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Der goldene
Handschuh
Roman
Über dieses Buch
Motto
Quellennachweis
Dank an Sascha Nürnberg.
WH 2, ein großer,
gutaussehender Mann, hatte
nach der Übernahme der Firma
zunächst riesigen Erfolg, den
er hauptsächlich dem
Kompensationshandel mit der
DDR zu verdanken hatte, zu
dessen Hauptprofiteuren er
zählte. Bei diesem
Geschäftsmodell ließen sich
abenteuerliche Summen
verdienen. Selbst für
Hamburger Verhältnisse
abenteuerlich. Da die Ostzone
praktisch keine Devisen besaß,
verlegte sich der Staat auf
Warentauschgeschäfte. Wurde
für den heimischen Schiffbau
Stahl benötigt, den Russland in
der gewünschten Qualität aber
nicht liefern konnte, wurde der
eben von Thyssen oder einer
anderen westdeutschen Firma
bezogen. Die DDR verkaufte
die fertigen Schiffe an
westdeutsche Reeder. Diesen
Deals zwischengeschaltet
waren auf derartige Geschäfte
spezialisierte Schiffsmakler, die
dabei gigantische Provisionen
einfuhren. WH 2 hatte sich eine
goldene Nase verdient, bis es
schlagartig vorbei war und er
von den Hinnebergs unter ganz
und gar unschönen Umständen
verdrängt, vernichtet,
geschlagen, geschlachtet
wurde. Unternehmerische
Fehlentscheidungen,
Missmanagement und fehlende
Fortune hatten ein Übriges
getan, Stichwort
Containerrevolution Mitte der
sechziger Jahre. Diese
Umwälzung hat er wie viele
andere Reeder erst viel zu spät
erkannt.
Als ob das noch nicht genug
gewesen wäre, sitzt eines der
elf Schiffe der Von-Dohren-
Flotte im Suezkanal fest.
Ägypten hatte, als Reaktion auf
den Sechstagekrieg, den Kanal
1967 gesperrt, und die Schiffe,
die sich zufällig gerade darin
befanden, sitzen seitdem fest.
Was anfangs wie ein absurder
Treppenwitz der
Weltgeschichte schien, dauert
jetzt bereits geschlagene
sieben Jahre und hat die Firma
Unsummen gekostet. Die Gelbe
Flotte – der Wind hatte die
Decks der Schiffe mit feinem,
gelb schimmerndem
Wüstensand bedeckt – ist zum
Spielball einer
unkalkulierbaren Politik
geworden; niemand wagt
vorherzusagen, wie lange sie
dort noch liegen werden.
WH 2 steht mit dem Rücken
zur Wand. Mit bald sechzig
glaubt er nicht mehr daran, den
Karren aus dem Dreck ziehen
zu können. Seine Energie ist
verbraucht. Er weiß, dass er
nichts mehr zu erwarten hat,
keine junge Liebe, keinen
Wechsel seines Schicksals. Man
kann kein neues Leben
beginnen, sondern immer nur
das alte fortsetzen. Er gibt sich
noch ein Jahr, maximal
eineinhalb.
ERKLÄRUNG
Hiermit erkläre ich,
Gerda Voss, dass ich es im
Leben noch nicht so gut
hatte wie bei Herrn
Honka. Ich bin dankbar,
dass es mir an nichts
mangelt und er für mich
sorgt wie kein Zweiter.
Herr Honka weiß viel
besser als ich selber, was
gut für mich ist, und
deshalb erkläre ich
schriftlich, dass ich mit
allem einverstanden sein
werde, was er mit mir
macht. Außerdem will ich
von jetzt an keine eigene
Meinung mehr haben und
äußern. Zum Zeichen
meiner Dankbarkeit
erkläre ich ferner, Herrn
Honka bei der ersten
Möglichkeit meine
leiblich geborene Tochter
Rosi zuzuführen, dass er
sie vernaschen darf.
Dieses erkläre ich bei
freiem Willen und klar
bei Verstand. Gez. Gerda
Voss.
Aufhören! Aufhören!
Es kam zu einem
Persönlichkeitsabbau infolge
jahrelangen schweren
Alkoholmissbrauchs, der zu
organischen
Folgeerscheinungen führte,
zum anderen eine Lebens- und
Persönlichkeitsverwahrlosung,
die nach
jahreskontinuierlichem Abstieg
ihren Tiefpunkt darin findet,
dass er schließlich im
niedersten Milieu St. Paulis
anzutreffen ist (goldener
Handschuh usw.). Honka ist
seiner Triebhaftigkeit im Sinne
einer Sucht verfallen. Der
Umstand, dass es ihm möglich
war, mit den Leichen, deren
Geruch ständig in der Luft hing
und die in Verwesung
übergegangen waren, und in
denen sich Käfer und Maden
eingenistet hatten, in der
Wohnung zusammenleben
konnte, macht das deutlich.
Veröffentlicht im Rowohlt
Verlag, Reinbek bei Hamburg,
März 2016
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ISBN Printausgabe 978-3-498-
06436-5 (1. Auflage 2016)
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