GLASENAPP-STIFTUNG

BAND 26

FRIEDRICH WELLER
1
i
FRIEDRICH WELLER

KLEINE SCHRIFTEN

KLEINE SCHRIFTEN
1
HERAUSGEGEBEN VON
WILHELM RAU
1 . HALBBAND

1. HALBBAND

FRANZ STEINER VERLAG WIESBADEN GMBH fRANi �J EINER VERLAG WIESBADEN GMBH
STUTTGART 1987 STUTTGART 1987
 Orientalistische Literaturzeitung 60. Jahrgang 1965 Nr. 1 1/12
595
Wesentliche scharf gefallt hcrauazuatellen. Statt dcasen
findet der Leser eine achwerfällige Breite, die den
Europäer, welcher keine Zeit mehr hat, unterweilen
an Goothca Spruch erinnert : „Getretner Quark / Wird
breit / Nicht atark."' Es gehört Ausdauer dazu, 80lche
Te�o� ,j==� z Es mag nicht jedes Wort dea Texte& in der ltber­
h �f.,':_".:ti.,':., Fo=:W'� rke nicht
anziehenden Tatbes tan dea kann man aich der Erkennt­
nis nicht entziehen, daß in der Prajiiipäramiti·Lite·
ratur ein großer Versuch unternommen wird, mit dem
Erlebnisse des Lebens fertig zu werden und es einer
Lösung zuzuführen, mit der sich zu beschäftigen für
die allgemeine Geschichte menschlichen Denkens lohnt.,
unbeschadet wie man lieh dazu stelle.
Ich glaube, die Grundlehre der Pallcavirp8atisähas­
rikä Prajiläpäramitä in folgende Sätze zusammen­
faasen zu dürfen : Alles, was und wie es der Mensch
durch seine sinnliche Erfahrung erfallt, ist unwirklich.
Es enträt einea wahren Seins, weil es nichtig, ve1··
giinglich ist. Es bleibt in Namen befangen; denen kein
im wahren Sinne 80iendea Objekt entspricht. Über diea
Scheinsein, welchea die landläufige Auff&BBung dea
Durchschnittamenscben für Wirklichkeit nimmt, führt
der Bodhisattva den unwiaaenden Menschen durch die
Lehre Buddhas hinaus. Er verfährt dabei, den Un­
wisaenden von seinem Irrtume zu befreien, auf die
Weiee, dall er so tut, als ob das Scheinsein die Wirklich­
keit wäre, ohn� dall er selbst im leisesten darein ge­
bunden wäre oder würde, und löat auf diesem Wege
durch seine Kunat, die Menschen zu behandeln und
ihnen Buddhas Erkenntni886 zu erschließen, die Un­
wissenden von ihren Verflechtungen in das Scheinsein
der inhaltaloeen Namen zur Schau absoluter Wahrheit.
So klar die Sachlage im grollen ganzen ist, begegnen
im einzelnen doch Stellen, die dunkel lind •. So Unmiß­
verständlich die Worte auch sind, man lieat bei den
Samädhi etwa • doch mit Hamlet nur Worte. Das
Arapacana-Alphabet • ist ao verständlich wie das
Hexeneinmaleine im Faust.
Gelegentlich werden die Meinungen der einzelnen
Wissenschaftler auseinander gehen. Es wird beispiels­
halber nicht jeder überzeugt sein, daJl es sich beim
,,...., i'tllaaamutplida um ein Bedingungaverhältnis handle•.
Mir scheint der Ablativ in den einsehlägigen Wen­
dungen eher für ein Kausalverhältnis zu oprechen.
Nicht jeder mag Conze 80 ohne weiteres darin bei­
pflichten wollen, daß der Buddhismus von Anfang an
als der Mittlere Weg zwischen den beiden Ketzereien•
gelehrt wurde, deren eine die Auff888ung von der Ewig­
keit, deren andere die von der Vemichtung• vertrat.
Der Mittelere Weg wird wenigstena im Mahävagga
anders bestimmt'.
Auch dort, wo einzelne Amdrücke auf dem Tapete
1tehen, hätte ein anderer hier und da wohl eine andere
Deutung vorgezogen. Ich ziehe beiapielahalber das öfter
im Texte begegnende Kompolitum ....na ...- nu­
aand/,iklda· an, auf das noch ein eich wandelndes
Kompoaitionaglied folgen kann, das hier belanglos
bleibtB. Conze verdolmetscht diea „all defilamenta and•
their reaiduea". Ich bin mir d-en nicht ao gewiß, dall
von zwei Gegebenheiten geaproohen werde. Mich be­
dünkt, die Rede gehe nur von einer: die l:l&fa, aua
welchen eich die Kräfte ableiten, die &ukünftigea
Werden in oeiner Form bestimmen. An der Textstelle
• Vgl. Conze, Einleitung, S. ""• lCCCVi .
• Text, S. 198ff.• Übersetzung, S. 132ff.
• Text, S. 212, Übersetzung, S. 148. Vgl. Conze, Ein­
leitung, S. xxxvi.
• Text, S. 1 52, Z. 6 - Übersetzung, S. 90. Ich hoffe,
den Auedruck „cond.itional co-produotion" nicht miß.
zuveratehen.
' hereaiee9 Einleitung, S. xxxiv.
s Etemaliem und AnnihilationiBm.
7 Vinayapit.ak a. herausg. von Oldenberg, Band I, i,
6, 17, 18,
• Vgl. etwa Text, S. 21, 9 = Übersetzung, S. 1 2, Z. 7
,·on unten ; Text, S. 225, 10 = Übenetzung, S. 1 63,
l 8/J 9 ; Text, S. 233, 1 8 ; 234, 1 = Übersetzung, S.176,18.
' Daa ,\-ort wurde von mir gesperrt.
- 536
596
S. 225, 24: na hi • • • alak,a!''"' dharmau niryötau vii [226)
niryCil<> w nirviiallalo vii ist mir nicht klar, weshalb der
Dual durch den Plural in der Übersetzung wiedergegeben
wurde: „Becauee unmarked dharmaa do not go forth.
will not go forth, have not gone forth" (S. 170).
aetzung abochliellend sein beatimmt worden. Ob
vidltiitaka gerade ,.worm-eaten"' bedeute (Text, S. 1 9, III
= Überaetzung, S.. 1 1 , Z. 3 v. u.), mag dahingeatellt
bleiben '· Die lo'rage ist im übrigen herzlich belanglos in
diesem Zusammenhange des Text-es. aaahMambln'Ua,
Text, S. 38, Z. 12, wird übersetzt: „they do not come
into being". Das hätte vielleicht ein aufklärcmdoa Wort
vertragen. Der Satz S. 45, 1 4 : tathähi vä rüpaAünyatä na
.a rüpayati wird S. 28, Z. 6, eo wiedergegeben: „Be­
cauee the emptineBB of form dooa not molest." Ich
bin mir dessen nicht ganz sicher, ob die Begründung
S. 64, Anm. 17, den Nagel auf den Kopf treffe. In den
folgenden gleichgerichteten Au888gcn steht: vä ve<fa.
nälünvatä "o •ä w,dayali / vä •<n!'j„iiüünvatä no .a
<IO'!'jini'le / lli aa'fl8kiraAünvalä na aäbhiaa,,..lcoroti / V4
ftjnmaoHnyatä na aä tJJjänäti /. Es kommt mir UD·
wahracheinlich vor, daß der Begriffsinhalt von rll;pallfJli
anders ausgerichtet sei als der der restlichen Verben, ich
frage mich, ob ripoy- nicht als Denominativ von rll;pa
„„ f- sei: w88 die Leerheit der Gestalt ist, die ge­
ataltet nicht.
Gelegentlich wäre eine wörtlichere Übersetzung der
abgekürzten vorzuziehen gewesen. Ich ziehe als Bei­
opiel die Textstelle S. 1 0, 18-19 an: alho lcllolu bhagaviin
punar - vä<lr1' lriaahoaramahäailaaarolo1'odlaä1au
aalluinilll iihnol>lla.... talaaminom iitmoblaäwf!' priJ:rlom
•padara..,ama.... S. 5, Z. 1 9 der Übersetzung finden wir
dafür: 'Thereupon the Lord exhibited His own natural
body in thia great trichiliocoam.' Ich schlüge eher vor zu
übersetzen : Jenachdem welchen Körper die Weaen in
der Dreitausendgrolltaueendwelt hatten, dem gleich
zeigte er seinen natürlichen Körper.
Es gibt auch einzelne Stellen, wo ich nicht durch­
schaue, warum 80 übersetzt wurde, wie es geschah. Ich
führe als Beispiele etwa an Text S. 29, z. 7 : llGf"fJGd/oar­
mittäm al�niigaloF.alyul;panniinä'!' lolhägolan � m
cma/Joddhvm....,.,.. Uberaetzung, S. 17, Nr. (40): to
look through the Suchnesa of all dharmae, paat,
future and preaent'. S. 32, Z. 1 7 : •kivanamärgaaaltagalo,
'Obersetzung. S. 18, Z. li v. u. : '&BBOCiated with the path
Of the one vehicle'; Text S. 64, Z. 64, 1 3 : k 'Pli uplip·
.l:oWal�na .U.vanaaami.:O idh amipaUivalena vii Oiilur­
tlMiAiiräjoA:ävi.l:anäm api deviini'!' i aabhagatävai u;pa­
pad!fG"le / Travaalrif!'länli'!' Yamlinä'!' Tulilänä'!' Nir­
-�... Parani"'"""oorl ""° inli'!' aablaägatiipi u;pa­
pad,....,. / 'Öberaetzung, 8. 36, Z. 1 3 v. u. : 'Through the
power Of their aki1l in meana , and n o t through tbe in­
ftuence Of the trancea, the Unlimited or the attainmank
they ant rebcm among the Gode of the Plain of the
Senae-deaire.' Vielleicht lag in solchen Fällen Conze eine
andere als die von N. Dutt gedruckte Textform vor.
Solcher Dinge wie der eben angeführten könnte
ich mehr angeben. Es gehört nicht viel dazu, sie
herauszustochern. Weitere Beispiele anzuführen,
eriibrigt sich, zeigten sie doch alle nur immer
wieder, daß es sich um rechte Kleinigkeiten han­
delt. Sie ändern alle nichts daran, daß Conzes Über­
aetzung eine Leistung ist. Alles ruht auf einer be­
glückenden Belesenheit in den Texten, einer t1ich­
tigen Sachkenntnis und einem klug abwägenden
Urteile. Wer sich Conze anvertraut, folgt einem
ebenso umsichtigen wie treuen Führer.
1 Mahi.vyutpatti, herauag. von Sakaki, Nr. 1 167,
hilft an unserer Textatelle deshalb nichts, weil da auf
fliclhtiila1:a npüva.l:a als selbständiger Ausdruck folgt, die
Mahävyutpatti aie beide als Variantt>n deBBclben Be­
griffes verzeichnet. Nach unserer Stelle wird es fraglich,
a
ob die beiden Wörter ein nder ao gleichzusetzen sind, wiei
ea Edgerton, Dictionary, S. 489u, unt<'r vidhülika tut.
-
37. Jahrgang, Heft 1 2
FORSCHUNGEN Ul\"D FORTSCHRI'ITE
Betrachtungen über einen Ratnakü�a-Text*>
Von Friedrich Weller, Leipzig
Über Zeit und Raum hinaus, in denen die Wi88en­
sehaften stehen, welche diese Welt erforschen, möchte
ich hier von dem Untemerunen einer Gruppe von
Buddhistm bericht<'n, die zwar auch davon ausgingen,
\l;c sie diese 'Yelt erleht<i n, aber zu einer Lösung ka­
men, welche nicht. von dieser Welt war. Sie waren
trotzdem da\'un überzeugt, mit dem Erleben des Le.
bens fertig zu werden, und dies ein für allemal.
\\"endet sich der Orientalist an einen weiteren Kreis, so
vermag f'r nicht abzuschätzen, wieweit da die Geisteswelt
eines östlichen Volkes bekannt ist. So seien einige allgemeine
Angaben über den Buddhismus voramgeachickt.
Der Buddhismus ent\\ickelte sich in drei grollen Stufen.
J)eoren erste stellt das Hlnayäna, das „kleine Fahrzeug", dar.
Etwa im 1. Jh. n. Chr. bildete aich das „grolle Fahrzeug",
das lfohäyina, heraus. Die jüngste Entwicklung macht das
\7ajrayina. das uDemant-Fahrzeug", aus, welches vieUeicht
unter dem Namen „Tantrismua" bekannter ist.
Difl "'örter mit einigem Gehalt zu füllen, sei angegeben,
daß der Buddhilmus vom Leide immer neuen \Verdens
erlöaen will. Dabei blieb es im H!nayäna jedem einzelnen
überlaBBen, das Ziel für lieh zu verwirldichen. Der Mönch
der höchsten Stufe erfüllte es, er erreichte das Nirväna.
Dann vollbrachte er kein neues Karman mehr. Er lebte
wohl noch eine Zeitlang weiter, bis sich die Reste des Karman
vergangener Tage ausgeschwungen hatten, um mit seinem
körperlichen Tode das Parinirvü_iA zu erreichen. Damit war
er für alles weitere Werden erloschen.
,Dem Mahäyäna dagegen lag an, alle Menschen, ja alle
Kreatur davon zu erlösen, '\\·eiter zu werden. Der Aufgabe,
die Lebenden wie sich selbst diesem Ziele zuzuführen, unter­
zog sich der Bodhiaattva. Er wirkte für dBB Erlöoungsziel,
du nun unterschiedlich best.immt wurde. Auch Paradieaes­
'·orstellungen kamen auf.
Der Tantrismus schließlich ist ein verwickeltes Gfifüge von
Kulthandlungen, das über ein ebenac verwickeltes Bezugs­
system magiseher Silben, Formeln und anderer zweckdien�
lieber wortmälliger Aullerungen und gedanklicher Verbin­
dungen \\irbam gemacht wurde, den Kundigen der Unifi­
y
catio m atica zuzuführen, in welcher das Ich in dem anderen
aufging. Diesea Syatem ist weder buddhistischen Uraprungs
nk
noch auf den Buddhismus beschrä t. Es entstammt den
"'eiten Gefilden des Hinduismus und wurde dem Buddhis­
mua angepaßt.
Der Buddhismus bewegt sich vielfach auf anderen Bahnen
des Denkens, als sie uns geläufig sind. Es gibt keinen Gott
als Urquell der Welt, Zuflucht und Ziel dea Menschen.
Eo gibt keine Seele. Es gibt kein Sein, acndern nur eine
unaufhaltsam sich weiterentwickelnde Abfolge \·on \\·erden,
deren einzelne Augenblicke kausal auseinander hervorgehen.
Bestimmt wird sie durch das Karman, das Gesetz, nach
1\'�l�hem alles Tun eines Lebenden seine zwangsläufige Folge
.
1te1tigt, die ausgelebt werden muß. Was wir so land.läufig als
Stoff und Geist zu unterscheiden pflegen, fällt dab<-i gleich­
wertig iri die gleiche Reihe. Der alte Buddhismus hat es
ausschließ1ich mit dem llenscheii zu tun als dem der allein
�
de.m \Yerd�n mit seint"m Leide ein Ende zu berci n vermag,
. *) Vortrag, gehalten am 20. )färz 1963 in der Sächsischen
und er bleibt seme ganze GE"Schichtc hindureh die zentrale
Figur des Buddhismus.
Ich nannte den Bodbi88.ttva. Darunter versteht sich die­
jenige Figur des Buddhismus, die sich darauf vorbereitet
und auf dem \Yege ist, ein Buddha, ein Erwachter, Erleuch­
�ter, zu werden. BodhiNttva war auch unBf'r, der geschieht.
hd1r. ßnddhn. hev.or er <lRs ward. Da yoJlbraC"htf" f"r M"in
- 537 -
369
\'"orhabert zu fördern, auch gewaltige Taten, andeIT' Lebe-
1\"t>SeD aus Lebensnot und -gefahr zu erretten.
llit diesen Angaben glaube. ich auskommen zu können.
A
Den Gegenstand meiner usführungen soll ein ma­
häyänistisches Werk abgeben. Diese Schulrichtung
spaltete sich vielfach auf. In ihrem Schrifttum gibt es
eine Gruppe von rund vier Dutzend 'Verken, die unter
dem Generalnamen Mahäratnakü�a „großer Juwelen­
haufe" zusammengefaßt werden. Diese Texte wurden
bislang wenig studiert. Das hängt damit zuBBmmen,
daß die weitaus meiaten von ihnen nur in tibetischer
und chinesischer Übersetzung auf uns kamen. Von
Sanskritoriginalen fand sich bisher nur wenig.
Unter den Werken dieser Klasse nun, welehe bisher
bearbeitet wurden, ist der Kä8yapaparivarta, das ,Ka­
pitel von oder mit KiiSyapa' � der spielt im Text die
Rolle des Hauptgesprächspartners Buddhas - , das
bedeutendste, weil es gedanklich das gehaltvollste und
außerdem das au888gekräftigste ist. Mit diesem Text
befasse ich mich hier.
Aussagekräftig ist dieses Werk einmal durch seine
glückliche Überlieferung. Neben dem mit verhältnis­
mäßig geringen Verluaten erhaltenen Sanskrittext
besitzen wir eine getreue tibetische Übersetzung der
gesamten Schrift. Außerdem sind bis heute vier chi­
nesische Fassungen bekannt geworden. Da sich diese
vom ausgehenden 2. über die Zeit so um 400 herum bis
ins letzte Viertel des 10. Jh. erstrecken, ennöglichen
sie es dem Indologen, der sonst meist in einem ziem:
liehen Geschichtsbrei herumstapft, die Geschieht„· der
textlichen Entwicklung herauszuarbeiten. Darauf
gehe ich hier nicht ein1).
Au888gekräftig ist das Werk aber auch noch in eineni
anderen Betracht. Es ist allgemein bekannt, daß de�
Buddhismus auf dem festländischen Indien unterging.
Der KMyapaparivarta führt nun auf die Spur der ge­
schichtlichen Kräft„, welche das bewirkt„n. Dies aus
dem Text herauszuarbeiten will ich hier versuchen.
Wenn ich von Sanskritquellen sprach, so trifft das
eigentlich nicht recht zu. Wie viele andere buddhist.i­
sche Werke aus nachchristlicher Zeit, ist auch der
Käsyapaparivarta in einer Mischsprache abgefaßt.
Soweit ich beobachtete, gibt deren Grundlage eine
altindische arische Volkssprache, eine Prakritmund­
art, ab. Diese wurde mehr schlecht als recht ins Sans­
krit umgesetzt. Es gibt Stellen, die mir erhärten, daß
dies - zumindest an diesen Stellen - mechanisch in
schriftlicher Überlieferung geschah. Eine solche Stelle
bietet auch unser Werk. Der prakritische Ausdmck
wurde falsch sanskrit.isiert.•) .
.Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.
1 ) Für fachwissenschaftliche Einzelheiten verweise ich auf
die Einleitungen zu F. \VELLER, Zum KäSyapaparivnrta,
Heft 1 : Der mongolisch• Text ( = Abb. Sächs. Aksd. Wiss.
Leipzig, Phil.-hist. Kl. Bd. 54, H. 2), Berlin 1962, und zum
m Druck gegebenen 2. Heft : Yerdeut-schung des sanskritisch­
tibetischen Textes.
2} Käi�·apapariva.rta, hrsg. v. Baron A. v. STAl!L�Hm„�TF.JN7
:170 FORSCHUNGEN UND FORTSCHRITTE
llönche, 1lie das fertigbrachten, können nicht gerade
den gebildeten Schichten des Mönchstums zugerechnet
werden. Im übrigen reicht schon das barbarische Kau­
derwelsch der Sprache zu, l\lönche, welche sich dessen
bedienten, als den niederen Schichten der Ordensbrü­
der angehörig zu erweisen. Ein mittelalterlicher llönch,
der de ;PueUas qui für Latein hält, gehört nun einmal
den unteren lllönchsschichten an.
Damit will ich das Formale verlassen und mich dem
Inhalt des 'Verkes zuwenden. Als erstes sei da berich­
tet, daß unsere Mah!i.yli.nisten ihre älteren Brüder, die
Hinayli.nisten, nicht nur über die Schulter ansehen,
Mlndem als unzullnglich ablehnen.
So wenig es unseren Mahäyänisten an Selbstgefühl
gebricht, spricht der Text doch eine beredte Sprache,
daß in ihrem eigenen Orden keineswegs alles in Ord­
nung war. An der Wahrheit diesbezüglicher .Aussagen
läßt sich um so weniger zweifeln, als ihrer auch in
einem anderen Text dieser \Verkklasse vernehmlich
genug erklingen3). Unter denen, die als Bodhisattva
bezeichnet werden, wie unter den Mönchen überhaupt
liefen rechte Wölfe im Schafspelz um. Sie mißbrauchten
das Vertrauen der Laien wie des Ordens aufs gröblich­
ste. Sie logen, betrogen, heuchelten schamlos. Die
llönchsgelübde hielten sie nicht ein. Statt voller Hin ­
gabe dem Lehrziel zuzustreben, die Erlösung nm wei­
terem Werden für sich zu gewinnen und anderen dazu
zu verhelfen, nutzten sie die Mönchsrobe dazu aus,
materielle Vorteile für eich herauszuschlagen. Schlau
berechneten sie, wie sie in anderen den Eindruck er­
weckten, vollendete Mönche zu sein, und erfüllten zu
diesem Ende doch nur das äußere Brauchtum des
llönches. Als Wühlmäuse untergruben sie Lehre und
Onlen, indem sie sich mit fremden Lehren befaßten.
Sogar an Leute schlossen sie eich an, welche der Über­
zeugung lebten, daß mit diesem Leben alles aus sei.
Das ist für einen Buddhisten schon deshalb das
Verwerflichste mit, weil diese Materialisten, wie sie
gewöhnlich bezeichnet werden, das Karman nicht an­
erkannten. Daa alles besagt aber, daß der mah!i.yäni­
stische Mönchsorden innerlich verfiel, und der Zerfall
muß schon recht fortgeschritten gewesen !!ein, .denn
allem Anschein nach gab es solcher räudiger Schafe
nicht eben wenige. Dieser Zustand obwaltete nach
Ausweis der chinesischen Übersetzungen bereits im
2. Jh. n. Chr.
Es mag dabei schon 8ein, daß, wenn in solchem Zu­
sammenhange vom Bodhisattva gesprochen wird, ein
Höflichkeitsausdruck der Laien vorliegt. Diese be­
zeichneten eben jeden Mönch, wenn er nicht mehr
krasser Novize war, als Bodhisattva, als einen, welcher
der Erleuchtung nachhängt. Das mag sich etwa dem
vergleichen, wie wir ja auch im Gaathause jeden eini­
germaßen älteren Stift Ober rufen, ohne daß beide
mehr als den gleichen Anzug miteinander gemein hät­
ten. Nur waren lllönche, die eo Ausdrücke der Laien­
sprache in die Ordenstexte aufnahmen, doch recht an­
fällig für Einflüsse aus der sie umgebenden Welt. Sie
lebten nicht der Abgeschiedenheit des Mönchsordens,
eondem mischten sich unter das Volk und blieben sei­
nem Leben stark verhaftet, anders, als die reehten
Mönche verfuhren. Wie schon die Sprache es tat, weist
dann auch die mangelnde Begriffeschärfe, mit der selbst
ein solcher Ausdruck wie Bodhisattva verwendet wur-
- 538 -
37 . Jahrgang, Heft 12
• 37.
de, die )lönche, welche seinen Begriffsinhalt nach der
Laiensprache umwerteten, in die unteren Schichten
des Mönchstums, nicht in die Kreise der begriffsfesten
Denker.
Ganz anders steht es uni den Bodhisattva von ech­
tem Schrot und Korn. Der führt einen Auftrag Bud­
dhas durch. Buddha kommt nur zu dem Zweck in die
Welt, um durch den Bodhisattva das Schilf der guten
Lehre herbeizuführen, auf dem die Lebenden über den
Ozean immer neuen \Verdens mit seinem Leide ans
jenseitige Gestade gefahren werden, wo es das nicht
mehr gibt'). Der Bodhisattva führt in dieser Welt alle
Obliegenheiten Buddhas au„).
Ihn, der wie ein Arzt an den Menschen handelt, nur
mit dem Unterschied, daß er ihnen die überweltlichen
Heilmittel darbringt, verehren denn auch die Götter,
welche frühere Buddha sehen, nicht den Hinayli.nisten,
mag der auch aus seiner Lehre heraus die Erlösung er­
reicht und so über den Ozean immer neuen Werdens
hinaus sein. Ihn müssen auch die Menschen verehren,
nicht den Tathägata, d. h. den Buddha. Ist doch der
Bodhisattva der stärkere, denn aus ihm gehen ja die
Buddha hervor. Er, der Bodhisattva, ist es, der das
Geschlecht der Buddha nicht abreißen läßt').
Das besegt aber nicht weniger, als daß nunmehr in
dieser Welt der Bodhisettva. die erste Stelle einnimmt.
Hier löste er den Buddha ab. Auch das war, wie die
chinesischen Fassungen des Textes bekunden, im 2. Jh.
n. Chr. erreicht.
Von dieser Welt nun erlöst der Bodhieattva sich und
die anderen, sie ist aufzugeben. Indessen wird sie
doch insoweit anerkannt und eingeräumt, als sie unab­
dingbar ist, vom Karman und dem •ich daraus erge­
benden immer neuen Werden befreit zu werden. Aus­
schließlich unter Wesen, welche die Perversitäten der
zum Karman führenden laaterhaften Veranlagungen
besitzen, kann der Bodhisettva Buddha werden7). Die
Saaten reifen ja auch nur aus Boden zur Frucht, der
mit Unrat gedüngt ist8). Demgemäß ist diese Welt des
Karman für alle unerläßlich, welche das Erlösungsziel
der Lehre verwirklichen wollen und sollen.
In dieser Welt des Karman nun entsteht alles aus
Grund und Ursache'), und da dies gilt, ist alles Ge­
wordene vergänglich. Kaum entstanden, ist es, ohne
Bestand in der Gegenwart erlangt zu haben, schon
wieder ..-ergangen. Weil dem so ist, lassen sich in den
Gegebenheiten dieser Welt keine Objekte als seiend
feststellen1•). Das gilt um eo mehr, als der Buddhist
auch im erfüllten Zweck kein Ganzes erkennt, sondern
nur eine Summe von Teilen, die landläufig mit einem
Shanghai 1926, § 6. doräntaraakhalitagav.fi ist falsch um­
schrieben aus doanntara-. Es müßte heißen dct,äntara-. Der
Ausdruek heißt nicht „einer, der herumschnüffelt, wo ein
anderer strauchelte und nach anderen Fehlern", sondern
vielmehr „einer, der mit einem Herzen voller Haß herum­
schnüffelt, wo ein anderer strauchelte". drt{KJ und da,a waren
in der Volkssprache in do.aa zusammengefalJen.
') Vgl. ENsn<K. The Questione of Räiitrapäla, Zwolle o. J„
S. 17, Z. 5 v. u. - 2 1 ; S. 28, Z. 8 v. u. - :U; S. 56.
'I KUyapaparivr.rta [weiterhin abgekürzt: KP], § lä:l.
'I KP, § f2.
•1 KP, § 83.
'I KP, §§ 72-75.
•1 KP, § fll.
•1 KP, §§ IK, Nr. 3; 97, Nr. 1.
1•1 KP, §§ 63, 98, 99, 102, 143.
Jahrgang, Heft 12 FORSCHUNGEN UND FORTSCHRl'ITE
Xamen belegt \\ird. Es gibt meinetwegen keinen Wa­
gen als Ganzes� sonde?I nur al� eine S�e "f'On 1:eil '
i�
die hcrkömmlicherwe1st' als " agen bezeichnet wird ).
In unsere Ausdrucksweise umgesetzt, besegt dies,
daß die erfahrbare Welt des Durchschnittsmenschen
nur aus wrgänglicben Summen besteht. Nur aus sol­
chem Summierten heraus kann das Wesensgegensätz­
liclw. da• Ganzheitliche, erreicht werden. Dieses Gan­
ze wird durch die \YcS<'nseigentümlichkeit Buddhas
au•g.-mnd1t. Ihr strebt der Bodhisath·a zu, da führt
l'f die Lf.l>f'mlt·n hin.
J >t•r J>urd1sclmittsmcn•ch bleibt mit seiner unmittel­
hn r<•n };rfnhrung dieser Welt der Summen verhaftet,
in m•lchcr alles so unbeständig ist wie der Blitz. Nur
was nicht entstand, ist um•ergänglich. Wiewohl nun
der Mensch dieses Unerstandenen nur aus der Welt
des Vergänglichen heraus innewird und -werden kann,
unterscheidet sich das gewonnene Ergebnis doch we­
senhaft. von allen Produkten dieser Welt : es ist unzer­
störbar, ewig. Da seiner innezuwerden außerhalb des
Erfahrbaren dieser Welt liegt, kann es sieh dabei nur
um eine mystische Schau handeln.
Dieser Schau des ungeworden Ewigen steht die Auf­
fassung des Durchschnittsmenschen gegenüber. Sie
ist dadurch bestimmt, daß er den entstandenen Sum­
men ein Eigenwesen zuerkennt, den Körper für etwas
Seiendes erachtet, Körper und Gedanken als eine Ein·
heit auffaßt, in den Gegebenheiten der Welt seiner Er­
fahrung ein Selbst als Inbegriff des Ewigen, Dauernden
unterstellt, das Nichtewige für ewig nimmt11).
Unsere Mahäyänisten sind überzeugt, daB dies
grundfalsch ist. Nach ihnen läßt sich in keiner Gege­
benheit. dieser erfahrenen 'Veit etwas Seiendes aus­
machen, handle es sich dabei unserer üblichen Unter­
scheidung nach um solche stofflicher oder geistiger Art.
Das gilt in besonderem Maße vom Gedanken11).
•
Wie kommt es nun aber trotzdem zustande, daß SJch
dem Durchschnittsmenschen die Gegebenhi;iten dieser
seiner Erfahrungswelt so anders darstellen ? Darauf
antwortet unser lllah!i.yänist, daß dies einzig und allein
durch den Gedanken bewirkt wird, indem dieser die
Gegebenheiten der Erfahrung falsch auffaßt. Er, der
Gedanke, allein ist es, der die sich ständig wandelnden
Summen dieses ihres Charakters entkleidet und sie in
seiende Objekte umwandelt. Alles, was der Durch­
schnittsmensch aber so durch den Gedanken gewinnt,
ist nichts als Gedankengebilde, Vorstellung, selbst­
geschalfene Einbildung"). Als Einbildung aber ist es
leer"), d. h. leer an allem, was ein seiendes Objekt aus­
macht, es geht ihr jede Wirklichkeit ab.
In dieser Welt selbstgeschaffener Einbildung rollt
alles ab, was das erlebte Leben des Durchschnitt•
menschen ausmacht : sein Tun, sein Werden. In dieser
Welt führt der Bodhisettva alle Obliegenheiten des
Buddha aus. Von ihr erlöst. er sich und die anderen ;
denn außer dieser Welt selbstgeschaffener Einhildung
hat der Durchschnittsmensch nichts, und weil sie das
einzige ist, was er hat, muß er mit ihr und ihrem Leide
fertig Wt'rden.
Zu diesen eingebildeten Vorstellungen gehört auch
das Selbst. Bei diesem Begriff möchte ich deshalb
etwas verharren, weil, was unser Text darüber aussagt,
nicht einheitlich ist, sondern auseinandergeht. Er­
fahren wir daraus dOt'h einmal, daß ein Et\\11S nicht
- 539 -
:111
Selbst ist, zum anderen, daß alle Gegebenheiten kein
Selbst enthalten"). Das Urteil schwankt also mischen
dem der Xichtidentität und dem der ::S-ichtinhärcnz.
Im Hinaväna wird die Auffassung ,-on der Nicht­
identfüit �rt.reten, und wenn irgend etwas, gehört
diese der buddhistischen Lehre seit der Zeit ihrer Grün­
dung an. Später, sagen wir so rund 1000 Jahre, be­
gegnen bei Kommentatoren lünayanistischcr Quellen
auch Aussagen, daß das Selbst nicht inhärent ist 17).
Irgendein Grund, warum die alte Überzeugung 'ich
aus der Lehre selbst heraus zwangsläufig in die jiingcrc
von der Nichtinhirenz hätte umbilden mü...,n, ist
l\irklich nicht abzusehen. Tatsächlich vollzog sich
diese Umwertung ja auch nicht im Gesamtbereich des
Buddhismus. So bleibt, den Vorgang zu erklären, nur
übrig, die Umbildung des Urteils über das Selbst
daraus herzuleiten, daß die neue Auffassung aus der
umgebenden Welt des Vediinta in buddhistische Texte
eindrang, und das vollzog sich den erl<ennbaren
Anzeichen nach über die anfälligeren Schichten des
niederen Mönchstums, die stärker in der Geisteswelt
befangen blieben, aus der sie kamen, als die Starken
im Geiste. In deren Köpfen vertrug sich mehr mit­
einander als in denen der harten Denker. Dafür spricht ·
schon der Umstand, daß beide Urteile so unvergoren
und selbstverständlich nebeheinander auftreten, ohne
daß diese Mönche des Unterschiedes gewahr wurden.
Die Urteile schließen sich ja schließlich gegenseitig aus.
Das SAipkhya-System kommt als Quelle des Einflusses
deshalb nicht in Betracht, weil dieses eine Vielzahl
ewiger Seelen lehrt.
Da nun die eingebildete Welt allein durch den Qe­
danken geschaffen wird, bleibt, sich von ihr zu be­
freien, nur der eine Weg offen, sich des Gedankens zu
entschlagen. Schaltet man den aus, dann entstehen
über eine Reihe ..-on Zwischenstufen kein Tun und
keine Folge des Tuns mehr, damit auch kein weiteres
Werden mit seinem Glück und Leid. Wo die nicht sind,
da ist das Geschlecht der Edlen, das unzel'j!törbar, ewig
ist'"). Für dieses Geschlecht gibt es die Welt selbst­
geschaffener Einbildung nicht mehr, weil es dessen
inneward, daß alles seiner wahren Natur nach parinir­
viert istD). Nirrä�a und Parinirvä�a als Geschehen
gehören damit der Welt der Yoretellung, selbstgeschalfe.
ner Einbildung an. Ihre Gegebenheiten deuten nur auf
das N"irväna hin'°). Was aber seiner wahren Natur
nach pa.fuirviert ist, macht die Wesenheit Buddhaa
aus. In Hinsicht auf die Erfahi'ungs";elt wird es als
Leerheit bezeichnet, d. h. leer an allem, was die Erfah­
rungswelt ausmacht. Es ist die absolute Wirklichkeit.
11) Vgl. T. W. Ra1·s D.<nDs, The Questions of King Mi­
linda ( = Sacred books of the East, Bd. 35). S. 43 f.
lZ) KP, §§ 63, Xr. 9 ; 102. §§ 134, Nr. 2; 137, Vz. 13; 154.
§ 95, Nr. 3. §§ 94, Xr. 7 c; 9�, Nr. 1; 97, Xr. 2; 100; 134,
Nr. 1. §§ 53-55; 94, Nr. 7 a; 100.
"I KP, § 98.
"I KP, §§ 67, 98, 143.
u1 .KP, § § 70; 9i. Xr. 3 ; 125; 144.
") KP, § 104:: a11iitmä lad gotram, nämlich iiryii'J!Üm, und
§ N: •lliil- aarnrdAan•li(�I· Vgl. auch § 143.
"I A critical Päli dictionary, Bd. I, Kopenhal!"n 1924-48,
S. H6 b nnter aaallo(•I·
u1 KP, H 103, 10!.
"I KP, § 125.
'") KP, § 144.
 372 �'ORSCHUNGEN UND �'ORT8CHltl'l'l'E
Ihrer innezuwcrden dient die rechte Betrachtung der
Grgc\K>nhl'it"n der Erfahrungsinha lte, wie sie der
Durchschnitt.mcnseh erlebt, die rechte · Betrachtung
unter der Fonn <les mittleren Weges. i;;ie besteht in
ihrem Hauptteil darin, daß sie die Gegensätzlichkeit
aufhebt, welche in dieser Welt der Erfahrung herrscht.
:N"ichts wird da mehr als eines der beiden möglichen
Extreme wie est und non e•t, ewig und nicht-ewig auf­
gefaßt, sondern was Z\\isehen beiden Extremen liegt,
das Gestal,tlOSP, nicht Aufzuzeigende, nicht Erschei­
nungsmäßige, das, was kein Objekt mehr für den
Gedanken des Durehschnittsmensehen abgibt und ab­
geben kann, wird durch sie ersehaut11). Wenn es noch
eines Beweises bedürfte, daß es sich bei dieser rechten
Betrachtung, der Gegeben)ieiten unter der Form des
mittleren Weges um eine mystische Schau, dabei, des
Zieles innezuwerden, um ein mystisches Erlebnis han­
delt, dann dürfte erhierdurch erbracht sein.
Ich aber glaube', die vielfachen Einzelzüge dieser
besagten rechten Betrachtung lassen sich dahin zu­
sammenfassen, daß dureh sie die Hülle durehstoßen
wird, welche Vorstellung, selbstgeschaffene Einbildung
um die Gegebenheiten der unmittelbaren Erfahrung
legen, um sie auf ihre Wesenheit zurückzuführen. Dem
Inhalt na<!h führt sie zu einem Ergebnis, das sich kaum
mehr von der 'n!dAntistischen Lehre abhebt, nach
der die Welt der Erseheinüng Mäyä, ein Trugbild, ist.
Versuche ich die hier herausgestellten Lehren un­
serer Mahäylnisten als neuartig stärker ins Licht zu
heben, indem ich sie älteren Lehren des Buddhismus
gegenüberstelle, so wohnt einem solchen Beginnen ge­
wiß Mißliches inne. Doch glaube ich trotzdem, folgen­
des aussagen zu dürfen :
Gewaltig änderte sich die Stellung des Bodhisattva.
Aus dem Vorläufer Gautama Buddhas, unseres ge­
schichtlichen Buddha, wurde über den werktätigen
Helfer in augenblicklich anstehender Not der Stell­
\-ertreter Buddhas in dieser Welt. Er bekleidet damit
das Amt, welches der Dalai Lama im tibetischen Bud­
dhismus innehat. Das 'ITilr im 2. Jh. n. Chr. vollzogen.
Wie sich der Bodhisattva herausgebildet und ent­
"ickelt haben mag, das ist schwer nachzuweisen. Man
kann da nur vennuten.
Wie mich bedünkt. stehen im hlnayänistischen
Kanon die Jätaka seltsam da, Geschichten über die
• früheren Lebensformen Buddhas. Da der Buddha all­
wissend ist, ""rmag er sich ihrer zu entsinnen. Sie
berichten, daß der Bo<lliisattva, welcher damals .unser
geschichtlicher Buddha noch war, auch erstaunliche
Taten vollbrachte, Lebewesen aus augenblicklicher
Drangsal und Lebensgefahr zu erretten, um so sein Vor­
haben zu fördern, Buddha zu werden. In den eigent­
lichen Lehrtexten weht demgegenüber eine wesent­
lich kühlere Luft. Zwar \\ird die Lehre aus Mitleid mit
den Menschen ihnen ,-orgetragen und erläutert, sonst
wird ihnen jedoch i>cine werktätige Hilfe vom Onlen
her zuteil, mit dringender Not ihres Lebens fertig zu
werden. Sie bleiben, \-Or allem die Laienanhäriger, auf
die Hoffnung angewiesen, dermaleinst, vielleicht nach
Äonen, über die Lehre vom Leide neuen Werdens er­
löst zu werden, weil sie sich zu Buddha bekannten und
die Anliegen seines Ordens förderten. Der Bodhisattva
aber hilft unmittelbar. Hält man sich vor, daß der
Laienanhänger im Buddhismus keinen Gott mehr fand,
- 540 -
37. ,Jahrgang, Heft J 2
an den er sich in seiner Lebensnot hätte hilfe•uchend
wenden können, und bedenkt man, daß altiiberkom­
mene religiöse Bindungen nicht damit abgeschnitten
und ausget.ilgt waren, daß einer sich zu Buddha be­
kannte - schon die lebendige Umgebung hielt ihm die,
in Indien vielleicht noch mehr als anderswo, wach,
ganz abgesehen davon, daß die Geschichte ältere und
alte Glaubensvorstellungen niemals in Menschen radi­
kal auslöschte, weil sie in der Zeit einer neueren Welt­
auffassung lebten, wie etwa llenschen der Renaissance
auch dann nicht ältere Glaubensinhalte über Bord
warfen, wenn sie in und mit ihr lebten -, hält man
sich dies alles gegenwärtig, dann kommt es mir nicht
so abwegig vor zu fragen, ob, religionsgeschichtlich
gesehen, der Bodhisatt,.,. nicht als so eine Art Ersatz
für den ""rlorenen Gott aus dem religiösen Sehnen der
Laien entstand, eines rettend zupackenden Helfers
in . anstehender Drangsal und dräuender Lebensnot
hoffend gewiß sein zu können. Welcher Unterschied
besteht schließlich noch zwischen dem Bodhisattva,
welchem sich ein Buddhist, sei er Mönch oder Laie, zu­
wendet, aus Seenot oder anderer Lebensgefahr errettet
zu werden, und dem volkstümlichen Gott, zu dem einer
sich flüchtet, sein Gebet um Hilfe in Not zu erhören
und zu erfüllenn). Ich sehe keinen obwalten. Dann
bekundeten die Jätaka den ersten großen Einbruch
einer reqgiösen Volksbewegung in den Buddhismus.
Er muß einschlägigenlnschriften nach im 3. Jh. v. Chr.
geschehen sein. Dieser Einbruch einer volksreligiösen
Bewegung hätte dann im Mahäyäna seine dogmatische
Ausprägung erfahren.
Ich wies schon darauf hin, daß über weniger geho­
bene Schichten des buddhistischen Mönchstums, dem
Leben des Volkes enger verbunden gebliebene Kreise,
der Vedänta der umgebenden Geisteswelt die Auf­
fasaung vom Selbst aus der der Nichtidentität in die
der Nichtinhärenz umbildete. Solcher Einfluß fonnte
die Lehren unserer l\lahäyänisten früheren gegenüber
noch viel entscheidender um.
Von seinen Anfangszeiten an stellt der Buddhismus
fest, daß alles nicht Selbst ist. Daß eine Weltauffas­
sung eine negative Feststellung von Haus aus zu ihrem
Angelpunkt machte, wird nur dann verständlich, wenn
sie gegensätzlich zu einer früheren aufkam, welche die
positive Überzeugung ""rtrat. Wie diese aussah,
wissen wir nicht, niedergeschlagen hat sie sich in den
Upani�aden. Soviel ich erkenne, stellt der alte Bud­
dhismus diesem Negativum in seiner Lehle kein Posi­
tivum gegenüber, ich glaube, es bedurfte dessen auch
nicht. Nach Buddhas und seiner Schüler Überzeugung
war dureh seine Lehre allem weiteren Werden ein
sicheres Ende ZU setzen. Alles andere war daran ge­
messen gegenstapdslos. l\lich bedünkt, der Begriff
„Nirväna" brauche im alten Buddhismus nicht mehr
auszusagen, als daß der lllenseh, welcher es erreicht
hatte, für alles weitere 'Verden erloschen war. 'Var
21) KP, §§ 54-60.
11) Vgl. etwa J. LEOGB, Record of Buddhist kingdoma,
O:dord 1886, S. 112 f. der Übersetzung, Saddharm&pu1;uJart­
k&, Kap. 24, 2. Aba&tz, übersetzt von E. BUBNOUJ', Le lotus
de la bonno loi, oder H. KERN, Sacred books of tho East,
Bd. 21, gegen Divy&vadäna, ed. by COWELL and NEIL,
Cambridge 1886, S. .410, Z. 26. Zur Frage der Aufnahme von
Geschichten aus f..&ienkreisen siehe auch BAR.BAU, Oriens
extremus, Bd. 9, S. 7, Z. 20 !.
FORSCHUNGEN UND FORTSCHRITTE
dieses it�ntrale Anliegen erfüllbar durch die Lehre und
erfüllt; dann konnten alle Fragen wie die, was die
- Welt tihd was nach dem Xirväna ist, als gegenstandslos
lluf sich beruhen bleiben. lllit anderen Worten aus­
gcdril.Ckt: Buddha konnte allen solchen Fragen gegen;
über illnen agnostischen Standpunkt beziehen. Soviel
ich sehe, ist in alten hinayänis6schen Quellen die Welt
auch nicht aus buddhistischen Gedankengängen
heraus bestimmt. Da• allorgleichgültigste für den
altert Buddhismus ist jedenfalls, wie wir uns zu
dieser lleincr Lösung st<-llen, ob \\ir sie als zureichend
arlcrkerilien oder als unzulänglich ablehnen .
Demgegenüber bieten die Auffassungen unserer Ma­
häyiihlstlm ein ganz and<•rcs Bild. Einmal wird diese
'Veit gänz genau lx-stimmt, nämlich als Gedanken­
gebilde sel!.stgeschaffencr Einbildung, das auf falscher
Ausdeutung dureh den Gedanken beruht . Sie ist da'
mit elli absoluter Irrtum. Dem \\inl die absolilte
\C\'irkllchkeit gegenübergestellt. Dieses Weltbild fällt
itri Kern mit dem vedäntistischen zusammen, nach
welchem der ewige Ätman, das ewige Selbst, der kos­
mischen Mäyä gegcnü\K>rsteht , nach der die Welt ein
Trugbild ist.
Das steht zwar nicht so im Text , aber da diese er­
fahrene Welt durch den Gedanken gescha ffen wird und
der Gedanke der Miiyä, einem Trugbilde, gleicht13);
ist der Unterschied lediglich der, daß, wozu die Vedän­
tisten einen großen Schritt brauchen, unsere Mahäyä­
n'sten derer zwei klelh�re benötigen. Im übrigen steht
in einem anderen Text dieser Werkklasse ganz deutlich
zu lesen, daß Buddha diese Welt als der Mäyä, einem
Trugbilde, gleichend erkannte, als dem Wahn eines
Schauspiels, dem Traume gleirh").
Hand in Hand mit diesen Umbildungen im Großen
wurden einzelne ältere Lehraufstellungen mit neuem Ge·
halt erfüllt. Das !Y.-trifft. einmal den Pratityasamutpida,
die sog. Kausalitätsreihe. So verschieden diese Fonnel
von der '\Vissenschaft im Ganzen und einzelnen auch
mag aufgefa ßt werden, sie soll erklären, wie das Leben
des Menschen mit seinem Leide aus dem Nichtwissen,
d. h. hier dem Nichh\�ssen illn die buddhistischen
Wahrheiten, entsteht und wie weiteres "'erden zu
neuem Lehen unterbunden \\ird, wenn das Nicht.wissen
vernichtet ist. So stehen die Dinge im Hina yana .
Diese Aufgabe fällt der Formel in unserem Text
nicht mehr zu. Hier dient sie als Teil der rechten
Betrachtung der Gegebenheiten unter der Form des
Mitteh\"e!§"S dazu, über die Gegensätzlichkeit der
Erfahrungswelt hinauszukommen, '\\ie sie sich in den
Extremen Entstehen und Yernichtetwerden ausdrückt.
Bezeichnenderweise wird da bei zum Xichh\issen noch
das '\\"'s
'i sen hinzugefügt, ein Paar ,�on Extremen zu
gewinnen"). Dieser Begriff des Wissens begegnet sonst
in der Formel älterer hinayü.nistischcr Quellen nicht,
wohl aber stehen sich außerhalb des Buddhismus
Wissen und Xichtwissen so konträr gegenüber. Dafür
leiten unsere :llahavänisten nunnll'hr das \\'erden -
ctwai:i nn<h•re� ist l'nistnndent's Glück und Leid nicht -
über eine Anzahl Zwischenglieder aus dem Gedanken
und seinf'n Folgen ab, die Yernid1tung des 'Yerdens
aus der l'nterdrückung des Gedankens26). \\'ie dies
sic·h im ßpreich <lf's Gf'drmkPns n h:'pirlt , ist mwh dir
Formel dt•r Knusalitiit i-;rt>ilw nu:-:; \lem lRh<'H
. in tlrn
Bereich des Gedankens wrla gert wonlen.
- 541 -
373
Ein alter Bekannter ist. auch der ,.mittlere Weg'" .
Wie die Überlieferung vermeldet, gehört e r i n Buddha•
früheste Lehrzeit. Hier \'ersteht sich darunter der
goldene J\llt.t„lweg zwischen Sinnengenuß und dem,
sich in Selbstkasteiung au.zumergeln. Er führt· hlnayil­
riistiilcher Lehre nach zur Erleuchtung, zum Nirväi:ia"').
Der Begriff begegnet auch im KäSyapaparirnrta, be­
zeichnet nun aber die rechte Bet rachtung der Gegeben­
heiten als diejenige, welche zur befreienden Schau
führt. Auch hier wurde etwas aus dem L,•b<·n in den
Brreich des Gedanken� verlagert.
Iil diesen Strudel der Umbildung iiltercr bmldhi•ti­
seher Auffassungen wurden auch die Begriffe ,.Nir­
vätja '' und „Parinin-äl)a" hineingezogen. Sovfo] in
det Lehre älterer hinayanistischer Quellen aus buddl1i­
st.ischem Denken heraus zu klären auch offengelassen
worden sein mag nach der Seite hin, wie der l\lenseh
zur Welt außer ihm stehe, so wenig diese aus buddhi­
stischem Denken heraus bestimmt worden1 sein mag,
sie wurde doch auch als real vorhanden nicht abge·
stritten. Mir kommt es vor, als dürfe ich die Lage der
Dinge auf die Formel bringen, daß sie eben hingenom­
men wurde, ohne sich auf diese Fragen einzulassen.
Ihnen nachzugehen förderte das Ziel nicht, den Men­
schen von immer neuem Werden mit seinem Leide zu
erlösen. Wie immer diese Fragen be.antwortct werden
mochten, Tatsache blieb in jedem Falle, daß jedes Le­
ben immer "ieder als leidig erlebt wurde. Dieses Er­
leben war immer wieder so da. Davon wollte Buddha
mit seiner Lehre die Menschen erlösen, und dieses Ziel
zu \"erwirklichen, gewährleistete nach Buddhas Über­
zeugung seine Lehre, und zwar so, daß der Mensch
dann für immer da,·on befreit war. Sie erlöste davon,
neues Leben immer \\ieder neu zu erleben, und damit
auch von neu werdendem Leben überhaupt, wie immer
das sein mochte. Nin·äna und Parinirväna sind damit
Vorgänge, die sich in diesem Leben volliiehen, dieses
Leben als reales Geschehen abschließen, unbeschadet,
wie es aufzufassen sei.
Für unseren Mahliyänisten liegen die Dinge ganz
anders. Da sind alle Gegebenheiten der unmittelbaren
Erfahrung des Durchschnittsmenschen ihrer wahren
Natur nach parininiert. Das Parinirväi:ia bezeichnet
in ihrer Lehre also die absolute Wirklichkeit. Was aber
seiner absoluten Wirklichkeit nach parinin·iert ist, das
kann gar nicht parininieren. Als Geschehen wird da,
mit das Parinirväi:ia in den Bereich der \'orstellung;
selbst.geschaffener EinbildQng des Gedankens ver­
\\iesen, wie ihn der Durchschnittsmensch hat. Das
Parinin·iii:ia geschieht somit nur als Vorstellung, srlbst­
gesehaffene Einbildung des Durchschnittsmenschen.
In Wirklichkeit tun diese seine Gegebrnhriten nichts
weit<>r, als auf das Nirväna, d. h. auf die absolute
Wirklichkeit, hinzuweisen, ;ie anzudeul<•n28). Auch hier
enh\ickelten sich die Dinge so, daß ei n Brgrilf aus dem
Leben in den Bereich des Gedankens wrlagert wurde.
") KP, § 98.
11) Rä11trapäla.parip�cehä, S. 511 Z. 15 Ess1NK 0.,
= a. n.
S. 50, Absatz 4.
") KP, § 62.
") KP, § 103.
�) Yinnynpitnka, Alaluivagga. 1 G, 1 7 = HoRXER, Tlic llook
of Uisdplin<'. U1I. 4 ( =-= �arred hooks of th1· Bmhll 1 ,tJ'I, \'ol.
xiv), S. 15.
") KP, § 144.
 FORSCHUNGEN UND FORTSCHRITTE
Die Erlöswig wurde nach der Lehre wiserer l\lahäyli­
nisten nunmehr so ..-en•irklicht, daß die absolute
Wirklichkeit erschaut wurde als wesensgegensätzlich
zum Gedankengebilde selbstgeschalfener Einbildung
des Durchschnittsmenschen. "·enn diese Löswig nicht
mit ihr zusammenfällt., dann steht sie der zumindest
sehr na)1e, welche in der Philosophie des Vedlinta und
Sätpkhya herrscht, nach welcher die Erlösung so ge­
wonnen \\ird, daß das e\\ige Selbst, der ewige At.man
oder die ewigen Seelen des Sä�ya, als wesensgegen­
•ätzlich zur Erscheinungswelt erkannt werden müssen.
So glauhc ich, auch dieser Verlagerwig der Auffassung
entnehmen zu dürfen; daß die umgebende Geisteswelt
- in unserem Falle der Vedänta - sich zersetzend
auf die Lehren des Buddhismus auswirkte, ihn inner­
lich aufzulösen und in den Hinduismus zurückzuführen.
Versuche ich zum Schluß die allgemeine Bewegung
zu Ußlreißen, so scheint sich mir folgendes herausge­
stellt zu haben :
Als Seismos21) drängte ..-on unten die große Mll&!ll
des Laienvolkes mit seinen religiösen · Erwartungen.
Die wrmochte der Buddhismus nicht mehr zu erfüllen.
Da der Orden aber ohne die Laien nicht leben konnt-0
- fielen sie aus, dann war der Buddhismus erledigt -,
mußten sich die Mönche irgendwie vom Sehnen der
Laien angesprochen fühlen, wollten sie die Laien
nicht verlieren wid dem Buddhismus das Grab berei­
ten. Ihre Anliegen mußten aufgefangen und innerhalh
buclclhistischer Möglichkeiten befriedigt werden. Mir
kommt es nicht unwahrscheinlich · vor, daß · aus der
Wechsel"irkung beider Kräfte der Bodhisattva als so
eine Art Ersatzgott - auch mit seinem späteren
Kult - hervorging.
:D.i..: scr '\."V!kbA.;ligi�n Bewegung shmd der Vedäutö
innerlich -.iel näher, er war ihr verwandter als der
eigenständigere, gegenständige Buddhismus. Es mag
eine etwas grobschlächtige Formel sein, die Lage der
Dinge in die Aussage einzufangen, daß derVedä.nta die
Gottgläubigkeit der alten Inder in die Philosophie
erhob, philosophisch durchdachte und die von der
Religion aufgeworfenen Fragen philoeophisch löste.
Sie darf hier, die Sachlage zu charakterisieren, einmal
durchschlüpfen. Der Buddhismus stand gegensätzlich
dazu.
Soweit sie nicht religiöS gebunden waren, sondern
philosophisch, kamen die Laien aus dieser Geisteswelt
zum buddhistischen Mönchsorden, und wie die Inhalte
unseres Textes bekunden, rissen diese innerlichen Bin­
dungen nicht damit ab, daß sie buddhistische Mönche
wurden. Über die unteren Mönchsschichten, die dem
Volksleben verhafteter blieben und anfälliger waren
für Einflüsse aus der umgebenden Geisteswelt, drangen
diese in das buddhistische Lehrgefüge ein. Auch diese
Einflüsse wurden abgefangen, indem sie in ältere Lehr­
bestände eingebaut wurden. Sie wurden angepaßt,
manche Einzellehren des älteren Buddhismus wurden
entsprechend mit. neuem Gehalt gefüllt, umgebogen, zu­
gepaßt. So wurden auch diese Einflüsse abgefangen, dies­
mal allt>nlings nicht, ohne daß d<'r Buddhismus inner­
lich zerfressen wurde und äußerlich der Orden verfiel.
Stellt man in diese Jahrhunderte sich vollziehender
&lbortaufliilrung cll'S Buddhismus clie überragenclt>n
)..c.•i="'tung(•n hm1«lllist.iS<"h<"r E1·krnntniMtheo�tikf'r uml
Logiker, so hamlelt. t>S sieh clabl"i, gc.•schiehtlich gesehrn,
- 542
37. Jahrgang, Heft 12
wohl auch nur um Abwehrkämpfe, der drohenden
Auflöswig zu begegnen. Daß sich diese großen Denker
gerade der Erkenntnistheorie · und Logik zuwandten,
erklärt sich ebenso zwanglos wie zwangsweise daraus,
daß die Frage, wie der Mensch zur Welt stehe, den
empfindlichst<>n und · \lm -leichtesten anzugreifenden
HARVARD SINO-INDIAN SERIES
wunden Punkt der alten buddhistischen Lehre aus­
machte. Schon der agnostische Standpunkt Buddhas VOLU M E I I Part 1
mußte hier anzugreifen die Gegner einladen. Xach
dieser Seite hin mußte der Buddl1ismus vor allem
anderen abgeschirmt werden. Auch dieses Ehrfurd1t
gebietende Unternehmen solcher hervorsteclwmlcn
Philosophen scheit<>rte und mußte es twi. \Vas nützte
die ausgefeilteste Erkenntnistheorie und Logik denen,
die ein religiöses Anliegen hatfon ! Auf diesen religiö­
sen Drang der Massen antworteten die Denker nicht,
sie konnten es auch nicht mehr tun, weil sie darüber
hinaus waren. Die Mehrzahl der Mönche aber dürfte,
INDEX
zumal wenn sie eben im Grunde überholten Auffassun­
gen ..-erhaftet bliebe von diesen Traktaten soviel ••er­
TO THE
standen haben, wie der durchschnittliche Mönch oder
Geistliche von Hegels Logik.
Vollends zurückgebettet in den Hinduismus wurde
der Buddhismus durch den Tantrismus ; denn der läßt INDIAN T E XT
in der inneren Struktur seiner Kulthandlungen, dem
inneren Gefüge nach, durch das sie \\irksam gemacht
wurden, das angestrebte Ziel zu vernirklichen, auf den OF THE
letzten Gehalt zurückgeführt nur wieder das vedische
Opfer der Brlihmai;ia und Srautasütren - vielleicht
K Ä C YA P A P A R I V A RT A
noch älterer Zeit - aufleben, das über die Gestaltung
im Mikrokosmos durch das zweckdienliche magische
Wort des Kundigen die Erfüllung des Gewollten im
l\lakrokosmos anstrebte und erreichte.
So ,-cr.;chie<len in jedem Falle J.ie Fa..auc blieb, BY
so unterschiedlich die Nomenklatur, es hatte sich eine
neue Ausprägung des Hinduismus herausgebildet, aus
dem der Buddhismus entstanden, gegen den er er­ FRIEDRICH WELLER
wachsen war, den er trotz aller naturgegebenen
geschichtlichen Bindungen überholt hatte.
Nach allem glaube ich, der Källyapaparivarta. stelle
ein gewichtiges Dokument dar, das einmal gestattet,
in die Geschichte seiner inneren Selbstauflösung hinein­
zuschauen und die Kräfte zu erkennen, welche dies
bewirkten. Auf dem indischen Fest.lande hatten die
Mohammedaner nicht mehr 'iel '-on Buddhismus zu
beseitigen. In clen Randgebieten buddhistischer Aus­
strahlung blieb er erhalten. Sie waren schon durch
die geographische Lage gegen auflösende Einflüsse vom
indischen Festlande her abgeschirmt�r. Dort lebte er
fort, soweit nicht die Mohammedaner ganze Arbeit
leisteten.
Könnte Buddha heute noch überschauen, wie sich sein
\Vollen in Indien ent"·ickelte, so schlösse er sich vielleicht
den "„orten des K�isers in Goethes ,Faust' an:
Ich hoffte Lust und Mut zu neuen Taten;
l)()("h wer eu<"h kennt� der wird euch leicht erraten.
Ich merk es wohl : bei allt•r Schätze Flor,
PUBLISHED BY THE HARVARD-YENCHING INSTITUTE
\ne ihr gewr.Mt"n. M""id ihr nach wie ,·or.
20) Faust, 2. Teil. 2. Akt : Am Obeni Peneios. <ksamt­
ausgabe des Insel-Verlag.s, Leipzig 19.\l, S. 353: Seismos in
der Tiefe brummend und polternd. · CAMBRIDGE MA-SSACHUSETfS
Einmal noch mit Kraft geaehoben,
)fit dt"n H<-hultf"m bnn· gt-holK"n !
& gdan,...rf'n wir n:u.·h olK"n.
\Yo uns alles wei('brn muß. 1935
-
- 543 -