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Ein Cop außer Kontrolle Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine
europaweite Entwicklung, zu der die Bun-
desregierung beigetragen hat. 2007, wäh-
rend der EU-Ratspräsidentschaft, forcier-
Ein verdeckter Ermittler aus England unterwanderte auch deutsche ten die Deutschen die klandestinen Ko-
linke Gruppen – angeblich als Agent provocateur. operationen. Begründung: Die Legenden
ausländischer Undercover-Ermittler seien
S
einen Freunden erzählte Mark Stone, erreicht. „Das ist eindeutig ein Fall für glaubwürdiger und schwieriger zu über-
er sei „freiberuflicher Kletterer“, und das Parlamentarische Kontrollgremium prüfen als die einheimischer Kollegen.
sie glaubten die Legende nur zu gern. und den Innenausschuss“, sagt der Grü- Kennedys Umtriebe sind besonders hei-
Mit seinen langen Haaren sah der 41-Jäh- nen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbe- kel, denn er beschränkte sich offenkundig
rige den „Huber-Brüdern“ aus Bayern tat- le. „Die Bundesregierung muss offenlegen, nicht aufs Schnüffeln: Er mobilisierte Ak-
sächlich ähnlich, den Stars der Klettersze- ob Kennedy möglicherweise als Agent tivisten für militante Einsätze. Zudem
ne. Und Freunde hatte der sportliche Brite provocateur in Deutschland Straftaten be- agierte er offenbar als „Romeo“ und un-
mit den großflächigen Tattoos viele: Eu- gangen oder initiiert hat.“ Wenn das stim- terhielt sexuelle Kontakte zu mehreren
ropaweit hatte er ein Netzwerk an Vertrau- me, müsse er vor Gericht gestellt werden: Frauen aus der Szene, darunter in Berlin.
ten aufgebaut. „Das deutsche Recht gilt auch für britische Für den ebenfalls in der Hauptstadt le-
Der vermeintliche Kletterer Stone heißt Agenten.“ Andrej Hunko, Abgeordneter bendenden US-Amerikaner Jason Kirk-
allerdings Mark Kennedy und war Polizist. der Linkspartei, spricht von einer „aus- patrick war die Enttarnung des Mannes
Er arbeitete seit 1994 für Scotland Yard. ufernden Praxis grenzüberschreitender „ein Schock“. Der ehemalige grüne Vize-
Im Auftrag einer Spezialeinheit in- polizeilicher Spitzeleinsätze“ und will bürgermeister der kalifornischen Klein-
filtrierte er jahrelang linke und linksradi- eine neue Anfrage an die Bundesregie- stadt Arcata kennt Kennedy seit 2004, als
kale Gruppen, mit falschem Ausweis und rung stellen. Auf eine erste hatte er nur sie vor dem G-8-Gipfel im schottischen
Führerschein bereiste er dafür mehr als 20 ausweichende Antworten bekommen. Gleneagles eine „Infotour“ durch Irland
Länder. Der Undercover-Mann war ein Bekannt wurde die Spitzelgeschichte, machten. „Mark hat die Fährtickets be-
Aktivposten der militanten Protestbewe- als die Staatsanwaltschaft im britischen zahlt, uns in seinem Auto chauffiert und
gung Europas: Er blockierte Züge, hängte Nottingham vorige Woche die Anklage besaß damals schon ein Notebook mit ei-
in waghalsigen Kletteraktionen Banner an gegen sechs Aktivisten fallenließ – um die nem Internet-Stick“, berichtet Kirkpa-
Kräne und Kraftwerke – und stiftete Ge- Tarnung von Kennedy nicht preiszugeben. trick. Wann immer Kennedy nach Berlin
sinnungsgenossen möglicherweise sogar Doch der „Guardian“ enthüllte den Zu- kam, habe er ihn gesehen. Und das war
zu militanten Aktionen an. Besonders sammenhang: Kennedy alias Stone hatte häufig der Fall, besonders im Vorfeld des
gern war er in Deutschland, wie mehrere die Protestaktion in Ratcliffe, die den G-8-Gipfels von Heiligendamm 2007.
Aktivisten berichten, im Vorfeld und wäh- sechs Angeklagten zur Last gelegt wurde, Mindestens zweimal, so Kirkpatrick,
rend des G-8-Gipfels in Heiligendamm. maßgeblich organisiert. In der Szene war habe Kennedy in Deutschland an Vorbe-
Nun herrscht Aufruhr in der linken das Doppelleben des Maulwurfs schon reitungstreffen des „Dissent“-Netzwerks
Szene, der Fall hat die politische Ebene seit Oktober 2010 ein Thema, als Aktivis- teilgenommen, eines Zusammenschlusses
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Deutschland
autonomer Gruppen. Auch während des Quellen und deren Arbeit zurückzufüh- gung über die Antifa-Arbeit bis zum Tier-
Gipfels an der Ostseeküste sei der briti- ren: „Wenn Erkenntnisse zu uns gelangen, schutz reichten. Auch seine schier uner-
sche Spitzel vor Ort gewesen. dann nur in allgemeiner Form.“ schöpflichen finanziellen Mittel hätten ihn
Kennedys Einsatz rund um Heiligen- Kirkpatrick will auch von einigen Ge- zu einem gefragten Mann gemacht. Zu-
damm wirft Fragen auf: War er Teil einer legenheiten wissen, bei denen der Scot- dem sei Mark einfach ein netter Typ ge-
deutsch-britischen Polizeikooperation? land-Yard-Mann Staatsgeld für die links- wesen, mit einer ausgeprägten Leiden-
Oder handelten die Briten hierzulande radikale Sache einsetzte: So habe es ge- schaft für Drum’n’Bass-Musik. „Er ist ein
auf eigene Faust? Die deutschen Sicher- heime Treffen in Kennedys Wohnung im exzellenter DJ und hat uns gebeten, für
heitsbehörden hatten sich im Vorfeld des britischen Nottingham gegeben, um Blo- ihn in Berlin einen Gig zu organisieren“,
Gipfels aus Angst vor militanten Aktio- so Kirkpatrick. Kennedys doppeldeutiger
nen eng mit europäischen Partnerbehör- Künstlername: DJ Escape.
den abgestimmt. Das Bundeskriminalamt Doch irgendwann halfen die Ausflüchte
(BKA) durchsuchte seinerzeit 40 Objekte nicht mehr. Im April 2009 organisierte Ken-
in Deutschland. Der Bundesgerichtshof nedy die Besetzung eines E.on-Kohlekraft-
erklärte das Vorgehen später für rechts- werks in Ratcliffe-on-Soar. Kurz vor der
widrig. Flossen auch Erkenntnisse des Aktion schlugen seine Polizeikollegen zu
britischen Szene-Spitzels in das Ermitt- und nahmen 114 Aktivisten fest. Alle en-
lungsverfahren ein? gagierten denselben Anwalt, nur Kennedy
„Mark war eindeutig ein Agent provo- nicht. Das fanden die Kombattanten ver-
cateur“, behauptet Jason Kirkpatrick. „Ich dächtig, „Kommissar Stone“ nannten ihn
bin sicher, er hat die Vorbereitungstreffen erste Zweifler. Im Frühjahr 2010 quittierte