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wur f RITUALE

Ent
Die Freude am Drehen eines
Joints. Cannabis als Teil ritueller
Praxis
2020-1 Cannabis wird zunehmend in Ritualen als psychoaktive Substanz eingesetzt,
Jg. 46 um das Erlebnis der persönlichen Veränderung zu stärken und Gruppenzuge-
S.
hörigkeit zu fördern, ohne grosse Risiken einzugehen. Nachdem sich Cannabis
aufgrund von Zivilisierungsprozessen und der Ausdehnung des Gebrauchs
(auch dank des Verbots und der damit einhergehenden emanzipatorischen
Attraktivität) langsam von religiös-ideologischen Diskursen befreit, birgt
dieser rituelle Einsatz in einem legalen System das Potential, den vernünfti-
gen Gebrauch von Cannabis zu fördern.

SANDRO CATTACIN
Professor, Direktor des Institut de recherches sociologiques (IRS) der Universität Genf, Bvd. du Pont-d’Arve 40, CH-1211
Genève 4, Tel. +41 (0)22 379 07 20, @SandroCattacin, Sandro.Cattacin@unige.ch, https://tinyurl.com/sl4t5k3

Einleitung satz gegenüber anderen, weniger be- nization, mass migration, and the hor-
Der Einsatz von Hanfprodukten in tra- rechenbaren Substanzen (Rubin & Lam- rors of modern warfare – have steadily
ditionellen Ritualen war immer schon bros 1963: 250). Zudem lassen sie sich dislocated humankind from the kinds
von Interesse für anthropologische oder kontrolliert und nachvollziehbar in ein of ritualized control systems we built
historische Forschung (Emboden Jr. Ritual einbauen, sind also gewissermas- around earlier drug cultures» (Gowan et
1972). So finden sich erste Hinweise da- sen sozial konstruierbar (Becker 1963). al. 2012: 1251).1
rauf bereits vor 12 000 Jahren, doch mit Am Anfang dieser Brüche stehen
Bestimmtheit kann von einem rituellen Kontinuität und Brüche im rituellen demnach die kapitalistische Dynamik der
Gebrauch erst seit etwa 4000 Jahren Gebrauch von Hanfprodukten territorialen Neuorganisation, vor allem
gesprochen werden (Warf 2014). Ein- In religiösen Ritualen werden unter- aber die Ablösung pluraler religiöser
gesetzt wurde Cannabis bspw. in Indien schiedliche psychoaktive Substanzen wie Praktiken durch nach Hegemonie stre-
und Südostasien von Schamanen oder Cannabis und Alkohol, aber auch andere bende kirchliche Institutionen, die Ritu-
auch in Übergangsritualen, wie beim Formen der menschlichen Beeinflussung ale begleitende Produkte entweder neu
Übergang vom Kind zum Jugendlichen, des Bewusstseins, wie sozialer Druck, erfinden oder durch meditative Prakti-
während der Sterbebegleitung oder in meditative und repetitive Praktiken, ken ersetzen (Emboden Jr. 1972: 227).
religiösen Ritualen (Touw 1981). schmerzverursachende Handlungen oder Produkte, die nicht den neuen Hoch-Re-
Der Erfolg dieses Produkts kann ver- auch sensorielle Abschottungen ein- ligionen, sondern anderen religiösen
mutlich damit erklärt werden, dass es gesetzt (Tumminia 2019). Der rituelle Praktiken entsprechen, werden seither
erstens schnell wirkt und deshalb die am Gebrauch von Cannabis kann dabei bis verbannt. Darin liegt vermutlich auch
Ritual teilnehmenden Personen unmit- in die Moderne kontinuierlich aufgezeigt ein (weiterer)2 Grund der moralischen
telbar eine körperliche Veränderung er- werden (Emboden Jr. 1972). Brüche in Verteufelung von Cannabis, das sich als
fahren, die dann nicht dem Produkt, son- dieser langandauernden Kontinuität ritu- rituell verwendete Droge im religiösen
dern dem Ritual zugeordnet wird, was alisierter Kontrollsysteme entstehen erst Kontext nur noch in der Praxis der Ras-
wiederum dessen Bedeutung verstärkt; durch den Wandel der gemeinschaftlich tafari halten kann.3
und zweitens weist Cannabis keine organisierten in eine arbeitsteilige Ge- Doch die Ausblendung von Cannabis
langandauernde Wirkung auf, ist relativ sellschaft, der sich durch Urbanisierung, aus den weltweit etablierten Kirchen
kontrollierbar und stellt für die meisten Stadt-Land-Migration und Krieg kenn- bedeutet keineswegs das Ende seines
Konsumierenden keine Gefahr dar (Do- zeichnen lässt, wie Theresa Gowan et rituellen Gebrauchs, denn das Produkt
menig & Cattacin 2015; Schuurmans et al. argumentieren: «Yet the industrial wird aus dreierlei Gründen am Leben
al. 2016). Insofern haben psychoaktive, capitalism propelled by Protestant elites erhalten: Seine seit Jahrtausenden be-
auf Hanf basierende Substanzen einige also set very different forces in motion. kannte medizinische Wirkung verleiht
Vorteile in Bezug auf den rituellen Ein- Immense social upheavals – rapid urba- dem Cannabis erstens sozusagen ein pa-

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ralleles Leben (Rätsch 1992) und damit nicht zum Niedergang des Cannabiskon- Formen auszugehen ist, versuchen Don
zweitens eine kommerzielle Dimension, sums. Im Gegenteil, dieser steigt weiter Zimmerman und Lawrence Wieder den-
was dazu führt, dass dieses Produkt an – und wird dank der Illegalität seinen noch – aufbauend auf einer qualitativen
lange nicht verboten wird. Indien setzt «Protest-Charme» bei Jugendlichen Studie im Süden Kaliforniens – einige
sich bspw. bis in die 1920er-Jahre dafür nicht los. Ein Charme, der sich nicht generelle Regeln in Gruppenritualen mit
ein, dass Cannabis als Produkt ritueller mehr ideologischen Argumenten be- Cannabis herauszukristallisieren: «1.
Praxis weiterhin zugelassen wird.4 Drit- dienen muss, sondern schlicht als Mittel Persons possessing marijuana are expected
tens verhilft das Verbot dem Cannabis, der Kritik gegenüber allem Erwachsenen to share it. […] 2. Given that marijuana is
zu einer psychoaktiven Substanz zu wer- und als Teil der Emanzipationsdynamik to be smoked on some occasion, the joint or
den, deren Gebrauch neben der gesuch- – insbesondere gegenüber den Eltern – pipe is passed around to everybody present.
ten Wirkung auch ein politisches State- dient. Nicht ganz überraschend, müssen […] 3. Smoking marijuana with others ent-
ment erlaubt. Und auch hier führen die sich auch Pubertierende über Rituale, ails a commitment to an on-going social oc-
schnelle, aber kontrollierbare Wirkung, die in Gruppen stattfinden, vergewis- casion» (Zimmerman & Wieder 2014: 201).8
wie auch die relative Ungefährlichkeit sern, dass sie auf dem richtigen Weg In diesen Regeln – Teilen, Geben, So-
dazu, dass Cannabisprodukte in Protest- sind, wenn sie an Erwachsenen Kritik zialisieren – bei gleichzeitiger gemeinsa-
kreisen eine so grosse Breitenwirkung üben und eine Persönlichkeit entwickeln mer körperlicher Erfahrung der Verände-
erzielen können. möchten. Der Joint bleibt so im sozial rung sind ebenfalls die Grundelemente
kontrollierten, gut strukturierten Zent- ritueller Dynamiken erkennbar, die zu
Die Rückkehr von Cannabis rum des Rituals. Gruppenbildungen in konkreten lokalen
in Ritualen Howard Becker hat diese rituelle Kontexten führen.
In den 1960er-Jahren wird Cannabis zur Gruppendynamik als Lernprozess be- Neben diesen lokal verankerten
meistgebrauchten Droge, so auch in Lon- schrieben, bei dem die Gruppe das Pro- Gruppendynamiken wirkt Cannabis
don. Was dabei überrascht, ist der Wech- dukt einführt und die Form und Regeln aber auch im transnationalen Kontext
sel in der Herkunft der Konsumierenden, des Konsums definiert, aber auch erklärt, als verbindende Substanz, indem es in
wie Klaus Weinhauer festhält: «Until wie die Wirkungen zu erleben und wieso bestimmten Gruppen eingesetzt wird,
1964 cannabis was mainly consumed among diese als erfreulich zu empfinden sind um Gleichheit und Zugehörigkeit her-
the West Indian and African population in (Becker 1963: 41ff ). Das kollektive Ritual zustellen. Dies beginnt bereits in den
London. But it then spread to white middle- erlaubt in anderen Worten, eine psycho- 1960er-Jahren in der «Underground»-
class youth, among them many students and aktive Substanz zu sozialisieren und zu Szene (Weinhauer 2006: 196) und
political activists. In 1964 for the first time, normalisieren. gilt noch heute für die weltweite Hip-
the white cannabis offenders outnumbered Doch scheint der ritualisierte Kon- Hop- oder Reggae-Szene, aber auch für
those of West Indian and African origin» sum von Cannabis in Gruppen nicht Reisende, die sich durch gemeinsames
(Weinhauer 2006: 195).5 nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Rauchen (und Teilen) eines Produkts
Ist die wichtigste Gruppe Cannabis- Erwachsenen gebräuchlich zu sein. Die genau in jene Dynamik hineinbegeben,
konsumierender demnach bis 1964 indi- verschiedenen Bewegungen, die Canna- die Marcel Mauss als gesellschaftsstabi-
schen und afrikanischen Ursprungs, sind bis-Clubs7 einführen möchten, sind nicht lisierende Kette von Gabe-Annahme und
dies seitdem weisse, politisierte Jugend- nur ein Indiz dieser sozialen Dimension Gabe-Gegengabe beschrieben hat (Mauss
liche aus der Mittelklasse. des Konsums, sondern auch ein Zeichen, 1925) und die typischerweise in rituellen
Die grosse Verbreitung von Cannabis dass auch ohne Ideologie Cannabis bei Handlungen Einzug findet (Cattacin
geht mit einer Re-Ritualisierung von des- Erwachsenen in Ritualen eingesetzt 2001).
sen Konsum einher. Cannabis als Protest wird. Dabei sind verschiedene Elemente
beruht dabei auf der Vergewisserung, dieses Konsums in Gruppen direkt mit Vom Konsum von Cannabis in Ritua-
der gleichen Gruppe anzugehören, was der Logik von Ritualen in Verbindung len hin zum Konsum von Cannabis
erst über eine ritualisierte Logik erreicht zu bringen: Regeln werden definiert und als rituelle Praxis
werden kann. Man konsumiert in der eingehalten, die Zeremonie wird von Die stete Auflösung von Übergangsritua-
kritischen Gruppe Cannabisprodukte einer Person eingeleitet, Hierarchien len ist das Resultat der Aufklärung, die
und stärkt dadurch die Gruppenzugehö- werden definiert. So beginnt bspw. die- den Menschen von all diesen Mythen be-
rigkeit, die Gruppe selbst versichert sich jenige Person mit dem Rauchen, die den freien will. Doch führt die Befreiung des
dadurch auch ihres Platzes in der Gesell- Joint gedreht hat, jene, die das Produkt Menschen in modernen Gesellschaften
schaft der Jugendlichen, der Protestie- geliefert hat, kommt als zweite dran, nicht nur zur Verlängerung der Jugend-
renden, der neuen kritischen Elite – je diejenige, die neu in der Gruppe ist, zeit bzw. der «Moratoriumsphase» (Er-
nach Kontext.6 kommt erst am Ende zum Zug, und mit ikson 1968), sondern auch insgesamt zur
dem Ende des Joints wird das Ritual ab- Entgrenzung der Suche nach Gleichheit
De-Ideologisierungen und transna- geschlossen und die Gruppe geht in eine (Anpassung) und Eigenart (Identität)
tionale Praktiken freie Phase der Interaktion über (Sand- während des ganzen Lebens (Gamba
Das Ende der Protestbewegungen der berg 2013; Chantepy-Touil 2012). Auch 2017a; Gamba 2017b); Verunsicherung
1960er- und 1980er-Jahre führt jedoch wenn von einer Vielzahl von rituellen und Liminalität (sich in einen schweben-

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den identitären Zustand zu versetzen) fume avec ma copine posé dans le canapé 9) Literatur
Becker, Howard S. (1963): Outsiders; studies
sind die Folge dieser Entgrenzungen (Le et après avoir fumé ça y va les pop corn au
in the sociology of deviance. London: Free
Breton 2002). Die Suche nach Grenzer- micro onde, les jelly belly, et autres bonbons Press of Glencoe.
fahrungen hat sich somit vom Jugend- 10) quand on a pu rien à manger bin on va Bewley-Taylor, D./Blickman, T. /Jelsma, M.
alter losgelöst und dadurch eine Gesell- au lit, on s’fait des calins pi bah après jdors (2014): The rise and decline of cannabis pro-
hibition. The history of cannabis in the UN
schaft begründet, in der jederzeit jeder en 15sec chrono...».11
drug control system and options for reform.
Mensch auf der Suche nach Stabilität «Snamm City» bezeichnet sich hier Amsterdam, Swansea: Global Drug Policy Ob-
und Verschiedenheit ist – und dabei Ri- zuerst als «sehr kompliziert». Diese In- servatory, Transnational Institute.
tuale individualisiert (siehe etwa Gamba dividualisierung ist Teil des Rituals und Cattacin, S. (2001): Réciprocité et échange.
Revue internationale de l’économie sociale
2016 und in dieser Ausgabe). lässt den Zweck der identitären Selbst-
80(279): 71-82.
Neben diesem weiterhin bestehen- vergewisserung durch das Ritual erken- Cattacin, S. (2006): Why not «ghettos»? The
den kollektiven rituellen Konsum von nen. Gleichzeitig bezeichnet er die Be- governance of migration in the splintering
Cannabis etablieren sich in der Folge schreibung als Einblick in seine Intimität city. Willy Brandt Series of Working Papers in
International Migration, Migration and Ethnic
auch individualisierte Praktiken. Auf gleich einem Geständnis, fügt dann aber
Relations 06(02). Malmö: Malmö University.
dem Blogteil der Internetseite Canna- hinzu, dass die Frage für alle «Grasrau- Chantepy-Touil, C. (2012): Du plaisir dans les
weed bspw., die französischsprechende cher» eine intime Frage sei. Damit ge- conduites addictives. Le sociographe (3):
Cannabiskonsumierende informiert, lingt es «Snamm City» sich gleichzeitig 27-36.
Chimienti, M./Cattacin, S./Pétrémont, M.
lanciert «Julianr» im Jahre 2012 eine zu singularisieren (meine Intimität) und
(2010): Des organisations impossibles?
Diskussion mit der Frage: «Le plaisir du zu kollektivieren (die Intimität aller mei- Vulnérabilités et citoyennetés urbaines–une
rituel c‘est quoi le votre» (Was ist eure ner Gesinnungsbrüder).12 Die individu- perspective comparative. Genève, Londres:
Freude am Ritual?).9 Die Antworten las- elle rituelle Praxis erlaubt es somit, sich Université de Genève, City University London.
Domenig, D./Cattacin, S. (2015): Sind Drogen
sen nicht auf sich warten. Sie zeichnen vorzuspielen, einzigartig in einer Welt
gefährlich? Gefährlichkeitsabschätzungen
sich durch eine detaillierte Beschreibung von einigen potentiell Gutgesinnten zu psychoaktiver Substanzen. I.A. der Eidge-
des individuellen Konsums aus, oft sein.13 nössischen Kommission für Drogenfragen
präzise nach zu befolgenden Punkten (EKDF). Genève: Université de Genève (Socio-
graph – Sociological Research Studies 22a.
geordnet.10 Die konsumierende Person Schlussüberlegungen
https://tinyurl.com/srjr5v5, Zugriff 04.02.20.
wird gleichzeitig zur Zeremonieleiten- Cannabis ist ein Produkt, das in seiner Emboden Jr., William A. (1972): Ritual use of
den und Teilnehmenden, indem sie ihre vielfältigen und bescheidenen Wirkung cannabis sativa l.: A historical-ethnographic
eigene Transformation organisiert und Jahrhunderte rituellen Gebrauchs über- survey. S. 214-236 in: Peter T. Furst (Hrsg.),
Flesh of the gods. The ritual use of hallucino-
deren Zweck bestimmt, wie die Antwort lebt hat, sich immer wieder neu erfin-
gens. Long Grove, IL: Waveland Press.
auf «Julianrs» Frage von «Snamm City» den kann – und auch dank des Verbots Erikson, Erik H. (1968): Identity: youth and cri-
illustriert: «J‘aime bien se topic on entre einen Bekanntheitsgrad erreicht hat, sis. N.Y.; London: WW Norton & Company.
dans l‘intimité des fumeurs c‘est cool, on se der es kaum mehr wegzudenken erlaubt. Gamba, F. (2016): Mémoire et immortalité aux
temps du numérique. Paris: L’Harmattan.
croirait dans confessions intimes . Alors Dennoch schwebt über seinem rituel-
Gamba, F. (2017a): Body enhancement ou
moi j’suis très compliqué... en dehors des len Gebrauch in vielen Ländern immer écologie corporelle? Le défi de l’immortalité
rituels j’ai des règles, je fume jamais la se- noch das Damoklesschwert der Illegali- contemporaine. Corps (1): 233-241.
maine uniquement le weekend donc à partir tät. Es braucht nicht viel Fantasie, um Gamba, F. (2017b): L’extension illimité du plai-
sir. La quête d’immortalité comme extension
de jeudi minuit plus une minute, jusque zu erahnen, dass die Legalisierung des
illimitée de la vie sexuelle. SociologieS [En
samedi 23h59. En général 2 joints par week- Cannabis den rituellen Gebrauch unter ligne], Dossiers, Eros et Thanatos, mis en
end. Et ça se passe comme ça : 1) Je passe Jugendlichen als emanzipatives Protest- ligne le 13 novembre 2017, consulté le 14
dans différents coffee parce que j’aime bien Produkt wohl eher schwächen wird, auch janvier 2020. https://tinyurl.com/wez7sqh,
Zugriff 04.02.2020.
changer tous les weekend de weed quand wenn der risikoarme, rituelle Gebrauch
Gonzales, S. (2018): Passe le joint de CBD! Du
c’est possible. 2) J’me pose devant Koh unter Erwachsenen kaum verschwinden THC au CBD, parcours de consommateur de
Lanta ou The Voice 3) J’prend ma boite de wird. Eine drogenfreie Gesellschaft hat cannabis. Genève: Institut de recherches so-
caramel en métal que j’avais acheter quand es auch zuvor nie gegeben und ist auch ciologiques de l’Université de Genève. Travail
de master.
j’étais jeune et inocent, et ou mon papa nicht Ziel einer adäquaten Suchtpolitik.
Gowan, T./Whetstone, S./Andic, T. (2012): Addic-
mettait mon argent de poche au moment Vielmehr gilt es, das Ritualisieren von tion, agency, and the politics of self-control:
voulu. 4) Grinder plastique. 5) Je roule pas Übergängen mit und ohne psychoaktive Doing harm reduction in a heroin users’
j’prend des cones vide, format standard. 6) Substanzen als soziale Praxis anzuerken- group. Social Science & Medicine 74(8):
1251-1260.
Je met mon mix (0,5 gr de weed et une clope nen, ohne dabei damit verbundene Risi-
Homiak, John P./Yawney, Carole D. (2019):
entière black devil) dans une boite de crème ken zu verharmlosen. Rastafari. S. 357-360 in: Frank A. Salamone
nivéa vide en métal et je secoue, j’aime aussi (Hrsg.), Routledge encyclopedia of religious
senti avant et essais de deviner les aromes rites, rituals and festivals. N.Y., London:
Routledge.
7) Je remplit toujours style marroco 8) Je

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Herzig, M./Zobel, F./Cattacin, S. (2019): Cann- setzt: Die Einnahme von heiligen Kräutern Meine Übersetzung: «1. Von Personen, die
abispolitik. Die Fragen, die niemand stellt. erleichtert den Zugang zu der visionären Marihuana besitzen, wird erwartet, dass sie
Zürich, Genève: Seismo. Erfahrung der Inspiration, die im Argumen- es teilen. […] 2. Da Marihuana bei bestimm-
Le Breton, D. (2002): Conduites à risque: Des tationsprozess so geschätzt wird; Homiak & ten Gelegenheiten geraucht wird, wird er-
jeux de mort au jeu de vivre. Paris: PUF. Yawney 2019: 356). Die Einnahme erfolgt in wartet, dass der Joint oder die Pfeife an alle
Martuccelli, D. (2010): La société singulariste. der Gruppe und über eine Wasserpfeife. Anwesenden weitergegeben wird. […] 3. Das
4
Paris: A. Colin. Wie Bewley-Taylor et al. ausführen (2014: 6), Rauchen von Marihuana mit anderen Men-
Mauss, M. (1925): Essai sur le don. Forme et setzt sich die indische Hemp Commission schen entspricht einer Verpflichtung aller zu
raison de l’échange dans les sociétés archaï- dafür ein, Cannabis nicht zu verbieten und einer Kontinuität der sozialen Beziehung».
9
ques. L’Année Sociologique nouvelle série zwar mit einem heute durchaus akzeptablen Siehe Forum auf Cannaweed Communi-
(1923-1924) (1): 30-186. Argument der Schadensminderung: Ein Ver- ty: https://tinyurl.com/wuzm5bo, Zugriff
Philibert, A./Zobel, F. (2019): Revue internatio- bot würde den Konsum psychoaktiver Sub- 04.02.2020.
10
nale des modèles de régulation du cannabis. stanzen auf vielleicht gefährlichere Drogen Dazu auch Chantepy-Touil 2012: 35.
11
Genève: Institut de recherches sociologiques überwälzen: «The Commission looked into Eine ungefähre Übersetzung könnte etwa
de l’Université de Genève (Sociograph 41). earlier considerations in India to prohibit so sein (wobei die vielen Orthographiefehler
Rätsch, C. (1992): Hanf als Heilmittel: Eine cannabis in 1798, 1872 and 1892, concluding nicht übersetzt werden): «Ich mag dieses
ethnomedizinische Bestandsaufnahme. So- that those proposals had always been rejec- Thema, es ist wie ein Einblick in die Intimi-
lothurn: Nachtschatten. ted on the grounds that the plant grew wild tät der Raucher, es ist cool, es ist wie ein
Rubin, V./Lambros, C. (1963): Cannabis, society almost everywhere and attempts to stop the intimes Geständnis. Also, ich bin sehr kom-
and culture. S. 212-218 in: Maureen E. Kelle- common habit in various forms could provo- pliziert ... abgesehen vom Ritual, habe ich
her/Bruce K. Mac Murray/Thomas M. Shapiro ke the local population and drive them into auch andere Regeln: Ich rauche nie während
(Hrsg.), Drugs and society: A critical reader. using more harmful intoxicants» (übersetzt: der Woche, nur am Wochenende, also von
Dubuque, Iowa: Kendall, Hunt. Die Kommission prüfte frühere Überlegun- Donnerstag Mitternacht plus eine Minute,
Sandberg, S. (2013): Cannabis culture: A stable gen in Indien, Cannabis in den Jahren 1798, bis Samstag 23h59. Normalerweise 2 Joints
subculture in a changing world. Criminology 1872 und 1892 zu verbieten, und kam zu dem pro Wochenende. Und das geht so: 1) Ich
& Criminal Justice 13(1): 63-79. Schluss, dass diese Vorschläge immer mit gehe in verschiedene Coffeeshops, weil ich
Schuurmans, Macé M./Befrui, N./Barben, J. der Begründung abgelehnt worden waren, gerne jedes Wochenende mein Gras wechsle,
(2016): Informationsblatt für Ärztinnen und dass die Pflanze fast überall wild wächst wenn dies möglich ist. 2) Ich sitze vor Koh
Ärzte: Factsheet 1: Cannabis. Primary and und Versuche, die allgemeine Gewohnheit in Lanta oder The Voice. 3) Ich nehme meine
Hospital Care 16(20): 384-386. verschiedenen Formen zu unterbinden, die Karamellmetalldose, die ich gekauft habe,
Touw, M. (1981): The religious and medicinal örtliche Bevölkerung provozieren und dazu als ich jung und unschuldig war, und in die
uses of cannabis in China, India and Tibet. treiben könnten, schädlichere Rauschmittel mein Papa mein Taschengeld legte, als ich es
Journal of psychoactive drugs 13(1): 23-34. zu konsumieren). brauchte. 4) Nehme meinen 3-teiligen Kunst-
5
Tumminia, D. (2019): Possession and Trance. S. Meine Übersetzung: «Bis 1964 wurde Can- stoffgrinder. 5) Ich rolle nicht, ich nehme
331-336 in: Frank A. Salamone (Hrsg.), Rout- nabis hauptsächlich von der westindischen leere Jointhüllen, Standardgrösse. 6) Ich lege
ledge encyclopedia of religious rites, rituals und afrikanischen Bevölkerung in London meine Mischung (0,5 g Gras und eine ganze
and festivals. N.Y., London: Routledge. konsumiert. Doch dann breitete es sich un- Zigarette Marke Black Devil) in eine leere
Warf, B. (2014): High points: An historical geo- ter der weissen Mittelklasse-Jugend aus, Nivea-Crème-Metalldose und schüttle sie,
graphy of cannabis. Geographical Review unter ihnen viele Studierende und politische ich rieche auch gerne vorher und versuche,
104(4): 414-438. Aktivisten. 1964 waren die Vergehen weisser die Aromen zu erraten. 7) Ich drehe meinen
Weinhauer, K. (2006): Drug consumption in Lon- Cannabiskonsumierender zum ersten Mal Joint immer nach marokkanischer Art. 8) Ich
don and Western Berlin during the 1960s and mehr als die westindischen und afrikani- rauche mit meiner Freundin auf der Couch.
1970s: Local and transnational perspectives. schen». 9) und nach dem Rauchen gibt es Popcorn
6
Social History of Alcohol and Drugs 20(2): Oft wird behauptet, dass Cannabis die Grup- aus der Mikrowelle, Jelly Bellys und andere
187-224. pendroge war, Heroin die Droge der Individu- Süssigkeiten. 10) Wenn wir nichts essen
Zimmerman, Don H./Wieder, D. L. (1977): You alisten, zum Beispiel bei Weinhauer (2006: konnten, gehen wir ins Bett, wir umarmen
can’t help but get stoned: notes on the social 200). Doch scheint diese Individualisierung uns, und nach 15 Sekunden schlafe ich».
12
organization of marijuana smoking. Social erst in einer zweiten Phase aufzutreten und Zur Singularisierung und Kollektivierung in
Problems 25(2): 198-207. zwar in dem Moment, in dem Heroin (aus vie- der Einzigartigkeit siehe: Martuccelli 2010;
len Gründen, die wenig mit der Substanz zu Cattacin 2006.
13
Endnoten tun haben) zu Krankheit führt. Aus Studien Es soll nicht übersehen werden, dass
1
Meine Übersetzung: «Doch der von protes- geht dagegen hervor, dass Heroin ebenfalls «Snamm City» im Punkt 8 auch darauf hin-
tantischen Eliten vorangetriebene industri- in (politisierenden, systemkritischen) Grup- weist, dass er mit seiner Freundin ist. Wie
elle Kapitalismus setzte auch ganz andere pen – d. h., in geschütztem Kontext – konsu- die Diskussion um die Cannabis-Clubs zeigt,
Kräfte in Bewegung. Immense soziale Um- miert wurde, «Küken» (Erstkonsumierende) scheint Cannabis als kollektives Erlebnis
wälzungen – rasche Verstädterung, Massen- eingeführt wurden und auf Hygiene gepocht bereits ein Resultat eines gesellschaftlichen
migration und die Schrecken der modernen wurde (Chimienti et al. 2010). Heroin zu in- Lernprozesses zu sein, das auch bei allein
Kriegsführung – haben die Menschheit von dividualisieren (über Abgabeprogramme, so Konsumierenden zu reflexiven Haltungen in
den ritualisierten Kontrollsystemen entfernt, die Analyse von Gowan et al. (2012), bedeute Bezug auf den isolierten Konsum führt, wie
die wir um frühere Drogenkulturen herum nichts anderes, als es aus der Gruppenkont- zum Beispiel auch Sergio Gonzales in seiner
aufgebaut hatten». rolle zu lösen und seinen Konsum zu patho- Masterarbeit zeigt, wenn ein Interviewter
2
Siehe dazu Herzig et al. 2019. logisieren. sagt: «J’ai toujours trouvé que c’était plus
7
3
In der Lebenspraxis der Rastafari erlaubt die In Cannabis-Clubs wird über die soziale quelque chose à faire entre potes que tout
Einnahme von Cannabis, das argumentative Dimension der Organisation von Produktion seul.» (Übersetzt: Ich habe immer gefunden,
Vermögen und die schöpferische (religiöse) und Konsum Vertrauen in eine Gruppe ge- dass man das mehr mit seinen Kumpels
Kraft von Personen zu stärken: «The inge- schaffen, an der sich die Konsumierenden machen kann als allein. Zitiert in Gonzales
stion of holy herbs facilitates access to the beteiligen. (Siehe etwa Philibert & Zobel 2018: 26).
visionary experience of inspiration, which is 2019 zu Spanien).
so valued in the reasoning process» (über-

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