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PRAXIS FAHRTECHNIK TEIL 3: DIE KURVENFAHRT

Salz in der Suppe


Für die meisten von uns sind sie sicher so was wie das Salz in der Suppe beim nicht diesem Ansinnen, sondern kippt in
Motorradfahren: Kurven! Was aber passiert eigentlich mit einem Motorrad wäh- Rechtsschräglage. Man merkt es kaum,
doch genauso lenken wir ein Motorrad.
rend der Kurvenfahrt, wie kommen wir überhaupt um die Ecke, wieso eigentlich Ein kurzer Ruck am Lenker nach links
mit Schräglage? Die Dynamik einer Kurvenfahrt ist beim Motorrad deutlich kom- bringt die Maschine in Rechtsschräglage,
und umgekehrt funktioniert das natürlich
plizierter als beim Auto – die Anforderungen an den Piloten erheblich höher. ebenso.
Dabei fällt die tatsächliche Drehbewe-

I
n der April-Ausgabe des TOUREN- bei einen Effekt zunutze, den man Kreisel- gung nach der »falschen« Seite sehr ge-
FAHRER hatten wir bereits die Gerade- Präzession nennt. Versucht man, die Ach- ring aus. Wichtig ist allein die Abruptheit
ausfahrt eines Motorrads betrachtet und se eines schnell laufenden Kreisels zu kip- der eingeleiteten Störung. Wie stark dieser
dabei festgestellt, dass zahlreiche Para- pen – in unserem Fall handelt es sich bei Lenkimpuls sein muss, hängt von vielen
meter den sicheren Geradeauslauf unseres diesem Kreisel um das Vorderrad –, so gibt verschiedenen Faktoren ab. Das Gewicht
Motorrads bestimmen. Da liegt es schon dieser nicht in der gewünschten Richtung der Maschine, die Schwerpunktlage, die
beinahe auf der Hand, dass die Dynamik nach, sondern weicht rechtwinklig dazu Radgrößen – das alles spielt neben der
beim Kurvenfahren noch einmal deutlich aus. Übertragen auf die Motorrad-Len- Lenkgeometrie eine Rolle. Mit dem glei-
komplexer ist. Wir wollen, um die Ge- kung bedeutet dies: Versucht man den chen Prinzip wird die Maschine übrigens
schichte ein bisschen einfacher und über- Lenker während der Fahrt nach links zu auch in Schräglage gesteuert: Leichter
sichtlicher zu gestalten, zunächst mal nur drehen, folgt das sich drehende Vorderrad Druck am kurveninneren Lenkerende
die Einleitung einer Kurvenfahrt und die bringt mehr Schräglage, Zug am selben
anschließende Fahrt mit konstanter Ge- Dreht man den Lenker Ende richtet das Motorrad auf.
schwindigkeit auf einem konstanten Ra- Warum aber braucht ein Motorrad für
dius betrachten. nach links, kippt das die Kurvenfahrt überhaupt Schräglage,
Wie leiten wir also eine Kurve ein? Nun, warum könnte es nicht auch senkrecht
wir steuern! Und zwar machen wir uns da- Motorrad nach rechts durch die Kurven gehen? Dazu wollen wir
noch einmal das bereits im Artikel über die
Geradeausfahrt bemühte zweite New-
Kreisel-Präzession ton’sche Axiom – den Grundsatz der Dy-
namik – ins Spiel bringen: »Die Änderung
der Bewegung einer Masse ist der Einwir-
kung der bewegenden Kraft proportional
und geschieht nach der Richtung derjeni-
gen geraden Linie, nach welcher jene
Kraft wirkt.« Bedeutet im Fall der Kur-
venfahrt nichts anderes als: Da ich mein
Motorrad auf eine Kreisbahn zwinge,
muss ich eine Kraft aufbringen, die es aus
der Geradeausfahrt bringt. Damit erzeuge
ich praktisch eine entgegengesetzte Kraft
– Actio gleich Reactio –, die Zentrifugal-
kraft. Die greift im Schwerpunkt des Mo-
torrads an und ist radial zur Kurvenaußen-
seite gerichtet. Sie hängt ab von der Mas-
se des Motorrads inklusive Besatzung, der
gefahrenen Geschwindigkeit und dem
Kurvenradius. Diese Kraft, die das Mo-
torrad quasi aus der Kurve zurück in Ge-
radeausfahrt zwingen möchte, wird prak-
tisch durch das Eigengewicht von Ma-
schine und Besatzung in Schräglage aus-
geglichen – dieser Zusammenhang wird
am einfachsten durch einen Blick auf die
Grafik (siehe nächste Seite) über das
Gleichgewicht des Motorrads in Schräg-
So lenken wir unser Motorrad: Versucht man das drehende Vorderrad nach links zu lenken, folgt das Rad lage deutlich. Erst durch die Schräglage
diesem Ansinnen nicht, sondern kippt stattdessen in Rechtsschräglage. führt die Resultierende sämtlicher auf das
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Fahrzeug einwirkenden Kräfte durch den Fahrzeugteile wie Fußrasten oder Auspuff
Reifenaufstandpunkt. Zentrifugalkraft bestimmt, sondern spätestens vom Kraft-
Dabei gibt es für jede Kurvengeschwin- schlussbeiwert, also vom Gripniveau
digkeit nur eine einzig mögliche Schräg- zwischen Reifen und Fahrbahn.
lage – auch Rollwinkel genannt –, die ein- Gute Reifen kommen auf normalen,
zig von der gefahrenen Geschwindigkeit nicht nassen oder auch nur feuchten Fahr-
und dem Kurvenradius abhängig ist. Je- bahnoberflächen auf Haftungsbeiwerte
denfalls, wenn wir mal voraussetzen, dass um eins, was eine Maximal-Schräglage
die Erdbeschleunigung immer und überall von genau 45 Grad bedeuten würde. Auf
konstant bleibt. Erstaunlicherweise ist die Schnee zum Beispiel liegt der Haftungs-
Schräglage nicht vom Gesamtgewicht des beiwert nur noch bei 0,1, was natürlich
Motorrads abhängig, sehr wohl aber von wiederum bedeutet, dass nur noch geringe
der Schwerpunktlage – je niedriger der Kurvengeschwindigkeiten und damit
auch Schräglagen möglich sind. Bei sehr
guten Fahrbahnverhältnissen und sehr gu-
Die Schräglage ist ten Reifen sind Haftungsbeiwerte um 1,2
nicht vom Gewicht des beim aktuellen Stand der Reifentechnik
durchaus drin, was auch Schräglagen im
Motorrads abhängig Bereich von über 50 Grad möglich macht.
All diese Betrachtungen gelten aber nur,
wenn sich weder der Kurvenradius, noch
Gesamtschwerpunkt von Maschine und die gefahrene Geschwindigkeit in der
Besatzung, desto mehr Schräglage Kurve ändert. Bei jeder Änderung von Ge-
braucht es bei gleicher Kurvengeschwin- schwindigkeit und / oder Radius treten
digkeit. weitere Effekte auf, die zum Teil starke
Die Betrachtungen bis daher gelten al- Das im Schwerpunkt angreifende Gewicht von Einflüsse auf das Fahrverhalten haben
lerdings nur, wenn die Reifen ideal schmal Fahrer und Maschine wirkt der Zentrifugalkraft in können.
sind, also praktisch eine Scheibe bilden Schräglage entgegen. Bewegt sich ein Motorrad in einer Kur-
und nur einen einzigen Kontaktpunkt mit ve, fährt es auf einem Reifenaufstands-
der Fahrbahn haben, was aber in der Pra- dert der Reifenaufstandspunkt stärker aus punkt, der bei aktuellen Breitreifen zum
xis selbstverständlich nicht der Fall ist. als bei schmalen, was zur Folge hat, dass Teil weit außerhalb der Symmetrieebene
Durch den Umstand, dass die Reifen eben man für den gleichen Kurvenradius bei liegt. Sowohl der Reifenaufstandspunkt
nicht ideal schmal sind, wandert der Rei- gleicher Geschwindigkeit mit breiten Rei- des Vorderrades als auch der des Hinterra-
fenaufstandspunkt durch die Schräglage fen mehr Schräglage benötigt als mit des liegen nicht mehr mittig unter dem
aus der Fahrzeugsymmetrieebene – aus schmalen. Allerdings beträgt der Anteil Schwerpunkt. Wirken nun Kräfte an den
der Mitte – heraus, was die echte Schräg- dieser Zusatzschräglage je nach Reifen- Reifenaufstandspunkten in Fahrtrich-
lage vermindert. Die Symmetrieebene des breite nur etwa zehn Prozent der Gesamt- tung, entstehen verschiedene Momente
Motorrades hat also stets eine größere schräglage. um die verschiedenen Achsen unseres
Schräglage, als der Winkel zwischen den Natürlich hat die Geschichte mit der Fahrzeugs. Ein Bremsen am Vorderrad
resultierenden Kräften und dem Erd- Schräglage auch Grenzen. Diese wird zum Beispiel bewirkt ein einlenkendes
schwerefeld ist. Bei breiteren Reifen wan- nicht nur durch eventuell aufsetzende Moment um die Lenkachse – ähnlich als

Sidecases
Topcases
Gepäckträger
Lock it System
Schutzbügel
Aluminium-Koffer
Leder-Koffer
• Aluminiumkoffer BASIC
Chopper-Parts
Hauptständer • Schutzbügel
• Hauptständer

Wir fahren voraus.


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PRAXIS FAHRTECHNIK TEIL 3: DIE KURVENFAHRT

kel verändert sich


Kräfte bei Kurvenfahrt der tatsächliche
Lenkwinkel – das, Fahrtechnik:
was sich praktisch
direkt auf dem Theorie und Praxis
Asphalt abspielt –
mit der Schräglage
des Fahrzeugs. Je G ibt es ein Fortbewegungsmittel, des-
sen Bewegungsdynamik komplexer
ist als die eines Motorrads? Dessen
größer die Schräg-
lage wird, desto Steuerung ähnlich hohe Anforderungen
weiter muss der an seinen Lenker stellt wie die, mit denen
Lenker zurückge- sich Motorradfahrer konfrontiert sehen?
dreht werden, um Kaum, selbst ein Flugzeug, das sich im-
einem vorbe- merhin im dreidimensionalen Raum und
stimmten Radius auch mit Schräglagen bewegt, ist im
zu folgen. Ab einer Prinzip einfacher zu steuern als ein Mo-
Schräglage von et- torrad.
wa 25 Grad – bezo- In dieser zwölfteiligen Artikelserie
wollen wir auf alle Facetten des Fahrens
gen auf einen
eines Motorrads eingehen, angefangen
Lenkwinkel von
von den theoretischen Grundlagen –
65 Grad, wie er für
Fahrwerksgeometrie, Dynamik bei Ge-
viele aktuelle Mo-
radeaus- und Kurvenfahrt sowie den Ab-
torräder gilt – dreht
läufen beim Bremsen und Beschleuni-
sich der Lenker gen – bis hin zu praktischen Tipps, wie
Zwingt man das Motorrad in eine Kurve, entsteht quasi unmerklich gegen die Fahrtrich- man die Theorie des Motorradfahrens in
eine Kraft, die es wieder geradeaus zu zwingen tung. Die notwendigen Lenkkorrekturen die Praxis umsetzt. Angefangen von der
versucht – die Zentrifugalkraft. bewegen sich allerdings unter einem Einstellung des Motorrads auf unsere ei-
Grad, sind aber vor allem in schnellen genen Bedürfnisse – Hebelei, Fahr-
würde man am kurvenäußeren Lenkeren- Kurven, die mit sehr viel Schräglage ge- werksabstimmung – bis hin zu prakti-
de drücken. Gelingt es dem Fahrer nicht, nommen werden, spürbar. schen Tipps zum Kurvenfahren, zum Fah-
dieses Moment zu kompensieren, dreht Der Effekt lässt sich auf Fotos ganz gut ren mit Sozius, mit Gepäck, in der Stadt,
der Lenker zur Kurveninnenseite, das Mo- beobachten: Während man bei langsam bei Regen und im Gelände.
torrad richtet sich wegen der bereits ange- fahrenden Motorrädern mit geringer Vieles wird erfahrenen Motorradfah-
sprochenen Kreisel-Präzession auf und Schräglage den Lenkeinschlag zur »rich- rern bekannt vorkommen, manches mag
fährt einen größeren Kurvenradius. tigen« Seite auf vielen Bildern ganz deut- aber auch neu, ja sogar überraschend
Am Hinterrad kommt dieser Effekt et- lich erkennen kann, fällt es einem bei- sein. Wir glauben aber, dass die Be-
was weniger zum Tragen, doch aus der schäftigung mit diesem Thema letztlich
größeren Reifenbreite folgt, dass der Rei- In großer Schräglage nicht nur der Sicherheit dient, sondern
fenaufstandspunkt hier noch weiter aus- auch und vor allem den Spaß am dyna-
wandert und immer noch merkliche Mo- dreht der Lenker gegen mischen Gerät Motorrad vertiefen kann.
mente um die Hochachse des Fahrzeuges
einleiten kann. Ein Beschleunigen des die Fahrtrichtung
Fahrzeugs in Kurvenfahrt zum Beispiel
erzeugt ein ausdrehendes Gier-Moment – spielsweise bei Bildern von Rennen, auf
die Maschine tendiert dazu, sich aufzu- denen Motorräder in großer Schräglage zu
FAHRTECHNIK TEIL 4 in
stellen und zur Kurvenaußenseite zu drän- sehen sind, sehr schwer, überhaupt zu er- TF 6/2008 – Die Beschleunigung
gen. Ein Bremsen des Hinterrades erzeugt kennen, in welcher Richtung der Lenker Was sich beim Motorrad so alles wäh-
dagegen ein eindrehendes Gier-Moment eingeschlagen ist. rend der Beschleunigung tut, klären wir
mit der entsprechenden Tendenz zu mehr Das hört sich alles unglaublich kompli- im nächsten TOURENFAHRER. Welche
Schräglage. ziert an – scheint es aber in der Praxis gar Auswirkungen hat die Beschleunigung
Was aber passiert beim Fahren von Kur- nicht mal zu sein. Denn immerhin beherr- auf das Fahrverhalten? Was sind Last-
ven mit unserem Lenker? Beim Einleiten schen Millionen von Motorradfahrern wechsel und Kardanreaktionen, und
der Kurve bewegt er sich – wie schon vor- diese Technik und haben sogar jede Men- welchen Einfluss hat der Kettenzug?
her beschrieben – minimal zur »falschen« ge Spaß daran. Das wiederum beweist ei-
Seite, um dann ziemlich schnell auf die nes: Die »Maschine Mensch« ist hier das FAHRTECHNIK TEIL 1 in
»richtige« Seite, in Kurvenrichtung, zu eigentliche Wunder der Technik. Mit wel- TF 3/2008 – Die Geometrie
drehen. Aber wie weit? Beim Auto ist der cher Leichtigkeit wir derart komplizierte
Zusammenhang jedem klar: Je weiter die Steuerungsmechanismen intuitiv erler- FAHRTECHNIK TEIL 2 in
Räder eingeschlagen werden, desto enger nen, erstaunt nach einem tieferen Einblick TF 4/2008 – Die Geradeausfahrt
wird die Kurve. Nicht so beim Motorrad: in die physikalischen Zusammenhänge FAHRTECHNIK TEIL 3 in
Abhängig vom seitens des Konstrukteurs ganz schön. TF 5/2008 – Die Kurvenfahrt
unseres Motorrads gewählten Lenkwin- Wolfgang Zeyen
100 TOURENFAHRER 5/2008

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