der Regel auf privater Basis erfolgt ten Akteuren.5 frastrukturgrossprojekten im Ausland erleich-
oder die Exporteure anderweitig Eigenini- tert werden. Darüber hinaus will der Bundesrat
tiative ergreifen, bevor sie staatliche Förder- Zentrale Koordinationsstelle zielgerichtete Unterstützungsmassnahmen in
massnahmen einsetzen. Dabei gibt es aber Bereichen wie der Wirtschaftsdiplomatie, der
insbesondere bei der Koordination Optimie- Neu steht beim Staatssekretariat für Wirt- Exportrisikoversicherung und -förderung so-
rungspotenzial, wie die Studie zeigt: Das Wis- schaft (Seco) eine zentrale Koordinations- wie der Entwicklungszusammenarbeit in die
sen über Grossprojekte im Ausland, die dor- stelle (ZKS) zur Verfügung. Diese verfolgt das Wege leiten. Dazu hat er eine Arbeitsgrup-
tigen Rahmenbedingungen, EPC-General­ Ziel, Opportunitäten und Bedürfnisse der pe unter Einbezug von Wirtschaft, Serv, S-GE
unternehmer, Finanzierungslösungen sowie Schweizer Unternehmen bei Grossprojekten und weiteren Akteuren eingesetzt.
über die Leistungsfähigkeit der schweize- im Ausland frühzeitig zu erkennen. Die ZKS
rischen Exporteure ist über diverse Akteu- soll primär als Netzwerk-Koordinator agie- Pathfinding-Ansatz
re verteilt. Neben den Wirtschaftsverbänden ren. Sie hat den Auftrag, staatliche Unter-
sind unter anderem der Exportförderer Swit- stützungsmöglichkeiten bei den Unterneh- Die Serv spielt mit «Letters of Intent» und
zerland Global Enterprise (S-GE), die Schwei- men bekannter zu machen. Beispiele sind das «grundsätzlichen Versicherungszusagen» in
zerische Exportrisikoversicherung (Serv) «Mapping» bestehender Massnahmen so- einer frühen Phase von Infrastrukturprojek-
­sowie verschiedene Stellen der Bundesver- wie weitere Informations- und Sensibilisie- ten eine wichtige Rolle. Sie unterstützt schon
waltung – inklusive der Schweizer Botschaf- rungsmassnahmen. Ausserdem soll die ZKS jetzt Grossprojekte bis in den höheren drei-
ten und des Swiss Business Hub – involviert. schweizerische Vertretungen und Fachäm- stelligen Millionenbereich und erleichtert Zu-
Die bestehenden Koordinationsgremien ter im Sinne eines «Coachings» unterstützen. lieferungen. Mit einem neuen Ansatz – dem
und Mechanismen umfassen in der Schweiz sogenannten Pathfinding – will sie die Ver-
nicht alle relevanten Akteure. Das hat zur Fol- 5 Bundesrat (2019). triebs- und Marketinganstrengungen gemäss

48  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


FÖRDERPROGRAMME

dem Vorbild von Ländern wie dem Vereinig- men erfolgreich in Kontakt mit Entschei- ten wachsender wirtschaftlicher Konflikte
ten Königreich, Italien oder Kanada auf Ban- dungsträgern und EPC-Generalunterneh- tut man jedoch gleichzeitig gut daran, den
ken und EPC-Generalunternehmer sowie mern brachte. Das Projekt sieht im Gross- extensiven Einsatz von staatlichen Instru-
Importeure in ausgewählten Käufermärk- raum Paris ein Netz von sechs fahrerlosen menten, wie ihn andere Länder praktizieren,
ten ausweiten. So kann die Serv potenziellen U-Bahn-Linien mit 68 Bahnhöfen vor. auch kritisch zu hinterfragen.
Käufern aufzeigen, wie diese eine ­attraktive Weiter bestehen in der wirtschaftli-
Finanzierung sicherstellen und Schweizer chen Entwicklungszusammenarbeit bei-
Produkte und Dienstleistungen integrieren spielsweise Möglichkeiten, den Zugang
können. von Schweizer Industrieunternehmen zu
Nach einer ersten Prüfung potenzieller öffentlichen Beschaffungen der Interna-
Projekte beziehungsweise der Abnehmer er- tionalen Finanzierungsinstitutionen (IFI) zu
halten interessierte Exporteure dann in Zu- verbessern. Schliesslich soll die ZKS künf-
sammenarbeit mit Fachverbänden und S-GE tig mithelfen, dass Schweizer Anbieter
die Möglichkeit, im Rahmen von «Matchma- bei Bedarf noch gezielter mit wirtschafts­
king-Veranstaltungen» mit dem EPC-Gene- diplomatischen Massnahmen unterstützt Martin Roth
ralunternehmer in Kontakt zu treten. Diese ­werden. Leiter Ressort Exportförderung/Standort-
Veranstaltungen finden in der Schweiz statt Die beschriebenen Massnahmen in der promotion, Staatssekretariat für Wirtschaft
und erleichtern so die Teilnahme von KMU. Schweiz haben das Ziel, dass relevante Bun- (Seco), Bern
Im Jahr 2019 fanden zwei solche «Matchma- desstellen und die Privatwirtschaft noch
king»-Veranstaltungen statt, die auf reges In- besser zusammenwirken. Schweizer Fir-
teresse gestossen sind. men soll so der Zugang zu attraktiven Infra-
strukturgrossprojekten im Ausland erleich-
Besseres Zusammenspiel tert werden. Die Aktivitäten werden vorerst
im Rahmen der bestehenden gesetzlichen
Im Kontext von Grossprojekten leistet der Mandate und der vorhandenen Budgets um-
Exportförderer S-GE ebenfalls wirkungs- gesetzt. Resultate aus der Umsetzungsana-
volle Unterstützung – etwa indem er Kon- lyse wird das Seco bis Ende Jahr vorlegen.
takte vermittelt und Messebeteiligun- Dann soll über deren Weiterführung bezie-
gen ermöglicht. Ein Beispiel ist die letzt- hungsweise deren Verstärkung und Aus- Andreas Klasen
jährige Delegationsreise im Rahmen des weitung entschieden werden. Der Blick auf Professor für Internationale Betriebswirt-
französischen Bahninfrastrukturprojekts ausländische Beispiele kann dabei nützliche schaft und Leiter des Institute for Trade and
Innovation, Hochschule Offenburg
«Grand Paris Express», die Schweizer Fir- Hinweise und Ideen liefern. Nicht nur in Zei-

Literatur
Bundesrat (2019). Besserer Zugang zu aus- Meyer, H. und Klasen, A. (2013). What Uner, M. M., Cavusgil, E. und Cavusgil, S. World Bank (2019). Global Economic Pro-
ländischen Infrastrukturgrossprojekten, Governments Can Do to Support Their T. (2018). Build-Operate-Transfer Pro- spects: Heightened Tensions, Subdued
Medienmitteilung vom 13.11.2019. Economies: The Case for a Strategic jects as a Hybrid Mode of Market Entry: Investment. Washington, DC.
Klasen, A. (2019). Public Support for Econsystem. Global Policy. 4(Suppl. 1), The Case of Yavuz Sultan Selim Bridge in Yoshimatsu, H. (2017). Japan’s Export of
Infrastructure Projects, TradeRx, Bericht 1–9. Istanbul. International Business Review. Infrastructure Systems: Pursuing Twin
im Auftrag des Seco. Picha, J., Tomek, A. und Löwitt, H. (2015). 27, 797–802. Goals Through Developmental Means.
Klasen, A. (2020). Staatliche Finanzierung Application of EPC Contracts in Inter- Valaskivi, K. (2016). Circulating a Fashion: Pacific Review. 30(40), 494–512.
für innovative Exportunternehmen. national Power Projects. Procedia Performance of Nation Branding in
In: Graumann, M., Müller, A. und Weiss Engineering. 123, 397–404. Finland and Sweden. Place Branding and
H.-J. (Hrsg.): Innovationen für eine Public Diplomacy. 12(2–3), 139–151.
digitale Wirtschaft. Wiesbaden, Springer,
199–224.

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  49
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

Künstliche Intelligenz: Wie geht der Bund


damit um?
Selbstfahrende Autos, Patientendaten und Cybersicherheit: Genügen die Rahmen­
bedingungen angesichts der zunehmenden Anwendung von KI? Aus Sicht des Bundes
­besteht Klärungs- und teilweise Handlungsbedarf.  Christian Busch

Abstract  Künstliche Intelligenz hat zu zahlreichen aufsehenerregenden Anwendun- Dienstleistungen. Für den Erhalt der Wettbe-
gen geführt, beispielsweise in der medizinischen Diagnostik, der Mobilität oder bei werbsfähigkeit und für die Bewältigung der
der Sprachübersetzung. Wie ein vom Bundesrat in Auftrag gegebener Bericht der «In- mit KI einhergehenden Herausforderungen
terdepartementalen Arbeitsgruppe künstliche Intelligenz» zeigt, ist die Schweiz für kommt Bildung, Forschung und Innovation
die Anwendung und die Herausforderungen von künstlicher Intelligenz grundsätzlich (BFI) eine zentrale Rolle zu. Dies gilt insbe-
gut gewappnet. In verschiedenen Bereichen besteht jedoch nach wie vor grosser Klä- sondere auch für die mit dem Strukturwandel
rungs- und teilweise auch Handlungsbedarf. Dieser ist seitens des Bundes grundsätz- verbundenen Umbrüche am Arbeitsmarkt.
lich erkannt und wird weitgehend bereits angegangen. Die Schweiz ist diesbezüglich insgesamt
gut aufgestellt. Das Schweizer BFI-System,
welches den Akteuren eine hohe Autono-

K  ünstliche Intelligenz (KI) kann heute Ob-


jekte und Gesichter in Bildern erkennen,
Nachrichtenartikel schreiben, selbststän-
bestimmten Grad, Entscheidungen zu treffen
und autonom zu agieren. So können Tätig-
keiten automatisiert werden, die bisher dem
mie zukommen lässt, hat sich gerade im sich
rasch verändernden technologischen Umfeld
der Digitalisierung, dessen Entwicklung für
dig Fahrzeuge lenken, Schach und Go spie- Menschen vorbehalten waren. den Staat nur bedingt vorhersehbar ist, be-
len oder Texte übersetzen. Diese Erfolgsmel- Obwohl die mathematischen Grundlagen währt. Sowohl in der Forschung als auch in
dungen erwecken den Eindruck, dass KI der künstlicher Intelligenz bereits vor Jahrzehnten Hinblick auf die Anwendung zählt die Schweiz
menschlichen Intelligenz nahe ist oder diese entwickelt wurden, haben erst die Verfügbar- bei KI zu den weltweit führenden Ländern
bereits zu überholen droht. Doch ist das auch keit von enormen Datenmengen und die ra- (siehe Abbildungen auf S. 52).
so? sante Entwicklung der Rechenkraft die markt- Trotz dieser guten Ausgangslage muss an-
Die Analogie von menschlicher und künst- fähige Nutzung von Daten mit KI-Methoden gesichts der Geschwindigkeit der Entwick-
licher Intelligenz sorgt oft für Missverständ- ermöglicht. Die Nutzung von KI ist damit – oft lung sichergestellt werden, dass Bildung und
nisse und weckt falsche Erwartungen: KI ba- unbewusst – längst im Alltag angekommen. Forschung mit den Entwicklungen Schritt
siert heute im Wesentlichen auf hochgradig KI ist etwa bei Milliarden von Smartphone-Be- halten und gezielt gestärkt werden. Zu die-
spezialisierten statistischen Systemen, die nutzern täglich in Gebrauch: Funktionen wie sem Zweck lancierte das Eidgenössische De-
auf eine bestimmte Aufgabe hin entwickelt die Übersetzung und die Bilderkennung ba- partement für Wirtschaft, Bildung und For-
und optimiert worden sind. Um solche Sys- sieren auf Algorithmen, die unter anderem in schung (WBF) 2017 den «Aktionsplan Digi-
teme zu entwickeln, die in komplexen Prob- der Schweiz entwickelt wurden. talisierung im BFI-Bereich». Die Stärkung der
lemstellungen gut abschneiden, wird nach Welche Herausforderungen und Chancen digitalen Kompetenzen ist auch ein wichti-
wie vor ein erheblicher menschlicher Input ergeben sich durch KI für die Schweiz? Ein Be- ges Thema der Botschaft des Bundesrates zur
benötigt. richt der «Interdepartementalen Arbeitsgrup- Förderung von Bildung, Forschung und Inno-
KI ist deshalb heute bei Weitem nicht mit pe künstliche Intelligenz» zuhanden des Bun- vation in den Jahren 2021 bis 2024.
der menschlichen Intelligenz vergleichbar. desrates streicht zwei wesentliche Herausfor-
KI-Systeme scheitern daher auch – trotz be- derungen hervor: Der Bund muss einerseits Rahmenbedingungen geeignet
eindruckender Anwendungen – nach wie vor sicherstellen, dass die erforderlichen Kompe-
oft an einfachsten Aufgaben, die mit mensch- tenzen für den Umgang mit neuen Technolo- KI wirkt sich auf zahlreiche Wirtschafts- und
licher Intuition leicht zu bewältigen wären. gien vorhanden sind. Zum anderen muss ge- Lebensbereiche aus. Seitens des Bundes ist
Dennoch weisen KI-Systeme Fähigkeiten klärt werden, welche rechtlichen und gesell- zu klären, ob sich aus der konkreten Anwen-
auf, mit denen gänzlich neue Anwendungen schaftlichen Auswirkungen die Anwendung dung von KI Folgen ergeben, die einer Anpas-
möglich geworden sind. KI-Systeme können dieser Technologien mit sich bringt.2 sung der Regulierung bedürfen. Bei der Ge-
zum Beispiel Daten in Komplexität und Men- staltung der Rahmenbedingungen muss da-
ge in einer Form auswerten, die auf andere Kompetenzen stärken bei eine Balance gefunden werden, mit der
Weise maschinell nicht möglich wäre. Zudem einerseits die Entfaltung neuer Technolo-
können sie gewisse Aspekte menschlicher Künstliche Intelligenz bietet eine Vielzahl an gien ermöglicht wird und andererseits un-
Kognition wie Sprach- und Bilderkennung Anwendungsmöglichkeiten für Industrie und erwünschte Folgewirkungen gemildert oder
nachbilden.1 Dies befähigt sie bis zu einem verhindert werden.
1 KI-Systeme können beispielsweise eigenständig 2 Interdepartementale Arbeitsgruppe künstliche
Mit der Stärke von KI, selbstständig Zu-
­Objekte in einem Bild erkennen; siehe Krause (2019) ­Intelligenz  (2019). sammenhänge in grossen Datenmengen

50  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

e­ rlernen zu können, sind besondere Heraus- mend autonom zu handeln, den bestehenden erkennung, Fahrzeugregister etc.). Der Ent-
forderungen verbunden: Nachteilig wirkt sich rechtlichen Rahmen im Hinblick auf Verant- wurf zur Revision des Datenschutzgeset-
insbesondere aus, dass oft nicht mehr nach- wortlichkeit und Haftung auf die Probe. zes trägt hier den Ansprüchen auf Transpa-
vollziehbar ist, wie ein bestimmtes Ergebnis Auch wenn sich solche Probleme mit KI renz und Nachvollziehbarkeit Rechnung und
zustande gekommen ist, oder dass fehlerhaf- weiter verschärfen können, kommt der Be- sieht diesbezüglich verschiedene Pflichten
te Zusammenhänge in den Daten oft nicht richt der Interdepartementalen Arbeitsgrup- vor. So muss eine von einer solchen Ent-
mehr erkannt werden können und daher per- pe zum Schluss, dass der allgemeine Rechts- scheidung betroffene Person darüber in-
petuiert werden (systematische Fehler, soge- rahmen des Bundes aus heutiger Sicht grund- formiert werden, wenn diese Entscheidung
nannter Bias). So setzte ein grosser Technolo- sätzlich geeignet ist, KI-Anwendungen zu für sie mit einer Rechtsfolge verbunden ist
giekonzern bei Bewerbungen ein KI-basiertes erfassen und mit den Herausforderungen der oder sie erheblich beeinträchtigt. Die be-
Kandidatenauswahlsystem ein, welches – zu- Haftung, der Nachvollziehbarkeit oder der troffene Person kann zudem verlangen, dass
nächst unerkannt – männliche Kandidaten Diskriminierung von KI-Systemen umzuge- die Entscheidung von einer natürlichen Per-
bevorzugte. Der Bias entstand, weil das Sys- hen. Die relevanten, allgemeinen Rechtsprin- son überprüft wird. Auch kann sie verlan-
tem mit verzerrten historischen Daten trai- zipien sind in der Regel technologieneutral gen, dass ihr die Logik mitgeteilt wird, auf
niert worden war. formuliert, sodass sie sich auch auf KI-Syste- welcher die Entscheidung beruht. Besonde-
Technische Herausforderungen können me anwenden lassen. Angesichts der tech- re Anforderungen sind überdies vorgesehen,
somit in gewissen Anwendungsbereichen nologischen Dynamik ist jedoch nicht auszu- wenn Behörden sich bei Einzelentscheiden,
auch aus gesellschaftlicher oder rechtlicher schliessen, dass sich diese Einschätzung auch welche die Rechtsstellung einer Person be-
Perspektive zu problematischen Ergebnissen rasch ändern könnte. treffen, auf KI abstützen.
führen – etwa, wenn Personengruppen auf Der allgemeine Rechtsrahmen gilt zwar
Basis von KI-Entscheidungen unzulässig sys- Regulierungen überprüfen grundsätzlich auch für KI. Allerdings haben
tematisch diskriminiert werden oder wenn in die KI-Anwendungen zur Folge, dass spezi-
sensiblen Bereichen das Ergebnis einer Analy- Verbesserungspotenzial besteht allerdings fische Regulierungen in verschiedenen Be-
se nicht erklärbar ist. Wird zum Beispiel mit- im Hinblick auf die Transparenz bei KI-ba- reichen überprüft und allenfalls angepasst
hilfe von KI die Rückfallgefahr von Straftätern sierten, automatisierten Einzelentschei- werden müssen. So erfassen zum Beispiel
evaluiert, so kann die fehlende Nachvollzieh- dungen, das heisst Entscheidungen, die die allgemeinen zivil- und strafrechtlichen
barkeit von solchen Systemen im grundle- eine Maschine ohne menschliches Eingrei- Regeln der Haftung und Verantwortlichkeit
genden Konflikt mit dem Anspruch auf recht- fen trifft. Ein Beispiel wäre die automati- prinzipiell auch vollautomatisiert fahrende
liches Gehör, der persönlichen Freiheit oder sierte Verhängung einer Busse für eine Ge-
dem Willkürverbot stehen. Schliesslich stellt schwindigkeitsübertretung ausschliesslich Welche Regulierung ist nötig, wenn die Maschine
auch die Fähigkeit von KI-Systemen, zuneh- auf Basis von Daten (Fotografien, Gesichts- den Bussenzettel gleich selber verschickt?
Radarkasten auf der A9 am Genfersee.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  51
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

könnte ein unbedachter Umgang mit KI und


Abb. 1: Impact der Publikationen im Bereich KI nach Ländern (Top Ten, 2011–2015)
Daten ungerechtfertigte Diskriminierungen
3    Zitierungsrate (1 = Durchschnitt aller Länder)
hervorrufen. Wie muss sich die Aufsicht bei
staatlich geprüften Privatversicherungen da-
2,5
bei weiterentwickeln?
2 Betroffen ist auch der Energiesektor, für
den Grundlagen zum Einsatz von KI erstellt
1,5 werden müssen. Hier geht es um den Einsatz

ELSEVIER (2018) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


bei der Netzplanung oder bei Verbrauchs-
1 und Produktionsprognosen in einem zu-
nehmend fragmentierten und komplexeren
0,5 Energiesystem. Schliesslich sind die Sicher-
heitspolitik und die Cybersicherheit mit neu-
0 en Bedrohungsformen konfrontiert, da KI
für neuartige Cyberangriffe eingesetzt wer-
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Der Impact wird berechnet anhand der Anzahl Zitierungen im Bereich KI.   Kriegsführung verändern.

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Wie der Bericht zeigt, haben sich die be-
troffenen Bundesämter dieser Herausforde-
Abb. 2: Anzahl Weltklassepatente pro Million Einwohner im KI-Bereich (2018) rungen bereits weitgehend angenommen
30 und eine Vielzahl von Massnahmen aufge-
gleist. Allerdings sind aus Sicht der Interde-
25 partementalen Arbeitsgruppe einige der skiz-
zierten Herausforderungen intensiviert anzu-
20 gehen. Es gilt nun, diese in Einklang mit den
weiteren Aktivitäten des Bundes zur Digita-
ECONSIGHT (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

15
lisierung weiterzuführen. Zu diesem Zweck
wird die Interdepartementale Arbeits­gruppe
10
dem Bundesrat auf Basis des erarbeiteten Be-
5
richts strategische Leitlinien zum Umgang
mit KI auf Ebene des Bundes unterbreiten. Auf
0 übergeordneter Ebene ist zudem die Koordi-
nation, namentlich im internationalen Um-
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feld, aber auch bei der Anwendung von KI


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in der Bundesverwaltung selbst, zu verbes-


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sern. Klar ist schliesslich: Die weiteren KI-­


F­ahrzeuge – trotzdem sind im Rahmen der dem Heilmittelgesetz. Was bedeutet KI je- Entwicklungen sind seitens des Bundes ge-
sektorspezifischen Regulierung konkrete An- doch für die Marktzulassung und die Markt- nau zu ­beobachten.
passungen erforderlich, um etwa die Zulas- überwachung?
sung solcher Fahrzeuge oder den Datenaus-
tausch unter den Verkehrsteilnehmern zu Massnahmen sind aufgegleist
­regeln.
Der Bericht untersucht diese spezifischen Weiter besitzen Informationsintermediä-
Herausforderungen über alle Politikbereiche re (wie Google oder Facebook) das Potenzial,
der Bundesverwaltung hinweg und erläutert KI-Anwendungen für kommerzielle oder poli-
möglichen Anpassungsbedarf auf Bundes- tische Zwecke zu instrumentalisieren oder
ebene. Hierbei zeigt sich eine grosse Band- selbst instrumentalisiert zu werden. Dadurch Christian Busch
breite an Fragestellungen, bei welchen teil- kann die öffentliche Meinungs- und Wil- Dr. rer. publ., wissenschaftlicher Berater,
weise grosser Klärungsbedarf besteht. Ein lensbildung beeinflusst werden. Wie ist da- Ressort Innovation, Staatssekretariat für
Beispiel: Der Einsatz von KI-basierter Soft- mit umzugehen? Dazu braucht es vertiefte Bildung, Forschung und Innovation (SBFI),
Bern
ware im medizinischen Bereich untersteht Abklärungen. Bei Versicherungen wiederum

Literatur
Econsight (2019). Künstliche Intelligenz, Globale Entwick- Interdepartementale Arbeitsgruppe künstliche Krause, Andreas (2019). Künstliche Intelligenz: Schweiz
lungen, Anwendungsgebiete, Innovationstreiber und Intelligenz (2019). Herausforderungen der künst- forscht an der Spitze, in «Die Volkswirtschaft», 2019-12.
Weltklasseforschung. lichen Intelligenz, Bericht der «Interdepartementalen
Elsevier (2018). Artificial Intelligence: How knowledge is Arbeitsgruppe künstliche Intelligenz» an den Bundesrat,
created, transferred, and used. Dezember 2019.

52  Die Volkswirtschaft  4 / 2020


KEYSTONE

Das Image der Schweiz


Die Schweiz schneidet regelmässig gut ab in internationalen Rankings zum Landes-
image. Doch weshalb ist der Ruf eines Landes wichtig? Und wie entsteht ein Image
überhaupt? Wie sich zeigt, existiert nicht nur ein Bild eines Landes – je nach Kultur und
Distanz zum entsprechenden Land sind unterschiedliche Aspekte von Bedeutung.
LÄNDERIMAGE

Landesimage zwischen Stabilität und


Wandel
Wie entsteht das Bild, das wir von einem Land haben? Neben erlernten, hartnäckigen
Stereo­­typen müssen sich Staaten auch an aktuellen Themen wie Umwelt- und Migrations-
politik messen lassen.  Diana Ingenhoff, Jérôme Chariatte

Abstract  Die Entstehung eines «Landesimage» ist komplex. Einerseits ist es durch Schweiz1 hat sich gezeigt, dass verschiede-
Schule und Sozialisation erworben, andererseits unterliegt es einem steten Wandel ne Länder unterschiedliche Landesmerkmale
durch die Berichterstattung in den Medien und die wichtigen Trendthemen. Der fol- und -dimensionen der Schweiz wahrnehmen.
gende Artikel analysiert das Landesimage aus einer kommunikationswissenschaftli- Doch wie kommt es zu diesen Unterschieden
chen Perspektive. Die Autoren stellen dafür ein fünfdimensionales Messmodell vor. in der Wahrnehmung?
Dieses ermöglicht es, genau zu erkennen, welche Aspekte die Landeswahrnehmung
massgeblich prägen (zum Beispiel die Wirtschaft, das Umweltengagement oder die Wenig Information = Stereotype
Landschaft) und wo gegebenenfalls noch Verbesserungspotenzial besteht. Je nach
Kultur existieren dabei Unterschiede, wie ein Image zustande kommt. Vor allem weiter Eine Erklärung für die unterschiedliche Wahr-
entfernte Länder greifen aufgrund weniger Wissen über ein Land öfter auf Stereotype nehmung bietet die sogenannte Nachrich-
zurück. Der Artikel zeigt zudem, wie durch die Kombination verschiedener Untersu- tenwerttheorie. Sie zeigt auf, dass die geo-
chungsmethoden das vollständige Landesimage erfasst werden kann. grafische Lage eine Rolle dabei spielt, wie
stark Länder im medialen Diskurs präsent
sind. Über nahe Länder, welche sich meist

W  ofür steht die Schweiz? Betrachtet


man die aktuelle internationale Be-
richterstattung, so sind es vor allem Themen
und Theater – zählen zur kulturellen Dimen-
sion. Die natürliche Dimension beschreibt
die landschaftlichen Merkmale eines Landes,
auch kulturell ähneln, wird öfter berichtet, da
deren Handlungen das eigene Land politisch
oder ökonomisch stärker betreffen. Und da
wie Blockchain, Bankenkrisen, Migrations- während die emotionale Dimension schliess- wir einen Grossteil der Information über an-
und Friedenspolitik sowie Innovation, über die lich die affektive Bindung gegenüber einem dere Länder aus den Medien haben, verfügen
im Zusammenhang mit der Schweiz berich- Land abbildet und beschreibt, wie sympa- Personen aus nahen Ländern wie Frankreich
tet wird. Doch internationale Befragungen thisch man dieses findet. und Deutschland über eine viel genauere
zeigen auch: Assoziationen wie Schokolade, Anhand dieser fünf Dimensionen kann Kenntnis der Schweiz. Befragt man sie zum
Käse und Berge prägen das Bild der Schweiz analysiert werden, welche Aspekte bei der Landesimage, heben sie funktionale Aspek-
in den Köpfen der Menschen immer noch am Bildung des Landesimage relevant sind. Zum te der Schweiz wie Volksinitiativen hervor, da
stärksten, und sie sind über die Jahre hinweg Beispiel könnte es sein, dass das Landesima- diese in der Berichterstattung im Nachbar-
stabil geblieben. Wie kommt es also zu dieser ge von Italien stärker durch kulturelle Merk- land oft ein Thema sind. Über weit entfernte
Diskrepanz? Warum bleiben diese Stereotype male geprägt ist, während man Deutschland Länder wird in der Medienberichterstattung
so lange an der Landeswahrnehmung haften? mit funktionalen Aspekten wie Innovations- jedoch weniger berichtet. Personen aus fer-
Variiert die Wahrnehmung eines Landes aus kraft in Verbindung bringt. Diese Erkenntnis nen Ländern mit geringer Berichterstattung
Sicht verschiedener Kulturen? Und wie lassen kann für Tourismusagenturen und Diploma- über die Schweiz greifen bei der Landesbe-
sich Länderimages überhaupt messen? ten hilfreich sein, um das Image ihres Landes wertung daher stärker auf Stereotype zurück.
im ­Ausland zu pflegen. So verbindet man die Schweiz in den USA
Ein fünfdimensionales Bild Um diese Dimensionen abzubilden und oder in Indien öfter mit schöner Landschaft
messbar zu machen, gibt es sogenannte Wert- und hohen Bergen – von unserem politischen
Ein Landesimage ist zunächst einmal eine Ein- treiberindikatoren. Die zentralen Indikatoren System haben viele Amerikaner und Inder nur
stellung gegenüber einem Land, die sich aus der funktionalen Dimension in der Schweiz eine geringe Vorstellung.
fünf verschiedenen Komponenten zusam- sind beispielsweise die Infrastruktur, die For- Eine ungleiche Berichterstattung kann
mensetzt: aus der funktionalen, normati- schung und die Innovationsleistung, die Wirt- also dazu führen, dass über fernere Länder
ven, kulturellen, natürlichen und emotiona- schaft und die Politik. Andere Länder haben weniger Wissen vorhanden ist und daher stär-
len Dimension. Die funktionale Dimension wiederum andere Werttreiberindikatoren. Die ker auf stereotypische Vorstellungen zurück-
beschreibt etwa, wie kompetent oder kon- Zustimmung oder die Ablehnung dieser In- gegriffen wird. Doch auch bei Ländern, über
kurrenzfähig ein Land in der Politik, der Wirt- dikatoren kann man mittels einer abgestuf- welche viel berichtet wird, sind Stereotype
schaft oder der Forschung ist. Die normative ten Skala abfragen, und per Regressionsanaly- präsent. Und zwar deshalb, weil die Stereoty-
Dimension umfasst ethische Aspekte eines sen kann man herausfinden, welche Faktoren pisierung ein kognitiver Prozess ist, um Kom-
Landes: beispielsweise die Schweizer Neut- in den fünf Dimensionen wie stark das Lan- plexität zu reduzieren, und so ­vereinfachte
ralität. Die Traditionen, die sportlichen und desimage prägen und wie sie gewichtet sind.
künstlerischen Leistungen – wie Musik, Film Im Rahmen des Imagemonitors von Präsenz 1 Siehe Artikel von Severina Müller auf S. 57.

54  Die Volkswirtschaft 4 / 2020


Gerade in fernen Ländern der Inbegriff der
Schweiz: Japanische Touristen betrachten
­Heidi-Postkarten in einem Souvenirshop.
KEYSTONE
LÄNDERIMAGE

Weltbilder fördert. Stereotype werden schon Eine solche neue Entwicklung ist auch Google-Suchen oder auch die sozialen Me-
frühzeitig im Sozialisierungsprozess vermit- die Digitalisierung. Dank Google kann man dien – untersucht und die Ergebnisse kom-
telt, beispielsweise durch Schulen, Bücher sich heute viel einfacher über andere Natio- biniert, kann ein Landesimage vollständig
oder Reiseliteratur. Dies erklärt auch, war- nen informieren. Das hat auch das Image der erfasst und die Einflussfaktoren besser ver-
um Stereotype so stark in unseren Gedan- Länder  beeinflusst: Erste Ergebnisse weisen standen werden.
ken verankert und nur schwer zu relativieren darauf hin, dass die Suchbegriffe tenden-
sind. Wegen ihrer Stabilität und Prominenz ziell die gleichen Landesdimensionen abbil-
sollte man Stereotypen bei der Landes- den wie die Befragungsdaten zur Schweiz,
imagemessung grosse Beachtung schenken. dass sie jedoch weniger stereotypisch ge-
Die Kultur spielt bei der Bewertung von prägt sind.2 Aber Vorsicht: Diese geringere
Ländern eine wichtige Rolle. Jede Nation be- Stereotypisierung ist nicht auf den erhöhten
wertet dabei die anderen Länder zunächst Informationszugang zurückzuführen. Denn
aus einer ethnozentrischen Perspektive. Das Google-Suchen werden in der Regel anhand
bedeutet, dass andere Länder jeweils mit des bisherigen Wissens getätigt und erzeu-
dem eigenen Land verglichen und auf die- gen an sich keine neuen Erkenntnisse. Der Diana Ingenhoff
Professorin für Kommunikationswissen-
ser Grundlage bewertet werden. Italienern Grund für die Abnahme der Stereotype ist
schaft, Departement für Kommunikations­
und Franzosen zum Beispiel ist es bei der Ein- vielmehr der, dass die Google-Suchen prak- wissenschaft und Medienforschung,
schätzung eines Landes wichtig, ob das Land tisch orientiert sind. Mit anderen Worten: In- ­Universität Freiburg
direkten Zugang zum Meer hat. Amerikaner teressierte im Ausland suchen beispielsweise
legen hingegen Wert auf die Grösse eines nach Wohnungen oder Jobangeboten in der
Landes und wie weit dieses von ihrer Heimat Schweiz – und nicht nach Stereotypen. Die-
entfernt ist. ses Wissen darüber, was Personen im Aus-
land tatsächlich an der Schweiz interessiert,
An Trendthemen gemessen könnte insbesondere für Wirtschaftsakteure
interessant sein, da es ihnen Hinweise zu den
Auch gesellschaftliche Entwicklungen kön- konkreten Reise-, Migrations- und Arbeits-
nen die Wahrnehmung eines Landes beein- absichten in den verschiedenen Ländern lie-
flussen. In den letzten Jahren stark an Be- fert. Dadurch wissen sie, wo und wie sie Wer- Jérôme Chariatte
deutung gewonnen haben insbesondere bung für Produkte und Dienstleistungen aus Doktorand und Diplomassistent, Departe-
normative Indikatoren wie das Umweltbe- der Schweiz schalten müssen. Google-Daten ment für Kommunikationswissenschaft und
wusstsein und die Migrationspolitik. Dies können also aufzeigen, welche nicht stereo- Medienforschung, Universität Freiburg
lässt sich einerseits durch die Klimakri- typen Aspekte Personen mit der Schweiz as-
se und andererseits durch politische Ab- soziieren und woran sie auch tatsächlich Literatur
schottungstendenzen wie «America First» ­interessiert sind. Ingenhoff, D. und Buhmann, A. (2018). Public
oder den Brexit erklären. Die befragten Per- Zusammenfassend ist zu erkennen, wie ­Diplomacy. Messung, Entstehung und Gestaltung
von Länderimages. Konstanz: Halem Verlag.
sonen sind oft für diese Aspekte sensibili- relevant es ist, das Landesimage aus ver- Ingenhoff, D.; White, C.; Buhmann, A und Kiousis, S.
siert und bewerten den Umgang einer Na- schiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Nur (Hrsg.) (2018). The Formation and Effects of Country
Image, Reputation, Brand, and Identity. Bridging
tion mit diesen Themen heute stärker als indem man verschiedene Kanäle – sei es nun Disciplinary Perspectives, New York et al.: Routledge.
zuvor. Somit können auch neue Entwick- Medienberichterstattung, Befragungsdaten, Ingenhoff, D.; Segev, E. und Chariatte, J. (2020). The
Construction of Country Images and Stereotypes:
lungen dazu führen, dass sich das Landes­ From Public Views to Google Searches. International
image verändert. 2 Siehe Ingenhoff, D.; Segev, E. und Chariatte, J. (2020). Journal of Communication, 14, 22.

56  Die Volkswirtschaft 4 / 2020


DOSSIER

Von der Imageanalyse zur


­Landespromotion
Das Image der Schweiz im Ausland ist top – zumindest was die Wirtschaft, den Finanzplatz
und die Landschaft angeht. Noch wenig bekannt ist die Schweiz jedoch für ihre Innovations-
fähigkeit und ihre Rolle beim Abbau der Ungleichheiten in Europa. Das soll sich ändern. 
Severina Müller

Abstract  Das Image der Schweiz ist grundsätzlich gut. Dies ist ein Schlüsselergeb- positiven Gesamteindruck. Auch im Ben-
nis des Imagemonitors 2018, einer repräsentativen Befragung von Präsenz Schweiz chmarkvergleich mit Deutschland, Däne-
zum Bild der Schweiz im Ausland. So geniessen die Schweizer Wirtschaft und der Fi- mark, Schweden und Grossbritannien be-
nanzplatz Schweiz weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Auch der Forschungs- und legt die Schweiz in den meisten befragten
Innovationsstandort Schweiz sowie die Qualität der Bildung werden positiv beurteilt. Ländern den Spitzenplatz – teils gemeinsam
Insbesondere die Innovationsfähigkeit der Schweiz könnte aber noch besser wahrge- mit Schweden oder Deutschland. Inhaltlich
nommen werden. Bescheiden bewertet wird der Beitrag der Schweiz zum Wohlstand geprägt ist das Bild der Schweiz vor allem
und zum Abbau von Ungleichheiten in Europa. Die Art und Weise, wie ein Land im Aus- durch Landschaft und Natur, traditionelle
land wahrgenommen wird, hat einen grossen Einfluss auf die Attraktivität der Marken, Produkte wie Uhren, Schokolade und Käse
die mit diesem Land in Verbindung gebracht werden. Auf der Basis der Erkenntnisse sowie den Finanzplatz. Diese Spontanasso-
des Imagemonitors setzt sich Präsenz Schweiz im Rahmen der Landeskommunikation ziationen zeigen, dass der erste Eindruck der
dafür ein, den internationalen Ruf der Schweiz positiv zu beeinflussen. Insbesondere Schweiz zwar positiv, aber häufig stereotyp
bei der Kommunikation der Innovationsstärke gibt es noch Aufholbedarf. ist (siehe Abbildung 1). Fragt man jedoch ex-
plizit nach der Wahrnehmung spezifischer
Themenblöcke, ergibt sich ein facettenrei-

D  ie Schweiz verfügt im Ausland über


ein sehr gutes und stabiles Image. Das
zeigt der «Imagemonitor 2018» – eine regel-
fragung von Präsenz Schweiz (siehe Kas-
ten 1).1 Laut Studie hinterlässt die Schweiz
bei den meisten Befragten weltweit einen
cherer Eindruck der Schweiz.

Die Schweiz wird im Ausland noch zu wenig als


mässig durchgeführte, repräsentative Be- 1 Siehe Präsenz Schweiz (2018). Innovations- und Technologiestandort wahr­
genommen. Roboter Anymal der ETH Zürich.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  57
LÄNDERIMAGE

So sind etwa die Schweizer Wirtschaft


Abb. 1: Spontanassoziationen der Befragten zur Schweiz
und ihre Wettbewerbsfähigkeit im Ausland
sehr gut angesehen: Weltweit finden 80 Pro- Natur/Landschaft/Seen
zent der Befragten, dass aus der Schweiz Berge/Alpen

qualitativ sehr hochwertige Produkte und Schokolade

Dienstleistungen kommen. Fast ebenso viele Uhren

wären auch bereit, Schweizer Produkte oder Banken


Dienstleistungen zu kaufen. Zudem wird die Wohlstand/Stabilität/Arbeitsplätze
Schweiz als attraktiver Arbeitsort, als inves- Neutralität
torenfreundlicher Standort und als gut posi- Käse

PRÄSENZ SCHWEIZ (2018) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


tioniertes Land in der globalen Wirtschaft gute Lebensqualität/Sozialsystem
wahrgenommen. Zwar immer noch gross, Sauberkeit
aber etwas geringer ist der Anteil jener, die Schnee/Winter/Kälte
finden, dass Schweizer Unternehmen ethisch Wintersport
und verantwortungsvoll handeln. Insbeson- Tourismus/Urlaub
dere Befragte aus den Nachbarländern und Kultur/Kunst/Museen
aus Grossbritannien zeigen sich hier zum Teil hohe Lebenshaltungskosten/Preise
kritisch. 0 5 10 15 20 25 30
Einen weltweit sehr guten Ruf geniesst Anzahl Nennungen in %
auch der Schweizer Finanzplatz: 77 Pro- Die Frage lautete: «Was kommt Ihnen alles spontan in den Sinn, wenn Sie an die Schweiz denken?». Mehr-
zent der Bevölkerung im Ausland attestie- fachnennungen waren möglich.
ren den Schweizer Banken und Finanzin-
stituten eine hohe bis sehr hohe Qualität
sowie einen guten bis sehr guten Ruf. Da- Abb. 2: Wahrnehmung des Schweizer Finanzplatzes im Benchmarkvergleich
mit wird der Schweizer Finanzplatz in allen

PRÄSENZ SCHWEIZ (2018) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


100    in % Ruf Qualität Ethische Integrität
19 befragten Ländern deutlich besser be-
wertet als die Finanzplätze Deutschland,
Grossbritannien oder USA (siehe Abbildung
2). Entgegen den gängigen Klischees erhält 50
der Schweizer Finanzplatz auch in Bezug auf
seine ethische Integrität positive Bewer-
tungen: Gut zwei Drittel der Befragten sind 0
der Ansicht, dass Schweizer Banken und Fi-
ei z

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A
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nanzinstitute ethisch und verantwortungs-
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voll handeln. Damit schneidet die Schweiz


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auch in diesem Bereich besser ab als die Ver-


  sehr gut       gut       teils-teils       schlecht       sehr schlecht       weiss nicht
gleichsländer Deutschland, Grossbritannien
und USA. Dies zeigt, dass die Schweiz im Lesebeispiel: 80 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass Schweizer Banken und Finanzinstitute
einen guten bis sehr guten Ruf haben. 69 Prozent finden, dass Schweizer Finanzinstitute ethisch ver-
Ausland als starker, qualitativ hochstehen- antwortungsvoll handeln. Stichprobengrösse: 12 767
der und integrer Finanzplatz wahrgenom-
men wird.
Schweiz zum Wohlstand sowie zum Abbau Insgesamt gilt: Die Schweiz befindet sich
Kritischer Blick aus Europa von wirtschaftlichen und sozialen Ungleich- in einer guten Ausgangslage. Sie ist nicht
heiten in Europa leistet, wird vom Gross- nur faktisch eines der innovativsten, wett-
Die Schweiz wird weltweit auch als Land mit teil der Europäerinnen und Europäer als ge- bewerbsfähigsten und gleichzeitig politisch
sehr guten Aus- und Weiterbildungsmög- ring eingeschätzt.2 Besonders kritisch ist stabilsten Länder der Welt, auch die Wahr-
lichkeiten wahrgenommen. Das finden ins- die Wahrnehmung in den Nachbarstaa- nehmung der Schweiz im Ausland ist positiv.
gesamt 70 Prozent der Befragten. Ausser- ten. Etwas vorteilhafter fallen die Bewer- Das zeigt nicht nur der Imagemonitor, son-
dem stelle die Schweiz im internationalen tungen in Grossbritannien, Polen, Russland dern auch weitere Studien3.
Vergleich einen wichtigen Standort für Wis- und der Türkei aus. Auch bei der Frage, ob Ein positives und differenziertes Image im
senschaft und Forschung dar (67% Zustim- sich die Schweiz der Europäischen Union Ausland ist in einer zunehmend globalisier-
mung). Nur etwas weniger stimmen zu, dass politisch weiter annähern solle, gehen die ten Informations- und Kommunikationsge-
die Schweiz für kreative Ideen und innovati- Meinungen auseinander: Die Befragten aus sellschaft kein Selbstzweck. Vielmehr ist es
ve Lösungen stehe. Dabei fällt auf: In West- Deutschland, Frankreich, Italien, der Türkei ein wichtiges Instrument im internationalen
europa sowie in Japan und in Russland wird und Polen sind tendenziell eher dafür, wäh- Standortwettbewerb und kann Entscheide im
die Innovationskraft der Schweiz leicht ge- rend es in Russland und Grossbritannien kei- Ausland beeinflussen. So hat das Image eines
ringer bewertet als in den anderen Ländern. ne klare Tendenz gibt. Landes etwa Auswirkungen auf den aussen-
Und wie wird die Rolle der Schweiz in politischen Handlungsspielraum, auf Direkt-
2 Diese Fragen wurden nur in Deutschland, Frankreich,
Europa wahrgenommen? Das Resultat ist Italien, Grossbritannien, Polen, Russland und der Türkei
etwas ernüchternd: Der Beitrag, den die gestellt. 3 Siehe auch Anholt, S. und Ipsos (2019).

58  Die Volkswirtschaft 4 / 2020


DOSSIER

Das Image eines Landes hat auch grossen Landeskommunikation kann hier mithelfen,
Kasten 1: Imagemonitor 2018
Einfluss auf den Erfolg der Marken, die mit die innovative Schweiz mit gezielten Aktivitä-
Die Studie «Imagemonitor 2018» erfasst das Bild der diesem Land in Verbindung gebracht wer- ten im Ausland bekannter zu machen.
Schweiz bei der breiten Bevölkerung im Ausland.
Die präsentierten Ergebnisse beruhen auf einer von den – und umgekehrt: Schweizer Export- In diesem Zusammenhang präsentiert
Präsenz Schweiz konzipierten und im Herbst 2018 produkte und Dienstleistungen sind für die sich die Schweiz seit 2018 regelmässig unter
durchgeführten repräsentativen Bevölkerungsbe- Schweiz besonders wichtige Imageträger. dem Motto #SwissTech an renommierten
fragung bei insgesamt 12 767 Personen in 19 Ländern.
Die Marke Schweiz schafft bei Kundinnen Technologiemessen wie etwa der Consu-
Für die Erhebung wurden folgende Länder berück-
sichtigt: Argentinien, Brasilien, China, Deutschland, und Kunden Präferenzen für Schweizer Ange- mer Electronics Show (CES) in Las Vegas und
Frankreich, Grossbritannien, Indien, Italien, Japan, bote. Und Schweizer Werte wie Zuverlässig- der Viva Technology in Paris. Diese gemein-
Kasachstan, Marokko, Mexiko, Polen, Russland, keit, Qualität und Vertrauen erhöhen die Zah- sam von Präsenz Schweiz mit den Schweizer
Südafrika, Südkorea, Türkei, Vereinigte Arabische
Emirate, USA. Der Imagemonitor wurde erstmals
lungsbereitschaft für diese Produkte.4 Landesvertretungen und Partnern aus Wirt-
im Jahr 2016 erhoben und ist als Zeitreihenuntersu- schaft, Wissenschaft und Verwaltung organi-
chung angelegt. Er erscheint alle zwei Jahre. Das Ziel
Verbesserungspotenzial bei sierten Auftritte bieten Schweizer Firmen und
der Studie ist es, Entwicklungen und Trends in der Start-ups die Gelegenheit, ihre Innovationen
Wahrnehmung der Schweiz zu identifizieren. ­innovativen Produkten einem internationalen Publikum zu präsen-
Die Herkunft einer Ware oder einer Dienst- tieren. So tragen sie zur Diversifikation des
Kasten 2: Landeskommunikation leistung ist auch in einem globalisierten Mar- Images der Schweiz bei.
kenumfeld wichtig. Aus diesem Grund ist die Aufgrund der Erkenntnisse des Imagemo-
Die Organisation Präsenz Schweiz, die im Eidgenössi-
schen Departement für auswärtige Angelegenheiten
Schweiz in vielen Märkten gut positioniert. nitors plant Präsenz Schweiz zudem weitere
(EDA) angesiedelt ist, unterstützt die Interessen- Trotzdem besteht noch Verbesserungs- Kampagnen zu den Stärken der Schweiz, de-
wahrung der Schweiz mit der Analyse des Images potenzial. Und zwar insbesondere darin, wie ren Potenzial im Ausland noch nicht vollum-
der Schweiz im Ausland und mit den Instrumenten innovative Schweizer Produkte und Dienst- fänglich erkannt worden ist. So sind unter an-
der Landeskommunikation. Dazu gehören Projekte
im Ausland, Delegationsreisen von ausländischen leistungen wahrgenommen werden. derem auch Aktivitäten zur Wahrnehmung
Medienschaffenden und Meinungsführenden in die So steht die Schweiz etwa vor der Her- der Schweiz im Bereich der internationalen
Schweiz, Kommunikationsinhalte für die Kanäle der ausforderung, dass sie trotz ihrer nachweis- Solidarität und Verantwortung geplant: zum
Landeskommunikation (z. B. Houseofswitzerland. lich herausragenden Innovationsfähigkei- Beispiel im Hinblick auf die Ziele für nachhal-
org) und der Schweizer Vertretungen im Ausland,
Informations- und Promotionsprodukte sowie die ten5 international als weniger innovativ wahr- tige Entwicklungen der UNO (Agenda 2030)
Auftritte der Schweiz an den Weltausstellungen und genommen wird als beispielsweise die USA und zur Rolle der Schweiz in Europa. Sie sol-
an internationalen Grossveranstaltungen wie den oder Japan6. Diese Unterschiede im Wahr- len die Visibilität und die Vielfalt der Mar-
Olympischen Spielen, wo sich die Schweiz mit dem
nehmungsprofil lassen sich allerdings er- ke Schweiz stärken und dazu beitragen, den
«House of Switzerland» präsentiert. Die Strategie
der Landeskommunikation wird regelmässig vom klären: In Japan und den USA sind es insbe- guten Ruf des Landes zu wahren und auszu-
Bundesrat festgelegt. Die Aktivitäten der Landes- sondere Hightech-Konsumgüter wie Smart- bauen.
kommunikation erfolgen in enger Kooperation mit phones und Kameras, die weltweit eine hohe
den Schweizer Vertretungen im Ausland sowie mit
Bekanntheit geniessen und stark mit ihrem
öffentlichen und privaten Institutionen, die zum
Bild der Schweiz im Ausland beitragen (z. B. Schweiz Herkunftsland assoziiert werden. Anders in
Tourismus, Swissnex, Swiss Business Hubs). der Schweiz. Die Schweiz wird im Ausland
eher mit traditionellen Exportprodukten wie
Uhren und Käse in Verbindung gebracht. Die-
investitionen, den wirtschaftlichen, wissen- se geringe Visibilität von innovativen Kon-
schaftlichen und kulturellen Austausch sowie sumgütern wirkt sich folglich auf die Ge-
den Tourismus. Kurz: Das Landesimage ist samtwahrnehmung der Schweiz als Inno-
eine harte Währung im globalen Wettbewerb vations- und Technologiestandort aus. Die Severina Müller
um Aufmerksamkeit, Einfluss und Attraktivi- Dr. rer. soc., wissenschaftliche Mitarbei-
tät. Ein zentrales und strategisches Instru- 4 Siehe Feige et al. (2016). terin, Präsenz Schweiz, Eidgenössisches
ment zur Unterstützung dieser Interessen ist 5 Siehe Cornell University et al. (2019) oder INSEAD ­Departement für auswärtige Angelegen­
(2020). heiten (EDA), Bern
die Landeskommunikation (siehe Kasten 2). 6 Siehe Anholt, S. und Ipsos (2019).

Literatur
Anholt, S. und Ipsos (2019). Anholt-Ipsos Feige, S.; Annen, R.; von Matt, D. und Rei- INSEAD (2020). The Global Talent Präsenz Schweiz (2018). Präsenz Schweiz
Nation Brands Index 2019. New York. necke, S. (2016). Swissness Worldwide Competitiveness Index 2020: Global Imagemonitor 2018. Die Wahrnehmung
Cornell University, INSEAD und WIPO 2016: Image und internationaler Mehr- Talent in the Age of Artificial Intelligence. der Schweiz im Ausland. Bern.
(2019). Global Innovation Index 2019: wert der Marke Schweiz. St. Gallen. Fontainebleau.
Creating Healthy Lives – The Future
of Medical Innovation. Ithaca,
­Fontainebleau und Genf.

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  59
LÄNDERIMAGE

Der Wert der Schweiz als Reiseland


Das Image der Schweiz prägen insbesondere die vielen ausländischen Gäste, die über ihre
Schweizer Reise im Ausland berichten. Seit Neuerem tun sie das auch in den sozialen Medien.
Dass Tourismuswerbung dabei aber kein Selbstläufer ist, zeigt das Beispiel Indien.  ­
Urs Eberhard

Abstract    Studien zeigen es immer und immer wieder: Das weltweite Image der weit potenzielle Gäste. Die rund 17 000 Be-
Schweiz ist hervorragend – und der Schweizer Tourismus sowie die Schweizer Tou- richterstattungen generieren insgesamt circa
rismuswerbung tragen einiges dazu bei. Einerseits quantitativ angesichts der gros- 14 Milliarden Views. Ergänzt wird diese Me-
sen ­Reichweite aller Aktivitäten des nationalen Tourismusmarketings, andererseits dienarbeit mit zusätzlichen Bildern, Erlebnis-
­natürlich vor allem auch qualitativ angesichts der ausgezeichneten touristischen sen und Geschichten über die Schweiz, die
Infrastrukturen und Dienstleistungen der Schweiz. Teil der nationalen Tourismus­ von Schweiz-Reisenden unentgeltlich geteilt
werbung kann sogar ein Imagewandel sein: so geschehen in Indien, wo die Schweiz werden und so weitere rund sechs Milliarden
sich von der verstaubten Grosseltern-Destination zu einem hippen und gesuchten Mal gesehen werden.
Reiseziel auch für junge Leute mausern konnte. Diese auffallende Kommunikation über
das Ferienland Schweiz führt nachweislich
zu über 14 Prozent aller Übernachtungen, die

S  chweizer Tourismus-Fachleute wissen


es natürlich schon lange, und es wird ih-
nen immer wieder versichert: Die Schweiz
nationalen Tourismus-Marketing­organisation
Schweiz Tourismus durchgeführt wird. Der
«Monitor» ist die grösste touristische Gäste-
in der Schweiz zustande kommen. Dies be-
weist die Wirkungsforschung von Schweiz
Tourismus, die von der Universität St. Gal-
geniesst international einen sehr guten Ruf. befragung der Schweiz, die alle vier Jahre die len beglaubigt ist. Damit verfügt die Kom-
Letztmals bestätigte das der Imagemonitor Meinung von über 20 000 Feriengästen in der munikation von Schweiz Tourismus über eine
2018, eine internationale und repräsentati- Schweiz einholt. Deshalb und aufgrund unse- enorm starke internationale Strahlkraft und
ve Befragung von Präsenz Schweiz, der Ab- rer Tourismuswerbung wissen wir: Attribute trägt wesentlich zum hervorragenden Ruf der
teilung für Landeskommunikation im Aus- wie Berge, Landschaft und Natur sind vor al- Schweiz in der Welt bei. Der Beitrag des Bun-
sendepartement. Laut dem Imagemonitor lem in den Überseemärkten bedeutend. Je fer- des sowie die zusätzlichen Mittel der Touris-
hält dieser positive Gesamteindruck unseres ner die Länder, in denen wir für die Schweiz muspartner für gemeinsame Marketingakti-
Landes in den meisten untersuchten Län- werben, desto mehr Einfluss auf das Schwei- vitäten zahlen sich also aus.
dern schon sehr lange an und blieb dabei er- zer Image haben die klassischen schneege-
staunlich stabil. Der Bericht zeigt auch, dass krönten Berge, die tiefblauen Seen und die Indischer Filmstar als Werbeträger
dieses Image inhaltlich insbesondere von feine Schweizer Schokolade. Häufig sind es
den hiesigen Bilderbuch-Landschaften so- ausländische Touristinnen und Touristen, wel- Ein Beispiel ist Indien. Dort ist das Ferienland
wie den bekannten traditionellen Schweizer che über unsere pittoresken Berg- und Land- Schweiz bereits seit Jahrzehnten berühmt
Produkten lebt. schaftspanoramen schwärmen und entspre- und beliebt. Nicht zuletzt dank dem Auftritt
Die Schweiz ist weltweit vor allem auch chende Bilder und Filme auf Instagram, Twit- als traumhafte Kulisse in unzähligen Bolly-
dank des Tourismus bekannt und beliebt. ter etc. mit dem Hashtag #­ Switzerland posten. wood-Filmen. Die Schweizer Berge und Land-
Denn die Mehrheit der Befragten kennt die Und genau hier haken wir ein, gemeinsam schaften dienten auf der Kinoleinwand oft als
Schweiz als Urlaubsdestination oder hat mit unseren Partnern der Tourismuspromo- Hintergrund für romantische Sing- und Tanz-
sie sogar selber schon bereist. Gerade die tion. Auch wir nutzen solche Hashtags ger- sequenzen der in ganz Asien bekannten und
ausgezeichnete Verkehrs- und Beherber- ne als Werbung für das Ferien- und Reise- berühmten Stars. Diese schöne, heile Welt
gungsinfrastruktur sowie die hohe Dienst- land Schweiz – beispielsweise indem wir und galt für Inderinnen und Inder lange als die
leistungsqualität vermögen diesbezüglich unsere Gäste zeigen: Wir sind schwer #VER- Traumdestination schlechthin.
positive Akzente zu setzen. Wenn man die LIEBTindieSCHWEIZ. Mittlerweile sind es ins- Heutzutage sehnen sich aber insbesonde-
Befragten bittet, spontan Begriffe zu nen- gesamt mehr als vier Millionen Fans und Fol- re junge, urbane Inder nach anderen Ferien-
nen, die sie mit dem Tourismusland Schweiz lower, die ihre Begeisterung über die Schweiz zielen und -erlebnissen. Die Urlaubsdestina-
verbinden, sind es Berge, Alpen, Schokola- auf unseren sozialen Medien teilen. Und zu- tionen ihrer Eltern oder gar Grosseltern ver-
de und Uhren, die einen nachhaltigen Ein- dem schicken wir jährlich fast 3000 Me- mögen die heutigen Generationen in den
druck machen. dienschaffende aus der ganzen Welt – dar- indischen Städten kaum mehr vom Hocker
unter auch viele «Influencer» – los, die schö- zu reissen. Sie lassen sich mit dem antiquier-
#VERLIEBTindieSCHWEIZ ne Schweiz zu entdecken. ten Filmkulissen-Image deshalb kaum mehr
Diese internationale touristische Kommu- begeistern. Neue und hippe Destinationen
Die hohe Zufriedenheit mit dem touristi- nikation über unser Land ist fast vollständig drohten deshalb der Schweiz den Rang ab-
schen Angebot und deren Relevanz für das positiv besetzt. Die Erlebnisse und Geschich- zulaufen, und es bestand die Gefahr, dass
Image des Landes spiegelt sich auch im ten der Medienschaffenden und «Influen- das Image des Reiselandes Schweiz in Indien
­«Tourismus-Monitor Schweiz», der von der cer» erreichen und beeinflussen so welt- langsam verstaubte.

60  Die Volkswirtschaft 4 / 2020


DOSSIER

SCHWEIZ TOURISMUS
Hippe Schweiz: Der indische Filmstar Ranveer
Singh bewirbt die Genferseeregion mit Erfolg bei
seinen Landsleuten. frage. Als Folge dieser Kampagne nimmt potenzieller Gäste mit spezifischen Inter-
die Anzahl der jüngeren indischen Gäste in essen gewinnt immer mehr an Bedeutung.
der Schweiz in letzter Zeit merklich zu, eine Ihnen soll gezeigt werden, dass solche zu
Doch Schweiz Tourismus entschied neue Generation von Inderinnen und Indern ihren Interessen passenden Erlebnisse auch
sich, Gegensteuer zu geben. Der indi- kommt auf Ranveers Spuren in die Schweiz. in der Schweiz möglich sind. Hierzu gehört
sche ­Social-Media- und Filmstar Ranveer Aber nicht nur sie: Die Hotelübernachtungen auch eine klarere Kommunikation über die
Singh – mit Jahrgang 1985 selber ein Millen- von Gästen aus Indien generell haben dank zahlreich vorhandenen, klimafreundlichen
nial – wurde als neuer Marken- und Image- Ranveer Singh einen eigentlichen Boom er- Reiseangebote vom öffentlichen Verkehr
botschafter für die Schweiz engagiert. Ran- fahren. 2018 kamen beinahe 810 000 Logier­ bis zu den entsprechenden Initiativen der
veer teilt mit seinen Anhängern, von denen nächte zustande; das sind fast zehn Pro- Unterkunftsbranche. Denn unsere welt-
er allein auf Twitter über 13 Millionen und zent mehr als noch im Vorjahr. 2019 sind die weiten Kommunikationsmassnahmen und
auf Instagram fast 30 Millionen hat, seine Übernachtungen zwar wieder leicht zurück- unsere Kampagnen sollen auch in Zukunft
Schweizer Ferienerlebnisse. So zeigt er, wie gegangen auf rund 793 000, aber dennoch: ihre eindrückliche Strahlkraft erhalten und
perfekt die Schweiz auch auf die Bedürfnis- Schweiz Tourismus ist es also gelungen, den damit das Image der Schweiz stärken.
se von jungen Gästen zugeschnitten ist, die Staub auf dem Image der Schweiz in Indien
hippe Aktivitäten und aktive oder gar aben- wegzublasen.
teuerliche Ferien suchen. Und auch in sei- Doch damit nicht genug. In Zukunft
nen Filmen kommt die Schweiz als Kulis- wollen wir noch stärker auf Erstbesucher,
se vor, unter seinem Namen und mit sei- eine höhere Wertschöpfung und bessere
nem Gesicht jedoch in neuem Glanz und im geografische und saisonale Verteilung der
neuen Kleid. Das zeigt Wirkung: Wir stel- Nachfrage fokussieren. Dabei spielen star-
len fest, dass Ferien in der Schweiz für in- ke Imagekomponenten wie eine funktio-
dische Gäste nun plötzlich als «sexy» und nierende und hochwertige touristische In-
­«trendy» gelten. frastruktur und eine unglaublich vielfäl- Urs Eberhard
Diese für unser Land neuen Imagekom- tige und eindrückliche Natur eine grosse Vizedirektor und Leiter Märkte & Meetings,
Schweiz Tourismus, Zürich
ponenten fallen auf und sorgen für Nach- Rolle. Auch die individualisierte Ansprache

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  61
LÄNDERIMAGE

«Gute» Länder geniessen gutes Ansehen


Rankings zu Ländermarken und moralisch «guten» Ländern können politische Weichen-
stellungen beeinflussen. Die Schweiz wird mit Stabilität und Attraktivität in Verbindung
­gebracht und befähigt sie dazu, die globale Zusammenarbeit zu fördern.  Simon Anholt

Abstract  Das Image eines Landes hat einen Einfluss darauf, wie gut es seine Produk- Neuer Index der «guten» Länder
te vermarkten, Talente gewinnen, Ideen verwirklichen und die Aufmerksamkeit der
internationalen Medien auf sich ziehen kann. Mit dem «Nation Brands Index» (Index Doch wie bilden wir uns eine Meinung da-
der «Ländermarken», NBI) und dem «Good Country Index» (Index der «guten Länder», rüber, ob ein Land gute Absichten gegen-
GCI) ist es heute möglich, das Image eines Landes und seinen Beitrag zum Wohl der über dem Rest der Menschheit hegt? Und
Welt zu beurteilen. Dass ein Land als moralisch «gut» bewertet wird, scheint für sei- wie zutreffend sind diese Meinungen? Län-
nen Ruf zentral. Die Schweiz belegte beim NBI jeweils den 8. Rang und beim aktuells- der sind komplexe Gebilde, und es ist nicht
ten GCI von 2018 den 7. Platz. Im Zeitalter der Globalisierung können die grossen He- einfach, zu beurteilen, ob ein Staat über sei-
rausforderungen der Menschheit nur bewältigt werden, wenn die Länder lernen, sich ne Grenzen hinaus die Welt insgesamt zum
weniger zu konkurrenzieren, und stattdessen vermehrt zusammenarbeiten. ­Länder Guten oder zum Schlechten beeinflusst.
mit positivem Image können diese «Soft Power» für eine Governance nutzen, die auf Deshalb wurde 2013 der «Good Country
Zusammenarbeit statt auf Konkurrenz setzt. Index» (Index der guten Länder, GCI) aus-
gearbeitet. Er misst, wie viel ein Land zum
Wohl der übrigen Menschheit und der Welt

N  ur selten ändert jemand seine Meinung


über ein Land. Das zeigt der «Anholt–
Ipsos Nation Brands Index» (Index der Län-
len Medien zu gewinnen. Kurz: Das Image
ist wichtig – paradoxerweise ist es häufig
sogar wichtiger als die Realität.
beiträgt. Offiziell lanciert wurde der Index
2014 anlässlich einer TED-Konferenz.
Der GCI wurde bisher fünfmal veröffent-
dermarken, NBI), eine internationale Erhe- licht. Er beinhaltet 35 Datensätze, die von
bung, die seit dem Jahr 2005 jährlich durch- Kooperative Länder bevorzugt den Vereinten Nationen (UNO) und ande-
geführt wird. Dabei werden jeweils zwischen ren internationalen Organisationen bereit-
20 000 und 38 000 Personen dazu befragt, 2012 hat eine detaillierte Studie1 die äus- gestellt werden. Auf dieser Grundlage wer-
wie sie andere Länder und Städte wahrneh- serst umfangreich erhobenen Daten des den 163 Länder nach ihrem (positiven oder
men. Insgesamt wird so das Image von 71 NBI analysiert. Zu diesem Zeitpunkt war negativen) Einfluss auf die übrige Welt klas-
Staaten und 78 Städten detailliert gemessen. bereits bekannt, dass weder Werbung noch siert und nach verschiedenen Unterkate-
Die Studie wird in 20 bis 30 Ländern durch- Öffentlichkeitsarbeit noch irgendeine an- gorien wie beispielsweise Frieden und Sta-
geführt und repräsentiert somit 60 Prozent dere Kommunikationsform das Image eines bilität, Gesundheit, Kultur und Bildung,
der Weltbevölkerung und über 70 Prozent der Landes zu beeinflussen vermag – und zwar Umwelt und Klima, Technologie und Inno-
weltweiten Kaufkraft. unabhängig davon, wie intensiv sie betrie- vation aufgeschlüsselt.
Gemäss dem NBI ist die Wahrnehmung ben wird. Also wollte die Studie herausfin-
der Befragten äusserst stabil. Nur selten ver- den: Was veranlasst die Menschen dazu, Mehr Kooperation unverzichtbar
liert oder gewinnt ein Staat im Ranking mehr gewisse Länder anderen vorzuziehen?
als einen Platz. Die meisten Länder belegen Wenn es um den guten Ruf geht, domi- Inwieweit decken sich die Ergebnisse des
in der Imagerangliste sogar jedes Mal exakt niert ein Faktor ganz deutlich: Entschei- «Good Country Index» und des «Nation
denselben Rang. So auch die Schweiz. dend ist nämlich, ob ein Land als Akteur Brands Index»? Eine Korrelation zwischen
Für die Regierungen ist es wichtig, zu wahrgenommen wird, der sich für das Gute den beiden Indizes würde die Hypothese
wissen, welchen Eindruck ihr Land erweckt. in der Welt einsetzt und gemeinsam mit an- stärken, dass ein nationales Verhalten, das
So können sie ihre Politik möglichst effizi- deren versucht, die grossen Herausforde- auf wohlwollenden Prinzipien beruht, mit
ent gestalten. Relevant ist dieses Wissen rungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. einem vorteilhafteren Image dieses Lan-
etwa für die Handels- und Tourismusför- Weniger Gewicht haben im Vergleich dazu des einhergeht (und daher auch mit einer
derung, die kulturellen und diplomatischen Aspekte wie Macht, Reichtum, Moderni- produktiveren Zusammenarbeit mit an-
Beziehungen sowie für die «Soft Power» tät, Kultur oder Geschichte. Mit anderen deren Ländern). Und tatsächlich: Der Kor-
eines Landes und seine nationale Strate- Worten: Die Menschen bevorzugen «gute» relationskoeffizient zwischen der dritten
gie. Verschiedene Forschungsarbeiten zei- Länder. Da die Menschen diese Länder ger- Ausgabe des GCI (basierend auf Daten von
gen, wie stark das Image eines Landes seine ne belohnen, indem sie vermehrt Geschäfte 2014) und der Ausgabe 2014 des NBI liegt
Fähigkeit beeinflusst, Produkte, Dienstleis- mit ihnen tätigen, hat sich ein interessantes bei 80 Prozent. Dieser Wert ist sehr hoch.
tungen, Investitionen und Tourismusange- Paradoxon eingestellt: Zusammenarbeit ist Wie viel ein Land zum Wohl der Welt bei-
bote zu vermarkten. Zudem hilft ein gutes die wettbewerbsfähigste Strategie, die ein trägt, ist mehr als Spekulation: Die grossen
Image dabei, Talente anzuziehen, Ideen und Land verfolgen kann. Herausforderungen, mit denen die Mensch-
Werte zu verwirklichen und die Aufmerk- 1 Anholt S. (2012). Soft Power as Moral Authority: A New
heit heute konfrontiert ist, sind durchwegs
samkeit und den Respekt der internationa- Model of National Influence. von globaler Tragweite und können nur

62  Die Volkswirtschaft 4 / 2020


DOSSIER

Platzierungen der Schweiz im Good Country Index, nach verschiedenen Kategorien (2014–2018)
Wissenschaft Kultur Frieden und Weltordnung Umwelt und Wohlfahrt und Gesundheit und TOTAL
und Technologie internationale Klima Gleichheit Wohlbefinden
Sicherheit
Ausgabe 1.3 (2018) 17 3 64 10 2 28 6 7/153
Ausgabe 1.2 (2017) 11 4 44 10 2 5 6 2/163
Ausgabe 1.1 (2016) 10 31 61 10 3 2 5 5/163
Ausgabe 1.0 (2014) 6 32 71 10 16 2 10 3/125

GCI
­ irksam bewältigt werden, wenn die Länder
w weit am meisten bewunderten Ländern. sen verfolgen. Wenn sie sich hingegen eine
lernen, sich weniger zu konkurrenzieren, und Bleibt die Frage, ob sie ihren Rang verbes- Welt wünscht, in der die Länder mit dem Ziel
stattdessen mehr zusammenarbeiten. sern kann und ob es ihr überhaupt etwas zusammenarbeiten, Frieden, Wohlstand und
Die Regierung eines «guten» Landes ver- nützt, wenn sie dies anstrebt? Sinnvoller Stabilität für alle herbeizuführen, sollte sie
bindet deshalb ihre grundlegende Verant- wäre es für die Schweiz nämlich, ihr Profil bei all ihren Handlungen den neuen Formen
wortung für die eigene Bevölkerung und und ihren Einfluss aufgrund dieser Klassie- der Kooperation Priorität einräumen.
das eigene Staatsgebiet mit der Verant- rung möglichst verantwortungsvoll zu nut-
wortung, die sie gegenüber der Menschheit zen, anstatt zu versuchen, in der Rangliste Neue kooperative Governance
und der Welt als Ganzes hat. Gewisse Län- vorzurücken oder ihren Platz zu verteidi-
der tun dies bereits bis zu einem gewissen gen. Bei der Nutzung dieses Images erge- Verschiedene Forschungsarbeiten und die
Grad – darunter auch die Schweiz, die eines ben sich unweigerlich auch kompetitive As- Erfahrungen der letzten 20 Jahre haben ge-
der besten Beispiele dafür ist. pekte. Denn für die Schweizer Wirtschaft zeigt, dass es für den Aufstieg eines Landes
Dennoch: Zumeist wird davon ausge- ist es weiterhin wichtig, den Handel, den im Ranking nur ein mögliches Verhalten gibt.
gangen, dass die Bedürfnisse der interna- Tourismus und die ausländischen Investi- Die Menschen interessiert es nicht, wie reich,
tionalen Gemeinschaft nicht mit den Be- tionen auszubauen. Und die «Soft ­Power» zufrieden, erfolgreich oder gut geführt ande-
dürfnissen der einheimischen Bevölkerung der Schweiz ist dafür eine wesentliche re Länder sind. Vielmehr interessieren sie sich
vereinbar sind. Was immer sie für ihre eige- ­Voraussetzung. dafür, ob diese Länder zum Wohlergehen der
ne Bevölkerung tun, so die Meinung, könn- Eine Diskussion über Verantwortung Welt, in der sie leben, und zur Zukunft, die sie
te anderen schaden. Eine wachsende Wirt- scheint häufig produktiver als eine Diskus- sich wünschen, beitragen – oder ob sie ihr im
schaft beispielsweise könnte die Umwelt in sion über Chancen. Ihre internationale At- Gegenteil schaden.
Mitleidenschaft ziehen; und die Hilfe, die sie traktivität verleiht der Schweiz eine hohe Das gute Image eines Landes ist ein Er-
anderen zukommen lassen, müsse umge- moralische Autorität: Sie kann eine engere folg und ein Aktivposten. Aber gerade in
kehrt auf Kosten der Hilfe für die eigene Be- und qualitativ bessere Zusammenarbeit zwi- diesen stürmischen Zeiten ist es auch eine
völkerung gehen. Doch das muss nicht sein: schen den übrigen Ländern fördern, mit gu- Verantwortung: die Verantwortung, welt-
Die Harmonisierung von inländischen und tem Beispiel vorangehen und internationa- weit einen Kulturwandel in der Governan-
internationalen Verantwortlichkeiten kann le Konflikte lösen, statt diese zu verschärfen, ce herbeizuführen – weg vom traditionel-
den Weg zu einer besseren Politik ebnen. weil sie Partei ergreift oder ihre Eigeninter- len Konkurrenzdenken und hin zu mehr Ko-
essen voranstellt. Ihre «Soft Power» gibt der operation. Ein Vorrücken im Ranking des
Stabiles Schweizer Image Schweiz die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen NBI-Indexes wird dann lediglich ein anek-
In der letzten Ausgabe des GCI im Jahr und sich nicht damit zu begnügen, möglichst dotischer Neben­effekt sein für die Länder,
2018 verzeichnete die Schweiz ihre bis- erfolgreich mitzuspielen. die bei einer solchen z­ entralen Neuausrich-
her schwächste Platzierung: Sie belegte den Wir leben in einer Zeit, in der eine solche tung mitwirken.
7. Rang, nachdem sie 2017 auf dem 2. und bei Führungsrolle dringend notwendig ist. Und
der ersten Ausgabe 2014 auf dem 3. Platz ge- eine solche kann nur von Staaten ausgehen.
legen hatte (siehe Tabelle). Doch auch wenn Weder Einzelpersonen noch gewinnorien-
der Trend damit in die falsche Richtung geht – tierte Unternehmen oder konturlose Institu-
gemessen an der Grösse ihrer Wirtschaft tionen scheinen in der Lage, eine solche Posi-
scheint die Schweiz mit einem Platz in den tion wahrzunehmen.
Top Ten nach wie vor über ihre eigenen Gren- Mit anderen Worten: Wenn sich die
zen hinaus einen wichtigen Nettobeitrag zur Schweiz eine Welt wünscht, in der jedes
Welt zu leisten. Land seine eigenen egoistischen Interessen
Was das Image angeht, hat die Schweiz auf Kosten der übrigen Staaten und der ge-
im Ranking des NBI ihren 8. Rang stets be- meinsamen Umwelt verfolgt, muss sie s­ elber Simon Anholt
Politikberater, London
hauptet: Sie gehört damit zu den welt- ebenfalls ihre eigenen egoistischen Interes-

Die Volkswirtschaft  4 / 2020  63
Schweiz als Drehscheibe im
globalen Rohstoffhandel
Der Handel mit Rohstoffen und Agrargütern läuft oft über Schweizer Firmen. Im Jahr
2018 beliefen sich die Einnahmen der Branche auf 33 Milliarden Franken, was einem
Anteil von 4,8 Prozent am Bruttoinlandprodukt entspricht. Die Branche beschäftigt
rund 35 000 Personen. Wichtige Zentren sind die Genferseeregion sowie Zug, Zürich,
Basel-Stadt und das Tessin.

QUELLEN FÜR ZAHLEN IM TEXT: SECO UND EDA. ILLUSTRATION: NIELS JUNGBLUTH UND CHRISTOPH MEILI (2018). PILOT-STUDY FOR THE ANALYSIS OF THE ENVIRONMENTAL
Schweizer Anteil am globalen Handel (Schätzung 2018)

IMPACTS OF COMMODITIES TRADED IN SWITZERLAND, STUDIE IM AUFTRAG DES BAFU / UMSETZUNG: JONAH BAUMANN / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
39% 35% 60%
Rohöl Kakao Eisenerz
Buy Sell Buy Sell Buy Sell

35% 60% 56%


Kohle Aluminium Palmöl
Buy Sell Buy Sell Buy Sell

43% 53% 44%


Weizen Kaffee Zucker
Buy Sell Buy Sell Buy Sell

67% 60% 67%


Gold Kupfer Baumwolle
Buy Sell Buy Sell Buy Sell

Bei den Zahlen handelt es sich um Schätzungen, da die Firmen


keine Zahlen veröffentlichen. Möglicherweise schwanken die
gehandelten Warenmengen je nach Jahr stark. Mit Ausnahme
von Gold und Kaffee werden die Rohstoffe grösstenteils nicht
physisch in die Schweiz eingeführt.
VORSCHAU

IM NÄCHSTEN FOKUS

Den Schweizer Ausgabe


Die nächste 2. April
m2
Kapitalmarkt beleben ­erscheint a

Auf dem Kapitalmarkt beschaffen sich Unternehmen Kapital, und Anleger investieren
dort ihr Geld. Analysen zeigen: Der Schweizer Kapitalmarkt könnte dynamischer sein.
So ist der Anteil ausländischer Emittenten in der Schweiz rückläufig. Und auch Schwei­
zer Unternehmen wählen für Anleiheemissionen oft ausländische Kapitalmärkte. Das
hat insbesondere mit den steuerlichen Rahmenbedingungen zu tun – zum Beispiel mit
der Ausgestaltung der Verrechnungssteuer. Wie der Bundesrat die Attraktivität des
Schweizer Kapitalmarktes stärken will und wie es um die tiefen Zinsen steht, erfahren
Sie in der kommenden Ausgabe.

Warum sind die Zinsen in der Schweiz so tief? Die Attraktivität des Schweizer
Prof. Daniel Kaufmann, Universität Neuenburg Kapitalmarktes erhöhen
Nicole Krenger, Peter Schwarz, ESTV
Funktionsweise des Schweizer Kapitalmarktes
Prof. Philipp Lütolf, Thomas Kurt Birrer, Hochschule Luzern Auswirkungen des Automatischen
­Informationsaustausches auf die
Volkswirtschaftliche Auswirkungen ­Verrechnungssteuer
einer Reform der Stempelabgaben und der Charles Hermann, KPMG
­Verrechnungssteuer
Alexis Bill-Körber, Michael Grass, BAK Economics

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